12.10.2012 Aufrufe

Michael Hausenblas - Verlag Hermann Schmidt

Michael Hausenblas - Verlag Hermann Schmidt

Michael Hausenblas - Verlag Hermann Schmidt

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Freitag, 11. April 2008 / Nr. 466<br />

Design ist keine Maske<br />

und 20 weitere Weisheiten<br />

des Star-Grafikers<br />

Stefan Sagmeister


Der internationale<br />

Top-Grafiker Stefan Sagmeister<br />

brachte ein Buch mit einer Art<br />

Selbstbetrachtungen heraus.<br />

Zuvor inszenierte er die<br />

Statements auf Plakatwänden,<br />

Citylights oder Magazincovers:<br />

ein Projekt zwischen Kunst,<br />

Grafikdesign und Philosophie.<br />

<strong>Michael</strong> <strong>Hausenblas</strong> sprach<br />

mit ihm über Geld, Ehrlichkeit<br />

und die Zukunft der CD<br />

6 rondo/11/04/2008<br />

„Jeder, der ehrlich ist,<br />

der Standard: Wollen Sie mit Ihrem Buch „Things I have<br />

learned in my life so far“ Menschen bekehren?<br />

Stefan Sagmeister: Nein, überhaupt nicht. Ich nehme selbst<br />

gutgemeinte Ratschläge so ungern an, dass ich das anderen<br />

ersparen möchte.<br />

„Jeder glaubt Recht zu haben“, lautet eines Ihrer 20 inszenierten<br />

Statements? Sie auch?<br />

Sagmeister: Ich bilde mir oft ein, dass ich Recht habe. Ab<br />

und zu finde ich dann heraus, dass ich doch nicht Recht<br />

hatte. Der Spruch soll jetzt mit aufblasbaren Riesenaffen<br />

in Jerusalem inszeniert werden. Mal sehen, wie diese<br />

Meldung dort ankommt.<br />

Warum haben Sie Ihre Lebensweisheiten auf diese Art inszeniert?<br />

Sagmeister: Der Gedanke dazu kam in einem kundenfreien<br />

Jahr, in dem ich darüber nachdachte, die Grafik zur<br />

Seite zu legen und Regisseur zu werden. Ich hab mich<br />

dann aber gefragt, was ich machen würde, wenn ich<br />

draufkäme, dass ich in diesem Genre gar nichts zu sagen<br />

hätte, und ob es nicht sinnvoller wäre, in der Sprache<br />

der Grafik etwas zu sagen. Mir war natürlich klar,<br />

dass die Grafik so wie jede Sprache limitiert ist. Die professionelle<br />

Werbegrafik hat mich zu jener Zeit sehr frustriert.<br />

Es ging einfach nur um Verkauf und Promotion.<br />

Ich hab nichts gegen das Verkaufen, aber Design muss<br />

mehr können.<br />

Und zwar?<br />

Sagmeister: Es kann zum Beispiel unterhalten, man kann<br />

damit Geld auftreiben, informieren, agitieren usw. Ich<br />

wollte einfach etwas ausprobieren. Die Schwierigkeit<br />

war in diesem freien Jahr eher, damit umzugehen, dass<br />

ich machen konnte, was ich wollte. Es gab ja kein Ziel<br />

oder Briefing. Nach langer Suche stieß ich auf meine<br />

Liste im Tagebuch. Und dann habe ich geschaut, was<br />

passiert, wenn ich die Sache inszeniere, zum Beispiel<br />

auf riesigen Plakatwänden in Paris. Es gab auf die verschiedenen<br />

Inszenierungen sehr großes Feedback. Meine<br />

Lieblingsreaktion kam von einem südkoreanischen<br />

Mönch, der einen meiner Sätze in einem Magazin fand.<br />

