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AsKI e.V. Kulturberichte 2/2001

Die Geschäftsstelle des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute - AsKI e.V. informierte von 1986 bis 2004 mit den KULTURBERICHTEN über die Arbeit der Mitgliedsinstitute, deren Sammlungen, Ausstellungen und Forschungsvorhaben sowie über aktuelle kulturpolitische Fragen und Probleme, die sich aus dem modernen Kulturbetrieb ergaben. Herausragende Projekte fanden in umfangreichen Artikeln ihr Forum. Die KULTURBERICHTE waren das wichtigste Selbstdarstellungs- und Informationsorgan des AsKI. Sie erschienen dreimal jährlich und waren ab der Ausgabe 1/98 auch im Internet zu lesen. Sie wurden von der Nachfolgepublikation KULTUR lebendig abgelöst.

Die Geschäftsstelle des Arbeitskreises selbständiger Kultur-Institute - AsKI e.V. informierte von 1986 bis 2004 mit den KULTURBERICHTEN über die Arbeit der Mitgliedsinstitute, deren Sammlungen, Ausstellungen und Forschungsvorhaben sowie über aktuelle kulturpolitische Fragen und Probleme, die sich aus dem modernen Kulturbetrieb ergaben. Herausragende Projekte fanden in umfangreichen Artikeln ihr Forum. Die KULTURBERICHTE waren das wichtigste Selbstdarstellungs- und Informationsorgan des AsKI. Sie erschienen dreimal jährlich und waren ab der Ausgabe 1/98 auch im Internet zu lesen. Sie wurden von der Nachfolgepublikation KULTUR lebendig abgelöst.

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Arbeitskreis<br />

selbständiger<br />

Kultur-<br />

Institute e.V


_ Mitgliedsinstitute des <strong>AsKI</strong>I ~=== __ ~_~"'~==~<br />

Städelsches Kunstinstitut<br />

Frankfurt am Main<br />

Der Kunstverein in Bremen<br />

Bremen<br />

Germanisches Nationalmuseum<br />

Nürnberg<br />

Freies Deutsches Hochstift<br />

Frankfurt am Main<br />

Verein Beethoven-Haus<br />

Bonn<br />

Deutsche Schillergesellschaft<br />

Marbach am Neckar<br />

Wllhelm-Busch-Gesellschaft<br />

Hannover<br />

Wlnckelmann-Gesellschaft<br />

Stendal<br />

Gesellschaft für deutsche Sprache<br />

Wiesbaden<br />

Max-Reger-lnstitutlElsa-Reger-Stiftung<br />

Karlsruhe<br />

Deutsche Akademie für Sprache und<br />

Dichtung<br />

Darmstadt<br />

Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal<br />

Kassel<br />

Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv<br />

Frankfurt am Main - Potsdam/Babelsberg<br />

Goethe-Museum/Kippenberg-Stlftung<br />

Düsseldorf<br />

Bauhaus-Archiv<br />

Berlin<br />

Filmmuseum Berlin - Deutsche KInemathek<br />

Berlin<br />

Stiftung Buchkunst<br />

Frankfurt am Main<br />

Stiftung Ostdeutsche Galerie<br />

Regensburg<br />

Gerhard Marcks-Stiftung<br />

Bremen<br />

Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg<br />

Sulzbach-Rosenberg<br />

Eiselen-Stiftung<br />

Ulm<br />

Stiftung Henrl und Eske Nannen und<br />

Schenkung Otto van de Loo<br />

Emden<br />

Gesellschaft für Reichskammergerichtsforschung<br />

Wetzlar<br />

Stiftung Weimarer Klassik<br />

Weimar<br />

Franckesche Stiftungen zu Halle an der Saale<br />

Halle an der Saale<br />

Stiftung Archiv der Akademie der Künste<br />

Berlin<br />

Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und<br />

Mittelbau-Dora<br />

Weimar<br />

Fritz Bauer Institut<br />

Frankfurt am Main<br />

Bach-Archiv<br />

Leipzig<br />

Stiftung Deutsches HyJ;JieIlI!-liIu!;eurn<br />

Dresden<br />

1999-2000


2 Neues Mitglied im <strong>AsKI</strong>:<br />

Bach-Archiv Leipzig<br />

Forschungsinstitut - Bibliothek -<br />

Museum - Veranstaltungen<br />

7 "Leuchtendes Zauberschloß aus<br />

unvergänglichem Material"<br />

Hofmannsthai und Goethe<br />

Eine Ausstellung im Freien Deutschen<br />

Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum<br />

Joachim Seng<br />

10 kunst.macht.kulturpolitik<br />

Kulturpolitischer Bundeskongress<br />

in Berlin<br />

11 ICOM <strong>2001</strong> Barcelona<br />

19. General-Konferenz und 20. Generalversammlung<br />

des International Council<br />

of Museums 1. - 6. Juli <strong>2001</strong><br />

14 Daniel Nikolaus Chodowiecki zum<br />

200. TOdestag<br />

Ausstellung der "Reise von Berlin nach<br />

Danzig 1773" in Gdansk und Berlin<br />

Gudrun Schmidt<br />

18 Endlich - die Nationalstiftung für<br />

Kultur?<br />

Barthold C. Witte<br />

20 KLEINE NACHRICHTEN<br />

27 Maxim Kantor. "Ödland. Ein Atlas"<br />

Eine Ausstellung der Graphischen<br />

Sammlung im Städelschen Kunstinstitut,<br />

Frankfurt am Main<br />

Ulrike Goeschen<br />

31 Ein Toast auf den Toaster!<br />

Eine Ausstellung zu Technikgeschichte<br />

und Design der Toaster und zur<br />

Geschichte des Toastbrotes<br />

Deutsches Brotmuseum Ulm<br />

Annette Hillringhaus/Monika Machnicki<br />

36 Searle & Searle<br />

Eine Ausstellung im Wilhelm-Busch-<br />

Museum Hannover/Deutsches Museum<br />

für Karikatur und kritische Grafik<br />

Gisela Vetter-Liebenow<br />

38 Die Gemeinschaft der Heiligen<br />

Der Figurenzyklus an der Katharinenkirche<br />

zu Lübeck und das monumentale<br />

Werk Ernst Barlachs<br />

Eine Ausstellung im Gerhard Marcks-<br />

Haus Bremen<br />

Jürgen Fitschen<br />

41 AUSSTELLUNGEN UND<br />

VERANSTALTUNGEN


=<br />

Neues Mitglied im <strong>AsKI</strong>:<br />

Bach-Archiv Leipzig<br />

Forschungsinstitut - Bibliothek - Museum - Veranstaltungen<br />

Das Bach-Archiv Leipzig besitzt ein vielfältiges<br />

und umfangreiches Aufgabenspektrum.<br />

Als Archiv sammelt, bewahrt und verzeichnet<br />

es mit dem Ziel der Vollständigkeit das musikalische,<br />

dokumentarische und literarische<br />

Material zu Johann Sebastian Bach, seiner<br />

Familie und deren Umkreis. An eine breite Öffentlichkeit<br />

wendet es sich mit dem Museum<br />

und als Veranstalter des Leipziger Bachfestes,<br />

des Internationalen Bach-Wettbewerbs und<br />

einer wöchentlich stattfindenden Kammerkonzertreihe.<br />

Unter seinem Dach vereint es<br />

einzigartige Quellenbestände, eine hochspezialisierte<br />

Forschungseinrichtung, eine einzigartige<br />

Bibliothek. In dieser komplexen Funktion,<br />

eigentlich Multifunktion, ist das Bach-Archiv<br />

Leipzig weltweit ohne Parallele; in seinem<br />

Bestreben, die Stadt Leipzig als zentralen Ort<br />

2<br />

der Bach-Forschung und -Pflege weiter auszubauen,<br />

vernetzt es Institutionen und Kooperationspartner<br />

auf lokaler, nationaler und internationaler<br />

Ebene.<br />

Zur Geschichte<br />

Im Juli 1950 fanden in Leipzig im Rahmen<br />

der so genannten Deutschen Bach-Feier neben<br />

zahlreichen Konzerten eine Wissenschaftliche<br />

Konferenz, ein Wettbewerb sowie eine<br />

hochkarätige museale Ausstellung "Bach in<br />

seiner Zeit" statt. Initiator der Ausstellung war<br />

der Musikwissenschaftier Werner Neumann<br />

(1905-1991). Im Anschluss an die Feierlichkeiten<br />

und getragen von deren Impetus wurde von<br />

ihm - mit Unterstützung der Stadt Leipzig - im<br />

November 1950 das Bach-Archiv Leipzig gegründet.<br />

Untergebracht war das Archiv ab Mai<br />

1951 im 1755/56 erbauten .Gohliser Schlößchen"<br />

in der Menckestraße 23. 1985 zog die<br />

inzwischen beträchtlich angewachsene Einrichtung<br />

mit ihren Quellenbeständen und<br />

Sammlungen anlässlich der Feierlichkeiten zu<br />

Bachs 300. Geburtstag in ein besonders schönes<br />

altes Wohnhaus in die Innenstadt Leipzigs<br />

um: in das nach seiner Rekonstruktion 1983<br />

bis 1985 so genannte Bosehaus auf der Südseite<br />

des Thomaskirchhofs. Das Gebäude ist<br />

im Jahr 1586 errichtet worden, wie eine Jahreszahl<br />

am Ostgiebel belegt. Dieser Bau bildet<br />

heute den Kern des Hauses. Auch die schöne<br />

großzügige und einladende Eingangshalle<br />

mit ihren Kreuzgewölben und Säulen stammt<br />

aus der Zeit der Renaissance, während die unbequeme<br />

Treppenspindel jener Zeit schon bei<br />

der umfassenden Umgestaltung im 18. Jahrhundert<br />

durch ein steinernes Treppenhaus er-<br />

Garl Seffner<br />

Denkmal Johann Sebastian Bachs<br />

vor der Thomaskirche, Leipzig


Johann Sebastian Bach<br />

Eingabe an den Rat der Stadt Leipzig, 1730<br />

Bach-Archiv Leipzig<br />

setzt wurde. Im Hintergebäude entstand damals<br />

ein mit Spiegeln, Stuckverzierungen und<br />

einem ovalen Deckengemälde geschmückter<br />

Festsaal ("Sommersaal"), der bis ins Dachgeschoss<br />

hineinreicht. Der Umzug des Bach-<br />

Archivs in dieses großbürgerliche Anwesen visa-vis<br />

zur (leider heute nicht mehr existierenden)<br />

ehemaligen Wohnung und Arbeitsstätte<br />

Johann Sebastian Bachs (in der 1902 abgerissenen<br />

Thomasschule) ist bedeutungsvoll,<br />

bestanden doch nachgewiesenermaßen<br />

freundschaftliche Beziehungen zu den Besitzern<br />

des Hauses, der Kaufmannsfamilie Bose.<br />

Die wechselvolle Geschichte des Bach-Archivs<br />

Leipzig ausführlich darzustellen, ist hier nicht<br />

der Ort.<br />

Nur so viel: Von 1979 bis zur deutschen Einheit<br />

war die Einrichtung den "Nationalen Forschungs-<br />

und Gedenkstätten Johann Sebastian<br />

Bach der DDR" administrativ als mehr oder<br />

weniger unliebsames Anhängsel zugeordnet;<br />

die Rückkehr zur ursprünglichen Zielsetzung<br />

des Instituts und die Rückbenennung in Bach-<br />

Archiv Leipzig erfolgte schließlich 1992. Als Ergebnis<br />

dieser Entwicklungen wird das Bach-<br />

Archiv seit 1991 aus Mitteln des Bundes, des<br />

Freistaates Sachsen sowie der Stadt Leipzig<br />

institutionell gefördert. Seit dem 1. Januar 1998<br />

ist die vormalige Einrichtung der Stadt Leipzig<br />

eine Stiftung ·bürgerlichen Rechts.<br />

Forschungsinstitut<br />

In der Abteilung Forschung sind zahlreiche<br />

wissenschaftliche Einzelprojekte zu Johann<br />

Sebastian Bach und seiner Familie angesiedelt<br />

(Biographie, Quellenforschung, Schaffen,<br />

Umfeld, Aufführungspraxis, Wirkungsge-<br />

Johann Sebastian Bach<br />

Kantate BWV 14" Wär Gott nicht mit uns diese Zeit"<br />

autographe Sopranstimme<br />

Bach-Archiv Leipzig<br />

3


schichte). Zunehmend widmet sich die Forschung<br />

auch den Bach-Söhnen. Zu den langfristigen<br />

editorischen Projekten gehören die<br />

"Bach Dokumente", die "Faksimile-Reihe<br />

Bachscher Werke und Schriftstücke", die .Leipziger<br />

Beiträge zur Bach-Forschung", das<br />

"Bach-Jahrbuch", die "Neue Bach-Ausgabe"<br />

(gemeinsam mit dem Johann-Sebastian-Bach-<br />

Institut), das bis heute vier Bände umfassende<br />

"Bach Compendium" (mit Unterstützung der<br />

Harvard University), das "Bach Repertorium"<br />

(gemeinsam mit der Sächsischen Akademie<br />

der Wissenschaften und dem Packard Humanities<br />

Institute) sowie die Gesamtausgabe<br />

der Werke von Wilhelm Friedemann und Carl<br />

Philipp Emanuel Bach (mit Unterstützung des<br />

Packard Humanities Institute).<br />

Abgesehen von Publikationen und Editionen<br />

zählt zu den Aufgaben des Instituts auch die<br />

Vermittlung der Forschungsergebnisse an Wissenschaft<br />

und Praxis in Form von Vorträgen,<br />

universitären Veranstaltungen, Seminaren und<br />

Konferenzen. Gerade auch für derartige Veranstaltungen<br />

besteht im Selbstverständnis der<br />

Leipziger Bevölkerung ein auffallend reges öffentliches<br />

Interesse, wie der außerordentlich<br />

hohe Zuspruch von Zuhörern an lässlich der<br />

dreitägigen wissenschaftlichen Konferenz<br />

"Bach in Leipzig - Bach und Leipzig" zeigte,<br />

die im Januar 2000 das Bach-Jahr eröffnete<br />

und dabei die Elite der internationalen Bach-<br />

Forscher vereinte. (Die Referate werden in<br />

Band 5 der Reihe .Leipziqer Beiträge zur Bach-<br />

Forschung" veröffentlicht.)<br />

Bibliothek<br />

Die Präsenzbibliothek des Bach-Archivs<br />

Leipzig ist die weltweit bedeutendste Spezialbibliothek<br />

zum Thema Bach. Sie umfasst nach<br />

der Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer<br />

Kulturbesitz, die zweitgrößte Sammlung<br />

Bachscher Originalquelien sowie zahlreiche<br />

4<br />

weitere Bachiana in Handschriften und Drucken<br />

des 18. und 19. Jahrhunderts. Zu diesem<br />

Schatz gehören etwa neunhundert Handschriften<br />

und Autographe. Zu den unschätzbaren<br />

Kostbarkeiten zählt die Thomana-Sammlung,<br />

originale Stimmensätze des so genannten<br />

Choralkantaten-Jahrgangs Johann Sebastian<br />

Bachs, die nach Bachs Tod über seine Witwe<br />

Anna Magdalena an die Thomasschule gelangten<br />

und heute vom Bach-Archiv Leipzig verwahrt<br />

und für wissenschaftliche Zwecke genutzt<br />

werden. Zu den wertvollsten Beständen<br />

gehören auch das Autograph der Violinsonate<br />

G-Dur, BWV 1021 (eine Faksimile-Ausgabe ist<br />

in Vorbereitung) und Bachs oft zitierte Eingabe<br />

an den Rat der Stadt Leipzig von 1730<br />

(Kurtzer, iedoch höchstnöthiger Entwurff einer<br />

wohlbestallten Kirchen-Music; nebst einigem<br />

unvorgreiflichen Bedencken von dem Verfall<br />

derselben) .<br />

Von einzigartiger Bedeutung ist die auf die<br />

besonderen Bedürfnisse der Bach-Forschung<br />

ausgerichtete umfangreiche Sammlung von<br />

Musikliteratur und Musikdrucken, Fachliteratur<br />

und Musikalien, Quelien-Photokopien und -Mikroformen,<br />

Tonträgern und Grafiken. Zu den<br />

Aufgaben der Bibliothek gehören die katalogmäßige<br />

Aufarbeitung des Bach-Schrifttums<br />

und die Führung verschiedener Spezialkarteien.<br />

Ein längerfristiges, bereits begonnenes<br />

Vorhaben ist die schrittweise Digitalisierung<br />

des Hauptkatalogs.


