(125-188) (1,4 MB) - Anwaltsblatt - Deutscher Anwaltverein
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<strong>Deutscher</strong>AnwaltVerein<br />
Aus dem Inhalt<br />
A11041<br />
Sonderauflage mit Programmheft<br />
zum 53. Deutschen Anwaltstag 9.–11. Mai 2002 in München<br />
Aufsätze<br />
Die ZPO-Reform (Hansens) <strong>125</strong><br />
Neues Revisionsrecht und Verfassung<br />
(N. Fischer) 139<br />
Die neue Geldwäscherichtlinie (Hellwig) 144<br />
Die Unschuldsvermutung (Diercks) 147<br />
Gastkommentar<br />
Rechtsrat im Fernsehen (Töpper) 156<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
DAV Empfang „Auftakt 2002“ 157<br />
AG Anwaltsnotariat 161<br />
Mitteilungen<br />
Aufhebung des 10 %-Gebührenabschlags 167<br />
Steuerrecht: Gewerbesteuer bei<br />
Insolvenzverwaltern 168<br />
Besondere Verjährungsvorschriften im neuen<br />
Schuldrecht 174<br />
3/2002<br />
März <strong>Deutscher</strong>AnwaltVerlag
Liebe Kollegin, lieber Kollege,<br />
Anwaltstag und <strong>Anwaltsblatt</strong> sind Zwillingskräfte<br />
der umfangreichen verbandspolitischen Arbeit des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s, der starken beruflichen<br />
Interessenvertretung der Rechtsanwältinnen und<br />
der Rechtsanwälte sowie der Notare in der Bundesrepublik<br />
Deutschland.<br />
Dieses <strong>Anwaltsblatt</strong> 3/2002 kommt als Sonderauflage<br />
und mit vermehrter Seitenzahl zu Ihnen in<br />
allen Teilen Deutschlands. Es enthält das Programm<br />
und die vollständigen Anmeldeunterlagen<br />
für den 53. Anwaltstag, der vom 9. bis 11. Mai<br />
2002 in München stattfindet.<br />
Sie können das <strong>Anwaltsblatt</strong> nicht nur heute, sondern<br />
jeden Monat erhalten, wenn Sie Mitglied des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s sind. Das lohnt sich. Ein<br />
Blick in dieses <strong>Anwaltsblatt</strong> zeigt Ihnen die Vorteile<br />
der Mitgliedschaft. Lesen Sie, was der Deutsche<br />
<strong>Anwaltverein</strong> durch seinen Vorstand, seine<br />
Geschäftsführung, seine Ausschüsse, Arbeitsgemeinschaften,<br />
die Deutsche Anwaltakademie,<br />
den Deutschen Anwaltverlag und durch Informationen<br />
und Fortbildung auch für Sie leistet.<br />
Erweisen Sie uns Ihre Solidarität. Werden Sie Mitglied<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (durch Beitritt<br />
zu Ihrem örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>).<br />
Bedienen Sie sich kurzerhand per Fax des<br />
Rücksendeabschnitts auf dieser Seite!<br />
Anwaltstag und <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Mit kollegialem Gruß<br />
Ihr<br />
Dr. Michael Streck<br />
__ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __ __<br />
Absender (Stempel genügt):<br />
<strong>Deutscher</strong> <strong>Anwaltverein</strong><br />
Littenstraße 11<br />
10179 Berlin<br />
JA, ich möchte zukünftig alle Vorteile<br />
des DAV durch Mitgliedschaft nutzen<br />
Bitte schicken Sie mir weitere<br />
kostenlose Informationen<br />
über den Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />
Datum Unterschrift<br />
DAV-FAX 0 30 /72 6152 -190 AnwBl 3/2002<br />
I
II<br />
b 3/2002 l<br />
Im Auftrag des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s Schriftleitung:<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Felix Busse Udo Henke<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack Rechtsanwälte<br />
Wolfgang Schwackenberg Berlin, Littenstraße 11<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
Aufsätze<br />
<strong>125</strong> Die ZPO-Reform. Praktische Auswirkungen auf die<br />
Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />
Von Vors. Richter am LG Heinz Hansens, Berlin<br />
139 Verfassungsrechtliche Probleme des „neuen“<br />
zivilprozessualen Revisionsrechts<br />
Von Wiss. Mitarbeiter Nikolaj Fischer, Frankfurt a. M.<br />
144 Die neue Geldwäscherichtlinie<br />
Von Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />
Frankfurt a. M.<br />
147 Das verfassungsrechtlich befremdliche Verhältnis des<br />
Gesetzgebers zur Unschuldsvermutung<br />
Von Uwe Diercks, Bonn<br />
155 Buchhinweis: Hartmann, Kostengesetze, 31. Aufl.<br />
(Hamacher)<br />
Gastkommentar<br />
156 Rechtsrat im Fernsehen rechtens<br />
Von Rechtsanwalt Bernhard Töpper, Leiter der Redaktion<br />
Recht und Justiz im ZDF, Mainz<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Jahrgang 52<br />
März 2002<br />
157 DAV Empfang „Auftakt 2002“<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
158 Einladung zur Mitgliederversammlung des DAV<br />
DAV Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
159 Deutsche Anwaltauskunft<br />
Von Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
160 DAV-Ausschüsse: Stellungnahmen im Jahre 2002 des DAV<br />
DAV-Pressemitteilungen: AdvoJob<br />
161 AG Anwaltsmanagement: Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
AG Anwaltsnotariat: Neues im Notariat<br />
Von Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin<br />
163 Forum junger Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im<br />
DAV: Einladung zur Mitgliederversammlung<br />
AG Informationstechnologie: Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
AG Internationaler Rechtsverkehr:<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
ARGE Mietrecht & WEG: Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
164 AG Verkehrsrecht: Mitgliederversammlung 2002<br />
Personalien:<br />
– Auszeichnung von Anwälten<br />
– Neuer Aufsichtsratsvorsitzender des Deutschen<br />
Anwaltverlages<br />
Buchhinweis: Schlund, Verkehrssicherungspflicht auf<br />
öffentlichem Grund<br />
Europa<br />
165 Europaweiter Anspruch auf Prozesskostenhilfe<br />
Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />
Niederlassungsrecht für Rechtsanwälte in Belgien<br />
Von Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />
Mitteilungen<br />
166 Anwaltsausbildung: Treffen der Anwaltshospitanten in<br />
Budapest<br />
Von Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />
167 Gebührenfragen: Aufhebung des 10 %-igen<br />
Gebührenabschlags Ost für das Stadtgebiet von Berlin-Ost<br />
Von Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
168 Steuerrecht: Gewerblichkeit des Rechtsanwalts als<br />
Insolvenzverwalter – Anmerkung zum Urteil des BFH vom<br />
12.12.2001 –<br />
Von Rechtsanwälten und Fachanwälten für Steuerrecht<br />
Dr. Klaus Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, Berlin<br />
171 Versicherungsfragen: Neues aus der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung<br />
Von Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
174 Haftpflichtfragen:<br />
Besondere Verjährungsvorschriften nach der<br />
Schuldrechtsreform<br />
Von Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG, München<br />
176 Buchhinweis<br />
Schwarz (Hrsg), EU-Kommentar (Gündisch)<br />
Rechtsprechung<br />
(Übersicht und Leitsätze siehe Seite IV)<br />
178 Berufsrecht<br />
184 Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
<strong>188</strong> Impressum<br />
Auf dem Umschlag<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> ist auf technisch chlorfreiem Recyclingpapier gedruckt.<br />
DAV-Informationen Seite VIII, XII, XXXVIII<br />
Internet-Aktuell Seite XXXVI<br />
DAV-Service Seite XL<br />
AnwaltsKunstblatt Seite U 3
IV<br />
Rechtsprechung<br />
Berufsrecht<br />
BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 26.9.2001 – 1 BvR<br />
1740/98; 69/99; 521/99<br />
GG Art. 3, 12<br />
1. Dem seit der Wiedervereinigung geltenden Recht lässt sich als<br />
Grundgedanke entnehmen, dass in der ehemaligen DDR ausgebildete<br />
Diplom-Juristen mit entsprechenden Berufserfahrung den<br />
Volljuristen gleichgestellt sind.<br />
2. Die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, welche für das<br />
Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt<br />
des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt waren,<br />
die Befähigung zum Richteramt fordert, verkennt die Reichweite<br />
des Art. 3, Abs. i. V. m. Art. 12, Abs. 1 in Ansehung der Gesamtregelung<br />
zur Integration der Diplom-Juristen. (LS der Redaktion) –<br />
S. 178<br />
BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 5.11.2001 – 1 BvR<br />
1523/00<br />
GG Art. 12 Abs. 1; BRAO § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />
1. § 46 Abs. 2 Nr. 1 umschreibt nur eine solche Vertragsbeziehung,<br />
bei der die Gefahr einer Interessenkollision bestehen kann.<br />
2. Aus Organisationsstrukturen können ohne Weiteres keine<br />
Schlüsse auf eine auf sachlichen Weisungen beruhende Abhängigkeit<br />
gezogen werden (LS der Red.) – S. 182<br />
BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZ (B) 10/00<br />
BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 551<br />
Nr. 7<br />
Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluss ist „nicht<br />
mit Gründen versehen“, wenn er nicht binnen fünf Monaten nach<br />
der Verhandlung voltständig schriftlich niedergelegt, von den<br />
Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben<br />
worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beschlussformel<br />
verkündet oder die Entscheidung insgesamt durch Zustellung<br />
bekannt gemacht worden ist (Fortführung von BGH,<br />
Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – BRAK-Mitt. 1998, 93<br />
und Aufgabe von BGH, Beschl. v. 29.9.1997 – AnwZ (B) 27/97 –<br />
BRAK-Mitt. 1998, 89). – S. 183<br />
Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
AG Köln, Urt. v. 5.7.2001 – 117 c 12/01<br />
ARB § 2 Abs. 1 lit a<br />
Die in der Auflösungsvereinbarung für ein Arbeitsverhältnis vereinbarten<br />
Leistungen bilden eine aufeinander bezogene Einheit und<br />
sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen. (LS der<br />
Redaktion) – S. 184<br />
LAG Köln, Beschl. v. 14.9.2001 – 13 Ta 214/01<br />
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1; BRAGO § 8 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 3<br />
§ 31 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 113 Abs. 3; GKG § 12 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 19 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 3<br />
1. Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />
dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />
und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Streitgegenstand beziehen.<br />
2. Der Kündigungsschutzantrag und der Antrag auf Abfindungszahlung<br />
gem. § 113 Abs. 3 BetrVG betreffen unterschiedliche<br />
Streitgegenstände.<br />
3. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezüglich eines als Hilfsantrag<br />
gestellten Anspruchs auf Nachteilsausgleich ist, auch wenn das Gericht<br />
über den Hilfsantrag (hier wegen Klagerücknahme) nicht entschieden<br />
hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung zu berücksichtigen.<br />
– S. 185<br />
LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.12.2000 – 3 Ta 90/00<br />
BRAGO § 10, § 9; GKG § 25; ZPO § 97<br />
Das Wertfestsetzungsverfahren nach § 10 BRAGO ist gegenüber<br />
dem nach § 9 BRAGO subsidiär. Es greift nur ein, wenn sich die<br />
Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die Gerichtsgebühren<br />
maßgeblichen Wert richten oder es an einem solchen<br />
Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn Gerichtsgebühren<br />
nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren nach<br />
§§ 80 ff. ArbGG.<br />
Schließen die Parteien vor dem ArbG im Urteilsverfahren einen<br />
Vergleich, entfallen zwar die Gerichtsgebühren nach Ziff. 9112 des<br />
Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Damit fehlt es nicht an einem<br />
Wert für die Festsetzung. Die Gebühren werden lediglich nicht erhoben.<br />
Auch in diesem Fall erfolgt die Wertfestsetzung nach § 9<br />
BRAGO i. V. m. § 25 GKG.<br />
Legt ein Rechtsanwalt in eigenem Namen Beschwerde gegen eine<br />
Streitwertfestsetzung durch das Gericht nach § 9 BRAGO i. V. m.<br />
§ 25 GKG ein, werden gem. § 25 Abs. 4 GKG außergerichtliche<br />
Kosten nicht erstattet. – S. 186<br />
VG Schleswig, Beschl. v. 14.11.2000 – 3 A 144/98<br />
GKG § 13<br />
Der Streitwert in einem Verfahren, in dem vordergründig um die<br />
Verleihung der Rechtsfähigkeit an einen als wirtschaftlicher Verein<br />
gegründeten Feuerbestattungsverein gestritten wird, in der es hingegen<br />
mittelbar um die Frage geht, ob die Errichtung und der Betrieb<br />
eines Krematoriums überhaupt durch ein auf Gewinnerzielung<br />
ausgerichtetes Rechtssubjekt des privaten Rechts erfolgen<br />
darf, ist in Höhe eines Zehntels der für eine solche Anlage erforderlichen<br />
Investitionssumme festzusetzen. – S. 186<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 14.5.2001 – 11 W 319/01<br />
ZSEG § 7 Abs. 1<br />
In entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 1 ZSEG kann sich<br />
eine Parteivereinbarung auch auf die Höhe der dem Sachverständigen<br />
zu erstattenden Auslagen beziehen. – S. 186<br />
SG Düsseldorf, Beschl. v. 12.6.2001 – § 21 Al 112/00<br />
ZPO § 91a<br />
Beruht die angefochtene Entscheidung eines Arbeitsamtes auf einer<br />
für verfassungswidrig erklärten Norm, so ist das Arbeitsamt zur Erstattung<br />
der Kosten der Rechtsverfolgung sowohl im Widerspruchswie<br />
auch im Klageverfahren verpflichtet. (LS der Red.) – S. 186<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2000 – 10 W 11/00<br />
ZPO § 104 Abs. 2 S. 3<br />
Die erstattungsberechtigte Partei ist befugt, die ihre Vorsteuerabzugsberechtigung<br />
betreffende Erklärung im Verlauf des Kostenfestsetzungsverfahrens<br />
zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene Erklärung<br />
maßgeblich ist. – S. 187<br />
OLG München, Beschl. v. 11.4.2000 – 11 WF 745/00<br />
ZPO §§ 104, 106<br />
Mit einer im Rechtsstreit rechtskräftig titulierten Forderung, kann<br />
auch dann im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den Kostenerstattungsanspruch<br />
aufgerechnet werden, wenn wegen Kostenquotelung<br />
zwischen den Parteien ein Kostenausg1eich stattzufinden hat. Die<br />
Aufrechnung wird zulässig, sobald die Parteien die gegenseitigen<br />
Kostenfestsetzungsanträge eingereicht haben. – S. <strong>188</strong>
VIII<br />
4<br />
In diesem Heft:<br />
Lesen Sie in diesem Heft aus der<br />
Arbeit des DAVauf Seite 157 bis 164:<br />
DAV Empfang „Auftakt 2002“ /<br />
DAV-Stiftung contra Rechtsextremismus<br />
und Gewalt / Deutsche Anwaltauskunft<br />
/ Stellungnahmen des<br />
DAV / AdvoJob / AG Anwaltsnotariat:<br />
Neues im Notariat / Personalien<br />
Gebührenrecht in AGS Nr. 3/2002*<br />
9 von König: Die Änderung der Beschwerdevorschriften<br />
durch das<br />
9<br />
ZPO-RG insbesondere am Beispiel<br />
der Anfechtung des Kostenfestsetzungsbeschlusses<br />
OLG Koblenz: Vertretung mehrerer<br />
Beklagter durch denselben Anwalt<br />
9 VGH München: Gegenstandswert<br />
9<br />
im Asylverfahren<br />
OLG Schleswig: Auswirkungen der<br />
Nichtzulassung der Klageerhöhung<br />
auf Streitwert<br />
9 OLG Koblenz: PKH für einen der<br />
Streitgenossen<br />
* „Anwaltsgebühren spezial“ (AGS) erscheint<br />
monatlich auf 24 Seiten im Deutschen Anwaltverlag<br />
und wird hrsg. von RA Madert in Verbindung<br />
mit dem Gebührenrechtsausschuss des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s unter ständiger Mitarbeit<br />
von VRiKG a. D. von Eicken, Dipl.-Rechtspfleger<br />
Hellstab, Dipl.-Rechtspflegerin von König<br />
und der Schriftleitung des <strong>Anwaltsblatt</strong>es.<br />
Nähere Informationen und ein Probeabonnement<br />
erhalten Sie vom Deutschen Anwaltverlag in<br />
53111 Bonn, Wachsbleiche 7, Tel. 0228/91911-0.<br />
Info<br />
Anwaltsverzeichnis 2002/2003<br />
Das Anwaltsverzeichnis 2001 war bereits<br />
nach einem halben Jahr restlos<br />
vergriffen. Im Hinblick auf die große<br />
Nachfrage aus Anwaltschaft und Wirtschaft<br />
haben sich der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
als Herausgeber und der<br />
Deutsche Anwaltverlag entschlossen,<br />
im kommenden August eine völlig<br />
überarbeitete Ausgabe dieses Standardwerkes<br />
zu veröffentlichen. Das<br />
Anwaltsverzeichnis wird sowohl in<br />
gedruckter Ausgabe als auch als CD-<br />
ROM erscheinen.<br />
Damit das Nachschlagewerk pünktlich<br />
im August erscheinen kann, startet der<br />
Verlag bereits im März mit dem Versand<br />
der Fragebogen. Bitte senden Sie<br />
die korrigierten Datenblätter umgehend<br />
an die Adresszentrale zurück. Versäumen<br />
Sie nicht, rechtzeitig Ihr persönliches<br />
Exemplar zu reservieren.<br />
Ihre Fragen beantwortet gerne der<br />
Deutsche Anwaltverlag, Frau Blaschko,<br />
Telefon 0228/91911-76.<br />
Die Geschäftsführung des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Veranstaltungen Inland<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Seminare März 2002<br />
9 Unterhaltsansprüche von Eltern,<br />
Müttern oder Vätern nichtehelicher<br />
Kinder, gleichgeschlechtlichen<br />
Lebenspartnern<br />
Richterin am Familiengericht Günther,<br />
Marburg<br />
16. März 2002 in Berlin<br />
Seminar: R 12003-02<br />
9 Schuldrecht aktuell: Das neue<br />
Kaufrecht<br />
RA Linnertz, Bremen<br />
22. März 2002 in Hannover<br />
Seminar: R 63322-02<br />
9 Arbeitsrecht im Betrieb<br />
RA Dr. Tschöpe, Gütersloh<br />
22. März 2002 in Hamburg<br />
Seminar: R 21005-02<br />
9 Der Vergütungsanspruch des<br />
Bauunternehmers<br />
Vors. Richter am OLG Keldungs,<br />
Düsseldorf<br />
23. März 2002 in Bochum<br />
Seminar: R 11117-02<br />
9 Der Zivilprozeß nach der<br />
ZPO-Reform<br />
Vors. Richter am LG Crückeberg,<br />
Oldenburg, alternativ<br />
Richter am OLG Dr. Meyke, Oldenburg<br />
23. März 2002 in Erfurt<br />
Seminar: R 62511-02<br />
9 Film- und Fernsehproduktionen:<br />
Vertragsgestaltung und<br />
Finanzierungsfragen<br />
RA Dr. Straßer, München<br />
12. April 2002 in Potsdam<br />
Seminar: R 51508-02<br />
Anmeldung und Info:<br />
Deutsche Anwaltakademie, Littenstr. 11,<br />
10179 Berlin, Telefon: 030/726153-0,<br />
Fax: 030/726153-111<br />
www.anwaltakademie.de<br />
AG Sportrecht im DAV<br />
Frühjahrstagung 2002 der Arbeitsgemeinschaft<br />
Sportrecht am 19./<br />
20.2.2002 im Olympischen Museum<br />
Lausanne<br />
Vorträge:<br />
– Rechtsstrukturen des IOC und seiner<br />
Organe<br />
– Geschichte des CAS/TAS (Internationales<br />
Sportgericht) und Grundsätze<br />
seiner Rechtsprechung<br />
– Die Rechtsprechung der CAS/TASad<br />
hoc-Division bei den Olympischen<br />
Winterspielen 2002.<br />
Modell-Schiedsverfahren nach dem<br />
CAS/TAS Code:<br />
Der Fall Alexander Leipold (selbst anwesend)<br />
Podiumsdiskussion:<br />
CAS/TAS als Berufsschiedsgericht gegen<br />
Entscheidungen eines deutschen<br />
Bundessportschiedsgerichts?<br />
Detaillierte Informationen zum Fachprogramm,<br />
zum Rahmenprogramm,<br />
den Tagungsbeiträgen und zur Zimmerreservierung<br />
erhalten Sie bei der:<br />
Deutschen AnwaltAkademie<br />
Frau Anja Hoffmann<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin<br />
Tel.: (0 30) 72 61 53 183<br />
Fax: (0 30) 72 61 53 <strong>188</strong><br />
E-Mail: hoffmann@anwaltakademie.de<br />
sowie im Internet unter:<br />
www.anwaltverein.de und<br />
www.sportrecht-dav.de<br />
(Fortsetzung auf Seite XII)<br />
Im nächsten Heft u. a.:<br />
9 DAV-Forum „Fachanwaltschaften<br />
– eine Forderung des Marktes“
XII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite VIII)<br />
ARGE Baurecht im DAV:<br />
SOBau – Aus- und Weiterbildung<br />
Grundlagenseminar<br />
1. Halbjahr 2002<br />
Seminar-Inhalt:<br />
9 Das Phänomen Konflikt: Definition,<br />
Struktur, Dynamik<br />
9 Überblick über die gängigen Formen<br />
der außergerichtlichen Konfliktbeilegung<br />
9 Das Harvard-Verhandlungsmodell<br />
9 Der Ablauf der Schlichtung nach<br />
der SOBau<br />
9 Kommunikationstechniken<br />
9 Verhandlungstechniken<br />
9 Kreativitätstechniken<br />
Methodik: Vortrag, Training in<br />
Rollenspielen,<br />
Kleingruppenarbeit<br />
Referentin: Frau Gertrud Wölke,<br />
Dipl.-Psychologin,<br />
Mediatorin<br />
Termin: 6.–8. Juni sowie<br />
28./29. Juni 2002 (2 Teile)<br />
Teilnahmegebühr: 1.000 E für Mitglieder<br />
der ARGE Baurecht, 1.200 E für<br />
Nichtmitglieder<br />
Teilnehmerzahl: max. 24 Personen<br />
Seminarort: Nürnberg-Boxdorf, Hotel<br />
Schindlerhof, Steinacher Straße 6–8,<br />
90427 Nürnberg-Boxdorf, Tel.: 0911/<br />
9302-0, Fax: 0911/9302-620<br />
Zimmerkontingent abrufbar unter dem<br />
Stichwort ARGE Baurecht.<br />
Preis 120 E /130 E pro Nacht inkl.<br />
Frühstück<br />
Das Hotel Schindlerhof ist ein kleines,<br />
exklusives Seminar-Hotel am Stadtrand<br />
von Nürnberg, jedoch sehr verkehrsgünstig<br />
gelegen.<br />
Informieren Sie sich im Internet:<br />
www.schindlerhof.de<br />
Information und Organisation:<br />
Deutsche Anwaltakademie, Littenstr. 11,<br />
10179 Berlin, Tel. 030-726153-181,<br />
Fax: 030-726153-<strong>188</strong>, Herr Frank<br />
Ritter<br />
AG Ausländer- und Asylrecht/<br />
<strong>Anwaltverein</strong> Stuttgart<br />
Einführung<br />
Staatsangehörigkeitsrecht<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />
Asylrecht im DAV und der Stuttgarter<br />
<strong>Anwaltverein</strong> laden ein zur<br />
Fortbildungsveranstaltung am Samstag,<br />
13. April 2002, 10.00 –17.00 Uhr<br />
nach Stuttgart, Haus der Architekten,<br />
Danneckerstr. 54, 70182 Stuttgart.<br />
Thema: Einführung in das<br />
Staatsangehörigkeitsrecht<br />
Referenten: Regierungsdirektor<br />
Jungnickel, RP Darmstadt<br />
Rechtsanwalt Rainer M.<br />
Hofmann, Aachen<br />
Das Seminar richtet sich an Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, die<br />
eine Einführung in das (neue) deutsche<br />
Staatsangehörigkeitsrecht wünschen.<br />
Es werden praxisrelevante Fragestellungen<br />
erörtert.<br />
Teilnahmegebühren: 100 E für Mitglieder<br />
der ARGE und Mitglieder des<br />
Forums Junger Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte; 150 E für Nichtmitglieder<br />
(wer bis zur Anmeldung der<br />
ARGE beitritt – Mitgliedsbeitrag 65 E<br />
pro Jahr – zahlt bereits den ermäßigten<br />
Teilnehmerbeitrag)<br />
In den Kosten ist der Preis für Tagungsgetränke,<br />
Mittagessen und Kaffee enthalten.<br />
Anmeldung: schriftlich bei Herrn<br />
Rechtsanwalt Wolfram Steckbeck per<br />
Fax: (09 11) 5 19 59 -20, per E-Mail:<br />
RASUR@t-online.de, oder per Post:<br />
Leipziger Platz 1, 90491 Nürnberg.<br />
Zahlung: Bitte überweisen Sie die jeweilige<br />
Teilnahmegebühr bis spätestens<br />
30. März 2002 auf das Konto von<br />
Herrn Rechtsanwalt Steckbeck, Kto.<br />
1938 26 - 857 bei der Postbank<br />
Nürnberg, BLZ 760 100 85 unter dem<br />
Stichwort: ARGE 13.04.02<br />
Ansprechpartner: Herr Rechtsanwalt<br />
Rainer M. Hofmann, Alsenstraße 17,<br />
52068 Aachen, Tel.: (02 41) 9 49 70 - 0,<br />
Fax: (02 41) 9 49 70 -29,<br />
aix-lex@t-online.de<br />
AG Verkehrsrecht des DAV<br />
Veranstaltungen April 2002<br />
Datum/Ort: 13. April 2002, Berlin<br />
Thema: Gebührenoptimierung<br />
im Verkehrsrecht<br />
Referent: RAuN Brieske, Bremen<br />
Datum/Ort: 20. April 2002, Hagen<br />
Thema: Unfallregulierung und<br />
Sozialrecht<br />
Referenten: RA Prof. Dr. Plagemann,<br />
Frankfurt<br />
Assessor Nehls,<br />
Holz-BG, Erfurt<br />
Datum/Ort: 27. April 2002,<br />
Bad Bramstedt<br />
Thema: Prozesstaktik im<br />
Haftpflichtprozess<br />
Referent: Richter am OLG Diehl,<br />
Frankfurt<br />
Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen):<br />
100 E für Mitglieder der ARGE; 150 E<br />
für Nichtmitglieder<br />
Bundesweite Veranstaltung:<br />
Datum/Ort: 26.-27. April 2002,<br />
Würzburg (Achtung:<br />
Terminänderung!)<br />
– Mitgliederversammlung<br />
der ARGE Verkehrsrecht –<br />
Thema: Die Rechtsprechung des<br />
BGH in Verkehrssachen<br />
im Jahre 2001<br />
Referenten: Richter am BGH a. D.<br />
Dr. von Gerlach<br />
Richter am BGH a. D.<br />
Prof. Römer<br />
Vors. Richter am BGH<br />
Prof. Dr. Tolksdorf<br />
Teilnehmergebühr: 205 E für Mitglieder<br />
der Arbeitsgemeinschaft; 255 E<br />
für Nichtmitglieder<br />
Sonderveranstaltung:<br />
Datum/Ort: 20.– 21. April 2002,<br />
Bochum<br />
Thema: Verkehrsrecht für<br />
junge Kollegen und<br />
Referendare<br />
Referenten: RA Riedmeyer, München<br />
RAuN Ziegert, Lüneburg<br />
Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen<br />
am 16.3.2002): 150 E für Rechtsanwälte;<br />
100 E für Referendare<br />
(Fortsetzung auf Seite XXXVIII)
Im Auftrag des<br />
Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Die ZPO-Reform<br />
Schriftleitung:<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Berlin, Littenstraße 11<br />
Jahrgang 52<br />
März 2002 AQl<br />
Praktische Auswirkungen auf die Tätigkeit des<br />
Rechtsanwalts<br />
Vors. Richter am LG Heinz Hansens, Berlin<br />
Nach Auffassung des Gesetzgebers hat die in ihren Strukturen<br />
Jahrzehnte alte ZPO Schwachstellen und Strukturmängel aufgewiesen.<br />
Durch eine grundlegende Strukturreform sollte die ZPO<br />
„bürgernäher, effizienter und transparenter“ werden. Die ersten Reformvorschläge<br />
der Bundesministerin der Justiz sind sowohl auf<br />
Seiten der Richterschaft als auch bei den Anwälten auf erheblichen<br />
Widerspruch gestoßen. Ein Teil der von beiden Seiten geltend gemachten<br />
Mängel ist dann im weiteren Gesetzgebungsverfahren behoben<br />
worden. Gleichwohl wird das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses<br />
1 als ein wortreiches, aber substanzarmes sowie steriles<br />
Retortenkind 2 und als überflüssig wie ein Kropf 3 bezeichnet.<br />
Gleichwohl müssen Rechtsanwälte und Richter mit der neuen<br />
ZPO, die sie nicht gewollt haben, arbeiten. Die Qualität des Gesetzes<br />
zeigt sich auch daran, dass einige Bestimmungen vor ihrem In-<br />
Kraft-Treten durch das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts<br />
4 wieder berichtigt werden mussten. Nachfolgend sollen die<br />
wesentlichen praktischen Auswirkungen der ZPO-Reform auf die<br />
anwaltliche Tätigkeit dargestellt werden.<br />
I. Neuregelungen im Verfahren der ersten Instanz<br />
1. Güteverhandlung<br />
Bereits mit Wirkung vom 1.1.2000 ist durch § 15a EGZPO<br />
dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt worden, ein<br />
obligatorisches Güteverfahren als Zulässigkeitsvoraussetzung für<br />
bestimmte Klagen einzuführen. Von dieser Möglichkeit haben<br />
durch Landesgesetz die Länder Baden-Württemberg, Bayern,<br />
Brandenburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen-<br />
Anhalt in unterschiedlicher Weise Gebrauch gemacht. Dieses<br />
außergerichtliche Güteverfahren kann der Kläger dadurch vermeiden,<br />
dass er ein Gericht in einem Bundesland anruft, das dieses<br />
Güteverfahren noch nicht eingerichtet hat. Voraussetzung hierfür<br />
ist allerdings, dass dieses Gericht auch zuständig ist.<br />
Der Versuch der Streitschlichtung ist nunmehr in § 278 ZPO 5<br />
für das gerichtliche Verfahren zwingend vorgeschrieben. Diese<br />
Güteverhandlung lehnt sich an das arbeitsgerichtliche Güteverfahren<br />
nach § 54 ArbGG an. Im arbeitsgerichtlichen Verfahren haben<br />
jedoch vielfach beide Parteien Interesse an einer alsbaldigen gütlichen<br />
Einigung über den Klagegegenstand. Insbesondere in den<br />
arbeitsgerichtlichen Bestandsstreitigkeiten ist dem Arbeitgeber<br />
häufig daran gelegen, das Arbeitsverhältnis mit dem klagenden<br />
Arbeitnehmer schnellstmöglich zu beenden. Der Arbeitnehmer hat<br />
Nachrichten für die Mitglieder<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s e. V.<br />
vielfach lediglich ein Interesse daran, sich die nicht vermeidbare<br />
Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit einer Abfindung zu „versüßen“.<br />
Demgegenüber ist die Interessenlage in den meisten zivilrechtlichen<br />
Streitigkeiten völlig anders. Vielfach macht der Kläger<br />
unstreitige oder nicht ernsthaft zu bestreitende Zahlungsansprüche<br />
geltend, deren alsbaldige Titulierung der Beklagte wegen Zahlungsunfähigkeit<br />
oder Zahlungsunwilligkeit möglichst vermeiden<br />
will. Die obligatorische Einführung der Güteverhandlung führt in<br />
solchen Fällen damit zu einer Verzögerung und Verteuerung des<br />
Rechtsstreits.<br />
a) Voraussetzungen der Güteverhandlung<br />
Die Güteverhandlung ist grundsätzlich in allen erstinstanzlichen<br />
Verfahren nach der ZPO vorgeschrieben, in denen eine mündliche<br />
Verhandlung stattfindet, nicht jedoch in der Berufungs- oder Revisionsinstanz<br />
(s. §§ 525 S. 2, 555 Abs. 1 S. 2 ZPO). Anders als in<br />
§ 15a Abs. 2 EGZPO geregelt, nimmt § 278 ZPO keine Verfahrensarten<br />
von der Güteverhandlung aus. Folglich ist eine Güteverhandlung<br />
auch in Eilverfahren mit mündlicher Verhandlung obligatorisch<br />
6 . Lediglich unter den in § 278 Abs. 2 S. 1 ZPO<br />
geregelten Voraussetzungen kann das Gericht von der Güteverhandlung<br />
absehen:<br />
– es hat bereits ein – erfolgloser – Einigungsversuch vor einer<br />
außergerichtlichen Gütestelle (s. § 15a EGZPO) stattgefunden;<br />
– oder die Güteverhandlung erscheint erkennbar aussichtslos.<br />
Dieser dehnbare Begriff lädt geradezu zur Umgehung der obligatorischen<br />
Güteverhandlung ein 7 . Gleichwohl birgt eine zu<br />
großzügige Auslegung des Begriffs „Aussichtslosigkeit“ die Gefahr<br />
einer Zurückverweisung nach § 538 ZPO 8 . Entscheidenden Einfluss<br />
für die Entscheidung, ob das Gericht die Güteverhandlung als aussichtslos<br />
ansieht, hat das Parteivorbringen. Das Interesse des Klägervertreters<br />
wird vielfach darin bestehen, das Gericht von der Aussichtslosigkeit<br />
von Vergleichsverhandlungen zu überzeugen. Hierzu<br />
könnte der Vortrag des Klägervertreters dienlich sein, der Beklagte<br />
habe ein außergerichtliches Vergleichsangebot abgelehnt oder die<br />
Verpflichtung zur Zahlung der Klageforderung schlichtweg abgelehnt.<br />
Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten könnte demgegenüber<br />
die Vergleichsbereitschaft seines Mandanten bekunden,<br />
1 Vom 27.7.2001, BGBl. I, S. <strong>188</strong>7.<br />
2 Schellhammer, MDR 2001, 1081.<br />
3 Egon Schneider, ZAP-Kolumne, ZAP 2001, 787.<br />
4 Vom 26.11.2001, BGBl. I, S. 3138.<br />
5 Paragrafenangaben ohne Zusatz beziehen sich auf die ZPO in der Fassung des<br />
ZPO-Reformgesetzes.<br />
6 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 60. Aufl. 2002, § 278 Rdnr. 9.<br />
7 Schellhammer, MDR 2001, 1081, 1082.<br />
8 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2581.
126<br />
l<br />
ohne sich festlegen zu müssen, dass tatsächlich eine Einigung zu<br />
Stande kommt. Auch bei einer streitigen Ehescheidung kann eine<br />
Güteverhandlung in Betracht kommen 9 . Aussichtslos dürfte eine<br />
Güteverhandlung jedenfalls dann sein, wenn eine Partei vorträgt, sie<br />
wolle sich nicht gütlich einigen 10 .<br />
b) Verfahrensvorschriften<br />
Das Gericht hat zu der Güteverhandlung gemäß § 278 Abs. 3<br />
S. 1 ZPO das persönliche Erscheinen der Parteien anzuordnen.<br />
Dies gilt sogar auch für weitere Güteversuche. Das Gericht kann<br />
jedoch von der Anordnung des persönlichen Erscheinens absehen,<br />
wenn der Partei das Erscheinen wegen großer Entfernung oder aus<br />
sonstigen wichtigen Gründen nicht zuzumuten ist (s. § 141 Abs. 1<br />
S. 2 ZPO), was von der Partei darzulegen ist. Die Partei kann aber<br />
auch einen Verhandlungsvertreter entsenden (§ 141 Abs. 3 S. 2<br />
ZPO ). Dies kann auch der eigene Prozessbevollmächtigte sein, der<br />
dann eine besondere Vollmacht vorlegen sollte. Eine bedürftige<br />
Partei kann bei der Landeskasse einen Reisekostenvorschuss geltend<br />
machen 11 . Die Durchführung einer Güteverhandlung verteuert<br />
in vielen Fällen unnötig den Rechtsstreit. Den erscheinenden Parteien<br />
entstehen vielfach durch die Wahrnehmung der Güteverhandlung<br />
ein Verdienstausfall sowie Reisekosten. Die unterlegene Partei<br />
muss diese Terminswahrnehmungskosten erstatten (§ 91 Abs. 1 S. 2<br />
ZPO). Kommt es tatsächlich zu einer vergleichsweisen Einigung<br />
der Parteien, sollten die beteiligten Rechtsanwälte bei der Kostenregelung<br />
auch an diese Terminswahrnehmungskosten denken. Nicht<br />
selten kommt es vor, dass einer Partei ein Verdienstausfall für den<br />
gesamten Tag zusteht, auch wenn die Verhandlung nur ein bis zwei<br />
Stunden gedauert hat. Dann kann der erstattungsfähige Verdienstausfall<br />
bis zu (10 Stunden x 13 E =) 130 E betragen (s. § 2 Abs. 2<br />
u. Abs. 5 ZSEG).<br />
aa) Beide Parteien erschienen<br />
In diesem Fall hat das Gericht den Sach- und Streitstand mit<br />
den Parteien unter freier Würdigung aller Umstände zu erörtern<br />
und erforderliche Fragen zu stellen (§ 278 Abs. 2 S. 2 ZPO). Hierzu<br />
hat es auch die erschienen Parteien persönlich zu hören (§ 278<br />
Abs. 2 S. 3 ZPO). Das Gericht kann den Parteien auch eine außergerichtliche<br />
Streitschlichtung vorschlagen (§ 278 Abs. 5 S. 2 ZPO)<br />
und in diesem Fall das Ruhen des Verfahrens gemäß § 251 ZPO<br />
anordnen (§ 278 Abs. 5 S. 3 ZPO). Das Gericht kann in dem Gütetermin<br />
auch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs – ggf.<br />
unter Widerrufsvorbehalt – anregen. Es kann den Parteien ferner<br />
einen schriftlichen Vergleichsvorschlag machen, den diese durch<br />
Schriftsatz gegenüber dem Gericht annehmen können (§ 278 Abs. 6<br />
S. 1 ZPO). Nehmen die Parteien diesen Vorschlag an, stellt das Gericht<br />
das Zustandekommen und den Inhalt des geschlossenen Vergleichs<br />
durch Beschluss fest (§ 278 Abs. 6 S. 2 ZPO). Ein solcher<br />
Vergleich erfüllt jedoch nicht die Formvorschrift des § 127a BGB,<br />
weil er nicht zu gerichtlichem Protokoll erklärt wird. Wünschen<br />
die Parteien Änderungen, müssen sie diese dem Gericht mitteilen,<br />
das dann einen neuen Vorschlag macht, den die Parteien dann<br />
schriftsätzlich annehmen können 12 . Nicht geregelt ist jedoch, ob<br />
der Feststellungsbeschluss auch die an sich gemäß § 160 Abs. 3<br />
Nr. 1 ZPO erforderliche Protokollierung des Vergleichs ersetzt 13 .<br />
Außerdem sind die Parteien darauf angewiesen, dass das Gericht<br />
den Beschluss so formuliert, dass er einen vollstreckbaren Inhalt<br />
hat. Wenn der Beschluss den Vergleichsinhalt nicht zutreffend wiedergibt,<br />
kann die Berichtigung nach § 278 Abs. 6 S. 3 i. V. m.<br />
§ 164 ZPO beantragt werden, der an sich nur für Protokolle gilt.<br />
Ansonsten ist nicht geregelt, ob ggf. mit welchem Rechtsbehelf ein<br />
solcher Beschluss anfechtbar ist. Nach Baumbach/Lauterbach/Hartmann<br />
14 ist gegen den Feststellungsbeschluss kein Rechtsmittel, gegen<br />
dessen Ablehnung jedoch die sofortige Beschwerde gegeben,<br />
was dann als fraglich erscheint, wenn der Richter ohne förmliche<br />
Entscheidung einfach untätig bleibt. Außerdem ist fraglich, ob ein<br />
solcher Beschluss als Vollstreckungstitel i. S. v. § 794 Abs. 1 Nr. 1<br />
ZPO 15 anzusehen ist, weil der Feststellungsbeschluss selbst kein<br />
Vergleich ist und der Vergleich wiederum nicht vor einem Gericht<br />
geschlossen wurde. Bis zur Klärung der hiermit zusammenhängenden<br />
Fragen sollte der Rechtsanwalt sicherheitshalber auf eine gerichtliche<br />
Protokollierung des auf schriftlichen Vergleichsvorschlag<br />
zu Stande gekommenen Vergleichs dringen.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
bb) Keine Partei erscheint<br />
Erscheinen beide Parteien in der Güteverhandlung nicht, hat<br />
das Gericht gemäß § 278 Abs. 4 ZPO das Ruhen des Verfahrens<br />
anzuordnen (§ 251 ZPO). Das gilt jedoch dann nicht, wenn deren<br />
Prozessbevollmächtigte erschienen sind. Diese können in der anschließenden<br />
mündlichen Verhandlung (s. § 279 Abs. 1 ZPO) streitig<br />
verhandeln, aber auch einen Vergleich schließen.<br />
Gegen die nicht erschienenen Parteien kann das Gericht ein<br />
Ordnungsgeld verhängen (§ 278 Abs. 3 S. 2 i. V. m. § 141 Abs. 3<br />
S. 1 ZPO).<br />
cc) Eine Partei erscheint nicht; die Güteverhandlung ist erfolglos<br />
Erscheint in der Güteverhandlung eine Partei nicht oder ist die<br />
Güteverhandlung erfolglos, soll sich gemäß § 279 Abs. 1 S. 1 ZPO<br />
die mündliche Verhandlung unmittelbar anschließen. Anderenfalls<br />
hat das Gericht unverzüglich Termin zur mündlichen Verhandlung<br />
zu bestimmen (§ 279 Abs. 1 S. 2 ZPO).<br />
Bei Säumnis einer Partei wird das Gericht von der ersten<br />
Möglichkeit Gebrauch machen. Auf Antrag der erschienen Partei<br />
ist ein Versäumnisurteil zu erlassen. Gegen die säumige Partei<br />
kann das Gericht ein Ordnungsgeld verhängen.<br />
Im Falle des Scheiterns der Güteverhandlung hängt die Entscheidung<br />
des Gerichts, ob sich die mündliche Verhandlung unmittelbar<br />
anschließt oder ob ein neuer Termin zur mündlichen<br />
Verhandlung zu bestimmen ist, auch davon ab, ob eine Beweisaufnahme<br />
erfolgen muss. Diese soll sich nämlich gemäß § 279 Abs. 2<br />
ZPO der streitigen Verhandlung unmittelbar anschließen. Wenn das<br />
Gericht nach Scheitern der Güteverhandlung im sich unmittelbar<br />
anschließenden Haupttermin Zeugenbeweis erheben will, muss es<br />
die Zeugen bereits vorbereitend (§ 273 ZPO) laden. Das Gericht<br />
müsste also diese Kosten verursachende Maßnahme ergreifen, bevor<br />
es weiß, ob die Güteverhandlung zu einer Einigung der Parteien<br />
führt. Folglich wird sich die unmittelbare Anschließung der<br />
mündlichen Verhandlung an eine erfolglose Güteverhandlung nur<br />
auf die Fälle beschränken, in denen eine Beweisaufnahme nicht erforderlich<br />
ist.<br />
2. Erschöpfender Tatsachenvortrag<br />
Infolge der neuen Ausgestaltung der Berufungsinstanz als<br />
Fehlerkontrolle, und nicht mehr als zweite Tatsacheninstanz 16 ,<br />
kommt dem Sachvortrag des Rechtsanwalts in der ersten Instanz<br />
eine ganz erhebliche Bedeutung bei. Da sich mit neuen Tatsachen<br />
die Berufung nur in Ausnahmefällen begründen lässt, sind die Prozessbevollmächtigten<br />
der Parteien somit gezwungen, in der ersten<br />
Instanz sämtliche mit dem Streitfall zusammenhängende Tatsachen<br />
vorzutragen. Hierdurch wird sich der richterliche Arbeitsaufwand<br />
durch die Bearbeitung längerer Schriftsätze und durch<br />
vermehrte Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigung erhöhen.<br />
In der Gesetzesbegründung 17 wird dieser Mehrbedarf – auf Richterstellen<br />
umgerechnet – beim Amtsgericht auf zehn Richterstellen<br />
und beim Landgericht auf 32 Richterstellen (im gesamten Bundesgebiet,<br />
nicht etwa nur in Berlin!) geschätzt.<br />
3. Entscheidung durch Einzelrichter<br />
Mit der Neufassung der §§ 348, 348a ZPO nimmt der Gesetzgeber<br />
beim Landgericht Abschied vom Kammerprinzip. Dies führt<br />
zwangsläufig zu einer Verschlechterung der Rechtsprechung und<br />
zur Zunahme von Rechenfehlern.<br />
9 Schollmeyer, FamRB 2002, 21, 22.<br />
10 Wieser, MDR 2002, 10.<br />
11 S. BGH NJW 1975, 1124.<br />
12 Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 278 Rdnr. 47; a. A. Schneider, ZPO-<br />
Reform, Rdnr. 190: Der Feststellungsbeschluss ergeht auf der Grundlage der<br />
Parteivorschläge.<br />
13 Schellhammer, aaO.<br />
14 ZPO, aaO, § 278 Rdnr. 55.<br />
15 So Baumbach/Lauterbach/Hartmann, aaO, § 278 Rdnr. 50.<br />
16 S. nachstehend II.<br />
17 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 62.
