Unsere persönlichen Weihnachtsempfehlungen ... - ameis Buchecke
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<strong>Unsere</strong> <strong>persönlichen</strong><br />
<strong>Weihnachtsempfehlungen</strong> 2006<br />
*
Non-Book<br />
Papeterie/Lesezeichen/<br />
Verspieltes/Kleinigkeiten<br />
für den Adventskalender<br />
oder Nikolaus<br />
Wandkalender<br />
die schönsten und besten<br />
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* * *<br />
Buchempfehlungen von Marianne Marheineke<br />
Felicitas Hoppe<br />
›Johanna‹<br />
Fischer Verlag · 17,90 Euro<br />
Marianne Marheineke<br />
Zuständig für den Seitenwechsel, betreut die Bereiche Kunst<br />
und Kultur, Comic<br />
und junge Autorinnen und Autoren<br />
marianne.marheineke@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Wer ist Johanna? Wer war Johanna? Da ist zum einen die Ich-Erzählerin des<br />
Romans von Felicitas Hoppe. Sie steht kurz vor Abschluss ihrer Promotion<br />
über ›Jeanne D’Arc‹. Und sie hat Angst. Und da ist Johanna von Orléans, ein<br />
Bauernmädchen, im Jahre 1412 im lothringischen Domrémy geboren und<br />
zwanzig Jahre später als Ketzerin verbrannt. Eine historische Figur, die jeder<br />
zu kennen glaubt und über die schon alles geschrieben scheint?<br />
Felicitas Hoppe hat keinen gewöhnlichen historischen Roman geschrieben.<br />
Sie schreibt über die Suche nach Identität, über Sehnsucht, Aufbegehren und<br />
Glauben. »Denn es kommt drinnen wie draußen aufs Schuhwerk an. Auf<br />
gesunde Füße und schnelle Beine, auf inneren Einsatz und äußersten Mut. Und,<br />
allem voran, auf den rechten Glauben. Ohne Glauben ist ja kein Spiel zu<br />
gewinnen. Glaube. Na gut. Nur, an wen? Und an was?«<br />
Die Sprache des Romans ist voll poetischer Intensität. Jahrhunderte alte<br />
Stimmen werden wach und verweben sich mit gegenwärtigen Stimmen.<br />
*<br />
3
4<br />
Joyce Carol Oates<br />
›Sexy‹<br />
Hanser · 14,90 Euro <br />
* * *<br />
Darren Flynn ist 16 Jahre alt, ein guter Schwimmer in der Schulmannschaft,<br />
allseits beliebt, eher schüchtern und hält sich gern aus Schwierigkeiten raus.<br />
Seine Freunde schätzen ihn als guten Kumpel, die Lehrer halten ihn für talentiert<br />
und die Mädchen schenken ihm mehr und mehr Aufmerksamkeit, finden ihn<br />
sexy und himmeln ihn an. Darren weiss nicht so recht, wo er steht und die<br />
zunehmende Aufmerksamkeit ist ihm eigentlich zuviel. Eines Tages im November<br />
kommt seine geordnete Welt in Unordnung und nichts ist mehr wie vorher.<br />
Nach dem Schwimmunterricht fragt ihn sein Lehrer Mr. Tracy, ob er ihn nach<br />
Hause bringen kann ...<br />
Wenig später hecken seine Freunde ein Komplott gegen Mr. Tracy aus, weil sie<br />
sich bei ihm für schlechte Noten rächen wollen. Darren könnte ihm helfen,<br />
doch dann müsste er seine Freunde verraten. Was würden die anderen über<br />
ihn denken, seine Freunde, seine Familie, seine Lehrer – und dann ist da noch<br />
Molly Rawlings. Die Ereignisse überschlagen sich und die Leser/innen geraten<br />
in einen Bann, bis ihnen der Atem stockt.<br />
Die Autorin Joyce Carol Oates, geboren 1938, studierte Literatur und Philosophie<br />
und lehrt seit 1978 an der Princeton Universität in New Jersey. Sie zählt<br />
zu den großen amerikanischen Autorinnen der Gegenwart. Bereits mit 14 Jahren<br />
begann sie zu schreiben. ›Sexy‹ ist ihr vierter Jugendroman.<br />
In einem Interview wurde sie gefragt, was das Wort ›sexy‹ für sie bedeutet.<br />
»Sexy ist ein doppeldeutiges Wort. Es kann ausdrücken, wie sich jemand im<br />
Innersten fühlt oder wie er von anderen wahrgenommen wird. Darren fühlt<br />
sich zwar manchmal sexy, lustbetont, wird aber von anderen, auch von anderen<br />
Männern, generell als sexuell attraktive Person wahrgenommen. Kann er<br />
steuern, wie ihn die anderen wahrnehmen? Können wir steuern, wie andere<br />
uns wahrnehmen?«<br />
*
* * *<br />
Buchempfehlungen von Susanne Mündel<br />
Florian Henckel von Donnersmarck<br />
›Das Leben der anderen‹<br />
Suhrkamp Taschenbuch · 8,50 Euro <br />
Susanne Mündel<br />
zuständig für die Büchergilde und Fachfrau für Krimis,<br />
Frauen, Psychologie und Postkarten<br />
susanne.muendel@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Florian Henckel von Donnersmarck – den Mann mit diesem unglaublichen<br />
Namen gibt es wirklich, und sein Drehbuch ›Das Leben der anderen‹ spielt im<br />
real existiert habenden Sozialismus der Ex-DDR.<br />
Die Geschichte: Mitte der 80iger Jahre. Der Dramatiker Georg Dreymann<br />
und die Schauspielerin Christa-Maria Sieland sind das Vorzeigepaar der DDR-<br />
Kulturszene. Sie sind vorbildliche Kulturschaffende, und insbesondere Dreymann,<br />
obwohl er Dissidenten im Freundeskreis hat, auf die er aber mäßigend<br />
einwirkt, gilt dem Staat als linientreu und ›sauber‹.<br />
Doch dann gerät er, ohne es zu ahnen, durch eine persönliche Intrige in die<br />
Fänge des Staatsschutzes.<br />
Gleichzeitig wird Dreymann unsanft aufgerüttelt. Sein Freund, der mit Berufsverbot<br />
belegte Regisseur Jerska, bringt sich um. Dreymann entscheidet sich,<br />
aktiv zu werden – und das Ohr der Stasi in Gestalt des Hauptmanns Wiesner<br />
ist rund um die Uhr dabei...<br />
Aber auch Wiesners Welt gerät ins Wanken. Der 15O%ige Sozialist, der sein<br />
Leben der Sache verschrieben hat, erfährt von dem rein <strong>persönlichen</strong> Hintergrund<br />