Museum<br />

Das Johann-Sebastian-Bach-Museum ist<br />

das Schaufenster des Bach-Archivs Leipzig.<br />

Weit über zwanzigtausend Besucher lockt es<br />

jährlich an. Nach einer umfassenden Renovierung<br />

und Erweiterung zum Bach-Jahr 2000<br />

wird in nunmehr fünf Räumen eine neugestaltete<br />

Dauerausstellung zum Thema Bach in<br />

Leipzig präsentiert. Dank verbesserter Klimaund<br />

Sicherheitstechnik ist es nun möglich, für<br />

eine begrenzte Zeit regelmäßig auch Kostbarkeiten<br />

aus der Schatzkammer des Archivs auszustellen.<br />

Gezeigt werden neben wertvollen<br />

Dokumenten, Bildnissen und Musikalien auch<br />

historische Instrumente der Bach-Zeit. Ein Vortragsraum<br />

bietet Gelegenheit für museumspädagogische<br />

Begleitprogramme und ermöglicht<br />

audiovisuelle Vorführungen zu Leben und<br />

Werk Bachs. Bereichert wird die Dauerausstellung<br />

jährlich um drei bis vier Kabinettausstellungen.<br />

Sie vermitteln durch ansprechende,<br />

aktuelle Thematik und Gestaltung neueste<br />

Erkenntnisse der Forschung und schaffen sinnfällige<br />

Querverbindungen zur Regional-, Kultur-,<br />

Religions-, Literatur- und Kunstgeschichte.<br />

Jüngstes Projekt ist die Kabinettausstellung<br />

.Johann Sebastian Bachs Frau Liebste. Anna<br />

Magdalena Bach zum 300. Geburtstag", die<br />

vom 12. September <strong>2001</strong> bis zum 13. Januar<br />

2002 gezeigt wird. Mittelpunkt der Ausstellung<br />

ist der Lebensweg einer bemerkenswerten<br />

5<br />

Frau: Anna Magdalena Bach geb. Wilcke<br />

(22.9.1701-27.2.1760). Als Künstlerin, Gattin,<br />

Mutter einer Großfamilie und Kopistin der Werke<br />

ihres Mannes stand Anna Magdalena jahrzehntelang<br />

im Brennpunkt des Lebens Johann<br />

Sebastian Bachs. Die Ausstellung präsentiert<br />

der Öffentlichkeit erstmals teilweise noch nie<br />

gezeigte Dokumente.<br />

Veranstaltungen<br />

Die Abteilung Veranstaltungen realisiert die<br />

seit 1999 alljährlich zu Himmelfahrt stattfindenden<br />

Leipziger Bachfeste. Der Gedanke, ein<br />

Fest zu Ehren Bachs auch außerhalb der großen<br />

Jubiläen zu installieren, war in der Bach-<br />

Hauptstadt nicht neu. Die Tradition der Bachfeste<br />

in Leipzig fußt im Wesentlichen auf zwei<br />

Entwicklungslinien. Einerseits veranstaltet die<br />

Neue Bachgesellschaft ihre innerhalb Deutschlands<br />

wandernden Bachfeste seit 1904 etwa<br />

alle vier Jahre in Leipzig. Andererseits versuchte<br />

die Stadt Leipzig selbst, ein jährliches Bachfest<br />

auszurichten. Anlass für das erste städtische<br />

Bachfest war die Einweihung des Bach-<br />

Denkmals von Carl Seffner auf dem Themaskirchhof<br />

im Jahre 1908. Unter verschiedenen<br />

Titeln und in unregelmäßigen Abständen fanden<br />

diese Feste unter der künstlerischen Leitung<br />

des Thomaskantors bis in die sechziger<br />

Jahre statt. Mit dem Bachfest von 1999, dessen<br />

künstlerische Leitung Thomaskantor Georg<br />

Christoph Biller übernahm, hat die Kommune<br />

in Zusammenarbeit mit verschiedenen<br />

Kulturinstituten ein Bekenntnis zu Leipzigs<br />

größtem Musiker Johann Sebastian Bach in die<br />

Tat umgesetzt. Nach dem Jubeljahr 2000 und<br />

dem ebenfalls sehr erfolgreichen Bachfest<br />

Leipzig <strong>2001</strong> steht das vierte Festival vom 3.<br />

bis 12. Mai 2002 unter dem Thema "Bach und<br />

die französische Musik" auf dem Programm.<br />

Alle zwei Jahre gesellt sich der Internationale<br />

Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb dazu.<br />

Johann-Sebastian-Bach-Museum<br />

Dauerausstellung Bach und Leipzig


Bach-Archiv Leipzig,<br />

Thomaskirchhof 16, Innenhof<br />

6<br />

Gegründet 1950 und in zunächst vierjährigem<br />

Turnus veranstaltet, gehört dieser zu den anspruchvollsten<br />

Wettbewerben und ist mit seinem<br />

spezifischen Profil einzigartig in der Welt.<br />

Unter Leitung seines Präsidenten Robert Levin<br />

(Harvard University) werden bewusst historische<br />

Instrumente und eine entsprechende Aufführungspraxis<br />

einbezogen. Der XIII. Bach-<br />

Wettbewerb findet vom 25. Juni bis 6. Juli 2002<br />

in den Fächern Gesang, Violine und Klavier statt.<br />

Über diese in größeren Abständen stattfindenden<br />

Ereignisse hinaus veranstaltet das<br />

Bach-Archiv ganzjährig Kammerkonzerte im historischen<br />

Sommersaal des Bosehauses. Jeden<br />

Mittwochabend erklingt in dem sechzig Personen<br />

fassenden Saal Kammermusik vom Frühbarock<br />

bis zur Moderne, dargeboten von Bachpreisträgern<br />

sowie nationalen und internationalen<br />

Künstlern und Ensembles.<br />

Eingangshalle des<br />

Johann-Sebastian-Bach-<br />

Museums, Leipzig


"Leuchtendes Zauberschloß aus unvergänglichem Material"<br />

Hofmannsthai und Goethe<br />

Eine Ausstellung im Freien Deutschen Hochstift/Frankfurter Goethe-Museum<br />

Joachim Seng<br />

Im März 1891 notierte sich der Dichter Arthur<br />

Schnitzler in sein Tagebuch: "Bedeutendes<br />

Talent, ein 17j. Junge, Loris (v. Hofmannsthai).<br />

Wissen, Klarheit und, wie es scheint,<br />

auch echte Künstlerschaft, es ist unerhört in<br />

dem Alter." Im berühmten Cate Griensteidl<br />

hatte er gerade den Gymnasiasten Hugo von<br />

Hofmannsthai (1874-1929) kennen gelernt, der<br />

bereits mit einigen Gedichten und Aufsätzen<br />

in Wiener Zeitschriften Aufsehen erregt hatte<br />

und bald als das jüngste Genie des "Jung-<br />

Wien" gefeiert wurde. Vergleiche mit dem Genie<br />

Goethes ließen nicht lange auf sich warten.<br />

Als einer der Ersten attestierte Hermann<br />

Bahr Hofmannsthai öffentlich "das Wilhelm-<br />

Meisterliche".<br />

Die Gedichte und Versdramen des jungen<br />

Dichters wurden im Wien der Jahrhundertwende<br />

immer wieder mit Goethe in Verbindung<br />

gebracht - so vernehmlich, dass Karl Kraus,<br />

selbst ein glühender Goethe-Verehrer, gegen<br />

diese Gleichsetzung mit dem Dichterfürsten im<br />

Goethe-Jahr 1899 in seiner Zeitschrift "Die<br />

Fackel" scharfzüngig polemisierte: "Brauchen<br />

wir noch zu fragen, wie Hugo v. Hoffmannsthai<br />

[sie !] über Goethe denkt? Wer weiß nicht, dass<br />

Goethe der Hoffmannsthai [sic !] des 18. Jahrhunderts<br />

gewesen ist?" Obwohl die Wahrnehmung<br />

Hofmannsthais als früh vollendetes Genie<br />

den Blick der Öffentlichkeit bestimmte, er<br />

1902 sogar in einer Karikatur thronend auf dem<br />

Wiener Goethe-Denkmal dargestellt wurde, ist<br />

die Goethe-Aneignung des Dichters doch wesentlich<br />

vielschichtiger als gemeinhin angenommen<br />

und in der Forschungsliteratur dargestellt.<br />

Hugo von Hofmannsthai<br />

vor seiner Bibliothek in Rodaun, um 1928<br />

Freies Deutsches Hochstift/Frankfurter<br />

Goethe-Museum, Sammlung Dr. Rudolf Hirsch<br />

7<br />

Unter dem Titel ",Leuchtendes Zauberschloß<br />

aus unvergänglichem Material'. Hofmannsthai<br />

und Goethe" zeigt das Freie Deutsche Hochstift/Frankfurter<br />

Goethe-Museum vom 12. November<br />

<strong>2001</strong> bis zum 13. Januar 2002 eine<br />

Ausstellung, welche die verschiedenen Facetten<br />

und Formen von Hofmannsthais produktiver,<br />

aber auch kritischer Goethe-Rezeption<br />

erstmals mit all ihren Wandlungen in den knapp<br />

vierzig Jahren seines dichterischen Schaffens<br />

dokumentiert. Etwa 250 Exponate sollen dabei<br />

Einblicke in eine außergewöhnliche und<br />

produktive Form der Goethe-Aneignung im<br />

20. Jahrhundert geben. Dies könnte nirgends<br />

besser dargestellt werden als im Freien Deutschen<br />

Hochstift, zu dessen Sammel- und Forschungsschwerpunkten<br />

sowohl das Werk Goe-


Kar! Baue;; Hugo vom Hofmannsthai<br />

1900, Lithographie<br />

Freies Deutsches Hochstift/<br />

Frankfurter Goethe-Museum<br />

thes als auch jenes Hugo von Hofmannsthais<br />

zählen. Dabei werden die eigenen Bestände<br />

an Handschriften, Fotos, Theaterzetteln, Bühnenbildentwürfen<br />

und Büchern aus Hofmannsthais<br />

Bibliothek noch durch eindrucksvolle<br />

Leihgaben aus Marbach, München und Wien<br />

ergänzt.<br />

"Goethe ist nicht der Quell von diesem und<br />

jenem in unserer neueren Literatur, sondern<br />

er ist ein Bergmassiv, und das Quellgebiet von<br />

all und jedem in ihr", bekennt Hofmannsthai in<br />

seinem "Buch der Freunde". Für ihn und sein<br />

Werk gilt dieser Aphorismus in besonderem<br />

Maße. Wie ein roter Faden zieht sich die produktive<br />

Auseinandersetzung mit Goethes Werk<br />

durch seine Dichtung. Schon der 14-jährige<br />

Schüler berichtet in einem Brief an eine Freundin,<br />

dass er "in der chronologischen Leserei<br />

des grossen Goethe ziemliche Fortschritte"<br />

gemacht habe und nun bereits "die ganze Jugend,<br />

mit ihren reichen, leider nur fragmentarischen<br />

Entwürfen" hinter sich habe. Diese<br />

gründliche und keineswegs durch die Schule<br />

eingeforderte Goethe-Lektüre bildet die Grundlage<br />

für seine profunde Kenntnis der Schriften<br />

8<br />

Hugo von HofmannsthaI, Prolog zu einer<br />

nachträglichen Gedächtnisfeier für Goethe<br />

1899 (Reinschrift)<br />

Freies Deutsches Hochstift/<br />

Frankfurter Goethe-Museum<br />

des verehrten Klassikers. Über seine Goethe-<br />

Ausgabe, die Cotta-Ausgabe von 1840 aus<br />

dem Besitz seines Großvaters, schreibt er einmal:<br />

"meine geliebten 40 Bände, wie kleine<br />

Hausgötter. wie sie immer wieder vollzählig<br />

zusammenkommen. ihr zusammenkommen<br />

hat etwas olympisches. die wundervolle Polyphonie".<br />

Dieser "wundervollen Polyphonie" spürt die<br />

Ausstellung nach, indem sie nicht allein das<br />

lyrische, sondern auch das erzählerische und<br />

dramatische Werk Hofmannsthais auf Einflüsse<br />

Goethes hin untersucht. Dichtungen wie der<br />

"Der Tor und der Tod", "Die Frau ohne Schatten",<br />

das Romanfragment .Andreas" oder sein<br />

berühmter "Jedermann", ja selbst die Salzburger<br />

Festspiele, an deren Einrichtung der Wiener<br />

Dichter einen gewichtigen Anteil hat, sind<br />

ohne den Bezugspunkt Goethe nicht denkbar.


Kar! Bauet; Derjunge Goethe<br />

um 1907, Lithographie<br />

Freies Deutsches Hochstift/<br />

Frankfurter Goethe-Museum<br />

Hofmannsthais Feststellung, Goethe könne<br />

"als Grundlage der Bildung eine ganze Kultur<br />

ersetzen", zeugt davon, dass der große "Olympier"<br />

auch in den kulturpolitischen Vorstellungen<br />

des Dichters eine wichtige Rolle spielt. In<br />

einer Reihe von Aufsätzen und Reden, aber<br />

auch in seiner regen Herausgebertätigkeit<br />

nach dem ersten Weltkrieg (u.a. "Deutsche<br />

Erzähler", "Deutsches Lesebuch") wird dies<br />

dokumentiert.<br />

Wiederholter Spiegelungen seiner Goethe-<br />

Aneignung wird man zudem im Gespräch mit<br />

der Familie, mit Freunden und Bekannten (z.B.<br />

Rudolf Borchardt, Thomas Mann, Rudolf Alexander<br />

Schröder, Stefan Zweig) gewahr. Auch<br />

mit bedeutenden Philologen seiner Zeit pflegte<br />

Hofmannsthai das Gespräch über Goethe<br />

(Wilhelm Dilthey, Hans Gerhard Gräf, Georg<br />

Witkowski) und genoss deren Respekt als<br />

Dichter und Gelehrter.<br />

So fördert die Ausstellung Überraschendes<br />

zutage und einiges, was eng mit dem Frankfurter<br />

Ausstellungsort verbunden ist. Etwa eine<br />

Postkarte aus dem Frankfurter Goethe-Haus<br />

an seine Schwiegermutter, Fanny Schlesinger,<br />

mit den Bildern von "Goethe nebst Eltern" und<br />

dem Vers: "Vom Vater hab' ich die Statur/Des<br />

9<br />

Lebens ernstes Führen./Vom Mütterchen die<br />

Frohnatur/Und Lust zu fabuliren". In einem Brief<br />

an den berühmten Schauspieler Josef Kainz<br />

schreibt der Dichter im Goethe-Jahr 1899: "Wir<br />

müssen zusammen eine Vorlesung geben (...)<br />

einen Goetheabend. Ich habe nämlich eine<br />

Menge über die Goetheschen Gedichte zu<br />

sagen, eine Menge solches Einfaches, wie die<br />

Litteraten immer zu sagen vergessen, und das<br />

möchte ich viellieber sprechen als schreiben.<br />

Und nachher thuen Sie den Leuten vorlesen,<br />

nicht nur ein paar von den prachtvollen Sachen,<br />

die Sie ohnehin gern lesen, sondern noch andere<br />

kleinere, die viel unbekannter sind. Es<br />

könnte so etwas schönes einheitliches werden.<br />

Also ja! Ich habe den Goethe nämlich wirklich<br />

sehr gern." Von dieser Goethe-Liebe des Dichters<br />

Hugo von Hofmannsthai möchte die Ausstellung<br />

im Freien Deutschen Hochstift ein<br />

anschauliches Zeugnis geben .•<br />

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog<br />

von ca. 300 S. mit etwa 120 teils farbigen Abbildungen<br />

in der Edition Isele.


