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AT2005-8021 Tagungsband II.indd - Kinder-Umwelt-Gesundheit

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Prävention des<br />

Plötzlichen Säuglingstodes<br />

in Deutschland<br />

Schirmherrschaft: Helma Orosz, Sächsische Staatsministerin für Soziales<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Dresden 5./6. Februar 2005<br />

www.babyschlaf.de<br />

www.babyhilfe-deutschland.de<br />

Paditz E (Hrsg)


Inhalt<br />

Impressum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4<br />

Grußwort der Staatsministerin Helma Orosz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5<br />

SID-Prävention in der Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11<br />

Die Vereinigung leitender <strong>Kinder</strong>- und Jugendärzte und <strong>Kinder</strong>chirurgen<br />

Deutschlands (VLKKD) als Förderer des Programmes zur Prävention des<br />

plötzlichen Kindstodes in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29<br />

SID-Prävention in Hessen 2004. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31<br />

SID-Prävention in Rheinland-Pfalz 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen . . . . . . . . . . . . . 39<br />

Faktoren für eine bessere Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

Beinahe-SID unter stationärer Überwachung mit schwersten neurologischen<br />

Folgeschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63<br />

Impfungen und der plötzliche Säuglingstod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81<br />

SID-Häufung bei bestimmten Wetterlagen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83<br />

Autonomes Nervensystem und plötzlicher Säuglingstod . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

Gibt es einen genetischen Hintergrund für den plötzlichen Kindstod? . . . . . . . . . . . . . 91<br />

Verzögerte funktionelle Hirnreifung bei <strong>Kinder</strong>n Methadon-substituierter<br />

Mütter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

Indikatoren für eine Arousal-Aktivierung bei Säuglingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99<br />

Koordination der Handlungsträger bei plötzlichem Säuglingstod vor Ort . . . . . . . . . 101<br />

Computertomographie und Magnetresonanztomographie in der<br />

postmortalen Diagnostik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105<br />

Trauer nach plötzlichem Säuglingstod: Folgen und Hilfsmöglichkeiten. . . . . . . . . . . . 111<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

Proaktive telefonische Raucherberatung von Schwangeren und Müttern<br />

von Säuglingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127<br />

Gründungsaufruf der Babyhilfe Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131<br />

Satzung der Babyhilfe Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />

Antrag auf Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145<br />

3


4<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Prof. Dr. med. habil. Ekkehart Paditz<br />

Vorsitzender Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin<br />

der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der<br />

Technischen Universität Dresden<br />

Fetscherstraße 74, 01307 Dresden<br />

Telefon (03 51) 4 58 31 60<br />

Telefax (03 51) 4 58 57 72<br />

E-Mail: Ekkehart.Paditz@uniklinikum-dresden.de<br />

Geschäftsstelle der Babyhilfe Deutschland:<br />

Lingnerschloss Dresden (Torhaus)<br />

Bautzner Straße 132, 01099 Dresden<br />

Im Auftrag des Vorstandes, des Kuratoriums und der Beiräte der<br />

Babyhilfe Deutschland:<br />

Staatsminister a. D. Georg Brüggen, Vorsitzender des Kuratoriums<br />

Dr. med. Katharina Stahn, Stellvertr. Vorsitzende des Vorstandes<br />

Dipl.-Med. Stefan Scharfe, Medizinalvorstand<br />

Gerd Pfetzer, Finanzvorstand<br />

Constanze Geiert, Justiziar<br />

Staatssekretär a. D. Albin Nees, Dr. med. Eleonore Lossen-Geisler,<br />

PD Dr. med. Thomas Erler, Birgit Pätzmann-Sietas im Namen des<br />

Länderbeirates<br />

Prof. Dr. med. Gerhard Jorch, Prof. Dr. med. Christian F. Poets, Prof.<br />

Dr. med. Karl Bentele, Prof. Dr. med. Harald Schachinger, Prof. Dr.<br />

med. Volker Hesse, PD Dr. med. Bernhard Schlüter, Dr. med. Gotthard<br />

von Czettritz, PD Dr. rer. nat. Sabine Scholle, Dr. med. Bernhard<br />

Hoch, Dipl.-Päd. Hermann-Josef Schwab, Dipl.-Psych. Peter<br />

Lindinger im Namen des Wissenschaftlichen Beirates<br />

Haike Korbl, Hermann-Josef Schwab im Namen des Beirates Selbsthilfegruppen<br />

Titelblatt: Bernd Hanke (BDG), Dresden. Foto (Dresden): E.Paditz,<br />

Foto (Babyschale der Urbevölkerung der Anadamanen/ Inselgruppe<br />

im Indischen Ozean): Katalog Nr. 18 111, Staatliche Ethnografische<br />

Sammlungen Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden; Entwicklung<br />

des Slogans zur Andamanen-Wiege: Thomas Pabst von der<br />

Thomas Pabst Kommunikationsberatung Heidelberg.<br />

Wir danken Frau Dr. Lydia Icke-Schwalbe/Museum für Völkerkunde<br />

Dresden, Herrn Dr. Klaus-Peter Kästner/Ethnografische Sammlung<br />

Sachsens, Herrn Dr. Jenzen/Museum für Völkerkunde der Staatlichen<br />

Kunstsammlungen Dresden, den Herren René Wagner und<br />

André Köhler/Karl-May-Museum Radebeul bei Dresden für die<br />

Bereitstellung von Originalobjekten und Bildvorlagen zum Beitrag<br />

Babywiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen. Hannelore<br />

Hausding-Herzfeld und Birgit Oppelt unterstützten freundlicherweise<br />

die Arbeiten am Manuskript. Katja Dähne vom Knüpfer-<br />

Verlag Dresden lieferte die reprofähigen Scans und Bildvorlagen.<br />

Das Manuskript von Frau Prof. Dr. med. Gisela Molz aus Zürich<br />

konnte dank der freundlichen organisatorischen Unterstützung von<br />

Jean-Claude Meier aus Zollikerberg/Schweiz in den <strong>Tagungsband</strong><br />

aufgenommen werden.<br />

Wir danken allen Inserenten dieses Bandes für Ihre Unterstützung.<br />

Satz, Druck und Gesamtherstellung:<br />

Druckerei & Verlag Christoph Hille, Dresden 2005<br />

ISBN 3-932858-86-7


Grußwort<br />

Sehr geehrte Damen und Herren,<br />

vor einem Jahr fand bei uns in Dresden<br />

die erste bundesweite Experten- und<br />

Fortbildungstagung „Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland“<br />

statt. Auf Grund der positiven<br />

Resonanz auf diese Tagung darf ich Sie<br />

nun zum zweiten Mal hier in der sächsischen<br />

Landeshauptstadt begrüßen. Es ist<br />

mir eine besondere Freude, wieder die<br />

Schirmherrschaft über diese Veranstaltung<br />

zu übernehmen.<br />

Der Plötzliche Säuglingstod ist in den<br />

Industrieländern leider immer noch die<br />

häufigste Todesursache bei <strong>Kinder</strong>n im<br />

ersten Lebensjahr. Im Jahre 1991 waren<br />

in Sachsen 21 Todesfälle zu beklagen, im<br />

Jahr 2003 noch zehn. Hinter diesen Zahlen<br />

stehen große Anstrengungen. Diese<br />

sind darauf gerichtet, jene Risiken zu<br />

vermindern, die zum Plötzlichem Säuglingstod<br />

führen können. Im Rahmen des<br />

Vereins „Schlafmedizin Sachsen e. V.“<br />

und der Arbeitsgruppe des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Soziales „Prävention<br />

des Plötzlichen Säuglingstodes“<br />

wurde in den vergangenen zehn Jahren<br />

eine erfolgreiche Arbeit geleistet. Um<br />

den Erfolg nachhaltig zu sichern, muss<br />

die dauerhafte Aufklärung weiterhin im<br />

Zentrum unserer Bemühungen stehen.<br />

Der Verlust eines Kindes durch Plötzlichen<br />

Säuglingstod ist ein schwerer Schicksalsschlag<br />

und führt möglicherweise bei<br />

vielen Betroffenen in stärkerem Maße zu<br />

psychischen und physischen Erkrankungen<br />

als bei anderen Todesursachen.<br />

Im Rahmen eines Fachgutachtens „Hilfe<br />

für betroffene Familien“ sollte das<br />

Augenmerk auf diese Thematik gelenkt<br />

werden. Ein Ziel war es, jenen, die als<br />

Helferinnen oder Helfer – sei es als Arzt,<br />

Rettungshelfer oder Hebamme – Kontakt<br />

mit Betroffenen haben, Hilfe anzubieten.<br />

Die Ergebnisse dieser Studie<br />

werden Ihnen während der Tagung präsentiert.<br />

Ich hoffe, diese Veranstaltung mit den<br />

zahlreichen interessanten Vorträgen und<br />

Workshops dient dazu, dass das Interesse<br />

an der Prävention des plötzlichen<br />

Säuglingstodes wachgehalten wird und<br />

damit zu einer bundesweit dauerhaften<br />

Aufklärungsarbeit führt.<br />

Ich wünsche Ihnen viel Erfolg bei Ihrer<br />

weiteren verantwortungsvollen Tätigkeit<br />

und für die Tagung ein gutes Gelingen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Orosz<br />

Grußwort<br />

Helma Orosz<br />

Sächs. Staatsministerin für Soziales<br />

5


SID-Prävention in der Schweiz<br />

M. Sutter<br />

Die SID-Prävention in der Schweiz<br />

nahm 1985 ihren Anfang. Der Autor<br />

erlebte einige Fälle von SID, vergeblicher<br />

Reanimationsversuche und hilflose<br />

Eltern und Ärzte. Dies motivierte ihn,<br />

1985 zu André Kahn nach Brüssel zu<br />

fahren und Ideen in die Schweiz zurückzubringen.<br />

1986 setzten sich ein Dutzend Pädiater<br />

(Vertreter der Universitätskinderkliniken<br />

und größeren <strong>Kinder</strong>kliniken<br />

zusammen, um das Thema SID zu diskutieren.<br />

Von SID sprach zu dieser Zeit in<br />

der Schweiz kaum jemand, geschweige<br />

denn von Prävention. In dieser ersten<br />

Sitzung wurden folgende Themen diskutiert:<br />

Untersuchung nach erfolgtem<br />

SID, Procedere bei Risikokindern, Elternselbsthilfeorganisation,SID-Merkblatt<br />

für die Schweizerische Gesellschaft<br />

für Pädiatrie.<br />

Die Zahlen des Bundesamtes für Statistik<br />

wurden zusammengetragen und man<br />

realisierte bald einmal, dass diese Zahlen<br />

mit Vorsicht interpretiert werden mussten,<br />

da auch die Definition von SID nicht<br />

einheitlich war und zudem ein guter Teil<br />

dieser SID-Diagnosen ohne Autopsie gestellt<br />

wurden, obschon ein SID als außergewöhnlicher<br />

Todesfall in der Schweiz<br />

von Gesetzes wegen von Untersuchungsrichter<br />

und Polizei und mittels Autopsie<br />

abgeklärt werden müsste.<br />

1988 fand eine Tagung statt, an der<br />

Pädiater, Pathologen und Eltern parallele<br />

und gemeinsame Sitzungen durchführten<br />

und einheitliches Vorgehen<br />

Sutter<br />

SID-Prävention in der Schweiz<br />

diskutierten. Im gleichen Jahr wurde<br />

die Elternselbsthilfeorganisation SIDS<br />

Schweiz gegründet. 1989 trat man auch<br />

an die Öffentlichkeit über Presse und Radiosendungen.<br />

Es wurde auch ein vielbeachteter<br />

Dokumentarfilm gedreht.<br />

Am 20. Mai 1992 erfolgte der erste<br />

große Schritt bezüglich Prävention mit<br />

einem Artikel in der Schweiz. Ärztezeitung,<br />

in welchem vor der Bauchlage gewarnt<br />

wurde (Lit. 1). Dieses Statement<br />

erfolgte auf Grund einer Consensus-Sitzung<br />

der SID Kommission der SGP.<br />

1992 und 1993 führte das Institut für<br />

Sozial- und Präventivmedizin der Universität<br />

Genf eine Umfrage betreffend<br />

Risikofaktoren durch und prognostizierte<br />

einen Rückgang der SID-Frequenz in<br />

der Schweiz um 50 bis 70 %, wenn die<br />

Präventivpunkte Schlafposition, Tabak<br />

und Stillen propagiert würden. Damals<br />

schliefen noch 40 % der <strong>Kinder</strong> in der<br />

Bauchlage.<br />

1993 publizierte der Autor einen Übersichtsartikel<br />

zum Thema SID in der Paediatica,<br />

der Fachzeitschrift der Schweiz.<br />

Gesellschaft für Pädiatrie: Schwerpunkte<br />

waren Risikofaktoren und Prävention<br />

von SID (Lit. 2). Es entstanden lebhafte<br />

Diskussionen zwischen den Mitgliedern<br />

der SID-Kommission und Gegnern der<br />

Rückenlage, die aus verschiedenen Lagern<br />

kamen (Krankenschwestern, Hebammen,<br />

Mütter- und Väterberatungsschwestern,<br />

aber auch Kolleginnen und<br />

Kollegen).<br />

7


8<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

1993 bis 1995 wurde im Rahmen einer<br />

Dissertation eine Fall-Kontroll-Studie<br />

durchgeführt, die im wesentlichen<br />

die Resultate anderer Länder bestätigte<br />

(Lit. 3).<br />

1996 Gründung des sogenannten Elternpiketts<br />

im Raume Zürich/Winterthur<br />

und Bern. Betroffene Eltern wurden<br />

intensiv vorbereitet, um in der akuten<br />

Situation eines SID den neu betroffenen<br />

Eltern beizustehen und sie ein Stück ihres<br />

Weges zu begleiten. Der Elternpikett<br />

ist leider im Raume Bern nie realisiert<br />

worden, funktionierte jedoch im Raume<br />

Zürich/Winterthur eine Zeitlang, bis<br />

mangels genügender Teilnahme betroffener<br />

Eltern das Projekt eingestellt werden<br />

musste.<br />

1997 erfolgte eine große Plakataktion,<br />

die sich an Pädiater, Geburtshelfer,<br />

Geburtskliniken, Allgemein-Mediziner,<br />

Mütter- und Väterberatungsstellen etc.<br />

richtete. Es wurden Tausende von Plakaten<br />

mit den bekannten Präventionsmaßnahmen<br />

an diese Praxen und Spitäler<br />

versandt.<br />

Die Aktion wurde finanziell vom Bundesamt<br />

für <strong>Gesundheit</strong> und von der<br />

Schweiz. Stiftung für <strong>Gesundheit</strong>sförderung<br />

unterstützt. 1998 entwarfen der Autor<br />

und die Elternselbsthilfeorganisation<br />

SIDS-Schweiz eine Broschüre, die allen<br />

Wöchnerinnen abgegeben wurde, die<br />

großen Anklang fand und sehr beachtet<br />

wurde. Diese Aktion wurde auch über<br />

die Schweiz. Ärztezeitung allen Kolleginnen<br />

und Kollegen in Erinnerung gerufen<br />

(Lit. 4). Diese Broschüren wurden über<br />

mehrere Jahre an jede Wöchnerin abgegeben<br />

und schließlich in gekürzter Form<br />

ins <strong>Gesundheit</strong>sheft, das jedes Kind ab<br />

Geburt begleitet, integriert.<br />

Die Broschüren werden zur Zeit nur<br />

noch auf Wunsch von Spitälern oder an<br />

Einzelpersonen abgegeben. Dies unter<br />

anderem auch aus finanziellen Gründen,<br />

da Druck und Verteilung der Broschüren<br />

die finanziellen Möglichkeiten der bestehenden<br />

Organisationen überfordern.<br />

• 1999 erarbeitete eine Arbeitsgruppe<br />

der <strong>Kinder</strong>klinik Bern ein Consensuspapier<br />

betreffend Vorgehen bei SID<br />

und ALTE.<br />

• 2000/2001: mehrere Fernsehauftritte<br />

des Autors und betroffener Eltern in<br />

Sendungen mit hohen Einschaltquoten<br />

(<strong>Gesundheit</strong>ssprechstunde, Quer).<br />

• 2004: Ausarbeitung eines Consensuspapiers<br />

betreffend SID und ALTE, das<br />

gesamt-schweizerisch gestreut werden<br />

soll (vorgesehen für 2005).<br />

Insgesamt kann gesagt werden, dass die<br />

Bemühungen der letzten 18 Jahre Früchte<br />

getragen haben: Die SID-Frequenz ist<br />

auf unter 0,3 % gefallen (siehe Tabelle);<br />

frisch betroffene Eltern finden rasch Zugang<br />

zu Selbsthilfegruppen; jede Pädiatrische<br />

Klinik hat klare Richtlinien zum<br />

Vorgehen zum SID und ALTE.


SID-Häufigkeit Schweiz<br />

Datum Knabe Mädchen Total Geburten SID-Inzidenz (‰)<br />

Literatur<br />

1989 55 45 100 81 180 1.23<br />

1990 58 41 99 83 939 1.18<br />

1991 48 40 88 86 200 1.02<br />

1992 49 35 84 86 910 0.97<br />

1993 51 31 82 83 762 0.98<br />

1994 42 18 60 82 980 0.72<br />

1995 35 19 54 82 201 0.66<br />

1996 27 10 37 83 007 0.45<br />

1997 27 13 40 80 584 0.5<br />

1998 19 11 30 78 949 0.38<br />

1999 23 14 37 78 408 0.47<br />

2000 11 13 25 78 458 0.32<br />

2001 13 8 21 73 509 0.29<br />

1 Schweiz. Ärztezeitung, Heft 2/1992;<br />

20. Mai 1992<br />

2 Paediatrica, Vol 4, No. 3, 1993, p18<br />

3 M. Mosimann, Inauguraldissertation der medizinischen<br />

Fakultät der Universität Bern<br />

4 Schweiz. Ärztezeitung, Heft 24/1997;<br />

11. Juni 97<br />

Autor<br />

Dr. med. Martin Sutter<br />

Kreuzgasse 17, 3076 Worb, Schweiz<br />

Sutter<br />

SID-Prävention in der Schweiz<br />

9


Zusammenfassung<br />

In Deutschland sind zwischen 1980<br />

bis 2002 18 652 Babies am plötzlichen<br />

Säuglingstod gestorben. Im Jahre 2002<br />

waren es 367 Fälle, im Vergleich dazu<br />

verstarben 287 <strong>Kinder</strong> bis zum 15. Lebensjahr<br />

an Krebserkrankungen (19<br />

im ersten Lebensjahr) sowie 111 infolge<br />

von tödlichen Schul- und Wegeunfällen.<br />

Der plötzliche Säuglingstod<br />

ist damit weiterhin die häufigste<br />

Todesursache im Kindesalter jenseits<br />

der Neugeborenenperiode. Die Häufigkeit<br />

des plötzlichen Säuglingstodes<br />

ist in Deutschland seit 1991 um 67 %<br />

von 1,55/1 000 Lebendgeburten auf<br />

0,51/1 000 zurückgegangen. Etwa 6 300<br />

<strong>Kinder</strong> verdanken ihr Leben den seit<br />

1991 in Deutschland anlaufenden Präventionskampagnen<br />

(483 Babies pro<br />

Jahr bzw. neun Babies pro Woche bzw.<br />

37 Babies pro Monat). Ausgehend von<br />

der niederländischen Häufigkeitsziffer<br />

für das Jahr 2002 von 0,11/1 000 und<br />

den im Regierungsbezirk Dresden in<br />

mehreren Jahrgängen erreichten Ziffern<br />

um 0,08/1 000 erscheint es als realistisch,<br />

dass die Häufigkeit des plötzlichen<br />

Säuglingstodes in Deutschland<br />

um weitere 288 bis 309 Todesfälle<br />

vermindert werden kann. Das aktuelle<br />

Ziel sollte deshalb sein, ca. 300 Babies<br />

pro Jahr bzw. 23 Babies pro Woche<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in<br />

Deutschland<br />

Paditz E<br />

Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der<br />

Technischen Universität Dresden<br />

vor dem plötzlichen Säuglingstod zu<br />

bewahren.<br />

Bereits bei der SID-Definition wird<br />

deutlich, dass weitere systematische<br />

Anstrengungen erforderlich sind, um<br />

Notärzte, betroffene Eltern, Polizisten,<br />

Staatsanwälte und Politiker in aktuelle<br />

Diskussionen, Schulungen, Leitlinien<br />

und Dienstanweisungen einzubeziehen,<br />

um die Obduktionsrate wesentlich<br />

zu erhöhen. Die Vermittlung des<br />

vorhandenen Kenntnisstandes an heterogene<br />

und sich ständig neu regenerierende<br />

Zielgruppen bleibt eine<br />

weitere kurz-, mittel- und langfristige<br />

Aufgabe. Die zielgruppenspezifische<br />

Ansprache und Motivation ist wesentlich<br />

zu verbessern, um wirklich möglichst<br />

viele Menschen zu erreichen.<br />

Definition SID<br />

Der plötzliche Säuglingstod (SID, sudden<br />

infant death) tritt plötzlich und unerwartet<br />

aus scheinbarer <strong>Gesundheit</strong> heraus<br />

meistens während der Schlafenszeit<br />

in der Nacht oder am Tage auf. Individual-<br />

und familienanamnestisch, hinsichtlich<br />

körperlicher Symptome, der Analyse<br />

der Schlafumgebung und der aktuellen<br />

Auffindesituation sowie postmortal erhobener<br />

Befunde (postmortales MRT, CT<br />

und Röntgen, Autopsie, toxikologische,<br />

infektiologische, metabolische, histolo-<br />

11


12<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

gische, elektronenmikroskopische und<br />

ggf. auch molekularbiologische Untersuchungen,<br />

erweiterte nochmalige Analyse<br />

der Guthriekärtchen des Neugeborenenscreenings)<br />

lassen sich nach dem derzeitigen<br />

Kenntnisstand keine zum Tode<br />

führenden Krankheitsursachen oder äußeren<br />

Umstände finden. Insofern ist der<br />

plötzliche Säuglingstod eine Ausschlussdiagnose<br />

und eine Todesart. Da die Todesursache<br />

nicht bekannt ist, ist auf dem<br />

Totenschein „ungeklärte Todesursache“<br />

anzugeben. Das Phänomen ist nicht auf<br />

das erste Lebensjahr begrenzt, auch innerhalb<br />

der Neugeborenenperiode sind<br />

einzelne plötzliche Säuglingstodesfälle<br />

beobachtet worden und etwa zwei bis<br />

sechs Prozent der plötzlichen Kindstodesfälle<br />

ereignen sich im zweiten Lebensjahr<br />

(Bajanowski und Poets 2004). Die<br />

Verschlüsslung erfolgt unter der Diagnose<br />

Nr. „R95“ (plötzlicher Säuglingstod),<br />

in der Bundesstatistik sind die erforderlichen<br />

Häufigkeitsangaben zum Teil<br />

aber nur unter dem Begriff „plötzlicher<br />

Kindstod“ zu finden (www.gbe-bund.<br />

de). Die Autopsie gehört zur Definition<br />

des SID, d. h. anamnestisch und klinisch<br />

kann immer nur der Verdacht auf einen<br />

plötzlichen Säuglingstod oder jenseits<br />

des ersten Lebensjahres auf einen plötzlichen<br />

Kindstod als Ausschlussdiagnose<br />

geäußert werden, da ohne Autopsie<br />

(oder postmortales MRT bzw. CT und<br />

Skelettröntgen) z. B. mehrzeitige Frakturen,<br />

eine Hirnblutung, eine perakut<br />

verlaufende Infektion oder ein Invaginationsileus<br />

nicht ausgeschlossen werden<br />

können (Tab.1).<br />

Tab. 1 Differenzialdiagnosen des plötzlichen Säuglingstodes (vgl. Bajanowski und<br />

Poets 2004)<br />

Natürlicher Tod Nichtnatürlicher Tod<br />

1. Infektionen (Pneumonien, Meningoenzephalitis,<br />

Gastroenteritis, Myokarditis, Sepsis)<br />

2. Stoffwechselstörungen (Fettsäureoxidationsdefekte,<br />

Pyruvatdehydrogenasemangel, Biotinidase-Mangel,<br />

Hyperinsulinismus, Thiaminstoffwechselstörungen)<br />

3. Fehlbildungen (Gefäßmalformationen, Herzfehler,<br />

Kardiomyopathien, Endokardfibroelastose)<br />

Ersticken (unter weicher Bettdecke, durch Verschluss<br />

der Atemöffnungen, durch Thoraxkompression,<br />

durch Aspiration von Mageninhalt)<br />

Schütteltrauma<br />

Intoxikation<br />

4. Pierre-Robin-Sequenz Verdeckte Formen der stumpfen Gewalteinwirkung<br />

(z. B. stumpfes Bauchtrauma)<br />

5. Rye-Syndrom „Münchhausensyndrom by proxy“ mit tödlichem<br />

Ausgang (by proxy = Stellvertreter; d. h.<br />

eine Bezugsperson fügt einem Kind Schäden zu,<br />

um eine Krankheit des Kindes vorzutäuschen)<br />

6. Hyperthermie aus innerer Ursache Vernachlässigung<br />

7. Bronchopulmonale Dysplasie Hyperthermie aus äußerer Ursache


Da die SID-Autopsierate in Deutschland<br />

zur Zeit nur bei etwa 50 % liegt<br />

(Bajanowski und Poets 2004) und z. B.<br />

auch in Sachsen nur maximal 9/10 SID-<br />

Fällen obduziert wurden (siehe Abb. 2<br />

in Lange 2002) können die offiziellen<br />

Statistiken nur bei gleichzeitiger Betrachtung<br />

des Verlaufs der Säuglingssterblichkeit<br />

im ersten Lebensjahr sowie – falls<br />

verfügbar – der Säuglingssterblichkeit<br />

zwischen dem zweiten bis sechsten bzw.<br />

zwölften Lebensmonat – hinreichend zur<br />

Einschätzung des Verlaufes der SID-Häufigkeit<br />

herangezogen werden. Aus der<br />

Zusammenschau aller anamnestischen,<br />

klinischen und autoptischen Befunde<br />

lässt sich in 60 bis 70 % der Fälle die Diagnose<br />

„plötzlicher Säuglingstod“ (SID,<br />

R 95) ableiten. In zehn bis 20 % der Fälle<br />

finden sich hinreichend erklärbare Ursachen<br />

(siehe Tabelle 1). Weitere 20 bis<br />

30 % der Fälle lassen sich nur teilweise<br />

erklären und werden aus pädiatrischer<br />

Sicht nach dem derzeitigen Kenntnisstand<br />

ebenfalls als SID klassifiziert (Bentele<br />

2004).<br />

Bei der Beratung betroffener Eltern<br />

sollte immer wieder darauf hingewiesen<br />

werden, dass Hinterbliebene, denen<br />

eine Autopsie nicht angeboten wurde<br />

oder die eine Autopsie verweigerten,<br />

später bedauern, dass die Autopsie nicht<br />

durchgeführt wurde. Das Argument der<br />

Unversehrtheit des Körpers des verstorbenen<br />

Kindes erscheint zunächst nachvollziehbar.<br />

Andererseits sollte den Eltern<br />

aber auch zu bedenken gegeben<br />

werden, dass das Kausalitätsbedürfnis<br />

und Schuldgefühle als langfristig wirkende<br />

destruktive Kräfte und nur durch die<br />

Obduktion außer Kraft gesetzt werden<br />

können. Das potenzielle Chaos von ei-<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

genen Vermutungen und Befürchtungen<br />

sowie von fremden Gerüchten oder<br />

Schuldzuweisungen kann nur durch die<br />

kompetente ärztliche Übermittlung des<br />

Autopsieergebnisses und weiterer postmortal<br />

erhobener Befunde geordnet und<br />

bereinigt werden.<br />

Ein Vater, dessen Kind plötzlich gestorben<br />

war, machte folgende wesentliche<br />

Ergänzungen:<br />

• Auch verstorbene <strong>Kinder</strong> haben<br />

das Recht, dass man sich um die Ursache<br />

ihres Todes kümmert, um anderen<br />

<strong>Kinder</strong>n und Familien dieses<br />

Schicksal möglicherweise zu ersparen,<br />

denn es passiert nichts ohne<br />

Ursache.<br />

• Die Autopie kann helfen, einem eigenen<br />

Kind (d. h. bereits lebenden<br />

Geschwistern oder nachfolgenden<br />

Geschwistern) oder anderen <strong>Kinder</strong>n.<br />

• Es sollte darauf aufmerksam gemacht<br />

werden, dass die Aufbahrung<br />

des verstorbenen Kindes auch<br />

nach der Obduktion nochmals zu<br />

Hause möglich ist. Dies kann mit<br />

den regional zuständigen Handlungsträgern<br />

besprochen werden<br />

und den Hinterbliebenen das Abschiednehmen<br />

wesentlich erleichtern.<br />

• Die Zustimmung zur Obduktion<br />

ist psychologisch die Zustimmung<br />

zum Tode des Kindes, den man<br />

noch nicht begreifen kann.<br />

• Seine Frau und er selbst würden<br />

heute einer Autopsie ihres Kindes<br />

zustimmen und bedauern, dass die<br />

Autopsie damals nicht erfolgt ist.<br />

13


14<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Notärzte, Polizisten und Staatsanwälte<br />

sollten ebenfalls eindringlich darauf aufmerksam<br />

gemacht werden, dass es einen<br />

Kunstfehler darstellt, zu behaupten, dies<br />

sei „ein typischer Fall von plötzlichem<br />

Säuglingstod“, ohne dass eine Autopsie<br />

erfolgt ist, da die in Tab. 1 aufgeführten<br />

Diagnosen ohne Autopsie nicht ausgeschlossen<br />

werden können. Die Autopsie<br />

gehört obligat und notwendigerweise zur<br />

Definition des SID und sollte deshalb in<br />

jedem Falle angeordnet werden. Ein Ermessensspielraum<br />

besteht per definitionem<br />

nicht. Ein routinierter Algorithmus<br />

schützt betroffene Eltern damit auch vor<br />

einer Stigmatisierung, wann eine Autopsie<br />

angeordnet wird oder nicht.<br />

Die Entwicklung des postmortalen<br />

MRT und CT in Verbindung mit postmortalen<br />

Skelettröntgenaufnahmen auf<br />

dem Wege zu gezielten postmortalen<br />

Biopsien könnte in Zukunft möglicherweise<br />

eine gangbare Alternative zum<br />

bisherigen Goldstandard der Autopsie<br />

darstellen. Die Beurteilung der Auffindesituation<br />

und der Schlafumgebung sollte<br />

systematischer als bisher in die Arbeit<br />

der Notärzte und der Polizei einbezogen<br />

werden. Hierzu werden zur Zeit entsprechende<br />

Protokollvorschläge erarbeitet.<br />

Häufigkeit<br />

In Deutschland sind zwischen 1990<br />

bis 2002 10,3 Millionen <strong>Kinder</strong> lebend<br />

geboren worden (genau: 10 262 767 Lebendgeburten),<br />

davon sind 9 610 Babies<br />

plötzlich und unerwartet gestorben.<br />

1980 bis 2002 wurden 18 652 plötzliche<br />

Kindstodesfälle im ersten Lebensjahr<br />

registriert. Das Häufigkeitsmaximum<br />

lag im Jahr 1991 auf dem Höhepunkt<br />

der „Bauchlage-Epidemie“ (!) mit 1 285<br />

plötzlichen Säuglingstodesfällen. Dies<br />

entsprach für 1991 mit 830 019 Lebendgeburten<br />

1,55 plötzlichen Säuglingstodesfällen<br />

pro 1 000 Lebendgeburten. Im<br />

Jahre 2002 sind 367 Babies am plötzlichen<br />

Säuglingstod gestorben, bei 719 250<br />

Lebendgeburten einer Häufigkeit von<br />

0,51 Fällen pro 1 000 Lebendgeburten<br />

entsprechend (Abb. 1).<br />

Der plötzliche Säuglingstod stellt in<br />

Deutschland auch im Jahre 2002 weiterhin<br />

die häufigste Todesart jenseits<br />

der Neugeborenenperiode dar (Tab. 2).<br />

plötzlicher Säuglingstod 367<br />

Krebs (<strong>Kinder</strong> unter 15 Jahre) 287*<br />

tödliche Schul- und Wegeunfälle 111**<br />

* davon 19 Todesfälle im ersten Lebensjahr infolge<br />

von Krebserkrankungen<br />

** <strong>Kinder</strong>, Schüler und Studenten; davon 14 tödliche<br />

Schulunfälle und 97 tödliche Wegeunfälle<br />

Tab. 2 Anzahl von Todesfällen im Kindesalter in<br />

Deutschland im Jahre 2002 (Quelle: www.gbebund.de,<br />

Stand vom 2. Januar 2005)<br />

Die weltweit niedrigste SID-Häufigkeit<br />

wurde 2002 wiederum in den Niederlanden<br />

mit 0,11/1 000 Lebendgeburten<br />

registriert (www.wiegendood.nl).<br />

Abnahme der SID-Häufigkeit in<br />

Deutschland zwischen 1991 bis<br />

2002 um 67 %<br />

Die Verminderung der SID-Häufigkeit<br />

zwischen 1991 (dem Häufigkeitsmaximum<br />

in Deutschland, s. Abb. 1) und 2002<br />

von 1.285 auf 367 Fälle pro Jahr bzw. von


Anzahl von plötzlichen Kindstodesfällen in Deutschland zwischen<br />

1 400<br />

1 285<br />

1 283<br />

1 200<br />

1 140<br />

1 094<br />

1 054<br />

1 021<br />

1 000<br />

924<br />

929<br />

870<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

810<br />

807<br />

751<br />

800<br />

692<br />

747<br />

751<br />

774<br />

671<br />

662<br />

602<br />

600<br />

507<br />

482<br />

429<br />

400<br />

367<br />

200<br />

0<br />

1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002<br />

Abb. 1 Anzahl von plötzlichen Säuglingstodesfällen in Deutschland zwischen 1980 bis 2002 (Quelle: www.gbe-bund.de, Stand vom 2. Januar 2005)<br />

15


16<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

1,55 auf 0,51 pro 1 000 Lebendgeburten<br />

entspricht einer Häufigkeitsabnahme<br />

von 67 % innerhalb von 12 Jahren. Hätte<br />

diese Häufigkeitsabnahme nicht stattgefunden,<br />

wären zwischen 1990-2002<br />

nicht weniger als 15 888 Babies plötzlich<br />

gestorben, real sind aber 9 610 Säuglinge<br />

plötzlich tot aufgefunden worden.<br />

Demnach verdanken 6 278 Babies (483<br />

Babies pro Jahr bzw. neun Babies pro<br />

Woche bzw. 37 Babies pro Monat) ihr<br />

Leben den seit 1991 in Deutschland anlaufenden<br />

Präventionskampagnen.<br />

Diese Häufigkeitsabnahme kann direkt<br />

mit Präventionsmaßnahmen (Informationskampagnen<br />

insbesondere zur<br />

Vermeidung der Bauchlage als Schlafposition<br />

für Säuglinge) in Verbindung gebracht<br />

werden, da auch aus Deutschland<br />

drei Studien vorliegen, die diese Interventionseffekte<br />

belegen:<br />

1. In der DDR führte das staatliche Verbot<br />

der Bauchlage als Schlafposition<br />

für Säuglinge im Jahre 1972 zu einer<br />

Abnahme plötzlicher Todesfälle im<br />

Säuglingsalter um 56 % innerhalb von<br />

fünf Jahren durch eine konsequent<br />

durchgesetzte ministerielle Anordnung<br />

(1972–1976)(Schwab 2004). Bei<br />

der Durchsetzung dieser Anordnung<br />

spielten offenbar drei Faktoren eine<br />

wesentliche Rolle:<br />

• die ministerielle Richtlinie wurde auf<br />

dem Dienstweg „von oben nach unten“,<br />

d. h. vom Ministerium über die<br />

untergeordneten Verwaltungsstrukturen<br />

(Bezirk, Kreis, Stadt) bis hin zu<br />

jeder einzelnen <strong>Kinder</strong>einrichtung<br />

(<strong>Kinder</strong>krippe) innerhalb weniger<br />

Tage bzw. Wochen im Sinne einer<br />

verbindlichen Leitlinie vermittelt,<br />

bei der jede einzelne Krippenerzieherin<br />

im Rahmen einer Teambesprechung<br />

(Fortbildung, meist parallel<br />

zu einer Arbeitsschutzbesprechung)<br />

persönlich unterschreiben musste,<br />

dass sie von dieser Richtlinie Kenntnis<br />

genommen hatte. Verstöße gegen<br />

diese Pflegerichtlinie wurden<br />

mit arbeitsrechtlichen bzw. disziplinarischen<br />

Maßnahmen geahndet<br />

(Schwab 2004), d. h. es erfolgte eine<br />

konsequente Qualitätskontrolle der<br />

Pflege;<br />

• das Thema wurde auch in der öffentlichen<br />

Diskussion thematisiert, indem<br />

weit verbreitete gesundheitserzieherische<br />

populärwissenschaftliche Zeitschriften<br />

über die Schlafposition von<br />

Säuglingen informierten („Humanitas“,<br />

„Deine <strong>Gesundheit</strong>“);<br />

• auf regionaler Ebene (Kreis bzw.<br />

Stadtkreis bei größeren Städten)<br />

arbeiteten Säuglingssterblichkeits-<br />

Kommissionen, in denen jeder Säuglingssterbefall<br />

von einer interdisziplinär<br />

besetzten Gruppe ausgewertet<br />

wurde. Der Kreisarzt sammelte und<br />

sichtete alle zugehörigen Unterlagen<br />

und lud die beteiligten Handlungsträger<br />

(Notärzte, Klinikärzte bzw.<br />

Klinikdirektoren) bei Bedarf monatlich<br />

zu einer Fallkonferenz ein. Mit<br />

dieser systematischen, kontinuierlichen<br />

und regionalisierten Schwachstellenanalyse<br />

konnten zeitnahe Rückinformationen<br />

gegeben werden.<br />

2. Die Westfälische Kindstodsstudie<br />

(Jorch 1991) in Nordrhein-Westfalen


führte auf Grund der öffentlichen Risikowarnung<br />

vor der Bauchlage als<br />

Schlafposition zwischen 1991 und 1992<br />

zu einem sofortigen überdurchschnittlichen<br />

Rückgang der SID-Häufigkeit<br />

in Deutschland von 1,55 auf 1,14 pro<br />

1 000 Lebendgeburten bzw. von 1 285<br />

auf 924 SID-Fällen (= Rückgang um<br />

26,4 % innerhalb von einem Jahr in<br />

Deutschland parallel zu öffentlichen<br />

Hinweisen über die Medien über das<br />

Risiko der Bauchlage als Schlafposition).<br />

Innerhalb von Nordrhein-Westfalen<br />

führte diese Studie von 1990 bis<br />

1992 zu einem Häufigkeitsrückgang<br />

um 40,5 %:<br />

NRW: 1990 489 Fälle = 2,45 pro 1 000<br />

Lebendgeburten<br />

1991 436 Fälle = 2,197/1 000<br />

(Nachweis der Bauchlage als<br />

Schlafposition als SID-Risikofaktor<br />

und sofortiger öffentlicher<br />

Risikohinweis)<br />

1992 287 Fälle = 1,458/1 000.<br />

(Quelle: www.gbe-bund.de, Stand vom 2. Januar<br />

2005)<br />

3. In Sachsen wurde die SID-Häufigkeit<br />

innerhalb von zehn Jahren zwischen<br />

1992–2002 um 70,0 % reduziert (Maximum<br />

1992 mit 0,83 Fällen pro 1 000<br />

Lebendgeburten, im Jahre 2002 noch<br />

0,25 pro 1 000 Lebendgeburten). Hier<br />

überlagert sich der Effekt der Westfälischen<br />

Kindstodsstudie mit dem ab<br />

1994 im Regierungsbezirk Dresden<br />

einsetzenden sächsischen Präventionsprogramm.<br />

Innerhalb einer Interventionsstudie<br />

mit zwei Kontrollgruppen<br />

konnte gezeigt werden, dass die<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Übergabe eines Informationsblattes<br />

in den Entbindungseinrichtungen im<br />

Regierungsbezirk Dresden zwischen<br />

1994–2001 zu einer Senkung der Häufigkeit<br />

des plötzlichen Kindstodes<br />

führte, während in den benachbarten<br />

Regierungsbezirken Leipzig und<br />

Chemnitz ohne derartige Intervention<br />

keine Häufigkeitsveränderungen erfolgten.<br />

Die Ausdehnung des Programmes<br />

auf alle drei Regierungsbezirke ab<br />

2002 ergab sofort eine Verminderung<br />

der SID-Häufigkeit in allen drei Regierungsbezirken<br />

Sachsens (Paditz 2003).<br />

Im Regierungsbezirk Dresden wurde<br />

das niederländische Häufigkeitsniveau<br />

von 0,11 in den Jahren 1997,<br />

1999, 2001 und 2002 mit Häufigkeitsziffern<br />

von 0,09/ 0,08/ 0,16 bzw. 0,16<br />

erreicht bzw. unterschritten.<br />

Demzufolge konnte die Häufigkeit<br />

des gefürchteten plötzlichen Kindstodes<br />

als häufigste Todesursache im Kindesalter<br />

jenseits der Neugeborenenperiode<br />

nur durch Informationsübergabe und<br />

damit durch gezielte Beeinflussung des<br />

Pflegeverhaltens von Eltern, Großeltern,<br />

Babysittern, <strong>Kinder</strong>krankenschwestern,<br />

Hebammen und von allen weiteren Personen,<br />

die Babies zum Schlafen legen, in<br />

Deutschland seit 1991 bis 2002 um 67 %<br />

vermindert werden (weitergehende<br />

Argumentation siehe: Bajanowski und<br />

Poets 2004).<br />

Diese Zahlen zeigen eindrucksvoll,<br />

dass die Häufigkeit dieser gefürchteten<br />

Todesart durch alleinige Informationsübermittlung<br />

erheblich vermindert werden<br />

kann – ohne Einsatz apparativer<br />

Medizin, ohne Operation, ohne Bestrah-<br />

17


18<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

lung und ohne Medikamente. Damit ist<br />

der Beweis angetreten worden, dass es<br />

sich lohnt, sich für gezielte Prävention zu<br />

engagieren.<br />

Entwicklung der SID-Häufigkeit in den Bundesländern zwischen 1990/1992 bis zu 2002<br />

(Differenz) 1990/1992 vs. 2002)<br />

1,04<br />

1,55<br />

0,51<br />

Deutschland<br />

0,31<br />

0,34<br />

–0,03<br />

Sachsen-Anhalt<br />

0,34<br />

0,69<br />

0,35<br />

Thüringen<br />

0,42<br />

0,67<br />

0,25<br />

Sachsen<br />

0,74<br />

1,3<br />

0,77<br />

1,33<br />

0,56 0,56<br />

Hessen<br />

Brandenburg<br />

0,91<br />

1,54<br />

0,63<br />

Saarland<br />

0,93<br />

1,37<br />

0,44<br />

0,93<br />

1,17<br />

0,24<br />

Bayern<br />

Mecklemburg-Vorpommern<br />

1,09<br />

1,34<br />

0,25<br />

Baden-Würtemberg<br />

In den einzelnen Bundesländern nahm<br />

die Häufigkeit des plötzlichen Säuglingstodes<br />

ausgehend von unterschiedlichen<br />

Ausgangshäufigkeiten in unterschiedli-<br />

chem Maße ab (Abb. 2).<br />

1,13<br />

1,61<br />

0,48<br />

Niedersachsen<br />

1,18<br />

1,06<br />

0,42<br />

Berlin<br />

1,41<br />

1,92<br />

0,51<br />

Hamburg<br />

1,63<br />

2,11<br />

0,48<br />

Schleswig-Holstein<br />

1,65<br />

2,45<br />

0,8<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

1,67<br />

2,36<br />

0,69<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Abb. 2 Häufigkeit des plötzlichen Säuglingstodes in den einzelnen Bundesländern Deutschlands in den<br />

Differenz der SID-Häufigkeit<br />

max. SID-Häufigkeit<br />

SID-Häufigkeit 2002<br />

Jahrgängen 1990/1992 (max.) 1990–1992 vs. 2002 (Mitte) im 1990, Vergleich 1991 bzw. 1992 zu den Jahrgängen 2000–2002 (unten). (Für diesen Vergleich<br />

wurden jeweils drei Jahrgänge pro Bundesland summarisch miteinander verglichen, um im Falle kleiner<br />

Bundesländer eine annähernd ausreichend hohe Anzahl von Lebendgeburten für den Vergleich der SID-<br />

Raten pro 1 000 Lebendgeburten zu erhalten.) Oben: Veränderung der SID-Häufigkeit pro Bundesland<br />

(= Differenz 1990/1992 vs. 2000/2002). SID-Häufigkeit in Fällen pro 1 000 Lebendgeburten.<br />

Tragischer Traditionsbruch<br />

Die „Bauchlagekatastrophe“ mit ihrem<br />

Häufigkeitsmaximum im Jahre 1991<br />

wird als „ärztlich verursachte Tragödie“<br />

betrachtet („Suffocated Prone: The Iatrogenic<br />

Tragedy of SIDS“ 2000), da mit der<br />

Empfehlung der Bauchlage als Schlafposition<br />

für Säuglinge beginnend ab 1965–<br />

1969 auch in Deutschland ein tragischer<br />

1,82<br />

2,18<br />

0,36<br />

Bremen<br />

Traditionsbruch (Paditz 2003) vollzogen<br />

wurde. Kulturhistorische Untersuchungen<br />

zum Pflegeverhalten in vergangenen<br />

Jahrhunderten zeigen inzwischen, dass<br />

es in den vergangenen Jahrhunderten<br />

üblich war, Babies in Rückenlage und in<br />

einer eigenen Schlafstatt (z. B. einer Wiege)<br />

zum Schlafen zu legen (Abb. 3).


„Es ist nämlich die Art und Weise, wie<br />

ein gesunder Säugling schläft. Der gesunde<br />

Säugling liegt während des Schlafes immer<br />

und immer auf dem Rücken.“<br />

Hochsinger: <strong>Gesundheit</strong>spflege des Kindes im<br />

Elternhaus. Deutike-Verlag, Leipzig 1917, p. 14<br />

„Typisch für den jungen Säugling ist<br />

seine Schlafhaltung, bei welcher er auf dem<br />

Rücken liegt und die Arme in den Ellenbogen<br />

gebeugt, seitlich vom Oberkörper<br />

gehalten werden.“<br />

Optiz H, Schmidt F (Hrsg): Handbuch der<br />

<strong>Kinder</strong>heilkunde. Springer-Verlag, Heidelberg<br />

1966, p. 347<br />

Abb. 3 Typische Zitate aus Lehrbüchern zur Schlafposition<br />

von Säuglingen aus den Jahren 1917 und<br />

1966 vor Beginn der „Bauchlage-Katastrophe“<br />

Auf diese Weise konnten die beiden<br />

Risikofaktoren Bauchlage und Seitenlage<br />

sowie Cosleeping/Bed-Sharing/Familienbett<br />

vermieden werden. In Deutschland<br />

und in den Niederlanden ist die Bauchlage<br />

als einer der wesentlichen SID-Risikofaktoren<br />

lange bekannt:<br />

• Die Arbeitsgruppe Morbidität und<br />

Mortalität im Kindesalter der Gesellschaft<br />

für Pädiatrie der DDR sprach<br />

sich bereits am 27. Januar 1972 in ihrer<br />

Arbeitstagung in Dresden gemeinsam<br />

mit dem Ministerium für <strong>Gesundheit</strong>swesen<br />

der DDR gegen die Empfehlung<br />

der Bauchlage als Schlafposition aus,<br />

da für die zum damaligen Zeitpunkt<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

gängige Umorientierung im Pflegeverhalten<br />

keine wissenschaftlichen Belege<br />

vorlagen. Sieben plötzliche Kindstodesfälle<br />

in Bauchlage unterstützen<br />

diese Position. Daraufhin wurde am<br />

8. Juni 1972 eine entsprechende ministerielle<br />

Richtlinie veröffentlicht, die<br />

bereits vorab am 11. März 1972 und<br />

im April 1972 in den Zeitschriften<br />

„Humanitas“ bzw. „Deine <strong>Gesundheit</strong>“<br />

abgedruckt wurde (Schwab 2004,<br />

Mecklinger 1972).<br />

• In den Niederlanden machte Prof. de<br />

Jonge 1987 auf das Risiko der Bauchlage<br />

aufmerksam.<br />

• 1991 ist die Bauchlage auch in Deutschland<br />

durch die Westfälische Kindstodsstudie<br />

als SID-Risikofaktor wissenschaftlich<br />

gesichert worden (G. Jorch<br />

1991). Zu diesem Zeitpunkt lagen bereits<br />

zahlreiche weitere Studien vor,<br />

die die Bauchlage als SID-Risiko herausstellten;<br />

Beal und Finch aus Australien<br />

publizierten schon 1991 eine<br />

Metaanalyse über 19 Fall-Kontroll-Studien<br />

zu diesem Thema (OR 2,72; 95 %-<br />

Konfidenzintervall 2,27–3,26)(Beal<br />

&Finch 1991).<br />

• Den aktuellen Kriterien der Evidence<br />

Based Medicine wurde mit der deutschen<br />

BMBF-Studie genügt, in der 333<br />

SID-Fälle mit 998 Kontrollen verglichen<br />

wurden. In dieser Studie wurde<br />

die Bauchlage als gravierender SID-<br />

Risikofaktor bestätigt. Demnach wird<br />

das Risiko, am plötzlichen Säuglingstod<br />

zu versterben, durch die Bauchlage<br />

um das 8–16fache erhöht. Schlafen im<br />

Bett mit einem Erwachsenen erhöhte<br />

das Risiko, am plötzlichen Säuglingstod<br />

zu versterben, um das 2,4fache<br />

(Bajanowski und Poets 2004).<br />

19


20<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Unser Ziel: 300 Babies pro Jahr<br />

(= 23 Babies pro Woche)<br />

mehr als bisher sollen am Leben<br />

bleiben!<br />

Das derzeitige SID-Häufigkeitsniveau<br />

in Deutschland von 0,51/1 000 hält dem<br />

derzeitigen internationalen Vergleich<br />

noch nicht Stand. Das erklärte Ziel ist es,<br />

das niederländische Häufigkeitsniveau<br />

von 0,11/1 000 auch für Deutschland zu<br />

erreichen oder zu unterschreiten, z. B. auf<br />

den im Regierungsbezirk Dresden zeitweilig<br />

erreichten Wert von 0,08/1 000.<br />

Dieses Ziel ist realistisch, da in Sachsen<br />

mit der Einrichtung des bundesweit<br />

ersten proaktiven Raucherberatungstelefones<br />

(in diesem Falle für rauchende<br />

Schwangere und Mütter) nachgewiesen<br />

werden konnte, dass auch der SID-Risikofaktor<br />

Tabakrauchexposition in ca.<br />

60 % der Fälle innerhalb von 14 Tagen<br />

wesentlich beeinflusst werden kann (ca.<br />

40 % Rauchstopp, ca. 20 % deutliche Reduktion<br />

des Zigarettenkonsums). Diese<br />

Option geht über die niederländische<br />

Kampagne hinaus, so dass es realistisch<br />

ist, dass die niederländischen Zahlen<br />

auch in Deutschland nicht nur erreicht,<br />

sondern möglicherweise auch unterschritten<br />

werden können.<br />

367 Fälle im Jahre 2002 entsprechen<br />

0,5102/1 000 Lebendgeburten. 0,11/1 000<br />

würden 79 Fällen entsprechen, d. h. 288<br />

Babies weniger als bisher würden am<br />

plötzlichen Säuglingstod sterben, wenn<br />

wir 2002 schon die niederländischen<br />

Zahlen erreicht hätten. Die Minimalwerte<br />

aus dem Regierungsbezirk Dresden<br />

von 0,08/1 000 Lebendgeburten würden<br />

58 Fälle bedeuten, d. h. 309 Fälle weniger.<br />

Demnach ist es realistisch, davon auszugehen,<br />

das von 367 SID-Fällen im Jahre<br />

2002 durchaus 300 Babies pro Jahr (= 23<br />

Babies pro Woche!) vor dem plötzlichen<br />

Kindstod bewahrt werden können, wenn<br />

wir es schaffen, die Informationskampagne<br />

professionell in ganz Deutschland zu<br />

verbreiten.<br />

Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes<br />

als zielgruppenorientierte<br />

Informationskampagne<br />

Aus dem derzeitigen Kenntnisstand<br />

ergibt sich, dass sich die Häufigkeit des<br />

plötzlichen Säuglingstodes allein durch<br />

Beeinflussung des Pflegeverhaltens um<br />

80 bis 90 % vermindern lässt. Die zu<br />

übermittelnden Informationen ergeben<br />

sich aus den umfangreich vorliegenden<br />

Fall-Kontroll- und Interventionsstudien<br />

zum plötzlichen Säuglingstod, in denen<br />

herausgearbeitet werden konnte, wie ein<br />

Baby sicher schläft:<br />

Ihr Baby schläft am sichersten<br />

• in Rückenlage<br />

• im Schlafsack ohne zusätzliche Bett-<br />

decke<br />

• auf einer festen und relativ wenig<br />

eindrückbaren Matratze<br />

• ohne Fellunterlage, ohne Kopfkissen<br />

und ohne Nestchen<br />

• ohne Kuscheltier, das die Atemwege<br />

verschließen könnte oder kleine<br />

Teile hat, die Ihr Baby verschlucken<br />

oder in die Atemwege bekommen<br />

könnte


• im Schlafzimmer der Eltern<br />

• im eigenen Bettchen<br />

• bei einer Zimmertemperatur um<br />

18 Grad<br />

• ohne Kopfbedeckung<br />

• in einer rauchfreien Umgebung<br />

vor und nach der Geburt<br />

• Stillen und Impfungen vermindern<br />

die Risiken für Ihr Baby. (vgl. Bajanowski<br />

und Poets 2004 sowie <strong>Tagungsband</strong><br />

2004: www.babyschlaf.<br />

de; „Weiterbildung“)<br />

Die aktuelle Herausforderung besteht<br />

mit unveränderter Intensität in der Aufgabe,<br />

diese Informationen an nahezu alle<br />

Personen relevanter Zielgruppen heranzubringen<br />

und diese Personen nachhaltig<br />

zu motivieren, diese Informationen<br />

weiterzugeben bzw. aktiv in ihr eigenes<br />

Verhalten einzubeziehen. Die Beschäftigung<br />

mit dem Thema SID-Prävention<br />

lässt immer deutlicher werden, dass das<br />

Präventionsprojekt nur dann durchgreifend<br />

erfolgreich sein wird, wenn es gelingt,<br />

sehr differenzierte zielgruppenspezifische<br />

Kommunikationsstrategien zu<br />

entwickeln. Folgende Zielgruppen sind<br />

von besonderer Bedeutung (Tab. 2):<br />

Tab. 2 SID-Prävention als ziel-<br />

gruppenspezifische Informationskampagne.<br />

Zielgruppen<br />

1. Schwangere, deren Partner, Eltern<br />

von Säuglingen<br />

2. Babysitter, Tagesmütter, Großeltern,<br />

Geschwister, Erzieherinnen<br />

3. Hebammen, <strong>Kinder</strong>krankenschwestern,<strong>Kinder</strong>krankenpfleger,<br />

Schwestern, Pfleger, Stillberaterinnen/Laktationsberaterinnen,<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten<br />

