SiG64 als pdf - Attac Berlin
SiG64 als pdf - Attac Berlin
SiG64 als pdf - Attac Berlin
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
noch keine Bewegungen darstellen. Es ist<br />
eine der entscheidenden Herausforderungen,<br />
vor denen die Sozialforen, aber auch die<br />
sozialen Bewegungen stehen, die Gesamtheit<br />
dieser Initiativen zu einer stabileren<br />
Kraft zu vereinigen.<br />
Einer Bewegung wie der MONLAR (Bewegung<br />
für die Agrarreform) auf Sri Lanka ist<br />
es gelungen, sowohl organisierte Bewegungen<br />
<strong>als</strong> auch lokale Initiativen, die nicht<br />
unbedingt zu einer bleibenden Organisation<br />
geführt hatten, für gemeinsame Aktionen zu<br />
vereinen. Während des vierten Weltsozialforums<br />
in Mumbai hat die physische Gegenwart<br />
von Menschen aus den unteren<br />
Volksschichten dazu geführt, dass man sich<br />
dieses Sachverhalts mehr bewusst wurde.<br />
Die notwendige Institutionalisierung der<br />
Kämpfe führt freilich zu einer objektiven<br />
Distanz zwischen der Basis und den Organisationen,<br />
aber es ist möglich, dieses Hindernis<br />
zu überwinden.<br />
3.<br />
Die Strategien des Gegners bilden die<br />
dritte Schwäche. Wir dürfen nicht erwarten,<br />
dass das neoliberale Wirtschaftssystem, mit<br />
seinen institutionellen Machtinstrumenten<br />
und seinen politischen und kulturellen Aktivitäten<br />
den Initiativen, die zu Beginn des<br />
Forums ins Leben gerufen wurden, gleichgültig<br />
gegenüber steht. Drei Strategien sind<br />
schon jetzt entwickelt. Da ist zunächst die<br />
Kooptation. Der IWF hat ein Kontaktbüro<br />
für NGOs eingerichtet. Die Weltbank hatte<br />
eine Instanz eingerichtet, die alle großen<br />
Weltreligionen vereinigte. Das Weltwirtschaftsforum<br />
von Davos ruft die Gewerkschaftsführer,<br />
die NGO und selbst die<br />
Staatschefs fortschrittlicher Staaten zu einem<br />
"Dialog" auf, dessen Mindestanforderungen<br />
jedoch nicht gegeben sind<br />
Darüber hinaus ist die Verwendung von<br />
Konzepten und Begriffen eine Ebene der<br />
kulturellen Auseinandersetzungen. Die<br />
internationalen Finanzorganisationen sprechen<br />
von einer Zivilgesellschaft, einer partizipativen<br />
Demokratie, vom Kampf gegen<br />
die Armut, von einer Dezentralisierung,<br />
aber ihre Konzepte sind denen der sozialen<br />
Bewegungen diametral entgegengesetzt.<br />
Für die Weltbank bedeutet mehr Raum für<br />
die Zivilgesellschaft, den Einfluss des Staates<br />
zu reduzieren. Der Kampf gegen die<br />
Armut soll innerhalb einer Marktlogik geführt<br />
werden, die selbst die Ursache für die<br />
Zunahme der Ungleichheiten ist. Durch die<br />
Dezentralisierung wird es für die Wirtschaftsmächte<br />
viel leichter, Kontrolle auszuüben.<br />
Nicht zu vergessen ein stets wachsender<br />
repressiver Apparat, sowohl durch<br />
die Schaffung von Sicherheitsgesetzen, die<br />
zur Einschränkung der zivilen Freiheit füh-<br />
ren, <strong>als</strong> auch durch die Verstärkung der<br />
Polizeikräfte und darüber hinaus durch die<br />
Ausdehnung der - hauptsächlich amerikanischen<br />
- Militärbasen zur Kontrolle der Rohstoffe.<br />
Es geht <strong>als</strong>o darum, dass sich alle altermondialistische<br />
Kräfte diese Strategien bewusst<br />
machen und versuchen, sich über die Konsequenzen<br />
klar zu werden, um sich dagegen<br />
zu wehren, anstatt selbst in eine Falle zu<br />
geraten. Woraus sich weltweit die Notwendigkeit<br />
von Aktionen für den Frieden und<br />
gegen Militärbasen ergibt. Beispielsweise<br />
sollte sich die kongolesische Öffentlichkeit<br />
gegen die Einrichtung neuer amerikanischer<br />
Militärbasen im unteren Kongobecken und<br />
im Katanga-Bergland zur Wehr setzen.<br />
Ebenso ist gegenüber repressiven Gesetzen,<br />
die angeblich Drogenhandel und Terror<br />
bekämpfen oder Sicherheit gewährleisten<br />
sollen, höchste Wachsamkeit geboten. In<br />
Namen dieser an sich durchaus berechtigten<br />
Ziele werden in Wirklichkeit die Repression<br />
von sozialen Bewegungen und deren Kriminalisierung<br />
verschärft. Daraus ergibt sich<br />
die Notwendigkeit, Netzwerke für den<br />
Rechtsbeistand aufzubauen, insbesondere<br />
für die Führer der sozialen Bewegungen,<br />
deren Anwälte, Journalisten, die oft zur<br />
Zielscheibe der repressiven Mächte werden.<br />
(...)<br />
3. Die Zukunft<br />
Die Konvergenz der sozialen Bewegungen<br />