kunst. macht. kulturpolitik<br />

Kulturpolitischer Bundeskongress in Berlin<br />

Das Motto des Kulturpolitischen Bundeskongresses,<br />

initiiert von der Kulturpolitischen Gesellschaft<br />

in Zusammenwirken mit der Bundeszentrale<br />

für politische Bildung, der Friedrich-<br />

Ebert-Stiftung und der Akademie der Künste,<br />

hatte geradezu Tagesaktualität. Am 7. und 8.<br />

Juni <strong>2001</strong> informierten sich über 300 Gäste -<br />

weiteren 100 hatte man zuvor bereits absagen<br />

müssen - in zehn Veranstaltungen und Foren<br />

zu den drei Bereichen Kunst, Macht/machen<br />

und Kulturpolitik und deren gesellschaftspolitischem<br />

Zusammenspiel. Die tagespolitische<br />

Brisanz lieferte die Bundeshauptstadt selbst.<br />

Dass ihr Finanzdesaster sofort die Kultur der<br />

Stadt, deren Museumsinsel, Theater etc. mit<br />

. Kürzungen und Baustopps bedrohte, zeigte<br />

einmal mehr,wie leicht gerade der Kulturbereich<br />

immer wieder als "Spardose" gesehen<br />

wird, die man jederzeit plündern bzw. heranziehen<br />

kann. Auch die Diskussion um die in<br />

der Entstehung begriffene Kulturstiftung des<br />

Bundes unter Federführung von Staatsminister<br />

Nida-Rümelin lieferte eine Folie für den Bundeskongress.<br />

Bereits die Pressekonferenz verdeutlichte:<br />

Berlin ist das kulturpolitische Entscheidungszentrum.<br />

Dies machten sich auch die Veranstalter<br />

zunutze, die Berlin und nicht beispielsweise<br />

Essen als Tagungsort wählten, und so<br />

konzentrierten sich die kulturpolitischen Fragen<br />

denn auch auf die Sicht, Hintergründe und<br />

Einschätzung der Veranstalter zu den tagespolitischen<br />

Aspekten.<br />

Daneben waren es die Politiker selbst, die<br />

für die aktuelle Bedeutung des Themas standen,<br />

wie Staatsminister Nida-Rümelin, Bundespräsident<br />

Rau, der zu der Zeit amtierende Senator<br />

für Wissenschaft, Forschung und Kultur<br />

des Landes Berlin Christoph Stölzl, die Kultursenatorin<br />

der Stadt Hamburg Christina Weiss<br />

oder der Minister für Wissenschaft, Forschung<br />

und Kunst in Baden-Württemberg Klaus von<br />

Trotha sowie der Präsident der Kulturpolitischen<br />

Gesellschaft und Beigeordnete für Schule<br />

und Kultur der Stadt Essen Oliver Scheytt,<br />

der auch die Tagung leitete.<br />

10<br />

Die drei Themenbereiche: Wie wird Kunst<br />

gemacht? Wie wird Kunst vermittelt? Wie sieht<br />

die kulturelle Öffentlichkeit aus?<br />

In den Foren wurde immer wieder betont, die<br />

Ausgangsbasis aller Überlegungen hätten die<br />

Künstler zu sein mit ihrer Kreativität, ihren Ideen,<br />

ihrer Sicht der Welt.<br />

Die sechs Foren moderierten Medienvertreter<br />

wie Jens Jessen, Feuilletonchef "Die Zeit",<br />

die Rundfunk-, Fernseh- und Zeitungsredakteurin<br />

Wibke Bruhns oder Moritz Müller-Wirth,<br />

Ressortleiter in der .Zeit''-Hedaktion Berlin.<br />

Tagungsteilnehmer wie auch Forumsdiskutanten<br />

waren Vertreter von Kulturinstituten wie<br />

der Präsident der Akademie der Künste Berlin,<br />

György Konrad: Ivan Nagel, Professor an<br />

der Hochschule der Künste, Berlin; Nicolaus<br />

Schafhausen, Leiter des Frankfurter Kunstvereins;<br />

Jean-Baptiste Joly, Direktor der Akademie<br />

Schloss Solitude, Stuttgart; Bernd Kauffmann,<br />

Generalbevollmächtigter des Zentrums<br />

Schloss Neuhardenberg und Künstler/innen<br />

und Schriftsteller/innen wie Eva Demski, Frankfurt/M.,<br />

Erich Loest, Michael Schindhelm und<br />

die Bühnen- und Kostümbildnerin Rosalie,<br />

Stuttgart. Plädiert wurde vehement und einmal<br />

mehr für die Schaffung von Räumen, geeigneten<br />

Rahmenbedingungen, um Kultur zu ihrem<br />

Recht zu verhelfen. Es dürfe nicht länger so<br />

sein, dass Kultur nicht gleichrangig neben anderen<br />

Ressorts einer Bundesregierung stünde.<br />

Gerare Mortier, Noch-Intendant der Salzburger<br />

Festspiele, hob in seinem Auftaktvortrag<br />

u.a. auf den klassischen Kanon ab und plädierte<br />

dafür, ihn dynamisch, nicht statisch aufzufassen,<br />

Traditionen zu überdenken. Sein Bild<br />

"Tradition ist Brot, das gebrochen werden<br />

muss" impliziert ein Nutzbar-Machen. Kunst<br />

sollte als Mittel des Gedächtnisses, der Geschichte<br />

begriffen werden. Anhand der "Passion"<br />

von Bach fordert er auf zum perspektivischen<br />

statt linearen Sehen. Mortier plädierte<br />

dafür, eher interdisziplinär als monographisch<br />

zu arbeiten, eher interkulturell zu denken als<br />

multikulti, Aktualität anzustreben statt einer<br />

Sparteneinteilung in U- und E-Musik/Kunst. Er


fordert ein Aufbrechen der Traditionen statt der<br />

Pflege eines verkrusteten Kanons.<br />

Slavoj Zizek, Professor am Kulturwissenschaftlichen<br />

Institut NRW, Essen breitete auf<br />

der Basis von Schuberts "Winterreise" sehr<br />

drastisch und eindringlich die heutige Beliebigkeit<br />

von Werten aus. Die darin beschriebenen<br />

,Grunderfahrungen', so könnte kritisiert werden,<br />

seien oberflächlich. Zizek spannt deshalb<br />

seinen Bogen bis zur Jetzt-Zeit: Stalingrad, Religionen,<br />

Mythen, Sexualität, Film - Themen,<br />

die Gefühlswelten prägen - und zu der Sackgasse,<br />

die in Isolierung und Vereinsamung füh-<br />

ICOM <strong>2001</strong> Barcelona<br />

19. General-Konferenz und 20. Generalversammlung des<br />

International Council of Museums 1.- 6. Juli <strong>2001</strong><br />

Das Treffen in Barcelona stand unter dem<br />

Motto "Managing Change: the museum facing<br />

economic and social challenges".<br />

Die etwa 2000 Kongressteilnehmer aus 64<br />

Ländern nutzten 6 Tage lang die Gelegenheit,<br />

in insgesamt 28 Komitees Informationen und<br />

Gedanken auszutauschen. Ergänzt wurde der<br />

Kongress durch den .Market of Ideas", das<br />

"Open Forum" und durch den .Trade Institutional<br />

Fair", eine Messe mit Informationsständen<br />

einzelner Institute und Museen sowie Firmen<br />

mit museumsrelevanten Präsentationen,<br />

u.a. entsprechenden Internet-Programmen,<br />

Versicherungen etc.<br />

Ein Rahmenprogramm mit Exkursionen in die<br />

nähere und weitere Umgebung von Barcelona<br />

sowie drei Festen war willkommene Gelegenheit,<br />

Gesprächspartner zu treffen, die tagsüber<br />

in einen übervollen Sitzungs-, Vortrags- bzw.<br />

Tagungsplan eingespannt waren. So fand die<br />

Welcome-Party im Palau de Congressos des<br />

Katalanischen Nationalmuseums für Kunst auf<br />

dem Montjuic statt, das Gala Dinner im Freilichtmuseum<br />

Pueblo Espanol und eine Fareweil-Party<br />

am .Barceloneta Beach", dem seit<br />

11<br />

ren kann. Oliver Scheytt stellte in seinem Eröffnungsvortrag<br />

die Künste ins Zentrum der Kulturpolitik,<br />

wobei er ein Plädoyer für die Bundeskulturstiftung<br />

zur Förderung der zeitgenössischen<br />

Künste abgab.<br />

Abschließend lud er dazu ein, das 25-jährige<br />

Bestehen der Kulturpolitischen Gesellschaft<br />

mit einem Kulturfest in der Akademie der Künste<br />

gemeinsam zu feiern. Ein künstlerisches<br />

Rahmenprogramm u.a. mit Pantomimen, Perkussion<br />

machte immer wieder augenfällig, worüber<br />

gesprochen wurde. !!iii<br />

SJ<br />

den Olympischen Spielen neu entstandenen<br />

Hafen- und Strand bereich der Hauptstadt von<br />

Katalonien, jeweils mit mediterraner spanischkatalanischer<br />

Küche und Musik.<br />

Das "Open forum" mit fünf sog. round tables,<br />

d.h. Podiumsrunden mit anschließenden Diskussionen,<br />

thematisierte "Große und kleine<br />

Museen: zwei Formen des Managements", "Supranationale<br />

Hilfe für Museums Management",<br />

"Die Balance zwischen finanziellem und sozialem<br />

Profit", "Vorteile und Nutzen des Internets<br />

für die Museen", "Die Erneuerung des Museums:<br />

Worauf sollten Reformen im konzeptualen<br />

Bereich und Management-Reformen abzielen?"<br />

Die Besetzung dieser round tables war hochkarätig<br />

und breit gefächert. Dafür standen Referenten<br />

wie Edward H. Able Jr. - u.a. ehemaliger<br />

Co-Direktor der Smithsonian Institution,<br />

zuvor neun Jahre einer der Leiter von Landscape<br />

Architects and the Landscape Architecture<br />

Foundation; der ehemalige englische<br />

Fußballnationalspieler Kevin Moore - derzeitiger<br />

Direktor des englischen Nationalen Fußball<br />

Museums, Autor zahlreicher Publikationen


im Museums-Management und Marketing-Bereich;<br />

Cary Karp - Direktor für Internet-Strategie<br />

und Technologie des Schwedischen Naturhistorischen<br />

Museums und Präsident der Museum<br />

Domain Management Association; oder<br />

Jan Van der Starre - derzeit senior consultant<br />

des Dokumentarischen Informations Systems/<br />

Work Flow Management der internationalen<br />

Gesellschaft Cap Gemini Ernst & Young; Marta<br />

dei la Torre - Direktorin der Informationsund<br />

Kommunikationsabteilung am Getty Conservation<br />

Institute in Los Angeles; sowie Juan<br />

I. V. Fernandez - zuletzt Gründungsdirektor des<br />

Guggenheim Museums in Bilbao; und Bruno<br />

S. Frey - Professor für Wirtschaft an der Universität<br />

Basel, Autor zahlreicher Publikationen<br />

im Bereich Arts & Economics (2000).<br />

Die Tagung bot nicht nur Einzelpersonen die<br />

Möglichkeit, sich auszutauschen, sondern auch<br />

Institutionen eine gute Plattform, wichtige Kontakte<br />

zu anderen Institutionen zu knüpfen.<br />

Jacques Perot, der alte und neue Präsident<br />

von ICOM, eröffnete die General-Konferenz<br />

gemeinsam mit den spanischen Gastgebern<br />

und Kollegen Rafael Feria, dem Vorsitzenden<br />

des ICOM-Komitees, und Frederic-Pau Verrie,<br />

dem Vorsitzenden von ICOM <strong>2001</strong> Barcelona.<br />

In vier Eröffnungsvorträgen wurde aus unterschiedlichsten<br />

Blickwinkeln die zentrale Bedeutung<br />

der Museen als Bindeglieder zwischen<br />

kulturellen Gütern und einer sich wandelnden<br />

Öffentlichkeit angesprochen, ferner ihre Bedeutung<br />

als Bildungsstätten für kommende Generationen<br />

- ein besonderes Anliegen der das<br />

ICOM dominierenden amerikanischen Mitglieder<br />

- sowie die Wichtigkeit, sich den neuen<br />

Technologien zu öffnen, und schließlich das<br />

12<br />

V/.n.r.:<br />

Rafael Feria, Vorsitzender<br />

desICOM-CE<br />

Jacques Perot, Präsident<br />

deslCOM<br />

Frederic-Pau Verrie, Vorsd-<br />

zenderdeslCOM<strong>2001</strong><br />

Barcelona<br />

Einbringen von Qualifikationen im Bereich des<br />

Managements und der Finanzen sowie der Akquisition.<br />

In "Museen im Informationszeitalter - Kulturelle<br />

Bindeglieder zwischen Zeit und Raum"<br />

führte Manuel Castells - Professor an der Universität<br />

von Katalonien, zuvor Gastprofessor<br />

an der Berkeley Universität Californien sowie<br />

Direktor des Institutes für Soziologie und Neue<br />

Technologien an der Autonomen Universität<br />

Madrid - in eine Problematik ein, die er als Autor<br />

zahlreicher Publikationen als Basis seines<br />

1996 erschienen Buches über die Trilogie des<br />

Informationszeitalters "Wirtschaft, Gesellschaft<br />

und Kultur" ausführte, das in 15 Sprachen übersetzt<br />

worden ist.<br />

"Museen für das 21. Jahrhundert: von der<br />

Krise zum Erfolg" lautete das Thema von Luis<br />

Monreal - Mitglied zahlreicher Institute (u.a.<br />

Aga Khan Steering Committee in Genf, Alexandria<br />

Library Council in Ägypten) und Direktor<br />

der Stiftung "La Caixa".<br />

Philippe Durey studierte Geschichte, Politologie,<br />

war u.a. bis 2000 Direktor des Museums<br />

für Kunst in Lyon und wurde nun zum Generalsekretär<br />

der "Reunion des rnusees nationaux"<br />

berufen. Sein Thema "Ein Beispiel für das Sammeln<br />

wirtschaftlicher Ressourcen in Museen:<br />

Die Reunion des rnusees nationaux - Auf halbem<br />

Weg zwischen kommerziellem Marketing<br />

und kulturellem Nutzen" wurde u.a. verdeutlicht<br />

am Beispiel von zentraler Katalogherstellung<br />

und von zentralem Vertrieb in den sog. Bookshops<br />

der Museen der Reunion.<br />

George H.O. Abungu, Generaldirektor der<br />

Nationalmuseen Kenias, sprach zum Thema<br />

"Museen: Orte für Dialog und Konfrontation"