AnwBl 3/2002 127<br />
Aufsätze l<br />
a) Originärer Einzelrichter<br />
Gemäß § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO entscheidet die Zivilkammer<br />
durch eines ihrer Mitglieder als Einzelrichter. Seine Zuständigkeit<br />
wird nunmehr durch das Gesetz („originär“) begründet und nicht<br />
mehr – wie früher nach § 348 Abs. 1 S. 1 ZPO a. F. – durch eine<br />
Entscheidung der Zivilkammer. Die Ausnahmen sind in § 348<br />
Abs. 1 S. 2 ZPO geregelt.<br />
aa) Persönliche Abgrenzung<br />
Als Einzelrichter entscheidet nicht ein Richter auf Probe, der<br />
noch nicht über einen Zeitraum von einem Jahr nach dem Geschäftsverteilungsplan<br />
Rechtsprechungsaufgaben in bürgerlichen<br />
Rechtsstreitigkeiten wahrzunehmen hatte. Damit belastet der Gesetzgeber<br />
gerade die Kammern, die ohnehin durch die Ausbildung<br />
des Proberichters höheren Belastungen unterworfen sind.<br />
bb) Sachliche Abgrenzung<br />
§ 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 ZPO führt einige Sachgebiete 18 an, in<br />
denen der Einzelrichter nicht originär zuständig ist. Die Aufzählung<br />
erscheint willkürlich, weil verschiedene schwierige Rechtsgebiete<br />
wie die Amtshaftung oder Produzentenhaftung nicht ausgenommen<br />
wurden19 .<br />
Unsinnig ist auch die Einschränkung, dass die originäre Zuständigkeit<br />
des Einzelrichters in den aufgeführten Sachgebieten nur<br />
dann nicht gegeben ist, wenn die Zuständigkeit der Kammer für<br />
dieses Sachgebiet nach dem Geschäftsverteilungsplan begründet<br />
ist. Für Honorarstreitigkeiten von Rechtsanwälten (s. § 348 Abs. 1<br />
S. 2 Nr. 2 d) ZPO) ist z. B. beim Landgericht Berlin die Kammer<br />
zuständig, da derartige Sachen durch den Geschäftsverteilungsplan<br />
keiner bestimmten Kammer zugewiesen wurde. Ist jedoch einer<br />
Kammer die Zuständigkeit für Honorarklagen der Rechtsanwälte<br />
durch Geschäftsverteilungsplan zugewiesen, ist originär der Einzelrichter<br />
zuständig. Dies wird entsprechend dem Willen des Gesetzgebers20<br />
allein aus personellen Gründen zur vermehrten geschäftsplanmäßigen<br />
Einrichtung von Spezialkammern führen.<br />
cc) Übertragung auf die Kammer<br />
Gemäß § 348 Abs. 3 ZPO legt der Einzelrichter den Rechtsstreit<br />
der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme vor,<br />
wenn<br />
1. die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder<br />
rechtlicher Art aufweist,<br />
2. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder<br />
3. die Parteien dies übereinstimmend beantragen.<br />
Gemäß § 348 Abs. 3 S. 2 ZPO übernimmt die Kammer den<br />
Rechtsstreit, wenn die Voraussetzungen nach Nr. 1 oder Nr. 2 vorliegen.<br />
Ob dies der Fall ist, obliegt der Wertung durch die Kammer.<br />
Die Voraussetzung Nr. 3 (übereinstimmender Antrag der Parteien)<br />
für die Übernahme des Rechtsstreits durch die Kammer ist in<br />
§ 348 Abs. 3 S. 2 ZPO nicht aufgeführt. Dies beruht auf einem<br />
Versehen des Gesetzgebers, weil die Nr. 3 erst als Änderung des<br />
vom Bundestag beschlossenen Entwurfs Gesetzesfassung geworden<br />
ist 21 . Dies führt dazu, dass die Zivilkammer auf entsprechende<br />
Vorlage des Einzelrichters den Rechtsstreit zwingend übernehmen<br />
muss, wenn beide Parteien dies übereinstimmend beantragen 22 .<br />
Die Entscheidung über die Übernahme des Rechtsstreits durch<br />
die Kammer ergeht durch Beschluss, der unanfechtbar ist (§ 348<br />
Abs. 3 S. 3 ZPO). Eine Zurückübertragung auf den Einzelrichter<br />
ist durch § 348 Abs. 3 S. 4 ZPO ausgeschlossen. Die gesetzliche<br />
Regelung hindert den Einzelrichter jedoch nicht, die selbe Sache<br />
der Kammer aus einem anderen Grund erneut zur Übernahme vorzulegen<br />
23 .<br />
Auf eine erfolgte oder unterlassene Vorlage oder Übernahme<br />
kann ein Rechtsmittel nicht gestützt werden (§ 348 Abs. 4 ZPO).<br />
Jedoch kann nach Auffassung von Schneider 24 die Weigerung des<br />
Einzelrichters, trotz übereinstimmender Abgabeanträge der Partei<br />
die Sache der Kammer nicht zur Übernahmeentscheidung vorzulegen,<br />
die Ausnahmebeschwerde rechtfertigen.<br />
b) Obligatorischer Einzelrichter<br />
Ist nicht bereits die Zuständigkeit des Einzelrichters durch<br />
§ 348 Abs. 1 ZPO originär begründet, hat die Zivilkammer gemäß<br />
§ 348a Abs. 1 ZPO die Sache durch Beschluss dem Einzelrichter<br />
zur Entscheidung zu übertragen, wenn<br />
1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher<br />
oder rechtlicher Art aufweist,<br />
2. die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, und<br />
3. nicht bereits im Haupttermin vor der Zivilkammer zur<br />
Hauptsache verhandelt worden ist (Ausnahme: Vorbehalts-, Teiloder<br />
Zwischenurteil).<br />
Gemäß § 348 Abs. 2 S. 1 ZPO kann der Einzelrichter die<br />
Sache der Zivilkammer zur Entscheidung über eine Übernahme<br />
vorlegen, wenn<br />
1. sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozesslage besondere<br />
tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten oder die grundsätzliche<br />
Bedeutung der Rechtssache ergeben, oder<br />
2. die Parteien dies übereinstimmend beantragen.<br />
Gemäß § 348a Abs. 2 S. 2 ZPO übernimmt die Kammer den<br />
Rechtsstreit, wenn die Voraussetzung nach Nr. 1 vorliegt. Auch<br />
hier ist keine Regelung für die nachträglich in die Gesetzesfassung<br />
übernommene Nr. 2 (übereinstimmender Antrag der Parteien) erfolgt.<br />
Dies führt dazu, dass eine Übernahme auf Grund des übereinstimmenden<br />
Antrages beider Parteien zwingend erfolgen muss 25 .<br />
4. Gehörsrüge<br />
Versagt das Gericht einer Partei das rechtliche Gehör, kann dies<br />
durch Einlegung der Berufung geltend gemacht werden. Bei nicht<br />
berufungsfähigen Urteilen blieb der betroffenen Partei nach bisherigem<br />
Recht nur die Einlegung einer Verfassungsbeschwerde. Zur<br />
Entlastung des Bundesverfassungsgerichts ist nunmehr in § 321a<br />
ZPO die so genannte Gehörsrüge eingeführt worden. Diese setzt<br />
voraus:<br />
– die Partei muss durch das Urteil beschwert sein,<br />
– die Berufung gegen das Urteil ist unzulässig (§ 321a Abs. 1<br />
Nr. 1 ZPO),<br />
– das erstinstanzliche Gericht hat den Anspruch auf rechtliches<br />
Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt (§ 321a Abs. 1<br />
Nr. 2 ZPO).<br />
Bei der Erhebung der Gehörsrüge muss die beschwerte Partei<br />
folgende Formalien einhalten:<br />
– Die Rügeschrift muss den fortzuführenden Prozess bezeichnen<br />
und die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und<br />
die Entscheidungserheblichkeit dieser Verletzung darlegen (§ 321a<br />
Abs. 2 S. 1 ZPO).<br />
– Die Rügeschrift ist bei dem Gericht des ersten Rechtszuges<br />
innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen einzureichen, die mit<br />
der Zustellung des Urteils zu laufen beginnt (§ 321a Abs. 2 S. 2 u.<br />
3 ZPO).<br />
Das Gericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Rüge zulässig<br />
ist. Ist dies nicht der Fall, ist die Rüge als unzulässig zu verwerfen<br />
(§ 321a Abs. 4 S. 1 u. 2 ZPO). Ist die Rüge zulässig aber unbegründet,<br />
hat das Gericht sie zurückzuweisen (§ 321a Abs. 4 S. 3<br />
ZPO). Hierfür wird gemäß GKostVerz. Nr. 1960 eine Festgebühr<br />
von 50,00 Euro erhoben. In beiden Fällen ist der Beschluss des Gerichts<br />
unanfechtbar (§ 321a Abs. 4 S. 4 ZPO).<br />
Ist die Rüge hingegen begründet, hilft ihr das Gericht ab, indem<br />
es den Prozess fortführt (§ 321a Abs. 5 S. 1 u. 2 ZPO). Das<br />
Gericht hat dann die ursprüngliche Entscheidung aufrechtzuerhalten<br />
oder aufzuheben (§ 321a Abs. 5 S. 3 i. V. m. § 343 ZPO).<br />
18 Zu den Problemen hierzu s. Schneider, ZPO-Reform Rdnr. 269 ff.<br />
19 Schneider, ZAP Fach 13, S. 1063, 1076.<br />
20 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 87.<br />
21 S. BT-Drucks. 14/6036 S. 19.<br />
22 Schneider, ZAP aaO S. 1077; ähnlich Baumbach/Lauterbach/Hartmann. § 348<br />
ZPO Rdnr. 44.<br />
23 S. Schneider, ZAP aaO S. 1078.<br />
24 ZAP aaO S. 1077.<br />
25 Schneider, ZAP aaO S. 1078.
128<br />
l<br />
Auf Antrag hat das Gericht die Zwangsvollstreckung aus dem<br />
von der Rüge betroffenen Urteil gegen oder ohne Sicherheitsleistung<br />
einstweilen einzustellen (§ 321a Abs. 6 i. V. m. § 707 ZPO).<br />
Ob die Gehörsrüge auch im Berufungs- und Revisionsverfahren<br />
erhoben werden kann 26 , erscheint zweifelhaft, da § 321a Abs. 1<br />
ZPO ausdrücklich auf das erstinstanzliche Verfahren zugeschnitten<br />
ist. Ebenso ist fraglich, ob die Gehörsrüge auch im Beschlussverfahren<br />
erhoben werden kann 27 , da § 321a ZPO ersichtlich auf das<br />
Urteilsverfahren abgestellt ist.<br />
II. Neuregelungen im Berufungsverfahren<br />
Das Berufungsverfahren ist durch die ZPO-Reform grundlegend<br />
umgestaltet worden. Entgegen dem bisherigen Recht ist die Berufungsinstanz<br />
nicht mehr uneingeschränkt zweite Tatsacheninstanz.<br />
Nach dem Willen des Gesetzgebers 28 beschränkt sich die Funktion<br />
der Berufung darauf, das erstinstanzliche Urteil auf die korrekte<br />
Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und<br />
Vollständigkeit der getroffenen Feststellungen hin zu überprüfen<br />
und etwaige Fehler zu beseitigen. Nur wenn das Berufungsgericht<br />
ernstliche Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser<br />
Feststellungen hat und eine neue Feststellung in zweiter Instanz geboten<br />
ist, darf das Berufungsgericht über erstinstanzlich festgestellte<br />
Tatsachen erneut verhandeln. Die Berufung rückt damit in<br />
die Nähe der Revision. Folglich kann für die Anforderungen an<br />
die Berufungsbegründung in vielen Fällen auf die Rechtsprechung<br />
des BGH zum Revisionsverfahren zurückgegriffen werden.<br />
1. Instanzenzug<br />
Ursprünglich war es geplant, die Zuständigkeit für die Entscheidung<br />
sämtlicher Berufungsverfahren gegen Urteile des Amtsgerichts<br />
und des Landgerichts dem Oberlandesgericht zuzuweisen.<br />
Auf Grund des erheblichen Widerstands sowohl von Seiten der<br />
Rechtsanwälte als auch der Richter und wohl auch der Landes-Justizverwaltungen<br />
hat der Gesetzgeber hiervon Abstand genommen.<br />
Der bisherige Instanzenzug bleibt also erhalten. Allerdings eröffnet<br />
§ 119 Abs. 3 GVG dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit, die<br />
Oberlandesgerichte auch für alle Berufungen und Beschwerden gegen<br />
amtsgerichtliche Entscheidungen zuständig zu erklären.<br />
Hierfür ist zunächst eine Erprobungsfrist bis zum 1.1.2008 bestimmt<br />
worden (§ 119 Abs. 5 GVG).<br />
Für den Rechtsanwalt hat diese Regelung besondere Bedeutung,<br />
weil er sich vor Einlegung seiner Berufung/Beschwerde gegen<br />
amtsgerichtliche Urteile/Beschlüsse sachkundig darüber machen<br />
muss, ob der betreffende Landesgesetzgeber von der<br />
vorgenannten Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. Zwar ist in<br />
§ 119 Abs. 4 GVG dem Landesgesetzgeber aufgegeben worden,<br />
dass den Parteien eine Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht<br />
zu erteilen ist. Anders als in vielen anderen Verfahrensgesetzen<br />
29 geregelt, ist hier jedoch nicht vorgesehen, dass sich die<br />
Rechtsbehelfsfrist bei fehlender oder unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung<br />
um ein Jahr verlängert. Ob der Landesgesetzgeber zu einer<br />
solchen Regelung zuständig ist, erscheint im Übrigen zweifelhaft.<br />
Deshalb hat der Rechtsanwalt auch bei fehlender oder<br />
unrichtiger Belehrung über das zuständige Rechtsmittelgericht<br />
dafür Sorge zu tragen, dass sein Rechtsbehelf gegen die amtsgerichtliche<br />
Entscheidung rechtzeitig an das zuständige Oberlandesgericht<br />
gelangt. Ob eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand<br />
(§ 233 ZPO) in Betracht kommt, wenn der Rechtsanwalt in Unkenntnis<br />
der landesgesetzlichen Regelung die Notfrist versäumt,<br />
muss erst durch die Rechtsprechung geklärt werden. Da der<br />
Rechtsanwalt grundsätzlich auch das maßgebliche Landesrecht<br />
kennen muss, ist eine Fristversäumnis infolge einer in Unkenntnis<br />
der landesgesetzlichen Zuständigkeitsregelung verspätet eingelegten<br />
Rechtsmittels möglicherweise nicht unverschuldet.<br />
Damit ergibt sich folgender Instanzenzug:<br />
– Über Berufungen/Beschwerden gegen amtsgerichtliche Urteile/Beschlüsse<br />
entscheiden die Landgerichte (§ 72 GVG).<br />
– Für die Entscheidung über Urteile/Beschlüsse des Landgerichts<br />
sind die Oberlandesgerichte zuständig (§ 119 Abs. 1 Nr. 2<br />
GVG).<br />
– Über Berufungen/Beschwerden gegen Urteile/Beschlüsse des<br />
Familiengerichts entscheiden die Oberlandesgerichte (§ 119 Abs. 1<br />
Nr. 1 a GVG).<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
– Über die Berufung/Beschwerde gegen die Entscheidung der<br />
Amtsgerichte in Streitigkeiten über Ansprüche, die von einer oder<br />
gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand<br />
im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit in erster Instanz außerhalb<br />
des Geltungsbereichs des GVG hatte, entscheidet nach der<br />
Neuregelung in § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG das Oberlandesgericht.<br />
Hierdurch lässt sich der Instanzenzug vom Amtsgericht zum Oberlandesgericht<br />
dadurch manipulieren, dass der Kläger vor Klageeinreichung<br />
seinen Wohnsitz im Ausland nimmt 30 .<br />
– Auch für die Entscheidung über Berufungen/Beschwerden<br />
gegen Entscheidungen des Amtsgerichts, in denen dieses ausländisches<br />
Recht angewendet hat und dies in den Entscheidungsgründen<br />
ausdrücklich festgestellt hat, ist nunmehr das Oberlandesgericht<br />
zuständig (§ 119 Abs. 1 Nr. 1c) GVG). Diese beiden<br />
Zuständigkeitsregelungen begründen eine erhebliche Regressgefahr<br />
für den Rechtsanwalt, wenn das Rechtsmittel gegen die<br />
amtsgerichtliche Entscheidung nach der „normalen“ Zuständigkeitsregelung<br />
des § 72 GVG beim Landgericht eingelegt wird.<br />
Deshalb sollte in der Handakte ein deutlicher Vermerk angebracht<br />
werden. Diese Zuständigkeitsregelungen gelten auch für die<br />
Rechtsmittel gegen Nebenentscheidungen – etwa sofortige Beschwerden<br />
gegen Prozesskosten- oder Kostenfestsetzungsbeschlüsse.<br />
Ob sie auch für Rechtsmittel gegen Entscheidungen im<br />
Rahmen der anschließenden Zwangsvollstreckung gilt, ist fraglich.<br />
Deshalb sollte die sofortige Beschwerde stets bei dem Gericht angebracht<br />
werden, das die beanstandete Entscheidung erlassen hat,<br />
und nicht beim Beschwerdegericht (s. § 569 Abs. 1 S. 1 ZPO).<br />
2. Statthaftigkeit<br />
Die Berufung ist nunmehr unter zwei unabhängig voneinander<br />
geltenden Voraussetzungen statthaft.<br />
a) Streitwertberufung<br />
Die Berufung ist stets zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
sechshundert Euro übersteigt (§ 511 Abs. 2 Nr. 1<br />
ZPO). Damit ist die Berufungssumme gegenüber dem bisherigen<br />
Recht um rund 300 DM herabgesetzt worden.<br />
b) Zulassungsberufung<br />
Im Falle der Zulassung der Berufung durch das Gericht des<br />
ersten Rechtszuges (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) ist nunmehr die Berufung<br />
auch dann statthaft, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
sechshundert Euro nicht übersteigt.<br />
Das Gericht des ersten Rechtszuges hat die Berufung gemäß<br />
§ 511 Abs. 4 S. 1 ZPO zuzulassen, wenn<br />
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, oder<br />
2. die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />
Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts<br />
erfordert.<br />
Das Berufungsgericht ist an die Zulassung gebunden (§ 511<br />
Abs. 4 S. 2 ZPO). Die Nichtzulassung ist jedoch ebenfalls unanfechtbar,<br />
eine Nichtzulassungsbeschwerde wie bei der Revision<br />
(s. § 544 ZPO) ist nicht gegeben. Um sich die Möglichkeit einer<br />
zulässigen Verfassungsbeschwerde bei Nichtzulassung der Berufung<br />
zu eröffnen, empfiehlt Schneider 31 dem Rechtsanwalt, im Erkenntnisverfahren<br />
das erstinstanzliche Gericht auf die Zulassungsgründe<br />
hinzuweisen und die Zulassung ausdrücklich zu beantragen.<br />
Durch die Neuregelung der Zulassungsberufung wird die bisher<br />
nur für Mietstreitigkeiten geltende Bestimmung des § 511a Abs. 2<br />
ZPO a. F. ersetzt.<br />
3. Berufungsfrist<br />
Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt – wie bisher –<br />
einen Monat (§ 517 ZPO).<br />
26 So Schneider, ZAP aaO S. 1075, ders., ZPO-Reform Rdnr. 206.<br />
27 So Schneider, ZAP aaO; dagegen Hansens, Rpfleger 2001, 573, 578; zur Anwendbarkeit<br />
im Arbeitsgerichtsverfahren s. Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA<br />
2001, 1161, 1166.<br />
28 BT-Drucks. 14/4722 S. 64.<br />
29 S. § 58 Abs. 2 VwGO, § 55 Abs. 2 FGO, § 66 Abs. 2 SGG.<br />
30 Darauf weist auch Schneider, ZAP aaO S. 1079 hin.<br />
31 AaO S. 1080.
AnwBl 3/2002 129<br />
Aufsätze l<br />
4. Berufungsbegründung<br />
Hier ergeben sich für den Rechtsanwalt ganz wesentliche Änderungen.<br />
a) Berufungsgründe<br />
Gemäß § 513 ZPO kann sowohl die Streitwertberufung als<br />
auch die Zulassungsberufung nur auf zwei Berufungsgründe<br />
gestützt werden:<br />
– Die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges beruhe<br />
auf einer Rechtsverletzung i. S. v. § 546 ZPO. Das ist der Fall,<br />
wenn das Gericht eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet<br />
hat.<br />
– Oder die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen<br />
rechtfertigen eine andere Entscheidung.<br />
b) Berufungsbegründungsfrist<br />
Diese ist in § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO zwar auf zwei Monate verlängert<br />
worden. Sie beginnt jedoch bereits mit der Zustellung des<br />
in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf<br />
von fünf Monaten nach der Verkündung.<br />
Diese Regelung führt im Ergebnis zu keiner Änderung, was<br />
den für den Rechtsanwalt zur Verfügung stehenden Zeitraum betrifft.<br />
Da bisher die meisten Berufungen am letzten Tage der Berufungsfrist<br />
eingelegt wurden, standen dem Rechtsanwalt für die Berufungsbegründung<br />
gemäß § 519 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. ebenfalls<br />
rund zwei Monate Zeit zur Verfügung.<br />
Die Neuregelung bringt jedoch eine wesentliche Vereinfachung<br />
bei der Fristenkontrolle und verhindert viele Fehler bei der Eintragung<br />
von Berufungsbegründungsfristen. Nunmehr sind in den<br />
Fristenkalender mit Zustellung der Berufung gleichzeitig die Berufungsfrist<br />
und die Berufungsbegründungsfrist mit entsprechenden<br />
Vorfristen einzutragen. Der Eingang der Berufungsschrift beim Berufungsgericht<br />
hat somit auf den Lauf der Berufungsbegründungsfrist<br />
keinen Einfluss mehr. Vorsorglich sollte der Rechtsanwalt<br />
nach jeder mündlichen Verhandlung auch eine Sechs-Monats-Frist<br />
mit Vorfrist für die Einlegung der Berufung und der Berufungsbegründung<br />
notieren lassen. Diese Frist kann dann wieder gelöscht<br />
werden, wenn nach Erhalt des Protokolls feststeht, dass am Schluss<br />
der Sitzung kein Urteil verkündet worden ist sowie dann, wenn ein<br />
Urteil zugestellt worden ist. Geht nämlich innerhalb der Sechs-Monats-Frist<br />
kein Urteil ein und erhält der Rechtsanwalt auch das Protokoll<br />
nicht oder beachtet er es nicht im Hinblick auf die Fristennotierung,<br />
so gerät sowohl die Berufungsfrist als auch die<br />
Berufungsbegründungsfrist außer Kontrolle. Auch bei Eingang des<br />
Protokolls mit einem verkündeten Urteil ist vorsorglich die Sechs-<br />
Monats-Frist zu notieren.<br />
c) Verlängerung<br />
Wie bisher kann die Berufungsbegründungsfrist von dem Vorsitzenden<br />
des Berufungsgerichts auf Antrag verlängert werden<br />
(§ 520 Abs. 2 S. 2 u. 3 ZPO). Bei seiner Entscheidung über den<br />
Verlängerungsantrag ist der Vorsitzende jedoch nicht mehr so frei<br />
wie früher. Ohne Einwilligung des Gegners kann er nämlich die<br />
Berufungsbegründungsfrist nunmehr nur noch bis zu einem Monat<br />
verlängern, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit<br />
durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger<br />
erhebliche Gründe darlegt (§ 520 Abs. 2 S. 3 ZPO).<br />
Wird die Verlängerung für einen längeren Zeitraum begehrt,<br />
muss der Gegner einwilligen.<br />
Es empfiehlt sich daher, die Verlängerung der Berufungsbegründung<br />
mit erheblichen Gründen nur für einen Monat zu beantragen.<br />
Dann bedarf es der Einwilligung des Gegners nicht. Reicht<br />
die verlängerte Frist dann immer noch nicht, bedarf die weitere<br />
Verlängerung – wie auch bisher – der Einwilligung des Gegners.<br />
Hat der Berufungskläger davon Kenntnis, dass der Gegner von<br />
vornherein keine Einwendungen gegen eine einen Monat übersteigende<br />
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hat, kann natürlich<br />
bereits der erste Verlängerungsantrag für einen längeren<br />
Zeitraum gestellt werden.<br />
d) Inhalt der Berufungsbegründung<br />
Da die Berufung im Regelfall nur der Rechtsfehlerkontrolle<br />
dient, hat auch die erforderliche Berufungsbegründung einen anderen<br />
Inhalt als nach dem bisherigen Recht. Gemäß § 520 Abs. 3 S.<br />
2 ZPO muss die Berufungsbegründung enthalten:<br />
aa) Berufungsanträge<br />
Aus der Berufungsbegründung muss sich ergeben, inwieweit<br />
das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils<br />
beantragt werden (§ 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 ZPO). Dies entspricht<br />
auch dem bisherigen Recht. Die Berufungsanträge können bis<br />
zum Schluss der Berufungsverhandlung erweitert werden. Voraussetzung<br />
ist jedoch, dass die Erweiterung durch die Berufungsgründe<br />
gedeckt werden.<br />
bb) Umstände für eine Rechtsverletzung<br />
Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO ist ferner die Bezeichnung<br />
der Umstände erforderlich, aus denen sich die Rechtsverletzung<br />
und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt<br />
32 . Folglich muss der Berufungskläger darlegen, welche geschriebene<br />
oder ungeschriebene Rechtsnorm das erstinstanzliche<br />
Gericht gar nicht oder falsch angewendet hat 33 . Ferner muss der<br />
Berufungskläger vortragen, auf Grund welcher Umstände die behauptete<br />
Rechtsverletzung zur Unrichtigkeit des angefochtenen Urteils<br />
geführt hat. Das Urteil muss also ohne den Rechtsfehler bei<br />
richtiger Gesetzesanwendung für den Berufungskläger günstiger<br />
ausgefallen sein. Ein entsprechender Vortrag ist für den Berufungskläger<br />
dann relativ einfach, wenn er die Verletzung materiellen<br />
Rechts geltend macht. Rügt er hingegen die Verletzung des Verfahrensrechts,<br />
beispielsweise die Verletzung der richterlichen Aufklärungspflicht<br />
gemäß § 139 ZPO, muss der Berufungskläger vortragen,<br />
wie er auf den vermissten Hinweis reagiert und wie seine<br />
Reaktion das Urteil beeinflusst hätte. Obwohl das Gesetz lediglich<br />
die Bezeichnung der Umstände erfordert, empfiehlt es sich, auch<br />
die verletzte Rechtsnorm zu zitieren 34 .<br />
cc) Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der<br />
erstinstanzlichen Tatsachenfeststellungen<br />
Gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO muss die Berufungsbegründung<br />
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte enthalten,<br />
die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen<br />
im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine<br />
erneute Feststellung gebieten. Anders als nach dem bisherigen<br />
Recht ist das Berufungsgericht gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an<br />
die Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz grundsätzlich gebunden,<br />
es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit<br />
oder Unvollständigkeit dieser Feststellungen. Ist der Berufungskläger<br />
mit den Tatsachenfeststellungen der ersten Instanz<br />
nicht einverstanden, muss er konkrete Anhaltspunkte gegen die<br />
Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen bereits<br />
in der Berufungsbegründung vortragen. Die geltend gemachten unrichtigen<br />
Tatsachenfeststellungen müssen ursächlich für das angefochtene<br />
Urteil gewesen sein 35 .<br />
dd) Neue Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
Schließlich erfordert § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO die Bezeichnung<br />
der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie derTatsachen,<br />
auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
nach § 531 Abs. 2 ZPO zuzulassen sind. Nach dem<br />
bisherigen Recht konnte die Berufung auf neue Tatsachen und/oder<br />
Beweismittel gestützt werden. Nach neuem Recht ist dies nur noch<br />
dann möglich, wenn die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
ausnahmsweise zuzulassen sind. Die Berufungsbegründung muss<br />
also hierzu enthalten:<br />
– die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
sowie<br />
– die Tatsachen, warum diese zuzulassen sind.<br />
32 Hier leistet das Lexikon der Verfahrensfehler von Schneider, ZPO-Reform<br />
Rdnr. 669 ff. wichtige Hilfe.<br />
33 S. Schellhammer, MDR 2001, 1141, 1143.<br />
34 Schellhammer, aaO.<br />
35 Schellhammer, aaO 1144.
130<br />
l<br />
Das ist der Fall,<br />
9 wenn das erstinstanzliche Gericht einen rechtlichen Gesichtspunkt<br />
erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten<br />
hat,<br />
9 wenn die Angriffs- und Verteidigungsmittel auf Grund eines<br />
Verfahrensmangels im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht<br />
wurden, oder<br />
9 wenn deren Geltendmachung in erster Instanz ohne Nachlässigkeit<br />
der Partei unterblieben ist.<br />
Der Berufungskläger muss sich nicht nur vom Vorwurf grober<br />
Nachlässigkeit (s. § 528 Abs. 2 letzt. Halbs. ZPO a. F.), sondern<br />
vom Vorwurf jeglicher Nachlässigkeit, also Fahrlässigkeit, entlasten.<br />
Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn die neue Tatsache<br />
oder das neue Beweismittel erst nach dem Schluss der mündlichen<br />
Verhandlung in der ersten Instanz entstanden ist oder bekannt geworden<br />
ist. Hat das erstinstanzliche Gericht die Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
bereits zu Recht als verspätet zurückgewiesen,<br />
bleiben sie gemäß § 531 Abs. 1 ZPO auch in der Berufungsinstanz<br />
ausgeschlossen.<br />
5. Anschlussberufung<br />
Wie bisher kann sich der Berufungsbeklagte der Berufung anschließen.<br />
Allerdings sind die Formerfordernisse hierfür gegenüber<br />
dem bisherigen Recht verschärft.<br />
Die Anschließung erfolgt durch Einreichung der Berufungsanschlussschrift<br />
bei dem Berufungsgericht (§ 524 Abs. 1 S. 2<br />
ZPO). Bereits in dieser Anschlussschrift muss die Anschlussberufung<br />
begründet werden (§ 524 Abs. 3 S. 1 ZPO). Diese Begründung<br />
muss die inhaltlichen Anforderungen an eine Berufungsbegründung<br />
erfüllen (§ 524 Abs. 3 S. 2 ZPO).<br />
Abweichend vom bisherigen Recht ist die Anschließung befristet.<br />
Sie kann nämlich nur binnen eines Monats ab der Zustellung<br />
der Berufungsbegründung eingelegt werden (§ 524 Abs. 2 S. 2<br />
ZPO).<br />
Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Berufung<br />
zurückgenommen, verworfen oder durch Beschluss zurückgewiesen<br />
wird (§ 524 Abs. 4 ZPO). Eine selbstständige Anschließung an<br />
die Berufung gibt es also nicht mehr. Will auch der Berufungsbeklagte<br />
gegen das Urteil vorgehen, ohne vom Bestand der Berufung<br />
des Gegners abhängig zu sein, muss er innerhalb der Berufungsfrist<br />
selbst Berufung einlegen.<br />
6. Zurückweisung durch Beschluss<br />
a) Verwerfung bei Unzulässigkeit<br />
Wie auch bisher wird die unzulässige Berufung verworfen.<br />
Nach mündlicher Verhandlung ergeht die Entscheidung hierüber<br />
durch Urteil, ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 522<br />
S. 3 ZPO). Dieser Beschluss ist nicht mehr mit der sofortigen Beschwerde<br />
(§ 519b Abs. 2 ZPO a. F.), sondern mit der Rechtsbeschwerde<br />
anfechtbar (§ 522 S. 4 ZPO).<br />
b) Zurückweisung bei aussichtsloser Berufung<br />
Nach neuem Recht kann die Berufung unter bestimmten<br />
Voraussetzungen auch durch Beschluss zurückgewiesen werden 36 .<br />
Die Gesetzesbegründung verkauft dies als einen für den Bürger<br />
effektiveren Rechtsschutz 37 . Der Bürger wird dies freilich anders<br />
sehen, weil ihm eher an einer Entscheidung des Berufungsgerichts<br />
auf Grund mündlicher Verhandlung gelegen ist. Für den Berufungsanwalt<br />
hat dies die unangenehme Folge, dass ihm die Verhandlungsgebühr<br />
nicht mehr anfällt 38 .<br />
Die Zurückweisung erfolgt durch einstimmigen Beschluss des<br />
Berufungsgerichts, wenn es davon überzeugt ist, dass<br />
– die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 522 Abs. 2<br />
S. 1 Nr. 1 ZPO),<br />
– die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 522<br />
Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO) und<br />
– die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />
Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts<br />
nicht erfordert (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 ZPO).<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Es müssen sämtliche der drei vorgenannten Voraussetzungen<br />
erfüllt sein.<br />
Vor einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss hat das<br />
Berufungsgericht oder ihr Vorsitzender die Parteien zuvor auf die<br />
beabsichtigte Zurückweisung und die Gründe hierfür hinzuweisen<br />
und dem Berufungskläger eine Frist zur Stellungnahme zu gewähren<br />
(§ 522 Abs. 2 S. 2 ZPO). Der Zurückweisungsbeschluss ist zu<br />
begründen, hierbei kann auf die vorgenannte Hinweisverfügung<br />
Bezug genommen werden (§ 522 Abs. 2 S. 3 ZPO).<br />
Der Zurückweisungsbeschluss ist gemäß § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar.<br />
7. Eingeschränkte Zurückverweisung<br />
Die Möglichkeit der Zurückverweisung an die erste Instanz ist<br />
abweichend vom bisherigen Recht erheblich eingeschränkt. Das<br />
Berufungsgericht darf die Sache nur noch dann an das Gericht des<br />
ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn einer der in § 538<br />
Abs. 2 ZPO genannten Gründe gegeben ist und wenn eine Partei<br />
die Zurückverweisung beantragt. Dieses Antrages bedarf es nur<br />
dann nicht, wenn das angefochtene Urteil ein Teilurteil ist, für dessen<br />
Erlass die Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht vorlagen.<br />
8. Prüfungsumfang in der Berufungsinstanz<br />
a) Prozessvoraussetzungen<br />
Das Berufungsgericht prüft nach wie vor die Zulässigkeit der<br />
Berufung und auch die Zulässigkeit der Klage von Amts wegen.<br />
Jedoch prüft das Berufungsgericht nicht mehr die erstinstanzliche<br />
Zuständigkeit oder Unzuständigkeit, da gemäß § 513 Abs. 2 ZPO<br />
die Berufung nicht mehr darauf gestützt werden kann, dass das<br />
Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen<br />
hat. Dies gilt für jegliche Zuständigkeit, also für die<br />
örtliche, die sachliche und auch für die ausschließliche Zuständigkeit.<br />
Folglich überprüft das Berufungsgericht auch nicht, ob das<br />
Familiengericht zu Unrecht eine gewöhnliche Zivilsache verhandelt<br />
hat oder das Zivilgericht eine Familiensache. Angesichts des<br />
eindeutigen Wortlauts des § 513 Abs. 2 ZPO dürfte in der Berufungsinstanz<br />
auch die fehlende internationale Zuständigkeit des<br />
erstinstanzlichen Gerichts nicht mehr überprüft werden dürfen 39 .<br />
b) Verfahrensfehler<br />
Verfahrensfehler, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen<br />
sind, können in der Berufungsinstanz nur dann überprüft werden,<br />
wenn sie gemäß § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO in der Berufungsbegründung<br />