4. <strong>Kinder</strong>ärzte, Frauenärzte, Allgemeinmediziner/Hausärzte<br />

5. Journalisten und weitere Medienvertreter<br />

6. Politiker, Mitarbeiter von Krankenkassen,<br />

statistischen Landesämtern<br />

und ähnlichen Behörden<br />

7. Hersteller und Händler von Babybetten,<br />

Matratzen, Babyschlafsäcken<br />

etc.<br />

8. Notärzte, Kriseninterventionsdienste,<br />

Psychologen, Polizisten,<br />

Staatsanwälte, Rechtsmediziner,<br />

<strong>Kinder</strong>pathologen, Pathologen,<br />

<strong>Kinder</strong>radiologen, Radiologen,<br />

Molekulargenetiker, Epidemiologen<br />

9. Sponsoren (z. B. Lions-Clubs, Banken,<br />

Stiftungen, Privatpersonen,<br />

Vereine etc.)<br />

Weiterhin ist es erforderlich, dass die<br />

bekannten Inhalte in geeigneter Form<br />

regional immer wieder kommuniziert<br />

werden, da sich die Zielgruppen ständig<br />

erneuern; etwa 50 % aller Schwangeren<br />

sind Erstgebärende. Die gruppenspezifischen<br />

Interessen und Traditionen<br />

müssen bei der Kontaktaufnahme berücksichtigt<br />

werden, um die Chance zu<br />

erhöhen, die o. g. Inhalte zu vermitteln.<br />

21


22<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Fallbeispiel<br />

Ein sieben Monate alter Säugling wird<br />

morgens in Rückenlage im Schlafsack<br />

tot aufgefunden. Sein Gesicht ist bis in<br />

die Stirn-Augenpartie von einer dünnen<br />

Daunendecke überdeckt. Der Kopf<br />

stößt an ein zusammengerolltes Handtuch<br />

zwischen Kopf und oberen Bettrand<br />

an. Die Rettungsmediziner stellen<br />

bei dem annehmbar schon vor einigen<br />

Stunden verstorbenen Kind noch immer<br />

ein Körpertemperatur von 38,8 Grad<br />

fest. Die Mutter berichtet, dass ihr nach<br />

dem Auffinden des Kindes Hitze aus<br />

dem Schlafsack entgegenströmte, als sie<br />

diesen öffnete. Meteorologisch fiel auf,<br />

dass es zum Todeszeitpunkt zu einem<br />

sehr raschen Temperaturanstieg mitten<br />

im Winter kam. Die regionale Informationskampagne<br />

mit der Übergabe<br />

von Informationsblättern an die Eltern<br />

während der Schwangerschaft durch<br />

Frauenarzt und Hebamme, in der Entbindungseinrichtung<br />

sowie während<br />

der Vorsorgeuntersuchungen durch den<br />

niedergelassenen <strong>Kinder</strong>arzt hatte diese<br />

Familie nicht erreicht. Weder über<br />

die öffentlichen Medien noch über die<br />

medizinischen Kompetenzträger. Der<br />

heute als Hauptrisikofaktor bekannte<br />

Faktor „Überdecken“ war den gebildeten<br />

Eltern nicht bekannt. Es muss offenbleiben,<br />

ob dieser konkrete plötzliche<br />

Säuglingstodesfall mit Hyperthermie<br />

vermeidbar gewesen wäre, wenn das<br />

Überdecken und die fehlende Hitzeentlastung<br />

über die Kopf- und Gesichtshaut<br />

bei gleichzeitigem generellen Weglassen<br />

der Handtuchrolle zwischen Kopf und<br />

oberer Bettkante nicht vorgelegen hätte.<br />

Aus statistischer Sicht wäre das Risiko<br />

allerdings wesentlich vermindert worden<br />

und die Auffindesituation entspricht<br />

leider „typischen“ SID-Fällen. Da eine<br />

Autopsie entsprechend des Wunsches<br />

der Eltern nicht veranlasst wurde, können<br />

eine Infektion, eine Kardiomyopathie<br />

und andere mögliche Todesursachen<br />

nicht ausgeschlossen werden (s. Tab. 1).<br />

Das Team der Notärzte und eine Psychologin<br />

widmeten den betroffenen Eltern<br />

viel Zeit. Sie konnten ihnen aber<br />

nicht vermitteln, welche Bedeutung die<br />

Obduktion des Kindes für die weitere<br />

individuelle Aufklärung, Beratung und<br />

Trauerbewältigung hat. Auch seitens des<br />

Staatsanwaltes wurde keine Obduktion<br />

angeordnet, der Wille der Eltern wurde<br />

berücksichtigt, die Würde des gestorbenen<br />

Kindes unangetastet zu lassen.<br />

Das Beispiel zeigt, dass es leider noch<br />

längst nicht gelungen ist, alle Bevölkerungsgruppen<br />

und alle Gruppen medizinischer<br />

Kompetenzträger zu erreichen<br />

und zu motivieren, sich aktiv an<br />

der Präventionskampagne zu beteiligen.<br />

Die Vorstellungen von Frauenärzten und<br />

Hebammen, die Geburtshäuser betreiben<br />

(wie in diesem Falle vorliegend),<br />

sollten deshalb noch stärker als bisher<br />

in die zielgruppenspezifische Ansprache<br />

einbezogen werden. Der völkerkundlich<br />

orientierte Beitrag von G.K. Hinkel<br />

über Wiegen anderer Völker und Kulturen<br />

innerhalb dieser Tagung ist ein<br />

Schritt in diese Richtung. Weiterhin ist<br />

es erforderlich, dass die Übergabe des Informationsblattes<br />

„Sicherer Babyschlaf“<br />

im Krankenblatt sowie im Vorsorgeheft<br />

schriftlich dokumentiert wird, damit<br />

diese letztlich potenziell lebensrettende<br />

Informationsübergabe zu einer bindenden<br />

Routine wird und nicht dem Zufall


überlassen bleibt. Schließlich wird auch<br />

der Schulungsbedarf für das Nothilfepersonal,<br />

für Polizei und für die Staatsanwälte<br />

deutlich, damit den betroffenen<br />

Eltern in geeigneter Weise der insbesondere<br />

auch subjektiv bedeutsame Stellenwert<br />

der Autopsie sowie möglicher Alternativen<br />

(postmortales MRT, CT inkl.<br />

gezielter Organbiopsien) verdeutlicht<br />

werden kann. Seitens der beteiligten niedergelassenen<br />

<strong>Kinder</strong>ärzte, Hebammen<br />

und Frauenärzte wurde ein nochmaliger<br />

deutlicher aktueller Fortbildungsbedarf<br />

signalisiert, der in entsprechenden<br />

Fortbildungen angeboten werden wird.<br />

Außerdem wird eine Fallkonferenz angestrebt,<br />

in der alle Handlungsträger an<br />

einen Tisch gebracht werden sollen.<br />

Aktionen und Projekte 2004<br />

Seit der ersten bundesweiten Experten-<br />

und Fortbildungstagung „Prävention<br />

Plötzlicher Säuglingstod in Deutschland“<br />

vom 23. bis 24. Januar 2004 in<br />

Dresden sind eine Reihe von Initiativen<br />

in Gang gekommen, die zur Forcierung<br />

der SID-Prävention in Deutschland auf<br />

regionaler und bundesweiter Ebene beitragen:<br />

• am 22. April 2004 wurde in Dresden<br />

im Ergebnis der Tagung der Verein<br />

Babyhilfe Deutschland e. V. als bundesweit<br />

aktive kooperative Plattform<br />

für die Prävention des plötzlichen<br />

Säuglingstodes und anderer lebensbedrohlicher<br />

Erkrankungen im Säuglings-<br />

und Kleinkindesalter gegründet<br />

(www.babyhilfe-deutschland.de,<br />

www.babyschlaf.de ),<br />

• anlässlich des internationalen Tages<br />

des Kindes am 1. Juni 2004 wurde<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

allen <strong>Kinder</strong>tags-Babies in einer bundesweiten<br />

Geschenk- und Presseaktion<br />

der Babyhilfe Deutschland mit<br />

Unterstützung der Hilfsorganisation<br />

der BILD-Zeitung „Ein Herz für <strong>Kinder</strong>“<br />

aus Hamburg ein Babyschlafsack<br />

geschenkt, für diese Aktion wurden<br />

seitens der Babyhilfe Deutschland<br />

2 000 Babyschlafsäcke zur Verfügung<br />

gestellt;<br />

• in einer erweiterten Vorstandsitzung<br />

der Babyhilfe Deutschland wurde eine<br />

Leitlinie „Sicherer Babyschlaf“ für <strong>Kinder</strong>kliniken<br />

und weitere öffentliche<br />

Einrichtungen entworfen,<br />

• seitens der Arbeitsgruppe Pädiatrie der<br />

DGSM wurde eine Passage zur Prävention<br />

des plötzlichen Säuglingstodes in<br />

die Neufassung der Gelben Vorsorgehefte<br />

eingebracht, diese Option wurde<br />

durch die BZgA in Köln akzeptiert und<br />

übernommen,<br />

• gemeinsam mit der Arbeitsgruppe<br />

Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft<br />

für Schlafforschung und Schlafmedizin<br />

(DGSM) konnte unter der Federführung<br />

von Prof. Dr. C.F. Poets aus<br />

Tübingen eine AWMF-Leitlinie zur<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

publiziert werden (s. Leitlinien<br />

der Deutschen Gesellschaft für <strong>Kinder</strong>heilkunde<br />

und Jugendmedizin und<br />

www.babyschlaf.de),<br />

• im März 2004 wurde im Saarland eine<br />

umfassende Informationskampagne<br />

zur Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

gestartet, die sich an der<br />

Struktur der sächsischen Kampagne<br />

orientiert (interdisziplinäre ministerielle<br />

Steuerungsgruppe, Innenraumplakat<br />

für Arzt- und Hebammenpraxen,<br />

<strong>Kinder</strong>kliniken und Entbindungsein-<br />

23


24<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

richtungen, Übergabe eines Informationsblattes<br />

für Schwangere und Eltern<br />

zu drei Zeitpunkten in Verbindung<br />

mit einem kompetenten Informationsgespräch,<br />

Schulung und Motivation<br />

der medizinischen Kompetenzträger<br />

in einer öffentlichen Startveranstaltung),<br />

alle Entbindungseinrichtungen<br />

im Saarland wurden mit Babyschlafsäcken<br />

ausgestattet; der Druck des Faltblattes<br />

wurde durch den Lions-Club<br />

Homburg/Saar unterstützt;<br />

• in mehreren Entbindungseinrichtungen<br />

und <strong>Kinder</strong>kliniken wurden Babyschlafsäcke<br />

eingeführt, diese Aktionen<br />

wurden z. B. von der GEPS Hessen,<br />

von Lions-Clubs im Rhein-Main-Gebiet<br />

oder vom Steigenberger-Parkhotel<br />

in Radebeul/Dresden unterstützt; die<br />

GEPS Hessen e. V. konnte drei Entbindungseinrichtungen<br />

mit Babyschlafsäcken<br />

ausstatten und die hessische<br />

Sozialministerin Silke Lautenschläger<br />

als Schirmherrin der Kampagne gewinnen;<br />

die GEPS RLP/Saarland e. V.<br />

stattet übergibt an zehn Kliniken Babyschlafsäcke,<br />

die in den Entbindungseinrichtungen<br />

verschenkt werden können<br />

– mit der Auflage, dass mit den<br />

Eltern ein Gespräch über den sicheren<br />

Babyschlaf geführt wird;<br />

• in den Helios-Kliniken Deutschlands<br />

wurde die Einführung von Babyschlafsäcken<br />

auf den Säuglingsstationen mit<br />

der Propagierung einer internen Pflege-Leitlinie<br />

verbunden,<br />

• in Rheinland-Pfalz wurde die zweite<br />

Auflage der Informationsbroschüre für<br />

Eltern herausgegeben; diese Broschüre<br />

des Sozialministeriums RLP, der GEPS<br />

RLP/Saarland e. V. sowie der Berufsverbände<br />

der <strong>Kinder</strong>ärzte, der Frauen-<br />

ärzte und der Hebammen mit einem<br />

Grußwort der Sozialministerin Malu<br />

Dreyer wird mit dem Erziehungsgeldantrag<br />

an alle Familien geschickt,<br />

• die von der GEPS-RLP/Saarland gemeinsam<br />

mit der Fachhochschule für<br />

Mediendesign produzierten TV-Spots<br />

zur Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

(drei Spots á 30 Sekunden)<br />

konnten über die Babyhilfe Deutschland<br />

dank der Unterstützung der Thomas<br />

Pabst Kommunikationsberatung<br />

Heidelberg in das Programm mehrerer<br />

privater Fernsehsender integriert<br />

und bereits mehrfach gesendet werden<br />

(z. B. RTL, ntv); die Spots können<br />

unter www.babyhilfe-deutschland.de<br />

„Aktuelles“ eingesehen werden,<br />

• die Babyhilfe Deutschland hat gemeinsam<br />

mit Dr. J. Sperhake vom Hamburger<br />

Bündnis gegen den plötzlichen<br />

Säuglingstod begonnen, ein Protokoll<br />

zur strukturierten Beschreibung der<br />

Auffindesituation durch Polizisten<br />

und/oder Notärzte zu entwickeln,<br />

• Studenten der Fachschule für Grafik<br />

und Mediendesign der Akademie für<br />

Bauwesen und Technik in Leipzig haben<br />

unter der Leitung des Grafikers<br />

Stephan Wagner mit der Entwicklung<br />

von jugendorientierten Plakaten für<br />

eine bundesweite Außenplakataktion<br />

begonnen,<br />

• seitens der GEPS NRW e.V. wurde mit<br />

Unterstützung der Fa. Nestlé ein weiteres<br />

Innenraum-Plakat zur gesunden<br />

Schlafumgebung in Umlauf gebracht,<br />

• in Köln wurde von Dr. med A. Wiater<br />

ein Faltblatt zum sicheren Babyschlaf<br />

herausgegeben,<br />

• in mehreren Gymnasien und Fachschulen<br />

sind Schüler- und Studenten-


projekte zu Fragen der Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes in Gang<br />

gekommen (Dresden, Eisenberg/Thüringen,<br />

Potsdam, Köln),<br />

• in Frankfurt/M. wurde mit „1plus<br />

e. V.“ ein weiterer Verein engagierter<br />

Bürger gegründet, der sich mit der Prävention<br />

des plötzlichen Säuglingstodes<br />

beschäftigt und in enger Kooperation<br />

und inhaltlicher Abstimmung mit der<br />

Babyhilfe Deutschland öffentlichkeitswirksame<br />

Informationskampagnen<br />

(insbesondere weitere TV-Spots) entwickeln<br />

und verbreiten wird,<br />

• im <strong>Kinder</strong>schlaflabor der Klinik und<br />

Poliklinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin<br />

der TU Dresden wurde eine<br />

materialkundliche Untersuchung von<br />

Babyschlafsäcken gestartet,<br />

• die Arbeitsgruppe Schlafmedizin der<br />

Gesellschaft für Pneumologie (GPP)<br />

regte eine umfassende Marktanalyse<br />

über Heimmonitore in Deutschland<br />

an (siehe Beitrag von Dr.-Ing. M. Rabenau<br />

in diesem Band), außerdem soll<br />

ein klinisches Prüfprotokoll für Heimmonitore<br />

erarbeitet werden,<br />

• in der Universitäts-<strong>Kinder</strong>klinik Magdeburg<br />

wurde eine Umfrage über die<br />

Verwendung von Heimmonitoren<br />

gestartet, die den derzeitigen Kenntnisstand<br />

und das Verordnungsverhalten<br />

reflektieren wird (Frau Dr. U.<br />

Beyer),<br />

• die Arbeitsgruppe Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes des sächsischen<br />

Staatsministeriums für Soziales<br />

legte ein Fachgutachten „Hilfe für betroffene<br />

Familien“ vor (siehe gesonderter<br />

Textband von Dipl.-Psych. Dr.<br />

rer. nat. A. Mosshammer und Prof. Dr.<br />

med. E. Paditz), in dem über 25 000<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Hinterbliebene und 674 Studien berichtet<br />

wird,<br />

• die AOK Sachsen wir das proaktive Beratungstelefon<br />

für rauchende Schwangere<br />

und Mütter im Rahmen der Prävention<br />

des plötzlichen Säuglingstodes<br />

weiterhin finanziell und inhaltlich unterstützen,<br />

• in München fand unter der Schirmherrschaft<br />

der Gattin des Bundespräsidenten<br />

Eva Köhler ein Symposium<br />

„Prävention im Kindes- und Jugendalter“<br />

(wissenschatliche Leitung: Prof.<br />

Dr. med. B. Koletzko, München) der<br />

Stiftung <strong>Kinder</strong>gesundheit (Schirmherrschaft:<br />

Dr. med. Irene Epple-Waigel)<br />

statt, auf dem Prof. Dr. med. G.<br />

Jorch aus Magdeburg auf Grund seiner<br />

hervorragenden Verdienste innerhalb<br />

der SID-Forschung und –Prävention<br />

mit dem Meinhardt von Pfaundler-<br />

Preis ausgezeichnet wurde,<br />

• das Hamburger Bündnis gegen den<br />

plötzlichen Säuglingstod veranstaltete<br />

eine Tagesveranstaltung über aktuelle<br />

Fragen der Prävention des plötzlichen<br />

Säuglingstodes mit niederländischen<br />

Gästen,<br />

• der wissenschaftliche Beirat der GEPS<br />

Deutschland e. V. tagte in Aschaffenburg<br />

und befasste sich insbesondere<br />

mit Fragen der Thermoregulation bei<br />

Säuglingen (PD Dr. med. T. Schäfer,<br />

Bochum) und Ergebnissen der deutschen<br />

BMBF-Fall-Kontroll-Studie (PD<br />

Dr. med. Th. Bajanowski, Essen),<br />

• innerhalb der Medica Düsseldorf,<br />

der Jahrestagung des Deutschen Hebammenverbandes<br />

in Karlsruhe, der<br />

Jahrestagung der Nationalen Stillkommission<br />

beim Bundesinstitut für<br />

Risikobewertung Berlin sowie inner-<br />

25


26<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

halb der 100. Jahrestagung für <strong>Kinder</strong>heilkunde<br />

und Jugendmedizin in Berlin<br />

wurde das Thema SID-Prävention<br />

in eigenen Symposien bzw. Vorträgen<br />

vorgestellt,<br />

• seitens der Babyhilfe Deutschland<br />

wurde mit einer rege frequentierten<br />

ausführlichen Argumentationslinie im<br />

Internet sowie mit einer Pressemitteilung<br />

auf einen Focus-Beitrag und nachfolgende<br />

regionale Presse- und TV-Beiträge<br />

reagiert, in dem fälschlicherweise<br />

mitgeteilt wurde, dass die 6fach-Impfung<br />

mit einem erhöhten SID-Risiko<br />

verbunden sei (siehe www.babyschlaf.<br />

de).<br />

Strukturen<br />

Präventionspolitik hat erst dann die<br />

Chance auf nachhaltige Effekte, wenn<br />

die erwähnten Aktionen und Projekte in<br />

entsprechende Strukturen und Routineabläufe<br />

eingebunden werden können.<br />

Diesbzgl. sei an folgende Grundsatzpapiere<br />

erinnert:<br />

• Konsenspapier SID-Prävention in<br />

Deutschland (Paditz et al. 2003),<br />

• AWMF-Leitlinie Plötzlicher Säuglingstod<br />

(Poets et al. 2004 und www.<br />

babyschlaf.de; „Weiterbildung“, <strong>Tagungsband</strong><br />

2004),<br />

• Beschluss 7.2 der 76. <strong>Gesundheit</strong>sministerkonferenz<br />

(GMK) vom 2. und<br />

3. Juli 2003 in Chemnitz mit Hinweis<br />

auf den Beschluss der 74. GMK und auf<br />

das Konsenspapier SID-Prävention in<br />

Deutschland 2003.<br />

In mehreren Bundesländern sind unter<br />

der Federführung der Sozialministerien<br />

oder Senate bzw. offiziell beauftragter<br />

Vereine interdisziplinäre Arbeitsgruppen<br />

zur Prävention des plötzlichen<br />

Säuglingstodes entstanden, die sich<br />

um die regionale Organisation der Informationskampagne<br />

bemühen (z. B.<br />

in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Brandenburg, Hessen, Bayern,<br />

Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen,<br />

Thüringen, Rheinland-Pfalz, Baden-<br />

Württemberg, Saarland).<br />

In Hamburg und in Sachsen wurde die<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

als politisches <strong>Gesundheit</strong>sziel definiert.<br />

In Rheinland-Pfalz übernahm der Ministerpräsident<br />

Kurt Beck die Schirmherrschaft<br />

über die GEPS RLP/Saarland<br />

e. V. In Sachsen konnten mit Dr. Hans<br />

Geißler, Christine Weber und Helma<br />

Orosz drei SozialministerInnen in Folge<br />

für die SID-Präventionskampagne gewonnen<br />

werden. Staatsministerin Helma<br />

Orosz übernahm die Schirmherrschaft<br />

über die erste und über die zweite<br />

bundesweite Fortbildungs- und Expertentagung<br />

„Prävention des plötzlichen<br />

Säuglingstodes in Deutschland“. Die<br />

hessische Sozialministerin Silke Lautenschläger<br />

ist seit 2004 Schirmherrin der<br />

von der GEPS Hessen eV. initiierten SID-<br />

Präventionskampagne.<br />

In Nordrhein-Westfalen, in Brandenburg,<br />

in Bayern und in Rheinland-Pfalz/<br />

Saarland (sowie möglicherweise auch<br />

in anderen Bundesländern) bestehen<br />

seitens der GEPS bzw. seitens staatlicher<br />

und klinischer Strukturen (siehe Beitrag<br />

in diesem Band von PD Dr. med. Th.<br />

Erler, Cottbus) Kontakte zu Organen<br />

der Polizei und der Staatsanwaltschaft,<br />

für die entsprechende Fortbildungen für


Notfalleinsätze erfolgen. Seitens der Babyhilfe<br />

Deutschland wird zur Zeit eine<br />

Dienstanweisung vorbereitet, die allen<br />

Polizeistrukturen als Handlungsanleitung<br />

zur Verfügung gestellt werden soll.<br />

Durch die Einbeziehung der Innenministerkonferenz<br />

soll die Verbindlichkeit<br />

der Einhaltung dieser Dienstanweisung<br />

erhöht werden.<br />

Wünschenswert ist die Einrichtung<br />

regional und kontinuierlich tätiger Säuglingssterblichkeitskommissionen,<br />

denn<br />

nur durch derartige zeitnahe, interdisziplinäre<br />

Fallkonferenzen im Sinne systematischer<br />

Schwachstellenanalysen<br />

wird es gelingen, Todesfälle eindeutig zu<br />

klassifizieren und Präventionslücken zu<br />

schließen. Das exemplarisch angeführte<br />

aktuelle Fallbeispiel sowie die Standpunkte<br />

des Vaters eines Kindes, das am<br />

plötzlichen Säuglingstod gestorben ist,<br />

illustrieren, dass derartige zeitnahe Analysen<br />

konstruktive Lösungsansätze vermitteln<br />

können.<br />

Literatur<br />

1 Bajanowski Th, Poets CF: Der plötzliche Säuglingstod.<br />

Epidemiologie, Ätiologie, Pathophysiologie<br />

und Differenzialdianostik. Deutsches Ärzteblatt<br />

101 (2004) vom 19. November, Heft 47,<br />

B 2695–B 2699<br />

2 Bentele KHP: Plötzlicher Säuglingstod (Sudden<br />

Infanth Death – SID) und akute, anscheinend<br />

lebensbedrohliche Ereignisse (ALE). In: Speer CP,<br />

Gahr M: Pädiatrie, 2. Aufl., Springer Medizin Verlag<br />

Heidelberg, 2005, pp. 1215–1222<br />

3 Beal SM, Finch CF: An overview of retrospective<br />

case-control studies investigating the relationship<br />

between prone sleeping position and SIDS. J<br />

Paediatr Health 27/6 (1991) 334–339<br />

Paditz<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

4 Jorch G, Findeisen M, Brinckmann B, Trowitzsch<br />

E, Weihrauch B: Bauchlage und plötzlicher<br />

Säuglingstod. Deutsches Ärzteblatt 88 (1991) C<br />

2343–2347<br />

5 Mecklinger L: Richtlinie für die Anwendung<br />

der Bauchlage bei Säuglingen als propylaktische<br />

Maßnahme bei Säuglingen vom 15. Mai 1972. Verfügungen<br />

und Mitteilungen des Ministeriums für<br />

<strong>Gesundheit</strong>swesen, Berlin, 8. Juni 1972, p. 47<br />

6 Lange B: SIDS-Häufigkeit: ist Deutschland ein<br />

Entwicklungsland? Epidemiologie SIDS in Sachsen<br />

im nationalen und internationalen Vergleich. In:<br />

Paditz E (Hrsg.): Gesunder Babyschlaf. Prävention<br />

des plötzlichen Säuglingstodes in Sachsen. Druckerei<br />

und Verlag Christoph Hille Dresden, 2002, pp.<br />

35–41<br />

7 Paditz E: Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

in Deutschland. Wien Klin Wochenschr<br />

115/24 (2003) 874–880<br />

8 Schwab H-J: Das Verbot der Bauchlage für<br />

schlafende Säuglinge in der DDR. Hintergründe<br />

der Verordnung des Ministeriums für <strong>Gesundheit</strong>swesen<br />

aus dem Jahre 1972. In: Paditz E (Hrsg.):<br />

Prävention Plötzlicher Säuglingstod in Deutschland.<br />

1. Bundesweite Expertentagung. Dresden<br />

23.-24. Januar 2004. Druckerei & Verlag Christoph<br />

Hille, Dresden 2004, pp. 148-161<br />

9 Suffocated Prone: The Iatrogenic Tragedy of<br />

SIDS 2000. Am J Public Health 90 (2000) 527–531<br />

Autor<br />

Prof. Dr. med. Ekkehart Paditz<br />

Vorsitzender Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Klinik und Poliklinik<br />

für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin<br />

der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus<br />

der Technischen Universität Dresden<br />

Fetscherstraße 74, 01307 Dresden<br />

Telefon (03 51) 4 58 31 60<br />

Telefax (03 51) 4 58 57 72<br />

Ekkehart.Paditz@uniklinikum-dresden.de<br />

www.babyschlaf.de<br />

www.babyhilfe-deutschland.de<br />

27


Die Vereinigung leitender <strong>Kinder</strong>- und<br />

Jugendärzte und <strong>Kinder</strong>chirurgen Deutschlands<br />

(VLKKD) als Förderer der Aktion zur Prävention<br />

des plötzlichen Kindstodes in Deutschland<br />

Prof. Dr. med. V. Hesse Vorsitzender der VLKKD<br />

Die VLKKD ist ein Arbeitsgremium<br />

der leitenden <strong>Kinder</strong>- und Jugendärzte<br />

und <strong>Kinder</strong>chirurgen, das sich um eine<br />

Optimierung der Arbeit von <strong>Kinder</strong>- und<br />

Jugendkliniken und kinderchirurgischen<br />

Kliniken und Abteilungen bemüht und<br />

neben der fachlichen Arbeit besonders<br />

auch berufspolitisch im Rahmen der Vertretung<br />

der stationären Pädiatrie aktiv<br />

ist. In der Obleutetagung der VLKKD<br />

kommen die gewählten Vertreter der<br />

einzelnen Bundesländer zusammen und<br />

besprechen die jeweiligen aktiven Aufgabenstellungen.<br />

Im zweijährigen Rhythmus werden<br />

Plenartagungen mit alle leitenden Ärzten<br />

durchgeführt (siehe auch www.<br />

vlkkd.de).<br />

Die Verhinderung des plötzlichen<br />

Kindstodes ist ein elementares Anliegen<br />

auch der Arbeit der leitenden Ärzte, insbesondere<br />

geht es auch um die Umsetzung<br />

der Richtlinien der Akademie für<br />

<strong>Kinder</strong>heilkunde und der Vorschläge der<br />

Babyhilfe Deutschland — speziell der<br />

Leitlinie „Rückenlage und Schlafsäcke<br />

für reife Neugeborene in Kliniken und<br />

öffentlichen Einrichtungen“ — in den<br />

stationären Einrichtungen der <strong>Kinder</strong>medizin<br />

in Deutschland Hierbei ist die<br />

VLKKD ein wichtiger und konstruktiver<br />

Partner.<br />

Autor<br />

Hesse<br />

VLKKD<br />

Prof. Dr. med. V. Hesse Vorsitzender der VLKKD<br />

29


SID- Prävention in Hessen 2004<br />

Evert W 1 , Peter W A 2<br />

1 Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin Offenbach, Chefarzt i. R.<br />

2 Gemeinsame Elterninitiative Plötzlicher Säuglingstod, GEPS Hessen e. V.<br />

Die erste bundesweite Expertentagung<br />

„Prävention Plötzlicher Säuglingstod“<br />

vom 23. bis 24. Januar 2004 hat eindrucksvoll<br />

unter Beweis gestellt, wie mit<br />

einfachen Maßnahmen der Risikoauf-<br />

klärung und Schulung von Eltern und<br />

medizinischem Personal das Risiko des<br />

Plötzlichen Säuglingstodes drastisch vermindert<br />

werden kann.<br />

Tabelle 1. SID-Häufigkeit in Deutschland, Vergleich zwischen den<br />

Bundesländern. Häufigkeitsangaben in Anzahl SID-Fälle pro 1 000 Lebendgeburten<br />

(modifiziert nach Lange 2001, Paditz 2003)<br />

Jahr(e)<br />

Häufigkeit<br />

1999<br />

SID/1 000<br />

Evert und Peter<br />

SIDS Prävention in Hessen 2004<br />

1990–1999***<br />

SID/1 000<br />

Sachsen 0,25 0,44 139<br />

RB Dresden 0,08 0,34*** (39)<br />

Bremen 0,33 1,19 78<br />

Sachsen-Anhalt 0,33 0,44 80<br />

Mecklenburg-Vorpommern keine Angaben* 0,57 71<br />

Brandenburg 0,39 0,60 99<br />

Thüringen 0,41 0,49 81<br />

Baden-Würtemberg 0,44 0,79 912<br />

Bayern 0,53 0,85 1 112<br />

Hessen 0,54 0,91 554<br />

Niedersachsen 0,63 0,97 804<br />

Saarland 0,67 0,99 101<br />

Berlin 0,74 0,89 270<br />

Schleswig-Holstein 0,77 1,09 310<br />

Hamburg 0,81 1,21 198<br />

Rheinland-Pfalz 0,97 1,40 575<br />

Nordrhein-Westfalen 1,02 1,56 2 948<br />

Summe 8 332<br />

1990–1999<br />

SID-Fälle absolut<br />

Für Mecklenburg-Vorpommern lagen innerhalb der offiziellen Statistik keine vollständigen Angaben vor<br />

(D. Olbertz, Rostock, persönliche Mitteilung). **Zusammenfassung dieser Jahrgänge, um einen Vergleich<br />

zwischen den Bundesländern auf der Grundlage von Geburtsziffern von mindestens 100 000 Lebendgeburten<br />

zu ermöglichen; lediglich in Bremen wurde diese Zahl mit 65 537 Lebendgeburten in diesem Zeitintervall<br />

nicht erreicht. ***Regierungsbezirk Dresden/Sachsen, ca. 12 000 Lebendgeburten pro Jahr. Start der<br />

Informationskampagne über die Entbindungseinrichtungen 1994. In die Gruppe 1990–1999 gingen 115 683<br />

Lebendgeburten ein. 1994–1996 wurden noch 0,45 SID-Fälle/1 000 Lebendgeburten registriert (13/29,049),<br />

1997–1999 lag diese Ziffer bei 0,11 (1 Fall pro Jahr, d. h. 3 SID-Fälle pro 36 166 Lebendgeburten).<br />

31


32<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Die vorgetragenen Ergebnisse und<br />

Ländervergleiche gaben für das Bundesland<br />

Hessen Anlass für zwei SID-Präventionsinitiativen.<br />

Der Anfang der 80er Jahre gegründete<br />

Landesverband GEPS Hessen e. V. hat<br />

mit seinen Mitgliedern die Ziele der<br />

GEPS Deutschland verfolgt und dabei<br />

betroffene Familien in der Trauerarbeit<br />

begleitet und betreut, sowie über Broschüren,<br />

Informationsveranstaltungen,<br />

Vorträge und Rundbriefe die Präventionsempfehlungen<br />

unterstützt.<br />

Im Anschluss an die Dresdner Tagung<br />

mit dem Erfolg des BL-Sachsen vor Augen,<br />

hat GEPS Hessen e. V. eine landesweite<br />

SID-Präventions-Kampagne<br />

gestartet. Unter der Schirmherrschaft<br />

der Hessischen Sozialministerin Frau<br />

Silke Lautenschläger wurden drei Geburtshilfliche<br />

Kliniken unter Beteiligung<br />

der Öffentlichkeit jeweils mit 60 aus<br />

eigenen Spenden und Mitgliedsbeiträgen<br />

finanzierte Schlafsäcke im Wert von<br />

4 000 Euro ausgestattet.<br />

Am 6. Oktober 2004 erfolgte die Auftaktsveranstaltung<br />

und Start der Schlafsackaktion<br />

im St. Marien-Krankenhaus<br />

Frankfurt in Verbindung mit einer Fortbildungsveranstaltung<br />

und gemeinsamen<br />

Pressekonferenz der GEPS Hessen<br />

e. V. und Babyhilfe Deutschland mit dem<br />

Vorsitzenden Herrn Prof. Paditz. Die<br />

Veranstaltung wurde von der Nestlé Nutrition<br />

GmbH unterstützt.<br />

Am 12. Oktober 2004 erfolgte in Anwesenheit<br />

von Frau Sozialministerin<br />

Lautenschläger neben der Schlafsackübergabe<br />

eine Pressekonferenz und die<br />

Übergabe einer Note durch Herrn W. R.<br />

Die GEPS Hessen e. V. stattete mehrere Entbindungseinrichtungen<br />

in Frankfurt/M. (Fr. R. Aniolek,<br />

Foto oben, links im Bild) und in Darmstadt<br />

(Foto unten: Fr. F. Braxenthaler, zweite von rechts,<br />

sowie Hr. W. A. Peter, zweiter voon links) mit Babyschlafsäcken<br />

aus. Chefarzt Dr. med. Klaus Engel<br />

vom St. Marienkrankenhaus Frankfurt/M. (Foto<br />

oben) sorgt für die erforderliche Information des<br />

Personals in seiner Klinik und in seiner Region.<br />

Peter mit den Inhalten der 76. GMK, dem<br />

auf der Dresdner Tagung gemeinsam beschlossenen<br />

Konsensuspapier und der<br />

Forderung zur Einrichtung einer „AG<br />

SID-Prävention auf Landesebene“ unter<br />

Einbeziehung von GEPS, Gynäkologen,<br />

<strong>Kinder</strong>ärzten, Hebammen und weiteren<br />

Berufsgruppen.<br />

Am 3. November 2004 erfolgte durch<br />

Fr. S. Bartholomae, GEPS Hess. die


Fälle pro 100 000<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Schlafsackübergabe und entsprechende<br />

Informationen, in Anwesenheit von regionalen<br />

Pressevertretern, in der Asklepios-<br />

Klinik Lich.<br />

Bereits im Juli 2004 konnte Herr W.<br />

Evert an seiner <strong>Kinder</strong>klinik und der<br />

Frauenklinik des Klinikum Offenbach<br />

die Präventionskampagne gegen den<br />

Plötzlichen Säuglingstod starten. Die<br />

Dresdner Erfolge und das schlechte Abschneiden<br />

anderer Bundesländer waren<br />

vor dem Hintergrund der einfachen Präventionsmaßnahmen<br />

und Vorbeugung<br />

erschütternder Einzelschicksale Anlass,<br />

diese Aktion zunächst lokal anzufangen<br />

und dann auszuweiten.<br />

Geburtenrate, Säuglingssterblichkeit und SID in Hessen<br />

Jahr<br />

Sterblichkeit am plötzlichen Kindstod im ersten Lebensjahr<br />

pro 100 000 Lebendgeborene in Deutschland, 3-Jahresmittelwert 2000-2002<br />

Rheinland-Pfalz<br />

Bremen<br />

Lebendgeborene<br />

Saarland<br />

Schleswig-Holstein<br />

Niedersachsen<br />

Quelle: Statistisches Landesamt Hessen<br />

Gestorbene<br />

Säuglinge<br />

insgesamt<br />

Gestorbene<br />

Säuglinge/1 000<br />

Lebendgeburten<br />

SIDS<br />

1995 59 858 276 4,6 0,75<br />

SIDS/1 000<br />

Lebendgeburten<br />

1996 62 391 297 4,8 41 0,66<br />

1997 63 124 283 4,5 33 0,52<br />

1998 60 567 293 4,8 42 0,69<br />

1999 58 996 269 4,6 32 0,54<br />

2000 58 817 253 4,3 19 0,32<br />

2001 56 228 232 4,1 33 0,59<br />

2002 55 324 239 4,3 31 0,56<br />

2003 54 400 215 3,9 26 0,48<br />

Quelle: Statistisches Landesamt Hessen<br />

Brandenburg<br />

Deutschland<br />

Hessen<br />

Bayern<br />

Evert und Peter<br />

SIDS Prävention in Hessen 2004<br />

Berlin<br />

Baden-Würtemberg<br />

Sachsen-Anhalt<br />

Sachsen<br />

Mecklemburg-Vorpommern<br />

Hamburg<br />

Thüringen<br />

33


34<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Beim Benefiz-Golfturnier des Lions-Club Mühlheim in Bad Orb waren die 5 000 Euro zusammengekommen,<br />

die nun Matthias Belz, Dr. Richard L. Gunkel und Lothar Leger (von links) an Dr. Evert (zweiter von<br />

links) übergaben.<br />

5 000 Euro Startkapital als Erlös aus einem<br />

Benefiz-Golfturnier des Lions Club<br />

Mühlheim sowie die Spenden des Lions<br />

Club Offenbach-Lederstadt in Höhe<br />

von 2 000 Euro und weitere 1 000 Euro<br />

anlässlich der Neugründung des Lions<br />

Club Rhein-Main Offenbach waren die<br />

Grundlage für eine Aktion, in der die gesunden<br />

und kranken Neugeborenen mit<br />

Verlassen des Klinikum Offenbach ein<br />

Schlafsack geschenkt werden konnte.<br />

Zusätzlich wurden intensive Schulungsmaßnahmen<br />

bei Ärzten, Pflegepersonal,<br />

Hebammen und anlässlich einer<br />

Abschiedsveranstaltung im Rahmen ei-<br />

ner Ärztefortbildung durchgeführt. Als<br />

sehr hilfreich erwiesen sich die Plakate<br />

der Babyhilfe und insbesondere das<br />

Sächsische Faltblatt mit Hinweisen zur<br />

Prophylaxe des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

von der Babyhilfe Deutschland, das<br />

W. Evert dankenswerterweise übernehmen<br />

durfte und mit Hinweisen auf die<br />

GEPS Hessen e. V. sowie örtlichen Sponsoren<br />

versehen konnte.<br />

Die Offenbacher Initiative ist mittlerweile<br />

unter das Dach der <strong>Kinder</strong>hilfestiftung<br />

e. V., einer Initiative der Bürger und<br />

der Wirtschaft des Rhein-Main Gebietes,<br />

angesiedelt worden. Das Präventions-


projekt wurde auch hier anlässlich einer<br />

Kuratoriumssitzung einer großen Zahl<br />

einflussreicher Persönlichkeiten des<br />

Rhein-Main Gebietes und den Leitern<br />

der <strong>Kinder</strong>kliniken vorgestellt. Über die<br />

<strong>Kinder</strong>hilfestiftung e. V. sind inzwischen<br />

weitere Aufklärungen und Spenden erfolgt.<br />

So konnten u. a. anlässlich einer<br />

Weindegustation der Firma Giovo 2 000<br />

Euro und dem 100-jährigem Bestehen<br />

der Bäckerei Schilling in Mühlheim 1 000<br />

Euro für die Kampagne gegen den Plötz-<br />

Evert und Peter<br />

SIDS Prävention in Hessen 2004<br />

lichen Säuglingstod<br />

entgegengenommen<br />

werden.<br />

Sehr erfreulich<br />

war die Finanzierung<br />

von klinikeigenen<br />

Schlafsäcken im<br />

Klinikum Offenbach<br />

durch den Erlös der<br />

Betriebsfeier des Klinikum.<br />

Die Bedeutung<br />

der Schulungsmaßnahmen<br />

in den GeburtshilflichenAbteilungen<br />

und den<br />

<strong>Kinder</strong>kliniken darf<br />

nicht unterschätzt<br />

werden. Hier wird<br />

durch die Beispielgebung,<br />

das Praktizierte,<br />

eine Grundlage<br />

für den Erfolg<br />

der Aktion gelegt.<br />

Die regelmäßige Beratung<br />

der Schwangeren,<br />

die Betreuung<br />

in den Geburtshilflichen–<br />

und <strong>Kinder</strong>kliniken<br />

sowie die<br />

Nachverfolgung in den kinderärztlichen<br />

Praxen sind ein wesentlicher Faktor dafür,<br />

dass die Präventionsmaßnahmen in<br />

den Familien fortgesetzt werden.<br />

Von Vorteil ist der Eintrag der SID-<br />

Präventionsmaßnahmen (Hinweis) in<br />

das <strong>Kinder</strong>vorsorgeheft, dadurch ist eine<br />

95 bis 97 % Erreichbarkeit der Eltern<br />

gegeben.<br />

Auffällig war, dass insbesondere im<br />

Pflegebereich intensive Überzeugungsarbeit<br />

zur Vermeidung der Überdeckung<br />

35


36<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

erforderlich war und im Ärztebereich die<br />

Rückenlage und die Vermeidung der Seitenlage<br />

auf Widerstand stieß.<br />

Gemeinsam mit der GEPS Hessen e. V.<br />

wird auch in Hessen die Präventionsarbeit<br />

zur Prophylaxe des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

weiter ausgedehnt.<br />

Hinweis:<br />

Im Januar 2005 sollen erste Ergebnisse<br />

der „German Study of Sudden Infant<br />

Death“ in Acta Pediatrica veröffentlicht<br />

werden. Es handelt sich um eine durch<br />

das Bundesministerium für Bildung und<br />

Forschung geförderte multizentrische<br />

epidemiologische und anatomisch-pathologische<br />

Studie, an der auch hessische<br />

Einrichtungen beteiligt waren. Genauere<br />

Informationen und eine Publikation<br />

zur Methodik sind abrufbar unter www.<br />

kindstod.org<br />

Gemeinsam mit der GEPS Hessen e. V.<br />

wird auch in Hessen die Präventionsarbeit<br />

zur Prophylaxe des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

weiter ausgedehnt.<br />

Autoren<br />

Wolfgang A. Peter<br />

GEPS Hessen e. V.<br />

Moischter Straße 9, 53043 Marburg/Cappel<br />

Telefon (0 64 21) 5 15 41<br />

Mobil 01 73/6 52 43 47<br />

Dr. med. Wolfgang Evert<br />

Lilienweg 22, 63165 Mühlheim/M.<br />

cwevert@yahoo.de<br />

<strong>Kinder</strong>hilfestiftung e. V.<br />

Steinlestraße 31, 60596 Frankfurt/M.<br />

www.kinderhilfestiftung.org<br />

Literatur<br />

Paditz E: Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

in Deutschland. Wien Klin. Wochenschr. 115/24<br />

(2003) 874–880


Weiterentwicklung der Initiativen zur SID-Prävention<br />

in Rheinland-Pfalz<br />

Lossen-Geißler E<br />

Mainz<br />

Lossen-Geißler<br />

Weiterentwicklung der Initiativen zur SID-Prävention in Rheinland-Pfalz<br />

Anknüpfend an die bereits seit 1995<br />

ergriffenen Maßnahmen zur Prävention<br />

des Plötzlichen Säuglingstods, die<br />

im <strong>Tagungsband</strong> der letztjährigen Veranstaltung<br />

ausführlich dargestellt sind,<br />

hat das Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />

Familie und <strong>Gesundheit</strong> Rheinland-<br />

Pfalz im Jahr 2004 eine überarbeitete<br />

Neuauflage der Informationsbroschüre<br />

„So schläft Ihr Baby am sichersten“<br />

herausgegeben. Diese Broschüre, vom<br />

Ministerium gemeinsam mit Fachleuten<br />

und der Gemeinsamen Elterninitiative<br />

Plötzlicher Säuglingstod, Landesverband<br />

Rheinland-Pfalz/Saarland e. V. (GEPS)<br />

erarbeitet, wird als Teil der umfassenden<br />

Aufklärungskampagne des Landes flächendeckend<br />

verteilt.<br />

Neben der Information von Ärzteschaft,<br />

Hebammen, Angehörigen aller<br />

Krankenpflegeberufe, von Krankenhäusern,<br />

Krankenkassen und anderen Multiplikatoren<br />

wird die Broschüre auch<br />

den Elternbriefen von Frau Ministerin<br />

Malu Dreyer an die Eltern aller neugeborenen<br />

<strong>Kinder</strong> beigefügt, so dass eine<br />

annähernd flächendeckende Verbreitung<br />

gewährleistet ist. Ferner ist sie als<br />

pdf-Datei über die Internetseite des Ministeriums<br />

(www.masfg.rlp.de), die der<br />

GEPS (www.geps-rp-saar.de)und die der<br />

Babyhilfe Deutschland (www.babyhilfedeutschland.de)<br />

abrufbar.<br />

Erfreulicherweise ist es mit der dankenswerten<br />

Unterstützung von Herrn<br />

Professor Dr. Paditz gelungen, die von<br />

der Fachhochschule für Mediengestaltung<br />

in Mainz gemeinsam mit GEPS und<br />

Ministerium entwickelten und produzierten<br />

Fernsehspots zum Thema bei RTL<br />

zur Ausstrahlung unterzubringen; sie<br />

sind ferner einsehbar im Internet unter<br />

www.babyhilfe-deutschland.de.<br />

Als weiterer Schritt ist geplant, im<br />

Frühjahr 2005 mit den Geburts- und <strong>Kinder</strong>kliniken<br />

der rheinland-pfälzischen<br />

Krankenhäuser eine vertragliche Vereinbarung<br />

darüber zu schließen, dass die<br />

Eltern neugeborener <strong>Kinder</strong> bereits im<br />

Krankenhaus über die Grundvoraussetzungen<br />

für eine gesunde Schlafumgebung<br />

informiert werden und zusätzlich<br />

die Broschüre erhalten. Dieses Vorhaben<br />

wird derzeit durch ein Projekt vorbereitet,<br />

bei dem neun ausgewählte Kliniken<br />

zunächst jeweils 100 Schlafsäcke an die<br />

Eltern oder Sorgeberechtigten Neugeborener<br />

übergeben und sich in diesem Zusammenhang<br />

zu Aufklärungsgesprächen<br />

und entsprechender Öffentlichkeitsarbeit<br />

verpflichten. Dieses Projekt wurde<br />

von der GEPS Rheinland-Pfalz/Saarland<br />

initiiert und wird von der „Aktion Herzenssache“<br />

des Südwestrundfunks SWR<br />

und des Saarländischen Rundfunks SR,<br />

der Techniker Krankenkasse Rheinland-<br />

Pfalz und dem Ministerium für Arbeit,<br />

Soziales, Familie und <strong>Gesundheit</strong> Rheinland-Pfalz<br />

und der GEPS selbst finanziert.<br />

37


38<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Von 2000 auf 2003 konnte die Zahl der<br />

am Plötzlichen Säuglingstod verstorbenen<br />

<strong>Kinder</strong> von 41 auf 20 reduziert werden;<br />

2004 wurden von Januar bis August<br />

zehn Todesfälle gemeldet. Durch die<br />

in Rheinland-Pfalz konsequent und gemeinsam<br />

fortzuführenden Aufklärungsbemühungen<br />

sollte es gelingen, die Zahl<br />

der Todesfälle auf weniger als fünf im<br />

Jahr zu senken.<br />

Autorin<br />

Dr. Eleonore Lossen-Geißler


Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten<br />

und Kulturen<br />

Hinkel GK<br />

Dresden<br />

Zusammenfassung<br />

Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Der römische Arzt Galen (129–199)<br />

empfiehlt drei wirksame Mittel zur Beruhigung<br />

eines Säuglings: Das Stillen,<br />

das Wiegen und das Vorsingen von Wiegenliedern.<br />

Die erste Wiege lässt sich<br />

79 nach Christus in einem einfachen<br />

pompejanischen Wohnhaus nachweisen,<br />

1230 findet sich im Sachsenspiegel<br />

die erste bildliche Darstellung einer<br />

Wiege. Walter Pflug bezeichnete den<br />

Uterus der Frau (Braunschweig 1923)<br />

als Urform der Wiege. In gleicher Weise<br />

hatte sich bereits der englische Arzt<br />

Michael Underwood 1784 unter Hinweis<br />

auf den schaukelnden Fetus im<br />

Mutterleib geäußert, da „in der gleichmäßigen<br />

Bewegung der Wiege etwas so<br />

natürliches und angenehmes zu liegen<br />

scheint, dass man sich nur zu Gunsten<br />

der Wiege aussprechen kann“.<br />

Weltweit lassen sich bei zahlreichen<br />

Völkern Babywiegen nachweisen. Beginnend<br />

von einer muldenförmigen<br />

Babyschale der Urbevölkerung der<br />

Andamanen im Indischen Ozean wird<br />

im vorliegenden Beitrag eine Typologie<br />

der Wiegenformen der Völker<br />

vorgestellt. Auf Pracht- und Prunkwiegen<br />

wird dabei nicht eingegangen. Die<br />

zahlreichen Objekte sprechen dafür,<br />

dass weltweit bei zahlreichen Völkern<br />

Wiegen verwendet wurden und werden.<br />

Die Hintergründe dieses uralten<br />

tradierten Pflegeverhaltens werden<br />

aus entwicklungs- und sinnesphysiologischer<br />

Sicht diskutiert und sind auch<br />

vor dem Hintergrund leidvoller Erfahrungen<br />

mit dem plötzlichen Kindstod<br />

nachvollziehbar.<br />

1. Die Wiege im Streit ärztlicher<br />

Meinungen:<br />

Seit jeher haben Mütter Probleme mit<br />

der Beruhigung und dem Einschlafen ihrer<br />

<strong>Kinder</strong>, seit jeher gibt es die Wiege als<br />

Mittel zur Schlafförderung.<br />

Die rhythmisch wiegende Bewegung<br />

empfahl bereits der griechische Philosoph<br />

Platon (427–347 v. Chr.): „Wenn<br />

das Einschlafen schwer einschlafender<br />

<strong>Kinder</strong> gefördert werden soll, so werden<br />

sie nicht ruhig gehalten, sondern bewegt,<br />

indem man sie unaufhörlich auf den<br />

Armen schaukelt.“ 1 Der römische Arzt Galen<br />

(129–199) führt zur Beruhigung des<br />

unzufriedenen Säuglings drei wirksame<br />

Mittel an: Stillen, Wiegen und das Vorsingen<br />

von Wiegenliedern. Mit bestem<br />

Gewissen dürfen wir behaupten, diese<br />

Lehre gilt noch heute. Ausführliche „Anweisungen“<br />

über den Gebrauch der Wiege<br />

finden sich bei dem alexandrinischen<br />

Arzt Soranus von Ephesos (98–138): „Die<br />

Bewegung des Schaukelns ist der Konstitution<br />

des Kindes anzupassen.“<br />

1 Die historischen Zitate sind entnommen von Albrecht<br />

Peiper (8) und Friedrich v. Zglinicki (11).<br />

39


40<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Der persische Philosoph und Arzt Ibn Sina<br />

oder Avicenna (980–1037) meint: „Wenn<br />

das Kind nach dem Stillen schläft, soll<br />

man nicht unsanft mit ihm umgehen,<br />

indem man die Wiege in so eine heftige<br />

Bewegung versetzt, dass davon die Milch<br />

in dem Magen umgerührt wird, vielmehr<br />

schaukle man die Wiege gelinde.“<br />

Gegen die Heftigkeit des Wiegens<br />

wandten sich seit dem 18. Jahrhundert<br />

zahlreiche Ärzte: 1722 warnte der Baseler<br />

Arzt Theodor Zwinger: (1658–1724) „Es<br />

geht nicht an, dass ein Kind in seiner<br />

Wiege heftig herumgeschaukelt wird,<br />

weil die Eingeweide des Kleinen auch<br />

heftig bewegt werden und so häufig dem<br />

Gehirn ein Schaden zugeführt wird.“<br />

Immerhin hat Zwinger nichts gegen die<br />

Wiege als solches. Anders der Reformpädagoge<br />

Jean Jacques Rousseau (1712–<br />

1778). 1762 gibt er seine „Erziehungsgrundsätze“<br />

in seinem Roman „Emile“<br />

bekannt. Darin heißt es: „… dass es nie<br />

notwendig ist, <strong>Kinder</strong> zu wiegen, und das<br />

dieser Brauch ihnen oft verderblich ist.“<br />

Wir bezweifeln stark, dass dies Rousseau<br />

richtig zu beurteilen vermag, zumal er<br />

auch nichts dabei empfand, seine fünf<br />

unehelichen <strong>Kinder</strong> sofort nach der Geburt<br />

in ein Findelhaus einzuliefern. Zunächst<br />

widersprach man Rousseau und<br />

versuchte seine Lehre medizinisch zu<br />

widerlegen: 1764 widersprach der französische<br />

Leibarzt Brouzet: „… dass man<br />

die <strong>Kinder</strong> durch nichts mehr beruhigen<br />

könnte als durch Bewegung.“<br />

1769 beantwortete der kursächsische<br />

Arzt Johann August Unzer (1727–1791)<br />

eine Anfrage in einer populärwissenschaftlichen<br />

Zeitschrift: „So wiegen Sie<br />

das Kind immerhin ohne Gewissensangst;<br />

lassen Sie der Wiege aber keinen<br />

Schwung geben, sondern sie mit der<br />

Hand sanft leiten.“ Noch einsichtiger<br />

war der englische Arzt Michael Underwood<br />

(1737–1820) 1784: Er meint unter Hinweis<br />

auf den schaukelnden Fetus im<br />

Mutterleib, dass „in der gleichmäßigen<br />

Bewegung der Wiege etwas so natürliches<br />

und angenehmes zu liegen scheint,<br />

dass man sich nur zu Gunsten der Wiege<br />

aussprechen kann.“<br />

Der Streit um den Nutzen der Wiege<br />

ging hin und her, im Grunde blieb die<br />

Diskussion ein „akademischer Streit“,<br />

ohne dass das schaukelnde Bett an Volkstümlichkeit<br />

verlor. Einen interessanten<br />

Diskussionsbeitrag im Streit lieferte der<br />

Meininger Arzt Friedrich Jahn (1766–1813).<br />

Der Autor bezieht sich auf die vieldiskutierte<br />

Meinung, dass die <strong>Kinder</strong> beim<br />

Schaukeln „seekrank“ würden. Jahn vertrat<br />

bereits damals den richtigen Standpunkt,<br />

dass „die <strong>Kinder</strong> vom Wiegen<br />

nicht dieselben Vorstellungen haben,<br />

wie wir Erwachsenen vom Schaukeln auf<br />

dem Wagen, im Schiffe usw. Die <strong>Kinder</strong><br />

haben keine unangenehmen, sondern<br />

angenehme Empfindung dabei“.<br />

Auch Christoph Wilhelm Hufeland<br />

(1762–1836) tritt 1803 für die Benutzung<br />

der Wiege ein. Christian August Struve<br />

warnt 1797 vor Anwendung schlafmachender<br />

Mittel wie Opiate, Mohnsuppen,<br />

Mohnmilch usw. und vor zu heftigem<br />

Wiegen. Immerhin räumt er ein:<br />

„Das sanfte Wiegen, die Nachahmung<br />

der schwankenden Bewegungen im Mutterleib,<br />

ist für kleine <strong>Kinder</strong> heilsam<br />

und nicht leicht durch andere Bewegungen<br />

zu ersetzen. Aber leider muss man<br />

manchmal die <strong>Kinder</strong> unverständigen<br />

Menschen überlassen, die mit der Wiege<br />

nicht umzugehen wissen“.


Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Ausgesprochene Wiegengegner sind:<br />

• der hessische Pfarrer Friedrich Heinrich<br />

Schwarz 1804: „Wiege ist ein Angriff<br />

auf das Gehirn und die ganze Natur“,<br />

• der französische Geburtshelfer und <strong>Kinder</strong>arzt<br />

Leroy 1805: „Durch das Schütteln<br />

kann vorzüglich die unsichtbare Organisation<br />

des Gehirns und der Gefühle<br />

nachteilig verändert werden … woraus<br />

große Unordnung in den Eingeweiden<br />

mancher <strong>Kinder</strong> entsteht.“<br />

In der Folge entkräfteten viele Mediziner<br />

die Argumente der Wiegengegner.<br />

1810 schreibt Adolf Christian Henke<br />

(1775–1843) in seinem Taschenbuch für<br />

Mütter: „Ausgezeichnete Ärzte haben<br />

die Verteidigung des uralten Brauches<br />

der Wiegen, die schon die Römer kannten,<br />

übernommen. Die unangenehme<br />

Empfindung, die Erwachsene von einer<br />

schaukelnden Bewegung in Horizontallage<br />

bekommen, findet beim Kind nicht<br />

statt … im Gegenteil scheint sie dem Kinde,<br />

das vor seiner Geburt einer ähnlich<br />

schaukelnden Bewegung ausgesetzt war,<br />

ganz behaglich zu sein .“<br />

Der Leipziger Arzt Hermann Klenke<br />

schreibt 1895, dass die Anschuldigungen<br />

gegen die Wiege übertrieben seien, weil<br />

„viele geistreiche Leute selbst in der<br />

Wiege gelegen haben“. Einer der letzten<br />

<strong>Kinder</strong>ärzte, die in die Debatte um die<br />

Wiege eingriffen, war der Leipziger <strong>Kinder</strong>arzt<br />

Albrecht Peiper (1889–1968).<br />

Der Autor betont, dass es überhaupt<br />

kein besseres Beruhigungsmittel gäbe.<br />

„Ein zum Schreien aufgelegter Säugling<br />

beruhigt sich in der Wiege sofort … Die<br />

Wiege ist nichts anderes als ein Ersatz für<br />

das natürliche Tragbett des Kindes auf<br />

dem Schoß, im Arm oder auf dem Rü-<br />

cken der Mutter. So dient die Wiege letztendlich<br />

als Attrappe, indem sie dem Kind<br />

die Gegenwart der Mutter vortäuscht.<br />

Sein Lage- und Bewegungssinn sind bereits<br />

gut ausgebildet. Für den Erfolg des<br />

Wiegens ist es gleich, ob unter natürlichen<br />

Bedingungen auf dem Leib seiner<br />

Mutter, in seiner Wiege oder sonst wie<br />

gewiegt wird. Der junge Säugling empfindet<br />

den Unterschied nicht, sondern<br />

wird durch das Wiegen beruhigt, als ob es<br />

seine Mutter wäre“. Ganz abgesehen von<br />

Peiper stehen heute viele <strong>Kinder</strong>ärzte auf<br />

dem Standpunkt, dass die <strong>Kinder</strong>wiege<br />

zu Unrecht aus dem <strong>Kinder</strong>zimmer verbannt<br />

wurde.<br />

Zur Lagerung des Säuglings<br />

In allen bekannten Wiegen-Illustrationen<br />

ist der Säugling – falls er überhaupt<br />

dargestellt wird – in Rückenlage<br />

zu sehen. In Bauchlage bzw. Unterarmstütz<br />

wird das Kind immer nur im<br />

direkten Kontakt zur Mutter und der<br />

Amme gezeigt. Eine Umlagerung des<br />

schlafenden Säuglings aus der Wiege<br />

ins mütterliche Bett ist in bildlichen<br />

Darstellungen nicht bekannt.<br />

Im 18. und 19. Jahrhundert bestand<br />

eine Unsitte die <strong>Kinder</strong> zum Schlafen<br />

mit ins mütterliche Bett zu nehmen. In<br />

der kinderärztlichen Literatur wurde<br />

bereits damals auf die erhöhte <strong>Kinder</strong>sterblichkeit<br />

durch Überdecken und<br />

Überrollen hingewiesen. Zur Verhütung<br />

eines derartigen Ereignisses hat<br />

sich in Italien eine Art Schutzgehäuse,<br />

eine sogenannte Arcuccio verbreitet,<br />

unter die Säuglinge im Bett der Mutter<br />

gelegt werden sollten. Der bekannte<br />

Arzt und <strong>Gesundheit</strong>serzieher B. Ch.<br />

41


42<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Faust (1755–1842) erwähnt in seinem<br />

<strong>Gesundheit</strong>skatechismus ein derartiges<br />

Schutzgehäuse und verweist dringlich<br />

auf die alleinige Lagerung des Kindes<br />

ins Bett.<br />

2. Kinetik und Akustik – Sinnesphysiologie<br />

des Säuglings<br />

Isabella Bielicki schreibt 1971: „ denn<br />

die <strong>Kinder</strong> lieben die rhythmisch schaukelnde<br />

Bewegung des Wiegens. Diese<br />

Bewegung begleiten wir gewöhnlich mit<br />

dem Rhythmus eines einschläfernden<br />

Reimes, eines Wiegenliedes. Das unruhige<br />

Kind wird stiller, schläft ein. Der<br />

Wunsch, gewiegt zu werden, der in der<br />

Säuglingszeit am ausgeprägtesten ist,<br />

besteht in der Kindheit weiter. Schaukelpferd,<br />

Luftschaukel und Karussell<br />

sind während der ganzen Kindheit eine<br />

unerschöpfliche Quelle der Freude. Besonders<br />

gesunde und glückliche <strong>Kinder</strong><br />

verlangen danach gewiegt zu werden.<br />

Einsame <strong>Kinder</strong> flüchten sich in das Wiegen<br />

als der einzigen, ihnen gebliebenen<br />

Form, sich wohl zu fühlen. Sie schaukeln<br />

oder wackeln stundenlang monoton hin<br />

und her und geben der Welt damit zu<br />

verstehen, nichts ist mir geblieben im<br />

Leben, nur das Schaukeln!<br />

Es kommt aber auch vor, dass ein Säugling<br />

– völlig gesund und normal – sich<br />

wiegt, indem er sich rhythmisch von einer<br />

Seite auf die andere wälzt. Er schläft<br />

sich damit einige Minuten lang ein, bevor<br />

er in einen tiefen Schlaf fällt.“<br />

Der Hunger nach Bewegungsreizen<br />

muss in Zusammenhang mit dem Mechanismus<br />

der Tätigkeit des ZNS gesehen<br />

werden. Forschungen über die<br />

anatomische Reife des Gehirns beim<br />

Neugeborenen haben gezeigt, dass das<br />

Gleichgewichtszentrum eines der am<br />

frühesten heranreifenden Gehirnteile<br />

ist. Die Gleichgewichtsrezeptoren im<br />

Vestibularapparat des inneren Ohres<br />

sind einer der Sinne, die bereits am Ende<br />

des dritten Fetalmonats ihre Tätigkeit<br />

aufnehmen.<br />

Aus dieser Erkenntnis zieht Bielicki<br />

für das Verständnis des Wiegens folgende<br />

Schlussfolgerungen: „Die Frucht im<br />

Mutterleib ist ständig der wiegenden,<br />

rhythmischen Bewegung des Körpers der<br />

Mutter ausgesetzt. Die Frucht wird gewiegt<br />

von dem rhythmischen Pulsschlag<br />

des mütterlichen Herzens, von ihrem<br />

Atem, von jeder Bewegung“. Dann wird<br />

die Welt plötzlich mit der Durchtrennung<br />

der Nabelschnur nach der Geburt<br />

unbeweglich! Das Wiegen, auf das der<br />

fetale Organismus eingestellt war, hört<br />

auf. In den letzten Jahren hat sich in der<br />

Medizin ein eigener Zweig entwickelt:<br />

die Wissenschaft von der Deprivation,<br />

d. h. dem Mangel an äußeren Reizen.<br />

Unter dem Begriff des „Deprivationssyndroms“<br />

oder „Maternal-Deprivation“<br />

versteht man alle Beschwerden und<br />

Krisen, die dann auftraten, wenn dem<br />

Säugling und dem Kleinkind ungenügende<br />

Pflegezuwendungen und ungenügend<br />

Liebe verabfolgt werden und das<br />

Kind langsam verkümmert. Naturvölker<br />

kennen keine solche seelische Verkümmerung<br />

ihrer <strong>Kinder</strong>. Sie kennen keine<br />

abrupte Trennung, denn vom Tage der<br />

Geburt an wird das Kind herumgetragen<br />

und lebt dort weiter im rhythmischen<br />

Wiegen der mütterlichen Schritte, ihrer<br />

Bewegungen, ihrer Arbeit, ihres Tanzens.<br />

Mediziner und Pädagogen fordern<br />

daher immer stärker, den Mutter-Kind-


Kontakt zu pflegen und zu fördern. Das<br />

Wiegen des Kindes trägt dazu bei. Die<br />

Wiege kann dann eine „Ersatzmutter“<br />

werden. Walter Pflug geht sogar soweit,<br />

den Uterus der Frau als die Urform der Wiege<br />

zu bezeichnen. Die ersten Wiegen der<br />

Menschheit waren Mulden, Tröge und<br />

ausgehöhlte Baumstämme. Diese Wiegenformen<br />

sind als Ersatz für den Mutterschoß<br />

zu sehen. Der Reizhunger des<br />

Säuglings nach rhythmischer Bewegung<br />

kann zu Hause nur durch Einfühlungsvermögen<br />

der Mutter in die Tat umgesetzt<br />

werden, also mit Beweisen mütterlicher<br />

Liebe. Wolfgang Metzger drückt<br />

das so aus: „Das kleine Kind gedeiht,<br />

wenn man es so behandelt, als ob es eine<br />

Seele hätte.“ Das lateinische Sprichwort:<br />

„Mens sana in corpore sano“ hat der<br />

<strong>Kinder</strong>arzt Ernst Moro (1874–1951) mit<br />

Recht umgedreht: „Ist die Seele krank,<br />

dann leidet der Körper!“<br />

3. Das Wiegenlied<br />

Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Seit jeher hat man sich zur Schlafförderung<br />

des Säuglings nicht nur der Kinetik,<br />

sondern auch der Akustik bedient. Die<br />

Ansicht von Platon über das Wiegen haben<br />

wir vorangestellt. Eindringlich weist<br />

er auf die Akustik hin, nämlich auf den<br />

Gesang der Mütter. Platon sagt: „Wenn<br />

das Einschlafen schwer einschlafender<br />

<strong>Kinder</strong> von ihren Müttern gefördert werden<br />

soll, so werden sie nicht ruhig gehalten,<br />

sondern im Gegenteil bewegt,<br />

in dem man sie unaufhörlich auf den<br />

Armen schaukelt. Dabei schweigen die<br />

Mütter nicht etwa, sondern singen ihnen<br />

irgend eine Weise vor und bringen sie<br />

auf diese Weise wie mit rauschender Musik<br />

zum Schlafen.“ Die Schlummerlieder<br />

lauteten damals nicht anders als heute; so<br />

heißt es in den „Idyllen“ des griechischen<br />

Dichters Theokritos (3. Jhd. v. Chr.) – zitiert<br />

bei Peiper: Alkmene wäscht ihre<br />

Zwillinge Herakles und Iphikles, gibt<br />

ihnen Milch zu trinken und wiegt sie auf<br />

dem ehernen Schild ihres Vaters in den<br />

Schlaf. Dazu singt sie:<br />

„Schlafet ihr lieblichen <strong>Kinder</strong><br />

Den köstlich erquickenden Schlummer.<br />

Schlafet ihr brüderlich Paar,<br />

Ihr herzigen, blühenden Knaben.<br />

Glücklich genießt die Ruh´<br />

Und erlebt mir glücklich den Morgen“.<br />

Sprach es und wiegte den Schild und<br />

gewaltiger Schlummer umfing sie. Nach<br />

Galen (<strong>Gesundheit</strong>slehre I, 7) – zitiert<br />

bei v. Zglinicki – haben die Ammen drei<br />

Mittel gegen den Kummer des Neugeborenen<br />

erfunden:<br />

das Stillen,<br />

das Wiegen auf den Armen und<br />

das Singen von Wiegenliedern.<br />

1554 unterweist Jacob Rueff die Mütter<br />

und Hebammen:<br />

„Sing auch dazu eine süße Weis’,<br />

mit halber Stimme ohn’ groß Geschrei,<br />

das bringt ihm Frommen mancherlei.<br />

Sein Geist wird ihm dadurch erfreut,<br />

ein süßer Schlaf ist ihm bereit!“<br />

1577 schreibt der deutsche Dichter und<br />

Satiriker Johann Fischart:<br />

„Wo Honig ist, da sammeln sich die<br />

Fliegen;<br />

wo <strong>Kinder</strong> sind, da singt man um die<br />

Wiegen.“<br />

Im 19. Jahrhundert berichtet Friedrich<br />

Rückert über seine eigene Kindheit:<br />

43


44<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

„Ich war ein böses Kind und schlief nie<br />

ungesungen;<br />

doch schlief ich ein geschwind, sobald ein<br />

Lied erklungen,<br />

das meine Mutter sang, gelind.<br />

Und also bin ich noch, ein Schlaflied muss<br />

mir klingen;<br />

nur dieses lernt ich noch, es selber mir zu<br />

singen,<br />

seit ich der Mutter wuchs zu hoch.<br />

Und was mir tief und hoch nun mancherlei<br />

erklungen,<br />

ist nur ein Nachhall doch von dem, was sie<br />

gesungen;<br />

die Mutter singt im Schlaf mich noch.“<br />

Die Wiegenlieder-Literatur ist sehr<br />

umfangreich. Alle Völker der Welt besitzen<br />

eine aus sich selbst entwickelte und<br />

über Generationen vererbte „Volkspoesie“.<br />

Die allgemeine Kultur eines Volkes<br />

beeinflusst kaum das Wiegenlied.<br />

• Unentwickelt ist der Verstand des Wiegenliedes<br />

aller Völker.<br />

• Unentwickelt wird es auch gesungen.<br />

• Die Liebe zu dem Kleinen ist der Lehrmeister<br />

und Überlieferer zugleich.<br />

Was die Urgroßmutter erfunden, singt<br />

noch die Urenkelin ihrer Tochter.<br />

• Herzlich und innig soll es klingen.<br />

• Leicht erfundene Reime und ruhig dahinschreitender<br />

Rhythmus sollen dem<br />

Wiegenlied etwas Trauliches verleihen.<br />

• Manches Wiegenlied ist aber auch eine<br />

Offenbarung des Gemütslebens der<br />

Mutter<br />

Das Wiegenlied ist ein Element der<br />

Einzelfamilie. Es gehört damit in den<br />

engen Familienbereich und nicht auf<br />

das Konzertpodium. Wenn Peter Schreier<br />

Abend- und Schlaflieder von Robert<br />

Schumann und Johannes Brahms singt<br />

oder Adele Stolte das wunderschöne Lied<br />

„Schlaf mein Herzsöhnchen …“, dann<br />

sind das keine eigentlichen Wiegenlieder,<br />

sondern Kunstlieder.<br />

Von Seiten der Verhaltensforschung<br />

haben sich seit 1960 Dr. Johann Kneutgen<br />

und von Seiten der Musiktherapie<br />

Dr. Günter Last mit dem Wiegen- und<br />

Schlaflied befasst.<br />

Das Vorspielen von Wiegenliedern<br />

erzeugt nicht nur bei <strong>Kinder</strong>n sondern<br />

auch bei Erwachsenen Beruhigung, Entspannung<br />

und Schlaf. Der Tonumfang<br />

dieser Lieder ist gering, es finden sich<br />

keine großen Intervalle. Sie sind meist<br />

im 4/4 oder 2/4 Takt geschrieben. Das bewirkt<br />

den Eindruck des ruhigen Gleitens.<br />

Die Atmung passt sich dem melodischen<br />

Ablauf an, sie wird flach und regelmäßig,<br />

fließend wie beim Schlafenden. Die<br />

Herzfrequenz verlangsamt sich und das<br />

Psychogalvanogramm 2 zeigt keine Zeichen<br />

von Erregungen. Unter Einwirkung<br />

eines Wiegenliedes entsteht das Gefühl<br />

von Wohlbehagen und Entspannung.<br />

Schließlich tritt der Schlaf ein.<br />

Bietet man im Gegenexperiment Jazz-<br />

oder Beatmusik, so erzeugt man genau<br />

entgegengesetzte Wirkung. Bei Beatmusik<br />

entstehen beispielsweise fast Alarmreaktionen<br />

mit Anstieg von Blutdruck,<br />

Herz- und Atemfrequenz. Auf Hühner<br />

wirkt Beat sogar katastrophal. Sie flüchten<br />

panikartig und stürzen und trampeln<br />

sich dabei zu Tode (zitiert bei G. Last).<br />

2 Erfasst galvanische Hautreflexe, die schon bei<br />

leichten vegetativen Erregungen Anstieg zeigen


Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Die Wirkung des Wiegenliedes resultiert<br />

1. aus der Harmonie, aus der gleichförmigen<br />

Melodie und der Ruhe.<br />

2. Aus der Stimmung; sie liegt im Lied und<br />

der Interpretation und überträgt sich –<br />

ohne Kontrolle des Verstandes – in die<br />

für die Steuerung von Emotionen und<br />

vegetativen Vorgängen verantwortlichen<br />

Hirnstrukturen. Die psychovegetativen<br />

Stimulationen werden dabei<br />

durch das Wiegen noch besonders gefördert.<br />

Zur Synchronisation gibt Oehler folgende<br />

Erklärung unter Bezug auf den<br />

in der Physik bekannten Magneteffekt:<br />

Zwei verschiedene Rhythmen gleichen<br />

sich zum Zweck der Synchronisation an,<br />

ein Rhythmus nimmt den anderen mit.<br />

Solch eine Beeinflussung kann auch von<br />

außen eintreten. Ein innerer Rhythmus<br />

läuft im Sinne eines externen Reizgeschehens<br />

ab, z. B. auch beim militärischen Zeremoniell,<br />

bei verschiedenen Rieten und<br />

Kulthandlungen, beim Tanz u. a.<br />

Damit die Synchronisation wirken<br />

kann, müssen die äußeren Reize den entsprechenden<br />

Rhythmus haben, darüber<br />

hinaus spielen Intensität, Prägnanz und<br />

Qualität eine Rolle. Diese Merkmale<br />

sind unabhängig von jeglicher Kultur.<br />

Chinesische Wiegenlieder wirken<br />

genauso einschläfernd wie deutsche<br />

oder polnische. Wiegenlieder<br />

sind also auch heute noch geeignet,<br />

eine Schlafinduktion zu erzielen. Sie<br />

fördern die Einschlafbereitschaft und erzeugen<br />

einen physiologischen Schlaf, ganz<br />

im Gegensatz zum medikamentös induzierten<br />

Schlaf. In speziellen Krankenhäusern,<br />

Anstalten und Heimen wird sogar<br />

mit dem Wiegen- und Schlaflied eine<br />

Musiktherapie betrieben.<br />

4. Die Wiegenformen und ihre<br />

Verbreitung<br />

1. Die Trogwiege<br />

Sie ist die „Urform der Wiegen“. Die<br />

Tochterformen sind offenbar in allen<br />

Ländern zu allen Zeiten entstanden. Dafür<br />

spricht, dass verschiedene Wiegenformen<br />

immer nebeneinander nachweisbar<br />

sind.<br />

Ovid (43 v. Chr.–17 n. Chr.) erzählt<br />

eine Sage von der kreißenden Myrrha,<br />

die in einen Baum verwandelt wird. Als<br />

die Göttin der Geburten erscheint und<br />

ihre Hand an den Baum legt, öffnet sich<br />

dieser wie bei einem Kaiserschnitt und<br />

aus der berstenden Rinde erscheint Adonis,<br />

der Jüngling von sprichwörtlicher<br />

Schönheit. In Ovid’s Sage verbirgt sich<br />

eine Assoziation zur ersten Wiege der<br />

Welt: dem ausgehöhlten Baumstamm<br />

oder dem <strong>Kinder</strong>trog. Bei Naturvölkern<br />

wird die Einbaumwiege auch heute noch<br />

verwendet. Saglio (zitiert bei Pflug)<br />

spricht von römischen Trogwiegen, die<br />

etwa die Form eines Nachens haben, dessen<br />

untere Wölbung eine Schaukelbewegung<br />

ermöglicht. (Abb. 1)<br />

Abb. 1:<br />

Muldenförmige<br />

Babyschale von 74,5 cm Länge und 21 cm Breite.<br />

Herkunft: von der Urbevölkerung der Andamanen,<br />

einer Inselgruppe im Indischen Ozean. Die<br />

Innenfläche zeigt eine Ornamentik, als ob der<br />

Schnitzer aus Freude etwas Schönes und Unnützes<br />

hineingravieren wollte. (Katalog Nr.18 111, Staatliche<br />

Ethnografische Sammlungen Sachsen, Museum<br />

für Völkerkunde Dresden)<br />

45


46<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Varianten der Trogwiege:<br />

Sie stehen mit der Lebensweise der<br />

Völker in Beziehung. So verwundert es<br />

nicht, dass in den griechischen Legenden<br />

ein Schild oder ein Getreidesieb bzw.<br />

Getreidekorb benutzt wurde. Trogwiegen<br />

wurden von Naturvölkern in Hori-<br />

Abb. 2<br />

zontlage herumgetragen oder auf dem<br />

Kopf balanciert, wie alte Reliefplatten zu<br />

erkennen geben.<br />

Aus den Trogwiegen entwickeln sich<br />

die Troghänge-, Kastenhänge- und Lattenwiegen,<br />

wie an einzelnen Beispielen<br />

gezeigt werden kann. (Abb. 2–6).<br />

Abb. 3<br />

Abb. 2: Holzwiege von den Oroken auf Sachalin von 50 x 27 cm Größe mit haubenförmigem bewegliche<br />

Kopfteil in zusätzlichem Kopfschutzbügel. Am Kopf- und Fußteil Lederschnüre zum Aufhängen der Wiege.<br />

Die Wiege hat am Kopfteil außen sechs verzierte Hölzchen (Amulette? Klangelemente?).<br />

(Katalog Nr. 38 954, Staatliche Ethnografische Sammlungen Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden)<br />

Abb. 3: <strong>Kinder</strong>hängewiege aus dem Solonenzeltlager (Innerasienexpedition, 1927/1928), gefertigt aus<br />

Birkenrinde und Weidenzweigen. An der Wiege hängen zwei Männel und zwei Vögel als Schutzfiguren zur<br />

Abwehr von Krankheiten. In der Wiege befindet sich eine Wiegeneinlage aus Baumrinde, die mit Holzmehl<br />

oder verrotteten Weidenholz gefüllt ist. Hierauf wird der nackte Säugling gelegt, dessen Urin und<br />

Kot von dem Holzmehl aufgenommen wird. (Katalog Nr. 46 501, Staatliche Ethnografische Sammlungen<br />

Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden)


Abb. 4<br />

Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Abb. 5<br />

Abb. 6<br />

Abb. 4 und 5: <strong>Kinder</strong>wiege aus Birkenrinde der Mansen (Wogulen) von 46 x 26 x 50 cm. Die relativ kleine<br />

Wiegefläche und das Kopfteil bestehen aus mehrfach vernähter Birkenrinde.<br />

Randbefestigung aus umwickelten Weidenholz und Lederschlaufen zum Verschnüren des Kindes, zusätzlich<br />

sind Metallringe zum Aufhängen der Wiege angebracht. Füllung der Wiege zum Auffangen des Urins mit<br />

Bast- oder Holzwolle.<br />

(Katalog Nr. 40 487, Staatliche Ethnografische Sammlungen Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden)<br />

Abb. 6: Kastenwiege aus Palaghat/Südindien von 100 x 50 cm Größe, mit gedrechselten Füßen und Seitenstäben.<br />

Mit kräftigen Eisenhaken kann die Wiege aufgehängt werden.<br />

(Katalog Nr. 42 436, Staatliche Ethnografische Sammlungen Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden)<br />

47


48<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

2. Die Rückentragewiegen und<br />

<strong>Kinder</strong>tragen, Rucksackwiegen<br />

und Wegetragetücher<br />

Viele Naturvölker kennen<br />

keine Wiege, sondern tragen<br />

ihre <strong>Kinder</strong> im Huckepack<br />

ständig mit sich herum.<br />

Entsprechend den Volksbräuchen<br />

klammern sich<br />

die <strong>Kinder</strong> an den Rücken,<br />

sitzen auf dem Gesäß oder<br />

der Hüfte und werden gehalten<br />

von Tragegurten,<br />

Tragetüchern, einem Beutel<br />

oder einer festen Kiepe.<br />

Keinesfalls ist die Rückentragewiege<br />

nur bei Naturvölkern<br />

zu finden. Sie findet<br />

sich auch heute noch in Kulturländern.<br />

Abb. 7<br />

Vorteile der Rückentragewiegen<br />

sind:<br />

1. Sie ermöglichen einen frühen <strong>Umwelt</strong>kontakt<br />

und<br />

2. sie fördern einen intensiven Mutter-<br />

Kind-Kontakt.<br />

Die „Huckepackwiege“ wird vorzugsweise<br />

aus soziologischen Gründen genutzt:<br />

Naturvölker sind meist Nomaden. Nomadisierende<br />

müssen auf unwegsamen<br />

Pfaden beide Hände frei haben, also die<br />

<strong>Kinder</strong> auf dem Rücken tragen. Mit dem<br />

Huckepack arbeiten die Frauen auf dem<br />

Felde, verrichten Hausarbeit und führen<br />

kultische Tänze auf, ohne dass das Kind<br />

dabei erwacht.<br />

In allen Kulturen herrschen einfache<br />

Tragetuch- oder Tragefellwiegen vor, gegenüber<br />

festen Kiepen. Ein Stirnband gilt<br />

als Symbol der Mutterschaft.<br />

Im hohen Norden gibt es<br />

heute noch den sogenannten<br />

Amaut, einen Frauenpelz<br />

mit besonders weitem<br />

Rücken, der mit Knöpfen<br />

und Riemen einen<br />

Beutel bildet und worin<br />

das Kind hineingesetzt<br />

wird (Abb. 7).<br />

Rückentragewiegen<br />

mit festen „Nackenstützen“<br />

und schirmartigen<br />

Vorrichtungen, sind be-<br />

Abb. 8


Abb. 9<br />

Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

sonders bei den nordamerikanischen<br />

Indianern zu finden. Rückentragewiegen<br />

werden auch zum Transport über den<br />

Sattel der Pferde und anderer Zugtiere<br />

gepackt (Abb. 8).<br />

Die Indianerwiegen Nordamerikas<br />

sind meist Brettwiegen. Das Wiegenbrett<br />

wird ringsum mit Leisten versehen, das<br />

Innere enthält geflochtene Bastmatten,<br />

Felle, Laub, Moos oder Federn. Außen<br />

sind lange, geschmückte Schulterrieme<br />

angebracht. Diese Wiegen enthalten<br />

Fußrasten, mitunter aufgesetzte Ledertaschen,<br />

Lederplanen zum Zuschnüren,<br />

an dem Kopfbügel hängen Spielzeug,<br />

Schmuck oder Fetische (Abb. 9).<br />

Varianten der Indianerwiegen sind:<br />

• für kleine <strong>Kinder</strong> die Hürdenwiegen<br />

und<br />

• für größere <strong>Kinder</strong> die Holzleiterwiegen.<br />

Mancher dieser Wiegen können mit<br />

einem spitzen Pfahl in die Erde gerammt<br />

oder an einen Baum angelehnt werden.<br />

Abb. 7: Fellsackwiege der Eskimos/Alaska. Babytragesack aus Robbenfell, verziert mit Leder, Fell und Perlen<br />

(Katalog Nr. 46 628, Staatliche Ethnografische Sammlungen Sachsen, Museum für Völkerkunde Dresden)<br />

Abb. 8: Sioux-Trage: Hirschleder auf gebogenem Rundholz. Verzierung mit Stachelschweinborsten<br />

(Katalog Nr. 372 Karl May-Museum Radebeul)<br />

Abb. 9: Leitergestelltrage der Prärieindianer (Dakota) aus Hirschleder , bemalt<br />

Rückentragekiepen werden zum Transport auch an den Sattel gehängt oder mit langen Schulterriemen<br />

getragen. Die Wiegen enthalten zum Teil aufgesetzte Ledertaschen und Lederplanen zum Zuschnüren und<br />

gelegentlich einen Kopfbügel. (Katalog Nr. 1209 Karl May-Museum Radebeul)<br />

49


50<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

3. Hängewiegen<br />

Sie haben eine überregionale Verbreitung<br />

in allen Teilen der Welt gefunden,<br />

besonders aber wo Raumknappheit<br />

herscht oder in Gegenden mit bevorzugtem<br />

Brauchtum wie bei den Ostslawen.<br />

Der Formenreichtum ist beträchtlich:<br />

• Trog-, Korb-, Schachtel- oder Kistenform<br />

• Leinwandbeutel, so genannte „Sackschaukeln“<br />

• in Skandinavien Fellsackwiegen<br />

• Lakenwiegen: an vier Enden wird ein<br />

Laken verknüpft und an einen Baum<br />

oder drei pyramidal zusammengestellten<br />

Stangen gehängt.<br />

Varianten sind die „Feldwiegen“<br />

oder die „Wippenstangenwiegen“.<br />

Sie<br />

ermöglichen vertikale und<br />

horizontale Schaukelbewegungen<br />

oder die „Tretwiege“<br />

bei der über eine<br />

Fußschlaufe die Wiege bei<br />

der Handarbeit bewegt werden<br />

kann. Ein bäuerliches<br />

Sprichwort wird jetzt auch<br />

verständlich, wenn es heißt:<br />

„Ich kannte ihn schon, als<br />

er noch am Baum hing.“ Etwas<br />

luxuriöse Ausführungen<br />

sind Gestellhängewiegen. Diese gibt es<br />

ausschließlich als querschwingende Wiegenkörbe<br />

oder Wiegenkästen.<br />

4. Kufenartige Wiegen und Kufenwiegen:<br />

Ab dem 13. Jahrhundert sind diese<br />

Wiegen die verbreitetesten in West-<br />

europa. Absolut vorherrschend ist die<br />

querschwingende Wiege. Seltener sind<br />

„Längsschwinger„. Sie schwingen langsamer<br />

und können nicht so schnell umkippen.<br />

Die Anspielung „ei is övern Kopp geweigert“<br />

(er ist über den Kopf gewiegt)<br />

meint wohl eine längsschwingende Wiege.<br />

Auf zwei Votivtafeln aus der italienischen<br />

Renaissance des 16. Jahrhundert<br />

sind längsschwingende Kufenwiegen<br />

dargestellt.<br />

Beide Frauen, welche die Wiege an<br />

einem Griff schaukeln, bitten die heilige<br />

Maria um Genesung des Kindes. (Abb.<br />

10)<br />

Abb. 10<br />

Abb. 10: Längsschwingende Trogwiege auf einer<br />

Votivtafel aus dem Jahre 1470. Eine betende Mutter<br />

an der Wiege ihres Kindes. Die Mutter wendet<br />

sich an eine Heilige und bittet um Genesung ihres<br />

Kindes. Standort: Kirche St. Maria del Monte im<br />

italienischen Compartimento Emilio – zitiert bei<br />

F. v. Zglinicki


Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Von den querschwingenden Wiegen<br />

gibt es auch verschiedene Formen:<br />

• Wiegenstühle, das sind hochgestelzte<br />

Gestelle auf Kufen.<br />

• Dann gibt es kufenartige Wiegen mit<br />

heruntergezogenen Schmalseiten, so<br />

dass die Wiegen auf der abgerundeten<br />

Schmalseite geschaukelt werden. Bei<br />

kleinem Kufenradius könnte sie leicht<br />

umkippen.<br />

• Die echte Kufenwiege ist die bodenständige<br />

Wiege und wegen des großen<br />

Kufenradius ist sie auch nicht umsturzgefährdet.<br />

Pflug nimmt an, dass die Kufenwiege<br />

bei den Turkvölkern ihren Ausgang<br />

nahm. Andererseits wurde bei Ausgrabungen<br />

im Herkulanum am Vesuv – also<br />

bereits 79 nach Chr. nachweisbar – eine<br />

hölzerne hochgestelzte Kufenwiege gefunden.<br />

Auf Fresken und Altarbildern<br />

des frühen Mittelalters sind bei Darstellungen<br />

der Geburt des Jesuskindes hochgestelzte<br />

Kufenwiegen zu sehen. Die<br />

älteste Wiegendarstellung im deutschen<br />

Raum findet sich im Sachsenspiegel des<br />

Eike von Repgow von 1239 mit Darstellung<br />

der vier Geburtszeugen und einer<br />

hochgestelzten Kufenwiege. In der illustrierten<br />

Handschrift des Heinrich von<br />

Laufenberg (1391–1460), ein Dichter<br />

und Priester, der dafür eintrat, dass die<br />

Mütter selbst ihre <strong>Kinder</strong> stillen sollten,<br />

findet sich eine Stillszene mit einer bodennahen<br />

Kufenwiege (Abb. 11)<br />

In einer Handschriften-Miniatur von<br />

1448 findet sich eine Illustration von der<br />

Legende der Heiligen Helena. Eine Wiegenfrau<br />

schaukelt einen Wiegenkorb mit<br />

einem Wiegenband so wie es im ober-<br />

schlesischen Weihnachtslied gesungen<br />

wird:<br />

„Auf dem Berge da wehet der Wind, da<br />

wiegt Maria ihr Kind.<br />

Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand,<br />

sie braucht dazu kein Wiegenband.“<br />

Das Wiegen ohne ein Wiegenband<br />

soll die besondere Nähe zum Kind aufzeigen.<br />

Querschwingende Kufenwiegen<br />

sind von verschiedenen Künstlern dargestellt<br />

werden u. a.<br />

• Albrecht Dürer „Marienleben“<br />

• Johann Gottlieb Hantzsch „Häusliche<br />

Szene“<br />

• Ludwig Richter „Familienglück“<br />

• Jan Brueghel „Vornehmer Besuch in<br />

einer Bauernstube“.<br />

Eine Variante der Kufenwiege ist die<br />

Stangenwiege, die es heute noch in den<br />

Ländern des mittlern Osten gibt. Die<br />

Stange zwischen Kopf- und Fußteil gibt<br />

der Wiege eine bessere Stabilität. Sie<br />

kann getragen werden. Eine schöne Stangenwiege<br />

findet sich im Topkapi-Muse-<br />

Abb. 11<br />

Abb. 11: Bodennahe Kufenwiege mit kleinem Kufenradius<br />

(dadurch umsturzgefährdet).<br />

Illustrierte Handschrift des Heinrich von Laufenberg<br />

(1391–1460). Standort: Zentralbibliothek<br />

Zürich – zitiert bei F. v. Zglinicki<br />

51


52<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

um in Istanbul. Mit dieser Wiege wird<br />

eine öffentliche Prozession nach Geburt<br />

des Sultankindes im Sultanspalast durchgeführt.<br />

5. Die Wiege in der Volkskunst<br />

Die Schmuckmöglichkeiten der Wiege<br />

sind bei den Kulturvölkern nahezu<br />

unbegrenzt. Die Wiege ist mehr als ein<br />

Gebrauchsmöbel. Je nach persönlichem<br />

Ausdrucksvermögens des Wiegenherstellers<br />

unterscheiden sich bäuerliche<br />

und ländliche Wiegen in ihrer künstlerischen<br />

Qualität. Das Dekor wird durch<br />

Malerei und Schnitzkunst bestimmt:<br />

Profane und religiöse Motive können<br />

unterschieden werden. Profane Motive<br />

sind Pflanzen, Ranken, Akanthusblätter,<br />

Muschelwerk, geometrische Figuren,<br />

Sprüche, Symbolzeichen u. a.<br />

Religiöse Motive sind Monogramm<br />

Christi und Maria, JHS, biblische Darstellungen,<br />

besonders Herzmotive und<br />

Fische.<br />

Abb. 12<br />

Beispiele aus dem Dresdner Volkskunstmuseum<br />

sollen dies belegen:<br />

Die Lausitzer Wiege von 1734 (Abb.<br />

12 und 13) mit der sogenannten Herrnhuter<br />

Malerei zeigt Beschriftungen am<br />

Kopf- und Fußende „AO“ bzw. „1734„<br />

und an den Längsseiten:<br />

„Schlaf mein liebes Kindelein,<br />

und tu deine Äuglein zu,<br />

der liebe Gott will dein Vater sein“ und<br />

„Der Engel des Herrn lagert um sich die<br />

her<br />

so denen, die ihn fürchten und hilft ihnen<br />

aus.“<br />

Abb. 13<br />

Abb. 12 und 13: Lausitzer Wiege von 1734 mit religiösen<br />

Motiven, sog. Herrnhuter Malerei.<br />

(Museum für Volkskunst der Staatlichen Kunstsammlungen<br />

Dresden)


Die Dresdner Wiege von 1824 (Abb.<br />

14 und 15) weist Blumenornamentik<br />

auf. Auf dem Bodenbrett ist ein Loch eingebohrt<br />

für die Urinableitung mit einem<br />

röhrenartigen System, wie es <strong>Kinder</strong>krankenschwestern<br />

für die Urinsammlung<br />

benutzen.<br />

Abb. 14<br />

Abb. 15<br />

Hinkel<br />

Geschichte der Wiegen in verschiedenen Jahrhunderten und Kulturen<br />

Familienwiegen werden oft über viele<br />

Generationen weitergegeben. Die Wiegeninsassen<br />

sind häufig am Fußende<br />

oder auf einem innen liegendem Wiegenbrett<br />

verzeichnet. Die Bemalungen<br />

weisen – außer religiösen und profanen<br />

Abb. 14und 15: Dresdner Wiege von 1824 mit<br />

profaner Bemalung. (Museum für Volkskunst der<br />

Staatlichen Kunstsammlungen Dresden)<br />

Motiven auf die Familientraditionen u. a.<br />

auch auf die Familienwappen hin (Abb.<br />

16).<br />

Abb. 16<br />

Diese Wiegen werden auch auf dem<br />

„Plunderwagen“ ganz oben auf als die<br />

Mitgift der Brautleute gepackt dargestellt.<br />

Abb. 16: Bäuerliche Familienwiege Heimatmuseum<br />

St. Moritz/Engadin<br />

53


54<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Danksagung<br />

Ich danke Herrn Professor Dr. Ekkehart<br />

Paditz für viele kritische Hinweise<br />

und Korrekturen der Testvorlage.<br />

Wir danken Frau Dr. Lydia Icke-Schwalbe<br />

vom Museum für Völkerkunde Dresden,<br />

Herrn Dr. Klaus-Peter Kästner für<br />

die Auswahl der Wiegen aus der Ethnografischen<br />

Sammlung Sachsens, Herrn<br />

Dr. Jenzen vom Museum für Völkerkunde<br />

der Staatlichen Kunstsammlungen<br />

Dresden sowie Herrn René Wagner und<br />

Herrn André Köhler vom Karl-May-Museum<br />

Radebeul für die Unterstützung<br />

bei der Bereitstellung zahlreicher Originale<br />

und Abbildungen.<br />

Literatur<br />

1. Isabella Bielicki: Dein Kind braucht Liebe.<br />

München, 1971<br />

2. Bernhard Christoph Faust: <strong>Gesundheit</strong>skatechismus.<br />

J.F. Althaus / Hofbuchdruckerei, Bückeburg 1794<br />

3. Günter Last: Behandlung von Schlafstörungen<br />

durch Wiegenlieder.<br />

Therapie der Gegenwart 112 (1973) 3–15<br />

4. Helga Lindner: Mit dem Liede kommt der<br />

Schlaf.<br />

Die Union 13/14. Dezember 1980<br />

5. Ernst Meier: Stil- und Klangstudien zum Wiegenlied.<br />

Dissertation der Philosoph. Fakultät der<br />

Univ. Greifswald 1932<br />

6. Curt Müller: Wiegenlieder aus Sachsen.<br />

Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung<br />

Nr. 89 vom 29. September 1906<br />

7. W. Oehler: Die Union vom 13./14. Dezember<br />

1980<br />

8. Albrecht Peiper: Chronik der <strong>Kinder</strong>heilkunde.<br />

3. Auflage.<br />

VEB Georg Thieme-Verlag 1958<br />

9. Walter Pflug: Die <strong>Kinder</strong>wiege, ihre Form und<br />

ihre Verbreitung.<br />

In: Archiv für Anthropologie (Braunschweig) NF<br />

19 (1923) 185–223<br />

10. H. Ploß: Das kleine Kind vom Tragbett bis zum<br />

ersten Schritt.<br />

Verlag A. B. Auerbach, Berlin 1881<br />

11. Friedrich v. Zglinicki: Die Wiege. Pustet Verlag,<br />

Regensburg 1979<br />

Anschrift des Verfassers<br />

Prof. em. Dr. med. Georg Klaus Hinkel<br />

Schlüterstraße 11, 01277 Dresden


Eine Bemerkung vorweg: Es geht in<br />

diesem Beitrag in erster Linie darum, das<br />

Handwerkszeug für erfolgreiche Kommunikation<br />

mit den SID-Risikogruppen<br />

zu vermitteln – die neuesten Kommunikationsmodelle<br />

dürfen Sie gern an anderer<br />

Stelle nachlesen. Mit der bewussten<br />

Wahl des Begriffs „Handwerkszeug“ soll<br />

Ihnen zum einen die Angst vor dem Gefühl<br />

genommen werden, trotz jahrelangem<br />

Fachstudiums möglicherweise das<br />

grundlegendste unserer Zivilisation verlernt<br />

zu haben: das miteinander reden.<br />

Zum anderen sollen Sie erkennen, dass<br />

Kommunikation durch bloße Übung<br />

perfektioniert werden kann – einfach<br />

nur dadurch, dass man sie als Mittel zum<br />

Zweck betrachtet. Es geht in diesem Beitrag<br />

also weniger um die Kommunikations-Theorie<br />

als Selbstzweck sondern um<br />

die alltägliche, zumeist schnöde Praxis:<br />

darum Gedanken und Gefühle ausdrücken,<br />

sie zu übermitteln, zu verbreiten –<br />

und es geht darum verstanden zu werden<br />

und einen Platz im Gedächtnis des Gesprächspartners<br />

zu finden. Letztendlich<br />

unternehmen wir aber die Anstrengung<br />

– und das sollten wir uns immer wieder<br />

klar vor Augen führen -, um eine Reaktion<br />

des Gegenübers zu provozieren, um<br />

einen Handlungsprozess in Gang zu setzen.<br />

Doch genug der Vorrede.<br />

Pabst<br />

Faktoren für eine bessere Kommunikation<br />

Damit die Botschaft ankommt:<br />

Faktoren für eine bessere Kommunikation<br />

Pabst T<br />

Thomas Pabst Kommunikationsberatung Heidelberg<br />

Wo es hakt: zu viel, zu klein, zu<br />

abstrakt<br />

Im Fall der SID-Prävention in Deutschland<br />

sehe ich – zumindest was die Kommunikation<br />

angeht – derzeit drei Herausforderungen,<br />

die es zu meistern gilt:<br />

1.) Zu viele, zu kleine Interessensgruppen<br />

verbreiten – jeder auf seine Weise<br />

und aus seiner Sicht – zu viele (teils abstrakte)<br />

Präventions-Botschaften. Diese<br />

vielen Botschaften heben sich gegenseitig<br />

auf oder kommen – wenn überhaupt – zu<br />

leise beim Empfänger an, um dort eine<br />

Wirkung zu entfachen. Der Empfänger<br />

nimmt die Botschaften als diffuses Stimmengewirr<br />

war. Bildlich könnte man sich<br />

die Situation mit einem Wellenspiel in<br />

einem kleinen See vorstellen: Wirft man<br />

einen großen Stein hinein, hebt sich der<br />

Wasserpegel am Ufer erkennbar. Wirft<br />

man stattdessen viele kleine Steine an<br />

unterschiedlichen Stellen in den See,<br />

bleibt das Ufer dennoch ruhig.<br />

2.) Da die direkte Kommunikation<br />

mit den Empfängern (unserer Zielgruppe)<br />

zu aufwändig und zu teuer wäre,<br />

sind alle Absender von Präventionsbotschaften<br />

(Kompetenzträger, Vereine,<br />

Selbsthilfegruppen) auf Multiplikatoren<br />

angewiesen. Hier bricht häufig schon<br />

der Kommunikationsfluss ab, der eigentlich<br />

vom Sender über den Mittler bis<br />

hin zum Empfänger ungestört ablaufen<br />

sollte. Damit dieser Kommunikations-<br />

55


56<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

fluss nicht abbricht, empfiehlt es sich die<br />

Multiplikatoren immer als sehr sensible<br />

(und zumeist auch politische) Menschen<br />

zu betrachten, das heißt sie müssen die<br />

Botschaft nicht nur erhalten, sie müssen<br />

sie bewusst aufnehmen, sie müssen sie<br />

verstehen und sie müssen motiviert werden,<br />

Ihre Botschaft weiterzuverbreiten.<br />

Insbesondere die Presse- und Lobbyarbeit<br />

muss an dieser Stelle professionalisiert<br />

werden.<br />

3.) Wenn die Botschaft bei der Zielgruppe<br />

ankommt, passiert es immer wieder,<br />

dass die Botschaft im Kern nicht<br />

erkannt, ihre Auswirkungen auf das eigene<br />

Leben nicht nachvollzogen und<br />

deshalb auch nicht ernst genommen<br />

wird. Hier gibt es meiner Meinung nach<br />

die größten Probleme. So erreichte die<br />

Babyhilfe nach der großen Schlafsack-<br />

Verlosungsaktion ein Dankesschreiben<br />

eines Gewinners mit einem Foto eines<br />

Säuglings, das in bäuchlings auf einem<br />

Schafsfell schlief. Aber auch Hebammen<br />

und Krankenhauspersonal scheinen mit<br />

der Glaubwürdigkeit von SID-Risikofaktoren<br />

mitunter ein Problem zu haben.<br />

Anders lässt es sich wohl kaum erklären,<br />

dass jedes Jahr … SID-Fälle in Krankenhäusern<br />

zu beklagen sind, obwohl<br />

sich das medizinische Personal eigentlich<br />

über die SID-Risiken im Klaren<br />

sein müsste. Möglicherweise liegt dieser<br />

beklagenswerte Umstand an der Tatsache,<br />

dass die Kommunikation nur selten<br />

bei den Bedürfnissen der Zielgruppe<br />

ansetzt – sich also weder deren Umfeld<br />

und Zeitrahmen schert, noch sich bewusst<br />

deren Sprache bedient. Im Fall<br />

des Schlafsackgewinners hätte es möglicherweise<br />

geholfen, anstatt abstrakt von<br />

den Risikofaktoren Überwärmung und<br />

Überdeckung zu reden, mehr die Folgen<br />

der Risikofaktoren in den Mittelpunkt<br />

der Kommunikation zu stellen. Es muss<br />

ihm klar werden, dass sein Baby deutlich<br />

schlechter auf Sauerstoffmangel im<br />

Blut reagiert, wenn es zu warm schläft<br />

oder gar Kohlenmonoxid aus der eigenen<br />

Atemluft inhalieren muss. Erst wenn<br />

er verstanden hat, dass seine Verhaltensweisen<br />

eine lebensbedrohliche Gefahr<br />

für sein Baby darstellt dürfen, ist er auch<br />

empfänglich für weiteres Zahlenmaterial,<br />

mit dem Sie Ihre Präventionsbotschaft<br />

untermauern können.<br />

Und keine Angst vor deutlichen Worten:<br />

Im Gegensatz zu manch einem Politiker<br />

oder Vorgesetzen, müssen Sie<br />

unangenehme Wahrheiten nicht durch<br />

wohlwollende Worte verschleiern. Beweisen<br />

Sie Größe und widerstehen Sie<br />

auch der Versuchung, Ihr Gegenüber<br />

beeindrucken zu müssen! Für den Erfolg<br />

einer Präventionskampagne gegen den<br />

plötzlichen Säuglingstod, gibt es nur ein<br />

einzige wichtige Motivation: Sie wollen<br />

und müssen von Ihrer Zielgruppe verstanden<br />

werden.<br />

Mit wem wir es zu tun haben:<br />

Multiplikatoren und Zielgruppe<br />

sind auch nur Menschen<br />

Was ist zu tun? Wir müssen zurück zu<br />

den Wurzeln und wir müssen von denen<br />

lernen, die tagtäglich mit vielen Millionen<br />

Menschen erfolgreich kommunizieren:<br />

von den Journalisten zum Beispiel.<br />

Denn schließlich müssen wir genau diese<br />

Berufsgruppe als Multiplikator überzeugen,<br />

damit sie unsere Botschaften möglichst<br />

perfekt bei unserer Zielgruppe


platziert. Aber auch wenn wir die Journalisten<br />

auf dem Weg an unsere Zielgruppe<br />

umgehen können – wichtig ist, dass wir<br />

uns immer wieder vor Augen halten, dass<br />

unser Gegenüber ein Mensch mit Interessen<br />

und Neigungen (aber auch mit<br />

Antipathien und Fehleinschätzungen) ist<br />

– und auch als solcher behandelt werden<br />

will und muss. Entscheidend darüber, ob<br />

eine Botschaft bei Ihrer Zielgruppe ankommt<br />

ist aber, dass wir vor jeder wichtigen<br />

Äußerung kurz in uns gehen und uns<br />

fragen, welches Ziel wir mit dieser Äußerung<br />

verfolgen: Was sollen unsere Worte<br />

bei unserem Gegenüber emotional und<br />

intellektuell auslösen? Sowohl Bauch als<br />

auch Kopf müssen wir bedienen, wenn<br />

sich unser Gegenüber dauerhaft an unser<br />

Gespräch erinnern soll.<br />

Wie eine Botschaft zur<br />

Nachricht wird: menschliche<br />

Schwächen für sich nutzen<br />

Aus dieser Erkenntnis der Gehirnforschung<br />

entwickelten die Kommunikationswissenschaftler<br />

Galtung und Ruge<br />

1965 1 die so genannten Nachrichtenfaktoren,<br />

die als grober Anhaltspunkt für<br />

den Aufmerksamkeitswert/Wirkungsgrad<br />

einer Botschaft gelten. Wichtig! Jeder<br />

Nachrichtenfaktor steht immer in<br />

direkter Relation zu dem Mitglied der<br />

Zielgruppe, das mit der Botschaft konfrontiert<br />

wird. Eine Mutter wird für<br />

Baby-Themen immer empfänglicher sein<br />

als eine Studentin, die in der gleichen<br />

Stadt wohnt, genau so alt wie die Mutter<br />

ist, einen ähnlichen Intellekt hat, die aber<br />

im Gegensatz zu der Mutter ihr Familienleben<br />

noch vor sich sieht.<br />

Pabst<br />

Faktoren für eine bessere Kommunikation<br />

Galtung/Ruge beschreiben insbesondere<br />

die folgenden zwölf Nachrichtenfaktoren;<br />

die Lehren für die Praxis finden<br />

Sie hinter den Pfeilen:<br />

1.) zeitliche Nähe –> jede Botschaft sollte<br />

sich auf ein Ereignis beziehen, das<br />

gerade geschehen ist. Liegt das Ereignis<br />

schon eine Weile zurück, sollte es<br />

durch möglichst viele aktuelle Aspekte<br />

aufgepeppt werden.<br />

2.) Schwellengröße –> jede Botschaft<br />

konkurriert mit anderen Botschaften,<br />

die zeitgleich an unseren Empfänger<br />

gesendet werden. Soll unsere<br />

Botschaft vom Empfänger als lauteste<br />

und wichtigste wahrgenommen werden,<br />

muss sie sich auf ein möglichst<br />

großes Ereignis beziehen.<br />

3.) Eindeutigkeit –> Botschaften mit<br />

mehreren Aspekten müssen zur besseren<br />

Verständlichkeit immer in einzelne<br />

Aspekte aufgelöst werden. Um<br />

den Kern einer Geschichte zu erfassen,<br />

formulieren Journalisten zum<br />

Beispiel bei jeder Geschichte zuerst<br />

den „Fensterbrüller“: eine Schlagzeile,<br />

bei der sich die Leute umdrehen,<br />

wenn man sie aus dem Fenster auf<br />

die Straße brüllen würde. „Lege Dein<br />

Baby zum Schlafen auf den Rücken!“<br />

wäre so ein Fensterbrüller. „Babys<br />

lieben es rauchfrei“ ist dagegen noch<br />

zu abstrakt, um als Fensterbrüller<br />

seine volle Wirkung zu verbreiten.<br />

In diesem Fall müssen die Fäden Botschaft<br />

noch weiter entwirrt werden.<br />

Zum Beispiel könnte der Fensterbrüller<br />

heißen: „Mach die Zigarette<br />

aus, wenn dein Baby schläft!“ oder<br />

ganz einfach „Babys mögen keinen<br />

Rauch!“<br />

57


58<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

4.) psychische und lokale Nähe –> Botschaften<br />

müssen für den einzelnen<br />

Empfänger immer nachempfindbar<br />

formuliert werden. Je mehr die Botschaft<br />

mit dem Erlebten des Empfängers<br />

zu tun hat und je näher sie an seinem<br />

Lebensumfeld ist, desto stärker<br />

wird die Botschaft erlebt – und desto<br />

größer wird die Chance gehört zu<br />

werden.<br />

5.) Erfüllung unserer sehnlichsten Wünsche<br />

–> siehe psychische Nähe<br />

6.) Überraschungsfaktor -> Wenn partout<br />

nichts Überraschendes an einer<br />

Botschaft gefunden werden kann, so<br />

sollte zumindest versucht werden,<br />

die Botschaft auf eine ungewöhnliche<br />

Art und Weise zu präsentieren.<br />

7.) Kontinuität –> Beim Formulieren einer<br />

Geschichte, mit der eine Botschaft<br />

transportiert werden soll, sollte<br />

immer auch schon daran gedacht<br />

werden, wie die Geschichte fortgesetzt<br />

werden kann. Denn ist ein Thema<br />

einmal in den Nachrichten, fällt<br />

es so schnell nicht wieder heraus – es<br />

sei denn, es tritt auf der Stelle. Dann<br />

wird es langweilig. Bevor es dazu<br />

kommt, also schnell einen neuen Aspekt<br />

in die Diskussion einbringen!<br />

8.) Kuriosität, Unterhaltungsfaktor –><br />

Geschichten, die mit einem Schmunzeln<br />

erzählt werden können, werden<br />

immer dankbar weiter getragen. Sie<br />

dienen als willkommener Kontrast<br />

für die (zumeist tristen) Begebenheiten,<br />

die einen Großteil unseres<br />

Lebens bestimmen.<br />

9.) Mächtige Länder –> Botschaften sollten<br />

sich entweder auf wichtige große<br />

oder schnelle wendige Länder beziehen.<br />

10.) Mächtige Personen –> Botschaften<br />

sollten grundsätzlich handelnde Akteure<br />

haben – je einflussreicher, desto<br />

besser. Zahlen allein können nicht<br />

handeln, deshalb wirken sie langweilig,<br />

solange nicht zusätzlich ein anderer<br />

Nachrichtenfaktor erfüllt ist!<br />

11.) Personalisierung –> Weg mit anonymen<br />

Risikofaktoren, her mit (lebendigen<br />

oder toten) <strong>Kinder</strong>n, (freudestrahlenden<br />

oder trauernden)<br />

Eltern, (engagierten oder besorgten)<br />

Babysittern! Ansonsten gilt Punkt<br />

10.<br />

12.) Negativismus –> Über dieses Gesetz<br />

beschweren sich nicht nur Wirtschaftsbosse<br />

und Politiker: Eine<br />

schlechte Botschaft verkauft sich<br />

besser als eine gute. Der Grund ist<br />

einleuchtend: Angst und Furcht gehören<br />

zu den stärksten und kontinuierlichsten<br />

Gefühlen, die ein Mensch<br />

erleben kann. Im Fall der SID-Prävention<br />

muss insbesondere dieser<br />

Punkt jedoch mit äußerster Vorsicht<br />

behandelt werden, da Angst und<br />

Furcht in den meisten Fällen auch<br />

eine lähmende Komponente mit<br />

sich bringt.<br />

Da 1965 der Einfluss des Fernsehens<br />

bei der Vermittlung einer Botschaft an<br />

eine möglichst große Zielgruppe bei weitem<br />

noch nicht so eine entscheidende<br />

Rolle gespielt hat wie heute, müsste noch<br />

ein dreizehnter Nachrichtenfaktor zu<br />

der Liste hinzugefügt werden.<br />

13.) Bildhaftigkeit –> bevor Sie eine Botschaft<br />

formulieren, denken Sie bitte<br />

daran, dass diese Botschaft in möglichst<br />

beeindruckenden (Sprach-)<br />

Bildern kommuniziert werden kann.