Er schrieb, er möchte die Statements als Lehrmittel verwenden.<br />

Seit es das Buch gibt, erhalte ich zum Teil sehr<br />

ergreifende Mails. Anfangs dachte ich, die schickt mir<br />

irgendein Freund.<br />

Ist Ihnen eine Lektion am wichtigsten?<br />

Sagmeister: Irgendwie liegt mir der Satz „Alles was ich<br />

mache, fällt wieder auf mich zurück“ besonders am Her-<br />

zen, weil damit das ganze Projekt angefangen hat. Von<br />

der Bedeutung her ist mir auch jener Satz sehr nahe, den<br />

ich noch immer nicht gelernt habe. Er lautet: „Mutig zu<br />

sein, zahlt sich immer für mich aus“.<br />

Ein anderes Zitat lautet: „Geld macht mich nicht glücklich“.<br />

Da denken eine ganze Menge Menschen wohl ganz<br />

anders darüber.<br />

Sagmeister: Der Satz heißt ja, Geld macht mich nicht<br />

glücklich. Er entstand in dem Bewusstsein, dass ich mir<br />

weder über mein Zuhause noch über das Essen Sorgen<br />

machen muss. Der Psychologe Danny Gilbert aus Harvard,<br />

den ich persönlich kennenlernen durfte, beschäftigt<br />

sich wissenschaftlich mit dem Zusammenhang zwischen<br />

„sich wohlfühlen“ und „finanzielle Situation“. Er<br />

sagt, wenn du in den USA unter 35.000 Euro pro Jahr<br />

verdienst, spielt Geld eine ganz andere Rolle, als wenn<br />

du darüber liegst. Das ist jetzt noch keine große Erkenntnis.<br />

Erstaunlich ist, dass es laut seinen Untersuchungen<br />

keinen Einfluss mehr auf das Wohlbefinden<br />

mehr gibt, ob man 500.000, fünf Millionen oder 50 Millionen<br />

Dollar im Jahr verdient.<br />

Sie nannten Ihre Projekte für die Rolling Stones oder Talking<br />

Heads einmal „coole“ Projekte. Mit welchem Adjektiv<br />

würden Sie dieses Projekt benennen?<br />

Sagmeister: Wahrscheinlich mit „persönlich“. Dabei sind<br />

diese Projekte so eine Art Zwischending. Auf der einen<br />

Seite sind sie ganz eindeutig Kunstprojekte. Mir fällt das<br />

Zitat von Donald Judd ein, der meinte, „Design muss<br />

funktionieren, Kunst nicht.“ Die Inszenierungen sind allerdings<br />

auch in Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />

Auftraggebern wie z. B. Museen, Bierbrauereien und<br />

Festivals entstanden und erfüllen neben diesem Persönlichen<br />

auch eine Funktion. Sie unterteilen Magazine<br />

oder machen Pressewirbel für irgendein Festival etc.<br />

Sie sind also auch Designobjekte, aber relativ eigenständig.<br />

Das ist sicher auch ein Grund, warum der Wiederhall<br />

so groß ist. Ich habe den Eindruck, dass viele<br />

Leute außerhalb des Designzirkus beim Betrachten eines<br />

Stückes Kommunikationsdesign gar nicht realisieren,<br />

dass da eine Person dahintersteckt. Das gilt genauso<br />

für das Aussehen von Tageszeitungen oder Flugzetteln.<br />

Ihr Buch ist also eine Mischung aus Kunst und Grafikdesign.<br />

Auch das Produktdesign und andere Disziplinen<br />

wachsen immer mehr zusammen. Menschen sehnen sich<br />

in der Regel aus einer Unsicherheit heraus nach fixen Benennungen?<br />

Wo ziehen Sie Grenzen?