seines Auftrags.<br />
Natürlich ist die Geschichte fiktiv und damit konstruiert. Aber sie vermittelt<br />
drastisch, wie der Überwachungsstaat funktioniert hat – das ist das große<br />
Verdienst dieses Buches. Ich habe in diesem Jahr nichts Gruseligeres gelesen<br />
bzw. als Film gesehen.<br />
Ergänzt durch Interviews mit Film-Mitwirkenden und einem Historiker-Beitrag.<br />
*<br />
5
6<br />
William Brodrick<br />
›Die sechste Klage‹<br />
List TB · 8,90 Euro <br />
* * *<br />
Als Agnes Embleton erfährt, dass sie in absehbarer Zeit sterben wird, beginnt die<br />
unnahbare, kühl-distanzierte alte Dame, ihren langsamen Tod zu organisieren.<br />
Dazu gehört, dass sie endlich ihre Lebensgeschichte aufschreibt, von der selbst<br />
ihre Familie nichts weiß – für ihre Enkelin Lucy.<br />
Eduard Schwermann bittet in einem englischen Kloster um Kirchenasyl.<br />
Obwohl vieles darauf hindeutet, dass er ein gesuchte NS-Verbrecher ist, weist<br />
Rom das Kloster an, ihn aufzunehmen. Pater Anselm, ein früherer Anwalt,<br />
wird von seinem Prior beauftragt, Nachforschungen anzustellen. Warum<br />
schützt Rom diesen Mann? Und hat es offenbar auch nach dem Krieg schon<br />
einmal getan?<br />
Der Fall geht durch die Presse. Durch Agnes’ Reaktion und ihre ersten Aufzeichnungen<br />
kommt Lucy zu dem Schluß, dass es eine Verbindung zwischen<br />
den beiden geben muß. Auch sie beginnt zu recherchieren. Agnes war Mitglied<br />
der ›Tafelrunde‹, einer Gruppierung der französischen Resistance, die<br />
jüdische Kinder außer Landes brachte, und die an einem Verrat aus Eifersucht<br />
zerbrach.<br />
Pater Anseln erlangt in Rom unter der Hand Informationen, die ebenfalls<br />
nach Frankreich weisen. Und welche Rolle spielt Salomon Lachaise, der sich<br />
als Gast im Kloster aufhält und mit dem Anselm sich angefreundet hat? Auch<br />
er ist Schwermann auf der Spur und bezeichnet sich bei einer Begegnung mit<br />
ihm als ›Sohn der sechsten Klage‹.<br />
Je mehr Lucy und Anselm herausfinden, desto verwirrender wird die<br />
Geschichte. Denn jedes Puzzle-Teilchen verändert das bis eben als Wahrheit<br />
angesehene noch einmal …<br />
Ein spannender Krimi, aber auch ein lesenswertes Buch über ein düsteres<br />
Kapitel europäischer Geschichte.<br />
*
Mark Crick<br />
›Die Suppe des Herrn K.‹<br />
Blessing · 12,00 Euro<br />
* * *<br />
Dieses wunderbare Geschenkbuch hat den verwegenen Untertitel: ›Eine vollständige<br />
Geschichte der Weltliteratur in 15 Rezepten‹.<br />
Nun, über ›vollständig‹ mag man vielleicht anderer Ansicht sein, aber: alle 15<br />
Kapitel sind absolut im Stil der jeweiligen Autor/inn/en geschrieben und haben<br />
insofern uneingeschränkt bildenden Charakter. Nach jedem in eine Kurzgeschichte<br />
verpackten Rezept weiß man, wie Kafka, Chandler, Austen oder<br />
Homer geschrieben haben – und was man morgen kochen kann.<br />
Toll! Ich wüsste nicht, wem man das nicht schenken kann, und auch zum<br />
eigenen Amüsement ist es bestens geeignet.<br />
*<br />
7
8<br />
Buchempfehlungen von Dirk Lütge<br />
Katharina Hacker<br />
›Die Habenichtse‹<br />
Suhrkamp · 17,80Euro <br />
* * *<br />
Dirk Lütge<br />
Fachmann für die Pädagogik- und Politikabteilung,<br />
zuständig für den SeitenWechsel<br />
dirk.luetge@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Isabelle und Jakob sind frisch verheiratet, beruflich erfolgreich. Mit dem<br />
gemeinsamen Umzug nach London, verbunden mit einem Karrieresprung, steht<br />
ihnen scheinbar die Welt offen. Dennoch rinnt ihnen ihr Glück ziemlich bald<br />
durch die Finger. Unfähig zu echten Beziehungen, zu Mitgefühl und Verantwortung,<br />
taumeln sie durch das Leben und verlieren mehr und mehr Halt<br />
und Orientierung. Die Sehnsucht nach Abwechslung und Gefahr wird schließlich<br />
zum bestimmenden Element in ihrem Leben.<br />
Es gibt nicht viele deutsche Autoren der jüngeren oder mittleren Generation,<br />
denen es gelingt, die Sinnfrage in der unsicheren Gegenwart zu stellen, ohne<br />
in Larmoyanz oder Banalität zu verfallen. Katharina Hacker gelingt dies. Zu<br />
Recht hat sie dafür den Deutschen Buchpreis bekommen.<br />
*
John Updike<br />
›Terrorist‹<br />
Rowohlt · 19,90 Euro<br />
* * *<br />
Wie wird aus einem recht unauffälligen, scheinbar halbwegs integrierten Mitglied<br />
der Gesellschaft allmählich ein Fundamentalist, der in der Lage ist, Tausende<br />
mit in den Tod zu reißen? Gerade indem er den fast schon banalen und<br />
alltäglichen Werdegang des potentiellen künftigen Massenmörders schildert,<br />
ohne ihn zu dämonisieren, entwickelt Updike eine glaubwürdige Geschichte,<br />
die dennoch eine immense Spannung aufbaut.<br />
Updike ist ein Meister der subtilen Beobachtung und der feinen Ironie. So<br />
gelingt es ihm meisterhaft, die Widersprüche, Absurditäten und Anmaßungen<br />
sowohl des American Way of Life als auch des islamischen Fundamentalismus<br />
zu entlarven.<br />
Tim Flannery<br />
›Wir Wettermacher‹<br />
Fischer · 19,90 Euro <br />
Büchergilde Gutenberg · 16,90 Euro <br />
*<br />
Der Klimawandel ist ein Phänomen, welches seit langem bekannt ist. Dennoch<br />
ließ es sich lange irgendwie verdrängen, leugnen oder ignorieren. Inzwischen<br />
aber gibt es wohl keine ernst zu nehmenden Wissenschaftler mehr, die das Vorhandensein<br />
und die Gefahren des Treibhauseffekts bestreiten, und wir alle spüren<br />