gerügt worden sind. Ein derartiges Rügerecht hat die<br />
Partei gemäß § 534 ZPO bei verzichtbaren Verfahrensfehlern dann<br />
verloren, wenn die Partei das Rügerecht bereits in der ersten Instanz<br />
gemäß § 295 Abs. 1 ZPO durch rügelose Verhandlung verloren<br />
hatte.<br />
Demgegenüber hat das Berufungsgericht einige Verfahrensfehler<br />
auch ohne Rüge von Amts wegen zu berücksichtigen (§ 529<br />
Abs. 2 S. 1 ZPO). Hierzu gehören<br />
– das Fehlen von Prozessvoraussetzungen,<br />
– die Verletzung des § 308 Abs. 1 ZPO,<br />
– das Urteil ohne brauchbaren Tatbestand sowie<br />
– die grob gesetzeswidrige Urteilsberichtigung 40 .<br />
c) Materiell-rechtliche Fehler<br />
Über die materiell-rechtlichen Fehler des erstinstanzlichen Urteils<br />
entscheidet das Berufungsgericht im Rahmen der Berufungsanträge<br />
ohne Bindung an die geltend gemachten Berufungsgründe<br />
(§ 529 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />
36 S. hierzu Hirtz , MDR 2001, 1265.<br />
37 BT-Drucks. 14/4722 S. 64.<br />
38 Schmude/Eichele, BRAK-Mitt. 2001, 255, 261.<br />
39 So Schellhammer, aaO 1146; a. A. Baumbach/Lauterbach/Albers, § 513 ZPO<br />
Rdnr. 5.<br />
40 S. Schellhammer, aaO m. w. N.
AnwBl 3/2002 131<br />
Aufsätze l<br />
9. Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage<br />
Klageänderung, Aufrechnungserklärung und Widerklage sind<br />
gemäß § 533 ZPO nur zulässig, wenn<br />
– der Gegner einwilligt oder das Gericht dies für sachdienlich<br />
hält und<br />
– diese auf Tatsachen gestützt werden können, die das Berufungsgericht<br />
seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung<br />
ohnehin gemäß § 529 ZPO zu Grunde zu legen hat.<br />
Dies beruht auf dem Umstand, dass die Berufungsinstanz keine<br />
vollständige zweite Tatsacheninstanz ist, sondern lediglich der<br />
Rechtsfehlerbeseitigung dient. Deshalb kann das Berufungsgericht<br />
auch durch Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage nicht<br />
mit einem Tatsachenstoff befasst werden, der nach § 529 ZPO<br />
i. V. m. § 531 ZPO ausgeschlossen ist. Folglich muss dargelegt<br />
werden, dass die Klageänderung, Aufrechnungserklärung oder Widerklage<br />
eine Folge der mangelhaften Tatsachenfeststellungen<br />
durch das erstinstanzliche Gericht oder erstinstanzlicher Verfahrensmängel<br />
sind 41 . Diese Neuregelung führt dazu, dass künftig vermehrt<br />
neue Klagen erforderlich werden. Der Prozessbevollmächtigte<br />
der ersten Instanz wird dadurch gezwungen, Klageänderung<br />
und Aufrechnung bereits im ersten Rechtszug vorzubringen bzw.<br />
Widerklage zu erheben. Jedenfalls müssen die entsprechenden Tatsachen<br />
dort vorgebracht worden sein.<br />
Erklärt das Berufungsgericht die Klageänderung, Aufrechnung<br />
oder Widerklage als unzulässig, steht dies der späteren selbstständigen<br />
gerichtlichen Geltendmachung der damit verfolgten Ansprüche<br />
nicht entgegen 42 .<br />
10. Entscheidender Richter<br />
Nach neuem Recht entscheidet das Berufungsgericht durch den<br />
entscheidenden Einzelrichter, den vorbereitenden Einzelrichter<br />
oder durch die Kammer.<br />
a) Entscheidender Einzelrichter<br />
Das Berufungsgericht kann gemäß § 526 Abs. 1 ZPO den<br />
Rechtsstreit durch Beschluss einem seiner Mitglieder als Einzelrichter<br />
zur Entscheidung übertragen, wenn<br />
– die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen<br />
wurde,<br />
– die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher<br />
oder rechtlicher Art aufweist,<br />
– die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und<br />
– nicht bereits im Haupttermin zur Hauptsache verhandelt<br />
wurde.<br />
Der Einzelrichter hat dem Berufungsgericht den Rechtsstreit<br />
gemäß § 526 Abs. 2 ZPO zur Entscheidung über eine Übernahme<br />
vorzulegen, wenn<br />
– eine wesentliche Änderung der Prozesslage dazu geführt hat,<br />
dass sich besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten<br />
oder die grundsätzliche Bedeutung der Sache ergeben haben (§ 526<br />
Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO) oder<br />
– die Parteien dies übereinstimmend beantragen (§ 526 Abs. 2<br />
S. 1 Nr. 2 ZPO).<br />
Gemäß § 526 Abs. 2 S. 2 ZPO übernimmt das Berufungsgericht<br />
den Rechtsstreit, wenn die Voraussetzungen nach § 526<br />
Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen. Wie auch beim Einzelrichter in<br />
der ersten Instanz fehlt hier ebenfalls eine Regelung betreffend<br />
den übereinstimmenden Antrag der Parteien 43 .<br />
b) Vorbereitender Einzelrichter<br />
Ist die Sache nicht dem entscheidenden Richter des Berufungsgerichts<br />
übertragen, so kann die Sache einem seiner Mitglieder als<br />
Einzelrichter zur Vorbereitung der Entscheidung zugewiesen werden<br />
(§ 527 Abs. 1 S. 1 ZPO). Dieser hat die Sache so weit zu<br />
fördern, dass sie in einer mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht<br />
erledigt werden kann. Zu diesem Zweck kann der vorbereitende<br />
Einzelrichter auch einzelne Beweise erheben (§ 527<br />
Abs. 2 S. 2 ZPO). Hiergegen bestehen jedoch deshalb Bedenken,<br />
weil dies einen Verstoß gegen die Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme<br />
darstellt 44 .<br />
In § 527 Abs. 3 ZPO sind einzelne Entscheidungen aufgeführt,<br />
die der vorbereitende Einzelrichter treffen kann. Im Einverständnis<br />
der Parteien kann der Einzelrichter gemäß § 527 Abs. 4 ZPO auch<br />
im Übrigen entscheiden.<br />
11. Zurücknahme der Berufung<br />
Gemäß § 516 Abs. 1 ZPO kann der Berufungskläger die Berufung<br />
bis zur Verkündung des Berufungsurteils zurücknehmen. Der<br />
bisher ab Beginn der mündlichen Verhandlung des Berufungsbeklagten<br />
erforderlichen Einwilligung des Berufungsbeklagten<br />
bedarf es nicht mehr. Da das Urteil gemäß § 311 Abs. 2 S. 1 ZPO<br />
durch Vorlesung der – gesamten – Urteilsformel verkündet wird,<br />
kann die Berufungsrücknahme in der mündlichen Verhandlung<br />
folglich noch nach Verkündung der Sachentscheidung, jedoch vor<br />
Verkündung der Kostenentscheidung erklärt werden. Der Berufungsanwalt<br />
kann also hierdurch bei einer ihm ungünstigen Sachentscheidung<br />
das Zustandekommen des Berufungsurteils verhindern<br />
45 . Allerdings kann es dann geschehen, dass dann auch die<br />
Entscheidung über die Zulassung der Revision nicht mehr verkündet<br />
wird. Im Regelfall wird das Berufungsgericht jedoch seine<br />
Entscheidung am Schluss der Sitzung in Abwesenheit der Parteien<br />
verkünden. Wird die Rücknahme nicht in der mündlichen Verhandlung<br />
erklärt, erfolgt sie durch Einreichung eines Schriftsatzes<br />
(§ 516 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />
Die Entscheidung über den Verlust des eingelegten, zurückgenommenen<br />
Rechtsmittels und über die Kosten des Berufungsverfahrens<br />
hat das Gericht von Amts wegen durch Beschluss zu treffen<br />
(§ 516 Abs. 3 ZPO). Eines Antrags des Berufungsbeklagten<br />
bedarf es also nicht mehr.<br />
Checkliste Fristenkontrolle Berufung<br />
1. Urteil verkündet oder möglicherweise verkündet<br />
– Frist von 6 Monaten mit Vorfrist für Berufungseinlegung<br />
– Frist von 7 Monaten mit Vorfrist für Berufungsbegründung<br />
Beide Fristen können gelöscht werden, wenn entweder kein<br />
Urteil verkündet wurde oder ein Urteil vor Ablauf von 5 Monaten<br />
zugestellt wurde.<br />
2. Urteil berufungsfähig?<br />
– Beschwerdewert übersteigt 600 E oder<br />
– Berufung ist zugelassen.<br />
a) Urteil ist nicht berufungsfähig<br />
– Frist von 2 Wochen für Gehörsrüge sowie<br />
– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzungsantrag – etwa<br />
bei fehlender Entscheidung über die Zulassung der Berufung.<br />
b) Urteil ist berufungsfähig<br />
– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzung<br />
– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Berufungseinlegung<br />
– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Berufungsbegründung<br />
III. Neuregelungen im Revisionsverfahren<br />
Auch das Revisionsrecht wurde grundlegend geändert. Die<br />
frühere Wertrevision bei einem Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
von mehr als 60.000 DM ist abgeschafft worden. Dementsprechend<br />
hat das Revisionsgericht auch nicht mehr über eine Annahme<br />
der Revision zu entscheiden. Stattdessen gibt es nur noch<br />
die Zulassungsrevision.<br />
1. Statthaftigkeit der Revision<br />
Gemäß § 542 Abs. 1 ZPO findet die Revision gegen die in der<br />
Berufungsinstanz erlassenen Endurteile statt. Danach sind – anders<br />
als gemäß §§ 545 Abs. 1 ZPO a. F., 133 GVG a. F. – auch Endurteile<br />
der Berufungskammer mit der Revision anfechtbar. Dies ist<br />
41 Schneider, aaO S. 1087; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 533 ZPO Rdnr. 11.<br />
42 Baumbach/Lauterbach/ Albers, § 533 ZPO Rdnr. 12.<br />
43 S. o. I. 3.<br />
44 Schneider, aaO S. 1083.<br />
45 Hartmann, NJW 2001, 2577, 2591.
132<br />
l<br />
entgegen der Auffassung Schneiders 46 kein Formulierungsversehen<br />
des Gesetzgebers. Vielmehr ist dies eine vom Gesetzgeber gewollte<br />
Regelung mit der Folge, dass auch ein erstinstanzlich vor<br />
dem Amtsgericht verhandelter Rechtsstreit mit grundsätzlicher Bedeutung<br />
vom BGH entschieden werden kann 47 .<br />
2. Zulassung der Revision<br />
Gemäß § 543 Abs. 1 ZPO findet die Revision nur statt, wenn<br />
sie<br />
– entweder vom Berufungsgericht in dem Urteil, also nicht in<br />
einem gleichzeitig erlassenen Beschluss und auch nicht im Wege<br />
der Urteilsergänzung gemäß § 321 ZPO zugelassen wurde, oder<br />
– das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung<br />
zugelassen hat.<br />
Gemäß § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn<br />
– die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder<br />
– die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen<br />
Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts<br />
erfordert.<br />
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht<br />
gebunden (§ 543 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />
3. Nichtzulassungsbeschwerde<br />
Durch § 544 ZPO ist erstmals die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
eingeführt worden. Sie ist innerhalb einer Notfrist von einem<br />
Monat ab Zustellung des Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf<br />
von sechs Monaten nach Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht<br />
einzulegen. Die Nichtzulassungsbeschwerde muss von<br />
einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingelegt werden<br />
(s. § 78 Abs. 1 ZPO). Gemäß § 544 Abs. 2 ZPO ist die Beschwerde<br />
innerhalb von zwei Monaten seit Zustellung des Urteils,<br />
spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der<br />
Verkündung des Urteils zu begründen. Einlegung und Begründung<br />
müssen also innerhalb von zwei Monaten ab Zustellung des Urteils<br />
erfolgen48 .<br />
Das Verfahren über die Zulassung der Revision ist in § 544<br />
Abs. 3 u. 4 ZPO geregelt.<br />
Die Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde hemmt gemäß<br />
§ 544 Abs. 5 S. 1 ZPO die Rechtskraft des Berufungsurteils. Auf<br />
Antrag kann das Revisionsgericht anordnen, dass die Zwangsvollstreckung<br />
aus dem Berufungsurteil einstweilen eingestellt wird<br />
(§ 544 Abs. 5 S. 2 ZPO i. V. m. § 719 Abs. 2 u. 3 ZPO). Lehnt das<br />
Revisionsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde ab, wird das Urteil<br />
rechtskräftig (§ 544 Abs. 5 S. 3 ZPO). Wird hingegen der<br />
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben,<br />
wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt.<br />
Die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
gilt dann als Einlegung der Revision. Mit Zustellung<br />
der der Nichtzulassungsbeschwerde stattgebenden Entscheidung<br />
beginnt die Revisionsbegründungsfrist (§ 544 Abs. 6 ZPO).<br />
a) Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
Bis einschließlich 31.12.2006 ist die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision geltend<br />
gemachten Beschwer 20.000 Euro übersteigt (§ 26 Nr. 8 EGZPO).<br />
Dies hat zur Folge, dass für die Dauer der nächsten fünf Jahre trotz<br />
der Abschaffung der Streitwertrevision Berufungsurteile mit einer<br />
Beschwer unterhalb dieses Betrages nicht mit der Revision anfechtbar<br />
sind, wenn nicht das Berufungsgericht selbst die Revision<br />
zugelassen hat. Der Berufungsanwalt muss also darauf achten, dass<br />
er in diesen Fällen keinen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt<br />
mit der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde beauftragt, was<br />
bei diesem nach Rücknahme des Auftrages eine 10/10-Prozessgebühr<br />
auslöst.<br />
b) Ausschluss in Familiensachen<br />
In Familiensachen ist die Nichtzulassungsbeschwerde ebenfalls<br />
bis zum 31.12.2006 schlechthin ausgeschlossen (§ 26 Nr. 9<br />
EGZPO).<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
4. Revisionsgründe<br />
Die Vorschriften über die Revisionsgründe entsprechen der bisherigen<br />
Rechtslage. Entgegen dem bisherigen Recht (§ 551 Nr. 4<br />
ZPO a. F.) kann die Revision jedoch nicht mehr auf eine fehlerhafte<br />
Annahme oder Verneinung der Zuständigkeit durch das Gericht<br />
des ersten Rechtszuges gestützt werden. Folglich kann die<br />
Revision gestützt werden:<br />
– auf eine Rechtsverletzung gem. §§ 545 Abs. 1, 546 ZPO sowie<br />
– auf die absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO.<br />
5. Revisionsfrist<br />
Die Revisionsfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung<br />
des in vollständiger Form abgefassten Berufungsurteils,<br />
spätestens jedoch mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der<br />
Verkündung dieses Urteils (§ 548 ZPO).<br />
6. Revisionsbegründungsfrist<br />
Die Frist für die Begründung der Revision beträgt nunmehr<br />
zwei Monate (§ 551 Abs. 2 S. 2 ZPO). Sie beginnt – ebenso wie<br />
die Revisionsfrist – mit der Zustellung des in vollständiger Form<br />
abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten<br />
nach der Verkündung dieses Urteils (§ 551 Abs. 2 S. 3 ZPO). Damit<br />
stehen dem Rechtsanwalt – wie im Regelfall auch nach bisherigem<br />
Recht – für die Begründung der Revision insgesamt zwei Monate<br />
Zeit zur Verfügung.<br />
Die Möglichkeiten für die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist<br />
sind – vergleichbar mit der Berufungsbegründungsfrist<br />
– gegenüber dem bisherigen Recht eingeschränkt<br />
worden (s. § 551 Abs. 2 S. 5 u. 6 ZPO).<br />
7. Anschlussrevision<br />
Eine selbstständige Anschließung ist – ebenso wie bei der Berufung<br />
– nicht mehr vorgesehen. Die unselbstständige Anschlussrevision<br />
ist jedoch nunmehr – abweichend vom bisherigen Recht –<br />
auch dann statthaft, wenn die Revision für den Revisionsbeklagten<br />
weder vom Berufungsgericht noch vom Revisionsgericht auf eine<br />
Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen worden ist (§ 554 Abs. 2<br />
S. 1 ZPO).<br />
8. Zulassung der Sprungrevision<br />
Abweichend vom bisherigen Recht kann die Sprungrevision gegen<br />
sämtliche im ersten Rechtszug ergangene Endurteile eingelegt<br />
werden, also auch gegen Endurteile der Amtsgerichte (§ 566 Abs. 1<br />
S. 2 ZPO). Voraussetzung ist jedoch, dass die Endurteile mit der<br />
Berufung anfechtbar sind. Der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
muss folglich 600 Euro übersteigen (s. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).<br />
Die weiteren Verfahrensvorschriften entsprechen weitgehend<br />
der bisherigen Rechtslage. Jedoch ist die Zulassungsschrift innerhalb<br />
einer Frist von einem Monat ab Zustellung des angefochtenen<br />
Urteils einzureichen, für die eine Verlängerung nicht vorgesehen<br />
ist (§ 566 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 548 ZPO). In dieser kurzen Frist<br />
kann die gemäß § 566 Abs. 2 S. 4 ZPO beizufügende schriftliche<br />
Einwilligungserklärung des Antragsgegners kaum beigebracht werden<br />
49 .<br />
Checkliste Fristen Revision<br />
1. Urteil verkündet oder möglicherweise verkündet<br />
– Frist von 6 Monaten mit Vorfrist für Einlegung der Revision<br />
bzw. Nichtzulassungsbeschwerde<br />
– Frist von 7 Monaten mit Vorfrist für Begründung der Revision<br />
bzw. Nichtzulassungsbeschwerde<br />
46 AaO S. 1088.<br />
47 Büttner, MDR 2001,1201,1202; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 542 ZPO<br />
Rdnr. 1.<br />
48 Büttner, BRAK-Mitt. 2001, 2263,265; unrichtig Schneider, ZAP aaO S. 1088,<br />
der von einer Begründungsfrist von zwei weiteren Monaten ausgeht.<br />
49 Kritisch hierzu auch Büttner, MDR 2001, 1201, 1208.
AnwBl 3/2002 133<br />
Aufsätze l<br />
– Beide Fristen können gelöscht werden, wenn entweder<br />
kein Berufungsurteil verkündet wurde oder ein Urteil vor Ablauf<br />
von 5 Monaten zugestellt wurde.<br />
2. Urteil revisionsfähig?<br />
– Revision im Urteil zugelassen<br />
– Revision auf Nichtzulassungsbeschwerde zugelassen<br />
a) Revision ist zugelassen<br />
– Frist von 2 Wochen für Urteilsergänzung<br />
– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Revisionseinlegung<br />
– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Revisionsbegründung<br />
b) Revision nicht zugelassen<br />
– Beschwerdewert übersteigt 20.000 E und es handelt sich<br />
nicht um eine Familiensache<br />
– Frist von einem Monat mit Vorfrist für Beschwerdeeinlegung<br />
– Frist von 2 Monaten mit Vorfrist für Beschwerdebegründung<br />
IV. Sofortige Beschwerde<br />
Die bisherige Unterscheidung zwischen einfacher, also nicht<br />
fristgebundener, und sofortiger, also befristeter, Beschwerde ist mit<br />
der ZPO-Reform aufgegeben worden. Nunmehr sind alle ZPO-Beschwerden<br />
fristgebundene sofortige Beschwerden (§ 567 Abs. 1<br />
ZPO). Ebenfalls befristet ist die Erinnerung gegen die Entscheidung<br />
des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten<br />
der Geschäftsstelle (§ 573 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diese darf<br />
jedoch nicht mit der Rechtspfleger-Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2<br />
RPflG verwechselt werden, bei der die ZPO-Reform nichts geändert<br />
hat.<br />
1. Statthaftigkeit<br />
Gemäß § 567 Abs. 1 ZPO findet die sofortige Beschwerde gegen<br />
die im ersten Rechtszug ergangenen Entscheidungen der<br />
Amtsgerichte und Landgerichte statt, wenn<br />
– dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder<br />
– es sich um eine mündliche Verhandlung nicht erfordernde<br />
Entscheidung handelt, durch die ein das Verfahren betreffendes<br />
Gesuch zurückgewiesen worden ist.<br />
2. Beschwerdewert<br />
Die sofortige Beschwerde gegen eine Kostengrundentscheidung<br />
erfordert einen Beschwerdewert von über 100 Euro (§ 567<br />
Abs. 2 S. 1 ZPO). Die sofortige Beschwerde ist gleichwohl unstatthaft,<br />
wenn der Streitwert der Hauptsache 600 Euro nicht übersteigt<br />
(§§ 91a Abs. 2 S. 2, 99 Abs. 2 S. 2, 127 Abs. 2 S. 2 , 269<br />
Abs. 5 S. 1 ZPO).<br />
Gegen andere Entscheidungen über Kosten, insbesondere gegen<br />
Kosten- oder Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse, ist die sofortige<br />
Beschwerde nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes<br />
50 Euro übersteigt (§ 567 Abs. 2 S. 2 ZPO). Infolge der<br />
Umstellung auf Euro ist damit der Beschwerdewert geringfügig<br />
herabgesetzt worden.<br />
3. Anschließung<br />
Abweichend vom bisherigen Recht ist gemäß § 567 Abs. 3 S. 1<br />
ZPO nur noch die unselbstständige Anschlussbeschwerde gegeben.<br />
Folglich ist die Anschließung stets vom Schicksal der<br />
Hauptbeschwerde abhängig. Sie verliert ihre Wirkung, wenn die<br />
Hauptbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen<br />
wird (§ 567 Abs. 3 S. 2 ZPO). Will der Beschwerdeführer unabhängig<br />
von der Erstbeschwerde gegen die Entscheidung vorgehen,<br />
muss er seinerseits fristgemäß sofortige Beschwerde einlegen.<br />
4. Frist<br />
So weit keine andere Frist gesetzlich bestimmt ist, ist die sofortige<br />
Beschwerde binnen einer Notfrist von zwei Wochen bei dem<br />
Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird, oder bei dem Beschwerdegericht<br />
einzulegen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO). Diese Beschwerdefrist<br />
beginnt mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung,<br />
spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Monaten nach<br />
der Verkündung dieser Entscheidung (§ 569 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />
5. Begründung<br />
Gemäß § 571 Abs. 1 ZPO soll die Beschwerde begründet werden.<br />
Diese Begründung ist jedoch – von seltenen Ausnahmen abgesehen<br />
(s. § 620d S. 1 ZPO) – keine Zulässigkeitsvoraussetzung, sodass<br />
die Beschwerde nicht etwa als unzulässig verworfen werden<br />
darf 50 . Der Beschwerdeführer kann die Begründung bis zum Wirksamwerden<br />
der Beschwerde, also mit Herausgabe der Entscheidung,<br />
nachreichen. Geht eine Beschwerdebegründung nicht ein,<br />
kann das Gericht die Beschwerde als unbegründet zurückweisen 51 .<br />
Das Beschwerdegericht kann dem Beschwerdeführer auch eine<br />
Frist zur Begründung der Beschwerde setzen (§ 571 Abs. 3 S. 1<br />
ZPO). Gleiches gilt im Übrigen auch für die Begründung der Beschwerdeerwiderung.<br />
Wird die Begründung nicht fristgemäß vorgebracht,<br />
kann sie nur unter den eingeschränkten Voraussetzungen<br />
des § 571 Abs. 3 S. 2 ZPO zugelassen werden.<br />
Die Beschwerde kann nicht darauf gestützt werden, dass das<br />
Gericht des ersten Rechtszuges seine Zuständigkeit zu Unrecht<br />
angenommen hat (§ 571 Abs. 2 S. 2 ZPO).<br />
Die Beschwerde kann auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel<br />
gestützt werden (§ 571 Abs. 2 S. 1 ZPO).<br />
Ein bestimmter Antrag ist auch nach neuem Recht nicht Zulässigkeitsvoraussetzung.<br />
Im eigenen Interesse sollte der Beschwerdeführer jedoch von<br />
sich aus bereits in der Beschwerdeschrift einen bestimmten Antrag<br />
stellen und seine Beschwerde begründen.<br />
6. Anwaltszwang<br />
Für die Einlegung der sofortigen Beschwerde besteht nach wie<br />
vor kein Anwaltszwang, so weit die Beschwerde zu Protokoll der<br />
Geschäftsstelle erklärt werden kann (§ 569 Abs. 3 ZPO). Dies ist<br />
der Fall,<br />
– wenn der Prozess im ersten Rechtszug nicht als Anwaltsprozess<br />
zu führen ist,<br />
– wenn die Beschwerde die Prozesskostenhilfe betrifft,<br />
– wenn sich ein Zeuge, Sachverständiger oder Dritter i. S. d.<br />
§§ 142, 144 ZPO beschwert.<br />
Das gilt auch für die vom Beschwerdegericht angeordneten<br />
weiteren schriftlichen Erklärungen (§ 571 Abs. 4 S. 2 ZPO).<br />
7. Abhilfeprüfung<br />
Abweichend vom bisherigen Recht hat das Gericht oder der<br />
Vorsitzende, dessen Entscheidung angefochten wird, zu prüfen, ob<br />
die Beschwerde für begründet erachtet wird. In diesem Fall haben<br />
sie der Beschwerde abzuhelfen (§ 572 Abs. 1 S. 1 ZPO).<br />
8. Entscheidender Richter<br />
Vergleichbar mit dem Erkenntnisverfahren entscheidet nunmehr<br />
auch im Beschwerdeverfahren der Einzelrichter an Stelle des Kollegiums,<br />
wenn die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter<br />
oder einem Rechtspfleger erlassen wurde (§ 568 S. 1<br />
ZPO). Dieser kann das Verfahren unter den in § 568 S. 2 ZPO genannten<br />
Voraussetzungen dem Kollegium übertragen.<br />
Während im Erkenntnisverfahren ein neu in den Dienst eingetretener<br />
Richter auf Probe nicht als originärer Einzelrichter tätig<br />
werden kann (s. § 348 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 ZPO), ist dies im Beschwerdeverfahren<br />
zulässig. Dies ist insbesondere dann bedenklich,<br />
wenn es in dem Beschwerdeverfahren um besonders schwierige<br />
Rechtsgebiete geht 52 .<br />
Auch im Beschwerdeverfahren ist weder die erfolgte noch die<br />
unterlassene Übertragung anfechtbar (§ 568 S. 3 ZPO).<br />
Checkliste Fristenkontrolle Beschwerde<br />
1. Beschluss verkündet oder möglicherweise verkündet<br />
– Frist von 5 Monaten + Beschwerdefrist für Beschwerdeeinlegung<br />
50 BT-Drucks. 14/4722 S. 113.<br />
51 BT-Drucks. 14/4722 aaO.<br />
52 Kritisch auch Schneider, ZAP aaO S. 1090.
134<br />
l<br />
Diese Frist kann gelöscht werden, wenn entweder kein Beschluss<br />
verkündet wurde oder ein Beschluss vor Ablauf von 5<br />
Monaten zugestellt wurde.<br />
2. Beschluss beschwerdefähig?<br />
a) Kostengrundentscheidungen<br />
– Beschwerdewert (Kostenwert) übersteigt 100 E<br />
– Hauptsachewert übersteigt 600 E<br />
b) Kosten- und Vergütungsfestsetzungsbeschlüsse<br />
– Beschwerdewert übersteigt 50 E<br />
c) Prozesskostenhilfeentscheidungen<br />
– Versagung der PKH bei Verneinung der persönlichen oder<br />
wirtschaftlichen Voraussetzungen: kein Beschwerdewert<br />
– Verneinung der Erfolgsaussicht: Hauptsachewert übersteigt<br />
600 E<br />
3. Beschluss ist beschwerdefähig<br />
– in den Fällen 2 a) und b): Frist von 2 Wochen<br />
– in den Fällen 2 c): Frist von einem Monat<br />
V. Rechtsbeschwerde<br />
Erstmals ist die revisionsähnlich ausgestaltete Rechtsbeschwerde<br />
allgemein in die ZPO eingeführt worden. Die Rechtsbeschwerde<br />
ersetzt die bisher nur ausnahmsweise zulässig gewesene<br />
(s. §§ 568a, 621e Abs. 2 ZPO, § 17a Abs. 4 GVG) weitere<br />
Beschwerde zum BGH. Im Unterschied hierzu ist die Rechtsbeschwerde<br />
jedoch keine weitere Tatsacheninstanz mehr, was jedoch<br />
bisher die weitere Beschwerde in einigen Fällen (s. § 793<br />
Abs. 2 ZPO, § 7 InsO, § 3 Abs. 2 S. 3 SVertO, § 156 Abs. 2 S. 2<br />
KostO, die an das OLG gerichtet ist) der Fall war. Durch die Einführung<br />
der Rechtsbeschwerde an den BGH wird die Möglichkeit<br />
eröffnet, Grundsatzfragen auch in zivilprozessualen Beschwerdesachen<br />
höchstrichterlich zu klären. Als Beispiel hierfür sind in der<br />
Gesetzesbegründung 53 ausdrücklich die von verschiedenen Oberlandesgerichten<br />
unterschiedlich beantworteten Fragen des Kostenrechts<br />
angeführt.<br />
1. Statthaftigkeit<br />
Gemäß § 574 Abs. 2 ZPO ist die Rechtsbeschwerde unter zwei<br />
verschiedenen Voraussetzungen statthaft.<br />
a) Gesetzliche Regelung<br />
Dies ist einmal der Fall, wenn die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde<br />
im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist, insbesondere in<br />
folgenden Vorschriften: § 522 Abs. 1 S. 4 ZPO, § 1065 Abs. 1 S. 1<br />
ZPO, § 7 InsO, §§ 101 Abs. 2, 102 ZVG, § 53g Abs. 2 u. § 64<br />
Abs. 3 S. 1 FGG.<br />
In diesen Fällen ist die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 2<br />
ZPO nur zulässig,<br />
– wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder<br />
– wenn die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer<br />
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts<br />
erfordert.<br />
b) Zulassung<br />
Ferner ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn das Beschwerdegericht,<br />
das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten<br />
Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat. Gemäß § 574<br />
Abs. 3 S. 1 ZPO soll die Zulassung erfolgen, wenn die vorgenannten<br />
Voraussetzungen (grundsätzliche Bedeutung, Fortbildung des<br />
Rechts, Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung) vorliegen.<br />
Jedoch ist das Rechtsbeschwerdegericht an die Zulassung selbst<br />
dann gebunden, wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind<br />
(§ 574 Abs. 3 S. 2 ZPO).<br />
2. Frist, Form und Begründung<br />
Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Notfrist von einem Monat<br />
nach Zustellung des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift<br />
bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen<br />
(§ 575 Abs. 1 S. 1 ZPO). Innerhalb dieser Frist ist die Rechtsbeschwerde<br />
zu begründen (§ 575 Abs. 2 S. 1 u. 2 ZPO). Der<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Beschwerdeführer hat also ab Zustellung der angefochtenen Entscheidung<br />
nur einen Monat Zeit, seine Rechtsbeschwerde einzulegen<br />
und zu begründen 54 . Etwas kurios ist die Verweisung in § 575<br />
Abs. 2 S. 3 ZPO auf die Regelungen in § 551 Abs. 2 S. 5 u. 6<br />
ZPO, die die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist regeln.<br />
Die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist kann danach verlängert<br />
werden, die innerhalb des gleichen Zeitraums laufende Einlegungsfrist<br />
hingegen nicht.<br />
Rechtsbeschwerdegericht ist gemäß § 133 GVG der BGH.<br />
Die Anforderungen an die Begründung der Rechtsbeschwerde,<br />
die sich an die Revisionsbegründung anlehnen, sind in § 575 Abs. 3<br />
ZPO geregelt.<br />
Anders als für die sofortige Beschwerde in § 567 Abs. 2 ZPO<br />
bestimmt, ist für die Rechtsbeschwerde kein Beschwerdewert erforderlich.<br />
Dies kann dazu führen, dass der BGH mit Rechtsfragen<br />
beispielsweise in Kostensachen mit ganz geringem Wert befasst<br />
wird, etwa nur Berechnung der Dokumentenpauschale gemäß § 27<br />
BRAGO für Schriftsatzanlagen.<br />
Die Parteien können sich im Rechtsbeschwerdeverfahren nur<br />
durch einen beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt vertreten lassen<br />
(§ 78 Abs. 1 ZPO; Ausnahme: die Rechtsbeschwerde nach<br />
§ 621e Abs. 2 ZPO in bestimmten Familiensachen).<br />
Da die Rechtsbeschwerde nur dann aufschiebende Wirkung<br />
hat, wenn sie die Festsetzung eines Ordnungs- oder Zwangsmittels<br />
zum Gegenstand hat, kann das Rechtsbeschwerdegericht im Wege<br />
der einstweiligen Anordnung die Vollziehung der angefochtenen<br />
Entscheidung aussetzen (§ 575 Abs. 5 i. V. m. § 570 Abs. 1 u. 3<br />
ZPO).<br />
VI. Familiensachen<br />
1. Keine Präklusion<br />
Die Zurückweisung verspäteten Vorbringens bestimmt sich<br />
nach dem unverändert gebliebenen § 615 Abs. 1 ZPO. § 615 Abs. 2<br />
ZPO regelt, dass die verschärften allgemeinen Präklusionsbestimmungen<br />
der neu gefassten §§ 530, 531 ZPO in Familiensachen<br />
nicht gelten.<br />
Abweichend vom allgemeinen Rechtsbehelfsrecht ist in den<br />
zivilprozessualen Familiensachen (Unterhalt, Güterrecht) neues<br />
Vorbringen nicht umfassend ausgeschlossen. Die Regelung in<br />
§ 621 d S. 2 ZPO soll sicherstellen, dass der Sachverhalt in diesen<br />
Familiensachen auch noch in der zweiten Instanz aufgeklärt werden<br />
kann. Die Anwendung der neu gefassten §§ 530, 531 ZPO ist<br />
also auch hier ausgeschlossen.<br />
2. Rechtsbeschwerde<br />
In der Neufassung des § 621e Abs. 2 ZPO ist die bisherige<br />
weitere Beschwerde durch die neue Rechtsbeschwerde ersetzt worden,<br />
die unter den allgemeinen Voraussetzungen statthaft ist 55 .<br />
Entsprechend den allgemeinen Regelungen kann auch in den<br />
isolierten Familiensachen die Beschwerde und die Rechtsbeschwerde<br />
nicht auf Zuständigkeitsmängel des Gerichtes des ersten<br />
Rechtszuges gestützt werden (§ 621e Abs. 4 ZPO).<br />
VII. Einzelne Neuregelungen<br />
1. Verhandlung durch Bild- und Tonübertragung<br />
Nach dem neu eingefügten § 128a ZPO kann das Gericht im<br />
Einverständnis mit den Parteien auf Antrag gestatten, dass sich die<br />
Parteien und ihre Prozessbevollmächtigten während einer Verhandlung<br />
an einem anderen Ort aufhalten und dort Verfahrenshandlungen<br />
vornehmen können. Die Verhandlung von diesem Ort wird<br />
dann in Bild und Ton in das Sitzungszimmer übertragen (§ 128a<br />
Abs. 1 ZPO). Gleiches gilt dann gemäß § 128a Abs. 2 ZPO für die<br />
Vernehmung eines Zeugen, eines Sachverständigen oder einer Partei.<br />
Wer die Ausstattung der Berliner Gerichte kennt, muss nicht befürchten,<br />
dass diese Neuregelung dort alsbald praktiziert wird.<br />
53 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 116.<br />
54 BT-Drucks. 14/4722 S. 177; Baumbach/Lauterbach/Albers, § 575 ZPO Rn. 5;<br />
unrichtig Schneider, ZAP aaO S. 1091, nach dessen Auffassung für die Begründung<br />
eine Frist von einem weiteren Monat besteht.<br />
55 Dessen Anwendungsbereich ist durch Art 4 des Gewaltschutzgesetzes v.<br />
11.12.2001, BGBl. I S. 3513 erweitert worden.
AnwBl 3/2002 135<br />
Aufsätze l<br />
2. Prozessleitung des Gerichts<br />
Die bisher in §§ 139, 273, 278 ZPO a. F. geregelten Pflichten<br />
des Gerichts bei der Vorbereitung des Verhandlungstermins und zur<br />
Aufklärung des Sachverhalts sind nunmehr in dem neu gefassten<br />
§ 139 ZPO zusammengefasst worden. Hierbei ist auch die zu diesem<br />
Themenkreis ergangene Rechtsprechung in den Gesetzestext<br />
eingearbeitet worden. § 139 Abs. 4 S. 1 ZPO erlegt dem Gericht<br />
die Verpflichtung auf, die Hinweise an die Parteien so früh wie<br />
möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Die Erteilung<br />
kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden (§ 139<br />
Abs. 4 S. 2 ZPO). Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis<br />
der Fälschung zulässig (§ 139 Abs. 4 S. 3 ZPO). Das Unterlassen<br />
eines rechtlich gebotenen Hinweises verletzt nicht nur das in<br />
Art. 103 Abs. 2 GG bestimmte Grundrecht auf rechtliches Gehör,<br />
sondern stellt einen Verfahrensfehler i. S. d. §§ 539, 550 ZPO dar,<br />
der im Einzelfall die Zurückverweisung rechtfertigen kann 56 .<br />
Diese Regelung ermöglicht es den Prozessbevollmächtigten,<br />
durch gezielte Anträge auf Erfüllung der Aufklärungs- und Hinweispflichten<br />
des Gerichts gemäß § 139 ZPO das erstinstanzliche<br />
Verfahren zu steuern und damit ein aussichtsreiches Berufungsverfahren<br />
vorzubereiten 57 . In einem solchen Rechtsmittelverfahren<br />
sind allerdings die Beweisregelungen in § 139 Abs. 4 S. 2 u. 3<br />
ZPO zu beachten. Macht der Rechtsmittelkläger die Verletzung der<br />
gerichtlichen Hinweispflicht geltend, behauptet die andere Partei<br />
jedoch, das Gericht habe den vermissten Hinweis erteilt, ist der<br />
Beweis erbracht, dass der Hinweis nicht erteilt worden ist, wenn<br />
sich dessen Erteilung nicht aus den Akten ergibt. In einem solchen<br />
Fall ist der Gegenbeweis für den Rechtsmittebeklagten nur mit<br />
dem Nachweis der Fälschung der Akten möglich 58 . Problematisch<br />
ist dies allerdings, weil die Form für die Erteilung des gerichtlichen<br />
Hinweises gesetzlich nicht vorgeschrieben ist. Der Hinweis<br />
kann beispielsweise in einem Hinweisbeschluss oder in einer entsprechenden<br />
Verfügung erfolgen. Er kann jedoch auch mündlich<br />
in der Verhandlung oder außerhalb der Verhandlung telefonisch erfolgen<br />
und vom Richter dann durch einen entsprechendenVermerk<br />
dokumentiert werden. In einem solchen Fall wird jedoch regelmäßig<br />
nicht der Wortlaut des Hinweises fest gehalten, sondern lediglich<br />
die Tatsache, dass das Gericht auf einen bestimmten Gesichtspunkt<br />
hingewiesen habe. Hat der Richter den Hinweis nicht<br />
aktenkundig gemacht, kann dies nachträglich im Tatbestand des<br />
Urteils dokumentiert werden.<br />
3. Änderungen im PKH-Verfahren<br />
Gegen die Bewilligung der Prozesskostenhilfe findet nunmehr<br />
die sofortige Beschwerde der Staatskasse statt (§ 127 Abs. 3 S. 1<br />
ZPO). Diese ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat ab Bekanntgabe<br />
des Beschlusses einzulegen (§ 127 Abs. 3 S. 3 ZPO).<br />
Nach Ablauf von drei Monaten seit Verkündung der Entscheidung<br />
ist die Beschwerde nach wie vor unstatthaft (§ 127 Abs. 3 S. 4<br />
ZPO). Gegen die – teilweise – Versagung der Prozesskostenhilfe<br />
ist die sofortige Beschwerde statthaft, die innerhalb einer Notfrist<br />
von einem Monat einzulegen ist (§ 127 Abs. 2 S. 2 1. Halbs. u.<br />
S. 3 ZPO). Hat das Gericht ausschließlich die persönlichen oder<br />
wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,<br />
erfordert die sofortige Beschwerde keinen Beschwerdewert.<br />
In anderen Fällen – etwa bei fehlender Erfolgsaussicht der Klage –<br />
ist die Beschwerde nur statthaft, wenn der Streitwert der Hauptsache<br />
600 Euro übersteigt (§ 127 Abs. 2 S. 2 2. Halbs. ZPO). Ob<br />
auf den Streitwert der Hauptsache auch dann abzustellen ist, wenn<br />
es um die PKH-Bewilligung für ein Nebenverfahren – etwa für die<br />
Zwangsvollstreckung oder die Kostenfestsetzung – geht, erscheint<br />
zweifelhaft.<br />
4. Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung<br />
Nach der bisherigen Fassung des § 156 ZPO lag es im richterlichen<br />
Ermessen, eine einmal geschlossene mündliche Verhandlung<br />
wieder zu eröffnen. Dieses Ermessen wurde jedoch von der Rechtsprechung<br />
insbesondere bei Gehörsverletzungen oder Verstößen<br />
gegen die richterliche Hinweispflicht wesentlich eingeschränkt.<br />
Der neu angefügte § 156 Abs. 2 ZPO führt in nicht abschließender<br />
Aufzählung auf, in welchen Fällen das Gericht die Verhandlung<br />
wieder eröffnen muss, und zwar:<br />
– bei einem entscheidungserheblichen und rügbaren Verfahrensfehler,<br />
insbesondere bei einer Verletzung der Hinweis- und<br />
Aufklärungspflicht oder – bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches<br />
Gehör,<br />
– bei nachträglichem Vortrag von Tatsachen, die einen Wiederaufnahmegrund<br />
bilden oder<br />
– bei Ausscheiden eines Richters zwischen dem Schluss der<br />
mündlichen Verhandlung und dem Schluss der Beratung und Abstimmung.<br />
Liegt einer dieser Fälle vor, sollte der Rechtsanwalt die Wiedereröffnung<br />
der mündlichen Verhandlung ausdrücklich beantragen<br />
59 .<br />
5. Aussetzung bei Verdacht einer Straftat<br />
Die Aussetzung bei Verdacht einer Straftat hatte nach bisherigem<br />
Recht vielfach einen jahrelangen Stillstand des Rechtsstreits<br />
zur Folge. Der neu angefügte § 149 Abs. 2 ZPO eröffnet den Parteien<br />
die Möglichkeit, nach Ablauf eines Jahres seit der Aussetzung<br />
die Fortsetzung der Verhandlung zu beantragen. Das Gericht<br />
darf von der Fortsetzung des Verfahrens nur dann absehen, wenn<br />
gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen.<br />
6. Sicherheitsleistung<br />
Die prozessuale Sicherheit wird in den meisten Fällen durch<br />
eine Bankbürgschaft erbracht. Nach bisherigem Recht musste das<br />
Gericht dies gesondert – wenn auch formularmäßig – beschließen.<br />
Nunmehr ist diese Form der Sicherheitsleistung ausdrücklich in<br />
den Gesetzestext übernommen worden (§ 108 Abs. 1 S. 2 ZPO).<br />
Einer besonderen Entscheidung des Gerichts bedarf es also künftig<br />
nicht mehr.<br />
7. Klagerücknahme<br />
a) Einwilligung des Beklagten<br />
Die Klage kann – nach wie vor – ohne Einwilligung des Beklagten<br />
nur bis zum Beginn der mündlichen Verhandlung des Beklagten<br />
zur Hauptsache zurückgenommen werden (§ 269 Abs. 1<br />
ZPO). Für die zu einem späteren Zeitpunkt erklärte Klagerücknahme<br />
bedarf es der Einwilligung des Beklagten. Häufig blieb der –<br />
meist anwaltlich nicht vertretene – Beklagte nach einer solchen<br />
Klagerücknahme untätig, obwohl er gegen die Beendigung des Verfahrens<br />
keine Einwendungen hatte. Nach der Neuregelung des<br />
§ 269 Abs. 2 S. 4 ZPO wird die Einwilligung des Beklagten<br />
unterstellt.<br />
Die Klagerücknahme kann künftig nach Beginn der mündlichen<br />
Verhandlung nur noch durch Einreichung eines Schriftsatzes<br />
erklärt werden, nicht mehr in der mündlichen Verhandlung<br />
(§ 269 Abs. 2 S. 2 ZPO). Dieser Schriftsatz ist dem Beklagten<br />
dann zuzustellen. Widerspricht der Beklagte der Klagerücknahme<br />
nicht innerhalb einer Notfrist von zwei Wochen seit Zustellung dieses<br />
Schriftsatzes, gilt seine Einwilligung als erteilt (§ 269 Abs. 2<br />
S. 4 ZPO). Gegen die Versäumung dieser Notfrist besteht die<br />
Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß<br />
§ 233 ff. ZPO.<br />
b) Kosten nach Klagerücknahme<br />
Gemäß § 269 Abs. 3 S. 2 ZPO ist der Kläger nach wie vor verpflichtet,<br />
die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, so weit nicht bereits<br />