Wenn Sie das Fernsehen als Kommunikationskanal<br />

wählen, ist dieser<br />

Faktor unabdingbare Voraussetzung.<br />

Und mag das Thema noch so wichtig<br />

sein: keine Bilder, kein Fernsehen.<br />

Wie unser Anspruch aussieht:<br />

erst nachdenken, dann reden.<br />

Ideal wäre also, wenn es uns gelänge,<br />

die Botschaften der SID-Prävention<br />

bildhaft, aktuell, laut, eindeutig, eindringlich,<br />

hoffend, überraschend, unterhaltend,<br />

personalisiert und in der Konsequenz<br />

ein wenig negativ zu formulieren.<br />

Dabei sollte sie pointiert sein und den<br />

Unterschied zum gewohnten Mittelmaß<br />

deutlich herausarbeiten.<br />

Das sollte unser Anspruch sein. Hierfür<br />

wünsche ich Ihnen viel Erfolg! Und<br />

ich würde mich freuen, wenn Sie diese<br />

Ansprüche in der zweiten SID-Präventionstagung<br />

– zumindest ansatzweise<br />

– erfüllt sehen, so dass die wichtigsten<br />

Botschaften des Kongresses in Ihrem Gedächtnis<br />

mit positiven Bildern verbunden<br />

sind und sie diese in Ihrem Umfeld<br />

so oft wie möglich weiter verbreiten.<br />

Autor<br />

Thomas Pabst, Kommunikationsberatung<br />

Langgarten 21, 69124 Heidelberg<br />

Telefon (0 62 21) 8 94 67 83<br />

Telefax (0 62 21) 8 94 67<br />

tpkomm@gmx.de http://pabst.pr-server.de<br />

Literatur<br />

1 Elisabeth Noelle-Neumann u. a. (Hrsg.):<br />

Fischer Lexikon Publizistik. Massenkommunikation.<br />

Fischer: Frankfurt/M. 2000, S. 331<br />

Pabst<br />

Faktoren für eine bessere Kommunikation<br />

59


Brückmann<br />

Beinahe-SID unter stationärer Überwachung mit schwersten neurologischen Folgeschäden<br />

Beinahe-SID unter stationärer Überwachung mit<br />

schwersten neurologischen Folgeschäden<br />

Brückmann D<br />

<strong>Kinder</strong>krankenhaus St. Nikolaus Oberschwabenklinik gGmbH, Abteilung für Neuropädiatrie Ravensburg<br />

Einleitung<br />

Der plötzliche unerwartete Säuglingstod<br />

wurde definiert als plötzlicher Tod<br />

eines Säuglings oder Kleinkindes, der<br />

unerwartet eintritt und bei dem sorgfältige<br />

Untersuchungen keine adäquate<br />

Ursache nachweisen lassen (Beckwith<br />

1970). Die Definition wurde später erweitert<br />

bezüglich der Vorgeschichte,<br />

der Todesumstände und der Obduktion<br />

(Willinger 1991, Beckwith 1992, 1993).<br />

Ein SID ist für die Betroffenen immer ein<br />

katastrophales Ereignis. Wenn sich dieses<br />

aber in der als sicher angenommenen<br />

Umgebung einer Klinik ereignet, zeigen<br />

sich alle Beteiligten fassungslos, von den<br />

Eltern werden schuldhaftes Versagen<br />

und Versäumnisse angenommen.<br />

Vor Jahren – noch in Zeiten sehr selektiver<br />

Monitorüberwachung – war in<br />

unserer Klinik ein Säugling am SID in<br />

Bauchlage verstorben, nachdem sein Monitor<br />

von einem anderen Kind mit Bluttransfusion<br />

benötigt worden war. Dass<br />

jedoch eine Monitorüberwachung nicht<br />

immer zuverlässigen Schutz bietet, soll<br />

am folgenden Fall dargestellt werden.<br />

Kasuistik<br />

Roberto L-S, war in der 35. SSW geboren<br />

worden, die postnatale Entwicklung<br />

war unauffällig. Zwei Tage vor der stati-<br />

onären Aufnahme – im chronologischen<br />

Alter von vier Monaten – bestand eine<br />

Obstipation. Nach abführenden Maßnahmen<br />

wurde blutig-schleimiger Stuhl<br />

abgesetzt. Daraufhin erfolgte die Einweisung<br />

untter dem Verdacht auf Invagination.<br />

Diese bestätigte sich zunächst nicht,<br />

das Kind wurde aber zur Beobachtung<br />

aufgenommen. Wegen angenommener<br />

Bauchschmerzen wurde R. auf den Bauch<br />

gelegt und mit einem Herz-Atem Monitor<br />

überwacht. In der folgenden Nacht<br />

wurde er zwei Stunden nach Nahrungsaufnahme<br />

nach Monitoralarm bei 49/<br />

min HF blass-zyanotisch im Erbrochenen<br />

aufgefunden. Nach rascher Reanimation<br />

und Absaugung war eine maschinelle<br />

Beatmung über elf Tage erforderlich. Ab<br />

dem fünften Behandlungstag stellten sich<br />

fokale Krampfanfälle sowie eine myoklonische<br />

Enzephalopathie mit massiven<br />

Myoklonien auf minimalste Reize ein.<br />

Es wurde eine antikonvulsive Therapie<br />

mit Carbamazepin und Clonazepam mit<br />

mäßigem Erfolg eingeleitet. Im MRI des<br />

Schädels zeigten sich später ausgedehnte<br />

Nekrosen im Marklager und cortikal, generalisierte<br />

Hirnatrophie und lakunäre<br />

Defekte im Bereich der Pons, der Stammganglien<br />

und des Thalamus beidseits.<br />

Klinik und VEP ergaben Hinweise auf<br />

eine cortikale Amaurose (VEP = visuell<br />

evozierte Potenziale; cortikale Amaurose<br />

= zentral bedingte Blindheit).<br />

61


62<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Diskussion<br />

und Schlussfolgerung<br />

Es liegen keine verlässlichen Daten von<br />

SID mit und ohne erfolgreiche Reanimation<br />

in der Klinik vor. Der Erfolg der<br />

jetzt generellen Monitorüberwachung<br />

ist ebenfalls nicht beurteilbar. Unter<br />

Überwachung mit Atemmonitor sind in<br />

einer englischen Studie in der Klinik 16<br />

Todesfälle aufgetreten (Samuels 1993).<br />

Zudem ist nach der derzeitigen Einschätzung<br />

die Monitiorüberwachung vorwiegend<br />

als diagnostische Maßnahme anzusehen<br />

(Poets 2000). Eine Überwachung<br />

mit Herz-Atemmonitor erscheint problematisch,<br />

da eine Bradykardie nicht<br />

selten erst nach längerer Hypoxie auftritt<br />

(Poets 1993). Ob unser Patient das akute<br />

Ereignis mit Pulsoxymetrie unbeschadet<br />

überstanden hätte, ist zwar nicht nachweisbar,<br />

aber dennoch nicht auszuschließen.<br />

Für unsere Klinik wurde die Folgerung<br />

gezogen, dass Säuglinge nur nach strenger<br />

Indikation und schriftlicher ärztlicher<br />

Anweisung in Bauchlage gebracht<br />

werden dürfen und dann pulsoxymetrisch<br />

im beat zu beat Modus überwacht<br />

werden müssen.<br />

Literatur<br />

Beckwith JB (1970) Discussion of terminology<br />

and definition of sudden infant death syndrom.<br />

In Bergmann AB, Beckwith JB, Ray CG Sudden<br />

infant death syndrom. Proceedings of the Second<br />

International Conference on the Causes of Sudden<br />

Death in Infants.University of Washington Press,<br />

Seattle, pp 14–22<br />

Beckwith JB (1993) A proposed new definition of<br />

sudden infant death syndrom. In Walker AM, Mc<br />

Millen C Second SIDS International Conference<br />

1992. Perinatology Press. Ithaka New York pp<br />

421–424<br />

Poets CF, Samuels MP, Noyes J, Hewertson J, Hartmann<br />

H, Holder A, Southhall DB (1993) Home<br />

event recordings of oxygenation, breathing movements,<br />

and electrocardiogram in infants and young<br />

children with apparent life-threatening events. J<br />

Pediatrics 123: 693–701<br />

Poets CF (2000) Heimmonitoring in Kurz R, Kenner<br />

TH, Poets CF (Herausgeber) Der plötzliche<br />

Säuglindgstod Springer Verlag Wien: 227–234<br />

Samuels MP, Stebbens VA, Poets CF, Southall DP<br />

(1993) Death on infant apnoe monitors. J Maternal<br />

Child Health 18: 262–266<br />

Willinger M, James LS, Catz C Defining the sudden<br />

infant death syndrom: deliberations of an expert<br />

panel convened by the National Institute of Child<br />

Health and Human Development. Pediatr Pathol<br />

11: 677–684<br />

Autor<br />

Dr. med. Detlef, A. Th. Brückmann<br />

Abteilung für Neuropädiatrie<br />

im <strong>Kinder</strong>krankenhaus St. Nikolaus<br />

Oberschwabenklinik gGmbH<br />

Nikolausstraße 10, 88212 Ravensburg<br />

Telefon (07 51) 87 32 78<br />

Telefax (07 51) 87 32 30<br />

detlef.brueckmann@oberschwaben-klinik.de


Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Zusammenfassung<br />

Sowohl medizinische Indikationen für<br />

den Heimmonitoreinsatz als auch ein<br />

steigendes Risikobewusstsein der Eltern<br />

lassen einen schnell wachsenden Markt<br />

für Heimüberwachung von Säuglingen<br />

entstehen. Die Definition des SID –<br />

als unerwartetes und nicht erklärbares<br />

Ereignis – sowie die noch unvollständige<br />

wissenschaftliche Durchdringung<br />

des Phänomens machen SID zu einem<br />

aktuellen medizinischen, medizintechnischen<br />

und wirtschaftlichen Problem.<br />

Verschiedene Veröffentlichungen zeigen,<br />

dass Heimmonitore die Erwartungen<br />

von Ärzten und Eltern nur teilweise<br />

erfüllen, was insbesondere die korrekte<br />

Ermittlung und Vorwarnung von lebensbedrohlichen<br />

Zuständen des Säuglings<br />

betrifft. Die häufigen Fehlalarme beim<br />

Einsatz von Heimmonitoren stellen ihre<br />

Applikation in Frage. Zur Erreichung einer<br />

notwendigen Mindestqualität ist unbedingt<br />

eine einheitliche Verifizierung<br />

z. B. durch Signalverläufe von Fällen<br />

mit lebensbedrohlichem Charakter und<br />

durch klinisch professionelle Testung im<br />

Rahmen der Polysomnografie erforderlich.<br />

Im vorliegenden Beitrag wird ein<br />

Überblick zu den am deutschen Markt<br />

verfügbaren Monitoren für pädiatrische<br />

Heimüberwachung gegeben. Der Heimmonitor<br />

als biomedizinisches Gerät, als<br />

Hilfsmittel im Sinne der Patientenbetreuung,<br />

wurde dabei aus technischer<br />

und wirtschaftlicher Sicht analysiert.<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Rabenau M, Andres M, Naumann K, Poll P<br />

Institut für Biomedizinische Technik, Fakultät Elektrotechnik & Informationstechnik der TU Dresden<br />

Fakten zur Bewertung des Heimmonitormarktes:<br />

• Bisher gibt es nur drei Heimmonitore,<br />

die in klinischen Studien parallel<br />

zur kontinuierlichen Polysomnografie<br />

geprüft wurden. Dabei<br />

hat sich gezeigt, dass die Fehlalarmquote<br />

hoch und das Eventrecording<br />

unzuverlässig ist. Standardisierte<br />

Prüfprotokolle fehlen bisher als<br />

Zugangskriterium zum Markt.<br />

• In Deutschland bieten etwa 16 Firmen<br />

rund 50 verschiedene Heimmonitore<br />

und Pulsoximeter an.<br />

Im Heil- und Hilfsmittelkatalog<br />

der gesetzlichen Krankenkassen<br />

sind gegenwärtig 25 SID-Monitore<br />

gelistet. Die Preise (inkl. 16 %<br />

Mwst., ohne Sensoren und Elektroden)<br />

liegen bei ca. 1 000 Euro<br />

für Atemfrequenz-Monitore, bei<br />

ca. 2 500 Euro (± 1200 Euro) für<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

mit integriertem Speicher sowie<br />

bei ca. 4 500 Euro (±1 200 Euro) für<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

mit zusätzlich integriertem Pulsoximeter.<br />

• Im Jahr 2003 wurden in Deutschland<br />

ca. 4 500 ± 300 Heimmonitore<br />

für Säuglinge nach dem Hilfsmittelverzeichnis<br />

Nr. 21.24.02 von den<br />

gesetzlichen Krankenkassen finanziert.<br />

• Dies entspricht bei Annahme eines<br />

mittleren Preises von 2 000 Euro<br />

einem Umsatzvolumen von min-<br />

63


64<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

destens zehn Millionen Euro. Pulsoximeter<br />

als alleinige Verordnung,<br />

Sensoren, Elektroden etc. sind darin<br />

noch nicht enthalten.<br />

Einleitung<br />

Medizinische Indikationen 1 für einen<br />

Heimmonitoreinsatz und ein steigendes<br />

Risikobewusstsein von Eltern, insbesondere<br />

die Angst ihr Kind durch den<br />

plötzlichen Säuglingstod zu verlieren,<br />

haben einen schnell wachsenden Markt<br />

für Heimüberwachung von Säuglingen<br />

hervorgebracht. Die Definition zum<br />

SID 2 , der gegenwärtige wissenschaftliche<br />

Erkenntnisstand zur Diagnose SID<br />

[7, 14], die Dynamik der technischen<br />

Entwicklung bei den Heimmonitoren<br />

und der damit verbundene Erkenntnisprozess<br />

zeigen in verschiedenen Veröffentlichungen<br />

[1, 3, 10, 13], dass Heimmonitore<br />

teilweise nicht die von ihnen<br />

hervorgerufenen Erwartungen bei Ärzten<br />

und Eltern erfüllen. Insbesondere die<br />

Ermittlung und die Vorwarnung von lebensbedrohlichen<br />

Zuständen des Säuglings<br />

werden unterschiedlich realisiert<br />

[2].<br />

Der vorliegende Beitrag soll aus technischer<br />

Sicht einen Überblick über die<br />

am deutschen Markt verfügbaren Heimmonitore<br />

geben und so zur objektiven<br />

Bewertung des Marktes der Heimmonitore<br />

beitragen. Für die Krankenkassen<br />

sind Heimmonitore im Sinne der Patientenbetreuung<br />

spezielle Biomedizinische<br />

Geräte, die der Kategorie Hilfsmittel<br />

zuzuordnen sind.<br />

Da die Gerätebezeichnungen variieren,<br />

wurde zur Begriffsbestimmung folgende<br />

Vorgabe vereinbart: Als Heimmo-<br />

nitore werden im Weiteren Geräte oder<br />

Einrichtungen verstanden, welche sowohl<br />

messen und überwachen als auch den aktuellen<br />

Status der Messung anzeigen können und<br />

im vorgegebenen Notfall alarmieren. Nicht<br />

betrachtet dagegen werden Geräte, die<br />

diesen Kriterien nicht entsprechen. Dies<br />

betrifft insbesondere sog. Babyphone 3<br />

bzw. Baby-Videophone. Sie beschränken<br />

sich auf das reine Übertragen von Informationen.<br />

Sie nehmen also keine Bewertung<br />

entsprechender Biosignale für kritische<br />

Zustände und damit verbundene<br />

mögliche Alarmierungen vor.<br />

Die Zusammenstellung der Heimmonitore<br />

entstand auf der Basis:<br />

1 z.B. nach einem Vorfall von ALTE (apparent<br />

life threatening event) oder ALE (anscheinend<br />

lebensbedrohliches Ereignis) – d. h. überlebtes<br />

offensichtlich lebensbedrohliches Ereignis, bei<br />

maschinell beatmeten <strong>Kinder</strong> oder bei Frühgeborenen,<br />

die zum Zeitpunkt der Entlassung<br />

noch signifikante Apnoen bzw. Hypooxämien<br />

aufweisen [4, 5, 8]<br />

2 SID/SIDS steht als Abkürzung für „Sudden<br />

Infant Death Syndrom“, die englische Bezeichnung<br />

für die Diagnose „Plötzlicher Kindstod“ -<br />

der häufigsten Todesursache im ersten Lebensjahr.<br />

Die seit 30 Jahren gültige Definition sieht<br />

in der Diagnose „Plötzlicher Kindstod“ den<br />

„plötzlichen Tod eines Säuglings oder Kleinkinds,<br />

der aufgrund der Anamnese unerwartet<br />

ist und bei dem eine gründliche postmortale<br />

Untersuchung keine adäquate Todesursache<br />

zu zeigen vermag“ [12].<br />

3 Beispiele findet man beim Spezialversand für<br />

<strong>Kinder</strong>sicherheitsprodukte - Silke Grützner /<br />

Dortmund (www.kinder-sicherheit.de/babyphone)<br />

oder beim Babyphonversand Fortkamp<br />

Internetmarketing / Billerbeck (www.<br />

babyphonversand.de)


• umfangreicher Recherchen im Internet<br />

mit verschiedenen Synonyma 4 (z. B.<br />

Heimmonitoring/-monitore, Überwa-<br />

chungsmonitoring/-monitore [für<br />

Herz, Atmung, Sauerstoffsättigung],<br />

Apnoe-Monitore, Herz-/Atemfrequenzmonitore,<br />

SIDS-Monitore/-Über-<br />

wachungsmonitore, Baby-Monitore),<br />

• verschiedener Homepage-Informationen<br />

von Herstellern und Vertriebsfirmen<br />

zutreffender Gerätetechnik,<br />

• telefonischer Kontaktaufnahme oder<br />

E-Mail-Austausche mit Herstellern<br />

bzw. Vertreibern,<br />

• des Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnisses<br />

der Krankenkassen und<br />

• schriftlicher Anfragen bei ausgewählten<br />

Krankenkassen.<br />

Gerätetypenübersicht, Anbieter 5<br />

Die aus den Angaben der Hersteller<br />

und verschiedener Vertreiber zusammengestellte<br />

Übersicht in Tabelle 1 soll<br />

dem Pädiater eine Vorstellung über die<br />

auf dem deutschen Markt verfügbare,<br />

umfangreiche Gerätetechnik zum Heimmonitoring<br />

geben. Bedingt durch die<br />

zügige technische Entwicklung auf dem<br />

Gebiet der Heimmonitore ist das Angebot<br />

einer ständigen Änderung und<br />

Erweiterung unterworfen. Diese Gerätetechnik<br />

kann aus der applikativen Sicht<br />

Heimmonitoring beispielsweise nach den<br />

bewerteten Biosignalen folgendermaßen<br />

eingeteilt werden:<br />

• Atemfrequenz-Monitore (Apnoe-Monitor),<br />

• Atem-und-Herzfrequenz (EKG)-Monitore,<br />

• Multiparameter-Monitore (neben<br />

Atem- und Herzfrequenz werden wei-<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

tere Biosignale wie O2-Sättigung oder<br />

CO2-Gehalt teilweise auch Temperatur,<br />

Blutdruck bewertet),<br />

• Pulsoximeter (O2-Sättigung) und<br />

• Capnographen (CO2-Gehalt).<br />

In diesem Gerätesortiment insbesondere<br />

unter den Überschriften: SIDS-<br />

Monitor, Babymonitoring, Neugeborenen-<br />

Überwachungssystem, Monitoring von<br />

Neugeborenen, Überwachung der Atem- und<br />

Herzfunktion von Säuglingen, Überwachungsgeräte<br />

gegen den Plötzlichen Kindstod,<br />

Säuglingsmonitore für SIDS-Prävention sowie<br />

Home Care finden sich ca. 16 Hersteller<br />

oder Anbieter in Deutschland:<br />

• Air Products Medical GmbH/Hattingen<br />

(www.airproducts.de)<br />

• Bitmos GmbH/Düsseldorf<br />

(www.bitmos.de)<br />

• Datex-Ohmeda GmbH/Duisburg<br />

(www.datex-ohmeda.de)<br />

• Getemed Medizin- und Informationstechnik<br />

AG/Teltow<br />

(www.getemed.de)<br />

• Hoffrichter GmbH/Schwerin<br />

(www.hoffrichter.de)<br />

• Heinen + Löwenstein (H&L) GmbH/<br />

Bad Ems (www.hul.de)<br />

• Masimo Corporation/USA<br />

(www.masimo.com)<br />

4 siehe auch im UMDNS (Universal Medical Device<br />

Nomenclature System) bei DIMDI (Deutsches<br />

Institut für Medizinische Dokumentation<br />

und Information) unter www.dimdi.<br />

de oder www.kliniken.de im Menü Lieferanten<br />

und UMDNS-Nomenklatur<br />

5 Es wurde die Bezeichnung Anbieter gewählt, da<br />

sowohl Hersteller als auch Vertreiber ausländischer<br />

Technik das Geräteangebot in Deutschland<br />

bestimmen.<br />

65


66<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

• Medlab medizinische Diagnosegeräte<br />

GmbH/Karlsruhe<br />

(www.medlab-gmbh.de)<br />

• MLM GmbH/Teltow<br />

(www.ursula-weisensee.de)<br />

• Nellcor Puritan Bennett/Pleasanton,<br />

USA (www.nellcor.com)<br />

• Radiometer GmbH/Willich<br />

(www.radiometer.de)<br />

• Saegeling Medizintechnik GmbH/Heidenau<br />

(www.saegeling-mt.de)<br />

• Schulte-Elektronik GmbH/Olsberg<br />

(www.schulte-elektronik.de)<br />

• Smiths Medical Deutschland GmbH/<br />

Kirchseeon (www.smiths-web.de) verbunden<br />

mit Graseby Medical Limited/<br />

Hertfordshire UK<br />

(www.graseby.co.uk/index2.php)<br />

• F. Stephan GmbH/Gackenbach<br />

(www.stephan-gmbh.com)<br />

• VitalAire GmbH / Norderstedt (www.<br />

vitalaire.de)<br />

• Weinmann Geräte für Medizin<br />

GmbH + Co.KG/Hamburg<br />

(www.weinmann.de)<br />

• Werner & Müller – Gesellschaft für<br />

Medizintechnik – Produkte Vertriebs<br />

mbH/Wiesenbach<br />

(www.wernerundmueller.de)<br />

• Funny Handel GmbH & Co. KG/Düsseldorf<br />

(www.funny-handel.de) deutscher<br />

Anbieter für Angelcare/Kanada<br />

(www.angelcare-monitor.com)<br />

• Nonin Medical, Inc./USA<br />

(www.nonin.com)<br />

Für eine Überschaubarkeit der Tabelle<br />

1 wurden bei der Geräteauflistung entsprechende<br />

Gerätefamilien und ähnliche<br />

Gerätearten eines Herstellers immer<br />

zusammengefasst. Auch können einige<br />

Geräte von verschiedenen Anbietern bezogen<br />

werden, was durch die Angabe<br />

weiterer Firmen verdeutlicht wird.<br />

Tabelle 1: Zusammenstellung Überwachungsgeräte für Säuglinge u. Kleinkinder<br />

Typ Nr. Geräte Anbieter Biogrößen<br />

AF HF SaO2 etCO2<br />

1* Angelcare® Typ AC100, AC201-R Funny Handel x – – –<br />

2* SpiroGuard Hoffrichter x – – –<br />

3* SISS Babycontrol® Schulte-Elektronik x – – –<br />

4* MR 10 VitalAire, Graseby x – – –<br />

5* Neoguard% Bitmos x x – –<br />

6* VitaGuard® VG 2000 #§, VG 2100 Getemed, H&L x x – –<br />

7* SD 1 # Air Products Medical x x – –<br />

8* RW 2000 # Werner & Müller x x – –<br />

9* SpiroGuard C Hoffrichter x x – –<br />

10* Sterntaler Typ I, <strong>II</strong> Hoffrichter x x – –<br />

11* Samson% H&L, Saegeling x x – –<br />

12* SIDS 900 S, 970 S Saegeling x x – –<br />

13* Babycontrol® plus bzw. plus EKG Schulte-Elektronik x x – –<br />

14* NeoSid Nova F. Stephan x x – –<br />

15* MR 20 VitalAire, Graseby x x – –<br />

Atemfrequenz-M.<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore


Multiparameter-Monitore<br />

Pulsoximeter<br />

Capno.<br />

16* VitaGuard® VG 3000 #§, VG 3100 Getemed, H&L x x x –<br />

17* SD 2 # Air Products Medical x x x –<br />

18* RW 3000 # Werner & Müller x x x –<br />

19* BabyMonitor Fredy% MLM x x x –<br />

20* NeoSid Nova plus F. Stephan x x x –<br />

21* Babycontrol® SpO2 Schulte-Elektronik x x x –<br />

22* MR 30 VitalAire, Graseby x x x –<br />

23* M6 VitalAire, Saegeling x x x –<br />

24* M8 VitalAire, Saegeling x x x x<br />

25* CO2 SMO plus H&L x – x x<br />

26* Capnox Medlab x – x x<br />

27* NPB-75 Nellcor, VitalAire – x x x<br />

28* sat 703, 801, 816 Bitmos – – x –<br />

29* 3800, 3900/3900P Pulsoximeter Datex-Ohmeda – – x –<br />

30* TuffSat Handoximeter Datex-Ohmeda – – x –<br />

31* VitaGuard® VG 300 #§ , VG 310 Getemed – – x –<br />

32* PX 1 # Air Products Medical – – x –<br />

33* RW 300 # Werner & Müller – – x –<br />

34* Masimo Radical; RAD-5/5v/-9 Masimo, Getemed u. a. – – x –<br />

35* Nanox Medlab – – x –<br />

36* POX10L Medlab – x x –<br />

37* NPB-40 Nellcor, VitalAire – - x –<br />

38* PalmSAT® 2500, Onyx® Nonin Medical – x x –<br />

39* TCM4+ Radiometer – – x –<br />

40* Oxycount® mini Weinmann, VitalAire – x x –<br />

41* Capnogard H&L x – – x<br />

42* Capnocount® mini Weinmann x – – x<br />

43* Cap 10, Capnos Medlab x – – x<br />

Erläuterungen<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Typ Nr. Geräte Anbieter Biogrößen<br />

AF HF SaO2 etCO2<br />

AF – Atemfrequenz HF – Herzfrequenz<br />

SaO2 – Sauerstoffsättigung etCO2 – endexspiratorischer Kohlendioxidgehalt<br />

* eingetragenes Hilfsmittel siehe Tabelle 2<br />

# Nach www.getemed.net/deutsch/start_deutsch.htm unter Produkte, Monitoring und OEM-Versionen<br />

(vom 29. November 2004) sind die Getemed-Monitore auch als baugleiche OEM-Versionen der Firmen<br />

Air Products Medical und Werner & Müller erhältlich.<br />

§ Nach Auskunft des Anbieters: Auslaufmodell wird durch eine Weiterentwicklung ersetzt.<br />

% Gerät ist nach Auskunft des Anbieters nicht mehr erhältlich.<br />

+ Gerät misst auch den transkutanen CO2.<br />

67


68<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Die technische Realisierung der Geräte<br />

ist sehr unterschiedlich. Ihre Beschreibung<br />

muss im konkreten Fall aus der Gerätedokumentation<br />

des Herstellers entnommen<br />

werden. In Tabelle 1 wurden zu<br />

den jeweiligen Geräten die gemessenen<br />

Biogrößen aufgeführt, woraus sich die<br />

Gerätezuordnung zu den Monitortypen<br />

ergibt. Daneben sind für die Bewertung<br />

des konkreten Monitors noch weitere<br />

wesentliche Kriterien zu nennen, wie:<br />

• Netz- oder Batteriegerät (Größe bzw.<br />

Gewicht; Eignung für den mobilen<br />

Einsatz),<br />

• Sensortypen und -eigenschaften,<br />

• Gestaltung und Größe (Lesbarkeit)<br />

der Anzeige,<br />

• Möglichkeit der Messwertspeicherung<br />

(Eventrecording oder kontinuierliche<br />

Speicherung),<br />

• Möglichkeit der Messwertsausgabe per<br />

Drucker und/oder an PC,<br />

• Arten der Alarmierung (optische, akustisch),<br />

Einstellbarkeit von Ansprechempfindlichkeit<br />

und Alarmgrenzen.<br />

Hilfsmittelverzeichnis der Krankenkassen<br />

Heimmonitore sind aufgrund ihrer<br />

Nutzung im Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnis<br />

aufgeführt (Tabelle 2),<br />

da sie im Heimbereich der Patienten<br />

eingesetzt und als Hilfsmittel geeignet<br />

sind, „eine konkrete Krankheit oder Behinderung<br />

zu verhindern“ [<strong>II</strong>]. Hilfsmittel<br />

dienen vorzugsweise dazu, Körperfunktionen<br />

Betroffener zu ersetzen,<br />

zu ergänzen oder zu verbessern, um die<br />

Alltagsverrichtungen möglichst selbstständig<br />

durchzuführen aber auch einer<br />

drohenden Behinderung, einer Krank-<br />

heit bzw. deren Verschlimmerung oder<br />

dem Eintritt von Pflegebedürftigkeit vorzubeugen.<br />

Nach § 128 SGB V 6 haben die<br />

Spitzenverbände 7 der Krankenkassen<br />

das Hilfsmittelverzeichnis zu erstellen,<br />

in dem die von der Leistungspflicht der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung umfassten<br />

Produkte aufgeführt werden. Das<br />

Hilfsmittelverzeichnis ist regelmäßig<br />

fortzuschreiben.<br />

Nach dem Verständnis im Antragsverfahren<br />

[<strong>II</strong>] sind Hilfsmittel sächliche<br />

Mittel oder technische Produkte:<br />

• Sie sichern den Erfolg einer Krankenbehandlung,<br />

gleichen eine Behinderung<br />

aus oder beugen einer drohenden<br />

Behinderung vor.<br />

• Sie werden im allgemeinen Lebensbereich<br />

bzw. im häuslichen Umfeld<br />

des Betroffenen eingesetzt, so dass sie<br />

dort in der Regel durch nicht medizinisch<br />

ausgebildete Personen genutzt<br />

werden. Sie müssen deshalb einfach zu<br />

handhaben sein.<br />

• Sie dienen der Befriedigung der elementaren<br />

Grundbedürfnisse des täglichen<br />

Lebens.<br />

• Sie sind von der Funktion her transportabel.<br />

• Sie werden über den Fachhandel durch<br />

zugelassene Leistungserbringer abgegeben.<br />

(Produkte, die ausschließlich<br />

vom Arzt angelegt oder vom Arzt in<br />

den Körper eingeführt werden, sind<br />

keine Hilfsmittel.)<br />

6 SGB V - Sozialgesetzbuch Fünftes Buch: Gesetzliche<br />

Krankenversicherung<br />

7 VdAK – Verband der Angestellten-Krankenkassen<br />

e. V. und<br />

AEV – Arbeiter-Ersatzkassen-Verband e. V.


Gewünschte Objekte werden auf Antrag<br />

der Hersteller in das Hilfsmittel-<br />

oder Pflegehilfsmittelverzeichnis aufgenommen,<br />

damit diese grundsätzlich<br />

durch die gesetzliche Krankenversicherung<br />

oder die soziale Pflegeversicherung<br />

finanziert werden können. Das Hilfsmittelverzeichnis<br />

gliedert sich in 33 Produktgruppen,<br />

um die Vielfalt der Produkte<br />

entsprechend ihrer Einsatzgebiete zu systematisieren.<br />

Jedes Produkt, für das der<br />

therapeutische oder pflegerische Nutzen<br />

bzw. die Funktionstauglichkeit und die<br />

Qualität nachgewiesen werden konnten<br />

(s. Pkt. 5), wird nach entsprechender<br />

Entscheidung der Spitzenverbände in<br />

den Produktübersichten des Hilfsmittel-<br />

oder Pflegehilfsmittelverzeichnisses<br />

aufgelistet. [<strong>II</strong>]<br />

Ein anerkanntes Hilfsmittel erhält eine<br />

zehnstellige Positionsnummer (Bedeutung<br />

der Zuordnung links beginnend,<br />

mit Angabe von Kennung und Bezeichnung<br />

für Heimmonitore):<br />

• 2-stellig Produktgruppe (21 – Messgeräte<br />

für Körperzustände/-funktionen)<br />

• 2-stellig Anwendungsort (24 – Atmungsorgane)<br />

• 2-stellig Untergruppe (02 – Überwachungsgeräte<br />

für Säuglinge/SIDS-Monitore)<br />

• 1-stellig Produktart<br />

(0 – Atemfrequenz-Monitore<br />

1 – Herzfrequenz-Monitore [keine Bedeutung]<br />

2 – kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-<br />

Monitore ohne integrierten Speicher<br />

3 – Speichereinheit für kombinierte<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

[keine Bedeutung]<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

4 – kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-<br />

Monitore mit integriertem Speicher<br />

5 – z. Z. nn [eventuell 8 : kombinierte<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

mit integriertem Speicher und Pulsoxymetrie])<br />

• 3-stellige individuelle Endziffer eines<br />

Produktes (z. B. BabyMonitor<br />

Fredy Art.-Nr.5250: 21.24.02.4.010;<br />

BabyMonitor Fredy Art.-Nr.5252:<br />

21.24.02.5.003 [vgl. Tabelle 2]).<br />

8 Vermutung der Verfasser aufgrund der eingeordneten<br />

Geräte<br />

69


70<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Tabelle 2: Auszug aus dem Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 SGB V [I]<br />

Untergruppe 21-24-02 Überwachungsgeräte für Säuglinge/SIDS-Monitore<br />

Positions-Nr. Bezeichnung Hersteller<br />

Art 0 – Atemfrequenz-Monitore<br />

21-24-02-0-001 Spiroguard 5 SG Art.-Nr. 00003102/5 SG 102 Hoffrichter<br />

21-24-02-0-002 SISS Babycontrol Mobil (BCm) Schulte-Elektronik<br />

21-24-02-0-003 MR 10 Art.-Nr. 0902-0002 VitalAire<br />

21-24-02-0-004 SISS Babycontrol temp (BCt) Art.-Nr. B00040 Schulte-Elektronik<br />

21-24-02-0-005 SISS Babycontrol Art.-Nr. B00001 Schulte-Elektronik<br />

Art 1 – Herzfrequenz-Monitore: nicht besetzt<br />

Art 2 – kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-Monitore ohne integrierten Speicher<br />

21-24-02-2-001 SISS Babycontrol Mobil Plus (BCmp), Art.-Nr. B0015 Schulte-Elektronik<br />

Art 3 – Speichereinheit für kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-Monitore: nicht besetzt<br />

Art 4 – kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-Monitore mit integriertem Speicher<br />

21-24-02-4-001 VitaGuard VG 2000 Art.-Nr. 72020 Getemed<br />

21-24-02-4-002 Sterntaler Typ 1, Art-Nr. 00006401 – 4 Hoffrichter<br />

21-24-02-4-003 Sterntaler Typ 2, Art-Nr. 00006421 – 24 Hoffrichter<br />

21-24-02-4-004 Air Products Medical SD1 Art.-Nr. 02019 Air Products Medical<br />

21-24-02-4-005 Baby Screener Art.-Nr. 5054 MLM<br />

21-24-02-4-006 MR 10 S Art.-Nr. 0902-0016 VitalAire<br />

21-24-02-4-007 Spiroguard C Art.-Nr. 00006/6SG Hoffrichter<br />

21-24-02-4-008 SISS Babycontrol Mobil Plus S (HCMS), Art.-Nr. B0017 Schulte-Elektronik<br />

21-24-02-4-009 Samson Art.-Nr. 300-000 Heinen + Löwenstein<br />

21-24-02-4-010 BabyMonitor Fredy Art-Nr. 5250 MLM<br />

21-24-02-4-011 SISS Babycontrol Plus Art.-Nr. B00005 Schulte-Elektronik<br />

21-24-02-4-012 NeoSid Nova Art-Nr. 138861000 Stephan<br />

21-24-02-4-013 Neoguard Art.-Nr. 37-1000 Bitmos<br />

21-24-02-4-014<br />

Art 5 – nn<br />

VitaGuard VG 2100, Art.-Nr. REF 73111012 Getemed<br />

21-24-02-5-001 Air Products Medical SD 2, Art.-Nr. 02020 Air Products Medical<br />

21-24-02-5-002 VitaGuard 3000 Art.-Nr. 72018 Getemed<br />

21-24-02-5-003 BabyMonitor Fredy Art-Nr. 5252 MLM<br />

21-24-02-5-004 NeoSid Nova Plus Art-Nr. 138961000 Stephan<br />

21-24-02-5-005 VitaGuard 3100 Art.-Nr. REF 73112012 Getemed


Die Zuordnung der Säuglingsmonitore<br />

zu der Gruppe „Anwendungsort – Atmungsorgane“<br />

lässt darauf schließen,<br />

dass zum Zeitpunkt der Erstellung dieser<br />

Hilfsmittelart (Heimmonitore) die<br />

Diagnose Plötzlicher Kindstod mit dem<br />

Versagen der Atmung assoziiert wurde.<br />

Pulsoxymeter und Capnographen für<br />

die Heimanwendung besitzen derzeit<br />

noch keine Einordnung in das Hilfsmittelverzeichnis.<br />

Ein Mitarbeiter des IKK 9<br />

Bundesverbandes erklärte dazu: „Die<br />

Hersteller scheuen die Prüfung zur Erstellung<br />

einer neuen Kategorie, denn diese<br />

ist umfangreicher als die Einstellung<br />

(Einordnung und Zulassung) des Gerätes<br />

in eine bestehende Produktart.“<br />

Im Hilfsmittelverzeichnis gelistete<br />

Heimmonitore (Tabelle 2) werden von<br />

Krankenkassen bei vorliegender Indikation<br />

finanziert. Nach Auskunft einzelner<br />

Krankenkassen können Sachbearbeiter<br />

der Krankenkassen auch Geräte<br />

genehmigen, die nicht im Hilfsmittelverzeichnis<br />

aufgeführt sind. Da Säuglingsüberwachungsmonitore<br />

nur einen sehr<br />

geringen Teil der zu genehmigenden<br />

Hilfsmittel darstellen, wird in der Regel<br />

auf eine sonst notwendige tiefer gehende<br />

Prüfung nach Anbietern und Preisen<br />

verzichtet. Somit bleibt es gänzlich dem<br />

Pädiater überlassen, für welches Gerät er<br />

sich entscheidet.<br />

Für eine Hochrechnung aller von<br />

Krankenkassen finanzierten Heimmonitore<br />

bezogen auf Gesamtdeutschland im<br />

Jahr 2003 wurden acht repräsentative gesetzliche<br />

Krankenkassen angeschrieben<br />

(fünf große, d.h. mindestens 0,7 Mio.<br />

Mitglieder bzw. mindestens 1 Mio. Ver-<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

sicherte, auf Bundeslandebene arbeitende<br />

Krankenkassen und drei große, d. h.<br />

mindestens 3,5 Mio. Mitglieder bzw.<br />

mindestens 5 Mio. Versicherte, Deutschland<br />

weit arbeitende Krankenkassen).<br />

Zwei Krankenkassen konnten nach eigenen<br />

Angaben kein Zahlenmaterial dazu<br />

ermitteln. Drei Krankenkassen wollten<br />

keine Zahlen weiter geben. Die folgende<br />

Kalkulation basiert im Wesentlichen<br />

auf zwei verschiedenen Angaben (einer<br />

Krankenkasse auf Bundeslandebene<br />

und einer Deutschland weit arbeitenden<br />

Krankenkasse).<br />

Die Basis einer überschlägigen Proportionalitätsberechnung<br />

für das Jahr 2003<br />

bilden dabei<br />

• die in einer Krankenkasse versicherten<br />

Neugeborenen,<br />

• die Neugeborenen der BRD und aufgeteilt<br />

nach Bundesländern,<br />

• die in einer Krankenkasse Versicherten<br />

und<br />

• die gesamte BRD-Bevölkerung sowie<br />

die der Bundesländer.<br />

Dabei kommt man sowohl über die<br />

Deutschland weit arbeitende Krankenkasse<br />

(2003: 670 Heimmonitore) als<br />

auch über die auf Bundeslandebene<br />

arbeitende Krankenkasse (2003: 110<br />

Heimmonitore) auf eine Anzahl von ca.<br />

4 500 Heimmonitoren (± 300 Stück), die<br />

2003 nach dem Hilfsmittelverzeichnis<br />

Nr. 21.24.02 von allen Krankenkassen<br />

finanziert wurden. In dieser Zahl sind<br />

keine Pulsoxymeter enthalten, da sie einzeln<br />

von der Statistik noch nicht erfasst<br />

werden.<br />

9 IKK – Innungskrankenkasse<br />

71


72<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Kostenanalyse<br />

Medizinprodukte sind in ihrer wirtschaftlichen<br />

Bewertung nicht den Wirkungsmechanismen<br />

des freien Marktes<br />

unterworfen. Sie sind teilweise erheblich<br />

in ihrer Durchsetzung eingeschränkt.<br />

„Die Marktfähigkeit medizintechnischer<br />

Produkte wird daher oft von anderen Gesichtspunkten<br />

mitbestimmt, als dies bei den<br />

übrigen industriellen Produkten der Fall ist.<br />

Insbesondere ist eine vorausplanende Marktanalyse<br />

viel schwieriger als auf anderen Sektoren,<br />

da bei wirklich neuartigen Produkten<br />

zunächst nicht vorausgesehen werden kann,<br />

ob und wann sie durch die Aufnahme in den<br />

Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen<br />

abrechnungsfähig und daher oft erst<br />

im eigentlichen Sinn ‚marktfähig‘ gemacht<br />

werden.“ [6]<br />

Um nun eine Kostenanalyse der Heimmonitore<br />

vorzunehmen, erfolgt diese<br />

auf der Grundlage des VDAK-Hilfsmittelverzeichnis-Auszuges<br />

mit Stand zum<br />

Juni 2004. Darin waren 23 SIDS-Monitore<br />

unterschiedlicher Klassifikation<br />

und Hersteller aufgelistet, deren Kosten<br />

auf Rezept des behandelnden Arztes<br />

von den gesetzlichen Krankenkassen<br />

übernommen werden. Die einzelnen<br />

Geräte schlüsselten sich dabei wie folgt<br />

auf: fünf Atemfrequenz-Monitore, ein<br />

kombinierter Atem-und-Herzfrequenz-<br />

Monitor ohne integrierten Speicher, 13<br />

kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-<br />

Monitore mit integriertem Speicher und<br />

vier kombinierte Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

mit integriertem Speicher<br />

und Pulsoxymetrie.<br />

Die Preisangaben enthalten bereits<br />

die gesetzlich erhobene Mehrwertsteuer<br />

in Höhe von 16 % und sind in der Regel<br />

exklusive Zubehör, wie Elektroden<br />

oder Sensoren. Bei einem Vergleich der<br />

abgebildeten Kosten für die einzelnen<br />

Monitore wird ersichtlich, dass mit zunehmendem<br />

technologischen Integrationsgrad<br />

ein sprunghafter Anstieg der<br />

Preise erfolgt.<br />

In der Kategorie der Atemfrequenz-<br />

Monitore basiert die Preisangabe von<br />

ca. 1 000 Euro auf einem Gerät und<br />

ist dazu nur bedingt aussagekräftig, da<br />

nach Anbieteraussagen praktisch keine<br />

Nachfrage mehr bei dieser Geräteart<br />

besteht. Für die Kategorie kombinierte<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitore mit<br />

integriertem Speicher müssen durchschnittlich<br />

2 500 Euro bei einer Preisspanne<br />

von etwa 1 200 Euro veranschlagt<br />

werden. Die durchschnittlichen Kosten<br />

bei der leistungsfähigsten Kategorie, der<br />

kombinierten Atem-und-Herzfrequenz-<br />

Monitore mit integriertem Speicher und<br />

Pulsoxymetrie, betragen für einen Monitor<br />

etwa 4 500 Euro bei einer Preisspannweite<br />

von etwa 1 200 Euro. Die<br />

Durchschnittspreise steigen von der Leistungsstufe<br />

der Atemfrequenz-Monitore<br />

zu den kombinierten Atem-und-Herzfrequenz-Monitoren<br />

mit integriertem Speicher<br />

um ca. 1 500 Euro. Die Erweiterung<br />

der kombinierten Atem-und-Herzfrequenz-Monitore<br />

mit integriertem Speicher<br />

um das Element der Pulsoxymetrie<br />

zieht einen durchschnittlichen Preisanstieg<br />

von ca. 2000 Euro nach sich. Die<br />

Spannweite der Preise innerhalb einer<br />

Kategorie bleibt jedoch annähernd konstant.