und fortschrittlichen Organisationen ist kein<br />
Ziel an sich. Sie ist nur Teil eines Ganzen,<br />
das sich vom Aufbau eines kollektiven<br />
Bewussteins bis zur Bildung von kollektiven<br />
Akteuren erstrecken soll. So können<br />
unsere Anstrengungen eines Tages in ein<br />
neues historisches Subjekt münden, d.h. in<br />
ein Ensemble von postkapitalistischen Projektträgern,<br />
wodurch der Weltwirtschaft<br />
andere Grundlagen gegeben werden, <strong>als</strong> die<br />
Zerstörung unseres Naturraums und die<br />
Vernichtung von Millionen Menschenleben.<br />
Im Laufe des 19. und 20.Jahrhunderts hat<br />
sich die Arbeiterklasse zu diesem historischen<br />
Subjekt entwickelt. Heute können es<br />
nur vielfältige Akteure sein, natürlich mit<br />
der Beteiligung der organisierten Arbeiter,<br />
aber ebenso von weiteren Akteuren, <strong>als</strong>o<br />
von allen Opfern der Unterwerfung der<br />
Arbeit unter das Kapital, das sich heute auf<br />
die gesamte Welt und auf alle unterdrückten<br />
sozialen Gruppen ausgeweitet hat: die Bauern,<br />
die eingeborenen Völker, die Frauen,<br />
usw.<br />
Was die Ziele für diese postkapitalistische<br />
Welt anbelangt, so sind hierfür <strong>als</strong> Fundamente<br />
für eine andere Globalisierung vier<br />
wesentliche Grundlinien festzulegen.<br />
Sand im Getriebe Nr.64 Seite 5<br />
1. Zunächst geht es darum, sich auf die<br />
natürlichen erneuerbaren Ressourcen zu<br />
stützen und eine öffentliche Kontrolle über<br />
nicht-erneuerbare Ressourcen einzurichten.<br />
Das setzt eine andere Philosophie für die<br />
Beziehung zwischen Mensch und Natur<br />
voraus. Anstatt Ausbeutung muss man<br />
wieder zur Symbiose mit der Natur finden,<br />
wie sie in den vorkapitalistischen Gesellschaften<br />
existierte. Die Menschen sind<br />
Teil der Natur und diese zu respektieren<br />
bedeutet auch, die Menschheit zu respektieren.<br />
2. Die zweite Grundlinie ist, dass der<br />
Gebrauchswert vor den Tauschwert<br />
gehen soll. Mit anderen Worten, die Produktion<br />
und die Verteilung von Gütern und<br />
Dienstleistungen muss sich nach den Bedürfnissen<br />
der Menschen richten und der<br />
Austausch darf nur an die zweite Stelle<br />
kommen. Die Logik des Kapitalismus geht<br />
komplett in die andere Richtung. Alles muss<br />
zur Ware werden, damit es zur Kapitalanhäufung<br />
beiträgt, so dass die globalen Bedürfnisse<br />
der Menschheit hinter einen ausgefeilten,<br />
destruktiven Konsum treten. Die<br />
Perspektive umzudrehen erfordert auch eine<br />
andere Wirtschaftsphilosophie, die die<br />
grundlegende Funktion der Ökonomie wieder<br />
herstellt: die notwendige Basis für das<br />
materielle, kulturelle und spirituelle Leben<br />
aller Menschen weltweit zu schaffen.<br />
3. Die dritte Grundlinie besteht darin, eine<br />
vollständige Demokratie zu schaffen. Im<br />
politischen Bereich bedeutet dies, nicht nur<br />
eine repräsentative, sondern eine partizipative<br />
Demokratie zu schaffen; diese partizipative<br />
Demokratie sollte auf alle sozialen<br />
Beziehungen ausgedehnt werden, inklusiv<br />
die Organisation der Wirtschaft und die<br />
Beziehungen zwischen Mann und Frau.<br />
4. Die vierte Grundlinie ist die Interkulturalität.<br />
Das heißt, alle Kulturen, alles Wissen,<br />
alle Philosophien und Religionen sollen<br />
die Möglichkeit erhalten, zum Aufbau dieser<br />
neuen, postkapitalistischen Logik beizutragen,<br />
indem sie ihre Vielfalt und die unerlässliche<br />
ethische Basis einbringen können.<br />
Die altermondialistische Bewegung und<br />
deren Ausdruck in den Sozialforen werden<br />
<strong>als</strong>o vor eine sehr wichtige Zukunftsaufgabe<br />
gestellt. Wir sind am Anfang eines Prozesses.<br />
Das Wichtigste ist, zu wissen, dass wir<br />
es schaffen können und dass der Kampf<br />
zum Erfolg führen kann, obwohl wir einen<br />
sehr schweren und langen Weg vor uns<br />
haben. Das ist sicherlich eine der Lehren,<br />
die wir aus dem ersten kongolesischen Sozialforum<br />
ziehen konnten.<br />
Übersetzung: Juergen JANZ , Kirsten<br />
HEINIGER und Michèle Mialane,<br />
coorditrad@attac.org<br />
Zur Debatte über die Bedeutung und die Aufgaben des Weltsozialforums:<br />
Beiträge von Walden Bello, Thomas Ponniah, Chico Whitaker, Jai Sen, Boaventura de Sousa Santos im Newsletter von „Focus on<br />
the Global South“ http://www.focusweb.org/focus-on-trade-number-136-january-2008.html?Itemid=1