inzwischen seine Auswirkungen. Benötigen wir dann ein Buch, welches mit<br />
zahlreichen Fakten gespickt, dieses Phänomen mit all seinen Folgen noch im<br />
letzten Winkel der Erde beschreibt? Ich meine ja, denn trotz seines Faktenreichtums<br />
ist es gut lesbar, weist nachdrücklich auf die Gefahren für den Planeten<br />
hin und zeigt aber auch Auswege und Lösungsstrategien auf. Ein Buch, das<br />
lehrreich ist und gleichzeitig eindringlich zur Umkehr gemahnt.<br />
*<br />
9
10<br />
* * *<br />
Buchempfehlungen von Eveline Borrmann<br />
Eveline Borrmann<br />
Suchte und fand ihre Traumbuchhandlung: unsere Azubi<br />
eveline.borrmann@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Haruki Murakami<br />
›Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt‹<br />
Dumont · 24,90 Euro <br />
Ein wirklich fantastischer Roman, im wahrsten Sinne des Wortes. Murakami<br />
bringt Realität und mystische Fantastien auf einen Nenner.<br />
In seinem Buch ›Hard-Boiled Wonderland und das Ende der Welt‹ lässt er zwei<br />
Geschichten parallel zueinander sich entwickeln und verbindet diese am Ende<br />
mit einem wunderbaren Geschick. Es ist erstaunlich, was er alles entstehen<br />
und zerbrechen lassen kann.<br />
Die erste Ebene spielt in Tokyo in naher Zukunft. Zwischen dem System der<br />
Kalkulatoren und der Fabrik der Semioten herrscht ein brodelnder Datenkrieg.<br />
Was tun, damit Daten nicht verloren gehen und von dem jeweilig anderen nicht<br />
verwendet werden können? Am Besten wäre es, die Daten so zu verschlüsseln,<br />
dass NIEMAND sie je dechiffrieren kann. Das gelingt dem Professor des<br />
Systems auch, und zwar implantiert er einer Anzahl von Kalkulatoren einen<br />
Chip ins Gehirn, der verheerende Folgen für alle Beteiligten haben wird: Alle<br />
Kalkulatoren werden an den Folgen der Implantation sterben – bis auf einen.<br />
Dieser wird sich wiederfinden in einer anderen Geschichte in ›Hard-Boiled<br />
Wonderland‹, welches eine Stufe seines Unterbewusstseins darstellt.<br />
Es ist wirklich nicht leicht, Murakami zu besprechen, dennoch kann ich ihn<br />
nur jedem empfehlen. Seine Bücher sind einfach eine süchtigmachende Erfahrung<br />
– oder aber das ganze Gegenteil. Man liebt oder hasst ihn, doch ein<br />
Kostprobe sollte man sich nicht entgehen lassen.<br />
*
Klaus Kordon<br />
›Julians Bruder‹<br />
Beltz & Gelberg · 00,00 Euro<br />
* * *<br />
Paul und Jule wachsen zusammen in der Jablonskistraße 53 auf und sind die<br />
untrennbaren Zwillinge der Straße. Der erste und einzige Streit, den sie haben,<br />
entsteht dadurch, dass Jule meint, Pauls Schwester Bille würde schielen. Da<br />
wird Paul richtig böse und die zwei prügeln sich. Doch sie kommen zu dem<br />
Schluss, dass man sich nicht wegen Mädchen prügelt und so war der Streit<br />
dann auch schon wieder aus dem Weg geräumt, denn da sind sie sich einig.<br />
Einmal sind sie auf dem Weg nach Hause und sehen in einer Kneipe ein<br />
Schild hängen ›Juden unerwünscht‹. Die Bedeutung dieses Schildes ist ihn<br />
gänzlich unbekannt und sie erklären es sich so, dass diese Juden wohl eine<br />
ganz gefährliche und bösartige Hunderasse sein muss, und das deshalb der<br />
Inhaber dieses Schild an die Tür gehängt hat.<br />
Herausgefunden, was Juden sind, haben sie dann in der Schule, als die Rassenlehre<br />
unterrichtet wird. Dass Jule Jude ist, wusste weder Paul noch Jule<br />
selbst, doch als sich die politische Lage zuspitzt, erzählen Jules Eltern den beiden<br />
die Wahrheit. Es entwickelt sich alles so rasch. Bald muss Jule auf eine<br />
andere Schule gehen und seine Familie und er müssen den Judenstern tragen.<br />
Es ist alles so unglaublich! Pauls Vater muss in den Krieg, was für Pauls wie<br />
für Jules Familie ein großer Schock ist. Doch als Jules Eltern 1942 deportiert<br />
werden, fängt der Wahnsinn erst richtig an. Jule muss versteckt werden, egal<br />
wie und wo. Alles muss gut geplant werden, denn Jule sollen sie nicht auch<br />
noch kriegen …<br />
Ein sehr tief ergreifendes Buch. Es ist sehr authentisch, und man merkt, dass<br />
Klaus Kordon sehr gute Recherchearbeit geleistet hat.<br />
Das Buch erzählt die Geschichte dieser beiden Jungen zur Zeit der Nazi-<br />
Diktatur und nach Kriegsende, als die Rote Armee den Teil Berlins besetzt,<br />
in dem Jule und Paul leben.<br />
Ein wirklich lesenswertes Buch.<br />
*<br />
11
12<br />
Buchempfehlungen von Anja Krauß<br />
Anja Krauß<br />
Steve Tesich<br />
›Ein letzter Sommer‹<br />
Kein und Aber · 22,80 Euro<br />
Büchergilde Gutenberg · 18,90 Euro<br />
* * *<br />
Fachfrau für Kinder- und Jugendbücher<br />
und die Belletristikabteilung,<br />
betreut Veranstaltungen<br />
anja.krauss@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Wie fühlt sich ein letzter Sommer an, in East-Chicago für den 17-jährigen Daniel<br />
Price? Daniel, einziges Kind eines krebskranken Industriearbeiters und einer<br />
stets rauchenden, aus dem Kaffeesatz die Zukunft lesenden, jugoslawischen<br />
Mutter schließt gerade die Highschool ab. Zusammen mit seinen Freunden<br />
Larry, der die ganze Welt hasst, und Billy, der seine Mutter hasst, trödelt er in<br />
den Tag hinein. Alle drei haben keine genauen Pläne für die Zukunft, in ihrer<br />
Unsicherheit darüber entfernen sie sich immer mehr von einander und von<br />