Qualitätsbewertung<br />

Um den notwendigen Anforderungen<br />

an Zuverlässigkeit, Qualität und<br />

Sicherheit zu entsprechen, muss der Gerätehersteller<br />

eines Produktes die verschiedensten<br />

Standards, Normen und<br />

Gesetze beachten. Zu den Grundrichtlinien,<br />

die ein Gerät zu erfüllen hat, gehören<br />

die technischen Normen und die<br />

Konformitätskennzeichnung durch das<br />

CE-Zeichen 10 .<br />

Im vorliegenden Fall müssen die Produkte<br />

zusätzlich nach dem Medizinproduktegesetz<br />

(MPG – 93/42/EWG) geprüft<br />

werden. Das MPG definiert sich<br />

nach § 1: „den Verkehr mit Medizinprodukten<br />

zu regeln und dadurch für die Sicherheit,<br />

Eignung und Leistung der Medizinprodukte<br />

sowie die <strong>Gesundheit</strong> und den erforderlichen<br />

Schutz der Patienten, Anwender und Dritter<br />

zu sorgen“ [9]. Medizinprodukte sind<br />

nach §3 Abs.1 MPG definiert als „alle …<br />

Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe<br />

… oder andere Gegenstände einschließlich<br />

der für ein einwandfreies Funktionieren des<br />

Medizinproduktes eingesetzten Software, die<br />

vom Hersteller zur Anwendung für Menschen<br />

mittels ihrer Funktionen zum Zwecke<br />

a) der Erkennung, Verhütung, Überwachung,<br />

Behandlung oder Linderung von<br />

Krankheiten,<br />

b) der Erkennung, Überwachung, Behandlung,<br />

Linderung oder Kompensierung von<br />

Verletzungen oder Krankheiten, … zu dienen<br />

bestimmt sind …“ [9]<br />

Je nach Invasivität, Kontaktdauer, Energieeintrag<br />

werden Medizinprodukte<br />

vier Risikoklassen zugeordnet: I, <strong>II</strong>a, <strong>II</strong>b,<br />

<strong>II</strong>I. Die Klassifizierung ist für den Geräteentwickler<br />

wichtig, um die geeigneten<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Konformitätsanforderungen zu erfüllen.<br />

„Die Konformitätsbewertungsverfahren für<br />

Produkte der Klasse I können generell unter<br />

der alleinigen Verantwortung des Herstellers<br />

erfolgen, da der Grad der Verletzbarkeit durch<br />

diese Produkte gering ist. Für die Produkte der<br />

Klasse <strong>II</strong>a ist die Beteiligung einer benannten<br />

Stelle 11 für das Herstellungsstadium verbindlich.<br />

Für die Produkte der Klassen <strong>II</strong>b und <strong>II</strong>I,<br />

die ein hohes Gefahrenpotential darstellen, ist<br />

eine Kontrolle durch eine benannte Stelle in<br />

bezug auf die Auslegung der Produkte sowie<br />

ihre Herstellung erforderlich.“ [9] In diesen<br />

Fällen ist nach § 17 Abs. 2 MPG außer der<br />

CE-Kennzeichnung auch die Kennnummer<br />

der benannten Stelle aufzuführen,<br />

die für die Durchführung des Konformitätsbewertungsverfahrensverantwortlich<br />

ist. Für die höchste Klasse, die Klasse<br />

<strong>II</strong>I, sind klinische Studien nachzuweisen.<br />

Es handelt sich hier um lebenserhaltende<br />

Geräte oder solche mit einer langen<br />

Kontaktdauer und hoher Invasivität. Im<br />

MPG Anhang X Absatz 1.1 [9] heißt es<br />

dazu: „Das Erbringen des Nachweises, dass<br />

… die genannten merkmal- und leistungsrelevanten<br />

Anforderungen von dem Produkt bei<br />

normalen Einsatzbedingungen erfüllt werden,<br />

10 Die CE-Kennzeichnung ist Voraussetzung dafür,<br />

dass ein Produkt innerhalb der EU verkauft<br />

werden darf. Es ist durch den Hersteller<br />

(EU-Importeur) anzubringen, nach dem dieser<br />

durch ein Konformitätsbewertungsverfahren<br />

die Übereinstimmung des Produktes mit<br />

den grundlegenden EU-Richtlinien und deren<br />

Einhaltung nachgewiesen hat. [9]<br />

11 Benannte Stelle ist die für die Durchführung<br />

von Prüfungen und Erteilung von Bescheinigungen<br />

im Zusammenhang mit Konformitätsbewertungsverfahren<br />

vorgesehene Stelle, die<br />

der EU-Kommission und den Vertragsstaaten<br />

von einem Vertragsstaat benannt worden ist.<br />

73


74<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

… müssen insbesondere bei implantierbaren<br />

Produkten und bei Produkten der Klasse <strong>II</strong>I<br />

durch klinische Daten belegt werden.“<br />

Monitore werden allgemein in die<br />

Klasse <strong>II</strong>a oder <strong>II</strong>b eingeordnet, da sie<br />

Elektroden zur Abnahme von Signalen<br />

verwenden. Meist sind Heimmonitore<br />

der Klasse <strong>II</strong>b zugeordnet, da sie Parameter<br />

überwachen, welche lebensnotwendig<br />

sind. Wegen dieser Zuordnung<br />

ist es nach dem MPG nicht notwendig,<br />

dass ein Monitor (nach MPG, Anhang<br />

IX Absatz 3.2 – Kasse <strong>II</strong>a oder <strong>II</strong>b [9]) im<br />

Zulassungsverfahren einen Nachweis für<br />

die Sicherheit der Biosignalverarbeitung<br />

im Vergleich zu standardisierten Untersuchungsprotokollen<br />

erfüllen muss.<br />

Wie bereits in Punkt 3 beschrieben,<br />

sind Heimmonitore im Sinne der Applikation<br />

Hilfsmittel. Beim Verfahren zum<br />

Eintrag eines neuen Produktes in das<br />

Hilfsmittelverzeichnis gilt § 139 Qualitätssicherung<br />

bei Hilfsmitteln SGB V:<br />

„(1) Die Spitzenverbände der Krankenkassen<br />

gemeinsam und einheitlich sollen zur<br />

Sicherung einer ausreichenden, zweckmäßigen,<br />

funktionsgerechten und wirtschaftlichen<br />

Versorgung der Versicherten mit Hilfsmitteln<br />

für bestimmte Hilfsmittel Qualitätsstandards<br />

entwickeln. Die Qualitätsstandards sind im<br />

Hilfsmittelverzeichnis nach § 128 zu veröffentlichen.<br />

(2) Voraussetzung der Aufnahme neuer<br />

Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis ist,<br />

dass der Hersteller die Funktionstauglichkeit<br />

und den therapeutischen Nutzen des<br />

Hilfsmittels sowie seine Qualität nachweist.<br />

Über die Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

entscheiden die Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen gemeinsam und einheit-<br />

lich, nachdem der Medizinische Dienst die<br />

Voraussetzungen geprüft hat. Das Verfahren<br />

zur Aufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

regeln die Spitzenverbände der Krankenkassen.<br />

Dabei ist darauf hinzuwirken, dass die<br />

Unterlagen innerhalb von sechs Monaten<br />

nach Antragstellung vollständig vorliegen,<br />

und sicherzustellen, dass die Entscheidung<br />

spätestens sechs Monate nach Vorlage der<br />

vollständigen Unterlagen getroffen wird.<br />

Über die Entscheidung ist ein Bescheid zu<br />

erteilen.<br />

(3) Die Spitzenverbände der Krankenkassen<br />

gemeinsam und einheitlich geben<br />

produktgruppenbezogene Empfehlungen zur<br />

Fortbildung der Leistungserbringer von Hilfsmitteln<br />

und zur Qualitätssicherung der Leistungserbringung<br />

ab.“<br />

Damit ein neues Produkt im Hilfsmittelverzeichnis<br />

gelistet wird, sind somit<br />

entsprechend §139 SGB V folgende Prüfungsschritte<br />

notwendig 12 :<br />

1. Einreichung des Antrages [<strong>II</strong>I] vom<br />

Hersteller beim IKK-Bundesverband<br />

(Zuständigkeit).<br />

2. Die Arbeitsgruppe Hilfsmittel des Medizinischen<br />

Dienstes der Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen (MDS, www.mdsev.org)<br />

wird tätig und prüft den Antrag.<br />

3. Es werden Fachmeinungen eingeholt<br />

und die Bewertung vorgenommen.<br />

4. Die „vorläufige“ Entscheidung ergeht<br />

an den Hersteller.<br />

5. Die Entscheidung auf Anerkennung<br />

als Hilfsmittel.<br />

12 Auskunft Fachberater Hilfsmittel, Geschäftsbereich<br />

Markt, Abteilung Leistungen der AOK<br />

Sachsen


6. Es kommt zur Fortschreibung des<br />

Hilfsmittelverzeichnisses durch die<br />

Spitzenverbände der Krankenkassen.<br />

7. Die Anerkennung des neuen Hilfsmittels<br />

wird bekannt gemacht. Es erfolgt<br />

die Veröffentlichung im Bundesanzeiger<br />

13 sowie im Internet unter<br />

www.g-k-v.com 14 .<br />

Da die Aufnahme von Produkten in<br />

das Hilfsmittelverzeichnis Verwaltungsaktcharakter<br />

hat, sind die Antragsverfahren<br />

nach verwaltungsrechtlichen Vorschriften<br />

durchzuführen. Dabei gilt der<br />

Grundsatz, dass die Kriterien zur Bewertung<br />

von neuen Untersuchungs- und<br />

Behandlungsmethoden in der vertragsärztlichen<br />

Versorgung (nach den Richtlinien<br />

des Bundesausschusses der Ärzte<br />

und Krankenkassen gemäß § 135 Abs. 1<br />

i. V. m. § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 5 SGB V)<br />

auch für die Wirksamkeitsnachweise bei<br />

Hilfsmitteln maßgebend sind. [<strong>II</strong>]<br />

Voraussetzung für die Aufnahme von<br />

Produkten in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

ist, dass der Hersteller die Funktionstauglichkeit<br />

und den therapeutischen Nutzen<br />

des Hilfsmittels sowie seine Qualität<br />

nachweist (§ 139 Abs. 2 SGB V).<br />

Die Spitzenverbände haben dem entsprechend<br />

Standards nach folgendem<br />

Schema formuliert:<br />

I. Therapeutischer/Pflegerischer Nutzen<br />

<strong>II</strong>. Funktionstauglichkeit<br />

<strong>II</strong>I. Qualität (Standards nach § 139 Abs.<br />

1 SGB V)<br />

<strong>II</strong>I.1 Allgemeine Anforderungen<br />

<strong>II</strong>I.2 Technische Anforderungen<br />

<strong>II</strong>I.3 Anforderungen an die Sicherheit<br />

<strong>II</strong>I.4 Anforderungen an die Biokompatibilität<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

<strong>II</strong>I.5 Anforderungen an den Lieferumfang<br />

Diese Standards werden jeweils für<br />

eine Produktuntergruppe festgelegt. Sie<br />

beschreiben die medizinischen und technischen<br />

Merkmale der Produkte, die<br />

eingehalten und nachgewiesen werden<br />

müssen, damit diese in das Hilfsmittel-<br />

oder Pflegehilfsmittelverzeichnis aufgenommen<br />

werden. [<strong>II</strong>]<br />

Der Antrag zur Aufnahme eines neuen<br />

Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

der Produktgruppe 21 (Messgeräte<br />

für Körperzustände) [<strong>II</strong>I] umfasst etwa<br />

50 Punkte/Fragen zum Gerät. Verschiedene<br />

Fragen betreffen konstruktive und<br />

funktionelle Merkmale. Tabelle 3 enthält<br />

die qualitätskennzeichnenden Angaben,<br />

die der Hersteller für jedes Produkt nachweisen<br />

muss. Nach Punkt 6 Qualitätsstandards<br />

des Antrags sind im Hilfsmittelverzeichnis<br />

die medizinischen und<br />

technischen Anforderungen zu jeder Untergruppe<br />

einzeln aufzuführen. Für die<br />

Untergruppe 21-24-02 Überwachungsgeräte<br />

für Säuglinge/SIDS-Monitor gelten die<br />

in Tabelle 4 genannten Anforderungen.<br />

Die Hersteller sind also gezwungen<br />

eine Vielzahl von Prüfungen an ihren<br />

Geräten durchzuführen und sie zur Anerkennung<br />

als Hilfsmittel nachzuweisen.<br />

Die reine Zulassung als Medizinprodukt<br />

reicht den Spitzenverbänden der Krankenkassen<br />

nicht aus. Es ist ein Nachweis<br />

13 Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH,<br />

Amsterdamer Straße 192, 50735 Köln, www.<br />

bundesanzeiger.de<br />

14 GKV-Homepage: Gemeinschaftsprojekt aller<br />

Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen<br />

75


76<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

über Funktionstauglichkeit und den therapeutischen<br />

Nutzen, sowie die Qualität<br />

des Gerätes zu führen. (Der Nachweis<br />

des therapeutischen Nutzens ist für Dia-<br />

Tabelle 3: Qualitätsbeschreibende Punkte bzw. Forderungen im Antrag zur Aufnahme<br />

eines neuen Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis [<strong>II</strong>I]<br />

6. Qualitätsstandards: Im Hilfsmittelverzeichnis sind die medizinischen und technischen Anforderun-<br />

gen der veröffentlichten Produktgruppe zu jeder Untergruppe einzeln aufgeführt.<br />

6.1 Nehmen Sie in der Reihenfolge der Auflistung zu den medizinischen und technischen Anforderun-<br />

gen der jeweiligen Produktuntergruppe einzeln Stellung, inwieweit Ihr Produkt diese Anforderun-<br />

gen erfüllt, einschließlich der entsprechenden Nachweise.<br />

6.2 Wenn Mindestwerte oder Maßangaben gefordert werden, bitten wir um Angabe der tatsächlichen<br />

Werte mit Angabe der Prüf-/Messmethoden.<br />

6.3 Weicht Ihr Produkt von den Qualitätsstandards ab? (Bitte genaue Definition wo und wie und war-<br />

um?)<br />

gnosegeräte, wie im Fall der Hilfsmittel-<br />

Untergruppe 21-24-02 Überwachungsgeräte<br />

für Säuglinge/SIDS-Monitor, nicht<br />

zu erbringen.)<br />

7. Spezielle Angaben zum Produkt<br />

7.1 Allgemein: Genaue Beschreibung des Messverfahrens, -prinzips, der Sensorik etc. beifügen Nachweise<br />

über die Messgenauigkeit mit Angabe der Prüfmethode etc. beifügen Angaben über Umgebungs-,<br />

und Betriebsbedingungen beifügen<br />

Genaue Beschreibung der Handhabung, Reinigung und Pflege des Gerätes<br />

Angaben zu sicherheitstechnischen bzw. messtechnischen Kontrollen<br />

Angaben zu Selbsttest, Fehlermeldungen, Alarme etc.<br />

7. 2 Angabe der mit der Schleimhaut oder Haut oder dem Körper in Kontakt kommenden Materialien<br />

und Zuordnung der Biokompatibilitätsnachweise<br />

8. Gutachten, Untersuchungs- und Testergebnisse zur technischen Qualität und Funktionstauglichkeit<br />

gemäß § 139 SGB V<br />

8.1 Nachweis über die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen und Zulassungsvorschriften (z. B. in<br />

Form von Bauart- oder Musterprüfungen, sicherheitstechnische Prüfungen, wie GS-Zeichen und<br />

sonstige Prüfungen unabhängiger/zertifizierter Stellen)<br />

8.2 Welche Gesetze und Verordnungen wurden eingehalten (z. B. MPG, EMVG, GSG etc.)? (Nachweis<br />

durch Zertifikate) Welche Normen wurden hinzugezogen, oder warum wurden die vorhandenen<br />

Normen nicht hinzugezogen bzw. eingehalten?<br />

8.3 Falls eine Konformitätserklärung (CE-Kennzeichnung) durchgeführt wurde, Nachweis durch vollständige<br />

Unterlagen, wie Prüfbescheinigungen, Zertifikate und Prüfberichte mit Auflistung der<br />

geprüften Komponenten.<br />

9. Beschreibung der medizinischen/pflegerischen Anwendungsgebiete/Indikationen und Kontraindikationen


10. Nachweis der Wirkungsweise und des therapeutischen Nutzens gemäß § 139 SGB V<br />

Es sind in Form von Studien (in deutscher Sprache) nach folgenden Kategorien vorzulegen:<br />

10.1 Fallkontrollstudie(n) oder prospektive Studie(n)<br />

10.2 Zeitvergleichstudie(n)<br />

10.3 Nicht kontrollierte Studie(n)<br />

10.4 aktuelle, wissenschaftlich begründete Aussagen anerkannter und zuständiger Experten-/Fachgesellschaften<br />

zur Gebrauchstauglichkeit/therapeutischer Nutzen<br />

Einem Antrag sollten mindestens eine Studie nach 10.1–10.3 oder mindestens zwei Studien nach 10.4<br />

bzw. beigefügt werden.<br />

11. Beschreibung möglicher Risiken bei der Anwendung durch Risikoanalyse mit Nutzen-/Risikoabwägung.<br />

Vollständige Unterlagen für alle Unfall-, Sicherheitsrisiken und Nebenwirkungen beilegen!<br />

Tabelle 4: Anforderungen an das Produkt der Untergruppe 21-24-02 [IV]<br />

Medizinische Anforderungen Technische Anforderungen<br />

Die Geräte müssen zur häuslichen Überwachung<br />

geeignet sein.<br />

Eine für die Selbstmessung geeignete Bedienungsanleitung<br />

in deutscher Sprache mit verständlicher<br />

Erläuterung aller für die richtige Anwendung wesentlichen<br />

Vorbereitungs- und Bedienungsschritte<br />

sowie der Art der Alarmmeldungen muss mitgeliefert<br />

werden.<br />

Erkennung der Veränderungen des überwachten<br />

Organsystems (Atmung, Herzaktion), die zu einer<br />

Gefährdung des überwachten Säuglings führen<br />

können.<br />

Geeignete Empfindlichkeit (einstellbar);<br />

Geeignete Alarmgrenzen/Alarme (einstellbar);<br />

Umgebungs- und Betriebsbedingungen sowie Art<br />

und Häufigkeit der erforderlichen Nachprüfungen/Kalibrierungen<br />

müssen zur Gewährleistung<br />

der Messsicherheit vom Hersteller gegeben sein.<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Einhaltung der geltenden Normen, Gesetze und<br />

Verordnungen;<br />

Nachweis der Einhaltung aller relevanten Sicherheitsbestimmungen<br />

und Vorschriften, z. B.<br />

GS-Zeichen (bei Netzgeräten) oder mindestens<br />

gleichwertiger anderer Nachweis durch unabhängiges<br />

Prüfinstitut;<br />

Akustischer Alarm in ausreichender Lautstärke;<br />

Wiederverwendbare Sensoren/Elektroden;<br />

Alarmfunktion für Gerätestörungen;<br />

Zusatzanforderungen an Geräte mit integrierter<br />

Speichereinheit und an zusätzliche Speichereinheiten:<br />

• Speicherung von Daten bleibt auch nach<br />

Stromausfall erhalten,<br />

• Speicherung von Daten von klinisch relevanten<br />

Parametern,<br />

• ohne Drucker/Schreiber oder sonstige Ausgabegeräte.<br />

77


78<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Für den Hersteller bedeutet jede Produktänderung<br />

gegenüber der ursprünglich<br />

angemeldeten und in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

aufgenommenen Version<br />

eines Produktes, auch einen neuen Antrag<br />

beim IKK-Bundesverband zu stellen.<br />

Im Einzelfall wird dann entschieden,<br />

ob es zu einer Neulistung des Produktes<br />

kommt oder ob die vorhandenen<br />

Einträge angepasst werden müssen.<br />

Bei elektrotechnischen Produkten können<br />

technische Änderungen eine neue<br />

EMV 15 -Prüfung sowie die Aktualisierung<br />

der Aussagen bezüglich der elektrischen<br />

Sicherheit erforderlich machen. Designänderungen<br />

vom Produkt können<br />

auch dazu führen, dass eine zuvor zufriedenstellende<br />

Handhabbarkeit verloren<br />

geht. Weiterentwicklungen bereits gelisteter<br />

Produkte können aber auch zu<br />

einer Ausweitung des Indikationsspektrums<br />

führen, so dass hier ebenfalls eine<br />

Prüfung erforderlich ist mit dem Ziel, für<br />

ein spezielles Produkt einen erweiterten<br />

Indikationsrahmen zu definieren. [V]<br />

Ein Vergleichstest von Heimmonitoren<br />

mit der Polysomnografie im Schlaflabor<br />

ist gegenwärtig kein vorgeschriebenes<br />

Prüfverfahren der Hersteller und Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen für die<br />

Produktaufnahme in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

bzw. eine Zulassungsvoraussetzung<br />

für Monitore. In der wissenschaftlichen<br />

Fachliteratur wurden bisher erst<br />

drei Untersuchungen bekannt, in denen<br />

ein Heimmonitor simultan zu einer kontinuierlichen<br />

Polysomnografie überprüft<br />

wurde [1]. Die Ergebnisse haben gezeigt,<br />

dass die Erkennungsqualität, d. h. die Bewertung<br />

von Sensitivität und Spezifität,<br />

ungenügend war, weswegen der Einsatz<br />

dieser Monitore nicht zu einem falschen<br />

Sicherheitsgefühl verleiten darf.<br />

Grundsätzlich kann ein Monitor nur<br />

alarmieren, nicht verhindern. Damit<br />

ist die kompetente Schulung der Eltern<br />

im Umgang mit dem Gerät sowie für<br />

Erste-Hilfe-Maßnahmen im Notfall die<br />

wesentliche und wichtige Grundlage<br />

beim Heimmontoreinsatz. Daraus ist<br />

aber auch die generelle technische Anforderung<br />

an einen SID-Monitor abzuleiten:<br />

er muss den lebensbedrohlichen<br />

Zustand sicher in der Entstehungsphase<br />

erkennen, um für die Alarmierung und<br />

erfolgreiche Reanimierung ausreichend<br />

Zeit zur Verfügung zu haben. Diese Erkennungsfähigkeit<br />

der SID-Monitore<br />

muss damit aber auch mit einheitlichen,<br />

reproduzierbaren Prüfverfahren nachgewiesen<br />

werden.<br />

Nach neusten Veröffentlichungen [4,<br />

7, 13, 14] müssen der Wert und die Zuverlässigkeit<br />

häuslicher Überwachung<br />

mittels speziell entwickelter Heimmonitore<br />

medizinisch und technisch abgeklärt<br />

werden. Neben dem Stellenwert<br />

des Monitorings bei der SID-Prävention<br />

[8, 10, 11] zeigen Veröffentlichungen [7]<br />

aber auch, dass aus dem Wissensmangel<br />

bezüglich SID die korrekte Ermittlung<br />

von lebensbedrohlichen Zuständen des<br />

Säuglings so weit wie möglich spezifiziert<br />

werden muss. Dazu sollte der<br />

vorhandene Einsatz von kombinierten<br />

Atem-und-Herzfrequenz-Monitoren mit<br />

integriertem Speicher und Pulsoxymetrie<br />

speziell mit kontinuierlicher Aufzeichnung<br />

15 EMV - Elektromagnetische Verträglichkeit


(kein Eventrecording 16 ) für eine zentrale<br />

Datensammlung bei zufällig erfassten<br />

und dokumentierten SID-Fällen für Forschungszwecke<br />

aufgebaut werden. Die<br />

über Jahre gesammelten Signalverläufe<br />

können dann, neben der medizinischen<br />

Bewertung auch für eine grundlegende<br />

Qualitätssicherung der Heimmonitore<br />

bei der weiteren Geräteentwicklung und<br />

-testung genutzt werden.<br />

Des Weiteren sind zum Qualitätsnachweis<br />

sowie zur Unterscheidung von<br />

„richtigen“ Alarmen und Fehlalarmen<br />

einheitliche Verifizierungen z. B. Gerätetestung<br />

mit Signalverläufen von lebensbedrohlichem<br />

Charakter und durch klinisch<br />

professionelle Testung im Rahmen<br />

der Polysomnografie unbedingt notwendig.<br />

16 Hier erfolgt eine Vorverarbeitung bzw. Ereignisauswahl,<br />

wodurch eventuell entscheidende<br />

Signalverläufe verloren gehen können!<br />

Rabenau, Andres, Naumann und Poll<br />

Heimmonitoring in der Pädiatrie<br />

Literatur<br />

Print-Quellen<br />

1 de Nardi S, Paditz E, Erler T, Grundtzke A: Zuverlässigkeit<br />

eines Heimmonitors mit Event-Recording<br />

im Vergleich zur kontinuierlichen Polysomnografie<br />

im Säuglingsalter. Wien Klin Wochenschr<br />

(2003) 115/12: 421–428.<br />

2 de Nardi S, Paditz E: Zuverlässigkeit eines<br />

Heimmonitors im Säuglingsalter. In: Paditz E<br />

(Hrsg.): Prävention des Plötzlicher Säuglingstod<br />

in Deutschland, 1. Bundesweite Expertentagung<br />

23.–24. Januar 2004, Hille, Dresden 2004, 81–84;<br />

www.babyschlaf.de, „Weiterbildung“, Textband<br />

Tagung 2004.<br />

3 Erler Th: Longitudinalstudie zur Erstellung<br />

polysomnografischer Referenzwerte für <strong>Kinder</strong> im<br />

ersten Lebensjahr unter besonderer Berücksichtigung<br />

von Grundlagen, Methodik und Anwendungsmöglichkeiten<br />

der Polysomnografie (PSG)<br />

im Säuglingsalter. Habilitationsschrift. Berlin<br />

2001.<br />

4 Erler T, Grunske A: Scheinbar lebensbedrohliche<br />

Ereignisse im Säuglingsalter – ALTE: apparent<br />

life-threatening events. <strong>Kinder</strong>heilkd (2003) 151/5:<br />

520–526.<br />

5 Hörnchen H et al.: Vorschläge zum Einsatz<br />

des Heimmonitors. Der <strong>Kinder</strong>arzt (1997) 28/3:<br />

292–293.<br />

6 Hutten H: Biomedizinische Technik 1991 – Betrachtungen<br />

zur Situation eines multidisziplinären<br />

Fachgebietes. Springer, Berlin – Heidelberg 1991.<br />

7 Jorch G, Fischer D, Beyer U: Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes. <strong>Kinder</strong>heilkd (2003)<br />

151/5: 514–519.<br />

8 Kiechl-Kohlendorfer U: Der Plötzliche Säuglingstod<br />

– Präventionsprogramme in Österreich.<br />

Wien Klin Wochenschr (2003) 115/24: 881–886.<br />

79


80<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

9 Kindler M, Menke W: Medizinproduktegesetz<br />

– MPG, Kommentierte Ausgabe mit Arbeitshilfen<br />

und Materialien. ecomed, Landsberg, 4., akt. u. erg.<br />

Aufl. 1998.<br />

10 4. Österreichisches SIDS-Konsensus-Gespräch<br />

anlässlich der Wiener SIDS-Präventionskampagne<br />

‚Sicheres Schlafen‘. Wien Klin Wochenschr (2000)<br />

112/5: 187–192.<br />

11 Paditz E: Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

in Deutschland. Wien Klin Wochenschr<br />

(2003) 115/24: 874–880.<br />

12 Poets C F: Der plötzliche Kindstod. In: Lentze,<br />

M.J.; Schub, J.; Spranger, J. (Hrsg.): Pädiatrie<br />

– Grundlagen und Praxis. Springer, Heidelberg<br />

2000, S. 153–159.<br />

13 Poets C F: Heimmonitoring bei Säuglingen mit<br />

erhöhtem Kindstodrisiko: Anregungen zu einem<br />

Überdenken der gegenwärtigen Praxis. Wien Klin<br />

Wochenschr (2000) 112/5: 198–203.<br />

14 Poets C F, Urschitz M S, von Bodman A: Pathophysiologische<br />

Erklärungsmodelle zum plötzlichen<br />

Säuglingstod. <strong>Kinder</strong>heilkd (2003) 151/5:<br />

504–509.<br />

Internet-Quellen<br />

I Homepage des Verbandes der Angestellten-Krankenkassen<br />

e. V. (VdAK) und des Arbeiter-Ersatzkassen-Verbandes<br />

e. V. (AEV): www.<br />

vdak-aev.de/; Hilfsmittelverzeichnis, Stand 30. September<br />

2004; download (23. November 2004):<br />

www.vdak-aev.de/hilfsmittelverzeichnis.htm.<br />

<strong>II</strong> Hilfsmittel- und Pflegehilfsmittelverzeichnis<br />

– Grundlagen zum Antragsverfahren. IKK-Information,<br />

IKK-Bundesverband, Referat Hilfsmittel/Medizinprodukte,<br />

Bergisch Gladbach, August<br />

2003; download (2. Dezember 2004): www.ikk.<br />

de/ikk/generator/ikk/service-und-beratung/download/35018.pdf.<br />

<strong>II</strong>I Medizinischer Dienst der Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen e. V. Essen: www.mds-ev.org;<br />

Fragebogen als Antrag zur Aufnahme eines neue<br />

Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis nach §<br />

128 SGB V; download (2. Dezember 2004): www.<br />

mds-ev.org/kv/himi/uebersicht.html – Fragebogen<br />

unter Punkt Produktgruppe 21 „Messgeräte für<br />

Körperzustände/-funktionen“.<br />

IV Medizinischer Dienst der Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen e. V. Essen: www.mds-ev.org;<br />

Qualitätsstandard für den Antrag zur Aufnahme eines<br />

neue Hilfsmittels in das Hilfsmittelverzeichnis<br />

nach § 128 SGB V; download (2. Dezember 2004):<br />

www.mds-ev.org/kv/himi/uebersicht.html – Qualitätsstandard<br />

unter Punkt Produktgruppe 21 „Messgeräte<br />

für Körperzustände/-funktionen“.<br />

V Medizinischer Dienst der Spitzenverbände<br />

der Krankenkassen e. V. Essen: Hinweise zum Antragsverfahren<br />

für Hersteller (2. Dezember 2004):<br />

www.mds-ev.org/kv/himi/link9.html.<br />

Autoren<br />

Dr.-Ing. Matthias Rabenau<br />

Cand.-Ing. Matthias Andres<br />

Cand. Wirtsch.-Ing. Katja Naumann<br />

Prof.Dr.med.habil.Dipl.-Ing. Rüdiger Poll<br />

Institut für Biomedizinische Technik<br />

Fakultät Elektrotechnik/Informationstechnik<br />

Technische Universität Dresden<br />

01062 Dresden<br />

Telefon (03 51) 46 33 48 05<br />

Telefax (03 51) 46 33 60 26<br />

rabenau@rcs.urz.tu-dresden.de


Impfungen und der Plötzliche Säuglingstod<br />

Vennemann Mechtild<br />

Universität Münster, Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin<br />

Fragestellung: Führen Impfungen zu einem<br />

erhöhten Risiko für den Plötzlichen<br />

Säuglingstod?<br />

Design: In der Hälfte des Bundesgebietes<br />

wurde über drei Jahre eine Fall-<br />

Kontroll Studie zum Plötzlichen Kindstod<br />

durchgeführt. Insgesamt wurden 333<br />

SIDS Fälle und 998 Kontrollen in die<br />

Studie eingeschlossen. Der Impfstatus<br />

wurde einmal bei den Eltern erfragt und<br />

zusätzlich bei dem behandelten Pädiater.<br />

Bei 97 % der Kontrollkinder und bei<br />

92 % der Fallkinder konnte der Impfstatus<br />

erhoben werden.<br />

Ergebnisse: Impfungen führten zu einer<br />

Verminderung des Risikos für den Plötzlichen<br />

Kindstod (Odds ratio: 0,41, 95 %<br />

Konfidenz Intervall 0,28–0,59). Nach<br />

Adjustierung für potentielle Confounder<br />

und verschiedene Faktoren v.a. der<br />

Schlafumgebung war das Risiko für den<br />

Plötzlichen Kindstod für geimpfte <strong>Kinder</strong><br />

immer noch niedriger als für nicht<br />

geimpfte <strong>Kinder</strong> (OR: 0,54, 95 % KI:<br />

0,30–0.99). 41 <strong>Kinder</strong> starben innerhalb<br />

von 14 Tagen nach Impfung, verglichen<br />

mit 183 Kontrollen, die 14 Tage vor Interview<br />

geimpft wurden (adj.: OR: 0,71,<br />

95 % KI: 0,4–1,3).<br />

Schlussfolgerung: Impfungen erhöhen<br />

nicht das Risiko für den plötzlichen Säuglingstod<br />

in Deutschland, sondern wirken<br />

protektiv. Auch in internationalen Studien,<br />

die in so unterschiedlichen Ländern<br />

Vennemann<br />

Impfungen und der Plötzliche Säuglingstod<br />

durchgeführt wurden wie Neuseeland,<br />

England, Norwegen, Schweden und Dänemark<br />

konnte Impfen nicht als Risikofaktor<br />

nachgewiesen wurden, sondern<br />

immer nur als risikomindernder Faktor.<br />

Autorin<br />

Dr. med. Mechtild Vennemann, MPH<br />

Institute für Epidemiologie und Sozialmedizin<br />

Universität Münster<br />

Domagkstraße 3, 48129 Münster<br />

Telefon (02 51) 83-5 56 48<br />

Telefax (02 51) 83-5 53 00<br />

vennemam@uni-muenster.de<br />

81


Molz<br />

SID-Häufung bei bestimmten Wetterlagen?<br />

SID-Häufung bei bestimmten Wetterlagen?<br />

Molz G 1 , Defila C 2 , Amberg R 3 , Friedrich-Koch A 1<br />

1 Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich<br />

2 Schweizerische Meteorologische Anstalt Zürich<br />

3 Institut für Rechtsmedizin Freiburg/Br.<br />

Einleitung<br />

Tödliche Ereignisse, die sich im klinischen<br />

Erscheinungsbild gleichen und<br />

zeitlich häufen, werden im englischen<br />

Sprachgebrauch „Clustering in time<br />

and space“ genannt. Clustering erfasst<br />

Doppel- und Mehrfachereignisse mit<br />

gleichem Sterbedatum. Ereignisse mit<br />

einem zeitlichen Abstand „space“ von einem<br />

oder zwei Tagen gelten als in „clusters<br />

involved“. Diesen Begriff haben wir<br />

unter der Bezeichnung „vernetzt“ übernommen.<br />

Beim UST (unerwarteter Säuglingstod)<br />

ist dieses Phänomen vor mehr als<br />

30 Jahren erstmals beschrieben worden.<br />

Kanadische, amerikanische und englische<br />

Epidemiologen waren beeindruckt<br />

von der Tatsache, dass sich an einigen<br />

Tagen gleichzeitig zwei oder drei Todesfälle<br />

ereignet haben oder dass diese mit<br />

einem Intervall von ein bis zwei Tagen<br />

aufeinander gefolgt sind. Kraus hat 1967<br />

in Toronto unter 86 Todesfällen vier Tage<br />

mit je einem Doppelereignis und zweimal<br />

Vernetzung durch einen zweiten<br />

Todesfall am folgenden Tag beobachtet.<br />

Bergmann berichtete 1967 aus Seattle<br />

über eine „marked epidemicity“ unter<br />

28 Todesfällen: zwischen März und Oktober<br />

gab es ein Doppelereignis (31.<br />

März), ein Dreifachereignis (23. Septem-<br />

ber), am 16., 17. und 18. Oktober je ein<br />

Einzelereignis und am 20. Oktober das<br />

vierte Ereignis. 1971 hat Kraus in Süd-<br />

ostontario unter 106 Todesfällen zwei<br />

Tage mit Dreifachereignissen, sieben<br />

Tage mit Doppelereignissen und insgesamt<br />

27 „vernetzte“ <strong>Kinder</strong> registriert.<br />

Die Frage, ob Cluster oder Vernetzung<br />

zufällig oder unter dem Einfluss klimatischer<br />

Verhältnisse entstehen, wird seit<br />

langem diskutiert. Die Human-Biometeorologie<br />

versucht, Einblicke in das atmosphärische<br />

Geschehen zu gewinnen,<br />

indem sie einige meteorologische Elemente<br />

wie Luftdruck, Lufttemperatur,<br />

relative Luftfeuchtigkeit und Windgeschwindigkeit<br />

prüft. Seit einiger Zeit<br />

arbeitet die Biometeorologie mit der Methode<br />

der Wetterlagen nach Brezowski.<br />

Hierbei werden nicht mehr einzelne Parameter<br />

des Wetters geprüft, sondern der<br />

Wettercharakter beurteilt. Der klassische<br />

Ablauf von einem Hochdruckgebiet über<br />

Warmluftfront, Warmluftsektor bis zum<br />

Tiefdruckgebiet wird in verschiedene<br />

Klassen unterteilt. Die Wetterklassifikation<br />

nach Brezowski wurde 1977 nach<br />

Altherr für die Schweizer Verhältnisse<br />

modifiziert und auf zehn Wetterklassen<br />

festgelegt. Einige Wetterklassen gelten<br />

als biologisch ungünstig, da sie auf Lebensvorgänge<br />

negativ einwirken. Hierzu<br />

gehören die Klasse 3 (Zufuhr von warmer<br />

83


84<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

subtropischer Luft in der Höhe) und die<br />

Klasse 4 (Warmsektor mit hochreichender<br />

subtropischer Warmluft vom Boden<br />

bis zur Tropopause). Kennzeichen der<br />

Klasse fünf ist der Kaltluftdurchgang<br />

(Bodenfront).<br />

Anlass, der Frage einer SID-Häufung<br />

bei bestimmten Wetterlagen nachzugehen,<br />

war ein Dreifachereignis, das am<br />

11. Januar 1991 im Raum Zürich zu beobachten<br />

war: in einem westlichen Vorort<br />

von Zürich wurde ein fünf Monate altes<br />

Mädchen um 5:00 Uhr in seinem Bett<br />

tot aufgefunden. In der Stadt Zürich<br />

wurde kurz nach acht Uhr ein 33 Tage<br />

altes Mädchen leblos tot gefunden. Kurz<br />

zuvor hatte der Vater – ein <strong>Kinder</strong>arzt<br />

– Nachschau gehalten und nichts Auffälliges<br />

bemerkt. Das dritte Kind, ein fünf<br />

Wochen alter Knabe, wurde um 22:30<br />

Uhr in einem östlich von Zürich – etwa<br />

sechs Kilometer entfernten – kleinen Ort<br />

leblos aufgefunden. Beim Niederlegen<br />

um 22:00 Uhr war der Kleine unauffällig<br />

gewesen. Die vom Vater – einem Kieferchirurgen<br />

– sofort versuchte Reanimation<br />

blieb erfolglos.<br />

Das Dreifachereignis hielten wir zunächst<br />

für einen tragischen Zufall. Wir<br />

überprüften jedoch das Kollektiv der<br />

vorangegangenen UST-<strong>Kinder</strong> bis<br />

zum Jahr 1984. Dabei entdeckten wir<br />

vier Doppelereignisse: 13. März 1988,<br />

4. Juli 1987, 7. Dezember 1986 und<br />

16. Januar 1985. Wir haben eine retrospektive<br />

Untersuchung durchgeführt<br />

über die 1984 als UST gemeldeten plötzlich<br />

verstorbenen Säuglinge.<br />

Die <strong>Kinder</strong>, aus dem Raum Zürich,<br />

Winterthur, Thurgau, St. Gallen, Aarau<br />

und Bern stammend, waren in den Instituten<br />

für Rechtsmedizin Zürich, St.<br />

Gallen und Bern untersucht worden und<br />

in den zuständigen Pathologischen Instituten<br />

– in Winterthur, Münsterlingen<br />

bzw. Aarau untersucht worden. Das Institut<br />

für Rechtsmedizin der Universität<br />

Freiburg stellte uns 167 Untersuchungen<br />

zur Verfügung. Unter ihnen überraschte<br />

ein viereinhalb Monate alter Knabe<br />

mit seinem Sterbetag – 11. Januar 1991.<br />

Damit wurde das Dreifachereignis zum<br />

Vierfachereignis.<br />

Methodik<br />

Unser Beobachtungsgut umfasst 728<br />

UST-<strong>Kinder</strong> aus den Jahren 1984 bis 1995<br />

aus den Regionen Aarau, Winterthur, St.<br />

Gallen, Bern und Zürich. An klinischen<br />

Daten registrierten wir: Geschlecht, erreichtes<br />

Lebensalter, Sterbetag im Wochengang,<br />

Sterbemonat im Jahresgang<br />

(Saison) und eine möglichst genaue Sterbezeit.<br />

Bei „vernetzten“ <strong>Kinder</strong>n unterschieden<br />

wir nach den Intervallen bis<br />

zu –24, –48 und –72 Stunden vor dem<br />

Todesereignis.<br />

Wetterlagen: Die zur Untersuchung<br />

notwendigen Daten stellte uns die aerologische<br />

Station MeteoSchweiz zur Verfügung.<br />

Dort werden zweimal täglich (um<br />

0:00 Uhr und 12:00 Uhr Weltzeit) die<br />

Wetterlagen nach Brezowski bestimmt.<br />

C. Defila ordnete den Ereignissen die<br />

Wetterlagen zum Zeitpunkt des Todes<br />

(+/– 0 h) sowie –12, –24 und –36 Stunden<br />

vorher zu.<br />

Ergebnisse<br />

Von den 728 <strong>Kinder</strong>n sind 132 (18 %)<br />

durch Cluster verbunden. Clusterbildung<br />

hat es an 61 Tagen gegeben:


• an 52 Tagen starben zwei <strong>Kinder</strong><br />

• an acht Tagen starben drei <strong>Kinder</strong><br />

• an einem Tag verstarben vier <strong>Kinder</strong>.<br />

Von den Doppelereignissen ereigneten<br />

sich zehn am gleichen Ort, von den<br />

Dreifachereignissen zwei am gleichen<br />

Ort. Eine gleiche Sterbezeit gab es bei<br />

zwei <strong>Kinder</strong>n (jeweils 0:05 Uhr). Der<br />

kürzeste Zeitunterschied lag ansonsten<br />

bei 30 Minuten, der längste bei 18 Stunden<br />

innerhalb verbundener Ereignisse.<br />

Das Lebensalter der Clusterpartner differierte<br />

um einen Tag (78 und 79 Tage<br />

junge Knaben) bis zu 273 Tagen (ein 88<br />

Tage junger Bub vs. ein 311 Tage altes<br />

Mädchen).<br />

Biotope (d. h. ungünstige) Wetterlagen<br />

zeigten folgende Verteilungen im<br />

Hinblick auf die plötzlichen Säuglingstodesfälle<br />

am Ereignistag (= zum Todeszeitpunkt<br />

0):<br />

Wetterklasse 4: 18 % aller Ereignisse<br />

Wetterklasse 3: 15 % aller Ereignisse<br />

Wetterklasse 5: 20 % aller Ereignisse.<br />

Zwölf Stunden vor dem Todesereignis<br />

wurden 25 % der verstorbenen <strong>Kinder</strong><br />

mit der Wetterklasse 4 und 10 % mit der<br />

Wetterklasse 3 konfrontiert.<br />

Vernetzt traten 417 (57 %) der Ereignisse<br />

auf, mit einem Abstand von<br />

–24 Stunden 129 Fälle (32 %), von –48<br />

Stunden 160 Fälle (38 %) sowie mit einem<br />

Abstand von –72 Stunden 128 Fälle<br />

(31 %). In diesen Gruppen fanden sich<br />

44 Clusterpartner. Von den biotopen<br />

Wetterklassen war Gruppe 4 am Ereignistag<br />

in 20 % vertreten, im Zeitfenster<br />

–12 Stunden vorher in 25 % der Ereignisse,<br />

24 Stunden vorher in 23 % und<br />

Molz<br />

SID-Häufung bei bestimmten Wetterlagen?<br />

36 Stunden vorher in 20 % der Ereignisse.<br />

Es zeigt sich damit der Wert der<br />

differenzierten Beurteilung im Zeitfenster<br />

(12–36 Stunden vor dem Ereignis).<br />

Die Beobachtungen von Defila über signifikante<br />

Ereignishäufungen auch bei<br />

Herzerkrankungen in der Wetterklasse<br />

4 werden durch diese Beobachtungen<br />

unterstützt.<br />

Bezogen auf die einzelnen Wetterklassen<br />

zeigten sich bei kumulativer Betrachtung<br />

folgende Ereignis-Häufigkeiten<br />

(Cluster, n = 132 mit gleichen Sterbedaten):<br />

zum Ereignis<br />

(= Zeitpunkt<br />

0)<br />

vor Ereignis<br />

(–12 bis –36<br />

Stunden)<br />

Wetterklasse 1 17 % 19 %<br />

Wetterklasse 3 11 % 60 %<br />

Wetterklasse 4 16 % 94 % !!<br />

Wetterklasse 5 9 % 89 %<br />

Wetterklasse 5f 20 % 65 %.<br />

Die anfangs gestellte Frage nach SID-<br />

Häufung bei bestimmten Wetterlagen<br />

kann damit bejaht werden. Es sind die<br />

Zahlen, die sprechen. Was wir jedoch<br />

nicht wissen, ist, wodurch diese Häufung<br />

hervorgerufen wird.<br />

Goethes Betrachtung über hohen<br />

und tiefen Barometerstand kann vielleicht<br />

etwas trösten:<br />

„Hohes Barometer: Trockenheit – Ostwind.<br />

Tiefes Barometer: Nässe – Westwind.<br />

Weht aber einmal bei hohem Barometer<br />

und Ostwind ein nasser Nebel her, oder<br />

haben wir blauen Himmel bei Westwind,<br />

so kümmert uns dieses nicht, sondern ich<br />

85


86<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

sehe daraus bloß, dass auch manches Mitwirkende<br />

existiert, dem man nicht gleich<br />

beikommen kann.“ (11. April 1827)<br />

Literatur<br />

1 Defila C: Todesfälle und Wetterlagen in Schaffhauusen.<br />

Arbeitsberichte Nr. 193. Schweizerische<br />

Meteorologische Anstalt, März 1998<br />

3 Thuler A: Tod im ersten Lebensjahr. Clusterbildung<br />

bei Sterbefällen durch unerwarteten<br />

Säuglingstod (UST) oder durch klinischen Tod: zur<br />

Frage meteorologischer Einflüsse. Diss. Med. Fak.<br />

Zürich 1999 (Betreuerin: Prof. Dr. med. G. Molz)<br />

Autorin<br />

Prof. Dr. med. Gisela Molz<br />

Institut für Rechtsmedizin<br />

Universität Zürich


Der Plötzliche Säuglingstod ist eine<br />

Todesart, bei der es während des Schlafes<br />

bzw. der Schlafenszeit zum irreversiblen<br />

Versagen der zentralen autonomen (unwillkürlichen)<br />

Kontrolle aller lebenswichtigen<br />

Funktionen (Vitalfunktionen), einschließlich<br />

der für die Eigenwiederbelebung<br />

(self-resuscitation) unabdingbaren protektiven<br />

Reflexaktivitäten kommt.<br />

Von vielen wissenschaftlichen Studien<br />

zur Epidemiologie und Pathophysiologie<br />

des SID(S) ist bekannt, dass ein Teil der<br />

<strong>Kinder</strong>, die an einem SID(S) starben,<br />

mehr oder weniger lange Zeit vor dem<br />

fatalen Ereignis schon diskrete Symptome<br />

aufwiesen, die auf eine oder mehrere<br />

gestörte Funktionen des Autonomen<br />

Nervensystems (ANS) hindeuten: stark<br />

vermehrtes Schwitzen, auffällige nasale<br />

Sekretion („Schnupfen“ ohne Infektion<br />

oder Allergie), verändertes Schreien,<br />

mehr Schlafbedürfnis, vermehrte obstruktive<br />

Apnoen u. a.).<br />

Sowohl die o. g. Vitalfunktionen als auch<br />

die zum Überleben buchstäblich notwendigen<br />

autonomen Schutzreflexe können durch<br />

alle der bisher bekannten Risikofaktoren,<br />

speziell dann, wenn mehrere zusammenkommen,<br />

massiv beeinträchtigt werden.<br />

Das Rauchen während der Schwangerschaft<br />

kann (wie andere Toxine) dauerhaft<br />

und irreversibel bereits lange vor<br />

der Geburt schon die fötale Entwicklung<br />

stören, vor allem auch die Reifungsvor-<br />

Bentele<br />

Autonomes Nervensystem und Plötzlicher Säuglingstod<br />

Autonomes Nervensystem und Plötzlicher<br />

Säuglingstod<br />

Bentele KHP<br />

Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin, Pädiatrische Neurologie, Universitäts-Klinikum Eppendorf (UKE),<br />

Hamburg<br />

gänge und Funktionen des autonomen<br />

Nervensystems.<br />

Zu den Vitalfunktionen gehören Einschlafen,<br />

Schlafen in verschiedenen<br />

Schlaf-Stadien (aktiver und ruhiger Schlaf<br />

mit seinen Stufen, Wach(er)werden,<br />

Aufrechterhalten und Feinregulation<br />

der Körpertemperatur und somit auch<br />

des Schwitzens, Atmen und Herz-Kreislauffunktionen<br />

sowie die Kontrolle der<br />

Muskelaktivität und dabei insbesondere<br />

Aktivierung und Koordination von<br />

Zwerchfell, Thoraxmuskeln und Muskulatur<br />

der oberen Atemwege. Zu den<br />

protektiven Reflexen zählen wir das Seufzen<br />

(sighing) mit der darauf folgenden<br />

physiologischen Apnoe, das Husten, das<br />

Gähnen, das Einsetzen der Schnappatmung<br />

(gasping) und das unmittelbare<br />

Wach(er)werden bei drohender akuter<br />

Asphyxie im Schlaf.<br />

Alle Vitalfunktionen und protektiven Reflexe<br />

unterliegen der autonomen (unwillkürlichen)<br />

neuralen Steuerung und immerwährenden<br />

Kontrolle, deren funktionstragende<br />

anatomische Strukturen vorwiegend in der<br />

Medulla oblongata des Hirnstammes lokalisiert<br />

sind. Sie stehen mit vielen anderen<br />

Schaltstellen des zentralen Nervensystems<br />

(ZNS) in enger funktioneller Verbindung.<br />

Das ZNS besteht aus dem Gehirn,<br />

den Augen mit Sehbahn, und dem Rückenmark.<br />

Zum Peripheren Nerven-<br />

87


88<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

system (PNS) gehören die perípheren<br />

Nerven(bahnen) mit ihren efferenten<br />

(motorischen) und afferenten (sensiblen)<br />

und im Bereich der Hirnnerven auch<br />

sensorischen Anteilen. Unter dem Autonomen<br />

Nervensystem (ANS) verstehen<br />

wir die unwillkürlich arbeitenden (also<br />

nicht dem Willen unterliegenden) Anteile<br />

des Nervensystems, also primär<br />

das sympathische und das parasympathische<br />

(vagale) Nervensystem, allgemein<br />

„Sympathikus“ und „Parasympathikus“<br />

genannt. Auch im autonomen<br />

Nervensystem gibt es unendlich viele<br />

und komplexe Verbindungen, die zur<br />

Übertragung von Impulsen und fein<br />

abgestimmten Informationen spezieller<br />

biochemischer Botenstoffe (Neurotransmitter)<br />

bedürfen.<br />

Je nachdem, welchen Botenstoff, bzw.<br />

Neurotransmitter (Acetyl-Cholin, Adrenalin,<br />

Noradrenalin, Dopamin, GABA,<br />

Serotonin etc.), mit dem ein Teilsystem<br />

des ZNS, PNS oder ANS „arbeitet“,<br />

wird dieses als cholinerg, adrenerg, noradrenerg,<br />

GABA-erg oder serotoninerg<br />

usw. bezeichnet. Der sympathische Teil<br />

des ANS arbeitet vorwiegend (aber nicht<br />

nur) mit Adrenalin, Noradrenalin und<br />

Dopamin und somit adrenerg, noradrenerg<br />

oder dopaminerg. Die parasympathischen<br />

Anteile des ANS hingegen<br />

benutzen als Neurotransmitter neben<br />

anderen das Serotonin (5-Hydroxy-Tryptamin,<br />

bzw. 5-HAT).<br />

Alle diese Neurotransmitter werden in<br />

den vor jeder neuronalen Übertragungsstelle<br />

(Synapse) liegenden Nervenendigungen<br />

je nach Bedarf (d. h. Art, Dauer<br />

und Intenstät von zu übertragenden Informationen)<br />

produziert, gespeichert,<br />

und in den synaptischen Spalt hinein<br />

ausgeschieden, um an den spezifischen<br />

Rezeptoren der weiterführenden Nervenbahn<br />

wirken zu können. Nach Minderung<br />

oder Vollendung der Impulsübertragung<br />

wird die Restmenge des<br />

Neurotransmitters wieder aktiv in die<br />

Speicher der herstellenden Nervenendigungen<br />

aufgenommen (reuptake).<br />

Die anatomischen Strukturen des Autonomen<br />

Nervensystems mit ihren unendlich<br />

vielen Synapsen, ihren Neurotransmittern<br />

und deren sehr komplexem<br />

Stoffwechsel unterliegen schon während<br />

der frühen pränatalen Entwicklung und<br />

nach der Geburt bis über das Pubertätsalter<br />

hinaus einer fortgesetzten Entwicklung<br />

(development) mit ausgeprägten<br />

altersgebundenen Veränderungen im<br />

Sinne einer Ausreifung der Funktionsfähigkeit<br />

(maturation).<br />

Diese anatomische und funktionelle<br />

Entwicklung des autonomen Nervensystems<br />

(ANS) vollzieht sich in Stufen.<br />

Grundlage und Grundvoraussetzung eines<br />

jeden biologischen Entwicklungs- und Reifungsprozesses<br />

ist die genetische Anlage, bzw.<br />

Veranlagung (salopp: „Grundausstattung“).<br />

Die weitere Entwicklung wird zusätzlich<br />

durch epigenetische Mechanismen gesteuert,<br />

die ebenfalls höchst komplexer<br />

Natur sind.<br />

Alle prä- und postnatalen Entwicklungs-<br />

und Reifungsvorgänge zeichnen sich naturgemäß<br />

durch eine große zeitliche und funktionelle<br />

Variation aus. Diese natürliche<br />

„Streubreite“ ist keinesfalls primär als<br />

abnorm oder gar pathologisch zu betrachten.<br />

Sie ist in allen Lebensabschnitten<br />

als ganz normale Naturerscheinung<br />

bekannt. So kommt ein Teil der Heranwachsenden<br />

„schon“ im Alter von<br />

zehn Jahren in der Pubertät, ein anderer


Teil „erst“ mit 14 Jahren. Oder: manche<br />

Kleinkinder brauchen „schon“ mit 2 _<br />

Jahren keine pampers mehr, andere hingegen<br />

„erst“ im Alter von 5 Jahren.<br />

Der entscheidende Unterschied zwischen<br />

diesen beiden Lebensabschnitten<br />

und dem in vieler Hinsicht kritischen<br />

Säuglingsalter, in dem die volle Funktionstüchtigkeit<br />

des zentralen und vor allem<br />

nicht des Autonomen Nervensystems noch<br />

nicht erreicht ist, liegt darin, dass eine verzögerte<br />

oder gestörte Entwicklung und<br />

Ausreifung der autonomen zentralen<br />

Kontrolle von lebenswichtigen Körperfunktionen<br />

unter dem Einfluss nachteiliger<br />

äußerer Lebensbedingungen (Risikofaktoren<br />

Bauchlage, Rauchbelastung,<br />

Überwärmung, andere) zu akuten lebensbedrohenden<br />

Ereignissen (ALE),<br />

bzw. der Katastrophe des Plötzlichen<br />

Säuglingstodes führen kann.<br />

Nachdem schon während der 70er Jahre<br />

des letzten Jahrhunderts Forschungsergebnisse<br />

zur Physiologie und Pathophysiologie<br />

der altersabhängigen autonomen<br />

Kontrollfunktionen vorgelegt und wissenschaftlich<br />

bestätigt wurden, ist es in<br />

den letzen Jahren und ganz speziell im<br />

Jahre 2004 gelungen, auch die genetische<br />

Basis (Genotyp) für die funktionelle Entwicklung<br />

des Autonomen Nervensystems<br />

(ANS) weiter aufzudecken.<br />

Wegweisend waren nicht nur die<br />

Untersuchungen von Narita et al., (Pediatrics<br />

2001) über die genetische Heterogenität<br />

hinsichtlich der Entwicklung<br />

der Serotonin-Rezeptoren (5-HT1A<br />

und 5-HT2A), sondern vor allem die<br />

Arbeiten von Weese-Mayer et al., (Ped<br />

Res 2004) über die Veränderungen in<br />

den Genen (MASH1, BMP2, PHOX2a,<br />

Bentele<br />

Autonomes Nervensystem und Plötzlicher Säuglingstod<br />

PHOX2b, RET, ECE1, EDN1, TLX3 und<br />

EL1), deren Expression Voraussetzung<br />

für die embryonale Entwicklung des<br />

Autonomen Nervensystems (ANS) ist.<br />

Schon seit Jahren wurde vermutet,<br />

dass es zwischen dem Syndrom der<br />

congenitalen centralen Hypoventilation<br />

(CCHS, auch Undine Syndrom<br />

genannt) und dem SID(S) nicht nur<br />

pathophysiologische (bei beiden sehr<br />

starke Einengung der Variabilität der<br />

Herzfrequenz), sondern auch genetische<br />

Zusammenhänge gibt. Nun ist<br />

belegt, dass es für das CCHS und für das<br />

SIDS eine unterschiedliche genetische Disposition<br />

(Kijima et al., Tohoku J Exp Med,<br />

2004) gibt, die die differente Entwicklung<br />

der 5-HT1A und 5HT2A Rezeptoren<br />

im Hirnstamm erklärt (Ozawa und<br />

Okado, Neuropediatrics 2002).<br />

Trotz dieser so spannenden Ergebnisse<br />

sind die Beziehungen zwischen Genotypen<br />

und Phänotypen nur ansatzweise aufgeklärt<br />

und lassen viele Fragen offen (editorial<br />

von C. E. Hunt, Ped Res 56; 2004). Bei<br />

zahlreichen klinisch gut bekannten neuropädiatrischen<br />

Krankheitsbildern, z. B.<br />

der familiären Dysautonomie (Riley-<br />

Day Syndrom) oder bei den klinisch sehr<br />

unterschiedlichen Formen der Hereditären<br />

Senso-Motorischen Neuropathie<br />

(HSMN), inzwischen als Charcot-Marie-<br />

Tooth (CMT) Erkrankungen bezeichnet,<br />

gibt es nach wie vor eine große genetische<br />

Heterogenität und immer wieder neue<br />

Berichte über neue Mutationen (Ohto et<br />

al., Neuropediatrics 2004).<br />

Eine Früherkennung SID(S)-gefährdeter<br />

<strong>Kinder</strong> im Einzelfall ist daher auch<br />

mittels einer molekularbiologischen<br />

89


90<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Analyse der genetischen Disposition<br />

weiterhin nicht möglich,<br />

wenngleich damit mit mehr oder weniger<br />

großer statistischer Signifikanz<br />

Gruppen aus dem großen klinischen<br />

Spektrum anscheinend verwandter „Erkrankungen“<br />

(von scheinbar gesunden<br />

<strong>Kinder</strong>n, über <strong>Kinder</strong> mit „idiopathischem“<br />

oder cryptogenem ALTE und<br />

<strong>Kinder</strong> mit Undine-Syndrom (CCHS)<br />

bis hin zu <strong>Kinder</strong>n, die später plötzlich,<br />

unerwartet und nicht hinreichend erklärbar<br />

(also an einem SID(S)) sterben,<br />

unterschieden werden können.<br />

Auch das elektrophysiologische Monitoring<br />

der Herzfrequenzvariabilität hat keine<br />

prädiktive Bedeutung für die Risikovorhersage<br />

(für SID) im Einzelfall. Nicht nur bei<br />

späteren SID-Fällen und dem Undine<br />

Syndrom (CCHS) wurde diese Variabilität<br />

der Herzfrequenz als eingeengt<br />

beschrieben, sondern auch bei <strong>Kinder</strong>n<br />

mit Enuresis nocturna, Fehlbildungen<br />

und Traumata in der hinteren<br />

Schädelgrube. Auch weitere, schon lange<br />

bekannte Tests (Prüfung des okulokardialen<br />

Reflexes) einschließlich neuerer<br />

Verfahren (Messungen der Körpertemperatur<br />

und Schweißproduktion im<br />

Schlaf, Analysen der Stimmfrequenzen,<br />

Belastungstests für Ventilation<br />

und/oder Aufwachvermögen mit kontrollierter<br />

Hypoxie und Hyperkapnie)<br />

ermöglichen nicht die Eingrenzung von<br />

Hochrisikogruppen oder gar Aussagen zur<br />

Gefährdung im Einzelfall.<br />

Entscheidend für eine weitere Verminderung<br />

der Inzidenz des SID(S) ist somit<br />

auch in der näheren Zukunft noch die konsequente<br />

Vermeidung bekannter prä-, peri-<br />

und postnataler Risikofaktoren.<br />

Autor<br />

Prof. Dr. med. Karl H. P. Bentele<br />

Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin,<br />

Pädiatrische Neurologie<br />

Universitäts-Klinikum Eppendorf (UKE)<br />

Hamburg


Fitze<br />

Gibt es einen genetischen Hintergrund für den Plötzlichen Kindstod?<br />

Gibt es einen genetischen Hintergrund für den<br />

Plötzlichen Kindstod?<br />

Fitze G<br />

Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>chirurgie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus,<br />