ist interessant“<br />

Foto: Reuters/Ints Kalnins<br />

Der Grafikdesigner und Typograf Stefan<br />

Sagmeister wurde 1962 in Bregenz geboren.<br />

Er studierte an der Universität für angewandte<br />

Kunst in Wien und am Pratt Institute<br />

in New York. Nach seiner Zeit in<br />

Hongkong, wo er für die Werbeagentur<br />

Leo Burnett arbeitete, gründete er 1993 in<br />

New York die Sagmeister Inc. Zu seinem<br />

Kundenstock zählen unter anderem TimeWarner,<br />

das Guggenheim Museum,<br />

Lou Reed, die Rolling Stones oder die<br />

Zumtobel AG. Neben zahlreichen anderen<br />

Auszeichnungen kassierte er für das<br />

Albumdesign von „Once In A Lifetime“<br />

der Talking Heads einen Grammy. 20 Tagebucheinträge<br />

des Designers wurden<br />

nun mit Unterstützung von Auftraggebern<br />

aus der Wirtschaft weltweit im öffentlichen<br />

Raum installiert und unter<br />

dem Titel „Things I have learned in my<br />

life so far“ veröffentlicht. (<strong>Verlag</strong> <strong>Hermann</strong><br />

<strong>Schmidt</strong>, Mainz) Mehr Infos:<br />

www.sagmeister.com<br />

Vortrag Stefan Sagmeister:<br />

am 4. Juli 2008, 19.00 Uhr, Designforum<br />

im Museumsquartier.<br />

Anmeldung erforderlich:<br />

www.designaustria.at<br />

Sagmeister: Als Konsument zieh ich keine Grenzen. Da<br />

geht es mir nur darum zu fragen, „Ist es gut?“ oder „Ist<br />

es nicht gut?“ Als Designer bin ich gezwungen, mich zu<br />

äußern, weil ich solche Fragen oft gestellt bekomme. Da<br />

sehe ich das Ganze historisch. Es ist offensichtlich so,<br />

dass sich die Grenze zwischen Design und Kunst ab und<br />

zu auflöst, dann kommt sie wieder und löst sich wieder<br />

auf. Also wenn wir von Wien um 1900 oder vom Bauhaus<br />

sprechen, gab es keine Grenzen. Kokoschka hat am<br />

Morgen Poster entworfen und am Abend gemalt. In New<br />

York gab es lange Zeit eine praktische Grenze. Die Kunst<br />

hatte ihre eigenen Medien und Vertriebssysteme und<br />

das Design auch. Das löst sich derzeit ziemlich auf. Man<br />

sieht das in einigen Galerien oder auch in Form der Messe<br />

„Art Basel Miami“.<br />

Einer Ihrer Sätze lautet „Jeder, der ehrlich ist, ist interessant.“<br />

Wie steht’s mit Werbung und Ehrlichkeit?<br />

Sagmeister: Ich glaube, dass ehrliche Werbung am besten<br />

funktioniert. Die bekannteste unehrliche Werbung der<br />

letzten 50 Jahre war, als die US-Tabakindustrie behauptete,<br />

dass Rauchen gar nicht schädlich sei. Die<br />

Summe, die diese Unternehmen Strafe zahlen mussten,<br />

kann man sich gar nicht vorstellen. Seit ich die Werber<br />

selbst besser kenne, sehe ich, dass in dem Business eigentlich<br />

viel mehr Ehrlichkeit steckt, als ich zuvor geglaubt<br />

habe. Klar gibt’s in jeder Firma die good guys und<br />

die bad guys.<br />

Haben Sie ein Beispiel für good guys?<br />

Sagmeister: Mir fällt da die Eiscremefirma „Ben und Jerry’s“<br />

ein. Anfangs dachte ich, diese sozial- und ökologisch<br />

orientierte Hippie-Nummer namens „Caring Capitalism“<br />

sei einfach ein Marketing-Schmäh. Bis ich daraufkam,<br />

denen ging es wirklich um die Message.<br />

Die Werbung hat also einen schlechteren Ruf, als sie verdient?<br />

Sagmeister: Ich glaube, dass der Kunde es irgendwann<br />

überreißt, wenn man ihn über den Tisch ziehen will. Vielleicht<br />