ihren Familien. Die alten Muster ihrer Gemeinschaft funktionieren nicht mehr,<br />
sie werden sich fremd.<br />
In dieser Situation lernt Daniel Rachel kennen. Sie lebt allein mit einem älteren<br />
Fotografen zusammen und fühlt sich zu Daniel hingezogen, der sich leidenschaftlich<br />
in sie verliebt. Rachel wird für Daniel zum Lebensmittelpunkt, er<br />
legt in ihre Beziehung all seine Wünsche und Hoffnungen, dem tristen Leben<br />
East-Chicagos zu entfliehen. Rachel wirkt jedoch viel erwachsener als Daniel.<br />
Seinen romantischen Wünschen gibt sie sich nur zögerlich hin. Als sich die<br />
Krankheit von Daniels Vater verschlimmert und es klar wird, dass der Vater<br />
sterben wird, scheint sich auch Daniels Situation zuzuspitzen.<br />
Dieser Roman über den Verlust der Kindheit in der 60er Jahren des industriellen<br />
Amerikas ist wunderschön und traurig zugleich. In den USA erschien der<br />
Debütroman des Autors bereits Anfang der 80er Jahre, eine wahre Entdeckung<br />
für Leserinnen und Leser hierzulande.<br />
*
* * *<br />
Bart Moeyart<br />
›Brüder – Der Älteste, der Stillste, der Echteste, der Fernste, der Liebste,<br />
der Schnellste und ich‹<br />
Hanser · 14,90 Euro<br />
Vorn auf dem Buchdeckel sind sie alle zu sehen, genial gezeichnet von Wolf<br />
Erlbruch, die sieben Jungs: der Älteste, der Stillste, der Echteste, der Fernste,<br />
der Liebste, der Schnellste und ich. ›Ich‹ ist der Kleinste, aus seiner Sicht wird<br />
hier berichtet vom aufregenden Alltag der Brüder. Es sind ganz kurze Episoden,<br />
in sich abgeschlossene kleine Anekdoten, die ein genaues Bild einer Großfamilie<br />
mit sieben Jungen zeichnen. Seltsam ist, dass man vergeblich nach<br />
einer Lieblingsgeschichte sucht. Es sind alles fantastische, urkomische Lieblingsgeschichten,<br />
übersetzt aus dem Niederländischen übrigens von der großen<br />
Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler.<br />
Trotzdem ein Beispiel: »Fräulein Stevens – Wenn Fräulein Stevens kam,<br />
schrumpfte das Haus. Unser Vater wurde ein Zwerg, unsere Mutter wog<br />
nichts mehr und meine Brüder und ich verwandelten uns in Vögelchen.<br />
Fräulein Stevens versuchte ihre Gestalt zu verbergen, indem sie sich zusammenklappte<br />
und ein bisschen in die Knie ging, aber das machte nie mehr als ein<br />
paar Zentimeter aus. Wir konnten ihr ansehen, dass sie lieber die Knochen<br />
kleiner Menschen gehabt hätte statt ihre eigenen, groben. Lieber hätte sie durch<br />
einen Türrahmen gepasst.<br />
Wir hatten Mitleid mit Fräulein Stevens. Wenn sie kam, versuchten wir, sie in<br />
das normale Leben einzubeziehen, indem wir Abstand von ihr hielten, denn<br />
unserer Meinung nach fiel es dann weniger auf, wie klein wir waren. .... Wir<br />
hörten die tollen Geschichten zwar nie aus ihrem Mund, aber wir wussten<br />
von unseren Eltern, dass Fräulein Stevens Afrika gesehen hatte. … Es geschah<br />
oft, dass wir einen ganzen Bauernhof zu ihren Füßen bauten. Wir kauerten auf<br />
allen vieren um sie herum, wir molken Kühe, wir schoren Schafe, wir ernteten<br />
Rüben und stellten uns gegenseitig Fragen, von denen wir wussten, dass wir<br />
sie nicht beantworten konnten. »Gibt es Schafe in Afrika?«, fragten wir zum<br />
Beispiel einen Bruder. Oder: »Muht eine Kuh überall auf der Welt auf die gleiche<br />
Art?« Meine Brüder und ich zuckten mit den Schultern und sprachen es auch<br />
aus: »Das weiß ich nicht, das musst du mich nicht fragen, ich bin noch nie weit<br />
weg gewesen«, womit wir Fräulein Stevens das Stichwort gaben. Sie verstand es<br />
immer. … Ihr Hinterteil hing wie ein Himmelskörper über unseren Ländereien,<br />
während sie mit der Vorderseite, gurrend wie eine Haustaube, über unseren<br />
Bauernhof flog. Sie griff nach einer Kuh oder einem Schaf und muhte, wie alle<br />
Kühe auf der Welt muhen, und sagte, dass Ziegen die afrikanischen Schafe<br />
seien, was wir für eine seltsame Behauptung hielten. Neue Fragen stellten wir<br />
13
14<br />
* * *<br />
nicht. In Fräulein Stevens flackerte ein Feuer auf, es loderte wie durch Tannenzweige<br />
nach allen Seiten, zu ihren Füßen, ihren Fingern. Sie wusste genau,<br />
wie Kühe gemolken und Rüben geerntet werden. Sie fuhr mit dem Traktor,<br />
wie es sich gehörte, und kam mit dem richtigen Motorgebrumm an, um das<br />
Heu, das meine Brüder und ich aufgehäuft hatten, abzuholen …«<br />
Sollte ich weiter schwärmen? Nein, das wird nicht nötig sein. Mit so einem<br />
Buch kann man gar nicht mehr anders als VORLESEN.<br />
Jan de Leeuw<br />
›Das Schweigen der Eulen‹<br />
Gerstenberg · 13,90 Euro<br />
*<br />
Arnaud und sein Vater fahren aufs Land. Die Großmutter ist gestorben.<br />
Arnaud kannte sie nicht besonders gut und hat nur wenig Erinnerung an sie<br />
und die ländliche Umgebung, in der sie ihr ganzes Leben verbracht hatte. In dem<br />
kleinen Ort angekommen merkt Arnaud sehr bald, dass die Lebensgeschichte<br />
seiner Großmutter eine besondere Geschichte ist. Die Ereignisse überschlagen<br />
sich für ihn. Er lernt andere Dorfbewohner kennen, erfährt, dass er seinem<br />
Großvater, der in den Wirren des Zweiten Weltkrieges als junger Mann gestorben<br />
ist, wie aus dem Gesicht geschnitten ist, und dass sich hinter dessen Tod<br />
ein dunkles Geheimnis verbirgt. Es geht um alte Gemälde, eine verrückte, vom<br />
Dorf gemiedene Gräfin, um Schuld, Liebe und Freundschaft. Zusammen mit<br />
