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Fünf Kugeln – die Zeit läuft - Blockfrei

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STERN<br />

21.10.1999<br />

<strong>Fünf</strong> <strong>Kugeln</strong> <strong>–</strong> <strong>die</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>läuft</strong><br />

Durch Schüsse ihres Mannes lebensgefährlich verletzt, wird Annett Freiwald in<br />

<strong>die</strong> Unfallklinik Berlin-Marzahn eingeliefert. Im modernsten Krankenhaus Europas<br />

beginnt ein Wettlauf der Ärzte gegen den Tod<br />

Der Anruf aus dem Notarztwagen erreicht <strong>die</strong> Unfallzentrale um 20.40 Uhr: Das Opfer sei<br />

bereits auf dem Weg zur Klinik. Ein junger Assistenzarzt hastet mit der Nachricht durch den<br />

Flur zum Pausenraum, wo <strong>die</strong> Bereitschaftsärzte um den Tisch sitzen und Kaffee trinken: 'Da<br />

kommt gleich 'ne Schusswunde rein!'<br />

Die Chirurgen stellen ihre Tassen ab, drücken <strong>die</strong> Zigaretten aus und laufen um zwei Ecken<br />

zum Schockraum. Es sind nur ein paar Meter bis zu dem weiß-hellblau gekachelten Saal für<br />

Notaufnahmen. In wenigen Minuten füllt er sich mit Krankenschwestern, Internisten,<br />

Anästhesisten und Unfallchirurgen. Einer weiß schon Genaueres: Der Patient soll regelrecht<br />

durchlöchert sein.<br />

Vollbeleuchtung geht an, statt vier strahlen jetzt 16 Neonröhren. 20.53 Uhr. Mit Blaulicht<br />

fährt der Krankenwagen durch das Tor des gläsernen Vorbaus der Ambulanz. Drei Sanitäter<br />

und der Notarzt in signalrotem Anorak rollen <strong>die</strong> Trage herein. Darauf der Verletzte,<br />

eingewickelt in gold- und silberfarbene Thermofolie. Nur ein rotblonder Haarschopf guckt<br />

heraus. Sofort sind fünf Mann zur Stelle. Vorsichtig hieven sie den Mann auf <strong>die</strong><br />

Untersuchungsliege und befreien ihn aus der Folie. Ihn? Sie! Eine Frau. Vielleicht Mitte 30,<br />

sportliche Figur. Nackt liegt sie da, blutverschmiert. Ihre Augen sind geschlossen. Über ihren<br />

Körper verteilt Blutergüsse und schwarze Einschusslöcher - in der Brust, im Bauch, an der<br />

Hüfte und in den Oberschenkeln. Aus manchen rinnt noch ein wenig frisches Blut, hellrot.<br />

Das getrocknete Blut auf den Beinen ist mehr braun als rot.<br />

'Macht bitte jemand <strong>die</strong> Tür zu!', ruft ein Arzt den Sanitätern hinterher, <strong>die</strong> den Schockraum<br />

nun verlassen. Die Frau ist noch bei Bewusstsein und stöhnt leise, als ihr <strong>die</strong><br />

Krankenschwester mit einer Spritze in <strong>die</strong> Armbeuge sticht. Ein Wust von Kabeln verbindet<br />

sie jetzt mit dem Apparat hinter ihr: Blutdruck, Herzfrequenz und EKG erscheinen auf dem<br />

Überwachungsmonitor als grüne, blaue und weiße Kurven. Gummisohlen quietschen auf dem<br />

Boden. Die Frau auf der Liege zittert am ganzen Körper: 'Sie steht unter Schock', erklärt der<br />

Arzt, der im Stehen einen ersten Unfallbericht schreibt. Mit dem Schock schützt sich der<br />

Körper. Vom durch Schmerz verursachten Stress kann man innerhalb weniger Stunden<br />

Magengeschwüre bekommen.<br />

Die 'Schusswunde' Annett Freiwald* ist in der modernsten Klinik Deutschlands: Das<br />

Unfallkrankenhaus Berlin-Marzahn (UKB) am Ostrand der Stadt ist erst zwei Jahre alt. Ein<br />

maisgelb verklinkerter Neubau mit großen Glasflächen, <strong>die</strong> viel Tageslicht hineinlassen. Rund<br />

