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Indirekte Sprechakte. In ders., Ausdruck und Bedeutung. Frankfurt

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KAPITEL 2<br />

<strong><strong>In</strong>direkte</strong> <strong>Sprechakte</strong><br />

Einleitung<br />

Mit <strong>Bedeutung</strong> ist es am einfachsten, wo ein Sprecher einen Satz<br />

äußert <strong>und</strong> genau das wörtlich meint, was er sagt. Er beabsichtigt<br />

dann, im Hörer einen gewissen illokutionären Effekt hervorzurufen,<br />

<strong>und</strong> zwar gerade dadurch, daß er den Hörer seine Absicht,<br />

diesen Effekt hervorzurufen, erkennen läßt, <strong>und</strong> diese Erkenntnis<br />

will er im Hörer dank dessen Kenntnis der Regeln erreichen,<br />

denen die Äußerung des Satzes unterliegt. Doch, wie nur allzu<br />

bekannt, ist es mit <strong>Bedeutung</strong> nicht immer so einfach: Wenn der<br />

Sprecher Andeutungen oder Anspielungen macht, sich in Ironie<br />

oder Metaphern ergeht - um nur ein paar Beispiele zu erwähnen<br />

-, dann geraten Satzbedeutung <strong>und</strong> das, was der Sprecher mit<br />

seiner Äußerung meint, auf verschiedenerlei Art auseinander.<br />

Wichtig sind dabei insbesondere auch solche Fälle, in denen der<br />

Sprecher einen Satz äußert, zwar meint, was er sagt, aber darüber<br />

hinaus noch etwas mehr meint. Beispielsweise mag ein Sprecher<br />

den Satz »Ich möchte, daß du es tust« äußern, um den Hörer<br />

damit um irgend etwas zu bitten. Nebenbei ist die Äußerung auch<br />

als Feststellung gemeint, doch vornehmlich als Bitte: eine Bitte,<br />

die dadurch zustande kommt, daß eine Feststellung getroffen<br />

wird. <strong>In</strong> Fällen wie diesem kann ein Satz, dessen <strong>In</strong>dikator der<br />

illokutionären Rolle auf einen bestimmten Typ von illokutionärem<br />

Akt hinweist, geäußert werden, um zusätzlich einen illokutionären<br />

Akt eines andern Typs zu vollziehen. Es gibt auch Fälle,<br />

in denen der Sprecher einen Satz äußert, dabei meint, was er sagt,<br />

aber auch noch eine andere Illokution mit einem andern propositionalen<br />

Gehalt meint. Beispielsweise mag jemand den Satz<br />

»Kommst du ans Salz ran?« äußern <strong>und</strong> das nicht bloß als Frage,<br />

sondern auch als Bitte ums Salz meinen.<br />

Wichtig ist in derartigen Fällen, daß die Äußerung als Bitte<br />

gemeint ist; das heißt: Der Sprecher möchte den Hörer wissen<br />

lassen, daß ihm gegenüber eine Bitte geäußert worden ist, <strong>und</strong> er<br />

will den Hörer dies dadurch wissen lassen, daß er ihn seine<br />

Absicht erkennen läßt, ihn dies wissen zu lassen. Wenn die


Äußerung zwei illokutionäre Rollen hat, so ist dies etwas ganz<br />

anderes als beispielsweise folgendes: Der Sprecher sagt dem<br />

Hörer, er möchte gerne, daß der das-<strong>und</strong>-das tue, <strong>und</strong> der Hörer<br />

tut es nun, weil der Sprecher dies möchte, auch wenn überhaupt<br />

keine Bitte geäußert, gemeint oder verstanden worden ist. <strong>In</strong><br />

unserer folgenden Erörterung wird es um indirekte <strong>Sprechakte</strong><br />

gehen: solche, bei denen ein illokutionärer Akt indirekt, über den<br />

Vollzug eines andern, vollzogen wird.<br />

<strong><strong>In</strong>direkte</strong> <strong>Sprechakte</strong> stellen uns vor das Problem, wodurch es<br />

dem Sprecher möglich ist, etwas zu sagen <strong>und</strong> es zu meinen, aber<br />

darüber hinaus auch noch etwas anderes zu meinen. Und da<br />

Meinen teilweise darin besteht, die Absicht zu haben, den Hörer<br />

etwas verstehen zu lassen, besteht dieses Problem großenteils in<br />

der Frage, wodurch es dem Hörer möglich ist, den indirekten<br />

Sprechakt zu verstehen, wenn der von ihm vernommene <strong>und</strong><br />

verstandene Satz etwas anderes bedeutet. Zusätzlich kompliziert<br />

wird das Problem dadurch, daß einige Sätze anscheinend schon<br />

beinahe konventional als indirekte Bitten verwandt werden. So<br />

bedarf es bei einem Satz wie »Kommst du ans Salz ran?« oder<br />

»Ich würde es begrüßen, wenn du nicht länger auf meinem Fuß<br />

stündest« schon einiger <strong>In</strong>geniosität, um sich eine Situation<br />

auszumalen, in der die jeweilige Äußerung keine Bitte wäre.<br />

Im dritten Kapitel meines Buchs <strong>Sprechakte</strong> habe ich nahegelegt,<br />

daß sich derartige Äußerungen damit erklären lassen, daß es in<br />

den fraglichen Sätzen um Bedingungen für den geglückten Vollzug<br />

derjenigen <strong>Sprechakte</strong> geht, die mit ihrer Äußerung indirekt<br />

vollzogen werden sollen (Einleitungsbedingungen, Bedingungen<br />

des propositionalen Gehalts <strong>und</strong> Aufrichtigkeitsbedingungen),<br />

<strong>und</strong> daß mit ihnen gerade dadurch indirekte <strong>Sprechakte</strong> vollzogen<br />

werden, daß mit ihnen auf die Erfüllung der (für den indirekten<br />

Sprechakt) wesentlichen Bedingung hingewiesen wird, indem<br />

behauptet (bzw. danach gefragt) wird, daß (bzw. ob) eine dieser<br />

andern Bedingungen besteht. Seitdem ist vielerlei als Erklärung<br />

vorgeschlagen worden, darunter auch die Hypostasierung von<br />

»Konversationspostulaten«, andere Tiefenstrukturen <strong>und</strong> derlei<br />

mehr. Die ursprünglich von mir gegebene Antwort kommt mir<br />

unvollständig vor, <strong>und</strong> ich möchte sie hier weiterentwickeln. Ich<br />

möchte einfach die folgende Hypothese vertreten: Mit indirekten<br />

<strong>Sprechakte</strong>n teilt der Sprecher dem Hörer dadurch mehr mit, als<br />

er eigentlich sagt, daß er sich darauf verlaßt, daß der Hörer<br />

rational ist <strong>und</strong> korrekt schließen kann, <strong>und</strong> daß er mit ihm<br />

gewisse (sprachliche wie außersprachliche) Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

teilt. Ein wenig genauer gesagt, braucht man zumindest<br />

folgendes, um das <strong><strong>In</strong>direkte</strong> an indirekten <strong>Sprechakte</strong>n zu erklären:<br />

eine Sprechakttheorie, gewisse allgemeine Prinzipien kooperativer<br />

Konversation (einige sind von Grice [1975] erörtert<br />

worden), außersprachliche Hintergr<strong>und</strong>informationen, über die<br />

Sprecher <strong>und</strong> Hörer gemeinsam verfügen, <strong>und</strong> die Fähigkeit des<br />

Hörers, Schlüsse zu ziehen. Man braucht weder Konversationspostulate<br />

(nicht als Zusatz zur <strong>und</strong> auch nicht als Bestandteil der<br />

Sprechakttheorie) noch versteckte Imperative oder andere Mehrdeutigkeiten.<br />

Allerdings wird sich herausstellen, daß Konvention<br />

gelegentlich eine überaus seltsame Rolle spielt.<br />

Das Problem der indirekten <strong>Sprechakte</strong> ist nicht nur wegen seiner<br />

Relevanz für eine <strong>Bedeutung</strong>s- <strong>und</strong> Sprechakttheorie von philosophischem<br />

<strong>In</strong>teresse. Es gibt noch einen andern Gr<strong>und</strong>. <strong>In</strong> der<br />

Ethik wurde gemeinhin angenommen, Ausdrücke wie »gut«,<br />

»richtig« <strong>und</strong> »sollen« hätten irgendwie eine imperativische oder<br />

»handlungsleitende« <strong>Bedeutung</strong>. Diese Auffassung rührt daher,<br />

daß Sätze wie »Du solltest es tun« oft geäußert werden, um den<br />

Hörer zu einem bestimmten Handeln anzuhalten. Doch daß sich<br />

derlei Sätze als Direktive 1 äußern lassen, impliziert genausowenig<br />

eine imperativische <strong>Bedeutung</strong> von »sollen«, wie auch keine<br />

imperativische <strong>Bedeutung</strong> von »können« daraus folgt, daß sich<br />

»Kannst du mir das Salz reichen?« als Bitte ums Salz äußern läßt.<br />

Viele Verwechslungen der jüngeren Moralphilosophie beruhen<br />

darauf, daß nicht verstanden wird, was es mit derlei indirekten<br />

<strong>Sprechakte</strong>n auf sich hat. Für Linguisten ist dieses Thema auch<br />

noch deshalb interessant, weil es syntaktische Konsequenzen hat,<br />

um die ich mich hier allerdings nur beiläufig kümmern werde.<br />

Ein Muster-Fall<br />

Schauen wir uns als erstes einmal einen Fall an, der für das<br />

allgemeine Phänomen der <strong>In</strong>direktheit typisch ist:<br />

1. Student X: Komm, wir gehen heute abend ins Kino.<br />

2. Student Y: Ich muß für eine Prüfung lernen.<br />

Die in (1) wiedergegebene Äußerung ist kraft ihrer <strong>Bedeutung</strong> -<br />

insbesondere wegen der <strong>Bedeutung</strong> von »Komm, wir« - ein<br />

53


Vorschlag. Wörtliche Äußerungen von Sätzen dieser Form sind<br />

im allgemeinen Vorschläge, wie beispielsweise auch die beiden<br />

folgenden:<br />

3. Komm, wir essen heute abend eine Pizza.<br />

4. Komm, wir gehen heute abend Eislaufen.<br />

Im gegebenen Kontext wäre die in (2) wiedergegebene Äußerung<br />

normalerweise eine Ablehnung des Vorschlags, aber nicht kraft<br />

<strong>Bedeutung</strong> des geäußerten Satzes. Kraft dessen <strong>Bedeutung</strong> ist sie<br />

einfach eine Feststellung über Y. Feststellungen dieser Form sind<br />

im allgemeinen keine Ablehnungen von Vorschlägen, nicht einmal<br />

dann, wenn sie auf einen Vorschlag hin gemacht werden.<br />

Hätte Y also eine der beiden folgenden Sachen gesagt:<br />

5. Heute abend muß ich Popcorn essen<br />

6. Ich muß mir die Schuhe zuschnüren,<br />

dann wäre dies in einem normalen Kontext jeweils keine Ablehnung<br />

des Vorschlags gewesen. Nun stellt sich die Frage: Woher<br />

weiß X, daß die Äußerung eine Ablehnung seines Vorschlags ist?<br />

Und diese Frage ist in der folgenden enthalten: Wie ist es Y<br />

möglich, die Äußerung aus (2) als Ablehnung des Vorschlags zu<br />

meinen? Führen wir ein bißchen Terminologie ein, um diesen Fall<br />

zu beschreiben. Wir wollen sagen, daß der primäre illokutionäre<br />

Akt, der mit Ys Äußerung vollzogen wird, die Ablehnung des<br />

Vorschlags von X ist, <strong>und</strong> daß Y ihn dadurch vollzieht, daß er<br />

einen sek<strong>und</strong>ären illokutionären Akt vollzieht, <strong>und</strong> zwar stellt er<br />

fest, daß er sich für eine Prüfung vorbereiten muß. Den sek<strong>und</strong>ären<br />

illokutionären Akt vollzieht er durch die Äußerung eines<br />

Satzes, dessen wörtliche <strong>Bedeutung</strong> die wörtliche Äußerung zum<br />