rechtskräftig über sie erkannt ist oder sie dem Beklagten aus<br />
einem anderen Grunde aufzuerlegen sind. Hierzu gehören beispielsweise<br />
– die Auferlegung der Kosten der Säumnis auf den Beklagten<br />
(§ 344 ZPO),<br />
– die Übernahme der Kosten durch den Beklagten in einem außergerichtlichen<br />
Vergleich,<br />
– der Verzicht des Beklagten auf eine Kostenerstattung oder<br />
– der Fall, dass eine wirksame Klagerücknahme nicht erklärt<br />
worden ist.<br />
56 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 77.<br />
57 So Schneider, ZAP aaO S. 1072; ausführlich hierzu s. Schneider, ZPO-Reform<br />
Rdnr. 64 ff.<br />
58 BT-Drucks. 14/4722 S. 78.<br />
59 S. Schneider, ZAP aaO S. 1067.
136<br />
l<br />
Nach dem bisherigen Recht war der Kläger – von diesen Ausnahmefällen<br />
abgesehen – selbst dann verpflichtet, die Kosten des<br />
Rechtsstreits zu tragen, wenn der Beklagte Anlass zur Klage gegeben<br />
und der Kläger nach Wegfall dieses Anlasses unverzüglich<br />
die Klagerücknahme erklärt hat. In einem solchen Fall hatte der<br />
Kläger nur zwei Möglichkeiten:<br />
– Er erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt; eine<br />
Kostenentscheidung nach § 91a ZPO setzte dann jedoch voraus,<br />
dass der Beklagte sich dieser Erledigungserklärung anschloss.<br />
– Oder der Beklagte machte im Wege der Klageänderung die<br />
bisherigen Kosten des Rechtsstreits als materiell-rechtlichen<br />
Kostenerstattungsanspruch geltend. Die Bezifferung dieses Schadensersatzanspruchs<br />
ist jedoch deshalb schwierig, weil materiellrechtlicher<br />
und prozessualer Kostenerstattungsanspruch teilweise<br />
identisch sind. Ausserdem wurden dem Kläger die Kosten des<br />
Rechtsstreits nach dem Verhältnis von ursprünglicher Hauptsache<br />
zu geltend gemachtem Kostenerstattungsanspruch auferlegt, sodass<br />
dieser häufig den grösseren Kostenanteil zu tragen hatte.<br />
Nach der Neuregelung des § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO kann das Gericht<br />
auf Antrag des Klägers über die Kosten – ähnlich wie in<br />
§ 91a ZPO – nach billigem Ermessen entscheiden, ohne dass es<br />
der Abgabe von Erledigungserklärungen bedarf. Damit wird dem<br />
materiell-rechtlichen Kostenerstattungsanspruch des Klägers Rechnung<br />
getragen, ohne dass ein neues Verfahren erforderlich wird.<br />
Gegen die Entscheidungen nach § 269 Abs. 3 ZPO ist nach wie<br />
vor die sofortige Beschwerde gegeben. Dies gilt jedoch nach der<br />
Neuregelung in § 269 Abs. 5 S. 1 Halbs. 2 ZPO nur dann, wenn<br />
der Streitwert der Hauptsache im Beschlusszeitpunkt die Berufungssumme<br />
gemäß § 511 ZPO – 600 Euro – übersteigt. Die sofortige<br />
Beschwerde ist nach § 269 Abs. 5 S. 2 ZPO unzulässig, sobald<br />
gegen einen auf Grund einer Kostenentscheidung nach § 269<br />
Abs. 3 ZPO ergangenen Kostenfestsetzungsbeschluss ein Rechtsmittel<br />
nach § 104 Abs. 3 S. 1 ZPO nicht mehr zulässig ist. Der<br />
Sinn dieser Regelung erschließt sich dem Praktiker jedoch nicht.<br />
Der Kostenbeschluss nach § 269 Abs. 3 u. 4 ZPO ist zumindest<br />
der beschwerten Partei förmlich zuzustellen, womit die Beschwerdefrist<br />
von zwei Wochen (§ 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) in Lauf gesetzt<br />
wird. Selbst wenn beispielsweise der Beklagte seinen Kostenfestsetzungsantrag<br />
unmittelbar nach Erlass bei Gericht einreicht, vergehen<br />
infolge der erforderlichen Anhörung des Klägers bereits<br />
rund zwei Wochen, bevor überhaupt über den Kostenfestsetzungsantrag<br />
entschieden wird. Die Frist für die Einlegung der sofortigen<br />
Beschwerde ist daher meist schon verstrichen, bevor überhaupt<br />
über den gegnerischen Kostenfestsetzungsantrag entschieden wird.<br />
Die Regelung hat ihren Sinn nur dann, wenn der Kostenbeschluss<br />
der hierdurch belasteten Partei verfahrensfehlerhaft nicht zustellt<br />
wird. In diesem Fall kann die beschwerte Partei sofortige Beschwerde<br />
gegen den Kostenbeschluss nur innerhalb der Frist für<br />
die Einlegung der sofortigen Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />
einlegen. Fraglich ist auch, welche Auswirkungen<br />
die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung<br />
der Beschwerdefrist gegen den Kostenbeschluss hat, wenn zu diesem<br />
Zeitpunkt die Frist zur Einlegung gegen den zwischenzeitlich<br />
erlassenen Kostenfestsetzungsbeschluss bereits verstrichen ist. Der<br />
Rechtsanwalt muss also in derartigen Fällen immer prüfen, ob er<br />
nicht vorsorglich ein Rechtsmittel gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss<br />
einlegt, was nach bisherigem Recht entbehrlich war.<br />
8. Änderungen im Beweisrecht<br />
a) Vorbereitende Anordnungen<br />
Gemäß § 141 Abs. 1 S. 1 ZPO kann das Gericht die Vorlegung<br />
von Urkunden und sonstigen Unterlagen unabhängig von einem<br />
Beweisantritt einer Partei anordnen, wenn sich eine Partei auf diese<br />
Urkunden und Unterlagen bezogen hat. Infolge der Neufassung des<br />
§ 142 Abs. 1 S. 1 ZPO kann eine solche Anordnung auch gegenüber<br />
einem Dritten erfolgen, es sei denn, es liegt einer der in § 142<br />
Abs. 2 ZPO geregelten Fälle vor.<br />
Das Gericht kann gemäß § 142 Abs. 1 S. 2 ZPO für die Vorlegung<br />
der Urkunden eine Frist setzen sowie anordnen, dass die<br />
vorgelegten Unterlagen (gemeint sind wohl auch Urkunden) während<br />
einer von dem Gericht zu bestimmenden Zeit auf der Geschäftsstelle<br />
verbleiben müssen. Versäumt die Partei die Frist,<br />
können die Urkunden nur unter den Voraussetzungen des § 296<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Abs. 1 ZPO zugelassen werden. Ferner gelten die beweisrechtlichen<br />
Folgen der Nichtvorlegung (§ 427 ZPO).<br />
Gemäß dem unverändert gebliebenen § 144 Abs. 1 S. 1 ZPO<br />
kann das Gericht unabhängig von einem Beweisantritt die Einnahme<br />
eines Augenscheins oder die Begutachtung durch Sachverständige<br />
anordnen. Hierzu kann das Gericht einer Partei oder<br />
einem Dritten die Vorlegung eines in ihrem oder seinem Besitz befindlichen<br />
Gegenstandes aufgeben und hierfür eine Frist setzen<br />
(§ 144 Abs. 1 S. 2 ZPO). Für die Folgen einer Fristversäumnis gelten<br />
die Ausführungen zur Anordnung der Urkundenvorlegung entsprechend.<br />
Gemäß § 144 Abs. 1 S. 3 ZPO kann das Gericht auch<br />
die Duldung der Augenscheinseinnahme oder der Begutachtung<br />
durch Sachverständige anordnen, sofern nicht eine Wohnung betroffen<br />
ist.<br />
b) Änderungen bei einzelnen Beweismitteln<br />
aa) Augenschein<br />
Befindet sich das Augenscheinsobjekt im Besitz eines Dritten,<br />
so kann der Beweisführer diesen Beweis in zweifacher Hinsicht<br />
antreten:<br />
– Er kann – wie bei der Regelung über den Urkundenbeweis 60<br />
– das Gericht um Bestimmung einer Frist für die Vorlegung des<br />
Augenscheinsobjekts ersuchen. Diese Möglichkeit kommt dann in<br />
Betracht, wenn der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen<br />
Rechts von dem Dritten die Herausgabe oder die Vorlegung<br />
des Augenscheinsobjekts verlangen kann.<br />
– Oder der Beweisführer kann eine gerichtliche Anordnung<br />
über die Einnahme des Augenscheins beantragen. Diese Möglichkeit<br />
kommt dann in Betracht, wenn eine materiell-rechtliche Verpflichtung<br />
des Dritten zur Vorlage und Herausgabe des Augenscheinsobjekts<br />
gegenüber dem Beweisführer nicht besteht 61 . Die<br />
Vorlegung kann indirekt durch Verhängung von Ordnungsgeld und<br />
Ordnungshaft erzwungen werden (§ 371 Abs. 2 S. 1 i. V. m. § 144<br />
Abs. 3 ZPO).<br />
Wenn die Gegenpartei die Herausgabe des in ihrem Besitz befindlichen<br />
Augenscheinsobjekts verweigert, das Augenscheinsobjekt<br />
zerstört oder beiseite schafft, können die Behauptungen des<br />
Beweisführers über die Beschaffenheit des Gegenstandes nach der<br />
Neuregelung in § 371 Abs. 3 ZPO als bewiesen angesehen werden.<br />
Durch das Gesetz zur Anpassung der Formvorschriften des Privatrechts<br />
und anderer Vorschriften an den modernen Rechtsverkehr<br />
62 wurde § 371 Abs. 1 S. 2 ZPO angefügt. Dies war allerdings<br />
bei der Neufassung des § 371 ZPO übersehen worden. Dieser<br />
Fehler ist durch Art. 5 Abs. 1 a) Nr. 1 des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes<br />
63 behoben worden. Der ein elektronisches Dokument<br />
betreffende Augenscheinsbeweis wird danach durch Vorlegung<br />
oder Übermittlung der Datei angetreten.<br />
bb) Urkundenbeweis<br />
Durch Ergänzung des § 428 ZPO wird dem Beweisführer, der<br />
sich zum Beweis auf eine im Besitz eines Dritten befindliche Urkunde<br />
beruft, die Möglichkeit eingeräumt, den Beweis auch dadurch<br />
anzutreten, dass er den Erlass einer gerichtlichen Anordnung<br />
nach § 142 ZPO beantragt. Der Beweisführer kann also<br />
unabhängig von dem gegenüber dem Dritten bestehenden materiell-rechtlichen<br />
Anspruch auf Vorlegung oder Herausgabe der Urkunde<br />
den Urkundenbeweis durch einen Antrag auf Anordnung<br />
der Urkundenvorlegung antreten. Diese kann gegenüber dem Dritten<br />
indirekt durch Ordnungsgeld und Ordnungshaft erzwungen<br />
werden (§ 142 Abs. 2 S. 2 i. V. m. § 390 ZPO). Die vergessene<br />
Entschädigungsregelung zugunsten des Dritten Augenscheinsund<br />
Urkundenbeweis soll zum 1.7.2002 durch Ergänzung des §<br />
17a ZSEG nachgeholt werden.<br />
9. Entscheidungsform bei Verwerfung des Einspruchs<br />
Bei Unzulässigkeit des Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil<br />
oder einen Vollstreckungsbescheid konnte das erstinstanzliche Ge-<br />
60 S. nachfolgend bb).<br />
61 S. BT-Drucks. 14/4722 S. 90.<br />
62 Gesetz vom 18.7.2001, BGBl. I S. 1543.<br />
63 Vom 26.11.2001, BGBl. I S. 3138.
AnwBl 3/2002 137<br />
Aufsätze l<br />
richt nach bisherigem Recht den Einspruch ohne mündliche Verhandlung<br />
durch Beschluss oder auf Grund mündlicher Verhandlung<br />
durch Urteil verwerfen. Gegen den Beschluss war nach § 341<br />
Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. die sofortige Beschwerde gegeben, gegen das<br />
Urteil die Berufung.<br />
Die Neuregelung in § 341 Abs. 2 ZPO sieht zwingend die Urteilsform<br />
vor. Hierbei hat das Gericht die Wahl, ob es dieses Urteil<br />
auf Grund oder ohne mündliche Verhandlung fällt.<br />
Gegen dieses Urteil ist dann nur noch die Berufung gegeben.<br />
VIII. Änderungen im Kosten- undVergütungsfestsetzungsverfahren<br />
1. Vergütungsfestsetzungsverfahren<br />
Die bisherige Fassung des § 19 Abs. 2 S. 3 BRAGO verwies<br />
auf die für das Kostenfestsetzungsverfahren geltenden Vorschriften<br />
der ZPO. Nunmehr sind die Vorschriften der jeweiligen Verfahrensordnung<br />
über das Kostenfestsetzungsverfahren anwendbar, insbesondere<br />
§ 46 Abs. 2 ArbGG, § 155 FGO, § 173 VwGO, §§ 197,<br />
202 SGG, § 13a Abs. 3 FGG, die allerdings teilweise wieder auf<br />
die ZPO verweisen.<br />
2. Verzinsung<br />
Infolge der Änderung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO ist der Erstattungsbetrag<br />
nicht nur mit 4 % zu verzinsen, sondern mit fünf Prozentpunkten<br />
über dem Basiszinssatz nach dem Diskontsatz-<br />
Überleitungsgesetz. Diese Neuregelung ist durch Art 5 Abs. 3 Nr.<br />
1 a) des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes mit Wirkung vom<br />
1.1.2002 dahin geändert worden, dass nunmehr die Verzinsung mit<br />
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB 64 erfolgt.<br />
Damit betragen die Zinssätze in Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren,<br />
in denen § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO anwendbar ist:<br />
– bis 30.9.2001: 4%,<br />
– vom 1.10.2001 bis zum 31.12.2001: 8,62 % und<br />
– vom 1.1.2002: 7,57 %.<br />
Diese Regelung gilt für alle Kostenfestsetzungsverfahren nach<br />
der ZPO und den Verfahrensordnungen, in denen sich die Kostenfestsetzung<br />
nach den §§ 103 ff. ZPO bestimmt, insbesondere<br />
– in Verfahren vor dem Arbeitsgericht,<br />
– in Verfahren vor dem Finanzgericht,<br />
– in Verfahren vor dem Verwaltungsgericht,<br />
– in Verfahren vor dem Sozialgericht,<br />
– in Verfahren der Freiwilligen Gerichtsbarkeit,<br />
– im Vergütungsfestsetzungsverfahren.<br />
Bei der Neuregelung hat der Gesetzgeber jedoch übersehen,<br />
den unverändert gebliebenen Wortlaut der §§ 464b S. 2 StPO, 106<br />
Abs. 1 S. 2 OWiG zu ändern 65 . In diesen Verfahren bleibt es also<br />
zunächst – auf Grund eines Versehens des Gesetzgebers – bei dem<br />
bisherigen Zinssatz von 4 %.<br />
Die Neuregelung ist bereits am 1.10.2001 in Kraft getreten 66 .<br />
Für die entsprechende Anhebung der Verzugs- und Prozesszinsen<br />
in § 288 Abs. 1 S. 1 BGB gibt es die Überleitungsvorschrift des<br />
Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB. Danach gilt die in § 288 BGB<br />
eingeführte Neuregelung der Verzinsung für Anforderungen, die ab<br />
dem 1.5.2000 – dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung – fällig geworden<br />
sind. Für die Neuregelung des § 104 Abs. 1 S. 2 ZPO hat<br />
der Gesetzgeber hingegen keine Übergangsregelung getroffen 67 .<br />
Dies führt zu unterschiedlichen Auffassungen in Übergangsfällen:<br />
– Für die Zeit ab 1.10.2001 sind sämtliche Kostenerstattungsforderungen,<br />
selbst wenn sie in einem früheren Beschluss bereits<br />
festgesetzt worden sind, mit dem höheren Zinssatz festzusetzen.<br />
– Entsprechend Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB ist die höhere<br />
Verzinsung ab 1.10.2001 nur für diejenigen Kostenerstattungsansprüche<br />
anzuordnen, die ab dem 1.5.2000 fällig geworden sind.<br />
– In doppelter Analogie des Art. 229 § 1 Abs. 1 S. 2 EGBGB<br />
gilt die höhere Verzinsung nur für diejenigen Kostenerstattungsansprüche,<br />
die erst ab dem 1.10.2001 fällig geworden sind 68 .<br />
3. Rechtsbehelfe<br />
a) Beschwerdewert über 50 Euro<br />
Übersteigt der Wert des Beschwerdegegenstandes 50,00 Euro<br />
(s. § 567 Abs. 2 S. 2 ZPO), ist gegen die Entscheidung des Rechtspflegers<br />
im Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren die so-<br />
fortige Beschwerde gegeben (§ 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 104<br />
Abs. 3 S. 1, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Hierbei hat der Rechtspfleger<br />
eine Entscheidung darüber zu treffen, ob der sofortigen Beschwerde<br />
abgeholfen wird (§ 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. § 572 Abs.<br />
1 S. 1 ZPO) 69 .<br />
b) Beschwerdewert bis 50 Euro<br />
In diesen Fällen ist gegen Rechtspfleger-Entscheidungen nach<br />
wie vor die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RPflG gegeben,<br />
der der Rechtspfleger abhelfen kann.<br />
4. Rechtsbeschwerde<br />
Wie oben ausgeführt 70 kann auch in Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren<br />
die Rechtsbeschwerde eingelegt werden,<br />
wenn sie vom Beschwerdegericht gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO<br />
zugelassen worden ist 71 . Da ein Beschwerdewert nicht vorgesehen<br />
ist, ist die Rechtsbeschwerde auch bei Beschwerdewerten unter<br />
50 E statthaft 72 . Gibt beispielsweise das Landgericht einer sofortigen<br />
Beschwerde überwiegend statt und weist sie nur wegen 3 E<br />
Dokumentenpauschale ab, kann es insoweit wegen dieser 3 E die<br />
Rechtsbeschwerde zulassen.<br />
5. Entscheidender Richter<br />
a) Sofortige Beschwerde<br />
Gemäß § 568 S. 1 ZPO entscheidet über die sofortige Beschwerde<br />
gegen Entscheidungen des Rechtspflegers im Kostenund<br />
Vergütungsfestsetzungsverfahren der Einzelrichter des Beschwerdegerichts<br />
originär. Dieser kann gemäß § 568 S. 2 ZPO das<br />
Verfahren dem Beschwerdegericht in voller Besetzung übertragen,<br />
wenn<br />
– die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder<br />
rechtlicher Art aufweist oder<br />
– die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.<br />
Auch hier kann ein Rechtsmittel auf eine erfolgte oder unterlassene<br />
Übertragung nicht gestützt werden (§ 568 S. 3 ZPO).<br />
b) Erinnerung<br />
Hilft der Rechtspfleger der Erinnerung nicht ab, legt er sie gemäß<br />
§ 11 Abs. 2 S. 3 RPflG dem Richter zur Entscheidung vor.<br />
Zuständig ist gemäß § 28 RPflG dann der nach den allgemeinen<br />
Verfahrensvorschriften zuständige Richter. Folglich ist zur Entscheidung<br />
über die Erinnerung berufen:<br />
– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Amtsgerichts<br />
der Richter des Amtsgerichts,<br />
– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Familiengerichts<br />
das OLG sowie<br />
– gegen Entscheidungen des Rechtspflegers des Landgerichts<br />
das Landgericht.<br />
Für das Erinnerungsverfahren gelten über § 11 Abs. 2 S. 4<br />
RPflG die Vorschriften für das Beschwerdeverfahren entsprechend,<br />
sodass auch dort originär der Einzelrichter zuständig ist 73 .<br />
IX. Rechtsanwaltsgebühren<br />
1. Sprungrevision<br />
Gemäß § 31a BRAGO erhält der Rechtsanwalt im Verfahren<br />
über den Antrag auf Zulassung der Sprungrevision die für das Revisionsverfahren<br />
bestimmten Gebühren. Da die Zulassungsschrift<br />
64 Art 229 § 7 EGBGB.<br />
65 Die vergessene Anpassung wird jedoch zum 1.7.2002 vorbereitet, s. die Mitteilung<br />
des BMJ v. 19.11.2001, abgedruckt bei Hansens, BRAGOreport 2001,<br />
179.<br />
66 Art. 53 Nr. 1 ZPO-RG; unrichtig Baumbach/Lauterbach/Hartmann, § 104<br />
ZPO Rdnr. 24, der den 1.1.2002 nennt.<br />
67 Vgl. auch hierzu die nicht überzeugende Mitteilung des BMJ aaO.<br />
68 S. hierzu ausführlich Hansens, BRAGOreport 2001, 131.<br />
69 S. Hansens, Rpfleger 2001, 573, 576 sowie AnwBl 2002, 11, 16.<br />
70 S. oben V.<br />
71 Hansens, Rpfleger 2001, 573, 578.<br />
72 A. A. Schütt MDR 2001, 1278, 1280.<br />
73 Schütt aaO sieht in entsprechender Anwendung von § 348 ZPO ebenfalls den<br />
Einzelrichter als zuständig an.
138<br />
l<br />
von einem beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt eingereicht werden<br />
muss, erhält dieser Rechtsanwalt gemäß § 11 Abs. 1 S. 5<br />
BRAGO eine 20/10-Prozessgebühr, eventuell weitere anfallende<br />
Gebühren i. H. v. 13/10 der vollen Gebühr. Gleiches gilt grundsätzlich<br />
auch für den beim BGH zugelassenen Rechtsanwalt des Gegners.<br />
Anders als für die Nichtzulassungsbeschwerde geregelt 74 , gibt<br />
es keine Regelung, dass die durch Einreichung der Zulassungsschrift<br />
angefallene volle Prozessgebühr auf die Prozessgebühr des<br />
Revisionsverfahrens anzurechnen ist, wenn die Revision gemäß<br />
§ 566 Abs. 7 ZPO zugelassen und das Verfahren als Revisionsverfahren<br />
fortgesetzt wird. Da allerdings das gesamte auf eine Sprungrevision<br />
eingeleitete Revisionsverfahren gebührenrechtlich nur<br />
eine einzige Angelegenheit i. S. v. § 13 Abs. 1 BRAGO ist, erhält<br />
der Rechtsanwalt gleichartige Gebühren nur einmal 75 .<br />
Die gemäß § 566 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 4 ZPO erforderliche<br />
schriftliche Einwilligung des Rechtsanwalts des Antragsgegners<br />
gehört für den Prozessbevollmächtigten des ersten Rechtszuges gemäß<br />
§ 37 Nr. 7 BRAGO zum Gebührenrechtszug. Die Einwilligung<br />
wird also durch die im ersten Rechtszug angefallene Prozessgebühr<br />
mit abgegolten. Wird die Einwilligung nicht von dem erstinstanzlichen<br />
Prozessbevollmächtigten erklärt, erhält der Rechtsanwalt gemäß<br />
§ 56 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO eine halbe Gebühr.<br />
2. Gehörsrüge<br />
Die Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten im Verfahren der<br />
Gehörsrüge nach § 321a ZPO gehört gemäß § 37 Nr. 5 BRAGO<br />
zum Gebührenrechtszug, wird also durch die Prozessgebühr mit<br />
abgegolten. Der nur für dieses Verfahren bestellte Rechtsanwalt erhält<br />
gemäß § 55 BRAGO die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren<br />
i. H. v. 3/10 der vollen Gebühr 75a .<br />
3. Nichtzulassungsbeschwerde<br />
Gemäß § 61a Abs. 1 Nr. 2 BRAGO erhält der Rechtsanwalt im<br />
Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision<br />
gemäß § 544 ZPO die in § 31 BRAGO bestimmten Gebühren.<br />
Da sich die Parteien in diesem Verfahren nur durch BGH-Anwälte<br />
vertreten lassen können, erhalten diese die Prozessgebühr i. H.v.<br />
20/10 der vollen Gebühr, alle weiteren ggf. anfallenden Gebühren<br />
i. H. v. 13/10 der vollen Gebühr. Dies stellt § 61a Abs. 3 BRAGO<br />
klar, der allerdings auf die nicht existierenden Absätze 4 und 5 des<br />
§ 11 BRAGO – gemeint ist § 11 Abs. 1 S. 4 u. 5 BRAGO 76 verweist.<br />
Wird der selbe Rechtsanwalt im anschließenden Revisionsverfahren<br />
als Prozessbevollmächtigter tätig, erhält er ebenfalls die in<br />
§ 31 BRAGO bestimmten Gebühren in der selben Höhe. Gemäß<br />
§ 14 Abs. 2 S. 1 BRAGO ist nämlich das Verfahren über das zugelassene<br />
Rechtsmittel ein neuer Rechtszug. Demgegenüber vertritt<br />
Büttner 77 die Auffassung, das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
und das Revisionsverfahren seien gebührenrechtlich<br />
eine Einheit. Dagegen spricht auch die Regelung in § 61a Abs. 4<br />
BRAGO, nach der die im Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
angefallene Prozessgebühr auf die Prozessgebühr desselben<br />
Rechtsanwalts angerechnet wird, die dieser in dem nachfolgenden<br />
Revisionsverfahren erhält 77a . Wären Nichtzulassungsbeschwerde<br />
und anschließendes Revisionsverfahren eine einzige<br />
gebührenrechtliche Angelegenheit, bedürfte es dieser Anrechnungsvorschrift<br />
nicht. Durch diese Vorschrift wird auch Gewähr<br />
leistet, dass sich der Rechtsstreit durch das neu eingeführte Verfahren<br />
der Nichtzulassungsbeschwerde nicht verteuert. Da im Verfahren<br />
der Nichtzulassungsbeschwerde regelmäßig keine mündliche<br />
Verhandlung stattfindet und erst recht kein Beweis erhoben wird,<br />
fällt lediglich die Prozessgebühr an. Infolge der Anrechnungsbestimmung<br />
des § 61a Abs. 4 BRAGO entstehen letztlich nicht<br />
mehr Gebühren als im Revisionsverfahren bei Zulassung der Revision<br />
durch das Berufungsgericht angefallen wären.<br />
4. Güteverhandlung<br />
In dieser fällt dem Rechtsanwalt für die Wahrnehmung des Termins<br />
gem. § 31 Abs. 1 Nr. 1 BRAGO die volle Prozessgebühr an.<br />
Die Erörterung der Sach- und Rechtslage löst die Erörterungsgebühr<br />
nach § 31 Abs. 1 Nr. 4 BRAGO aus. Für die Mitwirkung<br />
beim Abschluss eines Vergleichs erhält der Anwalt die Vergleichsgebühr<br />
des § 23 Abs. 1 BRAGO, auch wenn der Vergleich durch<br />
einen Feststellungsbeschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO zu Stande<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
kommt. Schließt sich der Güteverhandlung die mündliche Verhandlung<br />
an, gehört diese gem. § 13 Abs. 3 BRAGO zum Gebührenrechtszug,<br />
sodass der Rechtsanwalt gleichartige Gebühren, die er<br />
bereits in der Güteverhandlung verdient hat, nicht erneut berechnen<br />
kann 78a .<br />
X. Inkrafttreten, Übergangsregelungen<br />
1. Inkrafttreten<br />
Die weitaus meisten neuen Vorschriften sind am 1.1.2002 in<br />
Kraft getreten. Lediglich die Neuregelung der Verzinsung im Kosten-<br />
und Vergütungsfestsetzungsverfahren 78 ist bereits am 1.10.2001<br />
in Kraft getreten.<br />
2. Übergangsregelungen<br />
Durch die Übergangsregelungen in § 26 EGZPO soll erreicht<br />
werden, dass die Neuregelungen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt<br />
auch bei den bereits anhängigen Verfahren anwendbar sind.<br />
a) Anwaltszwang<br />
Ist nach dem Landesrecht für Berufungen und Beschwerden gegen<br />
Entscheidungen der Amtsgerichte das OLG zuständig 79 , so gilt<br />
für eine Übergangszeit von fünf Jahren jeder bei irgend einem<br />
Landgericht zugelassener Rechtsanwalt bei dem Oberlandesgericht<br />
als zugelassen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsanwälte,<br />
die bisher in Berufungsverfahren gegen Urteile der Amtsgerichte<br />
vor den Landgerichten postulationsfähig waren, einen Bestandsschutz<br />
für ihren bisherigen Tätigkeitsbereich für den Fall haben,<br />
dass über die genannten Rechtsmittel nunmehr von dem Oberlandesgericht<br />
entschieden wird. Hiervon ausgenommen sind familiengerichtliche<br />
Berufungsverfahren, die auch nach bisherigem Recht<br />
schon zur Zuständigkeit der Oberlandesgerichte gehören.<br />
3. Allgemeine Vorschriften und Verfahren im ersten Rechtszug<br />
Gemäß § 26 Nr. 2 EGZPO bleiben im ersten Rechtszug für die<br />
bis zum 31.12.2001 anhängig gewordenen Verfahren nur einige<br />
wenige Vorschriften anwendbar, und zwar:<br />
– sachliche Zuständigkeit der Amtsgerichte nach dem Streitwert<br />
(§ 23 GVG),<br />
– Kostenlast bei geringfügigem Unterliegen (§ 92 Abs. 2 ZPO),<br />
– schriftliches Verfahren (§ 128 ZPO),<br />
– Kosten nach Klagerücknahme (§ 269 Abs. 3 ZPO),<br />
– Haupttermin (§ 278 ZPO),<br />
– Urteilsinhalt (§ 313a ZPO),<br />
– Bagatellverfahren (§ 495a ZPO).<br />
Hierdurch wird erreicht, dass die Parteien von einer nicht vorhersehbaren<br />
Rechtsfolge überrascht werden, auf die sie sich nicht<br />
mehr einstellen können.<br />
Demgegenüber sollen alle übrigen, nicht in § 26 Nr. 2 S. 1<br />
EGZPO aufgeführten Neuregelungen ab dem 1.1.2002 auch in den<br />
Altverfahren anwendbar sein. Hierzu gehören insbesondere:<br />
– Aufklärungs- und Hinweispflichten (§ 139 ZPO),<br />
– vorbereitende Anordnung der Urkundenvorlegung und des<br />
Augenscheins (§§ 142, 144 ZPO),<br />
– Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO),<br />
– Gehörsrüge (§ 321a ZPO).<br />
a) Berufung<br />
Gemäß § 26 Nr. 5 EGZPO gilt für die Berufung das bisherige<br />
Recht weiter, wenn die mündliche Verhandlung der ersten In-<br />
74 S. nachfolgend 3; Enders JurBüro 2002, 1, 2 wendet § 14 Abs. 2 S. 2 BRAGO<br />
entsprechend an.<br />
75 Hartmann, KostG, 31. Aufl. 2002, § 31a BRAGO Rdnr. 5.<br />
75a Enders JurBüro 2002, 57.<br />
76 Nunmehr berichtigt durch Art . 5 Abs. 1a) Nr. 5 des Schuldrechts-Modernisierungsgesetzes.<br />
77 MDR 2001, 1201, 1209.<br />
77a So auch Enders aaO, S. 4.<br />
78 S. o. VII. 2.<br />
78a S. hierzu Enders JurBüro 2001, 617.<br />
79 S. o. II. 1.
AnwBl 3/2002 139<br />
Aufsätze l<br />
stanz, auf die das anzufechtende Urteil ergeht, vor dem 1.1.2002<br />
geschlossen worden ist. In schriftlichen Verfahren ist der Zeitpunkt<br />
maßgeblich, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können.<br />
Folglich gelten die neuen Berufungsvorschriften für die am<br />
31.12.2001 anhängigen erstinstanzlichen Rechtsstreitigkeiten nur<br />
unter folgenden Voraussetzungen:<br />
– Der Rechtsstreit muss am 31.12.2001 noch im ersten Rechtszug<br />
anhängig sein und<br />
– die mündliche Verhandlung darf am 1.1.2002 noch nicht geschlossen<br />
sein oder<br />
– im schriftlichen Verfahren fällt der dem Schluss der mündlichen<br />
Verhandlung entsprechende Zeitpunkt in das Jahr 2002.<br />
b) Revision<br />
Eine vergleichbare Regelung trifft § 26 Nr. 7 EGZPO für die<br />
Revision. Das neue Revisionsrecht findet also nur in folgenden<br />
Übergangsfällen Anwendung:<br />
– Der Rechtsstreit muss noch am 31.12.2001 anhängig gewesen<br />
sein und<br />
– die mündliche Verhandlung, auf die das anzufechtende Urteil<br />
ergeht, ist am 1.1.2002 noch nicht geschlossen oder<br />
– der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entsprechende<br />
Zeitpunkt fällt in das Jahr 2002.<br />
Durch § 26 Nr. 8 EGZPO ist die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
bis zum 31.12.2006 dahin eingeschränkt, dass der Wert der mit<br />
der Revision geltend zu machenden Beschwer 20.000 Euro übersteigen<br />
muss. Damit wird die gerade abgeschaffte Streitwertrevision<br />
über diese Hintertür für eine längere Übergangszeit für die<br />
Fälle wieder eingeführt, in denen das Berufungsgericht die Revision<br />
nicht zugelassen hat.<br />
In Familiensachen ist die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß<br />
§ 26 Nr. 9 EGZPO insgesamt nicht gegeben, wenn die anzufechtende<br />
Entscheidung vor dem 1.1.2007 verkündet oder einem Beteiligten<br />
zugestellt oder sonst bekannt gemacht worden ist. Damit<br />
findet die Revision bis zu diesem Zeitpunkt nur bei Zulassung<br />
statt.<br />
4. Beschwerde<br />
Das bisherige Beschwerderecht gilt für die am 31.12.2001 anhängigen<br />
Verfahren weiter, wenn die anzufechtende Entscheidung<br />
vor dem 1.1.2002 verkündet oder – so weit eine Verkündung nicht<br />
stattgefunden hat – der Geschäftsstelle übergeben worden ist.<br />
Schwierigkeiten bereitet die Feststellung dieses Zeitpunktes insbesondere<br />
im Kosten- und Vergütungsfestsetzungsverfahren, in<br />
denen die Rechtspfleger-Entscheidungen grundsätzlich nicht<br />
verkündet werden und in denen häufig auch die Übergabe der Entscheidung<br />
an die Geschäftsstelle nicht in den Akten dokumentiert<br />
wird 80 . Folglich gilt das neue Beschwerderecht nur für diejenigen<br />
Verfahren, in denen die anzufechtende Entscheidung am 1.1.2002<br />
oder später verkündet bzw. der Geschäftsstelle übergeben worden<br />
ist.<br />
Diese Regelung führt dazu, dass für die Beschwerden sämtlicher<br />
Beteiligter gegen die selbe Entscheidung entweder einheitlich das<br />
bisherige Recht oder einheitlich das neue Recht anwendbar ist.<br />
Die Beschränkung der Entscheidung über die Zulässigkeit des<br />
Einspruchs gegen ein Versäumnisurteil oder einen Vollstreckungsbescheid<br />
(§§ 341 Abs. 2, 700 Abs. 1 ZPO) auf die Urteilsform tritt<br />
in anhängigen Verfahren sofort in Kraft. Deshalb findet die sofortige<br />
Beschwerde nach § 341 Abs. 2 S. 2 ZPO nur noch in den Fällen<br />
statt, in denen der den Einspruch verwerfende Beschluss vor<br />
dem 1.1.2002 verkündet bzw. der Geschäftsstelle übergeben worden<br />
ist.<br />
XI. Zusammenfassung der wesentlichen Änderungen<br />
– Nach § 278 ZPO geht jeder mündlichen Verhandlung zum<br />
Zwecke der gütlichen Beilegung eine Güteverhandlung voraus.<br />
– Die Zivilkammer entscheidet grundsätzlich nach § 348 ZPO<br />
durch den Einzelrichter.<br />
–DieBeschwerde für die Wertberufung ist herabgesetzt worden.<br />
Sie beträgt nunmehr 600 Euro (§ 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).<br />
– Daneben kann das Gericht des ersten Rechtszugs die Berufung<br />
im Urteil zulassen (§ 511 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Dies betrifft<br />
Verfahren mit einer Beschwer von 600 Euro und weniger.<br />
–DieBerufungsgründe (§ 513 ZPO) sind erheblich eingeengt<br />
worden. Die Berufung kann nur darauf gestützt werden, dass die<br />
Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder<br />
nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung<br />
rechtfertigen.<br />
–DieStreitwertrevision ist abgeschafft; grundsätzlich besteht<br />
nur noch die Möglichkeit der Zulassungsrevision (§ 543 ZPO).<br />
Die Nichtzulassung der Revision unterliegt der Nichtzulassungsbeschwerde<br />
(§ 544 ZPO). Nach § 26 Nr. 8 EGZPO ist allerdings<br />
die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das<br />
Berufungsgericht nur zulässig, wenn der Wert der mit der Revision<br />
geltend zu machenden Beschwerde 20.000 Euro übersteigt.<br />
– Die einfache Beschwerde wurde durch die sofortige Beschwerde<br />
ersetzt (§ 567 ZPO); über sie entscheidet grundsätzlich<br />
der Einzelrichter. Für den Anwalt ist es wichtig, dass die Beschwerde<br />
künftig generell innerhalb von zwei Wochen (§ 569<br />
ZPO) einzulegen ist. Neben der sofortigen Beschwerde gibt es die<br />
Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).<br />
80 Hansens, Rpfleger 2001, 673, 678.<br />
Verfassungsrechtliche Probleme<br />
des „neuen“ zivilprozessualen<br />
Revisionsrechts<br />
Wiss. Mitarbeiter Nikolaj Fischer, Frankfurt a. M. *<br />
I. Der Anlass: Das Spannungsverhältnis von<br />
Verfassungs- und Zivilprozessrecht<br />
Das Verhältnis zwischen Verfassungsrecht und Zivilprozessrecht<br />
ist ein hochbrisantes Thema in der aktuellen zivilprozessualen<br />
und rechtspolitischen Diskussion 1 . Ein kleiner<br />
Ausschnitt aus diesem Gesamtkomplex 2 ist Gegenstand dieses<br />
Beitrages, der den Einfluss des Verfassungsrechts auf<br />
das Zivilprozessrecht vor dem Hintergrund der „Großen Justizreform“<br />
3 beleuchtet. Die neueren Bestrebungen zur Re-<br />
* Der Verfasser ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Privatrecht,<br />
Verfahrensrecht und Rechtsvergleichung (Prof. Dr. Gilles) an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität<br />
in Frankfurt a. M. Die Reformentwicklung<br />
ist bis zum 22.6.2001 berücksichtigt.<br />
1 Vgl. zur Problematik z. B. die Themen des 61. Deutschen Juristentages (DJT)<br />
1996 in Karlsruhe, siehe dazu z. B. Knapp, DRiZ 1996, S. 467; Isensee, Verhandlungen<br />
des 61. DJT, Band II/1, H S. 5 ff. Vgl. auch Münchener Kommentar<br />
zur ZPO, 2. Aufl., München 2000, Lüke, Einleitung, Rdnr. 92; Schuppert/<br />
Bumke, Die Konstitutionalisierung der Rechtsordnung, Baden-Baden 2000,<br />
S. 18 ff.; jeweils m. w. N.<br />
2 Siehe z. B. MK-ZPO, 1. Aufl., München 1992, Lüke, Einleitung, Rdnr. 111 ff.;<br />
Schwab/Gottwald: Verfassung und Zivilprozess, in: Habscheid (Herausgeber),<br />
Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung: Die Generalberichte<br />
zum VII. Internationalen Kongress für Prozessrecht in Würzburg 1983, Bielefeld<br />
1983, S. 1 ff.; Benda/Weber: Der Einfluss der Verfassung im Prozessrecht,<br />
in: Gilles (Hg.), Effektiver Rechtsschutz und verfassungsmäßige Ordnung. Die<br />
deutschen Landesberichte zum VII. Internationalen Kongress für Prozessrecht<br />
in Würzburg 1983, Köln u. a. 1983, S. 1 ff.; Schumann, ZZP 96 (1983),<br />
S. 137 ff.; Polzius, DGVZ 1982, S. 97 ff.; E. Schneider, MDR 1979, S. 617 ff.;<br />
Gilles, JuS 1981, S. 402 ff.; zuletzt umfassend E. Schneider, ZAP 2001, Fach<br />
13, S. 995 ff.; 1025 ff.; jeweils m. w. N.<br />
3 Vgl. zur aktuellen Reform z. B. Wassermann, NJW 1999, S. 2646 f.; zur<br />
„Rechtsmittelreformproblematik“ allgemein Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess,<br />
Frankfurt/M. 1972; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess aus juristischer<br />
Sicht. Kurzüberblick über Entwicklungen, Stand und Reformanliegen der<br />
Rechtsmitteldiskussion in Theorie, Praxis und Politik, in: Gilles/Röhl/Strempel/<br />
Schuster (Hg.), Rechtsmittel im Zivilprozess – unter besonderer Berücksichtigung<br />
der Berufung, Köln 1985, S. 11 ff., 15 f.; Gilles, JZ 1985, S. 253 ff., 254;
140<br />
l<br />
form des Zivilprozesses und der Ziviljustiz, die in jüngster<br />
Zeit durch den Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums<br />
(RefE) und die darauf aufbauenden Gesetzesentwürfe<br />
von Regierungskoalition (FraktE) und Regierungskabinett 4<br />
ihren Ausdruck gefunden haben, sind an ihrem Ziel angelangt,<br />
da der Deutsche Bundestag am 17.5.2001 den Regierungsentwurf<br />
(RegE) verabschiedet hat, der schließlich am<br />
22.6.2001 auch vom Deutschen Bundesrat gebilligt wurde 5 .<br />
Da das „ZPO-RG“ allgemein als nicht zustimmungspflichtig<br />
gilt, ist mit dessen Inkrafttreten am 1.1.2002 zu rechnen 6 –<br />
rund 123 Jahre nach dem Inkrafttreten der Civilprozessordnung<br />
7 . Die rechtspolitische und zivilprozessrechtsdogmatische<br />
Kontroverse um Notwendigkeit und Ausgestaltung<br />
dieser ZPO-Novelle 8 hat damit ihren vorläufigen Abschluss<br />
gefunden, wobei auffällt, dass verfassungsrechtliche Aspekte<br />
bisher nur beiläufig Eingang in die Reformdiskussion<br />
gefunden haben 9 . Eine eingehende verfassungsrechtliche<br />
Analyse des Refonnvorhabens 10 ist noch nicht unternommen<br />
worden, was insbesondere bei der Betrachtung der<br />
„verfassungsrechtliche Dimension“ der geplanten Regelungen<br />
auf dem Gebiet des Revisionsrechts verwundert. Da<br />
sich die letzten Änderungen des RegE 11 nicht auf das Revisionsrecht<br />
beziehen, sind dessen – bisher unbeachtetet 12 –<br />
verfassungsrechtliche Implikationen 13 von großer praktischer<br />
Relevanz.<br />
II. Die Reform: Das Revisionsrecht nach dem<br />
Regierungsentwurf<br />
Für die Darstellung des wesentlichen Inhalts des Reformvorhabens<br />
nach dem nunmehr maßgebenden Entwurf<br />
des Regierungskabinetts 14 kann auf andere Beiträge verwiesen<br />
werden 15 . Der RegE verfolgt die Ziele des RefE und<br />
des FraktE weiter und hat dabei einige Ergebnisse aus der<br />
Diskussion um die beiden früheren Entwürfe aufgenommen<br />
16 . Unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten weitaus<br />
problemträchtiger als die Regelungen zum erstinstanzlichen<br />
Verfahren sind die geplanten Regelungen im<br />
Rechtsmittelrecht 17 und insbesondere im Revisionsrecht,<br />
die hier nur skizziert werden können:<br />
Eines der wesentlichen Reformanliegen war die Vereinheitlichung<br />
der Rechtsmittelzüge in Zivilsachen 18 :DasBerufungsverfahren<br />
wird danach bei den Oberlandesgerichten<br />
(OLG) konzentriert, der „kleine“ Rechtsweg, der nach geltendem<br />
Recht bei Zuständigkeit des Amtsgerichts (AG)<br />
grundsätzlich beim Landgericht (LG) als Berufungsinstanz<br />
endet (vgl. §§ 23, 72 GVG), wird aufgegeben gemäß § 119<br />
I GVG-RegE. Mit dieser Änderung wurden beabsichtigt<br />
eine verbesserte Transparenz der Rechtsmittelzüge, ein höheres<br />
Maß an Rechtseinheitlichkeit und die Möglichkeit, in<br />
Fragen grundsätzlicher Bedeutung eine höchstrichterliche<br />
Rechtsprechung herbeizuführen 19 . Der bisher „gespaltene“<br />
Rechtsweg in Zivilsachen nach §§ 72, 119 I Nr. 3 GVG<br />
sollte durch das Prinzip einer „stimmigen Funktionsdifferenzierung“<br />
überwunden werden. Mit der Vereinheitlichung<br />
der Instanzenzüge in Zivilsachen sollte auch eine Angleichung<br />
des Verfahrensrechts der einzelnen Gerichtszweige<br />
erreicht werden 20 . Die Neuordnung des Berufungsrechtszuges<br />
stieß jedoch schon nach Bekannt werden des RefE<br />
auf massiven Widerstand 21 , so dass im Rahmen der Bera-<br />
Gilles, Ziviljustiz und Rechtsmittelproblematik. Vorstudie zur Analyse und Reform<br />
der Rechtsmittel in der Zivilgerichtsbarkeit, Köln 1992, S. 148 ff.; jeweils<br />
m. w. N. Siehe zur „Reformgeschichte der ZPO“ und zum ständigen „Reformprozess<br />
der Prozessreform“ anschaulich Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung,<br />
20. Aufl., Schumann, Einleitung, Rdnr. 105 ff.; Wassermann, Der<br />
soziale Zivilprozess, Neuwied 1978, insb. S. 49 ff.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
4 Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums (BMJ): „Gesetz zur Reform<br />
des Zivilprozesses“ (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG); vgl. für eine Kurzübersicht<br />
dazu insbesondere A. Braun, BRAK-Mitt. 2000, S. 2. Der „Entwurf<br />
eines Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-<br />
RG)“ wurde als überarbeitete und veränderte Fassung des Referentenentwurfs<br />
von den Bundestagsfraktionen von SPD und den GRÜNEN/Bündnis 90 in<br />
den Bundestag eingebracht – BT-Drucksache (BT-Dr.) 14/3750 – und nach erster<br />
Lesung vom 7.7.2000 an den Rechtsausschuss zur weiteren Beratung<br />
überwiesen. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozesses<br />
wurde am 6.9.2000 beschlossen und am 8.9.2000 als Gesetzentwurf<br />
eingebracht (BR-Dr. 536/00 sowie BT-Dr. 14/4722). Siehe zum Fraktionsentwurf<br />
insbesondere Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., sowie zum Regierungsentwurf<br />
Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />
des Zivilprozesses“), S. 3 ff.; jeweils m. w. N. Vgl. zu den letzten wesentlichen<br />
Änderungen des RegE und zur Beratung desselben im Rechtsausschuss<br />
des Bundestages Schäffer, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) vom<br />
5<br />
4.4.2001, S. 4 sowie Gaserow, Frankfurter Rundschau (FR) vom 10.4.2001 S.<br />
4.<br />
Vgl. FR vom 18.5.2001, S. 7, sowie FR vom 10.5.2001, S. 6; A. Braun, ZAP<br />
9/2001, S. 487. Siehe auch Fölster, ZRP 2001, S. 237; Busse, NJW 2001,<br />
S. 1545 ff., sowie die Pressemitteilungen des DAV vom 6.4.2001, die des<br />
Bayerischen Justizministeriums vom 30.3.2001 und des Sächsischen Justizministeriums<br />
vom 28.3.2001, NJW-Informationen, Heft 17/2001, S. XIX; sowie<br />
NJW-Inform., Heft 28/2001, S. XLV.<br />
6 Vgl. A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff., 1545.<br />
7 Die Civilprozessordnung vom 30.1.1877 (RGBl. S. 83) ist am 1.10.1879 in<br />
Kraft getreten (§ 1 EGCPO). Die aktuelle Zivilprozessordnung (ZPO) wurde<br />
zuletzt mit dem Gesetz über die Fernabsatzverträge vom 27.6.2000 geändert<br />
(Bundesgesetzblatt I, S. 897, 909).<br />
8 Siehe zu der zunehmenden Kritik beispielsweise Dauster, ZRP 2000, S.<br />
338 ff.; Dombek, BRAK-Mitt. 1999, S. 241; Dombek, BRAK-Mitt. 2000, S. 1;<br />
49; 153; 269; Ernst, BRAK-Mitt. 2000, S. 3 ff.; Flotho, BRAK-Mitt. 2000,<br />
S. 107 ff.; Busse, NJW 2000, S. 785 f.; Goll, BRAK-Mitt. 2000, S. 4 ff.; Selbherr,<br />
BRAK-Mitt. 2000, S. 11 ff.; Stürner, NJW 2000, Beilage zu Heft 25<br />
(„63. DJT in Leipzig“), S. 31 ff.; Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff.; Bischof,<br />
ZRP 1999, S. 353 ff.; Münchbach/Lotz, ZRP 1999, S. 374 ff.; jeweils<br />
m. w. N. Vgl. zur „institutionellen Kritik“ etwa die Resolution der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(BRAK) vom 23.4.1999 (BRAK-Mitt. 1999, S. 120), die<br />
Stellungnahmen des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (DAV) vom 28.3.2000 (NJW<br />
16/2000, S. XVIII f.), des Anwaltsverbandes Baden-Württemberg, AnwBl.<br />
2000, S. 45; des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17.2.2000 (NJW 11/2000,<br />
S. XII f.), des Bundesvorstandes des Deutsches Richterbundes (DRB), DriZ<br />
2000, S. 88, sowie den Verlauf (vgl. Freuding, NJW 2000, S. 792 ff.) und das<br />
vorläufige Ergebnis (siehe AnwBl. 2000, S. 178 ff.) des DAV-Forums „Justizreform“<br />
vom 4. - 5.2.2000 in Berlin.<br />
9 Vgl. zur bisherigen Reformkontroverse z. B. die Kritik von Flotho, BRAK-<br />
Mitt. 2000, S. 107 ff.; A. Braun, BRAK-Mitt. 2000, S. 110 ff., Ernst, BRAK-<br />
Mitt. 2000, S. 3; Goll, BRAK-Mitt. 2000, S. 4 ff. (...„Abbau des Rechtsstaats?“);<br />
Selbherr, BRAK-Mitt. 2000, S. 11 ff.; Münchbach/Lotz, ZRP 1999,<br />
S. 374 ff. (...„Abbau des Rechtsschutzsystems?“); Kornblum, ZRP 1999,<br />
S. 382 ff.; Wassermann, NJW 1999, S. 2646 f.; vgl. auch Jauernig, Zivilprozessrecht,<br />
26. Aufl., München 2000, S. 111 f.; E. Schneider, ZAP 2000,<br />
S. 1102 ff., 1105 ff. m. w. N. Kirchberg, BRAK-Mitt. 2000, S. 53 ff., befasst<br />
sich mit „verfassungsgerichtlichen Implikationen des Referentenentwurfs“.<br />
10 Wenngleich auch Ansätze dazu vorhanden sind – vgl. z. B. Kirchberg, BRAK-<br />
Mitt. 2000, S. 53 ff.; Dauster, ZRP 2000, S. 338 ff.; Winte, ZRP 1999,<br />
S. 387 ff.; jeweils m. w. N.<br />
11 Dazu zählen der „Kann-Einzelrichter“ in der Berufungsinstanz, die weitere<br />
Aufweichung des Grundsatzes der abschließenden erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung,<br />
die generelle Zulassung von „Videoverhandlungen“ und eine – bis<br />
Ende 2007 befristete – „Experimentierklausel“ für die Bundesländer hinsichtlich<br />
der Berufungszuständigkeitskonzentration bei den OLG; vgl. Fölster, ZRP<br />
2001, S. 237; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.; A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487.<br />
12 Abgesehen von Winte, ZRP 1999, S. 387 ff., 391, und Dethloff, ZRP 2000,<br />
S. 428 ff.<br />
13 Mit den Auswirkungen auf die Rechtsanwaltschaft beim BGH befasst sich<br />
z. B. Brändel, ZRP 2001, S. 112 ff.<br />
14 Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Reform des Zivilprozesses wurde<br />
am 6.9.2000 beschlossen und am 8.9.2000 als Gesetzentwurf eingebracht<br />
(BR-Dr. 536/00 und BT-Dr. 14/4722). Für die Beratung im Rechtsausschuss<br />
des Deutschen Bundestages war letztlich der RegE maßgebend, der in diesem<br />
Rahmen wiederum modifiziert wurde. Vgl. zur Beratung des RegE im Rechtsausschuss<br />
des Bundestages Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4 sowie Gaserow,<br />
FR vom 10.4.2001, S. 4, sowie zu den (aller-)letzten Änderungen des RegE<br />
Fölster, ZRP 2001, S. 237; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />
15 Siehe zum FraktE insbesondere Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff.; zum RegE<br />
Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des Zivilprozesses“),<br />
S. 3 ff.; jeweils m. w. N.<br />
16 Vgl. Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des<br />
Zivilprozesses“), S. 3 ff., 3.<br />
17 Vgl. nur Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />
des Zivilprozesses“), S. 3 ff. m. w. N.<br />
18 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 64 f.<br />
19 Siehe dazu schon die Begründung des RefE, S. 87; 94 ff.; sowie des RegE,<br />
BT-Dr. 14/4722, S. 64 f.; vgl. auch Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., 2776 f.<br />
