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Auszüge aus dem Tagebuch 1800 - Online-Didaktik Deutsch

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1.) Alexander von Humboldt: <strong>Tagebuch</strong> <strong>1800</strong> - Am Orinoko<br />

[24V] Ein gräßlicher Vorfall, der noch lange meine Einbildungskraft beschäftigen wird. Unterhalb<br />

der Vuelta des Algodonal, wo wir den Mittag in einer fürchterlichen Sandwüste (immer ein trockner<br />

Theil des Flußbettes) zubrachten, trieb mich die Neugierde, crocodille in der Nähe schlafend zu<br />

beobachten, weit von den Gefährten weg. Ich ging allein, ohne alle Waffe <strong>dem</strong> Strande nach. Zufällig<br />

bückte ich mich, um den Glimmer im Sande.<br />

24R] Ich sah neben mir frische Tigertritte, gewaltige, leicht erkennbare Tatzen. Ich blickte<br />

mechanisch der Spur nach - und etwa 30 Schritt von mir entfernt, vor mir etwas rechts sah ich einen<br />

gewaltigen Tiger im Schatten einer Sauzahecke liegen. Ich fuhr schrecklich zusammen, doch verlor<br />

ich keinesweges die Besinnung. Ich war wie bei aller großer Gefahr in einer völligen Ergebung, <strong>dem</strong><br />

Schicksal mich überlassend. Ich besinne mich deutlich, daß mein inneres Gefühl mir zurief, nicht<br />

feige, denn nun ist es auf einmal <strong>aus</strong> mit Dir. Das zweite Gefühl war, kannst du dich retten, so laufe<br />

nicht. Ich wandte mich behend um und ging langsam rückwärts, <strong>dem</strong> Ufer zu, langsam, ich zwang<br />

mich, wollte langsam gehen, aber die Furcht vor der furchtbaren Katze spannte mich mächtig an.<br />

Nach 5-6 Min[uten] hielt ich es nicht für gefährlich, mich umzublicken. Der Tiger, wohl gemästet,<br />

saß majestätisch vor wie nach unter <strong>dem</strong> Laubdach, stier über den Fluß blickend, mich keines<br />

Anblicks würdigend. Beruhigter eilte ich nun weiter. Als ich mich noch einmal umsah, wo der Fluß<br />

einen Busen macht, hatte der Tiger seinen Platz verlassen, wahrscheinlich auf Affengeschrei, das ich<br />

tief im Walde wahrnahm. Lief ich oder schrie ich vor Schreck auf, so war ich verloren! Wir gingen<br />

nun mit Gewehr alle samt den Indianern <strong>dem</strong> Tiger nach, fanden ihn aber nicht mehr. So war ich bis<br />

heute <strong>dem</strong> Tigerrachen entronnen! Ardea tota alba, capite laevi, rostro cinereo, ped[ibus] nigris,<br />

digitis flavis, long[itudo] 10 po[uces]. Die kleinste, sehr niedliche Spec[ies] Garzón chico, an<br />

var[iatio] Ard[eae] albae L.? Plothus Anhinga, sich auf den Baumstämmen sonnend, welche mitten<br />

im Apure hervorstehen; die Überschwemmung führt sie her, oft Stamm von 40 F[uß] Umfang,<br />

Hymenea courbaril <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Flusse, wo er am tiefsten hervorragend und noch im Sandigen Grunde<br />

eingegraben, sonst würde ihn [der] Strom ja wegführen. Man schließe <strong>aus</strong> diesem auf die Mächtigkeit<br />

dieser Baumformen. Diese Stämme sind [die] Hauptgefahr des Apure. Die Boote schlagen, wenn sie<br />

unter <strong>dem</strong> Wasser verborgen liegen, leicht daran um. Wir erhielten einige fürchterliche Stöße, und<br />

gerade um diese Stämme stets harrende crocodille, die den <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Boot fallenden Fremden<br />

empfangen. Die Flußschiffahrt [ist] für die Naturbeobachtung am vortheilhaftesten. Wie lange könnte<br />

man im Festen Lande umherstreifen, ehe man jene Schar von Thieren in der Nähe beobachten könnte,<br />

welche des Fischfanges, Raubes, Trinkens oder der Kühlung wegen <strong>aus</strong> <strong>dem</strong> Dickicht an den Fluß<br />

hervortreten. Wie bequem kann man hier schießen, die Sitten beobachten, ja den Thieren sich auf 5<br />

