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(125-188) (1,4 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein

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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />

Aus dem Inhalt<br />

A11041<br />

Sonderauflage mit Programmheft<br />

zum 53. Deutschen Anwaltstag 9.–11. Mai 2002 in München<br />

Aufsätze<br />

Die ZPO-Reform (Hansens) <strong>125</strong><br />

Neues Revisionsrecht und Verfassung<br />

(N. Fischer) 139<br />

Die neue Geldwäscherichtlinie (Hellwig) 144<br />

Die Unschuldsvermutung (Diercks) 147<br />

Gastkommentar<br />

Rechtsrat im Fernsehen (Töpper) 156<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

DAV Empfang „Auftakt 2002“ 157<br />

AG Anwaltsnotariat 161<br />

Mitteilungen<br />

Aufhebung des 10 %-Gebührenabschlags 167<br />

Steuerrecht: Gewerbesteuer bei<br />

Insolvenzverwaltern 168<br />

Besondere Verjährungsvorschriften im neuen<br />

Schuldrecht 174<br />

3/2002<br />

März <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag


Liebe Kollegin, lieber Kollege,<br />

Anwaltstag und <strong>Anwaltsblatt</strong> sind Zwillingskräfte<br />

der umfangreichen verbandspolitischen Arbeit des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, der starken beruflichen<br />

Interessenvertretung der Rechtsanwältinnen und<br />

der Rechtsanwälte sowie der Notare in der Bundesrepublik<br />

Deutschland.<br />

Dieses <strong>Anwaltsblatt</strong> 3/2002 kommt als Sonderauflage<br />

und mit vermehrter Seitenzahl zu Ihnen in<br />

allen Teilen Deutschlands. Es enthält das Programm<br />

und die vollständigen Anmeldeunterlagen<br />

für den 53. Anwaltstag, der vom 9. bis 11. Mai<br />

2002 in München stattfindet.<br />

Sie können das <strong>Anwaltsblatt</strong> nicht nur heute, sondern<br />

jeden Monat erhalten, wenn Sie Mitglied des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s sind. Das lohnt sich. Ein<br />

Blick in dieses <strong>Anwaltsblatt</strong> zeigt Ihnen die Vorteile<br />

der Mitgliedschaft. Lesen Sie, was der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> durch seinen Vorstand, seine<br />

Geschäftsführung, seine Ausschüsse, Arbeitsgemeinschaften,<br />

die Deutsche Anwaltakademie,<br />

den Deutschen Anwaltverlag und durch Informationen<br />

und Fortbildung auch für Sie leistet.<br />

Erweisen Sie uns Ihre Solidarität. Werden Sie Mitglied<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (durch Beitritt<br />

zu Ihrem örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>).<br />

Bedienen Sie sich kurzerhand per Fax des<br />

Rücksendeabschnitts auf dieser Seite!<br />

Anwaltstag und <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Mit kollegialem Gruß<br />

Ihr<br />

Dr. Michael Streck<br />

__ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __<br />

Absender (Stempel genügt):<br />

<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />

Littenstraße 11<br />

10179 Berlin<br />

JA, ich möchte zukünftig alle Vorteile<br />

des DAV durch Mitgliedschaft nutzen<br />

Bitte schicken Sie mir weitere<br />

kostenlose Informationen<br />

über den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

Datum Unterschrift<br />

DAV-FAX 0 30 /72 6152 -190 AnwBl 3/2002<br />

I


II<br />

b 3/2002 l<br />

Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Schriftleitung:<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Felix Busse Udo Henke<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack Rechtsanwälte<br />

Wolfgang Schwackenberg Berlin, Littenstraße 11<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Aufsätze<br />

<strong>125</strong> Die ZPO-Reform. Praktische Auswirkungen auf die<br />

Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />

Von Vors. Richter am LG Heinz Hansens, Berlin<br />

139 Verfassungsrechtliche Probleme des „neuen“<br />

zivilprozessualen Revisionsrechts<br />

Von Wiss. Mitarbeiter Nikolaj Fischer, Frankfurt a. M.<br />

144 Die neue Geldwäscherichtlinie<br />

Von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />

Frankfurt a. M.<br />

147 Das verfassungsrechtlich befremdliche Verhältnis des<br />

Gesetzgebers zur Unschuldsvermutung<br />

Von Uwe Diercks, Bonn<br />

155 Buchhinweis: Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl.<br />

(Hamacher)<br />

Gastkommentar<br />

156 Rechtsrat im Fernsehen rechtens<br />

Von Rechtsanwalt Bernhard Töpper, Leiter der Redaktion<br />

Recht und Justiz im ZDF, Mainz<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Jahrgang 52<br />

März 2002<br />

157 DAV Empfang „Auftakt 2002“<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

158 Einladung zur Mitgliederversammlung des DAV<br />

DAV Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

159 Deutsche Anwaltauskunft<br />

Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

160 DAV-Ausschüsse: Stellungnahmen im Jahre 2002 des DAV<br />

DAV-Pressemitteilungen: AdvoJob<br />

161 AG Anwaltsmanagement: Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

AG Anwaltsnotariat: Neues im Notariat<br />

Von Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />

163 Forum junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im<br />

DAV: Einladung zur Mitgliederversammlung<br />

AG Informationstechnologie: Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

AG Internationaler Rechtsverkehr:<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

ARGE Mietrecht & WEG: Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

164 AG Verkehrsrecht: Mitgliederversammlung 2002<br />

Personalien:<br />

– Auszeichnung von Anwälten<br />

– Neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Deutschen<br />

Anwaltverlages<br />

Buchhinweis: Schlund, Verkehrssicherungspflicht auf<br />

öffentlichem Grund<br />

Europa<br />

165 Europaweiter Anspruch auf Prozesskostenhilfe<br />

Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />

Niederlassungsrecht für Rechtsanwälte in Belgien<br />

Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />

Mitteilungen<br />

166 Anwaltsausbildung: Treffen der Anwaltshospitanten in<br />

Budapest<br />

Von Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />

167 Gebührenfragen: Aufhebung des 10 %-igen<br />

Gebührenabschlags Ost für das Stadtgebiet von Berlin-Ost<br />

Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

168 Steuerrecht: Gewerblichkeit des Rechtsanwalts als<br />

Insolvenzverwalter – Anmerkung zum Urteil des BFH vom<br />

12.12.2001 –<br />

Von Rechtsanwälten und Fachanwälten für Steuerrecht<br />

Dr. Klaus Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin<br />

171 Versicherungsfragen: Neues aus der gesetzlichen<br />

Unfallversicherung<br />

Von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />

174 Haftpflichtfragen:<br />

Besondere Verjährungsvorschriften nach der<br />

Schuldrechtsreform<br />

Von Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Allianz Versicherungs-AG, München<br />

176 Buchhinweis<br />

Schwarz (Hrsg), EU-Kommentar (Gündisch)<br />

Rechtsprechung<br />

(Übersicht und Leitsätze siehe Seite IV)<br />

178 Berufsrecht<br />

184 Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

<strong>188</strong> Impressum<br />

Auf dem Umschlag<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />

DAV-Informationen Seite VIII, XII, XXXVIII<br />

Internet-Aktuell Seite XXXVI<br />

DAV-Service Seite XL<br />

AnwaltsKunstblatt Seite U 3


IV<br />

Rechtsprechung<br />

Berufsrecht<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 26.9.2001 – 1 BvR<br />

1740/98; 69/99; 521/99<br />

GG Art. 3, 12<br />

1. Dem seit der Wiedervereinigung geltenden Recht lässt sich als<br />

Grundgedanke entnehmen, dass in der ehemaligen DDR ausgebildete<br />

Diplom-Juristen mit entsprechenden Berufserfahrung den<br />

Volljuristen gleichgestellt sind.<br />

2. Die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, welche für das<br />

Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt<br />

des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt waren,<br />

die Befähigung zum Richteramt fordert, verkennt die Reichweite<br />

des Art. 3, Abs. i. V. m. Art. 12, Abs. 1 in Ansehung der Gesamtregelung<br />

zur Integration der Diplom-Juristen. (LS der Redaktion) –<br />

S. 178<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 5.11.2001 – 1 BvR<br />

1523/00<br />

GG Art. 12 Abs. 1; BRAO § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />

1. § 46 Abs. 2 Nr. 1 umschreibt nur eine solche Vertragsbeziehung,<br />

bei der die Gefahr einer Interessenkollision bestehen kann.<br />

2. Aus Organisationsstrukturen können ohne Weiteres keine<br />

Schlüsse auf eine auf sachlichen Weisungen beruhende Abhängigkeit<br />

gezogen werden (LS der Red.) – S. 182<br />

BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZ (B) 10/00<br />

BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 551<br />

Nr. 7<br />

Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluss ist „nicht<br />

mit Gründen versehen“, wenn er nicht binnen fünf Monaten nach<br />

der Verhandlung voltständig schriftlich niedergelegt, von den<br />

Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben<br />

worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beschlussformel<br />

verkündet oder die Entscheidung insgesamt durch Zustellung<br />

bekannt gemacht worden ist (Fortführung von BGH,<br />

Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – BRAK-Mitt. 1998, 93<br />

und Aufgabe von BGH, Beschl. v. 29.9.1997 – AnwZ (B) 27/97 –<br />

BRAK-Mitt. 1998, 89). – S. 183<br />

Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

AG Köln, Urt. v. 5.7.2001 – 117 c 12/01<br />

ARB § 2 Abs. 1 lit a<br />

Die in der Auflösungsvereinbarung für ein Arbeitsverhältnis vereinbarten<br />

Leistungen bilden eine aufeinander bezogene Einheit und<br />

sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen. (LS der<br />

Redaktion) – S. 184<br />

LAG Köln, Beschl. v. 14.9.2001 – 13 Ta 214/01<br />

ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1; BRAGO § 8 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 3<br />

§ 31 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 113 Abs. 3; GKG § 12 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 19 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 3<br />

1. Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />

dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />

und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Streitgegenstand beziehen.<br />

2. Der Kündigungsschutzantrag und der Antrag auf Abfindungszahlung<br />

gem. § 113 Abs. 3 BetrVG betreffen unterschiedliche<br />

Streitgegenstände.<br />

3. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezüglich eines als Hilfsantrag<br />

gestellten Anspruchs auf Nachteilsausgleich ist, auch wenn das Gericht<br />

über den Hilfsantrag (hier wegen Klagerücknahme) nicht entschieden<br />

hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.<br />

– S. 185<br />

LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.12.2000 – 3 Ta 90/00<br />

BRAGO § 10, § 9; GKG § 25; ZPO § 97<br />

Das Wertfestsetzungsverfahren nach § 10 BRAGO ist gegenüber<br />

dem nach § 9 BRAGO subsidiär. Es greift nur ein, wenn sich die<br />

Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die Gerichtsgebühren<br />

maßgeblichen Wert richten oder es an einem solchen<br />

Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn Gerichtsgebühren<br />

nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren nach<br />

§§ 80 ff. ArbGG.<br />

Schließen die Parteien vor dem ArbG im Urteilsverfahren einen<br />

Vergleich, entfallen zwar die Gerichtsgebühren nach Ziff. 9112 des<br />

Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Damit fehlt es nicht an einem<br />

Wert für die Festsetzung. Die Gebühren werden lediglich nicht erhoben.<br />

Auch in diesem Fall erfolgt die Wertfestsetzung nach § 9<br />

BRAGO i. V. m. § 25 GKG.<br />

Legt ein Rechtsanwalt in eigenem Namen Beschwerde gegen eine<br />

Streitwertfestsetzung durch das Gericht nach § 9 BRAGO i. V. m.<br />

§ 25 GKG ein, werden gem. § 25 Abs. 4 GKG außergerichtliche<br />

Kosten nicht erstattet. – S. 186<br />

VG Schleswig, Beschl. v. 14.11.2000 – 3 A 144/98<br />

GKG § 13<br />

Der Streitwert in einem Verfahren, in dem vordergründig um die<br />

Verleihung der Rechtsfähigkeit an einen als wirtschaftlicher Verein<br />

gegründeten Feuerbestattungsverein gestritten wird, in der es hingegen<br />

mittelbar um die Frage geht, ob die Errichtung und der Betrieb<br />

eines Krematoriums überhaupt durch ein auf Gewinnerzielung<br />

ausgerichtetes Rechtssubjekt des privaten Rechts erfolgen<br />

darf, ist in Höhe eines Zehntels der für eine solche Anlage erforderlichen<br />

Investitionssumme festzusetzen. – S. 186<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 14.5.2001 – 11 W 319/01<br />

ZSEG § 7 Abs. 1<br />

In entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 1 ZSEG kann sich<br />

eine Parteivereinbarung auch auf die Höhe der dem Sachverständigen<br />

zu erstattenden Auslagen beziehen. – S. 186<br />

SG Düsseldorf, Beschl. v. 12.6.2001 – § 21 Al 112/00<br />

ZPO § 91a<br />

Beruht die angefochtene Entscheidung eines Arbeitsamtes auf einer<br />

für verfassungswidrig erklärten Norm, so ist das Arbeitsamt zur Erstattung<br />

der Kosten der Rechtsverfolgung sowohl im Widerspruchswie<br />

auch im Klageverfahren verpflichtet. (LS der Red.) – S. 186<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2000 – 10 W 11/00<br />

ZPO § 104 Abs. 2 S. 3<br />

Die erstattungsberechtigte Partei ist befugt, die ihre Vorsteuerabzugsberechtigung<br />

betreffende Erklärung im Verlauf des Kostenfestsetzungsverfahrens<br />

zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene Erklärung<br />

maßgeblich ist. – S. 187<br />

OLG München, Beschl. v. 11.4.2000 – 11 WF 745/00<br />

ZPO §§ 104, 106<br />

Mit einer im Rechtsstreit rechtskräftig titulierten Forderung, kann<br />

auch dann im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Kostenerstattungsanspruch<br />

aufgerechnet werden, wenn wegen Kostenquotelung<br />

zwischen den Parteien ein Kostenausg1eich stattzufinden hat. Die<br />

Aufrechnung wird zulässig, sobald die Parteien die gegenseitigen<br />

Kostenfestsetzungsanträge eingereicht haben. – S. <strong>188</strong>


VIII<br />

4<br />

In diesem Heft:<br />

Lesen Sie in diesem Heft aus der<br />

Arbeit des DAVauf Seite 157 bis 164:<br />

DAV Empfang „Auftakt 2002“ /<br />

DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus<br />

und Gewalt / Deutsche Anwaltauskunft<br />

/ Stellungnahmen des<br />

DAV / AdvoJob / AG Anwaltsnotariat:<br />

Neues im Notariat / Personalien<br />

Gebührenrecht in AGS Nr. 3/2002*<br />

9 von König: Die Änderung der Beschwerdevorschriften<br />

durch das<br />

9<br />

ZPO-RG insbesondere am Beispiel<br />

der Anfechtung des Kostenfestsetzungsbeschlusses<br />

OLG Koblenz: Vertretung mehrerer<br />

Beklagter durch denselben Anwalt<br />

9 VGH München: Gegenstandswert<br />

9<br />

im Asylverfahren<br />

OLG Schleswig: Auswirkungen der<br />

Nichtzulassung der Klageerhöhung<br />

auf Streitwert<br />

9 OLG Koblenz: PKH für einen der<br />

Streitgenossen<br />

* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS) erscheint<br />

monatlich auf 24 Seiten im Deutschen Anwaltverlag<br />

und wird hrsg. von RA Madert in Verbindung<br />

mit dem Gebührenrechtsausschuss des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s unter ständiger Mitarbeit<br />

von VRiKG a. D. von Eicken, Dipl.-Rechtspfleger<br />

Hellstab, Dipl.-Rechtspflegerin von König<br />

und der Schriftleitung des <strong>Anwaltsblatt</strong>es.<br />

Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />

erhalten Sie vom Deutschen Anwaltverlag in<br />

53111 Bonn, Wachsbleiche 7, Tel. 0228/91911-0.<br />

Info<br />

Anwaltsverzeichnis 2002/2003<br />

Das Anwaltsverzeichnis 2001 war bereits<br />

nach einem halben Jahr restlos<br />

vergriffen. Im Hinblick auf die große<br />

Nachfrage aus Anwaltschaft und Wirtschaft<br />

haben sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

als Herausgeber und der<br />

Deutsche Anwaltverlag entschlossen,<br />

im kommenden August eine völlig<br />

überarbeitete Ausgabe dieses Standardwerkes<br />

zu veröffentlichen. Das<br />

Anwaltsverzeichnis wird sowohl in<br />

gedruckter Ausgabe als auch als CD-<br />

ROM erscheinen.<br />

Damit das Nachschlagewerk pünktlich<br />

im August erscheinen kann, startet der<br />

Verlag bereits im März mit dem Versand<br />

der Fragebogen. Bitte senden Sie<br />

die korrigierten Datenblätter umgehend<br />

an die Adresszentrale zurück. Versäumen<br />

Sie nicht, rechtzeitig Ihr persönliches<br />

Exemplar zu reservieren.<br />

Ihre Fragen beantwortet gerne der<br />

Deutsche Anwaltverlag, Frau Blaschko,<br />

Telefon 0228/91911-76.<br />

Die Geschäftsführung des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Veranstaltungen Inland<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Seminare März 2002<br />

9 Unterhaltsansprüche von Eltern,<br />

Müttern oder Vätern nichtehelicher<br />

Kinder, gleichgeschlechtlichen<br />

Lebenspartnern<br />

Richterin am Familiengericht Günther,<br />

Marburg<br />

16. März 2002 in Berlin<br />

Seminar: R 12003-02<br />

9 Schuldrecht aktuell: Das neue<br />

Kaufrecht<br />

RA Linnertz, Bremen<br />

22. März 2002 in Hannover<br />

Seminar: R 63322-02<br />

9 Arbeitsrecht im Betrieb<br />

RA Dr. Tschöpe, Gütersloh<br />

22. März 2002 in Hamburg<br />

Seminar: R 21005-02<br />

9 Der Vergütungsanspruch des<br />

Bauunternehmers<br />

Vors. Richter am OLG Keldungs,<br />

Düsseldorf<br />

23. März 2002 in Bochum<br />

Seminar: R 11117-02<br />

9 Der Zivilprozeß nach der<br />

ZPO-Reform<br />

Vors. Richter am LG Crückeberg,<br />

Oldenburg, alternativ<br />

Richter am OLG Dr. Meyke, Oldenburg<br />

23. März 2002 in Erfurt<br />

Seminar: R 62511-02<br />

9 Film- und Fernsehproduktionen:<br />

Vertragsgestaltung und<br />

Finanzierungsfragen<br />

RA Dr. Straßer, München<br />

12. April 2002 in Potsdam<br />

Seminar: R 51508-02<br />

Anmeldung und Info:<br />

Deutsche Anwaltakademie, Littenstr. 11,<br />

10179 Berlin, Telefon: 030/726153-0,<br />

Fax: 030/726153-111<br />

www.anwaltakademie.de<br />

AG Sportrecht im DAV<br />

Frühjahrstagung 2002 der Arbeitsgemeinschaft<br />

Sportrecht am 19./<br />

20.2.2002 im Olympischen Museum<br />

Lausanne<br />

Vorträge:<br />

– Rechtsstrukturen des IOC und seiner<br />

Organe<br />

– Geschichte des CAS/TAS (Internationales<br />

Sportgericht) und Grundsätze<br />

seiner Rechtsprechung<br />

– Die Rechtsprechung der CAS/TASad<br />

hoc-Division bei den Olympischen<br />

Winterspielen 2002.<br />

Modell-Schiedsverfahren nach dem<br />

CAS/TAS Code:<br />

Der Fall Alexander Leipold (selbst anwesend)<br />

Podiumsdiskussion:<br />

CAS/TAS als Berufsschiedsgericht gegen<br />

Entscheidungen eines deutschen<br />

Bundessportschiedsgerichts?<br />

Detaillierte Informationen zum Fachprogramm,<br />

zum Rahmenprogramm,<br />

den Tagungsbeiträgen und zur Zimmerreservierung<br />

erhalten Sie bei der:<br />

Deutschen AnwaltAkademie<br />

Frau Anja Hoffmann<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin<br />

Tel.: (0 30) 72 61 53 183<br />

Fax: (0 30) 72 61 53 <strong>188</strong><br />

E-Mail: hoffmann@anwaltakademie.de<br />

sowie im Internet unter:<br />

www.anwaltverein.de und<br />

www.sportrecht-dav.de<br />

(Fortsetzung auf Seite XII)<br />

Im nächsten Heft u. a.:<br />

9 DAV-Forum „Fachanwaltschaften<br />

– eine Forderung des Marktes“


XII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite VIII)<br />

ARGE Baurecht im DAV:<br />

SOBau – Aus- und Weiterbildung<br />

Grundlagenseminar<br />

1. Halbjahr 2002<br />

Seminar-Inhalt:<br />

9 Das Phänomen Konflikt: Definition,<br />

Struktur, Dynamik<br />

9 Überblick über die gängigen Formen<br />

der außergerichtlichen Konfliktbeilegung<br />

9 Das Harvard-Verhandlungsmodell<br />

9 Der Ablauf der Schlichtung nach<br />

der SOBau<br />

9 Kommunikationstechniken<br />

9 Verhandlungstechniken<br />

9 Kreativitätstechniken<br />

Methodik: Vortrag, Training in<br />

Rollenspielen,<br />

Kleingruppenarbeit<br />

Referentin: Frau Gertrud Wölke,<br />

Dipl.-Psychologin,<br />

Mediatorin<br />

Termin: 6.–8. Juni sowie<br />

28./29. Juni 2002 (2 Teile)<br />

Teilnahmegebühr: 1.000 E für Mitglieder<br />

der ARGE Baurecht, 1.200 E für<br />

Nichtmitglieder<br />

Teilnehmerzahl: max. 24 Personen<br />

Seminarort: Nürnberg-Boxdorf, Hotel<br />

Schindlerhof, Steinacher Straße 6–8,<br />

90427 Nürnberg-Boxdorf, Tel.: 0911/<br />

9302-0, Fax: 0911/9302-620<br />

Zimmerkontingent abrufbar unter dem<br />

Stichwort ARGE Baurecht.<br />

Preis 120 E /130 E pro Nacht inkl.<br />

Frühstück<br />

Das Hotel Schindlerhof ist ein kleines,<br />

exklusives Seminar-Hotel am Stadtrand<br />

von Nürnberg, jedoch sehr verkehrsgünstig<br />

gelegen.<br />

Informieren Sie sich im Internet:<br />

www.schindlerhof.de<br />

Information und Organisation:<br />

Deutsche Anwaltakademie, Littenstr. 11,<br />

10179 Berlin, Tel. 030-726153-181,<br />

Fax: 030-726153-<strong>188</strong>, Herr Frank<br />

Ritter<br />

AG Ausländer- und Asylrecht/<br />

<strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />

Einführung<br />

Staatsangehörigkeitsrecht<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />

Asylrecht im DAV und der Stuttgarter<br />

<strong>Anwaltverein</strong> laden ein zur<br />

Fortbildungsveranstaltung am Samstag,<br />

13. April 2002, 10.00 –17.00 Uhr<br />

nach Stuttgart, Haus der Architekten,<br />

Danneckerstr. 54, 70182 Stuttgart.<br />

Thema: Einführung in das<br />

Staatsangehörigkeitsrecht<br />

Referenten: Regierungsdirektor<br />

Jungnickel, RP Darmstadt<br />

Rechtsanwalt Rainer M.<br />

Hofmann, Aachen<br />

Das Seminar richtet sich an Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, die<br />

eine Einführung in das (neue) deutsche<br />

Staatsangehörigkeitsrecht wünschen.<br />

Es werden praxisrelevante Fragestellungen<br />

erörtert.<br />

Teilnahmegebühren: 100 E für Mitglieder<br />

der ARGE und Mitglieder des<br />

Forums Junger Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte; 150 E für Nichtmitglieder<br />

(wer bis zur Anmeldung der<br />

ARGE beitritt – Mitgliedsbeitrag 65 E<br />

pro Jahr – zahlt bereits den ermäßigten<br />

Teilnehmerbeitrag)<br />

In den Kosten ist der Preis für Tagungsgetränke,<br />

Mittagessen und Kaffee enthalten.<br />

Anmeldung: schriftlich bei Herrn<br />

Rechtsanwalt Wolfram Steckbeck per<br />

Fax: (09 11) 5 19 59 -20, per E-Mail:<br />

RASUR@t-online.de, oder per Post:<br />

Leipziger Platz 1, 90491 Nürnberg.<br />

Zahlung: Bitte überweisen Sie die jeweilige<br />

Teilnahmegebühr bis spätestens<br />

30. März 2002 auf das Konto von<br />

Herrn Rechtsanwalt Steckbeck, Kto.<br />

1938 26 - 857 bei der Postbank<br />

Nürnberg, BLZ 760 100 85 unter dem<br />

Stichwort: ARGE 13.04.02<br />

Ansprechpartner: Herr Rechtsanwalt<br />

Rainer M. Hofmann, Alsenstraße 17,<br />

52068 Aachen, Tel.: (02 41) 9 49 70 - 0,<br />

Fax: (02 41) 9 49 70 -29,<br />

aix-lex@t-online.de<br />

AG Verkehrsrecht des DAV<br />

Veranstaltungen April 2002<br />

Datum/Ort: 13. April 2002, Berlin<br />

Thema: Gebührenoptimierung<br />

im Verkehrsrecht<br />

Referent: RAuN Brieske, Bremen<br />

Datum/Ort: 20. April 2002, Hagen<br />

Thema: Unfallregulierung und<br />

Sozialrecht<br />

Referenten: RA Prof. Dr. Plagemann,<br />

Frankfurt<br />

Assessor Nehls,<br />

Holz-BG, Erfurt<br />

Datum/Ort: 27. April 2002,<br />

Bad Bramstedt<br />

Thema: Prozesstaktik im<br />

Haftpflichtprozess<br />

Referent: Richter am OLG Diehl,<br />

Frankfurt<br />

Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen):<br />

100 E für Mitglieder der ARGE; 150 E<br />

für Nichtmitglieder<br />

Bundesweite Veranstaltung:<br />

Datum/Ort: 26.-27. April 2002,<br />

Würzburg (Achtung:<br />

Terminänderung!)<br />

– Mitgliederversammlung<br />

der ARGE Verkehrsrecht –<br />

Thema: Die Rechtsprechung des<br />

BGH in Verkehrssachen<br />

im Jahre 2001<br />

Referenten: Richter am BGH a. D.<br />

Dr. von Gerlach<br />

Richter am BGH a. D.<br />

Prof. Römer<br />

Vors. Richter am BGH<br />

Prof. Dr. Tolksdorf<br />

Teilnehmergebühr: 205 E für Mitglieder<br />

der Arbeitsgemeinschaft; 255 E<br />

für Nichtmitglieder<br />

Sonderveranstaltung:<br />

Datum/Ort: 20.– 21. April 2002,<br />

Bochum<br />

Thema: Verkehrsrecht für<br />

junge Kollegen und<br />

Referendare<br />

Referenten: RA Riedmeyer, München<br />

RAuN Ziegert, Lüneburg<br />

Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen<br />

am 16.3.2002): 150 E für Rechtsanwälte;<br />

100 E für Referendare<br />

(Fortsetzung auf Seite XXXVIII)


Im Auftrag des<br />

Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Die ZPO-Reform<br />

Schriftleitung:<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Berlin, Littenstraße 11<br />

Jahrgang 52<br />

März 2002 AQl<br />

Praktische Auswirkungen auf die Tätigkeit des<br />

Rechtsanwalts<br />

Vors. Richter am LG Heinz Hansens, Berlin<br />

Nach Auffassung des Gesetzgebers hat die in ihren Strukturen<br />

Jahrzehnte alte ZPO Schwachstellen und Strukturmängel aufgewiesen.<br />

Durch eine grundlegende Strukturreform sollte die ZPO<br />

„bürgernäher, effizienter und transparenter“ werden. Die ersten Reformvorschläge<br />

der Bundesministerin der Justiz sind sowohl auf<br />

Seiten der Richterschaft als auch bei den Anwälten auf erheblichen<br />

Widerspruch gestoßen. Ein Teil der von beiden Seiten geltend gemachten<br />

Mängel ist dann im weiteren Gesetzgebungsverfahren behoben<br />

worden. Gleichwohl wird das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses<br />

1 als ein wortreiches, aber substanzarmes sowie steriles<br />

Retortenkind 2 und als überflüssig wie ein Kropf 3 bezeichnet.<br />

Gleichwohl müssen Rechtsanwälte und Richter mit der neuen<br />

ZPO, die sie nicht gewollt haben, arbeiten. Die Qualität des Gesetzes<br />

zeigt sich auch daran, dass einige Bestimmungen vor ihrem In-<br />

Kraft-Treten durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts<br />

4 wieder berichtigt werden mussten. Nachfolgend sollen die<br />

wesentlichen praktischen Auswirkungen der ZPO-Reform auf die<br />

anwaltliche Tätigkeit dargestellt werden.<br />

I. Neuregelungen im Verfahren der ersten Instanz<br />

1. Güteverhandlung<br />

Bereits mit Wirkung vom 1.1.2000 ist durch § 15a EGZPO<br />

dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt worden, ein<br />

obligatorisches Güteverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung für<br />

bestimmte Klagen einzuführen. Von dieser Möglichkeit haben<br />

durch Landesgesetz die Länder Baden-Württemberg, Bayern,<br />

Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen-<br />

Anhalt in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Dieses<br />

außergerichtliche Güteverfahren kann der Kläger dadurch vermeiden,<br />

dass er ein Gericht in einem Bundesland anruft, das dieses<br />

Güteverfahren noch nicht eingerichtet hat. Voraussetzung hierfür<br />

ist allerdings, dass dieses Gericht auch zuständig ist.<br />

Der Versuch der Streitschlichtung ist nunmehr in § 278 ZPO 5<br />

für das gerichtliche Verfahren zwingend vorgeschrieben. Diese<br />

Güteverhandlung lehnt sich an das arbeitsgerichtliche Güteverfahren<br />

nach § 54 ArbGG an. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren haben<br />

jedoch vielfach beide Parteien Interesse an einer alsbaldigen gütlichen<br />

Einigung über den Klagegegenstand. Insbesondere in den<br />

arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeiten ist dem Arbeitgeber<br />

häufig daran gelegen, das Arbeitsverhältnis mit dem klagenden<br />

Arbeitnehmer schnellstmöglich zu beenden. Der Arbeitnehmer hat<br />

Nachrichten für die Mitglieder<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e. V.<br />

vielfach lediglich ein Interesse daran, sich die nicht vermeidbare<br />

Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit einer Abfindung zu „versüßen“.<br />

Demgegenüber ist die Interessenlage in den meisten zivilrechtlichen<br />

Streitigkeiten völlig anders. Vielfach macht der Kläger<br />

unstreitige oder nicht ernsthaft zu bestreitende Zahlungsansprüche<br />

geltend, deren alsbaldige Titulierung der Beklagte wegen Zahlungsunfähigkeit<br />

oder Zahlungsunwilligkeit möglichst vermeiden<br />

will. Die obligatorische Einführung der Güteverhandlung führt in<br />

solchen Fällen damit zu einer Verzögerung und Verteuerung des<br />

Rechtsstreits.<br />

a) Voraussetzungen der Güteverhandlung<br />

Die Güteverhandlung ist grundsätzlich in allen erstinstanzlichen<br />

Verfahren nach der ZPO vorgeschrieben, in denen eine mündliche<br />

Verhandlung stattfindet, nicht jedoch in der Berufungs- oder Revisionsinstanz<br />

(s. §§ 525 S. 2, 555 Abs. 1 S. 2 ZPO). Anders als in<br />

§ 15a Abs. 2 EGZPO geregelt, nimmt § 278 ZPO keine Verfahrensarten<br />

von der Güteverhandlung aus. Folglich ist eine Güteverhandlung<br />

auch in Eilverfahren mit mündlicher Verhandlung obligatorisch<br />

6 . Lediglich unter den in § 278 Abs. 2 S. 1 ZPO<br />

geregelten Voraussetzungen kann das Gericht von der Güteverhandlung<br />

absehen:<br />

– es hat bereits ein – erfolgloser – Einigungsversuch vor einer<br />

außergerichtlichen Gütestelle (s. § 15a EGZPO) stattgefunden;<br />

– oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos.<br />

Dieser dehnbare Begriff lädt geradezu zur Umgehung der obligatorischen<br />

Güteverhandlung ein 7 . Gleichwohl birgt eine zu<br />

großzügige Auslegung des Begriffs „Aussichtslosigkeit“ die Gefahr<br />

einer Zurückverweisung nach § 538 ZPO 8 . Entscheidenden Einfluss<br />

für die Entscheidung, ob das Gericht die Güteverhandlung als aussichtslos<br />

ansieht, hat das Parteivorbringen. Das Interesse des Klägervertreters<br />

wird vielfach darin bestehen, das Gericht von der Aussichtslosigkeit<br />

von Vergleichsverhandlungen zu überzeugen. Hierzu<br />

könnte der Vortrag des Klägervertreters dienlich sein, der Beklagte<br />

habe ein außergerichtliches Vergleichsangebot abgelehnt oder die<br />

Verpflichtung zur Zahlung der Klageforderung schlichtweg abgelehnt.<br />

Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten könnte demgegenüber<br />

die Vergleichsbereitschaft seines Mandanten bekunden,<br />

1 Vom 27.7.2001, BGBl. I, S. <strong>188</strong>7.<br />

2 Schellhammer, MDR 2001, 1081.<br />

3 Egon Schneider, ZAP-Kolumne, ZAP 2001, 787.<br />

4 Vom 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138.<br />

5 Paragrafenangaben ohne Zusatz beziehen sich auf die ZPO in der Fassung des<br />

ZPO-Reformgesetzes.<br />

6 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, § 278 Rdnr. 9.<br />

7 Schellhammer, MDR 2001, 1081, 1082.<br />

8 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2581.


126<br />

l<br />

ohne sich festlegen zu müssen, dass tatsächlich eine Einigung zu<br />

Stande kommt. Auch bei einer streitigen Ehescheidung kann eine<br />

Güteverhandlung in Betracht kommen 9 . Aussichtslos dürfte eine<br />

Güteverhandlung jedenfalls dann sein, wenn eine Partei vorträgt, sie<br />

wolle sich nicht gütlich einigen 10 .<br />

b) Verfahrensvorschriften<br />

Das Gericht hat zu der Güteverhandlung gemäß § 278 Abs. 3<br />

S. 1 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen.<br />

Dies gilt sogar auch für weitere Güteversuche. Das Gericht kann<br />

jedoch von der Anordnung des persönlichen Erscheinens absehen,<br />

wenn der Partei das Erscheinen wegen großer Entfernung oder aus<br />

sonstigen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist (s. § 141 Abs. 1<br />

S. 2 ZPO), was von der Partei darzulegen ist. Die Partei kann aber<br />

auch einen Verhandlungsvertreter entsenden (§ 141 Abs. 3 S. 2<br />

ZPO ). Dies kann auch der eigene Prozessbevollmächtigte sein, der<br />

dann eine besondere Vollmacht vorlegen sollte. Eine bedürftige<br />

Partei kann bei der Landeskasse einen Reisekostenvorschuss geltend<br />

machen 11 . Die Durchführung einer Güteverhandlung verteuert<br />

in vielen Fällen unnötig den Rechtsstreit. Den erscheinenden Parteien<br />

entstehen vielfach durch die Wahrnehmung der Güteverhandlung<br />

ein Verdienstausfall sowie Reisekosten. Die unterlegene Partei<br />

muss diese Terminswahrnehmungskosten erstatten (§ 91 Abs. 1 S. 2<br />

ZPO). Kommt es tatsächlich zu einer vergleichsweisen Einigung<br />

der Parteien, sollten die beteiligten Rechtsanwälte bei der Kostenregelung<br />

auch an diese Terminswahrnehmungskosten denken. Nicht<br />

selten kommt es vor, dass einer Partei ein Verdienstausfall für den<br />

gesamten Tag zusteht, auch wenn die Verhandlung nur ein bis zwei<br />

Stunden gedauert hat. Dann kann der erstattungsfähige Verdienstausfall<br />

bis zu (10 Stunden x 13 E =) 130 E betragen (s. § 2 Abs. 2<br />

u. Abs. 5 ZSEG).<br />

aa) Beide Parteien erschienen<br />

In diesem Fall hat das Gericht den Sach- und Streitstand mit<br />

den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern<br />

und erforderliche Fragen zu stellen (§ 278 Abs. 2 S. 2 ZPO). Hierzu<br />

hat es auch die erschienen Parteien persönlich zu hören (§ 278<br />

Abs. 2 S. 3 ZPO). Das Gericht kann den Parteien auch eine außergerichtliche<br />

Streitschlichtung vorschlagen (§ 278 Abs. 5 S. 2 ZPO)<br />

und in diesem Fall das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO<br />

anordnen (§ 278 Abs. 5 S. 3 ZPO). Das Gericht kann in dem Gütetermin<br />

auch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs – ggf.<br />

unter Widerrufsvorbehalt – anregen. Es kann den Parteien ferner<br />

einen schriftlichen Vergleichsvorschlag machen, den diese durch<br />

Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen können (§ 278 Abs. 6<br />

S. 1 ZPO). Nehmen die Parteien diesen Vorschlag an, stellt das Gericht<br />

das Zustandekommen und den Inhalt des geschlossenen Vergleichs<br />

durch Beschluss fest (§ 278 Abs. 6 S. 2 ZPO). Ein solcher<br />

Vergleich erfüllt jedoch nicht die Formvorschrift des § 127a BGB,<br />

weil er nicht zu gerichtlichem Protokoll erklärt wird. Wünschen<br />

die Parteien Änderungen, müssen sie diese dem Gericht mitteilen,<br />

das dann einen neuen Vorschlag macht, den die Parteien dann<br />

schriftsätzlich annehmen können 12 . Nicht geregelt ist jedoch, ob<br />

der Feststellungsbeschluss auch die an sich gemäß § 160 Abs. 3<br />

Nr. 1 ZPO erforderliche Protokollierung des Vergleichs ersetzt 13 .<br />

Außerdem sind die Parteien darauf angewiesen, dass das Gericht<br />

den Beschluss so formuliert, dass er einen vollstreckbaren Inhalt<br />

hat. Wenn der Beschluss den Vergleichsinhalt nicht zutreffend wiedergibt,<br />

kann die Berichtigung nach § 278 Abs. 6 S. 3 i. V. m.<br />

§ 164 ZPO beantragt werden, der an sich nur für Protokolle gilt.<br />

Ansonsten ist nicht geregelt, ob ggf. mit welchem Rechtsbehelf ein<br />

solcher Beschluss anfechtbar ist. Nach Baumbach/Lauterbach/Hartmann<br />

14 ist gegen den Feststellungsbeschluss kein Rechtsmittel, gegen<br />

dessen Ablehnung jedoch die sofortige Beschwerde gegeben,<br />

was dann als fraglich erscheint, wenn der Richter ohne förmliche<br />

Entscheidung einfach untätig bleibt. Außerdem ist fraglich, ob ein<br />

solcher Beschluss als Vollstreckungstitel i. S. v. § 794 Abs. 1 Nr. 1<br />

ZPO 15 anzusehen ist, weil der Feststellungsbeschluss selbst kein<br />

Vergleich ist und der Vergleich wiederum nicht vor einem Gericht<br />

geschlossen wurde. Bis zur Klärung der hiermit zusammenhängenden<br />

Fragen sollte der Rechtsanwalt sicherheitshalber auf eine gerichtliche<br />

Protokollierung des auf schriftlichen Vergleichsvorschlag<br />

zu Stande gekommenen Vergleichs dringen.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

bb) Keine Partei erscheint<br />

Erscheinen beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, hat<br />

das Gericht gemäß § 278 Abs. 4 ZPO das Ruhen des Verfahrens<br />

anzuordnen (§ 251 ZPO). Das gilt jedoch dann nicht, wenn deren<br />

Prozessbevollmächtigte erschienen sind. Diese können in der anschließenden<br />

mündlichen Verhandlung (s. § 279 Abs. 1 ZPO) streitig<br />

verhandeln, aber auch einen Vergleich schließen.<br />

Gegen die nicht erschienenen Parteien kann das Gericht ein<br />

Ordnungsgeld verhängen (§ 278 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 141 Abs. 3<br />

S. 1 ZPO).<br />

cc) Eine Partei erscheint nicht; die Güteverhandlung ist erfolglos<br />

Erscheint in der Güteverhandlung eine Partei nicht oder ist die<br />

Güteverhandlung erfolglos, soll sich gemäß § 279 Abs. 1 S. 1 ZPO<br />

die mündliche Verhandlung unmittelbar anschließen. Anderenfalls<br />

hat das Gericht unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung<br />

zu bestimmen (§ 279 Abs. 1 S. 2 ZPO).<br />

Bei Säumnis einer Partei wird das Gericht von der ersten<br />

Möglichkeit Gebrauch machen. Auf Antrag der erschienen Partei<br />

ist ein Versäumnisurteil zu erlassen. Gegen die säumige Partei<br />

kann das Gericht ein Ordnungsgeld verhängen.<br />

Im Falle des Scheiterns der Güteverhandlung hängt die Entscheidung<br />

des Gerichts, ob sich die mündliche Verhandlung unmittelbar<br />

anschließt oder ob ein neuer Termin zur mündlichen<br />

Verhandlung zu bestimmen ist, auch davon ab, ob eine Beweisaufnahme<br />

erfolgen muss. Diese soll sich nämlich gemäß § 279 Abs. 2<br />

ZPO der streitigen Verhandlung unmittelbar anschließen. Wenn das<br />

Gericht nach Scheitern der Güteverhandlung im sich unmittelbar<br />

anschließenden Haupttermin Zeugenbeweis erheben will, muss es<br />

die Zeugen bereits vorbereitend (§ 273 ZPO) laden. Das Gericht<br />

müsste also diese Kosten verursachende Maßnahme ergreifen, bevor<br />

es weiß, ob die Güteverhandlung zu einer Einigung der Parteien<br />

führt. Folglich wird sich die unmittelbare Anschließung der<br />

mündlichen Verhandlung an eine erfolglose Güteverhandlung nur<br />

auf die Fälle beschränken, in denen eine Beweisaufnahme nicht erforderlich<br />

ist.<br />

2. Erschöpfender Tatsachenvortrag<br />

Infolge der neuen Ausgestaltung der Berufungsinstanz als<br />

Fehlerkontrolle, und nicht mehr als zweite Tatsacheninstanz 16 ,<br />

kommt dem Sachvortrag des Rechtsanwalts in der ersten Instanz<br />

eine ganz erhebliche Bedeutung bei. Da sich mit neuen Tatsachen<br />

die Berufung nur in Ausnahmefällen begründen lässt, sind die Prozessbevollmächtigten<br />

der Parteien somit gezwungen, in der ersten<br />

Instanz sämtliche mit dem Streitfall zusammenhängende Tatsachen<br />

vorzutragen. Hierdurch wird sich der richterliche Arbeitsaufwand<br />

durch die Bearbeitung längerer Schriftsätze und durch<br />

vermehrte Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung erhöhen.<br />

In der Gesetzesbegründung 17 wird dieser Mehrbedarf – auf Richterstellen<br />

umgerechnet – beim Amtsgericht auf zehn Richterstellen<br />

und beim Landgericht auf 32 Richterstellen (im gesamten Bundesgebiet,<br />

nicht etwa nur in Berlin!) geschätzt.<br />

3. Entscheidung durch Einzelrichter<br />

Mit der Neufassung der §§ 348, 348a ZPO nimmt der Gesetzgeber<br />

beim Landgericht Abschied vom Kammerprinzip. Dies führt<br />

zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Rechtsprechung und<br />

zur Zunahme von Rechenfehlern.<br />

9 Schollmeyer, FamRB 2002, 21, 22.<br />

10 Wieser, MDR 2002, 10.<br />

11 S. BGH NJW 1975, 1124.<br />

12 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 278 Rdnr. 47; a. A. Schneider, ZPO-<br />

Reform, Rdnr. 190: Der Feststellungsbeschluss ergeht auf der Grundlage der<br />

Parteivorschläge.<br />

13 Schellhammer, aaO.<br />

14 ZPO, aaO, § 278 Rdnr. 55.<br />

15 So Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 278 Rdnr. 50.<br />

16 S. nachstehend II.<br />

17 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 62.


AnwBl 3/2002 127<br />

Aufsätze l<br />

a) Originärer Einzelrichter<br />

Gemäß § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet die Zivilkammer<br />

durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter. Seine Zuständigkeit<br />

wird nunmehr durch das Gesetz („originär“) begründet und nicht<br />

mehr – wie früher nach § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F. – durch eine<br />

Entscheidung der Zivilkammer. Die Ausnahmen sind in § 348<br />

Abs. 1 S. 2 ZPO geregelt.<br />

aa) Persönliche Abgrenzung<br />

Als Einzelrichter entscheidet nicht ein Richter auf Probe, der<br />

noch nicht über einen Zeitraum von einem Jahr nach dem Geschäftsverteilungsplan<br />

Rechtsprechungsaufgaben in bürgerlichen<br />

Rechtsstreitigkeiten wahrzunehmen hatte. Damit belastet der Gesetzgeber<br />

gerade die Kammern, die ohnehin durch die Ausbildung<br />

des Proberichters höheren Belastungen unterworfen sind.<br />

bb) Sachliche Abgrenzung<br />

§ 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO führt einige Sachgebiete 18 an, in<br />

denen der Einzelrichter nicht originär zuständig ist. Die Aufzählung<br />

erscheint willkürlich, weil verschiedene schwierige Rechtsgebiete<br />

wie die Amtshaftung oder Produzentenhaftung nicht ausgenommen<br />

wurden19 .<br />

Unsinnig ist auch die Einschränkung, dass die originäre Zuständigkeit<br />

des Einzelrichters in den aufgeführten Sachgebieten nur<br />

dann nicht gegeben ist, wenn die Zuständigkeit der Kammer für<br />

dieses Sachgebiet nach dem Geschäftsverteilungsplan begründet<br />

ist. Für Honorarstreitigkeiten von Rechtsanwälten (s. § 348 Abs. 1<br />

S. 2 Nr. 2 d) ZPO) ist z. B. beim Landgericht Berlin die Kammer<br />

zuständig, da derartige Sachen durch den Geschäftsverteilungsplan<br />

keiner bestimmten Kammer zugewiesen wurde. Ist jedoch einer<br />

Kammer die Zuständigkeit für Honorarklagen der Rechtsanwälte<br />

durch Geschäftsverteilungsplan zugewiesen, ist originär der Einzelrichter<br />

zuständig. Dies wird entsprechend dem Willen des Gesetzgebers20<br />

allein aus personellen Gründen zur vermehrten geschäftsplanmäßigen<br />

Einrichtung von Spezialkammern führen.<br />

cc) Übertragung auf die Kammer<br />

Gemäß § 348 Abs. 3 ZPO legt der Einzelrichter den Rechtsstreit<br />

der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vor,<br />

wenn<br />

1. die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder<br />

rechtlicher Art aufweist,<br />

2. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder<br />

3. die Parteien dies übereinstimmend beantragen.<br />

Gemäß § 348 Abs. 3 S. 2 ZPO übernimmt die Kammer den<br />

Rechtsstreit, wenn die Voraussetzungen nach Nr. 1 oder Nr. 2 vorliegen.<br />

Ob dies der Fall ist, obliegt der Wertung durch die Kammer.<br />

Die Voraussetzung Nr. 3 (übereinstimmender Antrag der Parteien)<br />

für die Übernahme des Rechtsstreits durch die Kammer ist in<br />

§ 348 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht aufgeführt. Dies beruht auf einem<br />

Versehen des Gesetzgebers, weil die Nr. 3 erst als Änderung des<br />

vom Bundestag beschlossenen Entwurfs Gesetzesfassung geworden<br />

ist 21 . Dies führt dazu, dass die Zivilkammer auf entsprechende<br />

Vorlage des Einzelrichters den Rechtsstreit zwingend übernehmen<br />

muss, wenn beide Parteien dies übereinstimmend beantragen 22 .<br />

Die Entscheidung über die Übernahme des Rechtsstreits durch<br />

die Kammer ergeht durch Beschluss, der unanfechtbar ist (§ 348<br />

Abs. 3 S. 3 ZPO). Eine Zurückübertragung auf den Einzelrichter<br />

ist durch § 348 Abs. 3 S. 4 ZPO ausgeschlossen. Die gesetzliche<br />

Regelung hindert den Einzelrichter jedoch nicht, die selbe Sache<br />

der Kammer aus einem anderen Grund erneut zur Übernahme vorzulegen<br />

23 .<br />

Auf eine erfolgte oder unterlassene Vorlage oder Übernahme<br />

kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden (§ 348 Abs. 4 ZPO).<br />

Jedoch kann nach Auffassung von Schneider 24 die Weigerung des<br />

Einzelrichters, trotz übereinstimmender Abgabeanträge der Partei<br />

die Sache der Kammer nicht zur Übernahmeentscheidung vorzulegen,<br />

die Ausnahmebeschwerde rechtfertigen.<br />

b) Obligatorischer Einzelrichter<br />

Ist nicht bereits die Zuständigkeit des Einzelrichters durch<br />

§ 348 Abs. 1 ZPO originär begründet, hat die Zivilkammer gemäß<br />

§ 348a Abs. 1 ZPO die Sache durch Beschluss dem Einzelrichter<br />

zur Entscheidung zu übertragen, wenn<br />

1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher<br />

oder rechtlicher Art aufweist,<br />

2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, und<br />

3. nicht bereits im Haupttermin vor der Zivilkammer zur<br />

Hauptsache verhandelt worden ist (Ausnahme: Vorbehalts-, Teiloder<br />

Zwischenurteil).<br />

Gemäß § 348 Abs. 2 S. 1 ZPO kann der Einzelrichter die<br />

Sache der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme<br />

vorlegen, wenn<br />

1. sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage besondere<br />

tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder die grundsätzliche<br />

Bedeutung der Rechtssache ergeben, oder<br />

2. die Parteien dies übereinstimmend beantragen.<br />

Gemäß § 348a Abs. 2 S. 2 ZPO übernimmt die Kammer den<br />

Rechtsstreit, wenn die Voraussetzung nach Nr. 1 vorliegt. Auch<br />

hier ist keine Regelung für die nachträglich in die Gesetzesfassung<br />

übernommene Nr. 2 (übereinstimmender Antrag der Parteien) erfolgt.<br />

Dies führt dazu, dass eine Übernahme auf Grund des übereinstimmenden<br />

Antrages beider Parteien zwingend erfolgen muss 25 .<br />

4. Gehörsrüge<br />

Versagt das Gericht einer Partei das rechtliche Gehör, kann dies<br />

durch Einlegung der Berufung geltend gemacht werden. Bei nicht<br />

berufungsfähigen Urteilen blieb der betroffenen Partei nach bisherigem<br />

Recht nur die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde. Zur<br />

Entlastung des Bundesverfassungsgerichts ist nunmehr in § 321a<br />

ZPO die so genannte Gehörsrüge eingeführt worden. Diese setzt<br />

voraus:<br />

– die Partei muss durch das Urteil beschwert sein,<br />

– die Berufung gegen das Urteil ist unzulässig (§ 321a Abs. 1<br />

Nr. 1 ZPO),<br />

– das erstinstanzliche Gericht hat den Anspruch auf rechtliches<br />

Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 321a Abs. 1<br />

Nr. 2 ZPO).<br />

Bei der Erhebung der Gehörsrüge muss die beschwerte Partei<br />

folgende Formalien einhalten:<br />

– Die Rügeschrift muss den fortzuführenden Prozess bezeichnen<br />

und die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und<br />

die Entscheidungserheblichkeit dieser Verletzung darlegen (§ 321a<br />

Abs. 2 S. 1 ZPO).<br />

– Die Rügeschrift ist bei dem Gericht des ersten Rechtszuges<br />

innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen einzureichen, die mit<br />

der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt (§ 321a Abs. 2 S. 2 u.<br />

3 ZPO).<br />

Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge zulässig<br />

ist. Ist dies nicht der Fall, ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen<br />

(§ 321a Abs. 4 S. 1 u. 2 ZPO). Ist die Rüge zulässig aber unbegründet,<br />

hat das Gericht sie zurückzuweisen (§ 321a Abs. 4 S. 3<br />

ZPO). Hierfür wird gemäß GKostVerz. Nr. 1960 eine Festgebühr<br />

von 50,00 Euro erhoben. In beiden Fällen ist der Beschluss des Gerichts<br />

unanfechtbar (§ 321a Abs. 4 S. 4 ZPO).<br />

Ist die Rüge hingegen begründet, hilft ihr das Gericht ab, indem<br />

es den Prozess fortführt (§ 321a Abs. 5 S. 1 u. 2 ZPO). Das<br />

Gericht hat dann die ursprüngliche Entscheidung aufrechtzuerhalten<br />

oder aufzuheben (§ 321a Abs. 5 S. 3 i. V. m. § 343 ZPO).<br />

18 Zu den Problemen hierzu s. Schneider, ZPO-Reform Rdnr. 269 ff.<br />

19 Schneider, ZAP Fach 13, S. 1063, 1076.<br />

20 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 87.<br />

21 S. BT-Drucks. 14/6036 S. 19.<br />

22 Schneider, ZAP aaO S. 1077; ähnlich Baumbach/Lauterbach/Hartmann. § 348<br />

ZPO Rdnr. 44.<br />

23 S. Schneider, ZAP aaO S. 1078.<br />

24 ZAP aaO S. 1077.<br />

25 Schneider, ZAP aaO S. 1078.


128<br />

l<br />

Auf Antrag hat das Gericht die Zwangsvollstreckung aus dem<br />

von der Rüge betroffenen Urteil gegen oder ohne Sicherheitsleistung<br />

einstweilen einzustellen (§ 321a Abs. 6 i. V. m. § 707 ZPO).<br />

Ob die Gehörsrüge auch im Berufungs- und Revisionsverfahren<br />

erhoben werden kann 26 , erscheint zweifelhaft, da § 321a Abs. 1<br />

ZPO ausdrücklich auf das erstinstanzliche Verfahren zugeschnitten<br />

ist. Ebenso ist fraglich, ob die Gehörsrüge auch im Beschlussverfahren<br />

erhoben werden kann 27 , da § 321a ZPO ersichtlich auf das<br />

Urteilsverfahren abgestellt ist.<br />

II. Neuregelungen im Berufungsverfahren<br />

Das Berufungsverfahren ist durch die ZPO-Reform grundlegend<br />

umgestaltet worden. Entgegen dem bisherigen Recht ist die Berufungsinstanz<br />

nicht mehr uneingeschränkt zweite Tatsacheninstanz.<br />

Nach dem Willen des Gesetzgebers 28 beschränkt sich die Funktion<br />

der Berufung darauf, das erstinstanzliche Urteil auf die korrekte<br />

Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und<br />

Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen hin zu überprüfen<br />

und etwaige Fehler zu beseitigen. Nur wenn das Berufungsgericht<br />

ernstliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser<br />

Feststellungen hat und eine neue Feststellung in zweiter Instanz geboten<br />

ist, darf das Berufungsgericht über erstinstanzlich festgestellte<br />

Tatsachen erneut verhandeln. Die Berufung rückt damit in<br />

die Nähe der Revision. Folglich kann für die Anforderungen an<br />

die Berufungsbegründung in vielen Fällen auf die Rechtsprechung<br />

des BGH zum Revisionsverfahren zurückgegriffen werden.<br />

1. Instanzenzug<br />

Ursprünglich war es geplant, die Zuständigkeit für die Entscheidung<br />

sämtlicher Berufungsverfahren gegen Urteile des Amtsgerichts<br />

und des Landgerichts dem Oberlandesgericht zuzuweisen.<br />

Auf Grund des erheblichen Widerstands sowohl von Seiten der<br />

Rechtsanwälte als auch der Richter und wohl auch der Landes-Justizverwaltungen<br />

hat der Gesetzgeber hiervon Abstand genommen.<br />

Der bisherige Instanzenzug bleibt also erhalten. Allerdings eröffnet<br />

§ 119 Abs. 3 GVG dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit, die<br />

Oberlandesgerichte auch für alle Berufungen und Beschwerden gegen<br />

amtsgerichtliche Entscheidungen zuständig zu erklären.<br />

Hierfür ist zunächst eine Erprobungsfrist bis zum 1.1.2008 bestimmt<br />

worden (§ 119 Abs. 5 GVG).<br />

Für den Rechtsanwalt hat diese Regelung besondere Bedeutung,<br />

weil er sich vor Einlegung seiner Berufung/Beschwerde gegen<br />

amtsgerichtliche Urteile/Beschlüsse sachkundig darüber machen<br />

muss, ob der betreffende Landesgesetzgeber von der<br />

vorgenannten Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. Zwar ist in<br />

§ 119 Abs. 4 GVG dem Landesgesetzgeber aufgegeben worden,<br />

dass den Parteien eine Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht<br />

zu erteilen ist. Anders als in vielen anderen Verfahrensgesetzen<br />

29 geregelt, ist hier jedoch nicht vorgesehen, dass sich die<br />

Rechtsbehelfsfrist bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung<br />

um ein Jahr verlängert. Ob der Landesgesetzgeber zu einer<br />

solchen Regelung zuständig ist, erscheint im Übrigen zweifelhaft.<br />

Deshalb hat der Rechtsanwalt auch bei fehlender oder<br />

unrichtiger Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht<br />

dafür Sorge zu tragen, dass sein Rechtsbehelf gegen die amtsgerichtliche<br />

Entscheidung rechtzeitig an das zuständige Oberlandesgericht<br />

gelangt. Ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />

(§ 233 ZPO) in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt in Unkenntnis<br />

der landesgesetzlichen Regelung die Notfrist versäumt,<br />

muss erst durch die Rechtsprechung geklärt werden. Da der<br />

Rechtsanwalt grundsätzlich auch das maßgebliche Landesrecht<br />

kennen muss, ist eine Fristversäumnis infolge einer in Unkenntnis<br />

der landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelung verspätet eingelegten<br />

Rechtsmittels möglicherweise nicht unverschuldet.<br />

Damit ergibt sich folgender Instanzenzug:<br />

– Über Berufungen/Beschwerden gegen amtsgerichtliche Urteile/Beschlüsse<br />

entscheiden die Landgerichte (§ 72 GVG).<br />

– Für die Entscheidung über Urteile/Beschlüsse des Landgerichts<br />

sind die Oberlandesgerichte zuständig (§ 119 Abs. 1 Nr. 2<br />

GVG).<br />

– Über Berufungen/Beschwerden gegen Urteile/Beschlüsse des<br />

Familiengerichts entscheiden die Oberlandesgerichte (§ 119 Abs. 1<br />

Nr. 1 a GVG).<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

– Über die Berufung/Beschwerde gegen die Entscheidung der<br />

Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder<br />

gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand<br />

im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb<br />

des Geltungsbereichs des GVG hatte, entscheidet nach der<br />

Neuregelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG das Oberlandesgericht.<br />

Hierdurch lässt sich der Instanzenzug vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht<br />

dadurch manipulieren, dass der Kläger vor Klageeinreichung<br />

seinen Wohnsitz im Ausland nimmt 30 .<br />

– Auch für die Entscheidung über Berufungen/Beschwerden<br />

gegen Entscheidungen des Amtsgerichts, in denen dieses ausländisches<br />

Recht angewendet hat und dies in den Entscheidungsgründen<br />

ausdrücklich festgestellt hat, ist nunmehr das Oberlandesgericht<br />

zuständig (§ 119 Abs. 1 Nr. 1c) GVG). Diese beiden<br />

Zuständigkeitsregelungen begründen eine erhebliche Regressgefahr<br />

für den Rechtsanwalt, wenn das Rechtsmittel gegen die<br />

amtsgerichtliche Entscheidung nach der „normalen“ Zuständigkeitsregelung<br />

des § 72 GVG beim Landgericht eingelegt wird.<br />

Deshalb sollte in der Handakte ein deutlicher Vermerk angebracht<br />

werden. Diese Zuständigkeitsregelungen gelten auch für die<br />

Rechtsmittel gegen Nebenentscheidungen – etwa sofortige Beschwerden<br />

gegen Prozesskosten- oder Kostenfestsetzungsbeschlüsse.<br />

Ob sie auch für Rechtsmittel gegen Entscheidungen im<br />

Rahmen der anschließenden Zwangsvollstreckung gilt, ist fraglich.<br />

Deshalb sollte die sofortige Beschwerde stets bei dem Gericht angebracht<br />

werden, das die beanstandete Entscheidung erlassen hat,<br />

und nicht beim Beschwerdegericht (s. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO).<br />

2. Statthaftigkeit<br />

Die Berufung ist nunmehr unter zwei unabhängig voneinander<br />

geltenden Voraussetzungen statthaft.<br />

a) Streitwertberufung<br />

Die Berufung ist stets zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

sechshundert Euro übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1<br />

ZPO). Damit ist die Berufungssumme gegenüber dem bisherigen<br />

Recht um rund 300 DM herabgesetzt worden.<br />

b) Zulassungsberufung<br />

Im Falle der Zulassung der Berufung durch das Gericht des<br />

ersten Rechtszuges (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist nunmehr die Berufung<br />

auch dann statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

sechshundert Euro nicht übersteigt.<br />

Das Gericht des ersten Rechtszuges hat die Berufung gemäß<br />

§ 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zuzulassen, wenn<br />

1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder<br />

2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />

Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts<br />

erfordert.<br />

Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden (§ 511<br />

Abs. 4 S. 2 ZPO). Die Nichtzulassung ist jedoch ebenfalls unanfechtbar,<br />

eine Nichtzulassungsbeschwerde wie bei der Revision<br />

(s. § 544 ZPO) ist nicht gegeben. Um sich die Möglichkeit einer<br />

zulässigen Verfassungsbeschwerde bei Nichtzulassung der Berufung<br />

zu eröffnen, empfiehlt Schneider 31 dem Rechtsanwalt, im Erkenntnisverfahren<br />

das erstinstanzliche Gericht auf die Zulassungsgründe<br />

hinzuweisen und die Zulassung ausdrücklich zu beantragen.<br />

Durch die Neuregelung der Zulassungsberufung wird die bisher<br />

nur für Mietstreitigkeiten geltende Bestimmung des § 511a Abs. 2<br />

ZPO a. F. ersetzt.<br />

3. Berufungsfrist<br />

Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt – wie bisher –<br />

einen Monat (§ 517 ZPO).<br />

26 So Schneider, ZAP aaO S. 1075, ders., ZPO-Reform Rdnr. 206.<br />

27 So Schneider, ZAP aaO; dagegen Hansens, Rpfleger 2001, 573, 578; zur Anwendbarkeit<br />

im Arbeitsgerichtsverfahren s. Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA<br />

2001, 1161, 1166.<br />

28 BT-Drucks. 14/4722 S. 64.<br />

29 S. § 58 Abs. 2 VwGO, § 55 Abs. 2 FGO, § 66 Abs. 2 SGG.<br />

30 Darauf weist auch Schneider, ZAP aaO S. 1079 hin.<br />

31 AaO S. 1080.


AnwBl 3/2002 129<br />

Aufsätze l<br />

4. Berufungsbegründung<br />

Hier ergeben sich für den Rechtsanwalt ganz wesentliche Änderungen.<br />

a) Berufungsgründe<br />

Gemäß § 513 ZPO kann sowohl die Streitwertberufung als<br />

auch die Zulassungsberufung nur auf zwei Berufungsgründe<br />

gestützt werden:<br />

– Die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges beruhe<br />

auf einer Rechtsverletzung i. S. v. § 546 ZPO. Das ist der Fall,<br />

wenn das Gericht eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet<br />

hat.<br />

– Oder die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen<br />

rechtfertigen eine andere Entscheidung.<br />

b) Berufungsbegründungsfrist<br />

Diese ist in § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO zwar auf zwei Monate verlängert<br />

worden. Sie beginnt jedoch bereits mit der Zustellung des<br />

in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf<br />

von fünf Monaten nach der Verkündung.<br />

Diese Regelung führt im Ergebnis zu keiner Änderung, was<br />

den für den Rechtsanwalt zur Verfügung stehenden Zeitraum betrifft.<br />

Da bisher die meisten Berufungen am letzten Tage der Berufungsfrist<br />

eingelegt wurden, standen dem Rechtsanwalt für die Berufungsbegründung<br />

gemäß § 519 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. ebenfalls<br />

rund zwei Monate Zeit zur Verfügung.<br />

Die Neuregelung bringt jedoch eine wesentliche Vereinfachung<br />

bei der Fristenkontrolle und verhindert viele Fehler bei der Eintragung<br />

von Berufungsbegründungsfristen. Nunmehr sind in den<br />

Fristenkalender mit Zustellung der Berufung gleichzeitig die Berufungsfrist<br />

und die Berufungsbegründungsfrist mit entsprechenden<br />

Vorfristen einzutragen. Der Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht<br />

hat somit auf den Lauf der Berufungsbegründungsfrist<br />

keinen Einfluss mehr. Vorsorglich sollte der Rechtsanwalt<br />

nach jeder mündlichen Verhandlung auch eine Sechs-Monats-Frist<br />

mit Vorfrist für die Einlegung der Berufung und der Berufungsbegründung<br />

notieren lassen. Diese Frist kann dann wieder gelöscht<br />

werden, wenn nach Erhalt des Protokolls feststeht, dass am Schluss<br />

der Sitzung kein Urteil verkündet worden ist sowie dann, wenn ein<br />

Urteil zugestellt worden ist. Geht nämlich innerhalb der Sechs-Monats-Frist<br />

kein Urteil ein und erhält der Rechtsanwalt auch das Protokoll<br />

nicht oder beachtet er es nicht im Hinblick auf die Fristennotierung,<br />

so gerät sowohl die Berufungsfrist als auch die<br />

Berufungsbegründungsfrist außer Kontrolle. Auch bei Eingang des<br />

Protokolls mit einem verkündeten Urteil ist vorsorglich die Sechs-<br />

Monats-Frist zu notieren.<br />

c) Verlängerung<br />

Wie bisher kann die Berufungsbegründungsfrist von dem Vorsitzenden<br />

des Berufungsgerichts auf Antrag verlängert werden<br />

(§ 520 Abs. 2 S. 2 u. 3 ZPO). Bei seiner Entscheidung über den<br />

Verlängerungsantrag ist der Vorsitzende jedoch nicht mehr so frei<br />

wie früher. Ohne Einwilligung des Gegners kann er nämlich die<br />

Berufungsbegründungsfrist nunmehr nur noch bis zu einem Monat<br />

verlängern, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit<br />

durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger<br />

erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO).<br />

Wird die Verlängerung für einen längeren Zeitraum begehrt,<br />

muss der Gegner einwilligen.<br />

Es empfiehlt sich daher, die Verlängerung der Berufungsbegründung<br />

mit erheblichen Gründen nur für einen Monat zu beantragen.<br />

Dann bedarf es der Einwilligung des Gegners nicht. Reicht<br />

die verlängerte Frist dann immer noch nicht, bedarf die weitere<br />

Verlängerung – wie auch bisher – der Einwilligung des Gegners.<br />

Hat der Berufungskläger davon Kenntnis, dass der Gegner von<br />

vornherein keine Einwendungen gegen eine einen Monat übersteigende<br />

Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat, kann natürlich<br />

bereits der erste Verlängerungsantrag für einen längeren<br />

Zeitraum gestellt werden.<br />

d) Inhalt der Berufungsbegründung<br />

Da die Berufung im Regelfall nur der Rechtsfehlerkontrolle<br />

dient, hat auch die erforderliche Berufungsbegründung einen anderen<br />

Inhalt als nach dem bisherigen Recht. Gemäß § 520 Abs. 3 S.<br />

2 ZPO muss die Berufungsbegründung enthalten:<br />

aa) Berufungsanträge<br />

Aus der Berufungsbegründung muss sich ergeben, inwieweit<br />

das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils<br />

beantragt werden (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO). Dies entspricht<br />

auch dem bisherigen Recht. Die Berufungsanträge können bis<br />

zum Schluss der Berufungsverhandlung erweitert werden. Voraussetzung<br />

ist jedoch, dass die Erweiterung durch die Berufungsgründe<br />

gedeckt werden.<br />

bb) Umstände für eine Rechtsverletzung<br />

Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO ist ferner die Bezeichnung<br />

der Umstände erforderlich, aus denen sich die Rechtsverletzung<br />

und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt<br />

32 . Folglich muss der Berufungskläger darlegen, welche geschriebene<br />

oder ungeschriebene Rechtsnorm das erstinstanzliche<br />

Gericht gar nicht oder falsch angewendet hat 33 . Ferner muss der<br />

Berufungskläger vortragen, auf Grund welcher Umstände die behauptete<br />

Rechtsverletzung zur Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils<br />

geführt hat. Das Urteil muss also ohne den Rechtsfehler bei<br />

richtiger Gesetzesanwendung für den Berufungskläger günstiger<br />

ausgefallen sein. Ein entsprechender Vortrag ist für den Berufungskläger<br />

dann relativ einfach, wenn er die Verletzung materiellen<br />

Rechts geltend macht. Rügt er hingegen die Verletzung des Verfahrensrechts,<br />

beispielsweise die Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht<br />

gemäß § 139 ZPO, muss der Berufungskläger vortragen,<br />

wie er auf den vermissten Hinweis reagiert und wie seine<br />

Reaktion das Urteil beeinflusst hätte. Obwohl das Gesetz lediglich<br />

die Bezeichnung der Umstände erfordert, empfiehlt es sich, auch<br />

die verletzte Rechtsnorm zu zitieren 34 .<br />

cc) Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der<br />

erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen<br />

Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO muss die Berufungsbegründung<br />

die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte enthalten,<br />

die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen<br />

im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine<br />

erneute Feststellung gebieten. Anders als nach dem bisherigen<br />

Recht ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an<br />

die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz grundsätzlich gebunden,<br />

es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit<br />

oder Unvollständigkeit dieser Feststellungen. Ist der Berufungskläger<br />

mit den Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz<br />

nicht einverstanden, muss er konkrete Anhaltspunkte gegen die<br />

Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen bereits<br />

in der Berufungsbegründung vortragen. Die geltend gemachten unrichtigen<br />

Tatsachenfeststellungen müssen ursächlich für das angefochtene<br />

Urteil gewesen sein 35 .<br />

dd) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

Schließlich erfordert § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO die Bezeichnung<br />

der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie derTatsachen,<br />

auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind. Nach dem<br />

bisherigen Recht konnte die Berufung auf neue Tatsachen und/oder<br />

Beweismittel gestützt werden. Nach neuem Recht ist dies nur noch<br />

dann möglich, wenn die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

ausnahmsweise zuzulassen sind. Die Berufungsbegründung muss<br />

also hierzu enthalten:<br />

– die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

sowie<br />

– die Tatsachen, warum diese zuzulassen sind.<br />

32 Hier leistet das Lexikon der Verfahrensfehler von Schneider, ZPO-Reform<br />

Rdnr. 669 ff. wichtige Hilfe.<br />

33 S. Schellhammer, MDR 2001, 1141, 1143.<br />

34 Schellhammer, aaO.<br />

35 Schellhammer, aaO 1144.


130<br />

l<br />

Das ist der Fall,<br />

9 wenn das erstinstanzliche Gericht einen rechtlichen Gesichtspunkt<br />

erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten<br />

hat,<br />

9 wenn die Angriffs- und Verteidigungsmittel auf Grund eines<br />

Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht<br />

wurden, oder<br />

9 wenn deren Geltendmachung in erster Instanz ohne Nachlässigkeit<br />

der Partei unterblieben ist.<br />

Der Berufungskläger muss sich nicht nur vom Vorwurf grober<br />

Nachlässigkeit (s. § 528 Abs. 2 letzt. Halbs. ZPO a. F.), sondern<br />

vom Vorwurf jeglicher Nachlässigkeit, also Fahrlässigkeit, entlasten.<br />

Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die neue Tatsache<br />

oder das neue Beweismittel erst nach dem Schluss der mündlichen<br />

Verhandlung in der ersten Instanz entstanden ist oder bekannt geworden<br />

ist. Hat das erstinstanzliche Gericht die Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

bereits zu Recht als verspätet zurückgewiesen,<br />

bleiben sie gemäß § 531 Abs. 1 ZPO auch in der Berufungsinstanz<br />

ausgeschlossen.<br />

5. Anschlussberufung<br />

Wie bisher kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen.<br />

Allerdings sind die Formerfordernisse hierfür gegenüber<br />

dem bisherigen Recht verschärft.<br />

Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift<br />

bei dem Berufungsgericht (§ 524 Abs. 1 S. 2<br />

ZPO). Bereits in dieser Anschlussschrift muss die Anschlussberufung<br />

begründet werden (§ 524 Abs. 3 S. 1 ZPO). Diese Begründung<br />

muss die inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung<br />

erfüllen (§ 524 Abs. 3 S. 2 ZPO).<br />

Abweichend vom bisherigen Recht ist die Anschließung befristet.<br />

Sie kann nämlich nur binnen eines Monats ab der Zustellung<br />

der Berufungsbegründung eingelegt werden (§ 524 Abs. 2 S. 2<br />

ZPO).<br />

Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung<br />

zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen<br />

wird (§ 524 Abs. 4 ZPO). Eine selbstständige Anschließung an<br />

die Berufung gibt es also nicht mehr. Will auch der Berufungsbeklagte<br />

gegen das Urteil vorgehen, ohne vom Bestand der Berufung<br />

des Gegners abhängig zu sein, muss er innerhalb der Berufungsfrist<br />

selbst Berufung einlegen.<br />

6. Zurückweisung durch Beschluss<br />

a) Verwerfung bei Unzulässigkeit<br />

Wie auch bisher wird die unzulässige Berufung verworfen.<br />

Nach mündlicher Verhandlung ergeht die Entscheidung hierüber<br />

durch Urteil, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 522<br />

S. 3 ZPO). Dieser Beschluss ist nicht mehr mit der sofortigen Beschwerde<br />

(§ 519b Abs. 2 ZPO a. F.), sondern mit der Rechtsbeschwerde<br />

anfechtbar (§ 522 S. 4 ZPO).<br />

b) Zurückweisung bei aussichtsloser Berufung<br />

Nach neuem Recht kann die Berufung unter bestimmten<br />

Voraussetzungen auch durch Beschluss zurückgewiesen werden 36 .<br />

Die Gesetzesbegründung verkauft dies als einen für den Bürger<br />

effektiveren Rechtsschutz 37 . Der Bürger wird dies freilich anders<br />

sehen, weil ihm eher an einer Entscheidung des Berufungsgerichts<br />

auf Grund mündlicher Verhandlung gelegen ist. Für den Berufungsanwalt<br />

hat dies die unangenehme Folge, dass ihm die Verhandlungsgebühr<br />

nicht mehr anfällt 38 .<br />

Die Zurückweisung erfolgt durch einstimmigen Beschluss des<br />

Berufungsgerichts, wenn es davon überzeugt ist, dass<br />

– die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2<br />

S. 1 Nr. 1 ZPO),<br />

– die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 522<br />

Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO) und<br />

– die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />

Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts<br />

nicht erfordert (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Es müssen sämtliche der drei vorgenannten Voraussetzungen<br />

erfüllt sein.<br />

Vor einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss hat das<br />

Berufungsgericht oder ihr Vorsitzender die Parteien zuvor auf die<br />

beabsichtigte Zurückweisung und die Gründe hierfür hinzuweisen<br />

und dem Berufungskläger eine Frist zur Stellungnahme zu gewähren<br />

(§ 522 Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Zurückweisungsbeschluss ist zu<br />

begründen, hierbei kann auf die vorgenannte Hinweisverfügung<br />

Bezug genommen werden (§ 522 Abs. 2 S. 3 ZPO).<br />

Der Zurückweisungsbeschluss ist gemäß § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar.<br />

7. Eingeschränkte Zurückverweisung<br />

Die Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz ist<br />

abweichend vom bisherigen Recht erheblich eingeschränkt. Das<br />

Berufungsgericht darf die Sache nur noch dann an das Gericht des<br />

ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn einer der in § 538<br />

Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist und wenn eine Partei<br />

die Zurückverweisung beantragt. Dieses Antrages bedarf es nur<br />

dann nicht, wenn das angefochtene Urteil ein Teilurteil ist, für dessen<br />

Erlass die Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht vorlagen.<br />

8. Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz<br />

a) Prozessvoraussetzungen<br />

Das Berufungsgericht prüft nach wie vor die Zulässigkeit der<br />

Berufung und auch die Zulässigkeit der Klage von Amts wegen.<br />

Jedoch prüft das Berufungsgericht nicht mehr die erstinstanzliche<br />

Zuständigkeit oder Unzuständigkeit, da gemäß § 513 Abs. 2 ZPO<br />

die Berufung nicht mehr darauf gestützt werden kann, dass das<br />

Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen<br />

hat. Dies gilt für jegliche Zuständigkeit, also für die<br />

örtliche, die sachliche und auch für die ausschließliche Zuständigkeit.<br />

Folglich überprüft das Berufungsgericht auch nicht, ob das<br />

Familiengericht zu Unrecht eine gewöhnliche Zivilsache verhandelt<br />

hat oder das Zivilgericht eine Familiensache. Angesichts des<br />

eindeutigen Wortlauts des § 513 Abs. 2 ZPO dürfte in der Berufungsinstanz<br />

auch die fehlende internationale Zuständigkeit des<br />

erstinstanzlichen Gerichts nicht mehr überprüft werden dürfen 39 .<br />

b) Verfahrensfehler<br />

Verfahrensfehler, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen<br />

sind, können in der Berufungsinstanz nur dann überprüft werden,<br />

wenn sie gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung<br />

gerügt worden sind. Ein derartiges Rügerecht hat die<br />

Partei gemäß § 534 ZPO bei verzichtbaren Verfahrensfehlern dann<br />

verloren, wenn die Partei das Rügerecht bereits in der ersten Instanz<br />

gemäß § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Verhandlung verloren<br />

hatte.<br />

Demgegenüber hat das Berufungsgericht einige Verfahrensfehler<br />

auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 529<br />

Abs. 2 S. 1 ZPO). Hierzu gehören<br />

– das Fehlen von Prozessvoraussetzungen,<br />

– die Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO,<br />

– das Urteil ohne brauchbaren Tatbestand sowie<br />

– die grob gesetzeswidrige Urteilsberichtigung 40 .<br />

c) Materiell-rechtliche Fehler<br />

Über die materiell-rechtlichen Fehler des erstinstanzlichen Urteils<br />

entscheidet das Berufungsgericht im Rahmen der Berufungsanträge<br />

ohne Bindung an die geltend gemachten Berufungsgründe<br />

(§ 529 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

36 S. hierzu Hirtz , MDR 2001, 1265.<br />

37 BT-Drucks. 14/4722 S. 64.<br />

38 Schmude/Eichele, BRAK-Mitt. 2001, 255, 261.<br />

39 So Schellhammer, aaO 1146; a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers, § 513 ZPO<br />

Rdnr. 5.<br />

40 S. Schellhammer, aaO m. w. N.


AnwBl 3/2002 131<br />

Aufsätze l<br />

9. Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage<br />

Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind<br />

gemäß § 533 ZPO nur zulässig, wenn<br />

– der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich<br />

hält und<br />

– diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht<br />

seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung<br />

ohnehin gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legen hat.<br />

Dies beruht auf dem Umstand, dass die Berufungsinstanz keine<br />

vollständige zweite Tatsacheninstanz ist, sondern lediglich der<br />

Rechtsfehlerbeseitigung dient. Deshalb kann das Berufungsgericht<br />

auch durch Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage nicht<br />

mit einem Tatsachenstoff befasst werden, der nach § 529 ZPO<br />

i. V. m. § 531 ZPO ausgeschlossen ist. Folglich muss dargelegt<br />

werden, dass die Klageänderung, Aufrechnungserklärung oder Widerklage<br />

eine Folge der mangelhaften Tatsachenfeststellungen<br />

durch das erstinstanzliche Gericht oder erstinstanzlicher Verfahrensmängel<br />

sind 41 . Diese Neuregelung führt dazu, dass künftig vermehrt<br />

neue Klagen erforderlich werden. Der Prozessbevollmächtigte<br />

der ersten Instanz wird dadurch gezwungen, Klageänderung<br />

und Aufrechnung bereits im ersten Rechtszug vorzubringen bzw.<br />

Widerklage zu erheben. Jedenfalls müssen die entsprechenden Tatsachen<br />

dort vorgebracht worden sein.<br />

Erklärt das Berufungsgericht die Klageänderung, Aufrechnung<br />

oder Widerklage als unzulässig, steht dies der späteren selbstständigen<br />

gerichtlichen Geltendmachung der damit verfolgten Ansprüche<br />

nicht entgegen 42 .<br />

10. Entscheidender Richter<br />

Nach neuem Recht entscheidet das Berufungsgericht durch den<br />

entscheidenden Einzelrichter, den vorbereitenden Einzelrichter<br />

oder durch die Kammer.<br />

a) Entscheidender Einzelrichter<br />

Das Berufungsgericht kann gemäß § 526 Abs. 1 ZPO den<br />

Rechtsstreit durch Beschluss einem seiner Mitglieder als Einzelrichter<br />

zur Entscheidung übertragen, wenn<br />

– die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen<br />

wurde,<br />

– die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher<br />

oder rechtlicher Art aufweist,<br />

– die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und<br />

– nicht bereits im Haupttermin zur Hauptsache verhandelt<br />

wurde.<br />

Der Einzelrichter hat dem Berufungsgericht den Rechtsstreit<br />

gemäß § 526 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über eine Übernahme<br />

vorzulegen, wenn<br />

– eine wesentliche Änderung der Prozesslage dazu geführt hat,<br />

dass sich besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten<br />

oder die grundsätzliche Bedeutung der Sache ergeben haben (§ 526<br />

Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) oder<br />

– die Parteien dies übereinstimmend beantragen (§ 526 Abs. 2<br />

S. 1 Nr. 2 ZPO).<br />

Gemäß § 526 Abs. 2 S. 2 ZPO übernimmt das Berufungsgericht<br />

den Rechtsstreit, wenn die Voraussetzungen nach § 526<br />

Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Wie auch beim Einzelrichter in<br />

der ersten Instanz fehlt hier ebenfalls eine Regelung betreffend<br />

den übereinstimmenden Antrag der Parteien 43 .<br />

b) Vorbereitender Einzelrichter<br />

Ist die Sache nicht dem entscheidenden Richter des Berufungsgerichts<br />

übertragen, so kann die Sache einem seiner Mitglieder als<br />

Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung zugewiesen werden<br />

(§ 527 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieser hat die Sache so weit zu<br />

fördern, dass sie in einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht<br />

erledigt werden kann. Zu diesem Zweck kann der vorbereitende<br />

Einzelrichter auch einzelne Beweise erheben (§ 527<br />

Abs. 2 S. 2 ZPO). Hiergegen bestehen jedoch deshalb Bedenken,<br />

weil dies einen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme<br />

darstellt 44 .<br />

In § 527 Abs. 3 ZPO sind einzelne Entscheidungen aufgeführt,<br />

die der vorbereitende Einzelrichter treffen kann. Im Einverständnis<br />

der Parteien kann der Einzelrichter gemäß § 527 Abs. 4 ZPO auch<br />

im Übrigen entscheiden.<br />

11. Zurücknahme der Berufung<br />

Gemäß § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung<br />

bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Der<br />

bisher ab Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten<br />

erforderlichen Einwilligung des Berufungsbeklagten<br />

bedarf es nicht mehr. Da das Urteil gemäß § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO<br />

durch Vorlesung der – gesamten – Urteilsformel verkündet wird,<br />

kann die Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung<br />

folglich noch nach Verkündung der Sachentscheidung, jedoch vor<br />

Verkündung der Kostenentscheidung erklärt werden. Der Berufungsanwalt<br />

kann also hierdurch bei einer ihm ungünstigen Sachentscheidung<br />

das Zustandekommen des Berufungsurteils verhindern<br />

45 . Allerdings kann es dann geschehen, dass dann auch die<br />

Entscheidung über die Zulassung der Revision nicht mehr verkündet<br />

wird. Im Regelfall wird das Berufungsgericht jedoch seine<br />

Entscheidung am Schluss der Sitzung in Abwesenheit der Parteien<br />

verkünden. Wird die Rücknahme nicht in der mündlichen Verhandlung<br />

erklärt, erfolgt sie durch Einreichung eines Schriftsatzes<br />

(§ 516 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

Die Entscheidung über den Verlust des eingelegten, zurückgenommenen<br />

Rechtsmittels und über die Kosten des Berufungsverfahrens<br />

hat das Gericht von Amts wegen durch Beschluss zu treffen<br />

(§ 516 Abs. 3 ZPO). Eines Antrags des Berufungsbeklagten<br />

bedarf es also nicht mehr.<br />

Checkliste Fristenkontrolle Berufung<br />

1. Urteil verkündet oder möglicherweise verkündet<br />

– Frist von 6 Monaten mit Vorfrist für Berufungseinlegung<br />

– Frist von 7 Monaten mit Vorfrist für Berufungsbegründung<br />

Beide Fristen können gelöscht werden, wenn entweder kein<br />

Urteil verkündet wurde oder ein Urteil vor Ablauf von 5 Monaten<br />

zugestellt wurde.<br />

2. Urteil berufungsfähig?<br />

– Beschwerdewert übersteigt 600 E oder<br />

– Berufung ist zugelassen.<br />

a) Urteil ist nicht berufungsfähig<br />

– Frist von 2 Wochen für Gehörsrüge sowie<br />

– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzungsantrag – etwa<br />

bei fehlender Entscheidung über die Zulassung der Berufung.<br />

b) Urteil ist berufungsfähig<br />

– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzung<br />

– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Berufungseinlegung<br />

– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Berufungsbegründung<br />

III. Neuregelungen im Revisionsverfahren<br />

Auch das Revisionsrecht wurde grundlegend geändert. Die<br />

frühere Wertrevision bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

von mehr als 60.000 DM ist abgeschafft worden. Dementsprechend<br />

hat das Revisionsgericht auch nicht mehr über eine Annahme<br />

der Revision zu entscheiden. Stattdessen gibt es nur noch<br />

die Zulassungsrevision.<br />

1. Statthaftigkeit der Revision<br />

Gemäß § 542 Abs. 1 ZPO findet die Revision gegen die in der<br />

Berufungsinstanz erlassenen Endurteile statt. Danach sind – anders<br />

als gemäß §§ 545 Abs. 1 ZPO a. F., 133 GVG a. F. – auch Endurteile<br />

der Berufungskammer mit der Revision anfechtbar. Dies ist<br />

41 Schneider, aaO S. 1087; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 533 ZPO Rdnr. 11.<br />

42 Baumbach/Lauterbach/ Albers, § 533 ZPO Rdnr. 12.<br />

43 S. o. I. 3.<br />

44 Schneider, aaO S. 1083.<br />

45 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2591.