Vollzug dieses illokutionären Akts werden läßt. Wir können<br />

deshalb sagen, daß der sek<strong>und</strong>äre illokutionäre Akt wörtlich ist.<br />

Der primäre illokutionäre Akt ist es nicht. Nehmen wir einmal<br />

an, wir wüßten, wie X den wörtlichen sek<strong>und</strong>ären illokutionären<br />

Akt aufgr<strong>und</strong> der Satzäußerung versteht. Dann lautet unsere<br />

Frage: Wie versteht er den nicht-wörtlichen primären illokutionären<br />

Akt aufgr<strong>und</strong> dessen, daß er den wörtlichen sek<strong>und</strong>ären<br />

illokutionären Akt versteht? Und diese Frage ist in der folgenden,<br />

umfassenderen enthalten: Wie kann Y die primäre Illokution<br />

meinen, wenn er bloß einen Satz mit der <strong>Bedeutung</strong> der sek<strong>und</strong>ären<br />

Illokution äußert - wo die primäre Illokution zu meinen doch<br />

(weitgehend) darin besteht, X zum entsprechenden Verständnis<br />

bringen zu wollen?<br />

54<br />

Eine verkürzte Rekonstruktion der zur Ableitung der primären<br />

Illokution aus der wörtlichen nötigen Schritte (die sich normalerweise<br />

natürlich niemand bewußt machen würde) mag etwa so<br />

aussehen:<br />

SCHRITT 1: Ich habe Y etwas vorgeschlagen, daraufhin hat er die<br />

Feststellung gemacht, daß er für eine Prüfung zu lernen habe.<br />

(Annahme über das Gespräch)<br />

SCHRITT 2: Y ist mir gegenüber wohl kooperativ in diesem<br />

Gespräch, <strong>und</strong> daher soll seine Bemerkung relevant sein. (Prinzipien<br />

der konversationalen Kooperation)<br />

SCHRITT 3: Als relevante Reaktion kommen in Frage: Annahme,<br />

Ablehnung, Gegenvorschlag, weitere Diskussion, <strong>und</strong> so weiter.<br />

(Sprechakttheorie)<br />

SCHRITT 4: Aber seine wörtliche Äußerung war nichts von alledem<br />

<strong>und</strong> also keine relevante Reaktion. (Folgerung aus Schritt 1 <strong>und</strong><br />

Schritt 3)<br />

SCHRITT 5: Also meint er wahrscheinlich mehr, als er sagt. Wo seine<br />

Bemerkung relevant ist, muß ihr primärer illokutionärer Witz ein<br />

anderer sein als ihr wörtlicher illokutionärer Witz. 2 (Folgerung<br />

aus Schritt 2 <strong>und</strong> Schritt 4)<br />

Dieser Schritt ist entscheidend. Solange der Hörer keine Folgerungsstrategie<br />

hat, um dahinterzukommen, wann ein primärer<br />

illokutionärer Witz sich vom wörtlichen illokutionären Witz<br />

unterscheidet, kann er indirekte illokutionäre Akte überhaupt<br />

nicht verstehen.<br />

SCHRITT 6: Wenn man für eine Prüfung lernt, so nimmt dies -für<br />

einen einzelnen Abend gesehen - ziemlich viel Zeit in Anspruch,<br />

<strong>und</strong> wenn man ins Kino geht, so nimmt dies - auf einen einzelnen<br />

Abend gesehen - ebenfalls ziemlich viel Zeit in Anspruch. (<strong>In</strong>haltliches<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen)<br />

SCHRITT 7: Also kann er wahrscheinlich an einem Abend nicht<br />

beides tun: ins Kino gehen <strong>und</strong> für die Prüfung lernen. (Folgerung<br />

aus Schritt 6)<br />

SCHRITT 8: Eine Einleitungsbedingung für die Annahme eines<br />

Vorschlags (oder beliebigen andern Kommissivs) ist, daß der<br />

Sprecher die in der Bedingung des propositionalen Gehalts ausgesagte<br />

Handlung vollziehen kann. (Sprechakttheorie)<br />

SCHRITT 9: Also hat er etwas gesagt, woraus sich ergibt, daß er den<br />

Vorschlag nicht annehmen kann, ohne sich selbst zu wi<strong>ders</strong>prechen.<br />

(Folgerung aus den Schritten 1, 7 <strong>und</strong> 8)<br />

55


SCHRITT 10: Also ist der primäre illokutionäre Witz seiner Äußerung<br />

wahrscheinlich die Ablehnung des Vorschlags. (Folgerung<br />

aus Schritt 5 <strong>und</strong> Schritt 9)<br />

Es wirkt vielleicht ein bißchen pedantisch, all dies in zehn<br />

Schritten auseinanderzulegen. Dennoch enthält diese Darstellung<br />

eher zuwenig als zuviel - beispielsweise habe ich nicht berücksichtigt,<br />

welche Rolle die Annahme spielt, daß der Sprecher<br />

aufrichtig ist, <strong>und</strong> ich habe auch die Ceteris-paribus-Bedingungen<br />

beiseite gelassen, die eigentlich zu einigen Schritten gehören. Man<br />

beachte ebenfalls, daß es sich um eine probabilistische Schlußfolgerung<br />

handelt. Und das ist völlig in Ordnung, denn Ys Erwiderung<br />

muß ja keine Ablehnung des Vorschlags sein. Er hätte<br />

beispielsweise so fortfahren können, wie in (7) <strong>und</strong> (8):<br />

7. Ich muß für eine Prüfung lernen, aber gehen wir trotzdem<br />

ins Kino.<br />

8. Ich muß für eine Prüfung lernen, aber das mach ich, wenn<br />

wir aus dem Kino zurück sind.<br />

Die Folgerungsstrategie besteht darin, erst einmal herauszubekommen,<br />

daß der primäre illokutionäre Witz sich von dem der<br />

wörtlichen Äußerung unterscheidet, <strong>und</strong> dann, worin der primäre<br />

illokutionäre Witz besteht.<br />

<strong>In</strong> diesem Kapitel möchte ich Argumente dafür liefern, daß der<br />

zur Erklärung dieses Falles benutzte theoretische Apparat ausreicht,<br />

um das allgemeine Phänomen der indirekten illokutionären<br />

Akte zu erklären. Zu diesem Apparat gehören: gemeinsame<br />

Hintergr<strong>und</strong>informationen, eine Sprechakttheorie, <strong>und</strong> gewisse<br />

allgemeine Prinzipien der Konversation. <strong>In</strong>sonderheit mußte bei<br />

der Erklärung dieses Falles nicht angenommen werden, Satz (2)<br />

sei mehrdeutig bzw. »kontextuell mehrdeutig«, <strong>und</strong> auch nicht,<br />

es gebe irgendwelche »Konversationspostulate«, auf die man<br />

zurückgreifen müßte, um zu erklären, wie X die primäre Illokution<br />

der Äußerung verstanden hat. Der Hauptunterschied zwischen<br />

diesem Fall <strong>und</strong> den Fällen, die wir nun erörtern werden,<br />

besteht darin, daß jene unter ein allgemeines Form-Prinzip fallen,<br />

das in diesem Beispiel nicht gegeben ist. Dies allgemeine Prinzip<br />

werde ich dadurch kennzeichnen, daß ich die formalen Charakteristika,<br />

wie sie in der Oberflächenstruktur der fraglichen Sätze<br />

auftreten, durch Halbfett-Druck hervorhebe. <strong>In</strong> der Landschaft<br />

der indirekten illokutionären Akte gibt das Gebiet der Direktive<br />

56<br />

am meisten für die Untersuchung her, weil die Äußerung von<br />

platten Imperativen (»Verlaß das Zimmer«), bzw. expliziten<br />

Performativen (»Ich befehle dir, das Zimmer zu verlassen«) bei<br />

der in gewöhnlicher Konversation gebotenen Höflichkeit normalerweise<br />

als ungehobeltes Benehmen gilt, <strong>und</strong> wir deshalb nach<br />

indirekten Mitteln für unsere illokutionären Zwecke Ausschau<br />

halten (wie beispielsweise »Ich hoffe, es macht dir nichts aus, für<br />

einen Moment hinauszugehen«). Bei den Direktiven ist Höflichkeit<br />

das Leitmotiv für <strong>In</strong>direktheit.<br />

Einige Sätze, die »konventional« zum Vollzug indirekter<br />

Direktive benutzt werden<br />

Beginnen wir also mit einer kurzen Auswahl-Liste solcher Sätze,<br />

die ganz regulär zum Vollzug indirekter Bitten <strong>und</strong> anderer<br />