F[uß] nahen, da sie großen Theils nie, nie Menschen gesehen haben! Aber wieviele Thiere sieht man<br />

durch [das] Fernrohr halb verwirrt, die man nicht beschreiben kann. Wenn weitreisende Naturalisten,<br />

Banks, Sparrmann, Nee die Menge der Gewächse zählen, die sie nie mit Blüthen gesehen, die Menge<br />

der Vögel, die sie nie in der Nähe beschauen konnten - so wird es wohl klar, daß wir kaum zwei<br />

Drittel der Thier- und Pflanzenspecies bisher ordentlich kennen! Bei Vuelta de Basilio (hier<br />

Schwalben) sahen wir zwei wunderbare schwarze, kleine (2 F[uß]) Affen, ganz schwarz ohne<br />

Abzeichen, mit Rollschwänzen. Was war dies? Ein deutscher Professor wird von diesen genaue<br />

Beschreibungen fordern. Schade, daß die Thiere nicht die Mäuler aufsperren, um die Zähne zu<br />

zählen.<br />

http://london.rz.fh-offenburg.de/cgi-bin/avh/abfrage_form.pl?name=crocodil<br />

-------------------------------------------------------------------------------------------------<br />

[26R] Viel Tiger am Einfluß des Apure in [den] Orinoco, wir fanden einen, wo wir eben [die]<br />

Hamaken aufschlagen wollten und gingen deshalb bis an den Einfluß selbst. Dort (ich wachte spät<br />

und konnte wegen Crucis-Beobachtung nicht einschlafen),* dort lockte das Feuer (das man der Tiger<br />

wegen anzündete) offenbar die neugierigen Toninen und Crocodille herbei**. Wir sahen zwischen 1-<br />

3 Uhr Nachts die Köpfe und Schweinsrüssel der letzteren 3 t[oisen] von unseren Hamaken. So<br />

gewöhnt man sich an alles. Lerm wegen eines jungen [27V] Tigers, den [die] Mutter wahrscheinlich<br />

saufen führte. Er kehrte in den Wald zurück und schrie wie eine junge Katze! [Die] Flußmessung<br />

G. Einecke/alexander-von-humboldt-reisenorinoko1-tagebuch.doc/07.10.04/5<br />

1


taucht wenig, da der Fluß hier unbestimmt einen See bildet und die Wendungen in eines<br />

zusammenfließen. Längen- und Breitenbestimmung sehr genau. Der Apure mündet sich unter sehr<br />

rechtem Winkel ein, daher stämmen [die] Wasser so gegen und treten <strong>aus</strong>. Jetzt [der] Apure, der im<br />

Caño Rico 340 var[as] breit war, vor Armuth kaum erkennbar. Er hatte in Einmündung in Orinoco<br />

kaum 60 varas Breite und nicht 3 Lachter, wo am tiefsten, Teufe. Schon seit Vuelta del Secondo<br />

Cochinito und isla Carisalis nimmt [der] Apure sichtbar ab. Von da an seine Mittelbreite jetzt kaum<br />

130 varas und doch im Caño Rico, obgleich nicht sehr tief, doch ganze 340 varas breit mit Wasser<br />

gefüllt. Wo bleibt diese Wassermasse, denn bloß [der] R[io] Arichuna geht <strong>aus</strong> [<strong>dem</strong>] Apure ab, und<br />

dieser ist jetzt ebenfalls fast wasserlos. Am wahrscheinlichsten, daß der Fluß in der großen Länge und<br />

fürchterlichen Breite an den Sandufern und Bänken viel Wasser einbüßt. Wo wir in [der] playa (und<br />

war es 100 var[as] vom jetzigen Fluß ) [einen] Pfahl eingruben, um [die] Hamaken zu befestigen,<br />

spritzte uns Wasser entgegen. [Das] Wasser des Apure [ist] gelblicher, unreiner, [das] Orinoco-<br />