m. w. N.<br />
20 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 64.<br />
21 Siehe nur Dauster, ZRP 2000, S. 338 ff., 340 ff. m. w. N.
AnwBl 3/2002 141<br />
Aufsätze l<br />
tung über den RegE im Rechtsausschuss des Deutschen<br />
Bundestages auf die Berufungszuständigkeitskonzentration<br />
bei den OLG verzichtet worden und nur eine entsprechende<br />
(befristete) „Experimentierklausel“ für die Länder vorgesehen<br />
ist, von der bislang nur die Bundesländer Hamburg und<br />
Sachsen-Anhalt Gebrauch machen wollen 22 . Diese Kompromisslösung<br />
hätte die Konsequenz, dass der Instanzenzug<br />
in Zivilsachen erstmals nicht mehr bundeseinheitlich geregelt<br />
ist 23 . Wie weit ein solcher Zustand von dem ursprünglichen<br />
Reformkonzept einer „stimmigen und transparenten<br />
Funktionsdifferenzierung auf den Rechtsmittelebenen“ entfernt<br />
ist, zeigt die aufkeimende Zustimmung zur ZPO-Reform<br />
bei ihren ehemals heftigsten Kritikern 24 .<br />
Die – bislang für die Reform kennzeichnende – „Funktionsdifferenzierung“<br />
findet sich jedoch auf der Revisionsebene<br />
(vgl. §§ 542 ff. RegE) wieder. Der RegE, der auch<br />
insoweit dem RefE folgt, sieht die „Fortbildung des Rechts“<br />
und die „Wahrung der Rechtseinheitlichkeit“ als wesentliche<br />
Funktionen der Revisionsinstanz an. Anstelle der geltenden<br />
Streitwertrevision ist im RegE die allgemeine Zulassungsrevision<br />
(vgl. § 543 I RegE) mit Nichtzulassungsbeschwerde<br />
(§ 544 RegE) vorgesehen. Die Gründe für die<br />
Revisionszulassung unterscheiden sich aber im RegE von<br />
dem RefE 25 : Nach § 543 II 1 RegE ist die Revision bei<br />
„grundsätzlicher Bedeutung einer Rechtssache“ zuzulassen<br />
sowie auch dann, „wenn die Fortbildung des Rechts oder<br />
die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung<br />
des Revisionsgerichts erfordert“. Damit knüpft<br />
der RegE an Formulierungen an, die sich bereits in anderen<br />
Gesetzen finden – vgl. § 74 II GWB, § 83 II MarkenG,<br />
§ 100 PatG sowie § 80 I OWiG – und soll auf diese Weise<br />
zu einer Vereinheitlichung des Verfahrensrechts führen.<br />
Entscheidend ist dabei, dass die „Grundsätzlichkeit“, wie<br />
sie bisher in den §§ 546 I 2 Nr. 1, 554 III Nr. 2, 554b I<br />
ZPO Verwendung findet, nunmehr extensiv definiert wird,<br />
da auch eine „erweiterte Grundsätzlichkeit“ ausreichen soll,<br />
die dann vorliegt, wenn tatsächliche oder wirtschaftliche<br />
Auswirkungen eines Rechtsstreits für die Allgemeinheit bedeutsam<br />
sind 26 . Obwohl bereits zugestanden wird, dass eine<br />
scharfe Abgrenzung der Kriterien des § 543 II 1 RegE nur<br />
schwer möglich ist, sollen für die Kriterien „Fortbildung<br />
des Rechts“ und „Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung“<br />
bereits entwickelte Maßstäbe zu vergleichbaren<br />
Regelungen herangezogen werden können 27 . Schließlich ist<br />
für die Änderung des Revisionsrechts noch die Einführung<br />
einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 544 RegE von wesentlicher<br />
Bedeutung, da nach §§ 543 I Nr. 2, 544 VI RegE<br />
auch eine erfolgreiche Nichtzulassungsbeschwerde die<br />
Revision eröffnet. Aufgrund der erwarteten zusätzlichen<br />
Arbeitsbelastung (vgl. § 544 II-IV RegE) der Revisionsinstanz<br />
lässt § 26 Nr. 8 EGZPO-RegE die Nichtzulassungsbeschwerde<br />
in einer Übergangszeit bis zum 31.12.2006 nur<br />
zu, wenn die Revisionsbeschwer 20.000 Euro übersteigt.<br />
III. Die Problematik:Verfassungsrecht versus<br />
zivilprozessuales Revisionsrecht<br />
Verfassungsrechtlichen Bedenken im Rahmen der ZPO-<br />
Reform begegnen insbesondere die Regelungen des Revisionsverfahrens:<br />
Es stellt sich die Frage nach der Verfassungsrechtsmäßigkeit<br />
einer Beschränkung des Zugangs zum<br />
Rechtsmittelgericht als Problem der Kollision von Zweckmäßigkeitserwägungen<br />
des Reformgesetzgebers und dessen<br />
verfassungsrechtlichen Grenzen, insbesondere aus Art. 3 I,<br />
19 IV, 20 III, 92, 97, 101 I 2, 103 I GG. Für den Zugang zur<br />
Revisionsinstanz nach dem RegE stellt sich nämlich die<br />
entscheidende Frage, ob die „Erfolgsaussicht einer Revision“<br />
und das dahinterstehende Parteiinteresse an Rechtsschutz<br />
oder die „grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache“<br />
als Ausdruck des Allgemeininteresses an Rechtsfortbildung<br />
das maßgebende Kriterium sein soll. Der RegE<br />
sieht den Zweck der Revision vorrangig in der „Wahrung<br />
der Rechtseinheit“ und der „Fortbildung des Rechts“, so<br />
dass im Kollisionsfall das Parteiinteresse an „richtiger“ 28<br />
Entscheidung des Rechtsstreits und damit die Wahrung der<br />
Einzelfallgerechtigkeit zurücktreten soll 29 . Für diesen Konflikt<br />
und seine verfassungsrechtsmäßige Lösung ergeben<br />
sich aus der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung<br />
30 präzise Anforderungen an den Verfahrensgesetzgeber:<br />
Mit seinem Beschluss vom 11.6.1980 31 hat das Bundesverfassungsgericht<br />
die seit Inkrafttreten des „Gesetzes<br />
zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen“ 32<br />
anhaltende Kontroverse 33 um die Auslegung des § 554b I<br />
ZPO 34 beendet und entschieden, dass die Annahme von Revisionen<br />
mit Aussicht auf Erfolg nicht ohne weiteres abgelehnt<br />
werden darf. Nach § 554b I ZPO kann der BGH die<br />
Annahme von Revisionen in vermögensrechtlichen Streitigkeiten<br />
mit einem Wert der Beschwer über 60.000 DM ablehnen,<br />
wenn die Rechtssache keine „grundsätzliche Bedeutung“<br />
hat. Das Bundesverfassungsgericht begründete seine<br />
22 Ein Verzicht auf die Berufungszuständigkeitskonzentration bei den OLG erfordert<br />
allerdings auch im Hinblick auf die geplante Vereinheitlichung des Beschwerdeverfahrens<br />
nach den §§ 567 ff. RegE eine Änderung des RegE. Vgl.<br />
zur Beratung desselben im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages<br />
Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4, sowie Gaserow, FR vom 10.4.200 1, S. 4:<br />
„Reförmchen auf Bewährung“. Siehe zu den letzten Änderungen Fölster, ZRP<br />
2001, S. 237; A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487; Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />
23 Siehe Fölster, ZRP 2001, S. 237; Gaserow, FR vom 10.4.2001, S. 4. Vgl.<br />
auch die Pressemitteilungen des Bayerischen Justizministeriums vom<br />
30.3.2001 und des Sächsischen Justizministeriums vom 28.3.2001, NJW-Informationen,<br />
Heft 17/2001, S. XIX, sowie die des DAV vom 06.4.2001.<br />
24 Vgl. z. B. Schäffer, FAZ vom 4.4.2001, S. 4, A. Braun, ZAP 9/2001, S. 487;<br />
Busse, NJW 2001, S. 1545 ff.<br />
25 Siehe dazu Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform<br />
des Zivilprozesses“), S. 3 ff., 5; Musielak, NJW 2000, S. 2769 ff., 2777<br />
f.<br />
26 Vgl. die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 67; siehe dazu Frühauf/<br />
Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des Zivilprozesses“),<br />
S. 3 ff., 5.<br />
27 Vgl. Frühauf/Hannich/Kortge, NJW 2000, Beilage zu Heft 40 („Reform des<br />
Zivilprozesses“), S. 3 ff., 5.<br />
28 Mit der „Richtigkeit“ ist in diesem Zusammenhang stets der „Richtigkeitsbegriff“<br />
der ZPO angesprochen. Vgl. dazu Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess,<br />
1972, S. 51 ff.<br />
29 So ausdrücklich die Begründung des RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 66, 104 f.<br />
30 Siehe zum Einfluss der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur auf das Zivilprozessrecht<br />
insbesondere Schumann: Der Einfluss des Grundgesetzes auf<br />
die zivilprozessuale Rechtsprechung, in: Canaris/Heldrich/Hopt/Roxin/K.<br />
Schmidt/Widmaier (Herausgeber): 50 Jahre Bundesgerichtshof Festgabe aus<br />
der Wissenschaft, Band III München 2000, S. 3 ff.<br />
31 Beschluss des Plenums des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom<br />
11.6.1980, Az.: 1 PbvU 1/79; BVerfGE 54, 277 ff.<br />
32 Durch das „Gesetz zur Änderung des Rechts der Revision in Zivilsachen“<br />
vom 8.7.1975 (BGBl. 1 S. 1863) wurden die derzeit bestehenden Zugangsregelungen,<br />
eine Kombination von Zulassungs- und Nichtannahmerevision, ausgestaltet<br />
– vgl. §§ 545 I, 546 I, 554b I ZPO.<br />
33 Vgl. zur damaligen Diskussion z. B. Möhring, JZ 1974, S. 369 ff.; Arnold, JR<br />
1975, S. 485 ff.; Nirk, BB 1975, S. 1172 ff.; H. Schneider, NJW 1975,<br />
S. 1537 ff.; Vogel, NJW 1975, S. 1297 ff.; Lässig, NJW 1976, S. 269 ff., Salger/Münchbach,<br />
DRiZ 1977, S. 263 ff.; E. Schneider, NJW 1977, S. 1043 ff.,<br />
Bausewein, JZ 1978, S. 53 ff.; Grunsky, JZ 1979, S. 129 ff.; Stein/Jonas,<br />
20. Aufl., Grunsky zu § 554b ZPO, Rdnr. 1 ff.; jeweils m. w. N.<br />
34 Den Anlass für die Plenarentscheidung des Bundesverfassungsgerichts bildeten<br />
die früheren Beschlüsse des Zweiten Senats (BVerfGE 49, 148 ff.; 50, 115<br />
ff.) sowie der Vorlagebeschluss des Ersten Senats vom 16.1.1979 (siehe<br />
BVerfG ZZP 92 [1979], S. 279): Der Zweite Senat bejahte in zwei Verfassungsbeschwerdeverfahren<br />
die Verfassungsrechtsmäßigkeit des § 554b I ZPO,<br />
nahm jedoch Grundrechtsverletzungen hinsichtlich Art. 2 I i .V. m. Art. 20 III<br />
GG sowie Art. 3 I GG durch Nichtannahmebeschlüsse an, falls trotz gegebener<br />
Erfolgsaussicht die Revision nicht angenommen werde, wobei es nicht auf<br />
„schwerwiegende“ Verfahrensfehler ankommen dürfe, sondern allein auf die<br />
Erfolgsaussicht im Endergebnis. Dagegen hielt der erste Senat die Beschränkung<br />
der Revision auf solche schwerwiegenden Verfahrensfehler für zulässig,<br />
anderenfalls müsse angesichts der gesetzgeberischen Intentionen von einer<br />
Teilnichtigkeit des § 554b I ZPO ausgegangen werden. Siehe dazu Krämer,<br />
NJW 1981, S. 799 f., siehe auch die Anmerkungen von Prütting, ZZP, 92<br />
(1979), S. 272 ff., 280, und Radloff, NJW 1979, S. 534; jeweils m. w. N.
142<br />
l<br />
Entscheidung damit, dass der Gesetzgeber die Revision als<br />
„echtes“ Rechtsmittel der Zivilprozessordnung vorgesehen<br />
habe, da im Rahmen der Revision über den Rechtsstreit der<br />
Parteien verhandelt wird, nicht aber über abstrakte Rechtsfragen.<br />
Weiterhin hätten die Parteien des Rechtsmittelverfahrens<br />
nach dessen gesetzlicher Ausgestaltung umfangreiche<br />
Dispositionsmöglichkeiten, da sie auch bei gegebener<br />
„grundsätzlicher“ Bedeutung der Sache über den Gegenstand<br />
des Verfahrens verfügen könnten einschließlich der<br />
Rücknahme des Rechtsmittels. Zudem sei es für die Parteien<br />
nicht von Bedeutung, ob ein bestehender Rechtsfehler<br />
„schwer“ oder „grundsätzlich“ ist, sondern entscheidend sei<br />
die Unrichtigkeit des angegriffenen Urteils 35 . Insgesamt betont<br />
das Bundesverfassungsgericht die Relevanz der Revision<br />
für die Durchsetzung der Einzelgerechtigkeit und damit<br />
des Parteiinteresses an der Revision. Beide Zwecke der<br />
Revision, Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung<br />
und Rechtsfortbildung auf der einen Seite und Durchsetzung<br />
der Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite, seien<br />
im Rahmen der Revision gleichberechtigt. Die Frage der<br />
Annahmerevision betreffe dabei allein eine davon unabhängige<br />
Beschränkung des Zugangs zur Revisionsinstanz 36 .Im<br />
Hinblick auf Zugangsbeschränkungen zur Rechtsmittelinstanz<br />
bekräftigt das Bundesverfassungsgericht in dieser<br />
Entscheidung nochmals seine ständige Rechtsprechung, wonach<br />
es verfassungsrechtlich zulässig ist, dass die Gestaltungsfreiheit<br />
des Verfahrensgesetzgebers über die Einrichtung<br />
und Ausgestaltung sowie über die Zwecke von Rechtsmitteln<br />
in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten entscheidet 37 .<br />
Insbesondere aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 III<br />
GG und aus Art. 95 GG folge keine Verpflichtung zu einem<br />
mehrstufigen Instanzenzug oder zu einer bestimmten einfachgesetzlichen<br />
Verfahrensausgestaltung 38 . Diese gesetzgeberische<br />
Gestaltungsfreiheit werde allerdings durch bestimmte<br />
verfassungsrechtliche Erfordernisse begrenzt, die<br />
aus Art. 3 I, 20 III, 92, 97, 101, 103 I GG folgten. Insbesondere<br />
aus dem Gebot der Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 III<br />
GG) ergebe sich die Notwendigkeit, die Regeln über den<br />
Zugang zu den vorhandenen Rechtsmittelinstanzen für den<br />
rechtsuchenden Bürger möglichst „klar und bestimmt“ zu<br />
halten, zumal die letztendlich verbindliche gerichtliche Entscheidung<br />
„tief in die Rechtssphäre der Beteiligten“ eingreifen<br />
könne 39 . Aus dem Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit<br />
aus Art. 3 I GG folgert das Bundesverfassungsgericht<br />
das Verbot für das Revisionsgericht, die Annahme von Revisionen,<br />
die Aussicht auf Erfolg besitzen, aus „Gründen<br />
der Selbststeuerung der Arbeitslast“ 40 abzulehnen: Eine solche<br />
Ablehnungspraxis bedinge eine unterschiedliche Handhabung<br />
und sei daher „willkürlich“ im Sinne von Art. 3<br />
I GG. Daher verbiete sich auch eine entsprechende Auslegung<br />
des § 554b I ZPO bei erfolgversprechenden Revisionen<br />
41 . Auf den Charakter des dem angegriffenen Urteil<br />
zugrundeliegenden Rechtsfehlers oder seine Auswirkungen<br />
auf den Rechtsmittelführer als „schwer“, „unvertretbar“<br />
oder „unerträglich“ soll es ebenfalls nicht ankommen. Im<br />
Gegenteil hält das Bundesverfassungsgericht unter Berufung<br />
auf den dargelegten Zweck des § 554b I ZPO die Verwendung<br />
der „Schwere“ oder „Erträglichkeit“ von Rechtsfehlern<br />
als Maßstab für Nichtannahmeentscheidungen ebenfalls<br />
für eine Verletzung der Rechtsanwendungsgleichheit<br />
gemäß Art. 3 I GG 42 .<br />
Ohne die Bedeutung dieser Entscheidung für die verfassungsrechtliche<br />
Beurteilung auch der aktuellen Zivilprozessrechtsreform<br />
an dieser Stelle eingehend darlegen zu<br />
können, werden im Hinblick auf sie 43 erhebliche verfas-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
sungsrechtliche Probleme der „neuen“ Revisionszugangsregelungen<br />
evident: Zunächst schränkt das Bundesverfassungsgericht<br />
mit der geschilderten Begründung den<br />
vermeintlich sehr freien Gestaltungsspielraum des Verfahrensgesetzgebers<br />
bei der Einrichtung von Instanzen, Rechtsmitteln,<br />
deren Verfahren und Ausgestaltung erheblich ein:<br />
Zwar betont das Gericht einerseits, dass es „kein vorgegebenes<br />
Wesen, speziell von Rechtsbehelfen“ mit bestimmter<br />
normativer Ausgestaltung gibt 44 , andererseits erklärt es aber<br />
bestimmte Kriterien für den Revisionszugang mit dem Charakter<br />
des Rechtsmittels „Revision“ für unvereinbar und leitet<br />
daraus schließlich die Verfassungsrechtswidrigkeit einer<br />
bestimmten – und damals auch vom Verfahrensgesetzgeber<br />
gewollten – Auslegung der maßgeblichen Zugangsnorm<br />
ab 45 . Die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers, dem<br />
Bundesgerichtshof durch § 554b I ZPO einen Ermessensspielraum<br />
bei der Prüfung der Annahme der Revision zu<br />
gewähren 46 , war mit dieser Entscheidung gescheitert, da danach<br />
die Annahme einer Revision nur abgelehnt werden<br />
darf, wenn sie nach pflichtgemäßer Prüfung keine Erfolgsaussicht<br />
besitzt.<br />
IV. Die Folgerung:Verfassungsrechtswidrigkeit der<br />
„neuen“ Zulassungsgrundsatzrevision?<br />
Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob der<br />
RegE mit den Regelungen des Revisionszugangs die genannten<br />
verfassungsrechtlichen Anforderungen eingehalten<br />
hat. Dies gilt insbesondere deswegen, da die „justizpolitische<br />
Grundentscheidung, den Zugang zum Revisionsgericht<br />
zu begrenzen und auf dessen Leistungsfähigkeit<br />
auszurichten“ 47 auch und insbesondere den geplanten Änderungen<br />
auf den Rechtsmittelebenen zugrunde liegt 48 .Zwar<br />
wird BVerfGE 54, 277 ff. in der Begründung des RegE genannt<br />
49 , bei näherer Betrachtung zeigt sich aber, dass die<br />
ZPO-Reformer die Lehren aus dieser Entscheidung gerade<br />
nicht gezogen haben: Zunächst ist von der – in dem bundesverfassungsgerichtlichen<br />
Beschluss vom 11.06.1980 50 für<br />
35 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 288 f.<br />
36 Siehe BVerfGE 54, 277 ff., 290.<br />
37 Vgl. z. B. BVerfGE 28, 21 ff., 36.<br />
38 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 291. Siehe im Gegensatz dazu Schumann: Recht<br />
auf Rechtsmittel (Thesen), in: Gilles/Röhl/Schuster/Strempel, Rechtsmittel im<br />
Zivilprozess, 1985, S. 267 ff., 268 f.<br />
39 Siehe BVerfGE 54, 277, 293.<br />
40 Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass hinsichtlich des „Annahmekriteriums“<br />
der „Arbeitslast“ zwischen der Frage des Zugangs zum Revisionsgericht<br />
insgesamt und nach der „Annahme“ durch den einzelnen Revisionsspruchkörper<br />
differenziert werden muss, da das Kriterium der<br />
Arbeitsbelastung bezogen auf den Zugang zu einer weiteren Instanz nicht<br />
sachfremd ist, wie beispielsweise auch die derzeitigen verfassungsrechtsmäßigen<br />
Streitwertgrenzen belegen. Diese Unterscheidung hat das BVerfG in einem<br />
Beschluss vom 09.8.1978 vorgenommen und das Kriterium der Arbeitsbelastung<br />
des jeweils entscheidenden Spruchkörpers für nicht<br />
verfassungsrechtsmäßig erachtet – vgl. BVerfGE 49, 148 ff., 163 ff. Siehe zu<br />
dieser Differenzierung auch Prütting, ZZP 92 (1979), S. 272 ff., 276 sowie<br />
Radloff, NJW 1979, S. 534.<br />
41 Vgl. BVerfGE 54, 277, 293.<br />
42 Siehe BVerfGE 54, 277 ff., 295 f.<br />
43 Deren Relevanz ist bislang unbeachtet geblieben, abgesehen von Winte, ZRP<br />
1999, S. 387 ff., 391. Auch Dethloff (ZRP 2000, S. 428 ff., 432) sieht die Problematik,<br />
verneint aber die Verfassungsrechtswidrigkeit der Zulassungsregelungen<br />
des RegE aufgrund deren „Konkretisierung“ mittels unbestimmter<br />
Rechtsbegriffe.<br />
44 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 291.<br />
45 Vgl. BVerfGE 54, 277 ff., 292 ff.<br />
46 Siehe BT-Dr. 7/3596, S. 4.<br />
47 BVerfGE 54, 277 ff., 299.<br />
48 Siehe dazu die Begründung zum RefE, S. 97 ff., 98.; die zum RegE BT-Dr.<br />
14/4722, S. 65 ff.<br />
49 Siehe RegE, BT-Dr. 14/4722, S. 66.<br />
50 BVerfGE 54, 277 ff., 290.
AnwBl 3/2002 143<br />
Aufsätze l<br />
die verfassungsrechtliche Beurteilung anerkannten – Trennung<br />
der Regelungen betreffend den Zugang zum (jeweiligen)<br />
Rechtsmittelverfahren und den Regeln des Verfahrens<br />
selbst auszugehen. Hinzu kommt, dass bei beiden „Regelungsebenen“<br />
der andauernde Streit um die Zwecke der Revision<br />
51 eine gewichtige – und möglicherweise auch verfassungsrechtsrelevante<br />
Rolle spielt. Dies wirkt sich wiederum<br />
auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die konkrete<br />
Ausgestaltung des Rechtsmittels aus, im Falle der<br />
Revision ist das die Umgestaltung der bisherigen Streitwertund<br />
Zulassungsrevision zu einer Zulassungsgrundsatzrevision.<br />
Für deren verfassungsrechtliche Beurteilung kann<br />
zwar von dem bisherigen Befund ausgegangen werden,<br />
dass sowohl Zulassungsrevision 52 als auch Grundsatzrevision<br />
53 jeweils generell verfassungsrechtlich unbedenklich<br />
sind. Da die Revision auch nach ihrer Ausgestaltung durch<br />
die Reform gemäß §§ 542 ff. RegE ein „echtes“ Rechtsmittel<br />
der Partei(en) bleibt, ist für die verfassungsrechtliche<br />
Beurteilung ihrer Zugangsregeln nach BVerfGE 54, 277 ff.<br />
dieses „Charakteristikum“ der Revision maßgebend zu berücksichtigen.<br />
Wendet man die Grundsätze dieser Entscheidung<br />
auf die Revisionszugangsregelung im RegE an, dann<br />
zeigt sich, dass der Zugang zur Revision nach §§ 543, 544<br />
RegE einschließlich der ihn bestimmenden Zwecke und<br />
Kriterien in verfassungsrechtlicher Hinsicht problematisch<br />
ist: Das Spannungsverhältnis zwischen Einzelfallgerechtigkeit<br />
und Wahrung des Allgemeininteresses bei dem Zugang<br />
zur Revision soll nach der Begründung des RegE derart<br />
aufgelöst werden, dass im „Kollisionsfall“ die „Fortbildung<br />
des Rechts“ und die „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“<br />
als Belange des Justiz- oder Allgemeinwohls<br />
gegenüber der Durchsetzung des Parteiinteresses Vorrang<br />
haben. Eine von diesen Zielsetzungen getragene „Zulassungsgrundsatzrevision“,<br />
wie sie in §§ 543, 544 RegE geregelt<br />
ist, widerspricht aber gerade den verfassungsrechtlichen<br />
Anforderungen im Hinblick auf die in BVerfGE 54, 277 ff.<br />
aufgestellten Grundsätze: Die Nichtzulassung einer Revision<br />
mit Erfolgsaussicht, aber ohne „grundsätzliche Bedeutung“,<br />
verstößt danach gegen das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit<br />
aus Art 3 I GG sowie das Gebot der<br />
Rechtsmittelklarheit aus Art. 20 III GG 54 . Die „Grundsätzlichkeit“<br />
einer Rechtssache, die nunmehr entscheidendes<br />
Kriterium für die Zulassung und damit den Zugang zur<br />
Revisionsinstanz ist, führt nämlich für den beschriebenen<br />
Kollisionsfall dazu, dass eine erfolgversprechende Revision,<br />
die sich auf einen Rechtsfehler der angefochtenen Entscheidung<br />
stützt, nur deswegen nicht zugelassen wird und damit<br />
keinen Erfolg haben kann, weil die „Rechtssache“ keine<br />
„grundsätzliche Bedeutung“ aufweist. Das Problem wird<br />
noch deutlicher, wenn die Revision auf einen „schweren“<br />
oder „evidenten“ Rechtsfehler gestützt wird: Nach der herkömmlichen<br />
„Grundsätzlichkeit“, wie sie derzeit in den<br />
§§ 546 I 2 Nr. 2, 554b I ZPO verwendet wird 55 , ist eine<br />
„Grundsätzlichkeit“ bei einer „unproblematischen“, d. h.<br />
höchstrichterlich geklärten Rechtsfrage regelmäßig nicht<br />
gegeben. Da aber „schwere“ oder „evidente“ Fehler der<br />
Rechtsanwendung häufig schon geklärt sind oder wenigstens<br />
relativ schnell höchstrichterliche Beachtung finden,<br />
führt dies dazu, dass die Wahrscheinlichkeit einer Bejahung<br />
der „Grundsätzlichkeit“ desto geringer wird, je „schwerer“<br />
und „evidenter“ ein Rechtsfehler ist. Das hätte die groteske<br />
Folge, dass „versteckte“, also nicht eindeutig zu Tage tretende<br />
Fehler eher den Zugang zur Revisionsinstanz finden<br />
und behoben werden können als „schwere“ und eindeutige.<br />
Zwar kennt das Rechtsmittelrecht der ZPO die Unterschei-<br />
dung zwischen „schweren“ und nicht schweren Fehlern nur<br />
sehr eingeschränkt: Bei Verstößen gegen Verfahrensrecht<br />
für die Unrichtigkeit der angegriffenen Entscheidung 56 differenziert<br />
es grundsätzlich nach bestimmten „Fehlerkategorie“,<br />
wie sich aus §§ 551, 559 II ZPO ergibt 57 . Bezogen auf<br />
Verstöße gegen materielles Recht ist der ZPO eine solche<br />
Kategorisierung bislang fremd, wie aus § 549 ZPO folgt.<br />
Es ist jedoch auch nicht zu übersehen, dass der „Kontrollaspekt“<br />
58 des Rechtsmittels Revision bei einer Ausgestaltung<br />
des Revisionszugangs mit derartigen Folgen in seiner<br />
Bedeutung gemindert werden würde, denn „schwere“ und<br />
„evidente“ Rechtsverstöße sind i. d. R. bedrohlicher für die<br />
„Einzelfallgerechtigkeit“ 59 als andere Verletzungen des<br />
Rechts und können regelmäßig auch leichter erkannt und<br />
damit schneller wieder beseitigt werden. Zudem kann u. U.<br />
die gerichtliche Erörterung über das Vorliegen von „Grundsätzlichkeit“<br />
mehr Zeit und richterliche Arbeitskraft in Anspruch<br />
nehmen als die Zulassung der Revision einschließlich<br />
„Fehlerbeseitigung“ 60 .<br />
V. Fazit<br />
Die Anforderungen aus BVerfGE 54, 277 ff. waren dem<br />
Reformgesetzgeber bekannt, wie ein Blick in die Begründung<br />
des RegE zeigt. Ebenso bekannt sind die in dieser<br />
Entscheidung genannten verfassungsrechtlichen Grundlagen.<br />
Ausreichend Beachtung haben diese Grundsätze in<br />
der Ausgestaltung des „neuen“ Revisionszugangs allerdings<br />
nicht gefunden, so dass sich in der nahen Zukunft die Frage<br />
nach den Verfassungsrechtsmäßigkeit der Revisionszugangsregelungen<br />
gemäß §§ 543, 544 RegE stellen – und<br />
auch vom Bundesverfassungsgericht zu beantworten sein<br />
wird.<br />
51 Vgl. dazu beispielsweise Baur, ZZP 71 (1958), S. 161 ff.; Rosenberg/Schwab/<br />
Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl., S. 803 f.; jeweils m. w. N.<br />
52 Vgl. insbesondere den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom<br />
8.12.1965 (BVerfGE 19, 323 ff.), wonach die Zulassungsrevision in nicht vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten nach § 546 I ZPO verfassungsrechtlich zulässig<br />
ist und insbesondere kein Verstoß gegen Art. 3 I, 2 I i. V. m. Art. 20<br />
III, 101 I 2, 103 I GG vorliegt.<br />
53 Siehe dazu den bundesverfassungsgerichtlichen Beschluss vom 9.8.1978<br />
(BVerfGE 49, 148 ff.), wonach die „grundsätzliche Bedeutung“ auch als alleiniges<br />
Revisionszugangskriterium verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden<br />
ist.<br />
54 Vgl. zu Art. 3 I GG Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 16. Auflage, Heidelberg<br />
2000, S. 101 ff., 119; zur „Rechtsklarheit“ aus Art. 20 III GG nur Sachs<br />
(Hg.), Grundgesetz-Kommentar, 2. Aufl., München 1999, Sachs zu Art. 20<br />
GG, Rdnr. 123 ff.; jeweils m. w. N.<br />
55 Siehe dazu exemplarisch für die eher spärliche Rechtsprechung der obersten<br />
Bundesgerichte: BGHZ 2, 396 ff.; BAGE 2. 26 ff.; BFHE 89, 117 ff.;<br />
BVerwGE 13, 90 ff.; BSG MDR 1975, S. 964 f.<br />
56 Siehe zu Unrichtigkeit und Fehlerhaftigkeit im zivilprozessualen Rechtsmittelrecht<br />
insbesondere Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S. 51 ff.<br />
m. w. N.<br />
57 Die Unrichtigkeit einer Entscheidung ergibt sich nach dem „prozessualen<br />
Richtigkeitsbegriff“ der ZPO grundsätzlich nur dann, wenn die Entscheidung<br />
auf dem materiellen oder formellen Mangel „beruht“. Auf die Feststellung<br />
dieses generellen Kausalitätserfordernisses wird aber bei bestimmten, als „gravierend“<br />
eingestuften, Verfahrensmängeln aber verzichtet, wie aus §§ 539,<br />
551, 579 ZPO folgt – vgl. dazu Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S.<br />
61.<br />
58 Siehe dazu z. B. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Auflage<br />
1993, S. 802 ff.; Gilles, Rechtsmittel im Zivilprozess, 1972, S. 13 ff.; Gilles,<br />
JZ 1985, S. 253 ff., 254, jeweils m. w. N.<br />
59 Vgl. zum „Spannungsverhältnis“ von „Recht und Gerechtigkeit“ z. B. Sonnenberger,<br />
Jura 2000, S. 561 ff. m. w. N.<br />
60 Auf diesen Aspekt ist schon 1975 bei der Reform des Revisionsrechts hingewiesen<br />
worden, vgl. z. B. H. Schneider, NJW 1975, S. 1537 ff., 1539.
