Musterseiten Ruth Recknagel - TeachersNews
Musterseiten Ruth Recknagel - TeachersNews
Musterseiten Ruth Recknagel - TeachersNews
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong>, geb. Schwersenz, geb. am 26. April 1930 in Berlin<br />
1
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong> lebt in Berlin. Ich rief sie an, nachdem<br />
ich von ihrem Poesiealbum gehört hatte. Wir haben uns<br />
einige Male getroffen und sie berichtete mir viel aus<br />
ihrer Kindheit und frühen Jugend.<br />
Aber was ist das Besondere an diesem Poesiealbum?<br />
Viele Kinder, die sich dort in den Jahren 1939 bis 1941<br />
mit bunten Bildchen und Fotos eingetragen haben,<br />
überlebten den Nationalsozialismus nicht, nur weil sie<br />
Juden waren. Das ist traurig. Aber dadurch, dass dieses<br />
Album bewahrt wird, sind die Kinder nicht vergessen!<br />
Carolyn Naumann<br />
Quellen: Briefe und Gespräche Carolyn Naumann mit <strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong> 2010<br />
Abbildungsnachweis: Fotos und Dokumente aus Privatbesitz <strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong>, Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong> heute<br />
<strong>Ruth</strong> Schwersenz 1936<br />
2
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Ich wurde im Frühjahr 1936 in die Klasse 8/I der 28. Volksschule,<br />
Mariendorfer Weg in Neukölln eingeschult. Am Tag meiner Einschulung<br />
trug ich einen blauen Faltenrock und Kniestrümpfe. Ich wollte immer<br />
Kniestrümpfe anhaben. Zu dieser Zeit war es aber noch üblich, dass<br />
man ein Leibchen trug. Mutti hatte das Kostüm selbst genäht, sie war<br />
Schneiderin wie meine Omi. Ich wollte unbedingt noch ein Foto von<br />
mir von hinten, damit man auch die schöne Schulmappe sieht!«<br />
<strong>Ruth</strong> an ihrem ersten Schultag im April 1936<br />
auf dem Tempelhofer Feld<br />
3
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> wurde in die Klasse 8 eingeschult, nicht in die erste<br />
Klasse. Wie kannst du dir das erklären?<br />
Kannst du dich noch daran erinnern, was du an deinem<br />
ersten Schultag anhattest? Wer suchte die Kleider aus?<br />
War es dir wichtig, wie du aussiehst?<br />
Von <strong>Ruth</strong> gibt es sogar mehrere Bilder von ihrem ersten<br />
Schultag mit Schultüte. Wie ist das bei den anderen<br />
Zeitzeugen?<br />
4
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»In meiner Klasse und in der Schule habe ich nichts bemerkt und eigentlich<br />
keine schlechten Erfahrungen gemacht. 1938, als ich die Schule verlassen<br />
musste, war ich gerade krank. Ich erinnere mich, dass der Lehrer Pfeiffer zu<br />
uns nach Hause kam und<br />
sagte, dass ich gar nicht<br />
erst wiederkommen muss.<br />
Ein halbes Jahr ging ich<br />
wegen der Krankheit gar<br />
nicht zur Schule, dann<br />
kam ich auf die jüdische<br />
Joseph-Lehmann-Schule<br />
in Charlottenburg.«<br />
»Ich bin in der zweiten<br />
Reihe die Dritte von links.<br />
Der Lehrer Pfeiffer ist<br />
ganz hinten.«<br />
5
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
Warum musste <strong>Ruth</strong> die Schule 1938 verlassen?<br />
Der Lehrer kam zu <strong>Ruth</strong> und ihren Eltern nach Hause, um<br />
ihnen mitzuteilen, dass <strong>Ruth</strong> nicht mehr zur Schule gehen<br />
dürfe. Wie beurteilst du das Verhalten des Lehrers?<br />
Schau dazu in die UN-Kinderrechtskonvention in Artikel 28.<br />
<strong>Ruth</strong> erinnert sich an den Namen ihres Lehrers.<br />
Wie ist das bei den anderen Zeitzeugen?<br />
6
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Wir waren uns als Kinder ›lieb und treu‹. Er hat mit seiner Mutti im Versteck<br />
überlebt und ging noch 1945 nach Palästina, das wusste ich aber alles nicht.<br />
Im Jahr 2000 bekam ich einen Anruf: ›Ist das <strong>Ruth</strong> Schwersenz? Hier ist Siegbert<br />