Direktive (wie beispielsweise Befehle) benutzt werden könnten.<br />

Auf einer vortheoretischen Ebene gliedern diese Sätze sich<br />

sozusagen ganz von selbst in gewisse Kategorien auf. 3<br />

GRUPPE 1: Sätze, in denen es um Hs Fähigkeit geht, h zu<br />

vollziehen:<br />

Kannst du ans Salz 'ran?<br />

Kannst du mir das Salz reichen?<br />

Könntest du ein bißchen leiser sein?<br />

Du könntest ein bißchen leiser sein.<br />

Du kannst jetzt gehen. (Dies kann ebenso eine Erlaubnis sein<br />

= Du darfst jetzt gehen)<br />

Bist du in der Lage, das Buch aus dem obersten Regal zu<br />

nehmen?<br />

Hast du fünf einzelne Markstücke, um mir einen Fünfer zu<br />

wechseln?<br />

GRUPPE 2: Sätze, in denen es um Ss Wunsch geht, daß H h<br />

tut:<br />

Ich hätte gern, wenn du jetzt gingst.<br />

Ich möchte, daß du dies für mich tust, Henry.<br />

Ich würde es begrüßen, wenn du das für mich tun würdest/<br />

könntest.<br />

57


Ich wäre überaus dankbar, wenn du uns aushelfen würdest/<br />

könntest.<br />

Mir wäre es lieber, wenn du das nicht mehr tätest.<br />

Ich wäre Ihnen sehr verb<strong>und</strong>en, wenn Sie mir das Geld bald<br />

zurückzahlen würden.<br />

Ich hoffe, daß du es tun wirst.<br />

Ich wünschte, du würdest es tun.<br />

GRUPPE 3: Sätze, in denen es darum geht, daß H h tut:<br />

Zum Abendessen werden Offiziere ab sofort mit Krawatte<br />

erscheinen.<br />

Wirst du wohl mit dem Radau aufhören?<br />

Würden Sie liebenswürdigerweise Ihren Fuß von meinem<br />

nehmen?<br />

Machst du wohl, daß du dein Müsli ißt?<br />

GRUPPE 4: Sätze, in denen es um Hs Wunsch bzw. Bereitschaft<br />

geht, h zu tun:<br />

Wärst du bereit, für mich ein Empfehlungsschreiben zu<br />

verfassen?<br />

Willst du mir mal den Hammer drüben auf dem Tisch<br />

reichen?<br />

Würde es dir 'was ausmachen, nicht soviel Krach zu<br />

machen?<br />

Würde es Ihnen passen, am Mittwoch zu kommen?<br />

Würde es Ihnen große Ungelegenheiten bereiten, mir das<br />

Geld am nächsten Mittwoch zurückzuzahlen?<br />

GRUPPE 5: Sätze, in denen es um Gründe geht, h zu tun:<br />

Du solltest zu deiner Mutter höflicher sein.<br />

Mußt du weiter so hämmern?<br />

Sollst du denn soviel Spaghetti essen?<br />

Du würdest jetzt besser gehen.<br />

Würdest du jetzt nicht besser gehen?<br />

Warum nicht hier aufhören?<br />

Warum versuchst du's nicht wenigstens einmal?<br />

Es wäre für dich (für uns alle) besser, wenn du rausgingest.<br />

Es würde nichts schaden, wenn du jetzt rausgingest.<br />

Vielleicht wäre es gut, wenn du die Klappe hältst.<br />

Es wäre besser, wenn du mir das Geld jetzt geben würdest.<br />

Du wärest gut beraten, jetzt aus der Stadt zu verschwinden.<br />

Uns allen wäre wohler, wenn du jetzt mal ein bißchen die<br />

Klappe hieltest.<br />

Zu dieser Klasse gehören auch viele Beispiele, denen ein allgemeines<br />

Form-Merkmal abgeht, die aber offensichtlich, in einem<br />

geeigneten Zusammenhang, als indirekte Aufforderungen geäußert<br />

würden; so beispielsweise:<br />

Du stehst auf meinem Fuß.<br />

Ich kann vom Film nichts sehen, wenn Sie diesen Hut<br />

aufhaben.<br />

Möglicherweise gehören auch die folgenden Sätze zu dieser<br />

Klasse:<br />

Wie oft habe ich dir schon gesagt (muß ich dir noch sagen),<br />

nicht mit den Fingern zu essen?<br />

Ich muß dir wohl schon ein dutzendmal gesagt haben, nicht<br />

mit vollem M<strong>und</strong> zu reden.<br />

Ich habe dir doch nicht bloß einmal, sondern schon tausendmal<br />

gesagt, daß du im Haus keinen Hut tragen sollst.<br />

GRUPPE 6: Sätze, in denen eines dieser Elemente in ein anderes<br />

eingebettet ist; <strong>und</strong> Sätze, in denen ein explizit direktives<br />

illokutionäres Verbum in einen dieser Kontexte eingebettet<br />

ist.<br />

Würde es dir schrecklich viel ausmachen, wenn ich dich<br />

fragen würde, ob du vielleicht ein Empfehlungsschreiben für<br />

mich abfassen könntest?<br />

Wäre es zuviel verlangt, wenn ich Sie darum bitten würde,<br />

möglicherweise ein klein bißchen weniger Lärm zu machen?<br />

Dürfte ich Sie vielleicht bitten, Ihren Hut abzunehmen?<br />

Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ich Sie darum<br />

bitte, uns für einen Moment allein zu lassen.<br />

Ich wüßte es zu schätzen, wenn du weniger Krach machen<br />

würdest. 4<br />

Diese Klasse ist sehr groß, die meisten Sätze darin werden ja<br />

dadurch gebildet, daß gewisse Elemente der anderen Klassen<br />

permutiert werden.<br />

59


Ein paar (nicht ganz gesicherte) Fakten<br />

Halten wir zunächst einmal ein paar Sachen fest, die an den<br />

fraglichen Sätzen ins Auge springen. Nicht jeder wird die im<br />

folgenden aufgeführten Sachen als Fakten akzeptieren; ja, die<br />

meisten derzeit verfügbaren Erklärungen bestreiten wenigstens<br />

eine der unten aufgeführten Feststellungen. Dennoch scheinen<br />

diese Beobachtungen über die fraglichen Sätze auf einer intuitiven,<br />

vortheoretischen Ebene zu stimmen, <strong>und</strong> meines Erachtens<br />

sollten wir diese <strong>In</strong>tuitionen nur angesichts sehr überzeugender<br />

Gegenargumente preisgeben. Weiter unten werde ich darlegen,<br />

daß es eine mit all diesen Fakten verträgliche Erklärung gibt.<br />

FAKTUM 1: Die fraglichen Sätze haben keine Imperativische Rolle<br />

als <strong>Bedeutung</strong>sbestandteil. Das wird von Philosophen <strong>und</strong> Linguisten<br />

zwar gelegentlich bestritten, aber sehr überzeugend<br />

dadurch belegt, daß man - ohne sich damit eines Wi<strong>ders</strong>pruchs<br />

schuldig zu machen - an die wörtliche Äußerung jeder dieser<br />

Formeln anfügen kann, daß man keine Imperativischen Absichten<br />

hat. Beispiele:<br />

Ich hätte gerne, daß du das für mich tust, Bill, aber ich bitte<br />

dich nicht darum, fordere dich auch nicht dazu auf, befehle es<br />

dir nicht <strong>und</strong> sage auch sonst nicht, daß du es tun sollst.<br />

Ich möchte bloß von dir wissen, Bill: warum nicht Bohnen<br />

essen? Aber ich möchte, daß du wohl weißt, daß ich dir nicht<br />

sagen will, du sollst Bohnen essen. Ich möchte bloß wissen,<br />

warum du glaubst, du solltest besser keine essen.<br />

FAKTUM 2: Die fraglichen Sätze sind hinsichtlich der illokutionären<br />

Rolle (imperativisch bzw. nicht-imperativisch) nicht mehrdeutig.<br />

Dies liegt meines Erachtens intuitiv auf der Hand. Wie dem auch<br />

sei, man braucht Ockhams Rasiermesser nur in gewohnter Weise<br />

anzuwenden, <strong>und</strong> schon liegt die Beweislast bei denen, die<br />

behaupten wollen, diese Sätze seien mehrdeutig. <strong>Bedeutung</strong>en<br />

sind nicht über das Notwendige hinaus zu vermehren. Es bringt<br />

auch nichts, die Sätze »kontextuell mehrdeutig« zu nennen, denn<br />

das heißt bloß, daß man auf Gr<strong>und</strong> der Satzbedeutung nicht<br />

immer sagen kann, was der Sprecher mit seiner Äußerung meint -<br />

<strong>und</strong> damit hat man noch lange keine Mehrdeutigkeit eines Satzes<br />

nachgewiesen.<br />

FAKTUM 3: Trotz der Fakten 1 <strong>und</strong> 2 werden diese Sätze regulär,<br />

üblicherweise, normalerweise - ja, wie ich darlegen werde, kon-<br />

60<br />

ventional - als Direktive verwandt. Zwischen diesen Sätzen <strong>und</strong><br />

direktiven Illokutionen besteht eine systematische Beziehung,<br />

wie sie sich zwischen »Ich muß für eine Prüfung lernen« <strong>und</strong> der<br />

Ablehnung von Vorschlägen nicht findet. Ein zusätzlicher Beleg<br />

für ihre Imperativische Standard-Verwendung ist, daß zu den<br />

meisten von ihnen ein »bitte« paßt, wie beispielsweise in:<br />

Ich möchte, daß du bitte mit dem Krach aufhörst.<br />

Könntest du mir bitte zwei Mark leihen?<br />

Ein in diese Sätze hineingenommenes »bitte« kennzeichnet explizit<br />

<strong>und</strong> wörtlich den primären illokutionären Witz der Äußerung<br />

als den eines Direktivs, auch wenn die wörtliche <strong>Bedeutung</strong> des<br />

restlichen Satzes nicht direktiv ist.<br />

Ein Problem gibt es mit diesen Fällen überhaupt nur, weil die drei<br />

aufgeführten Fakten gemeinsam bestehen.<br />

FAKTUM 4: Die fraglichen Sätze sind keine Idiome im gewöhnlichen<br />

Sinn. 5 Ein übliches Beispiel für ein Idiom ist »hat den Löffel<br />

abgegeben« in »Jones hat den Löffel abgegeben«. Der stärkste<br />

mir bekannte Beleg dafür, daß diese Sätze keine Idiome sind, ist:<br />

Wenn sie als indirekte Direktive verwandt werden, kann man sie<br />

wörtlich nehmen <strong>und</strong> so reagieren, daß dabei ihre wörtliche<br />

Äußerung vorausgesetzt wird. So kann Henry auf die Äußerung<br />

»Warum bist du nicht ruhig, Henry?« folgendermaßen reagieren:<br />

»Nun, Sally, aus mehrererlei Gründen. Erstens, . . .«. »Werden«<br />

<strong>und</strong> »können« im Konjunktiv Imperfekt bei indirekten <strong>Sprechakte</strong>n<br />

bilden möglicherweise eine Ausnahme; ich werde dies später<br />

erörtern.<br />

Ein weiterer Beleg dafür, daß die fraglichen Sätze keine Idiome<br />

sind, ist, daß bei ihrer Übersetzung häufig, obwohl keineswegs<br />

immer, Sätze mit demselben indirekten illokutionären Akt-<br />

Potential herauskommen. Eine Wort-für-Wort-Übersetzung von<br />

»Jones hat den Löffel abgegeben« in andere Sprachen wird<br />

hingegen keinen Satz mit der <strong>Bedeutung</strong> »Jones ist gestorben«<br />

ergeben. Doch »Pourriez-vous m'aider?« <strong>und</strong> »Could you help<br />

me?« lassen sich im Französischen wie im Englischen als indirekte<br />

Aufforderungen verwenden. Woran es liegt, daß bei manchen<br />

das <strong><strong>In</strong>direkte</strong>-Illokutionäre-Rollen-Potential bei der Übersetzung<br />