Wasser mehr <strong>dem</strong> Meerwasser ähnlich, bläulich-grün. Die Wasser unterscheiden sich in einem Bette<br />

ungemischt bis gegen Cabruta. Im Orinoco sieht man weniger Vögel, weil [der] Wald entfernter. Er<br />

hat alles um sich her verwüstet, ist nicht [ein] Kanal wie [der] Apure durch des Waldes Dickicht,<br />

wenigstens an wenigen Punkten. Mit Mühe zog man uns am Seile bis in den Oronoco, und dort<br />

gingen wir unter Segel Stromaufwärts. [Der] Ostwind sehr heftig. [Die] Wellen 3 F[uß] hoch<br />

schäumend, ganz wie im Meere. Auch fing B[onpland] schon an, Seekrank zu werden. Welche<br />

Wassermassen so entfernt vom Meere! Man sieht hier weniger Crocodille als im Apure, weil [der]<br />

Fluß tiefer, aber größere, denn die großen im Apure suchen das tiefere Orinoco-Wasser. Ich erstaunte<br />

zu sehen, wie mitten im Wellenschlag gegen den Wind diese Ungeheuer über den Strom<br />

schwammen. Apure ewig im Llano. Etwa 1/2 leg[ua] vor [der] Einmündung bei Vuelta del Palmito<br />

wird man angenehm überrascht. Man sieht, doch nur auf Augenblicke, das Gebirge von Encaramada.<br />

Am Einfluß [die] Aussicht sehr reizend. Gegen Süden erblickt man eine hohe Gebirgskette, die<br />

aneinanderhängend in hohen Kuppen von Osten gegen Westen streicht, aber gegen Osten nicht über<br />

[27R] [den] Strom setzt.* Der Orinoco fließt hier von Südwest gen Nordost St[unde] 2,3, einem<br />

Seearm ähnlich, östlich von der Gebirgskette einen Wasserhorizont bildend a b. Das östliche Ufer b c<br />

ist Savanna, aber ein hohes Erdufer, einem Cap ähnlich. Vor der Cordillera de Encarama[da], die ihm<br />

als Hintergrund dient, steht die Felskuppe Curiquima, ein 20 t[oisen] hoch, die in der zweiten<br />

Jahreshälfte eine Insel bildet - Granit, sehr quarzig und in Kugelformen unregelmäßig geklüftet. Eine<br />

Art Küssen (Gerhard) wie am Fichtelgebirg und Schles[ischen] Schneegebirge. Zwischen den<br />

Waldbäumen auf der Kuppe stehen Felsen Thurmähnlich (Schnarcher) hervor. In Nordost, mit der<br />

Cordillera nicht zusammenhängend, einzelne Gebirgskuppen, Hügel (doch alle Urgestein) Cerro<br />

Aguero, Pan de Azúcar bei Caicara und der Capuchino unfern Cabruta. Im Orinoco (Ruf sehr<br />

fälschlich) selbst in [der] Regenzeit wenig Ungeziefer [an der] playa, bloß Mücken, mosquitos, aber<br />

im Apure von [der] Boca an bis Diamante (minder in S[an] Fernando) soviel Ungeziefer, besonders<br />

die langbeinigen, berufenen Sancudo's (sie stachen uns durch Hamake, Bettlaken und dicke Hosen<br />

von Drillicht), daß die Schiffer es gar nicht vom Jun[ius] - Dez[ember] versuchen, sich schlafen zu<br />

legen. 5. April. Stromaufwärts. An [der] Einmündung des Caño de Encaramada sieht man in der<br />

Ferne den berühmten Cerro de Encaramada, ein Zufall, der sonderbar genug, in der Schweiz, Tyrol<br />

und allen hohen Gebirgsländern aber gemein genug ist[:] Felsspitzen, die <strong>aus</strong> [einem] Wald<br />

hervorragen und ein Stein, der auf den anderen steht.** Encaramar heißt subir aufsteigen.***<br />

Gegenüber wohnten einst wie auf der Insel de Encaramada die Indios Guaricotos. Nahe am Eingang<br />

ein sehr malerischer Steinhaufen.**** Abgerundete Felsmassen 3-4 L[achte]r lang, wie ein<br />

Grabhügel (Hünenbetten in Over-Yssel, Campen) aufgethürmt. Wohl Granit, allerdings [bricht ab]<br />