Technische Universität Dresden<br />

Da der Plötzliche Kindstod (SID) im<br />

medizinischen Sinn nicht zu behandeln<br />

ist, können wir diesem fatalen Ereignis<br />

nur über eine effektive Prävention habhaft<br />

werden. Denken wir jedoch an Prävention,<br />

so werden automatisch die Fragen<br />

nach den Ursachen gestellt. In den<br />

vergangenen Jahren wurden in vielen<br />

Studien Umgebungsfaktoren definiert,<br />

die mit dem Plötzlichen Kindstod signifikant<br />

in Verbindung stehen. Daraus<br />

sind Kataloge präventiver Maßnahmen<br />

abgeleitet worden, die mittlerweile ihre<br />

Effektivität unter Beweis gestellt haben.<br />

Diese Umgebungsfaktoren stehen aber<br />

in enger Wechselwirkung mit einer oder<br />

führen nur auf der Grundlage einer konstitutionellen<br />

Prädisposition zum Ereignis<br />

des Plötzlichen Kindstod. Ziehen<br />

wir jedoch die Konstitution in Betracht,<br />

so ist es nur noch ein kleiner Schritt zur<br />

genetischen Prädisposition. Tatsächlich<br />

gibt es Berichte über plötzlich und relativ<br />

zeitgleich verstorbene Zwillingspaare<br />

(Smialak 1986). Kelly beschrieb 1982<br />

eine höhere Frequenz von Apnoephasen<br />

bei neugeborenen Geschwisterkindern<br />

von SID-<strong>Kinder</strong>n im Vergleich zu einer<br />

unauffälligen Kontrollpopulation. Zehn<br />

Jahre später fand Weese-Mayer eine hohe<br />

Inzidenz von SID-Fällen in Familien, in<br />

denen ein Patient mit einem Kongenitalen<br />

Zentralen Hypoventilationssyndrom<br />

(CCHS; bekannt als Undine-Syndrom)<br />

vorkommt – insbesondere dann, wenn<br />

dieser mit einem Morbus Hirschsprung<br />

kombiniert ist. Diese Studien wurden<br />

in den letzten Jahren umfassend erweitert<br />

und beschreiben in diesen Familien<br />

allgemein eine höhere Inzidenz verschiedener<br />

Symptome einer autonomen Dysregulation.<br />

Dabei wird ein multifaktorielles<br />

Vererbungsmodell mit statistisch<br />

ähnlicher Wahrscheinlichkeit postuliert<br />

wie die Annahme eines Hauptgenortes<br />

(Marazita 2001, Weese-Mayer 1993,<br />

Weese-Mayer 2001).<br />

Wie ist nun so ein Genort zu finden?<br />

Üblicherweise sind verschiedene Ansätze<br />

etabliert, wobei neben genetischen<br />

Tiermodellen den genomweiten Kopplungsanlysen<br />

eine große Bedeutung zukommt.<br />

Tiermodelle zur Untersuchung<br />

pathophysiologischer Vorgänge in Abhängigkeit<br />

spezifischer prädisponierender<br />

Umgebungsfaktoren sind für SID<br />

vielfältig etabliert (Sayers 1999, Blood-<br />

Siegfried 2004, Neff 2004). Implikationen<br />

für genetische Prädispositionen lassen<br />

sich aus diesen Modellen meist nicht<br />

ableiten. Potentielle Kandidatengene<br />

wurden aber durch detaillierte Analysen<br />

des Phänotyps spezifischer Knock-out-<br />

Mausmodellen postuliert. Dabei kommt<br />

der Beschreibung von Alterationen des<br />

Atemantriebs eine besondere Bedeutung<br />

zu. Im Knock-out-Mausmodell des RET-<br />

91


92<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Protoonkogens konnte gezeigt werden,<br />

dass neben dem Morbus Hirschsprung<br />

in Abhängigkeit vom RET-Genotyp eine<br />

veränderte CO2-Atemschwelle nachweisbar<br />

war. Während die Wildtypmäuse<br />

bei einer Hyperkapnie mit einer Erhöhung<br />

des Atemzugvolumens und des<br />

Minutenvolumens reagierten, verloren<br />

die homozygot RET deletierten Mäuse<br />

dieses Anpassungsvermögen vollständig<br />

und verstarben innerhalb der ersten<br />

24 Stunden postpartum an einem<br />

Atemstillstand (Burton 1997). Da ein<br />

vergleichbarer Phenotyp ebenfalls im<br />

Knock-out-Mausmodell des GDNF-Gens<br />

– einem funktionellen Liganden des RET<br />

– beschrieben wurde (Pichel 1996, Sanchez<br />

1996), schlussfolgerte man, dass alle<br />

Gene die in den RET-Pathway involviert<br />

sind, ebenfalls eine potentielle Bedeutung<br />

für die Reifung des Atemzentrums<br />

haben könnten. Entsprechend wurde<br />

sowohl in CCHS Populationen (RET-<br />

Protonkogen und GDNF-Gen) als auch<br />

in einer SIDS Population (RET-Protoonkogen)<br />

vereinzelt Mutationen nachgewiesen<br />

(Amiel 1998, Fitze 2003, Weese-<br />

Mayer 2004).<br />

Als weiters Kandidatengen, dass einen<br />

Einfluss auf die Differenzierung von<br />

Zellen haben, die von der Neuralleiste<br />

abstammen und auf diese Weise identifiziert<br />

worden ist, muss das HOX11L2-Gen<br />

(auch als TLX3-Gen bezeichnet) genannt<br />

werden. Bei rnx-Gen deletierten Mäusen<br />

wurde ebenfalls eine zentrale Störung<br />

der Atemregulation beobachtet (Shirasawa<br />

2000). Folglich leitet sich die Frage<br />

nach der Bedeutung des humanen homologen<br />

Gens HOX11L2 für die Etiologie<br />

entsprechender Störungen des Atemantriebes<br />

ab. Während die Analyse dieses<br />

Gens bei 13 CCHS Patienten keine Sequenzvarianten<br />

der kodierenden Region<br />

zeigte (Matera 2002), wurde bei 92 SIDS<br />

Patienten in fünf Fällen zwei verschiedene<br />

Missense-Mutation nachgewiesen.<br />

Allerdings fand man eine dieser Mutationen<br />

ebenfalls bei zwei von 92 Kontrollindividuen<br />

(Weese-Mayer 2004).<br />

In PHOX2B defizienten Mäusen konnte<br />

gezeigt werden, dass dieses Gen einen<br />

essentiellen Einfluss auf die Entwicklung<br />

autonomer Derivate der Neuralleiste<br />

hat, die im gesamten Körper disseminiert<br />

nachweisbar sind und im adulten<br />

Organismus eine enorme funktionale<br />

Vielfalt aufweisen (Pattyn 1999). Folglich<br />

wurde vier Jahre später dieses Gen<br />

als Hauptgen für die Genese des Kongenitalen<br />

Zentralen Hypoventilationssyndroms<br />

identifiziert, wobei heterozygote<br />

Loss-of-function Mutationen einen autosomal<br />

dominanten Erbgang anzeigen<br />

(Amiel 2003). Weese-Mayer hat dieses<br />

Gen in einer Population von 92 SIDS<br />

Patienten untersucht, konnte aber eben<br />

keine Assoziation des PHOX2B-Gens mit<br />

diesem Phenotyp nachweisen (Weese-<br />

Mayer 2004).<br />

Das Long-QT-Syndrom (LQTS) stellt<br />

eine andere hereditäre Erkrankung dar,<br />

die unter bestimmten Umständen eine<br />

Prädisposition für den Plötzlichen Kindstod<br />

darstellen kann. Als ein Tiermodell<br />

für das Long-QT-Syndrom wurde 2002<br />

die Scn5a-Knock-out-Maus beschrieben.<br />

Während eine homozygote Deletion dieses<br />

Gens zu einem intauterinen Tod der<br />

Mäuse mit schweren morphologischen<br />

Defekten der Herzventrikel führte, war<br />

für die heterozygoten Tiere ein normales<br />

Überleben möglich. Physiologische Untersuchungen<br />

zeigten aber eine ca. 50 %


Fitze<br />

Gibt es einen genetischen Hintergrund für den Plötzlichen Kindstod?<br />

erniedrigte Aktivität der Natrium-Kanäle<br />

am Herzen, wodurch eine Alteration<br />

der atrioventrikulären Erregungsüberleitung<br />

sowie eine verlangsamte ventrikuläre<br />

Erregungsleitung mit erhöhter<br />

ventrikulärer Refraktionszeit resultierte<br />

(Papadatos 2002). Ein SIDS analoger<br />

Phänotyp konnte nicht induziert werden.<br />

Die Mutationsanalyse des humanen<br />

homologen Gens bei 93 angenommenen<br />

SIDS Patienten detektierte zwei Missense-Mutationen.<br />

Unabhängig davon wurde<br />

in einer Kasuistik eines SIDS Patienten<br />

eine weitere Missense-Mutation im<br />

SCN5A-Gen nachgewiesen. Weitere für<br />

Ionenkanäle des Herzens kodierende bekannte<br />

Gene (KVLQT1, HERG, KCNE1<br />

und KCNE2) sind analysiert worden,<br />

aber nur im KVLQT1-Gen sind in zwei<br />

unabhängigen Fällen jeweils dieselbe<br />

Missene-Mutation nachgewiesen worden<br />

(Opdal 2004).<br />

Genomweite Kopplungsanalysen können<br />

genomische Regionen definieren, in<br />

denen dann in einem weiteren Schritt<br />

Kandidatengene identifiziert werden.<br />

Voraussetzung für eine genomweite<br />

Kopplungsanalyse stellt ein möglichst<br />

genau charakterisierter Phänotyp mit einer<br />

hinreichenden Zahl von Eltern-Kind-<br />

Paaren dar. Während das Letztere für<br />

SIDS durchaus realisierbar erscheint, ist<br />

die Beschreibung des Phänotyps ein evidentes<br />

Problem. Die Diagnose des Plötzlichen<br />

Kindstod resultiert aus der Evaluierung<br />

der Todesumstände sowie den<br />

Ergebnissen einer gerichtsmedizinischen<br />

Untersuchung, die zum Ziel hat, andere<br />

kausale Erkrankungen auszuschließen.<br />

Demzufolge stellt der Plötzliche Kindstod<br />

eine Ausschlussdiagnose dar, der<br />

aber momentan kein pathomorphologisch<br />

fassbares Korrelat zu Grunde liegt.<br />

Wir müssen annehmen, dass das SIDS<br />

eine phänotypisch heterogene Population<br />

darstellt, die folglich auch genetisch<br />

heterogen erscheinen muss. Auf dieser<br />

Grundlage ist nicht zu erwarten, dass<br />

genomweite Kopplungsanalysen SIDS<br />

relevante Genorte benennen können.<br />

Schließlich werden in der wissenschaftlichen<br />

Praxis oft durch phänotypische<br />

Analogieschlüsse potentielle Kandidatengene<br />

postuliert.<br />

In diesem Kontext sind Störungen des<br />

Fettstoffwechsels zu diskutieren, wobei<br />

dem MCAD-Gen eine besondere Aufmerksamkeit<br />

gewidmet worden ist. Eine<br />

durch Mutationen bedingte Defizienz<br />

dieses Gens ist nicht selten und kann<br />

unter Stresssituation – beispielsweise<br />

fehlende Nahrungsaufnahme im Rahmen<br />

eines Infektes – durchaus fatale<br />

Folgen haben. Deshalb war dieses Gen<br />

Gegenstand mehrerer Studien in SIDS<br />

Populationen, wobei hauptsächlich die<br />

am häufigsten nachgewiesene Mutation<br />

(A985G) untersucht wurde. Insgesamt<br />

liegen Daten von 2 587 SIDS Patienten<br />

vor, bei denen die Mutation in 14 Fällen<br />

heterozygot (0,54 %) und in zwei Fällen<br />

homozygot (0,08 %) gefunden wurde.<br />

Dagegen konnte bei 4 636 Kontrollindividuen<br />

dieselbe Mutation in 39 Personen<br />

(0,84 %) heterozygot nachgewiesen werden.<br />

Aus diesen Daten kann kein Rückschluss<br />

auf eine Assoziation dieses Gens<br />

mit dem Plötzlichen Kindtod abgeleitet<br />

werden, sodass andere in den Fettstoffwechsel<br />

involvierte Gene zur Disposition<br />

stehen (Opdal 2004).<br />

93


94<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

In bis zu 50 % der SIDS <strong>Kinder</strong> wird im<br />

Vorfeld des Ereignisses ein blander Infekt<br />

der oberen Atemwege beschrieben.<br />

Es könnte daraus abgeleitet werden, dass<br />

eine vulnerable Immunantwort mit dem<br />

SIDS im Zusammenhang steht. Diese<br />

Überlegung führte zur Analyse des IL-<br />

10-Gens, dessen Expression in hohem<br />

Maße von Polymorphismen des IL-10-<br />

Promotors reguliert wird. In einer Studie<br />

an 23 SIDS Patienten wurde eine<br />

Assoziation zwischen einem spezifischen<br />

Haplotyp des IL-10-Promotors (ATA; Position<br />

–1082, –819 und –592) mit dem<br />

Phänotyp beschrieben (Summers 2000).<br />

Dieser Zusammenhang konnte von Opdal<br />

so allgemein nicht bestätigt werden,<br />

aber er fand eine analoge Verteilung bei<br />

SIDS Patienten mit einer Infekt-Anamnese<br />

(Opdal 2003).<br />

Serotonin beeinflusst verschiedene<br />

physiologische Regulationssysteme wie<br />

den Atemantrieb, das kardiovaskuläre<br />

System, die Temperaturregulation, den<br />

Schlaf-Wach-Rhythmus sowie Wechselwirkungen<br />

zwischen Immunsystem und<br />

Nervensystem. Beobachtungen einer erniedrigten<br />

Serotonin-Aktivität im Hirnstamm<br />

von SIDS <strong>Kinder</strong>n führte zu der<br />

Vorstellung, dass Serotonin eine vermittelnde<br />

Rolle beim Auftreten des Plötzlichen<br />

Kindstod spielen könnte. Im Serotonin<br />

Transporter Gen (SLC6A4 oder<br />

SERT) sind zwei polymorphe Regionen<br />

– Tandem-Repeats jeweils im Promotor<br />

und im Intron 2 – die die Genaktivität<br />

modulieren. In zwei unabhängigen Studien<br />

konnte gezeigt werden, dass eine<br />

signifikante Assoziation der jeweils langen<br />

Variante (12 Repeats bezeichnet als<br />

L-Allel) mit dem SIDS besteht. Dabei bedingt<br />

die lange Genvariante eine erhöhte<br />

Expression des Serotonin Transporter<br />

Proteins und damit eine niedrigere präsynaptische<br />

Serotonin Konzentration<br />

(Narita 2001, Weese-Mayer 2003).<br />

Wie in Tiermodellen gezeigt werden<br />

konnte, hat Testosteron einen wesentlichen<br />

Einfluss auf den Schwellenwert<br />

des durch Hyperkapnie oder Hypoxie<br />

vermittelten Atemantriebs in den zentralen<br />

und peripheren Atemzentren. Dabei<br />

setzt ein erhöhter Testosteronspiegel<br />

den Schwellenwert hoch (Tatsumi 1994,<br />

Emery 1994). Diese Erkenntnisse konnten<br />

kürzlich beim Menschen nachvollzogen<br />

werden. Bei prämenopausalen Frauen<br />

wurde nach Testosteron-Applikation<br />

der Schwellenwert für den Atemantrieb<br />

im Non-REM-Schlaf heraufgesetzt verglichen<br />

mit den Daten vor Testosterongabe<br />

(Zhou 2003). Daraus wurde geschlussfolgert,<br />

dass Testosteron die Ateminstabilität<br />

der Männer während des Schlafes<br />

erklären könnte. Außerdem ließe sich aus<br />

diesem Phänomen ebenfalls die höhere<br />

Inzidenz des männlichen Geschlechts<br />

unter den SIDS <strong>Kinder</strong>n erklären. Somit<br />

ist das Testosteron wesentlicher Ansatzpunkt<br />

für die Definition und genetische<br />

Analyse weiterer Kandidatengene des<br />

Plötzlichen Kindstod.<br />

Es könnte sich nun die Frage stellen,<br />

ob der Plötzliche Kindstod aus nosologischer<br />

Sicht überhaupt eine eigene Entität<br />

darstellt. Es wird abgeschätzt, dass ein<br />

plötzlicher Kindstod in knapp 50 % der<br />

Fälle im Zusammenhang mit einer anderen<br />

möglicherweise bisher nicht erkannten<br />

Krankheit steht (Opdal 2004). Somit<br />

wäre jedes zweite plötzlich verstorbene<br />

Kind im engeren Sinne als SIDS Kind<br />

zu betrachten. Analog zu den Ideen von


Karl-Heinrich Bauer – Chirurg und Begründer<br />

des Deutschen Krebsforschungszentrums<br />

in Heidelberg – der in seinem<br />

1928 erschienen Buch „Mutationstheorie<br />

der Geschwulstentstehung“ die Tumorgenese<br />

als eine Interaktion von endogenen,<br />

genetisch determinierten und<br />

exogenen Umgebungsfaktoren verstand,<br />

resultiert der Plötzliche Kindstod aus einem<br />

Zusammentreffen dieser Faktoren<br />

bezogen auf ein vulnerables Zeitfenster<br />

der ontogenetischen Entwicklung.<br />

Zweifelfrei ist die Beschreibung genetischer<br />

Faktoren mit einer etiologischen<br />

Bedeutung für den SID insbesondere<br />

in Anbetracht der modernen labortechnischen<br />

Möglichkeiten von großem Interesse.<br />

Jedoch können wir momentan<br />

nur eine Vielzahl von Kandidatengene<br />

benennen, die aktuell evaluiert werden.<br />

Der wünschenswerte Umstand, ein gut<br />

charakterisiertes Hauptgen mit einer klaren<br />

Genotyp-Phänotyp-Korrelation benennen<br />

zu können, wird wohl noch Ziel<br />

vieler wissenschaftlicher Studien bleiben<br />

müssen.<br />

Literatur<br />

Fitze<br />

Gibt es einen genetischen Hintergrund für den Plötzlichen Kindstod?<br />

1 Amiel J, Salomon R, Attie T, Pelet A, Trang H,<br />

Mokhtari M, Gaultier C, Munnich A, Lyonnet S.<br />

Mutations of the RET-GDNF Signaling pathway in<br />

Ondine’s curse. Am J Hum Genet 62 (1998) 715–7<br />

2 Amiel J, Laudier B, Attie-Bitach T, Trang H, de<br />

Pontual L, Gener B, Trochet D, Etchevers H, Ray P,<br />

Simonneau M, Vekemans M, Munnich A, Gaultier<br />

C, Lyonnet S: Polyalanine expansion and frameshift<br />

mutations of the paired-like homeobox gene<br />

PHOX2B in congenital central hypoventilationsyndrome.<br />

Nat Genet 33 (2003) 459–461<br />

3 Blood-Siegfried J, Shelton B: Animal models of<br />

sudden unexplained death. FEMS Immunol Med<br />

Microbiol 42 (2004) 34–41<br />

4 Burton MD, Kawashima A, Brayer JA, Kazemi<br />

H, Shannon DC, Schuchardt A, Costantini F, Pachnis<br />

V, Kinane TB: RET proto-oncogene is important<br />

for the development of respiratory CO2 sensitivity.<br />

J Autonomic Nervous System 63 (1997) 137–143<br />

5 Emery MJ, Hlastala MP, Matsumoto AM.<br />

Depression of hypercapnic ventilatory drive by<br />

testosterone in sleeping infant primate.<br />

J Appl Physiol 76 (1994) 1786–1793<br />

6 Fitze G, Paditz E, Schläfke M, Kuhlisch E,<br />

Roesner D, Schackert HK: Association of germline<br />

mutations and polymorphisms of the RET proto-oncogene<br />

with Idiopathic Congenital Central<br />

Hypoventilation Syndrome in 33 patients. J Med<br />

Genet 40 (2003) e10<br />

7 Marazita ML, Maher BS, Cooper ME, Silvestri<br />

JM, Huffman AD, Smok Pearsall SM, Kowal MH,<br />

Weese-Mayer DE: Genetic segregation analysis of<br />

autonomic nervous system dysfunction in families<br />

of probands with idiopathic congenital central hypoventilation<br />

syndrome. Am J Med Genetics 100<br />

(2001) 229–236<br />

8 Matera I, Bachetti T, Cinti R, Lerone M, ‚Gagliardi<br />

L, Morandi F, Motta M, Mosca F, Ottonello G,<br />

Piumelli R, Schober JG, Ravazzolo R, Ceccherini I:<br />

Mutational analysis of the RNX gene in Congenital<br />

central hypoventilation syndrome. Am J Med Genet<br />

113 (2002) 178–182<br />

9 Narita N, Narita M, Takashima S, Nakayama<br />

M, Nagai T, Okado N: Serotonin transporeter gene<br />

variation is a risk factor for sudden infant death<br />

syndromr in Japanease population. Pediatrics 107<br />

(2001) 690–692<br />

10 Neff RA, Simmens SJ, Evans C, Mendelovitz D:<br />

Prenatal nicotine exposure alters central cardiorespiratory<br />

responses to hypoxia in rats: implications<br />

for sudden infant death syndrome. J Neurosci 24<br />

(2004) 9261–9268<br />

95


96<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

11 Opdal SH, Opstad A, Vege A, Rognum TO: IL-<br />

10 gene polymorphisms are associated with infectious<br />

cause of sudden infant death. Hum Immunol<br />

64 (2003) 1183–1189<br />

12 Opdal SH, Rognum TO: The sudden infant<br />

death syndrome gene: Does it exist? Pediatrics 114<br />

(2004) 506–512<br />

13 Papadatos GA, Wallerstein PMR, Head CEG,<br />

Ratcliff R, Brady PA, Benndorf K, Saumarez RC,<br />

Trezise AEO, Huang CLH, Vandenberg JI, Colledge<br />

WH, Grace AA: Slowed conduction and ventricular<br />

tachycardia after targeted disruption of the cardiac<br />

sodium channel gene Scn5a. Proc Nat Acad Sci 99<br />

(2002) 6210–6215<br />

14 Pattyn A, Morin X, Cremer H, Goridis C,<br />

Brunet J-F: The homeobox gene Phox2b is essential<br />

for the development of all autonomic derivates of<br />

the neural crest. Nature 399 (1999) 366–370<br />

15 Pichel JG, Shen L, Sheng HZ, Granholm AC,<br />

Drago J, Grinberg A, Lee EJ, Huang SP, Saarma M,<br />

Hoffer BJ, Sariola H, Westphal H: Defects in enteric<br />

innervation and kidney development in mice<br />

lacking GDNF. Nature 382 (1996) 73–6<br />

16 Sanchez MP, Silos-Santiago I, Frisen J, He B,<br />

Lira SA, Barbacid M: Renal agenesis and the absence<br />

of enteric neurons in mice lacking GDNF.<br />

Nature 382 (1996) 70–3<br />

17 Shirasawa S, Arata A, Onimaru H, Roth KA,<br />

Brown GA, Horning S, Arata S, Okumura K, Sasazuki<br />

T, Korsmeyer SJ: Rnx deficiency results in<br />

congenital central hypoventilation. Nat Genet 24<br />

(2002) 287–290<br />

18 Smialek JE: Simultanious suddeen infant death<br />

syndrome in twins. Pediatrics 77 (1986) 816–821<br />

19 Summers AM, Summers CW, Drucker DB,<br />

Hajeer AH, Barson A, Hutchinson IV: Association<br />

of IL-10 genotype with sudden infant death syndrome.<br />

Hum Immunol 61 (2000) 1270–1273<br />

20 Sayers NM, Drucker DB: Animal models used<br />

to test the interaction between infectious agents<br />

and products of cigarette smoke implicated in sudden<br />

infant death syndrome. FEMS Immunol Med<br />

Microbiol 25 (1999) 115–123<br />

21 Tatsumi K, Hannhart B, Pickett CK, Weil JV,<br />

Moore LG: Effects of testosterone on hypoxic ventilatory<br />

and carotid body neural responsiveness. Am<br />

J Respir Crit Care Med 149 (1994) 1248–1253<br />

22 Weese-Mayer DE, Silvestri JM, Marazita ML,<br />

Hoo JJ: Congenital central hypoventiation syndrome:<br />

inheritance and relation to sudden infant death<br />

syndrome. Am J Med Genet 47 (1993) 360–367<br />

23 Weese-Mayer DE, Silvestri JM, Huffman AD,<br />

Smok Pearsall SM, Kowal MH, Maher BS, Cooper<br />

ME, Marazita ML: Case/Control Family Study of<br />

Autonomic Nervous System Dysfunction in Idiopathic<br />

Congenital Central Hypoventilation Syndrome.<br />

Am J Med Genetics 100 (2001) 237–245<br />

24 Weese-Mayer DE, Berry-Cravis EM, Maher BS,<br />

Silvestri JM, Curran ME, Marazita ML: Sudden infant<br />

death syndrome: association with a promoter<br />

polymorphism of the serotonin transporter gene.<br />

Am J Med Genetics 117 (2003) 268–274<br />

25 Weese-Mayer DE, Berry-Cravis EM, Zhou L,<br />

Maher BS, Curran ME, Silvestri JM, Marazita ML:<br />

Sudden infant death syndrome: case-control frequency<br />

differences at genes pertinent to early autonomic<br />

nervous systeme embryonic development.<br />

Pediatr Res 56 (2004) 391–395<br />

26 Zhou XS, Rowley JA, Demirovic F, Diamond<br />

MP, Badr MS: Effect of testosterone on the apneic<br />

treshold in women during NREM sleep. J Appl<br />

Physiol 94 (2003) 101–107<br />

Autor<br />

PD Dr. med. Guido Fitze<br />

Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>chirurgie<br />

Universitätsklinikum Carl Gustav Carus<br />

Technische Universität Dresden<br />

Fetscherstraße 74, 01307 Dresden


Nowakowski und Schlüter<br />

Verzögerte funktionelle Hirnreifung bei <strong>Kinder</strong>n Methadon-substituierter Mütter<br />

Verzögerte funktionelle Hirnreifung bei <strong>Kinder</strong>n<br />

Methadon-substituierter Mütter. Bestimmung<br />

der funktionellen Hirnreifung anhand von EEG-<br />

Mustern und kardiorespiratorischen Parametern<br />

mittels Polysomnographie<br />

Nowakowski C, Schlüter B<br />

Schlaflabor der Vestischen <strong>Kinder</strong>klinik Datteln, Universität Witten/Herdecke<br />

Einleitung<br />

Es wird vermutet, dass intrauterine<br />

Drogenexposition zu Entwicklungsstörungen<br />

des kindlichen ZNS beitragen<br />

kann. Am Ende der Fetalzeit und in den<br />

ersten Lebensmonaten kommt es zu erheblichen<br />

Fortschritten der funktionellen<br />

Hirnreifung. Dies kann u. a. an einer<br />

tiefgreifenden Reorganisation des kindlichen<br />

Schlafzyklus abgelesen werden.<br />

Deshalb wurden polygraphische Schlafuntersuchungen<br />

bei Säuglingen Methadon-substituierter<br />

Mütter durchgeführt.<br />

Patienten und Methode<br />

Von 1989 bis 2002 wurden im Schlaflabor<br />

der Vestischen <strong>Kinder</strong>klinik Datteln<br />

126 Polysomnographien (PSG) an<br />

85 <strong>Kinder</strong>n drogenabhängiger Mütter<br />

durchgeführt. Die PSG umfasste neurophysiologische<br />

(EEG, EOG, EMG) und<br />

kardiorespiratorische Parameter (Atembewegungen,<br />

Luftstrom, transkutane<br />

Blutgase, EKG). Bei 46 Patienten ergab<br />

sich Methadon als Hauptkonsum der<br />

Mutter. In dieser Untergruppe lagen 25<br />

polysomnographische Registrierungen<br />

vor, bei denen eine vollständige Schlafsta-<br />

dienanalyse durchgeführt werden konnte.<br />

Insgesamt wurden 6 915 Epochen à<br />

30 Sekunden analysiert und folgende<br />

Stadien klassifiziert: Wach; Ruhigschlaf<br />

(EEG hochamplitudig-niederfrequent<br />

bzw. Tracé alternant); Aktivschlaf (EEG<br />

niederamplitudig-hochfrequent bzw. gemischtfrequent);<br />

Indeterminierter Schlaf<br />

und Movement Time (Bewegungsartefakte).<br />

Als Indeterminierter Schlaf wurden<br />

unreife Schlafmuster mit Diskordanz<br />

von elektroenzephalographischen<br />

und kardiorespiratorischen Mustern definiert.<br />

Ergebnisse<br />

Im Vergleich zu Referenzwerten aus<br />

der Literatur ergaben die kardiorespiratorischen<br />

Parameter in der Methadon-<br />

Gruppe keine Hinweise auf vermehrte<br />

kardiorespiratorische Instabilität. Hingegen<br />

war der Anteil des Indeterminierten<br />

Schlafs in der Methadon-Gruppe<br />

(n = 25, postkonzeptionelles Alter: Median<br />

41 Wochen, Spannweite 36–59 Wochen)<br />

mit 45 % (Interquartilsspannweite<br />

28–55 %) gegenüber Referenzangaben<br />

aus der Literatur (postkonzeptionelles<br />

Alter 35–37 Wochen, Indeterminierter<br />

97


98<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Schlaf: Spannweite 10–15 %) signifikant<br />

erhöht.<br />

Schlussfolgerung: Bei jungen Säuglingen<br />

Methadon-substituierter Mütter<br />

ergaben sich neurophysiologisch-polysomnographische<br />

Hinweise auf eine<br />

funktionelle Hirnreifungsverzögerung<br />

um mindestens vier Wochen. Dies kann<br />

als Risikofaktor für später klinisch manifest<br />

werdende Entwicklungsstörungen<br />

und Verhaltensauffälligkeiten sowie für<br />

eine erhöhte Mortalität im ersten Lebensjahr<br />

angesehen werden.<br />

Korrespondenzadresse<br />

PD Dr. med. Bernhard Schlüter<br />

Vestische <strong>Kinder</strong>klinik<br />

Dr.-Friedrich-Steiner-Straße 5, 45711 Datteln<br />

Bernhard.Schlueter@kinderklinik-datteln.de


Indikatoren für eine Arousal-Aktivierung bei Säuglingen:<br />

Seufzer, Startle, Schlafspindel-Suppression<br />

und Änderung der Herzfrequenz als Lebensrettungs-Mechanismus<br />

bei Atemwegsobstruktion<br />

Henning W 1 , Frances McNamara und Bradley Thach 2<br />

1 Eppendorfer Zentrum für <strong>Kinder</strong>neurologie, Hamburg<br />

2 Washington University, St. Louis, USA<br />

Wir haben nachgewiesen, dass Seufzer<br />

und Startle verlässliche Indikatoren<br />

für die Aktivierung einer Weckreaktion/Arousal<br />

darstellen (Wulbrand et al<br />

Ped Res 1989, 1995). Eine Suppression<br />

der Schlafspindel-Aktivität durch Aktivierung<br />

des „Ascending Reticular Activating<br />

System“/ARAS folgt dem Auftreten<br />

von Seufzer und Startle. In dieser Studie<br />

stellten wir die Hypothese auf, dass Seufzer<br />

und Startle durch sympathischen und<br />

parasympathischen Einfluss von einer<br />

Veränderung der Herzfrequenz begleitet<br />

werden.<br />

Wir untersuchten Seufzer und Startle<br />

bei zwölf Säuglingen (Alter zehn bis 19<br />

Wochen), die durch Atemwegsokklusion<br />

wir mit Hilfe einer Atemmaske auslösten<br />

unter Aufzeichnung von EEG, EKG,<br />

SaO2, submentalem und diaphragmalen<br />

sowie nuchalem und bicpes EMG. Die<br />

Intensität der mit dem Startle verbundene<br />

Körperbewegungen wurde mit Hilfe<br />

eine Infrrot-Video von 0 bis 3 eingeteilt.<br />

Die Änderung der Herzfrequenz (Maximum<br />

des Anstiegs sowie Minimum des<br />

folgenden Abfalls) wurden nach dem<br />

Startle ermittelt.<br />

Seufzer und Startle folgten allen 131<br />

Okklusions-Manövern im N-REM-Schlaf<br />

Wulbrand, McNamara und Thach<br />

Indikatoren für eine Arousal-Aktivierung bei Säuglingen<br />

mit drei Ausnahmen, die zum Erwachen<br />

führten.<br />

1) Allein auftretende Seufzer sowie<br />

kombinierte Seufzer und Startle wurden<br />

stets gefolgt von einer Suppression<br />

der Schlafspindeln bis zu 45 Sek<br />

(p < 0,001). Die dem Startle folgende<br />

Beschleunigung der Herzfrequenz von<br />

126.3 ± 0.9 auf 142.9 ± 0.9 /min (x ± SE,<br />

p


100<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

„Ascending Reticular Activating System“<br />

hin, die die Schlafspindeln im Thalamus<br />

blockiert, sondern auch auf eine enge<br />

Verknüpfung mit einer sympathischen<br />

sowie parasympathischen Aktivierung<br />

der Herzfrequenz.<br />

Diese Arousal-bedingte Aktivierung<br />

folgt aber nicht einem „Alles oder<br />

Nichts“-Prinzip, sondern tritt in sehr unterschiedlicher<br />

Intensität auf mit einem<br />

Verlust der sympathisch/parasympatischen<br />

Balance, die weit über den Startle<br />

hinausgehen.<br />

Seufzer und Startle stellen im Prinzip<br />

einen universellen reflexartig auftretendenLebensrettungsmechanismus<br />

bei einer internen oder externen<br />

Atemwegsobstruktion dar (extern durch<br />

Bauchlage, Bettdecke etc., intern bei obstruktiven<br />

Apnoen), dessen Intensität<br />

bzw. Versagen eine große Rolle beim<br />

Plötzlichen Kindstod spielen könnte.


Zusammenfassung<br />

Erler und Lindner<br />

Koordination der Handlungsträger bei Plötzlichem Säuglingstod vor Ort<br />

Koordination der Handlungsträger<br />

bei Plötzlichem Säuglingstod vor Ort<br />

Empfehlungen zur Vorgehensweise bei Auffinden eines toten Säuglings<br />

im häuslichen Milieu<br />

Erler T 1 , Lindner G 2<br />

1 Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin am Carl-Thiem-Klinikum Cottbus<br />

2 Polizeischutzbereich Cottbus<br />

Wir berichten über Empfehlungen für<br />

das praktische Management der schwierigen<br />

und tragischen Situation nach dem<br />

plötzlichen Tod eines Säuglings im häuslichen<br />

Milieu. Sie wurden bei einem Konsensustreffen<br />

leitender Mitarbeiter der<br />

Notrettung, Polizei, Staatsanwaltschaft<br />

und einer <strong>Kinder</strong>klinik entwickelt. Ihr<br />

Ziel ist es, zusätzliche Härten durch unberechtigte<br />

Anklage der trauernden Eltern<br />

zu verhindern, aber die Option einer<br />

kriminalistischen Ermittlung aufrecht zu<br />

erhalten, da eine kriminelle Todesursache<br />

niemals prima vista ausgeschlossen<br />

werden kann. Zusammenfassend wird<br />

hervorgehoben, dass bei Fehlen sicherer<br />

Todeszeichen der Transport des Säuglings<br />

unter Reanimationsmaßnahmen in<br />

ein Krankenhaus die wünschenswerteste<br />

Lösung im Sinne der Eltern und auch der<br />

pädiatrischen Forschung ist. Ist der irreversible<br />

Tod offensichtlich und ein Transport<br />

daher unmöglich, scheint es ratsam,<br />

eine unklare Todesursache zu bescheinigen<br />

und die Polizei zu informieren. Diese<br />

wird dann einen speziell geschulten Mitarbeiter<br />

entsenden. Eine Autopsie sollte<br />

mit Einverständnis der Eltern in allen<br />

Fällen angestrebt werden. Die Vermittlung<br />

an Selbsthilfeorganisationen (z. B.<br />

„GEPS“, „Verwaiste Eltern“, „Elternhelfen-Eltern-Liste“,„Regenbogen-Initiative“)<br />

kann für die Eltern im Prozess der<br />

Bewältigung des Verlustes ihres Kindes<br />

hilfreich sind.<br />

Aktueller Stand<br />

Zwar versterben heute in Europa<br />

Säuglinge plötzlich und unerwartet aus<br />

völligem Wohlbefinden heraus (SID =<br />

sudden infant death) deutlich seltener<br />

– die Inzidenz liegt jedoch in vielen<br />

hochindustrialisierten Ländern mittlerweile<br />

deutlich unter 1 ‰ – trotzdem<br />

bleibt SID in der Todesursachenstatistik<br />

bei Säuglingen die Nummer eins. Unterschiedliche<br />

Ätiologiemodelle werden<br />

weltweit als Ursache für das unerwartete<br />

Versterben diskutiert. Konsens besteht<br />

jedoch bisher nur in der Auffassung, dass<br />

es sich um ein multifaktorielles Geschehen<br />

handelt.<br />

Bekannt und statistisch belegt ist eine<br />

Reihe anamnestischer Risikofaktoren,<br />

die offensichtlich das Auftreten des<br />

101


102<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

plötzlichen Säuglingstodes begünstigen:<br />

z. B. die Bauchlage des Säuglings, frühes<br />

Abstillen oder fehlendes Stillen, aktives<br />

oder passives Rauchen während oder<br />

nach der Schwangerschaft oder im Vorfeld<br />

stattgefundene sog. Lebensbedrohliche<br />

Ereignisse (ALTE = apparently life<br />

threatening event),Überwärmung usw.<br />

Verbessertes perinatales Management,<br />

Realisierung präventiver Maßnahmen<br />

und breit angelegte Aufklärungskampagnen<br />

sind Maßnahmen, die zu einem<br />

spürbaren Rückgang der SID-Inzidenz in<br />

ganz Europa geführt haben.<br />

Die Situation des Notarztes<br />

Trotz der erfreulichen Entwicklung<br />

der SID-Inzidenz muss in der Bundesrepublik<br />

pro Jahr mit etwa 400 Plötzlichen<br />

Säuglingstodesfällen gerechnet werden.<br />

Häufig liegt die Zeit des Auffindens des<br />

bereits seit geraumer Zeit toten Kindes<br />

in den Morgenstunden, trotzdem wird<br />

von den Kindeseltern die hoffnungslose<br />

Situation nicht erkannt und der Notarzt<br />

hinzugerufen. Dieser steht dann vor<br />

der schwierigen Entscheidung, Reanimationsmaßnahmen<br />

einleiten, fortführen<br />

oder gar abbrechen zu müssen. Zu<br />

welchem Entschluss er auch kommen<br />

mag, in jedem Fall resultieren aus seiner<br />

Entscheidung weitere Konfliktsituationen.<br />

Bleiben Reanimationsmaßnahmen<br />

erfolglos, dann stellt sich die Frage eines<br />

Abbruchs im häuslichen Milieu. Erscheint<br />

eine Reanimation von vornherein<br />

aussichtslos, dann ist die heikle Frage<br />

nach der Todesursache zu beantworten:<br />

natürlicher Tod, ungeklärte Todesursache<br />

oder gar unnatürlicher Tod? In den<br />

beiden letzten Varianten ist der Notarzt<br />

verpflichtet, polizeiliche Ermittlungsorgane<br />

einzuschalten; eine rechtsmedizinische<br />

Sektion und damit die mögliche<br />

vorläufige Beschlagnahmung des Kindes<br />

sind die zwangsläufigen Folgen. Zu der<br />

dramatischen und tragischen Situation<br />

der Eltern kommt nun noch der Verdacht<br />

der Kindstötung.<br />

Eine Reihe derart gelagerter Fälle, die<br />

weder fachkompetent noch situationsgerecht<br />

geklärt wurden und letztlich zu<br />

einer unvertretbaren zusätzlichen Belastung<br />

der betroffenen Familien geführt<br />

hatten, veranlasste die Autoren zur Initiierung<br />

eines Konsensusgespräches<br />

zwischen Vertretern leitender Not- und<br />

<strong>Kinder</strong>ärzte, leitenden Mitarbeitern der<br />

Polizei und der Staatsanwaltschaft. Im<br />

Ergebnis der Konferenz wurden Empfehlungen<br />

erarbeitet, über deren Inhalt im<br />

breiten Maßstab Polizisten und Notärzte<br />

informiert werden sollen.<br />

Fakten, die für einen Plötzlichen<br />

Säuglingstod sprechen<br />

Folgende Anamnesefaktoren lassen einen<br />

Plötzlichen Säuglingstod als wahrscheinlich<br />

in Betracht kommen und<br />

können zu entsprechendem Zeitpunkt<br />

gezielt erfragt werden:<br />

• Alter des Kindes zwischen acht und 14<br />

Wochen<br />

• Kind wurde in Bauchlage aufgefunden<br />

• Kind wurde nicht gestillt, Raucherhaushalt<br />

• Sterbezeitpunkt des Kindes liegt in<br />

den Nacht- bzw. frühen Morgenstunden<br />

bei aktuell kälterer Jahreszeit<br />

• das Kind war bis zum Ereignis völlig<br />

gesund


• die Kindsbettmatratze war besonders<br />

weich, im Bett befanden sich lose Kissen<br />

und/oder Decken<br />

• die Körpertemperatur des Säuglings<br />

war zum Zeitpunkt des Auffindens<br />

über 37 °C erhöht<br />

• Säugling ist männlichen Geschlechts<br />

• es ist das zweitgeborene Kind<br />

Vorschläge zur Verfahrensweise<br />

vor Ort<br />

Bei fehlenden Todeszeichen<br />

Erler und Lindner<br />

Koordination der Handlungsträger bei Plötzlichem Säuglingstod vor Ort<br />

Fehlen beim aufgefundenen Säugling<br />

Todeszeichen, wie z. B. Totenflecke, Leichen-starre,<br />

niedrige Körpertemperatur,<br />

sollten in jedem Fall Reanimationsversuche<br />

unternommen werden. Auch nach<br />

längerer Reanimationsdauer bietet sich<br />

dann die Übernahme des Säuglings unter<br />

Fortführung dieser Maßnahmen in<br />

die nächstgelegene Notaufnahme einer<br />

Klinik an. Die Kindeseltern (sofern anwesend)<br />

sollten den Transport in das Krankenhaus,<br />

in einem zweiten Fahrzeug,<br />

begleiten. Muss trotz aller Bemühungen<br />

der Tod des Kindes festgestellt werden,<br />

gilt die Zeit bei endgültiger Feststellung<br />

als Todeszeitpunkt. Im Konsilium wird<br />

dann in der Klinik über die Notwendigkeit<br />

der Einbeziehung polizeilicher Ermittlungsorgane<br />

entschieden. Eine Autopsie<br />

sollte im Einvernehmen mit den<br />

Eltern unbedingt veranlasst werden. Die<br />

Frage einer rechtsmedizinischen Sektion<br />

ist zu klären.<br />

Bei eindeutig nachweisbaren Todeszeichen<br />

Ist ein Transport des Kindes unter Reanimationsmaßnahmen<br />

wegen eindeutiger<br />

Todeszeichen (Totenflecke, Körperstarre,<br />

niedrige Körpertemperatur u. a.)<br />

nicht mehr möglich, muss vor Ort der<br />

Totenschein ausgestellt werden. Nach<br />

neuester internationaler Klassifikation<br />

der Krankheiten (ICD 10 – GM, Version<br />

2004) hat der erfahrene Notarzt prinzipiell<br />

die Möglichkeit, mit der Schlüssel-<br />

Nummer R95 einen natürlichen Tod<br />

bescheinigen zu können. Eine Obduktion<br />

sollte aber in all den Fällen veranlasst<br />

werden, in denen nicht der Staatsanwalt<br />

die rechtsmedizinische Leichenöffnung<br />

anordnet.<br />

Bei unklaren Todesumständen, jedoch<br />

bestehendem Verdacht auf Plötzlichen<br />

Säuglingstod kann in den meisten Bundesländern<br />

im Totenschein die Todesursache<br />

als unklar definiert werden. Eine<br />

Information an die polizeilichen Ermittlungsorgane<br />

ist dann sofort pflichtgemäß<br />

weiterzugeben. Sinnvoll ist es, dem<br />

diensthabenden Mitarbeiter der Polizei<br />

den Verdacht auf SID mitzuteilen, damit<br />

dieser dann einen speziell geschulten,<br />

zivilen Polizisten zum Notfallort entsenden<br />

kann. Bis zu dessen Eintreffen sollte<br />

der Notarzt nach Möglichkeit mit den<br />

Eltern im häuslichen Milieu verbleiben,<br />

um einfühlsam die eingeleiteten Schritte<br />

zu erläutern. Gemeinsam mit dem Kriminalisten<br />

wird über eine rechtsmedizinische<br />

oder pathologisch-anatomische<br />

Obduktion des Säuglings und über die<br />

Todesart (natürlich oder nicht geklärt)<br />

entschieden (Tab. 1 und 2).<br />

103


104<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

Tabelle 1<br />

Positive Aspekte der Klinikaufnahme<br />

von SID-<strong>Kinder</strong>n:<br />

• Das Kind wird aus der belasteten<br />

Todesumgebung entfernt.<br />

• Die Elterngespräche können mit<br />

einem zeitlichen Abstand vom Todeszeitpunkt<br />

begonnen werden.<br />

• Der „soziale“ Druck (Nachbarschaft,<br />

Polizei, Verwandtschaft) ist<br />

genommen.<br />

• Das Kind ist an einem „sicheren“<br />

Platz, die weitere Vorgehensweise<br />

kann geplant werden.<br />

• Die Durchführung einer Obduktion<br />

kann besprochen und organisiert<br />

werden.<br />

Tabelle 2<br />

Gründe für eine Autopsie bei an SID<br />

verstorbenen <strong>Kinder</strong>n:<br />

• definitionsgemäße Voraussetzung<br />

zur „Diagnosestellung“<br />

• Nachweis von schwerwiegenden<br />

Befunden, die SID ausschließen<br />

• Hilfe bei Trauerbewältigung<br />

• Vorgehensweise bei ähnl. Fällen<br />

• Möglichkeiten zum Ausschluss eines<br />

nichtnatürlichen Todes<br />

• Wissenschaftliches Interesse<br />

Konkrete Anleitung<br />

zum Krisenmanagement<br />

Vorfeldaufgaben:<br />

• dauerhaften, kompetenten Ansprechpartner<br />

bei Polizei und Staatsanwaltschaft<br />

im Vorfeld suchen; notfalls Vertreter<br />

benennen<br />

• regelmäßige Weiterbildung bei Polizei<br />

und Staatsanwaltschaft<br />

• Information über Vorgehensweisen<br />

bei vermutetem SID an Rettungsämter,<br />

Notärzte und regionale Notaufnahmen;<br />

regelmäßige Weiterbildung<br />

• evtl. dauerhafte Verbindung zu Seelsorger<br />

garantieren (Notfalltelefon!)<br />

• Information an regionale Institute für<br />

Pathologie und/oder Rechtsmedizin<br />

Krisenmanagement:<br />

• Kind nach Möglichkeit aus häuslicher<br />

Umgebung entfernen<br />

• sofortige Einleitung von Reanimationsmaßnahmen<br />

• wenn sicherer Todeseintritt im häuslichen<br />

Milieu: unklare Todesursache bescheinigen,<br />

nur vorinformierte Behördenmitarbeiter<br />

einbeziehen, als Notarzt<br />

bis zum Abtransport des Kindes bei<br />

Eltern bleiben, möglichst kirchlichen<br />

oder weltlichen Beistand organisieren<br />

• bei Transport ins Krankenhaus: konsiliarische<br />

Todesbescheinigung in Notaufnahme,<br />

erklärendes Gespräch mit<br />

Eltern, Sektion vereinbaren, Einbeziehung<br />

von vorinformierten Behörden<br />

im Bedarfsfall<br />

• kirchlichen oder weltlichen Beistand<br />

organisieren<br />

Korrespondenzadresse<br />

PD Dr. med. Thomas Erler<br />

Carl-Thiem-Klinikum Cottbus<br />

Klinik für <strong>Kinder</strong>-und Jugendmedizin<br />

Thiemstraße 111, 03048 Cottbus<br />

Telefon (03 55) 46-23 36, Telefax (03 55) 46-20 77<br />

th.erler@ctk.de


Jachau, Heinrichs und Krause<br />

Computertomographie und Magnetresonanztomographie in der postmortalen Diagnostik<br />