144<br />
l<br />
Die neue<br />
Geldwäscherichtlinie *<br />
– Blick zurück und nach vorn –<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Hans-Jürgen Hellwig,<br />
Frankfurt am Main, Vizepräsident des DAV<br />
Es begann im Jahr 1999, als die Europäische Kommission<br />
den Entwurf einer Richtlinie zur Änderung der Geldwäscherichtlinie<br />
von 1991 vorlegte, mit der u. a. Rechtsanwälte<br />
bei bestimmten Tätigkeiten verpflichtet werden<br />
sollten, bei Verdacht auf Geldwäscheaktivitäten der Mandanten<br />
den Behörden Meldung zu machen. Was vielen auf<br />
den ersten Blick als eine sinnvolle Maßnahme im Kampf<br />
gegen das organisierte Verbrechen erschien, führte zu einer<br />
heftigen Auseinandersetzung im europäischen Gesetzgebungsverfahren.<br />
Für viele Beobachter war diese Auseinandersetzung<br />
überraschend, schließlich gab es in England<br />
auf Grund nationaler Rechtsvorschriften schon seit<br />
mehreren Jahren eine Verdachtsmeldepflicht für Solicitors,<br />
ohne dass es bei deren Einführung zu einem Aufschrei des<br />
Berufsstandes gekommen wäre. Weshalb also kam es zu<br />
der heftigen Auseinandersetzung auf europäischer Ebene?<br />
Nach englischem Recht ist die Pflicht eines Solicitors<br />
zur Vertraulichkeit eine Vertragspflicht, die sich aus dem<br />
Mandatsvertrag mit dem Mandanten ergibt. Eine derartige<br />
Vertragspflicht durch nationales Gesetz einzuschränken, bereitet<br />
keine grundlegenden Schwierigkeiten. Gleichermaßen<br />
kann durch die englische Geldwäschegesetzgebung unschwer<br />
die vertragliche Informationspflicht gegenüber dem<br />
Mandanten eingeschränkt werden, indem es dem Solicitor<br />
verboten wird, den Mandanten über die erfolgte Meldung<br />
zu informieren (Verbot des sog. tipping-off). Gleichermaßen<br />
ist es rechtlich unproblematisch, wenn das englische Recht<br />
den Verstoß gegen die Meldepflicht oder das Verbot des tipping-off<br />
mit Strafe belegt. Während die skandinavischen<br />
Länder im Grundsatz im Wesentlichen dem englischen<br />
Recht folgen, stellt sich die Rechtslage in den Ländern des<br />
europäischen Kontinents fundamental anders dar. In diesen<br />
Ländern hat der Anwalt nicht nur eine vertragliche, sondern<br />
auch eine berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht, die<br />
sich nicht aus dem Mandatsvertrag, sondern aus der Stellung<br />
des Anwalts im Rechtspflegesystem (Organ der<br />
Rechtspflege) ergibt. In Deutschland ist die Verletzung<br />
dieser Verschwiegenheitspflicht nicht nur ein berufsrechtlicher<br />
Verstoß (§ 43a Abs. 2 BRAO), sondern auch eine<br />
Straftat (§ 203 Abs. 1 Nr. 3 StGB). In einigen kontinentaleuropäischen<br />
Ländern hat die berufsrechtliche Verschwiegenheitspflicht<br />
sogar Verfassungsrang. In Deutschland ist<br />
die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht nach der Rechtsprechung<br />
des Bundesverfassungsgerichts ein wesentlicher<br />
Bestandteil der „freien Advokatur“, und damit als Bürgerrecht<br />
ein wesentliches Element des Rechtsstaats. In Portugal<br />
ist die anwaltliche Verschwiegenheit sogar durch ausdrückliche<br />
Bestimmung in der Verfassung geschützt. In den kontinentaleuropäischen<br />
Ländern sind Anwälte deshalb nicht<br />
verpflichtet noch berechtigt, bei Verdacht auf Geldwäscheaktivitäten<br />
des Mandanten die Behörden zu informieren.<br />
Die Anwälte in diesen Ländern haben nur die Möglichkeit,<br />
das Mandat niederzulegen.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Diese fundamentalen Unterschiede kamen bei der ersten<br />
Lesung des neuen Geldwäsche-Richtlinienentwurfs der<br />
Kommission im Europäischen Parlament zum Tragen. Die<br />
Mehrheit des Parlaments beschloss im Juli 2000 speziell<br />
mit Blick auf Rechtsanwälte eine Reihe von Änderungen<br />
gegenüber dem Entwurf der Kommission und verlangte insbesondere<br />
eine obligatorische Freistellung von der Meldepflicht<br />
nicht nur für die Vertretung in Gerichtsverfahren,<br />
sondern auch für die Rechtsberatung.<br />
Diese Position des Europaparlaments wurde von den<br />
Justizministerien der meisten kontinentaleuropäischen Länder<br />
geteilt. Diese wurden jedoch durch einen „Verfahrenstrick“<br />
zum Schweigen gebracht: Die Präsidentschaft des<br />
Rats gab die Federführung für die neue Richtlinie an den<br />
ECOFIN-Rat, d. h. an die Finanz- und Wirtschaftsminister.<br />
Die französische Präsidentschaft legte im September<br />
2000 einen Vorschlag vor, wonach Anwälte nicht nur<br />
bezüglich der Informationen, die sie bei der Vertretung in<br />
einem Gerichtsverfahren (oder im Zusammenhang mit<br />
einem solchen Verfahren) erfahren haben, von der Verdachtsmeldepflicht<br />
sollten freigestellt werden können, sondern<br />
auch bezüglich solcher Informationen, die sie „im<br />
Rahmen der Beurteilung der Rechtslage“ für den Mandanten<br />
erhalten haben (Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2). Wie aus<br />
Kreisen des Ministerrats zu erfahren war, geht dieser Vorschlag<br />
auf eine inoffizielle Anregung der englischen Regierung<br />
zurück. Dies erscheint durchaus plausibel, denn zum<br />
einen ist „die Beurteilung der Rechtslage“ für den Mandanten<br />
neben der Vertretung des Mandanten im Gerichtsverfahren<br />
ein wesentlicher Teil der Tätigkeit eines englischen<br />
Barrister und zum anderen ist „die Beurteilung der Rechtslage“<br />
enger als der Begriff der Rechtsberatung, die die<br />
typische Tätigkeit eines englischen Solicitor darstellt. So<br />
gesehen erscheint der Vorschlag der französischen Präsidentschaft<br />
als maßgeschneidert im Hinblick auf die Struktur<br />
der Anwaltschaft in England. Der französischen Präsidentschaft<br />
gelang es, die Unterstützung von Spanien zu<br />
gewinnen. Italien und Frankreich waren trotz strenger Verschwiegenheitsvorschriften<br />
von Anfang an für eine Meldepflicht<br />
ihrer Anwälte gewesen, offenbar nicht zuletzt deswegen,<br />
weil eine Anzahl von Politikern, die im<br />
bürgerlichen Beruf Anwälte sind, in Bestechungsskandale<br />
verwickelt waren („mani puliti“). Die verbleibende Opposition<br />
aus Deutschland – hier ist der Bundesjustizministerin,<br />
Prof. Dr. Herta Däubler-Gmelin, für ihren Einsatz zu danken<br />
– und Österreich reichte für die erforderliche qualifizierte<br />
Minderheit nicht aus. So kam es, dass die neue Richtlinie<br />
mit einigen wenigen Änderungen betreffend Anwälte<br />
vom Rat im November 2000 einstimmig angenommen<br />
wurde. Im Wesentlichen weist dieser sog. Gemeinsame<br />
Standpunkt des Rats alle wichtigen Forderungen des Parlaments<br />
zurück und stellt den ursprünglichen Entwurf der<br />
Kommission von 1999 wieder her.<br />
Bei seiner Zweiten Lesung im April 2001 hielt das Europaparlament<br />
zahlreiche seiner Einwendungen von der ersten<br />
Lesung im Juli 2000 aufrecht. Einige Einwendungen<br />
fanden jedoch nicht mehr die erforderliche Mehrheit des<br />
Parlaments.<br />
Es folgte das sog. Vermittlungsverfahren. Es wurde wie<br />
schon die vorangegangenen Abschnitte des europäischen<br />
* Im Anschluss an die vorangegangenen Aufsätze des Autors, „EU-Geldwäscherichtlinie:<br />
Kommt die Verdachtsmeldepflicht für Rechtsanwälte? Oder: Der Anwalt<br />
als Spitzel der Obrigkeit?“, AnwBl 2000, 614 ff., und „Der Anwalt als<br />
Spitzel der Obrigkeit? EU-Geldwäscherichtlinie: Kommt die Verdachtsmeldepflicht<br />
für Rechtsanwälte?“, MittBl. DAV-ARGE Internationaler Rechtsverkehr<br />
2001, 13 ff. Die neue Geldwäscherichtlinie ist veröffentlicht in ABl. L 344/76<br />
vom 28.12.2001.
AnwBl 3/2002 145<br />
Aufsätze l<br />
Gesetzgebungsverfahrens von intensiver Lobbytätigkeit des<br />
CCBE und der Anwaltsorganisationen der einzelnen Mitgliedsländer<br />
begleitet, in Deutschland vom Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong> und von der Bundesrechtsanwaltskammer.<br />
Dieses Vermittlungsverfahren wurde von den Ereignissen<br />
des 11. September 2001 überschattet. Nach diesem Tag war<br />
auch und gerade im Bereich des Kampfes gegen die Geldwäsche<br />
die Welt nicht mehr dieselbe. Die Wirtschafts- und<br />
Finanzminister der einzelnen Länder übten unglaublichen<br />
Druck auf ihre nationalen Europaabgeordneten aus, insbesondere<br />
diejenigen, die für das Parlament im Vermittlungsverfahren<br />
tätig waren. Man muss jedoch fairerweise<br />
feststellen, dass der Rat, wie die folgenden Ausführungen<br />
zeigen werden, zumindest in einem wichtigen Punkt von<br />
seiner ursprünglichen Position abrückte. Das Vermittlungsverfahren<br />
endete im Oktober 2001 mit einem gemeinsamen<br />
Ergebnis, das von Rat und Parlament im November 2001<br />
gebilligt worden ist. Die neue Geldwäscherichtlinie, mit<br />
der die Richtlinie von 1991 geändert wird, ist damit wirksam<br />
geworden und muss jetzt von den Mitgliedsstaaten innerhalb<br />
von achtzehn Monaten in nationales Recht umgesetzt<br />
werden.<br />
Das folgende ist eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten<br />
Bestimmungen der Richtlinie, so weit sie Anwälte<br />
betreffen, verbunden mit Überlegungen zur Umsetzung in<br />
den Mitgliedsstaaten.<br />
1. Nach den umfangreichen neuen Definitionen in Artikel<br />
1 der Richtlinie ist Geldwäsche der Umtausch, der<br />
Transfer, das Verheimlichen, das Verschleiern, der Erwerb,<br />
der Besitz und die Verwendung (sowie die Teilnahme an<br />
einer solchen Handlung) von Vermögensgegenständen, die<br />
aus der Begehung einer schweren Straftat stammen, wozu<br />
u. a. jede Straftat gehört, „die beträchtliche Beträge hervorbringen<br />
kann und die nach dem Strafrecht des Mitgliedsstaates<br />
mit einer langen Freiheitsstrafe geahndet werden<br />
kann.“ Die Anwendung der Richtlinie ist in Zukunft also<br />
nicht mehr auf Geldwäsche im herkömmlichen Sinne beschränkt.<br />
Die Reichweite der Richtlinie hängt vielmehr in<br />
Zukunft entscheidend vom jeweiligen nationalen Recht ab.<br />
Dies ist die gemeinschaftsrechtliche Grundlage, auf der die<br />
deutsche Bundesregierung die schwere Steuerhinterziehung<br />
zur Vortat der Geldwäsche machen möchte.<br />
2. Nach Artikel 2a Nr. 5 der Richtlinie müssen die Mitgliedsstaaten<br />
dafür sorgen, dass die Verpflichtungen aus der<br />
Richtlinie auferlegt werden<br />
„Notaren und anderen selbstständigen Angehörigen von<br />
Rechtsberufen, wenn sie<br />
(a) für ihren Klienten an der Planung oder Durchführung<br />
von Transaktionen mitwirken, die Folgendes betreffen:<br />
(i) Kauf und Verkauf von Immobilien oder Gewerbebetrieben;<br />
(ii) Verwaltung von Geld, Wertpapieren oder sonstigen<br />
Vermögenswerten ihres Klienten;<br />
(iii) Eröffnung oder Verwaltung von Bank-, Spar- oder<br />
Wertpapierkonten,<br />
(iv) Beschaffung der zur Gründung, zum Betrieb oder<br />
zur Verwaltung von Gesellschaften erforderlichen Mittel;<br />
(v) Gründung, Betrieb oder Verwaltung von Treuhandgesellschaften,<br />
Gesellschaften oder ähnlichen Strukturen;<br />
(b) oder wenn sie im Namen und auf Rechnung ihres<br />
Klienten Finanz- oder Immobilientransaktionen erledigen.“<br />
Die vorstehende Aufzählung erfasst zahlreiche Tätigkeiten<br />
eines im Bereich des Wirtschaftsrechts tätigen Rechts-<br />
anwalts. Die Mitgliedsstaaten sind jedoch nicht auf diese<br />
Liste von Tätigkeiten beschränkt, sie können vielmehr weitere<br />
anwaltliche Tätigkeiten in ihre nationale Geldwäschegesetzgebung<br />
einbeziehen. Dies ergibt sich aus Artikel 15<br />
der Geldwäscherichtlinie von 1991, der, von der neuen<br />
Richtlinie nicht abgeändert, anwendbar bleibt. Nach dieser<br />
Vorschrift können die Mitgliedsstaaten zur Verhinderung<br />
der Geldwäsche strengere Vorschriften als in der Richtlinie<br />
vorgesehen erlassen; die Geldwäscherichtlinie ist also nur<br />
eine sog. Mindeststandard-Richtlinie.<br />
3. Nach Artikel 6 Abs. 1 müssen die Mitgliedsstaaten<br />
eine Meldepflicht gegenüber den Behörden hinsichtlich<br />
aller Tatsachen vorsehen, die ein Indiz für eine Geldwäsche<br />
sein könnten. Ob von dieser Meldepflicht eine Ausnahme<br />
für Anwälte gelten sollte, war äußerst kontrovers. Insofern<br />
ist festzustellen, dass Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 in der<br />
Fassung des Gemeinsamen Standpunkts des Ministerrats<br />
vom November 2000 unverändert geblieben ist. Dementsprechend<br />
sind die Mitgliedsstaaten nicht gehalten, die Verpflichtungen<br />
nach Artikel 6 Abs. 1 auf Notare und selbstständige<br />
Angehörige von Rechtsberufen hinsichtlich<br />
solcher Informationen vorzusehen, die diese „im Rahmen<br />
der Beurteilung der Rechtslage“ für einen Klienten oder –<br />
zusammengefasst formuliert – im Zusammenhang mit einem<br />
Gerichtsverfahren erhalten haben. Diese Vorschrift ist<br />
im Zusammenhang mit Erwägungsgrund 17 zu lesen, der<br />
einen Kompromiss zwischen den ursprünglichen Positionen<br />
von Parlament und Rat darstellt. Satz 1 von Erwägungsgrund<br />
17 stellt parallel zu Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 fest,<br />
dass es nicht angebracht wäre, selbstständige (gemeint ist<br />
wohl unabhängige) Angehörige von Berufen der Rechtsberatung,<br />
die gesetzlich anerkannt sind und überwacht werden<br />
wie beispielsweise Rechtsanwälte, einer Meldepflicht<br />
bei Verdacht auf Geldwäsche zu unterwerfen, wenn sie „die<br />
Rechtslage für einen Klienten beurteilen oder einen Klienten<br />
in einem gesetzlich normierten Verfahren vertreten“.<br />
Satz 2 legt sodann fest, dass „Freistellungen von der Pflicht<br />
zur Meldung von Informationen vorgesehen werden (sc.<br />
müssen), die vor oder nach einem Gerichtsverfahren bzw.<br />
während eines Gerichtsverfahrens oder im Rahmen der Beurteilung<br />
der Rechtslage für einen Klienten erlangt wurden.“<br />
Die Sätze 1 und 2 von Erwägungsgrund 17 entsprechen<br />
somit dem wesentlichen Gehalt der Ausnahmeregelung in<br />
Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 und umgekehrt. Der im Vermittlungsverfahren<br />
angefügte Satz 3 von Erwägungsgrund<br />
17 lautet:<br />
„Folglich unterliegt die Rechtsberatung weiterhin der<br />
beruflichen Geheimhaltungspflicht, es sei denn, der Rechtsberater<br />
ist an Geldwäschevorgängen beteiligt, die Rechtsberatung<br />
wird zum Zwecke der Geldwäsche erteilt oder der<br />
Rechtsanwalt weiß, dass der Klient die Rechtsberatung für<br />
Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt.“<br />
Das vorgenannte Konzept, auf die Kenntnis des Anwalts<br />
abzuheben, findet sich bereits in der Charta der europäischen<br />
Berufsverbände zur Unterstützung des Kampfes gegen<br />
die organisierte Kriminalität, die die Berufsverbände<br />
der Anwälte, Steuerberater, Notare, Bilanzbuchhalter und<br />
-prüfer und Wirtschaftsprüfer 1999 auf massiven Druck der<br />
Kommission verabschiedet haben. Selbst für diejenigen<br />
Länder Kontinentaleuropas, die den Anwalt nicht nur als<br />
reinen vertraglichen Dienstleister, sondern auch als Organ<br />
der Rechtspflege ansehen, erscheint es nicht grundsätzlich<br />
problematisch, eine Meldepflicht in den Fällen vorzusehen,<br />
in denen der Anwalt an Geldwäscheaktivitäten des Klienten<br />
beteiligt ist, die Rechtsberatung zum Zwecke der Geld-
146<br />
l<br />
wäsche erteilt oder der Klient die Rechtsberatung zum<br />
Zwecke der Geldwäsche in Anspruch nimmt und der Anwalt<br />
dies weiß. So weit auf Kenntnis des Anwalts abgehoben<br />
wird, bleibt allerdings ein Auslegungsproblem, denn<br />
dieser Begriff beinhaltet nach englischem Rechtsverständnis<br />
offenbar nicht nur positive Kenntnis, sondern auch den<br />
Verdacht unterhalb dieser Schwelle, sofern er nur eine gewisse<br />
Intensität hat.<br />
Unabhängig von dieser Frage ist festzustellen, dass<br />
Satz 3 von Erwägungsgrund 17 nicht in die eigentliche<br />
Richtlinienbestimmung von Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2<br />
aufgenommen worden ist. Jeder Mitgliedsstaat kann deswegen<br />
frei entscheiden, ob er die in Erwägungsgrund 17 Satz<br />
3 vorgesehene Meldepflicht-Ausnahme für die Rechtsberatung<br />
auf eine Stufe stellen will mit den in Artikel 6 Abs. 3<br />
Unterabs. 2 vorgesehenen Ausnahmen für die „Beurteilung<br />
der Rechtslage“ und die Tätigkeit im Zusammenhang mit<br />
einem Gerichtsverfahren. Einige Mitgliedsstaaten werden<br />
so verfahren, andere werden es mit Sicherheit nicht tun.<br />
In der Schlussabstimmung des Europäischen Parlaments<br />
hat der deutsche Abgeordnete Willi Rothley die Frage aufgeworfen,<br />
ob die in Erwägungsgrund 17 Satz 3 enthaltene<br />
Gegenausnahme – keine Befreiung von der Meldepflicht<br />
für den rechtsberatend tätigen Anwalt, der an Geldwäschevorgängen<br />
des Klienten beteiligt ist oder Rechtsberatung<br />
zum Zwecke der Geldwäsche erteilt oder der weiß, dass<br />
der Klient die Rechtsberatung für Zwecke der Geldwäsche<br />
in Anspruch nimmt – überhaupt wirksam wäre, weil der in<br />
diesen Fällen tätige Anwalt eine Straftat begeht und im Ergebnis<br />
auch sich selbst anzeigen müsste. In den beiden erstgenannten<br />
Alternativen wird in der Tat zumindest in der<br />
Regel eine strafbare Teilnahme des Rechtsanwalts vorliegen,<br />
sodass die Anordnung einer Meldepflicht durchaus gegen<br />
die Menschenrechtskonvention, gegen höherrangiges<br />
Gemeinschaftsrecht und gegen nationales Verfassungsrecht<br />
verstoßen kann.<br />
Abgesehen von der Einbeziehung von Satz 3 des Erwägungsgrundes<br />
17 in die ausdrücklichen Ausnahmeregelungen<br />
nach Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 haben die Mitgliedsstaaten<br />
ein weiteres, in den Auswirkungen wohl<br />
wichtigeres Wahlrecht. Die Ausnahmen von der Meldepflicht<br />
nach Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 sind nämlich für<br />
die Mitgliedsstaaten nicht verbindlich. Alle Bemühungen<br />
des Europäischen Parlaments in diese Richtung waren erfolglos.<br />
Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 2 beschränkt sich darauf,<br />
den Mitgliedsstaaten die genannten Ausnahmen von<br />
der Meldepflicht zu gestatten. Jeder Mitgliedsstaat kann<br />
also für sich selbst entscheiden. Dies bedeutet, dass einige<br />
Mitgliedsstaaten beschließen können, überhaupt keine Ausnahme<br />
vorzusehen, andere können alle drei Ausnahmen<br />
(Vertretung im Zusammenhang mit Gerichtsverfahren, Beurteilung<br />
der Rechtslage und Rechtsberatung) vorsehen,<br />
wieder andere können von den drei Ausnahmen eine oder<br />
zwei auswählen.<br />
4. Hinsichtlich der Frage, wem gegenüber die Meldung<br />
zu machen ist, gestattet es Artikel 6 Abs. 3 Unterabs. 1 den<br />
Mitgliedsstaaten, eine geeignete Selbstverwaltungseinrichtung<br />
der betreffenden Berufsgruppe als die Behörde zu bezeichnen,<br />
an die alle Meldungen zu machen sind, und die<br />
angemessenen Formen der Zusammenarbeit zwischen dieser<br />
Selbstverwaltungseinrichtung und den für die Bekämpfung<br />
von Geldwäsche zuständigen (staatlichen) Behörden festzulegen.<br />
Es bleibt abzuwarten, welche Mitgliedsstaaten<br />
von dieser Möglichkeit Gebrauch machen werden, die auf<br />
einen Vorschlag der französischen Anwaltschaft zurückgeht.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Bekanntlich sieht das schweizerische Recht eine Pflicht zur<br />
Meldung vor.<br />
5. Nach Artikel 8 Abs. 2 ist es den Mitgliedsstaaten<br />
überlassen, ob sie Anwälte vom Verbot, den Klienten über<br />
die erfolgte Meldung zu informieren (tipping-off) ausnehmen<br />
wollen. Es erscheint einigermaßen unwahrscheinlich,<br />
dass von dieser Möglichkeit viele Mitgliedsstaaten Gebrauch<br />
machen werden. Im Gegenteil, gerüchteweise heißt<br />
es, der Ministerrat, der ursprünglich in der Richtlinie keinerlei<br />
Ausnahme für Rechtsanwälte zulassen wollte, habe<br />
im Vermittlungsverfahren zwar Artikel 8 Abs. 2 gegenüber<br />
dem Parlament konzediert, die Minister hätten aber gleichzeitig<br />
mündlich vereinbart, dass kein Mitgliedsstaat von<br />
dieser Möglichkeit der Befreiung Gebrauch machen werde.<br />
Die Entwicklung bei der Umsetzung bleibt abzuwarten.<br />
6. Äußerst umstritten, wenn auch nicht speziell die Anwaltschaft<br />
betreffend, war Artikel 5 Abs. 4 des Gemeinsamen<br />
Standpunkts des Rates, wonach die gemeldeten<br />
Informationen grundsätzlich nur zur Bekämpfung der Geldwäsche<br />
benutzt werden dürfen, die Mitgliedsstaaten jedoch<br />
vorsehen können, dass die Informationen auch für andere<br />
Zwecke verwendet werden können. Das Europäische Parlament<br />
hatte diese Ausdehnungsmöglichkeit abgelehnt. Im<br />
Vermittlungsverfahren wurde Artikel 5 Abs. 4 insgesamt<br />
gestrichen. Auf den ersten Blick scheint es deshalb eine<br />
Frage der Auslegung der Richtlinie zu sein, für welche<br />
Zwecke Geldwäscheinformationen von den Behörden der<br />
Mitgliedsstaaten verwendet werden dürfen. Dies ist jedoch<br />
nicht unzweifelhaft. Eine Reihe von Mitgliedsstaaten werden<br />
wahrscheinlich bestimmen, dass gemeldete Informationen<br />
über Geldwäscheaktivitäten auch für andere Zwecke<br />
verwendet werden können, ohne sich um die Auslegung der<br />
Richtlinie Gedanken zu machen, mit dem einfachen Argument,<br />
dass, wenn Artikel 15 der Richtlinie von 1991, wie<br />
oben erwähnt, nur eine Mindestharmonisierung auf dem<br />
Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche vorsieht, es erst<br />
recht jedem Mitgliedsstaat freigestellt ist, zu entscheiden,<br />
ob Informationen über Geldwäscheaktivitäten (im Sinne der<br />
Definition, die das nationale Recht dem Begriff der Geldwäsche<br />
im Rahmen der Richtlinie geben kann) auch für andere<br />
Zwecke verwendet werden dürfen. Hier ergeben sich<br />
polizeistaatliche Möglichkeiten, die auch noch nicht annähernd<br />
ausgelotet worden sind.<br />
Die Ausnahmen von der Meldepflicht, die in Artikel 6<br />
Abs. 3 Unterabs. 2 und in Erwägungsgrund 17 vorgesehen<br />
sind, stellen durchaus einen Erfolg für alle diejenigen dar,<br />
die wie das Europaparlament, der CCBE und viele nationale<br />
Anwaltsorganisationen die anwaltliche Verschwiegenheitspflicht<br />
als ein Bürgerrecht des Klienten gegen die Auferlegung<br />
einer Meldepflicht in bloßen Fällen des Verdachts<br />
schützen wollten: In einer rechtsstaatlichen Demokratie im<br />
Gegensatz zum Polizeistaat ist der Anwalt Vertrauensperson<br />
des Klienten und nicht Spitzel der Obrigkeit. Insbesondere<br />
dem Europa-Abgeordneten Klaus-Heiner Lehne gebührt als<br />
Berichterstatter des Parlaments der Dank der Anwaltschaft<br />
für seinen unermüdlichen Einsatz – mehr war nach dem<br />
11. September 2001 nicht zu erreichen. Der Umstand, dass<br />
die genannten Ausnahmen von der Meldepflicht in das Belieben<br />
der Mitgliedsstaaten gestellt worden sind, bedeutet<br />
jedoch, dass dieser Erfolg nur ein Teilerfolg ist und dass<br />
diejenigen Mitgliedsstaaten, die den Anwälten Meldepflichten<br />
ohne jegliche Ausnahme auferlegen wollten, die Auseinandersetzung<br />
nicht verloren haben. Sie können jetzt auf<br />
der nationalen Ebene tun, was sie wollen. Deswegen wird<br />
die Auseinandersetzung in einigen Mitgliedsstaaten auf der
AnwBl 3/2002 147<br />
Aufsätze l<br />
nationalen Ebene weitergehen. Es wird in Zukunft weitgehend<br />
bis ausschließlich vom jeweiligen nationalen Recht<br />
abhängen, ob und wieweit es zulässig ist, den Tätigkeitsbereich,<br />
innerhalb dessen Anwälte der Richtlinie unterliegen,<br />
zu erweitern oder die in der Richtlinie ermöglichten<br />
Ausnahmen von der Meldepflicht zu versagen oder über die<br />
Definition der Geldwäsche-Vortat noch weiter gehende<br />
Meldepflichten einzuführen. Ob und wieweit derartige mitgliedsstaatliche<br />
Maßnahmen zulässig sind, wird sich weniger<br />
nach der Richtlinie als nach nationalem Recht und gegebenenfalls<br />
der Menschenrechtskonvention richten; die<br />
Richtlinie hat insofern freie Bahn gegeben.<br />
Es lässt sich heute noch nicht absehen, wie das Endergebnis<br />
aussehen wird, wenn das Verfahren zur Umsetzung<br />
der neuen Geldwäscherichtlinie in allen Mitgliedsstaaten<br />
abgeschlossen ist. Wahrscheinlich wird es dann in Europa<br />
auf dem Gebiet der Bekämpfung der Geldwäsche, so weit<br />
die Anwaltschaft in Rede steht, einen „Flickenteppich“ geben,<br />
weil die einschlägigen Bestimmungen von Land zu<br />
Land unterschiedlich sind. Die Unterschiede können beginnen<br />
bei den erfassten Tätigkeitsbereichen eines Anwalts<br />
und der Definition der schweren Straftaten, die Vortat im<br />
Sinne der Geldwäschevorschriften sind. Unterschiede sind<br />
ferner denkbar bei der Frage, ob die Meldepflicht positive<br />
Kenntnis verlangt oder ob eine gewisse Intensität von Verdacht<br />
ausreicht. Schließlich sind Unterschiede denkbar bei<br />
der Befreiung von der Meldepflicht hinsichtlich bestimmter<br />
Arten anwaltlicher Tätigkeit (Vertretung im Zusammenhang<br />
mit gerichtlichen Verfahren, Beurteilung der Rechtslage,<br />
Rechtsberatung), womit letztlich die Reichweite der beruflichen<br />
Verschwiegenheitspflicht bestimmt wird. Die Meldepflicht<br />
wird mit aller Wahrscheinlichkeit strafbewehrt sein.<br />
Umgekehrt wird die unberechtigte Verletzung der Verschwiegenheitspflicht<br />
berufsrechtlich und z. B. in Deutschland<br />
strafrechtlich geahndet. Der zu erwartende „Flickenteppich“<br />
wird deshalb große Probleme bereiten, wenn<br />
Anwälte aus verschiedenen europäischen Rechtsordnungen<br />
oder aus Büros in verschiedenen europäischen Ländern<br />
grenzüberschreitend tätiger Anwaltskanzleien oder wenn<br />
selbstständige Kanzleien aus dem einen Mitgliedsstaat mit<br />
selbstständigen Kanzleien in anderen Mitgliedsstaaten zusammenarbeiten<br />
wollen: Kann der eine Anwalt dem anderen<br />
Anwalt Informationen geben, die nach dessen Recht<br />
eine Meldepflicht auslösen? Begeht er selbst nicht damit<br />
nach seinem eigenen Recht eine berufsrechtlich und gegebenenfalls<br />
strafrechtlich zu ahndende Verletzung seiner Verschwiegenheitspflicht?<br />
Die von Land zu Land unterschiedlichen Regelungen<br />
prallen in extremer Weise aufeinander, wenn ein Anwalt<br />
aus dem einen Land im Rahmen der Niederlassungsrichtlinie<br />
eine Kanzlei in einem anderen Land eröffnet. Dieser<br />
Anwalt wird möglicherweise in einem unlösbaren Konflikt<br />
stehen: Das Recht des einen Landes kann eine strafbewehrte<br />
Meldepflicht vorsehen, und die Erfüllung dieser<br />
Meldepflicht kann eine strafbewehrte Verschwiegenheitsverletzung<br />
nach dem Recht des anderen Landes sein, und<br />
umgekehrt, solange nicht geklärt ist, welches Recht für den<br />
im Rahmen der Niederlassungsrichtlinie in einem anderen<br />
Land niedergelassenen Rechtsanwalt gilt. Tatsache ist, dass<br />
dieses Problem heute bereits zwischen Ländern wie<br />
Deutschland und Frankreich auf der einen Seite und England<br />
auf der anderen Seite besteht, denn das englische<br />
Recht unterwirft nicht nur englische Solicitors, sondern<br />
auch ausländische Anwälte, die in England tätig sind, den<br />
Meldepflichten bei Verdacht auf Geldwäsche, und ein eng-<br />
lischer Solicitor unterliegt auch dann seinem englischen<br />
Berufsrecht, wenn er im Ausland tätig ist. Diese Probleme<br />
sind durch die neue Geldwäscherichtlinie wegen der vielen<br />
nationalen Wahlrechte nicht wirklich verringert worden. Die<br />
Intensivierung des Kampfes gegen die Geldwäsche wird<br />
eher die Probleme vergrößern. In den letzten Jahren sind die<br />
unterschiedlichen nationalen Vorschriften über Interessenkonflikte<br />
zu einem immer größeren Problem für die grenzüberschreitende<br />
Arbeit der Anwaltschaft – in Großkanzleien,<br />
aber auch zwischen kleinen Kanzleien – geworden.<br />
Es steht zu befürchten, dass dasselbe in Zukunft für die Regelungsunterschiede<br />
auf dem Gebiet der Geldwäsche gelten<br />
wird.<br />
Das verfassungsrechtlich<br />
befremdliche Verhältnis des<br />
Gesetzgebers zur<br />
Unschuldsvermutung *<br />
Uwe Diercks,** Polizeipräsidium Bonn<br />
I. Einleitung<br />
Früher nahm ein auf Ehrenschutz und Unschuldsvermutung<br />
bedachter Beobachter noch Anstoß, wenn Boulevard-<br />
Zeitungen den Beschuldigten noch vor gefälltem Urteil, geschweige<br />
denn vor dessen Rechtskraft, bereits als „Täter“<br />
darstellten: Der Richter wusste es noch nicht – aber der<br />
Journalist wusste es schon 1 .<br />
Heute können sich Journalisten in Deutschland auf einen<br />
prominenten Eideshelfer für ihre Weltsicht berufen – den<br />
Gesetzgeber selbst: Der Richter weiß es noch nicht – aber<br />
der Gesetzgeber weiß es schon 2 . Denn er verwendet in seiner<br />
Gesetzessprache – in der Phase des Ermittlungsverfahrens<br />
(!) – den Begriff „Täter“, und zwar in den strafprozessualen<br />
Eingriffsermächtigungen der §§ 98a, 100c, 111, 163d,<br />
163e, 163f StPO sowie in § 4 BKA-Gesetz.<br />
Wegen dieses verfassungsrechtlich anstößigen Begriffs<br />
„Täter“ im Ermittlungsverfahren machte der Verfasser im<br />
* Der Beitrag gibt die persönliche Auffassung des Verfassers wieder und dokumentiert<br />
zugleich den Versuch, im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen<br />
Rang der Unschuldsvermutung und hinsichtlich des Gebots rechtsstaatlicher<br />
Präzision über den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages vom Gesetzgeber<br />
eine sachgerechte, eindeutige und jeden Anschein einer unzulässigen<br />
Schuldzuweisung vermeidende Gesetzessprache im Rahmen einer entsprechenden<br />
Gesetzesnovellierung zu erreichen.<br />
** Mein herzlicher Dank gilt folgenden Rechtswissenschaftlern und Praktikern,<br />
die der im AnwBl 1999, 311 ff., wiedergegebenen Rechtsauffassung und/oder<br />
der in der Eingabe an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages<br />
(Pet. 4-14-07-3120-013178) geäußerten Bedenken weitgehend bzw. vollkommen<br />
zustimmten und wertvolle Anregungen gaben: Professoren Dres.<br />
H. Achenbach, Osnabrück; W. Gropp, Gießen; G. Grünwald, Bonn; W. Hassemer,<br />
Richter des Bundesverfassungsgerichts, Frankfurt a. M./Karlsruhe;<br />
K. Kühl, Tübingen; H. Lisken, Polizeipräsident a. D., Düsseldorf; E. G. Mahrenholz,<br />
Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a. D., Karlsruhe; K. Marxen,<br />
Berlin; H.-U. Paeffgen, Bonn; C. Roxin, München; F.-C. Schroeder,<br />
Regensburg; R. Zaczyk, Trier; Habilitanden Dres. K.-S. von Danwitz, Bonn;<br />
C.-F. Stuckenberg, Bonn; Rechtsanwälte Dres. S.-R. Eiffler, Lehrbeauftragter<br />
im Polizeidienst, Berlin; H. Nitz, Hannover; C.-H. Soehring, München; Ministerialrat<br />
a. D. Dr. U. Kaack, Kiel; Polizeidirektor R. Wellenbeck, Leiter des<br />
Polizeiausbildungsinstituts Brühl.<br />
1 Paeffgen, StV 1999, 625.<br />
2 Paeffgen, StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320); ders., Vorüberlegungen<br />
zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, Habil.-Schrift 1986, S. 77<br />
(zur Verantwortung des Gesetzgebers hinsichtlich der Unschuldsvermutung).
148<br />
l<br />
Interesse der Rechts- und Polizeikultur von dem in Artikel 17<br />
GG verbrieften Eingaberecht Gebrauch und wandte sich –<br />
insbesondere unter Zugrundelegung der im <strong>Anwaltsblatt</strong> 3<br />
dargestellten Bedenken – wie folgt an den Petitionsausschuss<br />
des Deutschen Bundestages 4 :<br />
„... Der meines Erachtens falsche Sprachgebrauch des<br />
Bundesgesetzgebers in diesem sehr sensiblen Bereich führt<br />
in der Praxis zu dem im <strong>Anwaltsblatt</strong> geschilderten rechtlich<br />
unhaltbaren Zustand. Die vom Innenminister NRW<br />
und Justizminister NRW auf meine Eingaben in Anlagen<br />
erwähnte ,abstrakte’ Verwendung des Täterbegriffs durch<br />
den Gesetzgeber steht nicht im Einklang mit den grundsätzlichen<br />
Implikationen dieses Sprachgebrauchs.<br />
Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der<br />
Unschuldsvermutung und das Gebot rechtsstaatlicher Präzision<br />
sollte zur begrifflichen Klarstellung im prozessualen<br />
Sprachgebrauch nicht vom ,Täter’, sondern vom ,Verdächtigen’<br />
oder ,Beschuldigten’ gesprochen werden.<br />
Trotz verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Einwände<br />
bzw. Bedenken aus Wissenschaft und Praxis wurde<br />
die normative begriffliche Klarstellung im prozessualen<br />
Sprachgebrauch bisher nicht vorgenommen. Deshalb erscheint<br />
eine verfassungskonforme begriffliche Klarstellung<br />
entsprechend den Vorgaben der unveränderlichen verfassungsrechtlichen<br />
Prinzipien erforderlich, sodass der Bundesgesetzgeber<br />
gefragt ist. ...“<br />
II. Rechtsauffassung des Petitionsausschusses des<br />
Deutschen Bundestages und des Bundesministeriums der<br />
Justiz<br />
Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages teilte<br />
unter Einbeziehung folgender Stellungnahme des Bundesministeriums<br />
der Justiz 5 mit, dass die Petition erfolglos<br />
bleiben werde; denn der vom Gesetzgeber bezeichnete Begriff<br />
des Täters – der im Rahmen der Ermittlungen neutral<br />
verwandt und erst dann konkretisiert werde, wenn sich die<br />
Ermittlungen gegen eine bestimmte oder bestimmbare Person<br />
richten – sei zutreffend:<br />
„Die von dem Petenten beanstandete Wortwahl berührt nicht den Grundsatz<br />
der Unschuldsvermutung; sie ist präzise und richtig. Der Gesetzgeber<br />
verwendet den Begriff ,Täter’ in den beanstandeten Vorschriften folgerichtig<br />
in Anknüpfung an die den Ausgangspunkt der Untersuchung bildende Annahme,<br />
eine Straftat sei verübt worden, ohne dass damit über diesen abstrakten<br />
Bezugspunkt hinaus bereits konkret individualisierte oder individualisierbare<br />
Verdächtige oder Beschuldigte gemeint sind.<br />
1. § 98a Abs. 1 Satz 1 StPO erlaubt es, personenbezogene Daten von<br />
Personen, die bestimmte, auf den Täter vermutlich zutreffende Prüfungsmerkmale<br />
erfüllen, mit anderen Daten maschinell abzugleichen, um Nichtverdächtige<br />
auszuschließen oder Personen festzustellen, die weitere für die<br />
Ermittlungen bedeutsame Prüfungsmerkmale erfüllen. In Absatz 1 Satz 2<br />
wird der Begriff ,Täter’ genannt, um die Zwecke der in der Vorschrift behandelten<br />
(subsidiären) Ermittlungsmaßnahme zu beschreiben, nämlich die<br />
Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />
(wahren) Täters. Der Datenabgleich findet regelmäßig in einem besonders<br />
frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens statt, in dem es überhaupt noch<br />
keinen Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, vielmehr erst zureichende tatsächliche<br />
Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass eine Straftat von erheblicher<br />
Bedeutung (aus bestimmten Deliktsbereichen) begangen worden ist.<br />
Die StPO regelt nämlich weder den Beginn der Beschuldigteneigenschaft<br />
noch definiert sie den Begriff des Verdächtigen. Der Begriff des Beschuldigten<br />
ist demgemäss auch umstritten. Ein Teil des Schrifttums will den Begriff<br />
eher objektiv verstehen und sieht daher denjenigen als Beschuldigten an, gegen<br />
den sich ein personenbezogener Anfangsverdacht von solchem Gewicht<br />
richtet, dass er bei einer objektiven Betrachtung als Beschuldigter erscheint.<br />
Nach einer subjektiv orientierten Auffassung ist dagegen Voraussetzung der<br />
Beschuldigteneigenschaft, dass das jeweils zuständige Strafverfolgungsorgan<br />
das Verfahren gerade gegen diese Person als Beschuldigten betreibt; vor diesem<br />
Hintergrund wird derjenige als Beschuldigter angesehen, gegen den sich<br />
der Verfolgungswille in einem äußerlich erkennbaren Verfolgungsakt manifestiert<br />
(siehe im einzelnen Rieß, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Auflage,<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
§ 163a Rdnr. 7 ff. mit zahlreichen Nachweisen). Allen Ansätzen ist damit<br />
aber gemeinsam, dass die als Beschuldigter anzusehende Person individuell<br />
bestimmt oder zumindest bestimmbar sein muss. Dies ist schon deshalb<br />
unerlässlich, weil die den Beschuldigten betreffenden und vielfach seinem<br />
Schutz dienenden gesetzlichen Vorschriften, namentlich sein Recht, sich nicht<br />
selbst belasten zu müssen, nur in Bezug auf ein bestimmtes oder<br />
bestimmbares Individuum und nicht in Bezug auf einen Unbekannten<br />
Anwendung finden können. Nach der Rechtsprechung des BGH erlangt ein<br />
Verdächtiger die Stellung eines Beschuldigten, wenn die Staatsanwaltschaft<br />
Maßnahmen gegen ihn ergreift, die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn<br />
wegen einer Straftat vorzugehen (NStZ 97, 398 ff.). Auch der Verdacht richtet<br />
sich – sofern er nicht ohnehin die Pflicht zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft<br />
entstehen lässt (vergleiche dazu Rieß, aaO, § 163a Rdnr. 13) –<br />
gegen eine individuell bestimmte oder bestimmbare Person, denn bei einer so<br />
genannten Unbekanntsache ist gerade noch kein Tatverdächtiger erkennbar,<br />
weshalb in dem betreffenden Ermittlungsverfahren erst recht auch noch niemand<br />
als Beschuldigter behandelt werden kann (Rieß, aaO, § 163a Rdnr. 13).<br />
Zusammengefasst lässt sich damit sagen, dass ebenso wenig wie jeder<br />
Verdächtige oder Beschuldigte Täter ist, jeder Täter Verdächtiger oder Beschuldigter<br />
ist.<br />
Die Ersetzung des Begriffs ,Täter’ durch den Begriff ,Verdächtiger’<br />
oder den Begriff ,Beschuldigter’ würde daher den Sinn der Vorschrift verfehlen,<br />
weil die in ihr geregelte Maßnahme gerade den Zweck hat, Personen<br />
zu ermitteln, die dann gegebenenfalls die prozessuale Stellung eines Beschuldigten<br />
erhalten.<br />
2. Auch im Rahmen des § 100c StPO, der den Einsatz technischer Mittel<br />
regelt, wird der Begriff ,Täter’ dort genannt, wo die Zwecke der in der<br />
Vorschrift behandelten (subsidiären) Ermittlungsmaßnahmen beschrieben<br />
werden, nämlich die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des<br />
Aufenthaltsortes des (wahren) Täters (Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe b, Nr. 2, Nr.<br />
3, Absatz 2 Satz 2, 3 und 5).<br />
Die Verwendung des Begriffs ,Beschuldigter’ in Absatz 2 Satz 1, 4, 5<br />
zeigt, dass das Gesetz den Beschuldigten gerade nicht mit dem Täter gleichstellt.<br />
Absatz 2 Satz 1 trägt dem Umstand Rechnung, dass sich im Ermittlungsverfahren<br />
keine Maßnahmen gegen den ,Täter’ richten können. Die in<br />
Absatz 2 Satz 4 und 5 behandelten besonders sensitiven Maßnahmen der<br />
akustischen Wohnraumüberwachung setzen nach dem Willen des Gesetzgebers<br />
voraus, dass es bereits einen Beschuldigten gibt, um durch Anknüpfung<br />
an dessen individualisierte Person den Kreis der betroffenen Objekte –<br />
also der Wohnungen, in denen Maßnahmen zulässig sind – sachgerecht einzugrenzen.<br />
In Absatz 2 Satz 2 und 3 muss dagegen vom ,Täter’ die Rede sein, weil<br />
die dort behandelten weniger sensitiven Maßnahmen nach dem Willen des<br />
Gesetzgebers gegen Personen, die nicht Beschuldigte sind, auch dann möglich<br />
sein sollen, wenn es noch keinen individualisierten Verdächtigen oder<br />
Beschuldigten gibt, dieser vielmehr durch die Maßnahmen erst ermittelt werden<br />
soll.<br />
3. Für Maßnahmen nach § 111 StPO gilt das zu § 98a StPO Gesagte<br />
entsprechend. Für die Einrichtung von Kontrollstellen ist gerade typisch,<br />
dass sie häufig in unmittelbarem Anschluss an schwerwiegende Straftaten –<br />
etwa Überfälle auf Kreditinstitute – angeordnet wird und es in diesem frühen<br />
Verfahrensstadium weder einen Beschuldigten noch einen Verdächtigen<br />
gibt, sodass die Verwendung der Begriffe ,Verdächtiger’ und ,Beschuldigter’<br />
an Stelle des Begriffs ,Täter’ die Vorschrift im Ergebnis ihres Anwendungsbereiches<br />
berauben würde.<br />
4. Für § 163d StPO, der unter bestimmten Voraussetzungen die Speicherung<br />
von Daten erlaubt, gelten die Ausführungen zu § 98a StPO entsprechend.<br />
5. Die Verwendung des Begriffs ,Täter’ in § 163e Abs. 1 Satz 2 StPO<br />
dient – nicht anders als im Zusammenhang mit § 100c Absatz 1 Nr. 1 Buchstabe<br />
b, Nr. 2, Nr. 3, Absatz 2 Satz 2, 3 und 5 StPO – der Beschreibung des<br />
Zwecks der Maßnahme (Erforschung des Sachverhalts oder Ermittlung des<br />
Aufenthaltsortes des Täters). Die Maßnahme darf sich nur gegen den<br />
Beschuldigten richten (sie kann sich gar nicht gegen einen unbekannten Täter<br />
richten). Für § 163e Abs. 1 Satz 3 StPO gilt wiederum, dass die Ausschreibung<br />
zur Beobachtung von Personen, die nicht Beschuldigte sind, nach dem<br />
Willen des Gesetzgebers auch dann möglich sein soll, wenn es noch keinen<br />
individualisierten Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, dieser vielmehr<br />
durch die Maßnahme erst ermittelt werden soll.<br />
Für gesetzgeberische Maßnahmen besteht nach allem kein Handlungsbedarf.“<br />
3 Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N.; ders., AnwBl 1987, 154, 155, 169 ff.<br />
m. w. N. (zum verfassungsrechtlichen Nachholbedarf im Ermittlungsverfahren).<br />
4 Eingabe vom 26.10.1999, Pet. 4-14-07-3120-013178.<br />
5 Stellungnahme des Ministerialdirektors Dr. H. Hilger vom BMJ vom<br />
18.1.2000, RB3-4100 II-R 2 624/1999.