und begleitete seine Ausführungen mit Filmausschnitten<br />

zu aktuellen Situationen in Kenia,<br />

Tansania und Botswana am Beispiel von<br />

Stämmen, die gezwungenermaßen umsiedelten,<br />

wobei aber Traditionen, Wissen um Orte<br />

und Gebräuche im Museum bewahrt und lebendig<br />

erhalten werden.<br />

ICOM, eine in den USA gegründete weltweite<br />

Organisation, hatte als ursprünglichen Gedanken<br />

die Hilfeleistung für die vom Krieg erschütterten<br />

Museen Europas.<br />

Die Generalkonferenzen finden alle drei Jahre<br />

statt. Im Oktober 2004 ist Koreas Hauptstadt<br />

Seoul aufgerufen, Asien ist damit erstmals Tagungsort<br />

der Generalkonferenz seit Bestehen<br />

des ICOM. Neue ICOM-Tagungssprache ist<br />

Spanisch neben Englisch und Französisch.<br />

Daneben tagen die einzelnen Länderkomitees<br />

jährlich an unterschiedlichen Orten. So<br />

trifft sich ICOM Deutschland, unter der Präsidentschaft<br />

von Dr. Hans-Martin Hinz vom Deutschen<br />

Historischen Museum Berlin, im November/Dezember<br />

<strong>2001</strong> in Belgien. Darüber hinaus<br />

tagen die einzelnen internationalen Komitees<br />

meist jährlich und ebenfalls an unterschiedlichen<br />

Orten.<br />

Im Museumsbereich tätige Einzelpersonen<br />

können Mitglied werden, damit ist man stimmberechtigt<br />

in einem Komitee, während man<br />

noch in zwei weiteren eingetragenes Mitglied<br />

sein kann. Institutionen erhalten den Assoziierten-Status.<br />

11I<br />

SJ<br />

Kontaktadresse Geschäftsstelle ICOM-Oeutschland:<br />

Johanna Westphal, Jonasstraße 29, 0-12053 Berlin,<br />

Tel: 030-69504525, Fax: 030-69504526, E-mail:<br />

icom-deutschland@t-online.de<br />

13


Daniel Nikolaus Chodowiecki zum 200. TOdestag<br />

Ausstellung der "Reise von Berlin nach Danzig 1773" in Gdansk und Berl" I<br />

Gudrun Schmidt<br />

Auf dem 51. Blatt seiner "Reise von Berlin<br />

nach Danzig" beschreibt Daniel Chodowiecki<br />

zeichnend einen gesellschaftlichen Höhepunkt<br />

seines Aufenthaltes, die Einladung in den Garten<br />

des Herrn von Rottenburg. Chronistisch<br />

vermerkt er am unteren Rand die Namen der<br />

Gäste, als letzten /e Ophagen. Die Familie<br />

Uphagen hatte in der Langen Gasse ein sehr<br />

ansehnliches, typisches Danziger Bürgerhaus<br />

erworben und für seine Bedürfnisse umbauen<br />

lassen. Zumindest den Beischlag des Hauses<br />

hat Chodowiecki auf einem Blatt mit gezeichnet.<br />

Heute befindet sich in diesem Gebäude -<br />

im Zweiten Weltkrieg zerstört und wieder historisch<br />

getreu aufgebaut - die Dependance des<br />

Gdansker Historischen Museums.<br />

Wo könnten Chodowieckis Zeichnungen<br />

wohl mit mehr Interesse und Neugier betrachtet<br />

werden als hier? Als im vergangenen Jahr<br />

die Bitte aus Gdansk in der Akademie der Künste<br />

eintraf, zur Erinnerung an den 200. Todestag<br />

von Daniel Nikolaus Chodowiecki die 107<br />

Blätter ausleihen zu dürfen, stimmte die Akademie<br />

nach der Begutachtung der Ausstel-<br />

14<br />

lungsbedingungen im Uphagen- aus deshalb<br />

nicht nur zu, sondern fass e den tschluss<br />

zu einem gemeinsamen Un e en, Inzwischen<br />

haben auf der polnisch "e ußenminister<br />

Wladyslaw Bartoszes d Kulturminister<br />

Kazimierz Ujazdows ", aut der deutschen<br />

Staatsminister Julian -da- - elin, Beauftragter<br />

der Bundesregierung -- \.IlgeIegenheiten<br />

der Kultur und der en, e Schirmherrschaft<br />

für die Auss ellung -<br />

Das Auswärtige Amt unterstützt - anziell den<br />

Kunsttransport der Zeichnu en, ach bangen<br />

Monaten der ungesichenen Gesamtfinanzierung<br />

des Vorhabens, das einen Z\'reisprachigen<br />

Katalog einschließen soll, "eh es nun<br />

durch den Einsatz der "Gesellschaft er Freunde<br />

der Akademie der Künste" a :es em Boden.<br />

Um Zeugnisse von Chod "eckis Wirken<br />

für die Akademie der Künste i der Aufklärung<br />

und um Radierungen von seiner Hand<br />

erweitert, wird die Auss eI anschließend<br />

im Berliner Akademiegebä e gezeigt<br />

Chodowieckis Zeichnung - "llangem<br />

als "Die Reise von Berlin Da! anzig" beti-<br />

lJ6nia' Chodowiecki<br />

lEge!ndler.erReise von<br />

Bedin ntidJ Dtmzig 1773


telt, zählt zu den Höhepunkten des heutigen<br />

Kunstsammlungsbestandes der Akademie. Der<br />

Künstler, 1726 in Danzig geboren, aber seit<br />

1743 in Berlin lebend, kam der wiederholten<br />

Bitte seiner Mutter nach, sie nach so vielen<br />

Jahren der Abwesenheit zu besuchen und Familienangelegenheiten<br />

zu regeln. So rüstete<br />

Chodowiecki im Frühjahr zur Reise - was den<br />

Kauf eines Pferdes einschloss, weil er das<br />

Fahren in der Postkutsche nicht vertrug - und<br />

verließ am 3. Juni 1773 Berlin.<br />

Seine Erlebnisse auf dem Weg nach Danzig,<br />

das Wiedersehen dort mit der Mutter, den<br />

Schwestern, den Tanten, seine Eindrücke, Begegnungen<br />

und Reflexionen in der Stadt vertraute<br />

er einem Tagebuch an, von dem nur noch<br />

eine Abschrift des französischen Originals erhalten<br />

ist. Chodowieckis Aufenthalt in der Vaterstadt<br />

dehnte sich viel länger aus als geplant,<br />

was zum Teil in seinen künstlerischen und gesellschaftlichen<br />

Erfolgen begründet war. Am 10.<br />

August begann er die Rückreise, und nach acht<br />

Tagesritten traf er wieder in Berlin ein.<br />

Parallel zu seinen schriftlichen Aufzeichnungen<br />

skizzierte Chodowiecki die Begebenheiten<br />

wahrscheinlich in Hefte, die er nach seiner<br />

Rückkehr auflöste, anders ordnete und als<br />

Grundlage für eine kommerzielle Auswertung<br />

vorsah. Reisebeschreibungen erfreuten sich<br />

großer Beliebtheit. Für dieses Vorhaben komponierte<br />

er zur Vervollständigung aus der Er-<br />

Damel NIkolaus Chodowiecki<br />

lägebuch einer Reise von<br />

Ber/in nach Danzig 1773<br />

51. Gesellschaft im Garten<br />

des Kaufmanns von Rottenburg<br />

Feder, Tusche, laviert<br />

SlIftung Akademie der Künste<br />

Ber/in, Kunstsammlung<br />

15<br />

innerung bildhafte und technisch reiche Zeichnungen,<br />

die sich deutlich von den unmittelbaren<br />

Skizzen unterscheiden. Hier sind mit präziser<br />

Beobachtung Bewegungen, Situationen<br />

erfasst und graphisch verkürzt notiert. Die nach<br />

der Reise entstandenen Blätter - durchschnittlich<br />

12,0 x 18,0 cm groß - beeindrucken dagegen<br />

künstlerisch durch ihre Erfahrung im Einsatz<br />

der Mittel, aber auch durch ihren Bildwitz.<br />

Der beabsichtigte Verkauf kam zu Lebzeiten<br />

Chodowieckis nicht zustande, jedoch hat der<br />

Künstler die Folge häufig im Familien- und<br />

Freundeskreis gezeigt und kommentiert. Nach<br />

seinem Tod am 7. Februar 1801 sollten die Blätter<br />

mit dem gesamten künstlerischen Nachlass<br />

versteigert werden; letztlich blieben sie bis zum<br />

Jahr 1865 im Familienbesitz. Dann übereignete<br />

Chodowieckis Schwiegertochter 108 Blätter<br />

testamentarisch der Königlichen Akademie<br />

der Künste. Sie zählen zum kunsthistorisch<br />

wertvollsten, was im 18. Jahrhundert in Deutschland<br />

entstand, kraft ihrer Genauigkeit, die von<br />

der präzisen Beobachtung ausgeht, im Einklang<br />

mit dem künstlerischen Einsatz und ihrer<br />

schnörkellosen Sachlichkeit. "Charakterisierenden<br />

Naturalismus" nannte Willy Kurth diese<br />

Art zu zeichnen. Chodowiecki führte sie in<br />

die Kunst des damaligen Berlin ein und begründete<br />

damit eine Tradition, die noch im 20. Jahrhundert<br />

Gültigkeit behielt.