132<br />

l<br />

entgegen der Auffassung Schneiders 46 kein Formulierungsversehen<br />

des Gesetzgebers. Vielmehr ist dies eine vom Gesetzgeber gewollte<br />

Regelung mit der Folge, dass auch ein erstinstanzlich vor<br />

dem Amtsgericht verhandelter Rechtsstreit mit grundsätzlicher Bedeutung<br />

vom BGH entschieden werden kann 47 .<br />

2. Zulassung der Revision<br />

Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO findet die Revision nur statt, wenn<br />

sie<br />

– entweder vom Berufungsgericht in dem Urteil, also nicht in<br />

einem gleichzeitig erlassenen Beschluss und auch nicht im Wege<br />

der Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO zugelassen wurde, oder<br />

– das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung<br />

zugelassen hat.<br />

Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn<br />

– die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder<br />

– die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />

Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts<br />

erfordert.<br />

Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht<br />

gebunden (§ 543 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

3. Nichtzulassungsbeschwerde<br />

Durch § 544 ZPO ist erstmals die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

eingeführt worden. Sie ist innerhalb einer Notfrist von einem<br />

Monat ab Zustellung des Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf<br />

von sechs Monaten nach Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht<br />

einzulegen. Die Nichtzulassungsbeschwerde muss von<br />

einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden<br />

(s. § 78 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 544 Abs. 2 ZPO ist die Beschwerde<br />

innerhalb von zwei Monaten seit Zustellung des Urteils,<br />

spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der<br />

Verkündung des Urteils zu begründen. Einlegung und Begründung<br />

müssen also innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils<br />

erfolgen48 .<br />

Das Verfahren über die Zulassung der Revision ist in § 544<br />

Abs. 3 u. 4 ZPO geregelt.<br />

Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hemmt gemäß<br />

§ 544 Abs. 5 S. 1 ZPO die Rechtskraft des Berufungsurteils. Auf<br />

Antrag kann das Revisionsgericht anordnen, dass die Zwangsvollstreckung<br />

aus dem Berufungsurteil einstweilen eingestellt wird<br />

(§ 544 Abs. 5 S. 2 ZPO i. V. m. § 719 Abs. 2 u. 3 ZPO). Lehnt das<br />

Revisionsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde ab, wird das Urteil<br />

rechtskräftig (§ 544 Abs. 5 S. 3 ZPO). Wird hingegen der<br />

Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben,<br />

wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt.<br />

Die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

gilt dann als Einlegung der Revision. Mit Zustellung<br />

der der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Entscheidung<br />

beginnt die Revisionsbegründungsfrist (§ 544 Abs. 6 ZPO).<br />

a) Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

Bis einschließlich 31.12.2006 ist die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend<br />

gemachten Beschwer 20.000 Euro übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).<br />

Dies hat zur Folge, dass für die Dauer der nächsten fünf Jahre trotz<br />

der Abschaffung der Streitwertrevision Berufungsurteile mit einer<br />

Beschwer unterhalb dieses Betrages nicht mit der Revision anfechtbar<br />

sind, wenn nicht das Berufungsgericht selbst die Revision<br />

zugelassen hat. Der Berufungsanwalt muss also darauf achten, dass<br />

er in diesen Fällen keinen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt<br />

mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beauftragt, was<br />

bei diesem nach Rücknahme des Auftrages eine 10/10-Prozessgebühr<br />

auslöst.<br />

b) Ausschluss in Familiensachen<br />

In Familiensachen ist die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls<br />

bis zum 31.12.2006 schlechthin ausgeschlossen (§ 26 Nr. 9<br />

EGZPO).<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

4. Revisionsgründe<br />

Die Vorschriften über die Revisionsgründe entsprechen der bisherigen<br />

Rechtslage. Entgegen dem bisherigen Recht (§ 551 Nr. 4<br />

ZPO a. F.) kann die Revision jedoch nicht mehr auf eine fehlerhafte<br />

Annahme oder Verneinung der Zuständigkeit durch das Gericht<br />

des ersten Rechtszuges gestützt werden. Folglich kann die<br />

Revision gestützt werden:<br />

– auf eine Rechtsverletzung gem. §§ 545 Abs. 1, 546 ZPO sowie<br />

– auf die absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO.<br />

5. Revisionsfrist<br />

Die Revisionsfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung<br />

des in vollständiger Form abgefassten Berufungsurteils,<br />

spätestens jedoch mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der<br />

Verkündung dieses Urteils (§ 548 ZPO).<br />

6. Revisionsbegründungsfrist<br />

Die Frist für die Begründung der Revision beträgt nunmehr<br />

zwei Monate (§ 551 Abs. 2 S. 2 ZPO). Sie beginnt – ebenso wie<br />

die Revisionsfrist – mit der Zustellung des in vollständiger Form<br />

abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten<br />

nach der Verkündung dieses Urteils (§ 551 Abs. 2 S. 3 ZPO). Damit<br />

stehen dem Rechtsanwalt – wie im Regelfall auch nach bisherigem<br />

Recht – für die Begründung der Revision insgesamt zwei Monate<br />

Zeit zur Verfügung.<br />

Die Möglichkeiten für die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist<br />

sind – vergleichbar mit der Berufungsbegründungsfrist<br />

– gegenüber dem bisherigen Recht eingeschränkt<br />

worden (s. § 551 Abs. 2 S. 5 u. 6 ZPO).<br />

7. Anschlussrevision<br />

Eine selbstständige Anschließung ist – ebenso wie bei der Berufung<br />

– nicht mehr vorgesehen. Die unselbstständige Anschlussrevision<br />

ist jedoch nunmehr – abweichend vom bisherigen Recht –<br />

auch dann statthaft, wenn die Revision für den Revisionsbeklagten<br />

weder vom Berufungsgericht noch vom Revisionsgericht auf eine<br />

Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden ist (§ 554 Abs. 2<br />

S. 1 ZPO).<br />

8. Zulassung der Sprungrevision<br />

Abweichend vom bisherigen Recht kann die Sprungrevision gegen<br />

sämtliche im ersten Rechtszug ergangene Endurteile eingelegt<br />

werden, also auch gegen Endurteile der Amtsgerichte (§ 566 Abs. 1<br />

S. 2 ZPO). Voraussetzung ist jedoch, dass die Endurteile mit der<br />

Berufung anfechtbar sind. Der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

muss folglich 600 Euro übersteigen (s. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).<br />

Die weiteren Verfahrensvorschriften entsprechen weitgehend<br />

der bisherigen Rechtslage. Jedoch ist die Zulassungsschrift innerhalb<br />

einer Frist von einem Monat ab Zustellung des angefochtenen<br />

Urteils einzureichen, für die eine Verlängerung nicht vorgesehen<br />

ist (§ 566 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 548 ZPO). In dieser kurzen Frist<br />

kann die gemäß § 566 Abs. 2 S. 4 ZPO beizufügende schriftliche<br />

Einwilligungserklärung des Antragsgegners kaum beigebracht werden<br />

49 .<br />

Checkliste Fristen Revision<br />

1. Urteil verkündet oder möglicherweise verkündet<br />

– Frist von 6 Monaten mit Vorfrist für Einlegung der Revision<br />

bzw. Nichtzulassungsbeschwerde<br />

– Frist von 7 Monaten mit Vorfrist für Begründung der Revision<br />

bzw. Nichtzulassungsbeschwerde<br />

46 AaO S. 1088.<br />

47 Büttner, MDR 2001,1201,1202; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 542 ZPO<br />

Rdnr. 1.<br />

48 Büttner, BRAK-Mitt. 2001, 2263,265; unrichtig Schneider, ZAP aaO S. 1088,<br />

der von einer Begründungsfrist von zwei weiteren Monaten ausgeht.<br />

49 Kritisch hierzu auch Büttner, MDR 2001, 1201, 1208.


AnwBl 3/2002 133<br />

Aufsätze l<br />

– Beide Fristen können gelöscht werden, wenn entweder<br />

kein Berufungsurteil verkündet wurde oder ein Urteil vor Ablauf<br />

von 5 Monaten zugestellt wurde.<br />

2. Urteil revisionsfähig?<br />

– Revision im Urteil zugelassen<br />

– Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen<br />

a) Revision ist zugelassen<br />

– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzung<br />

– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Revisionseinlegung<br />

– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Revisionsbegründung<br />

b) Revision nicht zugelassen<br />

– Beschwerdewert übersteigt 20.000 E und es handelt sich<br />

nicht um eine Familiensache<br />

– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Beschwerdeeinlegung<br />

– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Beschwerdebegründung<br />

IV. Sofortige Beschwerde<br />

Die bisherige Unterscheidung zwischen einfacher, also nicht<br />

fristgebundener, und sofortiger, also befristeter, Beschwerde ist mit<br />

der ZPO-Reform aufgegeben worden. Nunmehr sind alle ZPO-Beschwerden<br />

fristgebundene sofortige Beschwerden (§ 567 Abs. 1<br />

ZPO). Ebenfalls befristet ist die Erinnerung gegen die Entscheidung<br />

des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten<br />

der Geschäftsstelle (§ 573 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diese darf<br />

jedoch nicht mit der Rechtspfleger-Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2<br />

RPflG verwechselt werden, bei der die ZPO-Reform nichts geändert<br />

hat.<br />

1. Statthaftigkeit<br />

Gemäß § 567 Abs. 1 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen<br />

die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der<br />

Amtsgerichte und Landgerichte statt, wenn<br />

– dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder<br />

– es sich um eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde<br />

Entscheidung handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes<br />

Gesuch zurückgewiesen worden ist.<br />

2. Beschwerdewert<br />

Die sofortige Beschwerde gegen eine Kostengrundentscheidung<br />

erfordert einen Beschwerdewert von über 100 Euro (§ 567<br />

Abs. 2 S. 1 ZPO). Die sofortige Beschwerde ist gleichwohl unstatthaft,<br />

wenn der Streitwert der Hauptsache 600 Euro nicht übersteigt<br />

(§§ 91a Abs. 2 S. 2, 99 Abs. 2 S. 2, 127 Abs. 2 S. 2 , 269<br />

Abs. 5 S. 1 ZPO).<br />

Gegen andere Entscheidungen über Kosten, insbesondere gegen<br />

Kosten- oder Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse, ist die sofortige<br />

Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />

50 Euro übersteigt (§ 567 Abs. 2 S. 2 ZPO). Infolge der<br />

Umstellung auf Euro ist damit der Beschwerdewert geringfügig<br />

herabgesetzt worden.<br />

3. Anschließung<br />

Abweichend vom bisherigen Recht ist gemäß § 567 Abs. 3 S. 1<br />

ZPO nur noch die unselbstständige Anschlussbeschwerde gegeben.<br />

Folglich ist die Anschließung stets vom Schicksal der<br />

Hauptbeschwerde abhängig. Sie verliert ihre Wirkung, wenn die<br />

Hauptbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen<br />

wird (§ 567 Abs. 3 S. 2 ZPO). Will der Beschwerdeführer unabhängig<br />

von der Erstbeschwerde gegen die Entscheidung vorgehen,<br />

muss er seinerseits fristgemäß sofortige Beschwerde einlegen.<br />

4. Frist<br />

So weit keine andere Frist gesetzlich bestimmt ist, ist die sofortige<br />

Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem<br />

Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht<br />

einzulegen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diese Beschwerdefrist<br />

beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung,<br />

spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach<br />

der Verkündung dieser Entscheidung (§ 569 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

5. Begründung<br />

Gemäß § 571 Abs. 1 ZPO soll die Beschwerde begründet werden.<br />

Diese Begründung ist jedoch – von seltenen Ausnahmen abgesehen<br />

(s. § 620d S. 1 ZPO) – keine Zulässigkeitsvoraussetzung, sodass<br />

die Beschwerde nicht etwa als unzulässig verworfen werden<br />

darf 50 . Der Beschwerdeführer kann die Begründung bis zum Wirksamwerden<br />

der Beschwerde, also mit Herausgabe der Entscheidung,<br />

nachreichen. Geht eine Beschwerdebegründung nicht ein,<br />

kann das Gericht die Beschwerde als unbegründet zurückweisen 51 .<br />

Das Beschwerdegericht kann dem Beschwerdeführer auch eine<br />

Frist zur Begründung der Beschwerde setzen (§ 571 Abs. 3 S. 1<br />

ZPO). Gleiches gilt im Übrigen auch für die Begründung der Beschwerdeerwiderung.<br />

Wird die Begründung nicht fristgemäß vorgebracht,<br />

kann sie nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen<br />

des § 571 Abs. 3 S. 2 ZPO zugelassen werden.<br />

Die Beschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das<br />

Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht<br />

angenommen hat (§ 571 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />

Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />

gestützt werden (§ 571 Abs. 2 S. 1 ZPO).<br />

Ein bestimmter Antrag ist auch nach neuem Recht nicht Zulässigkeitsvoraussetzung.<br />

Im eigenen Interesse sollte der Beschwerdeführer jedoch von<br />

sich aus bereits in der Beschwerdeschrift einen bestimmten Antrag<br />

stellen und seine Beschwerde begründen.<br />

6. Anwaltszwang<br />

Für die Einlegung der sofortigen Beschwerde besteht nach wie<br />

vor kein Anwaltszwang, so weit die Beschwerde zu Protokoll der<br />

Geschäftsstelle erklärt werden kann (§ 569 Abs. 3 ZPO). Dies ist<br />

der Fall,<br />

– wenn der Prozess im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess<br />

zu führen ist,<br />

– wenn die Beschwerde die Prozesskostenhilfe betrifft,<br />

– wenn sich ein Zeuge, Sachverständiger oder Dritter i. S. d.<br />

§§ 142, 144 ZPO beschwert.<br />

Das gilt auch für die vom Beschwerdegericht angeordneten<br />

weiteren schriftlichen Erklärungen (§ 571 Abs. 4 S. 2 ZPO).<br />

7. Abhilfeprüfung<br />

Abweichend vom bisherigen Recht hat das Gericht oder der<br />

Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, zu prüfen, ob<br />

die Beschwerde für begründet erachtet wird. In diesem Fall haben<br />

sie der Beschwerde abzuhelfen (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO).<br />

8. Entscheidender Richter<br />

Vergleichbar mit dem Erkenntnisverfahren entscheidet nunmehr<br />

auch im Beschwerdeverfahren der Einzelrichter an Stelle des Kollegiums,<br />

wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter<br />

oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (§ 568 S. 1<br />

ZPO). Dieser kann das Verfahren unter den in § 568 S. 2 ZPO genannten<br />

Voraussetzungen dem Kollegium übertragen.<br />

Während im Erkenntnisverfahren ein neu in den Dienst eingetretener<br />

Richter auf Probe nicht als originärer Einzelrichter tätig<br />

werden kann (s. § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO), ist dies im Beschwerdeverfahren<br />

zulässig. Dies ist insbesondere dann bedenklich,<br />

wenn es in dem Beschwerdeverfahren um besonders schwierige<br />

Rechtsgebiete geht 52 .<br />

Auch im Beschwerdeverfahren ist weder die erfolgte noch die<br />

unterlassene Übertragung anfechtbar (§ 568 S. 3 ZPO).<br />

Checkliste Fristenkontrolle Beschwerde<br />

1. Beschluss verkündet oder möglicherweise verkündet<br />

– Frist von 5 Monaten + Beschwerdefrist für Beschwerdeeinlegung<br />

50 BT-Drucks. 14/4722 S. 113.<br />

51 BT-Drucks. 14/4722 aaO.<br />

52 Kritisch auch Schneider, ZAP aaO S. 1090.


134<br />

l<br />

Diese Frist kann gelöscht werden, wenn entweder kein Beschluss<br />

verkündet wurde oder ein Beschluss vor Ablauf von 5<br />

Monaten zugestellt wurde.<br />

2. Beschluss beschwerdefähig?<br />

a) Kostengrundentscheidungen<br />

– Beschwerdewert (Kostenwert) übersteigt 100 E<br />

– Hauptsachewert übersteigt 600 E<br />

b) Kosten- und Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse<br />

– Beschwerdewert übersteigt 50 E<br />

c) Prozesskostenhilfeentscheidungen<br />

– Versagung der PKH bei Verneinung der persönlichen oder<br />

wirtschaftlichen Voraussetzungen: kein Beschwerdewert<br />

– Verneinung der Erfolgsaussicht: Hauptsachewert übersteigt<br />

600 E<br />

3. Beschluss ist beschwerdefähig<br />

– in den Fällen 2 a) und b): Frist von 2 Wochen<br />

– in den Fällen 2 c): Frist von einem Monat<br />

V. Rechtsbeschwerde<br />

Erstmals ist die revisionsähnlich ausgestaltete Rechtsbeschwerde<br />

allgemein in die ZPO eingeführt worden. Die Rechtsbeschwerde<br />

ersetzt die bisher nur ausnahmsweise zulässig gewesene<br />

(s. §§ 568a, 621e Abs. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 GVG) weitere<br />

Beschwerde zum BGH. Im Unterschied hierzu ist die Rechtsbeschwerde<br />

jedoch keine weitere Tatsacheninstanz mehr, was jedoch<br />

bisher die weitere Beschwerde in einigen Fällen (s. § 793<br />

Abs. 2 ZPO, § 7 InsO, § 3 Abs. 2 S. 3 SVertO, § 156 Abs. 2 S. 2<br />

KostO, die an das OLG gerichtet ist) der Fall war. Durch die Einführung<br />

der Rechtsbeschwerde an den BGH wird die Möglichkeit<br />

eröffnet, Grundsatzfragen auch in zivilprozessualen Beschwerdesachen<br />

höchstrichterlich zu klären. Als Beispiel hierfür sind in der<br />

Gesetzesbegründung 53 ausdrücklich die von verschiedenen Oberlandesgerichten<br />

unterschiedlich beantworteten Fragen des Kostenrechts<br />

angeführt.<br />

1. Statthaftigkeit<br />

Gemäß § 574 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsbeschwerde unter zwei<br />

verschiedenen Voraussetzungen statthaft.<br />

a) Gesetzliche Regelung<br />

Dies ist einmal der Fall, wenn die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde<br />

im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist, insbesondere in<br />

folgenden Vorschriften: § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO, § 1065 Abs. 1 S. 1<br />

ZPO, § 7 InsO, §§ 101 Abs. 2, 102 ZVG, § 53g Abs. 2 u. § 64<br />

Abs. 3 S. 1 FGG.<br />

In diesen Fällen ist die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2<br />

ZPO nur zulässig,<br />

– wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder<br />

– wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer<br />

einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts<br />

erfordert.<br />

b) Zulassung<br />

Ferner ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht,<br />

das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten<br />

Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat. Gemäß § 574<br />

Abs. 3 S. 1 ZPO soll die Zulassung erfolgen, wenn die vorgenannten<br />

Voraussetzungen (grundsätzliche Bedeutung, Fortbildung des<br />

Rechts, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) vorliegen.<br />

Jedoch ist das Rechtsbeschwerdegericht an die Zulassung selbst<br />

dann gebunden, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind<br />

(§ 574 Abs. 3 S. 2 ZPO).<br />

2. Frist, Form und Begründung<br />

Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat<br />

nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift<br />

bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen<br />

(§ 575 Abs. 1 S. 1 ZPO). Innerhalb dieser Frist ist die Rechtsbeschwerde<br />

zu begründen (§ 575 Abs. 2 S. 1 u. 2 ZPO). Der<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Beschwerdeführer hat also ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung<br />

nur einen Monat Zeit, seine Rechtsbeschwerde einzulegen<br />

und zu begründen 54 . Etwas kurios ist die Verweisung in § 575<br />

Abs. 2 S. 3 ZPO auf die Regelungen in § 551 Abs. 2 S. 5 u. 6<br />

ZPO, die die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist regeln.<br />

Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist kann danach verlängert<br />

werden, die innerhalb des gleichen Zeitraums laufende Einlegungsfrist<br />

hingegen nicht.<br />

Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG der BGH.<br />

Die Anforderungen an die Begründung der Rechtsbeschwerde,<br />

die sich an die Revisionsbegründung anlehnen, sind in § 575 Abs. 3<br />

ZPO geregelt.<br />

Anders als für die sofortige Beschwerde in § 567 Abs. 2 ZPO<br />

bestimmt, ist für die Rechtsbeschwerde kein Beschwerdewert erforderlich.<br />

Dies kann dazu führen, dass der BGH mit Rechtsfragen<br />

beispielsweise in Kostensachen mit ganz geringem Wert befasst<br />

wird, etwa nur Berechnung der Dokumentenpauschale gemäß § 27<br />

BRAGO für Schriftsatzanlagen.<br />

Die Parteien können sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nur<br />

durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen<br />

(§ 78 Abs. 1 ZPO; Ausnahme: die Rechtsbeschwerde nach<br />

§ 621e Abs. 2 ZPO in bestimmten Familiensachen).<br />

Da die Rechtsbeschwerde nur dann aufschiebende Wirkung<br />

hat, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels<br />

zum Gegenstand hat, kann das Rechtsbeschwerdegericht im Wege<br />

der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der angefochtenen<br />

Entscheidung aussetzen (§ 575 Abs. 5 i. V. m. § 570 Abs. 1 u. 3<br />

ZPO).<br />

VI. Familiensachen<br />

1. Keine Präklusion<br />

Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens bestimmt sich<br />

nach dem unverändert gebliebenen § 615 Abs. 1 ZPO. § 615 Abs. 2<br />

ZPO regelt, dass die verschärften allgemeinen Präklusionsbestimmungen<br />

der neu gefassten §§ 530, 531 ZPO in Familiensachen<br />

nicht gelten.<br />

Abweichend vom allgemeinen Rechtsbehelfsrecht ist in den<br />

zivilprozessualen Familiensachen (Unterhalt, Güterrecht) neues<br />

Vorbringen nicht umfassend ausgeschlossen. Die Regelung in<br />

§ 621 d S. 2 ZPO soll sicherstellen, dass der Sachverhalt in diesen<br />

Familiensachen auch noch in der zweiten Instanz aufgeklärt werden<br />

kann. Die Anwendung der neu gefassten §§ 530, 531 ZPO ist<br />

also auch hier ausgeschlossen.<br />

2. Rechtsbeschwerde<br />

In der Neufassung des § 621e Abs. 2 ZPO ist die bisherige<br />

weitere Beschwerde durch die neue Rechtsbeschwerde ersetzt worden,<br />

die unter den allgemeinen Voraussetzungen statthaft ist 55 .<br />

Entsprechend den allgemeinen Regelungen kann auch in den<br />

isolierten Familiensachen die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde<br />

nicht auf Zuständigkeitsmängel des Gerichtes des ersten<br />

Rechtszuges gestützt werden (§ 621e Abs. 4 ZPO).<br />

VII. Einzelne Neuregelungen<br />

1. Verhandlung durch Bild- und Tonübertragung<br />

Nach dem neu eingefügten § 128a ZPO kann das Gericht im<br />

Einverständnis mit den Parteien auf Antrag gestatten, dass sich die<br />

Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten während einer Verhandlung<br />

an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen<br />

vornehmen können. Die Verhandlung von diesem Ort wird<br />

dann in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen (§ 128a<br />

Abs. 1 ZPO). Gleiches gilt dann gemäß § 128a Abs. 2 ZPO für die<br />

Vernehmung eines Zeugen, eines Sachverständigen oder einer Partei.<br />

Wer die Ausstattung der Berliner Gerichte kennt, muss nicht befürchten,<br />

dass diese Neuregelung dort alsbald praktiziert wird.<br />

53 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 116.<br />

54 BT-Drucks. 14/4722 S. 177; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 575 ZPO Rn. 5;<br />

unrichtig Schneider, ZAP aaO S. 1091, nach dessen Auffassung für die Begründung<br />

eine Frist von einem weiteren Monat besteht.<br />

55 Dessen Anwendungsbereich ist durch Art 4 des Gewaltschutzgesetzes v.<br />

11.12.2001, BGBl. I S. 3513 erweitert worden.


AnwBl 3/2002 135<br />

Aufsätze l<br />

2. Prozessleitung des Gerichts<br />

Die bisher in §§ 139, 273, 278 ZPO a. F. geregelten Pflichten<br />

des Gerichts bei der Vorbereitung des Verhandlungstermins und zur<br />

Aufklärung des Sachverhalts sind nunmehr in dem neu gefassten<br />

§ 139 ZPO zusammengefasst worden. Hierbei ist auch die zu diesem<br />

Themenkreis ergangene Rechtsprechung in den Gesetzestext<br />

eingearbeitet worden. § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO erlegt dem Gericht<br />

die Verpflichtung auf, die Hinweise an die Parteien so früh wie<br />

möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Die Erteilung<br />

kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden (§ 139<br />

Abs. 4 S. 2 ZPO). Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis<br />

der Fälschung zulässig (§ 139 Abs. 4 S. 3 ZPO). Das Unterlassen<br />

eines rechtlich gebotenen Hinweises verletzt nicht nur das in<br />

Art. 103 Abs. 2 GG bestimmte Grundrecht auf rechtliches Gehör,<br />

sondern stellt einen Verfahrensfehler i. S. d. §§ 539, 550 ZPO dar,<br />

der im Einzelfall die Zurückverweisung rechtfertigen kann 56 .<br />

Diese Regelung ermöglicht es den Prozessbevollmächtigten,<br />

durch gezielte Anträge auf Erfüllung der Aufklärungs- und Hinweispflichten<br />

des Gerichts gemäß § 139 ZPO das erstinstanzliche<br />

Verfahren zu steuern und damit ein aussichtsreiches Berufungsverfahren<br />

vorzubereiten 57 . In einem solchen Rechtsmittelverfahren<br />

sind allerdings die Beweisregelungen in § 139 Abs. 4 S. 2 u. 3<br />

ZPO zu beachten. Macht der Rechtsmittelkläger die Verletzung der<br />

gerichtlichen Hinweispflicht geltend, behauptet die andere Partei<br />

jedoch, das Gericht habe den vermissten Hinweis erteilt, ist der<br />

Beweis erbracht, dass der Hinweis nicht erteilt worden ist, wenn<br />

sich dessen Erteilung nicht aus den Akten ergibt. In einem solchen<br />

Fall ist der Gegenbeweis für den Rechtsmittebeklagten nur mit<br />

dem Nachweis der Fälschung der Akten möglich 58 . Problematisch<br />

ist dies allerdings, weil die Form für die Erteilung des gerichtlichen<br />

Hinweises gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Der Hinweis<br />

kann beispielsweise in einem Hinweisbeschluss oder in einer entsprechenden<br />

Verfügung erfolgen. Er kann jedoch auch mündlich<br />

in der Verhandlung oder außerhalb der Verhandlung telefonisch erfolgen<br />

und vom Richter dann durch einen entsprechendenVermerk<br />

dokumentiert werden. In einem solchen Fall wird jedoch regelmäßig<br />

nicht der Wortlaut des Hinweises fest gehalten, sondern lediglich<br />

die Tatsache, dass das Gericht auf einen bestimmten Gesichtspunkt<br />

hingewiesen habe. Hat der Richter den Hinweis nicht<br />

aktenkundig gemacht, kann dies nachträglich im Tatbestand des<br />

Urteils dokumentiert werden.<br />

3. Änderungen im PKH-Verfahren<br />

Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet nunmehr<br />

die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt (§ 127 Abs. 3 S. 1<br />

ZPO). Diese ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat ab Bekanntgabe<br />

des Beschlusses einzulegen (§ 127 Abs. 3 S. 3 ZPO).<br />

Nach Ablauf von drei Monaten seit Verkündung der Entscheidung<br />

ist die Beschwerde nach wie vor unstatthaft (§ 127 Abs. 3 S. 4<br />

ZPO). Gegen die – teilweise – Versagung der Prozesskostenhilfe<br />

ist die sofortige Beschwerde statthaft, die innerhalb einer Notfrist<br />

von einem Monat einzulegen ist (§ 127 Abs. 2 S. 2 1. Halbs. u.<br />

S. 3 ZPO). Hat das Gericht ausschließlich die persönlichen oder<br />

wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,<br />

erfordert die sofortige Beschwerde keinen Beschwerdewert.<br />

In anderen Fällen – etwa bei fehlender Erfolgsaussicht der Klage –<br />

ist die Beschwerde nur statthaft, wenn der Streitwert der Hauptsache<br />

600 Euro übersteigt (§ 127 Abs. 2 S. 2 2. Halbs. ZPO). Ob<br />

auf den Streitwert der Hauptsache auch dann abzustellen ist, wenn<br />

es um die PKH-Bewilligung für ein Nebenverfahren – etwa für die<br />

Zwangsvollstreckung oder die Kostenfestsetzung – geht, erscheint<br />

zweifelhaft.<br />

4. Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung<br />

Nach der bisherigen Fassung des § 156 ZPO lag es im richterlichen<br />

Ermessen, eine einmal geschlossene mündliche Verhandlung<br />

wieder zu eröffnen. Dieses Ermessen wurde jedoch von der Rechtsprechung<br />

insbesondere bei Gehörsverletzungen oder Verstößen<br />

gegen die richterliche Hinweispflicht wesentlich eingeschränkt.<br />

Der neu angefügte § 156 Abs. 2 ZPO führt in nicht abschließender<br />

Aufzählung auf, in welchen Fällen das Gericht die Verhandlung<br />

wieder eröffnen muss, und zwar:<br />

– bei einem entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler,<br />

insbesondere bei einer Verletzung der Hinweis- und<br />

Aufklärungspflicht oder – bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches<br />

Gehör,<br />

– bei nachträglichem Vortrag von Tatsachen, die einen Wiederaufnahmegrund<br />

bilden oder<br />

– bei Ausscheiden eines Richters zwischen dem Schluss der<br />

mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung.<br />

Liegt einer dieser Fälle vor, sollte der Rechtsanwalt die Wiedereröffnung<br />

der mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragen<br />

59 .<br />

5. Aussetzung bei Verdacht einer Straftat<br />

Die Aussetzung bei Verdacht einer Straftat hatte nach bisherigem<br />

Recht vielfach einen jahrelangen Stillstand des Rechtsstreits<br />

zur Folge. Der neu angefügte § 149 Abs. 2 ZPO eröffnet den Parteien<br />

die Möglichkeit, nach Ablauf eines Jahres seit der Aussetzung<br />

die Fortsetzung der Verhandlung zu beantragen. Das Gericht<br />

darf von der Fortsetzung des Verfahrens nur dann absehen, wenn<br />

gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen.<br />

6. Sicherheitsleistung<br />

Die prozessuale Sicherheit wird in den meisten Fällen durch<br />

eine Bankbürgschaft erbracht. Nach bisherigem Recht musste das<br />

Gericht dies gesondert – wenn auch formularmäßig – beschließen.<br />

Nunmehr ist diese Form der Sicherheitsleistung ausdrücklich in<br />

den Gesetzestext übernommen worden (§ 108 Abs. 1 S. 2 ZPO).<br />

Einer besonderen Entscheidung des Gerichts bedarf es also künftig<br />

nicht mehr.<br />

7. Klagerücknahme<br />

a) Einwilligung des Beklagten<br />

Die Klage kann – nach wie vor – ohne Einwilligung des Beklagten<br />

nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten<br />

zur Hauptsache zurückgenommen werden (§ 269 Abs. 1<br />

ZPO). Für die zu einem späteren Zeitpunkt erklärte Klagerücknahme<br />

bedarf es der Einwilligung des Beklagten. Häufig blieb der –<br />

meist anwaltlich nicht vertretene – Beklagte nach einer solchen<br />

Klagerücknahme untätig, obwohl er gegen die Beendigung des Verfahrens<br />

keine Einwendungen hatte. Nach der Neuregelung des<br />

§ 269 Abs. 2 S. 4 ZPO wird die Einwilligung des Beklagten<br />

unterstellt.<br />

Die Klagerücknahme kann künftig nach Beginn der mündlichen<br />

Verhandlung nur noch durch Einreichung eines Schriftsatzes<br />

erklärt werden, nicht mehr in der mündlichen Verhandlung<br />

(§ 269 Abs. 2 S. 2 ZPO). Dieser Schriftsatz ist dem Beklagten<br />

dann zuzustellen. Widerspricht der Beklagte der Klagerücknahme<br />

nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung dieses<br />

Schriftsatzes, gilt seine Einwilligung als erteilt (§ 269 Abs. 2<br />

S. 4 ZPO). Gegen die Versäumung dieser Notfrist besteht die<br />

Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß<br />

§ 233 ff. ZPO.<br />

b) Kosten nach Klagerücknahme<br />

Gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO ist der Kläger nach wie vor verpflichtet,<br />

die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, so weit nicht bereits<br />

rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus<br />

einem anderen Grunde aufzuerlegen sind. Hierzu gehören beispielsweise<br />

– die Auferlegung der Kosten der Säumnis auf den Beklagten<br />

(§ 344 ZPO),<br />

– die Übernahme der Kosten durch den Beklagten in einem außergerichtlichen<br />

Vergleich,<br />

– der Verzicht des Beklagten auf eine Kostenerstattung oder<br />

– der Fall, dass eine wirksame Klagerücknahme nicht erklärt<br />

worden ist.<br />

56 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 77.<br />

57 So Schneider, ZAP aaO S. 1072; ausführlich hierzu s. Schneider, ZPO-Reform<br />

Rdnr. 64 ff.<br />

58 BT-Drucks. 14/4722 S. 78.<br />

59 S. Schneider, ZAP aaO S. 1067.


136<br />

l<br />

Nach dem bisherigen Recht war der Kläger – von diesen Ausnahmefällen<br />

abgesehen – selbst dann verpflichtet, die Kosten des<br />

Rechtsstreits zu tragen, wenn der Beklagte Anlass zur Klage gegeben<br />

und der Kläger nach Wegfall dieses Anlasses unverzüglich<br />

die Klagerücknahme erklärt hat. In einem solchen Fall hatte der<br />

Kläger nur zwei Möglichkeiten:<br />

– Er erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt; eine<br />

Kostenentscheidung nach § 91a ZPO setzte dann jedoch voraus,<br />

dass der Beklagte sich dieser Erledigungserklärung anschloss.<br />

– Oder der Beklagte machte im Wege der Klageänderung die<br />

bisherigen Kosten des Rechtsstreits als materiell-rechtlichen<br />

Kostenerstattungsanspruch geltend. Die Bezifferung dieses Schadensersatzanspruchs<br />

ist jedoch deshalb schwierig, weil materiellrechtlicher<br />

und prozessualer Kostenerstattungsanspruch teilweise<br />

identisch sind. Ausserdem wurden dem Kläger die Kosten des<br />

Rechtsstreits nach dem Verhältnis von ursprünglicher Hauptsache<br />

zu geltend gemachtem Kostenerstattungsanspruch auferlegt, sodass<br />

dieser häufig den grösseren Kostenanteil zu tragen hatte.<br />

Nach der Neuregelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO kann das Gericht<br />

auf Antrag des Klägers über die Kosten – ähnlich wie in<br />

§ 91a ZPO – nach billigem Ermessen entscheiden, ohne dass es<br />

der Abgabe von Erledigungserklärungen bedarf. Damit wird dem<br />

materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch des Klägers Rechnung<br />

getragen, ohne dass ein neues Verfahren erforderlich wird.<br />

Gegen die Entscheidungen nach § 269 Abs. 3 ZPO ist nach wie<br />

vor die sofortige Beschwerde gegeben. Dies gilt jedoch nach der<br />

Neuregelung in § 269 Abs. 5 S. 1 Halbs. 2 ZPO nur dann, wenn<br />

der Streitwert der Hauptsache im Beschlusszeitpunkt die Berufungssumme<br />

gemäß § 511 ZPO – 600 Euro – übersteigt. Die sofortige<br />

Beschwerde ist nach § 269 Abs. 5 S. 2 ZPO unzulässig, sobald<br />

gegen einen auf Grund einer Kostenentscheidung nach § 269<br />

Abs. 3 ZPO ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss ein Rechtsmittel<br />

nach § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO nicht mehr zulässig ist. Der<br />

Sinn dieser Regelung erschließt sich dem Praktiker jedoch nicht.<br />

Der Kostenbeschluss nach § 269 Abs. 3 u. 4 ZPO ist zumindest<br />

der beschwerten Partei förmlich zuzustellen, womit die Beschwerdefrist<br />

von zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) in Lauf gesetzt<br />

wird. Selbst wenn beispielsweise der Beklagte seinen Kostenfestsetzungsantrag<br />

unmittelbar nach Erlass bei Gericht einreicht, vergehen<br />

infolge der erforderlichen Anhörung des Klägers bereits<br />

rund zwei Wochen, bevor überhaupt über den Kostenfestsetzungsantrag<br />

entschieden wird. Die Frist für die Einlegung der sofortigen<br />

Beschwerde ist daher meist schon verstrichen, bevor überhaupt<br />

über den gegnerischen Kostenfestsetzungsantrag entschieden wird.<br />

Die Regelung hat ihren Sinn nur dann, wenn der Kostenbeschluss<br />

der hierdurch belasteten Partei verfahrensfehlerhaft nicht zustellt<br />

wird. In diesem Fall kann die beschwerte Partei sofortige Beschwerde<br />

gegen den Kostenbeschluss nur innerhalb der Frist für<br />

die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

einlegen. Fraglich ist auch, welche Auswirkungen<br />

die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung<br />

der Beschwerdefrist gegen den Kostenbeschluss hat, wenn zu diesem<br />

Zeitpunkt die Frist zur Einlegung gegen den zwischenzeitlich<br />

erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss bereits verstrichen ist. Der<br />

Rechtsanwalt muss also in derartigen Fällen immer prüfen, ob er<br />

nicht vorsorglich ein Rechtsmittel gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

einlegt, was nach bisherigem Recht entbehrlich war.<br />

8. Änderungen im Beweisrecht<br />

a) Vorbereitende Anordnungen<br />

Gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO kann das Gericht die Vorlegung<br />

von Urkunden und sonstigen Unterlagen unabhängig von einem<br />

Beweisantritt einer Partei anordnen, wenn sich eine Partei auf diese<br />

Urkunden und Unterlagen bezogen hat. Infolge der Neufassung des<br />

§ 142 Abs. 1 S. 1 ZPO kann eine solche Anordnung auch gegenüber<br />

einem Dritten erfolgen, es sei denn, es liegt einer der in § 142<br />

Abs. 2 ZPO geregelten Fälle vor.<br />

Das Gericht kann gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 ZPO für die Vorlegung<br />

der Urkunden eine Frist setzen sowie anordnen, dass die<br />

vorgelegten Unterlagen (gemeint sind wohl auch Urkunden) während<br />

einer von dem Gericht zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle<br />

verbleiben müssen. Versäumt die Partei die Frist,<br />

können die Urkunden nur unter den Voraussetzungen des § 296<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Abs. 1 ZPO zugelassen werden. Ferner gelten die beweisrechtlichen<br />

Folgen der Nichtvorlegung (§ 427 ZPO).<br />

Gemäß dem unverändert gebliebenen § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO<br />

kann das Gericht unabhängig von einem Beweisantritt die Einnahme<br />

eines Augenscheins oder die Begutachtung durch Sachverständige<br />

anordnen. Hierzu kann das Gericht einer Partei oder<br />

einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen<br />

Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen<br />

(§ 144 Abs. 1 S. 2 ZPO). Für die Folgen einer Fristversäumnis gelten<br />

die Ausführungen zur Anordnung der Urkundenvorlegung entsprechend.<br />

Gemäß § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO kann das Gericht auch<br />

die Duldung der Augenscheinseinnahme oder der Begutachtung<br />

durch Sachverständige anordnen, sofern nicht eine Wohnung betroffen<br />

ist.<br />

b) Änderungen bei einzelnen Beweismitteln<br />

aa) Augenschein<br />

Befindet sich das Augenscheinsobjekt im Besitz eines Dritten,<br />

so kann der Beweisführer diesen Beweis in zweifacher Hinsicht<br />

antreten:<br />

– Er kann – wie bei der Regelung über den Urkundenbeweis 60<br />

– das Gericht um Bestimmung einer Frist für die Vorlegung des<br />

Augenscheinsobjekts ersuchen. Diese Möglichkeit kommt dann in<br />

Betracht, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen<br />

Rechts von dem Dritten die Herausgabe oder die Vorlegung<br />

des Augenscheinsobjekts verlangen kann.<br />

– Oder der Beweisführer kann eine gerichtliche Anordnung<br />

über die Einnahme des Augenscheins beantragen. Diese Möglichkeit<br />

kommt dann in Betracht, wenn eine materiell-rechtliche Verpflichtung<br />

des Dritten zur Vorlage und Herausgabe des Augenscheinsobjekts<br />

gegenüber dem Beweisführer nicht besteht 61 . Die<br />

Vorlegung kann indirekt durch Verhängung von Ordnungsgeld und<br />

Ordnungshaft erzwungen werden (§ 371 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 144<br />

Abs. 3 ZPO).<br />

Wenn die Gegenpartei die Herausgabe des in ihrem Besitz befindlichen<br />

Augenscheinsobjekts verweigert, das Augenscheinsobjekt<br />

zerstört oder beiseite schafft, können die Behauptungen des<br />

Beweisführers über die Beschaffenheit des Gegenstandes nach der<br />

Neuregelung in § 371 Abs. 3 ZPO als bewiesen angesehen werden.<br />

Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts<br />

und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr<br />

62 wurde § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO angefügt. Dies war allerdings<br />

bei der Neufassung des § 371 ZPO übersehen worden. Dieser<br />

Fehler ist durch Art. 5 Abs. 1 a) Nr. 1 des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes<br />

63 behoben worden. Der ein elektronisches Dokument<br />

betreffende Augenscheinsbeweis wird danach durch Vorlegung<br />

oder Übermittlung der Datei angetreten.<br />

bb) Urkundenbeweis<br />

Durch Ergänzung des § 428 ZPO wird dem Beweisführer, der<br />

sich zum Beweis auf eine im Besitz eines Dritten befindliche Urkunde<br />

beruft, die Möglichkeit eingeräumt, den Beweis auch dadurch<br />

anzutreten, dass er den Erlass einer gerichtlichen Anordnung<br />

nach § 142 ZPO beantragt. Der Beweisführer kann also<br />

unabhängig von dem gegenüber dem Dritten bestehenden materiell-rechtlichen<br />

Anspruch auf Vorlegung oder Herausgabe der Urkunde<br />

den Urkundenbeweis durch einen Antrag auf Anordnung<br />

der Urkundenvorlegung antreten. Diese kann gegenüber dem Dritten<br />

indirekt durch Ordnungsgeld und Ordnungshaft erzwungen<br />

werden (§ 142 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 390 ZPO). Die vergessene<br />

Entschädigungsregelung zugunsten des Dritten Augenscheinsund<br />

Urkundenbeweis soll zum 1.7.2002 durch Ergänzung des §<br />

17a ZSEG nachgeholt werden.<br />

9. Entscheidungsform bei Verwerfung des Einspruchs<br />

Bei Unzulässigkeit des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil<br />

oder einen Vollstreckungsbescheid konnte das erstinstanzliche Ge-<br />

60 S. nachfolgend bb).<br />

61 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 90.<br />

62 Gesetz vom 18.7.2001, BGBl. I S. 1543.<br />

63 Vom 26.11.2001, BGBl. I S. 3138.


AnwBl 3/2002 137<br />

Aufsätze l<br />

richt nach bisherigem Recht den Einspruch ohne mündliche Verhandlung<br />

durch Beschluss oder auf Grund mündlicher Verhandlung<br />

durch Urteil verwerfen. Gegen den Beschluss war nach § 341<br />

Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. die sofortige Beschwerde gegeben, gegen das<br />

Urteil die Berufung.<br />

Die Neuregelung in § 341 Abs. 2 ZPO sieht zwingend die Urteilsform<br />

vor. Hierbei hat das Gericht die Wahl, ob es dieses Urteil<br />

auf Grund oder ohne mündliche Verhandlung fällt.<br />

Gegen dieses Urteil ist dann nur noch die Berufung gegeben.<br />

VIII. Änderungen im Kosten- undVergütungsfestsetzungsverfahren<br />

1. Vergütungsfestsetzungsverfahren<br />

Die bisherige Fassung des § 19 Abs. 2 S. 3 BRAGO verwies<br />

auf die für das Kostenfestsetzungsverfahren geltenden Vorschriften<br />

der ZPO. Nunmehr sind die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung<br />

über das Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar, insbesondere<br />

§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 155 FGO, § 173 VwGO, §§ 197,<br />

202 SGG, § 13a Abs. 3 FGG, die allerdings teilweise wieder auf<br />

die ZPO verweisen.<br />

2. Verzinsung<br />

Infolge der Änderung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO ist der Erstattungsbetrag<br />

nicht nur mit 4 % zu verzinsen, sondern mit fünf Prozentpunkten<br />

über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-<br />

Überleitungsgesetz. Diese Neuregelung ist durch Art 5 Abs. 3 Nr.<br />

1 a) des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes mit Wirkung vom<br />

1.1.2002 dahin geändert worden, dass nunmehr die Verzinsung mit<br />

5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB 64 erfolgt.<br />

Damit betragen die Zinssätze in Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren,<br />

in denen § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO anwendbar ist:<br />

– bis 30.9.2001: 4%,<br />

– vom 1.10.2001 bis zum 31.12.2001: 8,62 % und<br />

– vom 1.1.2002: 7,57 %.<br />

Diese Regelung gilt für alle Kostenfestsetzungsverfahren nach<br />

der ZPO und den Verfahrensordnungen, in denen sich die Kostenfestsetzung<br />

nach den §§ 103 ff. ZPO bestimmt, insbesondere<br />

– in Verfahren vor dem Arbeitsgericht,<br />

– in Verfahren vor dem Finanzgericht,<br />

– in Verfahren vor dem Verwaltungsgericht,<br />

– in Verfahren vor dem Sozialgericht,<br />

– in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit,<br />

– im Vergütungsfestsetzungsverfahren.<br />

Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber jedoch übersehen,<br />

den unverändert gebliebenen Wortlaut der §§ 464b S. 2 StPO, 106<br />

Abs. 1 S. 2 OWiG zu ändern 65 . In diesen Verfahren bleibt es also<br />

zunächst – auf Grund eines Versehens des Gesetzgebers – bei dem<br />

bisherigen Zinssatz von 4 %.<br />

Die Neuregelung ist bereits am 1.10.2001 in Kraft getreten 66 .<br />

Für die entsprechende Anhebung der Verzugs- und Prozesszinsen<br />

in § 288 Abs. 1 S. 1 BGB gibt es die Überleitungsvorschrift des<br />

Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Danach gilt die in § 288 BGB<br />

eingeführte Neuregelung der Verzinsung für Anforderungen, die ab<br />

dem 1.5.2000 – dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung – fällig geworden<br />

sind. Für die Neuregelung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO hat<br />

der Gesetzgeber hingegen keine Übergangsregelung getroffen 67 .<br />

Dies führt zu unterschiedlichen Auffassungen in Übergangsfällen:<br />

– Für die Zeit ab 1.10.2001 sind sämtliche Kostenerstattungsforderungen,<br />

selbst wenn sie in einem früheren Beschluss bereits<br />

festgesetzt worden sind, mit dem höheren Zinssatz festzusetzen.<br />

– Entsprechend Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist die höhere<br />

Verzinsung ab 1.10.2001 nur für diejenigen Kostenerstattungsansprüche<br />

anzuordnen, die ab dem 1.5.2000 fällig geworden sind.<br />

– In doppelter Analogie des Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB<br />

gilt die höhere Verzinsung nur für diejenigen Kostenerstattungsansprüche,<br />

die erst ab dem 1.10.2001 fällig geworden sind 68 .<br />

3. Rechtsbehelfe<br />

a) Beschwerdewert über 50 Euro<br />

Übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 Euro<br />

(s. § 567 Abs. 2 S. 2 ZPO), ist gegen die Entscheidung des Rechtspflegers<br />

im Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren die so-<br />

fortige Beschwerde gegeben (§ 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104<br />

Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Hierbei hat der Rechtspfleger<br />

eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der sofortigen Beschwerde<br />

abgeholfen wird (§ 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. § 572 Abs.<br />

1 S. 1 ZPO) 69 .<br />

b) Beschwerdewert bis 50 Euro<br />

In diesen Fällen ist gegen Rechtspfleger-Entscheidungen nach<br />

wie vor die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG gegeben,<br />

der der Rechtspfleger abhelfen kann.<br />

4. Rechtsbeschwerde<br />

Wie oben ausgeführt 70 kann auch in Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren<br />

die Rechtsbeschwerde eingelegt werden,<br />

wenn sie vom Beschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO<br />

zugelassen worden ist 71 . Da ein Beschwerdewert nicht vorgesehen<br />

ist, ist die Rechtsbeschwerde auch bei Beschwerdewerten unter<br />

50 E statthaft 72 . Gibt beispielsweise das Landgericht einer sofortigen<br />

Beschwerde überwiegend statt und weist sie nur wegen 3 E<br />

Dokumentenpauschale ab, kann es insoweit wegen dieser 3 E die<br />

Rechtsbeschwerde zulassen.<br />

5. Entscheidender Richter<br />

a) Sofortige Beschwerde<br />

Gemäß § 568 S. 1 ZPO entscheidet über die sofortige Beschwerde<br />

gegen Entscheidungen des Rechtspflegers im Kostenund<br />

Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einzelrichter des Beschwerdegerichts<br />

originär. Dieser kann gemäß § 568 S. 2 ZPO das<br />

Verfahren dem Beschwerdegericht in voller Besetzung übertragen,<br />

wenn<br />

– die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder<br />

rechtlicher Art aufweist oder<br />

– die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.<br />

Auch hier kann ein Rechtsmittel auf eine erfolgte oder unterlassene<br />

Übertragung nicht gestützt werden (§ 568 S. 3 ZPO).<br />

b) Erinnerung<br />

Hilft der Rechtspfleger der Erinnerung nicht ab, legt er sie gemäß<br />

§ 11 Abs. 2 S. 3 RPflG dem Richter zur Entscheidung vor.<br />

Zuständig ist gemäß § 28 RPflG dann der nach den allgemeinen<br />

Verfahrensvorschriften zuständige Richter. Folglich ist zur Entscheidung<br />

über die Erinnerung berufen:<br />

– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Amtsgerichts<br />

der Richter des Amtsgerichts,<br />

– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Familiengerichts<br />

das OLG sowie<br />

– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Landgerichts<br />

das Landgericht.<br />

Für das Erinnerungsverfahren gelten über § 11 Abs. 2 S. 4<br />

RPflG die Vorschriften für das Beschwerdeverfahren entsprechend,<br />

sodass auch dort originär der Einzelrichter zuständig ist 73 .<br />

IX. Rechtsanwaltsgebühren<br />

1. Sprungrevision<br />

Gemäß § 31a BRAGO erhält der Rechtsanwalt im Verfahren<br />

über den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision die für das Revisionsverfahren<br />

bestimmten Gebühren. Da die Zulassungsschrift<br />

64 Art 229 § 7 EGBGB.<br />

65 Die vergessene Anpassung wird jedoch zum 1.7.2002 vorbereitet, s. die Mitteilung<br />

des BMJ v. 19.11.2001, abgedruckt bei Hansens, BRAGOreport 2001,<br />

179.<br />

66 Art. 53 Nr. 1 ZPO-RG; unrichtig Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 104<br />

ZPO Rdnr. 24, der den 1.1.2002 nennt.<br />

67 Vgl. auch hierzu die nicht überzeugende Mitteilung des BMJ aaO.<br />

68 S. hierzu ausführlich Hansens, BRAGOreport 2001, 131.<br />

69 S. Hansens, Rpfleger 2001, 573, 576 sowie AnwBl 2002, 11, 16.<br />

70 S. oben V.<br />

71 Hansens, Rpfleger 2001, 573, 578.<br />

72 A. A. Schütt MDR 2001, 1278, 1280.<br />

73 Schütt aaO sieht in entsprechender Anwendung von § 348 ZPO ebenfalls den<br />

Einzelrichter als zuständig an.


138<br />

l<br />

von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht werden<br />

muss, erhält dieser Rechtsanwalt gemäß § 11 Abs. 1 S. 5<br />

BRAGO eine 20/10-Prozessgebühr, eventuell weitere anfallende<br />

Gebühren i. H. v. 13/10 der vollen Gebühr. Gleiches gilt grundsätzlich<br />

auch für den beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt des Gegners.<br />

Anders als für die Nichtzulassungsbeschwerde geregelt 74 , gibt<br />

es keine Regelung, dass die durch Einreichung der Zulassungsschrift<br />

angefallene volle Prozessgebühr auf die Prozessgebühr des<br />

Revisionsverfahrens anzurechnen ist, wenn die Revision gemäß<br />

§ 566 Abs. 7 ZPO zugelassen und das Verfahren als Revisionsverfahren<br />

fortgesetzt wird. Da allerdings das gesamte auf eine Sprungrevision<br />

eingeleitete Revisionsverfahren gebührenrechtlich nur<br />

eine einzige Angelegenheit i. S. v. § 13 Abs. 1 BRAGO ist, erhält<br />

der Rechtsanwalt gleichartige Gebühren nur einmal 75 .<br />

Die gemäß § 566 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 4 ZPO erforderliche<br />

schriftliche Einwilligung des Rechtsanwalts des Antragsgegners<br />

gehört für den Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszuges gemäß<br />

§ 37 Nr. 7 BRAGO zum Gebührenrechtszug. Die Einwilligung<br />

wird also durch die im ersten Rechtszug angefallene Prozessgebühr<br />

mit abgegolten. Wird die Einwilligung nicht von dem erstinstanzlichen<br />

Prozessbevollmächtigten erklärt, erhält der Rechtsanwalt gemäß<br />

§ 56 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine halbe Gebühr.<br />

2. Gehörsrüge<br />

Die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten im Verfahren der<br />

Gehörsrüge nach § 321a ZPO gehört gemäß § 37 Nr. 5 BRAGO<br />

zum Gebührenrechtszug, wird also durch die Prozessgebühr mit<br />

abgegolten. Der nur für dieses Verfahren bestellte Rechtsanwalt erhält<br />

gemäß § 55 BRAGO die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren<br />

i. H. v. 3/10 der vollen Gebühr 75a .<br />

3. Nichtzulassungsbeschwerde<br />

Gemäß § 61a Abs. 1 Nr. 2 BRAGO erhält der Rechtsanwalt im<br />

Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision<br />

gemäß § 544 ZPO die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren.<br />

Da sich die Parteien in diesem Verfahren nur durch BGH-Anwälte<br />

vertreten lassen können, erhalten diese die Prozessgebühr i. H.v.<br />

20/10 der vollen Gebühr, alle weiteren ggf. anfallenden Gebühren<br />

i. H. v. 13/10 der vollen Gebühr. Dies stellt § 61a Abs. 3 BRAGO<br />

klar, der allerdings auf die nicht existierenden Absätze 4 und 5 des<br />

§ 11 BRAGO – gemeint ist § 11 Abs. 1 S. 4 u. 5 BRAGO 76 verweist.<br />

Wird der selbe Rechtsanwalt im anschließenden Revisionsverfahren<br />

als Prozessbevollmächtigter tätig, erhält er ebenfalls die in<br />

§ 31 BRAGO bestimmten Gebühren in der selben Höhe. Gemäß<br />

§ 14 Abs. 2 S. 1 BRAGO ist nämlich das Verfahren über das zugelassene<br />

Rechtsmittel ein neuer Rechtszug. Demgegenüber vertritt<br />

Büttner 77 die Auffassung, das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

und das Revisionsverfahren seien gebührenrechtlich<br />

eine Einheit. Dagegen spricht auch die Regelung in § 61a Abs. 4<br />

BRAGO, nach der die im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

angefallene Prozessgebühr auf die Prozessgebühr desselben<br />

Rechtsanwalts angerechnet wird, die dieser in dem nachfolgenden<br />

Revisionsverfahren erhält 77a . Wären Nichtzulassungsbeschwerde<br />

und anschließendes Revisionsverfahren eine einzige<br />

gebührenrechtliche Angelegenheit, bedürfte es dieser Anrechnungsvorschrift<br />

nicht. Durch diese Vorschrift wird auch Gewähr<br />

leistet, dass sich der Rechtsstreit durch das neu eingeführte Verfahren<br />

der Nichtzulassungsbeschwerde nicht verteuert. Da im Verfahren<br />

der Nichtzulassungsbeschwerde regelmäßig keine mündliche<br />

Verhandlung stattfindet und erst recht kein Beweis erhoben wird,<br />

fällt lediglich die Prozessgebühr an. Infolge der Anrechnungsbestimmung<br />

des § 61a Abs. 4 BRAGO entstehen letztlich nicht<br />

mehr Gebühren als im Revisionsverfahren bei Zulassung der Revision<br />

durch das Berufungsgericht angefallen wären.<br />

4. Güteverhandlung<br />

In dieser fällt dem Rechtsanwalt für die Wahrnehmung des Termins<br />

gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO die volle Prozessgebühr an.<br />

Die Erörterung der Sach- und Rechtslage löst die Erörterungsgebühr<br />

nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus. Für die Mitwirkung<br />

beim Abschluss eines Vergleichs erhält der Anwalt die Vergleichsgebühr<br />

des § 23 Abs. 1 BRAGO, auch wenn der Vergleich durch<br />

einen Feststellungsbeschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO zu Stande<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

kommt. Schließt sich der Güteverhandlung die mündliche Verhandlung<br />

an, gehört diese gem. § 13 Abs. 3 BRAGO zum Gebührenrechtszug,<br />

sodass der Rechtsanwalt gleichartige Gebühren, die er<br />

bereits in der Güteverhandlung verdient hat, nicht erneut berechnen<br />

kann 78a .<br />

X. Inkrafttreten, Übergangsregelungen<br />

1. Inkrafttreten<br />

Die weitaus meisten neuen Vorschriften sind am 1.1.2002 in<br />

Kraft getreten. Lediglich die Neuregelung der Verzinsung im Kosten-<br />

und Vergütungsfestsetzungsverfahren 78 ist bereits am 1.10.2001<br />

in Kraft getreten.<br />

2. Übergangsregelungen<br />

Durch die Übergangsregelungen in § 26 EGZPO soll erreicht<br />

werden, dass die Neuregelungen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt<br />

auch bei den bereits anhängigen Verfahren anwendbar sind.<br />

a) Anwaltszwang<br />

Ist nach dem Landesrecht für Berufungen und Beschwerden gegen<br />

Entscheidungen der Amtsgerichte das OLG zuständig 79 , so gilt<br />

für eine Übergangszeit von fünf Jahren jeder bei irgend einem<br />

Landgericht zugelassener Rechtsanwalt bei dem Oberlandesgericht<br />

als zugelassen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsanwälte,<br />

die bisher in Berufungsverfahren gegen Urteile der Amtsgerichte<br />

vor den Landgerichten postulationsfähig waren, einen Bestandsschutz<br />

für ihren bisherigen Tätigkeitsbereich für den Fall haben,<br />

dass über die genannten Rechtsmittel nunmehr von dem Oberlandesgericht<br />

entschieden wird. Hiervon ausgenommen sind familiengerichtliche<br />

Berufungsverfahren, die auch nach bisherigem Recht<br />

schon zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehören.<br />

3. Allgemeine Vorschriften und Verfahren im ersten Rechtszug<br />

Gemäß § 26 Nr. 2 EGZPO bleiben im ersten Rechtszug für die<br />

bis zum 31.12.2001 anhängig gewordenen Verfahren nur einige<br />

wenige Vorschriften anwendbar, und zwar:<br />

– sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte nach dem Streitwert<br />

(§ 23 GVG),<br />

– Kostenlast bei geringfügigem Unterliegen (§ 92 Abs. 2 ZPO),<br />

– schriftliches Verfahren (§ 128 ZPO),<br />

– Kosten nach Klagerücknahme (§ 269 Abs. 3 ZPO),<br />

– Haupttermin (§ 278 ZPO),<br />

– Urteilsinhalt (§ 313a ZPO),<br />

– Bagatellverfahren (§ 495a ZPO).<br />

Hierdurch wird erreicht, dass die Parteien von einer nicht vorhersehbaren<br />

Rechtsfolge überrascht werden, auf die sie sich nicht<br />

mehr einstellen können.<br />

Demgegenüber sollen alle übrigen, nicht in § 26 Nr. 2 S. 1<br />

EGZPO aufgeführten Neuregelungen ab dem 1.1.2002 auch in den<br />

Altverfahren anwendbar sein. Hierzu gehören insbesondere:<br />

– Aufklärungs- und Hinweispflichten (§ 139 ZPO),<br />

– vorbereitende Anordnung der Urkundenvorlegung und des<br />

Augenscheins (§§ 142, 144 ZPO),<br />

– Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO),<br />

– Gehörsrüge (§ 321a ZPO).<br />

a) Berufung<br />

Gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO gilt für die Berufung das bisherige<br />

Recht weiter, wenn die mündliche Verhandlung der ersten In-<br />

74 S. nachfolgend 3; Enders JurBüro 2002, 1, 2 wendet § 14 Abs. 2 S. 2 BRAGO<br />

entsprechend an.<br />

75 Hartmann, KostG, 31. Aufl. 2002, § 31a BRAGO Rdnr. 5.<br />

75a Enders JurBüro 2002, 57.<br />

76 Nunmehr berichtigt durch Art . 5 Abs. 1a) Nr. 5 des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes.<br />

77 MDR 2001, 1201, 1209.<br />

77a So auch Enders aaO, S. 4.<br />

78 S. o. VII. 2.<br />

78a S. hierzu Enders JurBüro 2001, 617.<br />

79 S. o. II. 1.


AnwBl 3/2002 139<br />

Aufsätze l<br />

stanz, auf die das anzufechtende Urteil ergeht, vor dem 1.1.2002<br />

geschlossen worden ist. In schriftlichen Verfahren ist der Zeitpunkt<br />

maßgeblich, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.<br />

Folglich gelten die neuen Berufungsvorschriften für die am<br />

31.12.2001 anhängigen erstinstanzlichen Rechtsstreitigkeiten nur<br />

unter folgenden Voraussetzungen:<br />

– Der Rechtsstreit muss am 31.12.2001 noch im ersten Rechtszug<br />

anhängig sein und<br />

– die mündliche Verhandlung darf am 1.1.2002 noch nicht geschlossen<br />

sein oder<br />

– im schriftlichen Verfahren fällt der dem Schluss der mündlichen<br />

Verhandlung entsprechende Zeitpunkt in das Jahr 2002.<br />

b) Revision<br />

Eine vergleichbare Regelung trifft § 26 Nr. 7 EGZPO für die<br />

Revision. Das neue Revisionsrecht findet also nur in folgenden<br />

Übergangsfällen Anwendung:<br />

– Der Rechtsstreit muss noch am 31.12.2001 anhängig gewesen<br />

sein und<br />

– die mündliche Verhandlung, auf die das anzufechtende Urteil<br />

ergeht, ist am 1.1.2002 noch nicht geschlossen oder<br />

– der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entsprechende<br />

Zeitpunkt fällt in das Jahr 2002.<br />

Durch § 26 Nr. 8 EGZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

bis zum 31.12.2006 dahin eingeschränkt, dass der Wert der mit<br />

der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigen<br />

muss. Damit wird die gerade abgeschaffte Streitwertrevision<br />

über diese Hintertür für eine längere Übergangszeit für die<br />

Fälle wieder eingeführt, in denen das Berufungsgericht die Revision<br />

nicht zugelassen hat.<br />

In Familiensachen ist die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß<br />

§ 26 Nr. 9 EGZPO insgesamt nicht gegeben, wenn die anzufechtende<br />

Entscheidung vor dem 1.1.2007 verkündet oder einem Beteiligten<br />

zugestellt oder sonst bekannt gemacht worden ist. Damit<br />

findet die Revision bis zu diesem Zeitpunkt nur bei Zulassung<br />

statt.<br />

4. Beschwerde<br />

Das bisherige Beschwerderecht gilt für die am 31.12.2001 anhängigen<br />

Verfahren weiter, wenn die anzufechtende Entscheidung<br />

vor dem 1.1.2002 verkündet oder – so weit eine Verkündung nicht<br />

stattgefunden hat – der Geschäftsstelle übergeben worden ist.<br />

Schwierigkeiten bereitet die Feststellung dieses Zeitpunktes insbesondere<br />

im Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren, in<br />

denen die Rechtspfleger-Entscheidungen grundsätzlich nicht<br />

verkündet werden und in denen häufig auch die Übergabe der Entscheidung<br />

an die Geschäftsstelle nicht in den Akten dokumentiert<br />

wird 80 . Folglich gilt das neue Beschwerderecht nur für diejenigen<br />

Verfahren, in denen die anzufechtende Entscheidung am 1.1.2002<br />

oder später verkündet bzw. der Geschäftsstelle übergeben worden<br />

ist.<br />

Diese Regelung führt dazu, dass für die Beschwerden sämtlicher<br />

Beteiligter gegen die selbe Entscheidung entweder einheitlich das<br />

bisherige Recht oder einheitlich das neue Recht anwendbar ist.<br />

Die Beschränkung der Entscheidung über die Zulässigkeit des<br />

Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil oder einen Vollstreckungsbescheid<br />

(§§ 341 Abs. 2, 700 Abs. 1 ZPO) auf die Urteilsform tritt<br />

in anhängigen Verfahren sofort in Kraft. Deshalb findet die sofortige<br />

Beschwerde nach § 341 Abs. 2 S. 2 ZPO nur noch in den Fällen<br />

statt, in denen der den Einspruch verwerfende Beschluss vor<br />

dem 1.1.2002 verkündet bzw. der Geschäftsstelle übergeben worden<br />

ist.<br />

XI. Zusammenfassung der wesentlichen Änderungen<br />

– Nach § 278 ZPO geht jeder mündlichen Verhandlung zum<br />

Zwecke der gütlichen Beilegung eine Güteverhandlung voraus.<br />

– Die Zivilkammer entscheidet grundsätzlich nach § 348 ZPO<br />

durch den Einzelrichter.<br />

–DieBeschwerde für die Wertberufung ist herabgesetzt worden.<br />

Sie beträgt nunmehr 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).<br />

– Daneben kann das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung<br />

im Urteil zulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dies betrifft<br />

Verfahren mit einer Beschwer von 600 Euro und weniger.<br />

–DieBerufungsgründe (§ 513 ZPO) sind erheblich eingeengt<br />

worden. Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die<br />

Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder<br />

nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung<br />

rechtfertigen.<br />

–DieStreitwertrevision ist abgeschafft; grundsätzlich besteht<br />

nur noch die Möglichkeit der Zulassungsrevision (§ 543 ZPO).<br />

Die Nichtzulassung der Revision unterliegt der Nichtzulassungsbeschwerde<br />

(§ 544 ZPO). Nach § 26 Nr. 8 EGZPO ist allerdings<br />

die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das<br />

Berufungsgericht nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision<br />

geltend zu machenden Beschwerde 20.000 Euro übersteigt.<br />

– Die einfache Beschwerde wurde durch die sofortige Beschwerde<br />

ersetzt (§ 567 ZPO); über sie entscheidet grundsätzlich<br />

der Einzelrichter. Für den Anwalt ist es wichtig, dass die Beschwerde<br />

künftig generell innerhalb von zwei Wochen (§ 569<br />

ZPO) einzulegen ist. Neben der sofortigen Beschwerde gibt es die<br />

Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).<br />

80 Hansens, Rpfleger 2001, 673, 678.<br />

Verfassungsrechtliche Probleme<br />

des „neuen“ zivilprozessualen<br />

Revisionsrechts<br />

Wiss. Mitarbeiter Nikolaj Fischer, Frankfurt a. M. *<br />

I. Der Anlass: Das Spannungsverhältnis von<br />

Verfassungs- und Zivilprozessrecht<br />

Das Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Zivilprozessrecht<br />

ist ein hochbrisantes Thema in der aktuellen zivilprozessualen<br />

und rechtspolitischen Diskussion 1 . Ein kleiner<br />

Ausschnitt aus diesem Gesamtkomplex 2 ist Gegenstand dieses<br />

Beitrages, der den Einfluss des Verfassungsrechts auf<br />

das Zivilprozessrecht vor dem Hintergrund der „Großen Justizreform“<br />

3 beleuchtet. Die neueren Bestrebungen zur Re-<br />

* Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Privatrecht,<br />

Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung (Prof. Dr. Gilles) an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität<br />

in Frankfurt a. M. Die Reformentwicklung<br />

ist bis zum 22.6.2001 berücksichtigt.<br />

1 Vgl. zur Problematik z. B. die Themen des 61. Deutschen Juristentages (DJT)<br />

1996 in Karlsruhe, siehe dazu z. B. Knapp, DRiZ 1996, S. 467; Isensee, Verhandlungen<br />

des 61. DJT, Band II/1, H S. 5 ff. Vgl. auch Münchener Kommentar<br />

zur ZPO, 2. Aufl., München 2000, Lüke, Einleitung, Rdnr. 92; Schuppert/<br />

Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, Baden-Baden 2000,<br />

S. 18 ff.; jeweils m. w. N.<br />

2 Siehe z. B. MK-ZPO, 1. Aufl., München 1992, Lüke, Einleitung, Rdnr. 111 ff.;<br />

Schwab/Gottwald: Verfassung und Zivilprozess, in: Habscheid (Herausgeber),<br />

Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung: Die Generalberichte<br />

zum VII. Internationalen Kongress für Prozessrecht in Würzburg 1983, Bielefeld<br />

1983, S. 1 ff.; Benda/Weber: Der Einfluss der Verfassung im Prozessrecht,<br />

in: Gilles (Hg.), Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung. Die<br />

deutschen Landesberichte zum VII. Internationalen Kongress für Prozessrecht<br />

in Würzburg 1983, Köln u. a. 1983, S. 1 ff.; Schumann, ZZP 96 (1983),<br />

S. 137 ff.; Polzius, DGVZ 1982, S. 97 ff.; E. Schneider, MDR 1979, S. 617 ff.;<br />

Gilles, JuS 1981, S. 402 ff.; zuletzt umfassend E. Schneider, ZAP 2001, Fach<br />

13, S. 995 ff.; 1025 ff.; jeweils m. w. N.<br />

3 Vgl. zur aktuellen Reform z. B. Wassermann, NJW 1999, S. 2646 f.; zur<br />

„Rechtsmittelreformproblematik“ allgemein Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess,<br />

Frankfurt/M. 1972; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess aus juristischer<br />

Sicht. Kurzüberblick über Entwicklungen, Stand und Reformanliegen der<br />

Rechtsmitteldiskussion in Theorie, Praxis und Politik, in: Gilles/Röhl/Strempel/<br />

Schuster (Hg.), Rechtsmittel im Zivilprozess – unter besonderer Berücksichtigung<br />

der Berufung, Köln 1985, S. 11 ff., 15 f.; Gilles, JZ 1985, S. 253 ff., 254;


140<br />

l<br />

form des Zivilprozesses und der Ziviljustiz, die in jüngster<br />

Zeit durch den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums<br />

(RefE) und die darauf aufbauenden Gesetzesentwürfe<br />

von Regierungskoalition (FraktE) und Regierungskabinett 4<br />

ihren Ausdruck gefunden haben, sind an ihrem Ziel angelangt,<br />

da der Deutsche Bundestag am 17.5.2001 den Regierungsentwurf<br />

(RegE) verabschiedet hat, der schließlich am<br />

22.6.2001 auch vom Deutschen Bundesrat gebilligt wurde 5 .<br />

Da das „ZPO-RG“ allgemein als nicht zustimmungspflichtig<br />

gilt, ist mit dessen Inkrafttreten am 1.1.2002 zu rechnen 6 –<br />

rund 123 Jahre nach dem Inkrafttreten der Civilprozessordnung<br />

7 . Die rechtspolitische und zivilprozessrechtsdogmatische<br />

Kontroverse um Notwendigkeit und Ausgestaltung<br />

dieser ZPO-Novelle 8 hat damit ihren vorläufigen Abschluss<br />

gefunden, wobei auffällt, dass verfassungsrechtliche Aspekte<br />

bisher nur beiläufig Eingang in die Reformdiskussion<br />

gefunden haben 9 . Eine eingehende verfassungsrechtliche<br />

Analyse des Refonnvorhabens 10 ist noch nicht unternommen<br />

worden, was insbesondere bei der Betrachtung der<br />

„verfassungsrechtliche Dimension“ der geplanten Regelungen<br />

auf dem Gebiet des Revisionsrechts verwundert. Da<br />

sich die letzten Änderungen des RegE 11 nicht auf das Revisionsrecht<br />

beziehen, sind dessen – bisher unbeachtetet 12 –<br />

verfassungsrechtliche Implikationen 13 von großer praktischer<br />

Relevanz.<br />

II. Die Reform: Das Revisionsrecht nach dem<br />

Regierungsentwurf<br />

Für die Darstellung des wesentlichen Inhalts des Reformvorhabens<br />

nach dem nunmehr maßgebenden Entwurf<br />

des Regierungskabinetts 14 kann auf andere Beiträge verwiesen<br />

werden 15 . Der RegE verfolgt die Ziele des RefE und<br />

des FraktE weiter und hat dabei einige Ergebnisse aus der<br />

Diskussion um die beiden früheren Entwürfe aufgenommen<br />

16 . Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weitaus<br />

problemträchtiger als die Regelungen zum erstinstanzlichen<br />

Verfahren sind die geplanten Regelungen im<br />

Rechtsmittelrecht 17 und insbesondere im Revisionsrecht,<br />

die hier nur skizziert werden können:<br />

Eines der wesentlichen Reformanliegen war die Vereinheitlichung<br />

der Rechtsmittelzüge in Zivilsachen 18 :DasBerufungsverfahren<br />

wird danach bei den Oberlandesgerichten<br />

(OLG) konzentriert, der „kleine“ Rechtsweg, der nach geltendem<br />

Recht bei Zuständigkeit des Amtsgerichts (AG)<br />

grundsätzlich beim Landgericht (LG) als Berufungsinstanz<br />

endet (vgl. §§ 23, 72 GVG), wird aufgegeben gemäß § 119<br />

I GVG-RegE. Mit dieser Änderung wurden beabsichtigt<br />

eine verbesserte Transparenz der Rechtsmittelzüge, ein höheres<br />

Maß an Rechtseinheitlichkeit und die Möglichkeit, in<br />

Fragen grundsätzlicher Bedeutung eine höchstrichterliche<br />

Rechtsprechung herbeizuführen 19 . Der bisher „gespaltene“<br />

Rechtsweg in Zivilsachen nach §§ 72, 119 I Nr. 3 GVG<br />

sollte durch das Prinzip einer „stimmigen Funktionsdifferenzierung“<br />

überwunden werden. Mit der Vereinheitlichung<br />

der Instanzenzüge in Zivilsachen sollte auch eine Angleichung<br />

des Verfahrensrechts der einzelnen Gerichtszweige<br />

erreicht werden 20 . Die Neuordnung des Berufungsrechtszuges<br />

stieß jedoch schon nach Bekannt werden des RefE<br />

auf massiven Widerstand 21 , so dass im Rahmen der Bera-<br />

Gilles, Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik. Vorstudie zur Analyse und Reform<br />

der Rechtsmittel in der Zivilgerichtsbarkeit, Köln 1992, S. 148 ff.; jeweils<br />

m. w. N. Siehe zur „Reformgeschichte der ZPO“ und zum ständigen „Reformprozess<br />

der Prozessreform“ anschaulich Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung,<br />