Landau.‹ Er hatte mich<br />
aus Jerusalem angerufen.<br />
Wir haben uns dann – ich<br />
war zu einer juristischen<br />
Tagung in Israel – das<br />
erste Mal wiedergesehen.<br />
Er kam ins Hotel, wir sind<br />
uns in die Arme gefallen –<br />
als wären nicht 60 Jahre<br />
dazwischen!«<br />
7
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> lässt ihre Mitschülerinnen und Mitschüler in ihr<br />
Poesiealbum eintragen. Sind Poesiealben heute<br />
immer noch üblich? Hast du selbst ein Album, oder<br />
hast du dich schon einmal in eines eingetragen?<br />
Kannst du dir vorstellen, dass du jemanden aus<br />
deiner Klasse in 60 Jahren wiedersiehst?<br />
Was spricht dafür, was spricht dagegen?<br />
Worüber würdet ihr euch vielleicht unterhalten?<br />
<strong>Ruth</strong> trifft ihren Freund Siegbert wieder, von dem sie<br />
fast 60 Jahre nichts gehört hatte. Welche der anderen<br />
Zeitzeugen treffen Freunde aus ihrer Schulzeit wieder?<br />
8
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Mein Vati hieß Alfred Schwersenz, er wurde 1904 in Deutsch Krone<br />
(heute Walcz/Polen) geboren und stammte aus einem preußisch-jüdischen<br />
Elternhaus. Er war Ingenieur und hatte Maschinenbau studiert. 1931 erhielt<br />
er nach kurzer Arbeitslosigkeit eine Anstellung beim Bezirksamt Neukölln.<br />
Bereits 1933 verlor er die Arbeit wieder wegen des ›Arierparagraphen‹.<br />
Später wurde er immer weiter<br />
heruntergestuft. Anfangs arbeitete<br />
er noch einige Zeit als Technischer<br />
Zeichner. Nach den Gesetzen<br />
richtete man ihm – als einzigem<br />
dort beschäftigten Juden – eine<br />
separate Toilette ein! Zum Schluss<br />
leistete er Zwangsarbeit bei einer<br />
Abbruchfirma.«<br />
»Oma und Opa Schwersenz, Papas Geschwister Onkel Fritz und Tante Elisabeth im April 1933 bei<br />
uns zu Kaffee und Kuchen. Mein Vati ist auf dem Bild ganz rechts.«<br />
9
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
Für <strong>Ruth</strong>s Vater wurde an seinem Arbeitsplatz eine<br />
separate Toilette eingerichtet. Warum wurde ein solches<br />
Gesetz erlassen? Was steckt hinter diesem Gesetz?<br />
Was denkst du, wie haben sich die Kollegen von <strong>Ruth</strong>s<br />
Vater verhalten, als er als Jude eine andere Toilette<br />
benutzen musste? Welche Möglichkeiten gab es?<br />
<strong>Ruth</strong>s Vater musste wegen den antijüdischen Gesetzen<br />
den Beruf wechseln und später Zwangsarbeit leisten.<br />
Wie war das bei den Vätern und Müttern der anderen<br />
Zeitzeugen?<br />
10
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Die Wohnung meiner Großeltern väterlicherseits, Minna und Julius Schwersenz,<br />
in der Kaiser-Friedrich-Straße 198 (heute Sonnenallee). Den Aufsatz des Sekretärs<br />
zieren zwei Schabbat-Leuchter. Dort stehen auch zwei Fotoalben und ein kleines<br />
Foto von Tante Elisabeth. An der Wand hängt das Gedicht ›Hab Sonne im Herzen‹.«<br />
»Nachdem sich meine<br />
Eltern kennen gelernt<br />
hatten entschloss sich<br />
Mutti, zum Judentum zu konvertieren und am<br />
25. März 1929 wurde geheiratet. Die Eltern waren<br />
da bereits Mitglieder der Reformgemeinde und<br />
besuchten die Reformsynagoge in der Johannisstraße<br />
16. Das ist in Mitte, Spandauer Vorstadt.<br />
Ich wurde in diesem Sinne jüdisch erzogen und<br />
erinnere mich an Besuche mit meiner Mutti zu<br />
Simchat Tora.<br />
Um die Familie zu schützen bekundete meine Mutti<br />
am 4. März 1940 ihren Austritt aus dem Judentum.<br />
Am 17. November 1941 wurde sie evangelisch<br />
getauft durch Pfarrer Rackwitz.«<br />
11
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
Die Mutter von <strong>Ruth</strong> konvertierte zum Judentum.<br />
Wie könnte diese Aufnahme in die Glaubensgemeinschaft<br />
