Wie kommt die Wirklichkeit in Sprache und Denken? - Konzepte und ...
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<strong>Wie</strong> <strong>kommt</strong> <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Denken</strong>? –<br />
<strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames<br />
Das Verhältnis von <strong>Sprache</strong>, <strong>Denken</strong> <strong>und</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> ist im Oberstufenunterricht<br />
e<strong>in</strong> Schwerpunkt des Lernbereichs Reflexion über <strong>Sprache</strong>. Da das eher sprach-<br />
philosophische Thema wegen der Anforderungshöhe komplexer gedanklicher<br />
Sachtexte bei Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern nicht gerade beliebt ist, muss vor allem<br />
e<strong>in</strong> Frage- <strong>und</strong> Lesehorizont aufgebaut werden, z. B. mit GRZESIKs Konzept des<br />
themengeleiteten Lesens.<br />
Foto: Zeitungsverlag FREITAG<br />
UNTERRICHT & MATERIALIEN<br />
Klassenstufen: 12–13<br />
Zeitbedarf: 6-8 St<strong>und</strong>en (+ Hausaufgaben)<br />
Kompetenzen: Die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Schüler ...<br />
- erproben das themengeleitete Lesen<br />
von Sachtexten,<br />
- entwickeln Fragestellungen zum<br />
Thema,<br />
- erarbeiten den Zusammenhang von<br />
Begriffen <strong>und</strong> <strong>Konzepte</strong>n,<br />
- erarbeiten den Zusammenhang von<br />
Frames <strong>und</strong> Schemata,<br />
- erweitern den Textkorpus zum Thema<br />
durch Recherche.<br />
Zu <strong>die</strong>sem Beitrag gehören folgende<br />
Materialien:<br />
M 1 J. GRZESIK: Themengeleitetes<br />
Lesen von Texten<br />
M 2 W. PETSCHKO: Naiver Realismus<br />
M 3 L. VERYCKEN: Begriff <strong>und</strong> Bedeutung<br />
M 4<br />
CHRISTMANN/SCHECKER/KÖRNER:<br />
Sprachliche Zeichen – Schema <strong>und</strong><br />
Konzept<br />
M 5 C. WIEDEMANN: Die gerahmte Welt<br />
M 6 Iltis GmbH: Damit aus Strategien<br />
Handeln wird<br />
M 7 K.-H. FLECHSIG: Kulturelle Schemata<br />
M 8 Selbstständiges, weiterführendes<br />
themengeleitetes Lesen<br />
Günther E<strong>in</strong>ecke<br />
Die E<strong>in</strong>heitlichen Prüfungsanforderungen<br />
<strong>in</strong> der Abiturprüfung<br />
Deutsch (EPA 2003) fordern: „In<br />
der Abiturprüfung ist e<strong>in</strong> Orientierungswissen<br />
<strong>in</strong> Bezug auf Sprachgeschichte,<br />
Sprachsystem, kommunikative<br />
Funktion von <strong>Sprache</strong> sowie<br />
Sprachphilosophie erforderlich. Dazu<br />
zählen Themen wie Dialekt, Soziolekt,<br />
Zweisprachigkeit, <strong>Sprache</strong>rwerb,<br />
Sprechen – <strong>Denken</strong> – <strong>Wirklichkeit</strong>,<br />
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> Wertorientierung“; <strong>und</strong> <strong>in</strong><br />
den Anforderung für den GK <strong>und</strong> LK<br />
werden Erschließungskompetenz <strong>und</strong><br />
Sachkompetenz verb<strong>und</strong>en: „Fähigkeit<br />
zur fun<strong>die</strong>rten Untersuchung <strong>und</strong><br />
sprachlich gewandten Produktion<br />
gedanklich anspruchsvoller pragmatischer<br />
Texte – Akzentsetzung bei<br />
wissenschaftlichen Sek<strong>und</strong>ärtexten,<br />
philosophischen Schriften, historischen<br />
Abhandlungen“.<br />
Der Lernbereich<br />
„Reflexion über <strong>Sprache</strong>“ im<br />
Deutschunterricht<br />
Traditionell werden an HOFMANNS-<br />
THALs Lord-Chandos-Brief der <strong>Wirklichkeit</strong>sverlust<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Sprachskepsis<br />
der Schriftsteller als Problem der<br />
Moderne erarbeitet, im Verb<strong>und</strong> z. B.<br />
mit Gedichten, <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> thematisieren<br />
(R. M. RILKE: Ich fürchte mich so<br />
vor der Menschen Wort; HILDE<br />
DOMIN: L<strong>in</strong>guistik; GOTTFRIED<br />
BENN: E<strong>in</strong> Wort; PAUL CELAN:<br />
Sprachgitter etc.), sowie mit Sachtexten<br />
(z. B. FRIEDRICH NIETZSCHE:<br />
Über Wahrheit <strong>und</strong> Lüge im außermoralischen<br />
S<strong>in</strong>ne; FRITZ MAUTHNER:<br />
Sprechen <strong>und</strong> <strong>Denken</strong> etc.).<br />
Deutschunterricht extra „Reflexion über <strong>Sprache</strong>“. Westermann 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) 24
Traditionell wird auch von<br />
WILHELM VON HUMBOLDT über<br />
SAPIR bis WHORF das „Weltansicht-<br />
Theorem“ behandelt, wonach <strong>die</strong> <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Sprachgeme<strong>in</strong>schaft bereitgestellten<br />
sprachlichen Formen das<br />
<strong>Denken</strong> <strong>und</strong> <strong>die</strong> Weltansicht der <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>se <strong>Sprache</strong> h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wachsenden<br />
Menschen bee<strong>in</strong>flussen. Das Pr<strong>in</strong>zip<br />
der sprachlichen Relativität führt zum<br />
umstrittenen Ergebnis, dass <strong>die</strong> Grenzen<br />
unserer <strong>Sprache</strong> auch <strong>die</strong> Grenzen<br />
unserer Welt wären. STEVEN PINKER<br />
stellt e<strong>in</strong>e verwandte Frage: „S<strong>in</strong>d<br />
unsere Gedanken abhängig von Wörtern?<br />
<strong>Denken</strong> wir <strong>in</strong> Deutsch anders<br />
als <strong>in</strong> Englisch oder Ch<strong>in</strong>esisch? Oder<br />
s<strong>in</strong>d unsere Gedanken <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e wortlose<br />
Gedankensprache namens ‚Mentalesisch’<br />
gekleidet, <strong>die</strong> überall auf der<br />
Welt verwendet wird <strong>und</strong> erst im<br />
Kommunikationsakt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e konkrete<br />
Wortabfolge übersetzt wird?“<br />
(FUNKE).<br />
Der Relativismus wird u. a. mit den<br />
universellen Möglichkeiten von <strong>Sprache</strong><br />
abgewiesen, wonach im Pr<strong>in</strong>zip<br />
alles <strong>in</strong> jede <strong>Sprache</strong> übersetzbar ist,<br />
dass es also e<strong>in</strong>e unbeschränkte Kommunikation<br />
zwischen den <strong>Sprache</strong>n<br />
gibt, wenn auch unter Nutzung unterschiedlicher<br />
Formen.<br />
Und <strong>die</strong> These von der Abhängigkeit<br />
des <strong>Denken</strong>s von der <strong>Sprache</strong><br />
wird schon durch sprachpsychologische<br />
Untersuchungen aufgehoben:<br />
Zunächst gibt es „e<strong>in</strong>e Fülle kognitiver<br />
Leistungen, darunter <strong>die</strong> Orientierung<br />
im Raum, das Betrachten e<strong>in</strong>es mentalen<br />
Bildes – d. h. <strong>die</strong> Vergegenwärtigung<br />
e<strong>in</strong>es visuellen Bildes oder das<br />
<strong>in</strong>nere Abspulen e<strong>in</strong>er auditiven Gestalt,<br />
z. B. e<strong>in</strong>er Melo<strong>die</strong> –, <strong>die</strong> Bemühung<br />
um <strong>die</strong> <strong>Wie</strong>dererkennung von<br />
etwas Wahrgenommenem, das Zusammenbauen<br />
e<strong>in</strong>es Werkstücks u. v.<br />
a. m., <strong>die</strong> weitgehend oder gänzlich<br />
ohne <strong>Sprache</strong> ablaufen. Ferner ist<br />
<strong>Denken</strong> auch ohne <strong>Sprache</strong> ausdrückbar.<br />
[…] Werke der bildenden Kunst<br />
wie Bilder oder Statuen können ganze<br />
Weltanschauungen ausdrücken. Es<br />
besteht also ke<strong>in</strong>e direkte oder totale<br />
Abhängigkeit des <strong>Denken</strong>s von der<br />
<strong>Sprache</strong>.“ (LEHMANN 2008)<br />
Die aktuelle neurol<strong>in</strong>guistische<br />
<strong>und</strong> neurobiologisch orientierte<br />
Sprachwissenschaft liefert zudem<br />
Modelle, wie <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> <strong>in</strong><br />
Gehirn <strong>und</strong> <strong>Sprache</strong> repräsentiert ist:<br />
dass sie nicht elementhaft rezipiert <strong>und</strong><br />
abrufbar ist, sondern dass Sachverhalte<br />
<strong>und</strong> Begriffe als <strong>Konzepte</strong> sowie<br />
Handlungen als Skripte <strong>in</strong> größeren<br />
vernetzten Strukturen niedergelegt<br />
s<strong>in</strong>d. Erkenntnisse der Sprachforschung<br />
zu semantischen Netzen,<br />
Feldern, Kollokationen, Konnotationen,<br />
syntaktischen <strong>und</strong> thematischen<br />
Komplexen, schematisierten Ansichten<br />
<strong>und</strong> Diskursen s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e entsprechende<br />
schon ältere Parallele. Die<br />
Kommunikations- <strong>und</strong> Me<strong>die</strong>nforschung<br />
liefert zudem konkrete Belege,<br />
dass <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> immer nur subjektiv<br />
ausschnitthaft <strong>und</strong> <strong>in</strong>terpretierend<br />
aufgenommen <strong>und</strong> medial vermittelt<br />
wird: Frames s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Rahmen<br />
jeder <strong>Wirklichkeit</strong>serfahrung.<br />
Als Gr<strong>und</strong>fragen bleiben so:<br />
• Welche Rolle spielt <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong><br />
beim Erkennen der Welt?<br />
• <strong>Wie</strong> bestimmt <strong>Sprache</strong> das Bewusstse<strong>in</strong>?<br />
• <strong>Wie</strong> funktioniert das Zusammenspiel<br />
von <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> <strong>Denken</strong>?<br />
• <strong>Wie</strong> wird<br />
<strong>die</strong> menschliche Welt<br />
durch <strong>Sprache</strong> geformt?<br />
