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Fillmore, Charles: Ansätze zu einer Theorie der Deixis. in Ferenc ...

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<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong>*<br />

1.<br />

<strong>Deixis</strong> 1 ist die Bezeichnung für solche formalen Eigenschaften von Äußerungen,<br />

die durch bestimmte Aspekte des Kommunikationsaktes, <strong>in</strong> denen die betreffenden<br />

Äußerungen e<strong>in</strong>e Rolle spielen, bestimmt werden und die aufgrund<br />

<strong>der</strong> Kenntnis dieser Aspekte <strong>in</strong>terpretiert werden. Die Aspekte von Kommunikationsakten,<br />

die traditionell unter dieser Bezeichnung behandelt werden, s<strong>in</strong>d:<br />

(i) die Identität <strong>der</strong> Gesprächspartner, d.h. Personaldeixis; (ii) die Zeit, <strong>zu</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Kommunikationsakt stattf<strong>in</strong>det, d.h. Zeitdeixis; und (iii) die räumliche(n)<br />

Situierung(en) <strong>der</strong> Gesprächspartner <strong>zu</strong>r Zeit des Kommunikationsaktes, d.h.<br />

Ortsdeixis. Die auffälligsten Ersche<strong>in</strong>ungen deiktischer Kategorien <strong>in</strong> Sprachen<br />

f<strong>in</strong>den sich <strong>in</strong> den Systemen <strong>der</strong> Pronom<strong>in</strong>a, Demonstrativa und Tempora.<br />

E<strong>in</strong>e umfassen<strong>der</strong>e und erweiterte Beschreibung <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> natürlicher Sprachen<br />

kann dadurch erreicht werden, daß man <strong>zu</strong> <strong>der</strong> traditionellen Aufzählung<br />

D<strong>in</strong>ge h<strong>in</strong><strong>zu</strong>fügt wie: (iv)Rededeixis, durch die e<strong>in</strong> Gesprächspartner sich auf<br />

e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> gerade verlaufenden Rede bezieht; und (v) Ausdrücke, die die<br />

sozialen Beziehungen wi<strong>der</strong>spiegeln, die <strong>der</strong> Sprecher zwischen den Gesprächspartnern<br />

annimmt; beson<strong>der</strong>s die, die <strong>in</strong> Systemen ehrenbezeugen<strong>der</strong> o<strong>der</strong> ehrerbietiger<br />

Redeweise kodifiziert s<strong>in</strong>d.<br />

E<strong>in</strong>e soziol<strong>in</strong>guistisch <strong>in</strong>terpretierte Beschreibung deiktischer Merkmale <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache schließt die Be<strong>zu</strong>gnahme auf die Bed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> realen Welt<br />

e<strong>in</strong>, die für bestimmte Klassen von Sprachbenutzern den Gebrauch und die Interpretation<br />

deiktischer Formen regulieren. Zwei Sprachen könnten dar<strong>in</strong> gleich<br />

se<strong>in</strong>, daß sie e<strong>in</strong>en Kontrast zwischen formellen und familiären Pronom<strong>in</strong>a <strong>der</strong><br />

2. Person aufweisen; die sozialen Bed<strong>in</strong>gungen, unter denen die Formen gebraucht<br />

werden, können jedoch erheblich verschieden se<strong>in</strong>. Und <strong>in</strong> <strong>der</strong> Tat<br />

können solche Gebrauchsbed<strong>in</strong>gungen <strong>in</strong>nerhalb <strong>e<strong>in</strong>er</strong> e<strong>in</strong>zigen Sprachgeme<strong>in</strong>schaft<br />

zwischen <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Generation und <strong>der</strong> nächsten o<strong>der</strong> zwischen <strong>e<strong>in</strong>er</strong> sozioökonomischen<br />

Klasse und <strong>e<strong>in</strong>er</strong> an<strong>der</strong>en differieren. 2<br />

Die Ausarbeitung <strong>der</strong> Details <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>in</strong>terpretierten Beschreibung des deiktischen<br />

Systems <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache geht über den Bereich <strong>der</strong> eigentlichen L<strong>in</strong>guistik<br />

h<strong>in</strong>aus, doch sollte diese traurige Tatsache für den L<strong>in</strong>guisten ke<strong>in</strong>e Entschuldigung<br />

se<strong>in</strong>, bei <strong>der</strong> Beschreibung e<strong>in</strong>es deiktischen Systems nichts weiter <strong>zu</strong> tun,<br />

als die m<strong>in</strong>imale Menge von Oppositionen an<strong>zu</strong>geben, durch die die deiktischen<br />

Formen „im Sprachsystem selbst" klassifiziert werden können. Mit an<strong>der</strong>en


148 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

Worten: die L<strong>in</strong>guisten können bei <strong>der</strong> Beschreibung <strong>der</strong> Semantik <strong>der</strong> deiktischen<br />

Kategorien <strong>der</strong> Sprache, über die sie arbeiten, sorgfältiger se<strong>in</strong>, als sie es<br />

manchmal s<strong>in</strong>d.<br />

Ich erwähne das, weil <strong>in</strong> <strong>der</strong> gegenwärtigen Lage diejenigen, die über kontrastive<br />

L<strong>in</strong>guistik und über Sprachuniversalien arbeiten, Mühe haben werden,<br />

die vorhandenen Sprachbeschreibungen durch<strong>zu</strong>arbeiten und mit <strong>in</strong>teressanten<br />

und <strong>zu</strong>verlässigen Generalisierungen über die <strong>Deixis</strong> auf<strong>zu</strong>warten, wenn sie<br />

nicht willens s<strong>in</strong>d, e<strong>in</strong>e Menge harter Arbeit <strong>zu</strong> leisten, und wenn sie an ihre<br />

Aufgabe nicht mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> sorgfältigen begrifflichen Analyse deiktischer Kategorien<br />

und <strong>der</strong> Möglichkeiten, diese <strong>zu</strong>e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>in</strong> Beziehung <strong>zu</strong> setzen, herangehen.<br />

Ich will nur e<strong>in</strong> Beispiel für die Schwierigkeiten geben, auf die e<strong>in</strong> Bibliotheksl<strong>in</strong>guist<br />

treffen kann.<br />

Nehmen wir an, wir wollten die semantische Struktur von Bewegungsverben,<br />

die e<strong>in</strong>en <strong>in</strong>direkten Be<strong>zu</strong>g auf den Standort e<strong>in</strong>es o<strong>der</strong> bei<strong>der</strong> Sprecher <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong><br />

Kommunikationssituation ausdrücken, untersuchen. Wir nehmen weiter an,<br />

daß wir Merrifields äußerst <strong>in</strong>formative Grammatik des Palantla Ch<strong>in</strong>antec<br />

(Merrifield 1968) benutzen. Was wir suchen, f<strong>in</strong>den wir <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Abschnitt mit<br />

dem Titel „Direktive Präfixe" (S. 23). Dort erfahren wir, daß es für gewisse<br />

Verbklassen unterschiedliche Mengen von Präfixen gibt, die die Bewegung ,auf<br />

den Sprecher h<strong>in</strong>' und die Bewegung ,vom Spracher weg' angeben.<br />

Wir betrachten die Präfixe, die unter <strong>der</strong> Kategorie ,auf den Sprecher h<strong>in</strong>'<br />

aufgeführt s<strong>in</strong>d, und bemerken, daß sie <strong>in</strong> zwei Gruppen zerfallen; diese heißen:<br />

.nicht 3. Person' und ,3. Pers.' für Subjekte, die nicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person<br />

stehen, und für solche <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person. Da wir wissen, daß es uns<strong>in</strong>nig ist, von<br />

,me<strong>in</strong>em Gehen <strong>zu</strong> mir h<strong>in</strong>' <strong>zu</strong> sprechen, nehmen wir an, daß die Präfixe dadurch<br />

bestimmt werden, ob das Subjekt <strong>in</strong> <strong>der</strong> 2. Person o<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person<br />

steht; wir vermuten, daß Merrifield die Bezeichnungen ,nicht 3. Person' und<br />

,3. Pers.' gewählt hat, weil er an <strong>der</strong> Cornell-Universität gelernt hat, daß <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em System mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> lediglich zweiseitigen Opposition die Pole dieser Opposition<br />

mit Namen versehen werden sollten, die nur e<strong>in</strong>en zweiseitigen Kontrast<br />

implizieren. Daher notieren wir, daß es sich um e<strong>in</strong>e Sprache handelt, <strong>in</strong> <strong>der</strong> es<br />

bestimmte Mittel gibt, über die Bewegung auf die Person h<strong>in</strong> <strong>zu</strong> sprechen, die<br />

<strong>der</strong> Sprecher des Satzes ist, <strong>in</strong> dem die Bewegung erwähnt wird.<br />

Als nächstes betrachten wir den Teil <strong>der</strong> Tabelle mit <strong>der</strong> Überschrift ,vom<br />

Sprecher weg'. Es gibt dort vier Reihen: ,1. Pers.Sg.', ,1. Pers.Pl.', ,2. Pers.'<br />

und ,3. Pers.'. Das erstaunt uns. Bedeutet das, fragen wir uns, daß es <strong>in</strong> dieser<br />

Sprache erlaubt ist, von ,me<strong>in</strong>em Gehen von mir weg' <strong>zu</strong> reden? Vermutlich<br />

nicht. Der allgeme<strong>in</strong>e Menschenverstand sagt uns, daß die Kategorie nicht<br />

,weg vom Sprecher' ist, son<strong>der</strong>n ,weg von dem Standort, an dem sich <strong>der</strong> Sprecher<br />

<strong>zu</strong>r Zeit des Sprechens bef<strong>in</strong>det'. Die Kategorie wird mit an<strong>der</strong>en Worten<br />

vermutlich besser mit ,von hier weg' als mit ,von mir weg' bezeichnet.<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong><br />

Nachdem wir <strong>zu</strong> diesem Schluß gekommen s<strong>in</strong>d, entschließen wir uns, die<br />

vorh<strong>in</strong> übereilt gemachte Annahme über die Kategorie ,auf den Sprecher h<strong>in</strong>'<br />

<strong>zu</strong> überprüfen. Wir überlegen, ob ,nicht 3 .Per.' bei Merrifield nicht e<strong>in</strong>fach das<br />

Präfix se<strong>in</strong> könnte, das gewählt wird, wenn das Subjekt entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> 1. o<strong>der</strong><br />

2. Person ist, und ob die Richtungskategorie nicht eher als ,hierh<strong>in</strong>' denn als<br />

,auf mich <strong>zu</strong>' (,auf den Sprecher h<strong>in</strong>') <strong>zu</strong> verstehen ist. Auf diese Fragen suchen<br />

wir an an<strong>der</strong>en Stellen <strong>der</strong> Grammatik nach Antwort, aber wir f<strong>in</strong>den ke<strong>in</strong>e.<br />

Merrifields Beispiele (S. 24) haben alle Subjekte <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person, was uns bedrückt;<br />

aber sie enthalten die Glosse ,hier', und das gibt uns Mut.<br />

Da wir uns er<strong>in</strong>nern, vor e<strong>in</strong>igen Jahren e<strong>in</strong>en ertragreichen Aufsatz über die<br />

Semantik des englischen Verbs come gelesen <strong>zu</strong> haben, fragen wir uns sogar, ob<br />

Merrifields Kategorie ,auf den Sprecher h<strong>in</strong>' nicht eigentlich ,auf den Standort<br />

des Sprechers entwe<strong>der</strong> <strong>zu</strong>r Zeit des Sprechaktes o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>r Zeit <strong>der</strong> Bewegung<br />

h<strong>in</strong>' bedeuten könnte und ob ,vom Sprecher weg' nicht wäre: ,auf e<strong>in</strong>en Standort<br />

h<strong>in</strong>, <strong>der</strong> we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Standort des Sprechers <strong>zu</strong>r Zeit des Kommunikationsaktes<br />

noch <strong>der</strong> Standort des Sprechers <strong>zu</strong>r Zeit <strong>der</strong> Bewegung ist'. Man wünschte<br />

sich tatsächlich, daß <strong>in</strong> <strong>der</strong> l<strong>in</strong>guistischen <strong>Theorie</strong> schon längst e<strong>in</strong> Inventar<br />

<strong>der</strong> möglichen Funktionen deiktischer Kategorien <strong>in</strong> natürlichen Sprachen aufgestellt<br />

worden wäre, so daß jemand, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Sprache analysiert und beschreibt,<br />

ohne Umwege auf die Unterscheidungen, auf die er achten muß, aufmerksam<br />

gemacht würde. 3<br />

Das Ziel dieses Aufsatzes besteht <strong>in</strong> Folgendem: Ich will e<strong>in</strong>en Überblick<br />

über die Unterscheidungen und Konzepte geben, die e<strong>in</strong> L<strong>in</strong>guist im S<strong>in</strong>n haben<br />

muß, wenn er über die <strong>Deixis</strong> <strong>in</strong> klarer Weise denken und schreiben will,<br />

und ich will das, was ich als Vorausset<strong>zu</strong>ngen für e<strong>in</strong>e <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> ansehe,<br />

angeben. 4<br />

2.<br />

Manche Sätze s<strong>in</strong>d vollständig <strong>in</strong>terpretiertbar, ohne Kenntnis <strong>der</strong> Umstände,<br />

unter denen sie hervorgebracht werden. E<strong>in</strong> solcher Satz ist: Die Sonne ist größer<br />

als <strong>der</strong> Mond. Dieser Satz vermittelt immer dieselbe Information, gleichgültig<br />

wer ihn sagt, gleichgültig, wann er gesagt wird, gleichgültig wo er gesagt<br />

wird, gleichgültig wie groß <strong>der</strong> Zeitunterschied zwischen <strong>der</strong> Enkodierzeit und<br />

<strong>der</strong> Dekodierzeit ist, und gleichgültig, ob er <strong>in</strong> Granit e<strong>in</strong>gemeißelt ist, im<br />

Morsealphabet übermittelt o<strong>der</strong> anonym über Telefon geflüstert wird.<br />

Um an<strong>der</strong>e Ausdrücke <strong>zu</strong> <strong>in</strong>terpretieren, braucht man spezielle Kenntnisse<br />

über e<strong>in</strong>ige <strong>der</strong> Umstände, unter denen sie produziert werden. E<strong>in</strong> solcher Satz<br />

ist: Ich b<strong>in</strong> jetzt hier drüben. Um <strong>zu</strong> wissen, auf wen sich das Subjekt des Satzes<br />

bezieht, muß man wissen, wer ihn sagt. Um <strong>zu</strong> wissen, wo <strong>der</strong> im Satz angesprochene<br />

Standort ist, muß man wissen o<strong>der</strong> muß man erkennen können,<br />

149


150<br />

<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

wo <strong>der</strong> Sprecher <strong>zu</strong> <strong>der</strong> Zeit, <strong>zu</strong> <strong>der</strong> er den Satz äußert, ist. Das Wort jetzt <strong>in</strong><br />

dem Satz weist darauf h<strong>in</strong>, daß <strong>der</strong> Sprecher <strong>in</strong> Bewegung ist o<strong>der</strong> war, so daß<br />

es wichtig ist, daß <strong>der</strong> Empfänger das Gesprochene <strong>zu</strong>r selben Zeit hört, <strong>zu</strong> <strong>der</strong><br />

es geäußert wird. Das Vorkommen des Wortes drüben <strong>in</strong> dem Satz zeigt, daß<br />

<strong>der</strong> Sprecher glaubt, daß er und se<strong>in</strong>(e) Adressat(en) sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>iger Entfernung<br />

vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bef<strong>in</strong>den.<br />

Ich nenne die Person, die e<strong>in</strong>en sprachlichen Ausdruck produziert, das Zentrum<br />

des da<strong>zu</strong>gehörigen Kommunikationsaktes. Ich nenne sprachliches Material,<br />

<strong>zu</strong> dessen Interpretation Be<strong>zu</strong>g auf das Zentrum und se<strong>in</strong>e Rolle im Kommunikationsakt<br />

— e<strong>in</strong>schließlich aller Annahmen, die das Zentrum über se<strong>in</strong>e Gesprächspartner<br />

und se<strong>in</strong>e Zuhörer macht - nötig ist, zentriert, an<strong>der</strong>es sprachliches<br />

Material nenne ich nicht-zentriert. Der Satz Ich b<strong>in</strong> jetzt hier drüben<br />

ist e<strong>in</strong> extremes Beispiel e<strong>in</strong>es zentrierten Ausdrucks. Ich bezeichne den Standort<br />

des Zentrums <strong>zu</strong>r Zeit des Kommunikationsaktes als den gegenwärtigen<br />

Standort des Zentrums. Zur Bestimmung <strong>der</strong> Zeit des Kommunikationsaktes<br />

benutze ich nach e<strong>in</strong>em Vorschlag von Akira Ota den Begriff Kodierzeit. 5<br />

Die Kategorien <strong>der</strong> Personal-, Orts- und Zeitdeixis können nach <strong>der</strong> Opposition<br />

nah und fern unterschieden werden, je nachdem, ob die Subkategorien <strong>in</strong><br />

spezifischer Weise mit dem Zentrum, dem gegenwärtigen Standort des Zentrums<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kodierzeit verbunden s<strong>in</strong>d o<strong>der</strong> nicht. Die Kategorie ,nah' und<br />

,fern' <strong>der</strong> Personaldeixis f<strong>in</strong>den sich im Englischen <strong>in</strong> den Wörtern / „ich" und<br />

you „du"; bei <strong>der</strong> Ortsdeixis s<strong>in</strong>d es here „hier" und there „dort"; bei <strong>der</strong> Zeitdeixis<br />

now „jetzt" und then „dann".<br />

Deiktisches Material f<strong>in</strong>det sich <strong>in</strong> vielen Bereichen <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache. Es gibt<br />

z.B. die Pronom<strong>in</strong>a und Adverbien, die bestimmte Aspekte des Kommunikationsaktes<br />

ziemlich direkt festlegen, etwa die eben erwähnten Beispiele: „ich"<br />

„hier" und „jetzt" und ihre Gegenstücke. E<strong>in</strong>e Sprache kann Formen haben,<br />

die <strong>zu</strong>r Identifizierung von Objekten und Zeiten <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf das Zentrum gebraucht<br />

werden, z.B. die Demonstrativa, zeitdeiktische Adjektive wie <strong>in</strong> your<br />

future son-<strong>in</strong>-law „de<strong>in</strong> <strong>zu</strong>künftiger Schwiegersohn" o<strong>der</strong> zeitorientierte Wörter<br />

wie ago „vor". In vielen Sprachen wird die Morphologie flektierter Wörter<br />

z.T. durch Informationen bestimmt, die mit dem Zentrum verbunden s<strong>in</strong>d -<br />

ob etwa <strong>der</strong> Sprecher o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Angesprochene o<strong>der</strong> k<strong>e<strong>in</strong>er</strong> von beiden mit dem<br />

Subjekt o<strong>der</strong> Objekt des Satzes identifiziert wird; welche zeitliche Ordnungsbeziehung<br />

besteht zwischen <strong>der</strong> Zeit des erwähnten Zustandes o<strong>der</strong> Geschehens<br />

im Satz und <strong>der</strong> Kodierzeit; ob <strong>der</strong> gegenwärtige Standort des Zentrums <strong>der</strong>selbe<br />

ist wie <strong>der</strong> im Satz erwähnte Ort; ob <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Gesprächspartner<br />

männlich o<strong>der</strong> weiblich ist; welchen sozialen Status das Zentrum sich<br />

und welchen es dem Gesprächspartner <strong>zu</strong>schreibt usw.<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong><br />

Umstände des Zentrums müssen auch bei <strong>der</strong> Beschreibung verschiedener<br />

Typen <strong>der</strong> Begrüßung berücksichtigt werden. Die Wahl <strong>der</strong> angemessenen Grußformel<br />

kann von <strong>der</strong> Tageszeit abhängen, vom Geschlecht <strong>der</strong> Gesprächspartner,<br />

vom Alter und Altersunterschied <strong>der</strong> Partner, vom Wissen, ob <strong>der</strong> Sprecher o<strong>der</strong><br />

<strong>der</strong> Angesprochene sich <strong>zu</strong> Hause bef<strong>in</strong>det usw. E<strong>in</strong> letzter Aspekt <strong>der</strong> Sprache<br />

sollte im Zusammenhang mit dem Zentrum erwähnt werden; es handelt sich<br />

um den Begriff des autorisierten Sprechers. Im beson<strong>der</strong>en sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Gebrauch<br />

gewisser Arten von Namen davon ab<strong>zu</strong>hängen, daß <strong>der</strong> Sprecher bestimmte Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>der</strong> realen Welt erfüllt. Nicht je<strong>der</strong> ist sprachlich autorisiert, se<strong>in</strong>e<br />

Fe<strong>in</strong>de [gr<strong>in</strong>gos] o<strong>der</strong> [honkies] <strong>zu</strong> nennen.<br />

3.<br />

Im folgenden werde ich mich des öfteren auf e<strong>in</strong>e wichtige Unterscheidung<br />

beziehen müssen: auf die Unterscheidung zwischen gestischem und symbolischem<br />

Gebrauch <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong>. Mit gestischem Gebrauch deiktischer Ausdrücke<br />

me<strong>in</strong>e ich die Gebrauchsweise, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die Ausdrücke nur dann vollständig <strong>in</strong>terpretiert<br />

s<strong>in</strong>d, wenn <strong>der</strong> Angesprochene <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist, bestimmte physische<br />

Aspekte des Kommunikationsaktes wahr<strong>zu</strong>nehmen und <strong>zu</strong> kontrollieren. Ich<br />

nehme nicht an, daß diese Beschreibung klar ist, und auch die Unterscheidung<br />

ist nicht von vornhere<strong>in</strong> völlig e<strong>in</strong>deutig; ich möchte aber e<strong>in</strong>ige Beispiele dafür<br />

geben, was ich me<strong>in</strong>e.<br />

Wenn Sie und ich bereits e<strong>in</strong>e Unterhaltung führen und Sie mich fragen, ob<br />

ich noch e<strong>in</strong> Bier möchte, und ich dann sage: Ja, ich möchte gern noch e<strong>in</strong>s,<br />

dann handelt es sich nicht um gestischen Gebrauch des Pronomens ich. Wenn<br />

Sie jedoch e<strong>in</strong>e Gruppe von Leuten ansprechen und fragen, ob noch jemand<br />

e<strong>in</strong> Bier möchte, und ich dann sage Ich möchte gern noch e<strong>in</strong>s, dann handelt<br />

es sich um gestischen Gebrauch. Sie müssen feststellen, wer das gesagt hat, um<br />

<strong>zu</strong> wissen, wer das Bier bekommt. Während ich spreche, muß ich Ihre Aufmerksamkeit<br />

erregen.<br />

Wenn Sie und ich e<strong>in</strong>e Unterhaltung führen und ich <strong>zu</strong> Ihnen sage: Ich möchte,<br />

daß Sie mit mir dorth<strong>in</strong> gehen, dann handelt es sich nicht um gestischen<br />

Gebrauch des Pronomens Sie. Aber wenn ich, während ich mit den Armen <strong>in</strong><br />

<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Gruppe von Leuten herumfuchtele, sage: Ich möchte, daß Sie und Sie<br />

und Sie mit mir dorth<strong>in</strong>gehen, dann handelt es sich um gestischen Gebrauch.<br />

Wenn ich sage: Wir sollten das Essen jetzt fertig kriegen, handelt es sich nicht<br />

um gestischen Gebrauch des Wortes jetzt. Aber wenn ich sage: Du kannst mir<br />

das Leben retten, wenn du den grünen Knopf da jetzt drückst, handelt es sich<br />

um gestischen Gebrauch. Bei dem letzten Beispiel würde <strong>der</strong> Sprecher mehr als<br />

das übliche Ungenügen am Mißl<strong>in</strong>gen <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Kommunikation empf<strong>in</strong>den, wenn<br />

se<strong>in</strong> Partner sagen würde: Es tut mir leid, aber ich habe das nicht ganz mitbekommen.<br />

Würdest du es noch e<strong>in</strong>mal wie<strong>der</strong>holen?.<br />

151


152<br />

<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

Der gestische Aspekt <strong>in</strong> Ausdrücken mit hier kann durch die Stimme o<strong>der</strong><br />

durch Bewegung/Position bestimmt se<strong>in</strong>. Wenn Sie und ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen<br />

Haus s<strong>in</strong>d und Sie me<strong>in</strong>en Namen rufen und ich antworte: Ich b<strong>in</strong> hier, dann<br />

mache ich nichts an<strong>der</strong>es als e<strong>in</strong> Geräusch, von dem ich annehme, daß es Ihnen<br />

hilft heraus<strong>zu</strong>f<strong>in</strong>den, wo ich b<strong>in</strong>. Bei <strong>der</strong> durch Bewegung (o<strong>der</strong> Position) bestimmten<br />

Geste ist es nötig, daß <strong>der</strong> Angesprochene visuelle o<strong>der</strong> taktile Überprüfungsmöglichkeiten<br />

<strong>der</strong> Bewegungen o<strong>der</strong> Positionen des Sprechers hat; das<br />

trifft nicht nur auf hier, son<strong>der</strong>n auch auf dort, dieses, jenes usw. <strong>zu</strong>. Ich kann<br />

z.B. die Körperteile benutzen, die <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Kulturkreis <strong>zu</strong>m Zeigen bestimmt<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>zu</strong>erst auf e<strong>in</strong>en Stuhl, dann auf e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en zeigen und sagen: Setz dich<br />

nicht hierh<strong>in</strong>; setz dich hierh<strong>in</strong>.<br />

Es wird sich zeigen, daß diese Unterscheidung zwischen gestischem und<br />

nicht-gestischem Gebrauch <strong>der</strong> Sprache entscheidend ist für die Beschreibung<br />

bestimmter Tatsachen von deiktischen Wörtern und Formen. Es erweist sich,<br />

daß die meisten Wörter <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache nicht gestisch gebraucht werden können<br />

6 , e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> zeitdeiktischen Adverbien mit dem Merkmal ,fern'.<br />

D.h. es gibt gestischen Gebrauch von / „ich",you „du", here „hier", there<br />

„dort", this „dieses", that „jenes" und now „jetzt", aber nicht von then „dann",<br />

Viele deiktische Wörter können sowohl gestisch als auch symbolisch gebraucht<br />

werden, wie z.B. engl. this „dieses". Wenn ich z.B. <strong>in</strong> San Francisco<br />

etwas sage, das die Phrase diese Stadt enthält, braucht me<strong>in</strong> Zuhörer mich nicht<br />

an<strong>zu</strong>sehen, um <strong>zu</strong> wissen, worüber ich spreche: er muß es jedoch tun, wenn ich<br />

die Phrase dieser F<strong>in</strong>ger benutze. Es kann se<strong>in</strong>, daß viele deiktische Wörter nur<br />

(o<strong>der</strong> hauptsächlich) gestisch gebraucht werden. Das sche<strong>in</strong>t beispielsweise auf<br />

fr. voici und voilá und russ. vot und von <strong>zu</strong><strong>zu</strong>treffen.<br />

Manchmal kann e<strong>in</strong>e Sprache alternative Formen für deiktische Pronom<strong>in</strong>a<br />

und Adverbien haben, wobei jeweils nur e<strong>in</strong> Element jedes Paars gestisch<br />

gebraucht werden kann. Dar<strong>in</strong> liegt nicht <strong>der</strong> Hauptunterschied zwischen den<br />

konjunktiven und disjunktiven Personalpronom<strong>in</strong>a des Französischen, aber<br />

es sollte darauf h<strong>in</strong>gewiesen werden, daß nur die disjunktiven Pronom<strong>in</strong>a gestisch<br />

gebraucht werden (vermutlich aus recht guten akustischen Gründen). Soweit<br />

ich weiß, gibt es im Englischen nur e<strong>in</strong> Wort, das immer mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Geste<br />

begleitet wird, und zwar handelt es sich um das größenanzeigende yea <strong>der</strong> Umgangssprache,<br />

wie z.B. <strong>in</strong> It's about yea big. 7<br />

Es kann passieren, daß e<strong>in</strong>e Unterscheidung <strong>in</strong> Subkategorien <strong>der</strong> Ortsdeixis,<br />

die für den nicht-gestischen Gebrauch gilt, <strong>in</strong> bestimmten Arten des gestischen<br />

Gebrauchs neutralisiert wird. Wenn man mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Geste mit großer Genauigkeit<br />

auf Objekte zeigen kann, gibt es ke<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>en Grund, die Unterscheidung<br />

<strong>in</strong> ,nah' und ,fern' bei<strong>zu</strong>behalten. Wenn man etwas mit dem F<strong>in</strong>ger<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Stock berühren kann, wie z.B. e<strong>in</strong>e Stadt auf <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Landkarte<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 153<br />

o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Sommersprosse auf dem Knie, macht es ke<strong>in</strong>en Unterschied, ob man<br />

sagt: Sie ist genau hier o<strong>der</strong> Sie ist genau da o<strong>der</strong> ob man sagt: Es ist diese o<strong>der</strong><br />

Es ist jene. Da es sich so verhält, hat e<strong>in</strong>e Sprache die Möglichkeit, die E<strong>in</strong>zelformen<br />

<strong>in</strong> diesen Kontexten <strong>zu</strong> an<strong>der</strong>en Zwecken <strong>zu</strong> benutzen. Um im Haussa<br />

auf D<strong>in</strong>ge <strong>zu</strong> weisen, die sich nah, und zwar gleich nah, vom Sprecher bef<strong>in</strong>den,<br />

werden die Wörter nam (,dieses') bzw. cam (,jenes') beim ersten bzw. zweiten<br />

D<strong>in</strong>g gebraucht (John Eulenberg, persönliche Mitteilung). Im Englischen können<br />

this und that auf gleiche Weise gebraucht werden. 8<br />

4.<br />

Nachdem wir uns die Unterscheidung gestisch/nicht-gestisch klar gemacht haben,<br />

können wir uns jetzt Überlegungen <strong>zu</strong>r Personaldeixis <strong>zu</strong>wenden. Im Englischen<br />

bilden die Wörter I „ich" und you „du" die Pole ,nah' und ,fern' <strong>der</strong><br />

Personaldeixis. Viele Sprachen besitzen <strong>in</strong> diesem Punkt e<strong>in</strong>e größere Vielfalt.<br />

Das Japanische z.B. hat personaldeiktische Ausdrücke, <strong>der</strong>en Wahl von Geschlecht<br />

o<strong>der</strong> sozialem Status <strong>der</strong> Gesprächspartner, vom Grad <strong>der</strong> zwischen<br />

ihnen herrschenden Intimität o<strong>der</strong> Formalität und verschiedenen Komb<strong>in</strong>ationen<br />

dieser Faktoren bestimmt wird. Und <strong>der</strong> Kaiser besaß, wie wir wissen, se<strong>in</strong><br />

eigenes privates Personalpronomen <strong>der</strong> 1. Person: [ch<strong>in</strong>], das er, glaube ich, nur<br />

<strong>in</strong> Erlassen und Proklamationen verwendete.<br />

Wie schon vorh<strong>in</strong> erwähnt, zeigen viele Sprachen e<strong>in</strong>e Opposition zwischen<br />

familiären und formellen Pronom<strong>in</strong>a <strong>der</strong> 2. Person, <strong>der</strong>en Auswahl von sozialen<br />

Bed<strong>in</strong>gungen gesteuert wird, die von <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprachgeme<strong>in</strong>schaft <strong>zu</strong>r an<strong>der</strong>en<br />

erheblich variieren. Die Aufgabe des L<strong>in</strong>guisten besteht dar<strong>in</strong>, die symmetrische<br />

und asymmetrische Auswahl <strong>der</strong> Pronom<strong>in</strong>a, die die Sprache <strong>zu</strong>r Verfügung<br />

stellt, auf<strong>zu</strong>decken; er kann es Wissenschaftlern an<strong>der</strong>er Diszipl<strong>in</strong>en überlassen,<br />

die sozialen Kontexte, <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong>er die Auswahl vorgenommen wird, <strong>zu</strong> beschreiben.<br />

(Vgl. Brown und Gilman 1960).<br />

Es ist für den, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e Äußerung macht, möglich, se<strong>in</strong>e Mitteilung an mehr<br />

als e<strong>in</strong>en Adressaten <strong>zu</strong> richten; diese Möglichkeit kann sich <strong>in</strong> <strong>der</strong> untersuchten<br />

Sprache wi<strong>der</strong>spiegeln. Wenn diese Sprache sowohl Numerusunterscheidungen<br />

und Unterscheidungen nach Geschlecht, Alter und Sozialstatus hat, muß<br />

man untersuchen, ob diese Unterscheidungen <strong>in</strong> allen Numeri gemacht werden,<br />

und man muß weiter untersuchen, welche Formen angewendet werden, wenn<br />

die Adressatengruppe Menschen verschiedenen Geschlechts o<strong>der</strong> Status' enthält.<br />

E<strong>in</strong>e Äußerung kann sich auf e<strong>in</strong>e Gruppe von Menschen beziehen, die den<br />

Sprecher mit enthält: das englische Wort ist we „wir". Bei solchen Äußerungen<br />

sollte man <strong>zu</strong>erst die Unterscheidung zwischen <strong>in</strong>klusiven und exklusiven<br />

Formen suchen, die darauf beruht, ob die Gruppe den Adressaten e<strong>in</strong>schließt


154 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

o<strong>der</strong> nicht. Wie<strong>der</strong>um muß man bei <strong>der</strong> Analyse fragen, <strong>in</strong> welcher Weise an<strong>der</strong>e<br />

Faktoren - Numerus, Status, Geschlecht usw. — sich mit dieser Unterscheidung<br />

komb<strong>in</strong>ieren lassen. 9<br />

Es kann sekundäre Phänomene geben, die man beachten muß. Im Englischen<br />

können die Personalpronom<strong>in</strong>a des Plurals für Personen gebraucht werden o<strong>der</strong><br />

für Gruppen aus Personen und beispielsweise Stubentieren. So kann ich etwa,<br />

wenn ich mit me<strong>in</strong>em Liebl<strong>in</strong>gsbiber vor <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Haustür stehe, fragen: May we<br />

come <strong>in</strong>? „Dürfen wir h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>kommen?" In manchen Sprachen könnte <strong>in</strong> dieser<br />

Situation das pluralische Pronomen nicht verwendet werden.<br />

In <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache kann es spezielle Gebrauchsweisen für die Pronom<strong>in</strong>a <strong>der</strong><br />

1. Person Plural geben, wie etwa das we „wir" von Herausgebern, Predigern<br />

und Monarchen. Wenn man solch e<strong>in</strong>en Gebrauch beschreibt, muß man die<br />

grammatischen Konsequenzen <strong>der</strong> Tatsache, daß es e<strong>in</strong>e Form gibt, die grammatikalisch<br />

Plural, semantisch aber S<strong>in</strong>gular ist, untersuchen. Im Englischen<br />

z.B. richtet sich die Kongruenz des Verbs nach <strong>der</strong> Grammatik we are „wir<br />

s<strong>in</strong>d" und nicht we am „wir b<strong>in</strong>", die Reflexivierung jedoch richtet sich —<br />

wenigstens im Leitartikel des New Yorker — nach <strong>der</strong> Semantik: ourself, und<br />

nicht ourselfes. Es könnte wichtig se<strong>in</strong>, heraus<strong>zu</strong>f<strong>in</strong>den, ob die Sprachen, <strong>in</strong><br />

denen dieser s<strong>in</strong>gularische Gebrauch e<strong>in</strong>es Personalpronomens des Plurals bei<br />

bestimmten hochgestellten Persönlichkeiten, dieselben s<strong>in</strong>d wie die, <strong>in</strong> denen<br />

die Höflichkeitsform des Personalpronomens <strong>der</strong> 2. Person sich aus e<strong>in</strong>em speziellen<br />

Gebrauch des Pronomens <strong>der</strong> 2. Person Plural entwickelt hat.<br />

Das Palantla Ch<strong>in</strong>antec sche<strong>in</strong>t die Kategorie ,1. Pers. PL <strong>in</strong>klusiv' unlogisch<br />

<strong>zu</strong> gebrauchen. Wenn ich mit jemandem spreche, <strong>der</strong> nicht me<strong>in</strong> Vater ist, würde<br />

ich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Ausdruck mit <strong>der</strong> Bedeutung ,unser Vater' das <strong>in</strong>klusive o<strong>der</strong><br />

exklusive Possessivpronomen gebrauchen, je nachdem, ob <strong>der</strong> Angesprochene<br />

me<strong>in</strong> Bru<strong>der</strong> o<strong>der</strong> me<strong>in</strong>e Schwester ist o<strong>der</strong> nicht. Wenn ich jedoch me<strong>in</strong>en Vater<br />

anspreche, wie etwa <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Satz mit <strong>der</strong> Bedeutung ,Du bist unser Vater',<br />

wird die <strong>in</strong>klusive Form gebraucht, und nicht wie man erwarten würde, die<br />

exklusive (William Merrifield p.c.). Offensichtlich haben diese Tatsache <strong>zu</strong>erst<br />

die Wycliffe-Bibelübersetzer entdeckt, als die Ch<strong>in</strong>antecos sich weigerten, ihre<br />

erste Überset<strong>zu</strong>ng des Anfangsvokativs im Vaterunser <strong>zu</strong> akzeptieren.<br />

5.<br />

Die Ausdrücke <strong>der</strong> Ortsdeixis s<strong>in</strong>d im Englischen here „hier" (nah) und there<br />

„da, dort" (fern); beide können gestisch und nicht-gestisch gebraucht werden.<br />

E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Sprache könnte e<strong>in</strong>e weitere Unterglie<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> nicht-nahen Kategorie<br />

<strong>in</strong> näher entfernt und weiter entfernt aufweisen. Spanisch, Japanisch<br />

und Tagalog z.B. haben diese dreifache Aufglie<strong>der</strong>ung. Das Englische hat sie<br />

nicht, aber das Wort yon<strong>der</strong> und das damit verbundene Demonstrativ yon zei-<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 155<br />

gen, daß die Möglichkeit da<strong>zu</strong> existiert. Das Tl<strong>in</strong>git hat offensichtlich e<strong>in</strong>e vierfache<br />

Aufglie<strong>der</strong>ung, die etwa so <strong>zu</strong> übersetzen wäre: ,genau hier', ,genau dort',<br />

,dort drüben' und ,weit dort da drüben , so daß man es kaum sehen kann' (Frei<br />

1944, S. 115).<br />

Es wird oft behauptet, daß für Sprachen, die e<strong>in</strong> dreifach geglie<strong>der</strong>tes System<br />

<strong>der</strong> Ortsdeixis haben, die folgenden Kategorien an<strong>zu</strong>nehmen s<strong>in</strong>d: .nah dem<br />

Sprecher', ,nah dem Angesprochenen' und ,entfernt von Sprecher und Angesprochenem'.<br />

Um heraus<strong>zu</strong>f<strong>in</strong>den, ob die untersuchte Sprache diese Möglichkeit<br />

besitzt, muß man vielleicht e<strong>in</strong>ige Experimente veranstalten. Man stelle<br />

Gesprächsteilnehmer <strong>in</strong> Rufentfernung vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> auf und beobachte, welche<br />

Ausdrücke sie <strong>zu</strong>r Bezeichnung des Orts des an<strong>der</strong>en verwenden. Wenn sie<br />

den Ausdruck ,weiter entfernt' benutzen, dann sollte <strong>der</strong> Ausdruck ,näher entfernt'<br />

nicht so beschrieben werden, daß er e<strong>in</strong>e Position <strong>in</strong> <strong>der</strong> Nähe des Angesprochenen<br />

bezeichnet. Wenn sie den Ausdruck ,näher entfernt' benutzen, dann<br />

ist etwa die Reichweite des ganzen Ortssystems so „ausgedehnt" worden, daß<br />

es den Hörer <strong>in</strong> die Reichweite <strong>der</strong> Kategorie ,näher entfernt' aufnimmt, o<strong>der</strong><br />

die Kategorie ,näher entfernt' bedeutet tatsächlich ,nah dem Angesprochenen'.<br />

E<strong>in</strong>e Position auf <strong>der</strong> Hälfte <strong>der</strong> Strecke zwischen den Gesprächspartnern, die<br />

<strong>in</strong> normaler Unterhaltung als recht weit von beiden entfernt angesehen wird,<br />

könnte dann mit <strong>der</strong> Kategorie ,weiter entfernt' o<strong>der</strong> ,von beiden entfernt'<br />

identifiziert werden; wenn das <strong>der</strong> Fall ist, dann ist die Interpretation ,nah dem<br />

Angesprochenen' <strong>der</strong> mittleren Kategorie offensichtlich korrekt. Wenn dieser<br />

Test ke<strong>in</strong>e Entscheidung br<strong>in</strong>gt, setze man die Gesprächspartner <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> normalen<br />

Gesprächsdistanz vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> und bitte den Sprecher, die Lage e<strong>in</strong>es<br />

D<strong>in</strong>ges an<strong>zu</strong>geben, das nur wenig von ihm entfernt ist, ihm aber näher ist als<br />

se<strong>in</strong>em Gesprächspartner; man beobachte, welche Form er verwendet. Wenn<br />

es sich herausstellt, daß er die Form verwendet, die man gern die Form ,nah<br />

dem Angesprochenen' genannt hätte, muß man für sie e<strong>in</strong>en an<strong>der</strong>en Namen<br />

f<strong>in</strong>den.<br />

In e<strong>in</strong>em normalen Gespräch ist <strong>der</strong> Gesprächspartner natürlich nur wenig<br />

vom Sprecher entfernt und se<strong>in</strong> Standort wird, wenn er vom Standort des Sprechers<br />

verschieden ist, im allgeme<strong>in</strong>en mit <strong>der</strong> Form ,näher entfernt' bezeichnet.<br />

Es mag möglich se<strong>in</strong>, daß die Ausdrücke <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dreifachen Ortssystem<br />

grundsätzlich nach <strong>der</strong> relativen Entfernung vom Sprecher <strong>in</strong>terpretiert werden;<br />

die typische Verb<strong>in</strong>dung von Angesprochenem und mittlerem Ausdruck hat<br />

aber <strong>zu</strong>r Ausbildung bestimmter Konventionen geführt, aufgrund <strong>der</strong>er <strong>der</strong><br />

mittlere Ausdruck, wie z.B. beim Briefschreiben im Spanischen, sich auf die Position<br />

des Adressaten bezieht und damit unabhängig vom grundlegenden Gebrauch<br />

verwendet wird.


156<br />

<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

Engl. there „da, dort" besitzt e<strong>in</strong>e gestische ortsdeiktische Funktion; es hat<br />

<strong>zu</strong>dem auch anaphorische Funktion. Die letztere sieht man sehr deutlich an<br />

<strong>der</strong> Tatsache, daß man im Englischen sagen kann We're there „Wir s<strong>in</strong>d da".<br />

Dieser Satz ist angemessen, wenn wir gerade an <strong>der</strong> Stelle angekommen s<strong>in</strong>d,<br />

über die wir geredet haben; das Wort there wird hier anaphorisch und nicht<br />

deiktisch gebraucht.<br />

In Sprachen mit <strong>der</strong> Unterscheidung ,näher entfernt' - .weiter entfernt'<br />

wird es nötig se<strong>in</strong>, an<strong>zu</strong>geben, ob beide Ausdrücke mit dem Merkmal .entfernt'<br />

anaphorisch benutzt werden können o<strong>der</strong> ob <strong>e<strong>in</strong>er</strong> nur gestisch verwendet werden<br />

kann. Im geschriebenen Japanischen kann nur das Adverb soko „näher<br />

entfernt" anaphorisch verwendet werden; das Adverb asuko/asoko „weiter<br />

entfernt" kann nur deiktisch verwendet werden.<br />

Es ist vielleicht s<strong>in</strong>nvoll, an dieser Stelle den Umfang <strong>der</strong> Gebrauchsweisen<br />

von Demonstrativa <strong>zu</strong> erörtern; e<strong>in</strong>schließlich solcher, die nicht eigentlich deiktisch<br />

s<strong>in</strong>d.<br />

Zuerst gibt es den gestischen Gebrauch, <strong>in</strong> dem Demonstrativa den .Zeige'-<br />

Akt begleiten, durch den Objekte <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf ihre Verb<strong>in</strong>dung mit dem Sprecher<br />

identifiziert werden. Es kann sich ergeben, daß <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache, die e<strong>in</strong><br />

zweigeglie<strong>der</strong>tes System <strong>der</strong> Demonstrativa hat, nur <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>der</strong> Ausdrücke (immer<br />

die Form ,nah'? ) <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit Zeigegesten benutzt wird; das ist offenbar<br />

im Hebräischen und Arabischen <strong>der</strong> Fall.<br />

Dann gibt es den symbolischen Gebrauch, <strong>in</strong> dem Positionen nach ihrer Beziehung<br />

<strong>zu</strong>m Sprecher o<strong>der</strong> Hörer identifiziert werden; bei diesem Gebrauch<br />

hängt die Interpretation davon ab, ob <strong>der</strong> Hörer weiß, wo sich <strong>der</strong> Gesprächspartner<br />

bef<strong>in</strong>det. Wenn jemand <strong>in</strong> nicht-gestischer Gebrauchsweise von dieser<br />

Insel, diesem Planeten o<strong>der</strong> diesem Raum spricht, weiß <strong>der</strong> Hörer, daß die Insel,<br />

<strong>der</strong> Planet o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Raum, <strong>der</strong> identifiziert wird <strong>der</strong>jenige ist, auf dem sich<br />

<strong>der</strong> Sprecher <strong>zu</strong>r Kodierzeit aufhält.<br />

Die Hauptfunktion <strong>der</strong> Demonstrativa liegt dar<strong>in</strong>, beim Identifizieren von<br />

Objekten und Positionen die Achtung des Angesprochenen auf etwas <strong>zu</strong> lenken;<br />

daher ist es nicht beson<strong>der</strong>s notwendig, diese Wörter <strong>in</strong> Gesprächen <strong>zu</strong><br />

verwenden, <strong>in</strong> denen <strong>der</strong> Be<strong>zu</strong>g auf nicht-deiktische Weise hergestellt werden<br />

kann. In solchen Gesprächen können dann die Demonstrativa für an<strong>der</strong>e Zwekke<br />

verwendet werden; ich nehme an, daß sich Sprachen stark dar<strong>in</strong> unterscheiden<br />

dürften, nach welchen Konventionen sie die Demonstrativa gebrauchen.<br />

Im Englischen werden z.B. Demonstrativa <strong>in</strong> bestimmten Ausdrücken <strong>zu</strong>m<br />

Ausdruck männlicher Solidität verwendet; z.B. sagt <strong>der</strong> Tankstellenwärter<br />

Check that oil? Demonstrativa werden ganz beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong> ärgerlicher Rede verwendet.<br />

Anstatt e<strong>in</strong>fach <strong>zu</strong> sagen Get the beaver out of the house, „Schaff<br />

den Biber aus dem Haus", kann ich me<strong>in</strong>en Gesprächspartner wissen lassen,<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 157<br />

daß ich ungeduldig und ärgerlich b<strong>in</strong>, <strong>in</strong>dem ich die Artikel durch die entsprechenden<br />

Demonstrativa ersetze: Get that beaver out of this house.<br />

Die Demonstrativpronom<strong>in</strong>a können <strong>in</strong> Phrasen anaphorischer Be<strong>zu</strong>gnahme<br />

verwendet werden (die Bed<strong>in</strong>gungen für diesen Gebrauch verstehe ich noch<br />

nicht völlig). Es sche<strong>in</strong>t <strong>der</strong> Fall <strong>zu</strong> se<strong>in</strong>, daß that benutzt wird, wenn <strong>zu</strong> erwarten<br />

ist, daß e<strong>in</strong> Gesprächspartner o<strong>der</strong> beide die Identität <strong>der</strong> Person o<strong>der</strong><br />

des Objekts <strong>der</strong> anaphorischen Be<strong>zu</strong>gnahme kennen (etwa <strong>in</strong> that person, that<br />

car; Ms h<strong>in</strong>gegen wird gewählt, wenn <strong>der</strong> Sprecher annimmt, daß <strong>der</strong> Angesprochene<br />

von <strong>der</strong> erwähnten Sache nichts weiß, und es wird <strong>in</strong> Fragen verwendet,<br />

wenn <strong>der</strong> Sprecher die Sache nicht identifizieren kann, aber annimmt, daß<br />

<strong>der</strong> Angesprochene es kann. Beispiele: I went out with a friend of yours last<br />

night. Well, this person told me... und Could this person you've been tell<strong>in</strong>g<br />

me about by any chance be a native Speaker ofAlbanian? 10 Da<strong>zu</strong> gibt es e<strong>in</strong>e<br />

Parallele im Japanischen, wo <strong>in</strong> <strong>der</strong> Anapher die Demonstrativa sono „näher<br />

entfernt" und ano „weiter entfernt" betroffen s<strong>in</strong>d (Kuno 1970). Nach Kuno<br />

zeigen Beispiele mit sono X, daß nur <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>der</strong> Gesprächspartner <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lage ist,<br />

das erwähnte ,X' <strong>zu</strong> identifizieren; die Beispiele Kunos, <strong>in</strong> denen es <strong>der</strong> Sprecher<br />

ist, s<strong>in</strong>d Aussagesätze, die, <strong>in</strong> denen es <strong>der</strong> Angesprochene ist, s<strong>in</strong>d Fragesätze.<br />

Mit <strong>der</strong> Anapher verwandt, aber doch verschieden ist <strong>der</strong> Gebrauch von Demonstrativpronom<strong>in</strong>a<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Rededeixis, d.h. beim Be<strong>zu</strong>g auf e<strong>in</strong>en Teil <strong>e<strong>in</strong>er</strong><br />

Äußerung, die e<strong>in</strong>em gegenwärtigen Ausdruck unmittelbar vorausgeht o<strong>der</strong> unmittelbar<br />

folgt. E<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>e Aussage, die man für das Englische machen<br />

kann, ist: this kann gebraucht werden, wenn man sich auf etwas bezieht, das<br />

entwe<strong>der</strong> gerade passiert ist o<strong>der</strong> das gleich passieren wird, woh<strong>in</strong>gegen that<br />

nur gebraucht werden kann, wenn man sich auf etwas schon Geschehenes bezieht.<br />

Darüber wäre jedoch mehr als nur das <strong>zu</strong> sagen, da Tempus- und Aspektrestriktionen<br />

mit <strong>der</strong> Auswahl von this o<strong>der</strong> that <strong>in</strong> rückläufiger Rededeixis<br />

verbunden <strong>zu</strong> se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. E<strong>in</strong>e Art <strong>der</strong> Betrachtungsweise besteht dar<strong>in</strong>, an<strong>zu</strong>nehmen,<br />

daß die Zeite<strong>in</strong>heit, die die Auswahl von this festlegt, die Kodierzeit<br />

e<strong>in</strong>schließt. 49 M<strong>in</strong>uten nach <strong>der</strong> vollen Stunde kann <strong>der</strong> Patient <strong>zu</strong>m Therapeuten<br />

sagen: This has been a very valuable Session. 51 M<strong>in</strong>uten nach <strong>der</strong><br />

vollen Stunde muß er, wenn er den Therapeuten, <strong>der</strong> jetzt telefoniert, unterbricht,<br />

sagen: That was a very valuable session. Die Komb<strong>in</strong>ationen that has<br />

been und this was s<strong>in</strong>d viel weniger akzeptabel.<br />

Das Demonstrativpronomen ,nah' kann unter recht komplizierten Bed<strong>in</strong>gungen<br />

<strong>zu</strong>m Be<strong>zu</strong>g auf die eigene Person verwendet werden; e<strong>in</strong>ige dieser Bed<strong>in</strong>gungen<br />

diskutiert Schegloff 1968. Wenn jemand se<strong>in</strong>e Identitä't nur mit <strong>der</strong><br />

Stimme angibt, wird im allgeme<strong>in</strong>en <strong>der</strong> Ausdruck this gegenüber I bevor<strong>zu</strong>gt.<br />

Im Radio o<strong>der</strong> beim Telefonieren erwarte ich <strong>zu</strong> hören: This ist Walter<br />

Cronkite; im Fernsehen erwarte ich: I'm Walter Cronkite.


158 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

Bei <strong>der</strong> Rededeixis mit rückläufigem Be<strong>zu</strong>g auf die Zahl <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Liste von<br />

zwei D<strong>in</strong>gen sieht das Englische the former und the latter o<strong>der</strong> the first und<br />

the second vor. Manche Sprachen verwenden für diesen Zweck Demonstrativa.<br />

Im Deutschen wird das Demonstrativ dieser (,nah') für das zweite Glied<br />

<strong>der</strong> Aufzählung, das Demonstrativ jener (,fern') für das erste Glied verwendet.<br />

Die Auswahl <strong>der</strong> Demonstrativa, die von <strong>der</strong> Reihenfolge, <strong>in</strong> <strong>der</strong> auf Objekte<br />

gezeigt wird, abhängt, wurde vorh<strong>in</strong> erwähnt. Der Gebrauch von Demonstrativa<br />

<strong>in</strong> Zeitadverbialen und bei <strong>der</strong> Identifizierung von E<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> Kalen<strong>der</strong>zeit<br />

wird unten diskutiert (Abschnitt 7).<br />

6.<br />

Im Englischen s<strong>in</strong>d die e<strong>in</strong>fachsten zeitdeiktischen Wörter now (,nah') und<br />

then (,fern'); dabei ist <strong>zu</strong> beachten, daß then <strong>in</strong> Wahrheit nur anaphorische<br />

Funktion hat. Bei <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Zeitdeixis ist auf die folgenden Informationen<br />

<strong>zu</strong> achten: Können die Formen ,nah' gestisch gebraucht werden? Ist die<br />

Kategorie ,fern' nach Vergangenheit und Zukunft differenziert? Gibt es e<strong>in</strong>e<br />

Unterscheidung zwischen ,näher entfernt' und ,weiter entfernt', je nachdem,<br />

ob die Referenzzeit nah o<strong>der</strong> fern <strong>der</strong> Kodierzeit liegt? Manche Sprachen<br />

können <strong>in</strong> ihren zeitdeiktischen Adverbien an<strong>der</strong>e Vorstellungen h<strong>in</strong><strong>zu</strong>fügen,<br />

z.B. russ. sejchás und tepér. Das erstere bezieht sich auf e<strong>in</strong>en Zeitabschnitt,<br />

bei dem Anfang und Ende nahe <strong>der</strong> Kodierzeit liegen, das letztere identifiziert<br />

e<strong>in</strong>en Zeitabschnitt, <strong>der</strong> die Kodierzeit e<strong>in</strong>schließt. In Kontexten nicht-präsentischer<br />

Tempora kann sejchás benutzt werden, wie etwa <strong>in</strong> Ausdrücken mit <strong>der</strong><br />

Bedeutung ,erst kürzlich' o<strong>der</strong> .sofort'; tepér kann <strong>in</strong> diesen Kontexten nicht<br />

gebraucht werden.<br />

Viele Sprachen bilden zeitdeiktische Adverbien durch den Gebrauch von<br />

Demonstrativa, d.h. <strong>in</strong>dem sie Ausdrücke auf die Zeitebene übertragen, die im<br />

Grund ortsdeiktisch s<strong>in</strong>d. Wenn die ortsdeiktischen Demonstrativa e<strong>in</strong>en dreifach<br />

geglie<strong>der</strong>ten Kontrast aufweisen, wird es, wie ich annehme, e<strong>in</strong>ige Unterschiede<br />

im Gebrauch <strong>der</strong> Ausdrücke für .näher entfernt' und .weiter entfernt'<br />

geben, wie es etwa bei jap. sono toki und ano toki, die beide mit ,<strong>zu</strong> dieser Zeit'<br />

übersetzt werden, <strong>der</strong> Fall ist. Es kann se<strong>in</strong>, daß bei diesem Beispiel die im letzten<br />

Abschnitt erwähnte Unterscheidung von Kuno e<strong>in</strong>e Rolle spielt.<br />

Zeitdeiktische adverbiale Nom<strong>in</strong>a können im Japanischen — im Gegensatz<br />

<strong>zu</strong>m Englischen — <strong>zu</strong>r Identifikation von Objekten <strong>in</strong> Possessivkonstruktionen<br />

verwendet werden. E<strong>in</strong> Mensch, <strong>der</strong> gerade vom Sprecher und vom Hörer beobachtet<br />

wird, o<strong>der</strong> <strong>der</strong>, weil er gerade das Zimmer betreten hat, im Bewußtse<strong>in</strong><br />

von beiden ist, kann als ima no hito (,<strong>der</strong> Mensch von jetzt') bezeichnet werden.<br />

E<strong>in</strong>e Sache, <strong>der</strong> sich Sprecher und Hörer e<strong>in</strong>e kurze Zeit vor <strong>der</strong> Kodierzeit<br />

<strong>zu</strong>gewendet hatten, kann als sakki no koto (,die Sache von vor kurzem')<br />

bezeichnet werden.<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong><br />

In <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Beschreibung <strong>der</strong> deiktischen Muster <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache müssen die grammatischen<br />

Mittel, die die Zeit e<strong>in</strong>es Vorgangs mit <strong>der</strong> Kodierzeit <strong>in</strong> Beziehung<br />

setzen, erklärt werden, aber die präzisen Methoden, mit denen man herausf<strong>in</strong>den<br />

kann, ob für e<strong>in</strong>en gegebenen Fall die Kodierzeit für den Zeitbe<strong>zu</strong>g ausschlaggebend<br />

ist o<strong>der</strong> die Referenzzeit, die durch die Tempora des Satzes konstituiert<br />

wird, s<strong>in</strong>d - <strong>zu</strong>m<strong>in</strong>dest für mich — manchmal unklar. Zunächst gibt<br />

es natürlich unproblematische Fälle <strong>zu</strong>r Beschreibung meßbarer Zeitstrecken<br />

vor und nach <strong>der</strong> Kodierzeit; da<strong>zu</strong> gehören etwa die Konstruktionen N units<br />

ago „vor N E<strong>in</strong>heiten" und N units from now „<strong>in</strong>/nach N E<strong>in</strong>heiten" im Englischen<br />

und ihre normalerweise recht unkomplizierten (oft jedoch idiomatischen)<br />

Parallelen <strong>in</strong> an<strong>der</strong>en Sprachen. Die Sachlage stellt sich jedoch bei an<strong>der</strong>en Typen<br />

von Adverbien, wie z.B. recently „kürzlich" und soon „bald", nicht so e<strong>in</strong>fach<br />

dar. In präteritalen Ausdrücken bezieht sich recently auf e<strong>in</strong>e Zeit, die<br />

nahe vor <strong>der</strong> Kodierzeit liegt; <strong>in</strong> Ausdrücken mit dem Plusquamperfekt jedoch<br />

wird die Zeit des Präteritums als Orientierungspunkt genommen, nicht die Kodierzeit.<br />

Bedeutet das, daß <strong>in</strong> Perfektkonstruktionen die Fokuszeit als Orientierungspunkt<br />

dient? Offensichtlich nicht, da man nicht sagen kann: She will<br />

recently have f<strong>in</strong>ished read<strong>in</strong>g it. Der Gebrauch von zeitreferentiellen Nom<strong>in</strong>alattributen<br />

sche<strong>in</strong>t nur selten mit <strong>der</strong> Kodierzeit verbunden <strong>zu</strong> se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>es dieser<br />

Attribute ist das adjektivisch verwendete future „<strong>zu</strong>künftig", z.B. <strong>in</strong> Sara's future<br />

husband, „Saras <strong>zu</strong>künftiger Mann", das <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht mit Sara 's husband-to-be<br />

verglichen werden kann. Jenes ist deiktisch, dieses nicht. Das wird<br />

durch die Tatsache evident, daß <strong>in</strong> präteritalen Sätzen die Beziehung als <strong>zu</strong>künftig<br />

<strong>zu</strong>r Kodierzeit gesehen wird im ersten Fall, aber nicht im zweiten. Das<br />

heißt: wenn man sagt Last summer I met Sara 's future husband at a health resort,<br />

besteht die Annahme, daß <strong>der</strong> betreffende Mann nicht Saras gegenwärtiger<br />

Ehemann <strong>zu</strong>r Kodierzeit ist. Wenn man an<strong>der</strong>erseits sagt: Last summer I<br />

met Sara 's husband-to-be at a health resort, ist e<strong>in</strong>e solche Annahme unnötig.<br />

7.<br />

E<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressantes Wortfeld, das mit <strong>der</strong> Zeitdeixis <strong>in</strong> Beziehung steht,<br />

bildet die Gruppe <strong>der</strong> Ausdrücke, die die Beziehung zwischen Kodierzeit und<br />

E<strong>in</strong>heiten <strong>der</strong> Uhr- o<strong>der</strong> Kalen<strong>der</strong>zeit herstellen. Ich möchte rasch die Begriffe<br />

sichten, die man bei <strong>der</strong> Behandlung <strong>der</strong> relevanten Aspekte externer Zeit <strong>zu</strong><br />

benötigen sche<strong>in</strong>t. Viele <strong>der</strong> hier erörterten Punkte gehen <strong>in</strong> <strong>der</strong> e<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

Weise auf Leech 1968 <strong>zu</strong>rück.<br />

Zeite<strong>in</strong>heiten werden <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf zyklische Phänomene <strong>in</strong> <strong>der</strong> Natur def<strong>in</strong>iert:<br />

<strong>der</strong> tägliche Wechsel von Licht und Dunkelheit; das wechselnde Aussehen<br />

des Mondes; <strong>der</strong> Zyklus <strong>der</strong> Jahreszeiten, die jährliche Wan<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Sonne,<br />

das Kürzer- und Längerwerden <strong>der</strong> Tage. Es gibt Ausdrücke, die Zeitab-<br />

159


160<br />

<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

schnitte zwischen sich wie<strong>der</strong>holenden Phasen dieser Zyklen bezeichnen, und<br />

es gibt an<strong>der</strong>e Ausdrücke, die nicht-natürliche Zyklen bezeichnen, die <strong>e<strong>in</strong>er</strong>seits<br />

aus Unterabschnitten dieser Zyklen bestehen - wie Stunden - und die<br />

an<strong>der</strong>erseits aus Sequenzen mit fixierter Länge bestehen — wie Wochen.<br />

Es gibt Ausdrücke, die da<strong>zu</strong> benutzt werden können, entwe<strong>der</strong> feste Zeitspannen<br />

o<strong>der</strong> Zeite<strong>in</strong>heiten mit konventionell festgelegten Anfangs- und Endpunkten<br />

<strong>zu</strong> bezeichnen; das heißt: manche Ausdrücke werden <strong>zu</strong>r Bezeichnung<br />

von nicht-kalendarischen E<strong>in</strong>heiten, manche <strong>zu</strong>r Bezeichnung kalendarischer<br />

E<strong>in</strong>heiten verwendet. Wenn das Wort year „Jahr" dafür gebraucht wird, die<br />

zeitliche Distanz zwischen e<strong>in</strong>em 18. März und dem nächsten an<strong>zu</strong>geben, sprechen<br />

wir von <strong>e<strong>in</strong>er</strong> nicht-kalendarischen E<strong>in</strong>heit; wenn es aber dafür verwendet<br />

wird, e<strong>in</strong>e Zeitspanne, die am 1. Januar beg<strong>in</strong>nt und am folgenden 31. Dezember<br />

endet, <strong>zu</strong> bezeichnen, dann sagen wir, daß es e<strong>in</strong>e kalendarische E<strong>in</strong>heit benennt.<br />

Manche Ausdrücke bezeichnen nur kalendarische E<strong>in</strong>heiten, z.B. April.<br />

Für e<strong>in</strong>ige Zyklen existiert e<strong>in</strong> ausgezeichneter erster Ausdruck; man me<strong>in</strong>t<br />

z.B., daß die Monatsnamen mit Januar anfangen. An<strong>der</strong>e — beispielsweise die<br />

Jahreszeiten - haben ke<strong>in</strong>en ersten Term. Hallowell 1957 weist daraufh<strong>in</strong>,<br />

daß bei den Saulteaux die Mondmonate Namen haben; es gibt aber ke<strong>in</strong>en ,ersten'.<br />

Wenn man sie auffor<strong>der</strong>t, die Namen <strong>der</strong> Monate auf<strong>zu</strong>sagen, beg<strong>in</strong>nen<br />

die Saulteaux mit dem gerade laufenden Monat.<br />

E<strong>in</strong>e letzte Bemerkung: Unter den Bezeichnungen für Zeite<strong>in</strong>heiten gibt es<br />

e<strong>in</strong>e Unterscheidung gerade zwischen sog. Appellativen und Eigennamen. Ausdrücke<br />

wie hour „Stunde", day „Tag", week „Woche", month „Monat", year<br />

„Jahr", decade „Jahrzehnt" usw. s<strong>in</strong>d Appellativa, Wörter wie Thursday „Donnerstag",<br />

April „April", the 18th Century „das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t", autumne<br />

„Herbst" und afternoon „Nachmittag" s<strong>in</strong>d Eigennamen. Zeite<strong>in</strong>heiten mit<br />

Eigennamen s<strong>in</strong>d die mit Namen versehenen Glie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Zyklus.<br />

Den, <strong>der</strong> die <strong>Deixis</strong> untersucht, <strong>in</strong>teressieren Ausdrücke, die die Kodierzeit<br />

<strong>zu</strong> dieser o<strong>der</strong> jener <strong>der</strong> externen Zeite<strong>in</strong>heiten <strong>in</strong> Beziehung setzen. Wir betrachten<br />

<strong>zu</strong>nächst das englische Wort today „heute". Es identifiziert e<strong>in</strong>e <strong>zu</strong>m<br />

Kalen<strong>der</strong>tag gehörige Zeit, <strong>in</strong> dem die Kodierzeit enthalten ist o<strong>der</strong> es bezieht<br />

sich auf den Kalen<strong>der</strong>tag als ganzen. Das heißt: Wenn man sagt: Today is the<br />

25th of November „Heute ist <strong>der</strong> 25. November", identifiziert das Wort today<br />

den Kalen<strong>der</strong>tag als ganzen; wenn man sagt: She kissed me today, „Heute hat<br />

sie mich geküßt", identifiziert man das Geschehen als e<strong>in</strong>es, das während des<br />

Kalen<strong>der</strong>tages, <strong>der</strong> die Kodierzeit enthält, vor sich gegangen ist. Die meisten<br />

Sprachen haben e<strong>in</strong> Wort mit <strong>der</strong> Bedeutung ,heute' - ich nehme es <strong>zu</strong>m<strong>in</strong>dest<br />

an (es könnte jedoch <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Fällen homophon mit dem Wort für jetzt' se<strong>in</strong>);<br />

aber man sollte se<strong>in</strong> Augenmerk auf e<strong>in</strong> o<strong>der</strong> zwei D<strong>in</strong>ge richten. Es könnte<br />

se<strong>in</strong>, daß die untersuchte Sprache verschiedene Möglichkeiten besitzt, den je-<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong><br />

weiligen Kalen<strong>der</strong>tag <strong>zu</strong> identifizieren und die Zeit <strong>zu</strong> identifizieren, <strong>zu</strong> <strong>der</strong> <strong>in</strong>nerhalb<br />

e<strong>in</strong>es Kalen<strong>der</strong>tags e<strong>in</strong> Geschehen vonstatten geht. Ausdrücke des letzteren<br />

Typs können unterteilt werden <strong>in</strong> Ausdrücke, die sich auf Geschehnisse<br />

vor <strong>der</strong> Kodierzeit o<strong>der</strong> nach <strong>der</strong> Kodierzeit beziehen; es kann aber auch <strong>der</strong><br />

Fall e<strong>in</strong>treten — wie offensichtlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igen Ch<strong>in</strong>antec-Dialekten (Calvon<br />

Rensch, persönliche Mitteilung) -, daß es nur e<strong>in</strong> beson<strong>der</strong>es Wort für die Bedeutung<br />

.heute <strong>zu</strong> e<strong>in</strong>em früheren Zeitpunkt' gibt.<br />

Die Wörter tomorrow „morgen" und yesterday „gestern" identifizieren die<br />

Kalen<strong>der</strong>tage (o<strong>der</strong> Zeiten <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> Kalen<strong>der</strong>tage), die dem Kalen<strong>der</strong>tag,<br />

<strong>der</strong> die Kodierzeit enthält, folgen bzw. vorausgehen. Im Englischen besitzen<br />

wir beson<strong>der</strong>e lexikalische E<strong>in</strong>heiten für Kalen<strong>der</strong>tage, die e<strong>in</strong>en Tag vor bzw.<br />

nach e<strong>in</strong>em bestimmten Tag liegen; Kalen<strong>der</strong>tage, die zwei Tage vor o<strong>der</strong> nach<br />

e<strong>in</strong>em bestimmten Tag Hegen, werden auf beson<strong>der</strong>e Weise identifiziert: day<br />

before yesterday und day after tomorrow; für Kalen<strong>der</strong>tage, die weiter von<br />

e<strong>in</strong>em bestimmten Tag entfernt s<strong>in</strong>d, benutzen wir jedoch Ausdrücke mit Maßgaben,<br />

z.B. three days ago „vor drei Tagen", seven days from now „heute <strong>in</strong><br />

sieben Tagen".<br />

Manche Sprachen besitzen beson<strong>der</strong>e Wörter für Kalen<strong>der</strong>tage, die mehr als<br />

zwei Tage von heute entfernt s<strong>in</strong>d. Das Persische hat Ausdrücke für zwei Tage<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft und vier Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit; Japanisch: drei Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Zukunft, drei Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit, so auch im Russischen; Vietnamesisch:<br />

drei Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft, vier Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit. Ch<strong>in</strong>antec von<br />

San Juan Lealao: vier Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft, vier Tage <strong>in</strong> <strong>der</strong> Vergangenheit<br />

(James Rupp, persönliche Mitteilung).<br />

In manchen Sprachen werden die Tage, die den heutigen Tag umgeben, nach<br />

ihrer Entfernung von heute benannt, jedoch unabhängig von Zukunft o<strong>der</strong> Vergangenheit.<br />

11 H<strong>in</strong>di z.B. hat Wörter für drei Tage Entfernung: kal bedeutet<br />

.heute'; parsõ bedeutet entwe<strong>der</strong> ,gestern' o<strong>der</strong> ,morgen'; tarsõ bedeutet .zwei<br />

Tage von heute entfernt' und narsõ bedeutet ,drei Tage von heute entfernt',<br />

und zwar <strong>in</strong> beide Richtungen.<br />

Für die Beziehung zwischen Kodierzeit und E<strong>in</strong>heiten, die nicht Tage s<strong>in</strong>d,<br />

werden gewöhnlich beson<strong>der</strong>e, analytische Ausdrücke verwendet; man kennt<br />

aber auch Sprachen, die nicht-analysierbare lexikalische E<strong>in</strong>heiten für die Bedeutung<br />

,dieses Jahr' besitzen. Das engl. Muster Ms X „dies- X", next X<br />

„nächst- X", last X „letzt- X", X after next „übernächst- X" und X before<br />

last „vorletzt- X" gilt für Wochen, Monate und Jahre. Das Japanische besitzt<br />

e<strong>in</strong> etwas unregelmäßiges Kompositionsverfahren, das an kotosi (,dieses Jahr'),<br />

kyonen (,letztes Jahr') und ra<strong>in</strong>en (,nächstes Jahr') demonstriert werden kann;<br />

die Muster für Wochen und Monate s<strong>in</strong>d etwas an<strong>der</strong>s.<br />

161


162 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong> l<br />

In diesen Beispielen war das ,X' e<strong>in</strong>e durch e<strong>in</strong> Appellativum ausgedrückte<br />

Kalen<strong>der</strong>e<strong>in</strong>heit; das this „dies" hat die Funktion, dieses ,X', das den Zeitpunkt<br />

des Sprechens - die Kodierzeit - enthält, <strong>zu</strong> identifizieren; die Wörter next<br />

„nächst-" und last „letzt-" dienen <strong>zu</strong>r Bezeichnung <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heiten, die <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>heit, die die Kodierzeit enthält, unmittelbar folgen o<strong>der</strong> vorausgehen. Bei<br />

durch Eigennamen ausgedrückten Zeite<strong>in</strong>heiten ist das Muster an<strong>der</strong>s; es<br />

sche<strong>in</strong>t sogar für Unterteilungen von Tagen und für größere E<strong>in</strong>heiten mit<br />

Eigennamen unterschiedlich <strong>zu</strong> funktionieren. E<strong>in</strong>heiten mit Eigennamen<br />

s<strong>in</strong>d die mit Namen versehenen Glie<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Zyklus, und es kann e<strong>in</strong>e Kalen<strong>der</strong>e<strong>in</strong>heit,<br />

die mit diesem Zyklus korrespondiert, geben o<strong>der</strong> auch nicht. Bei<br />

Jahreszeiten und Tagesunterteilungen gibt es ke<strong>in</strong>e Kalen<strong>der</strong>e<strong>in</strong>heit, wohl<br />

aber für Wochentage und die Monate des Jahres. Für das Englische me<strong>in</strong>e ich<br />

damit folgendes: Da <strong>der</strong> Jahreswechsel im W<strong>in</strong>ter liegt und <strong>der</strong> Tageswechsel<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Nacht, gibt es ke<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>deutige größere Kalen<strong>der</strong>e<strong>in</strong>heit, die e<strong>in</strong>e vollständigen<br />

Jahreszeitenzyklus o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>en vollständigen Zyklus <strong>der</strong> Tagesunterteilungen<br />

echt enthält.<br />

Die verschiedenen Muster <strong>der</strong> E<strong>in</strong>heiten mit Eigennamen enthalten alle das<br />

folgende: Pi sei e<strong>in</strong>e Variable über E<strong>in</strong>heiten mit Eigennamen <strong>der</strong> Größe i;<br />

Ci sei <strong>der</strong> durch e<strong>in</strong>e wie<strong>der</strong>holungsfreie Sequenz von Pi def<strong>in</strong>ierte Zyklus;<br />

Ci' sei die Kalen<strong>der</strong>e<strong>in</strong>heit <strong>der</strong> Größe Ci. Der Index i verläuft über Tagesunterteilungen,<br />

Wochentage, Monate und Jahreszeiten. Im allgeme<strong>in</strong>en bedeutet<br />

this Pi „dies- Pi": ,das Pi, das im Ci', welches die Kodierzeit enthält, enthalten<br />

ist'.Abweichungen hängen von <strong>zu</strong>sätzlichen Bed<strong>in</strong>gungen ab: Kann die Kodierzeit<br />

im erwähnten Pi enthalten se<strong>in</strong> o<strong>der</strong> nicht? This morn<strong>in</strong>g z. B. kann man<br />

am Morgen sagen; man kann aber nicht an e<strong>in</strong>em Donnerstag this Thursday<br />

„diesen Donnerstag" sagen.) Muß die Kodierzeit dem erwähnten Pi vorausgehen?<br />

(This afternoon beispielsweise kann man am Morgen o<strong>der</strong> am Abend<br />

sagen; obwohl jedoch this Thursday „diesen Donnerstag" <strong>in</strong> allen ,Dialekten'<br />

am Montag gebraucht werden kann, kann es <strong>in</strong> manchen am Sonnabend nicht<br />

gebraucht werden.) Schwierigkeiten entstehen, wenn Ci von Ci' verschieden<br />

ist (so gibt es e<strong>in</strong>ige Unklarheiten über die Gebrauchsbed<strong>in</strong>gungen von this<br />

w<strong>in</strong>ter, und weil die Sprecher des Englischen ke<strong>in</strong>e festen Vorstellungen<br />

davon haben, wenn <strong>der</strong> Wochenzyklus beg<strong>in</strong>nt.<br />

E<strong>in</strong> Ausdruck this mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Tagesunterteilung bezieht sich auf e<strong>in</strong>e Unterteilung<br />

e<strong>in</strong>es Kalen<strong>der</strong>tags, die die Kodierzeit mit e<strong>in</strong>schließt. This morn<strong>in</strong>g,<br />

this afternoon und this even<strong>in</strong>g beziehen sich auf den Morgen, den Nachmittag<br />

und den Abend (o<strong>der</strong> auf Zeiten, die <strong>in</strong> diesen Tageszeit enthalten s<strong>in</strong>d)<br />

e<strong>in</strong>schließlich <strong>der</strong> Kodierzeit. E<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Sprache kann natürlich nicht-analysierbare<br />

lexikalische Elemente für diese E<strong>in</strong>heiten besitzen, sie kann den Tag<br />

<strong>in</strong> E<strong>in</strong>heiten von verschiedener Dauer aufteilen, sie kann Muster wie .heute<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 163<br />

morgen/früh' benötigen und es kann möglich se<strong>in</strong>, daß man sich auf verschiedene<br />

Weisen auf Unterteilungen des heutigen Tages bezieht, je nachdem, ob die<br />

Unterteilung selbst die Kodierzeit enthält o<strong>der</strong> nicht. 12<br />

Im Englischen besteht das Muster <strong>zu</strong>r Benennung von Unterteilungen des<br />

heutigen Tages aus this plus dem Namen <strong>der</strong> Unterteilung; aber es gibt e<strong>in</strong>e<br />

Ausnahme: tonight. Für die Entfernung von e<strong>in</strong>em Tag ist das Muster: Name<br />

des Tages plus Name <strong>der</strong> Unterteilung, yesterday afternoon „gestern nachmittag",<br />

tomorrow morn<strong>in</strong>g „morgen früh"; wie<strong>der</strong>um mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Ausnahme:<br />

last night. Im Englischen werden die Tageszeiten von Tagen, die vor gestern<br />

o<strong>der</strong> nach morgen liegen, nicht beson<strong>der</strong>s benannt, mit <strong>der</strong> Ausnahme: night<br />

before last. Die Tageszeit, die <strong>in</strong> allen Fällen die Ausnahme vom Muster bildet,<br />

ist night; night ist jedoch, wie wir bereits sahen, ke<strong>in</strong>e echte Unterteilung des<br />

Kalen<strong>der</strong>tages. In an<strong>der</strong>en Sprachen können sich die Sachverhalte wie<strong>der</strong>um<br />

ganz an<strong>der</strong>s darstellen. Im Lalana Ch<strong>in</strong>antec z. B. gibt es beson<strong>der</strong>e Wörter<br />

für ,gestern nachmittag' und ,vorvorgestern nachmittag' (Calv<strong>in</strong> Rensch, persönliche<br />

Mitteilung).<br />

Der Gebrauch von this, next und last bei Tages- o<strong>der</strong> Monatse<strong>in</strong>heiten mit<br />

Eigennamen ist im Englischen äußerst variabel und ist häufig Ursache für das<br />

Scheitern <strong>der</strong> Kommunikation und für verpaßte Verabredungen. E<strong>in</strong>e <strong>der</strong><br />

weniger angenehmen Aufgaben <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong>-Forschung besteht dar<strong>in</strong>, diese<br />

Variabilität genauer <strong>zu</strong> erfassen.<br />

Nehmen wir z.B. next „nächst-". Next Thursday „nächsten Donnerstag"<br />

kann entwe<strong>der</strong> den Donnerstag <strong>der</strong> nächsten Woche me<strong>in</strong>en o<strong>der</strong> den kommenden<br />

Donnerstag. Oft fallen beide Möglichkeiten <strong>zu</strong>sammen (wenn man<br />

es etwa am Freitag o<strong>der</strong> Sonnabend sagt); falls man es am Mittwoch sagt,<br />

weiß man, daß es sich auf den Donnerstag <strong>der</strong> folgenden Woche bezieht, da<br />

sonst als erstes das Wort tomorrow „morgen" gewählt worden wäre. Wie<br />

verhält es sich aber, wenn jemand den Ausdruck next Thursday „nächsten<br />

Donnerstag" am Montag verwendet? Wir müssen ihn e<strong>in</strong>fach fragen, was er<br />

me<strong>in</strong>t. Ähnliche Probleme gibt es <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf den Gebrauch von last „letzt".<br />

Natürlich s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Sprache Mittel vorgesehen, die Klarheit über diese Bezeichnungen<br />

schaffen, wie z. B. this com<strong>in</strong>g Thursday „diesen kommenden<br />

Donnerstag" o<strong>der</strong> the Thursday of last week „<strong>der</strong> Donnerstag letzter Woche",<br />

aber <strong>in</strong> diesem Gebrauchsbereich sche<strong>in</strong>en die Sprecher vom antizipatorischen<br />

Dekodieren nicht viel Gebrauch <strong>zu</strong> machen.<br />

Noch schwieriger ist das Muster mit this „dies-". Folgende Konventionen<br />

folgt <strong>zu</strong>m<strong>in</strong>dest e<strong>in</strong> nativer Sprecher des Englischen m. E.: Ich kann sagen,<br />

daß e<strong>in</strong> Geschehen this Thursday „diesen Donnerstag" vor sich geht, wenn<br />

(i) die Kodierzeit <strong>in</strong> <strong>der</strong>selben Kalen<strong>der</strong>woche enthalten ist wie die Zeit des<br />

Geschehens, (ii) die Kodierzeit vor <strong>der</strong> Geschehenszeit liegt, (iii) die Kodier-


164 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

zeit nicht im selben Tag enthalten ist wie die Geschehenszeit und (iv) die<br />

Kodierzeit nicht <strong>in</strong> dem Tag enthalten ist, <strong>der</strong> dem Tag, <strong>in</strong> dem die Geschehenszeit<br />

enthalten ist, vorausgeht (sonst würde man tomorrow „morgen" sagen).<br />

Die Sachlage ist deshalb so schwierig, weil über Bed<strong>in</strong>gung (ii) Une<strong>in</strong>igkeiten<br />

herrschen kann, da die Sprecher den Wochentag manchmal nicht wissen und<br />

da niemand weiß, ob die Woche am Sonntag o<strong>der</strong> am Montag beg<strong>in</strong>nt (alle<br />

s<strong>in</strong>d jedoch <strong>der</strong> Me<strong>in</strong>ung, daß sie mit e<strong>in</strong>em dieser Tage beg<strong>in</strong>nt). Es ist darauf<br />

h<strong>in</strong><strong>zu</strong>weisen, daß jemand, <strong>der</strong> den gerade beschriebenen Konventionen folgt,<br />

Ausdrücke <strong>der</strong> Form this X-day „diesen X-tag" nicht gebrauchen kann, wenn<br />

er am Sonnabend spricht, und daß er den Ausdruck this Monday nicht braucht.<br />

Die Ausdrücke, die e<strong>in</strong>e Beziehung zwischen <strong>der</strong> Kodierzeit und <strong>der</strong> externen<br />

Kalen<strong>der</strong>- o<strong>der</strong> Uhrzeit herstellen, umfassen nicht nur Nom<strong>in</strong>a und<br />

Adverbiale des bis jetzt diskutierten Typs. Manche Sprachen besitzen Tempusflexionen,<br />

die sich auf die Zeit von natürlichen Zyklen beziehen. Das Palantla<br />

Ch<strong>in</strong>antec hat zwei Tempusmorpheme <strong>in</strong> Kompletivsätzen: das e<strong>in</strong>e wird für<br />

Geschehnisse, die sich früher am selben Kalen<strong>der</strong>tag ereignet haben, benutzt,<br />

das an<strong>der</strong>e für Geschehnisse, die sich entwe<strong>der</strong> gerade ereignet haben o<strong>der</strong> die<br />

sich vor dem heutigen Tag ereignet haben (Merrifield 1968, S. 25). Das Amahuaca,<br />

e<strong>in</strong>e Panoa-Sprache <strong>in</strong> Peru, hat e<strong>in</strong> Tempusaffix, das ,gestern' bedeutet,<br />

wenn es am Morgen e<strong>in</strong>es Tages gebraucht wird, und das ,heute morgen' bedeutet,<br />

wenn es später am Tag benutzt wird (Robert Rüssel, persönliche Mitteilung).<br />

Und <strong>in</strong> m<strong>in</strong>destens e<strong>in</strong>em Fall hängt die Wahl e<strong>in</strong>es Nomens <strong>zu</strong>r Benennung<br />

e<strong>in</strong>es Objekts von <strong>der</strong> Tageszeit ab, <strong>zu</strong> <strong>der</strong> kodiert wird. Im Marokkanischen<br />

Arabischen heißt e<strong>in</strong>e Nadel so am Morgen, an<strong>der</strong>s <strong>zu</strong> an<strong>der</strong>en Tageszeiten.<br />

(<strong>Charles</strong> A. Ferguson, persönliche Mitteilung).<br />

8.<br />

In <strong>der</strong> Rededeixis wird auf e<strong>in</strong>en Teil <strong>der</strong> Rede, die den deiktischen Ausdruck<br />

enthält, Be<strong>zu</strong>g genommen. In Sprachen mit Schreibtraditionen kann es verschiedene<br />

Mittel <strong>der</strong> Rededeixis für gesprochene und geschriebene Sprache<br />

geben. Sprachen mit Schreibtraditionen können sich weiterh<strong>in</strong> dar<strong>in</strong> unterscheiden,<br />

bis <strong>zu</strong> welchem Grad es möglich ist, die <strong>der</strong> Schriftsprache <strong>zu</strong>gehörigen<br />

Mittel <strong>in</strong> die gesprochene Sprache e<strong>in</strong><strong>zu</strong>führen. Sogar <strong>in</strong> formeller<br />

Rede ist es im Englischen Unangebracht, sich auf vorher Erwähntes mit the<br />

above „das Obige" <strong>zu</strong> beziehen, während die jap. Parallele ijoo im höchst<br />

formellen Redestil häufig vorkommt.<br />

Wie oben erwähnt, kann engl. this sich auf soeben Geschehenes o<strong>der</strong> etwas,<br />

was im Begriff ist <strong>zu</strong> geschehen, beziehen. In Abschnitt 5. wurde ausgeführt,<br />

daß die Wahl davon abhängt, ob <strong>der</strong> Sprecher me<strong>in</strong>t, daß die Zeitspanne des<br />

Geschehens se<strong>in</strong> subjektives jetzt' überlappt, es e<strong>in</strong>schließt o<strong>der</strong> <strong>in</strong> ihm e<strong>in</strong>-<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 165<br />

geschlossen ist. Infolgedessen kann nur this gewählt werden <strong>zu</strong>m Be<strong>zu</strong>g auf<br />

e<strong>in</strong> gerade stattf<strong>in</strong>dendes Geschehen, wie etwa <strong>in</strong> <strong>der</strong> Ansage mitten im Programm:<br />

This is the CBS News.<br />

That kann sich nur auf den unmittelbar vorausgehenden Teil <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Rede<br />

beziehen, und dieser Gebrauch sollte von <strong>der</strong> re<strong>in</strong> anaphorischen Verwendung<br />

von that unterschieden werden. Spezifischer für Rededeixis s<strong>in</strong>d Ausdrücke<br />

wie the follow<strong>in</strong>g „das Folgende" o<strong>der</strong> the preced<strong>in</strong>g „das Gesagte". Zum<br />

Be<strong>zu</strong>g auf e<strong>in</strong>e Liste von zwei D<strong>in</strong>gen im vorausgehenden Redeteil benutzt<br />

das Englische die Ausdrücke the former „das erstere" und the latter „das<br />

letztere". Das erstere bezieht sich auf das erste Glied <strong>der</strong> Liste, das letztere<br />

auf das zweite. Viele Sprachen benutzen <strong>in</strong> dieser Funktion Demonstrativpronom<strong>in</strong>a<br />

o<strong>der</strong> nom<strong>in</strong>al gebrauchte demonstrative Adjektive.<br />

Manchmal trifft man auf etwas, was man nahe Rededeixis nennen könnte,<br />

wo z. B. Be<strong>zu</strong>g genommen wird auf den gerade geäußerten Satz, etwa <strong>in</strong> This<br />

sentence conta<strong>in</strong>s five words „Dieser Satz besteht aus fünf Wörtern", o<strong>der</strong><br />

auf e<strong>in</strong> bestimmtes Charakteristikum <strong>der</strong> Rede, wie etwa <strong>in</strong> dem Satz: He<br />

spoke about this loud „Er sprach etwa so laut", <strong>der</strong> mit <strong>e<strong>in</strong>er</strong> bestimmten<br />

Lautstärke ausgesprochen wird. Personaldeixis wird <strong>in</strong> geschriebener Sprache<br />

oft durch e<strong>in</strong>e <strong>in</strong>direkte Form ausgedrückt, die den Be<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong>r Rede herstellt.<br />

Im Deutschen ist die Referenz explizit: Schreiber dieses, im Englischen<br />

implizit the present writer. 13<br />

9.<br />

E<strong>in</strong>en beson<strong>der</strong>s <strong>in</strong>teressanten Problemtyp — <strong>der</strong> manchmal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Derivationsund<br />

Flexionsmorphologie, manchmal <strong>in</strong> <strong>der</strong> Auswahl von Lexikone<strong>in</strong>heiten<br />

relevant wird - stellen die Bewegungsverben dar, für die manche Aspekte <strong>der</strong><br />

Kommunikationssituation wichtig s<strong>in</strong>d, wenn es darum geht, den Ausgangspunkt<br />

und das Ziel <strong>der</strong> Bewegung <strong>zu</strong> bestimmen. Dieses Thema haben wir schon<br />

vorh<strong>in</strong> <strong>in</strong> Zusammenhang mit <strong>der</strong> Bedeutung <strong>der</strong> Kategorien ,<strong>zu</strong>m Sprecher<br />

h<strong>in</strong>' und ,vom Sprecher weg', die Merrifield für das Palantla Ch<strong>in</strong>antec aufstellte,<br />

berührt.<br />

Die Kategorien, die wir für Bewegungsverben spezifizieren müssen, zerfallen<br />

offenbar <strong>in</strong> zwei Gruppen: 1. Ist <strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong> des Sprechers, <strong>der</strong> des<br />

Angesprochenen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> entwe<strong>der</strong> des Sprechers o<strong>der</strong> des Angesprochenen?<br />

2. Ist <strong>der</strong> Standort, auf den Be<strong>zu</strong>g genommen wird, <strong>der</strong> Standort des relevanten<br />

Gesprächteilnehmers <strong>zu</strong>r Kodierzeit, <strong>der</strong> Standort <strong>zu</strong>r Zeit <strong>der</strong> Bewegung<br />

o<strong>der</strong> ist es se<strong>in</strong> Domizil?<br />

Die Ch<strong>in</strong>antec-Sprachen s<strong>in</strong>d für ihren Gebrauch <strong>der</strong> Kategorie ,Domizil' bei<br />

<strong>der</strong> Flexion von Bewegungsverben bekannt. Das Lalana Ch<strong>in</strong>antec besitzt für<br />

e<strong>in</strong>ige elementare Bewegungsverben suppletive Varianten, <strong>der</strong>en Auswahl da-


166 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

von abhängt, ob die Bewegung auf den Sprecher h<strong>in</strong> erfolgt o<strong>der</strong> nicht (und<br />

das bedeutet m. E.: auf den gegenwärtigen Standort des Sprechers h<strong>in</strong>), und<br />

es hat Flexionsvarianten, die danach ausgewählt werden, ob die Bewegung<br />

auf das Domizil des Sprechers h<strong>in</strong> gerichtet ist o<strong>der</strong> nicht (Calv<strong>in</strong> Rensch, persönliche<br />

Mitteilung). Wenn ich <strong>in</strong> dieser Sprache sagen will, daß jemand am<br />

Punkt X angekommen ist, muß ich e<strong>in</strong>es von vier Verben wählen, je nachdem,<br />

ob ich gegenwärtig <strong>in</strong> X b<strong>in</strong> und X me<strong>in</strong> Domizil ist ([ge •? n 32 ]), ob ich <strong>in</strong> X<br />

b<strong>in</strong> und X nicht me<strong>in</strong> Domizil ist ([gwen 23 ]), ob ich nicht <strong>in</strong> X b<strong>in</strong> und X me<strong>in</strong><br />

Domizil ist ([dxe • ? 32 ]) o<strong>der</strong> ob ich nicht <strong>in</strong> X b<strong>in</strong> und X nicht me<strong>in</strong> Domizil<br />

ist([dxo• 32 ]).<br />

Viele Sprachen haben e<strong>in</strong>fache Verben, die man mit ,kommen' und ,gehen'<br />

<strong>zu</strong> übersetzen geneigt ist, o<strong>der</strong> flektierte Formen, die man analytisch mit<br />

,kommen, <strong>zu</strong> Fuß', ,gehen, <strong>zu</strong> Fuß', ,kommen, schwimmend', ,gehen, schwimmend'<br />

usw. übersetzen möchte. Diese Sprachen unterscheiden sich jedoch vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

dar<strong>in</strong>, ob <strong>der</strong> Zielpunkt <strong>der</strong> Verben mit <strong>der</strong> Bedeutung ,kommen' nur<br />

<strong>der</strong> Standort des Sprechers ist o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Standort entwe<strong>der</strong> des Sprechers o<strong>der</strong><br />

des Angesprochenen. Im Englischen bedeutet come „kommen" entwe<strong>der</strong> Bewegung<br />

auf den Standort des Sprechers h<strong>in</strong> o<strong>der</strong> auf den des Angesprochenen,<br />

entwe<strong>der</strong> <strong>zu</strong>r Kodierzeit o<strong>der</strong> <strong>zu</strong>r Zeit <strong>der</strong> Bewegung (<strong>Fillmore</strong> 1965). Jap.<br />

kuru und span. venir bedeuten Bewegung auf den Standort des Sprechers h<strong>in</strong><br />

<strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>der</strong> beiden Zeiten. Man kann sich diese Unterscheidung leicht so<br />

merken: In Sprachen, <strong>in</strong> denen es wie im Englischen ist, sagt <strong>der</strong> Sohn, wenn<br />

ihn die Mutter <strong>zu</strong>m Frühstück ruft: ,Ich komme'; <strong>in</strong> Sprachen, <strong>in</strong> denen es<br />

an<strong>der</strong>s ist, sagt <strong>der</strong> Sohn: ,Ich gehe'. 14<br />

10.<br />

Die genaue Funktion <strong>der</strong> Standorte <strong>der</strong> Gesprächsteilnehmer bei Bewegungsverben<br />

und die Grundfunktion <strong>der</strong> ortsdeiktischen Kategorien s<strong>in</strong>d manchmal<br />

schwer fest<strong>zu</strong>stellen, und zwar weil e<strong>in</strong> Prozeß wirkt, den ich folgen<strong>der</strong>maßen<br />

nennen will: die Perspektive des an<strong>der</strong>en übernehmen. Die Opposition ,nah/<br />

fern' <strong>der</strong> Ortsdeixis und die Opposition ,auf den Sprecher h<strong>in</strong>/nicht auf den<br />

Sprecher h<strong>in</strong>' bei Bewegungsverben werden im Mazahua <strong>in</strong> manchen Fällen<br />

beim Briefeschreiben zwischen Absen<strong>der</strong> und Empfänger umgekehrt (Don<br />

Stuart, persönliche Mitteilung). Das mag aus Ehrerbietung geschehen o<strong>der</strong> es<br />

kann se<strong>in</strong>, daß die Sprachbenutzer noch ke<strong>in</strong>e Konversation aufgestellt haben,<br />

über die Standorte von Absen<strong>der</strong> und Empfänger <strong>zu</strong> reden, wenn diese sich <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em (möglicherweise unbekannten) Abstand vone<strong>in</strong>an<strong>der</strong> bef<strong>in</strong>den und wenn<br />

auch Enkodier- und Dekodierzeit verschieden s<strong>in</strong>d.<br />

Wir wollen folgenden Fall betrachten: A bittet B, dorh<strong>in</strong> <strong>zu</strong> gehen, wo A<br />

ist. Im Englischen ist es immer richtig, I'll come „Ich werde kommen" o<strong>der</strong><br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 167<br />

I'm com<strong>in</strong>g „Ich komme" <strong>zu</strong> sagen o<strong>der</strong> <strong>zu</strong> schreiben. Im Japanischen sagt<br />

o<strong>der</strong> schreibt man ,Ich gehe'. Im Thai sagt man ,Ich gehe dorth<strong>in</strong>', wenn man<br />

am Telefon antwortet, ,Ich komme hierh<strong>in</strong>', wenn man <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Brief antwortet<br />

(William Gedney, persönliche Mitteilung). Im Ungarischen lautet die typische<br />

Antwort ,Ich gehe', aber wenn man gerufen wird und sofort folgt — wenn<br />

z.B. e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d <strong>zu</strong> Tisch gerufen wird —, lautet sie entwe<strong>der</strong> ,Ich komme' o<strong>der</strong><br />

,Ich gehe' (Edith Moravcik, persönliche Mitteilung). Es sche<strong>in</strong>t überlegenswert<br />

<strong>zu</strong> se<strong>in</strong>, daß die Möglichkeit e<strong>in</strong>es Sprachbenutzers, dem Adressaten die Kategorie<br />

,nah' und sich selbst die Kategorie ,fern' <strong>zu</strong><strong>zu</strong>schreiben, aus <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Form <strong>der</strong><br />

ehrerbietigen Rede hervorgegangen se<strong>in</strong> könnte.<br />

E<strong>in</strong>e parallele Wahl gibt es bei <strong>der</strong> Zeitdeixis, wenn die Enkodierzeit des<br />

Sen<strong>der</strong>s <strong>in</strong> e<strong>in</strong>igem Abstand <strong>zu</strong>r Dekodierzeit des Empfängers liegt. Normalerweise<br />

wird das, was <strong>der</strong> Sprecher sagt, im wesentlichen gleichzeitig vom Angesprochenen<br />

aufgenommen: zwischen Enkodier- und Dekodierzeit liegt ke<strong>in</strong><br />

Abstand. Das hat sich durch verschiedene Erf<strong>in</strong>dungen geän<strong>der</strong>t, die e<strong>in</strong><br />

dauerhafteres Medium als Schallwellen <strong>zu</strong>r Verfügung stellen o<strong>der</strong> die haltbare<br />

Aufnahmen von Sprechakten ermöglichen. Der Begriff Kodierzeit, <strong>der</strong> bislang<br />

von gutem Nutzen war, muß daher so aufgeschlüsselt werden, daß er sich auf<br />

die Enkodierzeit des Sprechers o<strong>der</strong> Schreibers o<strong>der</strong> die Dekodierzeit des<br />

Hörers o<strong>der</strong> Lesers bezieht.<br />

Wenn Enkodier- und Dekodierzeit verschieden s<strong>in</strong>d, muß die Zeit, die <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Satz als zentral gilt, die e<strong>in</strong>e o<strong>der</strong> die an<strong>der</strong>e se<strong>in</strong>; und es gibt nicht<br />

immer wohldef<strong>in</strong>ierte Konventionen, nach denen <strong>der</strong> Sprecher o<strong>der</strong> Schreiber<br />

entscheiden kann, welche er benutzen soll. Wenn ich am 23. Dezember e<strong>in</strong>en<br />

Brief schreibe, <strong>der</strong> vermutlich am 27. Dezember <strong>zu</strong>gestellt wird, weiß ich nicht,<br />

ob ich schreiben soll: I hope you have a nice Christmas „Ich hoffe, daß Sie schöne<br />

Weihnachten haben" o<strong>der</strong> I hope you had a nice Christmas „Ich hoffe, daß<br />

Sie schöne Weihnachten hatten". Im ersten Fall gilt die Schreib- (o<strong>der</strong> Enkodier-)zeit<br />

als zentral, im zweiten die Lese- (o<strong>der</strong> Dekodier-)zeit. E<strong>in</strong>e Wahl, die<br />

im Briefstil des Late<strong>in</strong>ischen offenbar bewußt getroffen wurde, bestand dar<strong>in</strong>,<br />

daß die Schreibzeit mit e<strong>in</strong>em Tempus <strong>der</strong> Vergangenheit, die Zeit vor <strong>der</strong><br />

Schreibzeit mit dem Plusquamperfekt ausgedrückt werden konnte (erwähnt bei<br />

R. Lakoff 1970, S. 847). Diese Möglichkeit besteht im Englischen überhaupt<br />

nicht.<br />

Manche Autoren benutzen die Schreibzeit als zentrale Zeit: As I sit here at<br />

my desk writ<strong>in</strong>g these words. . . „Ich sitze hier am Tisch und schreibe diese<br />

Zeilen ...". Für an<strong>der</strong>e ist die Lesezeit zentral: You are now read<strong>in</strong>g a book<br />

which will change your life „Sie lesen jetzt e<strong>in</strong> Buch, das Ihr Leben verän<strong>der</strong>n<br />

wird". Da das Tempus e<strong>in</strong>es Satzes e<strong>in</strong>deutig auf e<strong>in</strong>e <strong>der</strong> beiden Zeiten basieren<br />

muß, erwarten wir nicht, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Buch e<strong>in</strong>en Satz mit folgendem Anfang


168 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

<strong>zu</strong> f<strong>in</strong>den: As I sit here at my desk writ<strong>in</strong>g the words which you are now read<strong>in</strong>g...<br />

„Ich sitze hier am Tisch und schreibe die Zeilen, die Sie jetzt lesen...".<br />

Wenn man e<strong>in</strong> Videoband benutzt, taucht <strong>in</strong> gesprochener Sprache e<strong>in</strong> analoges<br />

Problem auf. Die Darsteller <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> aufgezeichneten Fernsehshow, <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

die Zuschauer angesprochen werden, wissen manchmal nicht recht, ob sie sagen<br />

sollen: This program will be broadcast three days from now „Dieses Programm<br />

wird heute <strong>in</strong> drei Tagen gesendet" o<strong>der</strong> This show was taped three<br />

days ago „Diese Show ist vor drei Tagen aufgezeichnet worden".<br />

E<strong>in</strong> Mensch, <strong>der</strong> über solche D<strong>in</strong>ge nie nachdenkt, e<strong>in</strong> Mensch <strong>der</strong> se<strong>in</strong> sprachliches<br />

Verhalten nie durch überlegtes antizipatorisches Dekodieren modifiziert,<br />

gehört <strong>zu</strong> den Menschen, die e<strong>in</strong>e Notiz an ihre Bürotür heften mit <strong>der</strong> Aufschrift:<br />

Back <strong>in</strong> half an hour „B<strong>in</strong> <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> halben Stunde <strong>zu</strong>rück".<br />

11.<br />

E<strong>in</strong>ige Ausdrücke <strong>der</strong> Lokalisierung haben verschiedene Formen, je nachdem,<br />

ob es für den Sprecher nötig ist, die Perspektive des Angesprochenen <strong>zu</strong> übernehmen.<br />

Wenn ich sage A is to the right of B „A ist rechts von B", so ist das<br />

richtig, wenn <strong>der</strong> Angesprochene und ich <strong>in</strong> gleicher Position <strong>zu</strong> B stehen.<br />

Wenn unsere Positionen <strong>zu</strong> B verschieden s<strong>in</strong>d, muß ich etwa sagen: A is to the<br />

right of B as you're fac<strong>in</strong>g it ,,A ist rechts von B, wenn du davorstehst"; o<strong>der</strong><br />

wenn ich e<strong>in</strong>en Orientierungspunkt angeben muß, <strong>der</strong> woan<strong>der</strong>s liegt als <strong>der</strong><br />

Ort, wo wir uns <strong>zu</strong>r Kodierzeit aufhalten, könnte ich etwas sagen wie: A is to<br />

the right of B if you're look<strong>in</strong>g north from the cemetery gate A ist rechts von<br />

B, wenn man aus nördlicher Richtung vom Friedhofstor guckt".<br />

In diesem Zusammenhang muß auf e<strong>in</strong>e Ambiguität <strong>der</strong> Wörter left „l<strong>in</strong>ks"<br />

und right „rechts" e<strong>in</strong>gegangen werden. Wenn das B des Satzes A is to the right<br />

ofB „A ist rechts von B" etwa e<strong>in</strong> großer Felsen ist, kann <strong>der</strong> Satz e<strong>in</strong>en re<strong>in</strong><br />

deiktischen Effekt haben. Wenn das B etwas ist, das selbst nach vorn/h<strong>in</strong>ten/<br />

l<strong>in</strong>ks/rechts orientiert ist, wie etwa e<strong>in</strong> aufrecht stehendes Pferd, könnte <strong>der</strong><br />

lokale Ausdruck nicht-deiktisch se<strong>in</strong> - <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em solchen Fall wäre es aber natürlicher<br />

<strong>zu</strong> sagen A is on the right side of B . Beim nicht-deiktischen Gebrauch<br />

von right „rechts" und left „l<strong>in</strong>ks" und beh<strong>in</strong>d „h<strong>in</strong>ter" und <strong>in</strong> front of „vor"<br />

trägt <strong>der</strong> Satz immer dieselbe Information ohne Rücksicht darauf, wo <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>der</strong><br />

beiden Gesprächsteilnehmer sich bef<strong>in</strong>det.<br />

Auf diese Unterscheidung müssen die Autoren von Grammatiken und Wörterbüchern<br />

achten, und sei es nur deshalb, daß sie den Leser wissen lassen, ob<br />

die Glossen ,rechts von', ,h<strong>in</strong>ter' usw. für bestimmte Ausdrücke <strong>in</strong> ihrer deiktischen<br />

o<strong>der</strong> nicht-deiktischen Verwendung <strong>zu</strong> <strong>in</strong>terpretieren s<strong>in</strong>d. Nehmen wir<br />

das Wort beh<strong>in</strong>d „h<strong>in</strong>ter". Bei irgend<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Gelegenheit könnte ich <strong>zu</strong> Ihnen<br />

sagen: There's a porcup<strong>in</strong>e beh<strong>in</strong>d that tree „H<strong>in</strong>ter diesem Baum ist e<strong>in</strong> Sta-<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 169<br />

chelschwe<strong>in</strong>"; ich sage damit folgendes: auf <strong>der</strong> Seite des Baumes, die <strong>der</strong> Seite,<br />

auf <strong>der</strong> wir uns bef<strong>in</strong>den, gegenüberliegt, ist e<strong>in</strong> Stachelschwe<strong>in</strong>. Wenn ich<br />

bei <strong>e<strong>in</strong>er</strong> an<strong>der</strong>en Gelegenheit sage: There's a porcup<strong>in</strong>e beh<strong>in</strong>d that car „H<strong>in</strong>ter<br />

diesem Auto ist e<strong>in</strong> Stachelschwe<strong>in</strong>", lokalisiere ich das Tier <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf<br />

das Auto (es ist auf <strong>der</strong> Rückseite des Autos); <strong>in</strong> diesem Fall wird auf Ihren<br />

und me<strong>in</strong>en Standort ke<strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g genommen. Da es diese beson<strong>der</strong>en Verwendungen<br />

bestimmter lokaler Ausdrücke gibt, ist es wichtig, bei <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprachbeschreibung<br />

klar<strong>zu</strong>stellen, ob das Wort, das man mit beh<strong>in</strong>d „h<strong>in</strong>ter" o<strong>der</strong> left<br />

„l<strong>in</strong>ks" o<strong>der</strong> ihren Gegenstücken übersetzt, den gleichen Gebrauchsumfang <strong>der</strong><br />

englischen Wörter hat o<strong>der</strong> ob es auf deiktischen o<strong>der</strong> nicht-deiktischen Gebrauch<br />

e<strong>in</strong>geschränkt ist.<br />

12.<br />

Bis hier s<strong>in</strong>d die Umstände, die den H<strong>in</strong>tergrund m<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Diskussion deiktischer<br />

Kategorien gebildet haben, sehr recht e<strong>in</strong>fach gewesen: jemand übermittelt jemandem<br />

e<strong>in</strong>e Nachricht, und die Gesprächspartner rühren sich nicht vom Fleck.<br />

Als nächstes ist <strong>zu</strong> überlegen, was passiert, wenn <strong>der</strong> Sprecher e<strong>in</strong>es Satzes selber<br />

<strong>in</strong> Bewegung ist. Auf dieses Thema gehe ich nur kurz e<strong>in</strong>, hauptsächlich <strong>zu</strong>»<br />

dem Zweck, auf den nächsten Abschnitt über<strong>zu</strong>leiten.<br />

Was man als erstes bemerkt, ist, daß es möglich wird, räumliche Ausdrücke<br />

<strong>in</strong> temporaler Funktion <strong>zu</strong> gebrauchen, wenn das Zentrum <strong>in</strong> Bewegung ist.<br />

Da Bewegung die Verän<strong>der</strong>ung <strong>in</strong> <strong>der</strong> Lokalisierung e<strong>in</strong>es D<strong>in</strong>ges <strong>in</strong> Raum und<br />

Zeit me<strong>in</strong>t, ist es möglich, daß Bewegung durch räumliche und zeitliche Ausdrücke<br />

für Anfangspunkt, Endpunkt und Intervalle charakterisiert werden kann.<br />

Wörter wie ago „vor" und dur<strong>in</strong>g „während" zeigen zeitliche Abstände und<br />

Intervalle an. Trotzdem können Menschen, die im Auto fahren, s<strong>in</strong>nvollerweise<br />

sagen: I first noticed that funny noise about ten miles ago „Ich habe dieses<br />

komische Geräusch <strong>zu</strong>erst vor ungefähr zehn Meilen gehört" o<strong>der</strong> He's been<br />

snor<strong>in</strong>g dur<strong>in</strong>g the last fifty miles „Er hat während <strong>der</strong> letzten fünfzig Meilen<br />

geschnarcht". Als zweites fällt auf, daß e<strong>in</strong> Sprecher, <strong>der</strong> <strong>in</strong> Bewegung ist, se<strong>in</strong>en<br />

(<strong>in</strong> Wirklichkeit wechselnden) Standort als im Grunde festen Be<strong>zu</strong>gspunkt<br />

betrachten und den Rest <strong>der</strong> Welt als <strong>in</strong> Bewegung bef<strong>in</strong>dlich ansehen kann.<br />

So können wir über this next town com<strong>in</strong>g up „die nächste Stadt, die kommt"<br />

und über the scenery pass<strong>in</strong>g by „die Gegend, die vorüberzieht" sprechen.<br />

Ausdrücke vom ersten Typ nenne ich Ausdrücke des sich bewegenden Zentrums,<br />

Ausdrücke vom zweiten Typ heißen Ausdrücke <strong>der</strong> sich bewegenden<br />

Welt.


170 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

13.<br />

In vielen Sprachen besitzen räumliche Ausdrücke metaphorisch übertragenen<br />

Gebrauch <strong>in</strong> <strong>der</strong> zeitlichen Ebene; die Art, <strong>in</strong> <strong>der</strong> das geschehen ist, legt das<br />

Bild nahe, daß im Verhältnis des Zentrums <strong>zu</strong>r Zeit Bewegung <strong>in</strong>volviert ist.<br />

Das Interessante hierbei ist, daß metaphorische Ausweitungen sowohl Redewendungen<br />

des sich bewegenden Zentrums als auch Redewendungen <strong>der</strong> sich<br />

bewegenden Welt verwenden, und zwar beide oft <strong>in</strong> e<strong>in</strong> und <strong>der</strong>selben Sprache.<br />

Zu den temporalen Ausdrücken, die auf dem Bild des sich bewegenden Zentrums<br />

beruhen, gehören die, die es uns ermöglichen, für die Zukunft ahead und<br />

für die Vergangenheit beh<strong>in</strong>d <strong>zu</strong> gebrauchen, weil es unsere Bewegung durch<br />

die Zeit ist, die Vorwärtsgerichtetheit dem <strong>zu</strong>ordnet, was wir noch nicht erlebt<br />

haben, und Rückwärtsgerichtetheit dem, was wir schon erlebt haben. Zu<br />

den Ausdrücken, die auf e<strong>in</strong> festes Zentrum und sich bewegende Zeit h<strong>in</strong>deuten<br />

— d.h. Ausdrücke, die Redewendungen <strong>der</strong> sich bewegenden Welt auf die<br />

zeitliche Ebene anwenden -, gehören Phrasen wie this com<strong>in</strong>g Tuesday „<strong>der</strong><br />

kommende Dienstag" und Sätze wie Time passes swiftly „Die Zeit geht schnell<br />

vorbei" und Christmas has come and gone „Weihnachten ist gekommen und<br />

vorbeigegangen". Wenn die Zeit sich <strong>in</strong> Bewegung bef<strong>in</strong>det, ist die vergangene<br />

Zeit vorn und die Zeit, die noch nicht da ist, liegt h<strong>in</strong>ten. Die e<strong>in</strong>e Sprache<br />

wählt die e<strong>in</strong>e Metapher, wo die an<strong>der</strong>e e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e wählt. Im Vietnamesischen<br />

heißt ,nächste Woche' wörtlich ,Woche <strong>zu</strong>rück' und ,letzte Woche' heißt wörtlich<br />

,Woche nach vorn' (Milton Baker, persönliche Mitteilung). Im Englischen<br />

können wir von ,nächste Woche' als the week ahead of us „die Woche, die vor.<br />

uns liegt" und von ,letzte Woche' the week beh<strong>in</strong>d us „die Woche, die h<strong>in</strong>ter<br />

uns liegt" reden.<br />

14.<br />

Zur Untersuchung <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> habe ich e<strong>in</strong>e Reihe von Forschungsgebieten genannt,<br />

aber es ist offensichtlich, daß me<strong>in</strong> Verständnis dieses Themas noch nicht<br />

<strong>zu</strong> dem Punkt gediehen ist, an dem ich e<strong>in</strong>e Liste <strong>der</strong> <strong>zu</strong> behandelnden Phänomene<br />

aufstellen könnte, die für e<strong>in</strong>en gründlichen Vergleich mehrerer Sprachen<br />

nötig ist. Ich hoffe, daß ich das e<strong>in</strong>es Tages tun kann.<br />

Ich kann mir m<strong>in</strong>destens zwei weitere Themen vorstellen, die man überdenken<br />

sollte, obwohl ich hier nicht viel über sie sagen kann. Das e<strong>in</strong>e Thema betrifft<br />

die Art und Weise, <strong>in</strong> <strong>der</strong> die deiktischen Ausdrücke <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Sprache <strong>in</strong> direkter<br />

Rede beschränkt se<strong>in</strong> können. Ich weiß nicht mehr, von wem ich es erfahren<br />

habe, aber es gibt <strong>in</strong> Mexiko Sprachen, <strong>in</strong> denen deiktisch verstandene<br />

Wörter e<strong>in</strong>fach immer deiktisch verstanden werden. In solchen Sprachen soll<br />

es unmöglich se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>en Satz <strong>zu</strong> sagen wie John said, „I would like to go there"<br />

„Hans sagte: „Ich würde gern dorth<strong>in</strong> gehen" " mit den lokalen Entsprechungen<br />

von I „ich", go „gehen" und there „dorth<strong>in</strong>", wenn das geme<strong>in</strong>t ist, was<br />

<strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 171<br />

man mit dem Satz John said that he would like to come here „Hans sagte, daß<br />

er gern hierher kommen würde" me<strong>in</strong>t. Das zweite umfangreiche Thema, das<br />

ich noch nicht diskutiert habe, betrifft Spuren von deiktischen Phänomenen<br />

<strong>in</strong> Erzählungen <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person, die mit dem zentralen Charakter o<strong>der</strong> mit dem<br />

zentralen raumzeitlichen H<strong>in</strong>tergrund <strong>e<strong>in</strong>er</strong> Episode verknüpft s<strong>in</strong>d. Etwas von<br />

dem, was ich me<strong>in</strong>e, wird deutlich, wenn man an die Bed<strong>in</strong>gungen denkt, unter<br />

denen es im Englischen möglich ist, das Verb come „kommen" <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em erzählenden<br />

Prosastück, das gänzlich <strong>in</strong> <strong>der</strong> 3. Person erzählt wird, <strong>zu</strong> gebrauchen.<br />

In diesem Zusammenhang sollte man auch an die Funktion des historischen<br />

Präsens denken, das, wie mir sche<strong>in</strong>t, die Entscheidung voraussetzt, die zentrale<br />

Zeit <strong>der</strong> Sätze mit <strong>der</strong> sich verschiebenden Fokuszeit <strong>der</strong> Erzählung <strong>zu</strong> verschieben.<br />

Übersetzt von Wilfried Kürschner<br />

* Der Aufnahme dieses Aufsatzes <strong>in</strong> diesen Band (geme<strong>in</strong>t ist <strong>der</strong> Hawaii-Band) habe ich<br />

unter (äußerst freundlichem) Druck <strong>zu</strong>gestimmt. Ich betrachte ihn nicht als e<strong>in</strong>e ausgereifte<br />

Stellungnahme <strong>zu</strong>m Thema <strong>Deixis</strong>. An vielen Stellen habe ich Informationen verwendet,<br />

die mir Spezialisten <strong>in</strong> bestimmten Sprachen <strong>zu</strong>r Kenntnis gebracht haben; bedauerlicherweise<br />

habe ich jedoch nicht die Zeit gehabt, mich bei ihnen <strong>zu</strong> vergewissern, ob ich<br />

das, was sie mir berichtet haben, recht verstehe. Auf me<strong>in</strong>em Schreibtisch liegen Aufsätze<br />

über <strong>Deixis</strong>, die ich aus Zeitmangel noch nicht gelesen habe. Frei und Bühler haben Behauptungen<br />

über die Verb<strong>in</strong>dungen zwischen deiktischen Systemen und an<strong>der</strong>en l<strong>in</strong>guistischen<br />

Systemen aufgestellt, die je<strong>der</strong> ordentliche „Deiktiker" beurteilen können müßte,<br />

was ich aber nicht kann. Und beson<strong>der</strong>s leid tut es mir, daß ich nicht die Zeit habe, mich<br />

mit den Problemen genauer <strong>zu</strong> beschäftigen, die sich aufgrund bestimmter Tatsachen <strong>der</strong><br />

<strong>Deixis</strong> <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf aktuelle semantische <strong>Theorie</strong>n stellen.


172 <strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong> <strong>Ansätze</strong> <strong>zu</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> 173<br />

Anmerkungen<br />

1. Die wichtigsten theoretischen Erörterungen über die <strong>Deixis</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> l<strong>in</strong>guistischen Literatur<br />

sche<strong>in</strong>en <strong>zu</strong> se<strong>in</strong>: Bühler 1934 (bes. S. 79-148), Frei 1944, We<strong>in</strong>reich 1963 (bes. S.<br />

123-127), <strong>Fillmore</strong> 1966 und Lyons 1968 (bes. S. 275-281).<br />

In <strong>der</strong> psychologischen Literatur kenne ich nur den H<strong>in</strong>weis auf die <strong>Deixis</strong> bei Rommetveit<br />

1968 (passim, doch bes. S. 51-54 und 185-197).<br />

Den e<strong>in</strong>fachsten Zugang <strong>zu</strong> philosophischen Fragestellungen <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung mit <strong>der</strong><br />

<strong>Deixis</strong> bieten Bar-Hillel 1954, Burks 1948-49 und Gale 1967. Gale enthält e<strong>in</strong>e Diskussion<br />

<strong>der</strong> Positionen von Russell, Peirce und Reichenbach (mit Bibliographie).<br />

Die <strong>Deixis</strong> be<strong>in</strong>haltet e<strong>in</strong> Verständnis <strong>der</strong> Art und Weise, wie sprachliche Formen auf<br />

<strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> folgenden Parameter ausgewählt werden: die Wahrnehmungen s<strong>e<strong>in</strong>er</strong><br />

eigenen Identität und <strong>der</strong> Identität s<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Gesprächspartner und Zuhörer durch den Sprachbenutzer;<br />

se<strong>in</strong> Bewußtse<strong>in</strong>, daß es dem Gesprächspartner möglich ist, se<strong>in</strong>e Körperhaltungen<br />

und Bewegungen <strong>zu</strong> kontrollieren; se<strong>in</strong>e Fähigkeit, die Teilnehmer e<strong>in</strong>es Kommunikationsaktes<br />

<strong>in</strong> Raum und Zeit <strong>zu</strong> situieren; und se<strong>in</strong>e Kontrolle über die zeitliche Organisation<br />

<strong>e<strong>in</strong>er</strong> Rede. Deshalb teilt jemand, <strong>der</strong> die <strong>Deixis</strong> untersucht, e<strong>in</strong>e Zahl von Interessen<br />

mit Forschern <strong>in</strong> Nachbardiszipl<strong>in</strong>en wie K<strong>in</strong>etik, Proxemik, Ethnomethodologie, Redeanalyse<br />

und Soziol<strong>in</strong>guistik. E<strong>in</strong>e tiefergehende Untersuchung <strong>der</strong> <strong>Deixis</strong> müßte Unterschiede<br />

und Überschneidungen dieser Untersuchungsgebiete zeigen.<br />

2. Die klassische Untersuchung von Brown und Gilman 1960 gibt detaillierte Auskünfte<br />

über viele solcher Fakten im Französischen, Deutschen und Italienischen.<br />

3. Merrifield schrieb mir kürzlich, daß, wenn man die Wirkung bestimmter lokaler Adverbiale<br />

außer acht läßt, die Verben mit <strong>der</strong> Bedeutung ,kommen' mit dem Standort des<br />

Sprechers <strong>zu</strong>r Zeit des Kommunikationsaktes <strong>zu</strong> tun haben.<br />

4. Ich bitte um Entschuldigung, daß die Abschnitte, <strong>in</strong> denen ich die erste dieser Aufgaben<br />

<strong>zu</strong> lösen versuche, <strong>in</strong> <strong>der</strong> Form von Ratschlägen gehalten s<strong>in</strong>d.<br />

5. Gewisse Schwierigkeiten und Unklarheiten <strong>in</strong> Be<strong>zu</strong>g auf diese Konzepte werden an passen<strong>der</strong><br />

Stelle behandelt.<br />

6. Ausgenommen natürlich <strong>in</strong> speziellen Anweisungen, wie z.B. <strong>in</strong> Wenn ich „Abercrombie"<br />

sage, laufen Sie los!<br />

7. Das Wort yea hat e<strong>in</strong>en schlechten Ruf, doch das ist bedauerlich. Wörter erlangen ihr<br />

Ansehen durch ihre Verwendung <strong>in</strong> hochbewerteten Texten <strong>der</strong> Schriftsprache, doch<br />

nach diesem Standard wird unser Wort yea sehr ungerecht behandelt. Es kann <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

Schriftsprache, ausgenommen <strong>in</strong> Dialogen, e<strong>in</strong>fach nicht verwendet werden.<br />

8. Konversationen mit Bl<strong>in</strong>den und Konversationen mit Tauben, die Lippen lesen können,<br />

s<strong>in</strong>d Situationen, <strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>em die Funktion von deixisbegleitenden Gesten schnell<br />

klar wird. Bei Konversationen mit Bl<strong>in</strong>den empf<strong>in</strong>det man das Unvermögen, Gesten <strong>zu</strong><br />

benutzen, als störend, doch kann das Problem sofort begriffen und ohne große Schwierigkeit<br />

gemeistert werden. Bei Konversationen mit Tauben kann man leicht vergessen, wenn<br />

man gestische Raumdeixis gebraucht – und Gesten s<strong>in</strong>d im allgeme<strong>in</strong>en Kommunikationshilfen<br />

–, daß <strong>der</strong> Angesprochene nicht sehen kann, worauf man zeigt, und gleichzeitig<br />

Lippen lesen kann.<br />

9. Im Englischen ist die Unterscheidung <strong>in</strong>klusiv/exklusiv für das Pronomen <strong>der</strong> 1. Person<br />

Plural nicht offen realisiert, abgesehen vielleicht davon, daß es <strong>zu</strong>m Kontraktionsprozeß,<br />

durch den let us <strong>zu</strong> let's wird, nötig ist, daß das us <strong>in</strong>klusiv verstanden wird.<br />

Das Pronomen kann immer <strong>in</strong>klusiv o<strong>der</strong> exklusiv <strong>in</strong>terpretiert werden, und wo die Wahl<br />

unklar ist, handelt es sich um Ambiguität und nicht um Vagheit. Die Antwort yes , ja"<br />

auf die Frage Did we do it right? „Haben wir das richtig gemacht?" muß entwe<strong>der</strong> als<br />

Yes, we did „Ja, wir haben das richtig gemacht" o<strong>der</strong> als Yes, you did „Ja, ihr habt es<br />

richtig gemacht" verstanden werden.<br />

10. Das this, das beim Geschichtenerzählen im amerikanischen Englisch verwendet wird<br />

It seems there was this Irishman..., sollte man vielleicht <strong>zu</strong> den gerade diskutierten anaphorischen<br />

Gebrauchsweisen zählen.<br />

11. Ich wäre froh, wenn ich Sprachen kennen würde, die symmetrische deiktische Tagesnamen<br />

haben und die mit Sprachen mit asymmetrischen deiktischen Tagesnamen verwandt<br />

s<strong>in</strong>d. Dann könnte man sehen, welche Arten von Verwandtschaftsbeziehungen es<br />

dort gibt.<br />

12. Es könnte s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, darauf h<strong>in</strong><strong>zu</strong>weisen, daß <strong>in</strong> Sprachen, <strong>in</strong> denen die zweite<br />

Unterscheidung existiert, this morn<strong>in</strong>g „heute morgen" <strong>in</strong> den zwei Sätzen What were<br />

you do<strong>in</strong>g this morn<strong>in</strong>g? und What haye you been do<strong>in</strong>g this morn<strong>in</strong>g? verschieden übersetzt<br />

würde.<br />

13. In bestimmten Fällen <strong>der</strong> selbstbezogenen Rededeixis tauchen Paradoxe auf, die<br />

wahrsche<strong>in</strong>lich mit Hilfe <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>Theorie</strong> <strong>der</strong> deiktischen Verankerung gelöst werden können<br />

(vgl. Rommetveit 1968, S. 185 ff.). Will man e<strong>in</strong>en Satz im Kontext <strong>in</strong>terpretieren, müssen<br />

die deiktischen Ausdrücke des Satzes durch nicht-deiktische Identifikationen <strong>der</strong> geme<strong>in</strong>ten<br />

Referenta ersetzt werden. Beim Satz This sentence has five words „Dieser Satz hat<br />

fünf Wörter" besteht dieser Prozeß nur dar<strong>in</strong>, den angegebenen Satz <strong>zu</strong> präsentieren.<br />

Daher gibt es bei <strong>der</strong> Bewertung von The sentence „This sentence has five words" has<br />

five words „Der Satz ,Dieser Satz hat fünf Wörter' hat fünf Wörter" ke<strong>in</strong>e Schwierigkeiten.<br />

An<strong>der</strong>s verhält es sich jedoch bei dem Satz This sentence ist false „Dieser Satz ist<br />

falsch", <strong>der</strong> wahr se<strong>in</strong> soll, wenn er falsch ist, und falsch se<strong>in</strong> soll, wenn er wahr ist. Der<br />

Satz The sentence „This sentence ist false" is false „Der Satz ,Der Satz ist falsch' ist<br />

falsch" kann nur <strong>in</strong>terpretiert werden, wenn <strong>der</strong> Satz <strong>in</strong> Anführungszeichen <strong>in</strong>terpretierbar<br />

ist, und er kann nur <strong>in</strong>terpretiert werden, wenn <strong>der</strong> Erset<strong>zu</strong>ngsprozeß wie<strong>der</strong> stattf<strong>in</strong>det.<br />

Offensichtlich kann dieser Prozeß nicht beendet werden.<br />

Ähnliches kann man von Paradoxen <strong>in</strong> zwei Sätzen behaupten. Als Beispiel diene die<br />

Folge: The follow<strong>in</strong>g sentence is true. The preced<strong>in</strong>g sentence is false. „Der folgende<br />

Satz ist wahr. Der vorangehende Satz ist falsch". Wenn wir <strong>zu</strong>r deiktischen Verankerung<br />

den zweiten Satz wählen, erhalten wir: The sentence „The follow<strong>in</strong>g sentence is true" is<br />

false „Der Satz ,Der folgende Satz ist wahr' ist falsch". Dieser Satz kann nicht <strong>in</strong>terpretiert<br />

werden, da es ke<strong>in</strong>en ,folgenden Satz' gibt.<br />

14. Die Vere<strong>in</strong>igung von Sprecher und Angesprochenem <strong>in</strong> <strong>e<strong>in</strong>er</strong> e<strong>in</strong>zigen Kategorie, Teilnehmer,<br />

geschieht nicht nur bei re<strong>in</strong>en Verben <strong>der</strong> Fortbewegung. Im Ipili-Paiyala, <strong>e<strong>in</strong>er</strong><br />

Sprache Neugu<strong>in</strong>eas, gibt es zwei Verben mit <strong>der</strong> Bedeutung ,geben', die sich dar<strong>in</strong> unterscheiden,<br />

ob <strong>der</strong> Empfänger <strong>e<strong>in</strong>er</strong> <strong>der</strong> Teilnehmer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Gespräch ist o<strong>der</strong> nicht ist.


174<br />

<strong>Charles</strong> J. <strong>Fillmore</strong><br />

Das Verb mit <strong>der</strong> Bedeutung ,mir o<strong>der</strong> dir geben' ist gi, das mit <strong>der</strong> Bedeutung jemandem,<br />

<strong>der</strong> nicht ich o<strong>der</strong> du ist, geben' ist mai. Diese Stämme können mit an<strong>der</strong>en Verben<br />

Komposita büden, so daß sich diese Unterscheidung auch an an<strong>der</strong>en Stellen des Lexikons<br />

f<strong>in</strong>det: lagi heißt ,mir o<strong>der</strong> dir erzählen', lamai heißt jemandem an<strong>der</strong>en als dir<br />

o<strong>der</strong> mir erzählen' (Frances Ingemann, persönliche Mitteilung).

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