20. Aufl., Schumann, Einleitung, Rdnr. 105 ff.; Wassermann, Der<br />

soziale Zivilprozess, Neuwied 1978, insb. S. 49 ff.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

4 Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ): „Gesetz zur Reform<br />

des Zivilprozesses“ (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG); vgl. für eine Kurzübersicht<br />

dazu insbesondere A. Braun, BRAK-Mitt. 2000, S. 2. Der „Entwurf<br />

eines Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-<br />

RG)“ wurde als überarbeitete und veränderte Fassung des Referentenentwurfs<br />

von den Bundestagsfraktionen von SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90 in<br />

den Bundestag eingebracht – BT-Drucksache (BT-Dr.) 14/3750 – und nach erster<br />

Lesung vom 7.7.2000 an den Rechtsausschuss zur weiteren Beratung<br />

überwiesen. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozesses<br />

wurde am 6.9.2000 beschlossen und am 8.9.2000 als Gesetzentwurf<br />

eingebracht (BR-Dr. 536/00 sowie BT-Dr. 14/4722). Siehe zum Fraktionsentwurf<br />

insbesondere Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., sowie zum Regierungsentwurf<br />

Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />

des Zivilprozesses“), S. 3 ff.; jeweils m. w. N. Vgl. zu den letzten wesentlichen<br />

Änderungen des RegE und zur Beratung desselben im Rechtsausschuss<br />

des Bundestages Schäffer, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom<br />

5<br />

4.4.2001, S. 4 sowie Gaserow, Frankfurter Rundschau (FR) vom 10.4.2001 S.<br />

4.<br />

Vgl. FR vom 18.5.2001, S. 7, sowie FR vom 10.5.2001, S. 6; A. Braun, ZAP<br />

9/2001, S. 487. Siehe auch Fölster, ZRP 2001, S. 237; Busse, NJW 2001,<br />

S. 1545 ff., sowie die Pressemitteilungen des DAV vom 6.4.2001, die des<br />

Bayerischen Justizministeriums vom 30.3.2001 und des Sächsischen Justizministeriums<br />

vom 28.3.2001, NJW-Informationen, Heft 17/2001, S. XIX; sowie<br />

NJW-Inform., Heft 28/2001, S. XLV.<br />

6 Vgl. A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff., 1545.<br />

7 Die Civilprozessordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 83) ist am 1.10.1879 in<br />

Kraft getreten (§ 1 EGCPO). Die aktuelle Zivilprozessordnung (ZPO) wurde<br />

zuletzt mit dem Gesetz über die Fernabsatzverträge vom 27.6.2000 geändert<br />

(Bundesgesetzblatt I, S. 897, 909).<br />

8 Siehe zu der zunehmenden Kritik beispielsweise Dauster, ZRP 2000, S.<br />

338 ff.; Dombek, BRAK-Mitt. 1999, S. 241; Dombek, BRAK-Mitt. 2000, S. 1;<br />

49; 153; 269; Ernst, BRAK-Mitt. 2000, S. 3 ff.; Flotho, BRAK-Mitt. 2000,<br />

S. 107 ff.; Busse, NJW 2000, S. 785 f.; Goll, BRAK-Mitt. 2000, S. 4 ff.; Selbherr,<br />

BRAK-Mitt. 2000, S. 11 ff.; Stürner, NJW 2000, Beilage zu Heft 25<br />

(„63. DJT in Leipzig“), S. 31 ff.; Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff.; Bischof,<br />

ZRP 1999, S. 353 ff.; Münchbach/Lotz, ZRP 1999, S. 374 ff.; jeweils<br />

m. w. N. Vgl. zur „institutionellen Kritik“ etwa die Resolution der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(BRAK) vom 23.4.1999 (BRAK-Mitt. 1999, S. 120), die<br />

Stellungnahmen des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV) vom 28.3.2000 (NJW<br />

16/2000, S. XVIII f.), des Anwaltsverbandes Baden-Württemberg, AnwBl.<br />

2000, S. 45; des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17.2.2000 (NJW 11/2000,<br />

S. XII f.), des Bundesvorstandes des Deutsches Richterbundes (DRB), DriZ<br />

2000, S. 88, sowie den Verlauf (vgl. Freuding, NJW 2000, S. 792 ff.) und das<br />

vorläufige Ergebnis (siehe AnwBl. 2000, S. 178 ff.) des DAV-Forums „Justizreform“<br />

vom 4. - 5.2.2000 in Berlin.<br />

9 Vgl. zur bisherigen Reformkontroverse z. B. die Kritik von Flotho, BRAK-<br />

Mitt. 2000, S. 107 ff.; A. Braun, BRAK-Mitt. 2000, S. 110 ff., Ernst, BRAK-<br />

Mitt. 2000, S. 3; Goll, BRAK-Mitt. 2000, S. 4 ff. (...„Abbau des Rechtsstaats?“);<br />

Selbherr, BRAK-Mitt. 2000, S. 11 ff.; Münchbach/Lotz, ZRP 1999,<br />

S. 374 ff. (...„Abbau des Rechtsschutzsystems?“); Kornblum, ZRP 1999,<br />

S. 382 ff.; Wassermann, NJW 1999, S. 2646 f.; vgl. auch Jauernig, Zivilprozessrecht,<br />

26. Aufl., München 2000, S. 111 f.; E. Schneider, ZAP 2000,<br />

S. 1102 ff., 1105 ff. m. w. N. Kirchberg, BRAK-Mitt. 2000, S. 53 ff., befasst<br />

sich mit „verfassungsgerichtlichen Implikationen des Referentenentwurfs“.<br />

10 Wenngleich auch Ansätze dazu vorhanden sind – vgl. z. B. Kirchberg, BRAK-<br />

Mitt. 2000, S. 53 ff.; Dauster, ZRP 2000, S. 338 ff.; Winte, ZRP 1999,<br />

S. 387 ff.; jeweils m. w. N.<br />

11 Dazu zählen der „Kann-Einzelrichter“ in der Berufungsinstanz, die weitere<br />

Aufweichung des Grundsatzes der abschließenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung,<br />

die generelle Zulassung von „Videoverhandlungen“ und eine – bis<br />

Ende 2007 befristete – „Experimentierklausel“ für die Bundesländer hinsichtlich<br />

der Berufungszuständigkeitskonzentration bei den OLG; vgl. Fölster, ZRP<br />

2001, S. 237; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.; A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487.<br />

12 Abgesehen von Winte, ZRP 1999, S. 387 ff., 391, und Dethloff, ZRP 2000,<br />

S. 428 ff.<br />

13 Mit den Auswirkungen auf die Rechtsanwaltschaft beim BGH befasst sich<br />

z. B. Brändel, ZRP 2001, S. 112 ff.<br />

14 Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozesses wurde<br />

am 6.9.2000 beschlossen und am 8.9.2000 als Gesetzentwurf eingebracht<br />

(BR-Dr. 536/00 und BT-Dr. 14/4722). Für die Beratung im Rechtsausschuss<br />

des Deutschen Bundestages war letztlich der RegE maßgebend, der in diesem<br />

Rahmen wiederum modifiziert wurde. Vgl. zur Beratung des RegE im Rechtsausschuss<br />

des Bundestages Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4 sowie Gaserow,<br />

FR vom 10.4.2001, S. 4, sowie zu den (aller-)letzten Änderungen des RegE<br />

Fölster, ZRP 2001, S. 237; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />

15 Siehe zum FraktE insbesondere Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff.; zum RegE<br />

Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des Zivilprozesses“),<br />

S. 3 ff.; jeweils m. w. N.<br />

16 Vgl. Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des<br />

Zivilprozesses“), S. 3 ff., 3.<br />

17 Vgl. nur Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />

des Zivilprozesses“), S. 3 ff. m. w. N.<br />

18 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 64 f.<br />

19 Siehe dazu schon die Begründung des RefE, S. 87; 94 ff.; sowie des RegE,<br />

BT-Dr. 14/4722, S. 64 f.; vgl. auch Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., 2776 f.<br />

m. w. N.<br />

20 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 64.<br />

21 Siehe nur Dauster, ZRP 2000, S. 338 ff., 340 ff. m. w. N.


AnwBl 3/2002 141<br />

Aufsätze l<br />

tung über den RegE im Rechtsausschuss des Deutschen<br />

Bundestages auf die Berufungszuständigkeitskonzentration<br />

bei den OLG verzichtet worden und nur eine entsprechende<br />

(befristete) „Experimentierklausel“ für die Länder vorgesehen<br />

ist, von der bislang nur die Bundesländer Hamburg und<br />

Sachsen-Anhalt Gebrauch machen wollen 22 . Diese Kompromisslösung<br />

hätte die Konsequenz, dass der Instanzenzug<br />

in Zivilsachen erstmals nicht mehr bundeseinheitlich geregelt<br />

ist 23 . Wie weit ein solcher Zustand von dem ursprünglichen<br />

Reformkonzept einer „stimmigen und transparenten<br />

Funktionsdifferenzierung auf den Rechtsmittelebenen“ entfernt<br />

ist, zeigt die aufkeimende Zustimmung zur ZPO-Reform<br />

bei ihren ehemals heftigsten Kritikern 24 .<br />

Die – bislang für die Reform kennzeichnende – „Funktionsdifferenzierung“<br />

findet sich jedoch auf der Revisionsebene<br />

(vgl. §§ 542 ff. RegE) wieder. Der RegE, der auch<br />

insoweit dem RefE folgt, sieht die „Fortbildung des Rechts“<br />

und die „Wahrung der Rechtseinheitlichkeit“ als wesentliche<br />

Funktionen der Revisionsinstanz an. Anstelle der geltenden<br />

Streitwertrevision ist im RegE die allgemeine Zulassungsrevision<br />

(vgl. § 543 I RegE) mit Nichtzulassungsbeschwerde<br />

(§ 544 RegE) vorgesehen. Die Gründe für die<br />

Revisionszulassung unterscheiden sich aber im RegE von<br />

dem RefE 25 : Nach § 543 II 1 RegE ist die Revision bei<br />

„grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache“ zuzulassen<br />

sowie auch dann, „wenn die Fortbildung des Rechts oder<br />

die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung<br />

des Revisionsgerichts erfordert“. Damit knüpft<br />

der RegE an Formulierungen an, die sich bereits in anderen<br />

Gesetzen finden – vgl. § 74 II GWB, § 83 II MarkenG,<br />

§ 100 PatG sowie § 80 I OWiG – und soll auf diese Weise<br />

zu einer Vereinheitlichung des Verfahrensrechts führen.<br />

Entscheidend ist dabei, dass die „Grundsätzlichkeit“, wie<br />

sie bisher in den §§ 546 I 2 Nr. 1, 554 III Nr. 2, 554b I<br />

ZPO Verwendung findet, nunmehr extensiv definiert wird,<br />

da auch eine „erweiterte Grundsätzlichkeit“ ausreichen soll,<br />

die dann vorliegt, wenn tatsächliche oder wirtschaftliche<br />

Auswirkungen eines Rechtsstreits für die Allgemeinheit bedeutsam<br />

sind 26 . Obwohl bereits zugestanden wird, dass eine<br />

scharfe Abgrenzung der Kriterien des § 543 II 1 RegE nur<br />

schwer möglich ist, sollen für die Kriterien „Fortbildung<br />

des Rechts“ und „Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung“<br />

bereits entwickelte Maßstäbe zu vergleichbaren<br />

Regelungen herangezogen werden können 27 . Schließlich ist<br />

für die Änderung des Revisionsrechts noch die Einführung<br />

einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 RegE von wesentlicher<br />

Bedeutung, da nach §§ 543 I Nr. 2, 544 VI RegE<br />

auch eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde die<br />

Revision eröffnet. Aufgrund der erwarteten zusätzlichen<br />

Arbeitsbelastung (vgl. § 544 II-IV RegE) der Revisionsinstanz<br />

lässt § 26 Nr. 8 EGZPO-RegE die Nichtzulassungsbeschwerde<br />

in einer Übergangszeit bis zum 31.12.2006 nur<br />

zu, wenn die Revisionsbeschwer 20.000 Euro übersteigt.<br />

III. Die Problematik:Verfassungsrecht versus<br />

zivilprozessuales Revisionsrecht<br />

Verfassungsrechtlichen Bedenken im Rahmen der ZPO-<br />

Reform begegnen insbesondere die Regelungen des Revisionsverfahrens:<br />

Es stellt sich die Frage nach der Verfassungsrechtsmäßigkeit<br />

einer Beschränkung des Zugangs zum<br />

Rechtsmittelgericht als Problem der Kollision von Zweckmäßigkeitserwägungen<br />

des Reformgesetzgebers und dessen<br />

verfassungsrechtlichen Grenzen, insbesondere aus Art. 3 I,<br />

19 IV, 20 III, 92, 97, 101 I 2, 103 I GG. Für den Zugang zur<br />

Revisionsinstanz nach dem RegE stellt sich nämlich die<br />

entscheidende Frage, ob die „Erfolgsaussicht einer Revision“<br />

und das dahinterstehende Parteiinteresse an Rechtsschutz<br />

oder die „grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache“<br />

als Ausdruck des Allgemeininteresses an Rechtsfortbildung<br />

das maßgebende Kriterium sein soll. Der RegE<br />

sieht den Zweck der Revision vorrangig in der „Wahrung<br />

der Rechtseinheit“ und der „Fortbildung des Rechts“, so<br />

dass im Kollisionsfall das Parteiinteresse an „richtiger“ 28<br />

Entscheidung des Rechtsstreits und damit die Wahrung der<br />

Einzelfallgerechtigkeit zurücktreten soll 29 . Für diesen Konflikt<br />

und seine verfassungsrechtsmäßige Lösung ergeben<br />

sich aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung<br />

30 präzise Anforderungen an den Verfahrensgesetzgeber:<br />

Mit seinem Beschluss vom 11.6.1980 31 hat das Bundesverfassungsgericht<br />

die seit Inkrafttreten des „Gesetzes<br />

zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen“ 32<br />

anhaltende Kontroverse 33 um die Auslegung des § 554b I<br />

ZPO 34 beendet und entschieden, dass die Annahme von Revisionen<br />

mit Aussicht auf Erfolg nicht ohne weiteres abgelehnt<br />

werden darf. Nach § 554b I ZPO kann der BGH die<br />

Annahme von Revisionen in vermögensrechtlichen Streitigkeiten<br />

mit einem Wert der Beschwer über 60.000 DM ablehnen,<br />

wenn die Rechtssache keine „grundsätzliche Bedeutung“<br />

hat. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine<br />

22 Ein Verzicht auf die Berufungszuständigkeitskonzentration bei den OLG erfordert<br />

allerdings auch im Hinblick auf die geplante Vereinheitlichung des Beschwerdeverfahrens<br />

nach den §§ 567 ff. RegE eine Änderung des RegE. Vgl.<br />

zur Beratung desselben im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages<br />

Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4, sowie Gaserow, FR vom 10.4.200 1, S. 4:<br />

„Reförmchen auf Bewährung“. Siehe zu den letzten Änderungen Fölster, ZRP<br />

2001, S. 237; A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />

23 Siehe Fölster, ZRP 2001, S. 237; Gaserow, FR vom 10.4.2001, S. 4. Vgl.<br />

auch die Pressemitteilungen des Bayerischen Justizministeriums vom<br />

30.3.2001 und des Sächsischen Justizministeriums vom 28.3.2001, NJW-Informationen,<br />

Heft 17/2001, S. XIX, sowie die des DAV vom 06.4.2001.<br />

24 Vgl. z. B. Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4, A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487;<br />

Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />

25 Siehe dazu Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />

des Zivilprozesses“), S. 3 ff., 5; Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., 2777<br />

f.<br />

26 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 67; siehe dazu Frühauf/<br />

Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des Zivilprozesses“),<br />

S. 3 ff., 5.<br />

27 Vgl. Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des<br />

Zivilprozesses“), S. 3 ff., 5.<br />

28 Mit der „Richtigkeit“ ist in diesem Zusammenhang stets der „Richtigkeitsbegriff“<br />

der ZPO angesprochen. Vgl. dazu Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess,<br />

1972, S. 51 ff.<br />

29 So ausdrücklich die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 66, 104 f.<br />

30 Siehe zum Einfluss der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur auf das Zivilprozessrecht<br />

insbesondere Schumann: Der Einfluss des Grundgesetzes auf<br />

die zivilprozessuale Rechtsprechung, in: Canaris/Heldrich/Hopt/Roxin/K.<br />

Schmidt/Widmaier (Herausgeber): 50 Jahre Bundesgerichtshof Festgabe aus<br />

der Wissenschaft, Band III München 2000, S. 3 ff.<br />

31 Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom<br />

11.6.1980, Az.: 1 PbvU 1/79; BVerfGE 54, 277 ff.<br />

32 Durch das „Gesetz zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen“<br />

vom 8.7.1975 (BGBl. 1 S. 1863) wurden die derzeit bestehenden Zugangsregelungen,<br />

eine Kombination von Zulassungs- und Nichtannahmerevision, ausgestaltet<br />

– vgl. §§ 545 I, 546 I, 554b I ZPO.<br />

33 Vgl. zur damaligen Diskussion z. B. Möhring, JZ 1974, S. 369 ff.; Arnold, JR<br />

1975, S. 485 ff.; Nirk, BB 1975, S. 1172 ff.; H. Schneider, NJW 1975,<br />

S. 1537 ff.; Vogel, NJW 1975, S. 1297 ff.; Lässig, NJW 1976, S. 269 ff., Salger/Münchbach,<br />

DRiZ 1977, S. 263 ff.; E. Schneider, NJW 1977, S. 1043 ff.,<br />

Bausewein, JZ 1978, S. 53 ff.; Grunsky, JZ 1979, S. 129 ff.; Stein/Jonas,<br />

20. Aufl., Grunsky zu § 554b ZPO, Rdnr. 1 ff.; jeweils m. w. N.<br />

34 Den Anlass für die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bildeten<br />

die früheren Beschlüsse des Zweiten Senats (BVerfGE 49, 148 ff.; 50, 115<br />

ff.) sowie der Vorlagebeschluss des Ersten Senats vom 16.1.1979 (siehe<br />

BVerfG ZZP 92 [1979], S. 279): Der Zweite Senat bejahte in zwei Verfassungsbeschwerdeverfahren<br />

die Verfassungsrechtsmäßigkeit des § 554b I ZPO,<br />

nahm jedoch Grundrechtsverletzungen hinsichtlich Art. 2 I i .V. m. Art. 20 III<br />

GG sowie Art. 3 I GG durch Nichtannahmebeschlüsse an, falls trotz gegebener<br />

Erfolgsaussicht die Revision nicht angenommen werde, wobei es nicht auf<br />

„schwerwiegende“ Verfahrensfehler ankommen dürfe, sondern allein auf die<br />

Erfolgsaussicht im Endergebnis. Dagegen hielt der erste Senat die Beschränkung<br />

der Revision auf solche schwerwiegenden Verfahrensfehler für zulässig,<br />

anderenfalls müsse angesichts der gesetzgeberischen Intentionen von einer<br />

Teilnichtigkeit des § 554b I ZPO ausgegangen werden. Siehe dazu Krämer,<br />

NJW 1981, S. 799 f., siehe auch die Anmerkungen von Prütting, ZZP, 92<br />

(1979), S. 272 ff., 280, und Radloff, NJW 1979, S. 534; jeweils m. w. N.


142<br />

l<br />

Entscheidung damit, dass der Gesetzgeber die Revision als<br />

„echtes“ Rechtsmittel der Zivilprozessordnung vorgesehen<br />

habe, da im Rahmen der Revision über den Rechtsstreit der<br />

Parteien verhandelt wird, nicht aber über abstrakte Rechtsfragen.<br />

Weiterhin hätten die Parteien des Rechtsmittelverfahrens<br />

nach dessen gesetzlicher Ausgestaltung umfangreiche<br />

Dispositionsmöglichkeiten, da sie auch bei gegebener<br />

„grundsätzlicher“ Bedeutung der Sache über den Gegenstand<br />

des Verfahrens verfügen könnten einschließlich der<br />

Rücknahme des Rechtsmittels. Zudem sei es für die Parteien<br />

nicht von Bedeutung, ob ein bestehender Rechtsfehler<br />

„schwer“ oder „grundsätzlich“ ist, sondern entscheidend sei<br />

die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils 35 . Insgesamt betont<br />

das Bundesverfassungsgericht die Relevanz der Revision<br />

für die Durchsetzung der Einzelgerechtigkeit und damit<br />

des Parteiinteresses an der Revision. Beide Zwecke der<br />

Revision, Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung<br />

und Rechtsfortbildung auf der einen Seite und Durchsetzung<br />

der Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite, seien<br />

im Rahmen der Revision gleichberechtigt. Die Frage der<br />

Annahmerevision betreffe dabei allein eine davon unabhängige<br />

Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz 36 .Im<br />

Hinblick auf Zugangsbeschränkungen zur Rechtsmittelinstanz<br />

bekräftigt das Bundesverfassungsgericht in dieser<br />

Entscheidung nochmals seine ständige Rechtsprechung, wonach<br />

es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass die Gestaltungsfreiheit<br />

des Verfahrensgesetzgebers über die Einrichtung<br />

und Ausgestaltung sowie über die Zwecke von Rechtsmitteln<br />

in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheidet 37 .<br />

Insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III<br />

GG und aus Art. 95 GG folge keine Verpflichtung zu einem<br />

mehrstufigen Instanzenzug oder zu einer bestimmten einfachgesetzlichen<br />

Verfahrensausgestaltung 38 . Diese gesetzgeberische<br />

Gestaltungsfreiheit werde allerdings durch bestimmte<br />

verfassungsrechtliche Erfordernisse begrenzt, die<br />

aus Art. 3 I, 20 III, 92, 97, 101, 103 I GG folgten. Insbesondere<br />

aus dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 III<br />

GG) ergebe sich die Notwendigkeit, die Regeln über den<br />

Zugang zu den vorhandenen Rechtsmittelinstanzen für den<br />

rechtsuchenden Bürger möglichst „klar und bestimmt“ zu<br />

halten, zumal die letztendlich verbindliche gerichtliche Entscheidung<br />

„tief in die Rechtssphäre der Beteiligten“ eingreifen<br />

könne 39 . Aus dem Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit<br />

aus Art. 3 I GG folgert das Bundesverfassungsgericht<br />

das Verbot für das Revisionsgericht, die Annahme von Revisionen,<br />

die Aussicht auf Erfolg besitzen, aus „Gründen<br />

der Selbststeuerung der Arbeitslast“ 40 abzulehnen: Eine solche<br />

Ablehnungspraxis bedinge eine unterschiedliche Handhabung<br />

und sei daher „willkürlich“ im Sinne von Art. 3<br />

I GG. Daher verbiete sich auch eine entsprechende Auslegung<br />

des § 554b I ZPO bei erfolgversprechenden Revisionen<br />

41 . Auf den Charakter des dem angegriffenen Urteil<br />

zugrundeliegenden Rechtsfehlers oder seine Auswirkungen<br />

auf den Rechtsmittelführer als „schwer“, „unvertretbar“<br />

oder „unerträglich“ soll es ebenfalls nicht ankommen. Im<br />

Gegenteil hält das Bundesverfassungsgericht unter Berufung<br />

auf den dargelegten Zweck des § 554b I ZPO die Verwendung<br />

der „Schwere“ oder „Erträglichkeit“ von Rechtsfehlern<br />

als Maßstab für Nichtannahmeentscheidungen ebenfalls<br />

für eine Verletzung der Rechtsanwendungsgleichheit<br />

gemäß Art. 3 I GG 42 .<br />

Ohne die Bedeutung dieser Entscheidung für die verfassungsrechtliche<br />

Beurteilung auch der aktuellen Zivilprozessrechtsreform<br />

an dieser Stelle eingehend darlegen zu<br />

können, werden im Hinblick auf sie 43 erhebliche verfas-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

sungsrechtliche Probleme der „neuen“ Revisionszugangsregelungen<br />

evident: Zunächst schränkt das Bundesverfassungsgericht<br />

mit der geschilderten Begründung den<br />

vermeintlich sehr freien Gestaltungsspielraum des Verfahrensgesetzgebers<br />

bei der Einrichtung von Instanzen, Rechtsmitteln,<br />

deren Verfahren und Ausgestaltung erheblich ein:<br />

Zwar betont das Gericht einerseits, dass es „kein vorgegebenes<br />

Wesen, speziell von Rechtsbehelfen“ mit bestimmter<br />

normativer Ausgestaltung gibt 44 , andererseits erklärt es aber<br />

bestimmte Kriterien für den Revisionszugang mit dem Charakter<br />

des Rechtsmittels „Revision“ für unvereinbar und leitet<br />

daraus schließlich die Verfassungsrechtswidrigkeit einer<br />

bestimmten – und damals auch vom Verfahrensgesetzgeber<br />

gewollten – Auslegung der maßgeblichen Zugangsnorm<br />

ab 45 . Die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, dem<br />

Bundesgerichtshof durch § 554b I ZPO einen Ermessensspielraum<br />

bei der Prüfung der Annahme der Revision zu<br />

gewähren 46 , war mit dieser Entscheidung gescheitert, da danach<br />

die Annahme einer Revision nur abgelehnt werden<br />

darf, wenn sie nach pflichtgemäßer Prüfung keine Erfolgsaussicht<br />

besitzt.<br />

IV. Die Folgerung:Verfassungsrechtswidrigkeit der<br />

„neuen“ Zulassungsgrundsatzrevision?<br />

Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob der<br />

RegE mit den Regelungen des Revisionszugangs die genannten<br />

verfassungsrechtlichen Anforderungen eingehalten<br />

hat. Dies gilt insbesondere deswegen, da die „justizpolitische<br />

Grundentscheidung, den Zugang zum Revisionsgericht<br />

zu begrenzen und auf dessen Leistungsfähigkeit<br />

auszurichten“ 47 auch und insbesondere den geplanten Änderungen<br />

auf den Rechtsmittelebenen zugrunde liegt 48 .Zwar<br />

wird BVerfGE 54, 277 ff. in der Begründung des RegE genannt<br />

49 , bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die<br />

ZPO-Reformer die Lehren aus dieser Entscheidung gerade<br />

nicht gezogen haben: Zunächst ist von der – in dem bundesverfassungsgerichtlichen<br />

Beschluss vom 11.06.1980 50 für<br />

35 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 288 f.<br />

36 Siehe BVerfGE 54, 277 ff., 290.<br />

37 Vgl. z. B. BVerfGE 28, 21 ff., 36.<br />

38 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 291. Siehe im Gegensatz dazu Schumann: Recht<br />

auf Rechtsmittel (Thesen), in: Gilles/Röhl/Schuster/Strempel, Rechtsmittel im<br />

Zivilprozess, 1985, S. 267 ff., 268 f.<br />

39 Siehe BVerfGE 54, 277, 293.<br />

40 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hinsichtlich des „Annahmekriteriums“<br />

der „Arbeitslast“ zwischen der Frage des Zugangs zum Revisionsgericht<br />

insgesamt und nach der „Annahme“ durch den einzelnen Revisionsspruchkörper<br />

differenziert werden muss, da das Kriterium der<br />

Arbeitsbelastung bezogen auf den Zugang zu einer weiteren Instanz nicht<br />

sachfremd ist, wie beispielsweise auch die derzeitigen verfassungsrechtsmäßigen<br />

Streitwertgrenzen belegen. Diese Unterscheidung hat das BVerfG in einem<br />

Beschluss vom 09.8.1978 vorgenommen und das Kriterium der Arbeitsbelastung<br />

des jeweils entscheidenden Spruchkörpers für nicht<br />

verfassungsrechtsmäßig erachtet – vgl. BVerfGE 49, 148 ff., 163 ff. Siehe zu<br />

dieser Differenzierung auch Prütting, ZZP 92 (1979), S. 272 ff., 276 sowie<br />

Radloff, NJW 1979, S. 534.<br />

41 Vgl. BVerfGE 54, 277, 293.<br />

42 Siehe BVerfGE 54, 277 ff., 295 f.<br />

43 Deren Relevanz ist bislang unbeachtet geblieben, abgesehen von Winte, ZRP<br />

1999, S. 387 ff., 391. Auch Dethloff (ZRP 2000, S. 428 ff., 432) sieht die Problematik,<br />

verneint aber die Verfassungsrechtswidrigkeit der Zulassungsregelungen<br />

des RegE aufgrund deren „Konkretisierung“ mittels unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe.<br />

44 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 291.<br />

45 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 292 ff.<br />

46 Siehe BT-Dr. 7/3596, S. 4.<br />

47 BVerfGE 54, 277 ff., 299.<br />

48 Siehe dazu die Begründung zum RefE, S. 97 ff., 98.; die zum RegE BT-Dr.<br />

14/4722, S. 65 ff.<br />

49 Siehe RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 66.<br />

50 BVerfGE 54, 277 ff., 290.


AnwBl 3/2002 143<br />

Aufsätze l<br />

die verfassungsrechtliche Beurteilung anerkannten – Trennung<br />

der Regelungen betreffend den Zugang zum (jeweiligen)<br />

Rechtsmittelverfahren und den Regeln des Verfahrens<br />

selbst auszugehen. Hinzu kommt, dass bei beiden „Regelungsebenen“<br />

der andauernde Streit um die Zwecke der Revision<br />

51 eine gewichtige – und möglicherweise auch verfassungsrechtsrelevante<br />

Rolle spielt. Dies wirkt sich wiederum<br />

auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die konkrete<br />

Ausgestaltung des Rechtsmittels aus, im Falle der<br />

Revision ist das die Umgestaltung der bisherigen Streitwertund<br />

Zulassungsrevision zu einer Zulassungsgrundsatzrevision.<br />

Für deren verfassungsrechtliche Beurteilung kann<br />

zwar von dem bisherigen Befund ausgegangen werden,<br />

dass sowohl Zulassungsrevision 52 als auch Grundsatzrevision<br />

53 jeweils generell verfassungsrechtlich unbedenklich<br />

sind. Da die Revision auch nach ihrer Ausgestaltung durch<br />

die Reform gemäß §§ 542 ff. RegE ein „echtes“ Rechtsmittel<br />

der Partei(en) bleibt, ist für die verfassungsrechtliche<br />

Beurteilung ihrer Zugangsregeln nach BVerfGE 54, 277 ff.<br />

dieses „Charakteristikum“ der Revision maßgebend zu berücksichtigen.<br />

Wendet man die Grundsätze dieser Entscheidung<br />

auf die Revisionszugangsregelung im RegE an, dann<br />

zeigt sich, dass der Zugang zur Revision nach §§ 543, 544<br />

RegE einschließlich der ihn bestimmenden Zwecke und<br />

Kriterien in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch<br />

ist: Das Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit<br />

und Wahrung des Allgemeininteresses bei dem Zugang<br />

zur Revision soll nach der Begründung des RegE derart<br />

aufgelöst werden, dass im „Kollisionsfall“ die „Fortbildung<br />

des Rechts“ und die „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“<br />

als Belange des Justiz- oder Allgemeinwohls<br />

gegenüber der Durchsetzung des Parteiinteresses Vorrang<br />

haben. Eine von diesen Zielsetzungen getragene „Zulassungsgrundsatzrevision“,<br />

wie sie in §§ 543, 544 RegE geregelt<br />

ist, widerspricht aber gerade den verfassungsrechtlichen<br />

Anforderungen im Hinblick auf die in BVerfGE 54, 277 ff.<br />

aufgestellten Grundsätze: Die Nichtzulassung einer Revision<br />

mit Erfolgsaussicht, aber ohne „grundsätzliche Bedeutung“,<br />

verstößt danach gegen das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit<br />

aus Art 3 I GG sowie das Gebot der<br />

Rechtsmittelklarheit aus Art. 20 III GG 54 . Die „Grundsätzlichkeit“<br />

einer Rechtssache, die nunmehr entscheidendes<br />

Kriterium für die Zulassung und damit den Zugang zur<br />

Revisionsinstanz ist, führt nämlich für den beschriebenen<br />

Kollisionsfall dazu, dass eine erfolgversprechende Revision,<br />

die sich auf einen Rechtsfehler der angefochtenen Entscheidung<br />

stützt, nur deswegen nicht zugelassen wird und damit<br />

keinen Erfolg haben kann, weil die „Rechtssache“ keine<br />

„grundsätzliche Bedeutung“ aufweist. Das Problem wird<br />

noch deutlicher, wenn die Revision auf einen „schweren“<br />

oder „evidenten“ Rechtsfehler gestützt wird: Nach der herkömmlichen<br />

„Grundsätzlichkeit“, wie sie derzeit in den<br />

§§ 546 I 2 Nr. 2, 554b I ZPO verwendet wird 55 , ist eine<br />

„Grundsätzlichkeit“ bei einer „unproblematischen“, d. h.<br />

höchstrichterlich geklärten Rechtsfrage regelmäßig nicht<br />

gegeben. Da aber „schwere“ oder „evidente“ Fehler der<br />

Rechtsanwendung häufig schon geklärt sind oder wenigstens<br />

relativ schnell höchstrichterliche Beachtung finden,<br />

führt dies dazu, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bejahung<br />

der „Grundsätzlichkeit“ desto geringer wird, je „schwerer“<br />

und „evidenter“ ein Rechtsfehler ist. Das hätte die groteske<br />

Folge, dass „versteckte“, also nicht eindeutig zu Tage tretende<br />

Fehler eher den Zugang zur Revisionsinstanz finden<br />

und behoben werden können als „schwere“ und eindeutige.<br />

Zwar kennt das Rechtsmittelrecht der ZPO die Unterschei-<br />

dung zwischen „schweren“ und nicht schweren Fehlern nur<br />

sehr eingeschränkt: Bei Verstößen gegen Verfahrensrecht<br />

für die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung 56 differenziert<br />

es grundsätzlich nach bestimmten „Fehlerkategorie“,<br />

wie sich aus §§ 551, 559 II ZPO ergibt 57 . Bezogen auf<br />

Verstöße gegen materielles Recht ist der ZPO eine solche<br />

Kategorisierung bislang fremd, wie aus § 549 ZPO folgt.<br />

Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, dass der „Kontrollaspekt“<br />

58 des Rechtsmittels Revision bei einer Ausgestaltung<br />

des Revisionszugangs mit derartigen Folgen in seiner<br />

Bedeutung gemindert werden würde, denn „schwere“ und<br />

„evidente“ Rechtsverstöße sind i. d. R. bedrohlicher für die<br />

„Einzelfallgerechtigkeit“ 59 als andere Verletzungen des<br />

Rechts und können regelmäßig auch leichter erkannt und<br />

damit schneller wieder beseitigt werden. Zudem kann u. U.<br />

die gerichtliche Erörterung über das Vorliegen von „Grundsätzlichkeit“<br />

mehr Zeit und richterliche Arbeitskraft in Anspruch<br />

nehmen als die Zulassung der Revision einschließlich<br />

„Fehlerbeseitigung“ 60 .<br />

V. Fazit<br />

Die Anforderungen aus BVerfGE 54, 277 ff. waren dem<br />

Reformgesetzgeber bekannt, wie ein Blick in die Begründung<br />

des RegE zeigt. Ebenso bekannt sind die in dieser<br />

Entscheidung genannten verfassungsrechtlichen Grundlagen.<br />

Ausreichend Beachtung haben diese Grundsätze in<br />

der Ausgestaltung des „neuen“ Revisionszugangs allerdings<br />

nicht gefunden, so dass sich in der nahen Zukunft die Frage<br />

nach den Verfassungsrechtsmäßigkeit der Revisionszugangsregelungen<br />

gemäß §§ 543, 544 RegE stellen – und<br />

auch vom Bundesverfassungsgericht zu beantworten sein<br />

wird.<br />

51 Vgl. dazu beispielsweise Baur, ZZP 71 (1958), S. 161 ff.; Rosenberg/Schwab/<br />

Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 803 f.; jeweils m. w. N.<br />

52 Vgl. insbesondere den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom<br />

8.12.1965 (BVerfGE 19, 323 ff.), wonach die Zulassungsrevision in nicht vermögensrechtlichen<br />

Streitigkeiten nach § 546 I ZPO verfassungsrechtlich zulässig<br />

ist und insbesondere kein Verstoß gegen Art. 3 I, 2 I i. V. m. Art. 20<br />

III, 101 I 2, 103 I GG vorliegt.<br />

53 Siehe dazu den bundesverfassungsgerichtlichen Beschluss vom 9.8.1978<br />

(BVerfGE 49, 148 ff.), wonach die „grundsätzliche Bedeutung“ auch als alleiniges<br />

Revisionszugangskriterium verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden<br />

ist.<br />

54 Vgl. zu Art. 3 I GG Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 16. Auflage, Heidelberg<br />

2000, S. 101 ff., 119; zur „Rechtsklarheit“ aus Art. 20 III GG nur Sachs<br />

(Hg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., München 1999, Sachs zu Art. 20<br />

GG, Rdnr. 123 ff.; jeweils m. w. N.<br />

55 Siehe dazu exemplarisch für die eher spärliche Rechtsprechung der obersten<br />

Bundesgerichte: BGHZ 2, 396 ff.; BAGE 2. 26 ff.; BFHE 89, 117 ff.;<br />

BVerwGE 13, 90 ff.; BSG MDR 1975, S. 964 f.<br />

56 Siehe zu Unrichtigkeit und Fehlerhaftigkeit im zivilprozessualen Rechtsmittelrecht<br />

insbesondere Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S. 51 ff.<br />

m. w. N.<br />

57 Die Unrichtigkeit einer Entscheidung ergibt sich nach dem „prozessualen<br />

Richtigkeitsbegriff“ der ZPO grundsätzlich nur dann, wenn die Entscheidung<br />

auf dem materiellen oder formellen Mangel „beruht“. Auf die Feststellung<br />

dieses generellen Kausalitätserfordernisses wird aber bei bestimmten, als „gravierend“<br />

eingestuften, Verfahrensmängeln aber verzichtet, wie aus §§ 539,<br />

551, 579 ZPO folgt – vgl. dazu Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S.<br />

61.<br />

58 Siehe dazu z. B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Auflage<br />

1993, S. 802 ff.; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S. 13 ff.; Gilles,<br />

JZ 1985, S. 253 ff., 254, jeweils m. w. N.<br />

59 Vgl. zum „Spannungsverhältnis“ von „Recht und Gerechtigkeit“ z. B. Sonnenberger,<br />

Jura 2000, S. 561 ff. m. w. N.<br />

60 Auf diesen Aspekt ist schon 1975 bei der Reform des Revisionsrechts hingewiesen<br />

worden, vgl. z. B. H. Schneider, NJW 1975, S. 1537 ff., 1539.


144<br />

l<br />

Die neue<br />

Geldwäscherichtlinie *<br />

– Blick zurück und nach vorn –<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />

Frankfurt am Main, Vizepräsident des DAV<br />

Es begann im Jahr 1999, als die Europäische Kommission<br />

den Entwurf einer Richtlinie zur Änderung der Geldwäscherichtlinie<br />

von 1991 vorlegte, mit der u. a. Rechtsanwälte<br />

bei bestimmten Tätigkeiten verpflichtet werden<br />

sollten, bei Verdacht auf Geldwäscheaktivitäten der Mandanten<br />

den Behörden Meldung zu machen. Was vielen auf<br />

den ersten Blick als eine sinnvolle Maßnahme im Kampf<br />

gegen das organisierte Verbrechen erschien, führte zu einer<br />

heftigen Auseinandersetzung im europäischen Gesetzgebungsverfahren.<br />

Für viele Beobachter war diese Auseinandersetzung<br />

überraschend, schließlich gab es in England<br />

auf Grund nationaler Rechtsvorschriften schon seit<br />

mehreren Jahren eine Verdachtsmeldepflicht für Solicitors,<br />

ohne dass es bei deren Einführung zu einem Aufschrei des<br />

Berufsstandes gekommen wäre. Weshalb also kam es zu<br />

der heftigen Auseinandersetzung auf europäischer Ebene?<br />

Nach englischem Recht ist die Pflicht eines Solicitors<br />

zur Vertraulichkeit eine Vertragspflicht, die sich aus dem<br />

Mandatsvertrag mit dem Mandanten ergibt. Eine derartige<br />

Vertragspflicht durch nationales Gesetz einzuschränken, bereitet<br />

keine grundlegenden Schwierigkeiten. Gleichermaßen<br />

kann durch die englische Geldwäschegesetzgebung unschwer<br />

die vertragliche Informationspflicht gegenüber dem<br />

Mandanten eingeschränkt werden, indem es dem Solicitor<br />

verboten wird, den Mandanten über die erfolgte Meldung<br />

zu informieren (Verbot des sog. tipping-off). Gleichermaßen<br />

ist es rechtlich unproblematisch, wenn das englische Recht<br />

den Verstoß gegen die Meldepflicht oder das Verbot des tipping-off<br />

mit Strafe belegt. Während die skandinavischen<br />

Länder im Grundsatz im Wesentlichen dem englischen<br />

Recht folgen, stellt sich die Rechtslage in den Ländern des<br />

europäischen Kontinents fundamental anders dar. In diesen<br />

Ländern hat der Anwalt nicht nur eine vertragliche, sondern<br />

auch eine berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht, die<br />

sich nicht aus dem Mandatsvertrag, sondern aus der Stellung<br />

des Anwalts im Rechtspflegesystem (Organ der<br />

Rechtspflege) ergibt. In Deutschland ist die Verletzung<br />

dieser Verschwiegenheitspflicht nicht nur ein berufsrechtlicher<br />

Verstoß (§ 43a Abs. 2 BRAO), sondern auch eine<br />

Straftat (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB). In einigen kontinentaleuropäischen<br />

Ländern hat die berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht<br />

sogar Verfassungsrang. In Deutschland ist<br />

die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach der Rechtsprechung<br />

des Bundesverfassungsgerichts ein wesentlicher<br />

Bestandteil der „freien Advokatur“, und damit als Bürgerrecht<br />

ein wesentliches Element des Rechtsstaats. In Portugal<br />

ist die anwaltliche Verschwiegenheit sogar durch ausdrückliche<br />

Bestimmung in der Verfassung geschützt. In den kontinentaleuropäischen<br />

Ländern sind Anwälte deshalb nicht<br />

verpflichtet noch berechtigt, bei Verdacht auf Geldwäscheaktivitäten<br />

des Mandanten die Behörden zu informieren.<br />

Die Anwälte in diesen Ländern haben nur die Möglichkeit,<br />

das Mandat niederzulegen.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Diese fundamentalen Unterschiede kamen bei der ersten<br />

Lesung des neuen Geldwäsche-Richtlinienentwurfs der<br />

Kommission im Europäischen Parlament zum Tragen. Die<br />

Mehrheit des Parlaments beschloss im Juli 2000 speziell<br />

mit Blick auf Rechtsanwälte eine Reihe von Änderungen<br />

gegenüber dem Entwurf der Kommission und verlangte insbesondere<br />

eine obligatorische Freistellung von der Meldepflicht<br />

nicht nur für die Vertretung in Gerichtsverfahren,<br />

sondern auch für die Rechtsberatung.<br />

Diese Position des Europaparlaments wurde von den<br />

Justizministerien der meisten kontinentaleuropäischen Länder<br />

geteilt. Diese wurden jedoch durch einen „Verfahrenstrick“<br />

zum Schweigen gebracht: Die Präsidentschaft des<br />

Rats gab die Federführung für die neue Richtlinie an den<br />

ECOFIN-Rat, d. h. an die Finanz- und Wirtschaftsminister.<br />

Die französische Präsidentschaft legte im September<br />

2000 einen Vorschlag vor, wonach Anwälte nicht nur<br />

bezüglich der Informationen, die sie bei der Vertretung in<br />

einem Gerichtsverfahren (oder im Zusammenhang mit<br />

einem solchen Verfahren) erfahren haben, von der Verdachtsmeldepflicht<br />

sollten freigestellt werden können, sondern<br />

auch bezüglich solcher Informationen, die sie „im<br />

Rahmen der Beurteilung der Rechtslage“ für den Mandanten<br />

erhalten haben (Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2). Wie aus<br />

Kreisen des Ministerrats zu erfahren war, geht dieser Vorschlag<br />

auf eine inoffizielle Anregung der englischen Regierung<br />

zurück. Dies erscheint durchaus plausibel, denn zum<br />

einen ist „die Beurteilung der Rechtslage“ für den Mandanten<br />

neben der Vertretung des Mandanten im Gerichtsverfahren<br />

ein wesentlicher Teil der Tätigkeit eines englischen<br />

Barrister und zum anderen ist „die Beurteilung der Rechtslage“<br />

enger als der Begriff der Rechtsberatung, die die<br />

typische Tätigkeit eines englischen Solicitor darstellt. So<br />

gesehen erscheint der Vorschlag der französischen Präsidentschaft<br />

als maßgeschneidert im Hinblick auf die Struktur<br />

der Anwaltschaft in England. Der französischen Präsidentschaft<br />

gelang es, die Unterstützung von Spanien zu<br />

gewinnen. Italien und Frankreich waren trotz strenger Verschwiegenheitsvorschriften<br />

von Anfang an für eine Meldepflicht<br />

ihrer Anwälte gewesen, offenbar nicht zuletzt deswegen,<br />

weil eine Anzahl von Politikern, die im<br />

bürgerlichen Beruf Anwälte sind, in Bestechungsskandale<br />

verwickelt waren („mani puliti“). Die verbleibende Opposition<br />

aus Deutschland – hier ist der Bundesjustizministerin,<br />

Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, für ihren Einsatz zu danken<br />

– und Österreich reichte für die erforderliche qualifizierte<br />

Minderheit nicht aus. So kam es, dass die neue Richtlinie<br />

mit einigen wenigen Änderungen betreffend Anwälte<br />

vom Rat im November 2000 einstimmig angenommen<br />

wurde. Im Wesentlichen weist dieser sog. Gemeinsame<br />

Standpunkt des Rats alle wichtigen Forderungen des Parlaments<br />

zurück und stellt den ursprünglichen Entwurf der<br />

Kommission von 1999 wieder her.<br />

Bei seiner Zweiten Lesung im April 2001 hielt das Europaparlament<br />

zahlreiche seiner Einwendungen von der ersten<br />

Lesung im Juli 2000 aufrecht. Einige Einwendungen<br />

fanden jedoch nicht mehr die erforderliche Mehrheit des<br />

Parlaments.<br />

Es folgte das sog. Vermittlungsverfahren. Es wurde wie<br />

schon die vorangegangenen Abschnitte des europäischen<br />

* Im Anschluss an die vorangegangenen Aufsätze des Autors, „EU-Geldwäscherichtlinie:<br />

Kommt die Verdachtsmeldepflicht für Rechtsanwälte? Oder: Der Anwalt<br />

als Spitzel der Obrigkeit?“, AnwBl 2000, 614 ff., und „Der Anwalt als<br />

Spitzel der Obrigkeit? EU-Geldwäscherichtlinie: Kommt die Verdachtsmeldepflicht<br />

für Rechtsanwälte?“, MittBl. DAV-ARGE Internationaler Rechtsverkehr<br />

2001, 13 ff. Die neue Geldwäscherichtlinie ist veröffentlicht in ABl. L 344/76<br />

vom 28.12.2001.


AnwBl 3/2002 145<br />

Aufsätze l<br />

Gesetzgebungsverfahrens von intensiver Lobbytätigkeit des<br />

CCBE und der Anwaltsorganisationen der einzelnen Mitgliedsländer<br />

begleitet, in Deutschland vom Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> und von der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />

Dieses Vermittlungsverfahren wurde von den Ereignissen<br />

des 11. September 2001 überschattet. Nach diesem Tag war<br />

auch und gerade im Bereich des Kampfes gegen die Geldwäsche<br />

die Welt nicht mehr dieselbe. Die Wirtschafts- und<br />

Finanzminister der einzelnen Länder übten unglaublichen<br />

Druck auf ihre nationalen Europaabgeordneten aus, insbesondere<br />

diejenigen, die für das Parlament im Vermittlungsverfahren<br />

tätig waren. Man muss jedoch fairerweise<br />

feststellen, dass der Rat, wie die folgenden Ausführungen<br />

zeigen werden, zumindest in einem wichtigen Punkt von<br />

seiner ursprünglichen Position abrückte. Das Vermittlungsverfahren<br />

endete im Oktober 2001 mit einem gemeinsamen<br />

Ergebnis, das von Rat und Parlament im November 2001<br />

gebilligt worden ist. Die neue Geldwäscherichtlinie, mit<br />

der die Richtlinie von 1991 geändert wird, ist damit wirksam<br />

geworden und muss jetzt von den Mitgliedsstaaten innerhalb<br />

von achtzehn Monaten in nationales Recht umgesetzt<br />

werden.<br />

Das folgende ist eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten<br />

Bestimmungen der Richtlinie, so weit sie Anwälte<br />

betreffen, verbunden mit Überlegungen zur Umsetzung in<br />

den Mitgliedsstaaten.<br />

1. Nach den umfangreichen neuen Definitionen in Artikel<br />

1 der Richtlinie ist Geldwäsche der Umtausch, der<br />

Transfer, das Verheimlichen, das Verschleiern, der Erwerb,<br />

der Besitz und die Verwendung (sowie die Teilnahme an<br />

einer solchen Handlung) von Vermögensgegenständen, die<br />

aus der Begehung einer schweren Straftat stammen, wozu<br />

u. a. jede Straftat gehört, „die beträchtliche Beträge hervorbringen<br />

kann und die nach dem Strafrecht des Mitgliedsstaates<br />

mit einer langen Freiheitsstrafe geahndet werden<br />

kann.“ Die Anwendung der Richtlinie ist in Zukunft also<br />

nicht mehr auf Geldwäsche im herkömmlichen Sinne beschränkt.<br />

Die Reichweite der Richtlinie hängt vielmehr in<br />

Zukunft entscheidend vom jeweiligen nationalen Recht ab.<br />

Dies ist die gemeinschaftsrechtliche Grundlage, auf der die<br />

deutsche Bundesregierung die schwere Steuerhinterziehung<br />

zur Vortat der Geldwäsche machen möchte.<br />

2. Nach Artikel 2a Nr. 5 der Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten<br />

dafür sorgen, dass die Verpflichtungen aus der<br />

Richtlinie auferlegt werden<br />

„Notaren und anderen selbstständigen Angehörigen von<br />

Rechtsberufen, wenn sie<br />

(a) für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung<br />

von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:<br />

(i) Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben;<br />

(ii) Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />

Vermögenswerten ihres Klienten;<br />

(iii) Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder<br />

Wertpapierkonten,<br />

(iv) Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder<br />

zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel;<br />

(v) Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften,<br />

Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen;<br />

(b) oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres<br />

Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen.“<br />

Die vorstehende Aufzählung erfasst zahlreiche Tätigkeiten<br />

eines im Bereich des Wirtschaftsrechts tätigen Rechts-<br />

anwalts. Die Mitgliedsstaaten sind jedoch nicht auf diese<br />

Liste von Tätigkeiten beschränkt, sie können vielmehr weitere<br />

anwaltliche Tätigkeiten in ihre nationale Geldwäschegesetzgebung<br />

einbeziehen. Dies ergibt sich aus Artikel 15<br />

der Geldwäscherichtlinie von 1991, der, von der neuen<br />

Richtlinie nicht abgeändert, anwendbar bleibt. Nach dieser<br />

Vorschrift können die Mitgliedsstaaten zur Verhinderung<br />

der Geldwäsche strengere Vorschriften als in der Richtlinie<br />

vorgesehen erlassen; die Geldwäscherichtlinie ist also nur<br />

eine sog. Mindeststandard-Richtlinie.<br />

3. Nach Artikel 6 Abs. 1 müssen die Mitgliedsstaaten<br />

eine Meldepflicht gegenüber den Behörden hinsichtlich<br />

aller Tatsachen vorsehen, die ein Indiz für eine Geldwäsche<br />

sein könnten. Ob von dieser Meldepflicht eine Ausnahme<br />

für Anwälte gelten sollte, war äußerst kontrovers. Insofern<br />

ist festzustellen, dass Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 in der<br />

Fassung des Gemeinsamen Standpunkts des Ministerrats<br />

vom November 2000 unverändert geblieben ist. Dementsprechend<br />

sind die Mitgliedsstaaten nicht gehalten, die Verpflichtungen<br />

nach Artikel 6 Abs. 1 auf Notare und selbstständige<br />

Angehörige von Rechtsberufen hinsichtlich<br />

solcher Informationen vorzusehen, die diese „im Rahmen<br />

der Beurteilung der Rechtslage“ für einen Klienten oder –<br />

zusammengefasst formuliert – im Zusammenhang mit einem<br />

Gerichtsverfahren erhalten haben. Diese Vorschrift ist<br />

im Zusammenhang mit Erwägungsgrund 17 zu lesen, der<br />

einen Kompromiss zwischen den ursprünglichen Positionen<br />

von Parlament und Rat darstellt. Satz 1 von Erwägungsgrund<br />

17 stellt parallel zu Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 fest,<br />

dass es nicht angebracht wäre, selbstständige (gemeint ist<br />

wohl unabhängige) Angehörige von Berufen der Rechtsberatung,<br />

die gesetzlich anerkannt sind und überwacht werden<br />

wie beispielsweise Rechtsanwälte, einer Meldepflicht<br />

bei Verdacht auf Geldwäsche zu unterwerfen, wenn sie „die<br />

Rechtslage für einen Klienten beurteilen oder einen Klienten<br />

in einem gesetzlich normierten Verfahren vertreten“.<br />

Satz 2 legt sodann fest, dass „Freistellungen von der Pflicht<br />

zur Meldung von Informationen vorgesehen werden (sc.<br />

müssen), die vor oder nach einem Gerichtsverfahren bzw.<br />

während eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen der Beurteilung<br />

der Rechtslage für einen Klienten erlangt wurden.“<br />

Die Sätze 1 und 2 von Erwägungsgrund 17 entsprechen<br />

somit dem wesentlichen Gehalt der Ausnahmeregelung in<br />

Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 und umgekehrt. Der im Vermittlungsverfahren<br />

angefügte Satz 3 von Erwägungsgrund<br />

17 lautet:<br />

„Folglich unterliegt die Rechtsberatung weiterhin der<br />

beruflichen Geheimhaltungspflicht, es sei denn, der Rechtsberater<br />

ist an Geldwäschevorgängen beteiligt, die Rechtsberatung<br />

wird zum Zwecke der Geldwäsche erteilt oder der<br />

Rechtsanwalt weiß, dass der Klient die Rechtsberatung für<br />

Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt.“<br />

Das vorgenannte Konzept, auf die Kenntnis des Anwalts<br />

abzuheben, findet sich bereits in der Charta der europäischen<br />

Berufsverbände zur Unterstützung des Kampfes gegen<br />

die organisierte Kriminalität, die die Berufsverbände<br />

der Anwälte, Steuerberater, Notare, Bilanzbuchhalter und<br />

-prüfer und Wirtschaftsprüfer 1999 auf massiven Druck der<br />

Kommission verabschiedet haben. Selbst für diejenigen<br />

Länder Kontinentaleuropas, die den Anwalt nicht nur als<br />

reinen vertraglichen Dienstleister, sondern auch als Organ<br />

der Rechtspflege ansehen, erscheint es nicht grundsätzlich<br />

problematisch, eine Meldepflicht in den Fällen vorzusehen,<br />

in denen der Anwalt an Geldwäscheaktivitäten des Klienten<br />

beteiligt ist, die Rechtsberatung zum Zwecke der Geld-


146<br />

l<br />

wäsche erteilt oder der Klient die Rechtsberatung zum<br />

Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt und der Anwalt<br />

dies weiß. So weit auf Kenntnis des Anwalts abgehoben<br />

wird, bleibt allerdings ein Auslegungsproblem, denn<br />

dieser Begriff beinhaltet nach englischem Rechtsverständnis<br />

offenbar nicht nur positive Kenntnis, sondern auch den<br />

Verdacht unterhalb dieser Schwelle, sofern er nur eine gewisse<br />

Intensität hat.<br />

Unabhängig von dieser Frage ist festzustellen, dass<br />

Satz 3 von Erwägungsgrund 17 nicht in die eigentliche<br />

Richtlinienbestimmung von Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2<br />

aufgenommen worden ist. Jeder Mitgliedsstaat kann deswegen<br />

frei entscheiden, ob er die in Erwägungsgrund 17 Satz<br />

3 vorgesehene Meldepflicht-Ausnahme für die Rechtsberatung<br />

auf eine Stufe stellen will mit den in Artikel 6 Abs. 3<br />

Unterabs. 2 vorgesehenen Ausnahmen für die „Beurteilung<br />

der Rechtslage“ und die Tätigkeit im Zusammenhang mit<br />

einem Gerichtsverfahren. Einige Mitgliedsstaaten werden<br />

so verfahren, andere werden es mit Sicherheit nicht tun.<br />

In der Schlussabstimmung des Europäischen Parlaments<br />

hat der deutsche Abgeordnete Willi Rothley die Frage aufgeworfen,<br />

ob die in Erwägungsgrund 17 Satz 3 enthaltene<br />

Gegenausnahme – keine Befreiung von der Meldepflicht<br />

für den rechtsberatend tätigen Anwalt, der an Geldwäschevorgängen<br />

des Klienten beteiligt ist oder Rechtsberatung<br />

zum Zwecke der Geldwäsche erteilt oder der weiß, dass<br />

der Klient die Rechtsberatung für Zwecke der Geldwäsche<br />

in Anspruch nimmt – überhaupt wirksam wäre, weil der in<br />

diesen Fällen tätige Anwalt eine Straftat begeht und im Ergebnis<br />

auch sich selbst anzeigen müsste. In den beiden erstgenannten<br />

Alternativen wird in der Tat zumindest in der<br />

Regel eine strafbare Teilnahme des Rechtsanwalts vorliegen,<br />

sodass die Anordnung einer Meldepflicht durchaus gegen<br />

die Menschenrechtskonvention, gegen höherrangiges<br />

Gemeinschaftsrecht und gegen nationales Verfassungsrecht<br />

verstoßen kann.<br />

Abgesehen von der Einbeziehung von Satz 3 des Erwägungsgrundes<br />

17 in die ausdrücklichen Ausnahmeregelungen<br />

nach Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 haben die Mitgliedsstaaten<br />

ein weiteres, in den Auswirkungen wohl<br />

wichtigeres Wahlrecht. Die Ausnahmen von der Meldepflicht<br />

nach Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 sind nämlich für<br />

die Mitgliedsstaaten nicht verbindlich. Alle Bemühungen<br />

des Europäischen Parlaments in diese Richtung waren erfolglos.<br />

Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 beschränkt sich darauf,<br />

den Mitgliedsstaaten die genannten Ausnahmen von<br />

der Meldepflicht zu gestatten. Jeder Mitgliedsstaat kann<br />

also für sich selbst entscheiden. Dies bedeutet, dass einige<br />

Mitgliedsstaaten beschließen können, überhaupt keine Ausnahme<br />

vorzusehen, andere können alle drei Ausnahmen<br />

(Vertretung im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren, Beurteilung<br />

der Rechtslage und Rechtsberatung) vorsehen,<br />

wieder andere können von den drei Ausnahmen eine oder<br />

zwei auswählen.<br />

4. Hinsichtlich der Frage, wem gegenüber die Meldung<br />

zu machen ist, gestattet es Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 1 den<br />

Mitgliedsstaaten, eine geeignete Selbstverwaltungseinrichtung<br />

der betreffenden Berufsgruppe als die Behörde zu bezeichnen,<br />

an die alle Meldungen zu machen sind, und die<br />

angemessenen Formen der Zusammenarbeit zwischen dieser<br />

Selbstverwaltungseinrichtung und den für die Bekämpfung<br />

von Geldwäsche zuständigen (staatlichen) Behörden festzulegen.<br />

Es bleibt abzuwarten, welche Mitgliedsstaaten<br />

von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, die auf<br />

einen Vorschlag der französischen Anwaltschaft zurückgeht.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Bekanntlich sieht das schweizerische Recht eine Pflicht zur<br />

Meldung vor.<br />

5. Nach Artikel 8 Abs. 2 ist es den Mitgliedsstaaten<br />

überlassen, ob sie Anwälte vom Verbot, den Klienten über<br />

die erfolgte Meldung zu informieren (tipping-off) ausnehmen<br />

wollen. Es erscheint einigermaßen unwahrscheinlich,<br />

dass von dieser Möglichkeit viele Mitgliedsstaaten Gebrauch<br />

machen werden. Im Gegenteil, gerüchteweise heißt<br />

es, der Ministerrat, der ursprünglich in der Richtlinie keinerlei<br />

Ausnahme für Rechtsanwälte zulassen wollte, habe<br />

im Vermittlungsverfahren zwar Artikel 8 Abs. 2 gegenüber<br />

dem Parlament konzediert, die Minister hätten aber gleichzeitig<br />

mündlich vereinbart, dass kein Mitgliedsstaat von<br />

dieser Möglichkeit der Befreiung Gebrauch machen werde.<br />

Die Entwicklung bei der Umsetzung bleibt abzuwarten.<br />

6. Äußerst umstritten, wenn auch nicht speziell die Anwaltschaft<br />

betreffend, war Artikel 5 Abs. 4 des Gemeinsamen<br />

Standpunkts des Rates, wonach die gemeldeten<br />

Informationen grundsätzlich nur zur Bekämpfung der Geldwäsche<br />

benutzt werden dürfen, die Mitgliedsstaaten jedoch<br />

vorsehen können, dass die Informationen auch für andere<br />

Zwecke verwendet werden können. Das Europäische Parlament<br />

hatte diese Ausdehnungsmöglichkeit abgelehnt. Im<br />

Vermittlungsverfahren wurde Artikel 5 Abs. 4 insgesamt<br />

gestrichen. Auf den ersten Blick scheint es deshalb eine<br />

Frage der Auslegung der Richtlinie zu sein, für welche<br />

Zwecke Geldwäscheinformationen von den Behörden der<br />

Mitgliedsstaaten verwendet werden dürfen. Dies ist jedoch<br />

nicht unzweifelhaft. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten werden<br />

wahrscheinlich bestimmen, dass gemeldete Informationen<br />

über Geldwäscheaktivitäten auch für andere Zwecke<br />

verwendet werden können, ohne sich um die Auslegung der<br />

Richtlinie Gedanken zu machen, mit dem einfachen Argument,<br />

dass, wenn Artikel 15 der Richtlinie von 1991, wie<br />

oben erwähnt, nur eine Mindestharmonisierung auf dem<br />

Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche vorsieht, es erst<br />

recht jedem Mitgliedsstaat freigestellt ist, zu entscheiden,<br />

ob Informationen über Geldwäscheaktivitäten (im Sinne der<br />

Definition, die das nationale Recht dem Begriff der Geldwäsche<br />

im Rahmen der Richtlinie geben kann) auch für andere<br />

Zwecke verwendet werden dürfen. Hier ergeben sich<br />

polizeistaatliche Möglichkeiten, die auch noch nicht annähernd<br />

ausgelotet worden sind.<br />

Die Ausnahmen von der Meldepflicht, die in Artikel 6<br />

Abs. 3 Unterabs. 2 und in Erwägungsgrund 17 vorgesehen<br />

sind, stellen durchaus einen Erfolg für alle diejenigen dar,<br />

die wie das Europaparlament, der CCBE und viele nationale<br />

Anwaltsorganisationen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />

als ein Bürgerrecht des Klienten gegen die Auferlegung<br />

einer Meldepflicht in bloßen Fällen des Verdachts<br />

schützen wollten: In einer rechtsstaatlichen Demokratie im<br />

Gegensatz zum Polizeistaat ist der Anwalt Vertrauensperson<br />

des Klienten und nicht Spitzel der Obrigkeit. Insbesondere<br />

dem Europa-Abgeordneten Klaus-Heiner Lehne gebührt als<br />

Berichterstatter des Parlaments der Dank der Anwaltschaft<br />

für seinen unermüdlichen Einsatz – mehr war nach dem<br />

11. September 2001 nicht zu erreichen. Der Umstand, dass<br />

die genannten Ausnahmen von der Meldepflicht in das Belieben<br />

der Mitgliedsstaaten gestellt worden sind, bedeutet<br />

jedoch, dass dieser Erfolg nur ein Teilerfolg ist und dass<br />

diejenigen Mitgliedsstaaten, die den Anwälten Meldepflichten<br />

ohne jegliche Ausnahme auferlegen wollten, die Auseinandersetzung<br />

nicht verloren haben. Sie können jetzt auf<br />

der nationalen Ebene tun, was sie wollen. Deswegen wird<br />

die Auseinandersetzung in einigen Mitgliedsstaaten auf der


AnwBl 3/2002 147<br />

Aufsätze l<br />

nationalen Ebene weitergehen. Es wird in Zukunft weitgehend<br />

bis ausschließlich vom jeweiligen nationalen Recht<br />

abhängen, ob und wieweit es zulässig ist, den Tätigkeitsbereich,<br />

innerhalb dessen Anwälte der Richtlinie unterliegen,<br />

zu erweitern oder die in der Richtlinie ermöglichten<br />

Ausnahmen von der Meldepflicht zu versagen oder über die<br />

Definition der Geldwäsche-Vortat noch weiter gehende<br />

Meldepflichten einzuführen. Ob und wieweit derartige mitgliedsstaatliche<br />

Maßnahmen zulässig sind, wird sich weniger<br />

nach der Richtlinie als nach nationalem Recht und gegebenenfalls<br />

der Menschenrechtskonvention richten; die<br />

Richtlinie hat insofern freie Bahn gegeben.<br />

Es lässt sich heute noch nicht absehen, wie das Endergebnis<br />

aussehen wird, wenn das Verfahren zur Umsetzung<br />

der neuen Geldwäscherichtlinie in allen Mitgliedsstaaten<br />

abgeschlossen ist. Wahrscheinlich wird es dann in Europa<br />

auf dem Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche, so weit<br />

die Anwaltschaft in Rede steht, einen „Flickenteppich“ geben,<br />

weil die einschlägigen Bestimmungen von Land zu<br />

Land unterschiedlich sind. Die Unterschiede können beginnen<br />

bei den erfassten Tätigkeitsbereichen eines Anwalts<br />

und der Definition der schweren Straftaten, die Vortat im<br />

Sinne der Geldwäschevorschriften sind. Unterschiede sind<br />

ferner denkbar bei der Frage, ob die Meldepflicht positive<br />

Kenntnis verlangt oder ob eine gewisse Intensität von Verdacht<br />

ausreicht. Schließlich sind Unterschiede denkbar bei<br />

der Befreiung von der Meldepflicht hinsichtlich bestimmter<br />

Arten anwaltlicher Tätigkeit (Vertretung im Zusammenhang<br />

mit gerichtlichen Verfahren, Beurteilung der Rechtslage,<br />

Rechtsberatung), womit letztlich die Reichweite der beruflichen<br />

Verschwiegenheitspflicht bestimmt wird. Die Meldepflicht<br />

wird mit aller Wahrscheinlichkeit strafbewehrt sein.<br />

Umgekehrt wird die unberechtigte Verletzung der Verschwiegenheitspflicht<br />

berufsrechtlich und z. B. in Deutschland<br />

strafrechtlich geahndet. Der zu erwartende „Flickenteppich“<br />

wird deshalb große Probleme bereiten, wenn<br />

Anwälte aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen<br />

oder aus Büros in verschiedenen europäischen Ländern<br />

grenzüberschreitend tätiger Anwaltskanzleien oder wenn<br />

selbstständige Kanzleien aus dem einen Mitgliedsstaat mit<br />

selbstständigen Kanzleien in anderen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten<br />

wollen: Kann der eine Anwalt dem anderen<br />

Anwalt Informationen geben, die nach dessen Recht<br />

eine Meldepflicht auslösen? Begeht er selbst nicht damit<br />

nach seinem eigenen Recht eine berufsrechtlich und gegebenenfalls<br />

strafrechtlich zu ahndende Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht?<br />

Die von Land zu Land unterschiedlichen Regelungen<br />

prallen in extremer Weise aufeinander, wenn ein Anwalt<br />

aus dem einen Land im Rahmen der Niederlassungsrichtlinie<br />

eine Kanzlei in einem anderen Land eröffnet. Dieser<br />

Anwalt wird möglicherweise in einem unlösbaren Konflikt<br />

stehen: Das Recht des einen Landes kann eine strafbewehrte<br />

Meldepflicht vorsehen, und die Erfüllung dieser<br />

Meldepflicht kann eine strafbewehrte Verschwiegenheitsverletzung<br />

nach dem Recht des anderen Landes sein, und<br />

umgekehrt, solange nicht geklärt ist, welches Recht für den<br />

im Rahmen der Niederlassungsrichtlinie in einem anderen<br />

Land niedergelassenen Rechtsanwalt gilt. Tatsache ist, dass<br />

dieses Problem heute bereits zwischen Ländern wie<br />

Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und England<br />

auf der anderen Seite besteht, denn das englische<br />

Recht unterwirft nicht nur englische Solicitors, sondern<br />

auch ausländische Anwälte, die in England tätig sind, den<br />

Meldepflichten bei Verdacht auf Geldwäsche, und ein eng-<br />

lischer Solicitor unterliegt auch dann seinem englischen<br />

Berufsrecht, wenn er im Ausland tätig ist. Diese Probleme<br />

sind durch die neue Geldwäscherichtlinie wegen der vielen<br />

nationalen Wahlrechte nicht wirklich verringert worden. Die<br />

Intensivierung des Kampfes gegen die Geldwäsche wird<br />

eher die Probleme vergrößern. In den letzten Jahren sind die<br />

unterschiedlichen nationalen Vorschriften über Interessenkonflikte<br />

zu einem immer größeren Problem für die grenzüberschreitende<br />

Arbeit der Anwaltschaft – in Großkanzleien,<br />

aber auch zwischen kleinen Kanzleien – geworden.<br />

Es steht zu befürchten, dass dasselbe in Zukunft für die Regelungsunterschiede<br />

auf dem Gebiet der Geldwäsche gelten<br />

wird.<br />

Das verfassungsrechtlich<br />

befremdliche Verhältnis des<br />

Gesetzgebers zur<br />

Unschuldsvermutung *<br />

Uwe Diercks,** Polizeipräsidium Bonn<br />

I. Einleitung<br />

Früher nahm ein auf Ehrenschutz und Unschuldsvermutung<br />

bedachter Beobachter noch Anstoß, wenn Boulevard-<br />

Zeitungen den Beschuldigten noch vor gefälltem Urteil, geschweige<br />

denn vor dessen Rechtskraft, bereits als „Täter“<br />

darstellten: Der Richter wusste es noch nicht – aber der<br />

Journalist wusste es schon 1 .<br />

Heute können sich Journalisten in Deutschland auf einen<br />

prominenten Eideshelfer für ihre Weltsicht berufen – den<br />

Gesetzgeber selbst: Der Richter weiß es noch nicht – aber<br />

der Gesetzgeber weiß es schon 2 . Denn er verwendet in seiner<br />

Gesetzessprache – in der Phase des Ermittlungsverfahrens<br />

(!) – den Begriff „Täter“, und zwar in den strafprozessualen<br />

Eingriffsermächtigungen der §§ 98a, 100c, 111, 163d,<br />

163e, 163f StPO sowie in § 4 BKA-Gesetz.<br />

Wegen dieses verfassungsrechtlich anstößigen Begriffs<br />

„Täter“ im Ermittlungsverfahren machte der Verfasser im<br />

* Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wieder und dokumentiert<br />

zugleich den Versuch, im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen<br />

Rang der Unschuldsvermutung und hinsichtlich des Gebots rechtsstaatlicher<br />

Präzision über den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vom Gesetzgeber<br />

eine sachgerechte, eindeutige und jeden Anschein einer unzulässigen<br />

Schuldzuweisung vermeidende Gesetzessprache im Rahmen einer entsprechenden<br />

Gesetzesnovellierung zu erreichen.<br />

** Mein herzlicher Dank gilt folgenden Rechtswissenschaftlern und Praktikern,<br />

die der im AnwBl 1999, 311 ff., wiedergegebenen Rechtsauffassung und/oder<br />

der in der Eingabe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages<br />

(Pet. 4-14-07-3120-013178) geäußerten Bedenken weitgehend bzw. vollkommen<br />

zustimmten und wertvolle Anregungen gaben: Professoren Dres.<br />

H. Achenbach, Osnabrück; W. Gropp, Gießen; G. Grünwald, Bonn; W. Hassemer,<br />

Richter des Bundesverfassungsgerichts, Frankfurt a. M./Karlsruhe;<br />

K. Kühl, Tübingen; H. Lisken, Polizeipräsident a. D., Düsseldorf; E. G. Mahrenholz,<br />

Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a. D., Karlsruhe; K. Marxen,<br />

Berlin; H.-U. Paeffgen, Bonn; C. Roxin, München; F.-C. Schroeder,<br />

Regensburg; R. Zaczyk, Trier; Habilitanden Dres. K.-S. von Danwitz, Bonn;<br />

C.-F. Stuckenberg, Bonn; Rechtsanwälte Dres. S.-R. Eiffler, Lehrbeauftragter<br />

im Polizeidienst, Berlin; H. Nitz, Hannover; C.-H. Soehring, München; Ministerialrat<br />

a. D. Dr. U. Kaack, Kiel; Polizeidirektor R. Wellenbeck, Leiter des<br />

Polizeiausbildungsinstituts Brühl.<br />

1 Paeffgen, StV 1999, 625.<br />

2 Paeffgen, StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320); ders., Vorüberlegungen<br />

zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, Habil.-Schrift 1986, S. 77<br />

(zur Verantwortung des Gesetzgebers hinsichtlich der Unschuldsvermutung).


148<br />

l<br />

Interesse der Rechts- und Polizeikultur von dem in Artikel 17<br />

GG verbrieften Eingaberecht Gebrauch und wandte sich –<br />

insbesondere unter Zugrundelegung der im <strong>Anwaltsblatt</strong> 3<br />

dargestellten Bedenken – wie folgt an den Petitionsausschuss<br />

des Deutschen Bundestages 4 :<br />

„... Der meines Erachtens falsche Sprachgebrauch des<br />

Bundesgesetzgebers in diesem sehr sensiblen Bereich führt<br />

in der Praxis zu dem im <strong>Anwaltsblatt</strong> geschilderten rechtlich<br />

unhaltbaren Zustand. Die vom Innenminister NRW<br />

und Justizminister NRW auf meine Eingaben in Anlagen<br />

erwähnte ,abstrakte’ Verwendung des Täterbegriffs durch<br />

den Gesetzgeber steht nicht im Einklang mit den grundsätzlichen<br />

Implikationen dieses Sprachgebrauchs.<br />

Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der<br />

Unschuldsvermutung und das Gebot rechtsstaatlicher Präzision<br />

sollte zur begrifflichen Klarstellung im prozessualen<br />

Sprachgebrauch nicht vom ,Täter’, sondern vom ,Verdächtigen’<br />

oder ,Beschuldigten’ gesprochen werden.<br />

Trotz verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Einwände<br />

bzw. Bedenken aus Wissenschaft und Praxis wurde<br />

die normative begriffliche Klarstellung im prozessualen<br />

Sprachgebrauch bisher nicht vorgenommen. Deshalb erscheint<br />

eine verfassungskonforme begriffliche Klarstellung<br />

entsprechend den Vorgaben der unveränderlichen verfassungsrechtlichen<br />

Prinzipien erforderlich, sodass der Bundesgesetzgeber<br />

gefragt ist. ...“<br />

II. Rechtsauffassung des Petitionsausschusses des<br />

Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums der<br />

Justiz<br />

Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages teilte<br />

unter Einbeziehung folgender Stellungnahme des Bundesministeriums<br />

der Justiz 5 mit, dass die Petition erfolglos<br />

bleiben werde; denn der vom Gesetzgeber bezeichnete Begriff<br />

des Täters – der im Rahmen der Ermittlungen neutral<br />

verwandt und erst dann konkretisiert werde, wenn sich die<br />

Ermittlungen gegen eine bestimmte oder bestimmbare Person<br />

richten – sei zutreffend:<br />

„Die von dem Petenten beanstandete Wortwahl berührt nicht den Grundsatz<br />

der Unschuldsvermutung; sie ist präzise und richtig. Der Gesetzgeber<br />

verwendet den Begriff ,Täter’ in den beanstandeten Vorschriften folgerichtig<br />

in Anknüpfung an die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildende Annahme,<br />

eine Straftat sei verübt worden, ohne dass damit über diesen abstrakten<br />

Bezugspunkt hinaus bereits konkret individualisierte oder individualisierbare<br />

Verdächtige oder Beschuldigte gemeint sind.<br />

1. § 98a Abs. 1 Satz 1 StPO erlaubt es, personenbezogene Daten von<br />

Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale<br />

erfüllen, mit anderen Daten maschinell abzugleichen, um Nichtverdächtige<br />

auszuschließen oder Personen festzustellen, die weitere für die<br />

Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen. In Absatz 1 Satz 2<br />

wird der Begriff ,Täter’ genannt, um die Zwecke der in der Vorschrift behandelten<br />

(subsidiären) Ermittlungsmaßnahme zu beschreiben, nämlich die<br />

Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />

(wahren) Täters. Der Datenabgleich findet regelmäßig in einem besonders<br />

frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens statt, in dem es überhaupt noch<br />

keinen Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, vielmehr erst zureichende tatsächliche<br />

Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Straftat von erheblicher<br />

Bedeutung (aus bestimmten Deliktsbereichen) begangen worden ist.<br />

Die StPO regelt nämlich weder den Beginn der Beschuldigteneigenschaft<br />

noch definiert sie den Begriff des Verdächtigen. Der Begriff des Beschuldigten<br />

ist demgemäss auch umstritten. Ein Teil des Schrifttums will den Begriff<br />

eher objektiv verstehen und sieht daher denjenigen als Beschuldigten an, gegen<br />

den sich ein personenbezogener Anfangsverdacht von solchem Gewicht<br />

richtet, dass er bei einer objektiven Betrachtung als Beschuldigter erscheint.<br />

Nach einer subjektiv orientierten Auffassung ist dagegen Voraussetzung der<br />

Beschuldigteneigenschaft, dass das jeweils zuständige Strafverfolgungsorgan<br />

das Verfahren gerade gegen diese Person als Beschuldigten betreibt; vor diesem<br />

Hintergrund wird derjenige als Beschuldigter angesehen, gegen den sich<br />

der Verfolgungswille in einem äußerlich erkennbaren Verfolgungsakt manifestiert<br />

(siehe im einzelnen Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Auflage,<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

§ 163a Rdnr. 7 ff. mit zahlreichen Nachweisen). Allen Ansätzen ist damit<br />

aber gemeinsam, dass die als Beschuldigter anzusehende Person individuell<br />

bestimmt oder zumindest bestimmbar sein muss. Dies ist schon deshalb<br />

unerlässlich, weil die den Beschuldigten betreffenden und vielfach seinem<br />

Schutz dienenden gesetzlichen Vorschriften, namentlich sein Recht, sich nicht<br />

selbst belasten zu müssen, nur in Bezug auf ein bestimmtes oder<br />

bestimmbares Individuum und nicht in Bezug auf einen Unbekannten<br />

Anwendung finden können. Nach der Rechtsprechung des BGH erlangt ein<br />

Verdächtiger die Stellung eines Beschuldigten, wenn die Staatsanwaltschaft<br />

Maßnahmen gegen ihn ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn<br />

wegen einer Straftat vorzugehen (NStZ 97, 398 ff.). Auch der Verdacht richtet<br />

sich – sofern er nicht ohnehin die Pflicht zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft<br />

entstehen lässt (vergleiche dazu Rieß, aaO, § 163a Rdnr. 13) –<br />

gegen eine individuell bestimmte oder bestimmbare Person, denn bei einer so<br />

genannten Unbekanntsache ist gerade noch kein Tatverdächtiger erkennbar,<br />

weshalb in dem betreffenden Ermittlungsverfahren erst recht auch noch niemand<br />

als Beschuldigter behandelt werden kann (Rieß, aaO, § 163a Rdnr. 13).<br />

Zusammengefasst lässt sich damit sagen, dass ebenso wenig wie jeder<br />

Verdächtige oder Beschuldigte Täter ist, jeder Täter Verdächtiger oder Beschuldigter<br />

ist.<br />

Die Ersetzung des Begriffs ,Täter’ durch den Begriff ,Verdächtiger’<br />

oder den Begriff ,Beschuldigter’ würde daher den Sinn der Vorschrift verfehlen,<br />

weil die in ihr geregelte Maßnahme gerade den Zweck hat, Personen<br />

zu ermitteln, die dann gegebenenfalls die prozessuale Stellung eines Beschuldigten<br />

erhalten.<br />

2. Auch im Rahmen des § 100c StPO, der den Einsatz technischer Mittel<br />

regelt, wird der Begriff ,Täter’ dort genannt, wo die Zwecke der in der<br />

Vorschrift behandelten (subsidiären) Ermittlungsmaßnahmen beschrieben<br />

werden, nämlich die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des<br />

Aufenthaltsortes des (wahren) Täters (Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2, Nr.<br />

3, Absatz 2 Satz 2, 3 und 5).<br />

Die Verwendung des Begriffs ,Beschuldigter’ in Absatz 2 Satz 1, 4, 5<br />

zeigt, dass das Gesetz den Beschuldigten gerade nicht mit dem Täter gleichstellt.<br />

Absatz 2 Satz 1 trägt dem Umstand Rechnung, dass sich im Ermittlungsverfahren<br />

keine Maßnahmen gegen den ,Täter’ richten können. Die in<br />

Absatz 2 Satz 4 und 5 behandelten besonders sensitiven Maßnahmen der<br />

akustischen Wohnraumüberwachung setzen nach dem Willen des Gesetzgebers<br />

voraus, dass es bereits einen Beschuldigten gibt, um durch Anknüpfung<br />

an dessen individualisierte Person den Kreis der betroffenen Objekte –<br />

also der Wohnungen, in denen Maßnahmen zulässig sind – sachgerecht einzugrenzen.<br />

In Absatz 2 Satz 2 und 3 muss dagegen vom ,Täter’ die Rede sein, weil<br />

die dort behandelten weniger sensitiven Maßnahmen nach dem Willen des<br />

Gesetzgebers gegen Personen, die nicht Beschuldigte sind, auch dann möglich<br />

sein sollen, wenn es noch keinen individualisierten Verdächtigen oder<br />

Beschuldigten gibt, dieser vielmehr durch die Maßnahmen erst ermittelt werden<br />

soll.<br />

3. Für Maßnahmen nach § 111 StPO gilt das zu § 98a StPO Gesagte<br />

entsprechend. Für die Einrichtung von Kontrollstellen ist gerade typisch,<br />

dass sie häufig in unmittelbarem Anschluss an schwerwiegende Straftaten –<br />

etwa Überfälle auf Kreditinstitute – angeordnet wird und es in diesem frühen<br />

Verfahrensstadium weder einen Beschuldigten noch einen Verdächtigen<br />

gibt, sodass die Verwendung der Begriffe ,Verdächtiger’ und ,Beschuldigter’<br />

an Stelle des Begriffs ,Täter’ die Vorschrift im Ergebnis ihres Anwendungsbereiches<br />

berauben würde.<br />

4. Für § 163d StPO, der unter bestimmten Voraussetzungen die Speicherung<br />

von Daten erlaubt, gelten die Ausführungen zu § 98a StPO entsprechend.<br />

5. Die Verwendung des Begriffs ,Täter’ in § 163e Abs. 1 Satz 2 StPO<br />

dient – nicht anders als im Zusammenhang mit § 100c Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe<br />

b, Nr. 2, Nr. 3, Absatz 2 Satz 2, 3 und 5 StPO – der Beschreibung des<br />

Zwecks der Maßnahme (Erforschung des Sachverhalts oder Ermittlung des<br />

Aufenthaltsortes des Täters). Die Maßnahme darf sich nur gegen den<br />

Beschuldigten richten (sie kann sich gar nicht gegen einen unbekannten Täter<br />

richten). Für § 163e Abs. 1 Satz 3 StPO gilt wiederum, dass die Ausschreibung<br />

zur Beobachtung von Personen, die nicht Beschuldigte sind, nach dem<br />

Willen des Gesetzgebers auch dann möglich sein soll, wenn es noch keinen<br />

individualisierten Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, dieser vielmehr<br />

durch die Maßnahme erst ermittelt werden soll.<br />

Für gesetzgeberische Maßnahmen besteht nach allem kein Handlungsbedarf.“<br />

3 Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N.; ders., AnwBl 1987, 154, 155, 169 ff.<br />

m. w. N. (zum verfassungsrechtlichen Nachholbedarf im Ermittlungsverfahren).<br />

4 Eingabe vom 26.10.1999, Pet. 4-14-07-3120-013178.<br />

5 Stellungnahme des Ministerialdirektors Dr. H. Hilger vom BMJ vom<br />

18.1.2000, RB3-4100 II-R 2 624/1999.


