3/2012 - Deutscher Altphilologenverband
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lernen? Persönlich scheint es mir wenig sinnvoll,<br />
ausschließlich Überlegungen hinsichtlich der<br />
– nichtsdestoweniger gerechtfertigten – „Erziehung<br />
zum Schöngeistigen“, anzustellen. Davon<br />
abgesehen soll im Folgenden die Aufmerksamkeit<br />
auf drei wichtige Gründe gelenkt werden, die<br />
für Italien ebenso wie für den Rest Europas von<br />
politischem Interesse sein könnten:<br />
1) Die Wurzeln Europas liegen vor allem in<br />
der griechisch-römischen Kultur: Eine wissenschaftliche<br />
Auseinandersetzung mit der<br />
abendländischen Geschichte und Kultur bis<br />
zum Ende der Neuzeit (und später) setzt gute<br />
Latein- und Griechischkenntnisse voraus.<br />
2) Wer Latein und Griechisch auf einem hinreichend<br />
guten Niveau beherrscht, kann auch die<br />
Etymologie zahlreicher Wörter der modernen<br />
europäischen Sprachen (insbesondere der<br />
romanischen und germanischen) verstehen. Es<br />
ist nicht zu vernachlässigen, wie wichtig es ist,<br />
ein „genetisches Bewusstsein“ vieler Wörter zu<br />
haben: Dieses ermöglicht eine aktive Verwendung<br />
unserer Sprachen.<br />
3) In den Jahren, die Griechisch- und Latein-<br />
Lerner auf das Übersetzen antiker Texte<br />
verwenden, eignen sich diese eine Präzisionsfähigkeit<br />
an, die viel wichtiger ist als die<br />
angemessene, genaue Übersetzung eines<br />
griechischen bzw. lateinischen Textes. So<br />
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scheint es kein Zufall zu sein, dass Schüler,<br />
die große Schwierigkeiten in Latein und Griechisch<br />
haben, oft auch schlechtere Zensuren<br />
in Mathematik bzw. in anderen naturwissenschaftlichen<br />
Fächern haben.<br />
Der berühmte Latinist und Emeritus der Universität<br />
Bologna Alfonso Traina schrieb 1983,<br />
dass „wir das Latein nur ‚retten‘ können, nicht<br />
wenn es viele schlecht, sondern wenn es wenige<br />
gut lernen“. 3 Angesichts der gegenwärtigen kritischen<br />
Situation, in welche die klassischen Sprachen<br />
geraten sind, kann man diesem Fazit nur<br />
zustimmen. Ergänzend sei allerdings hinzugefügt,<br />
dass man nicht von Kultur im eigentlichen und<br />
höchsten Sinne sprechen kann, wenn man nicht<br />
mindestens „ausreichend“ mit der lateinischen<br />
Sprache und Kultur vertraut ist.<br />
Anmerkungen:<br />
1) Dr. M. T. ist Regionalvorsitzender in Trient des<br />
italienischen <strong>Altphilologenverband</strong>es (Associazione<br />
Italiana di Cultura Classica). Der Verfasser<br />
dankt Frau Dr. Barbara Berzel ganz herzlich für<br />
die sprachliche Durchsicht des Textes.<br />
2) Einleitung zur italienischen Ausgabe von L. Reynolds<br />
– N. Wilson, Scribes and Scholars, Padua<br />
1987 3 (Oxford 19863).<br />
3) A. T., Latino perché? Latino per chi, „Nuova<br />
Paideia“ II 5 (1983), S. 46.<br />
Matteo Taufer, Trient