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CARL FRIEDRICH VON WEIZSäCKER „DIE EINHEIT DER NATUR“

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FREIE UNIVERSITÄT BERLIN<br />

Institut für Philosophie<br />

Hauptseminar: Transzendentale Physikbegründung bei Kant und C.F. v. Weizsäcker<br />

Seminarleiter: Holm Tetens<br />

Wintersemester 2007/08<br />

Referent: Roman Welsing<br />

TEIL 2: <strong>CARL</strong> <strong>FRIEDRICH</strong> <strong>VON</strong> <strong>WEIZSäCKER</strong> <strong>„DIE</strong> <strong>EINHEIT</strong> <strong>DER</strong> <strong>NATUR“</strong><br />

II.4 „EIN ENTWURF <strong>DER</strong> <strong>EINHEIT</strong> <strong>DER</strong> PHYSIK“ 1<br />

Von Weizsäcker versucht in diesem Vortrag in einem ersten Kapitel zu<br />

z eigen, dass sich die Physik his torisch zur Einheit hin entwickelt hat. Davon<br />

ausgehend stellt er die Vermutung auf, dass die P hys ik in e iner<br />

abgeschlossenen T heorie vollendbar ist und ref lektiert darum auf den<br />

Begriff der abgeschlossenen T heorie. Er vermutet es s ei eine T heorie die<br />

aus m öglichst wenigen G rundannahmen hergeleitet werden kann und keine<br />

kontinuierlich variablen Parameter enthält. D ie s o postulierte E inheit der<br />

P hy sik untermauert nun die zentrale These des z weiten Kapitels: alle<br />

G r undannahmen der einheitlichen Physik folgen aus den Bedingungen der<br />

M öglichkeit v on Erfahrung. D iese T hese wird im letzten Kapitel als<br />

heuristisches Prinzip verwendet, welches der H erleitung dies e r<br />

G r undannahmen dient.<br />

Grundbe griffe<br />

D iesen Ü berlegungen Von We izsäckers l iegen off enbar im Be sonderen die<br />

f olgenden Begriff e und Definitionen zu Grunde:<br />

A bge schlossene T heorie: „eine Theorie die nicht durch kleine Ä nde rungen<br />

verbessert w er den kann“ ( S. 215) und der möglichst wenige Forderungen zu<br />

Gr unde liegen<br />

Quantenmechanik: A llgemein gültige Theorie de r Bewegung die de n<br />

Dualismus aus Teilchen und Kraftfeld aufhebt<br />

E lementarteilchentheo r ie: T h eorie der vorkommenden O bjekte, d.h. von<br />

letzten G rundbausteinen, d e n U robjekten in einem zweidimensionalen<br />

Z ustandsra um<br />

Kosmologie: „Theorie de r G esamtheit der w irk lich existierenden Objekte“<br />

( S .221)<br />

E inheit der Phy s ik: B egriff liche E inheit bedingt durch die Vollendung in<br />

einer abgeschlossenen The o r ie<br />

Wahrscheinlichkeit: Modus des Wissens über die Zukunft<br />

P robleme<br />

I st das Postulat der E inheit d er P hysik notwendig f ür e ine tra nszendentale<br />

Begründung (der gesamten, von Te ilen der Physik)?<br />

Kann e s e ine letzte T h eorie geben, deren G r enzen nicht durch die Physik<br />

definiert werden?<br />

1 Vortrag, unter dem Titel „Die Einheit der Physik“ gehalten auf der Physikertagung in München 1966, gedruckt in<br />

„Physikalische Blätter“ 23, 4-14 (1967)<br />

1


( 1) Die geschicht liche Entwicklung der Physik zur Einhe it<br />

Z unä chst mag man s ich ob der f ortschreitenden S pezialisierung der P hysiker<br />

wundern, ob e s s o etwas w ie die Einheit der Physik geben kann. Eine<br />

mögliche Antwort auf dieses Pr oblem is t das f olgende S chema der<br />

E ntwicklung von der Einheit des Entwurfs über die Vielheit der Er fa hrung<br />

zur Einheit:<br />

1. Die Physik nimmt ihren Anfang in einem ersten abgegrenzten Erfahrungsbereich.<br />

2. Ein Erfahrungsbereich wird angemessen durch eine erste abgeschlossene<br />

Theorie beschrieben.<br />

3. Eine erste Theorie zu einem Erfahrungsbereich kennt ihre Grenzen nicht.<br />

4. Die Anwendung der ersten Theorie überschreitet ihren Erfahrungsbereich<br />

5. Die Begriffe einer Theorie sind jenseits Ihres Erfahrungsbereichs ungenügend<br />

6. Genügen die Begriffe einer Theorie der Beobachtung nicht, so ist sie<br />

unvollständig.<br />

7. Die erste abgeschlossene Theorie ist unvollständig<br />

8. Eine unvollständige Theorie kann durch geeignete Begriffe zu einer<br />

abgeschlossenen Theorie ergänzt werden.<br />

9. Es ist geboten eine abgeschlossene Theorie zum aktuellen Erfahrungsbereich zu<br />

haben<br />

10. Es ist geboten die unvollständige Theorie zu einer zweiten abgeschlossenen<br />

Theorie bezüglich eines zweiten abgegrenzten Erfahrungsbereichs zu ergänzen.<br />