Von Algodonal an bemerkt man im Erdreich um [den] Apure eine Veränderung. Der Sand wird je<br />

näher <strong>dem</strong> Orinoco desto glimmerreicher. Ja die Flußwellen setzen den Glimmer in Schichten ab, die<br />

lettenartig und stellenweis unter 40-50° regelmäßig einschießend, verwittertem Glimmerschiefer<br />

täuschend ähnlich sehen. Dieser Glimmer gewiß vom Süden her, von [der] Cordillera de Meta oder<br />

Encaramada, denn daß der Apure jetzt mit 18 Zoll! Gefälle gegen Südost fließt, entscheidet<br />

geognostisch nichts.<br />

G. Einecke/alexander-von-humboldt-reisenorinoko1-tagebuch.doc/07.10.04/5<br />

2


[26] *Wir schliefen auf [der] Isla de Apurito in [der] Prov[inz] Caracas, uns gegenüber [am] rechte[n] Ufer des<br />

Orinoco Guayana, [am] rechte[n] des Apure Prov[inz] Barinas.<br />

**Wir haben zwei Monathe lang deutlich bemerkt, daß Feuer die Crocodile anlockt, also Natur der Fische, Krebse<br />

... die alle <strong>dem</strong> Feuer folgen!<br />

[27]**Nach [der] Entfernung zu urtheilen kann dieser Steinzapfen wohl ein 80 F[uß] hoch sein. Ganz so auch<br />

Granit. Taddi cuzuzzu in Congo river. Tuckey, p.97.<br />

***Encaramad: [in] Tamanaque berg, tipu-iri Stein, topu tartarisch. Gili, III, p.376.<br />

****Indiens croient que la mer vint jusque là. Gilj, II, p.234. Dort auch Inschrift!<br />

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[28V] Größte indian[ische] Embarcation auf [<strong>dem</strong>] Orinoco: Bongo, kleiner Piragua, kleinste<br />

Curiara.* Ein vornehmer Indianer, Cacique (<strong>aus</strong> Panapana, Cariben kommen des Schildkrötenfanges<br />

wegen) begegnete uns. Er unter Palmenzelt. Er, seine Leute mit Pfeilen und seine Curiara, alles mit<br />

Onoto bestrichen. (Manteca de Tortuga und Frucht der Bixa Orellana, [die] Salbe heißt Onoto).<br />

Theils Eitelkeit, theils um sich gegen Ungeziefer und Sonne zu schützen. Mit einer Tutume Onoto ist<br />

der Fürst, sein Hofgesindel und sein Schiff auf 8 Tage bekleidet, angestrichen.** Segel vom Petiolus<br />

der Palme Morichi. Bei Encaramada läuft am Hafen! eine Granitkuppe in den Orinoco vor.<br />

Grobkörniger Granit in Hügel à 40-50 Fuß aufgethürmt in runden Butzen, nicht Kugeln! sich nicht<br />

schälend. Ganz das Phänomen, welches [der] Granit überall bei Wunsiedel, Schlesien, Gotthard ...<br />

darbietet. Das ganze Gebirge von Encaramada*** besteht <strong>aus</strong> diesem Granit, welcher wahrscheinlich<br />

östl[ich] in [der] Isola de Apurito die Sandwüste (wie in [der] Mark Brandenburg, Holland, Münster<br />

...) unterteufend übersetzt. Ich sage wahrscheinlich, denn an [der] Mündung des Cabuliare steht<br />

mitten im Orinoco ein runder Granitfels (wie ein 6-8 F[uß] breiter Teller) als Klippe vor. Das<br />

Granitgebirge von Encaramada kaum 100-130 toisen hoch und (wie es scheint) isolirt, inselförmig<br />

sich <strong>aus</strong> der Sandebene emporhebend.**** Cariben. Diese und viele andere von Costa de Paria bis<br />

Buen Pastor ... die ich in Chaimas Mission gesehen, ächte alte Cariben, die keinesweges die<br />

Kopfform haben, welche Blumenbach so berühmt gemacht hat. Alle, die ich gesehen, völlige<br />

Chaimasform, nichts besonderes im Schädel, von schlankerem Wuchs, größer und etwas schöner als<br />

Chaimas, minder platt, größere schwärzere Augen, sehr ernster Blick, nicht arglistig, aber ruhig<br />

gr<strong>aus</strong>am. Sehr, sehr schwarzes Haar, aber freilich bei [den] meisten, besonders der Cacike,<br />

