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Sarah Wiener über Köche, Küken und gute Lebensmittel, Interview

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Sie schwingt engagiert den Kochlöffel<br />

<strong>und</strong> hält mit ihrer Meinung nicht<br />

hinterm Berg. <strong>Sarah</strong> <strong>Wiener</strong>, österreichische<br />

Fernsehköchin mit drei eigenen<br />

Restaurants in Berlin, ist vielen<br />

bekannt seit ihrer Rolle als strenge<br />

Mamsell in der ARD-Doku-Serie<br />

„Abenteuer 1900“. Freitags kocht<br />

sie bei Johannes B. Kerner <strong>und</strong> gerade<br />

eben liefen die neuen Folgen der<br />

Arte-Serie „Die kulinarischen Abenteuer<br />

der <strong>Sarah</strong> <strong>Wiener</strong>“. Ihr Vater<br />

ist Schriftsteller, ihre Mutter bildende<br />

Künstlerin. <strong>Sarah</strong> <strong>Wiener</strong> hat sich<br />

nach stürmischer Jugendzeit das Kochen<br />

selbst beigebracht <strong>und</strong> hochgearbeitet.<br />

Eine Köchin mit Profi l.<br />

Sie sind eine der ganz wenigen öffentlich<br />

kochenden Frauen. Wie lebt es sich denn in<br />

dieser doch recht traditionellen Männerdomäne?<br />

Wenn man dann einmal oben ist <strong>und</strong> dazu noch<br />

fast die einzige, natürlich sehr bequem. Wobei<br />

ich schon jeden Tag merke, dass wir nach wie<br />

vor in einer von Männern dominierten Welt leben<br />

- sonst gäbe es ja ein paar mehr Frauen an<br />

meiner Seite.<br />

Sie bezeichnen sich selbst als Feministin. Das<br />

ist heutzutage nicht gerade selbstverständlich.<br />

Was bedeutet das für Sie?<br />

Ich verstehe gar nicht, wie sich irgendeine Frau<br />

nicht als Feministin bezeichnen kann, jede Frau<br />

sollte eine Feministin sein. Frauen werden immer<br />

noch schlechter behandelt als Männer, zum Beispiel<br />

wenn es um Einkommen <strong>und</strong> Karriere geht.<br />

Da wird mit ungleichem Maß gemessen, das ist<br />

hinreichend wissenschaftlich belegt. Damit muss<br />

ich mich eben auseinander setzen <strong>und</strong> was dafür<br />

tun, damit sich die Situation aller Frauen verbessert.<br />

Das hat noch nichtmal was mit Politik zu<br />

tun, das hat nur mit reinem Verstand zu tun. Ich<br />

bin einfach sehr dafür, dass die Frauen fünfzig<br />

Prozent vom Kuchen zu essen bekommen, wenn<br />

sie ihn schon zu achtzig Prozent backen.<br />

Sie sagen, Sie seien eigentlich nicht politisch.<br />

Wenn ich mir Ihre Aktivitäten gegen Gentechnik,<br />

für <strong>gute</strong> <strong>Lebensmittel</strong>, für den Tierzuchtfonds,<br />

für biologische Vielfalt <strong>und</strong> vieles<br />

andere so anschaue, würde ich sagen, das ist<br />

explizit politisch.<br />

Ich bin nicht parteipolitisch! Aber jeder Mensch,<br />

der <strong>über</strong> ein gewisses Bewusstsein <strong>und</strong> Interesse<br />

an der Gesellschaft verfügt, ist natürlich<br />

politisch. Ich gehe halt meinen Weg, von dem<br />

ich denke, dass er gegangen werden muss, aufgr<strong>und</strong><br />

meiner eigenen Moral <strong>und</strong> Logik. Ich bin<br />

aber <strong>über</strong>haupt nicht verdrahtet <strong>und</strong> vernetzt,<br />

sondern eher eine Einzelkämpferin.<br />

Vor allem bin ich ernährungspolitisch aktiv, aber<br />

ich setze mich auch ein gegen Gewalt gegen<br />

Frauen. Ich fi nde, jeder Koch, der in der Öffentlichkeit<br />

steht, hat die Verpfl ichtung, sich politisch<br />

zu engagieren <strong>und</strong> der Gesellschaft etwas zurückzugeben.<br />

In Form von Wissen <strong>über</strong> Qualität,<br />

in Form von Aufklärung. Sonst wüsste ich nicht,<br />

warum ein Koch in der Öffentlichkeit stehen<br />

sollte. Heutzutage haben viele <strong>Köche</strong> viele Stimmen<br />

- daher sollte man sich <strong>über</strong>legen, wofür<br />

man sie benutzen kann, außer um Witze zu machen<br />

oder seiner Eitelkeit zu frönen.<br />

Sie ragen aus den öffentlich Kochenden schon<br />

ein wenig heraus, sowieso aus dieser Männerclique,<br />

aber auch mit ihren Statements.<br />

Unter den Blinden ist der Einäugige König …<br />

Wenn ich als so genannte „Köchin der Nation“<br />

nicht etwas radikaler <strong>und</strong> ideeller wäre, wer<br />

sollte es sonst sein. Man muss Veränderungen<br />

doch wenigstens anstreben.<br />

<strong>Lebensmittel</strong> sind in Deutschland sehr billig,<br />

viele Verbraucher kaufen mit Vorliebe im Discounter.<br />

Wo sehen Sie da das Problem?<br />

Das Problem ist, dass wir keinen gerechten Preis<br />

für die <strong>Lebensmittel</strong> zahlen. Weder für die Tiere,<br />

noch für die Umwelt, noch für die Böden oder<br />

das Gr<strong>und</strong>wasser. Die Preise für konventionelle<br />

Produkte sind im Vergleich zu Bioprodukten<br />

verzerrte Preise. Die Rechnung dafür werden<br />

spätere Generationen zahlen müssen, damit wir<br />

heute noch billiger <strong>und</strong> noch komfortabler Mist<br />

essen können. Qualität hat eben ihren Preis - den<br />

wir aber schon lange nicht mehr einfordern, weil<br />

wir ja noch nicht einmal eine Tomaten- oder Erdbeersorte<br />

benennen können.<br />

Das hat auch was mit Sortenvielfalt zu tun.<br />

In den Discountern gibt es meist, wenn <strong>über</strong>haupt,<br />

nur sehr wenige Sorten Äpfel oder<br />

Tomaten.<br />

Genau. Mir geht es nicht um besondere Radikalität,<br />

sondern um das Bewusstsein in den Köpfen,<br />

darum, auf die schwindende Biodiversität,<br />

also die immer geringer werdende Artenvielfalt,<br />

aufmerksam zu machen. In den letzten dreißig<br />

Jahren haben sich 2.000 Apfelsorten verabschiedet,<br />

wir haben heute nur noch tausend<br />

Apfelsorten <strong>und</strong> kennen davon vielleicht gerade<br />

noch zehn.<br />

Wenn man für eine St<strong>und</strong>e Parken in Berlin-<br />

Mitte 3,50 Euro zahlt, genauso viel wie für ein<br />

Käfi ghuhn! - dann stimmt doch offensichtlich<br />

etwas nicht. Es geht nicht darum, was alles möglich<br />

wäre in der besten aller Welten. Es geht darum,<br />

was man hier <strong>und</strong> jetzt ändern kann. Wie<br />

wollen wir leben? Was für ein Fleisch wollen wir<br />

essen? Wie gehen wir mit den Böden um? Welche<br />

Wertschätzung bringen wir dem Leben entgegen?<br />

Das sind uralte konservative Werte.<br />

Letztens haben Sie, die erklärte Feministin,<br />

in der Kerner-Kochshow ein T-Shirt mit dem<br />

Aufdruck „Her mit der Männerquote“ getragen.<br />

Aha?<br />

Damit wollte ich auf das „Geschwisterkükenpro-<br />

„Ich verstehe gar nicht, wie sich irgendeine Frau<br />

nicht als Feministin bezeichnen kann.“<br />

jekt“ des Tierzuchtfonds aufmerksam machen.<br />

In der konventionellen Tierzucht gibt es heute<br />

nur noch sog. Hybriden, also speziell auf einen<br />

bestimmten Zweck ausgerichtete Züchtungen.<br />

Diese Hühner können also entweder extrem viele<br />

Eier legen oder sie liefern besonders viel mageres<br />

Fleisch an strammer Brust. Hybride, die zum Eierlegen<br />

gezüchtet sind, kann man nicht als Fleischlieferanten<br />

gebrauchen. Damit wandern jedes<br />

Jahr 50 Millionen männliche <strong>Küken</strong> sofort in den<br />

Schredder, allein in Deutschland.<br />

Ich verstehe gar nicht, wie sich jemand dabei<br />

nicht vor Entsetzen winden kann. Uns wird zugemutet,<br />

nur noch sterilisierte Hybrid-Nutztiere<br />

zu essen, die mit Kraftfutter gepäppelt <strong>und</strong> bei<br />

Dunkelheit gehalten werden, nur damit wir dann<br />

zwei Euro weniger dafür zahlen. Vor zwanzig<br />

Jahren haben wir für <strong>Lebensmittel</strong> dreimal soviel<br />

bezahlt wie heute, das ging auch. Das ist eine<br />

Prioritätenfrage.<br />

Das Projekt Geschwisterküken arbeitet also daran,<br />

diejenigen Lege-Linien zu identifi zieren, deren<br />

männliche Geschwister sich besser mästen<br />

lassen als der Durchschnitt, um Tiere züchten zu<br />

können, die sowohl für die Eierproduktion als<br />

auch für die Mast geeignet sind.<br />

An dieser Stelle kommt in der Regel das Argument,<br />

dass viele sich zum Beispiel das Hähn-<br />

stadtblatt: 5 | 2007 November - Januar 9

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