60000 Patienten wurden bisher allein in der Unfallklinik behandelt - ausgerichtet war sie für<br />

halb so viele.<br />

'Was wiegen Sie?', fragt der Anästhesist im Schockraum, um <strong>die</strong> Betäubung dosieren zu<br />

können. '62 Kilo', antwortet Annett Freiwald matt. Unfallchirurg Ingolf Birnich fragt sie, was<br />

genau passiert sei: 'Gab es Tritte oder Schläge?' Er will mögliche innere Verletzungen<br />

ausschließen. Das rechte Bein ist kalt, schlecht durchblutet: Wichtige Gefäße müssen verletzt<br />

sein. Ohne ihren stabilen Kreislauf wäre sie gleich in den OP gekommen, so bleibt noch <strong>Zeit</strong>


für Untersuchungen. Eine Schwester verreibt durchsichtiges Gel auf dem rechten<br />

Oberschenkel, ein Chirurg fährt mit dem Ultraschallgerät darüber. Mit dem Sonographen<br />

kann man Blut 'hören'. Es knistert und rauscht wie ein altes Transistorradio. Auch das linke<br />

Bein macht Probleme. 'Was ist mit meinem Bein? Ich kann es nicht fühlen', wimmert Annett<br />

Freiwald. Eine Neurologin im rot-weißen Ringelshirt tastet mit einem Wattestäbchen <strong>die</strong> Füße<br />

ab. 'Spüren Sie das? Welchen Zeh berühre ich? Und jetzt?' Sie spürt nichts. Ein Hauptnerv<br />

scheint getroffen. Die Patientin übergibt sich.<br />

Die fachübergreifende Zusammenarbeit in der Unfallklinik ist ein unschätzbarer Vorteil für<br />

Annett Freiwald: Spezialisten fast aller Fachrichtungen sind hier sofort zur Stelle. Das UKB<br />

kann Patienten mit der Kombination von Unfall-, Wiederherstellungs-, Kiefer-, Neuro- und<br />

Plastischer Chirurgie mit Zentren für Brand- und Rückenmarkverletzte rundum im selben<br />

Haus versorgen - abgeschlossene Rehabilitation mit Schwimmbad, Übungsräume für<br />

Querschnittsgelähmte und eine hauseigene Werkstatt für Prothesen inklusive. Eine<br />

Augenklinik steht ebenfalls auf dem Gelände.<br />

21.15 Uhr. Der Anästhesist betäubt Frau Freiwald und legt ihr zur Beatmung einen<br />

durchsichtigen Schlauch in den Rachen. Mit energischen Schritten kommt der <strong>die</strong>nsthabende<br />

Oberarzt in den Schockraum: der fast zwei Meter große Cornelius Würtenberger, 41. 'Wir<br />

machen jetzt eine CT', teilt ihm ein Kollege mit. Schwestern und Ärzte rollen <strong>die</strong> Verletzte<br />

samt Monitor in den Nebenraum, wo sie durch den riesigen Computer-Tomographen<br />

geschleust wird: Die Röntgenstrahlen durchdringen sie spiralförmig und projizieren ihr<br />

Innerstes auf den Bildschirm. 'Meine Güte! Da sind ja noch fünf <strong>Kugeln</strong> drin!' Die Geschosse<br />

sind als kleine, weiße Flecken im Unterarm, im Schenkelhals, im Schambein, im Rücken und<br />

im Bauch zu sehen.<br />

Inzwischen haben <strong>die</strong> Ärzte von den Sanitätern erfahren, was passiert ist: Annett Freiwalds<br />

Ehemann ist nach einem Streit ausgerastet, hat auf sie geschossen, auch noch, als sie schon<br />

bäuchlings auf dem Teppich lag. Dann hat er sich selbst eine Kugel in den Kopf gejagt. Der<br />

Computer rechnet <strong>die</strong> Röntgenaufnahmen in knapp 30 Sekunden so um, dass er den Körper<br />

scheibchenweise, wie in zentimeterdicke Querschnitte zerlegt, darstellen kann - in fließender<br />

Folge. Wie ein Film. 'Hier: freie Flüssigkeit im Bauch', sagt einer der Ärzte. Eine Kugel hat<br />

Blase und Gebärmutter durchschlagen. Die Bilder zeigen ein Projektil ganz dicht vor der<br />

Niere. 'Die hat aber Glück gehabt.' Eine Hand greift in <strong>die</strong> Tüte mit Weingummi neben dem<br />

Rechner.<br />

Die Radiologie ist das Herzstück der unfallchirurgischen Abteilung. Sie ist vollständig<br />

digitalisiert und kann so auf 'Nass-Chemie' verzichten: Die Ärzte des UKB arbeiten nicht mit<br />

Röntgenbildern zum Anfassen. Als bisher einziges Krankenhaus in Europa ist das UKB<br />

komplett vernetzt: Bilder können von beliebig vielen Rechnern aus gleichzeitig abgerufen<br />

werden - im 'Cine-Betrieb' auch Röntgenfilme. Die Ärzte können Daten, Berichte und<br />

Laborergebnisse jederzeit und auf jeder Station per Mausklick einsehen. Ohne endlose<br />

Botengänge durchs Haus.<br />

21.30 Uhr. Die Schwerverletzte ist aus der Radiologie ein paar Räume weiter gerollt und<br />

unter ein riesiges, halbkreisförmiges Ungetüm geschoben worden: 'Mit dem Angiographen<br />

sehen wir genau, wo Gefäße verletzt sind', erläutert Radiologe Christian Madeja. Kurz bevor<br />

<strong>die</strong> Strahlen den Körper durchleuchten, pumpt eine kanonenähnliche Röhre jodhaltiges<br />

Kontrastmittel ins Blut: So erscheint nur das Adergeflecht auf dem Bildschirm. 'Arteriovenöse<br />

Fistel', diagnostiziert Oberarzt Würtenberger: Die Hauptader im rechten Bein ist durchtrennt.<br />

Die Bilder werden direkt in der Krankenakte gespeichert. 'In älteren Krankenhäusern gehen<br />

rund 20 Prozent unserer Arbeitszeit fürs Suchen drauf', sagt der 34-jährige Radiologe, 'erst


muss man <strong>die</strong> richtige Tüte finden, dann noch <strong>die</strong> gewünschte Aufnahme. Hier bekomme ich<br />

<strong>die</strong> Bilder in 20 Sekunden auf den Monitor - und das gleich chronologisch sortiert.'<br />

22.05 Uhr. Annett Freiwald wird mit dem Aufzug zum OP 4 in den zweiten Stock gefahren<br />

und vom Hals abwärts mit dunkelgrünen Tüchern steril abgedeckt. Der Bauch aber bleibt<br />

frei. Minuten später nimmt Würtenberger das Skalpell zur Hand. Nach dem raschen Schnitt<br />

ertönen Alarmsignale wie Glockenschläge. Der Blutdruck ist gesunken. 'Wie hoch ist der<br />

Blutverlust?', fragt der Anästhesist. 'Blutet stark', antwortet der Chirurg. 'Mal bitte den Haken<br />

halten' - der Assistent hält <strong>die</strong> Bauchdecke offen. Das Blut ist aus der mit Spateln<br />

zurückgehaltenen Fleisch-schicht gewichen und nimmt das Weißgrau eines Hefeteigs an.<br />

Bevor Arme und Beine behandelt werden, müssen <strong>die</strong> Ärzte sicherstellen, dass es keine<br />

inneren Blutungen gibt. Würtenberger wendet <strong>die</strong> Darmschlingen auf der Suche nach<br />

Geschossen hin und her. Kurz nach halb elf zieht er <strong>die</strong> erste Kugel aus dem Bauch. Mit<br />

triumphierendem Lächeln hält er <strong>die</strong> Pinzette mit dem 6-mm-Geschoss hoch: 'Für <strong>die</strong> Polizei.'<br />

22.55 Uhr. Würtenberger verlängert den Bauchschnitt. 'Mehr Bauchtücher bitte.' Der Chirurg<br />

wirkt ruhig, <strong>die</strong> hellblauen Augen ruhen konzentriert auf der Patientin. Den einen Fuß in<br />

weißer Tennissocke aber zieht er immer wieder aus dem blauen Gummiclogg und stützt <strong>die</strong><br />

Zehen auf den anderen Schuh. Die Profilsohlen hinterlassen inzwischen Muster auf dem<br />

blutverschmierten Boden. Fadenreste und triefende Tupfer fliegen zur Abfalltonne am<br />

Fußende der OP-Liege - nicht immer landen sie darin. Rote Leuchtzahlen an der Wand zeigen<br />

<strong>die</strong> Raumtemperatur: 23,6' C. Noch immer ist Annett Freiwald nicht außer Lebensgefahr.<br />

Spülen bitte!' Die Instrumenteurin schöpft mit einem Metallbecher erwärmte antiseptische<br />

Lösung aus einer Schüssel und reicht sie wortlos an. Würtenberger kippt sie in den Bauch.<br />

Das verbessert <strong>die</strong> Sicht und entfernt Keime. 'Und saugen bitte.' Mit lautem Gurgeln und<br />

Sprotzen holt ein durchsichtiger Schlauch Wasser und Blut wieder heraus. Es klingt wie das<br />

Speichelrohr beim Zahnarzt. Die Chirurgen schneiden fünf Zentimeter des durchschossenen<br />

Dünndarms heraus. Würtenberger legt das rosafarbene Stück Fleisch in eine Metallschale.<br />

'Und Darmnaht.' Die Schwester reicht ihm dunkelblauen Faden.<br />

Jeder OP-Saal im UKB steht grundsätzlich jedem Operateur offen. Das ist nicht<br />

selbstverständlich. Während in den meisten Krankenhäusern prestigesüchtige Chefärzte<br />

ihren 'Stamm-OP' hüten, in den sie keinen Kollegen lassen, sind <strong>die</strong> Säle hier weder<br />

Abteilungen noch Chefärzten fest zugeordnet. Sie sind gleich ausgestattet und werden<br />

flexibel nach Bedarf genutzt. Was bei den verkrusteten Strukturen ärztlicher Macht in alten<br />

Häusern kaum mehr zu ändern ist, will Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Direktor des UKB, hier<br />

verwirklichen: <strong>die</strong> vielgepriesenen flachen Hierarchien. Er hat sich dafür ein extrem junges<br />

Ärzteteam ausgewählt: Altersdurchschnitt 36. Noch jünger ist das Pflegepersonal: Im Schnitt<br />

28. 'So jung ist kein anderes Krankenhaus', sagt Ekkernkamp, selbst erst 42 Jahre alt und<br />

Professor für Unfallchirurgie.<br />

Mitternacht. Chef-Urologe Wolfgang Diederichs, wegen der Blasenverletzung hinzugebeten,<br />

kann nun gehen. Dafür kommen Unfallchirurg Birnich und Assistenzarzt Ganslmeier in den<br />

OP. Birnich dreht das Radio in der Ecke leise an; 'One more night' erklingt auf RS2.<br />

Würtenberger tackert <strong>die</strong> Bauchdecke zu. 'Kompressen bitte': Er bedeckt <strong>die</strong> Naht und<br />

beendet <strong>die</strong> erste Teiloperation. Kurze Pause. Er zieht den Kittel aus, wirft ihn in <strong>die</strong><br />

Kleidertonne. Die Ärzte schäumen sich in der Küche eine Tasse Cappuccino aus der Tüte auf.<br />

Vanillegeruch breitet sich aus. Die Gesichtsmuskeln entspannen sich. 'Läuft doch ganz gut<br />

alles, oder', sagt einer.<br />

1.50 Uhr. 'Kochsalz bitte.' Seit einer Stunde prökelt der 31-jährige Ganslmeier mit einer<br />

Pinzette im Unterarm von Annett Freiwald herum. Mühsam entfernt er Splitter eines<br />

Projektils aus dem zertrümmerten Ellenknochen. Zwischendurch schaut er auf den Bildschirm


mit der Röntgenaufnahme einen Meter vor ihm. Würtenberger arbeitet zur selben <strong>Zeit</strong> am<br />

rechten Bein der Patientin. Er setzt eine Lupenbrille auf. Es ist der heikelste Teil der<br />

Operation: Da <strong>die</strong> Hauptarterie durchtrennt ist, hätten Gewebe und Muskulatur des<br />

gesamten Beins bald absterben und <strong>die</strong> folgende Entzündung des Körpers zu Blutvergiftung<br />

und Tod führen können. Nun verbindet Würtenberger <strong>die</strong> durchschossene Arterie mit einer<br />

Gefäßprothese, einem Kunststoffröhrchen. Auf den Gesichtern spiegelt sich höchste<br />

Konzentration. Der Atem saugt den Mundschutz in schnellem Rhythmus auf <strong>die</strong> leicht<br />

geöffneten Lippen und wölbt ihn wieder. Das Radio spielt den Song 'Take my breath away'<br />

aus dem Film 'Top Gun'.<br />

4.00 Uhr: '3,5er Schrauben bitte.' Inzwischen stecken dünne Metallstangen in Annett<br />

Freiwalds Unterarm - sie halten den Knochen zusammen. Um kurz nach halb fünf dreht<br />

Ganslmeier <strong>die</strong> letzte Schraube fest. 'Rescue me, o rescue me', tönt es aus dem Radio. 'Und<br />

jetzt der Rücken.' Würtenberger versucht zu lächeln: 'Mal sehen, was <strong>die</strong>se Frau noch so<br />

bringt. Bitte mal alle mit anfassen.' Zu viert drehen sie Annett Freiwald vorsichtig auf <strong>die</strong><br />

linke Seite. Die Einschusslöcher an Hüfte und Gesäß werden untersucht.<br />

5.30 Uhr. Das erste Morgenlicht dringt durchs Fenster. Die Marathon-Operation ist fast<br />

abgeschlossen. Nur der Brustdurchschuss wird noch gesäubert: 'Debridement' und 'Exzision',<br />

heißt es. Um 5.57 Uhr wird <strong>die</strong> tief Schlafende zu einem der 36 Betten in der Intensivstation<br />

gerollt. 'Vorsicht!', warnt Würtenberger <strong>die</strong> Schwestern, 'für <strong>die</strong>se Frau haben wir acht<br />

Stunden lang gekämpft.' Er sieht erschöpft aus. Sein Gesicht ist jetzt blass, unrasiert, <strong>die</strong><br />

Schultern hängen müde herunter.<br />

7.50 Uhr. Die Chirurgen treffen sich zur täglichen Besprechung in einem fensterlosen Raum<br />

mit vier Stuhlreihen. Ein Radiologe vorne am Computer projiziert Röntgenbilder auf eine zwei<br />

mal drei Meter große Leinwand - der Raum wird zum Kino. Während sich in alten Kliniken<br />

alle um das kleine Bild drängeln und gerade noch <strong>die</strong> Oberärzte etwas erkennen, haben hier<br />

alle gleichberechtigte Sicht mit entsprechendem Lerneffekt. Der Radiologe erklärt <strong>die</strong><br />

Aufnahmen: 'Hier sieht man den Gefäßdurchschuss, hier ein Projektil.' Per Computer lassen<br />

sich winzige Details vergrößern und Kontraste verändern, um Knochen oder Weichteile<br />

hervorzuheben. Das ersetzt nicht nur mehrmaliges Röntgen, sondern ermöglicht auch eine<br />

präzisere und schnellere Diagnose.<br />

Eine Woche nach der Operation wird Annett Freiwald auf <strong>die</strong> Normalstation verlegt. Die<br />

deckenhohen Fenster im Zimmer lassen viel Tageslicht herein. 'Mein Besuch ist immer ganz<br />

erstaunt, dass es hier mehr nach Hotel als nach Krankenhaus aussieht', sagt <strong>die</strong><br />

Grundschullehrerin. Über ihren Mann kein Wort, auch keins über <strong>die</strong> Nacht, in der sie fast<br />

gestorben wäre. Nach zwei Wochen kann sie ein paar Schritte gehen. Mit Physiotherapeuten<br />

trainiert sie ihre Armmuskeln, fährt Rad. 'Hier kann man nur gesund werden', sagt Annett<br />

Freiwald. Sie bezieht das auf ihren Körper. Der vielleicht schwerste Teil steht ihr erst noch<br />

bevor.<br />

POLLY SCHMINCKE

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