AnwBl 3/2002 149<br />

Aufsätze l<br />

III. Einwände<br />

Hinsichtlich der Stellungnahme des Bundesministeriums<br />

der Justiz und des Ergebnisses des Petitionsausschusses des<br />

Deutschen Bundestages gab der Verfasser folgende Einwände<br />

6 zu bedenken:<br />

„1. Verwendung des Begriffs ,Täter’<br />

Der Auffassung, dass vom Gesetzgeber der Begriff des<br />

,Täters’ im Rahmen der Ermittlungen neutral verwandt und<br />

erst dann konkretisiert werde, wenn sich die Ermittlungen<br />

gegen eine bestimmte oder bestimmbare Person richten,<br />

kann unter Berücksichtigung aller rechtstheoretischen und<br />

praxisbezogenen Aspekte nicht gefolgt werden.<br />

Bei der strafprozessrechtsdogmatischen Diskussion um<br />

den ,Täter’-Begriff fällt auf, dass die Lehre 7 davon ausgeht,<br />

dass eine entsprechende Person in der Phase des Ermittlungsverfahrens<br />

(!) lediglich Tatverdächtiger bzw. Beschuldigter<br />

sein kann, nicht jedoch ,Täter’.<br />

Dies möchte ich an den strafprozessualen Eingriffsermächtigungen<br />

der §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e StPO<br />

verdeutlichen:<br />

1.1 § 98a StPO (Rasterfahndung)<br />

In § 98a Abs. 1 S. 2 StPO ist die Formulierung (,wenn<br />

... die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere<br />

Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich<br />

erschwert wäre’ – sog. Subsidiaritätsklausel) bedenklich;<br />

denn diese Regelung bezieht sich auf den<br />

Aufenthaltsort einer Person zur Zeit des Ermittlungsverfahrens,<br />

und in diesem Zeitpunkt ist noch niemand ,Täter’ 8 .<br />

Die Bestimmung hat hier die bedenkliche Folge, dass die<br />

Ermittlungsorgane denjenigen, dessen Aufenthaltsort sie ermitteln,<br />

bereits als ,Täter’ ansehen; sie werden vom Gesetz<br />

gewissermaßen dazu aufgefordert 9 .<br />

Unhaltbar erscheint die Begründung des Bundesjustizministeriums,<br />

dass Verdächtiger und Beschuldigter individuell<br />

bestimmte oder bestimmbare Personen sein müssten<br />

und deshalb diese Begriffe hier noch nicht verwendet werden<br />

könnten 10 . Wenn es in diesem Stadium nun noch keinen<br />

Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, kann es aber erst<br />

recht auch keinen ,Täter’ geben; Zweck der Regelung ist<br />

es, den Aufenthaltsort von Personen zu ermitteln, die als<br />

Täter in Frage kommen, also verdächtig sind 11 .<br />

Zu Ihrem Hinweis, dass der Begriff des Täters hier neutral<br />

verwandt und erst dann konkretisiert werde, wenn sich<br />

die Ermittlungen gegen bestimmte oder bestimmbare Personen<br />

richteten, ist einzuwenden, dass der Gegensatz von<br />

,neutral’ zu ,konkretisiert’ als unüblich bezeichnet wird 12 .<br />

Jemand, dessen Aufenthaltsort ermittelt werden soll, kann<br />

weder ,neutral’ noch ,nicht konkretisiert’sein 13 .<br />

1.2 § 100c StPO (Einsatz technischer Mittel)<br />

In § 100c Abs. 1 Nr. 1 -3 und Abs. 2 S. 2 StPO gilt für<br />

die Formulierung (,Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />

Täters’) das Gleiche. In § 100c Abs. 2 S. 3 StPO bezieht<br />

sich der Gesetzeswortlaut offensichtlich in erster Linie darauf,<br />

dass die Maßnahmen überhaupt ein Ergebnis haben,<br />

sodass auch hier zweckmäßigerweise und um der Einheitlichkeit<br />

der Ausdrucksweise willen besser von ,Verdächtigen’<br />

oder ,als Täter in Frage kommenden Personen’ gesprochen<br />

werden sollte 14 . Das gilt auch für § 100c Abs. 2 S. 5<br />

StPO.<br />

Besonders irreführend ist in § 100c StPO die gleichzeitige<br />

Verwendung des Wortes ,Beschuldigter’ (Ermittlung<br />

des Aufenthaltes des Täters in der Wohnung des Beschuldigten?)<br />

15 .<br />

1.3 § 111 StPO (Einrichtung von Kontrollstellen)<br />

Aufschlussreich zu § 111 Abs. 1 StPO sind die Erläuterungen<br />

des damaligen Bundesministers der Justiz 16 :<br />

,Zulässig ist die Einrichtung einer Kontrollstelle zu<br />

Zwecken strafprozessual-repressiver Verbrechensbekämpfung<br />

nur, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen,<br />

dass eine Straftat nach § 129a StGB, eine Katalogtat<br />

oder ein Raub mit Schusswaffen (§ 250 I 1 StGB) begangen<br />

worden ist, und wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen,<br />

dass diese Kontrollstelle zur Ergreifung von Tätern<br />

oder zur Auffindung von Beweismitteln führen kann. Diese<br />

zweite Voraussetzung bedeutet namentlich, dass hinreichende<br />

kriminalistische Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen,<br />

dass gerade am konkreten Ort und zur konkreten Zeit eine<br />

Kontrollstelle Fahndungserfolg verspricht.’<br />

Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages 17 hob<br />

hervor, dass die Einrichtung von Kontrollstellen zum Zwekke<br />

der Fahndung nach bestimmten Tätern erfolge.<br />

Bemerkenswert hierzu sind folgende Ausführungen, und<br />

zwar überwiegend aus der Praxis:<br />

Ausgangspunkt werde regelmäßig die Aussage des Geschädigten<br />

oder eines Zeugen über den Tathergang sein,<br />

wobei die Darstellung des objektiven Geschehensablaufs<br />

und die Sicherstellung von Beweismitteln Rückschlüsse auf<br />

Täter zulasse 18 . Danach könne angenommen werden, dass<br />

die Polizei sofort eine brauchbare Täterbeschreibung mit<br />

exakten Angaben über Fahrzeug, Typ, Farbe und Kennzeichen<br />

zur Fahndungs- und Ermittlungshilfe erhalte 19 . Fluchtrichtung<br />

und Fluchtgeschwindigkeit 20 seien regelmäßig<br />

bekannt. An den eingerichteten Kontrollstellen, die in<br />

räumlicher Nähe des Tatorts und in zeitlichem Zusammen-<br />

6 Einwände vom 4.3.2000, insbesondere unter Einbeziehung des Gutachtens<br />

von Prof. Dr. Dr. F.-C. Schroeder, Darf die StPO von „Tätern“ sprechen?<br />

NJW 2000, 2483 ff.<br />

7 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband l, 1992, § 111<br />

Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8; Bernsmann, NStZ 1989, 449 (459); Dencker, KJ<br />

1987, 36 (42); Hassemer, KJ 1992, 64 (69); ders., StV 1989, 72 (80); ders.,<br />

StV 1986, 550 (552 f.); Kargl, NStZ 2000, 8 (10); Marxen, Straftatsystem und<br />

Strafprozess, Habil.-Schrift 1984, S. 345; ders., GA 1980, 365 (379); Paeffgen,<br />

StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320); F.-C. Schroeder, Strafprozessrecht,<br />

2. Aufl. (1997), Rdnr. 368; ders., NJW 2000, 2483 ff. (hinzufügend:<br />

„Zielbeschreibungen und Anknüpfungen an den mutmaßlichen Täter sind<br />

auch in den Vorschriften über die Regelung des Ermittlungsverfahrens zulässig.<br />

... Eine Formulierung wie ,Das Strafverfahren dient dem Zweck, den Täter<br />

der Bestrafung zuzuführen’ wäre durchaus möglich.“); Zaczyk, StV 1993,490<br />

(491). Ebenso: Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N. (insbes. S. 316 Fn. 78),<br />

und Eingabe, S. 2 m. w. N.<br />

8 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

9 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

10 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

11 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

12 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

13 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

14 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

15 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

16 Vogel, NJW 1978, 1217 (1227). Siehe auch: Achenbach, JA 1981, 660, 664<br />

(zum konstitutiven Kontrollstellen-Einrichtungserfordernis der voraussichtlichen<br />

Erfolgseignung).<br />

17 BT-Drucks. 8/1482, S. 9 („Der Rechtsausschuss hat es übereinstimmend für<br />

erforderlich erachtet, die Zulässigkeit der Einrichtung von Kontrollstellen zum<br />

Zwecke der Fahndung nach bestimmten Straftätern auf eine sichere Rechtsgrundlage<br />

zu stellen.)<br />

18 Vgl. Benfer, Die Polizei 1978, 282 (284).<br />

19 Vgl. Steinke, NJW 1978, 1962 (1963).<br />

20 Gintzel, Die Polizei 1979, 1 (3); Kuhlmann, DRiZ 1978, 238 (239).


150<br />

l<br />

hang mit der Straftat stünden 21 , werde nach bestimmten<br />

Straftätern gefahndet 22 , wobei potentielle Tatverdächtige<br />

überprüft würden 23 .<br />

Somit ist auf Grund bestimmter Tatsachen, polizeilicher<br />

Feststellungen und kriminalistischer Anhaltspunkte davon<br />

auszugehen, dass sich die Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen<br />

gegen bestimmte Personen richten.<br />

In § 111 Abs. 1 StPO bezieht sich der Gesetzeswortlaut<br />

vornehmlich auf den Erfolg der Maßnahme, nämlich die<br />

Ergreifung von Personen, die als ,Täter’ in Frage kommen,<br />

mithin Verdächtige sind 24 .<br />

Wenn das Bundesjustizministerium ausführt, dass die<br />

Verwendung des Begriffs ,Verdächtiger’ die Vorschrift ihres<br />

Anwendungsbereichs berauben würde, so erscheint dies<br />

unverständlich; wörtlich genommen besitzt die Vorschrift<br />

gerade in ihrer geltenden Fassung keinen Anwendungsbereich,<br />

da in diesem Stadium und auch bei der Ergreifung<br />

noch kein ,Täter’ feststeht 25 .<br />

1.4 § 163d StPO (Schleppnetzfahndung)<br />

Für § 163d Abs. 1 StPO (Zulässigkeit der Speicherung<br />

von Daten über ,Umstände, die ... für die Ergreifung des<br />

Täters von Bedeutung sein können, wenn Tatsachen die<br />

Annahme rechtfertigen, dass die Auswertung der Daten zur<br />

Ergreifung des Täters ... führen kann.’) gelten diese Ausführungen<br />

entsprechend 26 .<br />

1.5 § 163e StPO (Ausschreibung zur polizeilichen<br />

Beobachtung)<br />

§ 163e Abs. 1 S. 2, 3 StPO (Zulässigkeit der Ausschreibung<br />

zur polizeilichen Beobachtung, ,wenn ... die Ermittlung<br />

des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich<br />

weniger Erfolg versprechend oder wesentlich<br />

erschwert wäre.’) verstößt eindeutig gegen die Unschuldsvermutung,<br />

da in diesem Zeitpunkt noch kein ,Täter’ feststeht,<br />

dessen Aufenthaltsort ermittelt werden könnte27 .<br />

2. Unschuldsvermutung<br />

Die Unschuldsvermutung ist Bestandteil der verfassungsrechtlichen<br />

Prinzipien der Unantastbarkeit der Menschenwürde<br />

und der Rechtsstaatlichkeit, sie gehört zu den<br />

allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Diese Maxime eines<br />

rechtsstaatlichen Strafverfahrens gilt vom Beginn der Ermittlungen<br />

an bzw. mit Entstehen des Tatverdachts 28 .<br />

Da die Verhinderung außerjustizieller Schuldzuschreibungen<br />

zu den originären Aufgaben der Unschuldsvermutung<br />

gehört, darf niemand außerhalb des prozessordnungsgemäßen<br />

Verfahrens oder vor seinem rechtskräftigen<br />

Abschluss als Straftäter bezeichnet werden. Erst die rechtskräftige<br />

Verurteilung stellt eine feste Beziehung zwischen<br />

Tat und Täter her.<br />

Niemand ist berechtigt – auch nicht der Bundesgesetzgeber<br />

–, einen (lediglich) Tatverdächtigen als (bereits überführten<br />

und schuldig gesprochenen Straf-) ,Täter’ zu bezeichnen<br />

29 .<br />

Insbesondere beim juristisch nicht vorgebildeten Staatsbürger<br />

wird der Eindruck vermittelt, dass es sich bei dem<br />

als ,Täter’ bezeichneten bzw. gekennzeichneten Menschen<br />

um den überführten und verurteilten Straftäter handelt, womit<br />

der Tatverdächtige (vor-)verurteilt, sozial angeprangert<br />

und stigmatisiert wird.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

Im Hinblick auf die Reichweite der interdisziplinär ernst<br />

genommenen Unschuldsvermutung sind die Ausführungen<br />

des Bundesverfassungsgerichts30 von besonderer Bedeutung:<br />

,Dem Täter müssen deshalb Tat und Schuld nachgewiesen<br />

werden. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld<br />

wird seine Unschuld vermutet.’<br />

Somit beeinträchtigt(e) meines Erachtens die Verwendung<br />

des Begriffs ,Täter’ durch den Bundesgesetzgeber in<br />

– §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e, 163f 31 StPO<br />

– Art. 4 des ,Artikelgesetzes’ – Kronzeugenregelung (§1) 32<br />

– § 4 BKA-Gesetz 33<br />

den Grundsatz der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6<br />

Abs. 2 MRK.<br />

3. Gebot rechtsstaatlicher Präzision des Bundesgesetzgebers<br />

Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der<br />

Unschuldsvermutung und das Gebot rechtsstaatlicher Prä-<br />

21 Löwe-Rosenberg/Schäfer, 24. Aufl. (1988), § 111 Rdnr. 11 f.<br />

22 Benfer, Die Polizei 1978, 282; K. Meyer, BKA-Vortragsreihe, Band 25 (1980),<br />

S. 147 (148).<br />

23 Sangenstedt, StV 1985, 117 (119).<br />

24 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

25 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

26 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

27 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />

28 Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N. Vgl. Remmers, Die Entwicklung der<br />

Gesetzgebung zur Geldwäsche, 1998, zugl. Diss. Göttingen 1997, S. 100<br />

(„Folglich gilt die Unschuldsvermutung bereits im Ermittlungsverfahren. Zeitlich<br />

betrachtet durchzieht sie das gesamte Verfahren nach der Strafprozessordnung<br />

– von der Kenntnis eines Anfangsverdachts bis zur rechtskräftigen Verurteilung.“)<br />

29 Vgl. Paeffgen, StV 1999, 625 m. w. N. („Der Richter weiß es noch nicht –<br />

aber der Gesetzgeber weiß es schon.“); Diercks, AnwBl 1999, 311 ff.<br />

m. w. N.<br />

30 BVerfGE 82, 106 (114 m. w. N.). Vgl.: A. Arndt, NJW 1966, 869 ff.; Gropp,<br />

JZ 1991, 804 ff.; Kühl, NJW 1988, 3233 ff.; Lisken, NVwZ 1998, 22 (23 ff.);<br />

Marxen, GA 1980, 365 ff.; Paeffgen, ZRP 1999, 524 (525 f.); ders., Vorüberlegungen<br />

zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, Habil.-Schrift<br />

1986, S. 42 ff.; C. Roxin, NStZ 1991, 153 (156). In § 153 StPO macht das<br />

Wort „wäre“ deutlich, dass die Schuld des Täters nicht festgestellt wird – oder<br />

zumindest: nicht festgestellt zu werden braucht –, sondern für die Prüfung der<br />

Geringfügigkeit hypothetisch anzunehmen ist (so: Kühl, Unschuldsvermutung,<br />

Freispruch und Einstellung, Habil.-Schrift 1983, S. 109, hinzufügend: „Konsequenterweise<br />

hätte bei dieser Neuformulierung auch der ,Täter’ durch den<br />

,möglichen Täter’ oder noch besser durch den ,Beschuldigten’ ersetzt werden<br />

sollen...“). Zur hypothetischen, keine Schuldfeststellung implizierenden Formulierung<br />

des § 153 StPO, vgl.: Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (557 f.);<br />

Rieß, wistra 1997, 137 (139); BT-Drucks. 7/550, S. 298.<br />

31 BT-Drucks. 14/1484 vom 16.8.1999, Gesetzentwurf der Bundesregierung zum<br />

StVÄG 1999, zu Artikel 1 Nr. 10, S. 6 f.; § 163 f Abs. 1 S. 2, 3 StPO: Die längerfristige<br />

Observation „darf nur angeordnet werden, wenn... die Ermittlung<br />

des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg<br />

versprechend oder wesentlich erschwert wäre. Gegen andere Personen ist die<br />

Maßnahme zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist,<br />

dass sie mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt<br />

wird, dass die Maßnahme zur... Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />

Täters führen wird. ...“ Der Anregung des Bundesrates, den Begriff des „Täters“<br />

aus Gründen einer redaktionellen Angleichung durch den des „Beschuldigten“<br />

zu ersetzen (S. 40), hat die Bundesregierung widersprochen (S. 47):<br />

„Die Verwendung des Begriffes des ,Beschuldigten’ – wie vom Bundesrat vorgeschlagen<br />

– ist nicht sachgerecht, da ,Täter’ im Sinne der Vorschrift nicht<br />

nur der ,Beschuldigte’ im Sinne des formellen Beschuldigtenbegriffes der<br />

Strafprozessordnung ist ...“<br />

32 BT-Drucks. 11/2834, S. 13. Die Kronzeugenregelung – die Ende 1999 endgültig<br />

ausgelaufen ist – wurde aus verfassungsrechtlichen, prozessrechtlichen,<br />

straftheoretischen, rechtsethischen und pragmatischen Gründen kritisiert:<br />

Bernsmann, NStZ 1989, 449 (456 ff.); ders., JZ 1988, 539 ff.; Dencker, KJ<br />

1987, 36 (41 ff.); Denny, ZStW 103 (1991), S. 269 ff.; Fezer, Lenckner-FS<br />

(1998), S. 681 (697); Hassemer, StV 1989,72 (79 f.); ders., StV 1986, 550<br />

(553 m. w. N.); Hoyer, JZ 1994,233 ff.; Jung, ZRP 1986, 38 ff.; dies., Straffreiheit<br />

für den Kronzeugen? 1974, S. 100 ff.; KK-Pfeiffer, 4. Aufl. (1999),<br />

Einl. Rdnr. 32b; Lammer, ZRP 1989,248 ff.; Lisken, NJW 1995,1873 (1875);<br />

Middendorff, ZStW 85 (1973), S. 1102 ff.; Paeffgen, StV 1999, 625 Fn. 6;<br />

Weigend, Jescheck-FS (1985), S. 1333 ff.<br />

33 BT-Drucks. 13/1550, S. 6 (㤠4 [Strafverfolgung] Das Bundeskriminalamt<br />

nimmt polizeiliche Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung wahr in den<br />

Fällen von Straftaten [...], wenn anzunehmen ist, dass der Täter aus politischen<br />

Motiven gehandelt hat und die Tat bundes- oder außenpolitische Belange berührt“).


AnwBl 3/2002 151<br />

Aufsätze l<br />

zision kann vom Bundesgesetzgeber – insbesondere bei<br />

Eingriffsmaßnahmen – eine sachgerechte 34 , eindeutige 35<br />

und jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung<br />

vermeidende 36 Gesetzessprache erwartet werden.<br />

Auch aus Gründen der Rechtsklarheit ist gesetzgeberische<br />

Perfektion gefordert.<br />

Im Interesse der Rechts- 37 und modernen Polizeikultur<br />

sollte der meines Erachtens vom Bundesgesetzgeber im Ermittlungsverfahren<br />

verfassungs- und konventionswidrig 38<br />

verwendete Begriff ,Täter’ verfassungskonform geändert<br />

werden 39 .<br />

Für gesetzgeberische Maßnahmen dürfte somit dringender<br />

Handlungsbedarf bestehen.<br />

Deshalb möchte ich Sie bitten, Ihre Bewertung der<br />

Sach- und Rechtslage zu überdenken. Sollten Sie zu der<br />

Auffassung gelangen, dass mein Anliegen begründet und<br />

Abhilfe notwendig ist, bitte ich Sie, der Bundesregierung<br />

eine entsprechende Gesetzesnovellierung zu empfehlen.“<br />

IV. Entscheidung des Deutschen Bundestages<br />

Nach einer ergänzenden Prüfung 40 leitete der Petitionsausschuss<br />

des Deutschen Bundestages die Eingabe den als<br />

Berichterstatter eingesetzten Abgeordneten zu 41 . Der Deutsche<br />

Bundestag 42 folgte der nachstehend aufgeführten Beschluss-Empfehlung<br />

des Petitionsausschusses:<br />

„Das Petitionsverfahren abzuschließen.<br />

Der Petent macht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verwendung<br />

des Begriffs ,Täter’ in den §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e Strafprozessordnung<br />

(StPO) geltend.<br />

Er trägt vor, der Begriff ,Täter’ im Ermittlungsverfahren begegne Bedenken<br />

im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung<br />

und des Gebots rechtsstaatlicher Präzision zur begrifflichen Klarstellung<br />

im prozessualen Sprachgebrauch. Es handele sich im Ermittlungsverfahren<br />

nicht um ,Täter’, sondern um ,Verdächtige’ oder ,Beschuldigte’.<br />

Trotz verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Einwände und Bedenken<br />

aus Wissenschaft und Praxis sei die normative begriffliche Klarstellung im<br />

prozessualen Sprachgebrauch bisher nicht vorgenommen worden.<br />

Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuschriften des Petenten, insbesondere<br />

den von ihm verfassten Aufsatz Bezug genommen.<br />

Die parlamentarische Prüfung durch den Petitionsausschuss kommt unter<br />

Einbeziehung einer Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz<br />

(BMJ), die dem Petenten bekannt ist, sowie einer ergänzenden Stellungnahme<br />

zu folgendem Ergebnis:<br />

Festzuhalten ist, dass die geltende Begriffsverwendung die Rechtsposition<br />

des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Der Gesetzgeber hat die Begriffe<br />

des ,Täters’ und des ,Beschuldigten’ in jeweils anderen systematischen Regelungszusammenhängen<br />

verwendet. Der Begriff des ,Täters’ wird verwendet,<br />

wenn ein Beschuldigter oder Verdächtiger noch nicht feststeht. Der Begriff<br />

des ,Beschuldigten’ wird hingegen unter der Voraussetzung verwendet,<br />

dass es sich um eine konkret individualisierte Person handelt. Wegen weiterer<br />

Einzelheiten wird auf die dem Petenden vorliegende Stellungnahme des<br />

BMJ Bezug genommen. Der Ausschuss sieht danach keine Veranlassung,<br />

das Anliegen zu unterstützen.<br />

Der Ausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschliessen.“<br />

V. Schlussbetrachtung<br />

Dass der Gesetzgeber gewichtige verfassungsrechtliche<br />

und rechtspolitische Bedenken 43 aus Wissenschaft und Praxis<br />

ignoriert und seiner legislatorischen Verantwortung 44<br />

34 Paeffgen, JR 1999, 89, 96 (zum Anspruch der Juristen, Sprache sachgerecht<br />

zu verwenden).<br />

35 Vgl. BVerfGE 82, 106, 122, 124, Abw. M. Mahrenholz („Die Unschuldsvermutung<br />

verbietet jede Zweideutigkeit ...“).<br />

36 Siehe BVerfGE 82, 106, 117 („Unabhängig davon sollten die Gerichte im Hinblick<br />

auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung darauf<br />

Bedacht nehmen, nur solche Formulierungen zu verwenden, die von vornherein<br />

jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeiden...“). Kühl,<br />

NJW 1984,1264 (1267), hebt unter Berufung auf zwei EGMR-Entscheidungen<br />

hervor, dass sogar Begründungen von Einstellungsentscheidungen oder damit<br />

verbundenen Kostenentscheidungen, die „den Eindruck erwecken“ (Fall Adolf,<br />

EuGRZ 1982, 297, 302 Ziff. 38) bzw. „den Gedanken aufkommen“ (Fall<br />

Minelli, EuGRZ 1983, 475, 479 Ziff. 37) lassen, der Beschuldigte sei vom<br />

Gericht für schuldig betrachtet worden, die Unschuldsvermutung gemäß Art.<br />

6 Abs. 2 MRK verletzen.<br />

37 C. Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. (1998), § 2 Rdnr. 1. Siehe auch:<br />

A. Arndt, Gesammelte juristische Schriften, 1976; R. Schmid, Einwände,<br />

1965; ders., Das Unbehaben an der Justiz, 1975; ders., Letzter Unwille, 1984.<br />

38 Vogler, Int. Kommentar zur EMRK, 1986, Art. 6 Rdnr. 442.<br />

39 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband 1, 1992, § 111<br />

Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8 („des als Täter Verdächtigen bzw. Beschuldigten“);<br />

Diercks, AnwBl 1999, 311, 315 m. w. N. („Verdächtiger bzw. Beschuldigter“);<br />

Grünwald, StV 1987, 453, 456 („potentiellen Straftäter“); von Hindte, Die<br />

Verdachtsgrade im Strafverfahren, Diss. Kiel 1973, S. 37, 74, 94 („möglicher<br />

Täter“); Krauß/Werkentin. KJ 1978, 306, 309 („mutmaßlichen Straftätern“);<br />

Rohe, Verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln zur Bekämpfung<br />

der Organisierten Kriminalität, Diss. Frankfurt (Main) 1997, S. 135<br />

(„potentielle Straftäter“); Schaefer, NJW 1998, 3178 („mutmaßlicher Täter“);<br />

F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff. („Verdächtige“ und „die als Täter in<br />

Frage kommende Person“); Stein, Grünwald-FS (1999), S. 685, 708 („möglicher<br />

Täter“). Bedenklich erscheint jedoch die Begründung des BGH (Beschl.<br />

v. 12.1.2000, Az. StB 15/99 – s. a. Pressemitteilung des BGH, Nr. 1/2000), der<br />

bei der Haftprüfung den vom LG Neubrandenburg ergangenen Haftbefehl in<br />

dem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mittäterschaftlichen Beteiligung<br />

u. a. am versuchten Mord gegen den Beschwerdeführer bestätigte<br />

(S. 5): „Die Verbindung des Beschwerdeführers und seiner Mittäter zu den<br />

örtlichen rechtsextremistischen Gruppen und die Begleitumstände der ihnen<br />

vorgeworfenen Tat stellen ausreichende Anhaltspunkte dafür dar, dass den Tätern<br />

die auf der Hand liegenden Auswirkungen der Straftat nicht nur bewusst<br />

waren, sondern von ihnen gewollt worden sind.“<br />

40 Schreiben des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 10.3.2000.<br />

41 Mitteilung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.5.2000.<br />

42 BT-Drucks. 14/4283, S. 7 Nr. 37; Bescheid des Petitionsausschusses des Deutschen<br />

Bundestages vom 26.10.2000.<br />

43 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband 1, 1992, § 111<br />

Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8; Bernsmann, NStZ 1989, 449 (459); Bernsmann/Jansen,<br />

StV 1998, 217; Binder, Rechtsprobleme des Einsatzes technischer Mittel<br />

gem. §§ 100c, d StPO und des Lauschangriffs, Diss. Bonn 1996, S. 22 f.;<br />

Dencker, KJ 1987, 36 (42); Diercks, AnwBl 1999, 311 (316 Fn. 77 ff.<br />

m. w. N.); Hassemer, KJ 1992, 64 (69); ders., StV 1989, 72 (80); ders., StV<br />

1986, 550 (552 f.); Hund, ZRP 1995, 334 (336); König, Kriminalistik 1998,<br />

349 (351); Lagodny, 20. Strafverteidigertag, 1996, S. 117 (127); Lisken, in:<br />

Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. (2001), S. 925, Fn.<br />

37; Nitz, Einsatzbedingte Straftaten Verdeckter Ermittler. Eine Untersuchung<br />

polizeitaktischer Ermittlungsmethoden bei der Strafverfolgung, Diss. Hannover<br />

1997, S. 121 f.; Paeffgen, StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320);<br />

Raum/Palm, JZ 1994, 447 (452 Fn. 45); Rieß, StraFo 1999, 1 (9); KK-Schoreit,<br />

§ 163e Rdnr. 16; F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff., ders., Strafprozessrecht,<br />

2. Aufl. (1997), Rdnr. 368; Zaczyk, StV 1993, 490 (491).<br />

44 Vgl.: Mahrenholz, DRiZ 1991, 432, 435 (regt hierzu an: „Was notwendig<br />

wäre, ist ein Feedbeck zu kleinen Gruppen von in der speziellen Materie<br />

erfahrenen Richtern, die (...) darauf hinweisen könnten, wo systematische<br />

Zusammenhänge mit anderen Vorschriften übersehen wurden, wo – in erster<br />

Linie im Verfahrensrecht – notwendige Ergänzungen vorzunehmen sind oder<br />

Bestimmungen der Klarheit entbehren und die praktische Handhabung mit<br />

unnötigen Auslegungsdifferenzen zwischen den Gerichten belasten.“); Guradze,<br />

Loewenstein-FS (1971), S. 151, 163 (plädiert für Reformen, „um der<br />

Unschuldsvermutung besser Rechnung zu tragen.“); Hoefermann, Die Auslagenerstattung<br />

beim Freispruch mangels Beweises und die Menschenrechtskonvention,<br />

Diss. Münster 1966, S. 112 f., 116 (fordert vom Gesetzgeber eine<br />

rechtspolitische Entscheidung, die Unschuldsvermutung konsequent anzuwenden.);<br />

Kerscher, DRiZ 1983, 439, 442 (weist auf die „Prangerwirkung von<br />

Gerichtsberichten“ und auf „rechts- und kulturhistorisch begründete Defizite<br />

der Legislative“ hin.); Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 133, 136; Liemersdorf/Miebach,<br />

NJW 1980, 371, 374 („Von Bedeutung ist, dass der Grundsatz<br />

der Unschuldsvermutung dem Gesetzgeber aufgibt, die Stellung des<br />

Beschuldigten bis zur Rechtskraft des Urteils, durch das die Unschuldsvermutung<br />

widerlegt wird, unter dem Gesichtspunkt zu gestalten, dass sich dessen<br />

Unschuld in jeder Lage des Prozesses noch herausstellen kann.“); E. Müller,<br />

Koch-Festgabe (1989), S. 191, 193 („Der Gesetzgeber ist jedenfalls gehalten,<br />

dem Beschuldigten wie einem unschuldig Betroffenen die aktive Teilnahme<br />

im Ermittlungsverfahren zu ermöglichen.“); Peukert, EuGRZ 1980, 247, 260<br />

(zu „spektakulären Straffällen“, bei denen „der Beschuldigte oder Angeklagte<br />

schon vor rechtskräftiger Verurteilung von einer reißerischen Presse als Täter<br />

gebrandmarkt“ wird: „Es ist auch den Betroffenen aus finanziellen und persönlichen<br />

Gründen meist nicht möglich, derartige Veröffentlichungen durch<br />

zivilrechtliche Maßnahmen (einstweilige Verfügung, Unterlassungsklage) zu<br />

stoppen. Deshalb rechtfertigt es sich m. E., aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung<br />

ein Gebot gegenüber dem Staat abzuleiten, durch positive (gesetzgeberische)<br />

Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Presse bei der<br />

Berichterstattung über anhängige Strafverfahren sich in den Grenzen der gebotenen<br />

Sachlichkeit hält.“); Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

und die deutsche Rechtsprechung, 1993, Diss. Berlin 1991, S. 134,<br />

244 („Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, das nationale Recht der EMRK anzupassen.<br />

(...) Es besteht eine Vermutung dafür, dass sich der Gesetzgeber mit<br />

seinen Regelungen nicht in Widerspruch zur EMRK setzen will.“); BGHZ 45,<br />

46, 51, 54 („Auch die deutschen gesetzgebenden Organe sind davon ausgegangen,<br />

dass die Menschenrechtskonvention unmittelbare Ansprüche schafft<br />

und dass sie das deutsche Recht sogleich entsprechend ergänzt oder abändert.<br />

(...) In Art. 1 haben die Vertragsschließenden die Rechte und Freiheiten der<br />

Konvention ,allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen’ zugesichert.<br />

Das bedeutet nach Auffassung des Senats, dass die Bundesregierung dafür<br />

einstehen will, dass alle ihrem Einfluss unterstehenden Organe, Amtsträger<br />

und Bedienstete (...) sich bei ihren hoheitlichen Betätigungen an die<br />

Vorschriften und Forderungen der Konvention halten werden.“).


152<br />

l<br />

nicht nachkommt, deutet darauf hin, dass er den Grundsatz<br />

der Unschuldsvermutung als Konventionsgarantie auch<br />

48 Jahre (!) nach dessen Inkrafttreten nicht ernst (genug)<br />

nimmt 45 .<br />

Der leichtfertige Umgang des Gesetzgebers mit der<br />

Sprache – wo Sensibilität 46 , rechtsstaatliche Präzision 47 , gesetzgeberische<br />

Perfektion und eine sachgerechte, jeden Anschein<br />

einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeidende<br />

Gesetzessprache erwartet werden kann – lässt auf mangelndes<br />

Problembewusstsein 48 hinsichtlich der Verwendung des<br />

verfassungsrechtlich anstößigen Begriffs „Täter“ im Ermittlungsverfahren<br />

schließen. Denn mit der in Art. 6 Abs. 2<br />

MRK spezialgesetzlich normierten Unschuldsvermutung<br />

als allgemeine Rechtsvermutung – die nur durch eine<br />

rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung 49 widerlegt werden<br />

kann, im Übrigen aber nicht auf den Strafprozess beschränkt<br />

ist, sondern interdisziplinär ernst genommen für<br />

das gesamte Rechtsleben Gültigkeit 50 beansprucht – verbindet<br />

sich wie mit kaum einer anderen Maxime 51 unseres Verfahrensrechts<br />

der Gedanke besonderer rechtsstaatlicher<br />

Fairness 52 .<br />

In Deutschland hat die Unschuldsvermutung als Bestandteil<br />

der verfassungsrechtlichen Prinzipien der Unantastbarkeit<br />

der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der<br />

Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz<br />

1 GG) nicht nur Verfassungsrang 53 erlangt, sondern ist zugleich<br />

eigenständiges Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />

(Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) 54 und be-<br />

45 Vgl.: Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 124; ders., NStZ 1981, 114<br />

(115); ders., NJW 1980, 806, 810 (rät, „nach Erschöpfung des innerstaatlichen<br />

Rechtswegs eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für<br />

Menschenrechte in Strassburg einzulegen. Wie verschiedene Verfahren zeigen,<br />

wird dort die Unschuldsvermutung des Art. 6 II MRK ernster genommen.“);<br />

A. Arndt, NJW 1960, 1191 (1192); Mauz, in: Unschuldsvermutung in der<br />

Mediengesellschaft, 1990, S. 44 (behauptet, man stehe „am Sarg der<br />

Unschuldsvermutung.“); Y. Braun, Medienberichterstattung über Strafverfahren<br />

im deutschen und englischen Recht, Diss. Gießen 1997, S. 105 f.; Dencker,<br />

JZ 1973, 144, 150 (ist der Auffassung, dass „die Unschuldsvermutung<br />

jedoch möglicherweise nicht ernst genug genommen“ werde und dass „hinsichtlich<br />

der Unschuldsvermutung die Sprache (...) entlarvend“ sei.); Lamprecht,<br />

DRiZ 1989, 32; Simon, Die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3<br />

EMRK, Diss. Tübingen 1998, S. 2, 224 m. w. N. („Das Potential, das in den<br />

Garantien der Konvention enthalten ist, wurde nicht nur bei der Überprüfung<br />

der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Inhalten der EMRK durch<br />

die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften vor der Ratifizierung<br />

der Konvention verkannt. Bis heute werden die Konventionsgarantien<br />

immer wieder unterschätzt und bedarf es Verurteilungen durch die Straßburger<br />

Organe, um die ,Überheblichkeit’ deutscher Gerichte und anderer Organe im<br />

Hinblick auf den so oft nur lapidar erwähnten weit reichenden Standard des<br />

nationalen Rechts aufzuzeigen. (...) zeigt sich die fortbestehende Unkenntnis<br />

und Unterschätzung von Konventionsgarantien...“); Stenger, Gegebener und<br />

gebotener Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die<br />

Rechtsprechung der bundesdeutschen Strafgerichte, Diss. Gießen 1990, S.<br />

134, 339, 348 ff., 399 (zur mangelnden Akzeptanz der Unschuldsvermutung<br />

durch die Gerichtsbarkeit der BRD); Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761 (786).<br />

46 BVerfGE 82, 106, 122, <strong>125</strong> f., Abw. M. Mahrenholz (zur „Sensibilität in<br />

der Handhabung des Maßstabs der Unschuldsvermutung“); Marxen, GA 1980,<br />

365 (373); ders. Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />

(Fn. 2), S. 54, 77 (Die Unschuldsvermutung gebiete größtmögliche Zurückhaltung<br />

und gesteigerte Sorgfalt bei allen Eingriffen in die Rechtssphäre des Verdächtigen<br />

bzw. Beschuldigten.); ders., NJ 1996, 455 (zu den „Sorgfaltsanforderungen<br />

an den Gesetzgeber“); Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, Diss.<br />

Saarbrücken 1999, S. 255 („Die Unschuldsvermutung enthält ein verpflichtendes<br />

Rücksichtnahmegebot dergestalt, dass niemand berechtigt ist, einer (noch)<br />

nicht verurteilten, lediglich beschuldigten Person eine strafbare Handlung zuzuschreiben,<br />

indem diese als (schuldiger) Straftäter bezeichnet wird.“); Artzt,<br />

Die verfahrensrechtliche Bedeutung polizeilicher Vorfeldermittlungen, Diss.<br />

Tübingen 1999, S. 138 („Kernaussage dieses Prinzips ist das Verbot, jemanden<br />

außerhalb des Verfahrens oder vor seinem Abschluß als Straftäter zu bezeichnen<br />

oder zu behandeln.“); Hantschel, Jura 2001, 472, 474 Fn. 36 (Im Hinblick<br />

auf Art. 6 II EMRK dürfte die Polizei einen Verdächtigen im Ermittlungsverfahren<br />

nicht als Täter bezeichnen); Weigend, ZStW 113 (2001), S. 271,<br />

279 ff., 291 ff. (zur fundamentalen Unschuldsvermutung als etwas „Unverzichtbares<br />

im Strafverfahrensrecht“).<br />

47 F.-C. Schroeder, Zipf-Gedächnisschrift (1999), S. 153 (zur sprachlichen Formulierung<br />

von Strafvorschriften); ders., Peters-FS (1974), S. 411,418 (zur<br />

„Präzisierung im Gesetzeswortlaut“); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 414 f.<br />

(hebt hervor, dass die Garantien der MRK häufiger präziser formuliert seien<br />

als die im nationalen Recht auch vorhandenen Garantien.); Marxen, Schneider-FS<br />

(1998), S. 297, 302 (zur erforderlichen „begrifflichen Festlegung“ bei<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

der Gesetzgebung); Schwander, ZStR 98 (1981), S. 213, 225 (hebt hervor,<br />

dass „bundesrechtlich eine klare Regelung in Verfassung oder Gesetz erwünscht“<br />

sei.); Westerdiek, EuGRZ 1987, 393 f., 397 (zur erforderlichen<br />

unzweideutigen und unverkennbaren Sprache von Gerichtsentscheidungen zur<br />

Unschuldsvermutung); EGMR, EuGRZ 1987, 399, 404, Abw. M. Cremona<br />

(„ ... und bei einem so fundamentalen Prinzip wie der Unschuldsvermutung ist<br />

nicht die mögliche Absicht maßgeblich, mit der bestimmte Äußerungen in<br />

Gerichtsentscheidungen gemacht werden, sondern deren tatsächliche Bedeutung<br />

in der breiten Öffentlichkeit. Entscheidend ist, dass am Ende des Tages<br />

der Eindruck bleibt, dass der Bf. tatsächlich schuldig war.“).<br />

48 Vgl.: F.-C. Schroeder, Peters-FS (1974), S. 411, 421 (allgemein zur Verkennung<br />

der Problematik durch den Gesetzgeber); Kühl, Unschuldsvermutung<br />

(Fn. 30), S. 133 (allgemein zur Verkennung des Schutzbereiches der Unschuldsvermutung<br />

durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts);<br />

ders., NStZ 1981, 114, 115 (zum Kernbestand der Unschuldsvermutung); Simon,<br />

Die Beschuldigtenrechte (Fn. 45), S. 227 (macht Anregungen, „um ein<br />

allgemeines Bewusstsein von der gesetzlichen Geltung und dem sachlichen<br />

Gehalt der EMRK in der Bundesrepublik hervorzurufen.“).<br />

49 BVerfGE 35, 202 (232); 74, 358 (371); Y. Braun, Medienberichterstattung<br />

(Fn. 45), S. 106; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6. Aufl. (1999),<br />

Rdnr. 1; Gerhardt/Steffen, Kleiner Knigge des Presserechts, 2. Aufl. (1997),<br />

S. 48; lonescu, in: Dölling/Gössel/Waltos, Kriminalberichterstattung in der<br />

Tagespresse. Rechtliche und kriminologische Probleme, 1998, S. 45 (64);<br />

Kreuzer, GA 1968, 236 (242); Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (251); ders.,<br />

NJW 1980, 806 (809); ders., JR 1978, 94 (96 ff.); Liemersdorf/Miebach,<br />

NJW 1980, 371 (374); Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein, Entwicklung<br />

der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarates, 1987, S. 73 (76);<br />

Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 51; ders., DRiZ 1998, 317 (318); ders.,<br />

Haftgründe, Haftdauer und Haftprüfung, in: Viertes deutsch-polnisches Kolloquium<br />

über Strafrecht und Kriminologie, 1992, S. 131 Fn. 85; Peukert,<br />

EuGRZ 1980, 247 (259); Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung,<br />

1998, Diss. Bonn 1997, S. 85; ders., ZStW 111 (1999), S. 422 (445).<br />

50 Marxen, GA 1980, 365, 373 (zur Unschuldsvermutung als ein „übergreifendes,<br />

für die neuzeitliche Form gesellschaftlichen Zusammenlebens konstitutives<br />

Rechtsprinzip“); ders. Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />

(Fn. 2), S. 42 ff.; Köster, Die Rechtsvermutung der Unschuld, Diss. Bonn<br />

1979, S. 144 ff., 173 ff; Schulz, Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im<br />

Strafverfahren, 2001, Habil.-Schrift 1997, S. 486 m. w. N.<br />

51 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 („Der Rechtsgehalt dieses als Gesetz geltenden<br />

Völkerrechts ist mehr als eine Wiederholung des in dubio pro reo.“);<br />

ders., NJW 1966, 869 (870 f.); Dahs, NJW 1976, 2145 (2146); Dreher, Welzel-FS<br />

(1974), S. 931 ff.; Geppert, Jura 1993, 160 (161); Gropp, JZ 1991, 804<br />

(hebt hervor, dass „die Unschuldsvermutung heute zu den weltweit anerkannten<br />

Rechtsprinzipien“ zähle.); Hirsch, ZStW 92 (1980), S. 218 (233); BVerfG,<br />

NJW 1978, 936 f., Abw. M. Hirsch (zur „grundsätzlichen Entschädigungspflicht,<br />

die sich aus der Unschuldsvermutung nach der Menschenrechtskonvention<br />

ergibt.“); Kohlhaas, NJW 1963, 477 (zur Unschuldsvermutung als<br />

„Grundpfeiler eines geordneten Rechtsstaats“); Kühl, JR 1978, 94 (zum strafprozessualen<br />

Grundsatz der Unschuldsvermutung mit herausragender Bedeutung<br />

für das Strafprozessrecht); ders., NJW 1980, 806, 807 (betont „die für<br />

die Gestaltung des Strafverfahrens bedeutsame Unschuldsvermutung.“); Limbach,<br />

EuGRZ 2000, 417 (418); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277, 299<br />

(zum „Prinzip der Unschuldsvermutung als Schranke der Kommunikationsfreiheiten“);<br />

Soehring, Vorverurteilung durch die Presse. Der publizistische<br />

Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, Diss. Hamburg 1999, S. 27 (zur Unschuldsvermutung<br />

als eine der wesentlichen strafverfahrensrechtlichen Maximen);<br />

Trechsel, Ermacora-FS (1988), S. 195 (206 f.); Uerpmann, Die Europäische<br />

Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 52 (zur Bedeutung des<br />

Rückgriffs auf die völkerrechtliche Norm der Unschuldsvermutung zur Konkretisierung<br />

des nationalen Rechts); Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761, 785 (zur<br />

Unschuldsvermutung als „fundamentales Element eines rechtsstaatlichen Verfahrens“);<br />

Zaczyk, StV 1993, 490 (492).<br />

52 Geppert, Jura 1993, 160 (161). Vgl.: Höpfel, Staatsanwalt und Unschuldsvermutung,<br />

1988, Habil.-Schrift Innsbruck 1986, S. 18 (zur Unschuldsvermutung<br />

als „Bedingung des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, Baustein eines ,fair<br />

trails’“, und als „Monopol“ zur „Feststellung strafrechtlicher Schuld“); BGHSt<br />

24, <strong>125</strong> (131).<br />

53 BVerfG, NJW 1994, 377; Frister, Jura 1988, 356 (357); Geppert, Jura 1993,<br />

160 (161); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406 (427); Paeffgen, Vorüberlegungen<br />

(Fn. 2), S. 58, 68; ders., 20. Strafverteidigertag (1996), S. 75 (97 Fn. 98);<br />

Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 483, 486 Fn. 70, 524 (hinzufügend,<br />

dass die Unschuldsvermutung Teil des Rechtsstaatsprinzips und in Art. 1 GG<br />

verankert sei); Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 45, 238; Stenger, Gegebener<br />

und gebotener Einfluss (Fn. 45), S. 123; Stuckenberg, Untersuchungen<br />

(Fn. 49), S. 4.<br />

54 Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 58 ff., 238, 67 („Demgegenüber entfaltet<br />

ein durch die Unschuldsvermutung konkretisiertes allgemeines Persönlichkeitsrecht<br />

seine Schutzwirkung nicht nur vertikal in der Staatsrichtung, sondern<br />

auch horizontal in der Privatssphäre; es wirkt dort als ,sonstiges Recht’<br />

im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.“); Bornkamm, NStZ 1983, 102 (104); Kühl,<br />

Hubmann-FS (1985), S. 241, 251 („Unschuldsvermutung als Konkretisierung<br />

des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder als besonderes Persönlichkeitsrecht“);<br />

ders., ZStW 100 (1988), S. 406, 432, weist darauf hin, dass gegenüber<br />

einer Kriminalberichterstattung, die den noch nicht rechtskräftig Verurteilten<br />

bereits als überführten „Täter“ erscheinen lässt, zunehmend auch die in Art. 6<br />

Abs. 2 MRK enthaltene Unschuldsvermutung herangezogen werde, um das<br />

Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu stärken: OLG Köln, NJW 1987,<br />

2682 ff.; OLG Köln, AfP 1985, 293 ff.; LG Berlin, NJW 1986, 1265 f.; OLG<br />

Hamburg, AfP 1983, 466 ff.; OLG Braunschweig, AfP 1981, 292; OLG<br />

Karlsruhe, Die Justiz 1980, 450 ff.; OLG Frankfurt, NJW 1980, 597 ff.; OLG<br />

Hamburg, NJW 1980, 842 f.; OLG Braunschweig, NJW 1975, 651 ff.; KG,<br />

AfP 1975, 30; KG, in: Schulze, RzU, KGZ 46, Bl. 10. Siehe ferner: OLG<br />

Köln, NJW 1991, 506 f.; OLG Frankfurt, NJW-RR 1990, 989; OLG Köln,<br />

AfP 1989, 683 ff.; LG Oldenburg, AfP 1987, 720; OLG Karlsruhe, Die Justiz<br />

1974, 223; OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1907 f.; OLG Stuttgart, UFITA 29<br />

(1959), S. 111 (122); LG Heidelberg, NJW 1959, 1932.


AnwBl 3/2002 153<br />

Aufsätze l<br />

gründet ein umfassendes Präjudizierungsverbot 55 , das alle<br />

staatlichen Organe 56 bindet und auch zwischen Privatpersonen<br />

57 und für die Medien 58 gilt. Durch ihre Einbeziehung in<br />

den Bürgerrechtspakt zählt die Unschuldsvermutung auch<br />

zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25<br />

GG) 59 . Darüber hinaus gehört sie zu den „unabänderlichen“<br />

Rechtsprinzipien, die den „Kern der Verfassung“ ausmachen<br />

und die Art. 79 Abs. 3 GG der verfassungsgesetzgebenden<br />

Gewalt entzogen hat 60 . Dadurch, dass die internationalen<br />

und europäischen Grundrechte durch Art. 1 Abs. 2<br />

GG in Verbindung mit Art. 25 GG in deutsches Recht<br />

transformiert werden, besitzen sie nicht nur den Rang, sondern<br />

auch die Qualität von deutschem Verfassungsrecht 61 .<br />

Die Unschuldsvermutung ist eine Verfahrensdirektive 62 ,<br />

die sich insbesondere an den Gesetzgeber 63 richtet, erforderliche<br />

rechtspolitische Entscheidungen zu treffen und das<br />

Verfahren so auszugestalten, dass die Unschuldsvermutung<br />

hinreichend wirksam werden kann 64 . Dabei sollte sich der<br />

Gesetzgeber vom Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit<br />

der deutschen Rechtsordnung 65 leiten lassen. Diesem aus<br />

Art. 24 ff. GG entwickelten verfassungsrechtlichen Gebot 66<br />

entsprechend – weitmöglichste Harmonie von Völkerrecht<br />

und innerstaatlichem Recht herzustellen 67 – ist das Bundesverfassungsgericht<br />

68 bereit, alle Grundrechte des Grundgesetzes<br />

im Lichte der Menschenrechte der MRK auszulegen<br />

69 . Dazu führt es 70 einerseits aus, dass die Unschuldsvermutung<br />

als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips<br />

Verfassungsrang habe und kraft Art. 6 Abs. 2 MRK<br />

Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik<br />

Deutschland sei. Andererseits hebt es hervor, dass bei Auslegung<br />

des Grundgesetzes auch Inhalt und Entwicklungsstand<br />

der MRK in Betracht zu ziehen seien. Auch Gesetze<br />

wie die StPO 71 seien im Einklang mit den völkerrechtlichen<br />

55 Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 131; Soehring, Vorverurteilung<br />

(Fn. 51), S. 67.<br />

56 Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (562); Geppert, Jura 1993,160 (161); Kühl,<br />

Hubmann-FS (1985), S. 241 (246 f.); ders., Unschuldsvermutung (Fn. 30);<br />

S. 31; Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />

(Fn. 2), S. 50 f.; SK-StPO/Paeffgen, Vor § 112 Rdnr. 26; Rogall, Der Beschuldigte<br />

als Beweismittel gegen sich selbst, Diss. Bonn 1976, S. 110 (hebt hervor,<br />

dass „die Unschuldsvermutung historisch stets ein Bollwerk gegen eine<br />

diskriminierende gerichtliche Behandlung des Angeklagten gewesen ist.“);<br />

Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 484 ff., 524; Stuckenberg, Untersuchungen<br />

(Fn. 49), S. 66, 578; Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67;<br />

Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 20 („Wie<br />

verfassungsrechtliche Grundrechtsnormierungen beansprucht die EMRK Geltung<br />

für die gesamte Staatstätigkeit.“); Ulsamer, Jauch-FS (1990), S. 221<br />

(230); Diercks, AnwBl 1999, 311 (314 Fn. 47 m. w. N.).<br />

57 Engau, Straftäter und Tatverdächtige als Personen der Zeitgeschichte, Diss.<br />

Bielefeld 1992, S. 236; Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (252); Schulz, Normiertes<br />

Misstrauen (Fn. 50), S. 486; Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67.<br />

58 Hubmann, in: Schulze, RzU, OLGZ 233, Bl. 16, 17 (Auch beim Vorliegen berechtigter<br />

Interessen an identifizierender Berichterstattung dürfte sich die<br />

Presse „nicht zum Richter aufspielen“, indem sie eine Person vor ihrer Verurteilung<br />

als „Täter“ einer Straftat bezeichne.); Bornkamm, NStZ 1983,102<br />

(107); Engau, Straftäter (Fn. 57), S. 236; Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241<br />

(252, 254); Lampe, NJW 1973, 217 („Der Verdächtige hat vor allem das<br />

Recht, von der Presse nicht im Voraus öffentlich gerichtet zu werden.“); Peukert,<br />

Mahrenholz-FS (1994), S, 277,299 m. w. N. (hebt hervor, dass „auch das<br />

in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Prinzip der Unschuldsvermutung als<br />

Schranke der Kommunikationsfreiheiten in Frage“ komme.); Schulz, Normiertes<br />

Misstrauen (Fn. 50), S. 487 („Schutz der Verdächtigen vor medialer Vorverurteilung“);<br />

Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 55, 78, 83 ff., 238 (zum<br />

„publizistischen Präjudizierungsverbot“, zur „vorverurteilenden Kriminalberichterstattung<br />

als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und Verletzung<br />

des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ sowie zur „’Chronistenpflicht’ der<br />

Presse“); Stapper, Namensnennung in der Presse im Zusammenhang mit dem<br />

Verdacht strafbaren Verhaltens, Diss. Berlin 1995, S. 64 ff.; 87; ders., AfP<br />

1996, 349 (350, 356).<br />

59 Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 62 ff., 68; Diercks, AnwBl 1999, 311<br />

(313 Fn. 28 m. w. N.); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 480; ders.,<br />

GA 2001, 226 (227 Fn. 9); Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

(Fn. 44), S. 62 (hebt hervor, „dass die EMRK in ihrer Eigenschaft als<br />

völkerrechtlicher Vertrag keine allgemeine Regel des Völkerrechts darstellt,<br />

dass sie aber als möglicher Ausdruck paralleler Normen des Völkergewohnheitsrechts<br />

zu deren Feststellung herangezogen werden kann.(...) Vielmehr<br />

wird mit Hilfe der EMRK eine Norm des allgemeinen Völkerrechts fest-<br />

gestellt, die ihrerseits über Art. 25 GG innerstaatlich umgesetzt wird. Dabei<br />

erscheint es sinnvoll, die Anwendung der EMRK im Rahmen des Art. 25 GG<br />

als eigene Fallgruppe zu behandeln.“).<br />

60 Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 64, 68. Vgl.: Kühl, ZStW 100 (1988),<br />

S. 406, 410 („Insofern sind die Menschenrechte und Grundfreiheiten der<br />

MRK doch ,gesetzesfest’.“); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 483<br />

(Als Element des Rechtsstaats zähle die Unschuldsvermutung zu den von Art.<br />

79 Abs. 3 GG garantierten Grundsätzen.); Simon, Die Beschuldigtenrechte<br />

(Fn. 45), S. 1 (zur „Verstärkung der Gesetzesfestigkeit der EMRK“); Soehring,<br />

Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67 (attestiert der Unschuldsvermutung „Gesetzesfestigkeit“.).<br />

61 Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 (155); ders., DÖV 1979, 309, 312 („Dem<br />

Art. 25 GG ist als pars pro toto der Wille des Grundgesetzes zu entnehmen,<br />

die nationale Rechtsordnung vollständig an der Völkerrechtsordnung auszurichten.“).<br />

Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73, 74 f.<br />

(„...Art. 1 Abs. 2 GG bettet die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur in<br />

einen überpositiven, sondern in einen übernationalen Zusammenhang ein. (...)<br />

Als Verfassungstext der Bundesrepublik Deutschland findet Art. 1 Abs. 2 GG<br />

nun allerdings einen für die Bundesrepublik Deutschland rechtsverbindlichen<br />

Bezugspunkt in der EMRK. Der Gegenstand der EMRK und des Grundrechtsteils<br />

der Verfassung (unter Einschluss der Prozessgrundrechte) sind der<br />

Art nach identisch. (...) Wohl aber gibt es seit der Transformation der EMRK<br />

in innerstaatliches Recht einen durch Art. 1 Abs. 2 GG geschaffenen verfassungsrechtlichen<br />

Zusammenhang zwischen den Grundrechten der Verfassung<br />

und den Grundrechten der Konvention.“); Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen<br />

Bestehen des Bundesverfassungsgerichts (1976), Band 2, S. 154, 160 (hervorhebend:<br />

„...vielmehr müssen staatliches Recht, Völkerrecht und die Erfordernisse<br />

der internationalen Gemeinschaft in ihrer Verbindung und Wechselwirkung<br />

gesehen und gewürdigt werden. (...) Schließlich lässt sich auch<br />

rechtstechnisch das völkerrechtlich gebundene oder gebotene innerstaatliche<br />

Recht nicht von seiner völkerrechtlichen Verankerung lösen.“); Klug, Peters-<br />

Gedächnisschrift (1967), S. 434, 439, 442 (vertritt die Auffassung, dass die<br />

MRK mit ihrer Garantie-, Bindungs- und Rechtsintegrationsfunktion ranghöher<br />

als das GG sei und somit europäisches Menschenrecht nationales Verfassungsrecht<br />

breche.); Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 33.<br />

62 F.-C. Schroeder, JZ 2000, 409; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre Goltdammer’s<br />

Archiv für Strafrecht, 1993, S. 205 (209); Stuckenberg, Untersuchungen<br />

(Fn. 49), S. 58, 66; ders., ZStW 111 (1999), S. 422 (452 ff.). Vgl.: Höpfel,<br />

Staatsanwalt (Fn. 52), S. 19 (zu den „rechtspolitischen Postulaten des Art. 6<br />

Abs. 2 EMRK“); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 442 (zur Unschuldsvermutung<br />

als „Leitmotiv des Gesetzgebers“).<br />

63 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 (2484); Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2),<br />

S. 64, 68, 161 Fn. 667; SK-StPO/Paeffgen, Vor § 112 Rdnr. 26 a. E.; K. Meyer,<br />

Tröndle-FS (1989), S. 61 (64); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 484;<br />

Stuckenberg, Untersuchungen (Fn. 49), S. 58, 66; Tophinke, Das Grundrecht der<br />

Unschuldsvermutung, 2000, Diss. Bern 1999, S. 146, 162, 228.<br />

64 K. Meyer, Tröndle-FS (1989), S. 61 (64). Vgl.: Kühl, Unschuldsvermutung<br />

(Fn. 30), S. 136 (regt an, dass „der Gesetzgeber der Unschuldsvermutung zu<br />

innerstaatlicher Wirksamkeit verhelfen“ möge.).<br />

65 Bleckmann, DÖV 1996, 137 (142); ders., DÖV 1979, 309 m. w. N. („Grundsatz<br />

der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung als Leitprinzip<br />

der Verfassung.“); Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des<br />

Bundesverfassungsgerichts (1976), Band 2, S. 154 (160); ders., in: Geiger<br />

(Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund<br />

zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, 2000, S. 147<br />

(149); Demirel, Individualbeschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskonvention,<br />

Diss. Münster 1997, S. 60; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer<br />

Menschenrechtsschutz, 1982, S. 227, 228 f., 274 (auf das „Dilemma“ eingehend:<br />

„Einerseits besitzt der EGMR (...) in der ,Auslegung und Anwendung’<br />

der EMRK (Art. 45) die Letztentscheidungsbefugnis gegenüber den Verfahrensstaaten,<br />

die seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben. Andererseits entfalten<br />

diese Urteile nicht per se, also automatisch ,Bindung’ im innerstaatlichen<br />

Rechtsraum. (...) Die in der Schweiz vorgetragenen Gründe für einen Übergesetzesrang<br />

der EMRK – Sonderstellung wegen des spezifischen Rechtscharakters<br />

– sollten auch in der Bundesrepublik Anerkennung finden.“); Weigend,<br />

StV 2000, 384 (389); BVerfGE 18, 112, 121 („völkerrechtsfreundliche Grundhaltung<br />

des Grundgesetzes“).<br />

66 Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts<br />

(1976), Band 2, S. 154 (160). Vgl.: Bleckmann, DÖV 1979, 309; Masuch,<br />

NVwZ 2000, 1266 (1267 f. m. w. N.).<br />

67 Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts<br />

(1976), Band 2, S. 154 (160). Vgl.: Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht,<br />

Besonderer Teil, Teilband 2, 8. Aufl. (1999), § 82 II Rdnr. 16 (zum GG und<br />

dem Gedanken der Völkerverständigung).<br />

68 BVerfGE 31, 58 (67 f.). Vgl.: Frowein, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen<br />

des Bundesverfassungsgerichts (2001), Band 1, S. 209 (219); Limbach, NJW<br />

2001, 2913 (2915).<br />

69 Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 (152). Vgl.: Demirel, Individualbeschwerde<br />

(Fn. 65), S. 60; Ehlers, Jura 2000, 372 (373); Frowein, Zeidler-FS (1987),<br />

Band 2, S. 1763 (1768, 1771); Stenger, Gegebener und gebotener Einfluss<br />

(Fn. 45), S. 347, 359, 399; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

(Fn. 44), S. 52, 54, 244 f; ders., JZ 2001, 565 (570).<br />

70 BVerfGE 74, 358 (370), bestätigt durch BVerfGE 82, 106 (115, 120). Vgl.:<br />

Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 409 (weist – unter Berufung auf BVerfGE 74,<br />

358, 370 – darauf hin, dass Strafrechts- und Strafverfahrensrechtsänderungsund<br />

-reformgesetze die Garantien der MRK nicht aufheben oder abschwächen<br />

können.); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277 (278 f.); Glatzel, Die Einwirkung<br />

der Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />

auf private Rechtsbeziehungen, Diss. Bonn 1968, S. 100.<br />

71 Zu den rechtsstaatlichen Standards des Strafprozessrechts, siehe: Paeffgen, in:<br />

Paeffgen/Schumer (Hrsg.), Das Sächsische Polizeigesetz vor dem Verfassungsgerichtshof<br />

des Freistaates Sachsen, 1997, S. 12; Paeffgen, in: Wolter<br />

(Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts (Symposium zu<br />

Ehren von H.-J. Rudolphi), 1995, S. 20, 44.


154<br />

l<br />

Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen<br />

und anzuwenden.<br />

Deshalb sollte es das Bestreben der Mitgliedstaaten sein,<br />

in der innerstaatlichen Gesetzgebung den Anforderungen<br />

der Konvention zu genügen und bestehende Gesetze unter<br />

dem Einfluss der Ergebnisse der Strassburger Spruchpraxis<br />

zu reformieren72 . Dabei wird eine rechtsvergleichende Anwendung<br />

der MRK dadurch ermöglicht, dass Grundgesetz<br />

und MRK Teil der europäischen Grundrechtskultur73 sind.<br />

Zur Vermeidung von möglichen Verletzungen des Art. 6<br />

Abs. 2 MRK ist eine saubere (rechtsdogmatische) 74 Grenzziehung75<br />

zwingend erforderlich. Wenn jedoch schon der<br />

Gesetzgeber durch die Verwendung des verfassungsrechtlich<br />

anstößigen Begriffs „Täter“ im Ermittlungsverfahren –<br />

mit der bedenklichen Folge, dass die Ermittlungsorgane<br />

unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetz gewissermaßen<br />

dazu aufgefordert werden, verdächtige Personen<br />

bereits als „Täter“ anzusehen76 – den Grundsatz der<br />

Unschuldsvermutung außer Acht lässt, dann braucht man<br />

sich nicht mehr zu wundern, dass (auch) andere die Unschuldsvermutung<br />

missachten. So sind die im Indikativ<br />

abgefassten und vorgetragenen Ermittlungsergebnisse der<br />

Anklageschriften der Staatsanwaltschaft mit Art. 6 Abs. 2<br />

MRK unvereinbar77 , weil die Unschuldsvermutung in diesem<br />

Verfahrensstadium78 zu Konjunktivformulierungen79 verpflichtet und vom Indikativ eine Suggestivwirkung80 ausgeht, als ob es sich bereits um „amtlich“ festgestellte<br />

Tatsachen81 handelte. Eine amtliche Suggestivwirkung ist<br />

auch darin zu sehen, wenn ein Justizminister im Fernsehen<br />

eine Verdächtige schon vor Prozesseröffnung als „Täterin“<br />

(von Sprengstoffverbrechen) bezeichnet. Die Europäische<br />

Kommission für Menschenrechte82 bejaht hier ausdrücklich<br />

die grundsätzliche Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 MRK<br />

auf öffentliche Erklärungen von Amtsträgern und Strafverfolgungsorganen.<br />

Auch vorverurteilende Äußerungen eines<br />

Innenministers und hoher Polizeibeamter in Pressekonferenzen,<br />

die im Fernsehen ausgestrahlt werden, verletzen nach<br />

Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte83<br />

die Unschuldsvermutung. Wenn von Politikern bzw.<br />

Rechtsanwendern, die für die Verbrechensbekämpfung zuständig<br />

sind, ungenaue, pauschalierende Aussagen über<br />

Geständnisse, festgenommene „Täter“ und gelöste Fälle84 gemacht werden, wird diese Information auch durch die<br />

72 Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761. Vgl.: Polakiewicz, Die Verpflichtungen der<br />

Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,<br />

Diss. Heidelberg 1992, S. 361 f. („Den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs<br />

für Menschenrechte kommt somit neben der auf den entschiedenen Einzelfall<br />

beschränkten Rechtskraft eine abstrakte Klärungsfunktion für die Konventionsbestimmungen<br />

zu, deren Bedeutung und Tragweite durch die<br />

individuell-konkrete Anwendung präzisiert wurden. Die Strassburger Spruchpraxis<br />

ist daher von den nationalen Gerichten und Behörden vorrangig zu beachten.“);<br />

Mosler, Huber-FS (1981), S. 595 (605).<br />

73 Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 132,<br />

245 f. (erwähnt erläuternd die „innere Verwandtschaft von Konvention und<br />

Grundgesetz.“). Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73,<br />

75 (betont den „verfassungsrechtlichen Zusammenhang zwischen den Grundrechten<br />

der Verfassung und den Grundrechten der Konvention.“); Bleckmann,<br />

EuGRZ 1994, 149, 154 („gemeinsame Verfassungstradition“); ders., DÖV<br />

1979, 309 (310); Hruschka, ZStW 112 (2000), S. 285 (zur „Unschuldsvermutung<br />

in der Rechtsphilosophie der Aufklärung“).<br />

74 Vgl.: Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 27; Höpfel, Staatsanwalt (Fn. 52),<br />

S. 21.<br />

75 Vgl.: Zaczyk, StV 1993, 490 (492); ders., Mainzer Runde ’98, Zum Strafrecht,<br />

1998, S. 13 (zur „Einsicht, dass auch der Straftäter kein Unmensch ist, sondern<br />

Mitmensch trotz alledem.“); Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345 (hebt<br />

hervor, dass die Unschuldsvermutung „verlangt, dass nur im Verfahren und<br />

erst, nachdem ein gesetzlicher Nachweis der Schuld erbracht ist, angenommen<br />

werden darf, dass ein Tatverdächtiger auch der Täter ist. (...) Denn niemand,<br />

kein noch so Verdächtiger darf außerhalb des Verfahrens oder vor seinem Ab-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aufsätze<br />

schluss als Straftäter bezeichnet oder behandelt werden.“); ders., GA 1980,<br />

365, 373 f. („Die Verhinderung außerjustizieller Schuldzuschreibungen gehört<br />

zu den originären Aufgaben der Unschuldsvermutung. (...) Der Schutz, den<br />

sie gewährt, gilt generell.“); Peukert, EuGRZ 1980, 247 (260); Wegener,<br />

Rasch-FS (1993), S. 178 ff. (zur Unschuldsvermutung aus der Sicht des sachverständigen<br />

Psychologen).<br />

76 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 (2484). Ähnlich: Diercks, AnwBl 1999, 311<br />

(316).<br />

77 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 f. (zu Art. 6 Abs. 2 MRK: „Ernst genommen<br />

schließt diese Vorschrift aus, das Ermittlungsergebnis der Anklageschrift<br />

im Indikativ so abzufassen und vorzutragen, als ob es sich dabei nicht erst um<br />

beschuldigende Behauptungen, sondern bereits um ,amtlich’ und positiv festgestellte<br />

Tatsachen handelte. Das gilt erst recht für den Eröffnungsbeschluss.“).<br />

Vgl.: Zaczyk, StV 1993, 490, 492 („Das Strafprozessrecht regelt<br />

den Gang der Klärung eines Verdachts, und so bedeutet etwa die dabei zu beachtende<br />

Unschuldsvermutung nicht, dass StA und Gericht nur so tun, als sei<br />

der Angeklagte gar nicht der Täter: Vielmehr ist die Vermutung seiner Unschuld<br />

bis zum Urteil zwingend, da erst das Urteil seine Schuld rechtsverbindlich<br />

feststellt.“); Dalbkermeyer, Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden<br />

und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden, Diss.<br />

Bonn 1993, S. 24 f. (zur Bindungswirkung der Unschuldsvermutung für die<br />

Staatsanwaltschaft); Hoefermann, Die Auslagenerstattung beim Freispruch<br />

mangels Beweises und die Menschenrechtskonvention, Diss. Münster 1966, S.<br />

98 f.; Höh, Strafrechtlicher Anonymitätsschutz des Beschuldigten vor öffentlicher<br />

Identifizierung durch den Staatsanwalt, Diss. Bonn 1985, S. 13, 235 f.;<br />

Höpfel, Staatsanwalt (Fn. 52), S. 17, 21, 27 ff., 201 ff.; Wagner, Strafprozessführung<br />

über Medien, 1987, S. 61 m. w. N.<br />

78 Vgl.: BVerfGE 35, 311, 319 f. (hinsichtlich „der für den Untersuchungsgefangenen<br />

streitenden Unschuldsvermutung“); Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2),<br />

S. 48 (hervorhebend, dass die Unschuldsvermutung eine konstante Größe während<br />

des gesamten Verfahrens sei.); ders.; DRiZ 1998, 317, 318 ff. (hinzufügend,<br />

dass bis zum Eintritt der Rechtskraft kein normativ hinreichendes<br />

Maß an Sicherheit darüber erreicht sei, wie die Sach-, Rechts- und Beweislage<br />

endgültig einzuschätzen sei.); Paeffgen/Seebode, ZRP 1999, 524, 525 f.<br />

m. w. N. (zur verfassungsrechtlichen Stellung des nur verdächtigen Inhaftierten<br />

und zur Unschuldsvermutung); BVerfGE 82, 106, 122, 124, Abw. M. Mahrenholz<br />

(„Sie ist Schutz des Unschuldigen bis zur endgültigen Feststellung<br />

von Schuld. Bis zu diesem Zeitpunkt ist er ,ohne Schuld’, er ist nicht ,wahrscheinlich<br />

schuldig’ oder ,höchstwahrscheinlich schuldig’. Die Unschuldsvermutung<br />

verbietet jede Zweideutigkeit neben der verfassungsrechtlich gewährleisteten<br />

Alternative ,unschuldig oder schuldig’ und ist damit mehr als bloß<br />

die prozessrechtliche Voraussetzung von Urteilsfolgen strafrechtlicher Art. Sie<br />

begleitet, mit den Worten des Richters des Europäischen Gerichtshofs für<br />

Menschenrechte Cremona, den Angeklagten während des gesamten Verfahrens<br />

bis zur Verurteilung (EuGRZ 1987, S. 404, Abw. M.).“); Vogler, ZStW 89<br />

(1977), S. 761, 784 („Der Anwendungsbereich der Unschuldsvermutung<br />

reicht vom Ermittlungsverfahren über die Hauptverhandlung bis zum abschließenden<br />

Urteil...“); K. Meyer, Tröndle-FS (1989), S. 61, 71 (Auch die<br />

Staatsanwaltschaft könne gegen Art. 6 Abs. 2 MRK verstoßen, wenn sie den<br />

Eindruck erwecke, die Schuld des Beschuldigten sei bereits erwiesen.).<br />

79 Bohnert, Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts, 1992, S. 248 m. w. N.<br />

(„Daneben hat sich die Pflicht zur Unschuldsvermutung als Anspruch des Beschuldigten<br />

auf Konjunktivformulierungen und schonende Umgangsformen<br />

ausgewirkt, mit geringer Wirkung, wie man sieht, und ohne Rechtsfolge bei<br />

einem Verstoß.“); Loesdau, MDR 1962, 773 (777).<br />

80 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1193 (stellt mit „Unbehagen“ fest: „Der in der<br />

Form eines Verdacht-Urteils mit vorweggenommener Würdigung der polizeilichen<br />

und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Positiv abgefasste Beschluss<br />

müsste die Einstellung des Verfahrens zur Folge haben, weil seine<br />

unterschwellige Suggestivwirkung anders nicht zu beseitigen ist.“). Vgl.:<br />

Hoefermann, Die Auslagenerstattung (Fn. 77), S. 98 f. Siehe allgem. zur Suggestivwirkung:<br />

Heidelberg, Justizreportage. Journalistische Ziele und juristische<br />

Schranken, Diss. Heidelberg 1932, S. 67 ff.; Dalbkermeyer, Der Schutz<br />

(Fn. 77), S. 26.<br />

81 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 f. (s. o. Fn. 77). Vgl.: Hoefermann, Die<br />

Auslagenerstattung (Fn. 77), S. 98 f.; Loesdau, MDR 1962, 773 (776).<br />

82 EKMR Nr. 7986/77, Krause ./. Schweiz, DR 13, S. 73 (75 f.). Vgl. auch die<br />

ähnlich gelagerten Entscheidungen: EKMR Nr. 9077/80, X ./. Österreich, DR<br />

26, S. 211 (213 f.); Nr. 8361/78, X ./. Niederlande, DR 27, S. 37 (42). Vgl.:<br />

Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (554 f.); Gerhardt/Steffen, Kleiner Knigge<br />

(Fn. 49), S. 49 („Dieser Zurückhaltung sollten sich übrigens auch Politiker befleißigen<br />

und nicht, wie im Fall Bad Kleinen geschehen, einen (mutmaßlichen)<br />

Terroristen öffentlich zum ,Mörder’ erklären.“); Kühl, Unschuldsvermutung<br />

(Fn. 30), S. 77 (zur Unschuldsvermutung als „Verbot diskriminierender<br />

Schuldfeststellungen ohne gesetzlichen Nachweis der Schuld“); Höpfel, Staatsanwalt<br />

(Fn. 52), S. 21 (betont, dass die Unschuldsvermutung „vor der Kennzeichnung<br />

als Straftäter in der besonderen Weise schützt, dass es den gesetzmäßigen<br />

Schuldnachweis in einem Strafverfahren zur Bedingung macht.“);<br />

Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277 (299); ders., in: Frowein/Peukert, Europäische<br />

Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. (1996), Art. 6 Rdnr. 162; Soehring,<br />

Vorverurteilung (Fn. 51), S. 69 Fn. 349; ders., MESSAGE 1/2001, S. 24 ff.<br />

(zur Unschuldsvermutung des Amokläufers); Trechsel, SJZ 1981, 317, 335.<br />

83 Allenet de Ribemont v. France (3/1994/450/529), Urteil vom 10.2.1997 (so: Y.<br />

Braun, Medienberichterstattung (Fn. 45), S. 108 Fn. 304). Vgl. auch: Peukert,<br />

21. Strafverteidigertag (1997), S. 231 (241); ders., in: Frowein/ Peukert, Europäische<br />

Menschenrechtskonvention (Fn. 82), Art. 6 Rdnr. 162; Tophinke, Das<br />

Grundrecht der Unschuldsvermutung (Fn. 63), S. 139 ff., 365, 395 ff., 468;<br />

Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 48 f. m. w. N.<br />

84 Y. Braun, Medienberichterstattung (Fn. 45), S. 108. Vgl.: Bornkamm, Pressefreiheit<br />

und Fairness des Strafverfahrens, Diss. Freiburg 1980, S. 223 Fn. 19;<br />

Lamprecht, DRiZ 1989, 32; Ludwig, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch<br />

identifizierende Presseverlautbarungen der Staatsanwaltschaft, Diss. Bonn<br />

1998, S. 144.


AnwBl 3/2002 155<br />

Aufsätze l<br />

Medien 85 weiterverbreitet 86 . Diese befremdlichen Verfahrensweisen<br />

sind eines Rechtsstaats unwürdig 87 .<br />

Folglich ist eine begriffliche Klarstellung für Grundrechts-<br />

und Hoheitsträger 88 dringend erforderlich. Unter<br />

Berücksichtigung der rechtstheoretischen und praxisbezogenen<br />

Aspekte ist die Verwendung des Begriffs „Täter“ im<br />

Ermittlungsverfahren mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung<br />

nicht in Einklang zu bringen 89 . Deshalb sollte<br />

der Sprachgebrauch des Gesetzgebers auch im Interesse<br />

der europäischen Rechtskultur 90 konventions-, verfassungsund<br />

grundrechtskonform geändert werden 91 .<br />

Insbesondere bei problematischen Gesetzen 92 ist die Verwirklichung<br />

der Menschenrechte auf universeller und europäischer<br />

Ebene von größter Bedeutung 93 :<br />

„Human Rights without effective implementation are<br />

shadows without substance 94 .“<br />

85 Vgl.: BVerfGE 35, 202 (232) „Lebach“ (Auch die bis zur rechtskräftigen Verurteilung<br />

zugunsten des Angeschuldigten geltende Vermutung seiner Unschuld<br />

gebiete eine entsprechende Zurückhaltung.); BGH, JZ 2000, 618 (zur Verdachtsberichterstattung);<br />

K. Braun, Handbuch der Gerichtsberichterstattung,<br />

1994, S. 170 (zu den im Stadium der Ermittlungen nicht gestatteten Schlagzeilen<br />

über gefasste „Täter“ und „Mörder“); Dahs, NStZ 1986, 563 (Die Wahrung<br />

der Anonymität des Beschuldigten sei ein Stück praktizierter Unschuldsvermutung.);<br />

Dalbkermeyer, Der Schutz (Fn. 77), S. 27 (zur Vorverurteilung<br />

durch die Medien); Ionescu, in: Dölling/Gössel/Waltos, Kriminalberichterstattung<br />

(Fn. 49), S. 45, 64 (erwähnt, dass bei Unbekanntsachen der<br />

Betroffene zwar sehr oft als „Täter“ bezeichnet worden sei, jedoch müsse<br />

man die tatausführende Person irgendwie bezeichnen. Hier finde durch die<br />

Bezeichnung in diesem Kontext keine Stigmatisierung einer bestimmten Person<br />

als „Täter“ statt.); Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (244); ders., ZStW<br />

100 (1988), S. 406, 601, 635, 637 (zu Reformforderungen – die mit Art. 6<br />

Abs. 2 MRK begründet werden – an den Gesetzgeber zum Schutz vor öffentlicher<br />

Vorverurteilung durch die Medien); ders., in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch,<br />

23. Aufl. (1999), § 193 Rdnr. 11 (hinsichtlich der Verhütung von „Vorverurteilungen“<br />

durch die Presse: „Namentlich während eines schwebenden<br />

Strafverfahrens ist es idR nicht gerechtfertigt, den Beschuldigten auf der<br />

Grundlage eigener Recherchen schon als Täter und nicht lediglich als Verdächtigen<br />

hinzustellen ...“); Ludwig, Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Fn.<br />

84), S. 146; Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 43 ff. m. w. N.<br />

86 Vgl.: Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; ders., GA 1980, 365, 366 („Die<br />

Vernachlässigung der Unschuldsvermutung gehört in einem großen Teil der<br />

Presse zu den Darstellungsprinzipien der Kriminalberichterstattung. Täglich<br />

werden in einer Vielzahl von Fällen Beschuldigte als Täter hingestellt.“);<br />

Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 43 ff. m. w. N.; K. Braun, Handbuch<br />

(Fn. 85), S. 170.<br />

87 Vgl.: Schaefer, NJW 1996, 496 f. („Die Vorverurteilung wird gegeißelt und<br />

verurteilt, sie sei eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens unwürdig, und alle<br />

daran Beteiligten, Justiz und/oder Presse sollten sich des Problems annehmen<br />

und Besserung geloben zum Schutz des einzelnen und bis zu seiner rechtskräftigen<br />

Verurteilung als unschuldig zu geltenden Beschuldigten“). Vgl.: F.-C.<br />

Schroeder, Roxin-FS (2001), S. 33, 41 (zu den Grundsätzen des Strafverfahrensrechts).<br />

88 Vgl.: Eiffler, Die Auslegung unbestimmter Schrankenbegriffe der Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention, Diss. Berlin 1999, S, 1, 19 (hebt hinsichtlich<br />

der Schrankenbegriffe der MRK hervor, dass „eine verlässliche Bestimmung<br />

ihres Inhalts sowohl für den Hoheitsträger als auch für den<br />

Grundrechtsträger unabdingbar“ sei.); ders., Die Polizei 1999, 324 ff. (zur Bedeutung<br />

der MRK für die polizeiliche Praxis und Ausbildung); ders., NJW<br />

1999, 762 m. w. N, (betont, „dass polizeiliche Maßnahmen auch hier zu Lande<br />

dem Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht werden<br />

müssen.“); Gropp, JZ 1991, 804, 806 (zum Verfahrensbereich, „wo die verfahrensbezogene<br />

Form der Unschuldsvermutung ihren limitierenden, d. h. hoheitliche<br />

Eingriffe in die Beschuldigteninteressen einschränkenden, Gehalt entfaltet.“);<br />

Paeffgen, DRiZ 1998, 317, 320 („Rechtsanwender und interessiertem<br />

Bürger“); ders., Roxin-FS (2001), S. 1299, 1309 (zum Tatverdacht der Strafverfolgungsbehörden).<br />

Siehe demnächst: K.-S. von Danwitz, Staatliche Straftatbeteiligung<br />

– die Bestimmung der Grenzen staatlicher Machtausübung in<br />

Form von Tatprovokation und Straftatbegehung, Habil.-Schrift Bonn 2001,<br />

S. 77, 85 m. w. N. (zum Prinzip, „dass der Staat von der Normtreue des Bürgers<br />

auszugehen hat.“).<br />

89 Vgl.: F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.; ders., Der Täter hinter dem Täter,<br />

Diss. München 1962, S. 13, 58 ff., 221 f. (allgemein zum strafrechtlichen<br />

„Täter“-Begriff); Diercks, AnwBl 1999, 311 (316 m. w. N.). Vgl. auch: Weigend,<br />

ZStW 111 (1999), S. 920, 925 (fragt, ob man das Substrat dessen, was<br />

die Unschuldsvermutung zu schützen aufgerufen ist – das „Verfahren“ –, ganz<br />

dem Gutdünken des Gesetzgebers überantworten sollte.).<br />

90 Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 132, 245.<br />

Vgl.: Dilcher, NJW 1998, 3690, 3692 (zum Bezug der Unschuldsvermutung<br />

auf die „Rechtskultur“); Kerscher, DRiZ 1983, 439, 442 (hält „das Gros der<br />

deutschen Gerichtsberichterstattung für einen andauernden, rechtskulturellen<br />

Skandal.“).<br />

91 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483, 2484 (fordert den Gesetzgeber dringend<br />

auf, „den geschilderten Rechtszustand zu ändern. Als alternative Ausdrücke<br />

stehen der ,Verdächtige’ und ,die als Täter in Frage kommende Person’ zur<br />

Verfügung.“). Vgl.: Binder, Rechtsprobleme (Fn. 43), S. 23 (plädiert für den<br />

Begriff „als Täter Verdächtigte“.); Simon, Die Beschuldigtenrechte (Fn. 45),<br />

S. 226 f. („Was kann der Konvention in Zukunft zu angemessener Berücksichtigung<br />

verhelfen?! Die Gerichte sollten sich den Inhalten der Konventionsgarantien<br />

nicht mehr mit dem pauschalen Hinweis auf den ,bloßen’ Mindeststandard<br />

der Konvention verschließen. Wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat,<br />

reicht dieser Mindeststandard nicht selten über die Regelungen der StPO hinaus<br />

oder bietet zumindest eine ausdrücklich normativ gefasste Grundlage, die<br />

in dieser Deutlichkeit in der StPO an mancher Stelle fehlt.“).<br />

92 Vgl.: Paeffgen, Festgabe zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs<br />

(2000), Band IV, S. 695, 735 (zu „gesetzgeberischen Eskapaden“); ders.,<br />

Grünwald-FS (1999), S. 433, 468 (zum „Umgang mit problematischen Gesetzen“);<br />

ders., StV 1999, 668 ff. (zum G 10 in der Fassung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes<br />

1994); ders., Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen<br />

Geheimnisses (§ 97b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, Diss. Mainz<br />

1978, S. 88 (zur „gesetzlichen Willkür“); F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.;<br />

ders., Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, Habil.-Schrift 1967,<br />

S. 484 (allgemein zur Gesetzgebung); Zaczyk, StV 1993, 490 (498); Diercks,<br />

AnwBl 1999, 311 (316 Fn. 77 ff. m. w. N.).<br />

93 Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73, 88 („Es wäre<br />

schon merkwürdig, wenn man die Politiker nicht bei ihrem Europäischen Portepee<br />

fassen könnte, mit dem sie sich im Bedarfsfall so gern schmücken. Dass<br />

die Verwirklichung der Menschenrechte für die europäischen Völker von größerer<br />

Bedeutung ist als die Vereinheitlichung von Industrienormen, müsste<br />

einleuchten.“); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277, 279 (zum besonderen<br />

„Engagement für einen strikten und effektiven Grund- bzw. Menschenrechtsschutz“);<br />

Bleckmann, DÖV 1979, 309, 311 (hervorhebend: „Hierzu tritt aus<br />

Art. 1 Abs. 2 GG die Verpflichtung, gerade auch bei der Entwicklung der<br />

Menschenrechte auf universeller und europäischer Ebene positiv mitzuwirken.“);<br />

Frowein, Carstens-FS (1984), Band 1, S. 327, 337 („Die Herausbildung<br />

gemeineuropäischer Grundrechtsstandards auf der Grundlage der Europäischen<br />

Menschenrechtskonvention ist eine große Aufgabe.“); Llobet<br />

Rodriguez, Die Unschuldsvermutung und die materiellen Voraussetzungen der<br />

Untersuchungshaft, Diss. Freiburg (Breisgau) 1995, S. 27 ff. (zur weltweiten<br />

Anerkennung der Unschuldsvermutung als Menschenrecht). Zum Entwurf der<br />

EU-Grundrechtecharta, siehe: Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 ff.; Hilf,<br />

Beilage JuS 1/2001, 5; Hirsch, NJW 2000, 46 (47); Krüger/Polakiewicz,<br />

EuGRZ 2001, 92 ff.; Magiera, DÖV 2000, 1017 ff.; Zuleeg, EuGRZ 2000,<br />

511.<br />

94 J. Humphrey, zitiert nach: B. Schmid, Rang und Geltung der Europäischen<br />

Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 3.<br />

November 1950 in den Vertragsstaaten, 1984, S. VI.<br />

Buchhinweis<br />

Hartmann, Kostengesetze; Beck´sche Kommentare, Band 2,<br />

Kostengesetze, Kurz-Kommentar von Dr. Dr. Peter Hartmann<br />

unter Mitwirkung von Dr. Jan Albers; 31. neubearbeitete<br />

Auflage 2002; Verlag C.H. Beck München; 1.893<br />

Seiten; 99,– E<br />

Das vorzügliche Werk erfasst in der neuen Auflage den Gesetzestext<br />

per 1. Januar 2002, teilweise bereits per 1. Juli<br />

2002. Die Novellen der letzten Monate sind vollständig an<br />

Ort und Stelle eingebracht. Es gibt ja Vorschriften, die in<br />

wenigen Monaten zwei– bis dreimal geändert worden sind.<br />

Natürlich sind die Euro-Umstellungsvorschriften allenthalben<br />

verarbeitet. Die Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts<br />

vom 19. April 2001 und die künftigen Änderungen<br />

(1. Juli 2002) im Zustellungsrecht sind kommentiert<br />

und, soweit altes und neues Recht nebeneinander stehen,<br />

parallel ausgewiesen. Viele Bestimmungen der BRAGO<br />

sind vollständig überarbeitet. Wie immer gefällt an dem<br />

Meisterwerk die durch klare Begrifflichkeit veranlasste<br />

Übersichtlichkeit und Gestaltung des zerfließenden Stoffs.<br />

Kostenrecht kompakt und umfassend heißt nach wie vor:<br />

„Hartmann, Kostengesetze“.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin


156<br />

u<br />

Rechtsrat im<br />

Fernsehen<br />

rechtens<br />

Rechtsanwalt Bernhard Töpper,<br />

Leiter der Redaktion Recht und Justiz<br />

im ZDF, Mainz<br />

Na endlich, möchte man erleichtert<br />

ausrufen. Mit einem Grundsatzurteil<br />

hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs<br />

am Nikolaustag 2001 einen<br />

jahrelangen Rechtsstreit beendet und<br />

jetzt für Klarheit gesorgt:<br />

Rechtsrat im Fernsehen ist erlaubt!<br />

Es liegt kein Verstoß gegen das<br />

Rechtsberatungsgesetz vor, so die<br />

höchsten Zivilrichter in Karlsruhe,<br />

wenn sich Verbraucher- und Ratgebersendungen<br />

im Fernsehen mit konkreten<br />

Rechtsfällen befassen und juristische<br />

Ratschläge erteilen.<br />

Das Urteil wurde in der Anwaltschaft<br />

und in den Medien mit großer<br />

Spannung erwartet, hatte es doch über<br />

das Thema „Rechtsberatung im Fernsehen“<br />

seit langem heftige und höchst<br />

kontroverse Diskussionen gegeben.<br />

Geklagt hatten einige Rechtsanwälte,<br />

die sich darauf spezialisiert<br />

hatten, in Fernsehsendungen nach Verstößen<br />

gegen das Rechtsberatungsgesetz<br />

regelrecht zu fahnden. Mehrere<br />

Landgerichte und Oberlandesgerichte<br />

hatten ihrer Klage stattgegeben und<br />

die Sendungen untersagt. Betroffen<br />

waren der Bayerische Rundfunk, RTL<br />

und das ZDF.<br />

So hatte das ZDF zum Beispiel in<br />

der Fernsehsendung „WISO“ das<br />

Thema „Mängel bei Urlaubsreisen“<br />

behandelt, die Zuschauer aufgefordert<br />

anzurufen und vier Zuschauern die<br />

Möglichkeit gegeben, in der Sendung<br />

telefonisch ihre Reiseerlebnisse zu<br />

schildern und Fragen zu Reisepreisminderungen<br />

zu stellen, die dann von<br />

einem Redakteur – live im Studio –<br />

beantwortet wurden. Das Landgericht<br />

Regensburg sah darin einen Verstoß<br />

gegen das Rechtsberatungsgesetz. In<br />

der Urteilsbegründung malten die Regensburger<br />

Richter ein Schreckensszenario<br />

und behaupteten allen Ernstes,<br />

dass viele Rechtsanwälte im Raum Regensburg<br />

unter das notwendige Existenzminimum<br />

fallen würden, „wenn<br />

man dies zuließe“. Wohl gemerkt bei<br />

vier telefonischen Anfragen, die zudem<br />

– wegen der Kürze der Zeit – in<br />

der Sendung noch nicht einmal abschließend<br />

behandelt wurden. Das<br />

OLG Nürnberg ging noch einen Schritt<br />

weiter und sah bereits in der Ankündigung<br />

des Moderators einen Verstoß gegen<br />

das Rechtsberatungsgesetz, weil<br />

dieser gesagt hatte: „Danach wird’s<br />

ernst, wir geben Ihnen am Telefon<br />

Auskunft“. OLG Nürnberg: „Gegen<br />

das Rechtsberatungsgesetz verstößt<br />

nicht nur, wer tatsächlich Rechtsberatung<br />

durchführt, sondern auch derjenige,<br />

der nach dem Verständnis der angesprochenen<br />

Verkehrskreise anbietet<br />

oder ankündigt, Rechtsberatung im<br />

Einzelfall zu erteilen“.<br />

Der Bundesgerichtshof hat jetzt die<br />

zum Teil abwegigen Rechtsauffassungen<br />

der unteren Instanzen – und auch<br />

einiger Vertreter aus der Anwaltschaft –<br />

korrigiert und klar gestellt:<br />

Konkrete Auskünfte und Ratschläge<br />

in Fernsehsendungen sind keine unzulässige<br />

Rechtsberatung, weil in diesen<br />

Programmbeiträgen nicht der Einzelfall<br />

und seine Lösung im Vordergrund<br />

steht, sondern der Kern und Schwerpunkt<br />

der Sendung in der allgemeinen<br />

Information der Zuschauer über typische<br />

Rechtsprobleme liegt.<br />

Die Berichterstattung über Fragen<br />

aus dem Bereich des Rechts und der<br />

Justiz gehört zweifellos zum Programmauftrag<br />

der Fernsehveranstalter,<br />

AnwBl 3/2002<br />

zur Rundfunkfreiheit des Art. 5 GG.<br />

Das große Interesse der Zuschauer an<br />

diesen Fragen lässt sich aber nur durch<br />

die Darstellung konkreter und anschaulicher<br />

Einzelfälle erfüllen. Abstrakte,<br />

theoretische und allgemeine Erläuterungen<br />

gehen am Zuschauer<br />

dagegen weitestgehend vorbei. Diese<br />

medienspezifischen Zusammenhänge<br />

hatten die unteren Instanzen nicht erkannt.<br />

Eine unzulässige Rechtsberatung<br />

liegt nach Ansicht des BGH erst<br />

dann vor, wenn der telefonische<br />

Rechtsrat außerhalb der Fernsehsendungen<br />

gegeben wird und es dabei zu<br />

einer abschließenden Lösung kommt.<br />

Das Fernsehen ist auf dem Gebiet<br />

der Rechtsberatung im Übrigen keine<br />

Konkurrenz für den Anwaltsstand. Im<br />

Gegenteil: Die Berichterstattung über<br />

Rechtsfragen kommt im Ergebnis vielmehr<br />

sogar den Anwälten zugute, weil<br />

bei vielen Bürgern durch die Darstellung<br />

eines exemplarischen Falles in<br />

einer Fernsehsendung erst das Rechtsbewusstsein<br />

geschaffen wird, mit<br />

einem eigenen Fall, der sich so oder<br />

ähnlich wie der im Fernsehen gezeigte<br />

zugetragen hat, zum nächsten Anwalt<br />

zu gehen und sich dort über die Erfolgsaussichten<br />

einer Klage beraten zu<br />

lassen.<br />

Seit vielen Jahren gibt es in fast<br />

jedem Fernsehprogramm ein „Gesundheitsmagazin“.<br />

Dort erhalten die<br />

Zuschauer auf ihre telefonischen Anfragen<br />

Ratschläge und Auskünfte zu<br />

allen Bereichen der Medizin.<br />

Haben sich je die Ärzte über diese<br />

„Gesundheits-Ratgeber-Sendungen“<br />

beklagt? Bisher ist jedenfalls nicht bekannt<br />

geworden, dass sich die Ärzteschaft<br />

dadurch in ihrer wirtschaftlichen<br />

Existenz bedroht sieht.<br />

Warum also fürchten die Anwälte<br />

eigentlich juristische Ratgeber-Sendungen?<br />

Die Anwaltschaft muss umdenken.<br />

Nicht das Beharren auf überholten Privilegien<br />

ist gefragt, sondern es geht<br />

jetzt darum, wie die Rechtsanwälte<br />

ihre jahrelange Ausbildung und Erfahrung,<br />

ihre juristische Kompetenz bei<br />

der Rechtsberatung in den Medien einbringen<br />

können. Nicht Konfrontation,<br />

sondern Kooperation ist angesagt.


AnwBl 3/2002 157<br />

5 %<br />

Stehempfang im großen Sitzungssaal des DAV-Hauses<br />

Dr. Geiger, Staatssekretär des BMJ und Dr. Streck, Präsident des DAV<br />

DAV Empfang „Auftakt 2002“<br />

Dr. Birkmann,<br />

Justizminister Thüringen<br />

MN<br />

Am 8. Januar 2002 haben der<br />

Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> und die<br />

Deutsche Anwaltakademie zu<br />

einem „Auftakt 2002“ geladen.<br />

Zahlreiche Persönlichkeiten aus<br />

Politik und Gesellschaft folgten<br />

dieser Einladung. Unter ihnen<br />

der Justizminister aus Thüringen,<br />

Dr. Andreas Birkmann, in<br />

seiner Eigenschaft als amtierender<br />

Vorsitzender der Justizministerkonferenz.<br />

Der Präsident<br />

konnte viele Angehörige<br />

der Ministerien, angeführt von<br />

dem Staatssekretär des Bundesministeriums<br />

der Justiz, Dr.<br />

Hansjörg Geiger, begrüßen.<br />

In seiner Ansprache wies der<br />

Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

Rechtsanwalt Dr.<br />

Michael Streck, auf die in diesem<br />

Jahr dringenden Vorhaben<br />

für die Anwaltschaft hin. Er<br />

nutzte die Gelegenheit, den<br />

Justizminister Dr. Birkmann<br />

auf die Notwendigkeit einer<br />

baldigen Gebührenstrukturreform<br />

hinzuweisen. In seinem<br />

Grußwort erklärte Dr. Birkmann<br />

die Bereitschaft, dieses Vorhaben<br />

bereitwillig zu prüfen.<br />

Hinsichtlich der Abschaffung<br />

des Gebührenabschlags Ost erwartet<br />

er weiterhin die Unterstützung<br />

des DAV.<br />

Die Gäste nutzten bei dem<br />

Empfang die Gelegenheit, über<br />

dieses und andere Themen zu<br />

diskutieren.<br />

Aufgrund des Erfolgs und<br />

der Zufriedenheit der Gäste mit<br />

den Gesprächen, hat der DAV<br />

sich dazu entschlossen, künftig<br />

jährlich einen solchen Empfang<br />

durchzuführen.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Berlin


158<br />

MN<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Einladung zur Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s am<br />

Donnerstag, dem 9. Mai 2002, 9.00 Uhr<br />

im Arabella Sheraton Grand Hotel, Arabellastraße 13, 81925 München<br />

Tagesordnung<br />

1) Eröffnung durch den Präsidenten<br />

2) Grußworte<br />

3) Verleihung des Ehrenzeichens<br />

4) Tätigkeitsbericht des Hauptgeschäftsführers und Aussprache<br />

5) Kassenbericht des Schatzmeisters und Aussprache<br />

6) Wahl der Stimmzähler für evtl. schriftliche Abstimmungen<br />

7) Genehmigung des Jahresabschlusses 2001<br />

8) Wahl des Kassenprüfers 2002 und seines Vertreters<br />

9) Entlastung des Vorstands<br />

10) Verschiedenes<br />

Stimmberechtigt für einen Verein gemäss § 15 der DAV-Satzung sind die als Vertreter bestellten Mitglieder eines Mitgliedsvereins.<br />

Einzelmitglieder und Ehrenmitglieder haben jeweils eine Stimme.<br />

Die Stimmberechtigten werden gebeten, sich vor der Mitgliederversammlung von 8.00 bis 9.00 Uhr in die vor dem<br />

Saal ausliegenden Anwesenheitslisten einzutragen, als Vertreter von örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en ihre Stimmberechtigung<br />

durch Vorlage entsprechender Vollmachten nachzuweisen und die für sie vorbereiteten Stimmzettel abzuholen.<br />

DAV Stiftung contra<br />

Rechtsextremismus und Gewalt<br />

Die Stiftung konnte bereits in<br />

zahlreichen Fällen helfen<br />

Die im Dezember 2000 vorgestellte<br />

Stiftung „DAV contra Rechtsextremismus<br />

und Gewalt“ hat im vergangenen<br />

Jahr ihre Arbeit aufgenommen und<br />

konnte bereits Hilfe leisten. Sie ist als<br />

gemeinnützig anerkannt. Die Stiftung<br />

ist auch vielfach in die Liste der Institutionen,<br />

die nach § 153a StPO begünstigt<br />

werden können, aufgenommen<br />

worden. Wo eine Aufnahme in diese<br />

Liste noch nicht geschehen ist, steht<br />

dies unmittelbar bevor. Die Kolleginnen<br />

und Kollegen sind aufgerufen bei<br />

„Einstellungen des Verfahrens gegen<br />

Erfüllung von Auflagen“ auf die<br />

Möglichkeit hinzuweisen, die Stiftung<br />

zu begünstigen. In das Vermögen der<br />

Stiftung hat der DAV einen Grundbetrag<br />

von 51.000 E bereit gestellt.<br />

Weiteres Vermögen setzt sich aus<br />

Spenden und zu einem geringerem<br />

Teil bereits aus Zahlungen aus Auflagen<br />

zusammen.<br />

Aus den Mitteln der Stiftung sollen<br />

die Kosten für Rechtsberatung und<br />

Rechtsvertretung von Opfern politisch<br />

motivierter Gewalttaten getragen werden.<br />

Nach Ansicht des DAV kann<br />

damit die Anwaltschaft dafür sorgen,<br />

dass die Opfer solcher Gewalttaten<br />

zumindestens schnell und ohne bürokratische<br />

Hürden den notwendigen<br />

Rechtsbeistand erhalten können. Die<br />

Anwältin bzw. der Anwalt des betroffenen<br />

Opfers wendet sich an die Stiftung<br />

und erhält nach Prüfung des Vorliegens<br />

des Stiftungszweckes einen<br />

Kostenvorschuss in Höhe von 300 E<br />

zuzüglich Umsatzsteuer. Dabei muss<br />

dargelegt werden, dass sie ein Opfer<br />

rechtsextremistischer oder politisch<br />

motivierter Gewalt vertreten und das<br />

Opfer bedürftig ist. Nach Abwicklung<br />

und Durchführung des anwaltlichen<br />

Auftrages wird die Kostenrechnung<br />

der Stiftung eingereicht. Von der<br />

Kostenrechnung werden alle Beträge<br />

abgerechnet, die durch Dritte, wie beispielsweise<br />

Prozesskostenhilfe,<br />

Rechtsschutzversicherung etc. erreicht<br />

werden.<br />

In diesem Zusammenhang von<br />

einer „erfolgreichen“ Arbeit zu sprechen,<br />

verbietet sich von selbst. Die Arbeit<br />

ist aber aufgenommen. Anwälte<br />

von Opfern politisch motivierter Gewalttaten<br />

haben bereits in 32 Fällen<br />

den Antrag auf Unterstützung durch<br />

die Stiftung gestellt. Die ersten Verfahren<br />

sind durch Übernahme der anwaltlichen<br />

Kosten durch die Stiftung<br />

abgeschlossen. Durch die Zusage der<br />

Übernahme des Kostenvorschusses<br />

konnte die Arbeit der Kolleginnen und<br />

Kollegen unterstützt werden. Zahlreiche<br />

andere Fälle sind noch nicht abgeschlossen;<br />

dort wurde ein Kostenvorschuss<br />

gewährt.<br />

Wie notwendig die Errichtung der<br />

Stiftung ist, ergibt sich aus folgenden<br />

beispielhaft herausgesuchten Fällen:<br />

In einem von der Stiftung unterstützen<br />

Fall wurde ein portugiesischer<br />

Zimmermann durch Skinheads niedergeschlagen.<br />

Dabei wurde ihm drei bis<br />

fünfmal mit Springerstiefeln und Stahlkappen<br />

gegen den Kopf getreten. Das<br />

Opfer verstarb. Die Familie des Opfers<br />

lebt in Portugal und hat auch dort<br />

einen portugiesischen Anwalt mit der<br />

Wahrnehmung der Interessen beauftragt.<br />

Aus Sicht der Stiftung war es<br />

notwendig, dass die Familie einen portugiesischen<br />

Anwalt hat und dieser bei<br />

den Verhandlungen in Deutschland mit<br />

einem deutschen Anwalt zusammenarbeiten<br />

kann.<br />

Ein weiteres Opfer wurde in einer<br />

Bahnhofsunterführung von drei Tätern<br />

als „Schwein“, „Ausländer“, „Neger“<br />

beschimpft. Des Weiteren wurde er<br />

mit einem Messer akttaktiert und erlitt<br />

erhebliche Verletzungen. Auch hier<br />

sah das Kuratorium der Stiftung den<br />

Stiftungszweck erfüllt und unterstützte<br />

das Opfer durch Zahlung der Rechtsanwaltskosten.<br />

Die Stiftung unterstützt nicht nur<br />

die Nebenklage, sondern auch die<br />

Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche.<br />

So konnte sie in einem Fall<br />

helfen, als ein Betroffener auf offener<br />

Straße als „Neger“ beschimpft wurde.<br />

Der Mandant wurde auf den Kopf geschlagen<br />

und versuchte dabei zu fliehen.<br />

Er wurde bei seiner Flucht durch


AnwBl 3/2002 159<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

die Innenstadt von den Tätern gestellt.<br />

So dann wurde er mehrfach getreten,<br />

so dass dieser neben einer Schädelprellung<br />

noch andere Verletzungen davon<br />

trug. Bei der Tat wurden ausländerfeindliche<br />

Parolen gebrüllt.<br />

In einem anderen Fall wurde ein<br />

pakistanischer Mandant von mehreren<br />

Skinheads angegriffen. Nachdem dieser<br />

verletzt worden war, wurden seine<br />

indischen Begleiter mit zur Hilfenahme<br />

eines Kampfhundes durch die<br />

Stadt gehetzt. In der Urteilsbegründung<br />

heißt es: „Doch bereits in der<br />

Bereitschaft eine mögliche Schlägerei<br />

zu führen, kamen die Angeklagten in<br />

diese Situation spontan überein, gemeinsam<br />

mit körperlicher Gewalt den<br />

Ausländern klar zu machen, dass ihre<br />

Anwesenheit stört und dass man sich<br />

besser nicht mit ihnen anlegt. Ohne es<br />

ausdrücklich auszusprechen, beabsichtigten<br />

sie, bei der Auseinandersetzung<br />

verschiedene Gegenstände und auch<br />

den vor Ort verbliebenen Kampfhund<br />

des Angeklagten K. bewusst gegen die<br />

Ausländer als Waffen einzusetzen“.<br />

Dies sind nur Beispiele, die zeigen,<br />

wie nötig die Errichtung der Stiftung<br />

war. Die Anwaltschaft kann durch<br />

diese Stiftung ihr gesellschaftliches<br />

Engagement dadurch zum Ausdruck<br />

bringen, dass sie die Unterstützung<br />

eines Opfers mit anwaltlicher Hilfe<br />

gewährleistet.<br />

Das Vermögen der Stiftung bedarf,<br />

wie die dargestellten Fälle zeigen,<br />

durchaus noch der Aufstockung, damit<br />

wirksam geholfen werden kann.<br />

Daher bleiben alle Kolleginnen und<br />

Kollegen aufgerufen, einen kleinen<br />

oder größeren Beitrag auf das Konto<br />

der Stiftung bei der<br />

Dresdner Bank Bonn<br />

Konto-Nr.: 207829601<br />

BLZ: 37080040<br />

einzuzahlen. Bitte unterstützen Sie<br />

die Stiftung auch dadurch, dass Sie bei<br />

Einstellung gemäß § 153a StPO auf<br />

die gemeinnützige Stiftung des DAV<br />

hinweisen.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

Deutsche Anwaltauskunft<br />

Deutsche Anwaltauskunft –<br />

Ein starker Auftritt<br />

„Wir finden den passenden Anwalt.<br />

Für Ihr Problem. In Ihrer Nähe“.<br />

Mit dieser Aussage trat die Deutsche<br />

Anwaltauskunft bei einer bundesweiten<br />

Werbeaktion unter der Nen-<br />

nung der Telefonnummer und der<br />

Internetadresse auf. Von Mitte Januar<br />

bis Mitte Februar wurden die Fahrgäste<br />

in S-, U-, und Straßenbahnen<br />

sowie Omnibussen an über 12.000<br />

Stellen auf die Servicenummer der<br />

Deutschen Anwaltauskunft und deren<br />

Internetadresse aufmerksam gemacht.<br />

Allein im Januar konnte so die Zahl<br />

der Anrufe um rund 2.300 gesteigert<br />

werden. Neben dieser Werbeaktion<br />

wird die Deutsche Anwaltauskunft<br />

ganzjährig in den Gelben Seiten, dort<br />

wo dies möglich ist, und über redaktionelle<br />

Beiträge in Anzeigenblättern,<br />

Zeitungen und Zeitschriften beworben.<br />

Erfolg exklusiv für Mitglieder<br />

Die Deutsche Anwaltauskunft, der<br />

Anwaltsuchdienst des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />

benennt exklusiv – ohne<br />

weitere Kosten – die Mitglieder der<br />

örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e. Damit kommt<br />

sie dem Informationsbedürfnis der<br />

Bürger weit entgegen und kann den<br />

Mitgliedern neue Mandate bringen..<br />

Unter der bundesweit einheitlichen<br />

Rufnummer 01805/181805 (0,12<br />

E/min.) und im Internet unter<br />

www.anwaltauskunft.de kann der Ratsuchende<br />

sich den passenden Anwalt<br />

in seiner Nähe benennen lassen. Neben<br />

dem großen Erfolg des telefonischen<br />

Service (ca. 6.000 Anrufe pro<br />

Monat) werden auch monatlich rund<br />

70.000 Seiten im Internet abgerufen.<br />

Damit hat es die Deutsche Anwaltauskunft<br />

geschafft, die Nachfrage nach<br />

anwaltlicher Dienstleistung auf die<br />

Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />

zu lenken.<br />

Die Deutsche Anwaltauskunft benennt<br />

mit Hilfe eines Anforderungsprofils<br />

(Postleitzahl und Rechtsgebiet<br />

etc.) am Telefon bis zu drei Kolleginnen<br />

und Kollegen, im Internet sind<br />

dies bis zu fünf. Sollte das Anforderungsprofil<br />

auf mehr als eine Kollegin<br />

bzw. einen Kollegen zutreffen, erfolgt<br />

die Auswahl und Reihenfolge der Benennung<br />

mit Hilfe eines Zufallgenerators.<br />

Die Begrenzung der Benennung<br />

ist erforderlich, da der Datenbestand<br />

der Deutschen Anwaltauskunft mit einem<br />

hohen Aufwand gepflegt wird<br />

und für kommerzielle Adressdienstleister<br />

von außerordentlichem Interesse<br />

ist. Die Erfahrungen zeigen<br />

auch, dass die Nennung von bis zu<br />

drei Adressen ausreichend ist.<br />

Bundesweit größter Datenbestand<br />

Die Deutsche Anwaltauskunft greift<br />

bei ihrer Benennung auf den Daten-<br />

bestand der Deutschen Anwaltadresse,<br />

der Anschriftenzentrale des DAV,<br />

zurück. Dort werden sämtliche büround<br />

personenbezogenen Daten sowie<br />

Qualifikationen, wie Fachanwaltschaften,<br />

Tätigkeits- und Interessensschwerpunkte,<br />

Fremdsprachenkenntnisse, etc.<br />

gespeichert. Diese Daten sind für das<br />

oben bezeichnete Anforderungsprofil<br />

wesentlich. Wichtig ist daher, mit welchen<br />

Daten das einzelne Mitglied bei<br />

der Deutschen Anwaltadresse gespeichert<br />

ist. Wer seine Daten überprüfen<br />

möchte, kann sich sein persönliches<br />

Datenblatt von der Deutschen Anwaltadresse<br />

(Tel.: 030/ 726153-170, -171,<br />

Fax: 030/726153-177) zufaxen lassen.<br />

Dieses kann dann ergänzt bzw.<br />

korrigiert und mit der Unterschrift versehen<br />

wieder zurückgefaxt werden.<br />

Nach einer Einarbeitungszeit und der<br />

monatlichen Aktualisierung sind die<br />

neuen Daten im Datenbestand der<br />

Deutschen Anwaltauskunft sowohl am<br />

Telefon als auch im Internet enthalten.<br />

Aus Kostengründen wird der Datenbestand<br />

der Deutschen Anwaltauskunft<br />

monatlich und nicht täglich aktualisiert.<br />

Flächendeckende Benennung<br />

Allein die Deutsche Anwaltauskunft<br />

ist in der Lage, die passende Anwältin<br />

bzw. den passenden Anwalt in<br />

der Nähe der Bürger zu benennen. Die<br />

Deutsche Anwaltauskunft ist damit<br />

der größte Anwaltsuchdienst in der<br />

Bundesrepublik. Dies ist der entscheidende<br />

Wettbewerbsvorteil gegenüber<br />

anderen Suchdiensten und hat sich damit<br />

in der Öffentlichkeit durchgesetzt.<br />

Für die Presse ist dies der Mehrwert,<br />

um auf die Deutsche Anwaltauskunft<br />

aufmerksam zu machen. Ein weiterer<br />

Vorteil in der Berichterstattung wird<br />

darin gesehen, dass die in der Deutschen<br />

Anwaltauskunft verzeichneten<br />

Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />

für ihren Auftritt keinen zusätzlichen<br />

Beitrag entrichten müssen und die<br />

Deutsche Anwaltauskunft damit keinen<br />

kommerziellen Service darstellt.<br />

Verkehrsrechtler mit direktem Draht<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> nutzt<br />

den Service der Deutschen Anwaltauskunft<br />

für eine zusätzliche Dienstleistung.<br />

Die in der Arbeitsgemeinschaft<br />

zusammengeschlossenen 5.000 Verkehrsrechtler<br />

haben sich dazu entschlossen,<br />

mit Hilfe der Verdopplung<br />

des Mitgliedsbeitrages der ARGE Verkehrsrecht<br />

diese Rufnummer zu bewer-


160<br />

MN<br />

ben. Dies ist durch das sogenannte<br />

Schadensmanagement der Versicherungswirtschaft<br />

notwendig geworden.<br />

Mit Hilfe dieses „Schadensmanagements“<br />

versuchen die Versicherer die<br />

Geschädigten eines Verkehrsunfalls<br />

von anwaltlichem Rat, abzuschneiden.<br />

Eine Umfrage in der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht hat ergeben, dass<br />

das Gebührenaufkommen aus der<br />

Schadensregulierung bereits erheblich<br />

zurückgegangen ist. Daher muss in der<br />

Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit,<br />

z. B. bei Verkehrsunfällen sich anwaltlicher<br />

Hilfe zu bedienen, hingewiesen<br />

werden.<br />

Mit Hilfe der Deutschen Anwaltauskunft<br />

wird eine „Verkehrshotline“<br />

beworben. Die Anrufer bei der Deutschen<br />

Anwaltauskunft, die nach „Verkehrsrecht“<br />

fragen, haben die Auswahl,<br />

sich in der Nähe jemanden<br />

benennen zu lassen oder sich direkt<br />

mit einem im Verkehrsrecht versierten<br />

Anwalt verbinden zu lassen. Bei der<br />

letzteren Möglichkeit wird aufgrund<br />

des Werbeaufwandes der Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht ausschließlich<br />

auf deren Mitglieder zurückgegriffen.<br />

Ziel der Durchstellung ist nicht<br />

telefonische Rechtsberatung, sondern<br />

ein Mandatsanbahnungsgespräch.<br />

Durch die Sonderwerbungen der<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht unter<br />

der Nennung der Rufnummer der<br />

Deutschen Anwaltauskunft konnte das<br />

Anrufvolumen insgesamt gesteigert<br />

werden. Dies kommt sowohl den Mitgliedern<br />

der Arbeitsgemeinschaft als<br />

auch den Mitgliedern der örtlichen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>e zugute. Die<br />

größtmögliche Verbreitung der Servicenummer<br />

ist dabei wesentlich. Bemerkenswert<br />

ist weiterhin, dass so ein<br />

wichtiges Tätigkeitsfeld, wie das Verkehrsrecht,<br />

für Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte gesichert wird.<br />

Erfolg spart Kosten<br />

Der Erfolg der Deutschen Anwaltauskunft<br />

zeigt, dass es keine zwingende<br />

Notwendigkeit gibt, in anderen<br />

Suchdiensten gegen Gebühr enthalten<br />

zu sein. Der Service der Deutschen<br />

Anwaltauskunft stellt daher einen weiteren<br />

rechnerischen Vorteil für die<br />

Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />

dar.<br />

Zur Zeit gibt es eine verstärkte<br />

Werbeaktion kleinerer, kommerzieller<br />

Anbieter, die auch solche Dienstleistungen<br />

anbieten. Dabei sollte der angepriesene<br />

Vorteil mit dem Erfolg der<br />

Deutschen Anwaltauskunft verglichen<br />

werden, um die Notwendigkeit der<br />

Mitgliedschaft in anderen Suchdiensten<br />

zu überprüfen. Solches Werbematerial<br />

darf auch nicht mit der Deutschen Anwaltauskunft<br />

und den Suchdiensten der<br />

örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e und der regionalen<br />

Kammern verwechselt werden.<br />

Bei den örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en<br />

ist die einzelne Anwältin, der einzelne<br />

Anwalt Mitglied und nicht die Kanzlei.<br />

Die Wahrscheinlichkeit der Benennung<br />

durch die Deutsche Anwaltauskunft<br />

wird dadurch erhöht, dass<br />

sämtliche Mitglieder einer Kanzlei<br />

auch Mitglieder ihres örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

sind.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

DAV-Ausschüsse<br />

Stellungnahmen im Jahre 2002<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />

Künftig erhalten Sie regelmäßig einen<br />

Überblick über die von den Gesetzgebungsausschüssen<br />

des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s herausgegebenen<br />

Stellungnahmen zu den laufenden Gesetzgebungsvorhaben.<br />

Anliegend finden Sie den Überblick<br />

für den Monat Januar 2002.<br />

Datum Nr. Betreff<br />

31.1.2002 10 Ausschuss Gebüh-<br />

21.1.2002 09<br />

renrecht/Gebührenstruktur Kommissionsentwurf<br />

RechtsanwaltsvergütungsgesetzSozialrechtsausschuss<br />

Gleichstellungsgesetz<br />

17.1.2002 08 Zivilrechtsausschuss<br />

2. Schadensersatzänderungsgesetz<br />

17.1.2002 07 Handelsrechtsausschuss<br />

Corporate<br />

Gouvernance Codex<br />

15.1.2002 06 Arbeitsrechtsausschuss<br />

Seemannsgesetz<br />

15.1.2002 05 Ausschuss Geistiges<br />

Eigentum<br />

Gemeinschaftspatent<br />

14.1.2002 04 Handelsrechtsausschuss<br />

Transparenz- und<br />

Publikationsgesetz<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

14.1.2002 03 HandelsrechtsausschussSpruchverfahrensgesetz<br />

8.1.2002 02 Strafrechtsausschuss<br />

Verletztenrechte<br />

3.1.2002 01 Ausländer- und<br />

Asylrechtsausschuss<br />

Zuwanderungsgesetz<br />

Die Stellungnahmen finden Sie im Internet<br />

unter www.anwaltverein.de/03/<br />

05/index.html oder können beim Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße 11,<br />

10179 Berlin angefordert werden.<br />

DAV-Pressemitteilungen<br />

Die Nachwuchsmesse zum<br />

Deutschen Anwaltstag:<br />

AdvoJob/Praxi§<br />

Berlin (DAV). Anlässlich des vom<br />

9. bis zum 11. Mai 2002 in München<br />

stattfindenden 53. Deutschen Anwaltstages<br />

wird am 9. Mai 2002 im<br />

Münchner Künstlerhaus eine überregionale<br />

juristische Nachwuchsmesse<br />

veranstaltet. Diese wird gemeinsam<br />

vom Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV)<br />

und vom FORUM Junger Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte im<br />

DAV sowie der Dr. von Göler Verlagsgesellschaft<br />

durchgeführt. Trotz einer<br />

viel beklagten Juristenschwemme werden<br />

qualifizierte Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte von Kanzleien unterschiedlicher<br />

Größe in Deutschland<br />

nach wie vor dringend gesucht. Auf<br />

der „AdvoJob in Kooperation mit<br />

Praxi§“ können Bewerbungs- und Informationsgespräche<br />

mit renommierten<br />

Anwaltskanzleien geführt werden. Zudem<br />

erhalten die Nachwuchsjuristen<br />

Informationen über entscheidende<br />

Aspekte der Karriereplanung, Fortbildungsmöglichkeiten,<br />

die erfolgreiche<br />

Kanzleigründung und vieles mehr.<br />

Für diese Bewerbermesse haben<br />

sich Partner zusammengefunden, die<br />

gemeinsam in der Lage sind, Angebot<br />

und Nachfrage im juristischen Arbeitsmarkt<br />

in optimaler Weise zusammenzuführen:<br />

Im DAV sind rund 240 regionale<br />

<strong>Anwaltverein</strong>e mit insgesamt rund<br />

56.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten<br />

zusammengeschlossen. Das<br />

FORUM Junger Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte im DAV vertritt die<br />

Interessen der Zielgruppe junge Anwälte<br />

bis 40 Jahre. Das FORUM berät<br />

und unterstützt seine derzeit über<br />

4.500 Mitglieder bei der Existenzgrün-


AnwBl 3/2002 161<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

dung und liefert durch Publikationen<br />

der Zeitschrift AdVoice wichtige Informationen<br />

zum Arbeitsmarkt, zur Kanzleiausstattung<br />

und vieles mehr. Die Dr.<br />

von Göler Verlagsgesellschaft ist auf<br />

den juristischen Arbeitsmarkt spezialisiert<br />

und erreicht über Zeitschriften,<br />

Newslettern, Bewerbermessen und einer<br />

online Präsenz insbesondere den<br />

juristischen Nachwuchs mit einer Vielzahl<br />

spezialisierter Medien.<br />

Im Vorfeld der Messe kann von Interessenten<br />

eine kostenlose Broschüre<br />

unter Broschuere@praxis-online.com<br />

abgerufen werden, die ca. zwei Wochen<br />

vor der Veranstaltung übersandt<br />

wird. Zum selben Zeitpunkt wird auch<br />

ein Profilservice zur Verfügung stehen,<br />

um Gesprächswünsche mit den Ausstellern<br />

abzustimmen. Informationen<br />

sind erhältlich bei: Dr. von Göler Verlagsgesellschaft,<br />

Polkostr. 74, 81245<br />

München, Tel: 089/82085950, Fax:<br />

089/82085959.<br />

Die AdvoJob/Praxi§ findet am<br />

9. Mai 2002 im Münchner Künstlerhaus,<br />

Lenbachstraße 8, 80333<br />

München, von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr<br />

statt.<br />

Der Eintritt ist kostenlos.<br />

(DAV-Pressemitt. Nr. 01/02 v. 15.1.2002)<br />

AG Anwaltsmanagement<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />

führt ihre diesjährige<br />

Mitgliederversammlung am Donnerstag,<br />

9. Mai 2002, 14.00 Uhr im Rahmen<br />

des Deutschen Anwaltstages<br />

2002 im Arabella Sheraton Grand<br />

Hotel, Arabellastraße 6 in 81925<br />

München durch.<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />

2. Kassenbericht<br />

3. Allgemeine Aussprache<br />

4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

5. Neuwahl des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

6. Wahl eines Kassenprüfers<br />

7. Veranstaltungsplanung<br />

8. Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft<br />

9. Sonstiges<br />

Anträge von Mitgliedern zur Tagesordnung<br />

sind bis 17. April 2002 an<br />

den Geschäftsführenden Ausschuss der<br />

Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße<br />

11, 10179 Berlin zu richten.<br />

AG Anwaltsnotariat<br />

Neues im Notariat<br />

Frühjahr 2002, Herbst 2001<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat<br />

freut sich auf Ihre Frühjahrsveranstaltung<br />

am 15. und 16. März<br />

2002 in Kassel. Einladung und Programm<br />

finden Sie in diesem Heft.<br />

Mit dieser Tagung setzte die Arbeitsgemeinschaft<br />

ihre traditionelle<br />

Veranstaltungsreihe „Neues im Notariat“<br />

fort. Sie hatte zuletzt sehr erfolgreich<br />

und interessant am 19. und<br />

20. Oktober 2001 in Berlin ihre<br />

Herbstveranstaltung 2001 bestritten,<br />

über deren Inhalte hier knapp und im<br />

Überblick berichtet werden soll.<br />

Herbstveranstaltung 2001<br />

Zu Beginn der Tagung sprach<br />

Rechtsanwältin und Notarin Anne<br />

Elisabeth Klein, Berlin, über „Unterhaltsvereinbarungen<br />

in der Notariellen<br />

Praxis“. In der Einleitung klärte<br />

die Referentin zunächst die Verträge,<br />

die zwischen Eheleuten und Lebenspartnern<br />

geschlossen zu werden pflegen<br />

als Verträge vor der Ehe, vor der<br />

Eingehung der Lebenspartnerschaft;<br />

als Verträge während der Ehe, der Lebenspartnerschaft;<br />

oder als Verträge,<br />

die auf Beendigung der Ehe, der Lebenspartnerschaft<br />

ausgerichtet sind<br />

(Scheidung, Aufhebung der Lebenspartnerschaft);<br />

und schließlich als Verträge,<br />

die der Vorsorge auf den Todesfall<br />

zu dienen bestimmt sind. Deutlich<br />

wurde auf die unterschiedlichen Aufgaben<br />

der anwaltlichen und der notariellen<br />

Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld<br />

hingewiesen. Originär anwaltliche Tätigkeit<br />

ist es danach, gestalterisch den<br />

Parteiwillen des Auftraggebers zum<br />

Ausdruck zu bringen und dabei das<br />

gemeinsame Ziel beider Parteien im<br />

Auge zu behalten. Das ist die einvernehmliche<br />

außergerichtliche Regelung<br />

aller klärungsbedürftigen Gegenstände.<br />

Anders der Notar: Er darf nicht für<br />

eine einseitig günstige Gestaltung des<br />

Vertrages sorgen. Die sich wiedersprechenden<br />

Interessen der Eheleute und<br />

Lebenspartner nach optimaler einseitiger<br />

Interessenvertretung einerseits und<br />

der Wunsch nach außergerichtlicher<br />

gütlicher Einigung mit der Gegenseite<br />

andererseits sind nicht leicht miteinander<br />

zu vereinbaren und führen häufiger<br />

zu Konflikten. Der beurkundende<br />

Notar hat allergrößte Zurückhaltung zu<br />

wahren, damit er nicht in die einseitige<br />

Begünstigung gerät, aber auch nicht<br />

aus dem Auge verliert, dass sein Werk<br />

als Vertrag, Vereinbarung, Vergleich<br />

nur gelingt, wenn gegenseitiges Nachgeben<br />

der Beteiligten vorliegt. Bei der<br />

gestalterischen Aufklärung etwa für<br />

den Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrag<br />

sollten nach der unabdingbaren<br />

sorgfältigen Anamnese des Sachverhalts<br />

und der Zielvorstellungen der<br />

Parteien die notariellen Prüfungs- und<br />

Hinweispflichten enthalten seien, denn<br />

die Verträge, vor allem in Gestalt vollstreckbarer<br />

Titel, bedürfen regelmäßig<br />

der notariellen Beurkundung. Vor diesem<br />

Hintergrund behandelte Rechtsanwältin<br />

und Notarin Anne Elisabeth<br />

Klein sehr übersichtlich, mit klaren<br />

Aussagen und Hilfen für die tägliche<br />

Praxis Scheidungsfolgen- und Trennungsvereinbarung<br />

(Checkliste), den<br />

Kindesunterhalt mit den kürzlichen<br />

wichtigsten Änderungen, einschließlich<br />

der Hinweise zu volljährigen<br />

Kindern in der allgemeinen Schulausbildung,<br />

den Ehegattenunterhalt,<br />

Familien-, Trennungs- und Geschiedenenunterhalt<br />

sowie zuletzt das Unterhaltsrecht<br />

der eingetragenen Lebenspartnerschaft.<br />

Reicher Gewinn für die<br />

Teilnehmer der Veranstaltung.<br />

Die sog. Mitwirkungsverbote bleiben<br />

seit der Novellierung der Bundesnotarordnung<br />

und des Beurkundungsgesetzes<br />

im Jahre 1998 ein „ewiges“<br />

Thema. Sie sind oft in der Literatur<br />

und auf Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaften<br />

behandelt worden. Im<br />

Herbst 2001 gab es eine neue, nämlich<br />

empirische Annäherung an das Thema.<br />

Aufgrund eines von der Arbeitsgemeinschaft<br />

angeregten und gestalteten<br />

Umfragetableaus entwarf Prof. Dr.<br />

Christoph Armbrüster, Bucerius Law<br />

School Hamburg die Konzeption für<br />

die Umfrage, führte sie durch und<br />

erörterte die analysierten Ergebnisse<br />

mit den Teilnehmern der Veranstaltung<br />

unter dem Titel „Mitwirkungsverbote<br />

in Theorie und Praxis – Eine kritische<br />

Analyse“. Der Inhalt des Vortrages ist<br />

gut in den nachfolgenden Thesen zusammengefasst.<br />

1. Die gebotene verfahrensrechtliche<br />

Absicherung der notariellen<br />

Unparteilichkeit ist nur gewährleistet,<br />

wenn neben der Generalklausel<br />

typische und bedeutsame Fälle herausgegriffen<br />

und enumerativ Ausschlussgründe<br />

formuliert werden.


162<br />

MN<br />

2. Unter dem Begriff der Angelegenheit<br />

lässt sich ein durch den<br />

konkreten Beurkundungsauftrag begrenztes<br />

Rechtsverhältnis mit den sich<br />

hieraus unmittelbar ergebenden Rechten<br />

und Pflichten verstehen, einschließlich<br />

solcher Rechtsverhältnisse,<br />

die von dem Gegenstand der Beurkundung<br />

unmittelbar präjudiziert werden.<br />

Die Erfassung präjudizierter Rechtsverhältnisse<br />

ist unter anderem deshalb<br />

erforderlich, weil sonst reine Tatsachenbeurkundungen<br />

entgegen dem Gesetz<br />

generell aus dem Anwendungsbereich<br />

des § 3 BeurkG herausfallen<br />

würden.<br />

3. Vereinzelt wird angenommen,<br />

dass sich bei Unterschriftsbeglaubigungen<br />

der zugrundeliegende Lebenssachverhalt<br />

auf die Unterschriftsleistung<br />

beschränkt und somit nur der<br />

Unterzeichnende sachlich beteiligt ist.<br />

Hierfür lassen sich gute Gründe<br />

anführen; da sich dieser Standpunkt jedoch<br />

bislang nicht durchgesetzt hat,<br />

sollte sich die Praxis daran vorerst<br />

nicht orientieren.<br />

4. Der Anwendungsbereich des § 3<br />

Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BeurkG lässt sich<br />

teleologisch dahingehend reduzieren,<br />

dass das Mitwirkungsverbot nicht für<br />

Unterschriftsbeglaubigungen und einseitige<br />

nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen<br />

gilt. Der vorsichtige<br />

Notar wird freilich keine Beurkundung<br />

für seinen Sozius vornehmen, solange<br />

keine Stellungnahmen der Aufsichtsbehörde<br />

oder Notarkammern vorliegen.<br />

5. Für den Ausschluss wegen Vorbefassung<br />

gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 7<br />

BeurkG genügt es im Falle eines Sozieätswechsels<br />

nicht, dass nur frühere<br />

Sozien des Sozietäswechslers, nicht<br />

aber dieser selbst mit der Angelegenheit<br />

befasst waren.<br />

6. Dispositive Mitwirkungsverbote<br />

sind nicht generell zu befürworten, da<br />

die notarielle Unparteilichkeit auch<br />

dann gefährdet sein kann, wenn weder<br />

den Beteiligten noch dem Notar selber<br />

die Parteilichkeit bewusst ist. Einige<br />

Mitwirkungsverbote, etwa das gem.<br />

§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BeurkG würden<br />

allerdings für eine dispositive Lösung<br />

nach dem Vorbild des § 3 Abs. 2<br />

und 3 BeurkG durchaus in Betracht<br />

kommen.<br />

7. Der Ausnahme des § 3 Abs. 1<br />

S. 1 Nr. 7 Hs. 2 BeurkG liegt der<br />

materielle Beteiligtenbegriff zugrunde.<br />

Es ist zudem daran festzuhalten, dass<br />

auch spontane Beurkundungen nach<br />

Abschluss der nichtnotariellen Tätigkeit<br />

möglich sein müssen.<br />

8. Wenngleich die Vorbefassungsfrage<br />

ihren Zweck nicht erfüllt und<br />

§ 3 Abs. 1 S. 2 BeurkG daher aufgehoben<br />

werden sollte, ist diese Regelung<br />

als derzeit geltendes Recht ausnahmslos<br />

zu beachten.<br />

Die sehr instruktive Unterrichtung<br />

der Kolleginnen und Kollegen war begleitet<br />

von der Erörterung zahlreicher<br />

Beispielsfälle. Der Referent hat das<br />

Thema inzwischen in der ZNotP dargelegt.<br />

Den dritten Teil der Veranstaltung<br />

bestritt Rechtsanwalt und Notar Volker<br />

G. Heinz, Barrister at Law and Notary<br />

Public Berlin/London mit dem Vortrag<br />

„Notarkosten in Europa – Ein Überblick“.<br />

Angesichts der europaweit<br />

sehr rudimentären Dokumentation<br />

kann man die Arbeit und die Präsentation<br />

des Themas durch den Referenten<br />

nicht hoch genug einschätzen. Den<br />

Teilnehmern der Veranstaltung wurden<br />

in der Schilderung der europäischen<br />

Notariatsverfassungen, der Tätigkeit<br />

der Notare in Europa, des Honorarsystems,<br />

dies alles im Vergleich, weitestgehend<br />

neue Einsichten vermittelt.<br />

Man sieht, dass sich im europäischen<br />

Kontext dem Notariat trotz aller Unterschiede<br />

und des deutlichen Anpassungs-<br />

und Erneuerungsbedarfs beträchtliche<br />

Chancen eröffnen.<br />

Zum Abschluss der Veranstaltung<br />

besprach Prof. Dr. Barbara Grunewald,<br />

Universität zu Köln „Neues<br />

Schuldrecht und Notariat“. Im Vorfeld<br />

der Verabschiedung der Schuldrechtsreform<br />

gelang es der Referentin durch<br />

ihren temperamentvollen Vortrag die<br />

Teilnehmer der Veranstaltung zu fesseln<br />

und sie im Gestrüpp der widerstreitenden<br />

Argumentationen über Sinn<br />

und Zweck der Reform für die unbestreitbaren<br />

Vorzüge des neuen Systems<br />

einzunehmen. Dessen tragende Grundlagen<br />

wurden sehr deutlich in der<br />

Reihe der behandelten Einzelthemen:<br />

Sachmangel/Rechtsmangel; Rechtsbehelfe<br />

vor und nach Gefahrübergang,<br />

Schadensersatz; Verjährung; Ausschluss<br />

der Haftung; Rechtskauf; verdrängte<br />

Rechtsbehelfe, jeweils mit<br />

Hinweisen auf instruktive Beispiele<br />

der notariellen Praxis. Die Teilnehmer<br />

konnten die Veranstaltung mit beschwingter<br />

Aussicht auf ein neuerlich<br />

erforderliches Grundstudium verlassen,<br />

zu dem sie trefflich angeleitet waren.<br />

Was hier nur knapp umrissen ist,<br />

wird ganz oder in Teilen im Mit-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

teilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft<br />

nachzulesen sein.<br />

Mitgliederversammlung 2001<br />

Im Rahmen der Herbstveranstaltung<br />

fand die Mitgliederversammlung<br />

2001 der Arbeitsgemeinschaft statt.<br />

Im Geschäftsbericht blickte der Vorsitzende<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

Rechtsanwalt und Notar<br />

Günter Schmaler auf die Veranstaltungen<br />

der Arbeitsgemeinschaft in Bremen<br />

und Hamburg zurück und auch<br />

auf die Mitwirkung an dem erfolgreichen<br />

Anwaltstag 2001 in Bremen. Er<br />

hob hervor die schöne Präsenz der Arbeitsgemeinschaft<br />

im Internet und den<br />

lebhaften Besuch auf den dort verfügbaren<br />

Seiten. Mit dem Mitteilungsblatt,<br />

dass in unregelmäßiger Folge<br />

erscheinen soll, sei für die Mitglieder<br />

ein weiteres Informationsinstrument<br />

geschaffen. Wichtig sei es, dass der<br />

Geschäftsführende Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />

stets gemeinsam mit<br />

dem Ausschuss Anwaltsnotariat tage.<br />

Auf diese Weise könnten die Gremien<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s wirkungsvoll<br />

für das Notariat arbeiten.<br />

Die Mitgliederversammlung wählte<br />

den Geschäftsführenden Ausschuss<br />

neu und bestellte einstimmig zu dessen<br />

Mitgliedern Rechtsanwalt und Notar<br />

Günter Schmaler, Emden; Rechtsanwalt<br />

und Notar Wolfgang Grebe,<br />

Olpe; Rechtsanwalt und Notar Dr.<br />

Wolfgang Heeb, Stuttgart; Rechtsanwältin<br />

und Notarin Elke Holthausen-<br />

Dux, Berlin; Rechtsanwalt und Notar<br />

Jan de Vries, Leer. Die bisherigen<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses Rechtsanwalt und Notar<br />

Dr. Ulrich Dithmar, Kassel und<br />

Rechtsanwalt und Notar Dieter Kronenbitter,<br />

Esslingen, kandidierten nicht<br />

für die neue Amtsperiode des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses. Dr. Ulrich<br />

Dithmar und Dieter Kronenbitter,<br />

die an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft<br />

entscheidend beteiligt<br />

waren und seit dem sehr engagiert und<br />

kenntnisreich mitwirkten, sei von Herzen<br />

gedankt. Natürlich sehen wir sie<br />

mit großer Freude auf allen künftigen<br />

Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft<br />

und auch bei allen sonst passend<br />

erscheinenden Gelegenheiten.<br />

Die Mitgliederversammlung setzte<br />

den Jahresbeitrag für das Jahr 2002<br />

und die Folgejahre bis auf weiteres<br />

auf 70 EURO fest.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />

Berlin


AnwBl 3/2002 163<br />

Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Forum junger Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte im DAV<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

Hiermit lade ich alle Mitglieder<br />

des FORUMs junger Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte zur diesjährigen<br />

Mitgliederversammlung ein. Sie<br />

findet statt am Freitag, den 10.5.2001<br />

um 16.00–18.00 Uhr im Arabella<br />

Sheraton Grand Hotel in München.<br />

Tagesordnung<br />

1. Begrüßung<br />

2. Feststellung der Beschlussfähigkeit<br />

3. Genehmigung der Tagesordnung<br />

4. Verlesung und Genehmigung des<br />

Protokolls der letzten Mitgliederversammlung<br />

5. Bericht der Vorsitzenden und der<br />

Mitglieder des GFA<br />

6. Bericht der Rechnungsprüfer<br />

7. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

8. Wahl der Rechnungsprüfer<br />

9. Anträge<br />

10. Gebung einer Geschäftsordnung<br />

für Mitgliederversammlungen<br />

11. Satzungsänderungen (Namensänderung,<br />

Nachwahl von Mitgliedern<br />

des GfA)<br />

12. Sonstiges<br />

Unter Punkt 10. wird neben einer<br />

Umbenennung des Forums die<br />

Möglichkeit zur Nachwahl von Mitgliedern<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

zur Abstimmung gestellt. In<br />

einer Neufassung soll § 7 der Geschäftsordnung<br />

wie folgt lauten:<br />

„Die Amtsdauer für Mitglieder des<br />

Geschäftsführenden Ausschusses beträgt<br />

zwei Geschäftsjahre. Sie beginnt<br />

mit dem Ende der Mitgliederversammlung,<br />

in der das Mitglied gewählt worden<br />

ist. und endet mit dem Schluss der<br />

Mitgliederversammlung, in der eine<br />

Neuwahl oder Nachwahl zum Geschäftsführenden<br />

Ausschuss erfolgt.<br />

Wenn ein Mitglied des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses vor Ablauf der<br />

Amtsdauer zurücktritt, erfolgt eine<br />

Nachwahl bei der nächsten Mitgliederversammlung.<br />

Die Nachwahl ist nach<br />

§ 6 Nr. 3 auf die Tagesordnung zu setzen.<br />

Die Amtsdauer nachgewählter<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden<br />

Ausschuss beträgt ebenfalls zwei Geschäftsjahre.“<br />

Rechtsanwältin Tanja Irion, Hamburg<br />

AG Informationstechnologie<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung<br />

anlässlich des Deutschen<br />

Anwaltstages 2002 in München<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />

führt ihre diesjährige<br />

Mitgliederversammlung am Donnerstag,<br />

9. Mai 2002, 17.15 Uhr im Rahmen<br />

des Deutschen Anwaltstages<br />

2002 im Arabella Sheraton Grand<br />

Hotel, Arabellastraße 6 in 81925<br />

München durch.<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />

2. Kassenbericht für die Jahre 2000<br />

und 2001<br />

3. Allgemeine Aussprache<br />

4. Wahl eines Kassenprüfers<br />

5. Verschiedenes<br />

Anträge von Mitgliedern zur Tagesordnung<br />

sind bis 17. April 2002 an den<br />

Geschäftsführenden Ausschuss der ArbeitsgemeinschaftInformationstechnologie<br />

im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße<br />

11, 10179 Berlin zu richten.<br />

AG Internationaler<br />

Rechtsverkehr<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft für Internationalen<br />

Rechtsverkehr im Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong> lädt ein zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

Freitag, 10. Mai 2002, 16.30 bis 18.00<br />

Uhr, Arabella Sheraton Grand Hotel,<br />

Arabellastraße 6, 81925 München<br />

oder Arabella Sheraton Bogenhausen,<br />

Arabellastraße 6, 81925 München<br />

Tagesordnung:<br />

1. Bericht des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

2. Bericht des Kassenprüfers<br />

3. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

4. Wahl des Kassenprüfers<br />

5. Nachwahl zum Vorstand<br />

6. Verschiedenes<br />

Die Mitgliederversammlung findet<br />

im Rahmen des Deutschen Anwaltstages<br />

statt, der vom 9. bis 11. Mai<br />

2002 in München abgehalten wird.<br />

Vor der Mitgliederversammlung<br />

findet von 14.30 und 16.30 Uhr eine<br />

Seminarveranstaltung zum Thema:<br />

„Gestaltung von Außenhandelsbeziehungen<br />

nach der Schuldrechtsreform“<br />

statt.<br />

Referent: Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />

Burkardt Piltz, Gütersloh<br />

Die Veranstaltung wird simultan<br />

ins Englische und Deutsche übersetzt.<br />

Die Anmeldung erfolgt bei:<br />

DeutscheAnwaltAkademie<br />

Frau Nilufar Lankarani<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin<br />

T: +49 (0)30 72 61 53 180<br />

F: +49 (0)30 72 61 53 <strong>188</strong><br />

E: Lankarani@anwaltakademie.de<br />

ARGE Mietrecht & WEG<br />

Einladung zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht<br />

und WEG im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />

lädt alle Mitglieder ein zur Mitgliederversammlung<br />

am Donnerstag, 9. Mai 2002, 11.30<br />

Uhr, Hotel Arabella Sheraton Bogenhausen,<br />

Arabellastr. 6, 81925 München.<br />

Vorschlag zur Tagesordnung:<br />

1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia<br />

2. Jahresbericht für 2001<br />

3. Ausblick für 2002/2003<br />

4. Bericht der Schatzmeisterin für<br />

2001<br />

5. Bericht der Kassenprüfer<br />

6. Aussprache und Entlastung<br />

7. Wahl von Kassenprüfern für 2002<br />

8. Nachwahl in den Geschäftsführenden<br />

Ausschuss<br />

9. Fachanwaltsdiskussion<br />

10. Verschiedenes<br />

Im Vorfeld der Mitgliederversammlung<br />

findet ab 9.30 Uhr am gleichem<br />

Ort ein Vortrag statt zum Thema<br />

„Schuldrechtsreform und Mietrecht“.<br />

Referent ist Prof. Dr. Peter Derleder<br />

aus Bremen. Nach der Mitgliederversammlung<br />

sind von 14.00 bis 15.30<br />

Uhr Präsentationen von Compus/Datatronic<br />

und RA Mirco Bayern GmbH<br />

zur Spracherkennung und von 16.00<br />

bis 17.30 Uhr zwei Vorträge von RiAG<br />

Fritz Billner und Vors. RiLG Fritz<br />

Mugler aus München zu den ersten Erfahrungen<br />

mit der ZPO-Reform vorgesehen.<br />

Die Mitgliederversammlung und<br />

die Begleitveranstaltungen finden statt


164<br />

MN<br />

im Rahmen des 53. Deutschen Anwaltstages<br />

in München. Ein attraktives<br />

Rahmenprogramm für Teilnehmer und<br />

ihre Begleitpersonen ist also gewährleistet.<br />

Die Teilnahme allein an der Mitgliederversammlung<br />

(11.30 bis ca.<br />

12.30 Uhr) ist für die Mitglieder der<br />

ARGE Mietrecht & WEG unentgeltlich.<br />

Der Besuch der Fachveranstaltungen<br />

erfordert eine Anmeldung zum<br />

Anwaltstag. Die Tageskarte für den<br />

Besuch des Anwaltstages in München<br />

kostet 63 E, die Dauerkarte für alle 3<br />

Tage des Anwaltstages kostet für DAV-<br />

Mitglieder <strong>125</strong> E.<br />

Anmeldungen und Anfragen zur<br />

Veranstaltung sind zu richten an die<br />

Deutsche Anwaltakademie, DAT-Organisation,<br />

Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />

Tel.: 0 30/726153 -0, Fax: 0 30/<br />

726152 -111.<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s lädt alle<br />

Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft ein<br />

zur<br />

Mitgliederversammlung 2002<br />

am Freitag, den 26. April 2002,<br />

18.00 Uhr in das Dorint Hotel, Eichstraße/Ludwigstraße,<br />

97070 Würzburg,<br />

Telefon: 0931/3054-0; Telefax:<br />

0931/3054-423).<br />

Tagesordnung:<br />

1. Begrüßung durch den Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

2. Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

3. Kassenbericht des Schatzmeisters<br />

4. Prüfungsbericht der Kassenprüfer<br />

5. Aussprache zu den Punkten 2 –4<br />

6. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses und der Kassenprüfer<br />

7. Wahl zweier Kassenprüfer<br />

8. Bericht über das Call-Center Verkehrsrecht<br />

9. Verschiedenes<br />

Im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />

ist ein gemeinsamer Abend<br />

für die Mitglieder in den „Bürgerspital-Weinstuben“,<br />

Theaterstr. 18, 97070<br />

Würzburg vorgesehen (Selbstzahler).<br />

Damit wir die dafür benötigten Plätze<br />

reservieren lassen können, bitten wir<br />

um baldige Mitteilung, mit wie vielen<br />

Personen Sie an dieser Abendveranstaltung<br />

teilnehmen werden.<br />

Am folgenden Tag findet in<br />

Würzburg die bundesweite Fortbildungsveranstaltung<br />

„Die Rechtsprechung<br />

des BGH in Verkehrssachen<br />

im Jahre 2001“ am 27. April 2002,<br />

9.30–17.00 Uhr auf der Festung Marienberg<br />

statt.<br />

Referenten sind:<br />

Richter am BGH Dr. Jürgen von Gerlach<br />

– Zivilrecht<br />

Vors. Richter am BGH Prof. Dr. Klaus<br />

Tolksdorf – Strafrecht<br />

Richter am BGH a. D. Prof. Wolfgang<br />

Römer – Versicherungsrecht<br />

Anmeldungen für die genannten<br />

Veranstaltungen bitte schriftlich an:<br />

Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />

Veranstaltungsorganisation<br />

Hirschmannstr. 7, 53359 Rheinbach<br />

Tel.: 0 22 26 /91 20 91<br />

Fax: 0 22 26 / 91 20 95<br />

Personalien<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Rainer P a -<br />

p e n f u ß , Berlin, das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Willi Werner<br />

D e c k u , Trier, das Verdienstkreuz am<br />

Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />

verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Frau<br />

Rechtsanwältin Christa E d m o n d<br />

v o n K i r s c h b a u m , München, das<br />

Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik<br />

Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Dr. Friedrich-<br />

Wilhelm v o n E i n e m , Schwanewede,<br />

das Verdienstkreuz am Bande<br />

der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Stefan K l a w i t t e r,<br />

Gräfelfing, das Verdienstkreuz am<br />

Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />

verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Horst-Dieter P r o -<br />

j a h n , Hagen, das Verdienstkreuz am<br />

Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />

verliehen.<br />

Neuer Aufsichtsratsvorsitzender<br />

des Deutschen Anwaltverlages<br />

Rechtsanwalt Dr. Axel Bauer,<br />

Dresden, hat den Vorsitz im Aufsichtsrat<br />

des Deutschen Anwaltverlags übernommen.<br />

Dr. Bauer war und ist in<br />

vielfältigen anwaltlichen Bereichen<br />

tätig und arbeitet auch in Aufsichtsund<br />

Leitungsgremien von wirtschaftlichen<br />

und gesellschaftlichen Unternehmungen.<br />

Buchhinweis<br />

AnwBl 3/2002<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Schlund, Gerhard H.: Verkehrssicherungspflicht<br />

auf öffentlichen Grund,<br />

Neuaufl. 2002, ADAC-Verlag, 176 S.,<br />

kart., 26,90 E<br />

1.500 Urteile für „erste Hilfe“: Aktuelles<br />

ADAC-Handbuch zur Verkehrssicherungspflicht<br />

Wenn es zu Unfällen kommt, weil<br />

Dachlawinen herabstürzen, Gehwege<br />

nicht gestreut oder Baustellen ungenügend<br />

abgesichert sind, stellt sich<br />

für die Geschädigten sofort die Frage<br />

nach der Haftpflicht. Lässt sich die auf<br />

Anhieb nicht klären, enden viele Auseinandersetzungen<br />

vor Gericht. Dabei<br />

ist der Ausgang für die Betroffenen<br />

oft ungewiss. Ihnen, aber auch Verwaltungsbeamten<br />

und Juristen, leistet<br />

ein Nachschlagewerk „erste Hilfe“,<br />

das der ADAC-Verlag unter dem Titel<br />

„Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichem<br />

Grund“ jetzt in aktualisierter<br />

Form herausgebracht hat.<br />

Im Mittelpunkt des 224 Seiten starken<br />

Handbuchs stehen neben einem ausführlichen<br />

Kapitel zum Thema Streupflicht<br />

über 1.500 Urteile, die mit<br />

ihrem vollen Leitsatz oder in Stichworten<br />

und mit der jeweiligen Fundstelle<br />

in den einschlägigen juristischen<br />

Fachzeitschriften zitiert sind. Grundsätzliches<br />

zu den Haftungsgrundlagen<br />

wird in einem eigenen Kapitel abgehandelt.<br />

(Red.)


AnwBl 3/2002 165<br />

EUROPA<br />

Europaweiter Anspruch auf Prozesskostenhilfe<br />

Die Europäische Kommission, Generaldirektion Justiz<br />

und Inneres, hat nach Auswertung der Stellungnahmen zum<br />

Grünbuch „Prozesskostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der<br />

Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen“ (s. Zerdick,<br />

AnwBl 2000, 244) festgestellt, dass eine Person, die<br />

in einem anderen Mitgliedstaat gerichtliche Schritte unternehmen<br />

oder sich in einem gegen sie angestrengten Verfahren<br />

verteidigen will und hierzu in diesem Mitgliedstaat Prozesskostenhilfe<br />

in Anspruch nehmen will, wird aufgrund<br />

der Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen<br />

diversen Schwierigkeiten begegnen.<br />

Als Lösungsvorschlag hat die Kommission nunmehr<br />

einen Richtlinienentwurf zur Festlegung gemeinsamer<br />

Mindestvorschriften bei der Prozesskostenhilfe vorgestellt,<br />

so wie auch vom Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) gefordert<br />

(vgl. DAV-Stellungnahme 34/2001, im Internet abrufbar<br />

unter: http://www.anwaltverein.de/03/05/2001/34-01.pdf).<br />

Der Richtlinienentwurf „für eine Richtlinie des Rates<br />

zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen<br />

mit grenzübergreifendem Bezug durch die Festlegung gemeinsamer<br />

Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe<br />

und für andere mit Zivilverfahren verbundene finanzielle<br />

Aspekte“ (KOM [2002] 13 endgültig) sieht kurz gefasst folgendes<br />

vor:<br />

Die Richtlinie soll – unabhängig von der Art der Gerichtsbarkeit<br />

– auf alle zivilrechtlichen Verfahren einschließlich<br />

des Handelsrechts, Arbeitsrechts und Verbraucherschutzrechts<br />

Anwendung finden (Art 1, 2). Auf<br />

außergerichtliche Verfahren sollen die Vorschriften ebenfalls<br />

anzuwenden sein, wenn diese Verfahren gesetzlich<br />

gefördert oder die Streitparteien durch den Richter darauf<br />

verwiesen werden (Art. 16). Der Vorschlag gilt nicht für verwaltungsrechtliche<br />

Streitsachen, da diese nicht von Artikel<br />

61 EG-Vertrag erfasst sind. Die Richtlinie soll auf sämtliche<br />

Rechtssachen EU-weit Anwendung finden. Ausdrücklich<br />

wird sich davon verabschiedet, eine Regelung ausschließlich<br />

für grenzüberschreitende Fälle zu finden.<br />

Die EU-Kommission schlägt die Einführung eines EUweiten<br />

Anspruchs auf angemessene Prozesskostenhilfe<br />

vor (Art. 3). Dazu gehöre insbesondere „die konkrete Unterstützung<br />

durch einen Rechtsanwalt oder eine andere zur<br />

Vertretung vor Gericht gesetzlich befugte Person in Form<br />

einer Rechtsberatung vor Prozessbeginn und in Form der<br />

Vertretung der betreffenden Person vor Gericht“ (Art. 3).<br />

Der Vorschlag belässt dabei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit,<br />

die Art und Weise der anwaltlichen Unterstützung<br />

(Regelung durch den Staat, die Justizbehörden oder die Anwaltschaft)<br />

sowie die Modalitäten für die Vergütung des<br />

Rechtsanwalts zu regeln. Im Entwurf wird daneben ausdrücklich<br />

festgestellt: „Die Aussicht für eine Partei, die Gerichts-<br />

oder Anwaltskosten selbst dann tragen zu müssen,<br />

wenn sie obsiegt, stellt ein Hindernis für den Zugang zum<br />

Recht dar.“ (Erwägungsgrund 24). Alle EU-Mitgliedstaaten<br />

sollen daher nach Auffassung der Kommission vorsehen,<br />

der erfolgreichen Partei einen Anspruch auf eine angemes-<br />

sene Erstattung eines Teils oder der Gesamtheit der Prozesskosten<br />

einschließlich der Anwaltshonorare durch die unterliegende<br />

Partei einzuräumen (Art. 17).<br />

Weiterhin schreibt der Entwurf den Grundsatz der<br />

Nichtdiskriminierung bei der Behandlung von EU-Staatsangehörigen<br />

im Bereich der Prozesskostenhilfe fest. Auf<br />

Nicht-EU-Bürger soll die Richtlinie dagegen grundsätzlich<br />

keine Anwendung finden.<br />

Über die Erteilung der Prozesskostenhilfe soll der EU-<br />

Mitgliedstaat des Gerichtsstands entscheiden. Gleichzeitig<br />

sind Vermögensschwellen festzusetzen, bei deren Überschreiten<br />

davon ausgegangen werden soll, dass der Antragsteller<br />

die Prozesskosten tragen könne. Wegen der unterschiedlichen<br />

Lebenshaltungs- und Prozesskosten in den<br />

Mitgliedstaaten wurde jedoch davon abgesehen, eine gemeinsame<br />

„europäische“ Schwelle festzulegen (Art. 13).<br />

Der Wortlaut des Entwurfs ist im Internet abrufbar unter<br />

http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2002/com2002_0013de01.pdf<br />

oder kann beim DAV Büro Brüssel angefordert werden, per<br />

Telefax: +32 2 280 28 13 oder per elektronischer Post:<br />

bruessel@anwaltverein.de.<br />

Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />

Niederlassungsrecht für Rechtsanwälte in Belgien<br />

Nach Spanien (vgl. Zerdick, AnwBl 2001, 622) hat nunmehr<br />

auch Belgien die Rechtsanwaltsniederlassungsrichtlinie<br />

98/5/EG in nationales Recht umgesetzt.<br />

Das belgische Umsetzungsgesetz „Loi visant à faciliter<br />

l’exercice de la profession d’avocat ainsi que l’établissement<br />

en Belgique d’avocats ressortissants d’un autre État<br />

membre de l’Union européenne“ bzw. „Wet ter vergemakkelijking<br />

van de uittoefening van het beroep van advocaat<br />

en van de vestiging in België van advocaten die onderdaan<br />

zijn van een andere lidstaat van de Europese Unie“ vom<br />

22. November 2001 (Belgisches Staatsblatt, Ausgabe 1; S.<br />

43980) ist seit dem 1.1.2002 in Kraft.<br />

Es regelt umfassend die Rechte und Pflichten der dienstleistenden<br />

und niedergelassenen europäischen Anwälte in<br />

Belgien und ist daher für die Vielzahl in Brüssel tätigen<br />

deutschen Rechtsanwälte von besonderem Interesse.<br />

Bei einer Niederlassung in Belgien ist in erster Linie auf<br />

die bereits von Art. 3 EG-Richtlinie vorgesehene Eintragungspflicht<br />

in eine Anwaltsliste bei der örtlichen Anwaltvertretung<br />

hinzuweisen. Der anwaltlichen Berufsbezeichnung<br />

des Herkunftslandes ist dabei auf Briefköpfen eine<br />

Entsprechung in der oder den Amtssprachen des Gerichtsbezirks<br />

der Niederlassung hinzuzufügen (Art. 477quinquies<br />

§ 3).<br />

Der Wortlaut des Gesetzes auf französisch und niederländisch<br />

ist über die Internetseiten des belgischen Justizministeriums<br />

unter http://www.moniteur.be abzurufen oder<br />

kann beim DAV Büro Brüssel angefordert werden, per<br />

Telefax: +32 2 280 28 13 oder per elektronischer Post:<br />

bruessel@anwaltverein.de.<br />

Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel


166<br />

l<br />

6<br />

Anwaltausbildung<br />

Treffen der Anwaltshospitanten der Jahrgänge 1993<br />

bis 2001 in Budapest vom 6.–9. Dezember 2001<br />

Seit 1993 hospitieren junge Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälte aus den Mittel- und Osteuropäischen Staaten<br />

für insgesamt drei Monate in deutschen Anwaltskanzleien<br />

auf Kosten der Deutschen Stiftung für internationale<br />

rechtliche Zusammenarbeit e. V., IRZ-Stiftung. Dabei werden<br />

sie zunächst in einem zweiwöchigen Kurs in deutschem<br />

und europäischem Recht geschult. Außerdem erhalten sie<br />

Informationen über den Aufbau der Anwaltschaft in<br />

Deutschland und ein Besuch im DAV-Haus findet statt. Ohnehin<br />

unterstützt der DAV das sog. Hospitationsprojekt der<br />

IRZ-Stiftung logistisch, personell und finanziell.<br />

Zum ersten Mal konnte nunmehr ein Treffen der ehemaligen<br />

Anwaltshospitanten der Jahrgänge 1993 bis 2001<br />

unter Koordination der IRZ-Stiftung, der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

und des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s in Budapest<br />

vom 6.–9. Dezember 2001 stattfinden.<br />

Nach einer Begrüßung erfuhren die ehemaligen Hospitanten<br />

zunächst Aktuelles aus der Projektarbeit der IRZ-<br />

Stiftung. Hierbei ist beachtenswert, dass die IRZ-Stiftung<br />

nicht nur logistisch bei einzelnen Projekten in Mittel- und<br />

Osteuropa hilft, sondern auch durch nennenswerte Beiträge<br />

zur Finanzierung deren Ermöglichung garantiert. Weitere<br />

Einzelheiten zu den aktuellen Projekten können auch im<br />

Internet unter www.irz.de abgerufen werden.<br />

Der zweite Tag unter Moderation von Rechtsanwalt<br />

Anton Braun, Hauptgeschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

(Berlin), stand zunächst vollständig im<br />

Mittelpunkt der aktuellen Entwicklungen in Deutschland.<br />

MDgt. Dr. Hubert Weis, BMJ, berichtete über die Reform<br />

des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches 1 , wie das<br />

Schuldrechtmodernisierungsgesetz, welches in Deutschland<br />

grundlegende Bedeutung erlangt. Hierbei wurde auch der<br />

Einfluss des EU-Rechts, also z. B. aufgrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie,<br />

der Zahlungsverzugsrichtlinie<br />

und der E-Commerce-Richtlinie sehr deutlich.<br />

Rechtsanwältin Dr. Ulrike Rein, Freshfields Bruckhaus<br />

Deringer (Budapest), schilderte Aktuelles im Bereich<br />

Unternehmenskauf/Unternehmensübernahme. Auch hier<br />

wurden wichtige Entwicklungen und insbesondere der Einfluss<br />

europäischer aber auch globaler Prozesse umfangreich<br />

aufgezeigt.<br />

Den EU-Einfluss auf das deutsche Gesellschaftsrecht<br />

und die zunehmende Internationalisierung, die letztlich zu<br />

einer „Modernisierungstendenz“ im deutschen Recht führten,<br />

erläuterte ausführlich und hochaktuell Rechtsanwalt<br />

Dr. Matthias Schüppen, Haarmann, Hemmelrath & Partner<br />

(Stuttgart), in seinem Vortrag Aktuelle Entwicklungen zum<br />

Gesellschaftsrecht. Dabei führte er auch einen kurzen Exkurs<br />

zum Thema Steuerreform durch.<br />

Rechtsanwalt Dr. Thomas Lapp, PricewaterhouseCoopers<br />

Veltins Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Frankfurt a. M.),<br />

trug zum Thema E-Commerce und Recht – Handel und Werbung<br />

im Internet vor. Hierbei waren Inhalt Grundlegendes<br />

zum Thema „Domain“ wie auch zu den wichtigsten marken-<br />

AnwBl 3/2002<br />

und namensrechtlichen Ansprüchen. Er schilderte gut verständlich,<br />

wo eigentlich Beratungsbedarf im Internet besteht,<br />

also auch Wer für Was haftet, wie Vertragsabschlüsse im Internet<br />

zustande kommen, wie der Datenschutz gewährleistet<br />

wird und welche Bedeutung eigentlich elektronische Signaturen<br />

haben.<br />

Gemütlicher Abschluss des hochinteressanten Tagungsprogramms<br />

am Freitag waren ein gemeinsames Essen mit<br />

Lifemusik und Tanz, bei dem sich nicht nur die „nationalen<br />

Delegationen“, sondern vor allen Dingen die jeweiligen<br />

Jahrgänge, also international bunt gemischt, bei sehr guter<br />

Stimmung zusammenfanden.<br />

Am Samstag fand zunächst eine Führung durch das<br />

ungarische Parlamentsgebäude statt. Anschließend referierte<br />

Herr Dr. Jeno Horvath, Präsident der Ungarischen<br />

Landesanwaltskammern, in der Budapester Anwaltskammer<br />

über die aktuellen Entwicklungen und das Bild des<br />

Rechtsanwalts in Ungarn. Er äußerte hierzu auch Bedenken,<br />

dass Grundpfeiler des Berufsbildes wie die Verschwiegenheitspflicht<br />

durch die EU-Aufnahme aufgegeben werden<br />

müssten (Stichwort Geldwäscherichtlinie). Er traf<br />

dabei ins Mark der anwesenden Vertreter der Rechtsanwaltschaft<br />

in den Kandidatenländern.<br />

In seinem Vortrag zum Telekommunikationsrecht wies<br />

Rechtsanwalt Rainer Lüddemann, Geschäftsführer des Bundesverbandes<br />

der regionalen und lokalen Telekommunikationsgesellschaften<br />

e. V. (Bonn), darauf hin, dass das Thema<br />

nunmehr entgegen seiner Anfänge nicht mehr<br />

wegzudenken ist. Er schilderte eindrücklich die Entwicklung<br />

in Deutschland von einem staatlichen Monopol über<br />

die Privatisierung zu den Liberalisierungen des Marktes.<br />

Insbesondere müssten die Zugangsansprüche reguliert werden.<br />

Er kritisierte, dass sich das Recht im dynamischen<br />

Markt viel zu langsam entwickele.<br />

In seinem spannenden Vortrag Mediation – Pro und<br />

Kontra klärte Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig Koch, Kanzlei<br />

Koch & Börsch (Köln), zunächst den archaischen Ursprung<br />

und brachte auch über Definitionen Licht ins Dunkel der<br />

Begrifflichkeiten um die Mediation. Rechtsanwälte seien<br />

prädestiniert dafür, Konflikte zu regeln, zwischen Streitpartnern<br />

zu vermitteln und Kompromisse zu finden. Als Argumente<br />

gegen die Übernahme von Mediation durch<br />

Rechtsanwälte nannte Dr. Koch verschiedene Vorschriften<br />

wie §§ 1 ff. und § 43a Abs. 4 BRAO. Doch in seiner Conclusio<br />

wurde deutlich, dass es sich hierbei nur um Argumente<br />

handelte, und letztlich § 1 Abs. 3 BerufsO, wonach<br />

auch die Konfliktvermeidung und streitschlichtende Begleitung<br />

Aufgabe des Rechtsanwalts sind und daher § 18 BerufsO<br />

den Mediator auch ausdrücklich nennt. Der Rechtsanwalt<br />

sei schließlich der Garant des Rechtsstaats, der sich<br />

der Gerechtigkeit verpflichtet habe. In der anschließenden<br />

Diskussion wurden auch rechtsvergleichende Elemente aus<br />

den osteuropäischen Staaten erläutert.<br />

In den „Offiziellen Schlussworten“ bedankte sich<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Geschäftsführerin<br />

des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (Berlin) für das große<br />

Interesse der Teilnehmer, das Engagement der Referenten<br />

und das insgesamt gelungene Programm. Die Chance des<br />

1 Sein Vortrag kann in der DAV-Geschäftsstelle abgefragt werden.


AnwBl 3/2002 167<br />

Mitteilungen l<br />

Austauschs sei genutzt worden. Vor allen Dingen die deutsche<br />

Situation, die mittlerweile größtenteils europäisch geprägt<br />

sei, habe deutlich gemacht werden können und biete<br />

sich als Modell auch für die Kandidatenländer an. Sie zeigte<br />

insbesondere ihre Freude über die hochspannenden Themen<br />

sowie die vor allem aus der Sicht des DAV und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

interessanten berufspolitischen Ansätze.<br />

Sie werde sich aufgrund der beruflich entstandenen<br />

Partnerschaften und persönlichen Freundschaften auch zukünftig<br />

für das Programm der IRZ-Stiftung einsetzen. Sie<br />

appellierte hierbei auch an die Teilnehmer, das bestehende<br />

Netzwerk zu nutzen, und in ihren Heimatländern darüber zu<br />

berichten. Sie dankte Herrn Gregor Kutsch, Projektleiter<br />

der IRZ-Stiftung (Bonn), für sein persönliches Engagement,<br />

ohne das die Veranstaltung nicht hätte stattfinden können.<br />

Herr Kutsch äußerte in einer persönlichen Rede seine<br />

Freude für die prompte Zusage und Begeisterung einer derart<br />

großen Teilnehmerschaft (ca. 160 Personen). Gerade die<br />

Vielfalt der Vertreter zeige, dass ein lebendiges Interesse<br />

an den Strukturen in Deutschland und Europa bestehe und<br />

grenzüberschreitend Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden<br />

könnten. Es bleibe zu hoffen, dass auch zukünftig durch<br />

die großzügige Finanzierung der Hans Soldan Stiftung hier<br />

in Anwesenheit von Herrn Dr. Koch auch in kürzeren Zeiträumen<br />

derartige Veranstaltungen durchgeführt werden<br />

könnten.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />

Gebührenfragen<br />

Aufhebung des 10 %-igen Gebührenabschlags<br />

Ost für das Stadtgebiet von Berlin-Ost<br />

Der Gebührenabschlag Ost in Höhe von 10 % auf die<br />

Anwaltsgebühren fällt für den Beitrittsteil des Landes Berlin<br />

voraussichtlich ab 1. März 2002 weg.<br />

Der Deutsche Bundestag hat den vom Land Berlin über<br />

den Bundesrat eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur<br />

Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag<br />

geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes<br />

Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober<br />

1990 nicht galt“ (Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetz Berlin<br />

– KostGErmAufhGBln) am 14. Dezember 2001 in 2.<br />

und 3. Lesung abschließend beraten und (wie vom Rechtsausschuss<br />

des Bundestages abschließend empfohlen, vgl.<br />

BT-Drs. 14/7817 vom 12.12.2001) verabschiedet.<br />

Es war nicht einfach, den politischen Widerstand, der<br />

zum Teil auch aus den mitberatenden Ausschüssen des<br />

Bundestages kam, zu überwinden.<br />

Der Bundesrat hat dem Gesetzesbeschluss in seiner Sitzung<br />

am 1. Februar 2002 zugestimmt.<br />

Das Gesetz tritt nach Artikel 2 des KostGErmAufhGBln<br />

am 1. des auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft.<br />

Die Verkündung war bei Redaktionsschluss noch im Februar<br />

2002 zu erwarten.<br />

Anwälte in Berlin-Ost begünstigt<br />

Der Gesetzentwurf geht zurück auf eine im Mai 2000<br />

durch ein Schreiben des DAV-Präsidenten an die Bundesjustizministerin<br />

angestoßene Initiative zur Beseitigung des<br />

Gebührenabschlags Ost in allen neuen Bundesländern (vgl.<br />

AnwBl 2000, 413 ff. und 435).<br />

Die Bundesjustizministerin hatte eine Beseitigung des<br />

Gebührenabschlags Ost für alle neuen Bundesländer durch<br />

Rechtsverordnung abgelehnt, da nach ihrer Auffassung die<br />

wirtschaftlichen Verhältnis zwischen den alten und den<br />

neuen Bundesländern noch immer nicht gleichwertig seien,<br />

insbesondere die Löhne und Gehälter noch nicht ein einheitliches<br />

Niveau erreicht hätten. Sie hat allerdings insofern<br />

bei den betroffenen Ländern angeregt, den Gebührenabschlag<br />

durch ein Bundesgesetz zu beseitigen, wenn die<br />

Länder dies befürworteten. Aus diesem Anstoß ist die Sonder-Initiative<br />

des Landes Berlin hervorgegangen, die jetzt<br />

zum Ergebnis geführt hat.<br />

Die Beseitigung des Gebührenabschlags Ost ist damit<br />

natürlich noch nicht vollendet. Allerdings sind über 2.000<br />

Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in den östlichen Stadtbezirken<br />

von Berlin davon begünstigt (2.011 nach dem Datenbestand<br />

der Deutschen Anwaltadresse vom 15.01.2002).<br />

Dies bedeutet, dass bei einem durchschnittlichen Jahresgebührenaufkommen<br />

(nach BRAGO und mit Gebührenabschlag)<br />

von vorsichtig geschätzt mindestens 60.000 E<br />

pro betroffenem Anwalt (insgesamt 132 Mio. E) für die ab<br />

1. März 2002 erteilten Mandate eine Steigerung des nach<br />

BRAGO abgerechneten Gebührenaufkommens von mindestens<br />

6.000 E pro Anwalt in Berlin-Ost (insgesamt 13,2<br />

Mio. E) pro Jahr zu erwarten ist; kein schlechtes Ergebnis<br />

für die Anwaltschaft zumindest in Berlin.<br />

Wie geht es weiter?<br />

Den Antrag der Abgeordneten Funke, Dr. Schmidt-Jortzig,<br />

van Essen, Dr. Gerhardt und der Fraktion der FDP<br />

zum „Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte<br />

in den neuen Ländern“ (BT-Drs. 14/3485 vom<br />

31.5.2000) hat der Bundestag entsprechend der Empfehlung<br />

des federführenden Rechtsausschusses abgelehnt.<br />

In diesem Antrag wurde gefordert, dass der Bundestag<br />

beschließen solle, die Bundesregierung möge den<br />

10 %-igen Gebührenabschlag für die Anwaltschaft in allen<br />

neuen Ländern aufheben. Der ausführlich begründete Antrag<br />

legte dar, warum der Gebührenabschlag insgesamt<br />

nicht mehr gerechtfertigt sei. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />

hat diesen Antrag begrüßt und durch Veröffentlichung im<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> und Rundschreiben an die <strong>Anwaltverein</strong>e unterstützt<br />

(vgl. AnwBl 2000, 531).<br />

Auch die im Vorfeld im Rechtsausschuss im Dezember<br />

2001 erörterten Alternativen, den neuen Bundesländern entweder<br />

eine Öffnungsklausel für die Beseitigung des Gebührenabschlags<br />

Ost zuzubilligen oder den Abschlag in allen<br />

neuen Ländern in Stufen (5 % demnächst, die restlichen<br />

5 % etwa 2 bis 3 Jahre später) ins Auge zu fassen, fanden<br />

am Schluss keine Mehrheiten.<br />

Der Landesjustizminister in Thüringen hat seine grundsätzliche<br />

Bereitschaft erklärt, den Gebührenabschlag für<br />

Thüringen fallen zu lassen. Innerhalb des Thüringer Landeskabinetts<br />

soll darüber allerdings noch keine Einigkeit<br />

bestehen, da der Landesfinanzminister Bedenken gegen<br />

eine solche Regelung habe.<br />

Die Argumente für die Beseitigung des Gebührenabschlags<br />

Ost im Beitrittsteil von Berlin treffen nahezu<br />

vollständig auch auf die Situation im Umland von Berlin,<br />

also im Brandenburger Speckgürtel der Hauptstadt zu. Deshalb<br />

gibt es keinen rechtfertigenden Grund dafür, dass der<br />

Gebührenabschlag Ost dort noch länger beibehalten wird.<br />

Möglicherweise wird dazu das Bundesverfassungsgericht<br />

noch einmal angerufen werden. Es könnte ein Domino-Effekt<br />

für die um Berlin gelagerten neuen Bundesländer eintreten.<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin


168<br />

l<br />

Steuerrecht<br />

Gewerblichkeit des Rechtsanwalts als<br />

Insolvenzverwalter<br />

– Anmerkung zum Urteil des BFH vom 12.12.2001 –<br />

Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht Dr. Klaus<br />

Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, beide Berlin 1<br />

I. Einleitung<br />

Der Rechtsanwalt übt als Organ der Rechtspflege einen<br />

freien Beruf aus. Damit in Übereinstimmung ist auch nach<br />

Maßgabe der zentralen Vorschrift des § 18 EStG seine<br />

Tätigkeit grundsätzlich nicht gewerbesteuerpflichtig. Nur<br />

in Ausnahmesituationen (z. B. Vermittlungen gegen Provision2<br />

; die rein kapitalmäßige Beteiligung an einer Sozietät<br />

3 , Beschäftigung einer Vielzahl von angestellten Anwälten<br />

4 ) besteht die Gefahr der Gewerblichkeit. Nicht zuletzt<br />

unter dem Druck der Haushaltsdefizite ist jedoch die Tendenz<br />

in der Finanzverwaltung zu erkennen, die Tätigkeit<br />

der Rechtsanwälte auf eine mögliche Gewerbesteuerpflicht<br />

hin zu überprüfen. Dies betrifft auch die Insolvenzverwaltung.<br />

Entgegen der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung<br />

wird in der Literatur seit einigen Jahren auf die Gefahr hingewiesen,<br />

dass Rechtsanwälte, die auch als Insolvenzverwalter<br />

tätig sind, sehr viel häufiger gewerbesteuerpflichtig<br />

sind als bisher angenommen5 .<br />

Der BFH hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Im einem<br />

veröffentlichten Gerichtsbescheid 6 unterwirft er – unter<br />

Aufgabe des gegenteiligen Urteils der Vorinstanz7 – die<br />

gesamten Einkünfte einer Rechtsanwalts-GbR, die schwerpunktmäßig<br />

Gesamtvollstreckungsverfahren 8 betrieb, der<br />

Gewerbesteuer. Die GbR beschäftigte dazu insgesamt 70<br />

Mitarbeiter. Im Streitjahr betrugen ihre Aufwendungen für<br />

Fremdarbeiten (u. a. für Korrespondenzanwälte und gutachterlich<br />

tätige Wirtschaftsprüfer) rund 337.000 DM. Der Antrag<br />

auf mündliche Verhandlung9 verhinderte zunächst die<br />

Rechtskraft dieses Gerichtsbescheids. Nach einer Meldung<br />

des Handelsblatts vom 28.1.2002, und bestätigt in der Jahrespressekonferenz<br />

des BFH am 5.2.2002, hat mittlerweile<br />

der BFH per Urteil entschieden. Er bestätigt bis auf wenige<br />

unbedeutende Abweichungen im Wortlaut den Gerichtsbescheid<br />

vom 14.8.2001. Dieses Urteil hat tiefgreifende<br />

Auswirkungen nicht nur für die Insolvenzverwalter, sondern<br />

für alle Rechtsanwälte, die auch vermögensverwaltend<br />

i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG tätig sind (z. B. als Testamentsvollstrecker,<br />

Treuhänder, Vormund, Pfleger). Dem<br />

Vernehmen nach soll gegen das Urteil des BFH Verfassungsbeschwerde<br />

eingelegt werden.<br />

Aufgrund der gravierenden Folgen der Rechtsauffassung<br />

des BFH geben wir eine erste Analyse mit Gestaltungshinweisen.<br />

II. Freiberufliche Tätigkeit i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 oder<br />

Nr. 3 EStG<br />

1. Der Gesetzgeber gibt folgende Grundkonzeption vor:<br />

Gewerbesteuerpflichtig ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2<br />

GewStG i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige,<br />

nachhaltige, unter Beteiligung am allgemeinen Wirtschafts-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Mitteilungen<br />

verkehr mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Betätigung,<br />

wenn sie – soweit hier relevant – weder als Ausübung<br />

eines freien Berufs noch als eine andere<br />

selbständige Tätigkeit anzusehen ist. Letzteres entscheidet<br />

sich nach § 18 Abs. 1 EStG.<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG führt sog. Katalogberufe<br />

auf. Dazu gehören u. a. Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte,<br />

Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Die Ausübung<br />

dieser Berufe führt zu nicht gewerbesteuerpflichtigen<br />

Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit, selbst dann, wenn<br />

die Einkünfte aus einer Sozietät (Mitunternehmerschaft)<br />

stammen, in der die Berufsträger zur gemeinsamen Berufsausübung<br />

zusammengeschlossen sind 10 . Die Qualifizierung<br />

als freiberufliche Einkünfte geht auch dann nicht verloren,<br />

wenn der den Katalogberuf Ausübende sich der Hilfe fachlich<br />

vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Voraussetzung ist<br />

jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnis leitend und<br />

eigenverantwortlich tätig wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3<br />

EStG). Er muss dazu bildhaft gesprochen der Tätigkeit den<br />

Stempel seiner eigenen Persönlichkeit aufdrücken 11 . Im<br />

Rahmen der Katalogberufe ist es also möglich, in erheblichem<br />

Umfang Hilfskräfte zu engagieren, ohne die Gewerblichkeit<br />

zu begründen.<br />

Fällt die Tätigkeit nicht unter einen Katalogberuf i. S. v.<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, können die daraus erzielten<br />

Einkünfte solche aus sonstiger selbständiger Arbeit i. S. v.<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und damit ebenfalls nicht gewerblich<br />

sein. Im wesentlichen Unterschied zu den Katalogberufen<br />

begründet die selbständige Arbeit i. S. v. von Nr. 3 der<br />

Vorschrift weit eher die Gefahr, in die Gewerblichkeit<br />

abzurutschen, wenn sich der Berufsangehörige der Mithilfe<br />

weiterer Personen bedient. Maßstab war dazu bisher die<br />

sog. Vervielfältigungstheorie 12 .<br />

Die Unterscheidung zwischen § 18 Abs. 1 Nr. 1 und<br />

Nr. 3 EStG ist bei der Insolvenzverwaltung von maßgeblicher<br />

Bedeutung, da der Insolvenzverwalter zunehmend<br />

gezwungen ist, qualifizierte Mitarbeiter in die Verwaltung<br />

einzubinden.<br />

2. Wird die Insolvenzverwaltung vom Katalogberuf des<br />

Rechtsanwalts iSv. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst?<br />

a. Unstreitig stellt die Tätigkeit als Insolvenzverwalter<br />

für sich betrachtet keinen Katalogberuf i. S. v. § 18 Abs. 1<br />

Nr. 1 EStG dar, sondern fällt als Vermögensverwaltung<br />

unter § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG 13 . Wird eine an sich unter<br />

1 Die Autoren sind Partner der Sozietät Streck Mack Schwedhelm, Köln/Berlin/<br />

München.<br />

2 Seeger in Schmidt, EStG, 20. Aufl., 2001, § 18 Rdnr. 100.<br />

3 Kamps/Alvermann, NJW 2001, 2121, 2127 f.; FG des Saarlands 1 K 227/98<br />

vom 3.8.1998, rkr., EFG 1998, 1583 (betreffend Steuerberater-GbR); zu weit<br />

u. E. Schulze zur Wiesche, DStR 2001, 1589, 1590 f.<br />

4 Vgl. dazu z. B. Streck, NJW 1991, 2252, 2254.<br />

5 Vgl. Kanzler, FR 1995, 114, und Korn, DStR 1995, 1249, <strong>125</strong>2 f.<br />

6 Vom 14.8.2001, XI R 56/00, ZInsO 2001, 954 ff.<br />

7 FG Bremen 398107 K 1 vom 25.3.1999, EFG 1999, 843 ff.<br />

8 Die Ausführungen zum Gesamtvollstreckungsverfahren gelten entsprechend<br />

für das Konkurs- und nach neuem Recht für das Insolvenzverfahren. Die Begriffe<br />

werden im Folgenden synonym verwandt.<br />

9 Siehe § 90a FGO.<br />

10 Vgl. dazu Schulze zur Wiesche, aaO (Fn. 3),1589 ff.; Kamps/Alvermann, aaO<br />

(Fn. 3), 2127.<br />

11 Korn in Korn, EStG, § 18 Rdnr. 89 (Juli 2000), m. w. N.<br />

12 Siehe dazu unten Tz. III.<br />

13 BFH IV 404/60 U vom 29.3.1961, BStBl. 1961 III, 306; BFH IV R 127/69<br />

vom 5.7.1973; Wacker in Schmidt, aaO (Fn. 2), § 18 Rdnr. 141, jeweils m. w.N.


AnwBl 3/2002 169<br />

Mitteilungen l<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG fallende Tätigkeit im Rahmen eines<br />

Katalogberufs ausgeübt, stellt sich jedoch die Frage, ob sie<br />

der Hauptberufstätigkeit zuzurechnen ist und damit die<br />

Qualifikation als freiberuflich teilt. Soweit der Rechtsanwalt<br />

als Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter tätig wurde,<br />

war dies ertragsteuerlich bisher vom BFH nicht entschieden.<br />

Die Literaturansicht ist geteilt 14 .<br />

Der Wortlaut von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nimmt keine<br />

Unterscheidung vor. Er stellt lediglich auf die „selbständige<br />

Berufstätigkeit der Rechtsanwälte“ ab. Was darunter fällt,<br />

ist auslegungsbedürftig.<br />

b. Der BFH fordert im Urteil vom 12.12.2002 unter<br />

Bezug auf die zur umsatzsteuerlichen Qualifizierung von<br />

Testamentsvollstreckern ergangenen Urteile 15 , dass die ausgeübte<br />

Tätigkeit „berufstypisch“ sein müsse. Nur die „in<br />

besonderer Weise charakteristische und dem Katalogberuf<br />

vorbehaltene“ Tätigkeit werde erfasst. Damit würde die Insolvenzverwaltung<br />

nicht einbezogen. Maßgebend sei weder,<br />

ob die Tätigkeit mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte<br />

vereinbar sei, noch ob das Berufsrecht eine entsprechende<br />

Fachanwaltsbezeichnung (hier Fachanwalt für Insolvenzrecht)<br />

vorsehe. Dass die Insolvenzverwaltung keine den<br />

Rechtsanwaltsberuf charakterisierende Tätigkeit darstelle,<br />

lasse sich auch aus der fehlenden Möglichkeit ableiten,<br />

diese Tätigkeit nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung<br />

abzurechnen. Schließlich, so der BFH, würde die<br />

Subsumtion der Insolvenzverwaltertätigkeit unter den Katalogberuf<br />

des Rechtsberufs zu einer nicht gerechtfertigten<br />

Benachteiligung gegenüber den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern<br />

führen, für welche § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />

keine Anwendung fände.<br />

c. UE ist die einschränkende Auslegung des BFH im Urteil<br />

vom 12.12.2002 nicht gerechtfertigt.<br />

Der BFH wählt zwar den zutreffenden Ansatzpunkt. Allein<br />

die Tatsache, dass eine Tätigkeit berufsrechtlich zulässig<br />

oder unzulässig ist, zwingt jedoch nicht zu dem<br />

Schluss, dass die Einkünfte freiberuflich oder gewerblich<br />

sind. Berufsrecht und Steuerrecht qualifizieren grundsätzlich<br />

eigenständig 16 . Dennoch misst der BFH die Zuordnung<br />

an überzogenen Tatbestandsvoraussetzungen. Wieso unter<br />

den Katalogberuf nur eine berufstypische, in besonderer<br />

Weise charakteristische und dem Katalogberuf vorbehaltene<br />

Tätigkeit fällt, wird im Besprechungsurteil nicht näher begründet17<br />

. Diese Einschränkung findet in § 18 EStG keine<br />

Grundlage.<br />

Auch im Ergebnis kann sich der BFH nicht auf eine einheitliche,<br />

diese Voraussetzungen bestätigende Rechtsprechung<br />

zu Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern stützen 18 .<br />

Zudem weisen mehrere Urteile, die sich mit der Zuordnung<br />

der von einem Rechtsanwalt ausgeübten Konkurs- bzw. Insolvenzverwaltung<br />

zu seiner freiberuflichen Tätigkeit mit<br />

Bezug zum Ertragsteuerrecht 19 und der Abgabenordnung20 befassen, erstere seiner freiberuflichen Tätigkeit zu.<br />

Der Umsatzsteuersenat, aus dessen Urteilen der BFH<br />

nun die zugrunde gelegte restriktive Auslegung (berufstypisch)<br />

ableitet, weist selbst darauf hin 21 , dass sich diese<br />

zur Umsatzsteuer ergangenen Urteile nicht ohne Weiteres<br />

auf das Ertragsteuerrecht übertragen lassen 22 . Das Umsatzsteuerrecht<br />

wird u. a. davon bestimmt, gleiche Leistungen<br />

wettbewerbsneutral zu besteuern, was auf das Ertragsteuerrecht<br />

weniger zutrifft 23 . Zudem enthalten auch diese Urteile<br />

keine Begründung, wieso die Tätigkeit in besonderer Weise<br />

charakteristisch und dem Katalogberuf vorbehalten sein<br />

müsse, um vom Katalogberuf des Rechtsanwalts erfasst zu<br />

werden.<br />

Im Ergebnis kann aus der bisherigen Rechtsprechung<br />

u. E. verlässlich nur die Einschränkung entnommen werden,<br />

dass die ausgeübte Tätigkeit berufstypisch sein muss. Was<br />

davon erfasst wird, bestimmt sich nach dem jeweiligen „Berufsbild“<br />

24 . Der Begriff ist – wie die Vorinstanz zutreffend<br />

mit Verweis auf die Gesetzesbegründung und den fehlenden<br />

einschränkenden Wortlaut der Vorschrift darlegt 25 – weit<br />

auszulegen. Erfasst werden muss als Berufsbild nicht nur<br />

die berufstypische Tätigkeit des Rechtsanwalts im engeren<br />

Sinne (advokatorische Tätigkeit i. S. v. § 3 Abs. 1 BRAO),<br />

sondern jede Tätigkeit, die in engem tatsächlichen, insbesondere<br />

wirtschaftlichen Zusammenhang mit der eigentlichen<br />

Rechtsanwaltstätigkeit steht 26 . Darüber hinaus ist bei<br />

Tätigkeiten, die Elemente der Rechtsbesorgung i. S. v. Art. 1<br />

§ 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG aufweisen und die gem. Art. 1<br />

§ 3 Nr. 6 RBerG (Zwangsverwalter, Insolvenzverwalter,<br />

Nachlasspfleger) von dem Erlaubnisvorbehalt des Rechtsberatungsgesetzes<br />

ausgenommen sind, folgende Abgrenzung<br />

gerechtfertigt: Solange diese Tätigkeiten nach dem<br />

Berufsrecht der Rechtsanwälte mit dem Rechtsanwaltsberuf<br />

vereinbar sind (§ 7 BRAO), werden sie vom Katalogberuf<br />

des Rechtsanwalts iSv. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG umfasst. Die<br />

Freistellung der Betätigung als Insolvenzverwalter vom Erlaubnisvorbehalt<br />

des Rechtsberatungsgesetzes gem. Art. 1<br />

§ 3 Nr. 6 RBerG belegt, dass die Insolvenzverwaltung regelmäßig<br />

Rechtsbesorgung einschließt. Die Rechtsbesorgung<br />

als Oberbegriff der Rechtsberatung und -vertretung ist<br />

die ureigenste Aufgabe des Rechtsanwalts. Die Insolvenzverwaltung<br />

gehört zu seinem Berufsbild. Um Abgrenzungsprobleme<br />

zu vermeiden und der typisierenden Regelung in<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gerecht zu werden, ist daher u. E.<br />

die vorgenannte Zuordnung gerechtfertigt.<br />

Mit dieser Auslegung lassen sich auch die durch das Besprechungsurteil<br />

vorprogrammierten Abgrenzungsprobleme<br />

14 Vom Katalogberuf des Rechtsanwalts umfasst: Schick, NJW 1991, 1328,<br />

1332; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, EStG, § 18 Rdnr. 135 (Jan.<br />

1996); Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 18 Rdnr. 153 (1995);<br />

a. A. Kanzler, aaO (Fn. 5), 114; Wacker in Schmidt, aaO (Fn. 2) § 18 Rdnr.<br />

97; Korn in Korn, aaO (Fn. 11), § 18 Rdnr. 98 (Juli 2000); Kling, DStR 1998,<br />

1813, 1816; wohl auch Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 18 Rdnr.<br />

175 (1997).<br />

15 BFH V R 99/78 vom 2.10.1986, BStBl. 1987 II, 147, 148 f.; BFH V R 33/79<br />

vom 13.3.1987, BStBl. 1987 II, 524, 526; BFH V R 30/86 vom 9.8.1990,<br />

BFH/NV 1991, 126.<br />

16 Kamps/Alvermann, aaO (Fn. 3), 2127 f., m. w. N.<br />

17 Vielmehr begründet der BFH ausführlich, wieso sein Urteil nicht im Widerspruch<br />

zu anderen Entscheidungen des BFH steht.<br />

18 Katalogberuf ablehnend BFH IV 235/60 U vom 16.2.1961, BStBl. 1961 III,<br />

210; IV 404/60 U, aaO (Fn. 13), 306; IV R 126/91 vom 11.8.1994, BStBl.<br />

1994 II, 936, 938; bejahend BFH IV R 77/70 vom 28.6.1973, BStBl. 1973 II,<br />

729; IV R <strong>125</strong>/89 vom 6.9.1990, BStBl. 1990 II, 1028.<br />

19 RFH IV 75/38 vom 28.7.1938, RStBl. 1938, 809.<br />

20 BFH VII R 148/81 vom 26.11.1985, BFH/NV 1986, 134, 135, zu § 109<br />

Abs. 2 RAO, der Vorgängernorm des § 191 Abs. 2 AO; II R 4/96 vom<br />

13.5.1998, BStBl. 1998 II, 760 (inzident zu Rechten eines Testamentsvollstreckers<br />

bei § 191 Abs. 2 AO); I R 172/71 vom 27.6.1973, BStBl. 1973 II,<br />

832, 833, im Zusammenhang mit einem Steuerbevollmächtigten zu § 109<br />

Abs. 2 RAO.<br />

21 BFH V R 99/78, aaO (Fn. 15), 147, 148 f.<br />

22 Ebenso Schick, aaO (Fn. 14), 1332.<br />

23 Darauf weist das aufgehobene Urteil des FG Bremen 398107 K 1, aaO (Fn. 7),<br />

845, hin.<br />

24 Vgl. BFH IV R 42/89 vom 1.2.1990, BStBl. 1990 II, 534, 535, auch wenn der<br />

BFH dort im Ergebnis die Testamentsvollstreckung eines Rechtsanwalts nicht<br />

als Katalogberuf qualifiziert.<br />

25 FG Bremen 398107 K 1, aaO (Fn. 7), 844.<br />

26 Im Ergebnis auch Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, aaO (Fn. 14), § 18<br />

Rdnr. 135 (Jan. 1996).


170<br />

l<br />

vermeiden. Wird „ein Rechtsanwalt (überwiegend) als Verwalter<br />

im Gesamtvollstreckungsverfahren tätig“, ist diese<br />

Tätigkeit nicht berufstypisch und damit nicht von § 18<br />

Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst, so der BFH 27 . Wann die Voraussetzung<br />

des Merkmals „überwiegend“ erfüllt ist, wird nicht<br />

geklärt. Auf die in der Literatur dazu schon früher genannten<br />

Grenzen (schädlich bei Überschreiten von 10 % oder<br />

50 %) 28 darf es u. E. nicht ankommen.<br />

Entgegen der Ansicht des BFH im Besprechungsurteil<br />

tritt eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der<br />

Wirtschaftsprüfer und Steuerberater nicht ein, auch wenn<br />

der BFH deren Tätigkeit als Insolvenzverwalter der sonstigen<br />

selbständigen Tätigkeit i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG<br />

zuordnet. Vielmehr spiegelt sich darin die im Vergleich zu<br />

den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern weitergehende<br />

Befugnis des Rechtsanwalts zur umfassenden Rechtsbesorgung<br />

wider 29 .<br />

III.Vervielfältigungstheorie<br />

1. Da nach Ansicht des BFH nicht § 18 Abs. 1 Nr. 1<br />

EStG, sondern § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG einschlägig sein<br />

soll, kommt der BFH scheinbar zwangsläufig zur sog. Vervielfältigungstheorie.<br />

Diese Theorie beruht auf der Erwägung,<br />

dass es zu den Wesensmerkmalen der selbständigen<br />

Arbeit gehört, dass sie in ihrem Kernbereich auf der eigenen<br />

persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht.<br />

Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, der die ständige Beschäftigung<br />

mehrerer Angestellter oder aber die Einschaltung<br />

von Subunternehmern erforderlich macht, und werden<br />

den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere<br />

vorbereitende oder mechanische Aufgaben übertragen,<br />

so beruht sie nicht auf der persönlichen Arbeitskraft des<br />

Berufsträgers und ist deshalb steuerlich als gewerblich zu<br />

qualifizieren. Aber auch dann, wenn nur Hilfskräfte beschäftigt<br />

werden, die ausschließlich untergeordnete Arbeiten<br />

erledigen, kann dadurch im Einzelfall der gewerbliche<br />

Charakter der Tätigkeit begründet werden.<br />

2. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, soll im Einzelfall<br />

nach dem Gesamtbild der Verhältnisse entschieden<br />

werden 30 . Dabei wird grundsätzlich die Beschäftigung von<br />

mehr als einem qualifizierten Mitarbeiter als schädlich angesehen.<br />

I. d. R. ist u. E. die Beschäftigung von weniger<br />

als 10 nicht qualifizierten Mitarbeitern unschädlich.<br />

3. Die Vervielfältigungstheorie ist aufgrund der Neufassung<br />

des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das Steueränderungsgesetz<br />

1960 vom 30.7.1960 (BGBl. 1960 I, 616) für<br />

die Angehörigen der freien Berufe nicht mehr anzuwenden.<br />

Sie soll jedoch für die sonstige selbständige Arbeit weiterhin<br />

von Bedeutung sein. Der Grund dafür liege darin, dass<br />

die in § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG erfassten Tätigkeiten ihrer<br />

Natur nach einer kaufmännischen Beschäftigung näher stehen<br />

als die in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Berufe 31 .<br />

4. Die im Besprechungsurteil niedergelegte Ansicht des<br />

BFH ist aus mehreren Gründen abzulehnen.<br />

Die Vervielfältigungstheorie wurde noch nie den tatsächlichen<br />

Gegebenheiten der freien Berufe gerecht 32 . Nicht nur<br />

die Katalogberufe i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern<br />

auch die vermögensverwaltenden Berufe i. S. v. Nr. 3 sind<br />

typischerweise auf die Hinzuziehung qualifizierter Hilfe angewiesen.<br />

Die Personenbezogenheit der – auch unter Mithilfe<br />

Dritter – erbrachten Leistung zeigt sich insbesondere<br />

bei den Insolvenzverwaltern. Gerade bei großen Insolvenzverfahren<br />

werden die Verwalter aufgrund ihrer starken Persönlichkeit<br />

ausgewählt, auch wenn alle Beteiligten wissen,<br />

AnwBl 3/2002<br />

Mitteilungen<br />

dass der Verwalter nicht jede einzelne Forderungsanmeldung<br />

höchstpersönlich prüft.<br />

Die Anzahl der hinzuzuziehenden Mitarbeiter hängt zudem<br />

von Zufälligkeiten ab. Der Verwalter ist in vielfältiger<br />

Beziehung auf „fremde“ Mithilfe angewiesen. Im Idealfall<br />

erhält er diese Unterstützung im insolventen Unternehmen.<br />

Häufig ist das Personal des Unternehmens jedoch ein<br />

Grund für die Insolvenz, sodass es i. d. R. notwendig ist,<br />

externe Hilfe hinzuzuziehen. Für die Höchstpersönlichkeit<br />

der Verwaltung macht es jedoch keinen Unterschied, ob der<br />

Verwalter eigene oder fremde Mitarbeiter führt. Nur die<br />

Hinzuziehung eigener Mitarbeiter soll aber nach Ansicht<br />

des BFH zur Gewerblichkeit führen.<br />

Die unterschiedliche Behandlung/Handhabung von Nr. 1<br />

und Nr. 3 verletzt Art. 3 Abs. 1 GG. Der Verwalter ist zudem<br />

in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1<br />

Satz 2 GG beeinträchtigt. Der Verwalter kann nicht frei<br />

nach sachgerechten Kriterien entscheiden, ob er eine Tätigkeit<br />

von Mitarbeitern des insolventen Unternehmens, von<br />

eigenen Mitarbeitern oder von Externen ausführen lässt.<br />

Unabhängig davon darf die Vervielfältigungstheorie<br />

nicht pauschal angewendet werden. Entscheidend ist nicht,<br />

wie viele Hilfskräfte der Insolvenzverwalter insgesamt beschäftigt.<br />

Abzustellen ist u. E. auf das einzelne Verfahren.<br />

Ist der Rechtsanwalt in mehreren Verfahren als Verwalter<br />

bestellt und setzt er in jedem einzelnen Verfahren nicht<br />

mehr als eine qualifizierte Hilfskraft ein, dürfte dies nicht<br />

zur Gewerbesteuer führen. Gänzlich unbeachtlich sind die<br />

Mitarbeiter, die in der eigenen Büroorganisation eingesetzt<br />

werden (z. B. eigene Buchhaltung).<br />

Schließlich ist u. E. danach zu differenzieren, ob der Insolvenzverwalter<br />

im Rahmen seiner Insolvenzverwaltung<br />

reine Anwaltstätigkeit ausübt. In diesen Teilbereichen wäre<br />

es sinnwidrig, die strenge Vervielfältigungstheorie anzuwenden.<br />

Erfasst man entgegen unserer Ansicht die Insolvenztätigkeit<br />

nicht als Katalogberuf, muss gleichwohl für<br />

die reine Anwaltstätigkeit der großzügigere Maßstab des<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG anwendbar sein.<br />

IV. Rechtsfolgen der Gewerblichkeit<br />

1. Das Urteil des BFH vom 12.12.2001 hat insbesondere<br />

Auswirkungen für Veranlagungszeiträume bis 2001. Es<br />

stellt keine Gesetzesänderung dar und ist somit – soweit<br />

die Finanzverwaltung keine anderslautenden Anweisungen<br />

(Nichtanwendungserlass oder Übergangsfristen) erlässt –<br />

auf alle noch offenen Veranlagungen anzuwenden.<br />

Ob die Veranlagung zur Gewerbesteuer noch offen ist,<br />

richtet sich dabei nicht nach den – möglicherweise schon<br />

bestandskräftigen – Einkommensteuer- oder Gewinnfeststellungsbescheiden.<br />

Maßgebend ist die Veranlagung zur Gewerbesteuer,<br />

also grundsätzlich der Erlass von Gewerbesteuermessbescheiden.<br />

In der vorliegenden Konstellation<br />

werden i. d. R. weder Gewerbesteuerbescheide ergangen<br />

27 XI R 56/00, aaO (Fn. 6), 955.<br />

28 Kanzler, aaO (Fn. 5),115; Korn, aaO (Fn. 5), <strong>125</strong>3 (10 %).<br />

29 Auch der BFH rechtfertigt mit dieser Unterscheidung die unterschiedliche<br />

Wertung der jeweiligen Ausübung eines freien Berufs durch einen Steuerberater<br />

oder einen Rechtsanwalt (II R 4/96, aaO (Fn. 20, 760); vgl. zur Abgrenzung<br />

der Befugnis von Steuerberatern Schwedhelm/Kamps, AnwBl. 1998,<br />

245 ff.<br />

30 So BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937, sowie Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach,<br />

aaO (Fn. 14), § 18 Rdnr. 225, jeweils m. w. N.<br />

31 So BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937.<br />

32 Deshalb zu Recht ablehnend Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, aaO (Fn.<br />

14), § 18 Rdnr. 225; Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, aaO (Fn. 14), § 18<br />

Rdnr. 238.


AnwBl 3/2002 171<br />

Mitteilungen l<br />

noch entsprechende Gewerbesteuererklärungen abgegeben<br />

worden sein. In einem solchen Fall beginnt die allgemeine<br />

vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2<br />

AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das<br />

Kalenderjahr folgt, in dem Gewerbesteuer entstanden ist 33 .<br />

Da die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums,<br />

für den die Festsetzung vorgenommen wird, entsteht, sind<br />

bei der vorgenannten Konstellation die Gewerbesteueransprüche<br />

bis zum Jahre 1995 einschließlich noch nicht verjährt.<br />

Dies kann zu erheblichen Steuernachforderungen<br />

führen. Eine Rechtsprechungsänderung, die eine Besteuerung<br />

für die Altjahre unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes<br />

gem. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hindern<br />

könnte, liegt zwar nicht vor. Sind jedoch in bestandskräftigen<br />

Einkommensteuer- oder Gewinnfeststellungsbescheiden<br />

Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ausgewiesen, kann<br />

der Erlass von erstmaligen Gewerbesteuermessbescheiden<br />

unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung unzulässig sein 34 .<br />

2. Im Übrigen verliert die Gefahr der Gewerblichkeit an<br />

Brisanz. Als Neuerung der am 1.1.2001 wirksam gewordenen<br />

Unternehmenssteuerreform sieht § 35 Abs. 1 EStG<br />

n. F. eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf<br />

die Einkommensteuer vor. Abhängig vom jeweiligen Hebesatz<br />

der Gemeinde und unter der Voraussetzung, dass ein<br />

entsprechendes Einkommensteuerpotential zur Verfügung<br />

steht, kann eine Naturalisierung der Gewerbesteuerlast eintreten.<br />

3. Eine besondere Gefahr ist zu beachten, wenn die Insolvenzverwaltung<br />

durch eine Mitunternehmerschaft betrieben<br />

wird: Ist eine der Tätigkeiten der Personen, die zur gemeinsamen<br />

Berufsausübung in einer Personengesellschaft<br />

zusammengeschlossen sind (z. B. Rechtsanwaltssozietät als<br />

GbR oder Partnerschaftsgesellschaft), gewerblich, wird automatisch<br />

die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft gewerblich<br />

(sog. Abfärbewirkung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) 35 . Ausnahmen<br />

bestehen nur bei einem sehr geringen Anteil der<br />

originär gewerblichen Tätigkeit an den Gesamtumsätzen36 .<br />

V. Ausblick und Vermeidungsstrategien<br />

Die konkreten Auswirkungen der Entscheidung des<br />

BFH auf die Verwaltertätigkeit sind noch nicht abzusehen.<br />

Folgende erste Prognosen wagen wir jedoch:<br />

1. Von der neuen Rechtsprechung des BFH sind alle<br />

Verwalter betroffen, die mehr als einen qualifizierten bzw.<br />

zehn nicht qualifizierte Mitarbeiter beschäftigen.<br />

2. Soweit die Finanzverwaltung von einer Gewerblichkeit<br />

ausgeht, lohnt es sich, zu streiten. Der BFH bietet im<br />

Besprechungsurteil zunächst selbst zwei Aspekte für Streitpotential.<br />

Zum einen fordert er für die Subsumtion unter<br />

den Katalogberuf, dass der Rechtsanwalt „überwiegend“ als<br />

Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren tätig ist37 .<br />

Hier ist der jeweilige Einzelfall maßgebend. Zum anderen<br />

muss im jeweiligen Einzelfall geklärt werden, ob die Anwendung<br />

der Vervielfältigungstheorie konkret in die Gewerblichkeit<br />

führt.<br />

Ferner ist es nicht auszuschließen, dass die Verfassungsbeschwerde<br />

Erfolg haben wird. Ansonsten muss der BFH<br />

in einem neuen Revisionsverfahren zur Änderung seiner<br />

Rechtsprechung bewegt werden. An die Finanzverwaltung<br />

ist dringend zu appellieren, einen Nichtanwendungserlass<br />

oder zumindest eine Übergangsfrist zu gewähren. Auch aus<br />

diesem Grunde sind die Gewerbesteuermessbescheide offenzuhalten.<br />

3. Für die Zukunft raten wir dem Verwalter, möglichst<br />

wenig eigenes Personal zu beschäftigen. Vorrangig sind –<br />

soweit überhaupt vertretbar – die Mitarbeiter des insolventen<br />

Unternehmens in die Verwaltung einzubeziehen. Soweit<br />

externe Fachleute hinzugezogen werden müssen, sind diese<br />

nicht vom Verwalter persönlich, sondern in Vertretung des<br />

insolventen Unternehmens zu beauftragen. Nach Ansicht<br />

des BFH ist es grundsätzlich nicht ausreichend, die Hilfstätigkeit<br />

über eine mit dem Verwalter verbundene Berater-<br />

GmbH ausführen zu lassen 38 .<br />

4. Die eigenen Mitarbeiter sind sorgsam den einzelnen<br />

Verfahren zuzuweisen. Dadurch kann nachgewiesen werden,<br />

dass, bezogen auf das jeweilige Verfahren, nicht mehr<br />

als eine qualifizierte bzw. nicht mehr als zehn nicht qualifizierte<br />

Hilfskräfte eingesetzt wurden.<br />

5. Das ungünstige Verhältnis zwischen Verwalter und<br />

Mitarbeiter kann auch dadurch verbessert werden, dass die<br />

qualifizierten Mitarbeiter Partner der Sozietät und eigenverantwortliche<br />

Verwalter werden. Zu warnen ist jedoch vor<br />

einer Scheinsozietät 39 .<br />

6. Um eine Rechtsanwaltssozietät nicht über die Insolvenzverwaltung<br />

gewerblich zu infizieren, kann die Insolvenzverwaltung<br />

ausgelagert werden. Steuerrechtlich ist es<br />

zulässig, neben der freiberuflichen Sozietät eine personenidentische<br />

gewerbliche Gesellschaft zu betreiben. Berufsrechtlich<br />

ist die sog. Sternsozietät jedoch problematisch 40 .<br />

7. Die Wahl des Standorts wird steuerlich an Bedeutung<br />

gewinnen. Gemeinden mit einem geringen Hebesatz – z. B.<br />

Norderfriedrichskoog 0 % – sind attraktiv. Hier kommt es<br />

über § 35 EStG zu einer Überkompensation. Jeder Euro gewerbliche<br />

Einkünfte reduziert die Einkommensteuer.<br />

33 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.<br />

34 Vgl. zu Einzelheiten Streck/Mack/Schwedhelm, Stbg. 1993, 370; Gürhoff in<br />

Glanegger/Gürhoff, GewStG, 4. Aufl. 1999, § 1 Rdnr. 32.<br />

35 Vgl. zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit Niedersächsisches FG IV 317/<br />

91 vom 24.6.1998, BB 1998, 1453 ff.; Seer, FR 1998, 1022; Schmidt in<br />

Schmidt, aaO (Fn. 2), § 15 Rdnr. 185.<br />

36 BFH XI R 12/98 vom 11.8.1999, BStBl. 2000 II, 229 f. (Anteil von 1,25 %).<br />

37 Siehe dazu oben Tz. II. 2. c.<br />

38 BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937 f.<br />

39 Vgl. zu Gefahren aus der Scheinsozietät Kamps/Alvermann, aaO (Fn. 3),<br />

2121 ff.<br />

40 Vgl. dazu Römermann in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl.<br />

2001, § 31 BerufsO Rdnr. 18 ff.; Henssler in Henssler/Mack/Olbing/Olgemöller/Streck,<br />

BeratungsAkzente – Sozietäten, 1999, S. 13 f.; ders., NJW 1999,<br />

241, 245 f.; Kilian, NJW 2001, 326 ff.; Deichfuß, AnwBl 2001, 645 ff.<br />

Versicherungsfragen<br />

Neues aus der gesetzlichen Unfallversicherung<br />

Es ist erforderlich, sich mit der gesetzlichen Unfallversicherung<br />

zu befassen. Denn sie bildet nicht nur einen Kostenfaktor<br />

in den Anwaltskanzleien. Es ist für den Anwalt<br />

wichtig, dem anwaltlichen Personal, aber auch sich selbst<br />

einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz zu stellen und,<br />

sollte es doch zu einem Versicherungsfall kommen, ausreichend<br />

abgesichert zu sein. Neue Entwicklungen lohnen<br />

einen kurzen Blick hierauf.<br />

Erinnern wir uns: das System der gesetzlichen Unfallversicherung<br />

– durch die kaiserliche Botschaft Wilhelm I<br />

im Jahr <strong>188</strong>4 eingeführt – sieht eine Absicherung bei Ar-


172<br />

l<br />

beitsunfall und Berufskrankheit vor. Beiträge leisten allein<br />

die Unternehmer – hier wird die Last also nicht hälftig verteilt,<br />

wie das in den anderen gesetzlichen Sicherungssystemen<br />

der Fall ist. Dafür ist der Unternehmer (und sein Beschäftigter)<br />

von einer Haftung auch für fahrlässiges Verschulden<br />

freigestellt. Dies erspart ihm insoweit eine Prämie<br />

für eine Haftpflichtversicherung. Außerdem wahrt das Verfahren<br />

den Betriebsfrieden.<br />

a) Pflichtversichert sind Beschäftigte, die der gesetzlichen<br />

Unfallversicherung zu melden sind. Im Fall der Anwälte<br />

ist das die Verwaltungsberufsgenossenschaft in Hamburg<br />

mit ihren Bezirksverwaltungen vor Ort. Unternehmer<br />

sind nicht versichert; sie können sich aber bei der VBG<br />

freiwillig versichern. Das ist nach § 6 Abs. 1 Ziff. 1 SGB<br />

VI durch einfachen schriftlichen Antrag möglich – der Versicherungsschutz<br />

beginnt am Folgetage. Dies Verfahren<br />

muss jedem selbstständigen Anwalt dringend empfohlen<br />

werden. Denn es gibt – gemessen an der Prämie – für den<br />

beruflichen Bereich bisher kaum effektiveren Versicherungsschutz.<br />

Das ist beim Anwalt besonders wichtig – er<br />

ist viel und häufig unterwegs und hat ohnehin wenig Freizeit.<br />

Lediglich vorsorglich sei der Anwalt, der nicht versichert<br />

ist, daran erinnert, dass er (ohne beigetreten zu sein)<br />

Versicherungsschutz haben kann, wenn er auf fremdem Betriebsgelände<br />

einen Unfall erleidet – eine Konstellation, die<br />

beim modernen Anwalt (der nämlich seine Kunden aufsucht)<br />

durchaus vorkommen kann: Satzungen einiger Berufsgenossenschaften<br />

sehen auf Grund von § 3 Abs. 1 Ziff. 2<br />

SGB VII hier Versicherungsschutz vor. Ohnehin gilt die unter<br />

Sozialrechtlern (auch für das Beratungsgeschäft) gültige<br />

Regel, dass jeder Unfall mit Körperschaden auf die Frage<br />

untersucht werden sollte, ob nicht Eintrittspflicht einer gesetzlichen<br />

Unfallversicherung besteht – nicht zuletzt wegen<br />

des weithin unbekannten Konstruktes des so genannten<br />

„Wie-Beschäftigten“ des § 2 Abs. 2 SGB VII.<br />

b) Kommt der Beitragsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft<br />

ins Haus, so lohnt es sich einmal, den Bescheid<br />

nicht nur in die Buchhaltung zu geben, sondern zu<br />

lesen. Abgerechnet wird nach einem so genannten „Gefahrtarif“.<br />

In ihm sind die Unternehmen einer Gefahrengemeinschaft<br />

zu Berechnungs- und Finanzierungszwecken in Risikogemeinschaften<br />

zusammengefasst. Das Nähere erläutert<br />

der Bescheid. Will man gegen den Bescheid mit der Begründung<br />

vorgehen, es sei der Gefahrtarif nicht richtig angewandt<br />

oder in sich unstimmig, so wird man ohne einen<br />

Spezialisten (z. B. Fachanwalt für Sozialrecht) nicht auskommen.<br />

Das Rechtsgebiet ist ausgesprochen komplex –<br />

außerdem ist der Gefahrtarif Gesetz im materiellen Sinn,<br />

was seine Anfechtbarkeit naturgemäß einschränkt. – Unverständnis<br />

weckt manchmal die Aufführung des Insolvenzgeldes<br />

im Bescheid der Berufsgenossenschaft. Warum sollen<br />

die Insolvenzen anderer Unternehmen mit finanziert<br />

werden? Hier gilt jedoch die gesetzliche Regelung der §§<br />

358, 359 SGB III, welche die Berufsgenossenschaften praktisch<br />

zur Inkassostelle für das Arbeitsamt macht. Sie ersetzt<br />

dem Arbeitsamt nämlich die Kosten, welche dieses für die<br />

Zahlungen von Insolvenzgeld an Arbeitnehmer nach § 183<br />

SGB III ff. aufwenden muss, die bei Insolvenzen von Unternehmen<br />

noch offene Lohnforderungen haben. Mit Arbeitsunfall<br />

oder Berufskrankheit hat das zwar nichts zu tun:<br />

immerhin haben die Unternehmen aber solidarisch für die<br />

ausfallenden Unternehmen (für einen auf drei Monate begrenzten<br />

Zeitraum) gerade zu stehen. Ob das die richtige<br />

Finanzierungsform ist und ob hier nicht eher eine Aufgabe<br />

der Allgemeinheit, nicht der gesetzlichen Unfallversiche-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Mitteilungen<br />

rung vorliegt, sei hier dahingestellt. – Allerdings hatte der<br />

Gefahrtarif in den letzten Jahren aus anwaltlicher Sicht Kritik<br />

erfahren, als der festgelegte Wert sich nachteilig erheblich<br />

von dem der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unterschied.<br />

Seit dem seit 2000 geltenden neuen Gefahrtarif ist<br />

das jedoch nicht mehr der Fall.<br />

c) Allerdings gibt es nun etwas (scheinbar) Neues: ab<br />

dem 1.1.2002 muss jeder Anwalt darauf achten, dass für<br />

seine Kanzlei ein Betriebsarzt und eine Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

bestellt wird. Jawohl: jeder Anwalt. Es gibt<br />

nur eine einzige Ausnahme: den Anwalt, der keine Beschäftigten<br />

hat. Also: schon jeder Anwalt mit nur einem<br />

(noch so geringfügig beschäftigen oder nah verwandten)<br />

Arbeitnehmer ist betroffen.<br />

Bevor nun allerdings geklagt wird, warum das nicht verhindert<br />

werden konnte, sollte die Rechtslage zur Kenntnis<br />

genommen werden. Das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure<br />

und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit<br />

vom 12.12.1973 ASiG (BGBl l S. <strong>188</strong>5) gilt schon seit<br />

27 Jahren. Seither gilt auch § 1 ASiG mit folgendem Wortlaut:<br />

Der Arbeitgeber hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Betriebsärzte<br />

und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Diese sollen<br />

ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen.<br />

Damit soll erreicht werden, dass<br />

1. die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden<br />

Vorschriften den besonderen Betriebsverhältnissen entsprechend<br />

angewandt werden,<br />

2. gesicherte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Erkenntnisse<br />

zur Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung<br />

verwirklicht werden können,<br />

3. die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden<br />

Maßnahmen einen möglichst hohen Wirkungsgrad erreichen.<br />

Die „Maßgabe dieses Gesetzes“ sah eine für Anwälte<br />

relevante Ausnahme nicht vor. Das heißt: was zum diesjährigen<br />

Jahresbeginn als Neuigkeit mitgeteilt wird, galt dem<br />

Grunde nach schon seit 1973, bisher allerdings ohne nähere<br />

Gesetzeskonkretisierung und ohne Sanktion. Deswegen<br />

fand die Vorschrift wenig Beachtung. Sie ist in vielen Branchen,<br />

so auch in der Anwaltschaft, völlig unbekannt gewesen<br />

und deswegen nicht befolgt worden.<br />

Dabei bestimmte § 14 ASiG schon immer:<br />

(1) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann mit<br />

Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen,<br />

welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus<br />

diesem Gesetz ergebenden Pflichten zu treffen hat. So weit die<br />

Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ermächtigt sind, die<br />

gesetzlichen Pflichten durch Unfallverhütungsvorschriften näher<br />

zu bestimmen, macht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung<br />

von der Ermächtigung erst Gebrauch, nachdem innerhalb<br />

einer von ihm gesetzten angemessenen Frist der Träger der gesetzlichen<br />

Unfallversicherung eine entsprechende Unfallverhütungsvorschrift<br />

nicht erlassen hat oder eine unzureichend gewordene<br />

Unfallverhütungsvorschrift nicht ändert.<br />

Deswegen mussten die Berufsgenossenschaften handeln,<br />

wollten sie ein Eingreifen des Verordnungsgebers, also des<br />

Staates selbst, verhindern. Ein Teil des Notwendigen war<br />

zwar schon in der alten Unfallverhütungsvorschrift VBG<br />

123 enthalten. Wie vielen Anwälten bekannt, ist deswegen<br />

schon in den letzten Jahren über die sicherheitstechnische<br />

Überwachung im Anwaltsbüro gesprochen worden. Es<br />

drohte aber nun die Gefahr, dass diese Unfallverhütungsvorschrift<br />

nicht als zureichend angesehen werden würde. Dann<br />

hätte (siehe Gesetzestext) der Verordnungsgeber selbst eingreifen<br />

können.


AnwBl 3/2002 173<br />

Mitteilungen l<br />

Um das zu verhindern, haben sich nun die Vertreter der<br />

Unternehmer und der Versicherten in der Verwaltungsberufsgenossenschaft<br />

im Zusammenwirken mit der Rechtsaufsicht<br />

nach langen Verhandlungen auf einen Kompromiss<br />

geeinigt, der im ablaufenden Jahr von der Vertreterversammlung<br />

der Verwaltungsberufsgenossenschaft genehmigt<br />

worden ist. Er findet sich in den neuen Berufsgenossenschaftlichen<br />

Vorschriften für Sicherheit und Gesundheit bei<br />

der Arbeit, nämlich BGV A6 „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“<br />

und BGVA7 „Betriebsärzte“. Jeder Anwalt wird nicht<br />

umhin können, sie sich kommen zu lassen. Er ist nämlich<br />

als Unternehmer gem. § 21 SGB VII für die Durchführung<br />

der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und<br />

Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten<br />

Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame erste Hilfe<br />

verantwortlich. Eine Übersicht soll nachfolgend gegeben<br />

werden.<br />

Natürlich sind die meisten Anwaltskanzleien zu klein,<br />

um sich eine eigene angestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

oder einen eigenen Betriebsarzt leisten zu können. Das<br />

wird auch nicht verlangt. Es ist vielmehr möglich, Dritte<br />

mit dieser Aufgabe zu betreuen. Bei der Frage, welche<br />

Maßnahmen ergriffen werden müssen, ist aber zu unterscheiden:<br />

1. Betriebsarzt in Kanzleien mit maximal<br />

10 Arbeitnehmern<br />

Hier muss im Wege der so genannten Regelbetreuung<br />

jährlich einmal ein Betriebsarzt tätig werden, und zwar 12<br />

Minuten pro Arbeitnehmer – mindestens jedoch 80 Minuten<br />

insgesamt. Allerdings kann man die Untersuchungszeit<br />

für bis zu 3 Jahren auflaufen lassen und dann summiert in<br />

Anspruch nehmen. Dann sind (3 x 80 Minuten) 240 Minuten<br />

(also 4 Stunden) Betriebsarzt-Stunden durchzuführen<br />

(pro Kanzlei – nicht pro Arbeitnehmer).<br />

Auf Antrag kann auch die Grundbetreuung gewählt<br />

werden. Dann ist innerhalb 3 Jahren eine Einsatzzeit von<br />

4 Stunden (wie oben) vorgesehen. Eine erneute Grundbetreuung<br />

von mindestens 80 Minuten ist dann erst nach<br />

weiteren 6 Jahren nötig. Dafür besteht die Verpflichtung<br />

zur so genannten „Bedarfsbetreuung“. Sie wird zusätzlich<br />

notwendig bei einer Neu- oder Umgestaltung der Kanzlei,<br />

Arbeitsmitteln oder Arbeitsplätzen, wenn Beschäftigte den<br />

entsprechenden Wunsch äußern oder wenn Betriebsunfälle<br />

oder sonstige einschneidende Ereignisse vorgekommen<br />

sind.<br />

2. Fachkraft für Arbeitssicherheit in Kanzleien mit<br />

maximal 10 Arbeitnehmern<br />

Hier gilt automatisch die Grundbetreuung. Sie sieht (unabhängig<br />

von der Zahl der Arbeitnehmer) eine Erstbetreuung<br />

von 2 Stunden jährlich vor. Auch hier ist Summierung<br />

auf 3 Jahre möglich, dann werden jedoch 6 Stunden fällig.<br />

Eine erneute Grundbetreuung wird dann mit jeweils mindestens<br />

2 Stunden nach weiten 6 Jahren nötig. Auch hier<br />

wird allerdings eine Bedarfsbetreuung bei den vorgenannten<br />

Anlässen erforderlich.<br />

Auf Antrag kann hier (umgekehrt als oben) die Regelbetreuung<br />

gewählt werden. Hier sind 18 Minuten Einsatzzeit<br />

pro Arbeitnehmer pro Jahr, mindestens jedoch Stunden<br />

vorzusehen. Eine Kumulierung auf 3 Jahre ist hier nicht<br />

möglich. Hier könnte der Anwalt auch das sog. „Unternehmermodell“<br />

wählen. Danach müsste sich der Anwalt selbst<br />

in Fragen der betrieblichen Arbeitssicherheit und des Ge-<br />

sundheitsschutzes dadurch schulen, dass er innerhalb zwei<br />

Jahren zwei aufeinander aufbauende zweitägige Seminarveranstaltungen<br />

bei der BG absolviert und regelmäßig an<br />

Fortbildungen auf diesem Sektor teilnimmt. Außerdem<br />

muss er sich alle 6 Jahre einschlägig beraten lassen. Dieses<br />

Modell wird wegen des Zeitbedarfs aber wohl nur für wenige<br />

Anwälte in Betracht kommen.<br />

3. Betriebsarzt in Kanzleien mit mehr als<br />

10 Arbeitnehmern<br />

Hier ist nur die Regelbetreuung ohne Summierung<br />

möglich. Bei 11 Arbeitnehmern bedeutet das 2,2 Stunden<br />

jährlich (11 x 0,2 Std.).<br />

4. Fachkraft für Arbeitssicherheit in Kanzleien mit mehr<br />

als 10 Arbeitnehmern<br />

Auch hier ist die Regelbetreuung ohne Summierung vorgesehen.<br />

Bei 11 Arbeitnehmern bedeutet das 3,3 Stunden<br />

jährlich (11 x 0,3 Std.). Allerdings kann auch das Unternehmermodell<br />

gewählt werden, was in größeren Kanzleien diskutierbar<br />

sein könnte.<br />

Im Ergebnis heißt das: kleinere Kanzleien können es bei<br />

den satzungsgemäßen Vorgaben belassen. Dann gestaltet<br />

sich der Einsatz des Betriebsarztes nach der Regelbetreuung<br />

und der Fachkraft für Arbeitssicherheit nach der<br />

Grundbetreuung. In beiden Fälle kann man dann aufschieben<br />

und hat alle drei Jahre den Betriebsarzt für 4 Stunden<br />

und nach drei Jahren die Fachkraft für Arbeitssicherung 6<br />

Stunden und dann alle 6 Jahre für 2 Stunden im Haus. Bei<br />

großen Kanzleien ist immer die Regelbetreuung vorgesehen,<br />

man kann sich allerdings Gedanken darüber machen,<br />

ob man für den Bereich der Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />

das Unternehmermodell wählt.<br />

Wie wird das in der Praxis umgesetzt? Mit der sicherheitstechnischen<br />

Überwachung haben schon viele Anwälte<br />

Erfahrungen gemacht. Ähnlich wird es bei den Betriebsärzten<br />

laufen: man muss Externe bestellen und bezahlen. Es<br />

empfiehlt sich folgendes Vorgehen:<br />

1. Bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft sollte man<br />

sich kostenlos die Schrift SP 26 Sicherheitstechnische und<br />

arbeitsmedizinische Betreuung kommen lassen. Dort werden<br />

alle Einzelheiten aufgeführt und Tipps gegeben.<br />

2. In den langjährigen Fristenkalender, in den auch Verjährungen<br />

eingetragen werden, sollte man die oben genannten<br />

Untersuchungsfristen markieren.<br />

3. Man sollte sich nach Dienstleistern für die Sicherheitstechnische<br />

und arbeitsmedizinische Betreuung umsehen.<br />

Überstürzte Eile ist nicht geboten. Auch sollte man<br />

darauf achten, dass andere Berufsgruppen hier ein neues<br />

Betätigungsfeld sehen. Es lohnen sich Preis- und Qualitätsvergleiche<br />

der Anbieter.<br />

Insgesamt wird mancher Anwalt dazu neigen, über zusätzliche<br />

Kosten und Bürokratie zu klagen. Es ist nicht zu<br />

bestreiten, dass das Regelwerk zusätzliche Lasten mit sich<br />

bringt. Man muss aber sehen, dass hier nur eine seit 27 Jahren<br />

leer laufende Rechtslage in die Wirklichkeit umgesetzt<br />

wird. Der Berufsgenossenschaft ist es auch gelungen, eine<br />

Kompromisslösung zu finden, die die Zustimmung der<br />

staatlichen Aufsicht gefunden hat. Sie hat sich sehr bemüht,<br />

ein einigermaßen transparentes und unbürokratisches Verfahren<br />

zu finden. Es hat keine Sinn, hier Obstruktion zu<br />

leisten: das Ziel der Sicherung eines gesunden Arbeitsplatzes<br />

im Büro des digitalen Zeitalters ist letztlich auch im


174<br />

l<br />

Sinne des Anwalts selbst. Der DAV wird sich bemühen,<br />

auch im betriebsärztlichen Bereich seriöse Anbieter nachweisen<br />

zu können.<br />

Die gesetzliche Unfallversicherung, bis zum 31.12.1996<br />

noch in der RVO geregelt, ist fast unverändert in das SGB<br />

VII übernommen worden. Man ging davon aus, dass sich<br />

dieser Zweig der gesetzlichen Versicherung bewährt habe.<br />

Das kann auch noch für heute gelten. Zwar gibt es auch in<br />

der gesetzlichen Unfallversicherung Strukturprobleme. Gemessen<br />

an den Schwierigkeiten anderer großer Versicherungssysteme<br />

(Renten- und Krankenversicherung) ist die<br />

Unfallversicherung heute noch im Wesentlichen unversehrt.<br />

Sie sollte genutzt werden.<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />

Haftpflichtfragen<br />

Rechtsanwältin Antje Jungk<br />

Allianz Versicherungs-AG München<br />

Besondere Verjährungsvorschriften nach der<br />

Schuldrechtsreform<br />

Seit dem 1.1.2002 ist das „Gesetz zur Modernisierung<br />

des Schuldrechts“ nun in Kraft. Insbesondere das Verjährungsrecht<br />

hat tief greifende Änderungen erfahren. Über die<br />

Vor- und Nachteile der Neuregelungen lässt sich trefflich<br />

streiten, wie die zahlreichen Kommentare in den Fachzeitschriften<br />

zeigen. Doch auch wer die Änderungen ablehnt,<br />

muss mit ihnen leben. Die Versäumung von Verjährungsfristen<br />

macht von jeher einen erheblichen Teil der anwaltlichen<br />

Haftungsfälle aus. Die Überwachung der Fristen ist<br />

dabei nur die eine Seite der Medaille: Gerade jetzt in<br />

der Übergangszeit stellt die zutreffende Berechnung der<br />

Fristen – unter Berücksichtigung der Hemmungszeiträume<br />

(!) und der schwierigen Übergangsregelungen in Art. 229<br />

§ 6 EGBGB – erhöhte Anforderungen an jeden Anwalt.<br />

Über die Neuerungen im Allgemeinen Teil des BGB hatten<br />

wir bereits im letzten Heft (Dobmaier, AnwBl 2002,<br />

107) berichtet. Die neue Regelverjährung von 3 Jahren,<br />

kenntnisabhängig, als Jahresendfrist (§§ 195, 199 BGB) ist<br />

hoffentlich schon den meisten in Fleisch und Blut übergegangen.<br />

1. Sonderregelungen im Allgemeinen Teil des BGB<br />

10-Jahres-Fristen haben wir nun zum einen in den in<br />

§ 196 BGB genannten Fällen. Im Gegensatz zur bisherigen<br />

Rechtslage verjähren Ansprüche auf Übertragung oder Aufhebung<br />

eines Rechts am Grundstück bereits nach 10 Jahren.<br />

Wolfsteiner (DNotZ 2001, 902) weist darauf hin, dass hierunter<br />

auch Rückgewähransprüche aus Grundschulden fallen.<br />

Er empfiehlt, die Verjährung hier durch eine nach § 202<br />

BGB ohne weiteres zulässige vertragliche Vereinbarung auf<br />

30 Jahre zu verlängern. Zu einer 10-jährigen Verjährung<br />

kann es aber auch bei solchen Ansprüchen kommen, die<br />

grds. der 3-jährigen Regelverjährung unterfallen, bei denen<br />

jedoch die Verjährungsfrist mangels Kenntnis des Gläubigers<br />

nicht zu laufen beginnt. In jedem Fall, also auch dann,<br />

wenn der Gläubiger beispielsweise nach 9 Jahren Kenntnis<br />

von allen anspruchsbegründenden Umständen und der Per-<br />

son des Schuldners erlangt, verjährt der Anspruch taggenau<br />

nach 10 Jahren. Eine Sondervorschrift findet sich ferner in<br />

§ 852 S. 2 BGB für den Herausgabeanspruch nach deliktischen<br />

Handlungen.<br />

Die 30-Jahres-Frist ist gemäß § 197 BGB (wie bisher)<br />

insbesondere einschlägig für Herausgabeansprüche aus<br />

dinglichen Rechten, familien- und erbrechtliche sowie titulierte<br />

Ansprüche. Unter besonderen Umständen kann auch<br />

für Schadensersatzansprüche die 30-Jahres-Frist zur Anwendung<br />

kommen: Mangels Kenntnis des Gläubigers verjähren<br />

Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Leben,<br />

Körper, Gesundheit oder Freiheit 30 Jahre nach dem Schadensereignis,<br />

andere Schadensersatzansprüche dann, wenn<br />

zusätzlich der Schaden auch noch nicht entstanden ist.<br />

So weit wären die Verjährungsvorschriften einigermaßen<br />

übersichtlich. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass es<br />

auch Verjährungsvorschriften innerhalb und außerhalb des<br />

BGB gibt, die nicht geändert wurden. Zudem sind auch<br />

neue besondere Verjährungsvorschriften zu beachten. Im<br />

BGB sind dies insbesondere die Gewährleistungsvorschriften<br />

im Kauf- und Werkvertragsrecht.<br />

2. Neue Regelungen im Besonderen Teil des BGB<br />

AnwBl 3/2002<br />

Mitteilungen<br />

a) Kaufvertrag<br />

Im Kaufvertragsrecht gelten zunächst die allgemeinen<br />

Regelungen, d. h. der Anspruch auf Eigentumsübertragung<br />

und Gegenleistung verjährt in der regelmäßigen Frist von<br />

nunmehr nur noch 3 Jahren, bei Grundstücksrechten gemäß<br />

§ 196 BGB nach 10 Jahren. Komplizierter wird es bei der<br />

Verjährung der Gewährleistungsansprüche. Einschlägig ist<br />

hier § 438 BGB. Die Verjährung beginnt jeweils mit Übergabe<br />

bzw. Ablieferung der Sache und beträgt 2 Jahre (statt<br />

bisher 6 Monate!), bei Bauwerken und Verwendung für dieselben<br />

5 Jahre, wegen eines Mangels auf Grund dinglicher<br />

Rechte eines Dritten sogar 30 Jahre. Diese Fristen gelten<br />

zwar gemäß § 438 Abs. 1 BGB grds. nur für Nacherfüllungs-<br />

und Schadensersatzansprüche und nicht für Gestaltungsrechte;<br />

auf dem Umweg über §§ 438 Abs. 4, 5, 218<br />

BGB kommt man aber bezüglich Rücktritt und Minderung<br />

zum selben Ergebnis.<br />

Nach altem Recht war für die zutreffende Beurteilung<br />

der Verjährung nicht nur die Kenntnis des Gesetzeswortlauts<br />

nötig, sondern die Rechtsprechung hatte verschiedenste<br />

Konstruktionen entwickelt, um die kurze Verjährungsfrist<br />

von 6 Monaten zu überwinden. § 437 Nr. 3 BGB<br />

lässt solche Differenzierungen nicht mehr zu. Westermann<br />

(NJW 2002, 250) weist allerdings darauf hin, dass man wegen<br />

eines Sachmangels zum „großen“ Schadensersatz greifen<br />

und damit zur (kenntnisabhängigen) Regelverjährung<br />

kommen könne. Für den Fall des arglistigen Verschweigens<br />

eines Mangels verweist § 438 Abs. 3 BGB ebenfalls auf<br />

die Regelverjährung, wobei dem Käufer eine evtl. längere<br />

5-jährige oder gar 10-jährige Verjährung gemäß § 438<br />

Abs. 1 BGB gleichwohl zugute kommt.<br />

Der Rechtsprechung überlassen bleiben sicherlich die<br />

schon bisher diskutierten Sonderprobleme, namentlich Anspruchskonkurrenzen<br />

zum Deliktsrecht, z. B. beim „weiterfressenden<br />

Mangel“. Die Anwendung der alten 6-Monats-<br />

Frist im Gegensatz zur kenntnisabhängigen Frist des § 852<br />

BGB a. F. führte hier zu z. T. krass unterschiedlichen Beurteilungen.<br />

Auch wenn der Unterschied zwischen § 438


AnwBl 3/2002 175<br />

Mitteilungen l<br />

BGB und der Regelverjährung nun nicht mehr so eklatant<br />

ist, kann jedenfalls die Kenntnisabhängigkeit gemäß § 199<br />

BGB immer noch zu einer deutlich längeren Verjährungsfrist<br />

führen.<br />

b) Verbrauchsgüterkauf<br />

Ein Novum im BGB ist der in §§ 474 ff. geregelte Verbrauchsgüterkauf,<br />

bei dem auf Käuferseite ein Verbraucher,<br />

auf Verkäuferseite ein Unternehmer steht. Die Regelungen<br />

berücksichtigen insbesondere, dass es sich dabei i.d.R. um<br />

eine Lieferantenkette handelt. Als besondere Verjährungsvorschrift<br />

ist dabei dann § 479 BGB zu beachten: Die Vorschrift<br />

unterscheidet zwischen dem eigentlichen Gewährleistungsanspruch<br />

des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer<br />

und solchen Schäden, die dem Unternehmer selbst<br />

auf Grund der Mangelhaftigkeit der Ware entstehen. Für<br />

letztere gilt die 2-Jahres-Frist ab Ablieferung beim Unternehmer<br />

selbst (§ 479 Abs. 1 BGB). Die Verjährung der<br />

Rückgriffsansprüche wegen der eigentlichen Gewährleistungsansprüche<br />

des Käufers (Verbrauchers) ist allerdings<br />

gemäß § 479 Abs. 2 BGB bis zu 5 Jahre ab Ablieferung<br />

beim Unternehmer gehemmt. Nur so hat nämlich der Unternehmer<br />

eine realistische Chance, noch Rückgriff zu nehmen,<br />

wenn der Verbraucher erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist<br />

seine Ansprüche geltend macht. Die Verjährung<br />

tritt dann frühestens 2 Monate nach Erfüllung der<br />

Ansprüche des Verbrauchers ein. Eine vertraglich vereinbarte<br />

Verkürzung der Gewährleistungsfristen ist gemäß<br />

§ 475 Abs. 2 BGB nur für gebrauchte Sachen und auf nicht<br />

weniger als 1 Jahr zulässig.<br />

c) Werkvertrag<br />

Die besondere Verjährungsvorschrift im Werkvertragsrecht<br />

ist § 634a BGB. Die Regelungen entsprechen im Wesentlichen<br />

dem Kaufvertragsrecht: Auch hier löst grds. eine<br />

2-Jahres-Frist die bisherige 6-Monats-Frist ab. Für Bauwerke<br />

gelten 5 Jahre, für nicht körperliche Werke wird auf<br />

die Regelverjährung verwiesen. Zu beachten ist dabei,<br />

dass Gewährleistungsansprüche für Planungs- und Überwachungsleistungen<br />

entsprechend denen für das Werk<br />

selbst verjähren. Die Gewährleistungsverjährung für körperliche<br />

Werke beginnt mit der Abnahme. Für Rücktritts- und<br />

Minderungsrechte kommt man über §§ 634a Abs. 4, 5, 218<br />

BGB zu denselben Fristen, für arglistiges Verschweigen<br />

wird ebenfalls auf die Regelverjährung verwiesen.<br />

d) Reisevertrag<br />

Etwas versteckt, aber gleichwohl von Bedeutung, findet<br />

sich eine weitere Verlängerung von 6 Monaten auf 2 Jahre<br />

in § 651g Abs. 2 BGB für reisevertragliche Mängelansprüche.<br />

Die Monatsfrist gemäß § 651 g Abs. 1 BGB<br />

bleibt allerdings bestehen!<br />

3. Nicht geänderte Fristen im Besonderen Teil des BGB<br />

Neben den genannten ausdrücklichen Neuregelungen im<br />

Kauf-, Werk- und Reisevertragsrecht gibt es nach wie vor<br />

weitere Fristen im BGB, die nicht unter die allgemeinen<br />

Regelungen der §§ 194 ff. BGB fallen.<br />

Bei einer 6-Monats-Frist bleibt es beispielweise für Ersatzansprüche<br />

beim Leihvertrag (§ 606 BGB), Nießbrauch<br />

(§ 1057 BGB) oder Pfandrecht (§ 1226 BGB).<br />

Ansprüche aus einer Inhaberschuldverschreibung erlöschen<br />

nach 30 Jahren, verjähren aber 2 Jahre nach Vorlegung<br />

(§ 801 BGB), aus Zinsscheinen in 4 Jahren (§ 804<br />

Abs. 1 S. 3 BGB), aus einem Verlöbnis nach 2 Jahren<br />

(§ 1302 BGB).<br />

Die kenntnisabhängige 3-Jahresfrist für den Zugewinnausgleichsanspruch<br />

(§ 1378 IV BGB) wird man wohl dennoch<br />

als lex specialis ansehen müssen, ebenso diejenige für<br />

den Pflichtteilsanspruch (§ 2332 BGB).<br />

Eher erstaunlich ist die erst am 1.9.2001 in Kraft getretene<br />

Neufassung des § 548 BGB. Auch hier bleibt es bei<br />

der 6-Monats-Frist für Ersatzansprüche aus dem Mietvertrag.<br />

Als Neuerung wurde allerdings § 548 Abs. 3 BGB<br />

eingefügt, nach dem die Verjährung durch Beantragung des<br />

selbstständigen Beweisverfahrens unterbrochen werden<br />

kann. Nach § 204 Nr. 7 BGB führt das selbstständige Beweisverfahren<br />

nur noch zu einer Verjährungshemmung. Die<br />

Vorschrift ist daher nicht systemkonform. Sie dahingehend<br />

auszulegen, dass nunmehr eine Hemmung bewirkt wird,<br />

wäre aber m. E. contra legem. Man wird wohl von einem<br />

Neubeginn ausgehen dürfen.<br />

4.Verjährungsregelungen außerhalb des BGB<br />

Es stellt sich zuletzt die Frage, welche Auswirkungen<br />

die Neuregelung der Verjährungsvorschriften im BGB für<br />

die außerhalb des BGB geregelten Ansprüche hat.<br />

a) Geänderte Vorschriften<br />

Ausdrücklich geändert und mit einem Verweis auf die<br />

neuen Verjährungsvorschriften im BGB, insbesondere Regelverjährung<br />

bzw. Hemmung, versehen wurden beispielsweise<br />

§ 159 Abs. 4 HGB, Art. 53 ScheckG, §§ 33 Abs. 3,<br />

141 PatG, § 24c GebrMG, § 20c MarkenG, § 9 Abs. 3<br />

HalbleiterschutzG, § 102 UrhG, § 14a Abs. 4 GeschmMG,<br />

§ 117 Abs. 2 BBergG, § 37c SortenschutzG, § 189 des Gesetzes<br />

zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge<br />

und Art. 3 CMR (Verweis auf § 438 Abs. 3 BGB).<br />

b) Nicht ausdrücklich geänderte Vorschriften<br />

Interessanter ist die Frage, wie diejenigen Vorschriften<br />

zu verstehen sind, die ihrerseits keine ausdrückliche Änderung<br />

erfahren haben. Sollen hier im Sinne einer einheitlichen<br />

Neuregelung die allgemeinen Vorschriften über Verjährungsbeginn,<br />

-hemmung etc. nach der Neufassung des<br />

BGB Anwendung finden? Oder ist die jeweilige Vorschrift<br />

bewusst auf das alte Recht zugeschnitten und somit auch<br />

weiterhin in diesem Sinne zu verstehen?<br />

Im öffentlichen Recht führten z. B. Verweisungen auf<br />

das BGB vielfach zu einer 30-jährigen Verjährungsfrist.<br />

Man kann bezweifeln, ob auch hier nun in allen Fällen eine<br />

Verkürzung auf 3 Jahre gewollt ist. Mansel (NJW 2002, 91)<br />

beispielsweise geht davon aus, dass es im Zweifel bei der<br />

30-Jahres-Frist bleibt, sofern nicht die Interessen- und<br />

Normzweckanalyse ein anderes ergibt.<br />

Im Übrigen wird man davon ausgehen können und<br />

dürfen, dass die nicht ausdrücklich geänderten Verjährungsvorschriften<br />

(z.B. § 12 ProdHG, § 12 I 2 VVG) selbst bestehen<br />

bleiben, bzgl. Neubeginn oder Hemmung aber neues<br />

Recht Anwendung findet.<br />

Als für die Anwaltschaft wichtige Vorschriften seien in<br />

diesem Zusammenhang ausdrücklich §§ 51b BRAO, 68


176<br />

l<br />

StBerG und 51a WirtschPrO genannt. Es mag dahinstehen,<br />

ob solche Sondervorschriften an die neuen allgemeinen Vorschriften<br />

anzupassen sind, wie dies zuweilen gefordert wird<br />

(so beispielsweise Heinrichs, BB 2001, 1417, 1420). Wenn<br />

Heinrichs allerdings bereits nach bestehender Rechtslage<br />

die neuen Vorschriften des BGB am Beispiel eines Anwaltshaftungsfalles<br />

erläutert, so überzeugt dies nicht. § 51b<br />

BRAO gilt mangels ausdrücklicher Änderung als lex specialis<br />

fort. Allein die jetzt auch hierfür geltenden allgemeinen<br />

Vorschriften über Neubeginn und Hemmung, insbesondere<br />

Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen (§ 203<br />

BGB), können im Einzelfall zu anderen Ergebnissen führen.<br />

Buchhinweis<br />

Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Nomos-Verlagsgesellschaft,<br />

1. Auflage 2000<br />

Was muss ein Kommentar zum europäischen Recht leisten, der den<br />

Bedürfnissen des Praktikers genügt? Er muss handlich sein, übersichtlich<br />

und detailliert. Er muss nicht nur die Vorschriften der Verträge<br />

darstellen, sondern auch die vielfältigen Normen des Sekundärrechts<br />

und die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte, die<br />

das EG-Recht fortentwickelt und konkretisiert haben. Dem Kommentar<br />

von Schwarze und seiner Mit-Autoren ist das weitestgehend<br />

gelungen, auch und gerade im Vergleich zu den älteren in<br />

letzter Zeit in neuer Auflage erschienenen umfangreichen anderen<br />

Kommentaren. Handlich ist die Darstellung des gesamten EU- und<br />

EG-Rechts in einem festen Band auf 2660 Seiten. Das ist allerdings<br />

mit dem raschen Veralten eines Kommentars auf einem<br />

Rechtsgebiet, das sich in dynamischer Fortentwicklung befindet,<br />

verbunden. Der Kommentar ist nach den Änderungen durch den<br />

Vertrag von Amsterdam aktuell, die Änderungen von Nizza konnten<br />

allerdings nicht berücksichtigt werden. Es ist deshalb zu hoffen,<br />

dass der ersten Auflage in kurzem Abstand eine zweite folgen<br />

wird.<br />

An dem von Schwarze herausgegebenen Werk haben 41 Autoren<br />

mitgewirkt, die in ihren Kommentierungen ausschließlich ihre persönliche<br />

Auffassung wiedergeben. Nichtsdestoweniger hat die<br />

Schriftleitung von Ulrich Becker, Armin Hatje und Johann Schoo<br />

ein einheitliches Werk zustande gebracht, auch wenn es manche<br />

Überschneidungen und Unterschiede gibt. Die Autoren repräsentieren<br />

eine gute Mischung von Wissenschaftlern und Praktikern, letztere<br />

meistens aus den Diensten des Rates, der Kommission und des<br />

Europäischen Parlaments. Anwälte sind – leider – nur relativ spärlich<br />

vertreten, allerdings meist mit besonders wichtigen Abschnitten,<br />

wie z. B. Meesenburg mit dem Kapitel über die Zollunion und<br />

Bär Bouyssiere zu den staatlichen Beihilfen. Ein kleiner Mangel<br />

ist die fehlende Internationalität. Einziger Ausländer ist Prof. Holoubek,<br />

Wien. Für die Nutzung in der Rechtspraxis zu begrüßen ist<br />

auch der Abdruck der wichtigsten Protokolle zum EG-Vertrag und<br />

zum EU-Vertrag, der Satzung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnungen<br />

im Anhang.<br />

Der Vertrag über die Europäische Union wird auf insgesamt 190<br />

Seiten, also weniger als einem Zehntel des Werkes, entsprechend<br />

seiner Bedeutung in der gebotenen Kürze kommentiert. Die Europäische<br />

Union ist, wie Cordula Stumpf zu Art. 1 EUV richtig<br />

betont, eine internationale Organisation oder, wie das BVerfG in<br />

seinem Maastricht-Urteil formuliert, ein Staatenverbund. Sie ist<br />

also keine voll ausgereifte supranationale Organisation und damit<br />

keine Rechtsgemeinschaft im engeren Sinne. Grundlage der Union<br />

sind, wie in Art. 1 Abs. 3 EUV formuliert, die Europäischen<br />

Gemeinschaften, was in dem Kommentar zutreffend betont wird.<br />

Das plastische aber falsche Bild der drei Säulen – Gemeinsame<br />

Außen- und Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in den Bereichen<br />

Justiz und Inneres und Europäische Gemeinschaften – wird aller-<br />

AnwBl 3/2002<br />

Mitteilungen<br />

dings in der Kommentierung (Rdnr. 38 zu Art. 1 EUV) nicht genügend<br />

kritisiert.<br />

Für den Praktiker von besonderer Bedeutung ist Art- 6 EUV, der<br />

die Verfassungsprinzipien und die Achtung der Grundrechte statuiert.<br />

Wegen der Nennung der Grundrechte an dieser Stelle des EU-<br />

Vertrages werden Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze<br />

des Gemeinschaftsrechts dort behandelt. Das mag bei einem an<br />

dem Vertrags-Text orientierten Kommentar eine gewisse Berechtigung<br />

haben, ist aber angesichts der Entwicklung der allgemeinen<br />

Rechtsgrundsätze und Grundrechte durch die Rechtsprechung des<br />

Europäischen Gerichtshofs der Sache nach nicht angemessen.<br />

Demgemäss ist der erwähnte Abschnitt (Rdnr. 17 bis 41 zu Art. 6<br />

EUV) relativ knapp ausgefallen. Andere Kommentatoren haben<br />

Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze denn auch in ihren<br />

Abschnitten spezieller behandelt, so Holoubek das allgemeine Diskriminierungsverbot<br />

ausführlich zu Art. 12 EGV (Rdnr. 38 bis 55)<br />

und Hix die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Grundrechte in der<br />

Gemeinsamen Agrarpolitik zu Art. 34 EGV (Rdnr. 68 bis 87). Dort<br />

ist insbesondere die erschöpfende Darstellung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />

anhand der Rechtsprechung des EuGH hervorzuheben.<br />

Nicht erwähnt wird allerdings, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />

in das europäische Recht vor allem aufgrund des<br />

Einflusses des deutschen Verwaltungsrechts und deutscher Richter<br />

Eingang gefunden hat.<br />

Ein weiterer für den Anwalt wichtiger Teil des EU-Vertrages sind<br />

die Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit<br />

in Strafsachen der Art. 29 ff. EUV. Böse von der Technischen<br />

Universität Dresden kommentiert ihn ausführlich, was angesichts<br />

der Unübersichtlichkeit der dort vorgesehenen Maßnahmen<br />

der intergouvemementalen Zusammenarbeit besonders schwierig<br />

ist. Die schwachen Möglichkeiten der europäischen Organe zur<br />

Förderung dieser Zusammenarbeit kommen gut zum Ausdruck.<br />

Vorsichtig kritisch wird auch die geringe Möglichkeit zur gerichtlichen<br />

Kontrolle durch den Gerichtshof gemäß Art 35 EUV erwähnt,<br />

deutlicher kritisiert die praktische Ausschaltung des Parlaments,<br />

das nach Art. 39 EUV nur Stellungnahmen abgeben darf. Auch<br />

eine Beteiligung der nationalen Parlamente im Bereich der polizeilichen<br />

und justiziellen Zusammenarbeit hat sich, wie zu Art. 39<br />

EUV (Rdnr. 5) bemerkt wird, bisher nicht abgezeichnet: „Dies ist<br />

gerade in einem so eingriffsintensiven Bereich wie dem Straf- und<br />

Strafverfahrensrecht bedenklich“.<br />

Wesentlich ausführlicher ist sodann die Kommentierung des EG-<br />

Vertrages. Mit Recht betont Schwarze zu Art. 1 EGV (Rdnr. 3),<br />

dass der Vertrag von Maastricht in der Sache eine weitere Zunahme<br />

der Regelung von nichtwirtschaftlichen Sachverhalten im EGV<br />

mit sich gebracht hat, insbesondere die Aufnahme zahlreicher neuer<br />

Kompetenzen, wie z. B. der Sozialpolitik, der Berufsbildungsund<br />

Kulturpolitik, des Gesundheitswesens, des Verbraucherschutzes<br />

und der Forschungs- und Technologiepolitik. Im folgenden<br />

können nur einige für den Wirtschaftsanwalt besonders wichtige<br />

Bereiche des europäischen Wirtschaftsrechts rezensiert werden.<br />

Auf die Kommentierung des Diskriminierungsverbots gemäß<br />

Art. 12 EGV durch den Österreicher Holoubek wurde schon hingewiesen.<br />

Er bezeichnet das Verbot der Diskriminierung aus Gründen<br />

der Staatsangehörigkeit im Anschluss an Ipsen als die „Magna<br />

Charta“ des Vertrags. Die Überwindung des Fremden-Status im<br />

Bezug auf Gemeinschaftsbürger ist eine notwendige Voraussetzung<br />

für einen funktionierenden Binnenmarkt. Anhand von Beispielen<br />

aus der Rechtsprechung werden offene und versteckte Diskriminierung<br />

detailliert dargestellt. Allenfalls das Thema der Inländerdiskriminierung<br />

(Rdnr. 33 zu Art. 12 EGV) hätte um einen kurzen<br />

Blick auf das innerstaatliche deutsche und österreichische Recht erweitert<br />

werden können.<br />

Grundlage der Gemeinschaft ist gemäß Art. 23 EGV eine Zollunion.<br />

Deshalb kommt diesem Abschnitt (Art. 23 bis 27 EGV)<br />

große praktische Bedeutung zu. Kurz aber mit einer bemerkenswerten<br />

Gründlichkeit behandelt Messenburg das Zollrecht der EG,<br />

aber auch das GATT-Recht und das Internationale Übereinkommen<br />

über das harmonisierte System zur Bezeichnung und Kodierung<br />

der Waren von 1983. Die Bedeutung der Rechtsprechung des


AnwBl 3/2002 177<br />

Mitteilungen l<br />

EuGH zum Zollrecht (Rdnr. 32 zu Art. 26 EGV) bewertet er allerdings<br />

wohl etwas zu schwach.<br />

Die Landwirtschaft ist der am strengsten regulierte Bereich des<br />

Gemeinschaftsrechts und finanziell von großer Bedeutung; nach<br />

wie vor fließt knapp die Hälfte des Gemeinschaftshaushalts in das<br />

Agrarwesen. Deshalb ist die ausführliche und sachkundige Kommentierung<br />

der Art. 32 bis 38 EGV durch Hix vom Juristischen<br />

Dienst des Rates zu begrüßen. Auch hier ermöglicht ein umfangreiches<br />

Literaturverzeichnis zu Beginn des Abschnittes weiterführende<br />

Lektüre. Mit Recht betont Hix, dass die Struktur des Art. 32<br />

und der übrigen Vorschriften des Titels II „nicht besonders übersichtlich<br />

gestaltet“ ist. Das gilt allerdings noch mehr für das Sekundärrecht<br />

im Agrarbereich. Die Rechtsangleichung in den verschiedenen<br />

Branchen, wie Veterinärwesen und Futtermittel,<br />

Tierschutz, Phytosanitärwesen und Saat- und Pflanzgut, wird kurz<br />

dargestellt. Wichtiger ist sodann die Darstellung der Gemeinsamen<br />

Agrarpolitik gemäß Art. 33 ff. EGV. Die bisherige Agrarmarktpolitik<br />

der Gemeinschaft wird mit der notwendigen Zurückhaltung kritisiert<br />

(Rdnr. 4 zu Art. 34 EGV). Von dem bisherigen<br />

Marktstützungsregime, gekennzeichnet durch Interventionsmaßnahmen<br />

mit garantierten Mindestpreisen, muss nicht nur auf dem<br />

Hintergrund des zunehmenden Drucks der Handelspartner der EU<br />

im Rahmen der WTO, wie Hix meint, sondern auch wegen der auf<br />

Dauer nicht tragbaren Kosten abgegangen werden. Schließlich gibt<br />

Hix einen Überblick über die einzelnen Marktordnungen von Getreide<br />

über Rohtabak bis zur Bananenmarktordnung und den Milcherzeugnissen.<br />

Die Kommentierung des Kartellrechts im Rahmen der Wettbewerbsregeln<br />

(Art. 81 bis 86 EGV) hat Rechtsanwalt Brinker vorgenommen.<br />

Auch hier ist für den Praktiker bedeutsam, dass nicht<br />

nur Vertragsvorschriften kommentiert werden, sondern auch ein<br />

Überblick über das Sekundärrecht gegeben wird (Rdnr. 12 bis 20<br />

zu Art. 81 EGV). Neben die förmlichen Rechtsakte des Rates und<br />

der Kommission treten verschiedene Bekanntmachungen und Mitteilungen<br />

der Kommission, die im einzelnen aufgeführt werden.<br />

Als Einzelfälle werden Vertriebsverträge, Technologietransfer-Vereinbarungen,<br />

Branchenregelungen und Kooperationen in verschiedenen<br />

Bereichen, vor allem gemeinsame Forschung und Entwicklung,<br />

dargestellt. Der Abschnitt kann als eine Kurzfassung des EG-<br />

Kartellrechts bezeichnet werden, wobei auch hier wieder besonders<br />

ausführliche Literaturverzeichnisse weiter führen.<br />

Art. 86 EGV, der die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf<br />

öffentliche Unternehmen regelt, kommentiert von Burchard von<br />

der Ruhrgas AG. Wegen der vor allem in Deutschland virulenten<br />

Diskussion um die sogenannten „öffentlichen Vorsorgeleistungen“<br />

ist die Kommentierung des Art. 86 Abs. 2 EGV, der Ausnahmen<br />

von der Geltung der Vertragsvorschriften enthält (Rdnr. 51 bis 77),<br />

besonders aktuell. Von Burchard betont, dass der Begriff der<br />

Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unscharf<br />

sei (Rdnr. 63). Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt<br />

sich, dass den Mitgliedstaaten insoweit ein gewisser, wenn auch<br />

begrenzter Ermessensspielraum zukommt. Dafür werden vielfältige<br />

Beispiele, nämlich die Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten,<br />

das Monopol für die Einrichtung und den Betrieb des öffentlichen<br />

Fernmeldenetzes, die öffentliche Postverteilung sowie<br />

Monopole bei Strom und Gas, genannt.<br />

Ein Glanzpunkt des Werkes ist die Kommentierung des Rechtsschutzes<br />

zu den Art. 220 bis 245 EGV, die Schwarze aufgrund seiner<br />

umfangreichen Vor-Publikationen, wie sie aus dem Literaturverzeichnis<br />

ersichtlich sind, selbst vorgenommen hat. Eingangs<br />

betont er zu Art 220 EGV, dass diese grundlegende Vorschrift objektiv-rechtlich<br />

gefasst sei (Rdnr. 2): „Es ist allein von der Wahrung<br />

des Rechts, nicht vom Schutz subjektiver Rechte die Rede.“ Das<br />

sei der Einfluss des französischen Verwaltungsrechts. Die Garantie<br />

gerichtlichen Rechtsschutzes als solche sei in der EG auf nennenswerte<br />

Einflüsse aus Deutschland zurückzuführen. Aus der Entscheidung<br />

Van Gend & Loos (Rs 26/62, Slg. 1963, 1) wäre hier allerdings<br />

die Formulierung nachzutragen: „Die Wachsamkeit der an<br />

der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame<br />

Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten<br />

gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle<br />

ergänzt.“ Demgemäss hat der Gerichtshof, wie Schwarze mit Recht<br />

betont (Rdnr. 3 zu Art. 220 EGV), die Bestimmungen des EGV in<br />

rechtsschutzfreundlicher Weise ausgelegt. Er begreift das Gemeinschaftsrecht<br />

als System eines möglichst umfassenden Rechtsschutzes.<br />

Der kurze Abschnitt über die richterliche Rechtsfortbildung<br />

durch den Gerichtshof (Rdnr. 4 bis 6 zu Art. 220 EGV) kann auch<br />

jedem Neuling im europäischen Recht als kurze Einführung in die<br />

europäische Rechtsgeschichte empfohlen werden. Der Gerichtshof<br />

hat das Gemeinschaftsrecht vom herkömmlichen allgemeinen Völkerrecht<br />

gelöst und als eine „neue, eigene Rechtsordnung“ interpretiert.<br />

Auch in diesem Zusammenhang werden ein weiteres Mal die<br />

allgemeinen Rechtsgrundsätze und die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts<br />

(ohne Verweisungen auf die früheren ausführlicheren<br />

Abschnitte) behandelt (Rdnr. 14 bis 17). Wichtig für den Rechtsanwalt<br />

ist die Befugnis privater Personen, gegen Entscheidungen<br />

an Dritte oder gegen Verordnungen Nichtigkeitsklage zu erheben<br />

(Art. 230 Abs. 4 EGV). Dafür ist unmittelbare und individuelle<br />

Betroffenheit erforderlich. Schwarze registriert eine Weiterentwicklung<br />

der ursprünglich strengen Rechtsprechung des Gerichtshofs,<br />

insbesondere in Fällen einer tatsächlichen Verfahrensbeteiligung<br />

und eines Eingriffs in besondere Rechte des Wirtschaftsteilnehmers<br />

(Rdnr. 38 und 39 zu Art. 230 EGV). Er meint allerdings, es bleibe<br />

abzuwarten, ob sich eine weitere Fallgruppe der Beeinträchtigung<br />

spezifischer Rechte, die sich aufgrund der Urteile Extramet und<br />

Codorniu entwickelt hatte, im Bereich der Drittanfechtung durchzusetzen<br />

vermöge (Rdnr. 45). Angesichts der begrenzten Möglichkeit<br />

Privater, gegen Verordnungen vorzugehen, ist das Vorabentscheidungsverfahren<br />

für den Rechtsschutz von eminenter Bedeutung.<br />

Diese wird von Schwarze etwas zu schwach betont: er meint,<br />

neben der Sicherung der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts<br />

habe das Vorabentscheidungsverfahren „zumindest<br />

mittelbar Bedeutung für den Individualrechtsschutz“ (Rdnr. 1 zu<br />

Art. 234 EGV). Hier könnten auch statistische Angaben über die<br />

Zahl der Vorabentscheidungsverfahren im Vergleich zu den anderen<br />

Klagearten dessen Bedeutung unterstreichen (von 273 Urteilen des<br />

Europäischen Gerichtshofs im Jahre 2000 waren mehr als die<br />

Hälfte, nämlich 152, Urteile in Vorabentscheidungsverfahren, denen<br />

nur 84 direkte Klagen und 37 Berufungsverfahren gegenüber<br />

standen). Bei der Behandlung der Vorlageberechtigung (Rdnr. 25<br />

bis 28 zu Art. 234 EGV) vermisse ich, dass Schwarze nicht auf die,<br />

vom EuGH selbst allerdings abgelehnten, Bestrebungen eingeht,<br />

diese Berechtigung auf die letztinstanzlichen Gerichte eines Mitgliedstaates<br />

zu beschränken. Zur Vorlagepflicht der letztinstanzlichen<br />

Gerichte erwähnt er die Ausnahmemöglichkeit, wenn die richtige<br />

Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist,<br />

dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel besteht. Er betont,<br />

dass der EuGH „hier zu Recht eine restriktive Linie“ verfolgt<br />

(Rdnr. 46 zu Art. 234 EGV).<br />

Schadensersatzklagen, für die der Gerichtshof nach Art. 235 EGV<br />

zuständig ist, werden an dieser Stelle nur kurz behandelt, dafür ausführlich<br />

von Rechtsanwalt Berg zu Art. 288 EGV. Aus dieser Kommentierung<br />

ist insbesondere auf die Ausführungen zum Schadensersatzanspruch<br />

bei normativem Handeln (Rdnr. 42 bis 50) und<br />

gegenüber Mitgliedstaaten (Rdnr. 72 bis 87) hinzuweisen. Die Voraussetzungen<br />

für solche Klagen werden anhand der Rechtsprechung<br />

ausführlich dargestellt, ohne dass allerdings dem im Europarecht<br />

nicht erfahrenen Juristen deutlich wird, wie selten sie Erfolg haben.<br />

Eine Rezension kann nur einige wenige Abschnitte eines derart<br />

umfangreichen Werkes behandeln und würdigen. Schon die dargestellten<br />

Abschnitte zeigen aber, wie gründlich, wissenschaftlich,<br />

aber auch praxisbezogen der Kommentar von Schwarze u. a. ist.<br />

Aus ihm spricht allgemein eine positive Beurteilung der Entwicklung<br />

und des gegenwärtigen Standes des Gemeinschaftsrechts,<br />

wobei kritische Anmerkungen manchmal etwas zu kurz kommen.<br />

Wer einen tiefergehenden Einblick in das Europarecht sucht, aber<br />

vor allem wer Hilfe bei der Bearbeitung eines europarechtlichen<br />

Falles braucht, der sollte zum EU-Kommentar von Schwarze greifen.<br />

Er wird darin klare Antworten und vielfältige Wegweisung<br />

finden.<br />

Rechtsanwalt Dr. Jürgen Gündisch LL.M., Hamburg,<br />

Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts


178<br />

l<br />

7<br />

Berufsrecht<br />

GG Art. 3, 12<br />

1. Dem seit der Wiedervereinigung geltenden Recht lässt sich als<br />

Grundgedanke entnehmen, dass in der ehemaligen DDR ausgebildete<br />

Diplom-Juristen mit entsprechenden Berufserfahrung<br />

den Volljuristen gleichgestellt sind.<br />

2. Die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, welche für das<br />

Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im<br />

Zeitpunkt des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt<br />

waren, die Befähigung zum Richteramt fordert, verkennt die<br />

Reichweite des Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 12, Abs. 1 in Ansehung<br />

der Gesamtregelung zur Integration der Diplom-Juristen.<br />

(LS der Redaktion)<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 26.9.2001 – 1 BvR<br />

1740/98; 69/99; 521/99<br />

Aus den Gründen: A. Die Beschwerdeführer sind Diplomjuristen,<br />

die beim Land- und beim Kammergericht als Rechtsanwälte<br />

zugelassen sind. Sie begehren die Zulassung als Anwaltsnotare in<br />

Berlin.<br />

I. 1. Nach § 5 der Bundesnotarordnung (BNotO) vom 24.2.1961<br />

(BGBl I S. 98) setzt die Bestellung zum Notar die Befähigung zum<br />

Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz im Folgenden:<br />

DRiG) voraus. Dies gilt gleichermaßen in den Ländern, die das<br />

Nur-Notariat eingeführt haben, wie auch für die Gebiete, in denen<br />

das Anwaltsnotariat gilt (§ 3 BNotO).<br />

2. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden – zunächst nur im<br />

Beitrittsgebiet, später im ganzen Bundesgebiet – ergänzende Regelungen<br />

für das Notariatswesen erforderlich.<br />

a) In der Deutschen Demokratischen Republik waren von 1976<br />

bis 1990 die Notare in einer staatlichen Behörde zusammengefasst;<br />

es bestand das Nur-Notariat. Dabei blieb es auch in dem Gebiet der<br />

neuen Länder nach der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren<br />

in eigener Praxis vom 20.6.1990 (GB1 I S. 475; im Folgenden: VO-<br />

Not); als ein erster Schritt der Rechtsangleichung an die Verhältnisse<br />

im Westteil Berlins wurde jedoch im Bezirk des Stadtgerichts<br />

Berlin das Anwaltsnotariat eingeführt. Nach dieser Verordnung<br />

setzte das Notariat in beiden Fällen ein rechtswissenschaftliches<br />

Studium in der Deutschen Demokratischen Republik mit dem<br />

Staatsexamen sowie grundsätzlich einen zweijährigen Vorbereitungsdienst<br />

mit anschließender Staatsprüfung voraus. Der Vorbereitungsdienst<br />

und die Staatsprüfung waren entbehrlich, wenn der<br />

Bewerber zuvor schon Notar in einem Staatlichen Notariat gewesen<br />

war oder aber zehn Jahre als Jurist gearbeitet hat und notarspezifische<br />

Kenntnisse nachweisen konnte. Ergänzt wurden diese Ausnahmen<br />

alsbald durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung<br />

der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener<br />

Praxis vom 22.8.1990 (GB1 I S. 1328) für Bewerber mit der Befähigung<br />

zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz; auch<br />

sie konnten im Beitrittsgebiet zu Notaren bestellt werden, ohne zuvor<br />

Notarassessor (vgl. § 7 BNotO) gewesen zu sein.<br />

b) Nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland<br />

und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung<br />

der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom<br />

31.8.1990 (BGBl II S. 889; im Folgenden: EV) blieb die Notariatsverordnung<br />

in den fünf neuen Ländern mit wenigen Änderungen in<br />

Kraft (Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 2 EV).<br />

Sie galt bis zum In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung<br />

der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31.8.1998<br />

(BGBl I S. 2585; im Folgenden: 3. ÄndG BNotO) fort.<br />

Demgegenüber galt in dem beigetretenen Teil des Landes Berlin<br />

die Bundesnotarordnung ab dem Beitritt mit folgender Maßgabe:<br />

In dem Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz bisher nicht<br />

galt, werden ausschließlich Rechtsanwälte für die Dauer ihrer Zulassung bei<br />

einem Gericht als Notare zu gleichzeitiger Amtsausübung neben dem Beruf<br />

des Rechtsanwalts bestellt. Rechtsanwälte, die am Tag des Wirksamwerdens<br />

des Beitritts in dem Teil des Landes Berlin zu Anwaltsnotaren in eigener<br />

AnwBl 3/2002<br />

Praxis bestellt sind, werden nach ihrer Zulassung bei einem Gericht in Berlin,<br />

in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, zu Anwaltsnotaren nach der<br />

Bundesnotarordnung bestellt. Sie gehören der Notarkammer Berlin an (Anlage<br />

I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe b EV).<br />

c) In den fünf neuen Ländern ist die Bundesnotarordnung erst<br />

seit 1998 in Kraft. Seitdem gelten die dort nach der Notariatsverordnung<br />

bestellten Notare als nach der Bundesnotarordnung bestellt<br />

(Art. 13 Abs. 2 3. ÄndG BNotO). Auch für die Zukunft wirken<br />

sich die besonderen Regelungen, die von der ersten frei<br />

gewählten Volkskammer getroffen wurden, noch aus. Art. 13 Abs.<br />

7 3. ÄndG BNotO bestimmt:<br />

Abweichend von § 5 der Bundesnotarordnung kann in den Ländern<br />

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />

Thüringen auch ein deutscher Staatsangehöriger zum Notar bestellt werden,<br />

der ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität oder Hochschule<br />

der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Staatsexamen abgeschlossen<br />

und einen zweijährigen Vorbereitungsdienst mit einer Staatsprüfung<br />

absolviert hat. Auf den Vorbereitungsdienst mit der Staatsprüfung wird<br />

verzichtet, wenn der Bewerber als Notar in einem Staatlichen Notariat tätig<br />

war oder zehn Jahre als Jurist gearbeitet hat und notarspezifische Kenntnisse<br />

nachweist. Wer nach den vorstehenden Regelungen oder nach Abs. 2 zum<br />

Notar bestellt worden ist, kann auch in den übrigen Ländern zum Notar bestellt<br />

werden; § 5 der Bundesnotarordnung gilt insoweit nicht.<br />

Danach haben die Diplom-Juristen weiterhin einen speziellen<br />

Zugang zum Notaramt. Sind sie in einem der neuen Länder einmal<br />

bestellt, können sie in der ganzen Bundesrepublik zum Notariat zugelassen<br />

werden. Sie können in den alten Ländern auch Anwaltsnotare<br />

werden, weil den Diplom-Juristen generell der Anwaltsberuf<br />

offen steht, obwohl ihnen die hierfür ebenfalls notwendige<br />

Befähigung zum Richteramt, die auch in § 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

(im Folgenden: BRAO) vorausgesetzt wird, fehlt.<br />

3. Die Integration der Diplom-Juristen hat zu zahlreichen Sonderregelungen<br />

im Einigungsvertrag geführt: Diplom-Juristen können<br />

Richter des BVerfG werden (Anlage I Kapitel III Sachgebiet F<br />

Abschnitt III). Hochschullehrer der Deutschen Demokratischen<br />

Republik haben die Befähigung zum Berufsrichter (Anlage I Kapitel<br />

III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe a EV i. V. m.<br />

§ 9 Abs. 3 Richtergesetz vom 5.7.1990 [GB1 DDR I S. 637]) wer<br />

nach dem Beitritt zum Hochschullehrer berufen wurde, hat auch<br />

die Befähigung i. S. d. Deutschen Richtergesetzes (EV, aaO, Nr. 8<br />

Buchstabe y Doppelbuchstabe dd). Diplom-Juristen, die die Befähigung<br />

zum Berufsrichter nach dem Recht der Deutschen Demokratischen<br />

Republik erworben hatten, konnten nach dem Beitritt<br />

Richter werden, zum Richter auf Lebenszeit ernannt und sodann<br />

auch in den alten Bundesländern zum Richter berufen werden (Anlage<br />

I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe a,<br />

Buchstabe b und Buchstabe y Doppelbuchstabe bb EV). Diese Befähigung<br />

zum Berufsrichter konnte auch über einen Laufbahnwechsel<br />

erworben werden (EV, aaO, Buchstabe y Doppelbuchstabe ee<br />

und ff). Für Staatsanwälte gelten die Vorschriften des Einigungsvertrags<br />

über die Befähigung zum Berufsrichter entsprechend (EV,<br />

aaO, Nr. 8 Buchstabe z Doppelbuchstabe cc). Gemäß Art. 6 des<br />

Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze<br />

vom 24.6.1994 (BGBl I S. 1374) sind die Berufsrichter auch<br />

dazu befähigt, Staatsanwälte zu werden. Seitdem sind die beiden<br />

staatlichen Berufe bei Diplom-Juristen kompatibel.<br />

Nach dem Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen<br />

Republik vom 13.9.1990 (GB1 I S. 1504; im Folgenden: RAG)<br />

konnten Diplom-Juristen Rechtsanwälte werden, wenn sie nach<br />

dem Hochschulstudium mit dem Abschluss als Diplom-Jurist eine<br />

zweijährige Praxis in einem rechtsberatenden Beruf aufwiesen; alte<br />

Zulassungen blieben wirksam (vgl. zu den Einzelheiten BVerfGE<br />

93, 213 [217]) Der Einigungsvertrag ließ das Rechtsanwaltsgesetz<br />

in den neuen Ländern in Kraft (Anlage II Kapitel III Sachgebiet A<br />

Abschnitt III Nr. 1). Es wirkte fort, sofern die zweijährige Praxis<br />

spätestens bis zum 9.9.1996 erworben ist (Art. 21 Abs. 8 des<br />

Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und<br />

der Patentanwälte vom 2.9.1994 [BGBl I S. 2278]; im Folgenden:<br />

Neuordnungsgesetz). Art. 21 Abs. 2 des Neuordnungsgesetzes<br />

bestimmt ausdrücklich, dass die nach dem Rechtsanwaltsgesetz<br />

zugelassenen Anwälte als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

zugelassen gelten.


AnwBl 3/2002 179<br />

Rechtsprechung l<br />

In Berlin wurde die Bundesrechtsanwaltsordnung unmittelbar<br />

mit dem Einigungsvertrag auf dem ganzen Gebiet eingeführt (Anlage<br />

I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a EV).<br />

Die nach dem Rechtsanwaltsgesetz am Tage des Beitritts zugelassenen<br />

Anwälte gelten als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen.<br />

Personen, die am Tage des Wirksamwerdens des Beitritts<br />

ihren Wohnsitz im beigetretenen Teil Berlins hatten, konnten nach<br />

dieser Vorschrift in Berlin auch weiterhin als Rechtsanwälte zugelassen<br />

werden, soweit sie die Voraussetzungen des Rechtsanwaltsgesetzes<br />

erfüllten. Inzwischen können sie nach § 226 Abs. 2 BRAO<br />

auch zugleich am Kammergericht zugelassen werden.<br />

II. Der Beschwerdeführer zu 1) erwarb sein Diplom an der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist seit 1991 beim LG Berlin<br />

und seit 1996 beim Kammergericht als Rechtsanwalt zugelassen.<br />

Seine Bewerbung um eine im Oktober 1996 ausgeschriebene<br />

Notarstelle scheiterte daran, dass er die Befähigung zum Richteramt<br />

nicht hat. Die von der Präsidentin des Kammergerichts. insoweit<br />

vertretene Auffassung wurde vom Senat für Notarsachen geteilt,<br />

der den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückwies.<br />

Der Abschluss als Diplom-Jurist stehe einer Zweiten Juristischen<br />

Staatsprüfung nach durchlaufenem Referendariat nicht gleich. Das<br />

folge auch nicht aus den Regelungen des Einigungsvertrages. Der<br />

Beschwerdeführer könne das Referendariat und das Zweite Juristische<br />

Staatsexamen noch nachholen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung<br />

im Verhältnis zu den am 3.10.1990 im Ostteil<br />

Berlins bereits zugelassenen Anwaltsnotaren liege nicht vor. Diese<br />

Diplom-Juristen hätten zu diesem Zeitpunkt einen zu beachtenden<br />

Bestandsschutz gehabt; zur Herstellung der Rechtseinheit im Lande<br />

Berlin sei es aus übergeordneten Gesichtspunkten geboten gewesen,<br />

von der an sich nötigen Qualifikation für das Notariat abzusehen.<br />

Auch die Fortgeltung der Notariatsverordnung im übrigen<br />

Beitrittsgebiet begründe keinen Anspruch auf Gleichbehandlung,<br />

obwohl auch dort Diplom-Juristen im Nur-Notariat tätig geworden<br />

seien und noch tätig werden könnten. Anders sei eine angemessene<br />

flächendeckende Versorgung im Beitrittsgebiet nicht sicherzustellen<br />

gewesen. Vorhandene Ausbildungsdefizite würden durch zunehmende<br />

Erfahrung kompensiert. Der Beschwerdeführer könne<br />

auch in diese Länder ausweichen und sich dort um eine Notarstelle<br />

bewerben; dann stehe seiner Übernahme als Anwaltsnotar in Berlin<br />

nichts mehr entgegen.<br />

Dieser Argumentation schloss sich der BGH an und führte ergänzend<br />

aus, der Beschwerdeführer sei mit den Anwaltsnotaren,<br />

die schon im Zeitpunkt des Beitritts die Voraussetzungen erfüllt<br />

gehabt hätten, nicht vergleichbar, weil er damals nicht Notar in<br />

eigener Praxis gewesen sei. Dies stelle einen ausreichenden Differenzierungsgrund<br />

dar. Bezüglich der Diplom-Juristen in den anderen<br />

neuen Ländern bilde der Unterschied der Notariatsform einen<br />

ausreichenden Differenzierungsgrund.<br />

2. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist seit 1981 Diplom-Juristin.<br />

Sie wurde im April 1990 im Ostteil der Stadt Berlin als Rechtsanwältin<br />

zugelassen. Im November 1990 erhielt sie die Zulassung<br />

beim LG Berlin und 1995 diejenige beim Kammergericht. Ihre Bewerbung<br />

um eine im Oktober 1996 ausgeschriebene Notarstelle<br />

war ebenfalls erfolglos. Die Begründungen im Ausgangsverfahren<br />

sind weitgehend identisch mit denjenigen im Verfahren des Beschwerdeführers<br />

zu 1). Lediglich der BGH hat ergänzend darauf<br />

hingewiesen, dass die durch Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO geschaffene<br />

Niederlassungsfreiheit für Nur-Notare aus den neuen<br />

Ländern die Rechtslage für die Berliner Rechtsanwälte nicht geändert<br />

habe.<br />

3. Die Beschwerdeführerin zu 3), seit 1981 Diplom-Juristin,<br />

promovierte 1990 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie wurde<br />

im Mai 1990 als Rechtsanwältin im Ostteil der Stadt zugelassen.<br />

Seit Dezember 1990 ist sie beim LG Berlin und seit 1996 auch<br />

beim Kammergericht als Rechtsanwältin zugelassen. Auch ihre Bewerbung<br />

um eine der im Oktober 1996 ausgeschriebenen Notarstellen<br />

in Berlin wurde mit der Begründung abschlägig beschieden,<br />

dass sie nicht die Befähigung zum Richteramt besitze. Die eingelegten<br />

Rechtsmittel waren erfolglos. Die Begründungen entsprechen<br />

denjenigen im Verfahren des Beschwerdeführers zu 1). Auch<br />

die persönlichen Lebensumstände der Beschwerdeführerin, die die<br />

erreichte Lebensstellung für sich und ihre Familie mit zwei schulpflichtigen<br />

Kindern nach 10 Jahren freiberuflicher Tätigkeit als<br />

Rechtsanwältin nicht gefährden wolle, ändere an dieser Beurteilung<br />

nichts.<br />

III. Die Beschwerdeführer rügen im Wesentlichen eine Verletzung<br />

ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und aus Art. 3 Abs. 1<br />

GG. Der Schutz der Berufsfreiheit gelte auch für Notare und umfasse<br />

die berufliche Niederlassungsfreiheit an jedem Ort. Die Beschwerdeführer<br />

könnten daher nicht darauf verwiesen werden, sich<br />

zunächst in den fünf neuen Ländern um eine Notarstelle zu bewerben.<br />

Die an sich subjektive Berufszugangsvoraussetzung des § 5<br />

BNotO wirke sich als objektive Schranke aus. Dies sei unverhältnismäßig<br />

und daher verfassungswidrig, wenn im Beitrittsgebiet<br />

lediglich für die Diplom-Juristen im Ostteil Berlins, die im Zeitpunkt<br />

des Beitritts nicht Notare in eigener Praxis waren, die Befähigung<br />

zum Richteramt verlangt werde, dies aber in den neuen<br />

Ländern weder in der Vergangenheit noch für die Zukunft so sei<br />

und auch für die „Altnotare“ aus dem Ostteil der Stadt nicht gelte.<br />

Qualitätsunterschiede ergäben sich insoweit nicht. Aus diesem<br />

Grund sei die Ungleichbehandlung auch vor Art. 3 Abs. 1 GG<br />

nicht zu rechtfertigen. Die unterschiedlichen Notariatsformen hätten<br />

in Gestalt des Nur-Notariats oder des Anwaltsnotariats keine<br />

unterschiedlichen Zugangsschwellen. Erfordernisse der Rechtspflege<br />

könnten daher die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen.<br />

Auch der Bezirk Berlin weise keine Besonderheiten auf, die<br />

es rechtfertigen könnten, dort andere Zugangsvoraussetzungen aufzustellen<br />

als in den übrigen Ländern. In Berlin würden im Gegensatz<br />

zu den neuen Ländern die Juristen mit der Zweiten Juristischen<br />

Staatsprüfung privilegiert, da sie nicht der Konkurrenz von<br />

Diplom-Juristen bei Neuzulassungen ausgesetzt seien, der Aspekt<br />

des Konkurrenzschutzes vermöge jedoch weder freiheitsrechtlich<br />

noch gleichheitsrechtlich die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.<br />

IV. Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium<br />

der Justiz, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer<br />

und der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> Stellung genommen. Der<br />

Bundestag, der Bundesrat, der BGH, die Länder Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und der Deutsche<br />

Notarverein haben ausdrücklich von einer Stellungnahme abgesehen.<br />

1. Nach Auffassung des Bundesministeriums rechtfertigt die<br />

staatliche Organisationsgewalt in Verbindung mit der Einschätzung<br />

der Erfordernisse über gewisse Lockerungen der Zugangsvoraussetzungen<br />

zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Notarwesens in<br />

den neuen Ländern einerseits die Schranke des § 5 BNotO in Berlin<br />

und andererseits die Einbeziehung der Diplom-Juristen in den Notarberuf<br />

in den neuen Ländern. Auch könne mangels Vergleichbarkeit<br />

der jeweiligen Prüfungen der Abschluss als Diplom-Jurist nicht in<br />

das Punktesystem zur Vergabe der Notarstellen einbezogen werden,<br />

so dass auch verwaltungsmäßige Schwierigkeiten entstünden.<br />

2. Die Bundesnotarkammer hält die Besitzstandswahrung für<br />

im Ostteil Berlins bestellte Notare in eigener Praxis für unabweisbar,<br />

ohne dass daraus ein Gleichbehandlungsanspruch für die Beschwerdeführer<br />

erwüchse. Die unterschiedlichen Notariatsformen<br />

vermöchten allerdings nicht zu rechtfertigen, dass im Nur-Notariat<br />

der neuen Länder die Befähigung zum Richteramt zunächst übergangsweise<br />

und inzwischen auch für die Zukunft für Diplom-Juristen<br />

nicht vorausgesetzt werde. Rechtfertigend könne insoweit<br />

allein das Bedürfnis nach angemessener Versorgung der rechtsuchenden<br />

Bevölkerung herangezogen werden. Gäbe es solche<br />

Ausnahmen auch in Berlin, werde dort aber die Rechtsvereinheitlichung<br />

verhindert. Gleichbehandlung insgesamt sei demnach nicht<br />

herstellbar. Soweit Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO Diplom-Juristen,<br />

die als Notare praktizierten, mit solchen, die das Amt erst anstrebten,<br />

gleichstelle, habe die Regelung nur geringfügige praktische<br />

Relevanz. Eine solche Gleichstellung bereits als Notar<br />

zugelassener Diplom-Juristen und nachrückender Bewerber in Berlin<br />

sei nicht gleichermaßen geboten. Das Festhalten an den üblichen<br />

Qualifikationserfordernissen komme der Rechtspflege zugute.<br />

Die Befähigung zum Richteramt sei keine unverhältnismäßige Zugangsvoraussetzung,<br />

weil sie einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut<br />

diene.<br />

3. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche<br />

<strong>Anwaltverein</strong> halten die Verfassungsbeschwerden nicht für begründet.<br />

Sie folgen mit einigen Vorbehalten der Argumentation in den<br />

angegriffenen Entscheidungen.<br />

B. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung<br />

an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1<br />

BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe<br />

b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c


180<br />

l<br />

Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen<br />

verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung<br />

und in ihrer Berufsfreiheit (Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1<br />

GG).<br />

A. Das BVerfG hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen<br />

Fragen bereits entschieden. Grundsätzliche Fragen werfen die vorliegenden<br />

Fälle auch nach der Überzeugung, die sich der Erste<br />

Senat des BVerfG in der Beratung am 9.5.2001 gebildet hat, nicht<br />

auf.<br />

1. Den Beschwerdeführern, die im Zeitpunkt des Beitritts seit<br />

mehreren Jahren Diplom-Juristen waren und seit 1990 oder 1991<br />

als Rechtsanwälte praktizieren, wird in den angegriffenen Entscheidungen<br />

der Zugang zum Zweitberuf des Notars verwehrt, weil<br />

sie keine Voll-Juristen i. S. d. bundesrepublikanischen Rechts sind.<br />

Abweichend von der Behandlung der Diplom-Juristen beim Zugang<br />

zum Beruf des Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts und<br />

Nur-Notars haben die angegriffenen Entscheidungen der Gruppe<br />

der Berliner Rechtsanwälte, die vor oder kurz nach dem Beitritt<br />

ihre Berufstätigkeit in Berlin aufgenommen haben, für das<br />

Anwaltsnotariat keine wiedervereinigungsbedingten Sonderkonditionen<br />

eingeräumt. Sie haben sie auch anders behandelt als die Diplom-Juristen,<br />

die im Zeitpunkt des Beitritts schon Anwaltsnotare<br />

in Berlin waren.<br />

Derartige Ungleichbehandlungen sind am Maßstab des Art. 3<br />

Abs. 1 GG zu messen. Berufswahlregelungen berühren zugleich<br />

den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG.<br />

2. Die verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz- und Prüfungsumfang<br />

bei Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes<br />

sind verfassungsrechtlich geklärt und werfen keine Fragen grundsätzlicher<br />

Bedeutung mehr auf (vgl. BVerfGE 60, 123 [133 f.]; 82,<br />

126 [146] 100, 59 [90]). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen<br />

vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber<br />

allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das<br />

Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen,<br />

eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen<br />

Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen<br />

keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,<br />

dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten<br />

(vgl. BVerfGE 102, 41 [54]; stRspr).<br />

Dabei sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso<br />

engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung<br />

auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig<br />

auswirken kann (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]).<br />

Der Richter ist bei Auslegung und Anwendung der Gesetze an<br />

denselben Maßstab gebunden. Ihm sind Differenzierungen verboten,<br />

die auch dem Gesetzgeber nicht erlaubt wären (vgl. BVerfGE<br />

54, 224 [235]; 99, 129 [139]). Deshalb ist der Richter, wenn er<br />

Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen,<br />

ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in<br />

grundrechtlich geschützte Freiheiten eingreift oder Personengruppen<br />

ungleich behandelt. Ferner ist zu begründen, warum dieser<br />

Eingriff oder die Ungleichbehandlung den im Gesetz zum Ausdruck<br />

gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht und verfassungsrechtlich<br />

gerechtfertigt ist.<br />

3. Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG,<br />

dass auch die Berufsausübung der Notare unter dem Grundrechtsschutz<br />

des Art. 12 Abs. 1 GG steht (vgl. BVerfGE 73, 280 [292])<br />

und dass dieser Schutz auch für einen Zweitberuf gilt (vgl. BVerf-<br />

GE 21, 173 [179]; 87, 287 [316]).<br />

4. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kontrolle gerichtlicher<br />

Entscheidungen werfen ebenfalls keine grundsätzlichen Fragen<br />

auf. Es ist geklärt, dass die von Fachgerichten vorgenommene<br />

Auslegung einer Norm verfassungsrechtlich nur zu beanstanden ist,<br />

wenn sie willkürlich ist, die Tragweite eines Grundrechts nicht hinreichend<br />

berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen<br />

Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl.<br />

BVerfGE 85, 248 [257 f.]; 94, 372 [396]).<br />

II. Grundlage der angegriffenen Entscheidungen ist § 5 BNotO,<br />

dessen Verfassungsmäßigkeit nach den vom BVerfG entwickelten<br />

Maßstäben nicht zweifelhaft ist.<br />

1. Die Vorschrift setzt für die Bestellung zum Notar die Befähigung<br />

zum Richteramt voraus. Es bedarf keiner vertieften Begründung,<br />

dass der Gesetzgeber die Norm für geeignet und erforderlich<br />

AnwBl 3/2002<br />

Rechtsprechung<br />

halten durfte, um die zu schützenden Gemeinwohlbelange in Gestalt<br />

der Sicherung der Funktionsfähigkeit der vorsorgenden<br />

Rechtspflege und der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verwirklichen.<br />

Sie ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit an den Zugang<br />

zum Notariat regelmäßig keine geringeren Anforderungen gestellt<br />

werden als an den Zugang zu den sonstigen juristischen Berufen<br />

(Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt).<br />

2. An dieser Einschätzung hat der Gesetzgeber indessen nicht<br />

uneingeschränkt festgehalten, als die beiden deutschen Staaten zusammengeführt<br />

wurden. Der Gesetzgeber hat vielmehr durch zahlreiche<br />

Einzelregelungen im Einigungsvertrag und in nachfolgenden<br />

Gesetzen sichergestellt, dass die in der Deutschen Demokratischen<br />

Republik ausgebildeten und tätigen Diplom-Juristen nach dem Beitritt<br />

weiterhin als Juristen tätig sein konnten. Für diesen Personenkreis<br />

hat er in allen juristischen Vollberufen Ausnahmen von der<br />

sonst einheitlich vorausgesetzten Befähigung zum Richteramt geschaffen.<br />

Den Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung bilden<br />

daher neben § 5 BNotO diese übergangsrechtlichen Sondernormen<br />

für Diplom-Juristen, welche im Gesetzgebungsverfahren als<br />

einschneidend, aber angesichts der Wirklichkeit in der Deutschen<br />

Demokratischen Republik auch für unvermeidlich gehalten worden<br />

sind (vgl. die Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag<br />

in BT-Drucks 11/7817, S. 7).<br />

III. Die im Zusammenwirken dieser Vorschriften zum Ausdruck<br />

gekommene Absicht des Gesetzgebers wird in den angegriffenen<br />

Entscheidungen nicht hinreichend gewürdigt. Diese genügen<br />

daher den oben genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.<br />

Sie verfehlen eine dem Gleichheitssatz entsprechende Auslegung<br />

von § 5 BNotO in Verbindung mit den Normen des Einigungsvertrags<br />

und der nachfolgenden Gesetze, die die Rechtsverhältnisse<br />

der Rechtsanwälte und der Notare geregelt haben und erkennen<br />

lassen, dass einem Diplom-Juristen, der die Voraussetzungen für<br />

die Ausübung eines juristischen Berufes nach dem Recht der Deutschen<br />

Demokratischen Republik erworben hat, jeweils die volle<br />

Befähigung zu seiner Ausübung zukommt, sofern ihm der Berufszugang<br />

zugleich nach den jeweiligen Übergangsvorschriften erhalten<br />

geblieben ist. Die berufsrechtlichen Einschränkungen sind vom<br />

Gesetzgeber auf das Unumgängliche zurückgeführt worden. Dieser<br />

Erkenntnis haben sich die angegriffenen Entscheidungen verschlossen<br />

und damit die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung<br />

im Berufsrecht verfehlt.<br />

1. Neben die Sicherstellung einer kontinuierlichen Rechtspflege<br />

auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, die nur<br />

gewährleistet war, wenn die dort ausgebildeten und politisch unbelasteten<br />

Juristen weiterhin Rechtspflegeaufgaben wahrnahmen (vgl.<br />

BT-Drucks 11/7817, S. 7), trat im Zeitpunkt der Vereinigung der<br />

deutschen Staaten auch das öffentliche Interesse an einer Integration<br />

der in der Deutschen Demokratischen Republik Berufstätigen<br />

als wichtiger öffentlicher Belang hinzu (vgl. zu diesem Gesichtspunkt<br />

im öffentlichen Dienst: BVerfGE 92, 140 [154] mit Hinweis<br />

auf BT-Drucks 11/7817, S. 179; s. auch Denkschrift zum Einigungsvertrag<br />

BT-Drucks 11/7760, S. 356). So blieben beispielsweise<br />

auch die ärztlichen Approbationen und die Handwerkerrechte<br />

für die Bür-ger der Deutschen Demokratischen Republik erhalten<br />

(vgl. BT-Drucks 11/7817, S. 159 und S. 130).<br />

Bei der Übernahme der Diplom-Juristen in juristische Berufe<br />

hat der Gesetzgeber die Gleichstellung mittels gesetzlicher Fiktionen<br />

bewirkt.<br />

a) Bis zum Beitritt stand nach bundesrepublikanischem Recht<br />

fest, dass der Abschluss als Diplom-Jurist dem Zweiten Juristischen<br />

Staatsexamen nicht gleichstand (vgl. BGH, NJW 1968, S.<br />

1047; NJW 1990, S. 910). Die juristischen Vollberufe setzten einheitlich<br />

die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG voraus<br />

(vgl. § 122 Abs. 1 DRiG für die Staatsanwälte, § 5 BNotO für die<br />

Notare, § 4 BRAO für die Rechtsanwälte und § 3 Abs. 2 BVerfGG<br />

für die Verfassungsrichter). Diese Regelung gilt auch gegenwärtig<br />

und für die Zukunft, soweit nicht Probleme im Zusammenhang mit<br />

der Wiedervereinigung betroffen sind.<br />

Die Diplom-Juristen erfüllten diese Voraussetzungen nicht; dennoch<br />

wurden ihnen die juristischen Vollberufe in der Bundesrepublik<br />

ab dem Tag des Beitritts eröffnet. Dieser Zugang wurde nicht<br />

einmal nur denjenigen vorbehalten, die schon im Zeitpunkt des<br />

Beitritts in juristischen Berufen tätig waren; die Ausbildung zum


AnwBl 3/2002 181<br />

Rechtsprechung l<br />

Diplom-Juristen konnte noch danach beendet werden; die notwendige<br />

zweijährige Berufspraxis vor Aufnahme des Berufs musste<br />

erst spätestens im September 1996 abgeschlossen sein. Die an sich<br />

notwendige Qualifikation, die § 5 DRiG und die Verweisungen auf<br />

diese Vorschrift in den übrigen berufsregelnden Gesetzen sicherstellen<br />

sollen, wurde für diese Übergangszeit zurückgestellt. Bezogen<br />

auf einzelne Berufe wurde die Gleichwertigkeit der Ausbildungsgänge<br />

fingiert.<br />

b) Die Diplom-Juristen gelten jeweils als nach den bundesrepublikanischen<br />

Vorschriften ernannt, bestellt oder zugelassen.<br />

aa) Wer als Diplom-Jurist zum Richter auf Lebenszeit ernannt<br />

wird, erfüllt die Voraussetzungen des Deutschen Richtergesetzes in<br />

der ganzen Bundesrepublik (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt<br />

III Nr. 8 Buchstabe y Doppelbuchstabe bb EV; vgl. auch<br />

BT-Drucks 11/7817, S. 22). Das gilt für die Staatsanwälte entsprechend<br />

(Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8<br />

Buchstabe z Doppelbuchstabe cc EV). Hieraus hat das Gesetz zur<br />

Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom<br />

24.6.1994 die Konsequenz gezogen, dass Staatsanwälten, die in<br />

den Richterberuf wechseln wollen, oder Richtern, die als Staatsanwälte<br />

eingesetzt werden sollen, nicht entgegengehalten werden<br />

kann, ihnen fehle jeweils die für diesen Beruf notwendige Befähigung<br />

zum Richteramt nach § 5 oder nach § 122 Abs. 1 DRiG.<br />

bb) Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts als Rechtsanwälte<br />

tätig waren oder später nach dem Rechtsanwaltsgesetz der<br />

Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit dem Einigungsvertrag<br />

zu diesem Beruf noch zugelassen worden sind, haben<br />

1994 durch Art. 21 Abs. 2 des Neuordnungsgesetzes ihre volle<br />

Gleichstellung erhalten. Sie gelten als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

zugelassen, wodurch die Erfüllung der dort vorgesehenen<br />

Voraussetzungen, also auch des § 4 BRAO, fingiert wird.<br />

In Berlin, wo die Bundesrechtsanwaltsordnung unmittelbar<br />

durch den Einigungsvertrag eingeführt worden ist, gelten die dort<br />

nach dem Rechtsanwaltsgesetz am Tage des Beitritts zugelassenen<br />

Anwälte als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen<br />

(Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a<br />

Doppelbuchstabe aa EV). Auch hier wird insofern vom Tage des<br />

Beitritts an fingiert, dass die zugelassenen Rechtsanwälte die Voraussetzungen<br />

der Bundesrechtsanwaltsordnung, also auch § 4<br />

BRAO, erfüllen. Wer erst später die Befähigung zur Zulassung<br />

nach dem Rechtsanwaltsgesetz erworben hat, wird in Berlin ebenfalls<br />

als Diplom-Jurist nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen;<br />

auch auf diese Personen erstreckt sich die Fiktion (Anlage I<br />

Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe<br />

bb EV).<br />

cc) Auch für die Notare hat der Gesetzgeber entsprechende<br />

Fiktionen geschaffen.<br />

In den fünf neuen Ländern war eine solche Gleichstellung<br />

zunächst nicht nötig, da die Notariatsverordnung fortgalt. Sie ist<br />

jedoch im Jahr 1998 durch Art. 13 Abs. 2 3. ÄndG BNotO eingeführt<br />

worden. Seitdem gelten die Notare in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />

Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als<br />

nach der Bundesnotarordnung bestellt und können demzufolge<br />

auch in den übrigen Ländern zum Notar bestellt werden; in Art. 13<br />

Abs. 7 3. ÄndG BNotO wird dies nochmals ausdrücklich klargestellt.<br />

In Berlin waren die Rechtsanwälte, die am Tage des Wirksamwerdens<br />

des Beitritts zu Anwaltsnotaren in eigener Praxis bestellt<br />

waren, nach ihrer Zulassung als Rechtsanwalt bei einem Gericht<br />

Berlins zugleich auch zu „Anwaltsnotaren nach der Bundesnotarordnung“<br />

bestellt. Dies regelt der Einigungsvertrag in Anlage I<br />

Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe b, ohne<br />

ausdrücklich eine Befreiung von § 5 BNotO auszusprechen. Dies<br />

war auch entbehrlich, da die Anwaltszulassung, wie oben dargestellt,<br />

bereits auf der Fiktion beruhte, dass die Voraussetzungen<br />

von § 5 DRiG als erfüllt galten.<br />

2. a) Bei den drei Beschwerdeführern könnten schon allein nach<br />

dem Wortlaut des Einigungsvertrages die Voraussetzungen für eine<br />

Zulassung zum Anwaltsnotariat vorliegen. Sie hatten lediglich –<br />

wie für die Zulassung am Kammergericht (vgl. BT-Drucks 11/7817,<br />

S. 33) – die erforderliche Zeit der Zulassung im Sinne von § 6<br />

Abs. 2 Nr. 1 und 2 BNotO abzuwarten. Da die Zulassung zur Anwaltschaft<br />

im Lande Berlin nur an die Voraussetzung geknüpft ist,<br />

dass der Diplom-Jurist als Anwalt im Zeitpunkt des Beitritts zuge-<br />

lassen war (so die Beschwerdeführerinnen zu 2 und 3) oder dort<br />

später die Voraussetzungen für diese Zulassung erfüllte (so der Beschwerdeführer<br />

zu 1), gelten alle Beschwerdeführer nach dem<br />

Wortlaut des Einigungsvertrages als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />

zugelassen. Personen, die i. S. d. Einigungsvertrages als<br />

nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen gelten, erfüllen<br />

die Voraussetzungen auch für die Zulassung zum Anwaltsnotariat,<br />

soweit die Voraussetzungen beider Berufe identisch sind. Ob ein<br />

Bewerber um ein Notaramt Voll-Jurist ist, bedarf in Berlin danach<br />

keiner erneuten Prüfung. Lediglich für eine Bewerbung um ein Anwaltsnotariat<br />

außerhalb Berlins war die ergänzende Regelung in<br />

Art. 21 Abs. 2 S. 1 des Neuordnungsgesetzes von Bedeutung, die<br />

ab 1994 für die Rechtsanwälte des Beitrittsgebiets die Freizügigkeit<br />

im ganzen Bundesgebiet hergestellt hat.<br />

b) Allein ein solches Verständnis der Normen wird jedenfalls<br />

dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG unter besonderer<br />

Berücksichtigung der Gewährleistung von Art. 12 Abs. 1 GG<br />

gerecht. Sollte der Wortlaut noch andere Auslegungsvarianten zulassen,<br />

kommen sie von Verfassungs wegen nicht in Betracht.<br />

Es sind keine ausreichend gewichtigen Gründe dafür ersichtlich,<br />

den Diplom-Juristen das Anwaltsnotariat zu verschließen,<br />

nachdem ihnen das Nur-Notariat nicht nur überall dort offen steht,<br />

wo es im Beitrittsgebiet eingeführt worden ist, sondern seit 1998<br />

auch im restlichen Bundesgebiet. An den Anwaltsnotar dürfen<br />

nach dem allgemeinen Gleichheitssatz keine strengeren Anforderungen<br />

gestellt werden als an den Nur-Notar, zumal der Gesetzgeber<br />

solche Differenzierungen zwischen den beiden Notariatsformen<br />

in der Bundesnotarordnung auch im Übrigen nicht kennt. Hierauf<br />

hat die Bundesnotarkammer zutreffend hingewiesen.<br />

Der ursprüngliche Rechtfertigungsgrund, dass zwar in den fünf<br />

neuen Ländern die Rechtspflege ohne gewisse Abstriche an der<br />

Qualifikation der Juristen nicht hätte aufrechterhalten werden können,<br />

dass dies aber für Berlin nicht in gleichem Maße gelte, überzeugt<br />

nicht mehr, nachdem der Gesetzgeber den zu Notaren bestellten<br />

Diplom-Juristen die volle Freizügigkeit gewährt hat.<br />

Seitdem haben sich die Übergangsvorschriften von der Bedarfslage<br />

in den neuen Ländern abgelöst.<br />

Ebenso wenig ist der Gedanke der Rechtseinheit im Lande Berlin<br />

ein zureichender Grund für die angegriffenen Entscheidungen.<br />

Diese Rechtseinheit kann mit keiner Auslegungsvariante hergestellt<br />

werden. Denn vom Beitritt an sind dort Diplom-Juristen als Anwaltsnotare<br />

zugelassen; sie können auch – jedenfalls mit dem Umweg<br />

über eine Zulassung in den neuen Ländern – dort weiterhin zu<br />

Notaren bestellt werden. Mit Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO hat<br />

der Gesetzgeber die Rechtseinheit vielmehr definitiv zugunsten der<br />

Integration der Diplom-Juristen zurückgestellt, indem er ihnen das<br />

Notariat in den alten Ländern zugänglich gemacht hat.<br />

c) Das Nebeneinander von Diplom-Juristen und Juristen mit<br />

der Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz<br />

in den Berufen als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und<br />

Notare wird nach den ausdrücklich getroffenen Regelungen des<br />

Gesetzgebers so lange anhalten, wie Diplom-Juristen noch in diesen<br />

Berufen tätig sein werden. Es lässt sich dem seit der Wiedervereinigung<br />

geltenden Recht als Grundgedanke entnehmen, dass<br />

die Diplom-Juristen mit entsprechender Berufserfahrung den Volljuristen<br />

gleichgestellt sind, so dass jede Abweichung hiervon besonderer<br />

Begründung bedarf. Eine solche Begründung kann ggf.<br />

aus dem Anforderungsprofil eines Berufes abgeleitet werden; dann<br />

müssen die Anforderungen aber für dasselbe Amt ausnahmslos<br />

durchgesetzt werden.<br />

Nachdem der Gesetzgeber ersichtlich die Diplom-Juristen vom<br />

Notaramt nicht hat fernhalten wollen, fehlt es im Anwaltsnotariat<br />

Berlins insofern an einer stichhaltigen Rechtfertigung für ihren<br />

Ausschluss. Die Besonderheiten des Auswahlverfahrens können<br />

entgegen der Auffassung des Bundesministeriums der Justiz ebenfalls<br />

nicht als Differenzierungsgrund herangezogen werden. Für<br />

Bewerber, deren Zeugnis eine Benotung nicht enthält, bestehen<br />

schon Sonderregelungen (vgl. Nr. 12 Abs. 2 Buchstabe a der Allgemeinen<br />

Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom<br />

22.4.1996, ABl Berlin, S. 1741). Die Vermeidung von Problemen<br />

bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern stellt keinen Gemeinwohlbelang<br />

dar, der vor Art. 12 Abs. 1 GG die vollständige Sperre<br />

des Berufszugangs rechtfertigen könnte.


182<br />

l<br />

d) Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigen die<br />

Fiktionen des Einigungsvertrages und der nachfolgenden Gesetze<br />

nicht. Ihre Auslegung, die für das Anwaltsnotariat in Berlin für<br />

solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts noch nicht<br />

zum Anwaltsnotar bestellt waren, die Befähigung zum Richteramt<br />

zwar für den Anwaltsberuf nicht voraussetzt (oder als fingiert ansieht),<br />

wohl aber für den Notarberuf fordert, verkennt damit die<br />

Reichweite des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG<br />

in Ansehung der Gesamtregelung, die der Gesetzgeber zur Integration<br />

des Diplom-Juristen getroffen hat. Die Entscheidungen sind<br />

daher aufzuheben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung in<br />

der Sache an die letzte Tatsacheninstanz zurückzuverweisen.<br />

GG Art. 12 Abs. 1; BRAO § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />

1. § 46 Abs. 2 Nr. 1 umschreibt nur eine solche Vertragsbeziehung,<br />

bei der die Gefahr einer Interessenkollision bestehen<br />

kann.<br />

2. Aus Organisationsstrukturen können ohne Weiteres keine<br />

Schlüsse auf eine auf sachlichen Weisungen beruhende Abhängigkeit<br />

gezogen werden (LS der Red.)<br />

BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 5.11.2001 – 1 BvR<br />

1523/00<br />

Aus den Gründen: I. 1. Mit der Verfassungsbeschwerde wenden<br />

sich die Beschwerdeführer gegen die Aufforderung der für sie<br />

zuständigen Rechtsanwaltskammer, künftig Mitglieder eines Mietervereins<br />

nicht mehr als Anwälte zu vertreten, wenn sie – in ihrer<br />

Eigenschaft als Justitiare des Vereins – in derselben Angelegenheit<br />

für diese Mitglieder bereits tätig waren.<br />

2. Die Beschwerdeführer betreiben in der Form einer Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts gemeinsam eine Anwaltskanzlei. Sie<br />

beraten aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung auch die Mitglieder<br />

des örtlichen Mietervereins. Dazu halten sie an vier Tagen<br />

pro Woche insgesamt 12 Sprechstunden ab, die im Briefkopf des<br />

Mietervereins als feste Sprechzeiten ausgewiesen sind. Die<br />

Sprechstunden werden durch die Beschwerdeführer selbst oder<br />

durch von diesen bestimmte Personen in ihrem Auftrag und Verantwortung<br />

durchgeführt, wobei das nicht beratende Personal vom<br />

Mieterverein gestellt wird. Die Beschwerdeführer teilen sich diese<br />

Tätigkeit untereinander auf. Sie beziehen dafür vom Verein ein fixes<br />

Entgelt, das knapp 10 vom Hundert des anwaltlichen Gesamtgebührenaufkommens<br />

ihrer Praxis ausmacht.<br />

Mit Bescheid vom 16.3.2000 erteilte die Rechtsanwaltskammer<br />

den Beschwerdeführern einen „belehrenden Hinweis“ gem. § 73<br />

Abs. 2 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (im Folgenden:<br />

BRAO) über den Inhalt von § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO. Sie wurden<br />

aufgefordert, künftig Mitglieder des Mietervereins nicht mehr als<br />

Anwälte zu vertreten, wenn sie für sie in derselben Angelegenheit<br />

bereits als Justitiare des Vereins rechtsbesorgend tätig geworden<br />

waren.<br />

Der Antrag der Beschwerdeführer auf gerichtliche Entscheidung<br />

wurde mit Beschl. des Anwaltsgerichtshofs v. 2.6.2000 zurückgewiesen.<br />

In der Begründung wird ausgeführt, die Beschwerdeführer<br />

verstießen gegen das Tätigkeitsverbot des § 46 Abs. 2 Nr.<br />

1 BRAO. Sie würden als Justitiare des Mietervereins rechtsbesorgend<br />

für dessen Mitglieder tätig, indem sie Rechtsrat erteilten und<br />

außerprozessual für die Mitglieder Rechtsstandpunkte nach außen<br />

verträten. Die Beschwerdeführer stünden als Justitiare in einem<br />

ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis. Durch<br />

§ 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO solle verhindert werden, dass die Weisungs-<br />

und Richtlinienkompetenz des Arbeitsgebers im Zweitberuf<br />

in die anwaltliche Tätigkeit hineinreiche. Eine solche persönliche<br />

Abhängigkeit der Beschwerdeführer sei zu bejahen, da sie in die<br />

Organisation des Mietervereins eingebunden seien, die Tätigkeit<br />

dauerhaft verrichteten, feste Sprechzeiten abzuhalten hätten, die<br />

zudem in den Geschäftsräumen des Vereins und unter Einsatz personeller<br />

und sachlicher Mittel des Vereins abgehalten würden, wofür<br />

sie ein fixes monatliches Entgelt ohne Rücksicht auf den tatsächlich<br />

erbrachten Umfang der Leistung erhielten.<br />

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer<br />

die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Für das Gebot der<br />

Rechtsanwaltskammer fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Rechtsprechung<br />

Ein „Dienst- oder ähnliches Beschäftigungsverhältnis“, in dem<br />

Rechtsrat erteilt werde, sei nicht gegeben. Die Regelung betreffe<br />

nach der Überschrift „Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen“.<br />

Darunter fielen vor allem Vertragsverhältnisse arbeitsrechtlicher<br />

Art von Syndikusanwälten mit nicht anwaltlichen Arbeitgebern<br />

wie Unternehmen oder Banken. Im vorliegenden Fall seien<br />

sie jedoch nur auf Stundenbasis als freie Mitarbeiter für den Mieterverein<br />

tätig. Über den Abschluss des Vertragsverhältnisses hinaus<br />

seien auch Art und Umfang der geleisteten Tätigkeit maßgeblich.<br />

Berate ein Rechtsanwalt nur Vereinsmitglieder, nicht aber den<br />

nicht anwaltlichen Arbeitgeber selbst, und sei die Tätigkeit nur<br />

von geringem Umfang, dann fehle es an einem Vertragsverhältnis,<br />

i. S. d. § 46 BRAO. Zudem werde mit dem Verbot unverhältnismäßig<br />

in ihre Berufsfreiheit eingegriffen. Das Verbot sei zur Sicherung<br />

der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht erforderlich.<br />

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium<br />

der Justiz für die Bundesregierung, der BGH, die Bundesrechtsanwaltskammer,<br />

der Deutsche AnwaltVerein, der Republikanische<br />

Anwältinnen- und Anwälteverein, der Bundesverband der<br />

Freien Berufe und die im Ausgangsverfahren tätig gewordene<br />

Rechtsanwaltskammer Stellung genommen.<br />

Mit Ausnahme der Stellungnahme der letzteren werden in den<br />

Stellungnahmen die angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes<br />

gegen Art. 12 Abs. 1 GG für verfassungswidrig gehalten. Der<br />

BGH verweist hinsichtlich der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen<br />

Rechtsfragen auf seine Rechtsprechung (vgl. BGHZ<br />

141, 69; BGH, VersR 2001, S. 1137).<br />

II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung<br />

an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1<br />

BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe<br />

b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1<br />

BVerfGG liegen vor. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen<br />

die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit gemäß Art.<br />

12 Abs. 1 GG.<br />

1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher<br />

verfassungsrechtlicher Bedeutung auf.<br />

Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits<br />

entschieden (vgl. BVerfGE 87, 287). Ein Grundsatz, wonach anwaltliche<br />

und erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten grundsätzlich unvereinbar<br />

sind, kommt in der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht<br />

zum Ausdruck. Es bedarf einer Prüfung im Einzelfall, ob bei der<br />

Ausübung von Doppelberufen Interessenkollisionen oder Berufspflichtverletzungen<br />

auftreten können. Die Unabhängigkeit und Integrität<br />

eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebende Orientierung<br />

am Recht und an den Interessen seiner Mandanten sollen<br />

durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht<br />

gefährdet werden.<br />

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung<br />

des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1<br />

GG angezeigt.<br />

a) Der belehrende Hinweis bezieht sich auf die grundsätzlich<br />

verfassungsrechtlich unbedenkliche Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />

BRAO. Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung können<br />

vom BVerfG – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot –<br />

nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten,<br />

die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung<br />

des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang<br />

seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den<br />

Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite<br />

des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis<br />

zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen<br />

Freiheiten führt (BVerfGE 18, 85 [92 f., 96]; 85, 248 [257 f.]; 87,<br />

287 [323]).<br />

b) So liegt der vorliegende Fall. Die angegriffenen Entscheidungen<br />

berücksichtigen die Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG nicht<br />

ausreichend und beschränken die Beschwerdeführer unverhältnismäßig<br />

in ihrer Berufsausübungsfreiheit.<br />

Der Anwaltsgerichtshof bejaht die persönliche Abhängigkeit,<br />

weil die Beschwerdeführer durch feste Sprechzeiten und die Nutzung<br />

personeller und sachlicher Mittel in die Organisation des Mietervereins<br />

fest eingebunden und insoweit Weisungen unterworfen<br />

seien. Das finde seinen Ausdruck in einem festen Entgelt. Damit


AnwBl 3/2002 183<br />

Rechtsprechung l<br />

bestehe ein „ähnliches Beschäftigungsverhältnis“ im Sinne von<br />

§ 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO.<br />

Diese Argumentation beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen<br />

Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit. Sie leitet aus<br />

Organisationsstrukturen eine auf sachlichen Weisungen beruhende<br />

Abhängigkeit ab, obwohl nach der Fallgestaltung offenbar ist, dass<br />

weder der Verein noch seine einzelnen Mitglieder den Beschwerdeführern<br />

vorschreiben, was sie in den Sprechzeiten zu tun haben.<br />

Ersichtlich werden sie vom Verein in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwälte,<br />

also gerade als unabhängige Berater, den Mitgliedern zur<br />

Verfügung gestellt. Für Interessenkollisionen in dem Sinne, dass<br />

die Beschwerdeführer die späteren Mandate ohne die notwendige<br />

Unabhängigkeit und auf Weisung des Vereins führen, fehlt jeder<br />

Anhalt.<br />

aa) Fraglich ist bereits, ob „dieselbe Angelegenheit“ gem. § 46<br />

Abs. 2 Nr. 1 BRAO vorliegt. Bei einer unter Berücksichtigung der<br />

Tragweite der Berufsausübungsfreiheit gebotenen restriktiven Auslegung<br />

ist es zweifelhaft, ob die Erfüllung der Verpflichtung gegenüber<br />

dem Mieterverein, die Mitglieder in mietrechtlichen Fragen<br />

zu beraten, und die spätere Tätigkeit als Rechtsanwalt für ein Vereinsmitglied<br />

bezogen auf das mietrechtliche Problem dieselbe Angelegenheit<br />

ist, da derjenige, dem die Beschwerdeführer vertraglich<br />

in genereller Weise Rechtsrat schulden (Mieterverein), und diejenigen,<br />

die von der rechtlichen Beratung profitieren (Vereinsmitglieder),<br />

personenverschieden sind.<br />

bb) Da es auch Anwälten grundsätzlich frei steht, einen Zweitberuf<br />

auszuüben, muss ein Verbot, das den Anforderungen des Art.<br />

12 Abs. 1 GG standhalten soll, erforderlich sein, um besonderen<br />

Gefährdungen des Anwaltsberufs zu begegnen. Deshalb ist bei verfassungskonformer<br />

Auslegung des Begriffs „ständiges Dienst- oder<br />

ähnliches Beschäftigungsverhältnis“ in § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO<br />

nur eine solche Vertragsbeziehung umschrieben, bei der die Gefahr<br />

einer Interessenkollision bestehen kann. Es muss zu besorgen sein,<br />

dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers des<br />

Zweitberufs in die später ausgeübte anwaltliche Tätigkeit hineinwirkt.<br />

Anderenfalls ist kein Gemeinwohlbelang ersichtlich, der<br />

eine Einschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen könnte.<br />

Hierfür sprechen Sinn und Zweck der Regelung, ihre Entstehungsgeschichte<br />

sowie die gesetzliche Stellung der Norm. Sie wurde<br />

in das Gesetz nach der Zweitberufsentscheidung des BVerfG<br />

(BVerfGE 87, 287) aufgenommen, in der angemahnt worden war,<br />

Berufseinschränkungen an Interessenkollisionen zu binden. Konsequenterweise<br />

wird in den Gesetzesmaterialien hervorgehoben, dass<br />

es bei dem streitgegenständlichen Tätigkeitsverbot genau darum<br />

gehe (vgl. BRDrucks 93/93, S. 86 ff.). Auch der Vergleich zum<br />

(echten) Syndikusanwalt, dessen Tätigkeitsverbot in § 46 Abs. 1<br />

BRAO geregelt ist und bei dem typisierend angenommen wird,<br />

dass die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers den gerichtlichen Bereich<br />

mitberührt, zeigt, dass Interessenkollisionen vermieden werden<br />

sollen.<br />

cc) Vorliegend ist nicht nachvollziehbar, dass tatsächlich eine<br />

Gefahr von Interessenkollisionen bestehen könnte.<br />

Weisungsrechte des Vereins sind in den angegriffenen Entscheidungen<br />

nicht festgestellt worden. Schon hinsichtlich der Beratung<br />

im Verein fehlt es an entsprechenden Feststellungen im Sachverhalt.<br />

Für eine Einflussnahme im Zuge der Wahrnehmung von Einzelmandaten<br />

fehlt insoweit jeder Anhalt. Sie ergeben sich insbesondere<br />

nicht daraus, dass die Beschwerdeführer in die Organisation des<br />

Mietervereins eingebunden sind. Die Beschwerdeführer sind zu<br />

zeitlicher und örtlicher Rücksichtnahme verpflichtet und übernehmen<br />

– je nach Beratungsbedarf der einzelnen Mieter – im Rahmen<br />

der gegenüber dem Verein eingegangenen Verpflichtung die Rechtsbesorgung.<br />

Abhängigkeit durch Einbindung in eine Organisation<br />

entsteht aber nicht durch die übliche Rücksichtnahme unter Vertragspartnern,<br />

sondern durch richtunggebende Einflussnahme auf<br />

den Inhalt der Dienstleistung und durch Rechenschaftsverpflichtungen<br />

des Dienstleistenden. Hieran fehlt es.<br />

Anderes ergibt sich auch nicht aus der Vereinssatzung oder<br />

dem Vertrag zwischen dem Verein und den Beschwerdeführern. Zu<br />

Recht wird in den eingeholten Stellungnahmen darauf hingewiesen,<br />

dass bei dauerhaften Beratungsverhältnissen der Rechtsanwalt auf<br />

die zeitlichen Vorstellungen seines Mandanten schon aus „Kundenfreundlichkeit“<br />

eingehen wird, ohne dass dies seine Unabhängigkeit<br />

beeinträchtigt. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Bereitstellung<br />

einer Sekretärin sowie der für die Beratung erforderlichen Gegenstände<br />

durch den Mieterverein irgendeinen inhaltlichen Einfluss<br />

auf die Rechtsbesorgung im Verein oder die spätere anwaltliche Tätigkeit<br />

bei der Vertretung von Vereinsmitgliedern haben kann.<br />

Schließlich überzeugt auch das Argument nicht, die persönliche<br />

Abhängigkeit der Beschwerdeführer ergebe sich aus der Dauer der<br />

Tätigkeit für den Mieterverein. Es ist nicht erkennbar, inwieweit es<br />

eine Rolle spielen kann, ob die zweitberufliche Tätigkeit erst seit<br />

kurzer Zeit oder bereits über einen längeren Zeitraum betrieben<br />

wird. Insoweit wird in den eingeholten Stellungnahmen zutreffend<br />

darauf hingewiesen, dass auch bei ausschließlicher anwaltlicher<br />

Tätigkeit Dauerberatungsmandate üblich sind, die zu wirtschaftlicher<br />

Abhängigkeit führen können, ohne dass die Stellung des<br />

Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege in Frage<br />

gestellt wird. Deshalb lässt sich die in den angegriffenen Entscheidungen<br />

behauptete Interessenkollision auch nicht auf das vom<br />

Mieterverein gezahlte Entgelt stützen. Es wird nicht dargelegt,<br />

dass über die jeder wirtschaftlichen Betätigung immanente Abhängigkeit<br />

zum Vertragspartner hinaus im vorliegenden Fall die Gefahr<br />

aufscheint, wegen der Bezahlung könnten Weisungen aus dem<br />

Zweitberuf in die anwaltliche Tätigkeit hineinwirken.<br />

Vorliegend spricht alles gegen eine solche Konstellation. Die<br />

Beschwerdeführer beraten nicht den Mieterverein, sondern dessen<br />

Mitglieder. Die unterstellten Weisungen des Mieterverins aus dem<br />

Vertragsverhältnis zu den Beschwerdeführern müssten auf diese individuelle<br />

Beratungsebene durchschlagen und sogar bei einer späteren<br />

anwaltlichen Tätigkeit für das Vereinsmitglied Wirkung entfalten.<br />

Auch bei typisierender Betrachtungsweise ist das kaum<br />

vorstellbar. Ohne jeden Anhalt im Vertrag kann das jedenfalls nicht<br />

unterstellt werden. Vielmehr wird mit der Beratung im Verein und<br />

der anwaltlichen Tätigkeit für ein Mitglied das gleiche Ziel verfolgt;<br />

es geht um die Wahrung der Rechte des einzelnen Mieters in<br />

einer konkreten Situation, die nicht in der Vereinsmitgliedschaft<br />

wurzelt. Es geht um individuelle Verhältnisse, die dem auftraggebenden<br />

Verein regelmäßig nicht einmal bekannt sein werden.<br />

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf<br />

§ 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt<br />

sich aus § 113 Abs. 2 S. 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79,<br />

365 [366 ff.]).<br />

BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 551<br />

Nr. 7<br />

Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluss ist<br />

„nicht mit Gründen versehen“, wenn er nicht binnen fünf Monaten<br />

nach der Verhandlung voltständig schriftlich niedergelegt,<br />

von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle<br />

übergeben worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die<br />

Beschlussformel verkündet oder die Entscheidung insgesamt<br />

durch Zustellung bekannt gemacht worden ist (Fortführung von<br />

BGH, Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – BRAK-Mitt. 1998,<br />

93 und Aufgabe von BGH, Beschl.v. 29.9.1997 – AnwZ (B) 27/97 –<br />

BRAK-Mitt. 1998, 89).<br />

BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZ (B) 10/00<br />

Aus den Gründen: I. Der Antragsteller ist seit 1981 zur Rechtsanwaltschaft<br />

und als Rechtsanwalt beim LG Berlin, seit 1988 beim<br />

Kammergericht, zugelassen. Zum 1.3.1991 ist er unter Berufung in<br />

das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Professor an der Fachhochschule<br />

P (für Familien- und Verwaltungsrecht) ernannt worden.<br />

Die frühere Antragsgegnerin, die Präsidentin des Kammergerichts,<br />

hat mit Verfügung vom 3.6.1998 die Zulassung des<br />

Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 5<br />

BRAO widerrufen. Gegen den Beschluss des Anwaltsgerichtshofs<br />

vom 10.1.2000, durch den sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />

zurückgewiesen worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde<br />

des Antragstellers.<br />

II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4<br />

BRAO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Zulassung des<br />

Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft war gem. § 14 Abs. 2 Nr. 5<br />

BRAO zu widerrufen, weil er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt<br />

worden ist und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

verzichtet hat.