AnwBl 3/2002 149<br />
Aufsätze l<br />
III. Einwände<br />
Hinsichtlich der Stellungnahme des Bundesministeriums<br />
der Justiz und des Ergebnisses des Petitionsausschusses des<br />
Deutschen Bundestages gab der Verfasser folgende Einwände<br />
6 zu bedenken:<br />
„1. Verwendung des Begriffs ,Täter’<br />
Der Auffassung, dass vom Gesetzgeber der Begriff des<br />
,Täters’ im Rahmen der Ermittlungen neutral verwandt und<br />
erst dann konkretisiert werde, wenn sich die Ermittlungen<br />
gegen eine bestimmte oder bestimmbare Person richten,<br />
kann unter Berücksichtigung aller rechtstheoretischen und<br />
praxisbezogenen Aspekte nicht gefolgt werden.<br />
Bei der strafprozessrechtsdogmatischen Diskussion um<br />
den ,Täter’-Begriff fällt auf, dass die Lehre 7 davon ausgeht,<br />
dass eine entsprechende Person in der Phase des Ermittlungsverfahrens<br />
(!) lediglich Tatverdächtiger bzw. Beschuldigter<br />
sein kann, nicht jedoch ,Täter’.<br />
Dies möchte ich an den strafprozessualen Eingriffsermächtigungen<br />
der §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e StPO<br />
verdeutlichen:<br />
1.1 § 98a StPO (Rasterfahndung)<br />
In § 98a Abs. 1 S. 2 StPO ist die Formulierung (,wenn<br />
... die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere<br />
Weise erheblich weniger Erfolg versprechend oder wesentlich<br />
erschwert wäre’ – sog. Subsidiaritätsklausel) bedenklich;<br />
denn diese Regelung bezieht sich auf den<br />
Aufenthaltsort einer Person zur Zeit des Ermittlungsverfahrens,<br />
und in diesem Zeitpunkt ist noch niemand ,Täter’ 8 .<br />
Die Bestimmung hat hier die bedenkliche Folge, dass die<br />
Ermittlungsorgane denjenigen, dessen Aufenthaltsort sie ermitteln,<br />
bereits als ,Täter’ ansehen; sie werden vom Gesetz<br />
gewissermaßen dazu aufgefordert 9 .<br />
Unhaltbar erscheint die Begründung des Bundesjustizministeriums,<br />
dass Verdächtiger und Beschuldigter individuell<br />
bestimmte oder bestimmbare Personen sein müssten<br />
und deshalb diese Begriffe hier noch nicht verwendet werden<br />
könnten 10 . Wenn es in diesem Stadium nun noch keinen<br />
Verdächtigen oder Beschuldigten gibt, kann es aber erst<br />
recht auch keinen ,Täter’ geben; Zweck der Regelung ist<br />
es, den Aufenthaltsort von Personen zu ermitteln, die als<br />
Täter in Frage kommen, also verdächtig sind 11 .<br />
Zu Ihrem Hinweis, dass der Begriff des Täters hier neutral<br />
verwandt und erst dann konkretisiert werde, wenn sich<br />
die Ermittlungen gegen bestimmte oder bestimmbare Personen<br />
richteten, ist einzuwenden, dass der Gegensatz von<br />
,neutral’ zu ,konkretisiert’ als unüblich bezeichnet wird 12 .<br />
Jemand, dessen Aufenthaltsort ermittelt werden soll, kann<br />
weder ,neutral’ noch ,nicht konkretisiert’sein 13 .<br />
1.2 § 100c StPO (Einsatz technischer Mittel)<br />
In § 100c Abs. 1 Nr. 1 -3 und Abs. 2 S. 2 StPO gilt für<br />
die Formulierung (,Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />
Täters’) das Gleiche. In § 100c Abs. 2 S. 3 StPO bezieht<br />
sich der Gesetzeswortlaut offensichtlich in erster Linie darauf,<br />
dass die Maßnahmen überhaupt ein Ergebnis haben,<br />
sodass auch hier zweckmäßigerweise und um der Einheitlichkeit<br />
der Ausdrucksweise willen besser von ,Verdächtigen’<br />
oder ,als Täter in Frage kommenden Personen’ gesprochen<br />
werden sollte 14 . Das gilt auch für § 100c Abs. 2 S. 5<br />
StPO.<br />
Besonders irreführend ist in § 100c StPO die gleichzeitige<br />
Verwendung des Wortes ,Beschuldigter’ (Ermittlung<br />
des Aufenthaltes des Täters in der Wohnung des Beschuldigten?)<br />
15 .<br />
1.3 § 111 StPO (Einrichtung von Kontrollstellen)<br />
Aufschlussreich zu § 111 Abs. 1 StPO sind die Erläuterungen<br />
des damaligen Bundesministers der Justiz 16 :<br />
,Zulässig ist die Einrichtung einer Kontrollstelle zu<br />
Zwecken strafprozessual-repressiver Verbrechensbekämpfung<br />
nur, wenn bestimmte Tatsachen den Verdacht begründen,<br />
dass eine Straftat nach § 129a StGB, eine Katalogtat<br />
oder ein Raub mit Schusswaffen (§ 250 I 1 StGB) begangen<br />
worden ist, und wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen,<br />
dass diese Kontrollstelle zur Ergreifung von Tätern<br />
oder zur Auffindung von Beweismitteln führen kann. Diese<br />
zweite Voraussetzung bedeutet namentlich, dass hinreichende<br />
kriminalistische Anhaltspunkte dafür vorliegen müssen,<br />
dass gerade am konkreten Ort und zur konkreten Zeit eine<br />
Kontrollstelle Fahndungserfolg verspricht.’<br />
Der Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages 17 hob<br />
hervor, dass die Einrichtung von Kontrollstellen zum Zwekke<br />
der Fahndung nach bestimmten Tätern erfolge.<br />
Bemerkenswert hierzu sind folgende Ausführungen, und<br />
zwar überwiegend aus der Praxis:<br />
Ausgangspunkt werde regelmäßig die Aussage des Geschädigten<br />
oder eines Zeugen über den Tathergang sein,<br />
wobei die Darstellung des objektiven Geschehensablaufs<br />
und die Sicherstellung von Beweismitteln Rückschlüsse auf<br />
Täter zulasse 18 . Danach könne angenommen werden, dass<br />
die Polizei sofort eine brauchbare Täterbeschreibung mit<br />
exakten Angaben über Fahrzeug, Typ, Farbe und Kennzeichen<br />
zur Fahndungs- und Ermittlungshilfe erhalte 19 . Fluchtrichtung<br />
und Fluchtgeschwindigkeit 20 seien regelmäßig<br />
bekannt. An den eingerichteten Kontrollstellen, die in<br />
räumlicher Nähe des Tatorts und in zeitlichem Zusammen-<br />
6 Einwände vom 4.3.2000, insbesondere unter Einbeziehung des Gutachtens<br />
von Prof. Dr. Dr. F.-C. Schroeder, Darf die StPO von „Tätern“ sprechen?<br />
NJW 2000, 2483 ff.<br />
7 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband l, 1992, § 111<br />
Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8; Bernsmann, NStZ 1989, 449 (459); Dencker, KJ<br />
1987, 36 (42); Hassemer, KJ 1992, 64 (69); ders., StV 1989, 72 (80); ders.,<br />
StV 1986, 550 (552 f.); Kargl, NStZ 2000, 8 (10); Marxen, Straftatsystem und<br />
Strafprozess, Habil.-Schrift 1984, S. 345; ders., GA 1980, 365 (379); Paeffgen,<br />
StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320); F.-C. Schroeder, Strafprozessrecht,<br />
2. Aufl. (1997), Rdnr. 368; ders., NJW 2000, 2483 ff. (hinzufügend:<br />
„Zielbeschreibungen und Anknüpfungen an den mutmaßlichen Täter sind<br />
auch in den Vorschriften über die Regelung des Ermittlungsverfahrens zulässig.<br />
... Eine Formulierung wie ,Das Strafverfahren dient dem Zweck, den Täter<br />
der Bestrafung zuzuführen’ wäre durchaus möglich.“); Zaczyk, StV 1993,490<br />
(491). Ebenso: Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N. (insbes. S. 316 Fn. 78),<br />
und Eingabe, S. 2 m. w. N.<br />
8 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
9 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
10 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
11 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
12 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
13 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
14 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
15 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
16 Vogel, NJW 1978, 1217 (1227). Siehe auch: Achenbach, JA 1981, 660, 664<br />
(zum konstitutiven Kontrollstellen-Einrichtungserfordernis der voraussichtlichen<br />
Erfolgseignung).<br />
17 BT-Drucks. 8/1482, S. 9 („Der Rechtsausschuss hat es übereinstimmend für<br />
erforderlich erachtet, die Zulässigkeit der Einrichtung von Kontrollstellen zum<br />
Zwecke der Fahndung nach bestimmten Straftätern auf eine sichere Rechtsgrundlage<br />
zu stellen.)<br />
18 Vgl. Benfer, Die Polizei 1978, 282 (284).<br />
19 Vgl. Steinke, NJW 1978, 1962 (1963).<br />
20 Gintzel, Die Polizei 1979, 1 (3); Kuhlmann, DRiZ 1978, 238 (239).
150<br />
l<br />
hang mit der Straftat stünden 21 , werde nach bestimmten<br />
Straftätern gefahndet 22 , wobei potentielle Tatverdächtige<br />
überprüft würden 23 .<br />
Somit ist auf Grund bestimmter Tatsachen, polizeilicher<br />
Feststellungen und kriminalistischer Anhaltspunkte davon<br />
auszugehen, dass sich die Fahndungs- und Ermittlungsmaßnahmen<br />
gegen bestimmte Personen richten.<br />
In § 111 Abs. 1 StPO bezieht sich der Gesetzeswortlaut<br />
vornehmlich auf den Erfolg der Maßnahme, nämlich die<br />
Ergreifung von Personen, die als ,Täter’ in Frage kommen,<br />
mithin Verdächtige sind 24 .<br />
Wenn das Bundesjustizministerium ausführt, dass die<br />
Verwendung des Begriffs ,Verdächtiger’ die Vorschrift ihres<br />
Anwendungsbereichs berauben würde, so erscheint dies<br />
unverständlich; wörtlich genommen besitzt die Vorschrift<br />
gerade in ihrer geltenden Fassung keinen Anwendungsbereich,<br />
da in diesem Stadium und auch bei der Ergreifung<br />
noch kein ,Täter’ feststeht 25 .<br />
1.4 § 163d StPO (Schleppnetzfahndung)<br />
Für § 163d Abs. 1 StPO (Zulässigkeit der Speicherung<br />
von Daten über ,Umstände, die ... für die Ergreifung des<br />
Täters von Bedeutung sein können, wenn Tatsachen die<br />
Annahme rechtfertigen, dass die Auswertung der Daten zur<br />
Ergreifung des Täters ... führen kann.’) gelten diese Ausführungen<br />
entsprechend 26 .<br />
1.5 § 163e StPO (Ausschreibung zur polizeilichen<br />
Beobachtung)<br />
§ 163e Abs. 1 S. 2, 3 StPO (Zulässigkeit der Ausschreibung<br />
zur polizeilichen Beobachtung, ,wenn ... die Ermittlung<br />
des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich<br />
weniger Erfolg versprechend oder wesentlich<br />
erschwert wäre.’) verstößt eindeutig gegen die Unschuldsvermutung,<br />
da in diesem Zeitpunkt noch kein ,Täter’ feststeht,<br />
dessen Aufenthaltsort ermittelt werden könnte27 .<br />
2. Unschuldsvermutung<br />
Die Unschuldsvermutung ist Bestandteil der verfassungsrechtlichen<br />
Prinzipien der Unantastbarkeit der Menschenwürde<br />
und der Rechtsstaatlichkeit, sie gehört zu den<br />
allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Diese Maxime eines<br />
rechtsstaatlichen Strafverfahrens gilt vom Beginn der Ermittlungen<br />
an bzw. mit Entstehen des Tatverdachts 28 .<br />
Da die Verhinderung außerjustizieller Schuldzuschreibungen<br />
zu den originären Aufgaben der Unschuldsvermutung<br />
gehört, darf niemand außerhalb des prozessordnungsgemäßen<br />
Verfahrens oder vor seinem rechtskräftigen<br />
Abschluss als Straftäter bezeichnet werden. Erst die rechtskräftige<br />
Verurteilung stellt eine feste Beziehung zwischen<br />
Tat und Täter her.<br />
Niemand ist berechtigt – auch nicht der Bundesgesetzgeber<br />
–, einen (lediglich) Tatverdächtigen als (bereits überführten<br />
und schuldig gesprochenen Straf-) ,Täter’ zu bezeichnen<br />
29 .<br />
Insbesondere beim juristisch nicht vorgebildeten Staatsbürger<br />
wird der Eindruck vermittelt, dass es sich bei dem<br />
als ,Täter’ bezeichneten bzw. gekennzeichneten Menschen<br />
um den überführten und verurteilten Straftäter handelt, womit<br />
der Tatverdächtige (vor-)verurteilt, sozial angeprangert<br />
und stigmatisiert wird.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
Im Hinblick auf die Reichweite der interdisziplinär ernst<br />
genommenen Unschuldsvermutung sind die Ausführungen<br />
des Bundesverfassungsgerichts30 von besonderer Bedeutung:<br />
,Dem Täter müssen deshalb Tat und Schuld nachgewiesen<br />
werden. Bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld<br />
wird seine Unschuld vermutet.’<br />
Somit beeinträchtigt(e) meines Erachtens die Verwendung<br />
des Begriffs ,Täter’ durch den Bundesgesetzgeber in<br />
– §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e, 163f 31 StPO<br />
– Art. 4 des ,Artikelgesetzes’ – Kronzeugenregelung (§1) 32<br />
– § 4 BKA-Gesetz 33<br />
den Grundsatz der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6<br />
Abs. 2 MRK.<br />
3. Gebot rechtsstaatlicher Präzision des Bundesgesetzgebers<br />
Im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der<br />
Unschuldsvermutung und das Gebot rechtsstaatlicher Prä-<br />
21 Löwe-Rosenberg/Schäfer, 24. Aufl. (1988), § 111 Rdnr. 11 f.<br />
22 Benfer, Die Polizei 1978, 282; K. Meyer, BKA-Vortragsreihe, Band 25 (1980),<br />
S. 147 (148).<br />
23 Sangenstedt, StV 1985, 117 (119).<br />
24 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
25 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
26 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
27 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.<br />
28 Diercks, AnwBl 1999, 311 ff. m. w. N. Vgl. Remmers, Die Entwicklung der<br />
Gesetzgebung zur Geldwäsche, 1998, zugl. Diss. Göttingen 1997, S. 100<br />
(„Folglich gilt die Unschuldsvermutung bereits im Ermittlungsverfahren. Zeitlich<br />
betrachtet durchzieht sie das gesamte Verfahren nach der Strafprozessordnung<br />
– von der Kenntnis eines Anfangsverdachts bis zur rechtskräftigen Verurteilung.“)<br />
29 Vgl. Paeffgen, StV 1999, 625 m. w. N. („Der Richter weiß es noch nicht –<br />
aber der Gesetzgeber weiß es schon.“); Diercks, AnwBl 1999, 311 ff.<br />
m. w. N.<br />
30 BVerfGE 82, 106 (114 m. w. N.). Vgl.: A. Arndt, NJW 1966, 869 ff.; Gropp,<br />
JZ 1991, 804 ff.; Kühl, NJW 1988, 3233 ff.; Lisken, NVwZ 1998, 22 (23 ff.);<br />
Marxen, GA 1980, 365 ff.; Paeffgen, ZRP 1999, 524 (525 f.); ders., Vorüberlegungen<br />
zu einer Dogmatik des Untersuchungshaft-Rechts, Habil.-Schrift<br />
1986, S. 42 ff.; C. Roxin, NStZ 1991, 153 (156). In § 153 StPO macht das<br />
Wort „wäre“ deutlich, dass die Schuld des Täters nicht festgestellt wird – oder<br />
zumindest: nicht festgestellt zu werden braucht –, sondern für die Prüfung der<br />
Geringfügigkeit hypothetisch anzunehmen ist (so: Kühl, Unschuldsvermutung,<br />
Freispruch und Einstellung, Habil.-Schrift 1983, S. 109, hinzufügend: „Konsequenterweise<br />
hätte bei dieser Neuformulierung auch der ,Täter’ durch den<br />
,möglichen Täter’ oder noch besser durch den ,Beschuldigten’ ersetzt werden<br />
sollen...“). Zur hypothetischen, keine Schuldfeststellung implizierenden Formulierung<br />
des § 153 StPO, vgl.: Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (557 f.);<br />
Rieß, wistra 1997, 137 (139); BT-Drucks. 7/550, S. 298.<br />
31 BT-Drucks. 14/1484 vom 16.8.1999, Gesetzentwurf der Bundesregierung zum<br />
StVÄG 1999, zu Artikel 1 Nr. 10, S. 6 f.; § 163 f Abs. 1 S. 2, 3 StPO: Die längerfristige<br />
Observation „darf nur angeordnet werden, wenn... die Ermittlung<br />
des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise erheblich weniger Erfolg<br />
versprechend oder wesentlich erschwert wäre. Gegen andere Personen ist die<br />
Maßnahme zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist,<br />
dass sie mit dem Täter in Verbindung stehen oder eine solche Verbindung hergestellt<br />
wird, dass die Maßnahme zur... Ermittlung des Aufenthaltsortes des<br />
Täters führen wird. ...“ Der Anregung des Bundesrates, den Begriff des „Täters“<br />
aus Gründen einer redaktionellen Angleichung durch den des „Beschuldigten“<br />
zu ersetzen (S. 40), hat die Bundesregierung widersprochen (S. 47):<br />
„Die Verwendung des Begriffes des ,Beschuldigten’ – wie vom Bundesrat vorgeschlagen<br />
– ist nicht sachgerecht, da ,Täter’ im Sinne der Vorschrift nicht<br />
nur der ,Beschuldigte’ im Sinne des formellen Beschuldigtenbegriffes der<br />
Strafprozessordnung ist ...“<br />
32 BT-Drucks. 11/2834, S. 13. Die Kronzeugenregelung – die Ende 1999 endgültig<br />
ausgelaufen ist – wurde aus verfassungsrechtlichen, prozessrechtlichen,<br />
straftheoretischen, rechtsethischen und pragmatischen Gründen kritisiert:<br />
Bernsmann, NStZ 1989, 449 (456 ff.); ders., JZ 1988, 539 ff.; Dencker, KJ<br />
1987, 36 (41 ff.); Denny, ZStW 103 (1991), S. 269 ff.; Fezer, Lenckner-FS<br />
(1998), S. 681 (697); Hassemer, StV 1989,72 (79 f.); ders., StV 1986, 550<br />
(553 m. w. N.); Hoyer, JZ 1994,233 ff.; Jung, ZRP 1986, 38 ff.; dies., Straffreiheit<br />
für den Kronzeugen? 1974, S. 100 ff.; KK-Pfeiffer, 4. Aufl. (1999),<br />
Einl. Rdnr. 32b; Lammer, ZRP 1989,248 ff.; Lisken, NJW 1995,1873 (1875);<br />
Middendorff, ZStW 85 (1973), S. 1102 ff.; Paeffgen, StV 1999, 625 Fn. 6;<br />
Weigend, Jescheck-FS (1985), S. 1333 ff.<br />
33 BT-Drucks. 13/1550, S. 6 („§ 4 [Strafverfolgung] Das Bundeskriminalamt<br />
nimmt polizeiliche Aufgaben auf dem Gebiet der Strafverfolgung wahr in den<br />
Fällen von Straftaten [...], wenn anzunehmen ist, dass der Täter aus politischen<br />
Motiven gehandelt hat und die Tat bundes- oder außenpolitische Belange berührt“).
AnwBl 3/2002 151<br />
Aufsätze l<br />
zision kann vom Bundesgesetzgeber – insbesondere bei<br />
Eingriffsmaßnahmen – eine sachgerechte 34 , eindeutige 35<br />
und jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung<br />
vermeidende 36 Gesetzessprache erwartet werden.<br />
Auch aus Gründen der Rechtsklarheit ist gesetzgeberische<br />
Perfektion gefordert.<br />
Im Interesse der Rechts- 37 und modernen Polizeikultur<br />
sollte der meines Erachtens vom Bundesgesetzgeber im Ermittlungsverfahren<br />
verfassungs- und konventionswidrig 38<br />
verwendete Begriff ,Täter’ verfassungskonform geändert<br />
werden 39 .<br />
Für gesetzgeberische Maßnahmen dürfte somit dringender<br />
Handlungsbedarf bestehen.<br />
Deshalb möchte ich Sie bitten, Ihre Bewertung der<br />
Sach- und Rechtslage zu überdenken. Sollten Sie zu der<br />
Auffassung gelangen, dass mein Anliegen begründet und<br />
Abhilfe notwendig ist, bitte ich Sie, der Bundesregierung<br />
eine entsprechende Gesetzesnovellierung zu empfehlen.“<br />
IV. Entscheidung des Deutschen Bundestages<br />
Nach einer ergänzenden Prüfung 40 leitete der Petitionsausschuss<br />
des Deutschen Bundestages die Eingabe den als<br />
Berichterstatter eingesetzten Abgeordneten zu 41 . Der Deutsche<br />
Bundestag 42 folgte der nachstehend aufgeführten Beschluss-Empfehlung<br />
des Petitionsausschusses:<br />
„Das Petitionsverfahren abzuschließen.<br />
Der Petent macht verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Verwendung<br />
des Begriffs ,Täter’ in den §§ 98a, 100c, 111, 163d, 163e Strafprozessordnung<br />
(StPO) geltend.<br />
Er trägt vor, der Begriff ,Täter’ im Ermittlungsverfahren begegne Bedenken<br />
im Hinblick auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung<br />
und des Gebots rechtsstaatlicher Präzision zur begrifflichen Klarstellung<br />
im prozessualen Sprachgebrauch. Es handele sich im Ermittlungsverfahren<br />
nicht um ,Täter’, sondern um ,Verdächtige’ oder ,Beschuldigte’.<br />
Trotz verfassungsrechtlicher und rechtspolitischer Einwände und Bedenken<br />
aus Wissenschaft und Praxis sei die normative begriffliche Klarstellung im<br />
prozessualen Sprachgebrauch bisher nicht vorgenommen worden.<br />
Wegen der Einzelheiten wird auf die Zuschriften des Petenten, insbesondere<br />
den von ihm verfassten Aufsatz Bezug genommen.<br />
Die parlamentarische Prüfung durch den Petitionsausschuss kommt unter<br />
Einbeziehung einer Stellungnahme des Bundesministeriums der Justiz<br />
(BMJ), die dem Petenten bekannt ist, sowie einer ergänzenden Stellungnahme<br />
zu folgendem Ergebnis:<br />
Festzuhalten ist, dass die geltende Begriffsverwendung die Rechtsposition<br />
des Betroffenen nicht beeinträchtigt. Der Gesetzgeber hat die Begriffe<br />
des ,Täters’ und des ,Beschuldigten’ in jeweils anderen systematischen Regelungszusammenhängen<br />
verwendet. Der Begriff des ,Täters’ wird verwendet,<br />
wenn ein Beschuldigter oder Verdächtiger noch nicht feststeht. Der Begriff<br />
des ,Beschuldigten’ wird hingegen unter der Voraussetzung verwendet,<br />
dass es sich um eine konkret individualisierte Person handelt. Wegen weiterer<br />
Einzelheiten wird auf die dem Petenden vorliegende Stellungnahme des<br />
BMJ Bezug genommen. Der Ausschuss sieht danach keine Veranlassung,<br />
das Anliegen zu unterstützen.<br />
Der Ausschuss empfiehlt daher, das Petitionsverfahren abzuschliessen.“<br />
V. Schlussbetrachtung<br />
Dass der Gesetzgeber gewichtige verfassungsrechtliche<br />
und rechtspolitische Bedenken 43 aus Wissenschaft und Praxis<br />
ignoriert und seiner legislatorischen Verantwortung 44<br />
34 Paeffgen, JR 1999, 89, 96 (zum Anspruch der Juristen, Sprache sachgerecht<br />
zu verwenden).<br />
35 Vgl. BVerfGE 82, 106, 122, 124, Abw. M. Mahrenholz („Die Unschuldsvermutung<br />
verbietet jede Zweideutigkeit ...“).<br />
36 Siehe BVerfGE 82, 106, 117 („Unabhängig davon sollten die Gerichte im Hinblick<br />
auf den verfassungsrechtlichen Rang der Unschuldsvermutung darauf<br />
Bedacht nehmen, nur solche Formulierungen zu verwenden, die von vornherein<br />
jeden Anschein einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeiden...“). Kühl,<br />
NJW 1984,1264 (1267), hebt unter Berufung auf zwei EGMR-Entscheidungen<br />
hervor, dass sogar Begründungen von Einstellungsentscheidungen oder damit<br />
verbundenen Kostenentscheidungen, die „den Eindruck erwecken“ (Fall Adolf,<br />
EuGRZ 1982, 297, 302 Ziff. 38) bzw. „den Gedanken aufkommen“ (Fall<br />
Minelli, EuGRZ 1983, 475, 479 Ziff. 37) lassen, der Beschuldigte sei vom<br />
Gericht für schuldig betrachtet worden, die Unschuldsvermutung gemäß Art.<br />
6 Abs. 2 MRK verletzen.<br />
37 C. Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. (1998), § 2 Rdnr. 1. Siehe auch:<br />
A. Arndt, Gesammelte juristische Schriften, 1976; R. Schmid, Einwände,<br />
1965; ders., Das Unbehaben an der Justiz, 1975; ders., Letzter Unwille, 1984.<br />
38 Vogler, Int. Kommentar zur EMRK, 1986, Art. 6 Rdnr. 442.<br />
39 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband 1, 1992, § 111<br />
Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8 („des als Täter Verdächtigen bzw. Beschuldigten“);<br />
Diercks, AnwBl 1999, 311, 315 m. w. N. („Verdächtiger bzw. Beschuldigter“);<br />
Grünwald, StV 1987, 453, 456 („potentiellen Straftäter“); von Hindte, Die<br />
Verdachtsgrade im Strafverfahren, Diss. Kiel 1973, S. 37, 74, 94 („möglicher<br />
Täter“); Krauß/Werkentin. KJ 1978, 306, 309 („mutmaßlichen Straftätern“);<br />
Rohe, Verdeckte Informationsgewinnung mit technischen Hilfsmitteln zur Bekämpfung<br />
der Organisierten Kriminalität, Diss. Frankfurt (Main) 1997, S. 135<br />
(„potentielle Straftäter“); Schaefer, NJW 1998, 3178 („mutmaßlicher Täter“);<br />
F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff. („Verdächtige“ und „die als Täter in<br />
Frage kommende Person“); Stein, Grünwald-FS (1999), S. 685, 708 („möglicher<br />
Täter“). Bedenklich erscheint jedoch die Begründung des BGH (Beschl.<br />
v. 12.1.2000, Az. StB 15/99 – s. a. Pressemitteilung des BGH, Nr. 1/2000), der<br />
bei der Haftprüfung den vom LG Neubrandenburg ergangenen Haftbefehl in<br />
dem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der mittäterschaftlichen Beteiligung<br />
u. a. am versuchten Mord gegen den Beschwerdeführer bestätigte<br />
(S. 5): „Die Verbindung des Beschwerdeführers und seiner Mittäter zu den<br />
örtlichen rechtsextremistischen Gruppen und die Begleitumstände der ihnen<br />
vorgeworfenen Tat stellen ausreichende Anhaltspunkte dafür dar, dass den Tätern<br />
die auf der Hand liegenden Auswirkungen der Straftat nicht nur bewusst<br />
waren, sondern von ihnen gewollt worden sind.“<br />
40 Schreiben des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 10.3.2000.<br />
41 Mitteilung des Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages vom 15.5.2000.<br />
42 BT-Drucks. 14/4283, S. 7 Nr. 37; Bescheid des Petitionsausschusses des Deutschen<br />
Bundestages vom 26.10.2000.<br />
43 Achenbach, Alternativkommentar zur StPO, Band 2, Teilband 1, 1992, § 111<br />
Rdnr. 13, § 163d Rdnr. 8; Bernsmann, NStZ 1989, 449 (459); Bernsmann/Jansen,<br />
StV 1998, 217; Binder, Rechtsprobleme des Einsatzes technischer Mittel<br />
gem. §§ 100c, d StPO und des Lauschangriffs, Diss. Bonn 1996, S. 22 f.;<br />
Dencker, KJ 1987, 36 (42); Diercks, AnwBl 1999, 311 (316 Fn. 77 ff.<br />
m. w. N.); Hassemer, KJ 1992, 64 (69); ders., StV 1989, 72 (80); ders., StV<br />
1986, 550 (552 f.); Hund, ZRP 1995, 334 (336); König, Kriminalistik 1998,<br />
349 (351); Lagodny, 20. Strafverteidigertag, 1996, S. 117 (127); Lisken, in:<br />
Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 3. Aufl. (2001), S. 925, Fn.<br />
37; Nitz, Einsatzbedingte Straftaten Verdeckter Ermittler. Eine Untersuchung<br />
polizeitaktischer Ermittlungsmethoden bei der Strafverfolgung, Diss. Hannover<br />
1997, S. 121 f.; Paeffgen, StV 1999, 625; ders., DRiZ 1998, 317 (320);<br />
Raum/Palm, JZ 1994, 447 (452 Fn. 45); Rieß, StraFo 1999, 1 (9); KK-Schoreit,<br />
§ 163e Rdnr. 16; F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff., ders., Strafprozessrecht,<br />
2. Aufl. (1997), Rdnr. 368; Zaczyk, StV 1993, 490 (491).<br />
44 Vgl.: Mahrenholz, DRiZ 1991, 432, 435 (regt hierzu an: „Was notwendig<br />
wäre, ist ein Feedbeck zu kleinen Gruppen von in der speziellen Materie<br />
erfahrenen Richtern, die (...) darauf hinweisen könnten, wo systematische<br />
Zusammenhänge mit anderen Vorschriften übersehen wurden, wo – in erster<br />
Linie im Verfahrensrecht – notwendige Ergänzungen vorzunehmen sind oder<br />
Bestimmungen der Klarheit entbehren und die praktische Handhabung mit<br />
unnötigen Auslegungsdifferenzen zwischen den Gerichten belasten.“); Guradze,<br />
Loewenstein-FS (1971), S. 151, 163 (plädiert für Reformen, „um der<br />
Unschuldsvermutung besser Rechnung zu tragen.“); Hoefermann, Die Auslagenerstattung<br />
beim Freispruch mangels Beweises und die Menschenrechtskonvention,<br />
Diss. Münster 1966, S. 112 f., 116 (fordert vom Gesetzgeber eine<br />
rechtspolitische Entscheidung, die Unschuldsvermutung konsequent anzuwenden.);<br />
Kerscher, DRiZ 1983, 439, 442 (weist auf die „Prangerwirkung von<br />
Gerichtsberichten“ und auf „rechts- und kulturhistorisch begründete Defizite<br />
der Legislative“ hin.); Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 133, 136; Liemersdorf/Miebach,<br />
NJW 1980, 371, 374 („Von Bedeutung ist, dass der Grundsatz<br />
der Unschuldsvermutung dem Gesetzgeber aufgibt, die Stellung des<br />
Beschuldigten bis zur Rechtskraft des Urteils, durch das die Unschuldsvermutung<br />
widerlegt wird, unter dem Gesichtspunkt zu gestalten, dass sich dessen<br />
Unschuld in jeder Lage des Prozesses noch herausstellen kann.“); E. Müller,<br />
Koch-Festgabe (1989), S. 191, 193 („Der Gesetzgeber ist jedenfalls gehalten,<br />
dem Beschuldigten wie einem unschuldig Betroffenen die aktive Teilnahme<br />
im Ermittlungsverfahren zu ermöglichen.“); Peukert, EuGRZ 1980, 247, 260<br />
(zu „spektakulären Straffällen“, bei denen „der Beschuldigte oder Angeklagte<br />
schon vor rechtskräftiger Verurteilung von einer reißerischen Presse als Täter<br />
gebrandmarkt“ wird: „Es ist auch den Betroffenen aus finanziellen und persönlichen<br />
Gründen meist nicht möglich, derartige Veröffentlichungen durch<br />
zivilrechtliche Maßnahmen (einstweilige Verfügung, Unterlassungsklage) zu<br />
stoppen. Deshalb rechtfertigt es sich m. E., aus dem Prinzip der Unschuldsvermutung<br />
ein Gebot gegenüber dem Staat abzuleiten, durch positive (gesetzgeberische)<br />
Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Presse bei der<br />
Berichterstattung über anhängige Strafverfahren sich in den Grenzen der gebotenen<br />
Sachlichkeit hält.“); Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
und die deutsche Rechtsprechung, 1993, Diss. Berlin 1991, S. 134,<br />
244 („Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, das nationale Recht der EMRK anzupassen.<br />
(...) Es besteht eine Vermutung dafür, dass sich der Gesetzgeber mit<br />
seinen Regelungen nicht in Widerspruch zur EMRK setzen will.“); BGHZ 45,<br />
46, 51, 54 („Auch die deutschen gesetzgebenden Organe sind davon ausgegangen,<br />
dass die Menschenrechtskonvention unmittelbare Ansprüche schafft<br />
und dass sie das deutsche Recht sogleich entsprechend ergänzt oder abändert.<br />
(...) In Art. 1 haben die Vertragsschließenden die Rechte und Freiheiten der<br />
Konvention ,allen ihrer Herrschaftsgewalt unterstehenden Personen’ zugesichert.<br />
Das bedeutet nach Auffassung des Senats, dass die Bundesregierung dafür<br />
einstehen will, dass alle ihrem Einfluss unterstehenden Organe, Amtsträger<br />
und Bedienstete (...) sich bei ihren hoheitlichen Betätigungen an die<br />
Vorschriften und Forderungen der Konvention halten werden.“).