äquivalent bleibt <strong>und</strong> bei andern nicht, das werde ich später<br />

erörtern.<br />

FAKTUM 5: Daß diese Sätze keine Idiome sind, heißt nicht, daß sie<br />

nicht idiomatisch sind. Alle aufgeführten Beispiele sind im heuti-<br />

61


gen Deutschen idiomatisch <strong>und</strong> sie werden - <strong>und</strong> das ist noch<br />

verwirrender - idiomatisch als Bitten benutzt. Nichtidiomatische<br />

Äquivalente oder Synonyme haben hier im allgemeinen nicht<br />

dasselbe indirekte illokutionäre Akt-Potential. So kann »Möchtest<br />

du mir mal den Hammer da drüben auf dem Tisch geben?«<br />

als Bitte geäußert werden, aber »Ist es der Fall, daß du gegenwärtig<br />

wünschst, mir mal den Hammer dort drüben auf dem Tisch zu<br />

geben?« ist so formell <strong>und</strong> geschraubt, daß damit wohl nie eine<br />

indirekte Bitte geäußert werden würde. »Bist du in der Lage, mir<br />

den Hammer da zu geben?« ist zwar idiomatisch, hat aber nicht<br />

dasselbe indirekte Bitte-Potential wie »Kannst du mir den Hammer<br />

da geben?«. Daß diese Sätze idiomatisch sind <strong>und</strong> idiomatisch<br />

als Direktive verwandt werden, ist entscheidend für ihre Rolle in<br />

indirekten <strong>Sprechakte</strong>n. Ich werde später mehr darüber sagen,<br />

wie all das miteinander zusammenhängt.<br />

FAKTUM 6: Die fraglichen Sätze können wörtlich so geäußert<br />

werden, daß sie keine indirekten Bitten sind. So kann mit<br />

»Kommst du ans Salz ran?« eine einfache Frage über deine<br />

Fähigkeiten gestellt werden (beispielsweise von einem Orthopäden,<br />

der wissen möchte, welche Fortschritte die Heilung deines<br />

Arms macht). Mit »Ich möchte, daß du gehst« kann man schlicht<br />

<strong>und</strong> einfach eine Feststellung über die eigenen Wünsche treffen,<br />

ohne irgendeine direktive Absicht. Auf den ersten Blick scheinen<br />

einige unserer Beispiele diese Bedingung nicht zu erfüllen, beispielsweise:<br />

Warum nicht hier aufhören?<br />

Warum bist du nicht ruhig?<br />

Aber mit ein bißchen Phantasie kommt man leicht auf Situationen,<br />

wo diese Sätze überhaupt nicht als Direktive benutzt<br />

würden, sondern direkte Fragen wären. Hätte jemand beispielsweise<br />

zuvor gesagt »Wir sollten hier nicht aufhören«, dann wäre<br />

»Warum hier nicht aufhören?« eine passende Frage, ohne unbedingt<br />

zugleich auch ein Vorschlag zu sein. Und entsprechend:<br />

Hätte jemand zuvor gerade gesagt »Du kannst mir glauben, daß<br />

ich diesen Radau nicht gerne mache« dann wäre die Äußerung<br />

von »(Nun) Warum bist du (dann) nicht ruhig?« eine passende<br />

Reaktion, ohne daß damit unbedingt um Ruhe gebeten würde.<br />

Es ist wichtig zu beachten, daß die <strong>In</strong>tonation dieser Sätze bei<br />

ihrer Verwendung als indirekte Bitten sich oft von der unterschei-<br />

62<br />

det, die sie haben, wenn sie ausschließlich mit ihrer wörtlichen<br />

illokutionären Rolle geäußert werden. Und oft haben sie das für<br />

wörtliche Direktive kennzeichnende <strong>In</strong>tonationsmuster.<br />

FAKTUM 7: Wo diese Sätze als Bitten geäußert werden, haben sie<br />

trotzdem ihre wörtliche <strong>Bedeutung</strong> <strong>und</strong> werden als Sätze mit<br />

dieser wörtlichen <strong>Bedeutung</strong> geäußert. Gelegentlich ist die<br />

Behauptung aufgestellt worden, sie hätten in ihrer Verwendung<br />

als Bitten eine »kontextuell« andere <strong>Bedeutung</strong>. Meines Erachtens<br />

ist das jedoch offensichtlich falsch. Wer sagt »Ich möchte,<br />

daß du es tust« meint wörtlich, daß er möchte, daß du es tust. Es<br />

kommt hier darauf an (<strong>und</strong> das ist bei <strong>In</strong>direktheit ja immer der<br />

Fall:), daß er nicht bloß meint, was er sagt, sondern noch etwas<br />

darüber hinaus. Was da bei indirekten <strong>Sprechakte</strong>n hinzukommt,<br />

ist keine zusätzliche oder andere Satzbedeutung [sentence<br />

meaning], sondern zusätzlich vom Sprecher Gemeintes [Speaker<br />

meaning]. Daß diese Sätze ihre wörtliche <strong>Bedeutung</strong> bei der<br />

Verwendung als indirekte Bitten beibehalten, wird dadurch<br />

belegt, daß Reaktionen, die auf ihre wörtliche Äußerung hin<br />

passen, auch dann passen, wenn sie zum Vollzug indirekter<br />

<strong>Sprechakte</strong> benutzt werden. (Wir haben dies bereits bei der<br />

Erörterung von Faktum 4 bemerkt.) Beispiele:<br />

Kommst du ans Salz 'ran?<br />

Nein, leider nicht, es steht noch in der Küche.<br />

Ja. (Da hast du's.)<br />

FAKTUM 8: Aus Faktum 7 ergibt sich, daß auch der wörtliche<br />

illokutionäre Akt vollzogen wird, wenn einer dieser Sätze mit<br />

dem primären illokutionären Witz eines Direktivs geäußert wird.<br />

<strong>In</strong> jedem dieser Fälle äußert der Sprecher einen Direktiv, indem er<br />

eine Frage stellt oder eine Feststellung trifft. Doch das Direktive<br />

seiner illokutionären Absicht ändert nichts daran, daß er eine<br />

Frage stellt bzw. eine Feststellung trifft. Ein zusätzlicher Beleg<br />

für Faktum 8 ist, daß bei einem späteren Bericht über eine<br />

derartige Äußerung ganz wahrheitsgemäß der wörtliche illokutionäre<br />

Akt wiedergegeben werden kann.<br />

So kann beispielsweise über die Äußerung von »Ich möchte, daß<br />

du jetzt gehst, Bill« mit »Er sagte, daß er möchte, daß ich gehe,<br />

<strong>und</strong> so bin ich denn auch gegangen« berichtet werden. Und so<br />

kann auch über die Äußerung von »Kommst du ans Salz ran?«<br />

mit »Er fragte mich, ob ich ans Salz rankomme« berichtet<br />

werden. Entsprechend kann über eine Äußerung von »Könntest<br />

63


du es für mich tun, Henry; könntest du es für mich, Cynthia <strong>und</strong><br />

die Kinder tun?« mit »Er fragte mich, ob ich es für ihn, Cynthia<br />

<strong>und</strong> die Kinder tun könnte« berichtet werden.<br />

Dies wird gelegentlich bestritten. So ist behauptet worden, die<br />

wörtlichen illokutionären Akte seien - wenn der Satz zum<br />

Vollzug eines nicht-wörtlichen primären illokutionären Akts<br />

benutzt wird - niemals in Ordnung oder sie würden dann<br />

jedenfalls nicht »übermittelt«. Was unsere Beispiele angeht, so<br />

werden die wörtlichen Illokutionen immer übermittelt <strong>und</strong> sind<br />

bloß manchmal, doch nicht im allgemeinen, nicht in Ordnung.<br />

Beispielsweise mag eine Äußerung von »Kommst du ans Salz<br />

ran?« zum Vollzug eines indirekten Sprechakts insofern nicht in<br />

Ordnung sein, als S die Antwort schon vorher kennt. Aber selbst<br />

diese Form kann in Ordnung sein. (Man denke beispielsweise an<br />

»Können Sie mir 5 DM wechseln?«.) Auch wo die wörtliche<br />

Äußerung nicht in Ordnung ist, ist der indirekte Sprechakt nicht<br />

darauf angewiesen, daß sie nicht in Ordnung ist.<br />

Eine sprechakttheoretische Erklärung<br />

Das Beispiel mit dem Vorschlag, ins Kino zu gehen, unterscheidet<br />

sich von allen andern Fällen darin, daß diese andern Fälle<br />

systematisch sind. Demnach geht es jetzt darum, ein Beispiel des<br />

letzteren Typs so zu beschreiben, daß folgendes deutlich wird:<br />

Der auf das erste Beispiel angewandte theoretische Apparat reicht<br />

für jene andern Fälle hin <strong>und</strong> erklärt auch deren systematischen<br />

Charakter.<br />

Meines Erachtens erlaubt uns die Sprechakttheorie eine einfache<br />

Erklärung dafür, wie diese Sätze zum Vollzug eines Akts mit<br />

einer andern als der in ihrer Satzbedeutung enthaltenen illokutionären<br />

Rolle vollzogen werden können. Für jeden Typ eines<br />

illokutionären Akts gibt es Bedingungen, die für den erfolgreichen<br />

<strong>und</strong> geglückten Vollzug des Akts notwendig sind. Zur<br />

Illustration werde ich die Bedingungen für zwei Akt-Typen<br />

vorstellen, die zu den Kategorien Direktiv bzw. Kommissiv<br />

gehören. (Vgl. Searle, 1969, Kap. 3.)<br />

Vergleicht man die Bedingungen für das Glücken von direktiven<br />

illokutionären Akten mit unserer Liste von Sätzen, die zum<br />

Vollzug indirekter Direktive benutzt werden, so zeigt sich, daß<br />

64<br />

unsere sechs Satzgruppen sich auf drei Typen zurückführen<br />

lassen: solche, bei denen es um Bedingungen für das Glücken<br />

eines direktiven illokutionären Akts geht; solche, bei denen es um<br />

Gründe für den Vollzug des Akts geht; <strong>und</strong> solche, bei denen<br />

eines dieser Elemente in ein anderes eingebettet ist.<br />

Einleitungsbedingung H ist in der Lage, h<br />

zu tun.<br />

Direktiv (Bitte) Kommissiv (Versprechen)<br />

S ist in der Lage, h zu<br />

tun. H will, daß S h<br />

tut.<br />

Aufrichtigkeitsbedin- S will, daß H h tut. S hat vor, h zu tun.<br />

gung<br />

Bedingung des pro- S prädiziert von H<br />

positionalen Gehalts den Vollzug einer<br />

künftigen Handlung<br />

h.<br />

Wesentliche Bedin- Gilt als Versuch von<br />

gung S, H dazu zu bekommen,<br />

h zu tun.<br />

S prädiziert von S den<br />

Vollzug einer künftigen<br />

Handlung h.<br />

Gilt als Ss Übernahme<br />

der Verpflichtung, h zu<br />

Daß H fähig ist, h zu vollziehen (Gruppe 1) ist eine Einleitungsbedingung;<br />

daß S wünscht, daß H h tut (Gruppe 2), ist die<br />

Aufrichtigkeitsbedingung, <strong>und</strong> daß h von H prädiziert wird<br />

(Gruppe 3), ist die Bedingung des propositionalen Gehalts.<br />

Demnach geht es in den Gruppen 1-3 allesamt um Bedingungen<br />

für das Glücken von direktiven illokutionären Akten. Da etwas<br />

tun zu wollen ein Gr<strong>und</strong> par excellence dafür ist, es zu tun, fällt<br />