bin ich auch naiv, aber ich hab das Gefühl, dass<br />

ich selten erfolgreich angelogen werde.<br />

Sie sagten einmal, das CD-Cover sei am absteigenden Ast.<br />

Bedauern Sie das als Grafikdesigner?<br />

Sagmeister: An sich bin ich nicht sehr nostalgisch. Es<br />

gibt so viele andere Dinge, die mich anziehen, obwohl<br />

die Visualisierung von Musik schon ein sehr interessanter<br />

Prozess ist. Nun ist diese Zeit halt so gut wie<br />

vorbei.<br />

„Everything I do always comes back to me“, lautet eine Erkenntnis,<br />

die Stefan Sagmeister inszenierte. Der Satz erschien<br />

erstmals in Form von Doppelseiten in einem Magazin.<br />

Eine immer länger werdende Liste an Lebensweisheiten<br />

im Tagebuch des Grafikdesigners brachte ihn auf die Idee,<br />

dieses Projekt zu realisieren. Fotos: Sagmeister Inc.<br />

Welche Zukunft sagen Sie dem Buch und der Tageszeitung<br />

voraus?<br />

Sagmeister: Ich denke, diesen Bereichen wird es ähnlich<br />

gehen. Jetzt gibt es natürlich diese ganzen Geschichten,<br />

die schon so lange das Ende des Prints voraussagen und<br />

diese Prognose ist ja in dieser Form nicht eingetreten.<br />

Aber ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass die Generation,<br />

die heute keine CDs mehr kauft, also die 15- bis<br />

25-Jährigen, auch die erste Generation sein wird, die<br />

kein Bücherregal mehr kaufen wird, sondern auf eine<br />

gewisse Art online lesen wird.<br />

Und wie schaut diese Art aus?<br />

Sagmeister: Wenn ich mir den neuen Leseapparat „Kindle“<br />

von Amazon anschaue, ist der zwar noch nicht gut,<br />

aber schon fast gut. Ich bin mir sicher, dass in fünf Jahren<br />

ein Apparat auf dem Markt sein wird, der ausgezeichnet<br />

funktioniert. Ein Ding, das vom Lesegefühl so<br />

angenehm ist wie ein Taschenbuch, aber halt viel, viel<br />

mehr kann als das Taschenbuch.<br />

Aber alle Welt redet doch immer von der Haptik, vom Papier,<br />

seinem Rascheln etc.<br />

Sagmeister: Aber nicht die erwähnte Generation.<br />

Und die Tageszeitung?<br />

Sagmeister: Ich habe vor drei Wochen einen Vortrag bei der<br />

New York Times gehalten. Dort hat man mir gesagt, dass<br />

ihre Zeitung von einer Million Menschen in gedruckter<br />

Fassung gelesen wird, aber online von 25 Millionen. Die<br />

Zahlen sind natürlich allein schon betreffend des Leseverhaltens<br />

schwer einzuschätzen. Da werden noch immer<br />

ein wenig Äpfel mit Birnen verglichen. Man darf auch<br />

nicht vergessen, dass die Werber derzeit für Print-Werbung<br />

noch viel mehr zahlen als für Online-Werbung. Ich<br />

denke, es hängt alles am Generationenwechsel.<br />

Wie konsumieren Sie die Tageszeitung?<br />

Sagmeister: Am Wochenende lese ich die Zeitung im Bett<br />

und auf Papier, unter der Woche online. Der Computer<br />

ist im Bett irgendwie unangenehm.<br />

Sie sagten einmal, „Designbücher für Designer“ sind<br />

meist langweilig.<br />

Sagmeister: Ich wollte als Designer immer ein großes Publikum<br />

ansprechen. Mich haben auch immer Leute<br />

mehr beeindruckt, die etwas Gutes für ein Massenpublikum<br />

gemacht haben. Mir fallen da zum Beispiel die<br />

Simpsons ein, oder Olafur Eliasson mit seiner künstlichen<br />

Sonne in der Tate Modern. Q<br />

rondo/11/04/2008 7

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!