Rebecca, dem Eulenmädchen, kommt er dem Geheimnis seiner Familie auf<br />
die Spur.<br />
Ein unglaublich spannendes Buch für Kinder ab 12 Jahren mit einer die geheimnisvolle<br />
Geschichte hervorragend interpretierenden Buchdeckelillustration von<br />
Gerda Raidt.<br />
Lauren Child/Polly Borland<br />
›Die Prinzessin auf der Erbse‹<br />
Carlsen · 16,00 Euro<br />
*<br />
Lauren Child, bekannt geworden durch ihre Bilderbücher ›Nein! Tomaten ess<br />
ich nicht‹ und ›Nein! Zur Schule geh ich nicht‹ hat ein neues, witziges, herrlich<br />
ausgestattetes Bilderbuch ersonnen. In Zusammenarbeit mit der berühmten<br />
Fotografin Polly Borland hat sie Andersens Prinzessin auf der Erbse neu inter-
* * *<br />
pretiert. Die Figuren bevölkern eine fantastische Welt, erbaut aus gesammeltem<br />
Puppenstubeninterieur, alten Wurzeln, Miniaturfrühstückseiern, zartesten<br />
Kronleuchtern im Kleinformat, handgehäkelten Bettvorlegern und kunterbunten<br />
Minimatratzen, wichtigstes Utensil zwischen Erbse und Prinzessin. Die<br />
Figuren selbst sind gezeichnet und bekleidet mit mehreren Lagen verschiedener<br />
Papiere. Inspirieren ließ sich die Künstlerin von den Gemälden Vermeers, Polly<br />
Borland hauchte der Szenerie durch das Spiel mit Licht und Schatten Leben<br />
ein. Die Geschichte selbst ist mit den unterschiedlichsten Buchstabentypen<br />
gesetzt, die das Zauberhafte und das Skurrile des Märchens verdeutlichen und<br />
hervorheben. Lauren Child und Polly Borland müssen sehr viel Spaß an dem<br />
Erstellen dieses Bilderbuches gehabt haben. Im Anhang des Bilderbuches stellen<br />
die Künstlerinnen sich und ihre Arbeit vor. Eine sinnvolle und spannende<br />
Ergänzung.<br />
Bjarne Reuter<br />
›So einen wie mich kann man nicht von den Bäumen pflücken, sagt Buster‹<br />
Carlsen Taschenbuch · 6,90 Euro<br />
Süddeutsche Kinderbibliothek · 4,90 Euro<br />
*<br />
Wenn Buster eine Idee hat, geht es meistens ums Zaubern. Er träumt davon,<br />
ein großer Zauberer zu werden und ist immer auf der Suche nach neuen Tricks.<br />
Die meisten hat er von seinem Vater gelernt, einem sympathischen Hallodri<br />
und Trinker, der das Leben nicht so ernst nimmt. Leider ist ihm das Geldverdienen<br />
auch nicht so wichtig und so ist Busters Familie häufig knapp mit dem<br />
Haushaltsgeld und er muss beim Milchmann etwas dazuverdienen. Buster<br />
Oregon Mortensen, so sein vollständiger Name, ist gar nicht gut in der Schule.<br />
Seine Aufgaben macht Buster selten, die Lehrer behandeln ihn meistens ungerecht<br />
und die anderen Kinder hänseln ihn häufig. Wenn er jedoch in der Umkleidekabine<br />
der Turnhalle für die Mitschüler den Orang-Utan macht, dann<br />
johlen sie, dann sind sie begeistert, denn Buster ist ein fantastischer Schauspieler<br />
und Komödiant.<br />
Eigentlich hat Buster nicht viel zu lachen, täglich passiert ihm ein neues Missgeschick.<br />
Doch Buster behandelt das Leben so hintersinnig, humorvoll und optimistisch,<br />
so anrührend warmherzig, er scheint mir ein wahrer Glückspilz zu sein.<br />
Für kleine und große Leser/innen ab 8 Jahren, zum Vorlesen hervorragend<br />
geeignet!<br />
*<br />
15
16<br />
Buchempfehlungen von Niels Voges<br />
* * *<br />
Niels Voges<br />
Zuständig für den Seitenwechsel<br />
und die Reiseabteilung. Ansprechpartner für Belletristik,<br />
Geschichte und Philosophie<br />
niels.voges@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
›Bibliomania. Ein listenreiches Buch über Bücher‹<br />
zusammengestellt von Steven Gilbar<br />
Dörlemann · 16,00 Euro<br />
Kennen Sie die bedeutendsten Bücher der modernen jüdischen Literatur? Wie<br />
viele Kinderbücher können Sie aufzählen, in denen Tiere eine tragende Rolle<br />
spielen? Welche zehn bedeutenden russischen Romane fallen Ihnen ein?<br />
Kennen Sie die Teile eines Buchs und deren Bezeichnung? Wer gilt als Vater des<br />
klassischen Kriminalromans? Welches ist der erste Index verbotener Bücher?<br />
Fallen Ihnen fünfzehn deutschsprachige und 12 internationale Literaturpreise<br />
ein? Was ist eine ISBN und wie ist sie kodiert? Wer und was ist die Gruppe 47?<br />
Wo liegt der Unterschied zwischen dem Deutschen Schriftstellerverband und<br />
dem Verband Deutscher Schriftsteller? Welche dreiunddreißig Oscar-gekrönten<br />
Filme basieren auf Romanen?<br />
Diese und viele andere Fragen rund um das Buch und das Lesen beantwortet<br />
dieses kleine bibliophile Büchlein aus dem Dörlemann Verlag. Weiterhin enthält<br />
es: Zehn Zitate aus Asterix, eine sehr kurze Geschichte des Buchdrucks,<br />
die Namen der neun klassischen griechischen Musen, ein Glossar der Typographie,<br />
eine Liste der wichtigsten Bücher der Beat Generation und der einflussreichsten<br />
Intellektuellen in Deutschland, obendrein ca. 80 Zitate berühmter<br />
Menschen über Bücher und über das Lesen und noch viele weitere bedeutende<br />
und weniger bedeutende Informationen rund um das Buch, das Schreiben,<br />
Verlegen, Drucken und Lesen.<br />
»Trotz all der neuen sich gegenseitig konkurrierenden Medien am angeblichen<br />
Ende der Gutenberg-Galaxie breitet sich die Bibliomanie fröhlich weiter<br />
aus.« [!!!] (aus dem Vorwort) Kennen auch Sie einen Bibliomanen? Dann<br />
schenken Sie es ihm. Dieses Büchlein ist ein Kleinod und ein gnadenlos gutes<br />
Geschenk für alle Buchliebhaberinnen und Buchliebhaber.