184<br />

l<br />

1. a) Allerdings ist der angefochtene Beschluss mit einem wesentlichen<br />

Verfahrensmangel behaftet. Denn nachdem der Anwaltsgerichtshof<br />

über den Antrag des Rechtsanwalts auf gerichtliche<br />

Entscheidung am 12.7.1999 mündlich verhandelt hatte (§ 40 Abs. 2<br />

S. 1 BRAO), ist seine auf Grund dieser Verhandlung erlassene Entscheidung<br />

von allen Richtern erst mit dem 10.1.2000 – und damit<br />

mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung – unterzeichnet<br />

und der Geschäftsstelle zur Zustellung zugeleitet worden.<br />

Es entspricht einem mittlerweile für alle Prozessarten anerkannten<br />

Grundsatz, dass ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes<br />

Urteil ,nicht mit Gründen versehen’ (§ 551 Nr. 7 ZPO)<br />

ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf<br />

Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern<br />

besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben<br />

worden sind (vgl. GmS-OGB, Beschl. v. 27.4.1993, LM Nr. 1 zu<br />

§ 138 VwGO = NJW 1993, 2603). Demgemäß hat auch der Senat<br />

(Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – LM Nr. 7 zu § 40<br />

BRAO = BRAK-Mitt. 1998, 93) entschieden, dass der im Zulassungsverfahren<br />

nach § 40 BRAO ergangene Beschluss des Anwaltsgerichtshofes<br />

dann an einem wesentlichen Verfahrensmangel<br />

(§ 40 Abs. 4 BRAO i. V. mit § 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 551 Nr. 7<br />

ZPO) leidet, wenn der vollständig abgefasste und unterschriebene<br />

Beschluss erst mehr als fünf Monate nach Verkündung der Beschlussformel<br />

zur Geschäftsstelle gelangt. Bei einer Bekanntmachung<br />

der auf Grund mündlicher Verhandlung ergangenen Entscheidung<br />

durch Zustellung (§ 40 Abs. 4 BRAO i. V. mit § 16 Abs.<br />

2 FGG), ohne dass dieser bereits eine Verkündung der Beschlussformel<br />

vorausgegangen ist, gilt – in entsprechender Anwendung<br />

dieses verfahrensübergreifenden Grundsatzes – nichts anderes.<br />

Vielmehr leidet auch in einem solchen Falle die Entscheidung an<br />

einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn der vollständige Beschluss<br />

nicht binnen fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung<br />

schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und<br />

der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Denn die Annahme eines<br />

Verfahrensmangels bei Überschreitung der Fünf-Monatsfrist<br />

wird – unabhängig davon, ob die jeweilige Verfahrensordnung<br />

diese Frist als absolute Frist für die Rechtsmitteleinlegung vorsieht<br />

– von der Erwägung bestimmt, dass das richterliche Erinnerungsvermögen<br />

abnimmt und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten<br />

insbesondere auch nicht mehr Gewähr leistet ist, dass der Eindruck<br />

von der mündlichen Verhandlung noch absolut zuverlässigen Niederschlag<br />

in den später abgefassten Gründen der Entscheidung findet<br />

(vgl. Senatsbeschluss vom 30.9.1997, aaO). Diese Erwägung<br />

beansprucht unabhängig davon Beachtung, ob nach der mündlichen<br />

Verhandlung bereits eine Beschlussformel verkündet worden ist<br />

oder nicht. Denn auch im letztgenannten Falle – die Vorschriften<br />

der BRAO und des FGG schreiben die Verkündung der Beschlussformel<br />

nicht zwingend vor – ist nicht mehr sicher Gewähr leistet,<br />

dass das in der mündlichen Verhandlung Erörterte bei der so viel<br />

späteren Abfassung des Beschlusses Berücksichtigung findet, die<br />

Entscheidung also noch ,auf Grund der mündlichen Verhandlung’<br />

(§ 40 Abs. 2 S. 1 BRAO) ergeht. So weit der Senat im Beschl. v.<br />

29.9.1997 (AnwZ (B) 27/97 – BRAK-Mitt. 1998, 89 f.) eine andere<br />

Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.<br />

b) Der Umstand, dass das Verfahren des Anwaltsgerichtshofes<br />

danach mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist, hindert<br />

den Anwaltssenat als Beschwerdegericht indessen nicht, im<br />

Beschwerdeverfahren, durch das eine neue Tatsacheninstanz eröffnet<br />

ist, nach dem Rechtsgedanken des § 540 ZPO eine eigene<br />

Sachentscheidung zu treffen (Senatsbeschluss vom 30.9.1997,<br />

aaO). Denn die Sache – die im Kern ohnehin im Wesentlichen<br />

Rechtsfragen betrifft – ist nach dem vorliegenden Verfahrensstoff<br />

und nach Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung<br />

entscheidungsreif.<br />

c) Für die Entscheidung über die Beschwerde kommt es<br />

schließlich auch nicht darauf an, ob dem Antragsteller – wie er<br />

meint – im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht ausreichend<br />

rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ein etwaiger Verfahrensmangel<br />

wäre dadurch geheilt, dass der Antragsteller vor dem<br />

als Tatsacheninstanz beschließenden Senat rechtliches Gehör hatte<br />

(Senatsbeschluss vom 24.10.1994 – AnwZ (B) 30/94 – BRAK-<br />

Mitt. 1995, 76 f.). Einen Anspruch auf zwei Tatsacheninstanzen<br />

hat der Antragsteller nicht (BGHZ 77, 327, 329).<br />

2. a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur<br />

Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt zum Be-<br />

amten auf Lebenszeit ernannt wird und nicht auf die Rechte aus<br />

der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Die Vorschrift ergänzt<br />

mithin § 7 Nr. 10 BRAO für die Fälle, in denen die Berufung<br />

in dieses Beamtenverhältnis erst nach der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />

erfolgt. Beide Regelungen haben ihren Grund in der<br />

Unvereinbarkeit des Berufs eines Beamten mit der Stellung als<br />

Rechtsanwalt. Diese Unvereinbarkeit hat ihren Ursprung im Berufsbild<br />

des in freier Advokatur tätigen Rechtsanwalts, das durch<br />

innere und äußere Unabhängigkeit geprägt ist. Abhängigkeit und<br />

Weisungsgebundenheit sind neben der Dienstpflicht zur Erfüllung<br />

übertragener Aufgaben dagegen wesentliche Merkmale des Beamtenverhältnisses.<br />

Der Beamte steht zu seinem Dienstherrn in einem<br />

öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, das ihm besondere<br />

Pflichten auferlegt und ihn bei der Übernahme und dem Umfang<br />

anderer Tätigkeiten grundsätzlich von Genehmigungen seines<br />

Dienstherrn abhängig macht. Dieser Inhalt des Beamtenverhältnisses<br />

steht nicht in Einklang mit der Stellung eines Rechtsanwalts.<br />

Das hat der Senat wiederholt und in ständiger Rechtsprechung zum<br />

Ausdruck gebracht (BGHZ 71, 23, 24 f.; 92, 1, 2 ff.; Senatsbeschlüsse<br />

vom 19.6.1995 – AnwZ (B) 82/94 – BRAK-Mitt. 1995,<br />

214; vom 26.1.1998 – AnwZ (B) 62/97 – BRAK-Mitt. 1998, 155;<br />

vom 18.10.1999 – AnwZ (B) 99/98 – BRAK-Mitt. 2000, 44, 45;<br />

vom 19.6.2000 – AnwZ (B) 58/99 – BRAK-Mitt. 2000, 255, 256).<br />

b) Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO lassen es nicht<br />

zu, die Vorschrift – entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut – dahin<br />

auszulegen, dass Professoren an Fachhochschulen – wenngleich<br />

Beamte auf Lebenszeit – von ihr nicht erfasst werden (vgl. Senatsbeschluss<br />

vom 18.10.1999, aaO zu § 7 Nr. 11 BRAO a. F.). Der Gesetzgeber<br />

hat – wie auch mit § 7 Nr. 10 BRAO – aus Gründen der<br />

Klarheit und Rechtssicherheit eine generalisierende und formalisierende<br />

Entscheidung getroffen, die eine einfache Handhabung Gewähr<br />

leisten soll und die allein auf die Rechtsstellung als Beamter<br />

im aktiven Dienst abstellt (st. Rspr. vgl. Beschl. v. 19.6.1995, aaO;<br />

vom 18.10.1999, aaO). Demgemäß kommt es auch nicht darauf an,<br />

ob die Stellung und die Tätigkeit als Beamter im Einzelfall zu<br />

Schwierigkeiten bei der Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt geführt<br />

haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.12.1982 – AnwZ (B)<br />

29/82 – BRAK-Mitt. 1983, 86 und vom 26.1.1998, aaO). Die Regelung<br />

beruht auf der grundsätzlichen Trennung zwischen dem öffentlichrechtlichen<br />

Status als Träger staatlicher Verwaltung und<br />

dem Anwaltsberuf. Diese Trennung steht im überragenden<br />

Allgemeininteresse und gehört zur Gewährleistung der Unabhängigkeit<br />

der Rechtsanwaltschaft.<br />

c) In dieser Auslegung begegnet die Vorschrift – auch mit Blick<br />

auf den mit ihr verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit – keinen<br />

verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn an die Voraussetzungen<br />

für den Zugang zu einem Zweitberuf und für den Verbleib in ihm<br />

sind nicht die gleichen hohen Anforderungen wie für einen Erstberuf<br />

zu stellen. Das hat der Senat in ständiger Rechtsprechung – sowohl<br />

für die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO als auch für §<br />

7 Nr. 11 BRAO a. F., § 7 Nr. 10 BRAO – wiederholt ausgesprochen<br />

(vgl. Senatsbeschlüsse vom 19.6.1995, aaO m. w. N.; vom<br />

26.1.1998, aaO; vom 18.10.1999, aaO) und zuletzt mit Beschl. v.<br />

19.6.2000 (aaO) bekräftigt. Das Beschwerdevorbringen bietet keinen<br />

Anlass zu einer anderen Beurteilung.<br />

Streitwert, Kosten, Erstattung<br />

AnwBl 3/2002<br />

Rechtsprechung<br />

ARB § 2 Abs. 1 lit a<br />

Die in der Auflösungsvereinbarung für ein Arbeitsverhältnis vereinbarten<br />

Leistungen bilden eine aufeinander bezogene Einheit<br />

und sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen.<br />

(LS der Redaktion)<br />

AG Köln, Urt. v. 5.7.2001 – 117 c 12/01<br />

Aus den Gründen: Die Klage ist begründet.<br />

Der Kl steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung<br />

gegen die Bekl in Höhe der Klagesumme zu. Die Bekl,<br />

die aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrages<br />

verpflichtet ist, der Kl Rechtsschutz für die Wahrnehmung<br />

rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen gem. § 25


AnwBl 3/2002 185<br />

Rechtsprechung l<br />

Abs. 2 b) ARB zu gewähren, hätte der Kl die gesamte Honorarforderung<br />

ihres Prozessbevollmächtigten und damit auch den hier geltend<br />

gemachten Differenzbetrag in Höhe von 2.378 DM, welchen<br />

die Kl verauslagt hat, erstatten müssen.<br />

Dass mit der angekündigten Kündigung des Arbeitgebers der<br />

Kl ein Versicherungsfall vorlag, ist zwischen den Parteien unstreitig.<br />

Dem entspricht es auch, dass die Bekl die Gebühren des Prozessbevollmächtigten<br />

der Kl nach dem üblichen Streitwert von<br />

drei Brutto-Monatsgehältern für den Regelungskomplex „Kündigung“<br />

des Aufhebungsvertrages ohne weiteres erstattet hat.<br />

Bei der Berechnung der der Kl gem. § 2 Abs. 1 a) ARB zu<br />

erstattenden gesetzlichen Vergütung eines Rechtsanwaltes sind jedoch<br />

streitwerterhöhend auch die Regelstreitwerte für die innerhalb<br />

des Auflösungsvertrages mitverglichenen Ansprüche zu berücksichtigen.<br />

Denn entgegen der Auffassung der Bekl sind diese Ansprüche<br />

sehr wohl streitig in dem Sinne, als dass alle Teile des geschlossenen<br />

Vergleichs als Kompensation für den Verzicht der Kl<br />

auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzusehen sind.<br />

Zwar mag es sein, dass die in der Abfindungsvereinbarung als<br />

seitens des Arbeitgebers zu erbringenden festgeschriebenen Leistungen<br />

zwischen den Parteien bei Fortgang des Verfahrens nicht<br />

alle streitig geworden wären. Allein die – nicht abwegige – Möglichkeit<br />

eines Streitigwerdens dieser Fragen ist jedoch in der Regel<br />

für einen um Aufhebung verhandelnden Arbeitnehmer Grund genug,<br />

eine Auflösungsvereinbarung nur dann zu akzeptieren und auf<br />

die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens zu verzichten,<br />

wenn alle denkbaren möglichen Streitfragen einvernehmlich<br />

geregelt werden. Stellt aber die einvernehmliche Regelung aller<br />

Abwicklungsfragen rund um das Arbeitsverhältnis insgesamt die<br />

Gegenleistung für den seitens der Kl erklärten Verzicht auf die Erhebung<br />

der Kündigungsschutzklage dar, so bilden die einzelnen<br />

vereinbarten Leistungen eine aufeinander bezogene Einheit und<br />

sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen (ebenso<br />

LG Bonn, Urt. v. 14.1.1998, Az. 5 S 159/97, S. 5/6). Es wäre daher<br />

lebensfremd anzunehmen, einzelne Leistungen einer in diesem<br />

Sinne einheitlichen Regelung seien mit dem Rechtsschutzversicherer,<br />

andere hingegen zwischen Anwalt und Mandant unmittelbar<br />

abzurechen (vgl. LAG Hannover, R+S 1997, 202, 203; Harbauer,<br />

Kommentar zur BRAGO, § 2 Rdnr. 166 ff.).<br />

Da nur die grundsätzliche Berücksichtigung der Gegenstandswerte<br />

der mitverglichenen Ansprüche als streitwerterhöhend zwischen<br />

den Parteien streitig war, die Bekl aber die Höhe der angesetzten<br />

Einzelstreitwerte nicht beanstandet hat, war wie beantragt<br />

zu entscheiden.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Wolfdieter Küttner, Köln<br />

ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1; BRAGO § 8 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 3<br />

§ 31 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 113 Abs. 3; GKG § 12 Abs. 1 Satz 1,<br />

§ 19 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 3<br />

1. Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />

dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />

und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Streitgegenstand<br />

beziehen.<br />

2. Der Kündigungsschutzantrag und der Antrag auf Abfindungszahlung<br />

gem. § 113 Abs. 3 BetrVG betreffen unterschiedliche<br />

Streitgegenstände.<br />

3. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezüglich eines als Hilfsantrag<br />

gestellten Anspruchs auf Nachteilsausgleich ist, auch wenn<br />

das Gericht über den Hilfsantrag (hier wegen Klagerücknahme)<br />

nicht entschieden hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung<br />

zu berücksichtigen.<br />

LAG Köln, Beschl. v. 14.9.2001 – 13 Ta 214/01<br />

Aus den Gründen: II. Die nach § 10 Abs. 3 BRAGO statthaften<br />

und auch im Übrigen zulässigen Beschwerden sind begründet.<br />

1. Der Kündigungsschutzantrag ist zu Recht mit drei Monatsgehältern<br />

gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG bewertet worden. Auszugehen<br />

ist von dem zwischen den Parteien unstreitigen Bruttomonatsgehalt<br />

des Kl von 4.094 DM. Der Streitwert für den<br />

Hauptantrag war daher in Höhe von 12.282 DM festzusetzen.<br />

2. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht abgelehnt, für den Antrag<br />

auf Abfindungszahlung einen gesonderten Streitwert festzusetzen,<br />

weil es sich dabei um einen Hilfsantrag handle. § 19 Abs. 1 Satz 2<br />

GKG ist hier nicht anwendbar. Nach dieser Regelung bleibt bei der<br />

Wertfestsetzung ein Hilfsantrag außer Betracht, wenn über ihn<br />

nicht entschieden wurde. Zwar ist das hier der Fall, da der Rechtsstreit<br />

auf Grund einer Klagerücknahme erledigt worden ist. Die<br />

Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG greift jedoch vorliegend<br />

nicht ein, da es sich nicht um die Bemessung der Gerichtskosten,<br />

sondern um die Bemessung der Anwaltsgebühren handelt.<br />

Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />

dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />

und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Gegenstand beziehen<br />

(GK-Wenzel ArbGG § 12 Rdnr. 88 m. w. N.; Riedel/Sußbauer<br />

BRAGO 8. Aufl. § 10 Rdnr. 5; Madert/Gerold/Schmidt BRAGO<br />

14. Aufl. § 8 Rdnr. 19). Das trifft auch zu, wenn das Gericht in<br />

eine Prüfung des Hilfsantrags gar nicht eingetreten ist, weil wie<br />

vorliegend das Verfahren durch Klagerücknahme vorzeitig erledigt<br />

worden ist. In diesem Fall ist der Anwalt bezüglich des Hilfsantrags<br />

durch Entgegennahme der Information sowie durch Anfertigen<br />

und Einreichen der Klageschrift auch im Sinne des § 31 Abs.<br />

1 Nr. 1 BRAGO tätig geworden. Diese Tätigkeit muss daher bei<br />

der Bemessung der Prozessgebühren, so weit sie nicht zur Erhebung<br />

einer Gerichtsgebühr geführt hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung<br />

nach § 10 BRAGO berücksichtigt werden (LAG<br />

Hamm 26.5.1989 LAGE § 19 GKG Nr. 6; Egon Schneider, LAGE<br />

Anmerkung zu § § 19 GKG Nr. 4; Creutzfeldt: Die Wertfestsetzung<br />

im arbeitsgerichtlichen Verfahren NZA 1996, 956 f., 961, 962).<br />

Die Gegenauffassung (vgl. dazu Frank: Anspruchsmehrheiten im<br />

Streitwertrecht, 1986, S. 251 m. w. N.), berücksichtigt nicht, dass<br />

sich die Bemessung der Anwaltsgebühren nach der tatsächlich erbrachten<br />

anwaltlichen Leistung richtet (so auch LAG Hamm aaO).<br />

b) Der gesonderten Streitwertfestsetzung steht weiterhin § 12<br />

Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz ArbGG nicht entgegen. Danach wird<br />

eine Abfindung, die neben einem Kündigungsschutzantrag geltend<br />

gemacht worden ist, bei der Streitwertberechnung nicht hinzugerechnet.<br />

Diese Vorschrift kommt jedoch dann nicht zur Anwendung,<br />

wenn die Abfindung auf einer eigenen Anspruchsgrundlage<br />

beruht, die nicht von dem Ausgang des Kündigungsschutzrechtsstreits<br />

abhängig ist. Insoweit handelt es sich um verschiedene<br />

Streitgegenstände, sodass eine Streitwertaddition erfolgen kann.<br />

Dies ist bei einem Abfindungsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG<br />

der Fall (LAG Bremen 15.3.1983 EzA 22 zu § 12 ArbGG 1979<br />

Streitwert; LAG Düsseldorf 17.1.1985 LAGE Nr. 33 zu § 12<br />

ArbGG 1979 Streitwert; LAG Berlin 17.3.1995 NZA 1995, 1.072;<br />

Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG, 3. Aufl. § 12 Rdnr. 116;<br />

GK-Wenzel aaO Rdnr. 103 m. w. N.).<br />

Vorliegend ist der Abfindungsanspruch ausdrücklich auf die<br />

eigenständige Anspruchgrundlage des § 113 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1<br />

BetrVG gestützt und war daher neben dem Kündigungsschutzantrag<br />

mit einem gesonderten Streitwert zu bemessen.<br />

c) Die Höhe des Streitwerts für den Hilfsantrag auf Zahlung<br />

eines Nachteilsausgleichs war entsprechend der Berechnung der<br />

Prozessbevollmächtigten des Kl auf vier Bruttomonatsgehältern,<br />

also 16.376 DM festzusetzen.<br />

Für die Bemessung des Gegenstandswertes ist in vermögensrechtlichen<br />

Streitigkeiten nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO i. V. m.<br />

§§ 12 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO der zu schätzende Wert des<br />

Streitgegenstandes maßgebend. Für unbezifferte Klageanträge, mit<br />

denen die Höhe des begehrten Geldanspruchs in das Ermessen des<br />

Gerichts gestellt wird, ist der Streitwert zu schätzen. Der Nachteilsausgleich<br />

verweist der Höhe nach gem. § 113 Abs. 1 2. Halbsatz<br />

auf § 10 KschG. Nach § 10 Abs. 1 KschG ist als Abfindung<br />

ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. Unter Berücksichtigung<br />

dieser Höchstgrenze erscheint ein Streitwert in<br />

Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr<br />

angemessen (so auch BAG Beschl. v. 2.1.2001 – 1 AZN 547/<br />

00 – n. v.; LAG Köln 2.2.2001 – 13 Ta 327/00 n. v.).<br />

Der Streitwert war daher, da der Kl bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens<br />

bei der Bekl acht Jahre beschäftigt war, auf vier Bruttomonatsgehälter<br />

festzusetzen.<br />

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 78<br />

Abs. 2 ArbGG.<br />

Mitgeteilt von dem LAG Köln


186<br />

l<br />

BRAGO § 10, § 9; GKG § 25; ZPO § 97<br />

Das Wertfestsetzungsverfahren nach § 10 BRAGO ist gegenüber<br />

dem nach § 9 BRAGO subsidiär. Es greift nur ein, wenn sich die<br />

Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die<br />

Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert richten oder es an einem<br />

solchen Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn<br />

Gerichtsgebühren nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren<br />

nach §§ 80 ff. ArbGG.<br />

Schließen die Parteien vor dem ArbG im Urteilsverfahren einen<br />

Vergleich, entfallen zwar die Gerichtsgebühren nach Ziff. 9112<br />

des Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Damit fehlt es nicht<br />

an einem Wert für die Festsetzung. Die Gebühren werden lediglich<br />

nicht erhoben. Auch in diesem Fall erfolgt die Wertfestsetzung<br />

nach § 9 BRAGO i.V. m. § 25 GKG.<br />

Legt ein Rechtsanwalt in eigenem Namen Beschwerde gegen<br />

eine Streitwertfestsetzung durch das Gericht nach § 9 BRAGO<br />

i.V. m. § 25 GKG ein, werden gem. § 25 Abs. 4 GKG außergerichtliche<br />

Kosten nicht erstattet.<br />

LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.12.2000 – 3 Ta 90/00<br />

Aus den Gründen: I. Der Kl hatte sich gegen eine Kündigung<br />

des Arbeitsverhältnisses durch die Bekl gewandt. Diese Streitigkeit<br />

wurde durch Vergleich vom 4.5.2000 beigelegt. Das ArbG setzte<br />

mit Beschl. v. 4.5.2000 den Wert des Streitgegenstandes auf 15.000<br />

DM fest. Am 31.5.2000 legten die Klägervertreter Streitwertbeschwerde<br />

ein und forderten Festsetzung auf 26.916,68 DM.<br />

Diese wurde durch Beschl. v. 25.7.2000 zurückgewiesen. Die Bekl<br />

hat nunmehr beantragt, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem<br />

Kl aufzuerlegen.<br />

II. Der Antrag der Bekl hat keinen Erfolg.<br />

Es fehlt die Zulässigkeit des Antrags. Dieser ist dahingehend<br />

auszulegen, dass eine Ergänzung des Beschl. v. 25.7.2000 hinsichtlich<br />

der Kostenentscheidung ergehen soll, § 321 Abs. 1 ZPO. Die<br />

Vorschrift für Urteilsergänzungen ist auch auf Beschlüsse anzuwenden<br />

(Zöller/Vollkommer, Rdnr. 41 zu § 329 ZPO). Der Antrag<br />

ist aber nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist, § 321 Abs. 2 ZPO,<br />

gestellt worden und damit unzulässig.<br />

Zudem ist der Antrag nicht begründet. Zwar fallen die Kosten<br />

eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Partei zur Last, die<br />

es eingelegt hat, § 97 Abs. 1 ZPO. Das gilt aber nicht im vorliegenden<br />

Fall. Es handelte sich um eine Streitwertbeschwerde, die die<br />

Klägervertreter eingelegt hatten.<br />

Die Streitwertfestsetzung erfolgte hier gem. § 9 BRAGO<br />

i. V. m. § 25 GKG. Zwar haben weder die Klägervertreter noch das<br />

ArbG zur Rechtsgrundlage Ausführungen gemacht. Jedoch ist die<br />

Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BRAGO im vorliegenden Fall die zutreffende.<br />

Die Wertfestsetzung nach § 10 Abs. 1 BRAGO ist nämlich<br />

gegenüber der nach § 9 Abs. 2 BRAGO i. V. m. § 25 GKG<br />

subsidiär (LAG Köln Beschl. v. 8.8.1991 – 11 Ta 127/91 – JurBüro<br />

1991,1678, 1679 m. w. N.). Sie erfolgt nur dann, wenn sich die<br />

Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die<br />

Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert richten oder es an einem<br />

solchen Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn<br />

Gerichtsgebühren nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren nach<br />

§§ 80 ff. ArbGG. Aufgrund des von den Parteien abgeschlossenen<br />

Vergleichs fallen zwar Gebühren im vorliegenden Fall nicht an,<br />

Ziff. 9112 des Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Jedoch fehlt<br />

es deshalb nicht an einem Wert, nach dem sich die Gerichtsgebühren<br />

richten. Sie werden nur nicht erhoben.<br />

Die Befugnis, die Streitwertfestsetzung zu beantragen und auch<br />

Beschwerde einzulegen, steht dem bevollmächtigten Rechtsanwalt<br />

nach § 9 Abs. 2 BRAGO auch aus eigenem Recht zu (LAG Hamm<br />

Beschl. v. 15.4.1982 – 8 Ta 54/82 – EzA § 25 GKG Nr. 1). Hier ist<br />

ersichtlich nicht vom Kl, sondern von seinen Prozessbevollmächtigten<br />

Beschwerde eingelegt worden. Zwar haben sie dies nicht<br />

ausdrücklich angegeben. Ein Interesse des Kl an einer höheren<br />

Festsetzung ist allerdings nicht ersichtlich. Auch hat das ArbG im<br />

Nichtabhilfebeschluss ausdrücklich der Beschwerde der Klägervertreter<br />

nicht abgeholfen, ohne dass diese das später richtiggestellt<br />

haben.<br />

Gem. § 25 Abs. 4 GKG ist das Verfahren über die Beschwerde<br />

gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Dementsprechend ist<br />

auch nicht Raum für eine Kostenentscheidung.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Rechtsprechung<br />

Da es sich bei dem Kostenantrag um einen Teil des Verfahrens<br />

über die Streitwertbeschwerde handelt, ist auch jetzt nicht über die<br />

Kosten der Ergänzung des Beschlusses zu entscheiden.<br />

Mitgeteilt von dem LAG Schleswig-Holstein<br />

GKG § 13<br />

Der Streitwert in einem Verfahren, in dem vordergründig um<br />

die Verleihung der Rechtsfähigkeit an einen als wirtschaftlicher<br />

Verein gegründeten Feuerbestattungsverein gestritten wird, in<br />

der es hingegen mittelbar um die Frage geht, ob die Errichtung<br />

und der Betrieb eines Krematoriums überhaupt durch ein auf<br />

Gewinnerzielung ausgerichtetes Rechtssubjekt des privaten<br />

Rechts erfolgen darf, ist in Höhe eines Zehntels der für eine solche<br />

Anlage erforderlichen Investitionssumme festzusetzen.<br />

VG Schleswig, Beschl. v. 14.11.2000 – 3 A 144/98<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Ewer, Kiel<br />

ZSEG § 7Abs. 1<br />

In entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 1 ZSEG kann sich<br />

eine Parteivereinbarung auch auf die Höhe der dem Sachverständigen<br />

zu erstattenden Auslagen beziehen.<br />

OLG Koblenz, Beschl. v. 14.5.2001 – 11 W 319/01<br />

Aus den Gründen: Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.<br />

§ 7 ZSEG ermöglicht auch eine Parteivereinbarung über die<br />

einem Sachverständigen zu erstattenden Auslagen.<br />

Allerdings weist der Vertreter der Staatskasse zutreffend darauf<br />

hin, dass die Frage, ob eine Vereinbarung der Parteien über einen<br />

anderweitigen Ersatz von Aufwendungen die Staatskasse bindet, in<br />

Rechtsprechung und Literatur umstritten ist (vgl. die Nachweise<br />

bei Meyer/Höver ZSEG 21. Aufl. Rdnr. 1.3 zu § 7 ZSEG).<br />

Der Senat folgt der auch vom OLG Zweibrücken (Beschl. v.<br />

2.11.1989 – 4 U 170/88) vertretenen Ansicht, wonach die Parteien<br />

in entsprechender Anwendung von § 7 Abs. 1 ZSEG rechtswirksam<br />

auch eine Vereinbarung über die Höhe der dem Sachverständigen<br />

zu erstattenden Auslagen treffen können (so auch OLG Stuttgart<br />

Rpfleger 1986, 112 und LAG Düsseldorf Juristisches Büro<br />

1992, 765, 766 unter 4. a]).<br />

Meyer/Höver meinen demgegenüber, aus der systematischen<br />

Stellung des § 7 ZSEG ergebe sich, dass die Parteivereinbarung,<br />

sich nur auf die Leistungsentschädigung des Sachverständigen<br />

beziehen könne. Dem Senat erscheint indes zweifelhaft, ob der<br />

Gesetzgeber das Problem überhaupt gesehen und demzufolge<br />

durch die gewählte Gesetzessystematik den Anspruch eines Sachverständigen<br />

auf Ersatz von Aufwendungen aus dem Regelungsbereich<br />

des § 7 ZSEG ausschließen wollte.<br />

Das weitere Argument, für eine Vereinbarung über die Aufwendungen<br />

des Sachverständigen bestehe kein Bedürfnis, da er<br />

diese grundsätzlich nur in der tatsächlich entstehenden Höhe verlangen<br />

könne, ist nicht stichhaltig. Denn § 8 ZSEG schreibt für bestimmte<br />

Aufwendungen Festbeträge vor. Dass diese Beträge nach<br />

der individuellen Kalkulation des Sachverständigen seinen tatsächlichen<br />

Aufwand nicht abgelten, liegt auf der Hand. Sind die Prozessparteien<br />

in einer derartigen Situation mit der dem Sachverständigen<br />

tatsächlich entstehenden und begehrten höheren<br />

Aufwandentschädigung einverstanden, besteht kein praktisches Bedürfnis,<br />

dieser Vereinbarung die rechtliche Wirksamkeit abzusprechen<br />

(so zutreffend Herget KoRspr. Nr. 35 zu § 7 ZSEG).<br />

Der Senatsbeschluss vom 15.2.1985 (14 W 43/85) ist noch zur<br />

alten Fassung des § 7 ZSEG ergangen und daher überholt.<br />

Mitgeteilt von Justizamtmann Clemens Bowe, Koblenz<br />

ZPO § 91a<br />

Beruht die angefochtene Entscheidung eines Arbeitsamtes auf<br />

einer für verfassungswidrig erklärten Norm, so ist das Arbeitsamt<br />

zur Erstattung der Kosten der Rechtsverfolgung sowohl im<br />

Widerspruchs- wie auch im Klageverfahren verpflichtet.<br />

(LS der Red.)<br />

SG Düsseldorf, Beschl. v. 12.6.2001 – § 21 Al 112/00


AnwBl 3/2002 187<br />

Rechtsprechung l<br />

Aus den Gründen: Zwischen den Beteiligten war streitig, ob<br />

bei der Berechnung des der Antragstellerin ab 1.9.1997 zustehenden<br />

Arbeitslosengeldes Einmalzahlungen (hier Urlaubs- und Weihnachtsgeld)<br />

zu berücksichtigen waren.<br />

Mit Entscheidung vom 24.5.2000 (1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98 und<br />

1 BvL 15/99) erklärte das BVerfG die §§ 112 Abs. 1 S. 2 Arbeitsförderungsgesetz<br />

i. d. F. vom 14.12.1987 (BGBl I Seite 2602) und<br />

134 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch i. d. F. vom<br />

24.3.1997 (BGBl I Seite 594) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1<br />

des Grundgesetzes für verfassungswidrig, soweit danach einmalig<br />

gezahltes Arbeitsentgelt zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen<br />

wird, ohne dass es bei der Berechnung sämtlicher beitragsfinanzierter<br />

Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird. Außerdem<br />

verpflichtete das BVerfG den Gesetzgeber dazu, durch geeignete<br />

Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte<br />

bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, über deren<br />

Gewährung für die Zeit ab dem 1.1.1997 noch nicht bestandskräftig<br />

entschieden worden ist.<br />

Diese Verpflichtung setzte der Gesetzgeber mit dem am<br />

1.1.2001 in Kraft getretenen Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz<br />

vom 21.12.2000 (BGBl I, Seite 1971 folgende) um.<br />

Mit Bescheid vom 13.2.2001 erkannte die Antragsgegnerin den<br />

von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch an. Die<br />

Antragstellerin erklärte daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache<br />

für erledigt und beantragte, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen<br />

Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.<br />

Wenn ein sozialgerichtliches Verfahren, wie hier, anders als<br />

durch Urteil erledigt wird, entscheidet das Gericht auf Antrag, ob<br />

und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten<br />

haben (§ 193 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Bei<br />

dieser Entscheidung ist der Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung<br />

– ZPO – heranzuziehen, wonach das Gericht unter Berücksichtigung<br />

des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem<br />

Ermessen entscheidet (vgl. auch Meyer-Ladewig,<br />

Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Aufl., Rdnr. 13 zu<br />

§ 193). Hierbei sind neben den Erfolgsaussichten der Klage auch<br />

die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen<br />

(siehe Meyer-Ladewig, aaO, m. w. N. auf die Rechtsprechung).<br />

Vorliegend entspricht des unter Berücksichtigung dieser Grundsätze<br />

der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin die der Antragstellerin<br />

entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.<br />

Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen,<br />

dass nach dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 24.5.1991<br />

(7 Rar 2/91) außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, wenn<br />

der Erfolg der Klage nur auf einer Rechtsänderung während des<br />

Klageverfahrens beruht und dieser Rechtsänderung unverzüglich<br />

Rechnung getragen wird.<br />

Dieser Beschluss ist jedoch für den hier zu entscheidenden Fall<br />

nicht einschlägig. Denn ihm lag ein Fall zugrunde, bei dem das bei<br />

Erlass der angefochtenen Entscheidung anzuwendende Recht nicht<br />

zu beanstanden und lediglich während des Klageverfahrens eine<br />

Rechtsänderung eingetreten war. Für diesen Fall ist es nachvollziehbar,<br />

dass die Verwaltung nicht allein wegen der Rechtsänderung<br />

mit Kosten belastet werden soll, zumindest wenn sie der<br />

Rechtsänderung unverzüglich Rechnung getragen hat, da sie keinen<br />

Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.<br />

Der vorliegende Fall liegt aber anders. Die von der Antragsgegnerin<br />

bei Erlass des angefochtenen Bescheides angewandten<br />

Rechtsvorschriften waren, wie sich aus der Entscheidung des<br />

BVerfG vom 24.5.2000 (aaO) ergibt, verfassungswidrig. Für einen<br />

ähnlich gelagerten Fall hat das BSG mit Beschl. v. 5.8.1992 (10<br />

RKg 16/91) entschieden, dass die Verwaltung die außergerichtlichen<br />

Kosten in vollem Umfang zu tragen hat. Dieser Auffassung<br />

schließt sich das Gericht an. Denn die Antragstellerin hatte bereits<br />

bei Entstehung ihres Arbeitslosengeldanspruches im Jahre 1997<br />

einen Anspruch auf Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage,<br />

wenn auch deren Ausgestaltung im Einzelnen dem Gesetzgeber<br />

überlassen blieb. Um diesen Anspruch durchzusetzen, war<br />

die Antragstellerin gezwungen, den Rechtsstreit zu führen.<br />

Andernfalls wäre die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne<br />

die Berücksichtigung von Einmalzahlungen bestandskräftig geworden,<br />

was aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 24.5.2000<br />

(aaO) zur Folge gehabt hätte, dass die Einmalzahlungen nachträglich<br />

nicht mehr berücksichtigt worden waren. Demgegenüber fällt<br />

nicht ins Gewicht, dass die Antragsgegnerin vor einer gesetzlichen<br />

Neuregelung an einer Gewährung von Arbeitslosengeld unter<br />

Berücksichtigung von Einmalzahlungen schon mangels einer entsprechenden<br />

Rechtsgrundlage gehindert war. Mängel der Gesetzgebung<br />

können im Verhältnis Behörde-Bürger jedenfalls nicht dem<br />

Bürger angelastet werden und wirken sich damit im Ergebnis zum<br />

Nachteil der Behörde aus (vgl. Beschl. des BSG vom 5.8.1992,<br />

aaO, BSG vom 16.10.1991, BB 1992, 397 folgende). Dieser Grundsatz<br />

war auch für die Kostenentscheidung zu beachten.<br />

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Jörg Holzmeier, Essen<br />

ZPO § 104 Abs. 2 S. 3<br />

Die erstattungsberechtigte Partei ist befugt, die ihreVorsteuerabzugsberechtigung<br />

betreffende Erklärung im Verlauf des<br />

Kostenfestsetzungsverfahrens zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene<br />

Erklärung maßgeblich ist.<br />

OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2000 – 10 W 11/00<br />

Aus den Gründen: Das gem. § 104 Abs. 3 ZPO in Verbindung<br />

mit § 11 Abs. 1 RpflG als sofortige Beschwerde zulässige Rechtsmittel<br />

des Bekl zu 2) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Rpfleger<br />

hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht den Mehrwertsteuersatz<br />

in Höhe von 182,80 DM (16 %) gem. § 25 Abs. 2 BRAGO<br />

berücksichtigt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung<br />

der angefochtenen Entscheidung.<br />

1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats reicht für die<br />

Erstattungsfähigkeit der auf die Rechtsanwaltsgebühren entfallenden<br />

Umsatzsteueranteile die gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebene<br />

Erklärung des Antragstellers, dass er die Beträge nicht als<br />

Vorsteuer abziehen kann. Im Festsetzungsverfahren ist nicht die<br />

Richtigkeit dieser Erklärung zu prüfen (Beschl. v. 25.1.1996, Az: 10<br />

W 3/96,.veröffentlicht in NJW-RR 1996, 768; J<strong>MB</strong>l 1996, 118;<br />

Rpfleger 1996, 304; JurBüro 1996, 426; AnwBl 1996, 238; so<br />

auch: KG JurBüro 1995, 206; OLG Koblenz JurBüro 1995, 206;<br />

OLG Braunschweig MDR 1995, 321; OLG München JurBüro<br />

1995, 34; einschränkend: OLG Brandenburg JurBüro 1997, 257;<br />

OLG Hamburg MDR 1998, 1249).<br />

2) Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluß ist im Verfahren<br />

gem. § 107 ZPO ergangen, nachdem durch Beschl. des LG<br />

Düsseldorf v. 9.9.1999 der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren<br />

neu festgesetzt worden war. In der letzten Kostennote ihrer<br />

Anwälte vom 1.7.1999 hatte die Kl angegeben, nicht vorsteuerabzugsberechtigt<br />

zu sein, so dass die ausgewiesene Umsatzsteuer<br />

festsetzungsfähig sei. Diese gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebene<br />

Erklärung ist auch für die Neuvornahme der Kostenausgleichung<br />

im Verfahren des § 107 ZPO maßgeblich.<br />

3) Dem steht nicht entgegen, dass die Kl in einer früheren<br />

Kostennote ihrer Anwälte vom 6.11.1998 in Widerspruch dazu angegeben<br />

hatte, vorsteuerabzugsberechtigt zu sein. Diese Angabe<br />

war nach ihrer Darstellung irrtümlich erfolgt. Für die Richtigkeit<br />

dieses Vortrages spricht, dass in dem Festsetzungsgesuch trotz der<br />

nachfolgenden gegenteiligen Erklärung der Umsatzsteueranteil<br />

gem. § 25 Abs. 2 BRAGO in der seinerzeit in Ansatz gebrachten<br />

Höhe von 199,60 DM zur Ausgleichung angemeldet worden war.<br />

4) Das Gesetz enthält keine Regelung zur Frage der Änderung<br />

einer gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebenen Erklärung. Es bestehen<br />

aber keine Bedenken dagegen, dass der Antragsteller auch<br />

insoweit – wie sonst in Kostenfestsetzungsverfahren – seine Anträge<br />

berichtigen und ergänzen kann. Dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren<br />

mit der Maßgabe, dass der Antragsteller dann indes<br />

mit der Anwendung der – hier nicht einschlägigen –<br />

Kostenvorschrift des § 97 Abs. 2 ZPO zu seinem Nachteil rechnen<br />

muss. Der Antragsteller ist befugt, die seine Vorsteuerabzugsberechtigung<br />

betreffende Erklärung im Verlauf des Kostenfestsetzungsverfahrens<br />

zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene Erklärung<br />

maßgeblich ist (so auch OLG München JurBüro 1996, 427).<br />

5) Unbegründet ist schließlich der Einwand des Beschwerdeführers,<br />

er habe den gegnerischen Kostenerstattungsanspruch am<br />

9.12.1999 auf dem Überweisungswege durch Zahlung von mehr<br />

als 2.400 DM erfüllt, so dass der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluß<br />

weder aufrechtzuerhalten noch zu ersetzen sei. Die Festsetzungsentscheidung<br />

bildet die Rechtsgrundlage für die Zahlung<br />

des darin bestimmten Ausgleichungsbetrages und wird nicht durch<br />

eine nachfolgende Erfüllungshandlung hinfällig.<br />

Mitgeteilt von RiOLG Rolf Krücker, Düsseldorf


<strong>188</strong><br />

l<br />

ZPO §§ 104, 106<br />

Mit einer im Rechtsstreit rechtskräftig titulierten Forderung,<br />

kann auch dann im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den<br />

Kostenerstattungsanspruch aufgerechnet werden, wenn wegen<br />

Kostenquotelung zwischen den Parteien ein Kostenausg1eich<br />

stattzufinden hat. Die Aufrechnung wird zulässig, sobald die<br />

Parteien die gegenseitigen Kostenfestsetzungsanträge eingereicht<br />

haben.<br />

OLG München, Beschl. v. 11.4.2000 – 11 WF 745/00<br />

Aus den Gründen: II. Die zulässige, insbesondere form- und<br />

fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Kl zu 1) hat<br />

Erfolg.<br />

1. Die unzutreffende Kostenentscheidung des Familiengerichts<br />

im Endurteil vom 07.10.1997 bezüglich der außergerichtlichen<br />

Kosten der Kl zu 1) ist vom Senat hinzunehmen. An sich hat diese<br />

Kl in Höhe von über 50 % obsiegt, weil sie nur in Höhe eines Teilbetrags<br />

von 18.042 DM am Gesamtstreitwert des Verfahrens beteiligt<br />

war. Im Hinblick darauf, dass beide Klägerinnen von derselben<br />

Rechtsanwältin vertreten worden waren, hat das AG im Kostenfestsetzungsbeschluß<br />

vom 29.12.1999 zutreffend die Gesamtkosten der<br />

beiden Klägerinnen in Höhe von 3.457,12 DM mit Rücksicht auf<br />

den Streitwertanteil der Kl zu 1) von 31,67% nur in Höhe eines<br />

Teilbetrages von 1.092,80 DM dieser Kl zugeordnet, so dass deren<br />

eigener Erstattungsanspruch wegen der im Urteil ausgeworfenen<br />

Kostenquote von 15,99% 174,74 DM beträgt. Da die Kl zu 1)<br />

umgekehrt 15,63% der Gesamtkosten des Bekl in Höhe von<br />

3.661,60 DM zu tragen hat, beläuft sich dessen Erstattungsanspruch<br />

gegen sie auf 572,31 DM, so dass sich im Wege der Verrechnung<br />

der festgesetzte Ausgleichsanspruch von 397,57 DM ergibt.<br />

2. Entgegen der Auffassung des Rpfleger, der sich auf die Entscheidung<br />

des OLG Düsseldorf vom 19.1.1996 (Rpfl. 1996, 373)<br />

bezogen hat, greift die Aufrechung der Kl zu 1) nach der vom Senat<br />

vertretenen Rechtsauffassung durch.<br />

Im grundsätzlich rein formell ausgestatteten Kostenfestsetzungsverfahren<br />

berücksichtigt der Senat ausnahmsweise materiellrechtliche<br />

Einwendungen, wenn die dem Einwand zu Grunde liegenden<br />

Tatsachen feststehen, was insbesondere dann der Fall ist,<br />

wenn sie vom Gegner zugestanden werden oder wenn der Anspruch,<br />

mit dem aufgerechnet wird, rechtskräftig tituliert ist (vgl.<br />

Senatsbeschl. v. 29.3.1996 – 11 W 942/96 – und 10.8.1999 – 11 WF<br />

1071/99 –; ferner Thomas Putzo, ZPO, 22. Aufl., Rdnr. 13 zu<br />

§ 104).<br />

Der Senat folgt nicht der Ansicht, dass im Falle einer Kostenquotelung<br />

mit der Folge, dass der Kostenausgleich nach § 106<br />

ZPO stattzufinden hat, vor Festsetzung des Ausgleichsbetrags die<br />

Aufrechnung nicht wirksam erklärt werden könne, weil der Kostenerstattungsanspruch,<br />

gegen weichen aufgerechnet werde, erst durch<br />

die Festsetzung bestimmbar geworden sei (so OLG Saarbrücken,<br />

JurBüro 1978, 1089; OLG Düsseldorf aaO; Zöller-Herget, ZPO,<br />

21. Aufl., Rdnr. 21 „Aufrechnung“ zu §§ 103, 104). Tatsächlich<br />

trifft diese Auffassung jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr zu,<br />

ab dem beide gegeneinander anteilig erstattungsberechtigten Parteien<br />

ihre Kostenfestsetzungsanträge zum Zwecke des Kostenausgleichs<br />

eingereicht haben. Ab diesem Zeitpunkt ist der Rpfleger<br />

des Kostenfestsetzungsverfahrens in der Lage zu bestimmen, welche<br />

Partei einen Ausgleichsanspruch in welcher Höhe hat. Hat die<br />

demnach ausgleichspflichtige Partei die Aufrechnung mit einer unbestrittenen<br />

oder – wie hier – mit einer offenen, titulierten und<br />

rechtskräftigen Forderung erklärt, welche die Höhe des Ausgleichsanspruchs<br />

übersteigt, kann das Erlöschen der ermittelten Ausgleichsforderungen<br />

durch Aufrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

festgestellt werden. Liegen die genannten tatsächlichen<br />

Voraussetzungen vor, trifft auch die Überlegung des OLG Düsseldorf<br />

in der genannten Entscheidung nicht zu, eine Aufrechnung erst<br />

im Rechtsmittelverfahren verbiete sich, weit vorher zulässigerweise<br />

keine Aufrechnungserklärungen abgegeben werden könnten mit der<br />

Folge, dass die verspätete Geltendmachung der Aufrechnung zu<br />

keiner Kostenfolge nach § 97 Abs. 2 ZPO führen könne. Tatsächlich<br />

kann die Partei, zumal wenn die gegenseitigen Kostenfestsetzungsanträge<br />

– wie im vorliegenden Verfahren – mitgeteilt worden<br />

sind, wirksam die Aufrechnung mit ihrer in demselben Verfahren<br />

titulierten Hauptsacheforderung erklären. Hier war die Mitteilung<br />

der gegenseitigen Festsetzungsanträge bereits im Januar 1998 abgeschlossen.<br />

Der Kostenfestsetzungsbeschluß erging auf Grund<br />

Nichtbetrieb des Verfahrens durch die Parteien und das Gericht dagegen<br />

erst am 29.12.1999. Die Aufrechnungserklärung hätte von<br />

der Kl zu 1) damit ohne weiteres vor Erlass des Beschlusses abgegeben<br />

werden können.<br />

AnwBl 3/2002<br />

Rechtsprechung<br />

Dass eine Kostenquotelung den Erstattungsanspruch der Parteien<br />

nicht in jedem Fall unbestimmbar macht, hat auch das OLG<br />

Celle (JurBüro 1983, 1698) entschieden. Es kann dahinstehen, ob<br />

die dort vertretene Ansicht zutrifft, bei einer Kostenquotelung<br />

könne sich die ausgleichsberechtigte Partei durch Befragen der Gegenseite<br />

über deren Kosten hinreichende Klarheit über die Höhe<br />

des Erstattungsanspruchs verschaffen. Jedenfalls wenn die gegenseitigen<br />

Erstattungsanträge bereits eingereicht waren, bestehen gegen<br />

die Bestimmbarkeit des Erstattungsanspruchs keine Bedenken.<br />

Nach der Rechtsprechung des BGH (WM 1976, 460, 461) ist<br />

der prozessuale Kostenerstattungsanspruch schon vor Erlass oder<br />

gar Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses aufgrund der gesetzlichen<br />

Vorschriften der Höhe nach bestimmbar. Darüber hinaus<br />

sei eine Aufrechnung mit dem Kostenerstattungsanspruch – nicht<br />

wie hier gegen diesen Anspruch – zulässig, wenn die Höhe der zu<br />

erstattenden Kosten zwischen den Parteien unstreitig sei. Nur wenn<br />

Streit über die Höhe der Kosten bestehe, könne mit einem Kostenerstattungsanspruch<br />

nicht gegen eine eingeklagte Forderung aufgerechnet<br />

werden, weil das betreffende Gericht, das über die eingeklagte<br />

Forderung zu entscheiden habe, nicht befugt sei, über die<br />

Höhe des zur Aufrechnung gestellten Kostenerstattungsanspruchs<br />

zu entscheiden, für den das gesonderte Kostenfestsetzungsverfahren<br />

maßgebend ist. Diese Erwägung kann, auf den vorliegenden Fall<br />

schon deswegen nicht übertragen werden, weil die Aufrechnung im<br />

Kostenfestsetzungsverfahren erklärt wurde, in dem der Erstattungsanspruch,<br />

gegen den aufgerechnet wird, gerade der Höhe nach<br />

rechtskräftig festgestellt werden soll.<br />

Die Annahme, die Aufrechnungserklärung sei in Fällen des<br />

Kostenausgleichs nach § 106 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren<br />

grundsätzlich unbeachtlich, sondern müsse mit einer nachfolgenden<br />

Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden, führt, wie gerade<br />

der vorliegende Fall zeigt, zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen.<br />

Der rechtskräftig verurteilte Bekl ist hier nach Aktenlage<br />

offensichtlich weder zahlungswillig noch zahlungsfähig. Sein eigener<br />

Anwalt musste 2 1/2 Jahre nach Abschluss des Verfahrens einen<br />

Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 18.1.2000 in voller<br />

Höhegegen ihn erwirken. Die Kl zu 1) hat unbestritten vorgetragen,<br />

dass Vollstreckungsversuche wegen ihres titulierten Unterhalts<br />

vergeblich gewesen seien, zumal der Bekl offensichtlich untergetaucht<br />

sei. Im Fall einer erfolgreich auf Aufrechnung gestützten<br />

Vollstreckungsgegenklage müsste die Kl zu 1) daher damit rechnen,<br />

dass sie mit den ihr entstandenen Prozesskosten ausfällt.<br />

Mitgeteilt von dem 11. Zivilsenat des OLG München<br />

impressum<br />

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beim Verlag vorliegen. Zuschriften: Für die Schriftleitung bestimmte<br />

Zuschriften sind nur an die Adresse des Herausgebers zu<br />

richten. Honorare werden nur bei ausdrücklicher Vereinbarung<br />

gezahlt. Copyright: Alle Urheber-, Nutzungs- und Verlagsrechte<br />

sind vorbehalten. Das gilt auch für Bearbeitungen von<br />

gerichtlichen Entscheidungen und Leitsätzen. Der Rechtsschutz<br />

gilt auch gegenüber Datenbanken oder ähnlichen Einrichtungen.<br />

Sie bedürfen zur Auswertung ausdrücklich der Einwilligung des<br />

Herausgebers. ISSN 0171-7227.<br />

w


XXXVI<br />

4<br />

9 „BRAGO-Strukturreform“: Entwurf<br />

eines Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.<br />

Was so viel versprechend klingt<br />

ist noch längst nicht beschlossene Sache.<br />

Mit einer Umsetzung soll bis zum<br />

1. Januar 2003 zu rechnen sein. Interessierte<br />

können sich den Gesetzesentwurf<br />

der Expertenkommission auf der<br />

Website des BMJ herunterladen. Der<br />

Text beinhaltet wie üblich Gesetzesentwurf,<br />

Anpassungsgesetze sowie<br />

Begründungen. Außerdem eine tabellarische<br />

Gegenüberstellung der Gebührenhöhen<br />

in Strafsachen nach<br />

neuem RVG-E und BRAGO. Die<br />

letzte Änderung fand bekanntlich<br />

durch das Kostenrechtsänderungsgesetz<br />

von 1994 statt. Das Regelwerk<br />

wurde überwiegend neu gefasst und<br />

systematisiert. Erhebliche Umgestaltung<br />

erfuhr z. B. der Bereich der außergerichtlichen<br />

Beratung. Er wurde<br />

im Abschnitt 4 des RVG zusammengefasst<br />

und lautet „Außergerichtliche<br />

Beratung und Vertretung“. Man hat<br />

sich hier von den Rahmengebühren<br />

gelöst, die Regelungen empfehlen nun<br />

allgemein Gebührenvereinbarungen.<br />

Dem Gesetz beigefügt ist in Anlage 1<br />

jedoch ein detailliertes Vergütungsverzeichnis<br />

mit Spezialregelungen.<br />

http://www.bmj.bund.de/frames/ger/<br />

service/gesetzgebungsvorhaben/<br />

10000271/index.html<br />

Beim BMJ erhält man auch den „Referentenentwurf<br />

eines Gesetzes zur Änderung<br />

des Rechts der Vertretung<br />

durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten“.<br />

http://www.bmj.bund.de/frames/ger/<br />

service/gesetzgebungsvorhaben/<br />

10000269/index.html<br />

Die jeweiligen Einstiege über die<br />

Hauptseite des BMJ sind ohne direkten<br />

Link (siehe oben) nicht einfach zu finden.<br />

Was zunächst daran liegt, dass<br />

sich die Website erstaunlicherweise in<br />

Englisch meldet. Im Rahmen am Fuß<br />

lässt sich jedoch die Sprache umstellen.<br />

Dort ist auch eine Möglichkeit<br />

untergebracht, mehrseitige Anzeigen<br />

durchzublättern, bzw. wird damit erst<br />

indirekt darauf hingewiesen. Das BMJ<br />

meldet sich automatisch mit „Aktuelles“.<br />

Unter dem 23.1.2002 mit dem<br />

Text (neues) „Schadensersatzrecht –<br />

Fragen und Antworten“, der einige<br />

Beispielsfälle aufführt. Unter anderem<br />

zur Ausweitung des Schmerzensgeld-<br />

Internet –Aktuell<br />

anspruchs, zur Schadensberechnung<br />

bei Verkehrsunfällen oder zur Beweiserleichterung<br />

bei Arzneimittelhaftung.<br />

Unter dem Reiter „Themen“ befinden<br />

sich Zusammenfassungen wichtiger<br />

Bereiche wie „Wirtschaft und Recht“<br />

(Neue Pfändungsfreigrenzen, neues<br />

Urhebervertragsrecht, Informationen<br />

zum neuen Schuldrecht) oder „Internet<br />

und Recht“. Das Schwerpunkt liegt<br />

auf Gesetzgebungsprojekten und Meldungen<br />

aus den Behörden. Erwähnt<br />

sei auch der Servicebereich mit unentgeltlich<br />

beziehbaren Informationsbroschüren<br />

und (nochmals) Gesetzgebungsvorhaben.<br />

http://www.bmj.bund.de/<br />

Für das gesamte Internetangebot des<br />

Bundes und der Länder wählt man<br />

die zentrale Seite:<br />

http://www.bund.de/ (HIT)<br />

9 Den aktuellen Stand der Loseblattwerke<br />

des Verlages C.H. Beck,<br />

München, erfährt man recht komfortabel<br />

per Mausklick im Internet oder<br />

eben doch nur beim Buchhändler. Leider<br />

nutzt Beck die Nachfrage offenbar,<br />

um den Websurfer tief in das Verlagsangebot<br />

hineinzulotsen. So wechselte<br />

der entspreche Link in der Vergangenheit<br />

häufig die Position im System und<br />

war manchmal nur noch über die Suchfunktion<br />

zu ermitteln. Mittlerweile<br />

scheint sich ein fester Platz abzuzeichnen:<br />

Aus der Startseite heraus führt der<br />

Weg günstigerweise über „Nachrichten“<br />

im Kasten „Beck-Aktuell“ und<br />

dann zum Reiter „Service“ rechts<br />

oben. Auf der Serviceseite hinter dem<br />

Link „Buchhandelsservice“ erhält man<br />

wiederum links außen einen Hinweis<br />

„Stand Loseblattwerke“. Bis vor kurzem<br />

waren hier schöne Zusammenstellungen<br />

im pdf-Format (Acrobat) abrufbar,<br />

nunmehr setzt der Vorgang eine<br />

Registrierung voraus. Was bis vor kurzem<br />

ebenfalls noch funktionierte war<br />

der Direktabruf dieser Dateien nach<br />

dem Muster „http://rsw.beck.de/rsw/<br />

downloads/lb/LB2002_01_1.pdf“.<br />

Vorbehaltlos zu empfehlen sind jedenfalls<br />

die regelmäßigen juristischen<br />

Meldungen im Newsbereich, z. B. zu<br />

Gesetzgebungsprojekten. Hier wird<br />

zwar meist auf das BMJ verwiesen<br />

(siehe eingangs), Beck reichert die<br />

Meldungen aber informativ mit eige-<br />

nen Beiträgen und zusätzlichen Links<br />

an. Zu erreichen ist die Seite „Überblick<br />

über wichtige Gesetzgebungsvorhaben“<br />

wiederum über „Nachrichten“<br />

im Kasten „Beck-Aktuell“. Dort ist<br />

dann der Link „Gesetzgebung“. Seit<br />

Ende Januar beispielsweise mit dem<br />

„Gesetz zur Stärkung der vertraglichen<br />

Stellung von Urhebern und ausübenden<br />

Künstlern“.<br />

http://www.beck.de (HIT)<br />

9 Die Polizeikräfte haben sich formiert.<br />

Es gibt nun eine übergreifende<br />

Homepage mit Deutschlandkarte und<br />

Landeswappen, die zu den jeweiligen<br />

Landesseiten weiterführen. Auch<br />

BKA und BGS sind mit Links vertreten.<br />

Standard bei nahezu allen Websites<br />

sind aktuelle Informationen, Fahndungsmeldungen<br />

oder Jobangebote,<br />

manchmal auch Statistiken (z. B. Bayern).<br />

Das BKA unterscheidet hier die<br />

Fahndung nach Sachen und Personen.<br />

Weiter nach Vermissten, Meistgesuchten,<br />

Unbekannten Toten, Ungeklärten<br />

Mordfällen, Raubüberfällen. Die Fälle<br />

sind in der Regel mit Daten und Fotos<br />

bestückt. Baden-Württemberg führt<br />

auch die Themen „Polizeimusikcorps“<br />

oder „Versteigerungen von Fahrzeugen“;<br />

Bayern Regionalangebote per<br />

Landkarte, den Bußgeldkatalog oder<br />

eine griffige Newsübersicht mit wichtigen<br />

Warnungen, Gefahrenmeldungen<br />

und „Wanted-Aktuelles“.<br />

http://www.polizei.de (HIT)<br />

9 Stellungnahmen der DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

sind ganz aktuell<br />

und auch für zurückliegende Jahre seit<br />

1998 auf der Homepage des Deutschen<br />

<strong>Anwaltverein</strong>s unter der Rubrik<br />

„PresseService“ und „Örtliche <strong>Anwaltverein</strong>e“<br />

als Übersicht (gegliedert nach<br />

den Ausschüssen von Arbeitsrecht bis<br />

Zivilrecht) und im Volltext verzeichnet.<br />

http://www.anwaltverein.de/03/05/<br />

index.html bzw.<br />

http://www.anwaltverein.de/03/05/<br />

archiv.html (HEN)<br />

Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />

Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />

Augsburg (HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />

Henke, DAV, Berlin (HEN).


XXXVIII<br />

4<br />

(Fortsetzung von Seite XII)<br />

AG Strafrecht des DAV<br />

– Fortbildung nach § 15<br />

Fachanwaltsordnung –<br />

Datum/Ort: 11.–13. April 2002,<br />

Mannheim<br />

Thema: Fachlehrgang Strafrecht<br />

Baustein 4<br />

Rechtsmittel,<br />

insbes. Revision,<br />

Strafvollstreckung und<br />

Strafvollzug<br />

Referenten: Vors. Richter am BGH<br />

a. D. Herdegen, Karlsruhe<br />

Prof. Dr. Rieß,<br />

MinDir i.R., Bonn<br />

RAin Marbert-Kubicki,<br />

Kiel<br />

Datum/Ort: 25.–27. April 2002,<br />

Mannheim<br />

Thema: Fachlehrgang Strafrecht<br />

Baustein 5<br />

Kapitalstrafverfahren,<br />

Psychiatrie, Psychologie,<br />

Rechtsmedizin, Betäubungsmittelverfahren<br />

Referenten: RA Deckers, Düsseldorf<br />

RA Leitner, München<br />

Priv.-Doz. E. Platz, Berlin<br />

RA Endriß, Freiburg<br />

Regionale Veranstaltungen:<br />

Datum/Ort: 6. April 2002, Hannover<br />

Thema: Gewinnabschöpfung im<br />

Strafverfahren<br />

Referenten: RA Dr. Lammer, Berlin<br />

RAWeimann, Berlin<br />

Datum/Ort: 27. April 2002,<br />

Wiesbaden<br />

Thema: Jugendstrafrecht<br />

Referenten: RA Schmitz-Justen, Köln<br />

RA Pieplow, Köln<br />

Teilnehmergebühr: 140 E für Mitglieder<br />

der ARGE; 190 E für Nichtmitglieder<br />

Bundesweite Veranstaltung:<br />

Datum/Ort: 19. und 20. April 2002,<br />

Leipzig<br />

Thema: Strafverteldiger-Frühjahrssymposiuin<br />

Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen<br />

am 19.4.2002): 200 E für Rechtsanwälte;<br />

250 E für Nichtmitglieder<br />

Anmeldung (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaften<br />

Verkehrs- und Strafrecht<br />

– Veranstaltungsorganisation –<br />

Hirschmannstr. 7, 53359 Rheinbach<br />

Tel.: 0 22 26 /91 20 91,<br />

Fax: 0 22 26 / 91 20 95<br />

Bundesverband der Freien<br />

Berufe/BFB<br />

Tag der Freien Berufe am<br />

24. April 2002<br />

Der Bundesverband der Freien Berufe<br />

organisiert am 24. April 2002 für seine<br />

Mitgliedsverbände und deren Mitglieder<br />

den Tag der Freien Berufe 2002 im<br />

Haus der Kulturen der Welt (sog.<br />

„Schwangere Auster“) in Berlin. Ziel<br />

dieser ganztägigen Veranstaltung ist<br />

es, die Bedeutung der Freien Berufe in<br />

unserer Gesellschaft stärker gegenüber<br />

den Berliner Politikern und der Öffentlichkeit<br />

darzustellen. Der Bundesverband<br />

der Freien Berufe (BFB) und<br />

seine Mitglieder sprechen in Deutschland<br />

für rund 739.000 Freiberufler mit<br />

ca. 1,9 Millionen Angestellten und<br />

über 162.000 Auszubildenden. Der<br />

BFB ist die Spitzenorganisation aller<br />

freiberuflichen Kammern und Verbände.<br />

Zu den freien Berufen zählen<br />

heilkundliche und technische /naturwissenschaftliche<br />

Berufe ebenso wie<br />

rechts- und wirtschaftsberatende und<br />

freie Kulturberufe.<br />

Gerade die Freiberufler leiden unter<br />

ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.<br />

Die zumeist selbständigen<br />

Angehörigen der Freien Berufe spüren<br />

jeden Stimmungsumschwung in der<br />

Wirtschaft unmittelbar am eigenen<br />

Leibe. Tagtäglich müssen sie den<br />

Balanceakt vollbringen, die finanziellen<br />

Mittel für ihre Angestellten inklusive<br />

Alterssicherung und Krankheitsausfall,<br />

die Miete für die Praxis und<br />

die Aufwendungen für den eigenen<br />

Lebensbedarf aufzubringen, während<br />

gleichzeitig die Mandanten ausbleiben,<br />

oder die Krankenkassen Zahlungen<br />

verweigern. Einen finanziellen Puffer<br />

gibt es nach den zurückliegenden mageren<br />

Jahren in der Regel nicht. Nicht<br />

wenige Freiberufler sehen sich daher<br />

von finanziellen Turbulenzen bedroht.<br />

Ziel der Veranstaltung ist es, mit den<br />

Vertretern der Politik und der Berufsverbände<br />

die Zukunft der Freien Berufe<br />

zu erörtern. Es gilt, Lösungswege<br />

aus der Krise zu finden und diese gegenüber<br />

den entscheidenden Stellen<br />

im Lande offensiv zu vertreten.<br />

Der Bundeskanzler hat seine Teilnahme<br />

bereits zugesagt. Auch sein<br />

Herausforderer, Edmund Stoiber ist<br />

eingeladen.<br />

Im Rahmen der Veranstaltung werden<br />

zeitgleich vier Workshops stattfinden,<br />

in denen die „Basis“ die brennenden<br />

Themen der Freiberufler diskutieren<br />

wird : Vorrangig werden die Voraussetzungen<br />

für eine wirtschaftliche Erholung<br />

der Freiberufler zu formulieren<br />

sein. Dabei muß es um eine Änderung<br />

des geltenden Steuerrechts ebenso wie<br />

eine überfällige Deregulierung gehen.<br />

Gerade Freiberufler leiden unter zahlreichen<br />

Fehlentwicklungen, die jegliche<br />

wirtschaftliche Eigeninitiative zu<br />

ersticken drohen. Angesichts der anstehenden<br />

Erweiterung der Europäischen<br />

Union müssen die Chancen der<br />

Freien Berufe im europäischen Binnenmarkt<br />

konkret herausgearbeitet<br />

werden. Ein weiteres Kern - Thema<br />

wird die Ausbildung der Freien Berufen<br />

sein. Aufgrund des zumeist kleineren<br />

Zuschnitts der freiberuflichen Betriebe<br />

ist es von hoher Bedeutung, dass<br />

auch die Mitarbeiter excellent sind.<br />

Damit eng verwandt ist die Frage der<br />

Qualitätssicherung in den freien Berufen.<br />

Freiberufler überzeugen ihre<br />

Kunden durch die Qualität ihrer<br />

Dienstleistung. Dementsprechend besteht<br />

ein Interesse, z.B. durch Berufsordnungen<br />

für ein hohes Qualitätsniveau<br />

zu sorgen.<br />

Neben den Workshops besteht Gelegenheit<br />

für Schüler der Abschlußklassen,<br />

sich über die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten<br />

in den Freien<br />

Berufen zu informieren. Zu diesem<br />

Zweck bieten die Kammern und Verbände<br />

eine spezielle Ausstellung an<br />

diesem Tage an.<br />

Zu dieser Manifestation des Überlebenswillens<br />

dieser Dienstleistungselite<br />

lädt der BFB alle Freiberufler ein.<br />

Um Anmeldung wird gebeten unter:<br />

Bundesverband der Freien Berufe<br />

Postfach 04 03 20, 10062 Berlin<br />

Fax: 0 30 / 28 44 44 - 40<br />

oder email: info-bfb@freie-berufe.de


4<br />

Buchhinweis<br />

Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts;<br />

10. Ergänzungslieferung, Stand Mai<br />

2001, rund 390 Seiten, erschienen im<br />

Verlag C.H. Beck, 124,– DM oder ab<br />

dem 1.1.2002: 63,– E, ISBN: 3-406-<br />

47836-0 und das Grundwerk mit eingeordneter<br />

10. Ergänzungslieferung,<br />

rund 2.752 Seiten, in zwei Plastikordnern,<br />

278,– DM oder ab dem<br />

1.1.2002: 144,– E, ISBN: 3-406-44100-9<br />

können auch direkt unter Verlag C.H.<br />

Beck München; Kundenservice,<br />

80791 München, Telefon: 089/<br />

381890, Telefax: 089/3 8189358,<br />

E-Mail: bestellung@beck.de bestellt<br />

werden.<br />

Bekanntermaßen wird das Wirtschaftsrecht<br />

auch in Deutschland zunehmend<br />

europäisch geprägt. Die Textsammlung<br />

Europäisches Wirtschaftsrecht ist dazu<br />

bestimmt und geeignet, Rechtsanwäl-<br />

ten und Notaren, Steuer- und Unternehmensberatern,<br />

Unternehmen aus Handwerk,<br />

Handel und Industrie, Banken<br />

und Versicherungen, Wirtschaftsverbänden,<br />

Industrie- und Handelskammern,<br />

Verwaltungen und Gerichten<br />

eine übersichtliche Zusammenstellung<br />

und Kommentierung der wichtigsten<br />

Texte in die Hand zu geben, die für<br />

den Binnenmarkt von Bedeutung sind.<br />

Eine derartige Rechtsdokumentation ist<br />

im Zuge des Europäischen Integrationsprozesses<br />

äußerst bedeutsam.<br />

In den letzten Jahren immer wieder<br />

aktualisiert, enthält das derzeitige<br />

Handbuch, bearbeitet von vierzig ausgewiesenen<br />

Spezialisten (Praktikern<br />

aus EU-Institutionen, Ministerien und<br />

Verbänden, Rechtsanwälten und Hochschullehrern)<br />

nunmehr aktuelle Darstellungen<br />

zu den folgenden Gebieten:<br />

Verfassungsordnung der EG/EU,<br />

Rechtssetzung und Vollzug, Wettbewerbssteuer,<br />

Außenhandels- und Um-<br />

XXXIX<br />

weltrecht und Gerichtsbarkeit der EG<br />

etc. Die zehnte Ergänzungslieferung<br />

diesen Jahres enthält Beiträge zum<br />

Verwaltungsverfahren in Kartellsachen,<br />

öffentlichem Auftragswesen,<br />

Steuerrecht und ein neues Kapitel aus<br />

der Feder des Autorenteams Karl<br />

Kreutzer/Rolf Wagner zum Europäischen<br />

/Internationalen Privatrecht.<br />

Hier wird über die Generalia der<br />

vertraglichen Schuldverhältnisse hinaus<br />

auch auf Spezialbereiche wie<br />

das internationale Verbrauchervertragsrecht,<br />

Arbeitsvertragsrecht, Versicherungsvertragsrecht<br />

und das internationale<br />

Transportvertragsrecht eingegangen.<br />

Es komplettiert somit substantiell<br />

das bereits mit der sechsten Ergänzungslieferung<br />

in das Handbuch eingefügte<br />

Kapitel derselben Autoren zum<br />

Europäischen/Internationalen Zivilverfahrensrecht.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL.M., Berlin

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