abgelaufen sein? Informiere dich darüber.<br />
Wie ist das bei anderen Religionsgemeinschaften?<br />
Kennst du jemanden, der seine Religion gewechselt hat?<br />
Welche Gründe nennt sie oder er dafür?<br />
Schau dazu in die UN-Kinderrechtskonvention Artikel 14.<br />
<strong>Ruth</strong> sagt, sie wurde im jüdischen Glauben erzogen. Wie<br />
ist das bei den anderen Zeitzeugen? Wurden alle religiös<br />
erzogen oder spielte für manche Religion keine Rolle?<br />
12
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Im Januar 1939 erhielt ich den<br />
Zwangsnamen ›Sara‹ und hieß<br />
nun offiziell <strong>Ruth</strong> Sara Schwersenz<br />
auf der Geburtsurkunde. Vati hieß nun Alfred Israel<br />
Schwersenz. Wir beide haben auch den Stern getragen –<br />
von Anfang an, ab September 1941. Vati ist sonntags<br />
mit mir spazieren gegangen. Ich erinnere mich, dass wir<br />
einmal Männer beim Entladen von Äpfeln beobachteten.<br />
Die haben absichtlich Äpfel für mich fallenlassen. Obst<br />
erhielten wir auf unsere Lebensmittelmarken da schon<br />
nicht mehr ... Im September 1941 wurde ich evangelisch<br />
getauft. Dann endlich am 18.12.1941 erhielt ich die<br />
polizeiliche Meldebescheinigung mit der Anerkennung<br />
als ›Mischling 1. Grades‹. Erst im November 1942<br />
wurde nach erneuter Anfrage der Zwangsname ›Sara‹<br />
von meiner Geburtsurkunde gestrichen.«<br />
13
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> erhielt einen zweiten Vornamen und musste<br />
den »Judenstern« immer sichtbar tragen.<br />
Wie hat sich wohl ihr Alltag dadurch verändert?<br />
<strong>Ruth</strong> erzählt, das Männer Äpfel für sie fallen ließen.<br />
Wie beurteilst du das Verhalten dieser Männer?<br />
Diskutiere mit anderen deine Position.<br />
Mussten auch andere Zeitzeugen den Zwangsnamen<br />
»Sara« (für Mädchen) oder »Israel« (für Jungen) tragen?<br />
14
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Zwischen 1939 und 1941 besuchte ich jüdische Schulen, ab September 1941<br />
bis Dezember 1941 musste ich den Stern tragen. Es waren ja wenige, die<br />
noch mit dem Kindertransport nach England aus Deutschland herauskamen.<br />
Der Abschied wurde groß<br />
begangen, wie andere den<br />
Kindergeburtstag, und dann<br />
war man doch auch trauriger,<br />
dass die aus dem Klassenverband<br />
herauskamen.<br />
Und nachher war auch eine,<br />
die sich auch in mein Poesie-<br />
Album eingetragen hat,<br />
die 1941 schon deportiert<br />
worden ist. Die Hannelore<br />
Muszkatblatt. Die saß auch<br />
neben mir.«<br />
15
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> erinnert sich, dass »wenige« aus Deutschland<br />
herauskamen. Wen meint sie damit genau?<br />
Was ist bei den Kindertransporten vorgegangen?<br />
<strong>Ruth</strong> wurde damals zu vielen Abschiedsfeiern eingeladen.<br />
Worüber könnten sich die Kinder unterhalten haben?<br />
Tausche dich mit anderen aus.<br />
<strong>Ruth</strong> hütet ihr Poesiealbum auch heute noch wie einen Schatz.<br />
Es ist die einzige Erinnerung an viele Freundinnen und Freunde,<br />
die von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Bewahren auch<br />
andere Zeitzeugen Dinge von Menschen auf, die sie verloren haben?<br />
16
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Meine Eltern lernten sich bei den ›Wandervögeln‹ kennen. Die Eltern sind viel<br />
und gern gewandert und ich erinnere mich gern an viele kleine Spaziergänge,<br />
Ausflüge und<br />
Reisen. 1932 zum Beispiel – und das<br />
war ganz typisch für diese Zeit – fuhren<br />
wir in die Sommerfrische nach Lindow.<br />
Eine Witwe hat uns dort ein Zimmer<br />
vermietet. Ich erinnere mich dort an<br />
frischen Fisch vom Fischer und Spargel ...<br />
und ganz viel Natur. Mutti und ich<br />
blieben über längere Zeit dort, auch<br />