152<br />
l<br />
nicht nachkommt, deutet darauf hin, dass er den Grundsatz<br />
der Unschuldsvermutung als Konventionsgarantie auch<br />
48 Jahre (!) nach dessen Inkrafttreten nicht ernst (genug)<br />
nimmt 45 .<br />
Der leichtfertige Umgang des Gesetzgebers mit der<br />
Sprache – wo Sensibilität 46 , rechtsstaatliche Präzision 47 , gesetzgeberische<br />
Perfektion und eine sachgerechte, jeden Anschein<br />
einer unzulässigen Schuldzuweisung vermeidende<br />
Gesetzessprache erwartet werden kann – lässt auf mangelndes<br />
Problembewusstsein 48 hinsichtlich der Verwendung des<br />
verfassungsrechtlich anstößigen Begriffs „Täter“ im Ermittlungsverfahren<br />
schließen. Denn mit der in Art. 6 Abs. 2<br />
MRK spezialgesetzlich normierten Unschuldsvermutung<br />
als allgemeine Rechtsvermutung – die nur durch eine<br />
rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung 49 widerlegt werden<br />
kann, im Übrigen aber nicht auf den Strafprozess beschränkt<br />
ist, sondern interdisziplinär ernst genommen für<br />
das gesamte Rechtsleben Gültigkeit 50 beansprucht – verbindet<br />
sich wie mit kaum einer anderen Maxime 51 unseres Verfahrensrechts<br />
der Gedanke besonderer rechtsstaatlicher<br />
Fairness 52 .<br />
In Deutschland hat die Unschuldsvermutung als Bestandteil<br />
der verfassungsrechtlichen Prinzipien der Unantastbarkeit<br />
der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und der<br />
Rechtsstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 3 und Art. 28 Abs. 1 Satz<br />
1 GG) nicht nur Verfassungsrang 53 erlangt, sondern ist zugleich<br />
eigenständiges Schutzgut des allgemeinen Persönlichkeitsrechts<br />
(Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG) 54 und be-<br />
45 Vgl.: Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 124; ders., NStZ 1981, 114<br />
(115); ders., NJW 1980, 806, 810 (rät, „nach Erschöpfung des innerstaatlichen<br />
Rechtswegs eine Individualbeschwerde bei der Europäischen Kommission für<br />
Menschenrechte in Strassburg einzulegen. Wie verschiedene Verfahren zeigen,<br />
wird dort die Unschuldsvermutung des Art. 6 II MRK ernster genommen.“);<br />
A. Arndt, NJW 1960, 1191 (1192); Mauz, in: Unschuldsvermutung in der<br />
Mediengesellschaft, 1990, S. 44 (behauptet, man stehe „am Sarg der<br />
Unschuldsvermutung.“); Y. Braun, Medienberichterstattung über Strafverfahren<br />
im deutschen und englischen Recht, Diss. Gießen 1997, S. 105 f.; Dencker,<br />
JZ 1973, 144, 150 (ist der Auffassung, dass „die Unschuldsvermutung<br />
jedoch möglicherweise nicht ernst genug genommen“ werde und dass „hinsichtlich<br />
der Unschuldsvermutung die Sprache (...) entlarvend“ sei.); Lamprecht,<br />
DRiZ 1989, 32; Simon, Die Beschuldigtenrechte nach Art. 6 Abs. 3<br />
EMRK, Diss. Tübingen 1998, S. 2, 224 m. w. N. („Das Potential, das in den<br />
Garantien der Konvention enthalten ist, wurde nicht nur bei der Überprüfung<br />
der Vereinbarkeit des nationalen Rechts mit den Inhalten der EMRK durch<br />
die Bundesregierung und die gesetzgebenden Körperschaften vor der Ratifizierung<br />
der Konvention verkannt. Bis heute werden die Konventionsgarantien<br />
immer wieder unterschätzt und bedarf es Verurteilungen durch die Straßburger<br />
Organe, um die ,Überheblichkeit’ deutscher Gerichte und anderer Organe im<br />
Hinblick auf den so oft nur lapidar erwähnten weit reichenden Standard des<br />
nationalen Rechts aufzuzeigen. (...) zeigt sich die fortbestehende Unkenntnis<br />
und Unterschätzung von Konventionsgarantien...“); Stenger, Gegebener und<br />
gebotener Einfluss der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die<br />
Rechtsprechung der bundesdeutschen Strafgerichte, Diss. Gießen 1990, S.<br />
134, 339, 348 ff., 399 (zur mangelnden Akzeptanz der Unschuldsvermutung<br />
durch die Gerichtsbarkeit der BRD); Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761 (786).<br />
46 BVerfGE 82, 106, 122, <strong>125</strong> f., Abw. M. Mahrenholz (zur „Sensibilität in<br />
der Handhabung des Maßstabs der Unschuldsvermutung“); Marxen, GA 1980,<br />
365 (373); ders. Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />
(Fn. 2), S. 54, 77 (Die Unschuldsvermutung gebiete größtmögliche Zurückhaltung<br />
und gesteigerte Sorgfalt bei allen Eingriffen in die Rechtssphäre des Verdächtigen<br />
bzw. Beschuldigten.); ders., NJ 1996, 455 (zu den „Sorgfaltsanforderungen<br />
an den Gesetzgeber“); Britz, Fernsehaufnahmen im Gerichtssaal, Diss.<br />
Saarbrücken 1999, S. 255 („Die Unschuldsvermutung enthält ein verpflichtendes<br />
Rücksichtnahmegebot dergestalt, dass niemand berechtigt ist, einer (noch)<br />
nicht verurteilten, lediglich beschuldigten Person eine strafbare Handlung zuzuschreiben,<br />
indem diese als (schuldiger) Straftäter bezeichnet wird.“); Artzt,<br />
Die verfahrensrechtliche Bedeutung polizeilicher Vorfeldermittlungen, Diss.<br />
Tübingen 1999, S. 138 („Kernaussage dieses Prinzips ist das Verbot, jemanden<br />
außerhalb des Verfahrens oder vor seinem Abschluß als Straftäter zu bezeichnen<br />
oder zu behandeln.“); Hantschel, Jura 2001, 472, 474 Fn. 36 (Im Hinblick<br />
auf Art. 6 II EMRK dürfte die Polizei einen Verdächtigen im Ermittlungsverfahren<br />
nicht als Täter bezeichnen); Weigend, ZStW 113 (2001), S. 271,<br />
279 ff., 291 ff. (zur fundamentalen Unschuldsvermutung als etwas „Unverzichtbares<br />
im Strafverfahrensrecht“).<br />
47 F.-C. Schroeder, Zipf-Gedächnisschrift (1999), S. 153 (zur sprachlichen Formulierung<br />
von Strafvorschriften); ders., Peters-FS (1974), S. 411,418 (zur<br />
„Präzisierung im Gesetzeswortlaut“); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 414 f.<br />
(hebt hervor, dass die Garantien der MRK häufiger präziser formuliert seien<br />
als die im nationalen Recht auch vorhandenen Garantien.); Marxen, Schneider-FS<br />
(1998), S. 297, 302 (zur erforderlichen „begrifflichen Festlegung“ bei<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
der Gesetzgebung); Schwander, ZStR 98 (1981), S. 213, 225 (hebt hervor,<br />
dass „bundesrechtlich eine klare Regelung in Verfassung oder Gesetz erwünscht“<br />
sei.); Westerdiek, EuGRZ 1987, 393 f., 397 (zur erforderlichen<br />
unzweideutigen und unverkennbaren Sprache von Gerichtsentscheidungen zur<br />
Unschuldsvermutung); EGMR, EuGRZ 1987, 399, 404, Abw. M. Cremona<br />
(„ ... und bei einem so fundamentalen Prinzip wie der Unschuldsvermutung ist<br />
nicht die mögliche Absicht maßgeblich, mit der bestimmte Äußerungen in<br />
Gerichtsentscheidungen gemacht werden, sondern deren tatsächliche Bedeutung<br />
in der breiten Öffentlichkeit. Entscheidend ist, dass am Ende des Tages<br />
der Eindruck bleibt, dass der Bf. tatsächlich schuldig war.“).<br />
48 Vgl.: F.-C. Schroeder, Peters-FS (1974), S. 411, 421 (allgemein zur Verkennung<br />
der Problematik durch den Gesetzgeber); Kühl, Unschuldsvermutung<br />
(Fn. 30), S. 133 (allgemein zur Verkennung des Schutzbereiches der Unschuldsvermutung<br />
durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts);<br />
ders., NStZ 1981, 114, 115 (zum Kernbestand der Unschuldsvermutung); Simon,<br />
Die Beschuldigtenrechte (Fn. 45), S. 227 (macht Anregungen, „um ein<br />
allgemeines Bewusstsein von der gesetzlichen Geltung und dem sachlichen<br />
Gehalt der EMRK in der Bundesrepublik hervorzurufen.“).<br />
49 BVerfGE 35, 202 (232); 74, 358 (371); Y. Braun, Medienberichterstattung<br />
(Fn. 45), S. 106; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 6. Aufl. (1999),<br />
Rdnr. 1; Gerhardt/Steffen, Kleiner Knigge des Presserechts, 2. Aufl. (1997),<br />
S. 48; lonescu, in: Dölling/Gössel/Waltos, Kriminalberichterstattung in der<br />
Tagespresse. Rechtliche und kriminologische Probleme, 1998, S. 45 (64);<br />
Kreuzer, GA 1968, 236 (242); Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (251); ders.,<br />
NJW 1980, 806 (809); ders., JR 1978, 94 (96 ff.); Liemersdorf/Miebach,<br />
NJW 1980, 371 (374); Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein, Entwicklung<br />
der Menschenrechte innerhalb der Staaten des Europarates, 1987, S. 73 (76);<br />
Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 51; ders., DRiZ 1998, 317 (318); ders.,<br />
Haftgründe, Haftdauer und Haftprüfung, in: Viertes deutsch-polnisches Kolloquium<br />
über Strafrecht und Kriminologie, 1992, S. 131 Fn. 85; Peukert,<br />
EuGRZ 1980, 247 (259); Stuckenberg, Untersuchungen zur Unschuldsvermutung,<br />
1998, Diss. Bonn 1997, S. 85; ders., ZStW 111 (1999), S. 422 (445).<br />
50 Marxen, GA 1980, 365, 373 (zur Unschuldsvermutung als ein „übergreifendes,<br />
für die neuzeitliche Form gesellschaftlichen Zusammenlebens konstitutives<br />
Rechtsprinzip“); ders. Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />
(Fn. 2), S. 42 ff.; Köster, Die Rechtsvermutung der Unschuld, Diss. Bonn<br />
1979, S. 144 ff., 173 ff; Schulz, Normiertes Misstrauen. Der Verdacht im<br />
Strafverfahren, 2001, Habil.-Schrift 1997, S. 486 m. w. N.<br />
51 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 („Der Rechtsgehalt dieses als Gesetz geltenden<br />
Völkerrechts ist mehr als eine Wiederholung des in dubio pro reo.“);<br />
ders., NJW 1966, 869 (870 f.); Dahs, NJW 1976, 2145 (2146); Dreher, Welzel-FS<br />
(1974), S. 931 ff.; Geppert, Jura 1993, 160 (161); Gropp, JZ 1991, 804<br />
(hebt hervor, dass „die Unschuldsvermutung heute zu den weltweit anerkannten<br />
Rechtsprinzipien“ zähle.); Hirsch, ZStW 92 (1980), S. 218 (233); BVerfG,<br />
NJW 1978, 936 f., Abw. M. Hirsch (zur „grundsätzlichen Entschädigungspflicht,<br />
die sich aus der Unschuldsvermutung nach der Menschenrechtskonvention<br />
ergibt.“); Kohlhaas, NJW 1963, 477 (zur Unschuldsvermutung als<br />
„Grundpfeiler eines geordneten Rechtsstaats“); Kühl, JR 1978, 94 (zum strafprozessualen<br />
Grundsatz der Unschuldsvermutung mit herausragender Bedeutung<br />
für das Strafprozessrecht); ders., NJW 1980, 806, 807 (betont „die für<br />
die Gestaltung des Strafverfahrens bedeutsame Unschuldsvermutung.“); Limbach,<br />
EuGRZ 2000, 417 (418); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277, 299<br />
(zum „Prinzip der Unschuldsvermutung als Schranke der Kommunikationsfreiheiten“);<br />
Soehring, Vorverurteilung durch die Presse. Der publizistische<br />
Verstoß gegen die Unschuldsvermutung, Diss. Hamburg 1999, S. 27 (zur Unschuldsvermutung<br />
als eine der wesentlichen strafverfahrensrechtlichen Maximen);<br />
Trechsel, Ermacora-FS (1988), S. 195 (206 f.); Uerpmann, Die Europäische<br />
Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 52 (zur Bedeutung des<br />
Rückgriffs auf die völkerrechtliche Norm der Unschuldsvermutung zur Konkretisierung<br />
des nationalen Rechts); Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761, 785 (zur<br />
Unschuldsvermutung als „fundamentales Element eines rechtsstaatlichen Verfahrens“);<br />
Zaczyk, StV 1993, 490 (492).<br />
52 Geppert, Jura 1993, 160 (161). Vgl.: Höpfel, Staatsanwalt und Unschuldsvermutung,<br />
1988, Habil.-Schrift Innsbruck 1986, S. 18 (zur Unschuldsvermutung<br />
als „Bedingung des rechtsstaatlichen Strafverfahrens, Baustein eines ,fair<br />
trails’“, und als „Monopol“ zur „Feststellung strafrechtlicher Schuld“); BGHSt<br />
24, <strong>125</strong> (131).<br />
53 BVerfG, NJW 1994, 377; Frister, Jura 1988, 356 (357); Geppert, Jura 1993,<br />
160 (161); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406 (427); Paeffgen, Vorüberlegungen<br />
(Fn. 2), S. 58, 68; ders., 20. Strafverteidigertag (1996), S. 75 (97 Fn. 98);<br />
Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 483, 486 Fn. 70, 524 (hinzufügend,<br />
dass die Unschuldsvermutung Teil des Rechtsstaatsprinzips und in Art. 1 GG<br />
verankert sei); Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 45, 238; Stenger, Gegebener<br />
und gebotener Einfluss (Fn. 45), S. 123; Stuckenberg, Untersuchungen<br />
(Fn. 49), S. 4.<br />
54 Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 58 ff., 238, 67 („Demgegenüber entfaltet<br />
ein durch die Unschuldsvermutung konkretisiertes allgemeines Persönlichkeitsrecht<br />
seine Schutzwirkung nicht nur vertikal in der Staatsrichtung, sondern<br />
auch horizontal in der Privatssphäre; es wirkt dort als ,sonstiges Recht’<br />
im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.“); Bornkamm, NStZ 1983, 102 (104); Kühl,<br />
Hubmann-FS (1985), S. 241, 251 („Unschuldsvermutung als Konkretisierung<br />
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts oder als besonderes Persönlichkeitsrecht“);<br />
ders., ZStW 100 (1988), S. 406, 432, weist darauf hin, dass gegenüber<br />
einer Kriminalberichterstattung, die den noch nicht rechtskräftig Verurteilten<br />
bereits als überführten „Täter“ erscheinen lässt, zunehmend auch die in Art. 6<br />
Abs. 2 MRK enthaltene Unschuldsvermutung herangezogen werde, um das<br />
Persönlichkeitsrecht des Betroffenen zu stärken: OLG Köln, NJW 1987,<br />
2682 ff.; OLG Köln, AfP 1985, 293 ff.; LG Berlin, NJW 1986, 1265 f.; OLG<br />
Hamburg, AfP 1983, 466 ff.; OLG Braunschweig, AfP 1981, 292; OLG<br />
Karlsruhe, Die Justiz 1980, 450 ff.; OLG Frankfurt, NJW 1980, 597 ff.; OLG<br />
Hamburg, NJW 1980, 842 f.; OLG Braunschweig, NJW 1975, 651 ff.; KG,<br />
AfP 1975, 30; KG, in: Schulze, RzU, KGZ 46, Bl. 10. Siehe ferner: OLG<br />
Köln, NJW 1991, 506 f.; OLG Frankfurt, NJW-RR 1990, 989; OLG Köln,<br />
AfP 1989, 683 ff.; LG Oldenburg, AfP 1987, 720; OLG Karlsruhe, Die Justiz<br />
1974, 223; OLG Karlsruhe, NJW 1972, 1907 f.; OLG Stuttgart, UFITA 29<br />
(1959), S. 111 (122); LG Heidelberg, NJW 1959, 1932.
AnwBl 3/2002 153<br />
Aufsätze l<br />
gründet ein umfassendes Präjudizierungsverbot 55 , das alle<br />
staatlichen Organe 56 bindet und auch zwischen Privatpersonen<br />
57 und für die Medien 58 gilt. Durch ihre Einbeziehung in<br />
den Bürgerrechtspakt zählt die Unschuldsvermutung auch<br />
zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts (Art. 25<br />
GG) 59 . Darüber hinaus gehört sie zu den „unabänderlichen“<br />
Rechtsprinzipien, die den „Kern der Verfassung“ ausmachen<br />
und die Art. 79 Abs. 3 GG der verfassungsgesetzgebenden<br />
Gewalt entzogen hat 60 . Dadurch, dass die internationalen<br />
und europäischen Grundrechte durch Art. 1 Abs. 2<br />
GG in Verbindung mit Art. 25 GG in deutsches Recht<br />
transformiert werden, besitzen sie nicht nur den Rang, sondern<br />
auch die Qualität von deutschem Verfassungsrecht 61 .<br />
Die Unschuldsvermutung ist eine Verfahrensdirektive 62 ,<br />
die sich insbesondere an den Gesetzgeber 63 richtet, erforderliche<br />
rechtspolitische Entscheidungen zu treffen und das<br />
Verfahren so auszugestalten, dass die Unschuldsvermutung<br />
hinreichend wirksam werden kann 64 . Dabei sollte sich der<br />
Gesetzgeber vom Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit<br />
der deutschen Rechtsordnung 65 leiten lassen. Diesem aus<br />
Art. 24 ff. GG entwickelten verfassungsrechtlichen Gebot 66<br />
entsprechend – weitmöglichste Harmonie von Völkerrecht<br />
und innerstaatlichem Recht herzustellen 67 – ist das Bundesverfassungsgericht<br />
68 bereit, alle Grundrechte des Grundgesetzes<br />
im Lichte der Menschenrechte der MRK auszulegen<br />
69 . Dazu führt es 70 einerseits aus, dass die Unschuldsvermutung<br />
als besondere Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips<br />
Verfassungsrang habe und kraft Art. 6 Abs. 2 MRK<br />
Bestandteil des positiven Rechts der Bundesrepublik<br />
Deutschland sei. Andererseits hebt es hervor, dass bei Auslegung<br />
des Grundgesetzes auch Inhalt und Entwicklungsstand<br />
der MRK in Betracht zu ziehen seien. Auch Gesetze<br />
wie die StPO 71 seien im Einklang mit den völkerrechtlichen<br />
55 Kühl, Unschuldsvermutung (Fn. 30), S. 131; Soehring, Vorverurteilung<br />
(Fn. 51), S. 67.<br />
56 Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (562); Geppert, Jura 1993,160 (161); Kühl,<br />
Hubmann-FS (1985), S. 241 (246 f.); ders., Unschuldsvermutung (Fn. 30);<br />
S. 31; Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; Paeffgen, Vorüberlegungen<br />
(Fn. 2), S. 50 f.; SK-StPO/Paeffgen, Vor § 112 Rdnr. 26; Rogall, Der Beschuldigte<br />
als Beweismittel gegen sich selbst, Diss. Bonn 1976, S. 110 (hebt hervor,<br />
dass „die Unschuldsvermutung historisch stets ein Bollwerk gegen eine<br />
diskriminierende gerichtliche Behandlung des Angeklagten gewesen ist.“);<br />
Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 484 ff., 524; Stuckenberg, Untersuchungen<br />
(Fn. 49), S. 66, 578; Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67;<br />
Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 20 („Wie<br />
verfassungsrechtliche Grundrechtsnormierungen beansprucht die EMRK Geltung<br />
für die gesamte Staatstätigkeit.“); Ulsamer, Jauch-FS (1990), S. 221<br />
(230); Diercks, AnwBl 1999, 311 (314 Fn. 47 m. w. N.).<br />
57 Engau, Straftäter und Tatverdächtige als Personen der Zeitgeschichte, Diss.<br />
Bielefeld 1992, S. 236; Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (252); Schulz, Normiertes<br />
Misstrauen (Fn. 50), S. 486; Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67.<br />
58 Hubmann, in: Schulze, RzU, OLGZ 233, Bl. 16, 17 (Auch beim Vorliegen berechtigter<br />
Interessen an identifizierender Berichterstattung dürfte sich die<br />
Presse „nicht zum Richter aufspielen“, indem sie eine Person vor ihrer Verurteilung<br />
als „Täter“ einer Straftat bezeichne.); Bornkamm, NStZ 1983,102<br />
(107); Engau, Straftäter (Fn. 57), S. 236; Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241<br />
(252, 254); Lampe, NJW 1973, 217 („Der Verdächtige hat vor allem das<br />
Recht, von der Presse nicht im Voraus öffentlich gerichtet zu werden.“); Peukert,<br />
Mahrenholz-FS (1994), S, 277,299 m. w. N. (hebt hervor, dass „auch das<br />
in Art. 6 Abs. 2 EMRK verankerte Prinzip der Unschuldsvermutung als<br />
Schranke der Kommunikationsfreiheiten in Frage“ komme.); Schulz, Normiertes<br />
Misstrauen (Fn. 50), S. 487 („Schutz der Verdächtigen vor medialer Vorverurteilung“);<br />
Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 55, 78, 83 ff., 238 (zum<br />
„publizistischen Präjudizierungsverbot“, zur „vorverurteilenden Kriminalberichterstattung<br />
als Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und Verletzung<br />
des allgemeinen Persönlichkeitsrechts“ sowie zur „’Chronistenpflicht’ der<br />
Presse“); Stapper, Namensnennung in der Presse im Zusammenhang mit dem<br />
Verdacht strafbaren Verhaltens, Diss. Berlin 1995, S. 64 ff.; 87; ders., AfP<br />
1996, 349 (350, 356).<br />
59 Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 62 ff., 68; Diercks, AnwBl 1999, 311<br />
(313 Fn. 28 m. w. N.); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 480; ders.,<br />
GA 2001, 226 (227 Fn. 9); Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
(Fn. 44), S. 62 (hebt hervor, „dass die EMRK in ihrer Eigenschaft als<br />
völkerrechtlicher Vertrag keine allgemeine Regel des Völkerrechts darstellt,<br />
dass sie aber als möglicher Ausdruck paralleler Normen des Völkergewohnheitsrechts<br />
zu deren Feststellung herangezogen werden kann.(...) Vielmehr<br />
wird mit Hilfe der EMRK eine Norm des allgemeinen Völkerrechts fest-<br />
gestellt, die ihrerseits über Art. 25 GG innerstaatlich umgesetzt wird. Dabei<br />
erscheint es sinnvoll, die Anwendung der EMRK im Rahmen des Art. 25 GG<br />
als eigene Fallgruppe zu behandeln.“).<br />
60 Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2), S. 64, 68. Vgl.: Kühl, ZStW 100 (1988),<br />
S. 406, 410 („Insofern sind die Menschenrechte und Grundfreiheiten der<br />
MRK doch ,gesetzesfest’.“); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 483<br />
(Als Element des Rechtsstaats zähle die Unschuldsvermutung zu den von Art.<br />
79 Abs. 3 GG garantierten Grundsätzen.); Simon, Die Beschuldigtenrechte<br />
(Fn. 45), S. 1 (zur „Verstärkung der Gesetzesfestigkeit der EMRK“); Soehring,<br />
Vorverurteilung (Fn. 51), S. 67 (attestiert der Unschuldsvermutung „Gesetzesfestigkeit“.).<br />
61 Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 (155); ders., DÖV 1979, 309, 312 („Dem<br />
Art. 25 GG ist als pars pro toto der Wille des Grundgesetzes zu entnehmen,<br />
die nationale Rechtsordnung vollständig an der Völkerrechtsordnung auszurichten.“).<br />
Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73, 74 f.<br />
(„...Art. 1 Abs. 2 GG bettet die Grundrechte des Grundgesetzes nicht nur in<br />
einen überpositiven, sondern in einen übernationalen Zusammenhang ein. (...)<br />
Als Verfassungstext der Bundesrepublik Deutschland findet Art. 1 Abs. 2 GG<br />
nun allerdings einen für die Bundesrepublik Deutschland rechtsverbindlichen<br />
Bezugspunkt in der EMRK. Der Gegenstand der EMRK und des Grundrechtsteils<br />
der Verfassung (unter Einschluss der Prozessgrundrechte) sind der<br />
Art nach identisch. (...) Wohl aber gibt es seit der Transformation der EMRK<br />
in innerstaatliches Recht einen durch Art. 1 Abs. 2 GG geschaffenen verfassungsrechtlichen<br />
Zusammenhang zwischen den Grundrechten der Verfassung<br />
und den Grundrechten der Konvention.“); Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen<br />
Bestehen des Bundesverfassungsgerichts (1976), Band 2, S. 154, 160 (hervorhebend:<br />
„...vielmehr müssen staatliches Recht, Völkerrecht und die Erfordernisse<br />
der internationalen Gemeinschaft in ihrer Verbindung und Wechselwirkung<br />
gesehen und gewürdigt werden. (...) Schließlich lässt sich auch<br />
rechtstechnisch das völkerrechtlich gebundene oder gebotene innerstaatliche<br />
Recht nicht von seiner völkerrechtlichen Verankerung lösen.“); Klug, Peters-<br />
Gedächnisschrift (1967), S. 434, 439, 442 (vertritt die Auffassung, dass die<br />
MRK mit ihrer Garantie-, Bindungs- und Rechtsintegrationsfunktion ranghöher<br />
als das GG sei und somit europäisches Menschenrecht nationales Verfassungsrecht<br />
breche.); Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 33.<br />
62 F.-C. Schroeder, JZ 2000, 409; ders., in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre Goltdammer’s<br />
Archiv für Strafrecht, 1993, S. 205 (209); Stuckenberg, Untersuchungen<br />
(Fn. 49), S. 58, 66; ders., ZStW 111 (1999), S. 422 (452 ff.). Vgl.: Höpfel,<br />
Staatsanwalt (Fn. 52), S. 19 (zu den „rechtspolitischen Postulaten des Art. 6<br />
Abs. 2 EMRK“); Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 442 (zur Unschuldsvermutung<br />
als „Leitmotiv des Gesetzgebers“).<br />
63 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 (2484); Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2),<br />
S. 64, 68, 161 Fn. 667; SK-StPO/Paeffgen, Vor § 112 Rdnr. 26 a. E.; K. Meyer,<br />
Tröndle-FS (1989), S. 61 (64); Schulz, Normiertes Misstrauen (Fn. 50), S. 484;<br />
Stuckenberg, Untersuchungen (Fn. 49), S. 58, 66; Tophinke, Das Grundrecht der<br />
Unschuldsvermutung, 2000, Diss. Bern 1999, S. 146, 162, 228.<br />
64 K. Meyer, Tröndle-FS (1989), S. 61 (64). Vgl.: Kühl, Unschuldsvermutung<br />
(Fn. 30), S. 136 (regt an, dass „der Gesetzgeber der Unschuldsvermutung zu<br />
innerstaatlicher Wirksamkeit verhelfen“ möge.).<br />
65 Bleckmann, DÖV 1996, 137 (142); ders., DÖV 1979, 309 m. w. N. („Grundsatz<br />
der Völkerrechtsfreundlichkeit der deutschen Rechtsordnung als Leitprinzip<br />
der Verfassung.“); Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des<br />
Bundesverfassungsgerichts (1976), Band 2, S. 154 (160); ders., in: Geiger<br />
(Hrsg.), Völkerrechtlicher Vertrag und staatliches Recht vor dem Hintergrund<br />
zunehmender Verdichtung der internationalen Beziehungen, 2000, S. 147<br />
(149); Demirel, Individualbeschwerde vor der Europäischen Menschenrechtskonvention,<br />
Diss. Münster 1997, S. 60; Ress, in: Maier (Hrsg.), Europäischer<br />
Menschenrechtsschutz, 1982, S. 227, 228 f., 274 (auf das „Dilemma“ eingehend:<br />
„Einerseits besitzt der EGMR (...) in der ,Auslegung und Anwendung’<br />
der EMRK (Art. 45) die Letztentscheidungsbefugnis gegenüber den Verfahrensstaaten,<br />
die seine Gerichtsbarkeit anerkannt haben. Andererseits entfalten<br />
diese Urteile nicht per se, also automatisch ,Bindung’ im innerstaatlichen<br />
Rechtsraum. (...) Die in der Schweiz vorgetragenen Gründe für einen Übergesetzesrang<br />
der EMRK – Sonderstellung wegen des spezifischen Rechtscharakters<br />
– sollten auch in der Bundesrepublik Anerkennung finden.“); Weigend,<br />
StV 2000, 384 (389); BVerfGE 18, 112, 121 („völkerrechtsfreundliche Grundhaltung<br />
des Grundgesetzes“).<br />
66 Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts<br />
(1976), Band 2, S. 154 (160). Vgl.: Bleckmann, DÖV 1979, 309; Masuch,<br />
NVwZ 2000, 1266 (1267 f. m. w. N.).<br />
67 Bernhardt, Festgabe zum 25-jährigen Bestehen des Bundesverfassungsgerichts<br />
(1976), Band 2, S. 154 (160). Vgl.: Maurach/Schroeder/Maiwald, Strafrecht,<br />
Besonderer Teil, Teilband 2, 8. Aufl. (1999), § 82 II Rdnr. 16 (zum GG und<br />
dem Gedanken der Völkerverständigung).<br />
68 BVerfGE 31, 58 (67 f.). Vgl.: Frowein, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen<br />
des Bundesverfassungsgerichts (2001), Band 1, S. 209 (219); Limbach, NJW<br />
2001, 2913 (2915).<br />
69 Bleckmann, EuGRZ 1994, 149 (152). Vgl.: Demirel, Individualbeschwerde<br />
(Fn. 65), S. 60; Ehlers, Jura 2000, 372 (373); Frowein, Zeidler-FS (1987),<br />
Band 2, S. 1763 (1768, 1771); Stenger, Gegebener und gebotener Einfluss<br />
(Fn. 45), S. 347, 359, 399; Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
(Fn. 44), S. 52, 54, 244 f; ders., JZ 2001, 565 (570).<br />
70 BVerfGE 74, 358 (370), bestätigt durch BVerfGE 82, 106 (115, 120). Vgl.:<br />
Kühl, ZStW 100 (1988), S. 406, 409 (weist – unter Berufung auf BVerfGE 74,<br />
358, 370 – darauf hin, dass Strafrechts- und Strafverfahrensrechtsänderungsund<br />
-reformgesetze die Garantien der MRK nicht aufheben oder abschwächen<br />
können.); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277 (278 f.); Glatzel, Die Einwirkung<br />
der Rechte und Freiheiten der Europäischen Menschenrechtskonvention<br />
auf private Rechtsbeziehungen, Diss. Bonn 1968, S. 100.<br />
71 Zu den rechtsstaatlichen Standards des Strafprozessrechts, siehe: Paeffgen, in:<br />
Paeffgen/Schumer (Hrsg.), Das Sächsische Polizeigesetz vor dem Verfassungsgerichtshof<br />
des Freistaates Sachsen, 1997, S. 12; Paeffgen, in: Wolter<br />
(Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozessrechts (Symposium zu<br />
Ehren von H.-J. Rudolphi), 1995, S. 20, 44.
154<br />
l<br />
Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland auszulegen<br />
und anzuwenden.<br />
Deshalb sollte es das Bestreben der Mitgliedstaaten sein,<br />
in der innerstaatlichen Gesetzgebung den Anforderungen<br />
der Konvention zu genügen und bestehende Gesetze unter<br />
dem Einfluss der Ergebnisse der Strassburger Spruchpraxis<br />
zu reformieren72 . Dabei wird eine rechtsvergleichende Anwendung<br />
der MRK dadurch ermöglicht, dass Grundgesetz<br />
und MRK Teil der europäischen Grundrechtskultur73 sind.<br />
Zur Vermeidung von möglichen Verletzungen des Art. 6<br />
Abs. 2 MRK ist eine saubere (rechtsdogmatische) 74 Grenzziehung75<br />
zwingend erforderlich. Wenn jedoch schon der<br />
Gesetzgeber durch die Verwendung des verfassungsrechtlich<br />
anstößigen Begriffs „Täter“ im Ermittlungsverfahren –<br />
mit der bedenklichen Folge, dass die Ermittlungsorgane<br />
unter bestimmten Voraussetzungen vom Gesetz gewissermaßen<br />
dazu aufgefordert werden, verdächtige Personen<br />
bereits als „Täter“ anzusehen76 – den Grundsatz der<br />
Unschuldsvermutung außer Acht lässt, dann braucht man<br />
sich nicht mehr zu wundern, dass (auch) andere die Unschuldsvermutung<br />
missachten. So sind die im Indikativ<br />
abgefassten und vorgetragenen Ermittlungsergebnisse der<br />
Anklageschriften der Staatsanwaltschaft mit Art. 6 Abs. 2<br />
MRK unvereinbar77 , weil die Unschuldsvermutung in diesem<br />
Verfahrensstadium78 zu Konjunktivformulierungen79 verpflichtet und vom Indikativ eine Suggestivwirkung80 ausgeht, als ob es sich bereits um „amtlich“ festgestellte<br />
Tatsachen81 handelte. Eine amtliche Suggestivwirkung ist<br />
auch darin zu sehen, wenn ein Justizminister im Fernsehen<br />
eine Verdächtige schon vor Prozesseröffnung als „Täterin“<br />
(von Sprengstoffverbrechen) bezeichnet. Die Europäische<br />
Kommission für Menschenrechte82 bejaht hier ausdrücklich<br />
die grundsätzliche Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 2 MRK<br />
auf öffentliche Erklärungen von Amtsträgern und Strafverfolgungsorganen.<br />
Auch vorverurteilende Äußerungen eines<br />
Innenministers und hoher Polizeibeamter in Pressekonferenzen,<br />
die im Fernsehen ausgestrahlt werden, verletzen nach<br />
Auffassung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte83<br />
die Unschuldsvermutung. Wenn von Politikern bzw.<br />
Rechtsanwendern, die für die Verbrechensbekämpfung zuständig<br />
sind, ungenaue, pauschalierende Aussagen über<br />
Geständnisse, festgenommene „Täter“ und gelöste Fälle84 gemacht werden, wird diese Information auch durch die<br />
72 Vogler, ZStW 89 (1977), S. 761. Vgl.: Polakiewicz, Die Verpflichtungen der<br />
Staaten aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,<br />
Diss. Heidelberg 1992, S. 361 f. („Den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs<br />
für Menschenrechte kommt somit neben der auf den entschiedenen Einzelfall<br />
beschränkten Rechtskraft eine abstrakte Klärungsfunktion für die Konventionsbestimmungen<br />
zu, deren Bedeutung und Tragweite durch die<br />
individuell-konkrete Anwendung präzisiert wurden. Die Strassburger Spruchpraxis<br />
ist daher von den nationalen Gerichten und Behörden vorrangig zu beachten.“);<br />
Mosler, Huber-FS (1981), S. 595 (605).<br />
73 Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 132,<br />
245 f. (erwähnt erläuternd die „innere Verwandtschaft von Konvention und<br />
Grundgesetz.“). Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73,<br />
75 (betont den „verfassungsrechtlichen Zusammenhang zwischen den Grundrechten<br />
der Verfassung und den Grundrechten der Konvention.“); Bleckmann,<br />
EuGRZ 1994, 149, 154 („gemeinsame Verfassungstradition“); ders., DÖV<br />
1979, 309 (310); Hruschka, ZStW 112 (2000), S. 285 (zur „Unschuldsvermutung<br />
in der Rechtsphilosophie der Aufklärung“).<br />
74 Vgl.: Soehring, Vorverurteilung (Fn. 51), S. 27; Höpfel, Staatsanwalt (Fn. 52),<br />
S. 21.<br />
75 Vgl.: Zaczyk, StV 1993, 490 (492); ders., Mainzer Runde ’98, Zum Strafrecht,<br />
1998, S. 13 (zur „Einsicht, dass auch der Straftäter kein Unmensch ist, sondern<br />
Mitmensch trotz alledem.“); Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345 (hebt<br />
hervor, dass die Unschuldsvermutung „verlangt, dass nur im Verfahren und<br />
erst, nachdem ein gesetzlicher Nachweis der Schuld erbracht ist, angenommen<br />
werden darf, dass ein Tatverdächtiger auch der Täter ist. (...) Denn niemand,<br />
kein noch so Verdächtiger darf außerhalb des Verfahrens oder vor seinem Ab-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aufsätze<br />
schluss als Straftäter bezeichnet oder behandelt werden.“); ders., GA 1980,<br />
365, 373 f. („Die Verhinderung außerjustizieller Schuldzuschreibungen gehört<br />
zu den originären Aufgaben der Unschuldsvermutung. (...) Der Schutz, den<br />
sie gewährt, gilt generell.“); Peukert, EuGRZ 1980, 247 (260); Wegener,<br />
Rasch-FS (1993), S. 178 ff. (zur Unschuldsvermutung aus der Sicht des sachverständigen<br />
Psychologen).<br />
76 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 (2484). Ähnlich: Diercks, AnwBl 1999, 311<br />
(316).<br />
77 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 f. (zu Art. 6 Abs. 2 MRK: „Ernst genommen<br />
schließt diese Vorschrift aus, das Ermittlungsergebnis der Anklageschrift<br />
im Indikativ so abzufassen und vorzutragen, als ob es sich dabei nicht erst um<br />
beschuldigende Behauptungen, sondern bereits um ,amtlich’ und positiv festgestellte<br />
Tatsachen handelte. Das gilt erst recht für den Eröffnungsbeschluss.“).<br />
Vgl.: Zaczyk, StV 1993, 490, 492 („Das Strafprozessrecht regelt<br />
den Gang der Klärung eines Verdachts, und so bedeutet etwa die dabei zu beachtende<br />
Unschuldsvermutung nicht, dass StA und Gericht nur so tun, als sei<br />
der Angeklagte gar nicht der Täter: Vielmehr ist die Vermutung seiner Unschuld<br />
bis zum Urteil zwingend, da erst das Urteil seine Schuld rechtsverbindlich<br />
feststellt.“); Dalbkermeyer, Der Schutz des Beschuldigten vor identifizierenden<br />
und tendenziösen Pressemitteilungen der Ermittlungsbehörden, Diss.<br />
Bonn 1993, S. 24 f. (zur Bindungswirkung der Unschuldsvermutung für die<br />
Staatsanwaltschaft); Hoefermann, Die Auslagenerstattung beim Freispruch<br />
mangels Beweises und die Menschenrechtskonvention, Diss. Münster 1966, S.<br />
98 f.; Höh, Strafrechtlicher Anonymitätsschutz des Beschuldigten vor öffentlicher<br />
Identifizierung durch den Staatsanwalt, Diss. Bonn 1985, S. 13, 235 f.;<br />
Höpfel, Staatsanwalt (Fn. 52), S. 17, 21, 27 ff., 201 ff.; Wagner, Strafprozessführung<br />
über Medien, 1987, S. 61 m. w. N.<br />
78 Vgl.: BVerfGE 35, 311, 319 f. (hinsichtlich „der für den Untersuchungsgefangenen<br />
streitenden Unschuldsvermutung“); Paeffgen, Vorüberlegungen (Fn. 2),<br />
S. 48 (hervorhebend, dass die Unschuldsvermutung eine konstante Größe während<br />
des gesamten Verfahrens sei.); ders.; DRiZ 1998, 317, 318 ff. (hinzufügend,<br />
dass bis zum Eintritt der Rechtskraft kein normativ hinreichendes<br />
Maß an Sicherheit darüber erreicht sei, wie die Sach-, Rechts- und Beweislage<br />
endgültig einzuschätzen sei.); Paeffgen/Seebode, ZRP 1999, 524, 525 f.<br />
m. w. N. (zur verfassungsrechtlichen Stellung des nur verdächtigen Inhaftierten<br />
und zur Unschuldsvermutung); BVerfGE 82, 106, 122, 124, Abw. M. Mahrenholz<br />
(„Sie ist Schutz des Unschuldigen bis zur endgültigen Feststellung<br />
von Schuld. Bis zu diesem Zeitpunkt ist er ,ohne Schuld’, er ist nicht ,wahrscheinlich<br />
schuldig’ oder ,höchstwahrscheinlich schuldig’. Die Unschuldsvermutung<br />
verbietet jede Zweideutigkeit neben der verfassungsrechtlich gewährleisteten<br />
Alternative ,unschuldig oder schuldig’ und ist damit mehr als bloß<br />
die prozessrechtliche Voraussetzung von Urteilsfolgen strafrechtlicher Art. Sie<br />
begleitet, mit den Worten des Richters des Europäischen Gerichtshofs für<br />
Menschenrechte Cremona, den Angeklagten während des gesamten Verfahrens<br />
bis zur Verurteilung (EuGRZ 1987, S. 404, Abw. M.).“); Vogler, ZStW 89<br />
(1977), S. 761, 784 („Der Anwendungsbereich der Unschuldsvermutung<br />
reicht vom Ermittlungsverfahren über die Hauptverhandlung bis zum abschließenden<br />
Urteil...“); K. Meyer, Tröndle-FS (1989), S. 61, 71 (Auch die<br />
Staatsanwaltschaft könne gegen Art. 6 Abs. 2 MRK verstoßen, wenn sie den<br />
Eindruck erwecke, die Schuld des Beschuldigten sei bereits erwiesen.).<br />
79 Bohnert, Die Abschlussentscheidung des Staatsanwalts, 1992, S. 248 m. w. N.<br />
(„Daneben hat sich die Pflicht zur Unschuldsvermutung als Anspruch des Beschuldigten<br />
auf Konjunktivformulierungen und schonende Umgangsformen<br />
ausgewirkt, mit geringer Wirkung, wie man sieht, und ohne Rechtsfolge bei<br />
einem Verstoß.“); Loesdau, MDR 1962, 773 (777).<br />
80 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1193 (stellt mit „Unbehagen“ fest: „Der in der<br />
Form eines Verdacht-Urteils mit vorweggenommener Würdigung der polizeilichen<br />
und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen im Positiv abgefasste Beschluss<br />
müsste die Einstellung des Verfahrens zur Folge haben, weil seine<br />
unterschwellige Suggestivwirkung anders nicht zu beseitigen ist.“). Vgl.:<br />
Hoefermann, Die Auslagenerstattung (Fn. 77), S. 98 f. Siehe allgem. zur Suggestivwirkung:<br />
Heidelberg, Justizreportage. Journalistische Ziele und juristische<br />
Schranken, Diss. Heidelberg 1932, S. 67 ff.; Dalbkermeyer, Der Schutz<br />
(Fn. 77), S. 26.<br />
81 A. Arndt, NJW 1960, 1191, 1192 f. (s. o. Fn. 77). Vgl.: Hoefermann, Die<br />
Auslagenerstattung (Fn. 77), S. 98 f.; Loesdau, MDR 1962, 773 (776).<br />
82 EKMR Nr. 7986/77, Krause ./. Schweiz, DR 13, S. 73 (75 f.). Vgl. auch die<br />
ähnlich gelagerten Entscheidungen: EKMR Nr. 9077/80, X ./. Österreich, DR<br />
26, S. 211 (213 f.); Nr. 8361/78, X ./. Niederlande, DR 27, S. 37 (42). Vgl.:<br />
Frowein, Huber-FS (1981), S. 553 (554 f.); Gerhardt/Steffen, Kleiner Knigge<br />
(Fn. 49), S. 49 („Dieser Zurückhaltung sollten sich übrigens auch Politiker befleißigen<br />
und nicht, wie im Fall Bad Kleinen geschehen, einen (mutmaßlichen)<br />
Terroristen öffentlich zum ,Mörder’ erklären.“); Kühl, Unschuldsvermutung<br />
(Fn. 30), S. 77 (zur Unschuldsvermutung als „Verbot diskriminierender<br />
Schuldfeststellungen ohne gesetzlichen Nachweis der Schuld“); Höpfel, Staatsanwalt<br />
(Fn. 52), S. 21 (betont, dass die Unschuldsvermutung „vor der Kennzeichnung<br />
als Straftäter in der besonderen Weise schützt, dass es den gesetzmäßigen<br />
Schuldnachweis in einem Strafverfahren zur Bedingung macht.“);<br />
Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277 (299); ders., in: Frowein/Peukert, Europäische<br />
Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. (1996), Art. 6 Rdnr. 162; Soehring,<br />
Vorverurteilung (Fn. 51), S. 69 Fn. 349; ders., MESSAGE 1/2001, S. 24 ff.<br />
(zur Unschuldsvermutung des Amokläufers); Trechsel, SJZ 1981, 317, 335.<br />
83 Allenet de Ribemont v. France (3/1994/450/529), Urteil vom 10.2.1997 (so: Y.<br />
Braun, Medienberichterstattung (Fn. 45), S. 108 Fn. 304). Vgl. auch: Peukert,<br />
21. Strafverteidigertag (1997), S. 231 (241); ders., in: Frowein/ Peukert, Europäische<br />
Menschenrechtskonvention (Fn. 82), Art. 6 Rdnr. 162; Tophinke, Das<br />
Grundrecht der Unschuldsvermutung (Fn. 63), S. 139 ff., 365, 395 ff., 468;<br />
Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 48 f. m. w. N.<br />
84 Y. Braun, Medienberichterstattung (Fn. 45), S. 108. Vgl.: Bornkamm, Pressefreiheit<br />
und Fairness des Strafverfahrens, Diss. Freiburg 1980, S. 223 Fn. 19;<br />
Lamprecht, DRiZ 1989, 32; Ludwig, Persönlichkeitsrechtsverletzungen durch<br />
identifizierende Presseverlautbarungen der Staatsanwaltschaft, Diss. Bonn<br />
1998, S. 144.
AnwBl 3/2002 155<br />
Aufsätze l<br />
Medien 85 weiterverbreitet 86 . Diese befremdlichen Verfahrensweisen<br />
sind eines Rechtsstaats unwürdig 87 .<br />
Folglich ist eine begriffliche Klarstellung für Grundrechts-<br />
und Hoheitsträger 88 dringend erforderlich. Unter<br />
Berücksichtigung der rechtstheoretischen und praxisbezogenen<br />
Aspekte ist die Verwendung des Begriffs „Täter“ im<br />
Ermittlungsverfahren mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung<br />
nicht in Einklang zu bringen 89 . Deshalb sollte<br />
der Sprachgebrauch des Gesetzgebers auch im Interesse<br />
der europäischen Rechtskultur 90 konventions-, verfassungsund<br />
grundrechtskonform geändert werden 91 .<br />
Insbesondere bei problematischen Gesetzen 92 ist die Verwirklichung<br />
der Menschenrechte auf universeller und europäischer<br />
Ebene von größter Bedeutung 93 :<br />
„Human Rights without effective implementation are<br />
shadows without substance 94 .“<br />
85 Vgl.: BVerfGE 35, 202 (232) „Lebach“ (Auch die bis zur rechtskräftigen Verurteilung<br />
zugunsten des Angeschuldigten geltende Vermutung seiner Unschuld<br />
gebiete eine entsprechende Zurückhaltung.); BGH, JZ 2000, 618 (zur Verdachtsberichterstattung);<br />
K. