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S ü d o s t e u r o p ä i s c h e - Centar za socijalna istraživanja

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4. Schlussfolgerungen<br />

Robert Lučić, Đorđe Tomić – Vom Bauern zum ‚Benzinsman„<br />

Die UN-Sanktionen ver<strong>ä</strong>nderten das Leben der gesamten jugoslawischen Bevölkerung. Diese<br />

Ver<strong>ä</strong>nderungen betrafen vor allem die Versorgung der Menschen mit den t<strong>ä</strong>glichen Dingen.<br />

In den fr<strong>ü</strong>hen 1990er Jahren mussten sie dabei gleichzeitig gegen den chronischen Mangel an<br />

Lebensmitteln, Kosmetika und besonders an Treibstoffen sowie gegen eine massive<br />

Entwertung der einheimischen W<strong>ä</strong>hrung ank<strong>ä</strong>mpfen.<br />

Im Unterschied zur restlichen Bevölkerung boten sich den Gren<strong>za</strong>nwohnern<br />

außergewöhnliche Möglichkeiten bei der Krisenbew<strong>ä</strong>ltigung. Zum einen brachte ihnen der<br />

verlagerte Transitverkehr zus<strong>ä</strong>tzliche Einkommensquellen im Handel, und zum anderen<br />

konnten sie den bestehenden Warenmangel durch Schmuggelt<strong>ä</strong>tigkeiten kompensieren. Dies<br />

f<strong>ü</strong>hrte zu Ver<strong>ä</strong>nderungen des Alltags, die sich in der Herausbildung komplexer Erwerbs-<br />

und Handelsstrukturen manifestierten.<br />

Eine der Folgen der neuen Alltagsordnung war eine ver<strong>ä</strong>nderte Raum- und<br />

Zeitwahrnehmung der Gren<strong>za</strong>nwohner. Beschr<strong>ä</strong>nkten sich die Horizonte bis dato auf den<br />

eigenen Ort, die umliegenden Felder der Agrarbewirtschaftung sowie die Abnahmestellen in<br />

den – bis Anfang der 1990er in Kroatien liegenden – Kleinst<strong>ä</strong>dten, so ordneten die ersten<br />

Autokolonnen den Grenzraum neu. Die Hauptstraße durch die Dörfer Bački Breg, Kolut und<br />

Bezdan wurde zum Dreh- und Angelpunkt des neuen Dienstleistungssektors. Die fr<strong>ü</strong>heren<br />

Dorfgrenzen verschwanden und ließen die gemeinsame Straße zu einer neuen Einheit<br />

werden. Mit der Straßenwirtschaft ging auch eine andere zeitliche Orientierung einher. So<br />

spielten f<strong>ü</strong>r die mehrheitlich b<strong>ä</strong>uerliche Grenzbevölkerung Jahreszeiten und Wetterlage<br />

plötzlich keine Rolle mehr. Die neue Zeitrechnung wurde von den Versorgungsbed<strong>ü</strong>rfnissen<br />

der Straßenkundschaft und vor allem vom Abfertigungsrhythmus am Grenz<strong>ü</strong>bergang<br />

vorgegeben. Im Hinblick auf den Tagesablauf dominierte der Non-Stop-Service im<br />

grenzbedingten Stop-and-Go-Betrieb. Die Ferienzyklen der Reisenden avancierten hingegen<br />

zu neuen Jahreszeiten und wurden im weiteren Verlauf wichtiger als etwa die örtlichen<br />

Feiertage.<br />

Diese ver<strong>ä</strong>nderte Situation hatte auch Einfluss auf das Arbeitsverst<strong>ä</strong>ndnis der<br />

Bevölkerung. Stand vormals die landwirtschaftliche Produktion als Grundlage der örtlichen<br />

Wirtschaft im Mittelpunkt, so pr<strong>ä</strong>gte fortan der Handel mit seinen spezifischen Prinzipien<br />

das Erwerbsleben. Als wesentliches Qualit<strong>ä</strong>tsmerkmal der Arbeitsleistung galt der erzielte<br />

Gewinn des Einzelnen. Im Gegensatz zum fr<strong>ü</strong>heren Ideal einer solidarischen<br />

Kollektivwirtschaft setzten sich <strong>ü</strong>ber Nacht kompetitive marktwirtschaftliche Verh<strong>ä</strong>ltnisse<br />

durch. Dies hatte wiederum Folgen f<strong>ü</strong>r die sozialen Beziehungen im Dorf. So wurden durch<br />

die Konkurrenzsituation im Ringen um Marktanteile an der Straße traditionelle<br />

nachbarschaftliche Verh<strong>ä</strong>ltnisse belastet. Die kaufm<strong>ä</strong>nnischen Verhaltensanforderungen<br />

konnten auch generationelle Konflikte um die wirtschaftliche Ausrichtung der<br />

Familiengemeinschaft zur Folge haben.<br />

Noch massiver gestalteten sich die Ver<strong>ä</strong>nderungen der Lebenspraxis der Gren<strong>za</strong>nwohner<br />

mit Blick auf die Etablierung des Derivatehandels. Der st<strong>ä</strong>ndige Grenzverkehr der<br />

Treibstoffh<strong>ä</strong>ndler f<strong>ü</strong>hrte zu einer Entgrenzung des lokalen Raumgef<strong>ü</strong>hls. Die bestehende<br />

jugoslawisch-ungarische Staatsgrenze ver<strong>ä</strong>nderte Ende der 1980er und Anfang der 1990er<br />

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