Flann O’Brien<br />
›Der dritte Polizist‹<br />
Kein & Aber · 18,00 Euro<br />
* * *<br />
Wer Fahrräder und sehr skurrile Geschichten liebt, sollte dieses Buch lesen!<br />
Auf der Suche nach einer schwarzen Geldkassette erlebt der Ich-Erzähler und<br />
Mörder des alten Phillip Mathers einiges Kuriose in diesem skurrilsten aller<br />
phantastischen Romane, die ich je gelesen habe.<br />
Er tut das Naheliegenste, sucht das nächste Polizeirevier auf, trifft dort auf die<br />
Fahrradspezialisten Sergeant MacCruiskeen und Sergeant Pluck und gerät in<br />
den Sog derer beider abstruser und unmöglicher Beschäftigungen. Jenseits jeden<br />
Interesses an der Suche nach einer Geldkassette ist diesen beiden Polizisten<br />
anscheinend nichts wichtiger als das Aufspüren abhanden gekommener Fahrräder.<br />
Einzig hierfür gibt es Formulare. Die surreal tiefsinnigen Gespräche drehen<br />
sich um Vor- und Nachteile von Dreigangschaltungen, Holzfelgen,<br />
bestimmter Luftpumpen und nicht zu vergessen um die legendäre Atomtheorie,<br />
die besagt, dass je länger man sich mit einem Gegenstand beschäftigt, man in<br />
die Gefahr, bzw. den Genuss gerät, mit dem Gegenstand der Beschäftigung<br />
Moleküle auszutauschen und daher die Persönlichkeiten der Leute, die viel<br />
Fahrrad fahren, sich bald mit denen ihrer Fahrräder vermischen, wohingegen<br />
die Fahrräder mit der Zeit immer menschlicher werden.<br />
Der Verzweiflung nahe, erlebt unser armer Protagonist immer haarsträubendere<br />
Dinge bei den beiden Polizisten, Pluck bastelt Miniaturklaviere, die mit dem<br />
bloßen Auge nicht sichtbar sind, MacCruiskeen ist Herr eines unterirdischen<br />
Wunschlabors mit allerhand Hebeln, Schränken und Schächten, aus denen die<br />
gewünschten Dinge purzeln. Diese kann man aber nicht mitnehmen, da man<br />
am Ausgang nicht mehr und nicht weniger wiegen darf als am Eingang.<br />
O’Brien treibt Schabernack, Klamauk und Hosentaschentheater bis zum<br />
Abwinken. In der Übersetzung gibt es das alles im nüchternen, eleganten, trockenen<br />
und vor allem blumig berückenden und genialen Deutsch von Harry<br />
Rowohlt und das macht einfach verdammt Spaß, es zu lesen.<br />
Flann O’Brien lebte von 1911 bis 1966, zählt zu den Lieblingsautoren von<br />
James Joyce und den erfolgreichsten Irlands.<br />
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Mitchell, David<br />
›Der Wolkenatlas‹<br />
Rowohlt · 24, 90 Euro<br />
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Erneut hat David Mitchell einen Zeiten und Räume überspannenden Roman<br />
veröffentlicht, der in seiner Ausgewogenheit von großem Anspruch und Unterhaltsamkeit<br />
überragend ist. ›Wolkenatlas‹ ist leichter zu lesen und zu verdauen<br />
als sein Vorgänger ›Chaos‹. Er besitzt nur sechs Handlungsstränge, die über<br />
einen Zeitraum von etwa 800 Jahren angesiedelt sind.<br />
Der Reisebericht eines Forschungsreisenden, der zur Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
in den Südpazifik reist, nachvollzieht die selbstgefälligen Greuel der britischen<br />
und französischen Kolonisten an Maori und Moriori. 1931 kommt ein junger<br />
brotloser Musiker namens Robert Frobisher auf die Idee, einem fast erblindeten<br />
berühmten Komponisten seine Assistenz anzubieten und findet in dessen Bibliothek<br />
eben jenen Reisebericht. Er schreibt Briefe von dem Landsitz, wo komponiert<br />
und arrangiert wird, an einen gewissen Sixsmith, der in der nächsten,<br />
50 Jahre später angesetzten Handlungsebene einen allzu kritischen Atomwissenschaftler<br />
darstellt und durch einen Untersuchungsbericht bestimmte Wahrheiten<br />
aufdeckt, die Wirtschaft und Regierung schaden könnten. Sixsmith verschwindet,<br />
eine Kriminalstory bahnt sich an, Luisa Rey bekommt als Journalistin ihren<br />
ersten Fall.<br />
In ferner Zukunft: Yooni, eine Duplikantin, stellt den Anspruch, Mensch sein<br />
zu dürfen und wird von einer weitere Jahrhunderte später lebenden Generation<br />
als eine Art Messias verehrt.<br />
Alle Handlungsebenen sind auf ihre Art in sich geschlossen, die handelnden<br />
Personen sind in ihrer eigenen Zeit und ihrem eigenen Ort gefangen, dennoch<br />
tun sich punktuell Hinweise auf, die einen Zusammenhang herstellen zu den<br />
vorhergehenden und nachfolgenden Episoden. Mitchell ist dabei so sehr Meister,<br />
dass er allen 6 Handlungsebenen ihren eigenen Stil verleiht. Der Forschungsbericht<br />
des Adam Ewing wirkt genauso authentisch wie der Briefwechsel im<br />
Jahr 1931. Kriminalstory ist Kriminalstory, Science Fiction ist Science Fiction<br />
und die Sprache des Ziegenhirten um 2600 n. Chr. mit seinem Dialekt und<br />
seinen lautmalerischen Wortneuschöpfungen hat seinesgleichen noch nicht<br />
gesehen und wirkt absolut glaubhaft und konsequent.<br />
Mitchell ist mit vielen Preisen ausgezeichnet worden, ›Der Wolkenatlas‹ stand<br />
2005 in Großbritannien auf der Shortlist des Booker Prize, Kritiker vergleichen<br />
ihn mit großen amerikanischen Romanciers wie Thomas Pynchon, Paul<br />
Auster und Don DeLillo und immer wieder nutzt er sein Schreiben auch als<br />
ethisches Instrument.