Computertomographie und Magnetresonanz-<br />

tomographie in der postmortalen Diagnostik des<br />

plötzlichen Säuglingstodes (SIDS)<br />

Jachau K 1 , Heinrichs T 2 , Krause D 1<br />

1 Institut für Rechtsmedizin, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg<br />

2 Klinik für Diagnostische Radiologie, Medizinische Fakultät, Otto-von-Guericke Universität Magdeburg<br />

Einleitung<br />

Kommt der leichenschauhaltende Arzt,<br />

der eher selten ein Pädiater ist, bei der<br />

Leichenschau eines verstorbenen Säuglings<br />

zur Verdachtsdiagnose „Plötzlicher<br />

Säuglingstod“ oder ist die Todesursache<br />

unklar, sollte stets eine Obduktion angestrebt<br />

werden. Wie die Totenscheinanalyse<br />

im Rahmen der BMFT-Studie<br />

„Plötzlicher Säuglingstod“ zeigte, geschieht<br />

dies nicht allen Fällen, einerseits<br />

wegen nicht vorliegendem richterlichen<br />

Beschlusses, andererseits wegen fehlender<br />

Einwilligung der Eltern. Diese Fälle<br />

bleiben unaufgeklärt und unsicher für<br />

die Todesursachenstatistik.<br />

Neben konventionellen Röntgenaufnahmen<br />

spielen in der postmortalen Diagnostik<br />

moderne bildgebende Verfahren<br />

wie Computertomographie (CT) und<br />

Magnetresonanztomographie (MRT)<br />

eine zunehmende Rolle. Das Institut für<br />

Rechtsmedizin in Bern prägte den Begriff<br />

der „Virtopsy©“ (virtuelle Autopsie)<br />

[5]. Neben der vordergründigen Aufgabenstellung,<br />

CT- und MRT-Befunde als<br />

zusätzliche diagnostische Möglichkeiten<br />

zu evaluieren [2], sollte langfristig auch<br />

das Ziel verfolgt werden, angesichts der<br />

ständig sinkenden Obduktionszahlen<br />

alternative Möglichkeiten der postmortalen<br />

Diagnostik zu entwickeln. Die Er-<br />

fahrungen der forensischen Radiologie<br />

mit postmortal erstelltem Schnittbildmaterial<br />

sind aufgrund der wenigen in<br />

der Vergangenheit erfolgten CT- und<br />

MRT- Untersuchungen an Leichen oder<br />

Leichenteilen noch nicht sehr umfangreich<br />

und beschränken sich meist auf<br />

Fallberichte mit eng begrenzten Fragestellungen.<br />

Ziel unserer Untersuchungen<br />

war die Frage, ob und in welchem<br />

Ausmaß die postmortal computertomographisch<br />

und magnetresonanztomographisch<br />

gewonnene Befunde mit den bei<br />

der Obduktion eines Säuglings erhobenen<br />

korrelieren.<br />

Methodik<br />

Seit 2002 wurden in einer Zusammenarbeit<br />

zwischen der Klinik für Radiologie<br />

und dem Institut für Rechtsmedizin<br />

grundsätzlich verstorbene Säuglinge und<br />

Kleinkinder mittels Computertomographie<br />

und Magnetresonanztomographie<br />

vor der Obduktion durch einen <strong>Kinder</strong>radiologen<br />

und einen Rechtsmediziner<br />

untersucht. Alle computertomographischen<br />

Untersuchungen wurden an einem<br />

Siemens Somatom Plus 4 Spiral-<br />

CT vorgenommen. Die Untersuchung<br />

erfolgte in kontinuierlicher Schichtführung,<br />

die Schichtdicke betrug 3 mm. Die<br />

105


106<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

magnetresonanztomographischen Untersuchungen<br />

fanden an einem Magnetom<br />

Vision 1,5 Tesla der Firma Siemens<br />

statt. Die Untersuchung erfolgte immer<br />

sowohl in T1- als auch in T2-Wichtung.<br />

Dabei kamen Spin-Echo (se)-, Turbo-<br />

Spin-Echo (tse)- und Turbo-Inversion-<br />

Recovery (tirm)-Sequenzen zum Einsatz.<br />

Relevante Befunde dieser Schnittbilduntersuchungen<br />

lagen zur Obduktion in<br />

Bildform vor.<br />

Die Obduktion erfolgte stets nach dem<br />

Standardautopsieprotokoll der BMFT-<br />

Studie „Plötzlicher Säuglingstod“ [1].<br />

Die Ergebnisse der Obduktion, der feingeweblichen,<br />

toxikologischen und mikrobiologischen<br />

Untersuchungen wurden<br />

in einer Falldemonstration mit den<br />

Befunden der Schnittbilduntersuchungen<br />

verglichen.<br />

Insgesamt wurden bei 20 verstorbenen<br />

Säuglingen und Kleinkindern im<br />

Rahmen gerichtlicher Obduktionen vor<br />

der pathologisch-anatomischen Sektion<br />

CT- und MRT- Untersuchungen durchgeführt.<br />

Es handelte sich um 14 Jungen und<br />

sechs Mädchen, welche in einem Alter<br />

von drei Stunden bis vier Jahren verstarben.<br />

Die Leichenliegezeit vom Zeitpunkt<br />

der Auffindung der Leiche bis zu den<br />

radiologischen Untersuchungen variierte<br />

zwischen ein und vier Tagen. Neben<br />

frisch Verstorbenen wurden auch Fälle<br />

mit einer längeren Leichenliegezeit (Aufbewahrung<br />

der Leiche sechs Wochen in<br />

häuslicher Umgebung zur Verdeckung<br />

einer Straftat) untersucht. Ein entsprechendes<br />

Votum der Ethik-Kommission<br />

der Otto-von-Guericke-Universität an<br />

der Medizinischen Fakultät lag unter der<br />

Registriernummer 169/01 vor.<br />

Ergebnisse<br />

Für postmortale radiologische Befunderhebungen<br />

von Säuglingen und Kleinkindern<br />

sind für CT- und MRT-Untersuchungen<br />

deutlich andere Sequenzen<br />

notwendig als bei der Untersuchung<br />

Lebender. Mittels CT konnten die knöchernen<br />

Strukturen problemlos dargestellt<br />

werden und ein sicherer Frakturausschluss<br />

erfolgen. Mittels MRT gelang<br />

die Darstellung der Befunde an inneren<br />

Organen, insbesondere die Erhärtung<br />

der Verdachtsdiagnose einer Pneumonie<br />

[3]. Nicht immer gelang die radiologisch<br />

die Feststellung kleinerer anlagebedingter<br />

Herzfehler. Ertrinkungsbefunde<br />

waren gut nachweisbar. Insbesondere<br />

hinsichtlich von Entzündungsprozessen<br />

lag eine sehr gute Korrelation zwischen<br />

den radiologischen und den feingeweblichen<br />

Untersuchungsbefunden vor. Eine<br />

längere Leichenliegezeit führte zu keiner<br />

wesentlichen Einschränkung der Befundung.<br />

Hinsichtlich mikrobiologischer<br />

und toxikologischer Befunde konnten<br />

ergaben sich bei den radiologischen Untersuchungen<br />

keine Anhaltspunkte. Organe,<br />

die bei längerer Leichenliegezeit<br />

bereits bei der Obduktion die Zeichen<br />

fortgeschrittener Fäulnis aufwiesen und<br />

nur eingeschränkt zu beurteilen waren,<br />

konnten mittels der radiologischen Verfahren<br />

noch hinreichend befundet werden.<br />

Diskussion und<br />

Schlussfolgerungen<br />

Mittels Computertomographie und<br />

Magnetresonanztomographie konnten<br />

bereits vor der Obduktion zahlrei-


Jachau, Heinrichs und Krause<br />

Computertomographie und Magnetresonanztomographie in der postmortalen Diagnostik<br />

che relevante makroskopische Befunde<br />

nachgewiesen werden. Insbesondere<br />

hinsichtlich einer vorliegenden Entzündung<br />

des Lungengewebes bei unauffälliger<br />

Vorgeschichte, konnte bereits vor der<br />

Obduktion die Verdachtsdiagnose der<br />

Leichenschau „Plötzlicher Kindstod“ in<br />

Frage gestellt werden. Insbesondere hinsichtlich<br />

der Erhebung der Hirnbefunde<br />

ist eine postmortale MRT-Befundung<br />

besonders günstig, da eine hinreichend<br />

sichere Diagnostik sofort möglich ist,<br />

während sowohl die makroskopische<br />

als auch die mikroskopische Befunderhebung<br />

im Rahmen der Obduktion eine<br />

Formalinfixierung des unsezierten Gehirns<br />

von mindestens zwei Wochen voraussetzt.<br />

Aussagen zum Vorliegen einer<br />

Blutung, der Lokalisation und Ausdehnung<br />

derselben oder dem Abriss/Einriss<br />

von Brückenvenen können so bereits<br />

frühzeitig nach der MRT erfolgen. Eine<br />

Exkulpierung der Eltern oder die Einleitung<br />

polizeilicher Ermittlungen sind<br />

somit zeitnah möglich.<br />

Hinsichtlich der Durchführbarkeit der<br />

postmortalen radiologischen Untersuchungen<br />

ist eine enge Zusammenarbeit<br />

zwischen <strong>Kinder</strong>radiologen, Staatsanwaltschaft<br />

und Rechtsmedizin notwendig,<br />

da auch einfache Vorraussetzungen<br />

wie der Leichentransport entsprechend<br />

den gesetzlichen und ethischen Normen<br />

gegeben sein müssen. Deshalb entschieden<br />

wir uns auch, das maximal Mögliche<br />

an zur Verfügung stehender radiologischer<br />

Untersuchungstechnik zu nutzen,<br />

ohne dabei außer acht zu lassen, dass ein<br />

konventionelles Röntgen hinsichtlich<br />

des Ausschlusses ossärer Läsionen ebenfalls<br />

sehr hilfreich sein kann.<br />

Mit dieser Studie sollte ein Beitrag<br />

zur Evaluation radiologische Methoden<br />

für die postmortale Befunderhebung gegeben<br />

werden. Es konnten sehr gute<br />

Übereinstimmungen zwischen den in<br />

der Bildgebung aufgefallenen Veränderungen<br />

und den histologisch gesicherten<br />

makroskopischen Befunden gezeigt<br />

werden. Die klassische Obduktion wird<br />

jedoch dadurch noch sehr lange Zeit<br />

in ihrer Bedeutung für die forensische<br />

Medizin, die Qualitätssicherung in der<br />

Medizin, für Bildung und Forschung<br />

nicht eingeschränkt oder gar verdrängt<br />

werden. Sie wird auch in absehbarer Zukunft<br />

letzte kontrollierende Instanz und<br />

forensische Beweisführung bleiben. Jedoch<br />

besteht ein Bedarf an ergänzenden<br />

Methoden, um den negativen Konsequenzen,<br />

welche die sinkenden Sektionszahlen,<br />

insbesondere bei Säuglingen und<br />

Kleinkindern mit sich bringen, entgegen<br />

zu wirken. Dafür eröffnet die postmortale<br />

Schichtbilddiagnostik bzw. Virtopsy©<br />

vielversprechende ergänzende Möglichkeiten.<br />

Mittels entsprechender Software<br />

gelingt inzwischen die Fusion der CT-<br />

und MRT-Aufnahmen zu einem Bild, aus<br />

dem die entsprechenden Organe auch<br />

mittels Mouseklick isoliert betrachtet<br />

werden können, was insbesondere für<br />

den Pädiater für differenzierte Fragestellungen<br />

und bei der Untersuchung von<br />

Geschwisterkindern hilfreich sein dürfte<br />

[4]. Es müssen aber noch eine Vielzahl<br />

von weiterführenden Untersuchungen<br />

durchgeführt werden.<br />

Bei Ablehnung einer Obduktion könnte<br />

der kombinierte Einsatz beider radiologischer<br />

Verfahren einen wertvollen<br />

Ersatz zur Gewinnung postmortaler Befunde<br />

darstellen. Zur Komplettierung<br />

107


108<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

derartiger Befunde ist über die Einholung<br />

einer Einwilligung zu gezielten Organbiopsien<br />

und zur Entnahme von Körperflüssigkeiten<br />

nachzudenken.<br />

Sterbe-<br />

alter<br />

Diagnose<br />

Leichenschau<br />

Diagnose<br />

CT/MRT<br />

Ergebnis<br />

Obduktion<br />

Histologie Übereinstimmung<br />

CT/MRT-<br />

Obduktion<br />

1 38 Mon. TU unbekannt TU unbekannt Ersticken Ersticken nein<br />

2 02 Mon. SIDS V.a. Pneumonie Pneumonie Pneumonie ja<br />

3 48 Mon. V.a. Ertrinken Ertrinken Ertrinken Ertrinken ja<br />

4 05 Mon. TU unbekannt V.a. Pneumonie Pneumonie Bronchopneumonie<br />

ja<br />

5 27 Tage V.a. SIDS V.a. Bronchitis Bronchitis Laryngobronchitis<br />

ja<br />

6 25 Mon. Ertrinken Ertrinken Ertrinken Ertrinken ja<br />

7 08 Mon. SIDS Tracheitis Ersticken Ersticken,<br />

Tracheitis<br />

hinsichtlich des NB<br />

8 01 Mon. V.a. SIDS keine TU keine TU Endokard- ja<br />

24 d<br />

fibroelastose<br />

9 58 Mon. Stichverletzung HerzbeutelHerzbeutelHerzbeutel- ja<br />

tamponadetamponadetamponade 10 11 Mon. SIDS V.a. Pneumonie V.a. Pneumonie Pneumonie ja<br />

11 07 Mon. keine Angaben V.a. Vorhofs- Trisomie 21, Herzfehl- ja<br />

eptumdefekt Herzfehlbildung bildung<br />

12 09 Mon. V.a. SIDS V.a. Pneumonie V.a. Pneumonie Pneumonie ja<br />

13 11 Mon. TU unbekannt V.a. Pneumonie Pneumonie Pneumonie ja<br />

14 03 Mon. Aspiration Osteochondro- zentrale DysreOsteochon- ja<br />

dysplasiegulation bei OD drodysplasie<br />

15 03 Std. TU unbekannt Unreife Unreife Unreife ja<br />

16 03 Mon. Ertrinken keine TU keine TU Ertrinken ja<br />

17 10 Mon. V.a. SIDS V.a. Pneumonie Pneumonie Pneumonie ja<br />

18 26 Mon. TU unbekannt V.a. Pneumonie V.a. Pneumonie Pneumonie ja<br />

19 09 Mon. SIDS V.a. Pneumonie Pneumonie Pneumonie ja<br />

20 07 Mon. TU unbekannt V.a. Pneumonie Pneumonie Pneumonie ja


Jachau, Heinrichs und Krause<br />

Computertomographie und Magnetresonanztomographie in der postmortalen Diagnostik<br />

Literatur<br />

1 Findeisen M, Vennemann M, Brinkmann B,<br />

Ortmann C, Jachau K, Schmidt B et al.: German<br />

study of sudden infant death (GeSID): design, epidemiological<br />

and pathological profile. Int J Legal<br />

Med 18 (2004) 163–169<br />

2 Jachau K, Heinrichs T, Kuchheuser W, Krause<br />

D, Wittig H, Schöning R, Beck N, Jackowski C:<br />

CT-und MRT-Untersuchungen am isolierten Leichenherzen.<br />

Vergleich der radiologischen mit den<br />

pathologisch-anatomischen Befunden. Rechtsmedizin<br />

14 (2) (2004) 109–116<br />

3 Kleemann WJ, Bajanowski: Plötzlicher Tod im<br />

Säuglings- und Kindesalter. In: Brinkmann B, Madea<br />

B: Handbuch gerichtliche Medizin, Springer<br />

Verlag (2004) 1071–1115<br />

4 Preim B, Cordes J, Heinrichs T, Krause D, Jachau<br />

K: Quantitative Bildanalyse und Visualisierung<br />

für die Analyse von post-mortem Datensätzen. Informatik<br />

aktuell, Springer Verlag (2005), in press<br />

5 Thali MJ, Yen K, Schweizer W, Vock P, Boesch<br />

C, Ozdoba C, Schroth G, Ith M, Sonnenschein M,<br />

Doernhoefer T, Scheurer E, Plattner T, Dirnhofer<br />

R: Virtopsy, a New Imaging Horizon in Forensic<br />

Pathology: Virtual Autopsy by Postmortem Multislice<br />

Computed Tomography (MSCT) and Magnetic<br />

Resonance Imaging (MRI)- a Feasibility Studie. J<br />

Forensic Sci 48 (2) (2003) 386–403<br />

Autor:<br />

Dr. med. Katja Jachau<br />

Institut für Rechtsmedizin der Otto-von-Guericke<br />

Universität Magdeburg<br />

Leipziger Straße 44, 39120 Magdeburg<br />

Telefon (03 91) 6 71 78 75, Telefax (03 91) 6 71 58 10<br />

Katja.Jachau@medizin.uni-magdeburg.de<br />

109


Zusammenfassung<br />

Paditz, Mosshammer und Kramer<br />

Trauer nach Plötzlichem Säuglingstod: Folgen und Hilfsmöglichkeiten<br />

Trauer nach Plötzlichem Säuglingstod: Folgen und<br />

Hilfsmöglichkeiten<br />

Paditz E 1 , Mosshammer A 2 , Kramer J 3<br />

1 Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus der<br />

Technischen Universität Dresden<br />

2 Schlafmedizin Sachsen e. V. (Trägerverein des Programmes zur Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

in Sachsen)<br />

3 Sächsisches Staatsministerium für Soziales<br />

Der Plötzliche Säuglingstod ist mit<br />

großem Abstand die Todesart, die die<br />

gravierendsten Folgen bei den Hinterbliebenen<br />

hinterlässt, da er plötzlich<br />

und unerwartet eintritt sowie da keine<br />

Ursache benannt werden kann. Im Vergleich<br />

zu anderen Todesarten (Unfall,<br />

Mord, Suizid, Krebs) zeigen die betroffenen<br />

Eltern mehr als zehnfach höhere<br />

Werte in Angst- und Depressionsskalen,<br />

eine deutlich erhöhte Neigung<br />

zu vermehrtem Alkoholkonsum, eine<br />

erhöhte Herzinfarktinzidenz, eine erhöhte<br />

Scheidungsrate und Mortalität.<br />

Bei den Geschwister- und Folgekindern<br />

werden vermehrt Verhaltensstörungen<br />

und Folgen von Overprotektion<br />

bzw. von Zurückweisung beobachtet.<br />

Effektiv sind der Einsatz von gut geschultem<br />

Personal (Notärzte, Polizei,<br />

Kriseninterventionsdienste, Beratungsärzte,<br />

Traumapsychologen), die<br />

zeitnahe kompetente Übermittlung<br />

des Autopsieergebnisses durch einen<br />

Arzt sowie die rasche Schuldentlastung<br />

und weitergehende professionelle proaktive<br />

psychologische Stützung der<br />

betroffenen Familien. Diese Aussagen<br />

stützen sich auf die weltweit größte<br />

Datenbank (674 Publikationen/25 391<br />

Hinterbliebene), die im Rahmen eines<br />

Fachgutachtens der Arbeitsgruppe<br />

„Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes“<br />

des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Soziales nach den Kriterien<br />

der „Evidence based Medicine“ angelegt<br />

und kritisch analysiert wurde.<br />

In Sachsen ist die Häufigkeit des Plötzlichen<br />

Säuglingstodes (SID, sudden infant<br />

death) parallel zu einer zielgruppenorientierten<br />

Informationskampagne seit 1994<br />

deutlich zurückgegangen. 1992 starben<br />

noch 21 Säuglinge infolge SID, dies entsprach<br />

einer Häufigkeit von 0,83 Fällen<br />

pro 1 000 Lebendgeburten (21/25.298).<br />

Im Jahre 2002 lag die SID-Häufigkeit in<br />

Sachsen bei 0,25/1 000 (8/31.518). Im<br />

Regierungsbezirk Dresden, in dem das<br />

Präventionsprogramm im Jahre 1994<br />

in allen Entbindungseinrichtungen mit<br />

der Ausgabe von Informationsblättern<br />

für die Eltern begonnen wurde, konnte<br />

in den Jahren 1997 und 1999 bzw. 1998,<br />

2001 und 2002 das weltweit niedrigste<br />

Häufigkeitsniveau der Niederlande von<br />

0,11/1 000 mit 0,08/1 000 bzw. 0,16/1 000<br />

unterschritten bzw. nur knapp verfehlt<br />

werden.<br />

Es ist nachgewiesen worden, dass derartige<br />

Präventionsprogramme die Häu-<br />

111


112<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

figkeit des Plötzlichen Säuglingstodes<br />

um reichlich 80 % vermindern können,<br />

vollkommen beseitigen lässt sich das tragische<br />

Problem allerdings leider nicht,<br />

da die Ursache des SID bisher nicht<br />

gefunden werden konnte. In Sachsen<br />

sind zwischen 1990 bis 2003 insgesamt<br />

182 Säuglinge infolge SID gestorben. Es<br />

kursiert immer wieder einmal die Vorstellung,<br />

dass Trauer und Geburt zum<br />

Lebenskreis gehören, dass die Zeit alle<br />

Wunden heilt und dass es deshalb – gerade<br />

beim Tod eines Säuglings – für die<br />

Hinterbliebenen weniger schlimm sei als<br />

für die Hinterbliebenen, deren <strong>Kinder</strong><br />

oder Angehörigen nach anderen Todesarten<br />

plötzlich (z. B. nach Unfall, Mord<br />

oder Suizid) oder nach langfristig verlaufender<br />

Erkrankung (z. B. nach einer<br />

Krebserkrankung) gestorben sind.<br />

Vor dieser unsicher erscheinenden Datenlage<br />

aus bagatellisierenden Vermutungen<br />

und gravierenden Fallbeschreibungen<br />

mit langfristigen unbewältigten<br />

Trauerreaktionen hat die Arbeitsgruppe<br />

„Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes“<br />

des Sächsischen Staatsministeriums<br />

für Soziales ein Fachgutachten in Auftrag<br />

gegeben, in dem geklärt werden werden<br />

sollte, ob der Plötzliche Säuglingstod<br />

vermehrt zu komplizierten Trauerreaktionen<br />

führt und ob es Interventionsmöglichkeiten<br />

mit nachgewiesener Wirksamkeit<br />

gibt.<br />

Methodik<br />

Im Zeitraum August bis Oktober 2004<br />

wurde über Medline®, über Internetsuchmaschinen<br />

sowie über das zentrale<br />

Bibliotheksverzeichnis der TU Dresden<br />

nach Publikationen, Büchern und Dis-<br />

sertationen zu folgenden Stichworten<br />

gesucht: „Plötzlicher Tod, Verlust eines<br />

Kindes, Normale und pathologische<br />

Trauer nach unerwarteten Todesfällen,<br />

SID-Betroffenen-Betreuung“ (Sudden<br />

Infant Death, Crib Death, Cot Death,<br />

Unexpected death, Unexpected Loss,<br />

Unnatural Death, Grief, Mourn, Bereav,<br />

Coping, Psycho). Außerdem wurden an<br />

der Universität Göttingen vier Dissertationen<br />

aus den Jahren 1998, 2000, 2001<br />

und 2002 zu SID-Folgen eingesehen.<br />

Parallel dazu wurden mehrere Experten<br />

sowie mehrere betroffene Familien in<br />

halbstandardisierten Settings interviewt.<br />

Die Studien wurden kritisch nach EBM-<br />

Kriterien (Evidence based Medicine)<br />

analysiert. Expertenmeinungen ohne<br />

fundierte Datenbasis haben demnach<br />

das niedrigste Evidenzniveau, von mehreren<br />

Experten vorgetragene Meinungen<br />

erhöhen das Evidenzniveau nicht. Kasuistische<br />

Darstellungen liefern eindrucksvolle<br />

Berichte über einzelne Schicksale<br />

sowie über die beteiligten Handlungsträger.<br />

Quantifizierbare Studien mit Berichten<br />

über definierte Fallzahlen Hinterbliebener<br />

und deren Reaktionen erhöhen<br />

die Wahrscheinlichkeit, dass die Realität<br />

wahrheitsgemäß abgebildet wird. Auf<br />

Grund des großen Leidensdruckes und<br />

der hohen Emotionalität des Themas erschien<br />

es uns aus ethischer Sicht eher weniger<br />

wahrscheinlich, dass randomisierte<br />

Fall-Kontroll- oder prospektive Interventionsstudien<br />

zu diesem Thema zu finden<br />

sein werden.<br />

Ergebnisse<br />

Im Zeitraum 1972 bis 2004 ließen<br />

sich 674 Publikationen (620 Beiträge in


Paditz, Mosshammer und Kramer<br />

Trauer nach Plötzlichem Säuglingstod: Folgen und Hilfsmöglichkeiten<br />

Zeitschriften, 50 Monografien, vier Dissertationen)<br />

zu den o. g. Stichpunkten<br />

finden. In 232 Arbeiten fanden sich zumindest<br />

Fallbeschreibungen mit Aussagen<br />

zu physischen, psychischen oder sozialen<br />

Reaktionen der Hinterbliebenen<br />

auf plötzliche und unerwartete Todesfälle<br />

im Kindesalter. 113 Arbeiten bezogen<br />

sich auf den Plötzlichen Säuglinstod, 119<br />

auf andere plötzliche Todesarten. Diese<br />

232 stammten aus folgenden Ländern:<br />

USA 112, GB 32, Deutschland 27, Australien<br />

20, Norwegen sieben, Dänemark<br />

sechs, Kanada vier, Irland, Schweden,<br />

Israel, Niederlande je zwei, Neuselland<br />

je zwei, Japan, Mexiko, Finnland, Belgien<br />

und Frankreich je einer. Aussagen zum<br />

Plötzlichen Säuglingstod fanden sich in<br />

113 Arbeiten:<br />

• 15 Arbeiten stellten Fallbeschreibungen<br />

dar,<br />

• auf der Grundlage von 54 Arbeiten<br />

sind quantifizierbare Aussagen über<br />

Gruppen und zum Teil auch über Interventionseffekte<br />

möglich sowie<br />

• 44 Arbeiten liefern allgemeine Erörterungen<br />

über Trauerprozesse, Trauerbewältigung<br />

und Rituale bei plötzlichen<br />

Todesfällen von <strong>Kinder</strong>n und<br />

Säuglingen, insbesondere durch SID.<br />

Diese Datenbasis bezieht sich auf<br />

25 391 Personen, deren Reaktionen auf<br />

einen plötzlichen Kindstodesfall untersucht<br />

wurden; dazu gehören Mütter,<br />

Väter, Adoptivmütter und -väter, Geschwister,<br />

Großeltern, Rettungspersonal,<br />

Notärzte, Hausärzte, <strong>Kinder</strong>ärzte,<br />

Frauenärzte, Hebammen, Polizisten und<br />

Rechtsanwälte. 4 946 dieser Personen<br />

bzw. Paare trauerten um ihr Kind nach<br />

Plötzlichem Säuglingstod.<br />

Innerhalb der gesamten Datenbasis<br />

fanden sich zwei randomisierte Fall-Kontroll-Studien<br />

mit insgesamt 249 beteiligten<br />

Personen (Murray et al. 1999; Mc-<br />

Donell et al. 1999). Außerdem gab es 15<br />

nichtrandomisierte Fall-Kontoll-Studien<br />

mit 1 188 untersuchten Personen bzw.<br />

Paaren.<br />

14 Studien (2 601 Einzelpersonen bzw.<br />

Paare) befassten sich mit Interventionseffekten.,<br />

13 Studien (2 317 Personen bzw.<br />

Paare) davon waren prospektiv angelegt.<br />

Nur eine dieser Studien war als prospektive<br />

interventionelle und randomisierte<br />

Fall-Kontroll-Studie angelegt worden<br />

(Murray et al. 1999; n = 144 Todesfälle<br />

im ersten Lebensjahr, davon 19 %, entsprechend<br />

n = 27 SID).<br />

Übereinstimmend zeigen alle Studien,<br />

dass der Plötzliche Säuglingstod mit<br />

Abstand kurz-, mittel- und langfristig zu<br />

wesentlich stärkeren psychischen, psychosomatischen<br />

und sozialen Folgen bei<br />

den Hinterbliebenen führt, als dies bei<br />

anderen Todesarten mit klar benennbarer<br />

Todesursache der Fall ist, wie z. B.<br />

nach Unfall, Suizid, Mord oder Krebs.<br />

Väter, Mütter und Geschwisterkinder<br />

trauern in gleicher Intensität, aber sehr<br />

oft oder nahezu regelhaft in anderen<br />

Erscheinungsformen und mit erheblich<br />

anderem zeitlichen Abstand vom auslösenden<br />

Ereignis. Weiterhin lassen sich<br />

definierte Risikopersönlichkeiten charakterisieren,<br />

die in besonderem Maße<br />

zu komplizierten Trauerreaktionen neigen.<br />

Die zeitnahe Schuldentlastung der betroffenen<br />

Familie hat einen zentralen<br />

Stellenwert, um eine Chronifizierung<br />

und Verselbständigung dieser Schuldgefühle<br />

zu limitieren. Die Grundlage für<br />

113


114<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

dieses Gespräch muss die kompetente<br />

Übermittlung des Autopsieergebnisses<br />

durch einen Arzt sein, um allen bis dahin<br />

kursierenden Gerüchten, Vermutungen<br />

und Beschuldigungen den Boden zu entziehen.<br />

Für die Einsatzkräfte vor Ort (Notarzt,<br />

Kriseninterventionsdienste, Polizei) ist<br />

nachgewiesen worden, dass die Schulung<br />

dieser Handlungsträger entscheidend<br />

zur Verbesserung der Betreuungsqualität<br />

der betroffenen Familien beitragen<br />

kann. Derartige Schulungen werden zur<br />

Zeit vorbereitet und in Kürze in wiederholten<br />

Fortbildungen angeboten. Es erscheint<br />

wichtig, darauf hinzuweisen, dass<br />

auf dem Totenschein eindeutig vermerkt<br />

werden sollte „ungeklärte Todesursache“,<br />

da klinisch und anamnestisch ein<br />

Invaginationsileus, eine perakute Meningoencephalitis,<br />

eine Stoffwechselerkrankung<br />

oder auch eine Hirnblutung<br />

nach Schütteltrauma nicht ausgeschlossen<br />

werden kann. Damit wird obligat<br />

die Polizei eingeschaltet – die gebeten<br />

werden sollte, in Zivil, im Zivilfahrzeug<br />

und ohne Sondersignal zum Einsatzort<br />

zu kommen – und die staatsanwaltlich<br />

angeordnete Autopsie ist damit weitestgehend<br />

sichergestellt. Für die Polizei werden<br />

seitens der Babyhilfe Deutschland<br />

(www.babyhilfe-deutschland.de) zur<br />

Zeit konkrete Handlungsempfehlungen<br />

zur Beschreibung der Auffinde- und Umgebungssituation<br />

erarbeitet, die dann<br />

über Dienstanweisungen und Schulungen<br />

allen Polizeidienststellen zugänglich<br />

gemacht werden sollen.<br />

An dritter Stelle steht die zeitnahe<br />

und möglichst proaktive professionelle<br />

psychologische Stützung der betroffenen<br />

Familien. In diesen Gesprächen geht es<br />

neben der Bewältigung des Verlustes vor<br />

allem um die Erzeugung von Verständnis<br />

für die unterschiedlichen Reaktionsmuster<br />

von Müttern, Vätern und Geschwisterkindern<br />

innerhalb der betroffenen<br />

Familien. Auf dieser Grundlage wird die<br />

Chance messbar erhöht, dass das Verständnis<br />

füreinander verbessert wird,<br />

so dass weniger komplizierte Trauerreaktionen<br />

zu erwarten sind. Es erscheint<br />

weiterhin nicht übertrieben, diese Familien<br />

auch nach der Geburt des ersten<br />

Folgekindes weiter zu unterstützen, damit<br />

die häufig beschriebenen Folgen von<br />

Overprotektion oder elterlicher Zurückweisung<br />

vermieden oder zumindest wesentlich<br />

reduziert werden.<br />

Diskussion<br />

Darf man Trauerreaktionen und entsprechende<br />

Interventionsansätze mit<br />

den Maßstäben der „Evidence based<br />

Medicine“ beurteilen? Die vorliegende<br />

umfassende Datenbasis zeigt, dass<br />

gerade auf dieser Grundlage nützliche<br />

Argumente gesammelt werden können,<br />

die darauf hinweisen, dass der Plötzliche<br />

Säuglingstod wesentlich stärkere<br />

Trauerreaktionen hervorruft als andere<br />

Kindstodesfälle mit klar benennbarer<br />

Ursache. Weiterhin lassen sich deutliche<br />

Belege finden, dass diese Folgen<br />

durch frühzeitige gezielte Interventionen<br />

limitiert werden können. Das Fachgutachten<br />

(Broschüre á 90 Seiten) kann<br />

im Internet eingesehen werden unter<br />

www.babyschlaf.de oder beim Erstautor<br />

kostenlos angefordert werden.<br />

Die Arbeitsgruppe „Prävention des<br />

Plötzlichen Säuglingstodes“ des Sächsischen<br />

Staatsministeriums für Sozi-


ales erarbeitet zur Zeit gemeinsam<br />

mit dem Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

(www.babyhilfe-deutschland.de) entsprechende<br />

Handlungsempfehlungen<br />

für Notärzte, Polizisten und Kriseninterventionsdienste<br />

und ist für weitere Anregungen<br />

sehr dankbar.<br />

Autor<br />

Paditz, Mosshammer und Kramer<br />

Trauer nach Plötzlichem Säuglingstod: Folgen und Hilfsmöglichkeiten<br />

Prof. Dr. med. Ekkehart Paditz<br />

Arbeitsgruppe Prävention des plötzlichen Säuglingstodes<br />

des Sächsischen Staatsministeriums für<br />

Soziales;<br />

Klinik und Poliklinik<br />

für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin<br />

der Medizinischen Fakultät Carl Gustav Carus<br />

der Technischen Universität Dresden<br />

Fetscherstraße 74, 01307 Dresden<br />

Telefon (03 51) 4 58 31 60<br />

Telefax (03 51) 4 58 57 72<br />

Ekkehart.Paditz@uniklinikum-dresden.de<br />

115


Einleitung<br />

Die vorliegende Studie zeigt auf, wie<br />

Eltern den Tod ihres schwerkranken<br />

Neugeborenen erleben und welche äußeren<br />

Umstände dieses Erleben beeinflussen.<br />

Darüber hinaus wird dargestellt,<br />

welche Faktoren, insbesondere die Miteinbeziehung<br />

in eine Entscheidung zur<br />

Beendigung der Intensivmaßnahmen,<br />

die Trauerreaktion beeinflussen. Ziel<br />

dieser Analyse ist eine zukünftige Verbesserung<br />

der Hilfsangebote für ähnlich<br />

betroffene Familien.<br />

Methodik<br />

Im Rahmen einer deskriptiven Kohortenstudie<br />

wurden alle Eltern, deren<br />

Neugeborenes im Zeitraum zwischen<br />

dem 1. Januar 1999 und dem 31. Dezember<br />

2003 auf der neonatologischen<br />

Intensivstation des Klinikums Großhadern<br />

verstarb, einbezogen. Von den in<br />

diesem Fünf-Jahres-Zeitraum verstorbenen<br />

48 <strong>Kinder</strong>n nahmen Eltern zu 31<br />

<strong>Kinder</strong>n teil, davon 19 Elternpaare und<br />

zwölf Mütter. Zwei weitere <strong>Kinder</strong> wurden<br />

zwar lange Zeit intensivmedizinisch<br />

auf der Neugeborenenstation in Großhadern<br />

behandelt, verstarben aber in<br />

Wermuth und Schulze<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern,<br />

deren neugeborene <strong>Kinder</strong> unter verschiedenen<br />

Bedingungen auf der neonatologischen Station<br />

verstorben sind<br />

Wermuth I, Schulze A<br />

Neonatologie, <strong>Kinder</strong>klinik und Poliklinik im Dr. von Haunerschen <strong>Kinder</strong>spital, Klinik und Poliklinik für<br />

Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Großhadern, Klinikum der Universität München<br />

auswärtigen Kliniken. Mit den Eltern<br />

dieser beiden <strong>Kinder</strong> wurden ebenfalls<br />

Interviews geführt, in der statistischen<br />

Auswertung wurden sie jedoch nicht berücksichtigt.<br />

In einem ersten Anschreiben wurden<br />

die Eltern nach ausführlicher Beschreibung<br />

des Vorhabens um Teilnahme an<br />

der Studie gebeten. In einem Rückantwortbogen<br />

konnten die Eltern eine Teilnahme<br />

ablehnen oder zwischen der nur<br />

schriftlichen Teilnahme durch Ausfüllen<br />

des Fragebogens und der Teilnahme<br />

am Interview wählen. Acht Familien<br />

konnten weder durch Anschreiben noch<br />

telefonisch kontaktiert werden. Neun<br />

Personen (fünf Mütter, vier Väter) nahmen<br />

nur per Fragebogen teil, während<br />

41 Personen (26 Mütter, 15 Väter) auch<br />

an einem Interview teilnahmen. 30 Personen<br />

lehnten eine Teilnahme an der<br />

Studie vollständig ab (42 % der Väter<br />

und 18 % der Mütter), wobei vor allem<br />

emotionale sowie zeitliche Gründe eine<br />

Rolle spielten.<br />

Der fünfteilige Fragebogen beinhaltete<br />

Fragen zu persönlichen Angaben sowie<br />

zu Schwangerschaft und Geburt mit dem<br />

verstorbenen Kind. Im Hauptteil wurden<br />

die Eltern zu den ärztlichen Gesprächen<br />

sowie zu einem evtl. stattgefundenen Ent-<br />

117


118<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

scheidungsprozess zur Beendigung der<br />

Intensivmaßnahmen befragt. Hier wie<br />

auch bei der Frage nach Betreuung und<br />

Unterstützung nach dem Tod des Kindes<br />

wurden sowohl der Ist-Zustand als auch<br />

die Wünsche und Bedürfnisse der Eltern<br />

erhoben. Der letzte Teil des Fragebogens<br />

beinhaltete ein validiertes Messinstrument,<br />

die Perinatal Grief Scale (PGS).<br />

Die Skala basiert auf einer ausgiebigen<br />

Literaturdurchsicht, einigen Items des<br />

Erweiterten Texas Grief Inventory und<br />

den „six key signs of grief“, die Kennel<br />

et al in ihrer Studie herausgearbeitet hatten.<br />

Die 33 Fragen wurden drei Subskalen<br />

zugeordnet, wobei die erste Subskala<br />

„Active Grief“ Items wie Traurigkeit,<br />

Sehnsucht nach dem Baby und Weinen<br />

um das Baby enthält und damit eine<br />

normale Trauerreaktion repräsentiert.<br />

Die zweite Subskala „Difficulty Coping“<br />

schließt Items ein, die verdeutlichen,<br />

dass die entsprechende Person Schwierigkeiten<br />

im Umgang mit dem täglichen<br />

Leben und anderen Leuten hat. Die dritte<br />

Subskala „Despair“ schließlich repräsentiert<br />

Gefühle wie Hoffnungslosigkeit<br />

und geringe Selbstschätzung, sodass die<br />

zweite und dritte Subskala als Ausdruck<br />

einer zunehmend schwereren Trauerreaktion<br />

aufgefasst werden können. Neben<br />

der PGS diente vor allem die von den Eltern<br />

selbst einzuschätzende Zeit, die der<br />

aktive Trauerprozess gedauert hatte, zur<br />

Erfassung der Trauerreaktion. Die Items<br />

wurden mittels Likert-Skala oder als dichotome<br />

Antwortmöglichkeit erfasst.<br />

Im Interview hatten die Eltern die<br />

Möglichkeit, Inhalte des Fragebogens<br />

zu vertiefen und eigene Anliegen zur<br />

Sprache zu bringen. Die mediane Gesprächsdauer<br />

betrug 2,63 Stunden (Mini-<br />

mum 1,5 Stunden, Maximum 4,5 Stunden),<br />

die Interviews fanden im Median<br />

36,97 Monate nach dem Tod des Kindes<br />

statt (Minimum 5,27 Monate, Maximum<br />

62,37 Monate). In 73 % fand das<br />

Gespräch entsprechend dem Wunsch<br />

der Eltern beim Befragten zu Hause statt,<br />

die anderen Teilnehmer wurden in den<br />

Räumen der Seelsorge im Klinikum<br />

Großhadern befragt. Alle Gespräche<br />

wurden von einer Interviewerin geführt,<br />

die nicht an der Behandlung der verstorbenen<br />

<strong>Kinder</strong> beteiligt war. Statistische<br />

Vergleiche erfolgten mit nonparametrischen<br />

Verfahren: Wilcoxon- oder Mann-<br />

Whitney-U-Test, exakter Test von Fischer<br />

bzw. der _ 2 -Test mit Kontinuitätskorrektur.<br />

Daten werden als Median; 25., 75.<br />

Perzentile aufgeführt, p < 0,05 wurde als<br />

statistisch signifikante Differenz gewertet.<br />

Ergebnisse<br />

Trauerintensität und -dauer<br />

Die Trauerintensität (PGS) der Eltern<br />

bei Abbruch der intensivmedizinischen<br />

Behandlung (58,00; 50,00, 73,75) wich<br />

nicht signifikant von derjenigen der<br />

Eltern ohne eine solche Entscheidung<br />

(66,00; 55,00, 71,00) ab. Dies galt auch<br />

für alle drei Subskalen der PGS. Auch die<br />

selbsteingeschätzte Dauer der Trauerphase<br />

war diesbezüglich nicht signifikant<br />

unterschiedlich.<br />

Der PGS-Score der Mütter (62,50;<br />

50,00, 85,75) war signifikant höher als<br />

derjenige der Väter (58,50; 50,50, 68,50;<br />

p = 0,01). Dieser Unterschied war auch<br />

bei Subskala „Difficulty Coping“ statistisch<br />

signifikant (p = 0,045). Die Trauer-


phase war bei den Müttern (6,00; 3,25,<br />

14,25) ebenfalls signifikant länger als bei<br />

den Vätern (3,50; 1,00, 12,00; p = 0,031).<br />

Eltern, die zum Zeitpunkt des Todes<br />

bereits ältere <strong>Kinder</strong> besaßen, hatten<br />

einen höheren PGS-Score (65,00; 55,00,<br />

80,00) als Eltern ohne <strong>Kinder</strong> (51,00;<br />

44,00, 66,00; p = 0,008). Eltern, die im<br />

Zeitraum zwischen dem Verlust und<br />

dem Interview noch ein Kind bekamen,<br />

hatten eine niedrigere Trauerintensität<br />

(59,00; 44,25, 66,00) als Eltern, die in<br />

dieser Zeit kein weiteres Kind mehr<br />

bekommen hatten (66,00; 54,50, 81,25;<br />

p = 0,038).<br />

Der zeitliche Abstand vom Tod des<br />

Kindes korrelierte negativ mit dem<br />

PGS-Score (Spearman-rho = –0,423,<br />

p = 0,035).<br />

Folgende Parameter hatten weder Einfluss<br />

auf die Trauerintensität noch auf<br />

die Dauer der Trauerphase: vorherige<br />

Fehlgeburten, Jahre unerfüllten <strong>Kinder</strong>wunsches,<br />

Stärke des <strong>Kinder</strong>wunsches<br />

vor der Schwangerschaft, Art der Reproduktion<br />

(assistiert/nicht-assistiert),<br />

Gestationsalter des Kindes, Lebensdauer<br />

des Kindes, Kind vor dem Tod gesehen,<br />

Körperkontakt zum Kind vor dem Tod,<br />

Alter der Eltern, Schulabschluss, Familienstand,<br />

Selbsteinschätzung der eigenen<br />

Religiosität.<br />

Weitere Unterschiede in der Trauerreaktion<br />

zwischen Müttern und Vätern<br />

Mütter gaben signifikant häufiger als<br />

Väter an, dass die Trauer Auswirkungen<br />

auf das soziale Umfeld gehabt habe<br />

(p = 0,028). Das Empfinden von Schuldgefühlen<br />

nach Miteinbeziehung in die<br />

Wermuth und Schulze<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern<br />

Entscheidung bzw. von Schuldgefühlen<br />

allgemein war nicht signifikant häufiger<br />

bei Müttern als bei Vätern. Der Wunsch<br />

nach einem Gesprächspartner (professionell<br />

oder aus Bekannten- oder Verwandtenkreis)<br />

war ebenfalls nicht signifikant<br />

unterschiedlich.<br />

Einfluss der subjektiv empfundenen<br />

Unterstützung auf die Trauerreaktion<br />

Eltern, die nach dem Tod des Kindes<br />

das Gefühl hatten, nicht ausreichend<br />

Unterstützung bekommen zu haben,<br />

gaben häufiger an, dass sich die Trauer<br />

auf das soziale Umfeld ausgewirkt habe<br />

(p = 0,042 bzw. p = 0,03). 60 % dieser<br />

Eltern dieser Untergruppe sagten, dass<br />

das Ereignis die (Ehe-)Partner einander<br />

näher gebracht habe, während in der ausreichend<br />

unterstützten Gruppe 95,5 %<br />

der Eltern sagten, dass sich die Partner<br />

durch das Ereignis näher gekommen<br />

seien.<br />

Evaluation der Bedürfnislage<br />

der Eltern<br />

Phase I: Gesprächs- und Entscheidungssituation<br />

49 der 50 Teilnehmer der Studie gaben<br />

an, ein Gespräch, in dem es um<br />

die Prognose ihres Kindes sowie um<br />

Überlegungen zur Reduktion der intensivmedizinischen<br />

Therapie ging, mit Ärzten<br />

der neonatologischen Station geführt<br />

zu haben. Insgesamt fand zu jedem Kind<br />

mindestens ein Gespräch statt. Vonseiten<br />

des Klinikums waren dabei vornehmlich<br />

der Leiter der Abteilung (24 von<br />

31, 74,4 %), der Oberarzt (16 von 31,<br />

119


120<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

51,6 %) und/oder ein Stationsarzt (elf<br />

von 31, 35,5 %) anwesend. In 29,0 %<br />

der Gespräche (neun von 31) wurde<br />

eine Krankenschwester, in 6,5 % (zwei<br />

von 31) auch ein Seelsorger hinzugezogen.<br />

Vonseiten der Eltern waren jeweils<br />

nur einmal (3,2 %) weitere Personen<br />

wie Großeltern des Kindes, Tanten oder<br />

Onkel des Kindes oder ältere Geschwisterkinder<br />

am Gespräch beteiligt. Es fiel<br />

auf, dass vor allem die Anwesenheit der<br />

Ärzte (34 von 35 = 97,1% beim leitenden<br />

Arzt der Abteilung, 25 von 29 = 86,2 %<br />

beim Oberarzt und 15 von 18 = 83,3 %<br />

beim Stationsarzt) sowie des Ehepartners<br />

(40 von 40 = 100 %) von fast allen<br />

Eltern als hilfreich eingeschätzt wurde.<br />

Bei 32,3 % (zehn von 31) der Gespräche<br />

war das betreffende Neugeborene mit<br />

im Raum. Dies wurde von sechs Eltern<br />

(von zwölf, 50 %) als gar nicht beeinflussend,<br />

von den übrigen sechs Eltern (von<br />

zwölf, 50 %) als positiv empfunden. Die<br />

Gespräche fanden vor allem am Bett<br />

des Kindes (15 von 30, 30 %) oder im<br />

Zimmer der Mutter (15 von 30, 30 %),<br />

gelegentlich aber auch im Arzt- oder<br />

Stationszimmer (elf von 30, 23,4 %)<br />

statt. 44 der 47 Eltern (93,6 %) waren<br />

mit der Gesprächsumgebung zufrieden,<br />

48 von 48 Eltern (100 %) befanden den<br />

Zeitpunkt, zu dem das Gespräch stattfand,<br />

als angemessen.<br />

49 von 49 bzw. 47 von 47 Teilnehmern<br />

stimmten zu, dass die Informationsvermittlung<br />

verständlich war und die<br />

diagnostischen Einzelinformationen in<br />

koordinierter Weise weitergegeben wurden.<br />

Das Ansprechen von positiven und<br />

negativen Aspekten des <strong>Gesundheit</strong>szustandes<br />

ihres Kindes (drei von 48, 6,3 %)<br />

sowie von Zukunftsfragen (vier von 48,<br />

8,4 %) hatten einige Eltern als zu wenig<br />

empfunden. acht von 46 Teilnehmern<br />

(17,4 %) gaben an, dass nicht auf die<br />

Vermeidung medizinischer Fachsprache<br />

geachtet worden sei.<br />

97,9 % der Eltern (47 von 48) erachteten<br />

zur besseren Einschätzung der Situation<br />

ihres Kindes die mündliche Erläuterung<br />

des Krankheitszustandes als<br />

hilfreich. Zudem wurden aber auch die<br />

Demonstration und Erklärung von Röntgen-<br />

(zehn von 13, 76,9 %) oder Ultraschallbildern<br />

(22 von 25, 88,0 %), schematische<br />

Darstellungen (acht von zehn,<br />

80 %) oder die Nennung von konkreten<br />

Prozentzahlen (19 von 28, 67,9 %) als<br />

hilfreich eingeschätzt.<br />

Eltern, die Informationen zu Ressourcen,<br />

wie z. B. zu einem Seelsorger, einem<br />

Psychologen, einer Selbsthilfegruppe,<br />

entsprechende Literatur etc. erhalten<br />

hatten (24 von 48, 50 %), waren eher der<br />

Meinung, dass diese auch hilfreich waren<br />

(16 von 21, 76,1 %), während Eltern,<br />

die keine Informationen erhalten hatten<br />

(24 von 48, 50 %), in 54,6 % (zwölf von<br />

22) der Meinung waren, dass diese auch<br />

nicht erforderlich waren. Auf eine andere<br />

Frage wünschten sich aber 46,2 % (6 von<br />

13) der Eltern die Vermittlung zu einem<br />

Psychologen und 31,3 % (fünf von 16)<br />

der Eltern den Kontakt zu ähnlich betroffenen<br />

Eltern.<br />

91,7 % (44 von 48) der Eltern meinten,<br />

dass mit ihnen ausreichend über Details<br />

des Sterbeprozesses gesprochen worden<br />

sei, drei Personen (6,3 %) sagten, dass<br />

es eher zu wenig gewesen sei, und eine<br />

Person (2,1 %) hatte das Gefühl, dass das<br />

Gespräch über den Sterbeprozess zu ausführlich<br />

bzw. belastend gewesen sei.


Bei der Frage, ob die Eltern Furcht<br />

vor plötzlichen unerwarteten EreignisEreignissen oder dem Leiden ihres Kindes im<br />

Sterbeprozess empfunden hatten, ergab<br />

sich ein sehr gemischtes Bild: 28 bzw. 29<br />

der 49 Eltern (57,1 bzw. 60,4 %) gaben<br />

an, keine Furcht vor plötzlichen unerwarteten<br />

Ereignissen bzw. dem Leiden<br />

ihres Kindes gehabt zu haben. Hingegen<br />

bejahten 43 von 49 der Teilnehmer<br />

(87,7 %) die Frage, ob sie Angst davor<br />

gehabt hätten, dass ihr Kind hätte leiden<br />

müssen, wenn es weiter am Leben geblieben<br />

wäre. Diese Angst habe vor allem<br />

auch ihre Einstellung gegenüber der Beendigung<br />

der künstlichen lebensverlängernden<br />

Maßnahmen beeinflusst.<br />

Von den Eltern der 24 <strong>Kinder</strong>, bei denen<br />

künstliche lebensverlängernde Maßnahmen<br />

beendet oder nicht eingesetzt<br />

wurden in der Annahme, dass diese dem<br />

Kind bei der Schwere der Grunderkrankung<br />

nicht helfen konnten, gaben 34<br />

(von 39 Antworten, 91,9 %) an, dass<br />

es sich um die Beendigung der künstlichen<br />

maschinellen Beatmung gehandelt<br />

habe. Sieben der 39 Personen meinten,<br />

dass auch andere Therapieformen wie<br />

z. B. eine antibiotische Behandlung oder<br />

andere Medikamente abgesetzt worden<br />

seien. Die Eltern waren der Meinung,<br />

dass sie angemessen in die Entscheidung<br />

miteinbezogen wurden (37 von 39,<br />

94,9 %).<br />

92,1 % der Eltern (35 von 39) gaben<br />

an, die Miteinbeziehung in die Entscheidung<br />

nicht zu bedauern, und 84,6 % der<br />

diesbezüglich befragten Personen (33 von<br />

39) sagten, dass sie keine Schuldgefühle<br />

wegen der getroffenen Entscheidung gegehabt hätten, wobei es diesbezüglich keinen<br />

signifikanten Unterschied zwischen<br />

Wermuth und Schulze<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern<br />

Müttern und Vätern gab. Demgegenüber<br />

meinten 17 von 38 Eltern (44,7 %), sich<br />

in der Situation überfordert gefühlt zu<br />

haben. 17 % der Frauen und 5,6% der<br />

Männer gaben an, sich generell schuldig<br />

für den Tod ihres Kindes zu fühlen.<br />

Sieben der 39 Teilnehmer (17,9 %)<br />

hatten bei der Entscheidung Verwandte<br />

oder enge Freunde zu Rate gezogen,<br />

was dann auch von den entsprechenden<br />

Eltern als hilfreich empfunden wurde.<br />

Keine der Personen hatte sich mit Eltern<br />

besprochen, die in der Vergangenheit in<br />

einer ähnlichen Situation gewesen waren,<br />

wobei vier der 39 Eltern (10,3 %)<br />

angaben, dass sie dies als hilfreich empfunden<br />

hätten, wenn es ermöglicht worden<br />

wäre. Die Frage, ob die Entscheidung<br />

mit einem Seelsorger besprochen wurde,<br />

bejahten drei der 39 Eltern (7,7 %), und<br />

von den anderen 36 Personen gaben vier<br />

(11,1 %) an, dass sie ihre Entscheidung<br />

gerne mit einem Seelsorger besprochen<br />

hätten. Alle Eltern (39 von 39) hatten<br />

bei der Entscheidung das Gefühl gehabt,<br />

dass sie im Einvernehmen mit Ärzten<br />

und Schwester getroffen worden war.<br />

Phase <strong>II</strong>: Betreuung der Eltern<br />

vor, während und nach dem Tod<br />

des Kindes<br />

Zum Zeitpunkt des Todes des Neugeborenen<br />

lagen 19 Frauen noch stationär<br />

auf der Wochenbettstation. Die<br />

Unterbringung fand in zwölf der 19 Fälle<br />

(63,2 %) in Einzelzimmern statt, was<br />

von zehn der Mütter (83,3 %) als positiv<br />

empfunden wurde. Nur zwei Frauen<br />

(16,7 %) fühlten sich insbesondere in<br />

Anbetracht ihrer Situation isoliert. Drei<br />

der sebhs Mütter, die in Mehrbettzim-<br />

121


122<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

mern untergebracht waren, empfanden<br />

diese Umgebung nur teilweise als angemessen,<br />

da die Konfrontation mit anderen<br />

Mütter und deren gesunden Babys<br />

Schwierigkeiten bereitete.<br />

Die letzten Stunden verbrachten<br />

91,1 % (41 von 45) der Eltern am Bett<br />

ihres Kindes auf Intensivstation, nur<br />

vier Mütter (8,9 %) ließen sich das Kind<br />

auf ihr Zimmer bringen. In drei von 26<br />

Antworten (11,5 %) wurde die Umgebung<br />

als nicht angemessen beurteilt, wobei<br />

alle diese Teilnehmer die letzte Zeit<br />

auf Intensivstation verbracht hatten. Als<br />

Grund wurde die Anwesenheit anderer<br />

Eltern genannt, die als fremd und störend<br />

erlebt wurden. Elf der 35 Personen<br />

(31,4 %), die nach der von ihnen bevorzugten<br />

Umgebung befragt wurden,<br />

gaben an, dass sie sich einen separaten<br />

Raum, „einen Ort zum Abschiednehmen“<br />

gewünscht hätten. Eine Mutter<br />

hätte die letzten Stunden mit ihrem Kind<br />

gerne zu Hause verbracht. 95,9 % (46<br />

von 48) Eltern fanden, dass sie in dieser<br />

schwierigen Situation ausreichend Gesprächsmöglichkeiten<br />

vonseiten der Ärzte<br />

und Schwestern angeboten bekommen<br />

hatten. 23 der 31 <strong>Kinder</strong> (74,2 %)<br />

wurden vor ihrem Tod noch getauft. Der<br />

Rahmen der Taufe wurde von 33 der 34<br />

anwesenden Eltern (97,1 %) als angemessen<br />

und hilfreich empfunden.<br />

30 der 50 befragten Eltern (60 %)<br />

(hiervon zwölf der 19 Väter (63,2 %)<br />

und 18 der 31 Mütter (58,1 %)) waren<br />

anwesend, als ihr Kind verstarb, was von<br />

allen Personen als positiv empfunden<br />

wurde. Von denjenigen Eltern, die nicht<br />

anwesend waren, hätten sich 75 % (15<br />

von 20) im Nachhinein gewünscht, in<br />

diesem Moment doch bei ihrem Kind<br />

gewesen zu sein. 29 der 31 <strong>Kinder</strong><br />

(93,5 %) verstarben auf der neonatologischen<br />

Intensivstation, was von 87,8 %<br />

der Eltern (43 von 49) als angemessen<br />

beurteilt wurde. Ähnlich wie bei der Frage<br />

nach einer angemessenen Umgebung<br />

während der letzten Stunden mit dem<br />

Kind empfanden sechs Eltern (von 40,<br />

15 %) die Anwesenheit anderer Eltern<br />

und Babys als störend. Diejenigen zwei<br />

Elternpaare, deren Kind im Zimmer der<br />

Mutter verstarb, waren mit ihrer Situation<br />

zufrieden.<br />

In 58 % der Antworten (29 von 50)<br />

gaben die Eltern an, ihr Kind im Arm<br />

gehalten oder gestreichelt zu haben, als<br />

es verstarb. Dies wurde durchweg als<br />

positiv beurteilt. Diejenigen Eltern, die<br />

sich nicht dazu durchringen konnten, in<br />

dieser Situation Körperkontakt zu ihrem<br />

Kind zu halten (21 von 50, 42 %), hätten<br />

sich diesen in 78,9 % (15 von 19) im<br />

Nachhinein gewünscht.<br />

Betreut wurden die Eltern in 20 Fällen<br />

von anwesenden Ärzten und Schwestern.<br />

Bei vier <strong>Kinder</strong>n war auch ein Seelsorger<br />

anwesend. Die Anwesenheit des<br />

Ehepartners wurde in 23 der 24 Antworten<br />

(95,8 %) als hilfreich empfunden,<br />

diejenige von Arzt oder Schwester in<br />

65,2 % (15 von 23) bzw. 52,9 % (neun<br />

von 17). Eltern, die in dieser Situation<br />

mit ihrem Kind allein gewesen waren,<br />

hatten sich dies anscheinend bewusst so<br />

eingerichtet, da nur einzelne Personen<br />

den Wunsch nach einer anderen nicht<br />

anwesenden Person äußerten. 13 von 49<br />

Teilnehmern n (26,5 %) gaben an, ihr<br />

Kind nach dessen Tod selbst versorgt zu<br />

haben. Von den übrigen Teilnehmern gaben<br />

sieben (von 33 Antworten, 21,2 %)


an, sich dies im Nachhinein gewünscht<br />

zu haben. 96,6 % (28 von 29 Befragten)<br />

sagten, dass sie ausreichend Zeit bekommen<br />

hatten, um von ihrem Kind Abschied<br />

zu nehmen.<br />

25 von 29 Befragten (86,2 %) befanden,<br />

dass sie bei nach dem Tod des<br />

Kindes anfallenden Verwaltungsformalitäten<br />

ausreichend unterstützt worden<br />

waren.<br />

Auffällig war, dass das Bedürfnis nach<br />

einem Gesprächspartner in den ersten<br />

sechs Monaten nach dem Tod des Kindes<br />

sehr geteilt war, wobei acht der 19<br />

Väter (42,1 %) und 21 von 31 Müttern<br />

(67,7 %) angaben, kein Bedürfnis nach<br />

einem Gesprächspartner gehabt zu haben.<br />

Im Anschluss an das erste halbe Jahr<br />

nach dem Verlust verschob sich diese<br />

Antwort etwas zugunsten des Bedürfnisses<br />

nach einem Gesprächspartner: zehn<br />

der 18 Väter (55,6 %) und 22 der 30 Mütter<br />

(73,3 %) hatten jetzt den Wunsch<br />

nach einem Gesprächspartner. Sowohl<br />

bei Müttern als auch bei Vätern wurde<br />

dieser Wunsch für den zweiten Zeitraum<br />

häufiger genannt. In fast allen Fällen wurde<br />

das Bedürfnis nach einem Gesprächspartner<br />

auch erfüllt (34 von 47, 72,4 %),<br />

jedoch weniger bei den Vätern (61,1 %)<br />

als bei den Müttern (79,3 %). 55,0 % der<br />

Mütter (elf von 20) und 22,2 % der Väter<br />

(zwei von neun) gaben an, dass es bestimmte<br />

Zeitpunkte gebe, an denen das<br />

Bedürfnis nach einem Gespräch besonders<br />

groß sei. Hier wurden der errechnete<br />

Geburtstermin, die Jahrestage von<br />

Geburt oder Tod des Kindes sowie Feste<br />

und Feiertage genannt.<br />

Die von dem Verlust betroffenen Eltern<br />

nahmen in 26 % (13 von 50 Per-<br />

Wermuth und Schulze<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern<br />

sonen) die Möglichkeit wahr, sich mit<br />

ähnlich betroffenen Personen auszutauschen,<br />

wobei dies 19 der 50 (38 %) Teilnehmer<br />

gewünscht hatten, hiervon 15<br />

Mütter. Ebenso verhielt es sich mit dem<br />

Austausch in einem Netzwerk oder einer<br />

Selbsthilfegruppe, was von 22,3 % der<br />

Eltern (elf von 49) gewünscht wurde.<br />

Dabei gaben die Eltern an, dass nicht<br />

der Mangel an Informationen zu diesen<br />

Gruppen oder Institutionen ausschlaggebend<br />

für das Nichtaufsuchen war.<br />

Insgesamt fühlten sich 91,6 % der Eltern<br />

(33 von 36) in den ersten sechs Monaten<br />

nach dem Tod ihres Babys sowie<br />

89,6 % (43 von 48) im nachfolgenden<br />

Zeitraum ausreichend unterstützt. Von<br />

den 43 Personen, die die Frage bezüglich<br />

der im Klinikum Großhadern stattfindenden<br />

Trauerfeier beantworteten, gaben<br />

14 (32,6 %) an, dass sie an der Trauerfeier<br />

für die verstorbenen <strong>Kinder</strong> im<br />

Klinikum Großhadern teilgenommen<br />

hatten. Bei den Eltern, die nicht zu der<br />

Trauerfeier gekommen waren, hatten<br />

vornehmlich terminliche Gründe oder<br />

eine lange Anreise eine Rolle gespielt.<br />

In einigen Fällen wurde aber auch die<br />

Konfrontation mit der Institution Klinikum<br />

als belastend empfunden. Mütter<br />

nahmen häufiger (37 % im Gegensatz<br />

zu 25 % der Väter) an der Trauerfeier<br />

teil und empfanden diese auch eher als<br />

hilfreich (88,9 % im Gegensatz zu 75 %<br />

der Vätern).<br />

Vier der 31 <strong>Kinder</strong> wurden anonym<br />

beerdigt, was von den Eltern auch mit<br />

einem gewissen zeitlichen Abstand noch<br />

als richtige Entscheidung beurteilt wurde.<br />

Alle anderen Eltern hatten ihr Kind<br />

mittels Erd- oder Urnenbestattung beigesetzt.<br />

123


124<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

36 % der Befragten (18 von 50) gaben<br />

an, nach dem Tod des Kindes noch<br />

einmal oder regelmäßig Kontakt zur neonatologischen<br />

Station gehabt zu haben,<br />

wohingegen 56,2 % der Eltern (27<br />

von 48) angaben, dass sie sich einen<br />

weiteren Kontakt, insbesondere zu den<br />

behandelnden Ärzten und Schwestern<br />

gewünscht hätten.<br />

Phase <strong>II</strong>I: Trauerprozess<br />

Als aktiver Trauerprozess wurde die<br />

Zeit definiert, in der die Trauer den<br />

Hauptteil des Tages und der Gedanken<br />

einer Person einnahm und sie/ihn daran<br />

hinderte, ihren täglichen Aktivitäten<br />

wie gewohnt nachzugehen. Nach<br />

Auswertung von 32 Antworten ergab<br />

sich ein Median von sechs Monaten,<br />

wobei das Minimum bei null und das<br />

Maximum bei 36 Monaten lag. 30 der<br />

50 Eltern (62,5 %) gaben an, dass sie negativ<br />

besetzte bildliche Eindrücke vom<br />

Aufenthalt ihres Babys auf der neonatologischen<br />

Intensivstation in ihrer Erinnerung<br />

hätten, wobei sehr oft das eigene<br />

Kind in schlechtem <strong>Gesundheit</strong>szustand<br />

sowie das Kind im Inkubator „mit den<br />

vielen Schläuchen“ geschildert wurde.<br />

64,1 % der Eltern (25 von 39) berichteten<br />

von positiven bildlichen Eindrücken<br />

ihres Kindes in der Erinnerung, die vor<br />

allem durch den Anblick des zufriedenen<br />

Babys und den Körperkontakt mit ihm<br />

geprägt waren.<br />

78,3 % der Eltern (36 von 46) meinten,<br />

dass sich die Beziehung zu ihrem (Ehe-<br />

)partner seit dem Tod des Kindes verändert<br />

habe, wobei dies mehr Mütter (24<br />

von 29, 82,8 %) als Väter (zwölf von 17,<br />

70,6 %) empfanden. Von den 36 Eltern<br />

gaben 29 (82,9 %) an, dass sie das Ereignis<br />

einander näher gebracht habe. Sechs<br />

Personen (17,1 %) gaben an, dass sie sich<br />

durch das Ereignis vom Partner entfernt<br />

hätten. In 22 von 39 Antworten (56,4 %)<br />

bejahten Eltern die Frage, ob sich ihre<br />

Trauer um das verstorbene Baby auf<br />

die Geschwisterkinder ausgewirkt hätte.<br />

Hier schilderten die Eltern eher positive<br />

Veränderungen wie z. B. das bewusstere<br />

Glück über die gesunden lebenden <strong>Kinder</strong>.<br />

41,7 % der Eltern (20 von 48) meinten,<br />

dass sich ihre Trauer auch auf das<br />

soziale Umfeld ausgewirkt habe, wobei<br />

dies von 17 der 31 weiblichen Teilnehmer<br />

(54,9 %) und in 3 der 17 Antworten<br />

(17,6 %) von männlichen Teilnehmern<br />

angegeben wurde. Die Eltern sagten,<br />

dass sich nach dem Tod des Kindes der<br />

Freundes- oder Bekanntenkreis geändert<br />

habe, einige Eltern gaben an, dass auch<br />

ihr berufliches Umfeld betroffen gewesen<br />

sei.<br />

79,2 % der 48 Eltern, die Erinnerungsstücke<br />

ihres Kindes besaßen, bestätigten,<br />

dass ihnen diese in der Trauerphase geholfen<br />

hätten, wobei den Müttern diese<br />

Dinge wichtiger erschienen (26 von 31<br />

Müttern (83,8 %) bzw. 12 von 17 Vätern<br />

(70,6 %) bejahten diese Frage). Insbesondere<br />

Fotos des Kindes waren den Eltern<br />

hilfreich, aber auch Fuß- oder Handabdruck<br />

oder eine Haarlocke des Kindes<br />

hätten sich viele Eltern gewünscht.


Literatur<br />

1. Benfield DG, Leib SA, Vollman JH: Grief reresponse of parents to neonatal death and parent<br />

participation in deciding care. Pediatrics 62 (1978)<br />

171–177<br />

2. Giles PFH: Reactions of Women to Perinatal<br />

Death. Aust. N.Z.J. Obstet Gynaecol 10 (1970)<br />

207–210<br />

3. Kennell JH, Slyter H, Klaus MH: The mourning<br />

response of parents to the death of a newborn<br />

infant. N Eng J Med 283 (1970) 344–349<br />

4. Levetown M, Pollack MM, Cuerdon TT, Ruttimann<br />

UE, Glover JJ: Limitations and withdrawals<br />

of medical intervention in pediatric critical care.<br />

JAMA 272 (1994)<br />

5. Peppers LG: Maternal reactions to involuntary<br />

fetal/infant death. Psychiatry 43 (1980) 155–159<br />

6. Potvin L, Lasker J, Toedter L: Measuring grief:<br />

a short version of the perinatal grief scale. J Psychopathol<br />

Behav Assessment 11 (1989) 29–45<br />

7. Reilly-Smorawski B, Armstrong AV, Catlin EA:<br />

Bereavement support for couples following death<br />

of a baby: program development and 14-year exit<br />

analysis. Death Stud 26 (2002) 21–37<br />

8. Robinson M, Baker L, Nackerud L: The relarelationship of attachment theory and perinatal loss.<br />

Death Stud 23 (1999) 257–270<br />

9. Rowe J, Clyman R, Green C, Mikkelsen C,<br />

Haight J, Ataide L: Follow-up of families who experience<br />

a perinatal death. Pediatrics 62 (1978)<br />

166–170<br />

10. Seecharan GA, Andresen EM, Norris K, Toce<br />

SS: Parents’ Assessment of Quality of Care and<br />

Grief Following a Child’s Death. Arch Pediatr AdoAdolesc Med 158 (2004) 515–520<br />

11. Toedter LJ, Lasker JN, Alhadeff JM: The perinatal<br />

grief scale: development and initial validation.<br />

Am J Orthopsychiatry 58 (1988)<br />

Wermuth und Schulze<br />

Vergleich von Trauerreaktionen bei Eltern<br />

12. Toedter LJ, Lasker JN, Janssen HJEM: International<br />

comparison of studies using the perinatal grief<br />

scale: A decade of research on pregnancy loss. Death<br />

Stud 25 (2001) 205–228<br />

13. Walwork E, Ellison PH: Follow-up of families<br />

of neonates in whom life support was withdrawn.<br />

Clin Pediatr 24 (1985) 14–20<br />

Autorin<br />

Inga Wermuth<br />

Neonatologie, Klinik und Poliklinik<br />

für Frauenheilkunde und Geburtshilfe<br />

Klinikum Großhadern der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München<br />

Marchioninistraße 15, 81377 München<br />

Telefon 01 71/6 80 45 39<br />

inga.richter@gmx.de<br />

125


Stahn, Paditz, Grube, Walter, Stock, Mölle, Scharfe, Lindinger, P.-Langer, Keusch<br />

Proaktive telefonische Raucherberatung von Schwangeren und Müttern von Säuglingen<br />

Proaktive telefonische Raucherberatung von<br />

Schwangeren und Müttern von Säuglingen – ein<br />

Modellprojekt im Rahmen der Prävention des<br />

plötzlichen Säuglingstodes (SID)<br />

Stahn Katharina 1 , Paditz Ekkehart 2 , Grube Angelika 1 , Walter Beate 1 , Stock Katharina 1 , Mölle Stefanie 3 ,<br />

Scharfe Stefan 3 , Lindinger Peter 4 , Pötschke-Langer Martina 4 , Keusch Siegfried 5<br />

1 Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin des Städt. Krankenhauses Dresden-Neustadt<br />

2 Klinik und Poliklinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin Med. Fakultät TU Dresden<br />

3 <strong>Kinder</strong>arztpraxis Dresden<br />

4 Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg<br />

5 AOK Sachsen<br />

Einleitung<br />

Tabakrauchexposition während der<br />

Schwangerschaft und im ersten Lebensjahr<br />

erhöht das SID-Risiko dosisabhängig<br />

bis zu acht- bis 16fach. Weitere gesicherte<br />

Risiken sind das Auftreten einer<br />

Fehl- oder Frühgeburt, sowie Geburt eine<br />

hypotrophen Kindes, außerdem Fehlbildungen<br />

wie Lippen-Kiefer-Gaumenspalten,<br />

Mikrocephalus, Klumpfussbildung<br />

[1,2,7].<br />

Nach aktuellen Erhebungen rauchen<br />

20–50 % aller Schwangeren[6]. Die<br />

Hälfte der Schwangeren unter 25 Jahren<br />

raucht [4], bei Schwangeren der<br />

niedrigeren sozialen Schichten mehr als<br />

40 % [3]. Durchschnittlich raucht eine<br />

Schwangere 13 Zigaretten am Tag [3], im<br />

Durchschnitt ist das ungeborene Kind<br />

demnach im Verlauf der Schwangerschaft<br />

dem Rauch von 3 640 Zigaretten ausgesetzt.<br />

Etwa ein Drittel der Schwangeren<br />

schafft den freiwilligen Ausstieg in der<br />

Schwangerschaft [4], postnatal steigt das<br />

Rückfallrisiko stetig mit wachsendem Alter<br />

des Kindes [1]. 1994–1999 rauchten<br />

22 % der Mütter von Säuglingen, die<br />

im dritten Lebensmonat im Schlaflabor<br />

untersucht wurden (43 % der unter 23jährigen<br />

und 19,8 % der über 23-jährigen<br />

Mütter) [5] . Am Ende des ersten Lebensjahres<br />

rauchen bereits wieder 30 % der<br />

Mütter [1].<br />

Telefonische Raucherberatungen haben<br />

sich bewährt aufgrund ihrer einfachen<br />

Zugänglichkeit bei relativ geringem<br />

Aufwand. Sie bieten außerdem den wesentlichen<br />

Vorteil einer individuellen<br />

Beratung. Verglichen mit anderen Möglichkeiten<br />

der Raucherberatung zeigen<br />

sie ähnlich gute, teilweise sogar höhere<br />

Erfolgsquoten. Dies gilt insbesondere<br />

für die proaktiven Beratungstelefone [8].<br />

Bei diesen werden die Klienten nach einem<br />

Erstkontakt vom Berater proaktiv<br />

angerufen, d. h. sie müssen sich nicht<br />

mehr von sich aus melden, sondern der<br />

(pro-)aktiv Handelnde ist der Berater.<br />

Methodik<br />

Im Jahr 2002 wurde das deutschlandweit<br />

erreichbare Info- und Beratungstelefon<br />

„Gesunder Babyschlaf“gestartet<br />

(Telefon 01 80/5 09 95 55). Dort kön-<br />

127


128<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

nen Interessierte einen Infotext sowie<br />

Faxabruf abrufen oder zu festgelegten<br />

Sprechzeiten von <strong>Kinder</strong>ärzten beraten<br />

werden. Im März 2003 wurde dieses Infotelefon<br />

um eine „Beratung für rauchende<br />

Schwangere und Mütter von Säuglingen“<br />

– ebenfalls mit Infotext, Faxabruf<br />

und der Möglichkeit, sich von speziell<br />

geschulten Raucherberaterinnen beim<br />

Rauchstopp unterstützen zu lassen- erweitert.<br />

Sprechzeiten sind dienstags bis<br />

donnerstags von 8:00 bis 10:00 Uhr und<br />

Dienstag und Donnerstag von 16:00 bis<br />

18:00.<br />

Für den proaktiven Ansatz wurden<br />

<strong>Kinder</strong>- und Frauenärzte sowie Hebammen<br />

in ganz Sachen gebeten, mittels<br />

eines speziell angefertigten Formblattes<br />

die schriftliche Einwilligung rauchender<br />

Schwangerer und Mütter von Säuglingen<br />

einzuholen, vom Raucherberatungstelefon<br />

angerufen zu werden. Die<br />

Raucherinnen werden über Tipps und<br />

Tricks zum Rauchstopp informiert. Mit<br />

ausstiegswilligen Raucherinnen wird ein<br />

Rauchstopptermin innerhalb der nächsten<br />

14 Tage vereinbart, begleitend erfolgen<br />

engmaschige Folgeanrufe bis zum<br />

Ende des ersten Lebensjahres des Kindes.<br />

Bei nicht ausstiegswilligen Raucherinnen<br />

wird mittels psychologischer Gesprächsführung<br />

die Ambivalenz beim Rauchern<br />

erhöht und eventuell in Folgekontakten<br />

ein Rauchstopp vereinbart. Rauchende<br />

Partner werden an die bekannten reaktiven<br />

Suchttelefone der BZgA (Telefon<br />

(02 21) 89 20 31) und des Deutschen<br />

Krebsforschungszentrums (Telefon<br />

(0 62 21) 42 42 00) verwiesen. Folgekontakte<br />

werden individuell vereinbart, erfolgen<br />

aber in jedem Falle vierWochen<br />

nach Geburt des Kindes sowie zum sechs-<br />

ten und zwölften. Lebensmonat um die<br />

erzielten Erfolge zu evaluieren.<br />

Ergebnisse<br />

Vom 11. März 2003 bis 31. Dezember<br />

2004 wurden 132 Erstanrufe und 305 Folgeanrufe<br />

getätigt. Von des Erstkontakten<br />

waren 103 Kontakte proaktiv und nur 29<br />

Kontakte reaktiv. 90 Klientinnen wurden<br />

über 305 Folgeanrufe weiterbetreut.<br />

Bei 40 % (36/90) der Frauen konnte ein<br />

Rauchstopp erzielt werden. Weitere 20 %<br />

(18/90) reduzierten den Zigarettenkonsum.<br />

Damit konnten über 60 % der erstkontaktierten<br />

Frauen zur kompletten Rauchfreiheit oder<br />

zumindest zur Reduktion des Zigarettenkonsums<br />

motiviert werden.<br />

6,6 % der Klientinnen waren zwischenzeitlich<br />

währen der Schwangerschaft Nichtraucherinnen,<br />

rauchten aber nach der Geburt<br />

bzw. am Ende der Stillzeit wieder.<br />

Von 11,1 % (10/90) liegen keine Angaben<br />

zum aktuellen Rauchverhalten vor.<br />

25 % der Erstanrufe waren einmalige<br />

Kontakte. Ursächlich waren neben einem<br />

Wiederruf des Beratungswunsches<br />

auch bereits erfolgter Rauchstopp, reiner<br />

Informationsbedarf, stationärer Aufenthalt<br />

der Klientin u.v.a.m. Von den Frauen,<br />

die einen Folgekontakt ablehnten,<br />

gaben 28 % (7/25) an, bereits Nichtraucherinnen<br />

zu sein und hatten nur weiteren<br />

Informationsbedarf.<br />

Zahlreiche weitere Frauen konnten<br />

motiviert werden, zumindest eine rauchfreie<br />

Wohnung schaffen, viele wurden –<br />

teilweise erstmalig – aufgeklärt über die<br />

zahlreichen unerwünschten Wirkungen<br />

des Rauchens auf das ungeborene oder


Stahn, Paditz, Grube, Walter, Stock, Mölle, Scharfe, Lindinger, P.-Langer, Keusch<br />

Proaktive telefonische Raucherberatung von Schwangeren und Müttern von Säuglingen<br />

neugeborene Kind. Außerdem wurden<br />

Informationen gegeben über die Möglichkeit<br />

des Stillens trotz Zigarettenkonsum<br />

und die beste „Technik“ (Rauchen<br />

direkt im Anschluss an die Stillzeit).<br />

Diskussion<br />

Das Projekt stellt das erste proaktive<br />

Raucherberatungstelefon in Deutschland<br />

dar. Inzwischen sind in Bayern und<br />

am DKFZ Heidelberg weitere spezielle<br />

proaktive Raucherberatungstelefone gegründet<br />

worden, z. B. für Krebspatienten.<br />

Die eigenen vorläufigen Ergebnisse<br />

zeigen, dass eine kurzfristige Beeinflussung<br />

des Raucherstatus insbesondere<br />

während der Schwangerschaft möglich<br />

ist. Das proaktive Vorgehen scheint der<br />

Schlüssel zum Erfolg zu sein, da dadurch<br />

die Hemmschwelle der Schwangeren<br />

überschritten wird, sich selbst zu melden.<br />

Für die Effizienz des proaktiven Vorgehens<br />

spricht auch das Verhältnis der<br />

proaktiven zu reaktiven Anrufe (103:29).<br />

Nicht zufriedenstellend ist dahingegen<br />

der Rücklauf der Einwilligungsbögen.<br />

Erst nach gezielten Anschreiben der zuständigen<br />

Ärzte und Hebammen werden<br />

Einwilligungsbögen zurückgesandt, so<br />

dass ein Jahr nach Start des Beratungstelefones<br />

eine erneute Mailing-Aktion<br />

stattfand. Weiterhin scheinen viele<br />

Geburtshelfer es vorzuziehen, das Thema<br />

Rauchen in der Schwangerschaft zu<br />

meiden, statt offen und ohne Wertung<br />

anzusprechen und Hilfestellungen zum<br />

Rauchstopp weiter zu vermitteln.<br />

Abstinenzquoten von Raucherberatungstelefonen<br />

liegen zwischen 15–45%.<br />

Damit zeigt sich die erreichte Abstinenzquote<br />

von 40 % im oberen Bereich. Die<br />

individuelle telefonische Beratung inkl.<br />

der Möglichkeit von Folgekontakten ist<br />

der Selbsthilfe und der Gruppentherapie<br />

überlegen. Eine intensive Weiterbetreuung<br />

zur Reduktion der Rückfallquote<br />

vor allem auch nach der Geburt ist erforderlich.<br />

Die eigenen Ergebnisse zeigen,<br />

dass auch nach erfolgreichem längeren<br />

Rauchstopp die Rückfallquote in einer<br />

als besonders belastend erlebten Zeit<br />

(Säuglings- und Kleinkindalteralter) erheblich<br />

ist.<br />

Ziel des Projektes ist die weitere Senkung<br />

der SID-Rate durch Vermittlung<br />

der drei Informationen: Babys schlafen<br />

am sichersten in Rückenlage und im<br />

Schlafsack sowie „Baby mag rauchfrei<br />

– auch schon vor der Geburt“.<br />

Literatur<br />

1 Bornhäuser A., Pötschke-Langer M: Passivrauchende<br />

<strong>Kinder</strong> in Deutschland – Frühe Schädigungen<br />

für ein ganzes Leben. Rote Reihe Tabakprävention<br />

und Tabakkontrolle Band 2, deutsches<br />

Krebsforschungszentrum, Heidelberg, S 11–23,<br />

2003<br />

2 Haustein K.-O. 2000: Rauchen, Nikotin und<br />

Schwangerschaft. Geburtsh Frauenheilk 60: 11<br />

– 19.<br />

3 Helmert U et al.: Rauchverhalten von Schwangeren<br />

und Müttern mit Kleinkindern. Sozial- und<br />

Präventivmedizin, 43, 51–58, 1998.<br />

4 Lang P: Förderung des Nichtrauchens in der<br />

Schwangerschaft. In: Hausstein K-O: Rauchen und<br />

kindliche Entwicklung – Raucherschäden und Primärprävention.<br />

Verlag Perfusion, Nürnberg, pp<br />

153–167, 2001.<br />

129


130<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

5 Maier U, Friebel D, Paditz E: Mütterliches Rauchen<br />

und Geburtsgewicht, Stillen, Infekte, Schwitzen<br />

und Blässe bei Säuglingen. In: Paditz E (Hrsg.):<br />

Gesunder Babyschlaf – Prävention des Plötzlichen<br />

Säuglingstodes in Sachsen. Hille Dresden 2002, S.<br />

55–57<br />

6 Paditz E et al.: Beratungstelefon „Gesunder<br />

Babyschlaf“ und „Beratung für rauchende Schwangere<br />

und rauchende Mütter von Säuglingen“ innerhalb<br />

der Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes:<br />

Telefon 01 80/5 09 95 55. <strong>Kinder</strong>- und Jugendarzt 3:<br />

482–488, 2003.<br />

7 Schellscheidt J, Oyen N, Jorch G: Interactions<br />

between maternal smoking and other prenatal<br />

risks factors for sudden infant death syndrome<br />

(SIDS). Acta Paediatr. Aug; 86 (8): 857–63, 1997.<br />

8 Stead LF, Lancaster T. Telephone counselling<br />

for smoking cessation (Cochrane Review) 2003:<br />

The cochrane library 3. Oxford: Update software.<br />

Korrespondenzadresse<br />

Dr. med. Katharina Stahn<br />

Klinik für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin<br />

Städtisches Krankenhaus Dresden-Neustadt<br />

Industriestraße 40, 01129 Dresden<br />

Telefon (03 51) 8 56-25 80<br />

Telefax (03 51) 8 56-25 82<br />

katharina.stahn@khdn.de<br />

Weitere Informationen:<br />

www.babyschlaf.de<br />

www.babyhilfe-deutschland.de


Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Gründungsaufruf<br />

Gründungsaufruf der Babyhilfe Deutschland<br />

Foto (von rechts nach links): Dr. Peter Lenk (Mitglied des Kuratoriums), Staatssekretär Dr. Albin Nees<br />

(Leiter des Länderbeirates), Dipl.-Med. Stefan Scharfe (Medizinalvorstand), Prof. Dr. med. Ekkehart Paditz<br />

(Vorsitzender), Bernd Hanke (Grafiker BDG, Herr Hanke entwarf und stiftete das Logo), Dr. med.<br />

Katharina Stahn (Stellvertretende Vorsitzende), Haike Korbl (Beirat Selbsthilfegruppen mit Ehemann und<br />

<strong>Kinder</strong>n), Ulrike Holzhauser und Ursula Herrmann, Direktorin Hotel und Restaurant Schloss Eckberg<br />

(Frau Herrmann, Frau Holzhauser und der Lions-Club Dresden Centrum stifteten die Buche, die anlässlich<br />

der Gründung der Babyhilfe Deutschland als Symbol des Lebens gepflanzt wurde), Constanze Geiert<br />

(Justiziarin des Vereins), Staatsminister a. D. Georg Brüggen (Vorsitzender des Kuratoriums), Gerd Pfetzer<br />

(Finanzvorstand mit Klein-Jonathan und Ehefrau), Maria Kunze auf dem Arm ihrer Mutter (Maria ist als<br />

Baby im Schlafsack schlummernd in Sachsen und inzwischen auch bundesweit durch das Informationsblatt<br />

für Eltern „bekannt“ geworden). Foto: Sandra Neuhaus für Babyhilfe Deutschland<br />

131


132<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

In Zuversicht und Vertrauen wenden wir uns an alle Menschen, die<br />

mit uns zusammen verhindern wollen, dass in Deutschland jährlich<br />

über 400 Babys am sog. plötzlichen Kindstod sterben. Wir wenden<br />

uns<br />

• an alle, die den Tod dieser Babys verhindern wollen;<br />

• an alle, die bereit sind, ihre Hand zu öffnen, wenn es gilt, wirklich etwas gutes zu<br />

unterstützen;<br />

• an alle, denen aus den Augen ihres Kindes des Lebens schönstes Glück entgegenlächelt;<br />

• an alle, die die bange Sorge kennen, wenn Krankheit ihrer Lieblinge Wohl bedroht;<br />

• an alle, die helfen wollen den Tod der <strong>Kinder</strong> und den unendlichen Schmerz der Eltern<br />

und Geschwister zu verhindern;<br />

• an alle die solche Not abwehren wollen.<br />

Wir wollen zusammen mit allen, die Ihre Hand öffnen, helfen und unterstützen:<br />

Aufklärung<br />

Wir brauchen eine umfassende Aufklärung der Menschen über die Gefah-ren lebensgefährlicher<br />

Baby- und Kleinkinderkrankungen, insbesondere des plötzlichen<br />

Säuglingstods und über entsprechende Präventionsmöglichkeiten.<br />

Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten<br />

Wir brauchen die Unterstützung von Selbsthilfeaktivitäten betroffener Familien.<br />

Professionelle, zielgruppenorientierte Informationskampagnen<br />

Wir brauchen noch mehr professionelle, zielgruppenorientierte Informationskampagnen.<br />

Verantwortung für den schlafenden Säugling<br />

Wir brauchen gut informierte Schwangere, Eltern, Großeltern, Babysitter und alle<br />

Personen, die Babys zum Schlafen legen, die wissen, wie ein Baby gesund schläft und<br />

was diesen gesunden Schlaf gefährdet.


Generationswissen<br />

Wir brauchen das Wissen, um den Gesunden Babyschlaf als sog. Generationswissen.<br />

Unterstützung der Menschen<br />

Wir brauchen Unterstützung in Geld, Wort und Tat, um denen zu helfen, die sich<br />

noch nicht artikulieren können, damit sie leben können.<br />

Unser Versprechen<br />

Wir, die Gründer der Babyhilfe Deutschland gewährleisten, dass jeder gespendete<br />

Euro zu 100 Prozent unseren Zielen zugute kommt. Jeder Unterstützer und Helfer<br />

kann sich darauf verlassen, dass jeder Euro, dass jede sonstige Unterstützung ausschließlich<br />

der Verwirklichung der Ziele dieses Gründungsaufrufs dient.<br />

Wir vertrauen in die Menschen, um den Säuglingen zu helfen. Wir wollen mit allen<br />

Menschen zusammen erreichen:<br />

Jeden Tag ein Babyleben retten!<br />

Erklärt und gezeichnet auf dem Lingner-Schloss zu Dresden<br />

am 22. Apriil 2004<br />

Gründungsmitglieder (alphabetisch):<br />

Georg Brüggen Constanze Geiert Bernd Hanke<br />

Ursuala Herrmann Ulrike Holzhauer Susanne Krevet<br />

Albin Nees Ekkehart Paditz Gerd Pfetzer<br />

Anne Katharina Stahn Stefan Scharfe<br />

Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Gründungsaufruf<br />

133


Satzung<br />

des gemeinnützigen Vereines „Babyhilfe Deutschland e. V.“<br />

vom 22. April 2004 i. d. F. der Änderung vom 7. Juni 2004<br />

§ 1 Name und Sitz<br />

Der Verein führt den Namen „Babyhilfe<br />

Deutschland e. V.“. Der Verein hat<br />

seinen Sitz in Dresden.<br />

§ 2 Zweck<br />

(1) Der Verein verfolgt ausschließlich<br />

und unmittelbar gemeinnützige<br />

Zwecke im Sinne des Abschnitts<br />

„Steuerbegünstigte Zwecke“ der<br />

Abgabenordnung.<br />

(2) Zweck des Vereins ist die umfassende<br />

Aufklärung der Bevölkerung über<br />

die Gefahren lebensgefährlicher<br />

Baby- und Kleinkindererkrankungen,<br />

insbesondere des plötzlichen<br />

Säuglingstodes und über entsprechende<br />

Präventionsmöglichkeiten.<br />

Unter anderem soll die Aufklärung<br />

der Bevölkerung über die nachfolgenden,<br />

nicht abschließend genannten<br />

Projekte erreicht werden: Druck<br />

von Faltblättern für Schwangere<br />

und für Eltern, Druck von Plakaten,<br />

der Betrieb von Internetseiten,<br />

professionelle Presse- und Medienarbeit<br />

und die Organisation<br />

professioneller Hilfe für betroffene<br />

Familien. Darüber hinaus soll der<br />

Verein die Organisation von Fort-<br />

Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Satzung<br />

bildungen und Schulungen für alle<br />

Berufsgruppen, die mit lebensgefährlichen<br />

Baby- und Kleinkindererkrankungen<br />

in Berührung kommen<br />

können, anstreben. Als Adressaten<br />

kommen neben Ärzten, Hebammen,<br />

<strong>Kinder</strong>krankenschwestern<br />

und Krankenschwestern insbesondere<br />

auch Polizisten und Staatsanwälte<br />

in Betracht, um den Umgang<br />

mit Notsituationen zu schulen und<br />

daraus Dienstanweisungen zu entwickeln.<br />

Der Satzungszweck wird<br />

verwirklicht insbesondere durch<br />

die Zuwendung von Vereinsmitteln<br />

an gemeinnützige Körperschaften,<br />

die dieselbe Zielstellung haben wie<br />

der Verein.<br />

(3) Der Verein ist selbstlos tätig; er<br />

verfolgt nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche<br />

Zwecke. Mittel des<br />

Vereins dürfen nur für die satzungsgemäßen<br />

Zwecke verwendet werden.<br />

Die Mitglieder erhalten keine<br />

Zuwendungen aus Mitteln des Vereins.<br />

(4) Es darf keine Person durch Ausgaben,<br />

die dem Zweck der Körperschaft<br />

fremd sind, oder durch unverhältnismäßig<br />

hohe Vergütungen<br />

begünstigt werden.<br />

137


138<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

§ 3 Mitgliedschaft, Eintritt<br />

Mitglied des Vereines können natürliche<br />

und juristische Personen werden.<br />

Über den schriftlichen Aufnahmeantrag<br />

entscheidet der Vorstand. Er ist bei Ablehnung<br />

des Antrages nicht verpflichtet,<br />

dem Antragsteller die Gründe der Ablehnung<br />

bekanntzugeben.<br />

§ 4 Mitgliedschaft, Verlust<br />

(1) Die Mitgliedschaft endet durch Tod,<br />

Austrittserklärung oder Ausschluss.<br />

(2) Der jederzeit mögliche Austritt erfolgt<br />

durch eine schriftliche Erklärung<br />

an die Bundesgeschäftsstelle.<br />

(3) Ein Mitglied, das in erheblichem<br />

Maß gegen die Vereinsinteressen<br />

verstoßen hat, kann durch mit 2/3-<br />

Mehrheit gefassten Beschluss des<br />

Vorstands aus dem Verein ausgeschlossen<br />

werden. Vor dem Ausschluss<br />

ist das betroffene Mitglied<br />

persönlich oder schriftlich zu hören.<br />

Die Entscheidung über den Ausschluss<br />

ist schriftlich zu begründen<br />

und dem Mitglied zuzusenden. Es<br />

kann innerhalb von einer Frist von<br />

einem Monat ab Zugang schriftlich<br />

Berufung beim Vorstand einlegen.<br />

Über die Berufung entscheidet die<br />

Mitgliederversammlung. Macht<br />

das Mitglied vom Recht der Berufung<br />

innerhalb der Frist keinen<br />

Gebrauch, unterwirft es sich dem<br />

Ausschließungsbeschluss.<br />

Als erheblicher Verstoß ist auch die<br />

Nichtzahlung des Vereinsbeitrages<br />

ohne hinreichenden Entschuldi-<br />

gungsgrund anzusehen. Das Mitglied<br />

ist vor Ausschluss mittels Einwurfeinschreibens<br />

letztmalig zur<br />

Zahlung binnen einer Frist von zwei<br />

Wochen ab Zugang des Schreibens<br />

aufzufordern und gleichzeitig der<br />

Ausschluss anzudrohen. Im Wiederholungsfalle<br />

ist diese Mahnung<br />

entbehrlich.<br />

(4) Das Erlöschen der Mitgliedschaft<br />

wird zum Ende des jeweiligen Kalenderjahres<br />

wirksam.<br />

§ 5 Vereinsregister/Geschäftsjahr<br />

(1) Der Verein ist in das Vereinsregister<br />

einzutragen.<br />

(2) Das Geschäftsjahr ist das Kalenderjahr.<br />

§ 6 Beiträge<br />

(1) Von den Mitgliedern wird ein Beitrag<br />

erhoben, den die Mitgliederversammlung<br />

festsetzt. Die Beitragszahlung<br />

erfolgt jährlich und<br />

zwar im ersten Quartal des Jahres<br />

im Lastschrifteneinzugsverfahren.<br />

Vom Erfordernis des Lastschrifteinzugsverfahrens<br />

kann mit Zustimmung<br />

des Finanzvorstandes im Einzelfall<br />

abgesehen werden.<br />

(2) Der Vorstand kann auf Antrag den<br />

Beitrag aus sozialen Gründen ermäßigen<br />

und Mitglieder im Übrigen<br />

zu ehrenamtlichen Mitgliedern berufen.


(3) Es bleibt den Mitgliedern unbenommen,<br />

zusätzlich freiwillige Beiträge<br />

und Spenden zu leisten.<br />

§ 7 Rechnungsprüfung<br />

Die Rechnung des abgelaufenen Geschäftsjahres<br />

ist von jeweils zwei Rechnungsprüfern<br />

zu prüfen, die von der Mitgliederversammlung<br />

gewählt werden.<br />

§ 8 Organe des Vereins<br />

Organe des Vereins sind Vorstand,<br />

Mitgliederversammlung, Kuratorium,<br />

Beiräte und Arbeitsausschüsse.<br />

§ 9 Der Vorstand<br />

(1) Der Vorstand führt den Verein gemäß<br />

seiner satzungsmäßigen Aufgaben,<br />

Rechte und Pflichten. Er führt<br />

die Geschäfte ehrenamtlich.<br />

(2) Der geschäftsführende Vorstand besteht<br />

aus fünf Personen und zwar<br />

• dem Vorstandsvorsitzenden,<br />

• dem Stellvertretenden Vorsitzenden,<br />

• dem Medizinalvorstand,<br />

• dem Finanzvorstand und<br />

• dem Justitiar.<br />

Die Mitgliederversammlung kann<br />

bestimmen, dass der Gründungsvorstand<br />

abweichend von Satz 1 aus<br />

weniger Mitgliedern besteht.<br />

(3) Der Verein wird gerichtlich und außergerichtlich<br />

jeweils durch zwei<br />

Mitglieder des geschäftsführenden<br />

Vorstandes, darunter dem Vorsitzenden<br />

oder dem stellvertretenden<br />

Vorsitzenden, vertreten.<br />

Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Satzung<br />

(4) Der Finanzvorstand soll Steuerberater<br />

oder Wirtschaftsprüfer sein.<br />

Er führt die erforderlichen Finanzunterlagen.<br />

Der Medizinalvorstand<br />

soll über Erfahrungen als Facharzt<br />

für <strong>Kinder</strong>- und Jugendmedizin verfügen.<br />

(5) Der Gründungsvorstand bleibt auf<br />

die Dauer von einem Jahr im Amt.<br />

Danach erfolgt die Wahl des geschäftsführenden<br />

und des Gesamtvorstandes<br />

jeweils durch die Mitgliederversammlung<br />

in geheimer<br />

Wahl auf die Dauer von zwei Jahren.<br />

Auf eine geheime Wahl kann verzichtet<br />

werden, wenn einem solchen<br />

Antrag keines der anwesenden Vereinsmitglieder<br />

widerspricht. Der<br />

Vorstand bleibt auch nach Ablauf<br />

seiner Amtszeit solange im Amt, bis<br />

ein neuer Vorstand gewählt wird.<br />

(6) Scheidet ein Vorstandsmitglied vor<br />

Ablauf seiner Amtszeit aus, so kann<br />

der Vorstand bis zum Ablauf der<br />

Amtszeit des Vorstandes ein Vereinsmitglied<br />

in den Vorstand berufen<br />

oder die vakante Position mit<br />

einem aktuellen Vorstandsmitglied<br />

besetzen (Doppelamt).<br />

(7) Der geschäftsführende Vorstand<br />

kann weitere Vorstandsmitglieder<br />

berufen (Kooptation), ohne dass<br />

diese den Verein rechtsgeschäftlich<br />

nach außen vertreten. Sie gehören<br />

dem Gesamtvorstand an. Mit der<br />

nächsten Vorstandswahl durch die<br />

Mitgliederversammlung stellen<br />

sich die Kooptierten der Gesamtvorstandswahl,<br />

andernfalls sie aus<br />

139


140<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

dem Vorstand ausscheiden und nur<br />

in begründeten Ausnahmen wieder<br />

kooptiert werden dürfen.<br />

(8) Die Beiratsvorsitzenden sind geborene<br />

Mitglieder des Gesamtvorstandes.<br />

(9) Vorstandssitzungen werden vom<br />

Vorsitzenden oder dem Stellvertreter<br />

mit angemessener Frist unter<br />

Mitteilung der Tagesordnung einberufen.<br />

Die Entscheidungen des<br />

Vorstandes werden mit der Mehrheit<br />

der anwesenden Stimmen<br />

getroffen. Bei Stimmengleichheit<br />

entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.<br />

In dringenden Fällen können<br />

Vorsitzender, der Stellvertreter<br />

und der Finanzvorstand gemeinsam<br />

vorab entscheiden. Ein schriftliches<br />

Umlaufverfahren ist nur zulässig,<br />

wenn kein Vorstandsmitglied widerspricht<br />

oder mit Nein stimmt.<br />

(10) Werden Vorstandsbeschlüsse durch<br />

den Finanzvorstand, den Justitiar<br />

oder den Medizinalvorstand beanstandet,<br />

so bedarf der Beschluss des<br />

Vorstandes der 2/3-Mehrheit seiner<br />

Mitglieder. Zuvor ist der entsprechende<br />

Fachvorstand zu hören.<br />

(11) Zu den Sitzungen des Vorstandes<br />

ist der Vorsitzende des Kuratoriums<br />

einzuladen; an den Vorstandssitzungen<br />

können der Vorsitzende des<br />

Kuratoriums oder sein Stellvertreter<br />

teilnehmen. Sie haben das Recht,<br />

Anträge zu stellen und beratend<br />

an den Sitzungen teilzunehmen,<br />

jedoch kein Stimmrecht.<br />

§ 10 Beirat, Arbeitsausschüsse<br />

(1) Der Vorstand kann zur Erfüllung<br />

längerfristiger Vereinsaufgaben einen<br />

Beirat sowie für die Durchführung<br />

kurzfristiger Einzelaufgaben<br />

Arbeitsausschüsse berufen.<br />

(2) Beirat und Arbeitsausschüsse haben<br />

beratende Funktion und sollen dem<br />

Vorstand ermöglichen, sich bei der<br />

Erfüllung seiner Aufgaben der Kompetenz<br />

besonderer Persönlichkeiten<br />

zu bedienen.<br />

(3) Jeder Beirat wählt aus seiner Mitte<br />

einen Vorsitzenden und in der<br />

Regel zwei Stellvertreter. Der Vorsitzende<br />

hat die Aufgabe, den Vereinsvorstand<br />

über die Tätigkeit des<br />

Beirates regelmäßig sowie bei Anlass<br />

(„ad hoc“) zu informieren. Der<br />

Vorsitzende ist gleichzeitig geborenes<br />

Mitglied des Gesamtvorstandes.<br />

Der Beirat gibt sich eine Geschäftsordnung.<br />

(4) Dem Beirat und den Arbeitsausschüssen<br />

können auch Nichtmitglieder<br />

angehören; dies gilt<br />

insbesondere für Vertreter von<br />

Selbsthilfegruppen und Initiativen<br />

betroffener Eltern.<br />

§ 11 Kuratorium<br />

(1) Das Kuratorium besteht aus ehrenamtlich<br />

tätigen Mitgliedern. Es soll<br />

sich in ausgewogenem Verhältnis<br />

aus Vertretern von Wissenschaft,<br />

Wirtschaft, Politik und anderen Gebieten<br />

des öffentlichen Lebens zusammensetzen.


(2) Seine ersten Mitglieder werden von<br />

der Mitgliederversammlung für die<br />

Dauer von drei Jahren vom Tag<br />

der Berufung an gerechnet, berufen.<br />

Weitere Mitglieder beruft der<br />

Vorstandsvorsitzende im Einvernehmen<br />

mit dem Kuratoriumsvorsitzenden.<br />

Eine erneute Berufung ist<br />

möglich.<br />

(3) Der Vorstand bestimmt die jeweilige<br />

Anzahl der Kuratoriumsmitglieder.<br />

Das Kuratorium wählt auf Vorschlag<br />

des Vorstandsvorsitzenden<br />

aus seiner Mitte einen Vorsitzenden<br />

und dessen Stellvertreter. Der<br />

erste Kuratoriumsvorsitzende wird<br />

abweichend von dieser Regelung<br />

von der Mitgliederversammlung gewählt.<br />

(4) Das Kuratorium hat die Aufgabe,<br />

den Vorstand zu beraten und ihm<br />

Vorschläge für die Geschäftsführung<br />

zu machen. Es unterrichtet<br />

sich durch die Entgegennahme regelmäßiger,<br />

mindestens jährlicher<br />

Berichte des Vorstandes über die<br />

Angelegenheiten des Vereines. Seine<br />

Mitglieder können jederzeit vom<br />

Vorstand Auskunft über die Angelegenheiten<br />

des Vereines verlangen.<br />

(5) Mindestens zweimal jährlich soll<br />

eine Sitzung des Kuratoriums stattfinden.<br />

Das Kuratorium wird hierzu<br />

vom Vorsitzenden oder vom stellvertretenden<br />

Vorsitzenden schriftlich,<br />

fernmündlich oder telegrafisch<br />

mit einer Frist von mindestens drei<br />

Wochen einberufen. Das Kuratorium<br />

muss einberufen werden, wenn<br />

Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Satzung<br />

mindestens drei seiner Mitglieder<br />

dies schriftlich vom Vorsitzenden<br />

verlangen. Wird diesem Verlangen<br />

innerhalb einer Frist von drei Wochen<br />

nicht entsprochen, sind die<br />

Kuratoriumsmitglieder, welche die<br />

Einberufung verlangt haben, berechtigt,<br />

selbst das Kuratorium einzuberufen.<br />

(6) Zu den Sitzungen des Kuratoriums<br />

haben alle Vorstandsmitglieder Zutritt<br />

und das Recht, an der Diskussion<br />

teilzunehmen. Ein Stimmrecht<br />

steht ihnen nicht zu. Alle Vorstandsmitglieder<br />

sind von den Sitzungen<br />

des Kuratoriums zu verständigen.<br />

(7) Sitzungen des Kuratoriums werden<br />

von dessen Vorsitzenden oder bei<br />

dessen Verhinderung vom stellvertretenden<br />

Vorsitzenden geleitet.<br />

Sind beide verhindert, wählt das<br />

Kuratorium aus seiner Mitte einen<br />

Versammlungsleiter.<br />

(8) Das Kuratorium ist beschlussfähig,<br />

wenn mindestens drei seiner Mitglieder<br />

anwesend sind. Eine Vertretung<br />

der Kuratoriumsmitglieder<br />

durch Bevollmächtigte ist zulässig.<br />

(9) Bei der Beschlussfassung entscheidet<br />

die Mehrheit der abgegebenen<br />

Stimmen. Bei Stimmengleichheit<br />

entscheidet die Stimme des Vorsitzenden.<br />

(10) Für die Kuratoriumsmitglieder sind<br />

Ergebnisprotokolle zu erstellen. Jedes<br />

Mitglied des Kuratoriums und<br />

des Vorstandes erhält eine Kopie<br />

141


142<br />

2. bundesweite Experten- und Fortbildungstagung<br />

Prävention des plötzlichen Säuglingstodes in Deutschland<br />

der Protokolle. Die Originale werden<br />

beim Vorstand verwahrt.<br />

§ 12 Mitgliederversammlung<br />

(1) Die ordentliche Mitgliederversammlung<br />

findet einmal im Jahr<br />

statt. Sie wird vom Vorsitzenden<br />

des Vorstandes oder von einem seiner<br />

Stellvertreter mit einer Frist<br />

von zwei Wochen mittels einfachem<br />

Brief unter Angabe der Tagesordnung<br />

einberufen. Die Frist beginnt<br />

am dritten Tage der Aufgabe des<br />

Briefes zur Post zu laufen. Auf den<br />

tatsächlichen Zugang der Einladung<br />

bei allen Vereinsmitgliedern kommt<br />

es nicht an.<br />

(2) Eine außerordentliche Mitgliederversammlung<br />

ist auf Verlangen eines<br />

Drittels der Mitglieder einzuberufen.<br />

(3) Die Mitgliederversammlung ist insbesondere<br />

zuständig für die Entgegennahme<br />

des Jahresberichtes und<br />

Entlastung des Vorstandes, sowie<br />

a) Wahl und Abberufung der Mitglieder<br />

des Vorstandes,<br />

b) die Wahl der Rechnungsprüfer,<br />

c) Beschlussfassung über Satzungsänderung<br />

und über Auflösung<br />

des Vereines,<br />

d) Festlegung der Höhe des Jahresbeitrages.<br />

(4) Die Mitgliederversammlung wird<br />

vom Vorsitzenden des Vorstandes<br />

oder einem der beiden Stellvertreter<br />

geleitet. Der Versammlungsleiter<br />

stellt zu Beginn der<br />

Mitgliederversammlung durch<br />

Mehrheitsbeschluss die Tagesordnung<br />

fest. Durch diese Feststellung<br />

kann die Tagesordnung geändert<br />

und Tagesordnungspunkte abgesetzt<br />

werden. Gegenstände, die<br />

nicht auf der festgestellten Tagesordnung<br />

stehen, können nicht verhandelt<br />

werden, wenn zehn vom<br />

Hundert der anwesenden Vereinsmitglieder<br />

widersprechen. In der<br />

Mitgliederversammlung hat jedes<br />

Mitglied eine Stimme. Die Ausübung<br />

des Stimmrechtes kann auf<br />

Dritte nicht übertragen werden.<br />

(5) Der Versammlungsleiter bestimmt<br />

die Art der Abstimmung. Sie muss<br />

schriftlich durchgeführt werden,<br />

wenn ein Drittel der erschienenen<br />

Mitglieder dies beantragt.<br />

(6) Die Mitgliederversammlung fasst<br />

Beschlüsse mit einfacher Mehrheit<br />

der abgegebenen Stimmen.<br />

(7) Eine Änderung des Vereinszwecks<br />

und die Auflösung des Vereins kann<br />

nur mit Zustimmung von 4/5 aller<br />

Mitglieder beschlossen werden.<br />

(8) Eine Änderung der Satzung bedarf<br />

der Zustimmung von 3/4 der erschienenen<br />

Mitglieder. Beanstandet<br />

der Vorstandsvorsitzende oder<br />

der Justitiar einen Antrag auf Satzungsänderung<br />

in der Mitgliederversammlung,<br />

so bedarf die Satzungsänderung<br />

der Mehrheit von<br />

2/3 der Mitglieder des Vereins. Vor<br />

der Abstimmung ist dem Beanstan-


denden das Wort zur Begründung<br />

der Beanstandung zu erteilen.<br />

(9) Über die Mitgliederversammlung<br />

ist eine vom Vorsitzenden oder einem<br />

der beiden Stellvertreter und<br />

von dem von der Versammlung<br />

gewählten Protokollführer zu unterzeichnende<br />

Niederschrift aufzunehmen.<br />

§ 13 Auflösung<br />

Bei Auflösung oder Aufhebung des<br />

Vereins oder bei Wegfall seines bisherigen<br />

Zwecks fällt das Vermögen des<br />

Vereins an den Freistaat Sachsen und die<br />

Stadt Dresden zu gleichen Teilen, die es<br />

zugunsten von <strong>Kinder</strong>n in <strong>Kinder</strong>heimen<br />

in Dresden, die in öffentlicher oder<br />

gemeinnütziger Trägerschaft stehen, zu<br />

ausschließlich gemeinnützigen Zwecken<br />

zu verwenden haben.<br />

Babyhilfe Deutschland e. V.<br />

Satzung<br />

143


Antrag auf Mitgliedschaft<br />

im Verein „Babyhilfe Deutschland e. V.“<br />

Verein zur Förderung der Prävention des Plötzlichen Säuglingstodes und anderer lebensbedrohlicher<br />

Erkrankungen im Säuglings- und Kleinkindesalter sowie zur Unterstützung<br />

betroffener Familien<br />

Name, Vorname:<br />

Titel/Akadem. Grad:<br />

Adresse: privat/dienstlich<br />

Beruf:<br />

Geburtsdatum:<br />

Telefon, Telefax, Mail:<br />

Hiermit beantrage ich die Aufnahme in den Verein „Babyhilfe Deutschland e. V.“ als<br />

(Zutreffende Option bitte eindeutig erkennbar ankreuzen)<br />

natürliche Person (Jahresbeitrag 20,00 Euro)<br />

Firma bzw. juristische Person (Jahresbeitrag 200,00 Euro)<br />

natürliche Person mit folgendem freiwillig erhöhtem Jahresbeitrag: . . . . . . .<br />

Firma/juristische Person mit folg. freiwillig erhöhtem Jahresbeitrag: . . . . . . .<br />

Ich ermächtige Sie hiermit, den Jahresbeitrag bis auf Widerruf von meinem Konto<br />

abzubuchen. Meine Bankverbindung lautet:<br />

Konto-Nr., BLZ:<br />

Bank und Ort:<br />

Mir ist bekannt, dass die Babyhilfe Deutschland personenbezogene Daten speichert, die ausschließlich für<br />

den vereinsinternen Gebrauch verwendet werden.<br />

Ort, Datum Unterschrift<br />

Mitgliedsbeiträge und Spenden können gem. § 10b des EStG als Spende abgesetzt werden. Die Satzung<br />

der Babyhilfe Deutschland ist unter www.babyhilfe-deutschland.de hinterlegt und wird auf Wunsch gern<br />

übersandt.

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