Das Bestre ben die Erfahrung in einer einzigen abgeschlossenen T heorie<br />

zu beschreiben liegt also in der Natur der Physik. Iteriert man das obige<br />

S chema so hat man einen historischen Hinweis auf folgende<br />

Beha uptung : E s ist möglich die P hysik in e iner e inzigen<br />

abgeschlossenen Theorie zu vollenden.<br />

D iese Beha uptung lässt s ich nun durch vier Thesen , ergänzt um<br />

geeignete Zusatzannahmen, an f olgendem Argument ve ra nschaulichen:<br />

1. „Die Physik ist heute der begrifflichen Einheit näher als zuvor, weil sie ihrer<br />

abgeschlossenen Gestalt näher ist.“ (S. 209)<br />

1a. Die abgeschlossene Gestalt der Physik impliziert die begriffliche Einheit.<br />

1b. Die Physik ist der abgeschlossenen Gestalt heute näher als je zuvor.<br />

Z1. Die gegenwärtige Entwicklung der Physik lässt sich historisch extrapolieren.<br />

Z2. Diese historische Extrapolation lässt einen Endzustand erwarten.<br />

2. „Die Erreichung dieser“ abgeschlossenen „Gestalt ist eine endliche Aufgabe.“<br />

2a. Die begriffliche Einheit der Physik ist eine endliche Aufgabe.<br />

2b. Die abgeschlossene Gestalt der Physik kann in endlicher Zeit erreicht werden.<br />

3. „Jenseits dieser" abgeschlossenen "Gestalt wird es keine umfassendere<br />

abgeschlossene Theorie mehr geben, die man im bisherigen Sinne des Wortes<br />

Physik nennen wird.“ (S.209)<br />

Z3. Kann eine abgeschlossene physikalische Theorie als solche nicht mehr ergänzt<br />

werden, so ist sie vollendet.<br />

3b. Die Physik ist vollendbar, in einer letzten abgeschlossenen Gestalt.<br />

3c. Die Einheit der Physik in einer einzigen abgeschlossenen Theorie ist möglich.<br />

4. "Die abgeschlossene Physik wird gleichwohl Grenzen der Anwendung haben, die<br />

sie aber als Physik selbst nur ahnen und nicht angeben kann." (S. 209)<br />

2


Z unä chst steht und fä llt die S chlüssigkeit dieses A rguments und somit<br />

die Behauptung de r E inheit der Physik off enbar mit den<br />

Z usatzannahmen bezüglich de r historischen E ntwicklung. D a diese<br />

jedoch s e hr vage sind ist ein Beweis aus historischer P erspektive nicht<br />

möglich.<br />

Auch fraglich ist f ü r mich ob These 3a . und mit ihr The se 3b. und 4. zu<br />

halten sind. Dies hängt, so denke ich, an dem Be griff Physik.<br />

Von We izsäcker il lustriert dies e his tori s che Entwicklung nun am<br />

Beispiel der A tomtheorie a ls Ve re inheitlichung der Chemie mit einer<br />

physikalischen Theorie. Ausgehend von der Vorstellung des A toms a ls<br />

des w ahrhaft Se ienden, also einer Theorie über die letzten möglichen<br />

Bausteine, entsteht ein Konflikt zur klassischen M ec hanik, also der<br />

T he orie der durc h K r äfte v erursachten Be w egung. Versucht m an diese<br />

Kr äf te nämlich auf die Undurchdringlichkeit der Atome zurückzuführen,<br />

s o müssen diese al s ausgedehnt und s omit als mit inneren<br />

F r eiheitsgraden belegt angenommen werden. D ies w idersprich t jedoch<br />

dem Konzept der Unteilbarkeit.<br />

D ie L ösung dieses Problem s sei nun die Q uantenmechanik, die den<br />

Begriff des K ra ftfeldes m it dem Teilchenbegri ff im neuen<br />

Wahrscheinlichkeitsbegriff v ereint. S ie ist zunächst zw a r nur die<br />

Ve re inheitlichung von Chemie und klassischer Mechanik. Ergänzt durc h<br />

eine T heorie letzter Bausteine, der Elementarteilchentheorie, ist s ie<br />

nach von Weizsäcker jedoch ein K a ndidat f ür die Ve re inheitlichung der<br />

gesamten Physik.<br />

( 2) Die Einhe it der Physik als philosophisches Problem<br />

Angesich ts des Sc heiterns die E inheit der Physik a us historischer<br />

P erspektive zu beweisen ist ein nä chster möglicher S chritt die Einheit<br />

der Physik als philosophisches P roblem zu behandeln, d.h. „eine<br />

Reflexionsstufe höher zu s t eigen a ls die Physik“ ( S .213) und zunächst<br />

zu fragen unter welchen Bedingungen Physik überhaupt möglich ist.<br />

D ie Antwort darauf ist die zentrale These dieses Kapitels:<br />

„ We r m it hinreichendem D enkvermögen analysieren k önnte, unter<br />

welchen Bedingungen die E rfahrung überhaupt m öglich ist, de r m üsste<br />

z eigen können, dass aus d e n B edingungen bere its alle allgemeinen<br />

Geset z e der P hysik folgen. D ie so herleitbare Physik wäre gerade die<br />

vermutete einheitliche Physik.“ (S.217)<br />

S ystematischer Kommentar zur Be gründung :<br />

O ffe nbar haben w ir es mit transzendentalen Ü berlegungen zu tun. Von<br />

Weizsäcker s ucht n ach d en Bedingungen der Möglichkeit von<br />

physikalischer E r fa h rung. U nser Wissen um die M öglichkeit von<br />

physikalischer E r fa hrung vorrausgesetzt können w ir uns s o ein<br />

physikalisches Wissen a priori e rschliessen. D a s folgende Sc hema gibt<br />

ein Beispiel für ein solches Wissen:<br />

3


1. Das Leben ist nicht ohne Erfahrung möglich.<br />

2. Erfahrung heisst aus der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.<br />

3. Wir leben ganz offensichtlich.<br />

4. Wir lernen aus der Vergangenheit für die Zukunft.<br />

5. Das Lernen vollzieht sich in Begriffen.<br />

6. Wer aus der Vergangenheit für die Zukunft lernt erfährt die drei Zeitmodi.<br />

7. Wir denken (in wiederkehrenden) Begriffen.<br />

8. Unser Denken und unsere Erfahrung vollziehen sich in den drei Modi der Zeit.<br />

D ie obige Behauptung ist d amit na türlich noch nicht gezeigt. I hr Ziel<br />

kann es nur s e in e in zukünftiges P rogram m z u definier en das ihre n<br />

Beweis herbeiführt.<br />

Dennoch stellt s ie off ensichtlich einen Zusammenhang z ur e inheitlichen<br />

P hysik her, der einer Er klär ung bedarf. Zunächst einmal hält Von<br />

Weizsäcker die Behauptung de s ersten Kapitels, dass die E inheit der<br />

P hysik möglich ist, aufr ec ht.<br />

E r ergänzt diese Behauptung um die folgende Vermutung :<br />

E ine T heorie ist genau dann e ine abgeschlossene T heorie wenn sie aus<br />

möglichst wenigen Forderungen hergeleitet werden kann.<br />

E in Beisp iel, das diese Vermutung stützt, ist die Re lativitätstheorie.<br />

D iese is t eine abgeschlossene Theorie und sie folgt vollständig aus den<br />

P ostulaten des Relativitätsprinzips und der K onstanz der<br />

L ichtgeschwindigkeit.<br />

I n die Begründung d er T hese gehen diese A nnahmen also off enbar<br />

insofern ein, a ls s i e eine Reduktion der P hysik auf möglichst wenige<br />

P ostulate verspre chen, aus denen w iederum die ge samte theoretische<br />

P hysik folgen kann.<br />

I m Vergleich zu K ant s chlägt Von Weizsäc ker also ein w eitaus<br />

r adikaleres Vorhaben vor. Und dieses Vorhaben, d.h. die gesamte<br />

physikalische T heorie a priori zu be gründen, ist selbstverständlich nur<br />

s innvoll sofern diese letzte Theorie existiert.<br />

( 3) Arbeitsprogramm für d ie Herst ellung der Einheit de r Physik<br />

Das U nternehmen die e inhei tliche P hysik transzendental zu be gründen a lso<br />

s etzt off enbar voraus, dass die einheitliche P hysik gefunden w ird, d.h. auch<br />

als physikalische Theorie akzeptiert ist, insbesondere experimentell.<br />

Da sie insofern ü ber die bestehenden T heorien hinausgeht ist es a lso<br />

zunächst notwendig die T h es e , das s die P hysik a us den B edingungen der<br />

M öglichkeit von Erfahrung f olgt, als „ heuristisches P r inzip“ ( S.219) zur<br />

E rreichung der einheitlichen Physik zu verwenden.<br />

A ls entscheidend gilt hier der obe n erwähnte Z eitbegriff z ur Herleitung de r<br />

Quantenmechanik von der ausgehend e s möglich sein soll eine T heorie<br />

letzter B austeine, a lso eine E lementar teilchentheorie a us de r<br />

Quantenmechanik zu deduziere n.<br />

4

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