• Wird durch <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> e<strong>in</strong>e be-<br />
stimmte Weltsicht vermittelt?<br />
Komplexe Sachtexte<br />
erschließen: themengeleitetes<br />
Lesen<br />
Die Unterrichtserfahrung<br />
zeigt, dass<br />
sich <strong>die</strong> meisten Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Schüler mit den Sachtexten im Arbeitsbereich<br />
„Reflexion über <strong>Sprache</strong>“<br />
schwer tun. Und so warnt der Lehrplan<br />
Hessen (G8/2008) <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er didaktischen<br />
Reduktion: „Die Beschäftigung<br />
mit wissenschaftlichen Theorien kann<br />
<strong>die</strong> Reflexion über <strong>die</strong>se komplexe<br />
Thematik befruchten <strong>und</strong> ist gleichzei<br />
tig Wissenschaftspropädeutik <strong>und</strong><br />
Förderung der Stu<strong>die</strong>r- <strong>und</strong> der Berufsfähigkeit.<br />
Es muss allerd<strong>in</strong>gs<br />
berücksichtigt werden, dass Fragen<br />
nach dem Ursprung <strong>und</strong> Wesen der<br />
<strong>Sprache</strong> oder nach dem Verhältnis von<br />
<strong>Sprache</strong> – <strong>Denken</strong> – <strong>Wirklichkeit</strong><br />
e<strong>in</strong>erseits zu den Gr<strong>und</strong>fragen der<br />
Philosophie zählen, andererseits im<br />
Unterricht nur ansatzweise auf wissen<br />
schaftlichem Niveau diskutiert werden<br />
können. Auch hier kann es nicht um<br />
mehr gehen als um exemplarische<br />
Vermittlung von wissenschaftlicher<br />
Theoriebildung, um pädagogisch<br />
unterstützte Betrachtung eigens dafür<br />
ausgewählter, verstehbarer Texte. Ziel<br />
ist <strong>die</strong> Förderung eigenen Nachden-<br />
kens unter Zuhilfenahme sprachwissenschaftlicher<br />
Denkmodelle.“<br />
Die Arbeit an den Sachtexten kann<br />
mit<br />
dem Leseverfahren der themengeleiteten<br />
Verarbeitung von Text<strong>in</strong>formation<br />
(GRZESIK) eröffnet werden:<br />
Zu e<strong>in</strong>em vere<strong>in</strong>barten oder dem von<br />
der Lehrkraft e<strong>in</strong>gegebenen oder dem<br />
aus e<strong>in</strong>em ersten Text abgeleiteten<br />
zentralen thematischen Komplex<br />
werden aus den sukzessive gelesenen<br />
Informationen mentale Modelle aufgebaut,<br />
gelernt <strong>und</strong> gespeichert. Dazu<br />
ist es <strong>die</strong>nlich, sich <strong>die</strong> <strong>in</strong> Texten<br />
gesuchten <strong>und</strong> im Vordergr<strong>und</strong> stehenden<br />
Themen klar zu machen <strong>und</strong><br />
ggf. als Fragen an den Text zu nutzen.<br />
Von daher schließt sich dann der Weg<br />
des genaueren Erschließens e<strong>in</strong>es<br />
Textes an, um se<strong>in</strong>e Antworten auf <strong>die</strong><br />
Ausgangsfrage <strong>und</strong> se<strong>in</strong>e Beiträge<br />
zum Thema <strong>und</strong> den Teilthemen zu<br />
gew<strong>in</strong>nen.<br />
Ideen für den Unterricht<br />
<strong>Wie</strong> <strong>kommt</strong> <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> <strong>in</strong> Spra<br />
che <strong>und</strong> <strong>Denken</strong>? Dieser Frage soll mit<br />
Hilfe des themengeleiteten Lesens auf<br />
den Gr<strong>und</strong> gegangen werden.<br />
M 1: In der Oberstufe ist es s<strong>in</strong>nvoll,<br />
dass sich <strong>die</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Schüler explizit mit den Leseoperatio-<br />
nen befassen, damit sie sie als Lernstrategien<br />
e<strong>in</strong>setzen <strong>und</strong> als Kompetenz<br />
aufbauen. Speziell sollen sowohl<br />
das Leseverfahren als auch <strong>die</strong> anstehende<br />
Thematik <strong>und</strong> Fragestellung<br />
deutlich markiert werden, damit sich<br />
aus dem eigenen Erfahrungshorizont<br />
sowie ggf. Vorwissen <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Vorge-<br />
spräch e<strong>in</strong>e Preread<strong>in</strong>g-Aktivität<br />
entwickeln kann <strong>und</strong> e<strong>in</strong> Lese<strong>in</strong>teresse<br />
aufgebaut wird. Für <strong>die</strong> Erarbeitung<br />
sowie Verarbeitung wird dann statt<br />
e<strong>in</strong>er Gängelung durch E<strong>in</strong>zelaufgaben<br />
e<strong>in</strong> Arbeitsweg angeboten.<br />
Die nachfolgenden Materialien<br />
(M 2-M 4) beschäftigen sich mit der<br />
Wahrnehmung <strong>und</strong> Konstruktion von<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> <strong>in</strong> Form von Begriffen<br />
<strong>und</strong> <strong>Konzepte</strong>n.<br />
M 2: PETSCHKOs<br />
Text hat den<br />
Vorteil,<br />
dass er <strong>die</strong> Teilthemen <strong>und</strong><br />
Fragen bereits selbst umreißt <strong>und</strong><br />
somit den Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schülern<br />
<strong>die</strong> geforderte eigene Aktivität zu<br />
Arbeitsbeg<strong>in</strong>n schon vorspielt:<br />
• Frage: Inwieweit spielt bei der Bil-<br />
dung e<strong>in</strong>es<br />
Begriffes <strong>die</strong> s<strong>in</strong>nliche<br />
Erfahrung mit?<br />
• Frage: Welche Rolle spielt<br />
<strong>die</strong> Spra-<br />
Deutschunterricht extra „Reflexion über <strong>Sprache</strong>“. Westermann 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) 25
che bei der Art <strong>und</strong> Weise, wie wir<br />
uns e<strong>in</strong> Bild von der <strong>Wirklichkeit</strong><br />
machen?<br />
• Frage: Gibt es e<strong>in</strong>en<br />
Unterschied<br />
zwischen dem Erlebnis <strong>und</strong> dem<br />
Erlebnis<strong>in</strong>halt von der <strong>Wirklichkeit</strong>?<br />
• Frage: Ist <strong>die</strong> Widerspiegelung der<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> (<strong>in</strong> <strong>Sprache</strong><br />
<strong>und</strong> Den-<br />
ken) etwas<br />
anderes, als <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
selber?<br />
Als<br />
Lernergebnis müsste der Begriff<br />
„ naiver Realismus“ gefüllt<br />
werden<br />
können.<br />
M 3: VERYCKEN reflektiert den<br />
Zusammenhang<br />
von Wort – Begriff –<br />
Be deutung; er unterscheidet dabei <strong>die</strong><br />
Symbolhaftigkeit oder Abstraktheit<br />
sowie den Gebrauchswert oder <strong>die</strong><br />
Konkretheit von Begriffen <strong>und</strong> macht<br />
<strong>die</strong> Bedeutung abhängig vom Interesse<br />
der Menschen. Insoweit geht er über<br />
<strong>die</strong> eher wahrnehmungstheoretische<br />
Überlegung PETSCHKOs h<strong>in</strong>aus <strong>und</strong><br />
auf den situationsbezogenen Sprachgebrauch<br />
e<strong>in</strong>. – Es bietet sich an, <strong>die</strong> o.<br />
g. Schlüsselbegriffe des Textes als<br />
Kern für Fragen an den Text zu benutzen.<br />
M 4: Mit SAUSSURE wird e<strong>in</strong>e<br />
l<strong>in</strong>guistische<br />
Position e<strong>in</strong>bezogen. Der<br />
Auszug<br />
e<strong>in</strong>er Vorlesungsmitschrift<br />
über SAUSSUREs Zeichenbegriff –<br />
sonst e<strong>in</strong>e seitenlange Lektüre – ist für<br />
Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler besonders<br />
geeignet, da hier knapp zusammengefasst<br />
ist, wie das sprachliche Zeichen<br />
e<strong>in</strong>e Bedeutung dadurch erhält, dass<br />
e<strong>in</strong> sprachliches Muster (Schema,<br />
image) zu e<strong>in</strong>em Gegenstand der<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> <strong>und</strong> e<strong>in</strong> allgeme<strong>in</strong>es<br />
Konzept (Begriff) von <strong>die</strong>sem im Kopf<br />
des Menschen zusammengehören, <strong>und</strong><br />
wie <strong>die</strong>se Bedeutung im aktuellen<br />
kommunikativen Sprachvollzug,<br />
nämlich im „Sich-gegenseitig-<br />
Hervorrufen“ hergestellt wird. – Die<br />
zentrale Frage wäre z. B.: <strong>Wie</strong> wirken<br />
<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> Wahrnehmung von Wirk-<br />
lichkeit im Kopf zusammen? Es bietet<br />
sich an, <strong>die</strong> Bildleiste als Stütze für<br />
e<strong>in</strong>e Darstellung des Leseergebnisses<br />
zu nutzen.<br />
Die Vermittlung <strong>und</strong> Selektion von<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> <strong>in</strong> Frames <strong>und</strong> Schemata<br />
wird <strong>in</strong> den Materialien M 5 – M 7<br />
thematisiert.<br />
M 5: Hier beg<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong> nun etwas<br />
konkreterer Blick darauf, wie <strong>Wirklichkeit</strong><br />
sprachlich vermittelt <strong>und</strong><br />
rezipiert wird; „<strong>die</strong> Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong><br />
Schüler untersuchen besonders <strong>die</strong><br />
durch mediale <strong>Sprache</strong> vermittelten<br />
Weltsichten“(LP NRW 1999): Am<br />
Beispiel von Journalisten wird deutlich,<br />
dass <strong>die</strong> Realität gar nicht anders<br />
als ausschnitthaft <strong>und</strong> perspektivisch<br />
(<strong>in</strong> Frames/Rahmen) dargestellt werden<br />
kann. C. WIEDEMANN diskutiert<br />
<strong>die</strong> Probleme <strong>die</strong>ses Fram<strong>in</strong>gs mit der<br />
Frage: Was wissen wir wirklich von<br />
der Realität? <strong>und</strong> zeigt <strong>die</strong> Zwänge<br />
<strong>und</strong> Leistungen „authentischer“ Berichterstattung<br />
auf. – Die Schüler<strong>in</strong>nen<br />
<strong>und</strong> Schüler könnten dazu aktuelle<br />
Me<strong>die</strong>nbeispiele e<strong>in</strong>beziehen, an<br />
denen das Perspektivische deutlich<br />
wird.<br />
M 6: E<strong>in</strong>e Market<strong>in</strong>g-Firma geht<br />
noch e<strong>in</strong>en Schritt weiter <strong>und</strong> macht<br />
aus dem unvermeidlichen Fram<strong>in</strong>g<br />
geradezu e<strong>in</strong>e Strategie für wirtschaftlichen<br />
Erfolg, das „Framen“: <strong>Wie</strong><br />
kann man mit den K<strong>und</strong>en e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />
(Welt-) Sicht herstellen? –<br />
Die Schüler<strong>in</strong>nen <strong>und</strong> Schüler können<br />
Vor- <strong>und</strong> Nachteile <strong>die</strong>ser Sprachnutzung<br />
erörtern <strong>und</strong> <strong>die</strong>s ggf. an e<strong>in</strong>em<br />
Beispiel wie „Fokus auf erneuerbare<br />
Energie“ oder „Produktion schadstoffarmer<br />
Autos statt luxuriöser, sportlichschneller<br />
Autos“ konkretisieren,<br />
<strong>in</strong>dem sie e<strong>in</strong>e Präsentation mit den<br />
aufgeführten Formen des Framens<br />
entwickeln.<br />
M 7: FLECHSIG erläutert Wahrnehmungs-Schemata<br />
als Auswahl- wie<br />
als Ordnungs- <strong>und</strong> als Handlungshilfen<br />
<strong>und</strong> verfolgt <strong>die</strong> Frage: <strong>Wie</strong> hat<br />
man sich <strong>die</strong>se Schemata vorzustellen?<br />
Es geht um Denkmuster, <strong>die</strong> unter dem<br />
E<strong>in</strong>fluss der „Kulturgeme<strong>in</strong>schaften“<br />
<strong>und</strong> der kulturellen Entwicklung<br />
entstehen <strong>und</strong> erst <strong>in</strong> der <strong>in</strong>terkulturellen<br />
Begegnung, d. h. über Kontrasterfahrungen,<br />
als solche erkannt werden.<br />
– Beispiele ließen sich e<strong>in</strong>beziehen:<br />
z.B. Grüßen <strong>und</strong> Kontaktaufnahme<br />
<strong>in</strong>terkulturell. Hier wäre auch e<strong>in</strong>e<br />
Schnittstelle zum Weltansicht-<br />
Theorem<br />
(s. o.).<br />
M 8: Abschließend wird der Anstoß<br />
geliefert, vom Unterricht<br />
ausge-<br />
hend<br />
weiter zu forschen.<br />
AUTOR<br />
Günther E<strong>in</strong>ecke ist ehemaliger<br />
Fachleiter für Deutsch am Stu<strong>die</strong>nse-<br />
m<strong>in</strong>ar Jülich.<br />
XXLITERATUR<br />
CHRISTMANN,<br />
G. / SCHECKER, M. /<br />
KÖRNER, B.: E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong> L<strong>in</strong>-<br />
guistik. Freiburg 2003. In:<br />
http://www.neurolabor.de/script4-<br />
Planung/script-ma<strong>in</strong>frame.htm.<br />
FUNKE,<br />
JOACHIM: <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Denken</strong>: E<strong>in</strong>erlei oder Zweierlei?<br />
In:<br />
http://www.psychologie.uniheidelberg.de/ae/allg/mitarb/jf<br />
/Funke_1999_<strong>Sprache</strong>&<strong>Denken</strong>.pdf.<br />
GRZESIK,<br />
JÜRGEN: Textverstehen<br />
lernen <strong>und</strong> lehren.<br />
Stuttgart: Klett (2)<br />
1996; S. 253 ff.<br />
LEHMANN,<br />
CHRISTIAN: <strong>Sprache</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Denken</strong>. Philosophische Fakultät der<br />
Universität Erfurt 2008. In:<br />
http://www.christianlehmann.eu/l<strong>in</strong>g/l<br />
<strong>in</strong>g_theo/spr&denken/<strong>in</strong>dex.html<br />
LÖNNEKER, BIRTE: Konzeptframes<br />
<strong>und</strong> Relationen […]. phil.Diss.<br />
Hammburg 2003. In:<br />
http://www1.uni-hamburg.de<br />
/l<strong>in</strong>gkonnet/Dissertation<br />
/Konzeptframes/html_diss_birte.html<br />
In:<br />
Deutschunterricht extra. Reflexion<br />
über <strong>Sprache</strong> (SEK II).<br />
Braunschweig: Westermann<br />
2009, S. 24-33<br />
Deutschunterricht extra „Reflexion über <strong>Sprache</strong>“. Westermann 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) 26
5<br />
10<br />
15<br />
20<br />
ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 1 Jürgen Grzesik: Themengeleitetes Lesen von Texten<br />
Das Kriterium für den Zugriff [auf<br />
Texte] ist e<strong>in</strong> Thema, z. B. „Gründe<br />
für Arbeitslosigkeit“ [...] – Sobald der<br />
Leser e<strong>in</strong>en Text unter e<strong>in</strong>em Thema<br />
betrachtet, hat <strong>die</strong>s für se<strong>in</strong>e Arbeit<br />
mit dem Text <strong>die</strong> folgenden Konsequenzen:<br />
Die Informationsverarbeitung<br />
beschränkt <strong>und</strong> konzentriert sich<br />
zugleich auf den durch das Thema<br />
bezeichneten Bereich, weshalb das<br />
Thema <strong>die</strong> Funktion e<strong>in</strong>es Suchschemas<br />
be<strong>kommt</strong>. Es entscheidet<br />
darüber, was <strong>in</strong> den Verarbeitungsprozess<br />
e<strong>in</strong>bezogen werden soll <strong>und</strong><br />
was aus ihm ausgeschlossen bleibt.<br />
Was gesucht werden soll, ist genau <strong>in</strong><br />
dem Maße schon entschieden, <strong>in</strong> dem<br />
das Thema darüber <strong>in</strong>formiert. Es ist<br />
aber offen, welche Information <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong>sem Bereich gef<strong>und</strong>en wird. Das<br />
Interesse an e<strong>in</strong>em oder mehreren<br />
Texten beschränkt sich auf <strong>die</strong>se<br />
Information. Aufgr<strong>und</strong> <strong>die</strong>ser Offenheit<br />
Arbeitsschritte – Kompetenzentwicklung<br />
Themengeleitetes Lesen<br />
25<br />
30<br />
35<br />
40<br />
45<br />
hat das Thema pr<strong>in</strong>zipiell <strong>die</strong> Struktur<br />
<strong>und</strong> Funktion der Frage [...].<br />
Deshalb ist der thematische Zugriff<br />
ke<strong>in</strong>eswegs nur e<strong>in</strong>e Kunstform des<br />
Unterrichts, <strong>die</strong> außerhalb des Unterrichts<br />
nicht vor<strong>kommt</strong>, sondern nichts<br />
Ger<strong>in</strong>geres als <strong>die</strong> <strong>in</strong>tensive Form des<br />
tagtäglichen Lernens aus Texten. Es<br />
f<strong>in</strong>det <strong>in</strong> jedem Studium, <strong>in</strong> jeder Ausbildung<br />
<strong>und</strong> auch im alltäglichen Lesen,<br />
z. B. der Zeitungslektüre, statt.<br />
Kennt der Zeitungsleser z. B. <strong>die</strong><br />
mittlere Dauer der Arbeitslosigkeit von<br />
wenigen Monaten <strong>und</strong> e<strong>in</strong>e größere<br />
Zahl von Gründen für Arbeitslosigkeit,<br />
z. B. Vermeidung e<strong>in</strong>es Wohnungswechsels,<br />
Übergangsfrist beim Antritt<br />
e<strong>in</strong>er neuen Stelle, bewusste Pause<br />
für e<strong>in</strong>e längere Reise, Schattenwirtschaft<br />
etc., dann kann er aufgr<strong>und</strong><br />
se<strong>in</strong>es Interesses an <strong>die</strong>sem Thema<br />
aus der Vielfalt der Informationen <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>er Ausgabe der Tageszeitung e<strong>in</strong>e<br />
Information über <strong>die</strong> erstaunlich hohe<br />
Deutschunterricht extra “Reflexion über <strong>Sprache</strong>”. 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) westermann 27<br />
50<br />
55<br />
60<br />
65<br />
70<br />
75<br />
80<br />
85<br />
90<br />
Ausstattung von Arbeitslosenhaushaltungen<br />
mit Immobilien <strong>und</strong> langlebigen<br />
Gebrauchsgütern herausf<strong>in</strong>den,<br />
als e<strong>in</strong>e Ergänzung <strong>in</strong> se<strong>in</strong> Wissensnetz<br />
<strong>in</strong>tegrieren <strong>und</strong> dauerhaft behalten. Er<br />
kann darüber h<strong>in</strong>aus noch<br />
e<strong>in</strong>e bewusste Strategie für <strong>die</strong> Ausarbeitung<br />
[...] des derzeitigen Arbeitslosenproblems<br />
<strong>in</strong> der B<strong>und</strong>esrepublik<br />
e<strong>in</strong>setzen, z. B. <strong>die</strong> Strategie, zunächst<br />
<strong>die</strong> Kenntnisse über Art, E<strong>in</strong>künfte<br />
<strong>und</strong> Umfang unterschiedlicher<br />
Gruppen von Arbeitslosen zu verbessern<br />
(z. B. Teilzeitarbeit ungelernter<br />
Frauen, Arbeitslosengeld, Anteil an<br />
der Gesamtzahl der Arbeitslosen),<br />
dann <strong>die</strong>se Kenntnisse <strong>in</strong> möglichst<br />
viele Beziehungen zu anderen Wissensbeständen<br />
zu setzen, z. B. zur<br />
Zahl der ausländischen Arbeitnehmer<br />
<strong>in</strong>sgesamt <strong>und</strong> der arbeitslosen Ausländer<br />
im besonderen, dann se<strong>in</strong><br />
bisheriges Urteil über „Massenarbeitslosigkeit“<br />
zu überprüfen, dann über<br />
Möglichkeiten der Verr<strong>in</strong>gerung der<br />
Arbeitslosigkeit nachzudenken, dann<br />
Lösungsvorschläge verschiedener<br />
politischer Gruppierungen zu recherchieren<br />
<strong>und</strong> zu überdenken. Dieses<br />
e<strong>in</strong>fache Beispiel e<strong>in</strong>es Themas der<br />
alltäglichen Kommunikation zeigt nicht<br />
nur den E<strong>in</strong>satz von Sachbereichswissen<br />
<strong>und</strong> Verfahrenswissen für <strong>die</strong><br />
Selektion von Text<strong>in</strong>formation, sondern<br />
auch, dass <strong>die</strong> thematische<br />
Verarbeitung von Text<strong>in</strong>formation e<strong>in</strong><br />
Hauptprozess der aktiven konstruktiven<br />
Auswertung von Texten ist. Es<br />
geht hier um nichts Ger<strong>in</strong>geres als um<br />
den systematischen Ausbau unseres<br />
Wissens nicht aufgr<strong>und</strong> unmittelbarer<br />
Erfahrung, sondern durch <strong>die</strong> Verarbeitung<br />
von Text<strong>in</strong>formation.<br />
aus: J. Grzesik: Textverstehen lernen <strong>und</strong><br />
lehren. Stuttgart: Klett (2) 1996. S. 253-59.<br />
1. e<strong>in</strong> eigenes oder vorgegebenes Thema aufgreifen, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Ausgangsfrage umformulieren <strong>und</strong> auf e<strong>in</strong>en Text oder mehrere Texte anwenden<br />
2. vom Thema her weitere Fragen entwickeln <strong>und</strong> an den Text/<strong>die</strong> Texte richten – dabei auf Fragen im Text achten<br />
3. <strong>die</strong> zum Thema gehörenden Teilthemen <strong>und</strong> <strong>die</strong> zugehörigen Schlüsselbegriffe aus dem Text/den Texten herauslesen – daraus das<br />
Begriffsnetz des Textes erstellen<br />
4. an zentralen Textstellen genauer erarbeiten, was der Text zum Thema beiträgt: neue Informationen, Thesen, Argumente, Urteile…<br />
5. <strong>die</strong> Antworten festhalten, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> Text auf <strong>die</strong> Ausgangsfrage gibt<br />
6. bei mehreren Texten: im Überblick unterscheiden, was sie jeweils zum Thema beitragen<br />
7. <strong>in</strong> der Überschau e<strong>in</strong> gedankliches Modell zu den Leseergebnissen erstellen: visualisiert z.B. als Ideenstern, Konspekt, Strukturdiagramm<br />
o. ä.<br />
8. e<strong>in</strong>e eigene schriftliche Ausarbeitung zum Thema unter Verknüpfung der Leseergebnisse aus mehreren Texten anfertigen – <strong>die</strong>s um eigene<br />
Gedanken zum Thema erweitern<br />
9. offen gebliebene Fragen für e<strong>in</strong>e weitere Recherche festhalten<br />
• bei Klärungsprozessen <strong>und</strong> Ergebnisaustausch: das Unterrichtsgespräch oder Gespräche <strong>in</strong> Gruppen nutzen<br />
• bei der Texterschließung: Formen der Verschriftlichung nutzen<br />
• im Anschluss an <strong>die</strong> Erarbeitung der Texte <strong>die</strong> Positionen zum Thema kritisch erörtern: Voraussetzungen, Folgen; Vorteile, Nachteile; Berechtigung;<br />
Geme<strong>in</strong>samkeiten, Widersprüche, Lücken; Wirkung…
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ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 2 Werner Petschko: Naiver Realismus (2001)<br />
Das Problem, das für <strong>die</strong> philosophische<br />
Sicht der D<strong>in</strong>ge wichtig ist, ist<br />
<strong>die</strong> Frage, <strong>in</strong>wieweit bei der Bildung<br />
e<strong>in</strong>es Begriffes <strong>die</strong> s<strong>in</strong>nliche Erfahrung<br />
mitspielt. Dieses Problem betrifft<br />
<strong>die</strong> Frage nach dem Abstrakten <strong>und</strong><br />
Konkreten. Als konkret vorhanden, d.<br />
h. als „wirklich“ angesehen, werden<br />
gewöhnlich <strong>die</strong> Vorgänge, D<strong>in</strong>ge <strong>und</strong><br />
Qualitäten, <strong>die</strong> wir mittels unserer<br />
S<strong>in</strong>neswahrnehmungen sehen, hören,<br />
fühlen, riechen oder schmecken<br />
können. Was nur gedacht ist, ist im<br />
landläufigen S<strong>in</strong>n auch nicht wirklich.<br />
Die Frage lautet nun: Welche Rolle<br />
spielt <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> bei der Art <strong>und</strong><br />
Weise, wie wir uns e<strong>in</strong> Bild von der<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> machen? E<strong>in</strong>e Antwort<br />
könnte lauten: Die <strong>Sprache</strong> ist e<strong>in</strong>e<br />
Art <strong>und</strong> Weise, wie wir uns e<strong>in</strong> Bild<br />
von der <strong>Wirklichkeit</strong> machen. Sie ist<br />
das Bild der Gedanken, so wie e<strong>in</strong><br />
Ton für uns e<strong>in</strong> Bild des Gehörs ist.<br />
Viele Menschen glauben, dass <strong>die</strong><br />
D<strong>in</strong>ge so s<strong>in</strong>d, wie sie zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en,<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> s<strong>in</strong>nlichen Qualitäten <strong>in</strong><br />
den D<strong>in</strong>gen selber stecken. Aber e<strong>in</strong>e<br />
solche Behauptung lässt sich nicht<br />
aufrechterhalten. Die D<strong>in</strong>ge s<strong>in</strong>d nicht<br />
so, wie sie zu se<strong>in</strong> sche<strong>in</strong>en. Das<br />
wird durch <strong>die</strong> Erfahrung des Alltags,<br />
aber auch durch sog. wissenschaftliche<br />
Erfahrung deutlich. Die mikroskopische,<br />
bzw. <strong>die</strong> makroskopische<br />
Sicht der D<strong>in</strong>ge zeigt uns e<strong>in</strong>e Welt,<br />
<strong>die</strong> unseren S<strong>in</strong>nen ohne Hilfsmittel<br />
nicht zugänglich ist. […]<br />
Die Widerspiegelungstheorie ist so<br />
alt wie <strong>die</strong> klassische Def<strong>in</strong>ition der<br />
Wahrheit. Die klassische Def<strong>in</strong>ition<br />
der Wahrheit, <strong>die</strong> seit Jahrtausenden<br />
<strong>in</strong> der Theorie der Wahrheit herrscht,<br />
ist faktisch e<strong>in</strong>e spezifische Formulierung<br />
der Widerspiegelungstheorie<br />
<strong>und</strong> außerhalb ihrer überhaupt nicht<br />
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möglich.<br />
E<strong>in</strong>e Widerspiegelung impliziert <strong>die</strong><br />
Anerkennung der Existenz e<strong>in</strong>er<br />
objektiven <strong>Wirklichkeit</strong>, <strong>die</strong> außerhalb<br />
<strong>und</strong> unabhängig vom erkennenden<br />
Verstand e<strong>in</strong> Se<strong>in</strong> hat <strong>und</strong> <strong>die</strong> durch<br />
den Geist „widergespiegelt“ bzw.<br />
„abgebildet“ wird. Das ist der realistische<br />
Standpunkt.<br />
<strong>Wirklichkeit</strong> wird gewöhnlich als Summe<br />
von Gegenständen verstanden,<br />
<strong>die</strong> sich dadurch kennzeichnen, dass<br />
sie außerhalb <strong>und</strong> unabhängig von<br />
uns, das heißt objektiv, existieren.<br />
Die Frage ist also, ob es e<strong>in</strong>en Unterschied<br />
gibt zwischen dem Erlebnis<br />
<strong>und</strong> dem Erlebnis<strong>in</strong>halt von der <strong>Wirklichkeit</strong>.<br />
Ist <strong>die</strong> Widerspiegelung etwas<br />
anderes, als <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
selber?<br />
Die Frage ist deshalb so wichtig, weil<br />
wir dann etwas für real nehmen, was<br />
es gar nicht ist <strong>und</strong> das ist immerh<strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>e Täuschung, wenn nicht gar e<strong>in</strong><br />
direkter Fehler.<br />
Wer e<strong>in</strong> Produkt der Abstraktion für<br />
etwas Wirkliches nimmt, begeht<br />
e<strong>in</strong>en Fehler <strong>in</strong> doppelter H<strong>in</strong>sicht,<br />
wenn er versucht auf <strong>die</strong>se Gr<strong>und</strong>lage<br />
h<strong>in</strong> se<strong>in</strong> Gedankengebäude zu<br />
errichten. Wenn wir aber unser <strong>Denken</strong><br />
für <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> halten,<br />
schreiben wir der Welt Eigenschaften<br />
der <strong>Sprache</strong> zu. Es ist jedes Mal wie<br />
e<strong>in</strong>e Verkehrung unseres Wissens,<br />
wenn wir unsere Auslegung für <strong>die</strong><br />
<strong>Wirklichkeit</strong> selbst halten.<br />
Dass <strong>die</strong> Kommunikation der Menschen<br />
untere<strong>in</strong>ander so funktioniert<br />
wie sie funktioniert, liegt nicht daran,<br />
dass <strong>die</strong> Wörter 1:1 <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
abbilden, sondern weit mehr daran,<br />
dass <strong>die</strong> meisten Menschen von<br />
verschiedenen Begriffen feste Vorstellungen<br />
haben. Die Bedeutung<br />
vieler Begriffe ist ihnen e<strong>in</strong>e Selbst-<br />
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verständlichkeit. Im gewöhnlichen<br />
Umgang mit anderen Menschen<br />
verwenden wir meist <strong>die</strong> Worte, von<br />
denen wir annehmen, dass der andere<br />
sie auch versteht.<br />
Die alltägliche Erfahrung dagegen<br />
erweckt <strong>in</strong> uns den E<strong>in</strong>druck, dass<br />
unser Wahrnehmungssystem <strong>in</strong><br />
direktem Kontakt mit der Welt steht<br />
<strong>und</strong> dass <strong>die</strong>se Welt mit Begriffen<br />
allgeme<strong>in</strong>gültig beschreibbar ist.<br />
Diese Sicht der D<strong>in</strong>ge wird heute als<br />
naiver Realismus bezeichnet. […]<br />
Der naive Realist geht davon aus,<br />
dass z. B. „grün“ <strong>die</strong> objektive Eigenschaft<br />
e<strong>in</strong>es Gegenstandes ist. Die<br />
Erfahrung aber, dass <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge<br />
selbst „süß“ oder „weiß“ s<strong>in</strong>d, ist e<strong>in</strong><br />
Relikt aus unseren K<strong>in</strong>dertagen. Wir<br />
haben es hier lediglich mit dem<br />
Sprachgebrauch zu tun, der uns zur<br />
Gewohnheit geworden ist. Nichts auf<br />
der Welt wäre weiß, gäbe es ke<strong>in</strong>e<br />
Augen, nichts auf der Welt wäre süß,<br />
hätten wir ke<strong>in</strong>e Geschmacksorgane.<br />
Es ist lediglich unser Nervensystem,<br />
das unsere S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücke derart<br />
verarbeitet, dass wir e<strong>in</strong>en Gegenstand<br />
als etwas wahrnehmen. Aus der<br />
ungegenständlichen Empf<strong>in</strong>dung<br />
werden gegenständliche Objekte.<br />
Was wir erleben, s<strong>in</strong>d ke<strong>in</strong>e D<strong>in</strong>geigenschaften,<br />
sondern Ähnlichkeiten<br />
<strong>und</strong> Gegensätze, <strong>die</strong> unser neurosensorischer<br />
Apparat dann zu etwas<br />
verarbeitet. Alle Eigenschaften entstehen<br />
erst <strong>in</strong> Bezug auf unser Bewusstse<strong>in</strong>.<br />
E<strong>in</strong> D<strong>in</strong>g mit se<strong>in</strong>er Eigenschaft<br />
zu identifizieren, ist e<strong>in</strong> direkter<br />
logischer Fehler. […]<br />
aus: Mauthner-Gesellschaft: R<strong>und</strong>brief Nr.<br />
8 aktualisiert 9. 8. 2001 - http://euro.me<strong>in</strong>serva.de/mauthner2004/mauthner<br />
/can/sk8.html
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ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 3 Laurent Verycken: Begriff <strong>und</strong> Bedeutung* (1994)<br />
Unter Wortrealismus kann <strong>die</strong> Neigung<br />
verstanden werden, überall dort,<br />
wo <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong> für etwas e<strong>in</strong>en eigenen<br />
Namen hat, e<strong>in</strong>en <strong>Wirklichkeit</strong>ssachverhalt,<br />
bzw. e<strong>in</strong> reales D<strong>in</strong>g<br />
anzunehmen <strong>und</strong> das Wort für <strong>die</strong><br />
Entsprechung desselben zu halten.<br />
„Man sucht krampfhaft nach e<strong>in</strong>em<br />
Etwas, das das Wort bezeichnen soll,<br />
man bevölkert <strong>die</strong> Welt mit ätherischen<br />
Wesen, den schattenhaften<br />
Begleitern der Substantive. Typisch<br />
hierfür s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> Worte das Se<strong>in</strong>, <strong>die</strong><br />
Seele, das Ich, etc.; aber auch Verba<br />
gehören hierher, z. B. das Zeitwort<br />
existieren, das e<strong>in</strong>e Art schattenhafte<br />
Tätigkeit zu bezeichnen sche<strong>in</strong>t, <strong>die</strong><br />
sich an jedem D<strong>in</strong>ge f<strong>in</strong>den soll.“ (1)<br />
Es ist der Irrtum der Realisten, Allgeme<strong>in</strong>begriffe<br />
als Abbilder objektiver<br />
Wesenheiten aufzufassen, <strong>die</strong> eigentlich<br />
bloß allgeme<strong>in</strong>e Bezeichnungen<br />
s<strong>in</strong>d, <strong>die</strong> auf mehrere Gegenstände<br />
angewendet werden. Allgeme<strong>in</strong>gültigkeit<br />
zu beanspruchen ist <strong>die</strong> Sache<br />
e<strong>in</strong>es lexikalischen Pseudo-Wissens.<br />
Konkrete Bedeutung gibt es nur <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em aktuellen Bezugssystem. Es<br />
gibt ke<strong>in</strong>e allgeme<strong>in</strong>gültig-objektive<br />
Bedeutung. E<strong>in</strong>e solche wird allenfalls<br />
dogmatisch <strong>und</strong> autoritär durchgesetzt.<br />
Jede objektive Def<strong>in</strong>ition ist<br />
e<strong>in</strong>e rationale, abstrakte Konstruktion.<br />
Für <strong>die</strong> Bestimmung der Bedeutung<br />
e<strong>in</strong>es Wortes dagegen ist der lebendige<br />
Zusammenhang <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er konkreten<br />
Situation ausschlaggebend. Die<br />
konkrete Bedeutung e<strong>in</strong>es Wortes ist<br />
stets situationsbed<strong>in</strong>gt.<br />
Die Wirkung, <strong>die</strong> e<strong>in</strong> Wort erzielt, ist<br />
abhängig vom Interesse, das wir für<br />
e<strong>in</strong>en bestimmten Sachverhalt hegen.<br />
Die wirkliche Bedeutung der Worte<br />
liegt <strong>in</strong> den Ideen, <strong>die</strong> h<strong>in</strong>ter e<strong>in</strong>em<br />
Begriff stecken <strong>und</strong> im Wert, den sie<br />
für unseren praktischen Gebrauch<br />
haben. Worte s<strong>in</strong>d praktische Er<strong>in</strong>nerungszeichen<br />
für S<strong>in</strong>nese<strong>in</strong>drücke.<br />
E<strong>in</strong>e objektive Def<strong>in</strong>ition kann es nicht<br />
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geben. Der Baum an sich ist farblos,<br />
geruchlos, geschmacklos usw. Bloße<br />
Worte s<strong>in</strong>d nichts Wirkliches. Worte<br />
s<strong>in</strong>d Symbole <strong>und</strong> Symbole riechen<br />
nicht, lächeln nicht, bluten nicht, sie<br />
existieren nicht. Alle Def<strong>in</strong>itionen<br />
haben nur als Gebrauchsdef<strong>in</strong>itionen<br />
Bedeutung. Bedeutungen s<strong>in</strong>d nichts<br />
Abstraktes. Bedeutungen s<strong>in</strong>d <strong>in</strong>dividuell<br />
verschieden <strong>und</strong> können nicht<br />
objektiv def<strong>in</strong>iert werden.<br />
In all unseren Beziehungen zu anderen<br />
Menschen <strong>und</strong> zu uns selbst,<br />
stehen <strong>die</strong> Ersche<strong>in</strong>ungsformen unseres<br />
Bewusstse<strong>in</strong>s im Mittelpunkt:<br />
<strong>Denken</strong>, Fühlen, Wollen. Der geme<strong>in</strong>same<br />
Nenner <strong>die</strong>ser, nur <strong>in</strong> der Abstraktion<br />
getrennten Zustände ist das,<br />
wovon wir denken, dass es Wert<br />
besitzt, wovon wir fühlen, dass es<br />
e<strong>in</strong>en Wert hat <strong>und</strong> das wir wollen,<br />
weil es für uns wertvoll ist. Von unserer<br />
Urteilskraft ist es abhängig, <strong>in</strong>wieweit<br />
es uns gel<strong>in</strong>gt, unser Wollen von<br />
unserem <strong>Denken</strong>, bzw. Fühlen unterscheiden<br />
zu können. Das bloß logische<br />
<strong>und</strong> noch dazu automatisierte<br />
<strong>Denken</strong> <strong>in</strong> vorgeformten <strong>und</strong> nicht<br />
h<strong>in</strong>terfragten Begriffen, ist dazu nicht<br />
<strong>in</strong> der Lage. Alle Abstraktionen haben<br />
<strong>die</strong> Tendenz, uns über <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong><br />
zu täuschen. Wir s<strong>in</strong>d immer geneigt,<br />
das abstrakte Rechnen mit Wörtern<br />
schon für <strong>die</strong> <strong>Wirklichkeit</strong> zu halten.<br />
Abstraktionen s<strong>in</strong>d aber immer problematisch.<br />
Worte fangen ständig etwas e<strong>in</strong>, das<br />
eigentlich viel komplexer ist. Worte<br />
trennen ständig <strong>und</strong> beschreiben<br />
jeden Vorgang <strong>und</strong> jeden Gegenstand<br />
an sich <strong>und</strong> nicht exakt <strong>die</strong>sen<br />
Gegenstand hier an <strong>die</strong>sem Ort <strong>und</strong><br />
jetzt zu <strong>die</strong>sem Zeitpunkt. An sich<br />
s<strong>in</strong>d <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge nur überhaupt vorhanden.<br />
Abstraktionen s<strong>in</strong>d lediglich<br />
Namen, <strong>die</strong> geeignet s<strong>in</strong>d, auf mehrere<br />
verschiedene Gegenstände angewendet<br />
werden zu können. Sie tragen<br />
zur Erkenntnis der <strong>Wirklichkeit</strong> nichts<br />
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Wesentliches bei. Das Wort ist das<br />
Symbol für <strong>die</strong> Idee, aber alle Symbole<br />
s<strong>in</strong>d im Gr<strong>und</strong>e willkürlich <strong>und</strong><br />
beruhen auf Übere<strong>in</strong>kunft. Wir könnten<br />
für <strong>die</strong> D<strong>in</strong>ge auch andere Wörter<br />
als Bezeichnung benützen. Wenn wir<br />
uns z. B. streiten oder wenn wir uns<br />
e<strong>in</strong>igen, dann liegt das an den Ideen,<br />
<strong>die</strong> durch <strong>die</strong> Begriffe symbolisiert<br />
werden. E<strong>in</strong>e Idee ist das, was sie<br />
uns bedeutet. Was e<strong>in</strong>em Menschen<br />
von Bedeutung ist, erfahren wir nur<br />
über e<strong>in</strong> Verständnis der ganzen<br />
Person, nicht durch e<strong>in</strong>e Lexikon-<br />
Def<strong>in</strong>ition. […]<br />
Jedes D<strong>in</strong>g <strong>und</strong> jeder Vorgang erhält<br />
se<strong>in</strong>e Bedeutung durch se<strong>in</strong>e Beziehung<br />
zu uns <strong>und</strong> unseren Interessen.<br />
Außerhalb e<strong>in</strong>es persönlichen Zusammenhangs,<br />
<strong>in</strong> dem wir zu e<strong>in</strong>em<br />
Begriff stehen, ist jedes Wort immer<br />
vieldeutig. E<strong>in</strong>e gute Def<strong>in</strong>ition ist<br />
situationsgetreu, d. h. situationsbezogen.<br />
E<strong>in</strong>e objektive, d.h. dogmatische<br />
Def<strong>in</strong>ition, schwebt im luftleeren<br />
Raum <strong>und</strong> ist beliebig <strong>in</strong>terpretierbar,<br />
was ihr jedoch bei vielen unkritischen<br />
Menschen viel Popularität verschafft.<br />
Theorien beruhen hauptsächlich auf<br />
der Technik, <strong>die</strong> gerade relevanten<br />
Merkmale für <strong>die</strong> jeweilige Denkschule<br />
zu vere<strong>in</strong>fachen oder zu ignorieren.<br />
Viele so genannte Geheimnisse der<br />
Wissenschaft könnten auf den unkritischen<br />
Gebrauch der <strong>Sprache</strong> zurückgeführt<br />
werden. „Das Höchste wäre<br />
zu begreifen, dass alles Faktische<br />
schon Theorie ist.“<br />
(1) Friedrich Waismann: Logik-<strong>Sprache</strong>-<br />
Philosophie, Stuttgart 1985. S. 129.<br />
aus: Laurent Verycken: Formen der <strong>Wirklichkeit</strong>:<br />
Auf den Spuren der Abstraktion. -<br />
Penzberg: Gr<strong>und</strong>Riss-Verlag 1994. S. 213.<br />
http://euro.me<strong>in</strong>-serva.de/mauthner2004<br />
/mauthner/can/fospra.html
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ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 4 Christmann/Schecker/Körner: Sprachliche Zeichen - Schema <strong>und</strong> Konzept* (2003)<br />
De Saussure lehrte zu Beg<strong>in</strong>n des<br />
letzten Jahrh<strong>und</strong>erts an der Universität<br />
<strong>in</strong> Genf <strong>und</strong> se<strong>in</strong> „Cours de l<strong>in</strong>guistique<br />
générale“ (1916/1931) entstand<br />
durch Mitschriften se<strong>in</strong>er Studenten,<br />
<strong>die</strong> <strong>die</strong>se zusammenfassten<br />
<strong>und</strong> posthum veröffentlichten. [...] Er<br />
plä<strong>die</strong>rte dafür, sich auf <strong>die</strong> Erforschung<br />
von <strong>Sprache</strong> zu e<strong>in</strong>em bestimmten<br />
Zeitpunkt zu konzentrieren,<br />
um ihr immanentes System zu erkennen.<br />
De Saussure […] begriff „Zeichen“ als<br />
im Kopf e<strong>in</strong>es „Zeichensubjekts“ stattf<strong>in</strong>denden<br />
Vermittlungsprozess z. B.<br />
zwischen e<strong>in</strong>em Gegenstand (etwa<br />
e<strong>in</strong> Stuhl) e<strong>in</strong>erseits <strong>und</strong> z. B. e<strong>in</strong>er<br />
Buchstabenkette wie „S-t-u-h-l“ andererseits.<br />
Dieses nach De Saussure nur im<br />
Kopf existierende Zeichen ist zweiseitig<br />
(diadisch): Es setzt sich aus dem<br />
image <strong>und</strong> dem concept zusammen<br />
<strong>und</strong> umfasst den mittleren Ausschnitt<br />
aus e<strong>in</strong>em <strong>in</strong>sgesamt vierteiligen<br />
Zusammenhang (s. Abb. u.).<br />
Beim image handelt es sich um e<strong>in</strong>e<br />
Art abstraktes, mentales Muster oder<br />
Schema, das es uns erlaubt, unendlich<br />
viele verschiedene Ausformungen<br />
der sensorischen Realität: e<strong>in</strong>es<br />
Schriftzuges, e<strong>in</strong>er Lautform usw., als<br />
identische Wortform zu erkennen. Wir<br />
s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Lage, <strong>die</strong> verschiedensten<br />
Schriftzüge als gleichwertig e<strong>in</strong>zustufen:<br />
Stuhl, stuhl, STUHL, Stuhl; ja<br />
sogar e<strong>in</strong>en teilweise verwischten<br />
Schriftzug können wir noch entziffern.<br />
Jedoch nicht nur das: Wir können<br />
(1) <strong>die</strong> schriftsprachliche /<br />
lautsprachliche Realität,<br />
z. B. e<strong>in</strong> konkreter Schriftzug wie<br />
TISCH<br />
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auch mit Sicherheit sagen, dass <strong>die</strong><br />
Schriftzüge Stoll, Strahl, Pool,<br />
*Y~:~~\:. ... nicht das gleiche D<strong>in</strong>g<br />
bezeichnen können wie <strong>die</strong> äußerlich<br />
so verschiedenen Varianten der Wortform<br />
Stuhl. Dieses im Kopf bef<strong>in</strong>dliche<br />
Muster zur Identifizierung e<strong>in</strong>es passenden<br />
Schriftzuges nennt de Saussure<br />
das image, mit Blick auf geschriebene<br />
<strong>Sprache</strong> image graphique.<br />
Ähnliches gilt für <strong>die</strong> akustische<br />
Wahrnehmung: Wenn verschiedene<br />
Personen das Wort „Stuhl“ aussprechen,<br />
ja sogar jedes Mal wenn e<strong>in</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong>selbe Person es ausspricht,<br />
kl<strong>in</strong>gt das etwas anders. Trotzdem<br />
können wir <strong>die</strong> Lautsequenz jedes<br />
Mal e<strong>in</strong>wandfrei identifizieren - selbst<br />
dann noch, wenn der andere <strong>und</strong>eutlich<br />
spricht oder durch Lärm im H<strong>in</strong>tergr<strong>und</strong><br />
teilweise übertönt wird. Auch<br />
hier liegt also offenbar im Kopf e<strong>in</strong><br />
Muster vor, mit Hilfe dessen <strong>die</strong> konkrete,<br />
physikalisch-materielle Lautkette<br />
analysiert <strong>und</strong> identifiziert <strong>und</strong><br />
gegebenenfalls vervollständigt wird:<br />
das image acoustique oder image<br />
phonique. Dieses image ist also <strong>die</strong><br />
e<strong>in</strong>e Seite des de Saussure´schen<br />
Zeichens. Es ist auf <strong>die</strong> sprachliche<br />
Realität (das Bezeichnende) ausgerichtet.<br />
Auf der anderen Seite besitzen wir<br />
aber auch e<strong>in</strong>e abstrakte mentale<br />
Merkmalsmatrix, das concept, welches<br />
es uns erlaubt, Gegenstände/<strong>die</strong><br />
Welt (das Bezeichnete) zu klassifizieren:<br />
Wir s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> der Lage, jeden xbeliebigen<br />
Stuhl als genau <strong>die</strong>ses<br />
Möbelstück zu erkennen - egal, ob er<br />
Foto: ullste<strong>in</strong> bild, Berl<strong>in</strong><br />
Deutschunterricht extra “Reflexion über <strong>Sprache</strong>”. 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) westermann 30<br />
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aus Holz, Metall oder e<strong>in</strong>em anderen<br />
Material ist, ob se<strong>in</strong>e Lehne abger<strong>und</strong>et<br />
oder eckig ist, ob er braun, weiß,<br />
rot oder bunt ist, ob er vier Be<strong>in</strong>e hat<br />
oder auf fünf Rollen fährt, usw. All<br />
<strong>die</strong>se verschiedenen Stühle s<strong>in</strong>d<br />
m<strong>in</strong>destens so verschieden wie <strong>die</strong><br />
oben beschriebenen Schriftzüge.<br />
Trotzdem können wir sie e<strong>in</strong>deutig<br />
identifizieren <strong>und</strong> von e<strong>in</strong>em Tisch,<br />
Bett, Schlüsselb<strong>und</strong>, usw. mühelos<br />
unterscheiden.<br />
Image oder concept alle<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d jedoch<br />
an sich noch ke<strong>in</strong> sprachliches<br />
Zeichen. Erst durch ihre Verschaltung<br />
gew<strong>in</strong>nen sie Bedeutung <strong>und</strong> werden<br />
so zum sprachlichen Zeichen. Diese<br />
Verschaltung wird als reziproke Evokation<br />
bezeichnet. Dabei handelt es<br />
sich um e<strong>in</strong> automatisches Sichgegenseitig-Hervorrufen.<br />
Ich kann<br />
nicht den Schriftzug „Stuhl“ lesen,<br />
ohne sofort außer dem image graphique<br />
auch das concept des Stuhls<br />
parat zu haben, <strong>und</strong> vice versa. Die<br />
Verschaltung von concept <strong>und</strong> image<br />
ist nur <strong>in</strong>tersubjektiv erklärbar: unbewusst<br />
spielen sich <strong>die</strong> Sprecher e<strong>in</strong>er<br />
Geme<strong>in</strong>schaft auf e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same<br />
sprachliche Strukturierung der Realität<br />
e<strong>in</strong> (Konvention).<br />
aus: Gabi Christmann, Prof. Dr. M. Schecker,<br />
Bianca Körner: „E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> <strong>die</strong><br />
L<strong>in</strong>guistik“. Neurol<strong>in</strong>guistisches Labor,<br />
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. In:<br />
www.neurolabor.de/script4-Planung/scriptma<strong>in</strong>frame.htm.<br />
(4) Die Objektrealität, z. B. der<br />
durch das folgende Bild wiedergegebene<br />
Tisch:
5<br />
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ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 5 Charlotte <strong>Wie</strong>demann: Die gerahmte Welt (2004)<br />
Ferne Länder s<strong>in</strong>d wie Erzählungen. Es ist schwer, aus e<strong>in</strong>er<br />
solchen Erzählung auszubrechen, wenn sie sich erst e<strong>in</strong>mal<br />
festgesetzt hat, wenn sie durch vielfaches <strong>Wie</strong>derholen r<strong>und</strong><br />
geschliffen worden ist zu e<strong>in</strong>em handlichen Stück<br />
Gebrauchs-Wahrheit. Will e<strong>in</strong> Korrespondent <strong>die</strong> Erzählung<br />
eigenmächtig ändern, dann reagieren <strong>die</strong> Redakteure <strong>in</strong> der<br />
Zentrale so entrüstet wie K<strong>in</strong>der, denen plötzlich e<strong>in</strong>e veränderte<br />
Fassung ihres Liebl<strong>in</strong>gsmärchens erzählt wird. Indonesien<br />
hatte lange Zeit nur e<strong>in</strong>e Po<strong>in</strong>te: Wann zerbricht das<br />
Inselreich? Die Annahme, es zerbräche nicht, verriet Leichtfertigkeit<br />
oder schlimmer: Unkenntnis. Die Po<strong>in</strong>te konnte nur<br />
verdrängt werden durch e<strong>in</strong>e andere, noch stärkere Po<strong>in</strong>te:<br />
Wird Indonesien islamistisch? Falls der Terrorismus je aufhören<br />
sollte, <strong>die</strong> Perspektive unserer Weltsicht zu bestimmen,<br />
wird gewiss das Zerbrechen des Inselreichs erneut e<strong>in</strong> drängendes<br />
Thema.<br />
Fram<strong>in</strong>g nennen Me<strong>die</strong>nwissenschaftler <strong>die</strong>sen Mechanismus:<br />
Journalisten beschreiben <strong>die</strong> Realität <strong>in</strong>nerhalb e<strong>in</strong>es<br />
Rahmens, der sich im Laufe der Zeit eher unbewusst etabliert<br />
hat. Das Bild <strong>in</strong>nerhalb des Rahmens ist nicht falsch im<br />
engen S<strong>in</strong>ne des Wortes, auch nicht gefälscht, aber es wirkt<br />
verfälschend, weil es nur e<strong>in</strong>e sehr verengte Perspektive auf<br />
<strong>die</strong> Realität erlaubt. Und das Fatale ist: Wir, <strong>die</strong> Me<strong>die</strong>nnutzer,<br />
bemerken es nicht. Auch wenn wir uns für gebildet <strong>und</strong><br />
kritisch halten. Der ständigen <strong>Wie</strong>derholung <strong>und</strong> der Macht<br />
der Bilder kann sich niemand entziehen. E<strong>in</strong> Fernsehzuschauer,<br />
der aus Pakistan nur Fäuste schüttelnde, bärtige<br />
Männer zu sehen be<strong>kommt</strong>, hält <strong>die</strong>ses Land naturgemäß für<br />
<strong>in</strong>tolerant <strong>und</strong> bedrohlich. Er weiß nicht, dass jedem Trupp<br />
bärtiger Männer e<strong>in</strong> Trupp Kameramänner auf den Fersen<br />
ist. Als <strong>die</strong> Amerikaner im Irak Saddam Husse<strong>in</strong> <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />
Erdloch gefangen nahmen, brach <strong>in</strong> Bagdad helle Begeisterung<br />
aus, wer e<strong>in</strong>e Waffe hatte, schoss <strong>in</strong> <strong>die</strong> Luft vor Freude.<br />
So sah es jedenfalls bei BBC aus; st<strong>und</strong>enlang, <strong>in</strong> jedem<br />
Nachrichtenblock wurde gefeiert <strong>und</strong> geschossen. E<strong>in</strong>e deutsche<br />
Kolleg<strong>in</strong> vor Ort fuhr mit dem Wagen durch Bagdad,<br />
suchte <strong>die</strong> Feiernden <strong>und</strong> fand so gut wie ke<strong>in</strong>e. Die BBC-<br />
Bilder zeigten nur <strong>die</strong> Reaktion e<strong>in</strong>es kle<strong>in</strong>en Segments der<br />
irakischen Gesellschaft.<br />
Oft s<strong>in</strong>d sich <strong>die</strong> Journalisten des Fram<strong>in</strong>g selbst gar<br />
nicht bewusst. Im Kreislauf der sich selbst bestätigenden<br />
Gebrauchswahrheiten s<strong>in</strong>d sie sowohl Treiber als auch Getriebene,<br />
Täter wie Opfer. Aufgr<strong>und</strong> der Umsatzgeschw<strong>in</strong>digkeit<br />
<strong>und</strong> des Umsatzvolumens von Nachrichten ist auch der<br />
Korrespondent vor Ort <strong>in</strong> großem Maße e<strong>in</strong> Me<strong>die</strong>nkonsument<br />
auf dem Gebiet, wo er oder sie eigentlich Produzent ist.<br />
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85<br />
[…]<br />
Von Bangkok aus <strong>die</strong> Geschehnisse <strong>in</strong> Afghanistan vermelden,<br />
von Delhi aus <strong>die</strong> Motive der Freischärler <strong>in</strong> den<br />
südlichen Philipp<strong>in</strong>en analysieren, das ist längst ke<strong>in</strong> Notbehelf<br />
mehr, sondern oftmals Alltag.<br />
Wenn <strong>in</strong>des an den Schauplätzen jener Krisen <strong>und</strong> Kriege,<br />
<strong>die</strong> als vorrangig gelten, tatsächlich H<strong>und</strong>erte oder Tausende<br />
Berichterstatter vor Ort s<strong>in</strong>d, geschieht etwas Erstaunliches:<br />
Die Konkurrenz führt <strong>in</strong> der Regel nicht zur Vielfalt, sondern<br />
im Gegenteil zur E<strong>in</strong>falt. Beim Kampf der vielen um <strong>die</strong> knappen<br />
Bildmotive <strong>und</strong> <strong>die</strong> kargen Informationen wird fram<strong>in</strong>g<br />
zum Überlebenspr<strong>in</strong>zip. […]<br />
Dank Internet <strong>und</strong> Satellitenfernsehen kann e<strong>in</strong><br />
schreibender Korrespondent, der <strong>in</strong> Jordanien sitzt, <strong>die</strong> Folgen<br />
e<strong>in</strong>es Erdbebens im Iran so farbig schildern, als wäre er<br />
dort. We<strong>in</strong>ende Angehörige <strong>und</strong> <strong>die</strong> Trümmer e<strong>in</strong>er Stadt<br />
lassen sich auch vom Fernsehschirm weg beschreiben. Nur:<br />
Es s<strong>in</strong>d Informationen aus zweiter Hand, Fram<strong>in</strong>g ist unvermeidbar.<br />
E<strong>in</strong>e englischsprachige <strong>in</strong>dische Zeitung zitiert <strong>in</strong><br />
ihrer Onl<strong>in</strong>e-Ausgabe e<strong>in</strong>en namenlosen Mann von der Straße<br />
zum Kaschmir-Konflikt; es ist e<strong>in</strong> Rikschafahrer aus Delhi,<br />
willkürlich herausgegriffen. B<strong>in</strong>nen St<strong>und</strong>en radelt unser<br />
Rikschafahrer durch <strong>die</strong> Weltpresse, nun das <strong>in</strong>dische Volksempf<strong>in</strong>den<br />
repräsentierend. Es ist <strong>in</strong> Mode gekommen, Berichten<br />
derart e<strong>in</strong>e Als-ob-Authentizität zu verleihen. Die<br />
Nähe zum Geschehen muss simuliert werden, das Erkennenlassen<br />
der realen Distanz wäre verdächtig. […]<br />
Was also gilt? Was wissen wir? E<strong>in</strong>e Mittelklasse-<br />
Gegend <strong>in</strong> den Philipp<strong>in</strong>en mag für unsere Augen aussehen<br />
wie e<strong>in</strong> Armutsviertel. Wir s<strong>in</strong>d Bl<strong>in</strong>de, sobald wir unseren<br />
vertrauten Kulturkreis verlassen, <strong>die</strong> Zone der uns vertrauten<br />
Zeichen. Simpler <strong>und</strong> zugleich schwerer als <strong>die</strong> Deutung<br />
e<strong>in</strong>es tibetanischen Rollbildes ist: Alltag entziffern. Zäune,<br />
Feldgröße, Straßenbreite <strong>in</strong>terpretieren. Dächer lesen. Was<br />
ist arm? <strong>Wie</strong> viele Kochtöpfe verraten sozialen Aufstieg? <strong>Wie</strong><br />
riecht gutes Leben im Schlechten? Die Maßstäbe dafür<br />
kommen nur offl<strong>in</strong>e <strong>in</strong> unsere Köpfe, durch beobachten,<br />
vergleichen. <strong>Wie</strong> viele unserer journalistischen Urteile entstehen<br />
aufgr<strong>und</strong> falscher Wahrnehmung, falscher Maßstäbe?<br />
[…] Wofür ich plä<strong>die</strong>re: den Rahmen weit machen, Entfernungen<br />
wieder anerkennen, Zweifel honorieren. Nichts ist so<br />
lächerlich wie der Glaube, durch unser Rähmchen würden<br />
wir <strong>die</strong> Welt erkennen.<br />
aus: Freitag 12 (12. März 2004), auf:<br />
www.freitag.de/2004/12/04120801.php, aufgerufen am 31.5.09<br />
Foto: E<strong>in</strong>ecke<br />
Deutschunterricht extra “Reflexion über <strong>Sprache</strong>”. 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) westermann 31
ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 6 ILTIS GmbH: Damit aus Strategien Handeln wird (2001)<br />
Die folgenden drei Schlüsselelemente machen e<strong>in</strong> wirkungsvolles<br />
Fram<strong>in</strong>g aus:<br />
• <strong>Sprache</strong>: Die Auswahl unserer Worte <strong>und</strong> Sätze ist entscheidend<br />
für den Prozess, bestimmte Deutungen zu erzeugen.<br />
Fram<strong>in</strong>g erzeugt Verständnis, zum Teil dadurch,<br />
weil <strong>die</strong>s e<strong>in</strong>fach <strong>in</strong> der Natur der <strong>Sprache</strong> liegt. Durch unsere<br />
<strong>Sprache</strong> können wir D<strong>in</strong>ge e<strong>in</strong>ordnen <strong>und</strong> geeignete<br />
Kategorien f<strong>in</strong>den.<br />
Außerdem hilft uns <strong>die</strong> <strong>Sprache</strong>, uns zu er<strong>in</strong>nern <strong>und</strong> Informationen<br />
abzurufen. Durch Metaphern können wir e<strong>in</strong>e<br />
Sache im Vergleich mit etwas anderem leichter verstehen<br />
<strong>und</strong> e<strong>in</strong>ordnen <strong>und</strong> so unser Verständnis von beiden verbessern.<br />
• <strong>Denken</strong>: Um andere framen zu können, müssen wir zuerst<br />
uns selbst framen. Dazu brauchen wir mentale Modelle.<br />
Das s<strong>in</strong>d tief verankerte <strong>in</strong>nere Bilder oder Vorstellungen<br />
darüber, wie <strong>die</strong> Welt funktioniert.<br />
Diese Vorstellungen haben e<strong>in</strong>en sehr starken E<strong>in</strong>fluss auf<br />
unser Fram<strong>in</strong>g-Verhalten, da sie direkt <strong>die</strong> Art bestimmen,<br />
wie wir wahrnehmen <strong>und</strong> gleichzeitig auch, welche Sichtweise<br />
wir anderen vermitteln. Neue Modelle basieren dabei<br />
auf den begrenzten Erfahrungen.<br />
• Vorausdenken <strong>und</strong> Spontaneität: Gute Kommunikation<br />
heißt nicht, e<strong>in</strong>e vorbereitete Rede zu halten. Die Zeit, unsere<br />
spontanen Äußerungen genau zu durchdenken, gibt<br />
es bei normalen Gesprächen e<strong>in</strong>fach nicht. Erst dann,<br />
wenn wir unsere E<strong>in</strong>drücke für unser Gedächtnis aufbereiten<br />
- uns er<strong>in</strong>nern. Prim<strong>in</strong>g (dt. Pumpen) schafft <strong>die</strong> Voraussetzungen<br />
für wirkungsvolle, spontane Kommunikation.<br />
aus: http://web.archive.org/web/20010222032607/www.4managers.de/02-Themen/Html-Sites/Fram<strong>in</strong>g.htm<br />
Sprachlich e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Sicht aufbauen<br />
Wollen wir heute erfolgreich mit anderen zusammenarbeiten,<br />
dann müssen wir ganz konkret <strong>in</strong> der Lage se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>e bestimmte<br />
Deutung <strong>und</strong> Sichtweise überzeugend, e<strong>in</strong>fach <strong>und</strong> verständlich<br />
vermitteln zu können.<br />
Fram<strong>in</strong>g ist <strong>die</strong> Kunst, durch <strong>Sprache</strong> zu führen, d. h. sprachlich<br />
e<strong>in</strong>e geme<strong>in</strong>same Welt <strong>und</strong> Weltsicht aufzubauen <strong>und</strong> dabei<br />
andere zum Handeln zu bewegen. […]<br />
Instrumente<br />
Um Fram<strong>in</strong>g im Unternehmensalltag wirkungsvoll anwenden<br />
zu können, stehen e<strong>in</strong>er Führungskraft verschiedene Instrumente<br />
zur Verfügung:<br />
• Metaphern stellen Verb<strong>in</strong>dungen zwischen verschiedenen<br />
Begriffen, D<strong>in</strong>gen oder Themen her, zeigen <strong>die</strong> Ähnlichkeiten<br />
auf <strong>und</strong> fügen neue Bedeutungsaspekte h<strong>in</strong>zu. Die<br />
Problematik bei Metaphern liegt dar<strong>in</strong>, dass wichtige andere<br />
Bedeutungen überdeckt werden können.<br />
• Insider-<strong>Sprache</strong> <strong>und</strong> Schlagworte fassen e<strong>in</strong> Thema <strong>in</strong><br />
allseits bekannte Begriffe; man sollte jedoch darauf achten,<br />
sie nicht überzustrapazieren.<br />
• Kontrast ist e<strong>in</strong> Mittel, um etwas durch Abgrenzung oder<br />
Gegenüberstellung zu verdeutlichen, da es manchmal<br />
leichter ist, zu sagen, was etwas nicht ist, statt genau zu<br />
def<strong>in</strong>ieren, was es ist. Achten Sie aber darauf, dass e<strong>in</strong>e<br />
schlechte Gegenüberstellung sehr viel Bedeutung verwischen<br />
kann.<br />
• Sp<strong>in</strong> stellt e<strong>in</strong> Thema <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em besonders positiven oder<br />
aber negativen Licht dar. Wird das betont Positive oder<br />
Negative überzogen <strong>und</strong> <strong>die</strong> Darstellung weicht zu sehr<br />
von der Realität ab, dann verliert man an Glaubwürdigkeit.<br />
• Geschichten lassen e<strong>in</strong> Thema durch e<strong>in</strong> Beispiel verstehen,<br />
wecken unsere Aufmerksamkeit <strong>und</strong> rufen Gefühle<br />
hervor. Sie s<strong>in</strong>d auch sehr gut für Lernsituationen geeignet.<br />
<strong>Wie</strong> Metaphern können jedoch auch bestimmte Bedeutungsaspekte<br />
zu kurz kommen.<br />
• Komplexe Metaphern haben sehr viele verborgene, unterschwellige<br />
Bedeutungen <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d sehr gut geeignet, um<br />
e<strong>in</strong>e Vision zu entwickeln. Doch sollten wie besonders<br />
darauf achten, dass sie nicht zu weit von den Erwartungen<br />
unserer Zuhörer entfernt s<strong>in</strong>d.<br />
Deutschunterricht extra “Reflexion über <strong>Sprache</strong>”. 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) westermann 32
5<br />
10<br />
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40<br />
ARBEITSMATERIAL <strong>Konzepte</strong> <strong>und</strong> Frames COPY<br />
M 7 Karl-He<strong>in</strong>z Flechsig: Kulturelle Schemata (1998)<br />
Menschen können von außen kommende<br />
<strong>und</strong> über ihre S<strong>in</strong>nesorgane<br />
empfangene Informationen mit Hilfe<br />
von Schemata zu Wissen umwandeln,<br />
<strong>in</strong>dem sie ihnen Bedeutungen<br />
zuordnen. Information, der ke<strong>in</strong>e<br />
Bedeutung zugeordnet wird, wird<br />
sozusagen ausgefiltert, nicht wahrgenommen<br />
<strong>und</strong> h<strong>in</strong>terlässt somit auch<br />
ke<strong>in</strong>e Spuren im Gedächtnis, kann<br />
auch nicht zu Wissen werden. Schemata<br />
<strong>die</strong>nen aber nicht nur der Auswahl,<br />
Filterung <strong>und</strong> Interpretation<br />
e<strong>in</strong>gehender Information, sondern<br />
zugleich der Speicherung <strong>und</strong> Ordnung<br />
von Wissen im menschlichen<br />
Gehirn.<br />
<strong>Wie</strong> hat man sich <strong>die</strong>se Schemata<br />
vorzustellen? E<strong>in</strong>e Analogie möge<br />
uns weiterhelfen: Man stelle sich<br />
e<strong>in</strong>en sehr, sehr großen Schrank mit<br />
sehr, sehr vielen <strong>in</strong> sich gefächerten<br />
Schubladen vor, <strong>die</strong> mit Etiketten<br />
versehen s<strong>in</strong>d, auf denen <strong>die</strong> Bezeichnungen<br />
der D<strong>in</strong>ge stehen, <strong>die</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>die</strong> Schubladen bzw. Fächer e<strong>in</strong>zuordnen<br />
s<strong>in</strong>d. Schemata als etikettierte<br />
<strong>und</strong> gefächerte Schubladen, damit<br />
endet jedoch schon unsere Analogie,<br />
denn Schubladen s<strong>in</strong>d relativ starre<br />
Gebilde, während Schemata sich<br />
entwickeln, anpassen, verändern <strong>und</strong><br />
untere<strong>in</strong>ander kommunizieren.<br />
Hier hilft vielleicht e<strong>in</strong>e andere Analogie<br />
weiter: Wir stellen uns unsere<br />
Schubladen als kle<strong>in</strong>e Computer vor,<br />
auf deren Festplatten Wissen gespeichert<br />
<strong>und</strong> geordnet ist <strong>und</strong> <strong>die</strong> untere<strong>in</strong>ander<br />
<strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>dung stehen. Wenn<br />
sie Wissen haben, das für andere<br />
Computer <strong>in</strong>teressant se<strong>in</strong> könnte,<br />
reichen sie es an <strong>die</strong>se weiter, damit<br />
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80<br />
sie es mit ihren eigenen Schemata<br />
verknüpfen. Und wenn sie Probleme<br />
haben, e<strong>in</strong>gehende Information zu<br />
<strong>in</strong>terpretieren <strong>und</strong> zu verstehen, können<br />
sie bei anderen Computern zurückfragen.<br />
Jeder <strong>die</strong>ser Computer ist<br />
dann für Schemata e<strong>in</strong>er bestimmten<br />
Art bzw. e<strong>in</strong>es bestimmten Bereichs<br />
zuständig.<br />
Schemata steuern aber nicht nur<br />
unsere Wahrnehmung <strong>und</strong> unsere<br />
Informationsverarbeitung, sondern<br />
auch unser Handeln. Als „klassisches“<br />
Beispiel für e<strong>in</strong>e Schema-<br />
Anwendung wird <strong>in</strong> mehreren Publikationen<br />
das Schema „Restaurant-<br />
Besuch“ erwähnt. Es umfasst e<strong>in</strong>e<br />
Anzahl von Merkmalen, z. B. woran<br />
man Restaurants erkennt <strong>und</strong> von<br />
Bahnhöfen unterscheiden kann, es<br />
umfasst aber auch Merkmale von<br />
Prozessen, <strong>die</strong> <strong>in</strong> Restaurants stattf<strong>in</strong>den,<br />
z. B. Speisekarte lesen,<br />
bestellen, konsumieren, Rechnung<br />
erbitten, bezahlen etc. E<strong>in</strong> solches<br />
Restaurant-Schema steuert unsere<br />
Erwartungen <strong>und</strong> lenkt unsere Wahrnehmung,<br />
es steuert aber auch unsere<br />
Handlungen <strong>und</strong> Interaktionen. […]<br />
Obwohl sich unsere bisherige Darstellung<br />
auf <strong>die</strong> Struktur der Schemata im<br />
Kopf von Individuen bezieht, dürfen<br />
ihre kulturellen Aspekte nicht ausgeblendet<br />
werden. Schemata s<strong>in</strong>d <strong>in</strong><br />
mehrfacher Weise abhängig von den<br />
Kulturgeme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen Menschen<br />
aufwachsen. Zum e<strong>in</strong>en bee<strong>in</strong>flusst<br />
<strong>die</strong> materielle Lebenswelt <strong>die</strong><br />
Erfahrungsmöglichkeiten e<strong>in</strong>es Individuums,<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong>se s<strong>in</strong>d am Polarkreis<br />
anders als im tropischen Regenwald,<br />
<strong>in</strong> hochtechnologisch strukturierten<br />
M 8 Selbstständiges, weiterführendes themengeleitetes Lesen<br />
Offen gebliebene Fragen zum Themenkomplex „<strong>Sprache</strong> –<br />
<strong>Denken</strong> – <strong>Wirklichkeit</strong>“ sammeln.<br />
Nutzen Sie für Ihre Recherche über Wikipedia etc. h<strong>in</strong>aus<br />
folgende L<strong>in</strong>ks (geprüft am 24.9.2009):<br />
http://www.textlog.de/mauthner.html<br />
www.textlog.de/19005.html<br />
http://www.christianlehmann.eu/l<strong>in</strong>g/l<strong>in</strong>g_theo/<strong>in</strong>dex.html<br />
http://www.christianlehmann.eu/l<strong>in</strong>g/l<strong>in</strong>g_theo/spr&denken/<strong>in</strong><br />
dex.html<br />
www.blutner.de/E<strong>in</strong>fu/e<strong>in</strong>fu.html<br />
www.neurolabor.de/script4-Planung/script-ma<strong>in</strong>frame.htm<br />
http://de.wikipedia.org/wiki/Sapir-Whorf-These<br />
www.netzgestalten.de/Frank.Hartmann/Sapir-Whorf.htm<br />
Deutschunterricht extra “Reflexion über <strong>Sprache</strong>”. 2009 (Günther E<strong>in</strong>ecke) westermann 33<br />
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115<br />
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Umwelten anders als bei Nomaden <strong>in</strong><br />
der Wüste. Sodann werden <strong>die</strong><br />
Schemata bee<strong>in</strong>flusst von den Deutungsmustern<br />
<strong>und</strong> Handlungsstrategien,<br />
den Werten <strong>und</strong> Normen der<br />
Kulturgeme<strong>in</strong>schaften, <strong>in</strong> denen Menschen<br />
aufwachsen <strong>und</strong> <strong>die</strong> ihnen über<br />
Akkulturations-, Sozialisations- <strong>und</strong><br />
Erziehungsprozesse vermittelt werden.<br />
Und schließlich s<strong>in</strong>d sie bee<strong>in</strong>flusst<br />
von historischem <strong>und</strong> kulturellem<br />
Wandel, der je nachdem schneller<br />
oder langsamer vor sich geht. […]<br />
Als selbstverständlich werden <strong>die</strong>se<br />
[nämlich <strong>die</strong> kulturellen Schemata]<br />
solange empf<strong>und</strong>en, solange Menschen<br />
nicht mit Alternativen konfrontiert<br />
werden. Geschieht <strong>die</strong>s jedoch,<br />
so werden <strong>die</strong>se alternativen Deutungsmuster<br />
<strong>und</strong> Verhaltensweisen<br />
zunächst als „fremd“ wahrgenommen.<br />
Gleichzeitig wird das Bewusstse<strong>in</strong><br />
dafür entwickelt, dass das Selbstverständliche<br />
das „Eigene“ ist. In der<br />
Regel geschieht <strong>die</strong>s durch Kulturkontrast-Erfahrungen<br />
<strong>in</strong> Begegnungen<br />
mit Mitgliedern anderer Kulturgeme<strong>in</strong>schaften<br />
(der eigenen Gesellschaft<br />
oder aus anderen Gesellschaften).<br />
Was den Charakter solcher Kulturkontrast-Erfahrungen,<br />
im Besonderen<br />
deren emotionale Aspekte anbelangt,<br />
so reichen <strong>die</strong>se von Neugier <strong>und</strong><br />
Imitationsversuchen über Verstörungen<br />
<strong>und</strong> Überbetonung, von Differenz<br />
bis h<strong>in</strong> zum so genannten „Kulturschock“.<br />
aus: www.ikud-sem<strong>in</strong>are.de<br />
/Interkulturelles_Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>g<br />
/Kulturelle_Schemata_<strong>in</strong>terkulturelles_Ler<br />
nen.pdf<br />
http://www.l<strong>in</strong>se.unidue.de/l<strong>in</strong>se/themen/sprachphilosophie_theorie.php<br />
www.rudolf-maresch.de/texte/50.pdf<br />
www.isk.rwth-aachen.de/585.html<br />
www.zeno.org/Philosophie<br />
www.zeno.org/Zeno/0/Suche?q=Sprachphilosophie&k=Bibliot<br />
hek<br />
zur Visualisierung von Leseergebnissen mit e<strong>in</strong>em<br />
Konspekt/Strukturdiagramm:<br />
www.fachdidaktik-e<strong>in</strong>ecke.de/4_Literaturdidaktik<br />
/konspekt_sachtexte.htm