Die Bildfolge überdauerte den Zweiten Weltkrieg<br />

nicht unbeschadet: Die Trophäenkommission<br />

der Roten Armee hatte sie 1945 nach<br />

Moskau geschickt, doch konnten dort nur 96<br />

Zeichnungen registriert werden. Zwölf der bildhaften<br />

Blätter fehlten demnach, als die Folge<br />

gemeinsam mit den Beständen der Berliner<br />

Staatlichen Museen 1958 in die Akademie zurückkehrte.<br />

Im Herbst 1993 gelang es, elf Blätter<br />

aus dem Kunsthandel zurück zu erwerben<br />

- darunter die anfangs genannte "Gesellschaft<br />

im Garten des Herrn von Rottenburg". Es besteht<br />

nach wie vor die Hoffnung, dass die heu-<br />

Daniel Nikolaus Chodowiecki<br />

Tagebuch einer Reise von Ber/in nach Danzig 1773<br />

108. Ein Zug armer Reisender<br />

Feder; Tusche über Bleistift<br />

Stiftung Akademie der Künste, Ber/in, Kunstsammlung<br />

16<br />

te noch fehlende Zeichnung, die den Ausflug<br />

von Chodowiecki und Herrn Grischow am 29.<br />

Juni nach Strieß festhält, nicht vernichtet ist,<br />

sondern eines Tages den Reisebericht wieder<br />

vervollständigen wird .•<br />

Veranstalter: Muzeum Historyczne Miasta Gdanska,<br />

Gdansk; Stiftung Archiv der Akademie der Künste,<br />

Berlin, Kunstsammlung<br />

Ausstellung im Muzeum Historyczne Miasta Gdanska,<br />

Dom Uphagena, in Gdansk: 18. September bis 11. November<br />

<strong>2001</strong>; in der Akademie der Künste, Berlin:<br />

12. Dezember <strong>2001</strong> bis 20. Januar 2002


Daniel Nikolaus Chodowiecki<br />

Jagebuch einer Reise von Ber/in nach Danzig 1773<br />

39. Eine Kirchgängerin (Dame mit Spazierstock)<br />

Feder, Sepia über Bleistift<br />

Stiftung Akademie der Künste, Ber/in, Kunstsammlung<br />

17


Endlich - die Nationalstiftung für Kultur?<br />

Barlhold C Wille<br />

Rechtzeitig vor der parlamentarischen Sommerpause<br />

lag es auf dem Tisch, das schöne<br />

Geschenk: .Nationalstiftunq der Bundesrepublik<br />

Deutschland für Kunst und Kultur", so der<br />

offizielle Name. Gegen alle pessimistischen<br />

Erwartungen, das nötige Gründungsgeld müsse<br />

aus dem vorhandenen Kulturetat des Bundes,<br />

also zu Lasten bisheriger Empfänger von<br />

Bundesgeld, zusammengekratzt werden, steilte<br />

das Bundeskabinett für das nächste Jahr<br />

zusätzlich 25 Millionen DM bereit. Dazu die<br />

zweite gute Nachricht: Anders als sein Vorgänger,<br />

der Zentralist Michael Naumann, hat<br />

Staatsminister Julian Nida-Rümelin den Bundesländern<br />

eine Verständigung angeboten.<br />

Die ist auch nötig. Nach der strikten Interpretation<br />

des Grundgesetzes, wie sie etwa<br />

Bayern pflegt, hat der Bund eigentlich gar keine<br />

Zuständigkeit für Kultur. Die mit einem merkwürdigen<br />

Begriff so genannte .Kulturhoheit" sei<br />

ausschließlich Ländersache. Durch die Tatsachen<br />

ist diese Position freilich längst überholt.<br />

Vertreter des Bundes und der bayerischen<br />

Staatsregierung sitzen zum Beispiel gemeinsam<br />

als mitbestimmende Finanziers in den<br />

Gremien der Bayreuther Festspiele, nicht bloß<br />

um Wolfgang Wagner endlich zu stürzen. Oder:<br />

Die Kulturstiftung der Länder, Sitz Berlin, gibt<br />

nicht nur Ländergeld aus, um national bedeutsame<br />

Kunstwerke für deutsche Sammlungen<br />

zu erwerben. Sie verwaltet auch die Bundesgeider,<br />

mit denen die Förderfonds für literatur,<br />

Musik, darstellende und bildende Kunst<br />

sowie Soziokultur ihre Aufgaben erfüllen.<br />

Einfach wird die Verständigung zwischen<br />

Bund und Ländern über die neue Stiftung trotzdem<br />

nicht sein. Seitdem der damalige Bundeskanzler<br />

Willy Brandt anno 1973 die Absicht<br />

verkündete, eine deutsche Nationalstiftung zu<br />

gründen, haben die Länder stets dagegen gehalten.<br />

Ob die Idee Nida-Rümelins und seiner<br />

Beamten, die Kulturstiftung der Länder in die<br />

neue Institution zu integrieren, hilfreich sein<br />

kann, muss sich in diesem Herbst zeigen, wenn<br />

18<br />

über das Projekt zwischen Bund und Ländern<br />

verhandelt wird. Eine bloße Minderheitsbeteiligung<br />

wird den Ländern nicht genug sein. Dass<br />

sie etwa paritätisch oder gar durch Mehrheit<br />

mitbestimmen, dem Bund aber die Hauptlast<br />

der Finanzierung zuschieben, kann wiederum<br />

diesem nicht recht sein.<br />

Gutes und baldiges Gelingen ist den Verhandlungen<br />

zu wünschen. Denn in den auf lange<br />

Sicht anhaltenden Zeiten knapper Kassen<br />

ist es richtig und nötig, dass Bund und Länder<br />

nicht wie bisher nebeneinander agieren, sondern<br />

miteinander. Bündelung der Kräfte und<br />

zugleich abgestimmte Arbeitsteilung sollten<br />

das Ergebnis sein. Die bisherigen, oft negativen<br />

Erfahrungen mit einer Mischfinanzierung<br />

bestimmter Aufgaben durch Bund und Länder<br />

sprechen dafür, vor allem die Arbeitsteilung klar<br />

festzulegen.<br />

Wenn schließlich herauskommt, dass die<br />

Förderung von Kunst und Kultur in der Bundesrepublik<br />

Deutschland nicht nur ein zusätzliches<br />

Instrument gewinnt, sondern ebenso<br />

zusätzliche Mittel, dann wäre das ein gutes,<br />

ein wünschenswertes Ergebnis. Käme jedoch<br />

heraus, dass die neue Stiftung allein die Zahl<br />

der fördernden Institutionen vermehrt, die verfügbaren<br />

Gelder dagegen nur unwesentlich,<br />

dann wäre nichts gewonnen. So betrachtet, ist<br />

das "Startguthaben", das der Stiftung im Bundeshaushalt<br />

2002 zur Verfügung gestellt werden<br />

soll, mit 25 Millionen DM noch viel zu gering.<br />

Staatsminister Nida-Rümelin wollte die<br />

dreifache Summe haben - das wäre schon besser<br />

gewesen. Ob der Haushaltsausschuss des<br />

Bundestags ein Einsehen haben und kräftig<br />

aufstocken wird? Es wäre sehr zu begrüßen.<br />

So oder so - die Kulturszene sollte ihre Erwartungen<br />

nicht zu hoch schrauben. Ohnehin<br />

hat sich die Begründung für die Bundesstiftung<br />

seit Brandts Zeiten gründlich geändert. Damals<br />

ging es - Günter Grass als Urheber der Idee<br />

hat das oft und deutlich gesagt - darum, die<br />

auf unabsehbare Zeit staatlich geteilte Nation


als Kulturnation zusammenzuhalten. Da machte<br />

schon die DDR nicht mit, von den Bundesländern<br />

ganz zu schweigen. Heute heißt die<br />

Aufgabe, national oder international bedeutsame<br />

Projekte kulturellen Charakters zu unterstützen<br />

- ob sie nun mehr der Vergangenheit<br />

oder der Zukunft zugewandt sind, ist dabei sekundär.<br />

Das können, schon wegen der begrenzten<br />

Mittel, zunächst nur Pilotvorhaben<br />

sein, und zwar solche, die sich vom Normalangebot<br />

der Kulturinstitute und Künstler im<br />

Lande deutlich unterscheiden. Leitungsgremien<br />

und Geschäftsführung der Stiftung werden<br />

scharf auswählen müssen. Damit sie dies<br />

können, ist Unabhängigkeit der handelnden<br />

Personen dringendes Gebot. Da darf kein Platz<br />

für "verdiente" oder überzählige Ministerialbeamte<br />

sein. Der Staat schafft zwar die Stiftung.<br />

Aber sie sollte, einmal zu Werke gebracht, von<br />

erfahrenen und angesehenen Persönlichkeiten<br />

aus der Kulturszene selbst verwaltet werden.<br />

Nur so kann die Freiheit der Kultur gesichert<br />

werden.<br />

Solche Unabhängigkeit wird aber auch dann<br />

auf die Dauer nur gelingen, wenn die neue Stiftung<br />

eine echte Stiftung wird, wenn sie also<br />

ihre Ausgaben ganz oder doch überwiegend<br />

aus dem Ertrag eines eigenen Kapitals finanzieren<br />

kann. Man sehe sich die Umweltstiftung<br />

des Bundes als Modell an - sie verwaltet zwei<br />

Milliarden Mark Kapital, kann mithin jährlich<br />

etwa hundert Millionen ausgeben. Leider ist die<br />

Chance verpasst worden, für die Kulturstiftung<br />

des Bundes einen angemessenen Teil der Milliarden-Erträge<br />

aus der UMTS-Versteigerung<br />

zu bestimmen. Aus dem jeweiligen Bundeshaushalt<br />

kann und darf das Stiftungskapital<br />

nicht kommen. Darum: Wenn irgendwo, dann<br />

ist hier das Feld, auf dem sich die viel diskutierte<br />

.Public-Private Partnership" in der Praxis<br />

bewähren kann. Private Zustiftungen müssen<br />

also gewonnen werden, und zwar weit jenseits<br />

der seit letztem Jahr steuerlich begünstigten<br />

Größenordnung. Mäzene an die Front!<br />

Und wenn in der nächsten Zeit wieder eine<br />

große Privatisierung von Bundesvermögen<br />

anstehen sollte: Herr Staatsminister, übernehmen<br />

Sie! •<br />

19


"Sicherheit ist nirgends". Eine Ausstellung<br />

zum Tagebuch von Arthur Schnitzler Im<br />

Schiller-National museum Marbach<br />

Arthur Schnitzler hinterließ mit seinem fast<br />

8.000 Manuskriptseiten umfassenden Tagebuch,<br />

das er von 1879 bis 1931, also über 52<br />

Jahre führte, ein beispielloses literatur- und<br />

kulturgeschichtliches Dokument. Es zeigt eindrucksvoll,<br />

wie eng seine künstlichen Welten<br />

und sein alltägliches Leben zusammenhingen,<br />

und bietet reiches Anschauungsmaterial zu<br />

dem, was er selbst die "Physiologie (auch Pathologie!)<br />

des Schaffens" nannte. Erkennbar<br />

wird die Kontinuität einer prinzipiellen Skepsis,<br />

die sich von Ideologien niemals beirren<br />

ließ. In diesem Sinn zitiert der Autor im Tagebuch<br />

zustimmend die Losung einer seiner Bühnenfiguren:<br />

"Sicherheit ist nirgends".<br />

Die Ausstellung, die im Schiller-Nationalmuseum<br />

Marbach vom 16. September bis 9. Dezember<br />

<strong>2001</strong> zu sehen ist (zuvor im Österreichischen<br />

Kulturzentrum Palais Palffy in Wien<br />

und im Literaturhaus Berlin), zeigt und korn-<br />

Arthur Schnitz/er, Seite aus dem Tagebuch von 1900<br />

KLEINE NACHRICHTEN~ _<br />

20<br />

Arthur Schnitz/er in seinem Arbeitszimmer 1931<br />

mentiert an hand repräsentativer Tagebucheinträge<br />

Leben und Werk Schnitzlers. Die Exponate<br />

stammen zum größten Teil aus dem Nachlass,<br />

der in der Universitätsbibliothek Cambridge<br />

und im Deutschen Literaturarchiv Marbach<br />

aufbewahrt wird.<br />

Zur Ausstellung ist das ,Marbacher Magazin' 93/<strong>2001</strong><br />

erschienen: ",Sicherheit ist nirgends". Das Tagebuch<br />

von Arthur Schnitzler.' Bearbeitet von Ulrich v.Bülow.<br />

160 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen. Broschiert<br />

18,- DM, ISBN 3-933679-43-5.<br />

Neue Mitglieder in der Deutschen Akademie<br />

für Sprache und Dichtung<br />

Der Schweizer Schriftsteller Markus Werner<br />

und der Literaturwissenschaftier Mark H Ge/berwurden<br />

von der Deutschen Akademie für<br />

Sprache und Dichtung als korrespondierende<br />

Mitglieder gewählt. Gelber, gebürtiger Amerikaner,<br />

wanderte 1980 nach Israel aus und ge-


hört heute zu den überzeugtesten Vermittlern<br />

der Literatur zwischen Deutschland, Israel und<br />

Amerika.<br />

Der Kunsthistoriker Martin Warnke wurde<br />

zum ordentlichen Mitglied gewählt. Die Wahlen<br />

fanden Anfang Mai während der Frühjahrstagung<br />

der Deutschen Akademie in Freiburg<br />

statt.<br />

Fritz Bauer Institut<br />

Phllippe Burrin erster Gastprofessor für Interdisziplinäre<br />

Holocaustforschung an der Johann<br />

Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt IM.<br />

Die seit April <strong>2001</strong> an der Johann Wolfgang<br />

Goethe-Universität Frankfurt eingerichtete Professur<br />

für interdisziplinäre Holocaustforschung<br />

ist die erste und einzige Professur in Deutschland,<br />

die ausschließlich der Thematik der Geschichte<br />

und Wirkung des Holocaust gewidmet<br />

ist.<br />

Sie wurde ermöglicht durch das finanzielle<br />

Engagement des Landes Hessen und wird<br />

gemeinsam getragen von der Frankfurter Universität<br />

und dem Fritz Bauer Institut.<br />

Die turnus mäßig neu auszuschreibende Professur<br />

ist grundsätzlich interdisziplinär ausgerichtet.<br />

Ihre jeweiligen Inhaber erforschen Ursachen,<br />

Folgen und Wirkungsgeschichte der<br />

Massenvernichtung aus sozial-, geistes- und<br />

humanwissenschaftlichen Perspektiven.<br />

Den Gastprofessoren steht die Infrastruktur<br />

des Fritz Bauer Instituts für ihre Forschungstätigkeit<br />

zur Verfügung. Sie bieten im Semester<br />

eine nach eigener Wahl gestaltete Veranstaltung<br />

zu ihrer Forschung an und konzipieren<br />

eine wissenschaftliche Konferenz, die nach<br />

ihren Vorstellungen vom Fritz Bauer Institut organisiert<br />

wird.<br />

Mit der Berufung von Philippe Burrin, Professor<br />

für internationale Geschichte an der<br />

Universität Genf, zum ersten Gastprofessor für<br />

interdisziplinäre Holocaustforschung an der<br />

Johann Wolfgang Goethe-Universität konnte<br />

ein seit Jahren angestrebtes Ziel des Fritz<br />

Bauer Instituts verwirklicht werden.<br />

21<br />

Philippe Burrin, geboren 1952 in Valais/<br />

Schweiz, studierte Politikwissenschaft in Genf<br />

und lehrt seit 1988 Geschichte der internationalen<br />

Beziehungen am dortigen "Institut Universitaire<br />

des Hautes Etudes Internationales".<br />

Derzeit forscht er am Wissenschaftskolleg in<br />

Berlin zur Holocaustgeschichtsschreibung.<br />

Burrin wird seine Tätigkeit in Frankfurt noch<br />

im Sommersemester <strong>2001</strong> aufnehmen und<br />

seine Lehrveranstaltungen durch öffentliche<br />

Vorträge ergänzen. Er ist auf die Erforschung<br />

des französischen Faschismus sowie auf die<br />

Geschichte Frankreichs unter der deutschen<br />

Besatzung spezialisiert. In einer Fülle von Aufsätzen<br />

hat er sich mit der französischen Mitschuld<br />

an der Deportation und Vernichtung der<br />

in Frankreich lebenden Juden sowie mit der<br />

spezifischen Form des NS-Antisemitismus<br />

auseinander gesetzt. Seiner im vergangenen<br />

Jahr erschienenen Arbeit über .Nazisrne,<br />

fascisme et autoritarisme" ging u.a. die 1993<br />

auf Deutsch erschienene, in Frankreich mit einem<br />

Preis ausgezeichnete Untersuchung "Hitler<br />

und die Juden - Die Entscheidung für den<br />

Völkermord" voraus.<br />

Burrin, der 1997 den renommierten Max<br />

Planck Forschungspreis erhielt, sieht die Vernichtung<br />

der europäischen Juden nicht als<br />

Ausdruck von Hitlers Antibolschewismus, sondern<br />

als Produkt eines pathologischen Hasses<br />

auf einen Weltfeind mit gegensätzlichen kapitalistischen<br />

und bolschewistischen Zügen. In<br />

der Auseinandersetzung zwischen .Jntentionalisten"<br />

und "Funktionalisten" nimmt er eine vermittelnde<br />

Position ein.<br />

Die mit der Berufung der Gastprofessur beauftragte<br />

Findungskommission, bestehend aus<br />

Vertretern der Stiftung Fritz Bauer Institut, des<br />

Wissenschaftlichen Beirats des Fritz Bauer<br />

Instituts und der Johann Wolfgang Goethe-<br />

Universität Frankfurt begrüßt in Philippe Burrin<br />

einen international renommierten Forscher, der<br />

die hiesige Forschungslandschaft mit neuen<br />

Perspektiven konfrontieren und bereichern<br />

wird.


Arbeitskreis Sinti und Roma<br />

Im Januar <strong>2001</strong> konstituierte sich ein nicht<br />

mehr nur regionaler, sondern bundesweiter<br />

.Arbeitskrels Sinti und Roma". Gemäß seiner<br />

Gründungskonzeption sieht das Fritz Bauer Institut<br />

den nationalsozialistischen Genozid an<br />

den Sinti und Roma als integralen Bestandteil<br />

seiner Forschungs- und Publikationstätigkeit<br />

an. Teilnehmer der konstituierenden Sitzung<br />

waren namhafte Historiker wie Prof. Dr. Hans<br />

Mommsen, Dr. Michael Zimmermann, Vertreter<br />

des Zentrums für Antisemitismusforschung,<br />

Berlin, des Dokumentations- und Kulturzentrums<br />

Deutscher Sinti und Roma e.V., Heidelberg,<br />

des DFG-Projektes "Zigeunerbilder in der<br />

deutschen Literatur", Marburg, sowie Vertreter<br />

von Bürgerrechtsorganisationen.<br />

Der Arbeitskreis einigte sich auf ein intensives<br />

Programm, demgemäß man sich zunächst<br />

der grundsätzlichen Frage nach Übereinstimmungen<br />

und Unterschieden bei der Vernichtung<br />

von Juden bzw. Sinti und Roma zuwenden<br />

sowie Fragen der praktischen Forschungstätigkeit<br />

insbesondere mit Zeitzeugen erörtern<br />

wird.<br />

Mit der Gründung dieses Arbeitskreises besteht<br />

jetzt die Chance, geschichtspolitische<br />

Fragen und solche der Bürgerrechtsarbeit in<br />

einem ebenso offenen wie solidarischen wissenschaftlichen<br />

Klima zu diskutieren. Da sich<br />

gegenwärtig die Rechtstendenzen in der deutschen<br />

Gesellschaft verschärfen, ist diese Gründung<br />

von besonderer politischer Bedeutung.<br />

Oskar Kokoschka<br />

Die Kunsthalle in Emden zeigt Werke aus<br />

der Oskar Kokoschka-Stiftung im Musee<br />

Jenisch, CH-Vevey<br />

Oskar Kokoschka (1886-1980) gehört zweifellos<br />

zu den herausragenden Malern des 20. Jahrhunderts.<br />

Ausgehend vom Wiener Jugendstil<br />

entwickelte er einen individuellen expressiven<br />

Stil. Ausgedehnte Reisen durch ganz Europa,<br />

aber auch das von den Nazis erzwungene Exil<br />

ließen Kokoschka zu einem wahrhaft europäischen<br />

Künstler werden. Als er 1980 mit 94 Jah-<br />

22<br />

Oskar Kokoschka, Selbstbildnis (Aesole), 1948<br />

Öl auf Leinwand<br />

Oskar-Kokoschka-Stiftung im Musee Jenisch, eH- Vevey<br />

ren in Villeneuve in der Schweiz starb, hinterließ<br />

er eine große Zahl bedeutender Gemälde,<br />

Zeichnungen und Graphiken, die heute die<br />

Oskar Kokoschka-Stiftung im schweizerischen<br />

Muses Jenisch bewahrt.<br />

Die Kunsthalle in Emden zeigt eine umfangreiche<br />

Auswahl der schönsten und eindrucksvollsten<br />

Arbeiten Kokoschkas, der stets beharrlich<br />

seinen sehr eigenen Weg gegangen ist. Ca.<br />

150 Arbeiten reflektieren Stationen und Entwicklungsphasen,<br />

die den Künstler wesentlich<br />

prägten (20.10.<strong>2001</strong> - 6.1.2002).<br />

"Jahrbuch für Kulturpolitik 2000"<br />

Kulturstaatsminister Julian Nida-Rümelin<br />

stellte im April dieses Jahres in Berlin das erstmalig<br />

erscheinende "Jahrbuch für Kulturpolitik<br />

2000" vor.<br />

Das in seinem Auftrag von Thomas Röbke<br />

und Bernd Wagner für das Institut für Kultur-


politik der Kulturpolitischen Gesellschaft herausgegebene<br />

Werk - "kein Jahrbuch derBundeskulturpolitik,<br />

sondern das der Kulturpolitik<br />

in der Bundesrepublik" (Nida-Rümelin) - bezeichnet<br />

der Kulturstaatsminister im Vorwort<br />

als "ein wichtiges Signal dafür, dass ,Kulturpolitik<br />

auch hierzulande zunehmend Gegenstand<br />

kontinuierlicher Analysen und theoreti-<br />

. scher Reflexionen wird", wie bereits in anderen<br />

europäischen Ländern seit längerem üblich.<br />

Ziel dieses Jahrbuchs und der folgenden ist<br />

es, in der Öffentlichkeit sowohl kulturpolitische<br />

Rechenschaft abzulegen als auch Perspektiven<br />

zu zeigen. Den Schwerpunkt der ersten<br />

Ausgabe bildet das Thema .Bürqerschattliches<br />

Engagement" in der Bundesrepublik Deutschland.<br />

Gedacht als Instrument der Politikberatung<br />

auf kommunaler wie Länder- und Bundesebene<br />

enthält das "Jahrbuch der Kulturpolitik<br />

2000" Beiträge von kulturpolitischen Akteuren<br />

dieser drei Bereiche ebenso wie aus<br />

dem Dritten Sektor, der privatwirtschaftlichen<br />

Kulturförderung und der Wissenschaft: u.a. von<br />

Eckhardt Barthel, Michael Bürsch, Adalbert<br />

Evers, Heinrich Fink, Georg Girardet, Hermann<br />

Glaser, Rose Gölte, Gerd Harms, Norbert<br />

Lammert, Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin,<br />

Thomas Oppermann, Martin Roth, Oliver<br />

Scheytt, Wolfgang Thierse, Klaus v. Trotha,<br />

Antje Vollmer, Ruth Wagner, Christina Weiss.<br />

Neben dem Schwerpunkt enthält das Jahrbuch<br />

eine Chronik der Kulturpolitik, eine Bibliographie<br />

kulturpolitischer Texte, Materialien zur<br />

Kulturstatistik sowie kulturpolitische Adressen.<br />

Wäre von unserer Seite nur noch zu wünschen,<br />

dass in der Ausgabe <strong>2001</strong> des "Jahrbuchs<br />

für Kulturpolitik" auch der <strong>AsKI</strong> im Verzeichnis<br />

kulturpolitischer Gremien und Verbände<br />

zu finden sein wird.<br />

Jahrbuch tür Kulturpolitik 2000 - Thema: Bürgerschaftliches<br />

Engagement. Kulturstatistik - Chronik<br />

- Literatur - Adressen. Herausgeber: Institut tür Kulturpolitik<br />

der Kulturpolitischen Gesellschaft, 448 S.,<br />

38,90 DM, Klartext Verlag <strong>2001</strong>, ISBN 3-88474-958-7<br />

23<br />

"Sprache im technischen Zeitalter"<br />

Eine Ausstellung im Literaturarchiv Sulzbach-Rosen<br />

berg zu der von Walter Höllerer<br />

vor 40 Jahren gegründeten Zeitschrift<br />

"Mit dem Datum des 13. August hat sich der<br />

Plan dieser Zeitschrift noch bestätigt und verfestigt",<br />

so leitet Walter Höllerer 1961 das erste<br />

Heft der Zeitschrift "Sprache im technischen<br />

Zeitalter" ein. Hervorgegangen aus dem Umfeld<br />

des Instituts für Sprache im technischen<br />

Zeitalter an der Freien Universität Berlin, verlagerte<br />

die Zeitschrift im Laufe der Jahre ihren<br />

Schwerpunkt von der Sprach- und Literaturwis-<br />

SPRACHE!<br />

IM I<br />

TECHNISCHEN!<br />

. ZEITALTERI<br />

MIT BE!TRÄGEN VON<br />

A!fn.d And.n-w, 'HOM~<br />

Weroor6ek'f>clwBiclu4l<br />

GGnIIll'G,cß·fritldri.':hHondt<br />

RV;hwdH~'WQltnH3I1o!M1'<br />

Reioha,dl.cllol.l,mII.J.Rttddo!z<br />

t:enRiho·K!aIlfWo~l\bocl!<br />

HoroIdWIWl.Idt· Rokltld H. WICSlII'lteln<br />

HoosOlcliulimmcNlIQflq<br />

senschaft zur Literatur. Zum 40-jährigen Jubiläum<br />

im November <strong>2001</strong> zeigt das Literaturarchiv<br />

Sulzbach-Rosenberg in einer Ausstellung<br />

die Spannweite, innerhalb derer sich die Zeitschrift<br />

entwickelt hat: von Beiträgen über automatische<br />

Sprachübersetzung und Diskussionen<br />

wie der über "Kunst und Elend der Schmährede"<br />

zum Streit der Gruppe 47 in den 60er-<br />

Jahren bis hin zur "Literatur der Mauerrisse",<br />

der "Literatur im Netz" und literarischen Entdeckungen<br />

wie Ingo Schulze und Judith Hermann<br />

in den 90er-Jahren.<br />

Die Ausstellung wird am 18. Oktober <strong>2001</strong><br />

mit Lesungen eröffnet und ist bis zum 21. Dezember<br />

<strong>2001</strong> im Literaturarchiv zu sehen.


Stiftung Weimarer Klassik<br />

Rolle des Lebens - Corona Schröter zum<br />

250. Geburtstag<br />

Eine Ausstellung des Goethe-Natlonalmuseums<br />

"Es gönnten ihr die Musen jede Gunst und<br />

die Natur erschuf in ihr die Kunst!" So feiert<br />

Johann Wolfgang von Goethe die Schauspielerin,<br />

Sängerin, Komponistin und Malerin Corona<br />

Schröter, deren Geburtstag sich in diesem<br />

Jahr zum 250. Mal jährt.<br />

Bereits als Vierzehnjährige feiert sie große<br />

Erfolge am Leipziger "Großen Konzert der<br />

Herren Kaufleute". Der Jurastudent Goethe erlebt<br />

sie in Leipzig und bittet, zum Leiter der<br />

Johann Wolfgang Goethe<br />

Corona Elisabeth Wilhelmine Schröter, schlafend<br />

1777, Kohlezeichnung, Stiftung Weimarer Klassik<br />

24<br />

Liebhaberbühne avanciert, die Künstlerin 1776<br />

nach Weimar. Herzog Carl August, dessen Avancen<br />

sie nicht entsprechen wollte und der sie darum<br />

mit dem Attribut .rnarrnorschön und marmorkalt"<br />

schmäht, billigt ihr eine Lebensstelle als Hof-<br />

Vocalistin zu. Wie sie hier als Schauspielerin,<br />

Sängerin und Muse gewirkt hat, lässt sich aus<br />

vielen Zeugnissen rekonstruieren.<br />

Gemeinsam mit Goethe steht sie 1779 auf<br />

der Bühne, als die Prosafassung der .Iphiqenie<br />

in Tauris" uraufgeführt wird; der Autor als Orest<br />

und Corona Schröter in der Titelrolle. Iphigenie<br />

bleibt in mehrfacher Hinsicht Corona Schröters<br />

Rolle des Lebens. Noch bei der Weimarer Erstaufführung<br />

der metrischen Fassung 1801, fast<br />

dreißig Jahre später, gedenkt Johannes Daniel<br />

Falk ihrer:<br />

"Mit Wehmut erinnern sich ältere und jüngere<br />

Kunstfreunde in Weimar - jene aus Anschauung,<br />

diese aus Tradition - des schön gemäßigten<br />

Spieles einer Corona Schröter. Das<br />

Junonische ihrer Gestalt, Majestät in Anstand,<br />

Wuchs und Gebärden, nebst so vielen anderen<br />

seltenen Vorzügen der ernsteren Grazie,<br />

die sie in sich vereinigte, hatten sie vor vielen<br />

andern zu einer Priesterin Dianens berufen und<br />

geeignet."<br />

Nach 1782 gibt sie Schauspiel unterricht und<br />

widmet sich der bildenden Kunst. 1801 siedelt<br />

sie nach Ilmenau über. Bereits im Jahr darauf<br />

stirbt sie.<br />

Eine AusteIlung im Goethe-Nationalmuseum, mit<br />

freundlicher Unterstützung von ZONTA (28. August<br />

bis 28. Oktober <strong>2001</strong>)<br />

<strong>AsKI</strong>-Wanderausstellung 2000-2002<br />

Nächste Station der von der Stiftung Deutsches<br />

Rundfunkarchiv Frankfurt am Main und<br />

Potsdam-Babelsberg in Kooperation mit der<br />

Stiftung Archiv der Akademie der Künste Berlin<br />

und dem <strong>AsKI</strong> erarbeiteten Wanderausstellung<br />

"Rückkehr In die Fremde? Remigranten<br />

und Rundfunk in Deutschland 1945 bis<br />

1955" ist die Niedersächsische Staats- und<br />

Universitätsbibliothek in Göttingen (23. August<br />

bis 6. Oktober <strong>2001</strong>)


Maecenas-Ehrung <strong>2001</strong> an Udo van Meeteren<br />

Die Vergabe des Maecenas-Preises des<br />

<strong>AsKI</strong> ist entschieden: Preisträger ist der 75-jährige<br />

Udo van Meeteren, ein in Düsseldorf lebender<br />

Industrieller, der sich vielfältig mäzenatisch<br />

betätigt.<br />

Udo van Meeteren<br />

Geboren in Mülheim/Ruhr, legte er 1944 das<br />

Abitur in Düsseldorf ab und begann im Anschluss<br />

ein Maschinenbau-/Bergbau-Studium<br />

in Aachen. Im Krieg wurde er als Funker eingezogen<br />

und kehrte erst 1948 aus der Gefangenschaft<br />

zurück. Bald danach absolvierte er<br />

bei verschiedenen Firmen im In- und Ausland<br />

seine Ausbildung. Im Michel-Konzern, in den<br />

er 1952 eintrat, war er bis 1969 in verschiedenen<br />

Gesellschaften in leitenden Stellungen tätig<br />

(Vorstand, Geschäftsführung, Aufsichtsrat).<br />

1980 gründete er die gemeinnützige Stiftung<br />

van Meeteren, die kulturelle Ziele mit einer jährlichen<br />

Summe von etwa 300.000 DM unterstützt.<br />

Unter seinen ehrenamtlichen Aufgaben<br />

ist die Mitgliedschaft im Stifterverband für die<br />

deutsche Wissenschaft, Essen, besonders hervorzuheben.<br />

Im April dieses Jahres wurde van Meeteren<br />

der große Ehrenring der Landeshauptstadt<br />

Düsseldorf verliehen, die höchste Auszeichnung,<br />

die der Rat neben der Ehrenbürgerwürde<br />

vergeben kann.<br />

KLEINE NACHRleHTEN<br />

25<br />

Die feierliche Verleihung der Maecenas-Ehrung<br />

an Udo van Meeteren findet am 28. Oktober<br />

<strong>2001</strong> im Rathaus der Stadt Stendal statt.<br />

Grußworte sprechen Reinhard Höppner, Ministerpräsident<br />

von Sachsen-Anhalt, Knut Nevermann,<br />

Ministerialdirektor beim Beauftragten<br />

der Bundesregierung für Angelegenheiten der<br />

Kultur und der Medien, und der Vorsitzende des<br />

<strong>AsKI</strong>, Barthold C. Witte. Für den Festvortrag<br />

ist Hans-Dietrich Genscher, Bundesminister<br />

a.D., angefragt, die Laudatio hält Volkmar Hansen,<br />

Direktor des Goethe-Museums/Anton-und-<br />

Katharina-Kippenberg-Stiftung, Düsseldorf.<br />

Personalien<br />

Stifterpreis an Paul Raabe<br />

Langjähriger Direktor der Franckeschen<br />

Stiftungen erhält den Deutschen Stifterpreis<br />

Im Rahmen der Jahrestagung des Bundesverbandes<br />

Deutscher Stiftungen am 1. Juni<br />

dieses Jahres in Köln nahm Prof. Dr. Paul Raabe<br />

den Deutschen Stifterpreis entgegen.<br />

In der Festveranstaltung im Gürzenich hoben,<br />

neben dem stellvertretenden Bürgermeister<br />

der Stadt Köln, der Vorsitzende des Bundesverbandes<br />

Deutscher Stiftungen Prof. Dr.<br />

Frhr. von Camphausen, der Innenminister des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen Dr. Fritz Behrens<br />

sowie der Laudator Fritz Brickwedde als Vorstandsvorsitzender<br />

der Bundesstiftung die besonderen<br />

Verdienste um diese ,Herkulesarbeit'<br />

der Wieder-Instandsetzung der Franckeschen<br />

Stiftungen facettenreich hervor (siehe auch:<br />

Beitrag Penelope Willard in .<strong>Kulturberichte</strong>" 1/<br />

<strong>2001</strong>, S. 2-5).<br />

Die 1698 von August Herrmann Francke gegründete<br />

Stiftung lag nach der Wende ohne<br />

jegliches Kapital völlig danieder. Es ist Paul<br />

Raabes Verdienst, die historische Schulstadt,<br />

deren alte Stiftung er 1992 re-installierte und<br />

zusätzlich neue gründete, deren Direktor er bis<br />

Ende 2000 war und in der er jetzt das Amt des<br />

Kuratoriumsvorsitzenden innehat, wieder mit<br />

Leben erfüllt zu haben. Als er vor Jahren Günter<br />

Grass durch die Großbaustelle führte, mag<br />

seine Idee gereift sein, aus der elenden Posi-


ti on des permanenten Bittstellers herauszukommen,<br />

indem er um eine einmalige Vorauszahlung<br />

der Zuschüsse von 20 Jahren bat, um<br />

diese als quasi Stiftungskapital zinsbringend<br />

anzulegen. Eine Idee, die in seiner Dankesrede<br />

Viele erstaunte und nachdenklich machte, da<br />

heute weder, 10 Taler und sechs Groschen'<br />

noch das Franckesche Gottvertrauen allein<br />

mehr ausreichen. Und, so merkte von Camphausen<br />

hinsichtlich der Problematik einer Bundeskulturstiftung<br />

an, man könne Stiftungen<br />

eben nur dann gründen, wenn entsprechende<br />

freie Mittel vorhanden seien.<br />

Staatsminister Nida-Rümelin wies in seinem<br />

Festvortrag auf die besondere Bedeutung der<br />

Franckeschen Stiftungen hin und hob das bürgerschaftliche<br />

Engagement gerade in den so<br />

genannten neuen Bundesländern hervor. Ihn<br />

selbst hätten die Franckeschen Stiftungen bei<br />

seinem ersten Besuch begeistert. Den geäußerten<br />

Gedanken, die Bundeskulturstiftung<br />

dort zu installieren, hatte er bereits zuvor mit<br />

einem Schmunzeln kommentiert. Er betonte,<br />

die geplante Bundeskulturstiftung solle keine<br />

Konkurrenz zu vorhandenen Stiftungen darstellen,<br />

zumal ihr Schwerpunkt auf der zeitgenössischen<br />

Kunst liegen werde. Besorgt äußerte<br />

er sich über die allseits wachsenden Finanzschwierigkeiten<br />

der Kommunen, die er, ausgehend<br />

vom Polis-Gedanken, als Nahtstelle zwischen<br />

Bürger und Staat sehe.<br />

Die 57. Jahrestagung des Bundesverbandes<br />

stand unter dem Motto "Auf dem Weg zur<br />

Bürgergesellschaft - Die Rolle der Stiftungen".<br />

Über 400 Teilnehmer informierten sich drei Tage<br />

lang über: Steuerrecht, Immobilienmanagement,<br />

Soziales, Bildung und Ausbildung, Kunst<br />

und Kultur/Wissen und Forschung, Umwelt,<br />

Natur- und Landschaftsschutz, Kirchen, Internationales<br />

sowie Bürgerstiftungen und Kommunales.<br />

Ein Ergebnis war die allseitige Zufriedenheit<br />

mit dem neuen Stiftungsgesetz derer,<br />

die bereits im Boot sitzen. Interessant wäre<br />

es natürlich gewesen zu hören, mit welchen<br />

Schwierigkeiten diejenigen nach wie vor zu<br />

kämpfen haben, die beabsichtigen, eine Stiftung<br />

ins Leben rufen ... Der Tenor ,Stiftungen<br />

helfen Stiftungen' lässt auf Abhilfe hoffen.<br />

26<br />

Hellmut Seemann neuer Präsident der Stiftung<br />

Weimarer Klassik<br />

Die Stiftung Weimarer Klassik hat seit dem<br />

1. Juni <strong>2001</strong> einen neuen Präsidenten: Hellmut<br />

Seemann.<br />

He//mut Seemann<br />

Geboren 1953 in Heidelberg, war Seemann<br />

nach dem Studium der Germanistik und Philosophie<br />

- ab 1977 auch der Rechtswissenschaften<br />

- an den Universitäten Hamburg und Frankfurt/Mo<br />

und einem einjährigen "Intermezzo" als<br />

Rechtsanwalt in Berlin ab 1986 ausschließlich<br />

in Frankfurt/M. tätig: 1986 als persönlicher Assistent<br />

von Christoph Vitali, Geschäftsführer<br />

der Kulturgesellschaft Frankfurt mbh (Theater<br />

am Turm, Schirn Kunsthalle, seit 1988 zusätzlich<br />

Künstlerhaus Mousonturm), von 1987 bis<br />

1993 als Verwaltungsdirektor der Kulturgesellschaft<br />

Frankfurt mbh, von 1989 bis 1993 war<br />

er Mitglied der künstlerischen Leitung des<br />

Theaters am Turm und von 1994 bis <strong>2001</strong> Geschäftsführer<br />

der Kulturgesellschaft Frankfurt<br />

mbh und Direktor der Schirn Kunsthalle.<br />

In einem Interview mit dem "Spiegel", (Mai<br />

<strong>2001</strong>) betonte Hellmut Seemann, die Stiftung<br />

müsse sich klar werden, wofür sie stehe: "Weimar<br />

kann auf Dauer weder nur Gedächtnisort<br />

sein noch pure Event-Bühne. Vermächtnis und<br />

Aktualität müssen sich verbinden."<br />

Die offizielle Amtseinführung des neuen Präsidenten<br />

findet am 4. September <strong>2001</strong> statt, •<br />

--------


Maxim Kantor. "Ödland. Ein Atlas"<br />

Eine Ausstellung der Graphischen Sammlung im<br />

Städelschen Kunstinstitut, Frankfurt am Main<br />

Ulrike Goeschen<br />

Eine Premiere: Als erste Station zeigt die<br />

Graphische Sammlung im Städelschen Kunstinstitut<br />

vom 2. September bis zum 28. Oktober<br />

<strong>2001</strong> die jüngste Arbeit des russischen Künstlers<br />

Maxim Kantor. Dabei handelt es sich um<br />

einen umfangreichen druckgraphischen Zyklus<br />

zu einem altbekannten und jetzt wieder aktuellen<br />

Thema: Russland zwischen Ost und West,<br />

zwischen Asien und Europa. Mit diesem Zyklus<br />

hat Kantor nicht nur seine bislang dichteste<br />

Auseinandersetzung mit dem Medium der<br />

Malergraphik vorgenommen, sondern auch in<br />

einem umfangreichen begleitenden Text, der<br />

im Katalog mit veröffentlicht wird, seinen künstlerischen<br />

Standort neu definiert.<br />

Maxim Kantor<br />

"Ödland Ein Atlas "<br />

Blatt 29: Eltern und Kinder<br />

Radierung, Aquatinta, Hochdruck<br />

1999-2000<br />

27<br />

Der 1957 in Moskau geborene Kantor ist dem<br />

deutschen Publikum vorwiegend als Maler bekannt.<br />

Seine plakative Farbigkeit, der heftige<br />

malerische Gestus und die Drastik seiner sozialkritischen<br />

Themen haben dazu geführt,<br />

dass man vor allem seine Bezüge zum westeuropäischen<br />

Expressionismus wahrgenommen<br />

und ihn als Neoexpressionisten verstanden<br />

hat. Damit ist aber nur ein charakteristischer<br />

Zug seines Werks beschrieben, der sich<br />

vor allem Ende der 80er- bis Anfang der 90er-<br />

Jahre zeigte. Das veranschaulichte bereits die<br />

letzte große Einzelausstellung seiner Werke<br />

1998 in der Frankfurter Schirn, auf der erstmals<br />

auch druckgraphische Werke in größe-


em Umfang zu sehen waren. So wird an Kantors<br />

Frühwerk deutlich, dass ihm auch die Reduktionen<br />

des Magischen Realismus nahe stehen<br />

und es in seinen Bildern von Anfang an<br />

eine Tendenz zurTranszendierung des gegenständlichen<br />

Bildsinns gibt, in der er sich als<br />

ein Max Beckmann verwandter Geist erweist.<br />

Dem Besucher soll ein solcher Vergleich durch<br />

die momentan in der Graphischen Sammlung<br />

ausgestellten zwei Mappenwerke von Beckmann<br />

aus dem Jahr 1922, den "Jahrmarkt" und<br />

die "Berliner Reise", nahe gebracht werden.<br />

Mit den aufeinander folgenden Ausstellungen<br />

ist aber nicht nur beabsichtigt, den Besuchern<br />

zwei Sonderpositionen des Expressionismus,<br />

eines Sammlungsschwerpunktes des<br />

Hauses, vorzustellen. Es soll darüber hinaus<br />

erhellt werden, inwieweit Kantor über seine<br />

deutlich ablesbaren westeuropäischen Bezüge<br />

hinaus den russischen Traditionen verpflichtet<br />

ist.<br />

28<br />

Maxim Kantor<br />

"Ödland. Ein Atlas "<br />

Blatt 7" Einsame Masse<br />

Radierung, Aquatinta, Hochdruck<br />

1999-2000<br />

Der Zyklus "Ödland. Ein Atlas" umfasst 70<br />

großformatige Blätter, die in einer kombinierten<br />

Technik von Radierung und Aquatinta in<br />

schwarzweiß sowie in einem Hochdruckverfahren<br />

rot gedruckt sind. Die Bildgegenstände<br />

nehmen zu einem nicht geringen Teil Themen<br />

und Motive auf, wie sie Kantor seit Beginn seines<br />

Schaffens Ende der 70er-Jahre entwickelt<br />

hat. Diese Treue zu seinen Bildgegenständen<br />

und ihre nur allmähliche Erweiterung ist ein<br />

wesentliches Merkmal seiner Kunst. Die als<br />

existentielle Metaphern zu verstehenden Bilder<br />

von Menschen, familiären Beziehungen,<br />

lebensweltlichen Bedingungen und sozialen<br />

Phänomenen werden in dem Zyklus mit Sinnbildern<br />

für historische Ereignisse verschränkt.<br />

Sie sind mit einem in Russland seit Peter dem<br />

Großen in historischen Umbruchzeiten immer<br />

wieder auftauchenden Thema verknüpft, das<br />

auch den Hintergrund für die aktuellen politischen<br />

und kulturellen Diskussionen bildet: Die


Maxim Kantor<br />

"Ödland. Ein Atlas "<br />

Blatt 64: Haus und Baum<br />

Radierung, Aquatinta, Hochdruck, 1999-2000<br />

29


Frage, inwieweit sich Versuche der Europäisierung<br />

als segensreich erweisen und welche russischen<br />

Besonderheiten ihr entgegenstehen,<br />

wird von Kantor mit polemischer Schärfe, aber<br />

auch mit äußerster persönlicher Aufrichtigkeit<br />

neu gestellt. Seine Bildwelt wird durch diese<br />

Kontextualisierung um eine nationale Thematik<br />

erweitert.<br />

Kantors erklärte Absicht ist es, mit dem Zyklus<br />

einen Kodex als ethisches Regelwerk für<br />

die Gegenwart bereitzustellen. Schon früher<br />

klang in den bildlichen Werken, wie in seinen<br />

immer wieder auch schriftlich formulierten Äußerungen,<br />

an, in wie starkem Maße es ihm um<br />

eine Erneuerung der Werte der russischen<br />

Kultur geht. Für diese unter den neuen Bedingungen<br />

des russischen Alltags allgemein gültige<br />

Bezugspunkte zu finden, die eine Rückbindung<br />

an die russische Geschichte ermöglichen,<br />

wird auch als ein wesentliches Anliegen<br />

in seinen zu dem Zyklus gehörigen sieben<br />

Briefen deutlich. Sie sind an zwei imaginäre<br />

Gesprächspartner, eine Geliebte und einen<br />

Freund in Ost und West, abwechselnd gerichtet<br />

und nehmen die Form der berühmten "Philosophischen<br />

Briefe" von Pjotr Tschaadajew<br />

30<br />

Maxim Kantor<br />

"Ödland. EinAtlas"<br />

Blatt 19:Nasse Schuhe und Heizung<br />

Radierung, Aquatinta, Hochdruck<br />

1999-2000<br />

auf, die, 1836 erstmals veröffentlicht, den historischen<br />

Auftakt zu den nachfolgenden Slawophilen-Westler-Debatten<br />

bildeten. Anders als<br />

Tschaadajew unterzieht Kantor in ihnen aber<br />

auch die westliche Gesellschaft einer scharfen<br />

Kritik, die in eine überraschende Umwertung<br />

der Werte der Gegenwartskunst mündet.<br />

Kantor ist mit seinem bezugsreichen und<br />

äußerst reflektierten Werk eine singuläre Erscheinung<br />

in der gegenwärtigen Kunstlandschaft<br />

in Russland. Was dem westlichen Rezipienten<br />

fremd erscheint, sollte als Ausdruck<br />

einer kulturellen Differenz und eines anders<br />

gearteten Denkens verstanden werden, das<br />

sich in der Geschichte des deutsch-russischen<br />

Kulturverhältnisses stets als fruchtbar erwiesen<br />

hat. Welche Resonanz Kantors provokantes<br />

Ringen um eine neue Verankerung der<br />

Kunst im Humanen hier zu Lande finden wird,<br />

ist mit Spannung zu erwarten: •<br />

Der bei Cantz erscheinende Katalog beinhaltet alle<br />

70 Druckgraphiken des Zyklus (Originalgraphik-Auflage:<br />

75 Mappen), sieben künstlerische Briefe und<br />

einen wissenschaftlichen Text.