Augenbraunen, Haar und Bart schwarz gefärbt.***** Im Ganzen schwer zu cultivirende, aber<br />

verständige Indianer, die ihre Gr<strong>aus</strong>amkeit nur gereizt <strong>aus</strong>üben. Viele Personen, welche den Rest der<br />

Cariben auf Inseln gesehen, versichern ebenfalls, daß auch diese keine plattgedrückten, sondern ganz<br />

gewöhnliche Schädel haben. Also Blumenbachs Kopf wohl Zufälligkeit? 6. April[is]. Die Sierras de<br />

l'Encaramada scheinen aneinanderhängend, sich sehr weit im Osten zu erstrecken. Ihre Breite von<br />

Nord gegen Süden ist kaum 3 leguas. [Der] Granit senkt sich in die Tiefe und weiter südlich wieder<br />

Ebene, aber ein sehr grobkörniger, scharfer, knirschender Granitsand. Nachts sehr stürmig, des<br />

raffles. Sonderbar, daß im Orinoco diese raffles weit stärker als im Llano sich fühlen. Haben die oben<br />

genannten Granithügel Antheil daran?<br />

[28R] Vor <strong>dem</strong> Winde welche freundlich milde, helle Nacht! Einen heitereren Himmel sah ich nie. In<br />

10° Höhe kein scintillement der Sterne. Und Jupiter als sichtbare Scheibe, wie durch ein Fernrohr!<br />

Rana nivea, der R[ana] Arborea ähnlich, alba, dorso punctis minutissimis atro-caeruleis notata, ventre<br />

lutescente, pedibus niveis, vagulis obtusis, compressis rotundatis. Auf Sträuchern. Sehr zahm. Irides<br />

aureae. Wasser. Der Apure an verschiedenen Orten, obgleich scheinbar auf einerlei Sande, von<br />

verschiedenem Geschmack. [Die] Indianer glauben, die Crocodille geben ihm hier und da den<br />

widerwärtigen Geschmack, sagen scherzend, daß die alten la cagada mui amarga haben. Allerdings<br />

sehr möglich, daß diese großen Ungeheuer, von denen viele faulen, die großen schleimigen Toninas,<br />

Manatís ... und andere, die Beschaffenheit eines so langsam fließenden Wassers ändern. [Das]<br />

Orinoco-Wasser soll purgiren, hat für mich [einen] eigenen, widrigen Geschmack, süßlich und wie<br />

<strong>aus</strong>gesonnt, <strong>aus</strong>gekocht! Wie der Mensch allem trotzt! Wir baden uns jetzt schon mitten unter<br />

Cariben, Sägen, Rayas und Crocodillen. Ein Indianer warnt immer den anderen, und nach und nach<br />

baden wir uns alle. Die Badelust erfindet immer Gründe, warum gerade hier, des Ufers, Badens, der<br />

Tageszeit ... wegen Crocodille nicht sich nähern. Ein wahres Hazardspiel, denn jährliche Beispiele<br />

beweisen, nach derselben Versicherung der Indianer, daß alle diese Gründe falsch sind. Auch werden<br />

G. Einecke/alexander-von-humboldt-reisenorinoko1-tagebuch.doc/07.10.04/5<br />

3


esonders Indianer ihrer Sorglosigkeit wegen genug gefressen. Aber die Gefährten sind, wie bei<br />

allem Unglück der Mitreisenden, gleichgültig. Man sagt mit Recht: Quien va con Indio, va solo. Man<br />

hat hundert Beispiele. [Die] Indianer sitzen im Vordertheil des Schiffes. Einer fällt ins Wasser. Man<br />

könnte ihn retten, [das] Segel einziehen. Nein! Keiner der Kameraden schreit, keiner spricht ein<br />

Wort. Der Steuermann sieht den Indianer schon weit hinter sich. Man macht den Indianern Vorwürfe.<br />

Er kann schwimmen, und kann er das Schiff nicht erreichen, nun so ersäuft er, so holt ihn Tixitixi<br />

(der Teufel). Ein eigener Charakterzug des Wilden (denn was man als Eigenthümlichkeit des<br />

Amerikan[ischen] Indianers verschreit, gehört allen Menschen im Naturzustande zu), <strong>dem</strong> lebenden<br />

Gefährten gefällig; keiner trinkt, ißt etwas allein, ohne nicht <strong>dem</strong> Gefährten mitzugeben; aber scheint<br />

der Gefährte <strong>dem</strong> Tode nahe (durch Tiger, Crocodill, vor Krankheit sterbend) nun, so ist er nicht<br />

mehr Glied dieser Gesellschaft, er gehört <strong>dem</strong> Tixitixi, keine Hülfe, kein Mitleid, keine Klagen!<br />

[28]*Kleinster Canoa; der Bongo rund, Piragua scharfkielig.<br />

**Die Guainaves in Caura malen sich auf Onoto mit gepulvertem Glimmer, gold- und silber-Streifen, Tressen auf<br />

nak<strong>dem</strong> Leibe!<br />

*** Encaramada: Dies Gebirge erstreckt sich zusammenhängend östlich durch [die] Montes Amoco und Piedra<br />

Morciélago fort. Man hat es bis an [die] Quellen des Ventuari verfolgt, der am südl[ichen] Abhange entspringt. Dort<br />

[die] Yndios Mapoyos und Pareká, noch sehr zahlreiche und gutmüthige Stämme, welche vortreffliche Conucos in<br />

der das Gebirge umgebenden fruchtbaren Savanna haben. In [der] Quebrada del Tigre bei Encaramada fand man<br />

einmal ein Erbsgroßes Stück Gold, aber nicht mehr. Waschgold? *Verschiedene Sitten. Chaimas sehr eifersüchtig<br />

mit Frau. Der Otomaque und Yaruro in Isla de Achaguas, denn [die] alte[n] ursprüngl[ichen] Einwohner Achaguas-<br />

Indianer sind nach und nach in die südlichen Wälder entflohen, bringen für Brandwein Weib und Töchter, aber sie<br />

bestehen darauf, der Staatsaction beizustehen, was genant genug ist.<br />

**** Im Granitberge, an <strong>dem</strong> Urbana liegt, hat Fr[ay] Ramón Bueno eine Höhle (Kluft) entdeckt, in <strong>dem</strong> ein<br />

natürl[icher] Granitblock mit eingegrabenen Charakteren (fast wie hebräische Buchstaben); an ein Grabmal? [Die]<br />

Indianer sagen, sei von [der] Zeit, da Steine weich seien und man mit Finger Chiffern eingedrückt. Eine Zeit<br />

andeutend, wo Indier Schriftzüge hatten; einst mehr Kultur! In Encaramada auf höchsten Steinen Hieroglyph[ische]<br />

Tiger, Eidexen eingegraben.<br />

*****Sehr eitel; um tiefe und dicke Waden zu haben, tragen [die] Kinder baumwollene, sehr enge Gürtel an<br />

verschiedenen Theilen der Füße, fleisch einschneidend.<br />

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[29V] Am 6. April[is] morgens um 11 Uhr trieb uns ein frischer Nordost in die Boca de Tortuga, wo<br />

mitten im Orinoco eine beträchtliche Sandinsel, in der die pesca de Tortuga von Urbana. Das zu<br />

sehen und in Hoffnung, Eßware dort einzukaufen, denn schon mangelten wir an Provision, landeten<br />

wir dort, vielleicht zu unserem Verderben. Dort [eine] Art Lager, Palmhütten und Zelte, an 300<br />

Mann, theils Indios Guamos und Otomacos, die bösartigen Einwohner von Urbana (man zählt dort<br />

760 Einwohner), theils Indianer vom Norden, Orinoco, spanische Speculanten <strong>aus</strong> der Guayana, die<br />

den Indianern die Manteca de Tortuga abkaufen, theils Pulperos ... Der Missionär von Urbana<br />

campirt hier ebenfalls, theils um [die] Messe zu lesen, theils um selbst Eier zu suchen, theils zu<br />

regiren; denn diese Gesellschaft bildet eine eigene Republik. Der Padre ernennt einen verständigen<br />

Mann, Comisionado, der mit ihm die Gerechtigkeit verwaltet. Der Padre sehr freundlich und ziemlich<br />

gebildet, <strong>aus</strong> Alcalá de Henares. Welch eine Freude für einen Spanier, überall europäische Landsleute<br />

zu finden! Der Missionär sprach viel von der Noth, die er und seines Gleichen leide und freute sich,<br />

als wir sein Kind sehr feist und weiß fanden! Denn die Maitresse (manceba) zieht mit ins<br />

Schildkröten-Lager; man hört hier von nichts, nichts als Schildkröten sprechen. Was ich erfahren, ist<br />

dies. Vom Ausfluß des Orinoco bis Apure oder Cabruta keine Fischerei, weil [die] Tortuga des<br />

ewigen Schiffens wegen Stromaufwärts geht und Ruhe sucht. Fischerei von Einmündung des Apure<br />

bis Raudales und zwar nur drei berühmte: Boca del Cabuliare (oder Encaramada), Boca de la Tortuga<br />

oder Pesca de Urbana und endlich Boca de Pararuma unterhalb Carichana,** letzte beiden, besonders<br />

letzte am stärksten. Doch könnte man an manchen anderen playen noch Fischereien anlegen. Man<br />

sammlet nur Eier einer Schildkrötenart, der großen, die man schechthin Tortuga nennt (auch in<br />

Llanos, Guárico, Apure, Uritucu häufig) und nicht die minder runden, [29R] länglicheren Eier der<br />

Terekay.*** Die Tortuga fängt im Januar an häufig und täglich auf der playa, Sandufer, zu landen<br />

und sich dort, was ihrer Schwangerschaft sehr zuträglich, zu sonnen. Dies Sonnen dauert bis Ende<br />

Februar und Anfang Merz, wo sie Eier legen. Sie püssen in den Sand (sonst wäre es unmöglich) und<br />

scharren mit [den] Hinterbeinen ein 2 F[uß] tiefes und 3 F[uß] langes Loch, worin sie Eier legen und<br />

G. Einecke/alexander-von-humboldt-reisenorinoko1-tagebuch.doc/07.10.04/5<br />

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scharren zu. Sie thun dies am Abend bei einbrechender Nacht, sie thun es nur ungesehen und wenn<br />

alles still ist. Daher stellt man zu der Zeit Wachen bei Nacht, welche den Schiffern zurufen, daß<br />

niemand dort in der Nähe schiffe, noch minder dort gehe. Der Drang der Schildkröten zum Eierlegen<br />

[ist so groß], daß viele in das Loch der anderen steigen, ihre Eier auf jene legen und daher über 30 p.<br />

Cent Eier selbst zerbrechen, wie man an [den] Schalen erkennt. Man nennt dies[e] tolle, tontas. Oft<br />

verspäten sich Schildkröten, sind Morgens um 9 Uhr noch nicht fertig und dann so toll wüthig, daß<br />

sie nichts fürchten und durch die Beine eines Menschen durchlaufen. Die Schildkröte ist so<br />

vorsichtig, daß sie, ehe sie zum Eierlegen ans Land steigt, den Kopf hoch im Wasser aufstreckt, um<br />

zu sehen, ob am Ufer alles ruhig und Tiger- und menschenleer sei. Tigerleer. Denn dies größter<br />

zerstörer der Schildkröten, besonders in diesem Jahr.* Der Tiger fällt über die Schildkröte am Ufer<br />

her, ja verfolgt sie ins Wasser, wo wenig Wasser ist und reißt mit der Katzenklaue mit wundersamer<br />

Geschicklichkeit die ganze Schildkröte <strong>aus</strong> der Schale her<strong>aus</strong>. Also eine Tigerklaue besser als alle<br />

von Menschen erfundene Instrumente. Wir zerbrechen [die] Schalen, und welche Arbeit (in Cumaná<br />

thaten es für uns, um Schalen zu conserviren, die Gefangenen), wenn man [das] Thier, ohne [die]<br />

Schale zu zerbrechen, <strong>aus</strong>schält. Man zeigte uns viele Schildkrötenschalen, die [ein] Tiger<br />

<strong>aus</strong>geschält hatte! An Ende Merz, Anfang April bilden sich die Lager, und dann fängt in pedantischer<br />

Ordnung [30V] das Eiersuchen an. Man arbeitet an drei Wochen. Das Sammlen ist ein ordentlicher<br />

Bergbau, etwa wie auf Bernstein. Die Eier liegen 3 F[uß] tief bis 20 t[oisen] von der Küste im Sande,<br />

der bis 44° R. sich erwärmt. Man sticht mit Rohr in die Erde und fühlt <strong>aus</strong> [der] Lockerheit des<br />

Bodens, ob dort Eier liegen. Man wühlt dann mit den Händen, zerschlägt die Eier in hölzerne, mit<br />

Wasser gefüllte Krippen, an der Sonne verdickt sich das Gelbe, man schöpft das Öl ab und kocht es<br />

endlich am Feuer ein. Die playa von Urbana giebt jährlich an 1000 botijas (jede à 25 bouteilles oder 1<br />

botija = 1000 Quadratzoll) manteca de Tortuga; also kann die ganze Eiersucherei, pesquería de<br />

tortuga des Orinoco, an 3-4000 botijas geben. Jede botija ist in Angostura 2 bis 2 ½ peso werth.<br />

Handel und Gewinn dieser: Ein Schildkrötenhändler <strong>aus</strong> Angostura, Cabruta, kauft von [den]<br />

Indianern nach und nach 300 botijas, jede à 1 peso = 300 pesos. Er hat Kosten in 2 Monathen, welche<br />

Suchen, Einkochen, Läutern, Einschiffen kostet 60 ---- Lancha, Patron und 4 peones, Knechte,<br />

letztere jeder ----- à 5 pesos pro mes 10 ----- 2 Köche. Nahrung für Knechte 20------Casabe 30-------<br />

Zufällige Ausgaben ------<br />

420 p[esos] Ausgaben. In Angostura für 600, ja bisweilen 750 p[esos] verkauft, also an 70-90 p. Cent<br />

Gewinn im Handel. Eine Schildkröte legt 100-116 Eier. Die des Terekay darum nicht zu brauchen,<br />

weil das Thier die Eier zerstreut, weil nicht Hunderte Terekays an einem Orte ihre Eier legen. In<br />

Encaramada hat ein abgemessen Stück Ufer, 40 varas lang und 10 var[as] breit, bisweilen 100 botijas<br />

Manteca gegeben. 200 Eier geben 1 bout[eille] oder limeta, 24 bout[eilles] = 1 botija. Da ganzer<br />

Oronoco etwa 5000 botijas giebt jährlich, so erfordert dies 24 Mill[ionen] Eier, und wie viele<br />

zerbrechen, werden nicht gefunden, vom Tiger gegessen … Die Jesuiten ließen immer [eine]<br />

Eierschicht übrig zur Erhaltung der Schildkrötenmenge,*** jetzt leider!<br />

[29V] **Inclinais[on] magnét[ique] à Carichana 34°,30 nouv[elle] div[ision), 22,7 oscillat[ions]. Hygrom[ètre] quoique<br />

ciel tout noir 46° Deluc, th[ermomètre] 21° R.. Barom[ètre] à l'Oronoco de Carichana 335,7 l[ignes] à 6h soir, au<br />

pueblo de Carichana 336,6 à 12h midi.<br />

***Terekey. 14 pollicar[is]. Scut[a] centralia 3, ambientes (cum central[ibus] subhexagoni) 10. Marginalia<br />

quadrangularia reflexa 24. Scutum atro-viride. Corp[us] olivaceum. Caput in vertice maculis duobus ex flavescenti<br />

rubro variegatum. Manus et pedes palmati, 5 dactyli, ungulis acutis, sed digitus ultimus pedum sine ungulo. Guttur<br />

lutescens cum appendice spinoso. *Wilde schaden auch wie Tiger, da sie sich an [den] Orinoco vordrängen und die<br />

Mutter-Schildkröte, ehe sie Eier legt, wenn sie sich wärmt, töten mit Pfeilen! Auch Crocodille fressen tortugillas; in<br />

pesca de Pararuma fing man dies Jahr in einer Nacht 18 Crocodille.<br />

***Vor [der] Conquista [haben] Wilde nie auf jetzigen F[uß] pesca betrieben. Dazu gehört Civilisirung und Disciplin.<br />

[Die] jetzige Art ist von [den] Jesuiten eingeführt<br />

G. Einecke/alexander-von-humboldt-reisenorinoko1-tagebuch.doc/07.10.04/5<br />

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