Gruppe 4 hier mit Gruppe 5 zusammen, denn in beiden geht es<br />

um Gründe für den Vollzug von h. Die sechste Gruppe bildet<br />

hier nur mit unserer fre<strong>und</strong>lichen Genehmigung eine eigene<br />

Klasse, denn es kommt hier ja bloß auf performative Verben oder<br />

solche Bestandteile an, die bereits in den andern beiden Kategorien<br />

(Glückens-Bedingungen <strong>und</strong> Gründe) enthalten sind.<br />

Wenn wir die Fälle mit Einbettung erst einmal beiseite lassen,<br />

ergeben sich angesichts der aufgeführten Glückens-Bedingungen<br />

<strong>und</strong> unserer Satzlisten die folgenden Verallgemeinerungen gewissermaßen<br />

von selbst:<br />

65


VERALLGEMEINERUNG 1: S kann eine Bitte (oder einen andern<br />

Direktiv) dadurch indirekt vollziehen, daß er entweder fragt,<br />

ob eine Einleitungsbedingung, die sich auf Hs Fähigkeit<br />

bezieht, h zu tun, erfüllt ist, oder die Feststellung trifft, daß sie<br />

erfüllt ist.<br />

VERALLGEMEINERUNG 2: S kann einen Direktiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er entweder fragt, ob die Bedingung des<br />

propositionalen Gebalts erfüllt ist, oder die Feststellung trifft,<br />

sie sei erfüllt.<br />

VERALLGEMEINERUNG 3: S kann einen Direktiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er die Feststellung trifft, die Aufrichtigkeitsbedingung<br />

sei erfüllt; er kann es allerdings nicht dadurch, daß er<br />

fragt, ob sie erfüllt ist.<br />

VERALLGEMEINERUNG 4: S kann einen Direktiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er entweder fragt, ob es gute bzw. ausreichende<br />

Gründe für den Vollzug von h gibt, oder die Feststellung trifft,<br />

es gebe solche Gründe. Besteht der Gr<strong>und</strong> allerdings darin, daß<br />

H h tun will, so kann S nur fragen, ob (<strong>und</strong> nicht feststellen,<br />

daß) H h tun will.<br />

Mit diesen Verallgemeinerungen läßt sich erklären, weshalb<br />

zwischen den in den Gruppen 1-6 aufgeführten Sätzen <strong>und</strong> den<br />

direktiven illokutionären Akten eine systematische Beziehung<br />

besteht. Es handelt sich dabei, wohlgemerkt, um Verallgemeinerungen<br />

<strong>und</strong> nicht um Regeln. Die Sprechakt-Regeln (d. h. einige<br />

davon) finden sich in der obigen Aufstellung der Bedingungen für<br />

das Glücken von direktiven <strong>und</strong> kommissiven <strong>Sprechakte</strong>n.<br />

Damit will ich sagen, daß es beispielsweise eine Regel für<br />

Direktive ist, daß ein direktiver Sprechakt nicht in Ordnung ist,<br />

wenn der Hörer nicht in der Lage ist, die vom Sprecher<br />

gewünschte Handlung zu vollziehen, daß es aber gerade keine<br />

Sprechakt- oder Konversationsregel ist, daß ein Direktiv durch<br />

die Frage nach dem Vorliegen der Einleitungsbedingung vollzogen<br />

werden kann. Die theoretische Aufgabe besteht nun darin, zu<br />

zeigen, wie sich diese Verallgemeinerung mit gewissen weiteren<br />

Annahmen (<strong>und</strong> zwar: inhaltlichen Hintergr<strong>und</strong>informationen<br />

<strong>und</strong> den allgemeinen Konversationsprinzipien) aus der Regel<br />

ergibt.<br />

Zunächst müssen wir versuchen, ein Beispiel für eine indirekte<br />

Bitte mit wenigstens dem Maß an Pedanterie zu beschreiben, das<br />

wir bei unserer Beschreibung der Ablehnung eines Vorschlags<br />

66<br />

aufgewandt haben. Nehmen wir einen Fall der einfachsten Art:<br />

Beim Abendessen sagt X zu Y »Kannst du mir das Salz reichen?«<br />

<strong>und</strong> bittet Y damit darum, ihm das Salz zu reichen. Woher weiß Y<br />

nun, daß X ihn ums Salz bittet <strong>und</strong> nicht bloß danach fragt, wie es<br />

um seine Fähigkeit bestellt ist, ihm das Salz zu reichen? Nicht<br />

jede beliebige Äußerung taugt hier zu einer Bitte ums Salz. Wenn<br />

X also gesagt hätte »Salz besteht aus Natriumchlorid« oder »<strong>In</strong><br />

der Tatra gibt es Salzminen«, dann wäre es - ohne eine spezielle<br />

<strong>In</strong>szenierung - sehr unwahrscheinlich, daß Y eine dieser Äußerungen<br />

als eine Bitte ums Salz aufnimmt. - Bei einem normalen<br />

Gespräch braucht Y übrigens keine bewußten Folgerungen anzustellen,<br />

um zu dem Schluß zu gelangen, daß die Äußerung von<br />

»Kannst du mir das Salz reichen?« eine Bitte ums Salz ist. Er hört<br />

das einfach als eine Bitte. Vermutlich macht hauptsächlich dies<br />

die falsche Schlußfolgerung so verlockend, diese Beispiele müßten<br />

irgendwie eine imperativische Rolle in ihrer <strong>Bedeutung</strong><br />

enthalten, sie seien »kontextuell mehrdeutig«, oder dergleichen.<br />

Wir brauchen eine Erklärung, die sich mit den Fakten 1-8 verträgt<br />

<strong>und</strong> doch trotzdem nicht den Fehler enthält, versteckte imperativische<br />

Rollen oder Konversationspostulate zu hypostasieren.<br />

Eine Rekonstruktion, oder eher deren Gerippe, der für Y notwendigen<br />

Schritte, um von der Äußerung zur Schlußfolgerung zu<br />

gelangen, könnte etwa so aussehen:<br />

SCHRITT 1: X hat mir eine Frage des <strong>In</strong>halts gestellt, ob ich die<br />

Fähigkeit besitze, ihm das Salz hinüberzureichen. (Annahme<br />

über das Gespräch)<br />

SCHRITT 2: Er verhält sich im Gespräch kooperativ <strong>und</strong> deshalb<br />

wird seine Äußerung wohl irgendeinen Zweck oder Witz<br />

haben. (Prinzipien der konversationalen Kooperation)<br />

SCHRITT 3: Die Gesprächssituation gibt keinen Anhaltspunkt<br />

dafür, daß er ein theoretisches <strong>In</strong>teresse daran hat, ob ich in der<br />

Lage bin, das Salz hinüberzureichen. (<strong>In</strong>haltliches Hintergr<strong>und</strong>wissen)<br />

SCHRITT 4: Außerdem weiß er vermutlich ohnehin, daß ich dazu<br />

in der Lage bin. (<strong>In</strong>haltliches Hintergr<strong>und</strong>wissen) - (Dieser<br />

Schritt erleichtert den Übergang zu Schritt 5, ist aber nicht<br />

unabdingbar.)<br />

SCHRITT 5: Also ist seine Äußerung vermutlich keine Frage. Sie<br />

hat vermutlich irgendeinen tieferliegenden illokutionären Witz.<br />

(Folgerung aus den Schritten 1, 2, 3 <strong>und</strong> 4) Welchen wohl?<br />

67


SCHRITT 6: Eine Einleitungsbedingung für jeden direktiven<br />

illokutionären Akt ist, daß H die Fähigkeit besitzt, die in der<br />

Bedingung des propositionalen Gehalts prädizierte Handlung<br />

auszuführen. (Sprechakttheorie)<br />

SCHRITT 7: Also hat X mir eine Frage gestellt, deren Bejahung<br />

auch besagt, daß die Einleitungsbedingung für eine an mich<br />

gerichtete Bitte ums Salz erfüllt ist. (Folgerung aus Schritt 1<br />

<strong>und</strong> Schritt 6)<br />

SCHRITT 8: Wir sind gerade beim Abendessen, <strong>und</strong> normalerweise<br />

wird dabei Salz benutzt; man reicht das Salz hin <strong>und</strong> her,<br />

man versucht, andere dazu zu bekommen, es herzureichen,<br />

<strong>und</strong> so weiter. (<strong>In</strong>haltliches Hintergr<strong>und</strong>wissen)<br />

SCHRITT 9: Also hat er auf die Erfüllung einer Einleitungsbedingungfür<br />

eine Bitte angespielt, <strong>und</strong> höchstwahrscheinlich will er,<br />

daß ich die Befolgungsbedingungen dieser Bitte erfülle. (Folgerung<br />

aus Schritt 7 <strong>und</strong> Schritt 8)<br />

SCHRITT 10: Also - wo ja kein anderer plausibler illokutionärer<br />

Witz in Sicht ist - bittet er mich wahrscheinlich darum, ihm das<br />

Salz zu reichen. (Folgerung aus Schritt 5 <strong>und</strong> Schritt 9)<br />

Meine Hypothese in diesem Kapitel ist, daß sich alle Fälle in<br />

ähnlicher Weise analysieren lassen. > Der Gr<strong>und</strong> dafür, daß ich<br />

dich mit »Kannst du mir das Salz reichen?«, aber nicht mit »Salz<br />

besteht aus Natriumchlorid« oder »<strong>In</strong> der Tatra gibt es Salzminen«<br />

ums Salz bitten kann, ist gemäß meiner Analyse folgender:<br />

Daß du mir das Salz reichen kannst - worum es im ersten Satz<br />

geht -, ist eine Einleitungsbedingung für die Bitte ums Salz; die<br />

andern beiden Sätze haben keine derartige Beziehung zu einer<br />

Bitte ums Salz. Diese Antwort reicht aber offensichtlich allein<br />

noch nicht aus, denn es ist ja nicht jede Frage nach den<br />

Fähigkeiten des Hörers eine Bitte. Und daher muß der Hörer auf<br />

irgendeinem Weg dahinterkommen, wann die Äußerung bloß<br />

eine Frage nach seinen Fähigkeiten ist, <strong>und</strong> wann sie eine Bitte ist,<br />

die mittels einer Frage nach seinen Fähigkeiten vorgebracht wird.<br />

Genau hier kommen die allgemeinen Konversations-Prinzipien<br />

(zusammen mit dem inhaltlichen Hintergr<strong>und</strong>wissen) ins<br />

Spiel.<br />

Zwei Merkmale sind hier entscheidend - jedenfalls ist das meine<br />

These: Erstens eine Strategie, mit der man dahinterkommt, daß es<br />

über den in der <strong>Bedeutung</strong> des Satzes enthaltenen illokutionären<br />

Witz hinaus noch einen tieferliegenden illokutionären Witz gibt;<br />

68<br />

<strong>und</strong> zweitens etwas, womit man diesen tieferliegenden illokutionären<br />

Witz herausbekommt. Hinter das erste kommt man mit<br />

den Konversations-Prinzipien, wenn sie auf das (dem Hörer <strong>und</strong><br />

Sprecher zur Verfügung stehende) Wissen angewandt werden;<br />

der tieferliegende illokutionäre Witz wird mit der Sprechakttheorie<br />

aus dem Hintergr<strong>und</strong>wissen gefolgert. Die Verallgemeinerungen<br />

sind damit zu erklären, daß sie jeweils eine Strategie<br />

wiedergeben, mit der der Hörer bei einem gegebenen sek<strong>und</strong>ären<br />

illokutionären Witz den primären herausfindet.<br />

Höflichkeit ist das wesentliche - wenn auch nicht einzige - Motiv<br />

für die Benutzung dieser indirekten Formen. Übrigens ist die<br />

»Kannst du«-Form im gerade behandelten Beispiel in wenigstens<br />

zweierlei Hinsicht höflich. Erstens beansprucht X nicht, zu<br />

wissen, was Y kann <strong>und</strong> was er nicht kann - mit der Äußerung<br />

eines Imperativ-Satzes würde er dies allerdings beanspruchen.<br />

Und zweitens läßt diese Form - zumindest dem Anschein nach -<br />

Y die Wahl: Er kann ablehnen, da eine Ja-Nein-Frage die<br />

Antwort »Nein« zuläßt. Dem in der Äußerung zum <strong>Ausdruck</strong><br />

gebrachten Wunsch nachzukommen, wirkt dadurch eher wie eine<br />

freie Handlung <strong>und</strong> nicht so sehr wie die Befolgung eines<br />

Befehls. 6<br />

Einige Probleme<br />

Es verdient, nachdrücklich betont zu werden, daß ich die in<br />

diesem Kapitel vertretene These nicht im mindesten bewiesen<br />

habe. Bislang habe ich nur ein Analysemuster vorgeschlagen, das<br />

sich mit den Fakten verträgt. Selbst wenn sich dieses Analysemuster<br />

als in vielen weiteren Fällen erfolgreich erweisen ließe,<br />

bleiben doch immer noch verschiedene Probleme bestehen:<br />

Problem 1: Das größte Einzelproblem bei der gerade vorgestellten<br />

Analyse ist dies: Falls, wie ich ausgeführt habe, die Funktionsmechanismen<br />

(des Meinens <strong>und</strong> Verstehens) von indirekten<br />

<strong>Sprechakte</strong>n vollkommen allgemein sind - mit Sprechakttheorie,<br />

Prinzipien der kooperativen Konversation <strong>und</strong> gemeinsamem<br />

Hintergr<strong>und</strong>wissen zu tun haben - <strong>und</strong> nicht an irgendwelche<br />

speziellen syntaktischen Formen geb<strong>und</strong>en sind, warum geht es<br />

dann mit einigen syntaktischen Formen besser als mit andern?<br />

69


Warum kann ich dich mit der Äußerung von »Kannst du mir das<br />

Buch aus dem obersten Regal geben?« um etwas bitten, aber nicht<br />

- oder wenigstens doch nicht sonderlich leicht - mit der Äußerung<br />

von »Ist es der Fall, daß du gegenwärtig die Fähigkeit<br />

besitzt, mir das Buch vom obersten Regal zu geben?«. Selbst mit<br />

Paaren wie den folgenden:<br />

Möchtest du h tun?<br />

Wünschst du, h zu tun?<br />

Kannst du h tun?<br />

Bist du fähig, h zu tun?<br />

besteht deutlich ein Unterschied im indirekten illokutionären<br />

Akt-Potential. Beispielsweise paßt ein »bitte« besser zum jeweils<br />

ersten als zum jeweils zweiten. Selbst wenn man zugesteht, daß es<br />

sich jeweils nicht um vollständig, bedeutungsgleiche Sätze handelt,<br />

<strong>und</strong> daß sie sich allesamt in der einen oder andern Weise als<br />

indirekte Bitten verwenden lassen, ist es dennoch wesentlich, die<br />

Unterschiede in ihrem illokutionären Akt-Potential zu erklären.<br />

Kurz: Wie kann es sein, daß einige Sätze zwar keine Imperativ-<br />

Idiome sind, aber dennoch als Formen idiomatischer Bitten<br />

funktionieren?<br />

Der erste Teil der Antwort geht so: Die Sprechakttheorie <strong>und</strong> die<br />

Prinzipien der konversationalen Kooperation geben in der Tat<br />

einen Rahmen ab, innerhalb dessen illokutionäre Akte gemeint<br />

<strong>und</strong> verstanden werden können. <strong>In</strong>nerhalb dieses Rahmens etablieren<br />

sich jedoch gewisse Formen gerne konventional als die<br />

regulären idiomatischen Formen für indirekte <strong>Sprechakte</strong>. Sie<br />

behalten zwar ihre wörtlichen <strong>Bedeutung</strong>en bei, erlangen aber<br />

auch einen konventionalen Gebrauch, beispielsweise als höfliche<br />

Form der Bitte.<br />

Es ist, wie ich hoffe, inzwischen unstrittig, daß eine Unterscheidung<br />

zwischen <strong>Bedeutung</strong> <strong>und</strong> Gebrauch gemacht werden muß.<br />

Nicht so verbreitet ist allerdings die Einsicht, daß Gebrauchskonventionen<br />

nicht unbedingt <strong>Bedeutung</strong>skonventionen sein müssen.<br />

»Kannst du«, »Könntest du«, »Ich möchte, daß du« <strong>und</strong><br />

zahlreiche andere Formen sind, wie ich nahelegen möchte,<br />

konventionale Mittel des Bittens (<strong>und</strong> in diesem Sinn ist es nicht<br />

falsch, sie »Idiome« zu nennen), doch zugleich haben sie keine<br />

imperativische <strong>Bedeutung</strong> (<strong>und</strong> in diesem Sinne wäre es inkor-<br />

70<br />

rekt, sie »Idiome« zu nennen). Das Motiv für <strong>In</strong>direktheit bei<br />

Bitten ist vornehmlich Höflichkeit, <strong>und</strong> gewisse Formen neigen<br />

ganz von selbst dazu, konventionale Mittel zu werden, mit denen<br />

man indirekte Bitten höflich äußert.<br />

Falls diese Erklärung richtig ist, wäre sie ein erster Schritt in<br />

Richtung auf eine Erklärung dafür, warum die Formen für<br />

indirekte <strong>Sprechakte</strong> von Sprache zu Sprache verschieden sind.<br />

Zwar sind die Mechanismen keine Eigenheit dieser oder jener<br />

Sprache, doch werden die Standardformen bei der Übersetzung<br />

nicht immer ihr indirektes Sprechakt-Potential behalten. So<br />

funktioniert »Kannst du mir das Buch da geben?« im Deutschen<br />

als indirekte Bitte, aber seine Übersetzung ins Tschechische<br />

»Můžete mi podat tu Knížku?« klänge sehr komisch, wenn man<br />

es im Tschechischen als Bitte äußerte.<br />

Ein zweiter Teil der Antwort geht so: Um für den Vollzug eines<br />

indirekten Sprechakts plausiblerweise in Frage zu kommen, muß<br />

ein Satz zunächst einmal idiomatisch sein. Es lassen sich leicht<br />

Umstände vorstellen, in denen mit »Bist du in der Lage, an das<br />

Buch im obersten Regal heranzukommen?« eine Bitte geäußert<br />

werden könnte. Viel schwieriger ist es hingegen, sich Fälle<br />

auszumalen, in denen »Ist es der Fall, daß du gegenwärtig die<br />

Fähigkeit besitzt, an das Buch im obersten Regal heranzukommen?«<br />

genauso benutzt werden könnte. Warum? Die Erklärung<br />

dafür könnte meines Erachtens von einer weiteren Konversationsmaxime<br />

kommen, in der es um idiomatisches Reden geht.<br />

Wird nicht-idiomatisch gesprochen, so unterstellt der Hörer im<br />

allgemeinen, daß es dafür einen besonderen Gr<strong>und</strong> gibt, <strong>und</strong><br />

mithin sind verschiedene Voraussetzungen, die bei normalem<br />

Reden gemacht werden, außer Kraft gesetzt. Wenn ich beispielsweise<br />

altertümelnd sage »Kennest du den, des Name Richard<br />

Nixon ist?«, wirst du darauf vermutlich nicht wie auf eine<br />

Äußerung von »Kennst du Richard Nixon?« reagieren.<br />

Neben der von Grice vorgeschlagenen Konversationsmaxime<br />

scheint es eine weitere zu geben, die sich vielleicht so ausdrücken<br />

läßt: »Sprich idiomatisch, es sei denn, es spricht etwas dagegen«. 7<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> sind die normalerweise bei einem Gespräch<br />

gemachten Annahmen, aufgr<strong>und</strong> deren indirekte <strong>Sprechakte</strong><br />

möglich sind, bei nicht-idiomatischen Fällen weitgehend außer<br />

Kraft.<br />

Die Antwort auf Problem 1 besteht demnach aus zwei Teilen.


Um überhaupt ein plausibler Kandidat für den Vollzug eines<br />

indirekten Sprechakts zu sein, muß ein Satz idiomatisch sein. Bei<br />

den idiomatischen Sätzen gibt es einige Formen, die sich beson<strong>ders</strong><br />

gern als konventionale Mittel zum Vollzug indirekter<br />

<strong>Sprechakte</strong> einbürgern. Bei den Direktiven, wo Höflichkeit das<br />

Hauptmotiv für <strong>In</strong>direktheit ist, haben gewisse Formen einen<br />

konventionalen Gebrauch als höfliche Bitten. Was für Formen<br />

ausgesucht werden, ist sehr wahrscheinlich von Sprache zu<br />

Sprache verschieden.<br />

Problem 2: Warum besteht eine Asymmetrie zwischen der<br />

Aufrichtigkeitsbedingung <strong>und</strong> den andern Bedingungen? Man<br />

kann ja eine indirekte Bitte nur dadurch äußern, daß man<br />

behauptet, eine Aufrichtigkeitsbedingung sei erfüllt - aber nicht<br />

dadurch, daß man danach fragt, ob sie erfüllt ist. Hingegen kann<br />

man indirekte Direktive auf zweierlei Art vollziehen: Man kann<br />

behaupten, daß die Bedingungen des propositionalen Gehalts <strong>und</strong><br />

die Einleitungsbedingungen erfüllt sind, <strong>und</strong> man kann danach<br />

fragen, ob sie es sind.<br />

So kann man mit »Ich möchte, daß du es tust« eine Bitte äußern,<br />

aber nicht mit »Möchte ich, daß du es tust?«. <strong>In</strong> den ersten Satz<br />

paßt ein »bitte« hinein, in den zweiten nicht. Eine ähnliche<br />

Asymmetrie tritt bei den Fällen auf, wo es um Gründe geht:<br />

»Willst du uns mal allein lassen?« kann eine Bitte sein, »Du willst<br />

uns mal allein lassen« hingegen nicht. Wiederum paßt in den<br />

ersten Satz ein »bitte«, <strong>und</strong> in den zweiten nicht. Wie ist das zu<br />

erklären?<br />

Die Antwort ist meines Erachtens, daß es normalerweise seltsam<br />

ist, andere Leute danach zu fragen, ob man sich selbst in gewissen<br />

elementaren psychischen Zuständen befindet, wie es auch seltsam<br />

ist, andern Leuten zu sagen, daß sie sich in elementaren psychischen<br />

Zuständen befinden. Normalerweise kann ich immer besser<br />

beurteilen als du, was ich will, glaube, beabsichtige <strong>und</strong> so weiter;<br />

<strong>und</strong> normalerweise kann ich nie so gut beurteilen wie du, was du<br />

willst, glaubst, beabsichtigst <strong>und</strong> so weiter. Deshalb ist es im<br />

allgemeinen seltsam, wenn ich dich frage, in welchen Zuständen<br />

ich mich befinde, oder dir sage, in welchen du dich befindest. Wir<br />

werden gleich sehen, daß diese Asymmetrie sich auch auf den<br />

indirekten Vollzug anderer Sprechakt-Typen erstreckt.<br />

72<br />

Problem 3: Obwohl dieses Kapitel nicht als eines über englische<br />

Syntax gemeint ist, sind einige Sätze interessant genug, um eigens<br />

kommentiert zu werden. Selbst wenn sich herausstellen sollte,<br />

daß es sich bei diesen besonderen Fällen in Wirklichkeit um<br />

Imperativ-Idiome handelt, wie dies bei »How about.. .?« (»Wie<br />

wär's mit...?«) der Fall ist, so würde dies an den Gr<strong>und</strong>zügen<br />

meiner Argumentation nichts ändern; dadurch würden einfach<br />

einige Beispiele aus der Klasse der indirekten <strong>Sprechakte</strong> heraus<br />

in die Klasse der Imperativ-Idiome hineinverschoben.<br />

Eine interessante Form ist »Why not plus verb« (»Warum nicht<br />

plus Verb), wie in »Why not stop here?« (»Warum nicht hier<br />

aufhören?«). An<strong>ders</strong> als »Why don't you . . .?« (»Warum . . .<br />

du/ihr nicht (. . .)?«) hat diese Form viele syntaktische Restriktionen<br />

mit Imperativsätzen gemeinsam. Beispielsweise verlangt sie<br />

ein Verbum, das eine willentliche Handlung bezeichnet. So kann<br />

man nicht sagen »*Why not resemble your grandmother?«<br />

(»*Warum nicht deiner Großmutter ähneln?«), es sei denn, man<br />

ist der Ansicht, man könne mit einer willentlichen Handlung<br />

jemandem ähneln. Hingegen kann man sagen »Why not imitate<br />

your grandmother?« (»Warum nicht deine Großmutter imitieren?«)<br />

Zudem verlangt diese Form, wie Imperativsätze, ein<br />

Reflexivum, wenn sie ein direktes Objekt in der 2. Person hat,<br />

also beispielsweise »Why not wash yourself?« (»Warum nicht<br />

dich [selbst] waschen?«). Ist das schon ein Beweis dafür, daß die<br />

»Why not...?«- (<strong>und</strong> die »Why ...?«-) Formen imperativische<br />

<strong>Bedeutung</strong> haben? Ich denke nein. Nach meinem Ansatz<br />

funktioniert eine Äußerung von »Why not. . .?« so: Wer fragt<br />

»Why not stop here?«, um damit vorzuschlagen, hier aufzuhören,<br />

fordert damit den Hörer heraus, Gründe dafür zu liefern, daß<br />

etwas unterlassen wird. Dabei wird stillschweigend die Annahme<br />

gemacht, das Fehlen von Gründen dafür, etwas zu unterlassen, sei<br />

selbst ein Gr<strong>und</strong> dafür, es zu tun. Der Vorschlag, es zu tun, wird<br />

demnach indirekt gemacht - entsprechend der Verallgemeinerung:<br />

Wer einen Gr<strong>und</strong> dafür durchblicken läßt, etwas zu tun,<br />

vollzieht damit einen indirekten Direktiv, es zu tun. Diese<br />

Analyse wird durch mehrerlei gestützt, Erstens kann diese Form,<br />

wie wir bereits gesehen haben, wörtlich geäußert werden, ohne<br />

daß sie ein Vorschlag ist; zweitens kann man auf den Vorschlag<br />

eine Reaktion zeigen, die zur wörtlichen Äußerung paßt: beispielsweise<br />

»Nun, es gibt verschiedene Gründe dafür, hier nicht<br />

73


aufzuhören. Erstens . . .«, <strong>und</strong> drittens kann man über eine<br />

derartige Äußerung so berichten: »He asked me why we<br />

shouldn't stop there« (»Er fragte mich, warum wir dort nicht<br />

aufhören sollten«), <strong>und</strong> dabei werden ja keinerlei direktive<br />

illokutionäre Rollen erwähnt. Und hier reicht das Vorkommen<br />

des praktischen »should« bzw. »ought« (es ist nicht das theoretische<br />

»should« bzw. »ought«) aus, um zu erklären, warum ein<br />

Verbum vonnöten ist, das eine willentliche Handlung bezeichnet.<br />

Andere Beispiele, die Schwierigkeiten bereiten, kommen durch<br />

das Auftreten von »would« <strong>und</strong> »could« bei indirekten <strong>Sprechakte</strong>n.<br />

Betrachten wir beispielsweise Äußerungen von »Would you<br />

pass me the salt?« (»Würdest du mir das Salz reichen?«) <strong>und</strong><br />

»Could you hand me that book?« (»Könntest du mir das Buch da<br />

geben?«). Es ist nicht leicht, diese Formen zu analysieren <strong>und</strong> zu<br />

beschreiben, wie sie sich nun genau in ihrer <strong>Bedeutung</strong> von »Will<br />

you pass me the salt?« (»Willst/Wirst du mir das Salz reichen?«)<br />

<strong>und</strong> »Can you hand me that book?« (»Kannst du mir das Buch da<br />

geben?«) unterscheiden. Wo beispielsweise sollen wir den »if«-<br />

Satz (den »Wenn«-Satz) finden, der - wie uns manchmal gesagt<br />

wird - von der sogenannten Konjunktiv-Verwendung dieser<br />

Ausdrücke verlangt wird? Angenommen wir nehmen für diesen<br />

»if«-Satz: »If I asked you to« (»Wenn ich dich darum bäte«).<br />

Dann wäre »Would you pass me the salt?« eine Kurzform für<br />

»Would you pass me the salt if I asked you to?« (»Würdest du<br />

mir das Salz reichen, wenn ich dich darum bäte?«).<br />

Dieser Ansatz hat wenigstens zwei Schwierigkeiten. Erstens<br />

scheint er für »could« nicht im mindesten plausibel, denn deine<br />

Fähigkeiten <strong>und</strong> Möglichkeiten hängen nicht im mindesten davon<br />

ab, worum ich dich bitte. Doch zweitens ist er selbst für »would«<br />

unbefriedigend, denn »Would you pass me the salt if I asked you<br />

to?« hat nicht dasselbe indirekte illokutionäre Akt-Potential wie<br />

das einfache »Would you pass me the salt?«. Beide Formen lassen<br />

sich ganz klar als indirekte Direktive verwenden, aber es ist<br />

genauso klar, daß sie nicht äquivalent sind. Zudem unterscheiden<br />

sich die Fälle, die wir betrachtet haben, offenbar ganz <strong>und</strong> gar von<br />

Fällen, in denen <strong>In</strong>terrogativformen mit »Would« <strong>und</strong> »Could«<br />

tatsächlich nicht-indirekt verwandt werden, wie beispielsweise:<br />

»Would you vote for a Democrat?« (»Würdest du für einen<br />

Demokraten stimmen?«) oder »Could you marry a radical?«<br />

74<br />

(»Könntest du einen Radikalen heiraten?«). Man beachte beispielsweise,<br />

daß man darauf völlig passend so reagieren könnte:<br />

»Unter welchen Bedingungen?« oder »Das kommt auf die Situation<br />

an«. Aber diese Reaktionen würden kaum auf eine Äußerung<br />

von »Would you pass me the salt?« passen, zumindest nicht bei<br />

der Szene zu Tisch, die wir uns oben vorgestellt haben.<br />

»Could« läßt sich anscheinend durch »would« <strong>und</strong> Möglichkeit<br />

bzw. Fähigkeit analysieren. So bedeutet »Could you marry a<br />

radical?« etwa dasselbe wie »Would it be possible for you to<br />

marry a radical? (»Wäre es dir möglich, einen Radikalen zu<br />

heiraten?«). »Would« läßt sich wie »will« traditionsgemäß entweder<br />

als <strong>Ausdruck</strong> eines Wunschs oder als Hilfsverb im Futur<br />

analysieren.<br />

Die Schwierigkeit mit diesen Formen ist wohl nur ein Spezialfall<br />

der allgemeinen Schwierigkeit mit dem Wesen des Konjunktivs<br />

<strong>und</strong> weist nicht unbedingt auf eine imperativische <strong>Bedeutung</strong> hin.<br />

Falls wir annehmen, daß »would« <strong>und</strong> »could« eine imperativische<br />

<strong>Bedeutung</strong> haben, dann sind wir wohl auch zu der Annahme<br />

gezwungen, daß sie zusätzlich auch noch eine kommissivische<br />

<strong>Bedeutung</strong> haben, denn »Could I be of assistance?« (»Könnte ich<br />

behilflich sein?«) <strong>und</strong> »Would you like some more wine?«<br />

(»Möchtest du vielleicht noch etwas Wein?«) sind normalerweise<br />

Angebote. Mir kommt dieses Ergebnis unplausibel vor, denn es<br />

bedeutet eine unnötige Vermehrung von <strong>Bedeutung</strong>en. Es verstößt<br />

gegen Ockhams Prinzip, in seiner Anwendung auf Begriffe.<br />

Es ist ökonomischer, anzunehmen, daß »could« <strong>und</strong> »would« in<br />

»Could you pass me the salt?«, »Could I be of assistance?«,<br />

»Would you stop making that noise?« (»Würdest du mit diesem<br />

Krach aufhören?«) <strong>und</strong> »Would you like some more wine?«<br />

jeweils dieselbe <strong>Bedeutung</strong> haben. Eine wirklich befriedigende<br />

Analyse dieser Formen bedarf allerdings noch einer befriedigenden<br />

Analyse des Konjunktivs. Die plausibelste Analyse der<br />

Formen indirekter Bitten ist, daß es sich bei dem unterdrückten<br />

»if«-Satz um das höfliche »if you please« (»wenn du magst«) oder<br />

»if you will« (»wenn du willst«) handelt.<br />

75


Erweiterung der Analyse<br />

Ich möchte dieses Kapitel damit beschließen, daß ich zeige, daß<br />

der darin vorgeschlagene Ansatz auch bei andern Arten der<br />

<strong>In</strong>direktheit funktioniert, <strong>und</strong> nicht bloß bei Direktiven. Auf der<br />