Ein Toast auf den Toasterl<br />

Eine Ausstellung zu Technikgeschichte und Design der Toaster<br />

und zur Geschichte des Toastbrotes<br />

Deutsches Brotmuseum Ulm<br />

Annette Hi//ringhaus / Monika Machnicki<br />

Für die einen sind sie Auslöser von Wohlgefühl,<br />

für die anderen einfach nur Grund für den<br />

ersten Ärger am Tag: Toaster. Alltagsgegenstand<br />

und Kultobjekt zugleich, die Vielfalt der<br />

Brotröster ist unerschöpflich. Seit wann gibt es<br />

geröstetes Brot und welche Hilfsmittel benutzten<br />

die Menschen vor Einführung der Elektrizität?<br />

Wie stellt man es an, daß der Toast "genau<br />

richtig" wird? Und schließlich: was haben<br />

ein Röstbrot und ein Trinkspruch gemeinsam?<br />

Reisende durch die Welt der Toasts und Toaster<br />

erleben viele Überraschungen ...<br />

Röstbrot - seit wann?<br />

Bereits in der Bibel wird geröstetes Brot erwähnt.<br />

Seine Wertschätzung zieht sich bis heute<br />

wie ein roter Faden durch Länder und Epochen.<br />

Im Alten Ägypten und antiken Griechenland<br />

wurde Brot weniger aus aromatischen<br />

Gründen geröstet, sondern um es durch Austrocknen<br />

länger haltbar zu machen (Zwieback).<br />

Als Zwieback konnte Brot besser aufbewahrt<br />

werden. Erst später entwickelte sich geröstetes<br />

Brot wegen seines Aromas zur Delikatesse.<br />

Vermutlich brachten die Römer das geröstete<br />

Brot nach Britannien, wo es sich im Laufe<br />

der Jahrhunderte kultivierte. Schließlich führten<br />

es englische Siedler in Amerika ein.<br />

Gut gefrühstückt? Drei von Hundert nehmen<br />

Toast<br />

Toastbrot - so wie wir es heute kennen - gibt<br />

es seit Mitte der 1950er-Jahre in Deutschland.<br />

Mit Hilfe einer Vermarktungsorganisation amerikanischer<br />

Weizenproduzenten und deutscher<br />

Toastgerätehersteller wurde Toast als gehobene<br />

und "praktische" Brotmahlzeit nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg in Deutschland mit einem<br />

hohen Werbeaufwand populär gemacht.<br />

31<br />

Erster in Serie produzierter elektrischer Toaster<br />

(mit Blumendekor), dritte Version<br />

Einstecktoaster D-12 111,General Electric<br />

USA, 1911<br />

Sammlung Deutsches Brotmuseum Ulm<br />

Klapptoaster, Prometheus Typ 02<br />

Deutschland, 1910-1927<br />

Sammlung Deutsches Brotmuseum Ulm


Toast ist ein feines Weizenbrot aus einem<br />

Mehl mit besonders hohem Eiweißgehalt.<br />

Durch den Zusatz von Milch, Fett und Zucker<br />

(bis zu 10% insgesamt) entstehen beim Erhitzen<br />

im Toaster die Röststoffe, die dem Toast<br />

den typischen Geruch und Geschmack verleihen.<br />

Qualitätsmerkmale des rechteckigen,<br />

ebenmäßig geformten Kastenbrotes sind die<br />

schwach ausgeprägte Kruste und die ebenmäßig-feinporige<br />

Struktur der Krume.<br />

Die perfekt getoastete Brotscheibe - wie geht<br />

das?<br />

Das Lebensmittel-Lexikon Leipzig 1979 verrät,<br />

wie die "gold- bis dunkelbraun gefärbte<br />

Brotscheibe von zartknuspriger Oberfläche und<br />

röstaromatischem Geschmack" entsteht. "Bei<br />

Gebrauch eines handelsüblichen Röstapparates<br />

(Toasters) beträgt die zum Toasten (250<br />

-260°C) benötigte Zeit bei zweiseitiger Hitzeeinwirkung<br />

etwa 1,5 - 2 min. und bei einseitig<br />

beheizter Toastplatte 2 - 2,5 min."<br />

Toastbrot wird in Deutschland meist industriell<br />

hergestellt. Über 90 Prozent des Toastbrotmarktes<br />

wird von der Backwarenindustrie bedient.<br />

In Europas größter Toastbrotfabrik in der<br />

Nähe Stuttgarts laufen täglich 200.000 Brote<br />

vom Band. Nach dem Backen gelangen dort<br />

die Brote in einen Reinluftraum, in dem sie gekühlt,<br />

geschnitten und in Folie verpackt werden.<br />

Ein solches Verfahren ermöglicht den Verzicht<br />

auf Konservierungsstoffe, die vom Verbraucher<br />

heutzutage meist abgelehnt werden.<br />

Vom Bäcker hergestelltes Toastbrot hat einen<br />

Marktanteil von etwa 8 Prozent. Es wird nach<br />

dem Backen, Abkühlen und Schneiden in einer<br />

Spezialfolie aus Polypropylen noch einmal<br />

für etwa 90 Minuten in der Backkammer auf<br />

110 Grad Celsius erhitzt. Auch damit wird eine<br />

Mindesthaltbarkeit von vier Wochen ohne den<br />

Zusatz von Konservierungsstoffen garantiert.<br />

Für Toastbrot wird in aller Regel ein spezielles<br />

Weizenmehl der Type 550 T (für Toast) verwendet.<br />

Im Angebot ist aber auch Vollkorn- und<br />

Dreikorntoast. Vornehmlich die handwerkliche<br />

Bäckerei bietet dazu eine Reihe von "Geschmacksrichtungen"<br />

durch Zusätze von Buttermilch<br />

bis Sonnenblumenkernen.<br />

32<br />

Der heiße Draht zum Erfolg<br />

Vor Nutzung der Elektrizität wurde Brot vor<br />

dem offenen Feuer oder über glühenden Kohlen<br />

geröstet. Hierzu verwendete man die unterschiedlichsten<br />

Hilfsmittel wie Gabeln, Zangen,<br />

Roste und Pfannen.<br />

1893 wurde auf der "World's Columbia Exposition"<br />

in Chicago die erste elektrische Küche<br />

vorgestellt - allerdings enthielt sie noch<br />

keinen Toaster. Ein Problem war zu diesem<br />

Zeitpunkt noch nicht gelöst: die Entwicklung<br />

eines geeigneten Wärmeelements. Zum Brotrösten<br />

benötigte man einen Draht, der schnell<br />

und oft hintereinander zum Glühen gebracht<br />

werden konnte, ohne porös oder brüchig zu<br />

werden. Der junge Ingenieur Albert Marsh entwickelte<br />

im März 1905 einen Draht aus einer<br />

Nickel-Chrom-Verbindung, mit dem er den Weg<br />

zur Entstehung der ersten elektrischen Toaster<br />

ebnete. 1909 ging der erste uns heute bekannte<br />

elektrische Toaster, ein Einstecktoaster, in<br />

Serienproduktion. Sein Konstrukteur war Frank<br />

Shailor von der Firma "General Electric", USA.<br />

Beinahe zeitgleich brachten AEG und Rowenta<br />

in Deutschland elektrische Brotröster auf den<br />

Markt, vermutlich nach amerikanischem Vorbild.<br />

Die Elektrifizierung der Städte in den 1920erund<br />

1930er-Jahren führte zu einem Boom in<br />

der Entwicklung elektrischer Haushaltsgeräte.<br />

So kann in diesen Jahrzehnten auch die größte<br />

Vielfalt an Toastertechniken beobachtet werden:<br />

Einstecktoaster aus simplen Metaligestellen<br />

neben prachtvollen Porzellanversionen;<br />

Klapptoaster, deren Klappen die Brotschnitte<br />

einfach nur festhielten, sog. Klemmtoaster,<br />

oder aber beim Öffnen gleich wendeten, sog.<br />

Wendetoaster; Drehtoaster und Karusselltoaster,<br />

deren Brotkorb mit einer Schwungbewegung<br />

um die eigene Achse gedreht werden<br />

konnte; tischähnliche Flachbett- und Kombinationsröster;<br />

Kipptoaster, deren Korb durch<br />

Antippen im Gerät verschwand und heraussprang;<br />

Einschubtoaster mit aufrechter Schublade<br />

und mechanische Durchfahrtoaster, die<br />

mit einem Zahnrad oder Motor angetrieben<br />

wurden; Springtoaster, die den Toast nach oben<br />

- sog. "Pop-ups" - oder nach unten herauswarfen.<br />

Viele Toastertypen wurden nach eini-


ger Zeit wieder aufgegeben. Dies lag zum einen<br />

an der geringen Wirtschaftlichkeit einzelner<br />

Modelle. Zum anderen taten Erster Weltkrieg<br />

und die Weltwirtschaftskrise 1929 ihr<br />

Übriges. In Deutschland wurde die Herstellung<br />

von Haushaltsgeräten 1939 zugunsten der<br />

Kriegsgüterproduktion rapide gesenkt. Schließlich<br />

stellte man sie hier bis Ende des Zweiten<br />

Weltkrieges gänzlich ein.<br />

Rowenta. 1950 - "Kennen Sie Toast?"<br />

Nach 1945 wurde die Toasterherstellung<br />

langsam wieder aufgenommen. AEG und Rowenta<br />

stellten zunächst Modelle aus der Vorkriegszeit<br />

her. Mit der Gründung der beiden<br />

deutschen Republiken 1949 teilte sich auch die<br />

Produktionsentwicklung der Haushaltsgeräte.<br />

Wendetaaster 247421 Satrap (für AEG)<br />

Deutschland ab 1945<br />

Sammlung Deutsches Bratmuseum U/m<br />

wenaetosster; Rayal Rachester'; E 641028<br />

Rabesan Rachester Carparatian<br />

USA, 1920er-Jahre<br />

Sammlung Deutsches Bratmuseum Ulm<br />

33<br />

Bereits 1950 hatte die Bundesrepublik den Vorkriegszustand<br />

der Produktivität des ehemaligen<br />

Deutschen Reiches erreicht. Da die Toasterproduktion<br />

in Amerika trotz des Krieges in<br />

beschränktem Maße fortgeführt werden konnte,<br />

übernahmen Toasterhersteller in Deutschland<br />

die in den 1940er-Jahren in den USA entwickelten<br />

typischen Stromlinienformen. Diese<br />

Formgebung wurde in der Bundesrepublik bis<br />

in die Mitte der 1960er-Jahre beibehalten.<br />

"Pop-ups" waren bis Ende des 2. Weltkrieges<br />

nur in den USA üblich. Erst durch den amerikanischen<br />

Einfluss etablierten sich diese vollautomatischen<br />

Toaster in der Bundesrepublik<br />

und mit ihnen die Toastkultur. In Deutschland<br />

hatte sich das Prinzip des Klapptoasters durchgesetzt,<br />

d.h. der manuellen bzw. halbautomatischen<br />

Geräte. Hatte man hier gewöhnlich von


Brotröster, geröstetem Brot und Röstbrot gesprochen,<br />

so war nun mit der Einführung des<br />

"Pop-ups" von Toastern, Toast und Toastbrot<br />

die Rede. Beide Techniken liefen parallel.<br />

In der DDR wurden Haushaltsgeräte nur<br />

sparsam hergestellt und erfuhren keine weiteren<br />

technischen Entwicklungen. Die Brotröster<br />

blieben vergleichsweise bescheiden und unauffällig.<br />

Das Prinzip des Klapptoasters war hier<br />

der gängige Typus, dessen Aussehen und<br />

Technik über mehrere Jahrzehnte beibehalten<br />

wurde.<br />

Anfang der 1960er-Jahre kam in der Bundesrepublik<br />

eine neue Bewegung in das Design<br />

von Haushaltsgegenständen: der Funktionalismus.<br />

Die Geräte der Firma Braun sollten durch<br />

Ihre funktionale Einfachheit und die Reduktion<br />

auf das Wesentliche zum Kauf anregen.<br />

Schnell wurden diese hochwertigen Modelle<br />

von anderen Firmen aufgegriffen und zu geringeren<br />

Preisen angeboten. Marktforscher<br />

meldeten 1969 steigende Tendenz: Das Interesse<br />

der Deutschen am Toaster wuchs, jeder<br />

4. Haushalt in Deutschland besaß nun schon<br />

einen!<br />

Von der Stromlinie zur Pril-Blume<br />

Mit dem Übergang von den voluminösen<br />

Formen der 1950er-Jahre zu den konzentrierten<br />

Geräten des Funktionalismus und der darauf<br />

folgenden hohen Produktionsrate änderte<br />

sich in den 1970er-Jahren auch der Bezug<br />

des Konsumenten zu seinen Küchengeräten.<br />

Immer mehr Haushalte legten sich einen Toaster<br />

zu. Er war nun nicht mehr Luxusartikel, son-<br />

34<br />

Drehtaaster, Universal E 9411<br />

Landers, Frary & Clark<br />

USA, um 1928<br />

Sammlung Deutsches Brotmuseum Ulm<br />

dern Selbstverständlichkeit. Der Massenkonsum<br />

erreichte auch den Toaster. Klapptoaster<br />

waren in der Bundesrepublik nicht mehr gefragt.<br />

Der .Pop-up" war der Toaster schlechthin.<br />

Die wesentliche Entwicklung im Aussehen<br />

der Toaster beschränkte sich auf die Farbgebung<br />

der Geräte. Die bisher üblichen chromblitzenden<br />

Gehäuse wichen bunten Um mantelungen,<br />

hierbei verwendete man hauptsächlich<br />

die Farben Braun, Beige, Orange und Gelb.<br />

Motive wie Blumen und Bäume wurden auf die<br />

großflächigen Seiten appliziert, sie passten<br />

sich dem Pril-Blumen-Stil mühelos an. Zunächst<br />

bestand das Gehäuse weiterhin aus<br />

Metall, doch kamen Ende der 1980er-Jahre<br />

vermehrt Kunststoffummantelungen auf.<br />

Durch kleine technische Zusätze wurden in<br />

den 1990er-Jahren die Funktionen des Toasters<br />

erweitert, aber nicht wesentlich verändert.<br />

Wichtiger wurde mit der Zeit die Besonderheit<br />

der Form. Nach dem Vorbild der Autoindustrie<br />

erhielten die technischen Geräte runde, windschnittige<br />

Formen, die den Gedanken an<br />

Schnelligkeit und Präzision aufkommen lassen.<br />

Dieser Designtransfer ist schon aus den<br />

1950er-Jahren bekannt, als sich die amerikanischen<br />

Stromlinienformen in den Alltagsgegenständen<br />

widerspiegelten.<br />

Heute können in Deutschland drei augenfällige<br />

Designrichtungen bei Toastern verfolgt werden:<br />

1. Geräte der 1950er-Jahre werden nachgeahmt.<br />

2. Das Prinzip der Stromlinien wird<br />

weitergeführt, bis die eigentliche Funktion des<br />

Gerätes nicht mehr zu erkennen ist. 3. Das<br />

Gerät wird zum Spielzeug umgestaltet. In der<br />

ersten Kategorie besteht das Gehäuse aus


Glastoaster, eines der Konzeptprodukte<br />

des Projektes "La Casa Prossima Futura"<br />

entworfen und ausgeführt von Phl/ips Design<br />

Eindhoven, Niederlande<br />

Chrom, Aluminium oder metallfarbenem Kunststoff.<br />

Die anderen Typen zeichnen sich bei ihren<br />

Kunststoffgehäusen hauptsächlich durch<br />

monochrome Modefarben in Pastelltönen, Indigoblau,<br />

Schwarz oder Weiß aus oder sind mit<br />

verspielten bunten Elementen versehen. Zubehör<br />

zu den Geräten, wie Schablonen, mit dem<br />

freundliche Grüße zum Frühstück oder Geburtstagswünsche<br />

in den Toast eingebrannt<br />

werden können, machen ihr Benutzen zum<br />

spielerischen Erlebnis.<br />

Möchten Sie wissen, wie das Wetter wird?<br />

Fragen Sie ihren Toaster!<br />

Es sieht so aus, als habe sich die Technik<br />

der Toaster in den letzten Jahren nicht wesentlich<br />

weiterentwickelt, doch der Schein trügt. In<br />

den Medien häufen sich die Meldungen, in<br />

denen über Kombinationen von Haushaltsgeräten<br />

und Mikrokontrolltechnik berichtet wird.<br />

Dies ist das folgerichtige Resultat der Vernetzung<br />

anderer elektrischer Geräte.<br />

Verschiedene Meldungen kursierten in der<br />

letzten Zeit in den Medien. Danach haben erfolgreiche<br />

Versuche stattgefunden, bei denen<br />

Informationen über PC und Internet an einen<br />

Toaster weitergegeben und Nachrichten in den<br />

Toast eingebrannt wurden, z.B. ein Sonnensymbol<br />

für schönes Wetter.<br />

.Voice control" - die Steuerung von Geräten<br />

mittels menschlicher Stimme oder mit Geräusch<br />

allgemein soll auch die Zukunft des<br />

Toasters sein: Vielleicht stellt der Konsument<br />

morgens nicht mehr den Drehknopf von Röststufe<br />

3 auf 2. Dann könnte sich in der Küche<br />

35<br />

folgender Dialog abspielen: "Toast." - "Wie<br />

stark?" - "Mittel." - "Benutze mittelstark. Versenken<br />

... Hochfahren - Fertig!" Ein Test in dieser<br />

Richtung wurde 1996 von amerikanischen<br />

Studenten erfolgreich durchgeführt.<br />

In der Computerbranche hat das Wort "Toaster"<br />

eine neue Bedeutung erhalten. Werden<br />

größere Datenmengen auf Computer-Disks gespeichert<br />

- "gebrannt" -, so wird dieser Vorgang<br />

immer häufiger "toasten" genannt. Folgerichtig<br />

ist der CD-Brenner der "Toaster".<br />

Abschließend soll auf das Projekt "La Casa<br />

Prossima Futura" (Das Haus der nahen Zukunft)<br />

der Firma Philips Design hingewiesen<br />

werden. Es handelt sich hierbei um eine Zukunftsvision<br />

von Dingen des täglichen Lebens.<br />

Der (automatische) gläserne Toaster gehört zu<br />

den bemerkenswertesten Stücken. Sieht er<br />

nicht ein bisschen so aus wie die ersten elektrischen<br />

Toaster?<br />

In der Ausstellung "Ein Toast auf den Toaster!"<br />

zeigt das Deutsche Brotmuseum Ulm vom<br />

15. September bis 11. November <strong>2001</strong> ca. 130<br />

Exponate aus seinem Bestand, dazu Leihgaben<br />

anderer Museen und privater Sammler.<br />

Die Ausstellung "Ein Toast auf den Toaster! Eine<br />

Ausstellung zu Technikgeschichte und Design der<br />

Toaster und zur Geschichte des Toastbrotes" kann<br />

vom Deutschen Brotmuseum Ulm gegen Übernahme<br />

von Transport- und Versicherungskosten sowie<br />

Spesen für die Ausstellungsbegleitung ab Mitte Dezember<br />

ausgeliehen werden. Nähere Informationen<br />

unterTel. 0731/69955.


Searle & Searle<br />

Eine Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover/Deutsches Museum<br />

für Karikatur und kritische Grafik<br />

Gise/a Vetter-Liebenow<br />

Sie bieten alle Nuancen der Farbskala, spiegeln<br />

in kristallenem Facettenschliff die Farben<br />

des Regenbogens, schimmern periweiß und<br />

funkeln und glitzern in Gold und Silber: die<br />

Perlen, die Monica Searle in Städten wie London<br />

und Paris, Wien und Berlin für ihre Schmuckketten<br />

zusammengetragen hat. In ihrem alten<br />

verwinkelten Haus im Süden Frankreichs verbergen<br />

sie sich in unzähligen kleinen Schubladen<br />

und füllen so als perfekt organisierte<br />

Schatzkammer eine lange Wand in ihrem Atelier.<br />

Eine passionierte Schmuckkünstlerin - geboren<br />

aus der Not, zu einem wunderbaren<br />

Kleid keine passende Kette zu haben. Von frühester<br />

Kindheit an aber schon allem verfallen,<br />

was glitzert, so wie das böhmische Kristall, das<br />

der Vater in London zum Verkauf anbot.<br />

Geboren wurde Monica Searle 1925 in Purley<br />

in der Grafschaft Surrey, England. Sie studierte<br />

an Kunstschulen in London und Paris,<br />

musste während des Krieges nebenbei in einer<br />

Rüstungsfabrik arbeiten und verdiente sich<br />

später ihren Lebensunterhalt als Sekretärin<br />

und Dolmetscherin, bevor sie Gelegenheit bekam,<br />

Kostüme und Dekorationen für das Theater<br />

zu entwerfen. So stattete sie 1957 die In-<br />

36<br />

szenierung "Le Roman de la Rose" im ,Studio<br />

des Champs Elysees' in Paris aus.<br />

1959 begleitete sie ihren späteren Ehemann,<br />

Ronald Searle, auf einer Reportage-Reise<br />

durch Deutschland, zu der er vom Süddeutschen<br />

Rundfunk eingeladen worden war. Dieser<br />

Erkundung des Nachkriegsdeutschland<br />

folgten in den nächsten Jahren, meist im Auftrag<br />

amerikanischer Zeitschriften, fast ununterbrochen<br />

weitere Reisen durch Länder wie<br />

Amerika, Marokko, Italien und Österreich. 1967<br />

heirateten Monica und Ronald Searle in Paris.<br />

1969 setzte ein bösartiger Krebs bei Monica<br />

Searle diesem Reiseleben ein Ende. Seit Mitte<br />

der 70er-Jahre leben die Searles im Süden<br />

Frankreichs "in glücklicher Isolierung" - so<br />

Monica Searle -, in der auch ihre traumhaften<br />

Schmuckketten entstehen.<br />

Diese präzise gearbeiteten Schmuckketten<br />

von Monica Searle sind funkelnde Kostbarkeiten.<br />

Perlen aus Kunststoff, Glas, verschiedenen<br />

Metallen, Strass und Kristall fügt sie zu<br />

ein- oder mehrreihigen Kreationen, die im Licht<br />

ihre ganze Schönheit entfalten. Ihre meisterhaften<br />

Colliers, komplizierte Geflechte kleiner<br />

und großer Perlen, sind für den großen Auftritt<br />

Monica Searle, Schmuck kette<br />

Materialien:<br />

Kunststoff, Glas, Strass, Metallfaden,<br />

Naturseide mit Perlonverstärkung


Ronald Searle<br />

Nietzsehe tnfft Woody Allen, 1992<br />

Wilhelm-Busch-Museum Hannover<br />

wie geschaffen. Da die Perlen, die Monica<br />

Searle verwendet, oft nur in begrenzter Menge<br />

zur Verfügung stehen, gibt es von vielen<br />

Ketten höchstens drei Exemplare. Der Entwurf<br />

einer Kette kann oft mehr als zwei Monate dauern,<br />

die Herstellung dann noch einmal zwei<br />

Wochen. ,Fatal attraction'!<br />

Gemeinsam haben Monica und Ronald Searle<br />

- Letzterer seit Mai dieses Jahres Ehrenmitglied<br />

der Wilhelm-Busch-Gesellschaft - eine<br />

eindrucksvolle Sammlung historischer Karikaturen<br />

sowie eine Bibliothek zur Geschichte und<br />

Theorie der Karikatur zusammengetragen. Dieser<br />

Schatz konnte erfreulicherweise für die<br />

Sammlungen des Wilhelm-Busch-Museums<br />

Hannover erworben werden. Eine Auswahl daraus,<br />

ergänzt durch Zeichnungen von Ronald<br />

Searle aus dem Besitz des Künstlerpaares sowie<br />

durch Arbeiten, die dem Wilhelm-Busch-<br />

Museum gehören, sind - ebenso wie die faszinierenden<br />

Schmuckketten von Monica Searle -<br />

erstmals vom 20. Oktober <strong>2001</strong> bis 6. Januar<br />

2002 in der Ausstellung "Searie & Searle" zu<br />

sehen .•<br />

37<br />

Ronald Searle, Anglo-Französische Allianz, 1961<br />

Rudolf-Ensmann-Sammlung<br />

im Wtlhelm-Busch-Museum Hannover


Die Gemeinschaft der Heiligen<br />

Der Figurenzyklus an der Katharinenkirche zu Lübeck<br />

und das monumentale Werk Ernst Barlachs<br />

Eine Ausstellung im Gerhard Marcks-Haus, Bremen<br />

Jürgen Fitsehen<br />

Unter dem Titel "Die Gemeinschaft der Heiligen"<br />

werden vom 14. Oktober <strong>2001</strong> bis zum<br />

6. Januar 2002 im Bremer Gerhard Marcks-<br />

Haus die vor 1933 ausgeführten überlebensgroßen<br />

Figuren von Ernst Barlach und die nach<br />

dem Zweiten Weltkrieg 1946 bis 1948 von<br />

Gerhard Marcks ergänzten Figuren für die Fassade<br />

der Lübecker Katharinenkirche erstmals<br />

in einer Ausstellung zusammengeführt. Im<br />

Werk beider Bildhauer bilden diese außerordentliche<br />

Höhepunkte. Der heute aus insgesamt<br />

neun Figuren bestehende Zyklus, von<br />

denen drei aus der Hand Barlachs und sechs<br />

von Marcks stammen, wird um Denkmale,<br />

Mahnmale und Grabmale in Güstrow, Magdeburg,<br />

Kiel und Hamburg sowie um unausgeführte<br />

Vorhaben des wohl bekanntesten deutschen<br />

Bildhauers des 20. Jahrhunderts ergänzt,<br />

die als Werkmodelle und Entwürfe zu<br />

sehen sein werden. Aus dem Lebenswerk Barlachs<br />

ragen diese Vorhaben heraus: Sie erreichen<br />

monumentale Maße, haben künstlerisch<br />

einen besonderen Rang und sind gedanklich<br />

und entwicklungsgeschichtlich Voraussetzungen<br />

für den Entwurf des Figurenzyklus in Lübeck.<br />

Im Jahre 1929 trat der Kunsthistoriker und<br />

damalige Museumsdirektor Carl Georg Heise<br />

an Ernst Barlach heran und bat diesen, für die<br />

Westfassade der Katharinenkirche lebensgroße<br />

Figuren zu schaffen. Als Direktor des St.-<br />

Annen-Museums war er damals nicht nur für<br />

dieses, sondern auch für andere Abteilungen,<br />

darunter auch für die ehemalige Klosterkirche<br />

des Franziskanerordens, verantwortlich. Dieser<br />

architektonisch bedeutende Backsteinbau<br />

war im 14. Jahrhundert errichtet und mit einer<br />

aufwendigen Fassade geschmückt worden, die<br />

eine doppelte Reihe von Blendnischen oberhalb<br />

der Portalzone zeigt. In sechzehn freien<br />

Nischen sollten nach Heises Plan ebenso vie-<br />

38<br />

le Figuren zur Aufstellung kommen, die eine<br />

"Gemeinschaft der Heiligen als Repräsentanten<br />

der Menschheit" bilden würden. Gemeint<br />

waren nicht etwa Figuren von Heiligen und<br />

Aposteln, wie sie von mittelalterlichen Kirchenportalen<br />

hinlänglich bekannt sind, sondern "die<br />

Gottsucher der leidenden Menschheit: vom<br />

stillbeglückten Pilger bis zum Gefangenen, der<br />

seine Seligkeit sucht im aufrührerischen Trotz<br />

gegen die Ketten" (Heise). Barlach ließ sich für<br />

dieses außergewöhnliche Großprojekt gewinnen,<br />

obwohl dessen Finanzierung auf wenig<br />

solider Grundlage stand und er selbst die Überforderung<br />

seiner Kräfte befürchtete. Kaum ein<br />

Thema und kaum eine Aufgabe dürfte indessen<br />

der künstlerischen Auffassung und der<br />

menschlichen Überzeugung Barlachs mehr<br />

entsprochen haben, als die Idee des Lübecker<br />

Museumsdirektors. Für alle Figuren versuchte<br />

Heise "Stifter" zu finden, die eine zweite Ausführung<br />

des von ihnen finanzierten, in Terrakotta<br />

ausgeführten und schließlich an der Fassade<br />

aufgestellten Werkes erhalten sollten.<br />

Das gelang für drei der sechzehn Werke: Bis<br />

Ende 1932 waren diese Figuren in Ton modelliert,<br />

gebrannt, fertig gestellt und in der Preußischen<br />

Akademie der Künste in Berlin erstmals<br />

der Öffentlichkeit präsentiert worden. Die<br />

Machtübernahme der Nationalsozialisten verhinderte<br />

die Fortführung des Plans: Sein Initiator<br />

Carl Georg Heise wurde Ende September<br />

1933 in den vorzeitigen Ruhestand versetzt.<br />

Die fertig gestellten Figuren konnten wohl<br />

eine Zeit lang im Chor der Katharinenkirche<br />

aufgestellt, mussten jedoch im Verlaufe der<br />

nationalsozialistischen Kampagne gegen die<br />

"Entartete Kunst" im Jahre 1936 dort wieder<br />

entfernt werden. Es gelang, ihre Verbringung<br />

nach Berlin und ihre Zerstörung zu verhindern.<br />

Sie überlebten den Krieg in einem geheimen<br />

Versteck. Als Barlach 1938 starb, hatten die-


Ernst Bar/ach, Frau im Wind<br />

Terracotta, 1932<br />

Katharinenkirche zu Lübeck<br />

ser und Heise bereits einen Vollender des<br />

Figurenzyklus in Erwägung gezogen, wenn<br />

auch an eine Wiederaufnahme der Bemühungen<br />

vorerst nicht zu denken gewesen war:<br />

Gerhard Marcks. Seit dem Herbst 1946 beschäftigte<br />

sich Marcks mit der Fortführung des<br />

Figurenzyklus. Sein Entwurf sah, abweichend<br />

von der ursprünglichen Absicht Heises, die<br />

Fertigstellung von weiteren sechs Figuren vor,<br />

die seit 1949 mit den schon zwei Jahre zuvor<br />

aufgestellten drei Figuren Barlachs die Fassade<br />

von St. Katharinen schmücken.<br />

Die großen Denkmal- und Mahnmalvorhaben<br />

des wilhelminischen Kaiserreichs und der Weimarer<br />

Republik haben die Tradition des 19.<br />

Jahrhunderts oft ungebrochen weitergeführt.<br />

Demgegenüber bieten die von Ernst Barlach<br />

geschaffenen monumentalen Plastiken - darunter<br />

nicht zuletzt die ausgeführten und entworfenen<br />

Figuren des Lübecker Vorhabens -<br />

eine außerordentliche Durchdringung ihres<br />

39<br />

Gerhard Marcks, Schmerzensmann<br />

Terracotta, 1947<br />

Katharinenkirche zu Lübeck<br />

Themas. In der Form brechen sie mit der bis<br />

dahin bestimmenden Tradition in Deutschland.<br />

An keinen anderen Werken lässt sich so aufschlussreich<br />

der radikale Bruch verdeutlichen,<br />

den die Moderne für die Frage des Denkmals<br />

und der Kunst im öffentlichen Raum herbeigeführt<br />

hat. Die sich aus den Werken Barlachs<br />

ergebenden Folgerungen wirken bis in gegenwärtige<br />

Projekte hinein.<br />

An einer aussagekräftigen Auswahl von sowohl<br />

ausgeführten und als auch geplanten,<br />

dann aber nicht verwirklichten Vorhaben Ernst<br />

Barlachs soll die Entstehungsgeschichte, die<br />

Form, die Symbolik und die historische Bedeutung<br />

der Figuren an der Lübecker Katharinenkirche<br />

im Zusammenhang seiner Denkmale,<br />

Mahnmale und Grabmale anschaulich vorgeführt<br />

sowie die künstlerische Entwicklung seines<br />

monumentalen Werkes nachgezeichnet<br />

werden. Etwa 40 plastische Werke - darunter<br />

die lebensgroßen Figuren für die Lübecker Fas-


Ernst Bar/ach, Gerhard Marcks, Die Gemeinschaft der Heiligen (realisiert 1930-32 und 1946-48)<br />

Westfassade der Katharinenkirche zu Lübeck<br />

sade, deren Zweitausfertigungen sich heute im<br />

Besitz der Ernst Barlach Stiftung und des Gerhard<br />

Marcks-Hauses befinden - sowie 90<br />

Zeichnungen und Graphiken aus verschiedenen<br />

öffentlichen und privaten Sammlungen<br />

werden in ihr vereinigt und vermitteln erstmals<br />

im Zusammenhang ein umfassendes Bild des<br />

Bildhauers Ernst Barlach als Schöpfer monumentaler<br />

Plastik.<br />

Die Ausstellung entsteht in engster Zusammenarbeit<br />

des Gerhard Marcks-Hauses mit der<br />

Ernst Barlach Stiftung in Güstrow, Die norddeutschen<br />

Bildhauermuseen sind in besonderer<br />

Weise durch den Lübecker Figurenzyklus<br />

miteinander verbunden, der im Lebenswerk<br />

ihrer Namenspatrone das Hauptwerk bildet. Im<br />

Anschluss an Bremen wird sie von Februar bis<br />

40<br />

September 2002 in Güstrow und ab Herbst<br />

2002 auch im Georg-Kolbe-Museum in Berlin<br />

Station machen. Es erscheint ein umfangreicher,<br />

von Volker Probst und Jürgen Fitsehen<br />

herausgegebener Katalog mit Beiträgen zahlreicher<br />

Fachkollegen und einer Dokumentation<br />

aller ausgestellten Werke.<br />

Gleichzeitig findet in der benachbarten Kunsthalle<br />

Bremen, die mit der Stiftung Kurt Reuttis<br />

eine der größten Barlach-Sammlungen Deutschlands<br />

besitzt, die Ausstellung "Ernst Barlach -<br />

,Kaviar statt Brot' / Kurt Reutti - Sammler und<br />

Stifter" (14. Oktober <strong>2001</strong> - 20. Januar 2002)<br />

statt, in der insbesondere die Wechselwirkungen<br />

zwischen Barlachs Graphik und Plastik gezeigt<br />

werden. 11


Rückkehr in die Fremde?<br />

Remigranten lmd Rundfunk in Deutschland<br />

1945-1955<br />

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen<br />

Platz der Göttinger Sieben 1,37073 GötÜngen<br />

23. August bis 6. Oktober <strong>2001</strong><br />

Jahresausstellung des<br />

Arbeitskreises<br />

selbständiger<br />

Kultur-Institute<br />

eV - <strong>AsKI</strong><br />

Veranstaltet von:<br />

Arbeitskreis selbständiger<br />

Kultur-Institute eV -<br />

<strong>AsKI</strong>, Bonn<br />

Stiftung Deutsches<br />

Rundfunkarchiv Frankfurt<br />

am Main - Berlin<br />

Stiftung Archiv der<br />

Akademie der Künste,<br />

Berlin<br />

Die Ausstellung<br />

steht unter der<br />

Schirmherrschaft des<br />

Präsidenten des<br />

Deutschen Bundestages,<br />

Herm Wolfgang Thierse<br />

Öffnungszeiten:<br />

Montag - Freitag<br />

09.00- 20.00 Uhr<br />

Samstag<br />

10.00 -14.00 Uhr<br />

www.sub.uni-goettingen.de<br />

www.aski.org.

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