Omi besuchte uns. Mein Vati arbeitete<br />
während der Woche in Berlin und<br />
besuchte uns an den Wochenenden mit<br />
einem sogenannten ›Strohwitwer-Zug‹.«<br />
»Mit meiner Mutti und<br />
Omi Schrödter in Lindow«<br />
17
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
Wie stellst du dir den Ort vor, an dem <strong>Ruth</strong> ihre Ferien<br />
verbracht hat?<br />
<strong>Ruth</strong> beschreibt, dass in ihrer Kindheit eine Fahrt in<br />
die »Sommerfrische« üblich war. Was haben deine Mitschülerinnen<br />
und Mitschüler im letzten Sommer gemacht?<br />
Denkst du, dass das Ergebnis deiner Befragung für die<br />
heutige Zeit »üblich« ist?<br />
Findest du bei den anderen Zeitzeugen einen Hinweis<br />
darauf, dass sie im Sommer verreisten?<br />
18
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Ich wurde am 26. April 1930 in Berlin geboren. Ich hatte eine unbeschwerte<br />
frühe Kindheit und wurde verwöhnt. Ein großer Teddy und meine Puppe<br />
Gretchen waren meine ersten Spielkameraden. Ich wuchs sehr behütet, aber<br />
selbstständig auf. Ich wollte und sollte nicht an<br />
Mutters Rockzipfel hängen. Wir wohnten damals<br />
in Berlin-Neukölln, in der Emser Straße 68. Wir<br />
sagten auch immer »am Feld«, denn es war das<br />
Ende der Straße und gleich begann das Tempelhofer<br />
Feld. Ich erinnere mich zum Beispiel an<br />
eine tolle Rodelbahn im Winter und an einen<br />
Buddelkasten ganz in der Nähe. Wir haben dort<br />
viel Zeit mit den verschiedensten Aktivitäten<br />
verbracht. Omi und Opi Schrödter wohnten nur<br />
ein paar Schritte entfernt, in der Nummer 93.«<br />
<strong>Ruth</strong> auf dem Tempelhofer Feld 1933<br />
19
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
<strong>Ruth</strong> wohnte seit ihrer Geburt in der Emser Straße in<br />
Neukölln. Suche die Straße auf dem Stadtplan.<br />
Wie kannst du herausfinden ob das Haus heute noch steht?<br />
<strong>Ruth</strong> erinnert sich, dass es viele Spielmöglichkeiten<br />
in der Nähe ihrer Wohnung gab. Wie ist das bei dir?<br />
Wo spielst du gerne?<br />
Schau dazu in die UN-Kinderrechtskonvention Artikel 31.<br />
<strong>Ruth</strong> wohnt noch heute in Berlin. Wie ist das bei den<br />
anderen Zeitzeugen?<br />
20
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
»Ich blieb mein Leben lang in Berlin und habe hier alles er-<br />
lebt. Ich bin hier geboren, habe die verschiedenen Schulen<br />
besucht, habe Diskriminierung und Hilfsbereitschaft erlebt.<br />
Ich war von Anfang an ein Kind, vielleicht aus Erziehung, das<br />
nie Ungerechtigkeiten leiden konnte und eigentlich immer auf<br />
Ausgleich und Harmonie bedacht war. Das hat sich erhalten.<br />
Und deshalb habe ich meinen Beruf gewählt. Ich habe Jura<br />
studiert, wobei ein Jurastudium für Frauen noch selten war. Ich<br />
wollte der Wahrheit auf den Grund gehen. Obwohl es Möglichkeiten<br />
gab wegzugehen – und viele meiner Freunde taten das<br />
nach dem Krieg – blieb ich hier und habe eine Familie gegründet.<br />
Ich bin aus tiefstem Herzen Berlinerin.«<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong> an ihrem Lieblingsort<br />
in Berlin<br />
21
Erster<br />
Schultag<br />
Schulzeit Freunde Familie Jüdisch sein Name Verlust Besonderheit Spielen Wohnen Berlin<br />
<strong>Ruth</strong> <strong>Recknagel</strong><br />
Nach dem Krieg gingen viele Freunde von <strong>Ruth</strong> weg.<br />
Warum ist sie in Berlin geblieben?<br />
<strong>Ruth</strong> ist »aus tiefstem Herzen Berlinerin«. Was ist für dich<br />
eine waschechte Berlinerin oder ein waschechter Berliner?<br />
Muss man dafür in Berlin geboren sein? Oder muss man<br />
bestimmte Dinge über die Stadt, den Dialekt und die<br />
Menschen, die hier leben, wissen?<br />
Alle Zeitzeugen sind in Berlin zur Schule gegangen.<br />
Wo leben sie heute?<br />
22