Hand liegende Beispiele, die in der Literatur häufig erwähnt<br />

werden, kommen von den Aufrichtigkeitsbedingungen. Im allgemeinen<br />

läßt sich jeder beliebige illokutionäre Akt dadurch vollziehen,<br />

daß man behauptet, daß (aber nicht dadurch, daß man<br />

fragt, ob) die Aufrichtigkeitsbedingung für diesen Akt erfüllt ist.<br />

Ein paar Beispiele:<br />

Es tut mir leid, daß ich das getan habe. (Entschuldigung)<br />

Ich nehme an/glaube, er ist nebenan. (Behauptung)<br />

Ich freue mich so, daß du gewonnen hast. (Gratulation)<br />

Das nächste Mal will ich mir mehr Mühe geben, Trainer.<br />

(Versprechen)<br />

Ich bin dir für deine Hilfe dankbar. (Dank)<br />

Die reichste F<strong>und</strong>grube für Beispiele außer Direktiven geben<br />

meines Erachtens allerdings die Kommissive ab, <strong>und</strong> eine Untersuchung<br />

von Beispielen für Sätze, die zum Vollzug indirekter<br />

Kommissive (insbesondere Angebote <strong>und</strong> Versprechen) benutzt<br />

werden, weist die weitestgehend selben Muster auf, die wir bei<br />

der Untersuchung der Direktive bereits gef<strong>und</strong>en haben. Betrachten<br />

wir die folgenden Sätze, mit deren Äußerung jeweils ein<br />

indirektes Angebot (bzw. in manchen Fällen ein Versprechen)<br />

gemacht werden kann.<br />

1. Sätze, in denen es um die Einleitungsbedingungen geht:<br />

A. insonderheit darum, daß S in der Lage ist, die Handlung<br />

zu vollziehen:<br />

Kann ich dir helfen?<br />

Das kann ich für dich machen.<br />

Ich könnte es für dich bekommen.<br />

Könnte ich dir behilflich sein?<br />

B. insonderheit darum, daß H will, daß S die Handlung<br />

vollzieht:<br />

Möchtest du, daß ich dir helfe?<br />

Willst du, daß ich jetzt gehe, Sally?<br />

Wär's dir nicht recht, wenn ich das nächste Mal ein<br />

bißchen mehr mitbringe?<br />

Wär's dir lieber, ich käme am Dienstag?<br />

76<br />

II. Sätze, in denen es um die Aufrichtigkeitsbedingung geht:<br />

Ich habe vor, es für dich zu tun.<br />

Ich habe mir vorgenommen, es in der nächsten Woche für<br />

dich zu reparieren.<br />

III. Sätze, in denen es um die Bedingung des propositionalen<br />

Gehalts geht:<br />

Ich werde es für dich tun.<br />

Ich gebe es dir, wenn du nächstes Mal vorbeikommst.<br />

Soll ich dir das Geld jetzt geben?<br />

IV. Sätze, in denen es darum geht, daß S h tun will bzw. zu tun<br />

bereit ist:<br />

Ich möchte dir helfen, wo ich nur kann.<br />

Ich wäre willens, es zu tun (falls du dies willst).<br />

V. Sätze, in denen es um (andere) Gründe dafür geht, daß S h<br />

tut:<br />

Ich lasse euch jetzt wohl besser allein.<br />

Wäre es nicht besser, wenn ich dir ein bißchen helfen<br />

würde?<br />

Du brauchst meine Hilfe, Cynthia.<br />

Was vorhin über die elementaren psychischen Zustände gesagt<br />

worden ist, trifft auch hier zu: <strong><strong>In</strong>direkte</strong> illokutionäre Akte lassen<br />

sich dadurch vollziehen, daß man Behauptungen über die eigenen<br />

psychischen Zustände aufstellt, aber nicht dadurch, daß man<br />

Fragen über sie stellt. Und sie lassen sich dadurch vollziehen, daß<br />

man fragt, ob beim Hörer gewisse psychische Zustände vorliegen,<br />

aber nicht dadurch, daß man dies behauptet.<br />

Mithin kann man mit »Willst du, daß ich gehe?« zu gehen<br />

anbieten, aber nicht mit »Du willst, daß ich gehe«. (Obwohl das<br />

geht, wenn man mit einem Anhängsel eine Frage daraus macht:<br />

»Du willst, daß ich gehe, nicht wahr?«.) Entsprechend kann man<br />

mit »Ich helfe dir gerne aus« Hilfe anbieten, aber nicht mit »Helfe<br />

ich dir gerne aus?«.<br />

Unter den indirekten Kommissiven finden sich auch sehr viele<br />

Konditionalsätze:<br />

Falls du noch etwas wissen willst, brauchst du mir das bloß zu<br />

sagen.<br />

Wenn ich dir helfen kann, würde ich das sehr gerne tun.<br />

Falls du irgend etwas brauchst, ruf mich im Büro an.<br />

Bei diesen Konditionalsätzen geht es im Bedingungssatz entweder<br />

um eine Einleitungsbedingung oder um das Vorliegen eines<br />

77


Gr<strong>und</strong>es dafür, h zu tun, wie bei »Wenn es für mich besser wäre,<br />

erst am Mittwoch zu kommen, brauchst du mir das bloß zu<br />

sagen«. Neben den Konditionalsätzen gibt es auch noch Fälle<br />

verschachtelter <strong>In</strong>direktheit. So kann man beispielsweise mit »Ich<br />

denke, ich sollte dir aushelfen« dadurch ein indirektes Angebot<br />

machen, daß man eine indirekte Feststellung trifft. Diese<br />

Beispiele legen folgende zusätzliche Verallgemeinerungen nahe:<br />

VERALLGEMEINERUNG 5: S kann einen Kommissiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er fragt, ob - oder feststellt, daß - die<br />

Einleitungsbedingung erfüllt ist, in der es darum geht, daß er in<br />

der Lage ist, h zu tun.<br />

VERALLGEMEINERUNG 6: S kann einen Kommissiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er fragt, ob die Vorbereitungsbedingung<br />

erfüllt ist, in der es darum geht, daß H will, daß S h tut. Er<br />

kann es allerdings nicht dadurch, daß er das Erfülltsein dieser<br />

Bedingung behauptet.<br />

VERALLGEMEINERUNG 7: S kann einen Kommissiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er feststellt, die Bedingung des propositionalen<br />

Gehalts sei erfüllt. Bei manchen Formen geht es auch mit<br />

einer Frage nach dem Erfülltsein dieser Bedingung.<br />

VERALLGEMEINERUNG 8: S kann einen Kommissiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er die Feststellung trifft, die Aufrichtigkeitsbedingung<br />

sei erfüllt; er kann es allerdings nicht dadurch,<br />

daß er fragt, ob sie erfüllt ist.<br />

VERALLGEMEINERUNG 9: S kann einen Kommissiv dadurch indirekt<br />

vollziehen, daß er entweder die Feststellung trifft, es gebe<br />

gute bzw. ausreichend Gründe für den Vollzug von h, oder<br />

fragt, ob es solche Gründe gibt. Besteht der Gr<strong>und</strong> allerdings<br />

darin, daß S h tun will, so kann er nur die Feststellung treffen,<br />

daß (aber nicht fragen, ob) er h tun will.<br />

Zum Abschluß dieses Kapitels möchte ich hervorheben, daß mein<br />

Ansatz in keines der üblichen Erklärungsparadigmen paßt. Als<br />

Paradigma in der Philosophie galt normalerweise die Angabe<br />

einer Menge von logisch notwendigen <strong>und</strong> hinreichenden Bedingungen<br />

für das zu erklärende Phänomen; bei den Linguisten war<br />

es eine Menge von Struktur-Regeln, aus denen sich das zu<br />

erklärende Phänomen erzeugen läßt. Es fällt mir schwer, eines<br />

dieser beiden Paradigmata dem vorliegenden Problem für angemessen<br />

zu halten. Dieses Problem scheint mir eine gewisse<br />

Ähnlichkeit mit solchen Problemen bei der erkenntnistheoreti-<br />

78<br />

schen Analyse der Wahrnehmung zu haben, wo eine Erklärung<br />

dafür gesucht wird, wie ein Wahrnehmungssubjekt trotz eigentlich<br />

unvollkommener Sinnesreize einen Gegenstand erkennt.<br />

Vielleicht gleicht die Frage »Woher weiß ich, daß er mich darum<br />

gebeten hat, wo er mich eigentlich doch nur gefragt hat, ob ich es<br />

tun kann?« der Frage: »Woher weiß ich, daß es ein Auto war, wo<br />

ich doch eigentlich bloß etwas Helles wahrgenommen habe, das<br />

an mir vorbeisauste?«. Wenn dem so ist, mag die Antwort auf<br />

unser Problem weder lauten: »Ich habe Axiome, aus denen sich<br />

herleiten läßt, daß er eine Bitte geäußert hat«, noch: »Ich habe<br />

syntaktische Regeln, die ein imperativische Tiefenstruktur für<br />

den von ihm geäußerten Satz erzeugen«.


Anmerkungen<br />

Einführung<br />

1 <strong>In</strong> der ursprünglichen Veröffentlichung habe ich noch den <strong>Ausdruck</strong><br />

»Repräsentativ« benutzt. Doch inzwischen ziehe ich »Assertiv« vor, da<br />

ja jeder Sprechakt, der einen propositionalen Gehalt hat, in irgendeinem<br />

Sinn eine Repräsentation ist.<br />

2 Natürlich behaupte ich nicht, jede einzelne der etwa 2000 natürlichen<br />

Sprachen, die es auf der Welt gibt, besitze die syntaktischen Mittel, mit<br />

denen sich diese fünf Typen allesamt zum <strong>Ausdruck</strong> bringen lassen.<br />

Soweit ich weiß, spricht nichts dagegen, daß es Sprachen gibt, in denen<br />

sich keine syntaktischen Mittel beispielsweise für den Kommissiv<br />

entwickelt haben.<br />

<strong><strong>In</strong>direkte</strong> <strong>Sprechakte</strong><br />

1 Zur Klasse der »direktiven« illokutionären Akte gehört das Befehlen,<br />

Anordnen, Auffordern, Plädieren, Bitten, Beten, Erbitten, Anweisen,<br />

Verbieten <strong>und</strong> anderes mehr. Siehe Searle (1975a, Kap. 1 dieses Bands)<br />

zu einer Erklärung dieses Begriffs.<br />

2 Zu einer Erklärung des Begriffs »illokutionärer Witz« <strong>und</strong> seiner<br />

Beziehung zur illokutionären Rolle s. Searle (1975a, Kap. 1 dieses<br />

Bands).<br />

3 Im folgenden verwende ich die Buchstaben H, S <strong>und</strong> h als Abkürzungen<br />

für »Hörer«, »Sprecher« <strong>und</strong> »Handlung«.<br />

4 Diese Form gehört auch in Gruppe 2.<br />

5 Allerdings gibt es in dieser Branche auch ein paar Idiome, wie<br />

beispielsweise »Wie wär's mit.. .«, wenn dies in Vorschlägen <strong>und</strong><br />

Aufforderungen verwandt wird: »Wie wär's mit einem Film heute<br />

abend?«, »Wie wär's mit einem Bier für mich?«.<br />

6 Für Diskussionen zu diesem Punkt bin ich Dorothea Franck zu Dank<br />

verpflichtet.<br />

7 Diese Maxime ließe sich auch als Erweiterung der Griceschen Kategorie<br />

der Modalität auffassen.<br />

Der logische Status fiktionalen Diskurses<br />

i Zu einem Versuch, eine Theorie dieser Beziehungen auszuarbeiten, s.<br />

Searle (1969, insbes. Kap. 3-5).<br />

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