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Buchempfehlungen von Helga Schuppan<br />
Rick Gekoski<br />
›Eine Nacht mit Lolita‹<br />
Claassen Verlag · 16,90 Euro<br />
Helga Schuppan<br />
zuständig für die Filiale in der Uni<br />
und überwiegend dort zu treffen,<br />
Fachfrau für Naturheilkunde, Medizin und Esoterik<br />
helga.schuppan@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
1969 fing alles an. In diesem Jahr saß Rick Gekoski an seiner Doktorarbeit in<br />
Englischer Literatur, als er eine alte Dickens-Ausgabe entdeckte. Er kaufte sie,<br />
um sie später zum doppelten Preis zu veräußern.<br />
Im Laufe der Jahre wurde daraus ein gewinnbringendes Hobby. Weltweit gibt<br />
es LiebhaberInnen, die nicht einfach nur ein ›altes Buch‹ suchen; es sollte schon<br />
eine gut erhaltene Erstausgabe, ein vom Autor signiertes oder mit einer Widmung<br />
versehenes Exemplar sein. Und manchmal kommt da Herr Gekoski ins<br />
Spiel. So hat er mit den Jahren eine Fülle von Informationen, Erfahrungen,<br />
Anekdoten und Begegnungen gesammelt:<br />
Rick Gekoski erzählt uns, unter welchen Mühen und Anfeindungen Nabokovs<br />
›Lolita‹ herausgegeben wurde oder was es mit dem holographischen Manuskript<br />
von ›Herr der Fliegen‹ in einem Bank-Schließfach auf sich hat. Er hat<br />
Graham Greene im Londoner Ritz getroffen, und die Zeit, als die ›Satanischen<br />
Verse‹ herausgegeben wurden, trieb ihm den Angstschweiß auf die Stirn.<br />
Gerade diese sehr <strong>persönlichen</strong> Begegnungen machen seine Schilderungen so<br />
sympathisch.<br />
Ach! Das Lesen jedes einzelnen Kapitels ist wahrlich ein Genuss; und ich bin<br />
sicher, dass Sie nach der Lektüre den einen oder anderen Roman (wieder)<br />
lesen werden.<br />
Viel Vergnügen!<br />
*
Lorenzo Marini<br />
›Der Tulpenmaler‹<br />
Btb · 8,50 Euro<br />
* * *<br />
Holland im 17. Jahrhundert. Ein junger Maler namens Napulit malt nur<br />
Tulpen und auch nur dann, wenn sie blühen. Er malt sie so wunderschön und<br />
natürlich, dass der Betrachter meint, die Bilder würden nach Tulpen duften.<br />
Napulits Geheimnis und Inspiration ist seine Liebe zu Assentia, doch die ist<br />
schon einem anderen versprochen. ...<br />
Witt Van der Kalm ist Professor und wohl der langsamste Mensch der Welt. Er<br />
möchte auf jedem Land, das am Äquator liegt, große Windmühlen aufstellen,<br />
die entgegen der herkömmlichen Richtung laufen und so der Erdumdrehung<br />
Widerstand geben. Der Professor ist überzeugt, dass sich dadurch die Hast<br />
der Welt verringern und das Tempo der Zeit verlangsamen lässt.<br />
Seit sieben Jahren arbeitet Doktor Claudius an einem Buch über die Wolken, das<br />
er ›Das Buch des Tageshimmels oder Systematisches Verzeichnis der Wolken‹<br />
nennen will. Er kommt seither zu keinem Ende, weil jeden Tag ein paar neue<br />
Wolken entstehen und einige nie wiederkehren.<br />
Herr Van der Clock ist von minutiöser Genauigkeit, sein ganzes Leben ist präzise<br />
eingeteilt und er ist folgerichtig der berühmteste Uhrmacher der Stadt. Er hat<br />
eine Verabredung mit der Liebe seines Lebens, und zwar in einem Jahr, vier<br />
Monaten, siebzehn Tagen und neunzehn Stunden. »In jenem Augenblick werde<br />
ich da sein, ...«<br />
Jeder von ihnen lebt seine Obsession, aber deren Beschreibung und Darstellung<br />
ist so detailliert, so dicht und in wunderschöne Worte gefasst, dass ich dieses<br />
Buch unmöglich so einfach ›weglesen‹ konnte. Im Gegenteil – so langsam<br />
habe ich noch nie ein Buch gelesen! Ein Kapitel (3–4 Seiten) am Tag, mehr<br />
nicht. In diesen wenigen Seiten steckt so viel Atmosphäre, stehen so wunderbare<br />
Gedanken; das wirkt lange nach ...<br />
Also bitte: nehmen Sie sich die Zeit.<br />
*<br />
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* * *<br />
Buchempfehlungen von Wilfried Kemper<br />
T.C. Boyle<br />
›Talk Talk‹<br />
Hanser Verlag · 21,50 Euro<br />
Wilfried Kemper<br />
zuständig für unsere Filiale in der Uni, Büro und<br />
Fachmann für Philosophie<br />
w.kemper@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
Dana, eine gehörlose Lehrerin, überfährt ein Stoppschild und landet im<br />
Gefängnis. Nicht das Verkehrsdelikt wird ihr vorgeworfen. Sie wird in mehreren<br />
US-Staaten wegen Scheckbetrug und Autodiebstahl gesucht. Nach einem<br />
für Dana entwürdigenden Wochenende im Gefängnis wird sie endlich am<br />
Montag entlassen. Der Pflichtanwalt stellt eine Personenverwechslung fest.<br />
Der Schaden für Dana bleibt. Ihr Auto wurde abgeschleppt, die Kreditkarte<br />
gesperrt, den Job verliert sie auch. Jemand hat unter ihrem Namen betrogen<br />
und fährt weiter damit fort. Die Polizei sieht nicht die Notwendigkeit, extraaktiv<br />
zu werden. Und so machen sich Dana und ihr Freund Bridger auf, den<br />
Verbrecher zu stellen.<br />
Beeindruckend stellt Boyle die Schwierigkeit der Gehörlosen und ihrer Kommunikation<br />
mit der Umwelt heraus. Durch den Wechsel der Perspektiven lernen<br />
wir auch den Betrüger und sein Luxusleben auf Kosten anderer kennen.<br />
Das Buch ist eine Art Roadmovie. Die Verfolgung geht durch einige Staaten.<br />
Manche Szenen wirken lang, zeigen aber somit die Ausdauer der beiden Verfolger.<br />
Es kommt natürlich zum ›Showdown‹.<br />
*
* * *<br />
Gilbert Adair<br />
›Mord auf ffolkes Manor – Eine Art Kriminalroman‹<br />
Beck Verlag · 18,90 Euro<br />
Das kennen wir doch. Eine kleine Gruppe aufrechter Menschen feiert und<br />
plötzlich ist einer tot. Liegt da, von feiger Hand gemordet und niemand will’s<br />
gewesen sein. Fast ein alltägliches Erlebnis. Gottlob nicht bei mir und nicht<br />
bei Ihnen. Aber im England der 30er Jahre passierte das wohl öfter. So auch<br />
Weihnachten 1935. Colonel Roger ffolkes (der schreibt sich wirklich so) hat<br />
ein paar Freunde und Nachbarn geladen. Man möchte die Festtage gemeinsam<br />
verbringen. Zum Ärger aller bringt Rogers Tochter doch dieses Ekel von Raymond<br />
Gentry mit. Ein Schreiber der Regenbogenpresse, der aber auch jeden<br />
Gast wissen lässt, er habe Kenntnisse über dessen dunkelstes Geheimnis. Das<br />
muss natürlich schief gehen. Und peng… Da liegt er nun. Mausetot in einer<br />
von innen verschlossenen Dachkammer. Draußen tobt ein schlimmer Schneesturm.<br />
Die Telefonleitung ist gestört. Die nächste Polizeistation sehr weit entfernt.<br />
Im Kaminzimmer wetteifern deshalb die anwesende Krimiautorin Evadne<br />
Mount und der pensionierte Chefinspektor um die Aufklärung dieses Falls.<br />
Das Buch hat nicht die Schnelligkeit der modernen Krimis. Es kommt mit der<br />
Gemütlichkeit und der Scharfsinnigkeit einer Miss Marple daher. Und spannend<br />
und rätselhaft bleibt es bis zum Schluss.<br />
*<br />
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* * *<br />
Buchempfehlungen von Christine Rusch-Walter<br />
Jutta Limbach (Hg.)<br />
›Das schönste deutsche Wort‹<br />
Hueber Verlag, · 19,95 Euro <br />
Christine Rusch-Walter<br />
Fachfrau für Kinder- und Jugendbücher und Belletristik.<br />
christine.rusch-walter@<strong>ameis</strong>buchecke.de<br />
»An liebäugeln gefällt mir das Bildliche: Die Vorstellung des Streichelns und<br />
Liebkosens mit den Sehorganen ist ein besonders schöner Ausdruck für die<br />
Lust auf Distanz, die Steigerung der Lust durch langsames Herantasten.« – So<br />
begründet eine Schriftstellerin ihre Entscheidung im internationalen Wettbewerb<br />
des Deutschen Sprachenrates, der ›Jedermann und Jede Frau‹ aufgerufen<br />
hatte, sein liebstes deutsches Wort zu benennen und diese Wahl zu begründen.<br />
Eine Auswahl der Ergebnisse dieses Wettbewerbs findet sich in dem von Jutta<br />
Limbach herausgegebenen Band ›Das schönste deutsche Wort‹; die Wirkung<br />
der Textbeiträge wird dabei unterstützt und verstärkt durch Fotografien verschiedener<br />
Künstler.<br />
Gerade zu Weihnachten könnte dieses Buch das besondere Geschenk darstellen,<br />
ein Werk, das dazu anregt, eigene Erfahrungen und Empfindungen gegenüber<br />
deutschen Wörtern in den Beiträgen anderer zu überprüfen und eigene<br />
Grenzziehungen zu erweitern, in dem man immer wieder blättern und sich<br />
festlesen kann.<br />
*
Dave Barry / Ridley Pearson,<br />
›Peter und die Sternenfänger‹<br />
Oetinger Verlag · 17,90 Euro <br />
* * *<br />
Tosende Stürme, wilde Piraten und eine Truhe voller ... Sternenstaub: Wir<br />
erfahren, wie Peter Pan zu seinem Namen kam und warum er fliegen kann<br />
und niemals altert.<br />
Es beginnt damit, dass Peter, der in bitterer Armut im Waisenhaus aufwächst,<br />
zusammen mit vier anderen Waisenjungen als Diener in das Königreich des<br />
gefürchteten Königs Zarboff III. geschickt wird. Die Reise soll mit dem alten<br />
Segelschiff ›Niemandsland‹ stattfinden, auf dem Peter auch noch das Mädchen<br />
Molly kennenlernt, das von seiner Gouvernante begleitet wird. Bevor das Schiff<br />
ablegt, wird noch eine Kiste mit geheimnisvollem Inhalt an Bord gebracht.<br />
Nachdem Peter sich mit Molly angefreundet hat, weiht sie ihn in das Geheimnis<br />
um die Kiste ein: Sie und ihr Vater, der auf einem anderen Schiff als Diplomat<br />
ins Königreich Zarboffs reist, sind ›Sternenfänger‹ und sammeln Sternenstaub,<br />
der vom Himmel fällt. Dieser magische Staub verleiht übernatürliche Kräfte<br />
und verändert Mensch und Tier. Aber nicht immer zum Guten: Wenn er in<br />
die falschen Hände gerät, kann das eine Katastrophe auslösen.<br />
Natürlich weiß der üble Piratenkapitän Schwarzbart alles und jagt mit seinem<br />
Piratenschiff ›Seeteufel‹ hinter der Beute her. Und so wird die Reise gefährlicher<br />
und abenteuerlicher, als alle geglaubt hatten...<br />
Ein spannendes Buch für Jung und Alt, sehr schön illustriert von Greg Call,<br />
der mit seinen Zeichnungen die Stimmung des Handlungsgeschehens sehr einfühlsam<br />
unterstützt.<br />
Ein Disney-Zeichentrickfilm ist in Vorbereitung und wird wahrscheinlich in<br />
absehbarer Zeit in die Kinos kommen.<br />
*<br />
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Snorre Björkson<br />
Präludium für Josse<br />
Aufbau Verlag · 18,90 Euro<br />
* * *<br />
Eine hinreißende Geschichte über die erste Liebe, sanft, sentimental und von<br />
melancholischer Poesie – Snorre Björkson schreibt die Liebesgeschichte zweier<br />
Jugendlicher, die allerdings nicht in erster Linie für Jugendliche gedacht ist.<br />
Der junge 16jährige Holtes liebt Josse, die an der gleichen Schule gerade ihr<br />
Abitur macht. Sie lernen sich im Posaunenchor in Verden kennen und entdecken<br />
eine gemeinsame Musikvorliebe für Bach. In der Schulband kommen<br />
sie sich näher, und als Josse ihr Abitur in der Tasche hat, kommt Holtes ein<br />
ungewöhnlicher Gedanke: Er schlägt nach der Lektüre von Albert Schweitzers<br />
Bach-Biographie vor, während der Sommerferien auf den Spuren ihres gemeinsamen<br />
Lieblingskomponisten durch Norddeutschland zu wandern. So verbringen<br />
sie herrliche Sommertage entlang der Aller, erleben »einen Sommer der Liebe<br />
zwischen duftenden Wiesen und rauschenden Getreidefeldern, verbringen<br />
romantische Nächte in Schafställen, im Igluzelt und unter freiem Himmel«,<br />
wie der Klappentext des Aufbau Verlags treffend sagt, bis die Reise enden<br />
muß, als sie ihr Ziel Lübeck erreichen.<br />
Bald danach geht Josse nach Freiburg und beginnt ihr Musikstudium. Erst zu<br />
Weihnachten werden sie sich wiedersehen, und für Holtes beginnt eine ungewisse<br />
Zeit des Wartens…<br />
Mir hat besonders die einfühlsame Sprache gefallen, in der der Autor sowohl<br />
die zart wachsende Liebesbeziehung der Protagonisten wie auch die Rückerinnerungen<br />
an Kindheit und Familie schildert.<br />
Ein schönes Buch auch für Erwachsene.<br />
*
*<br />
Sie haben zu Ende geschmökert<br />
und möchten am liebsten gleich...<br />
Leider ist draußen Bodennebel<br />
Glatteis<br />
es regnet in Strömen<br />
der Kuchen bäckt noch<br />
es ist Mitternacht<br />
oder Sonntag...<br />
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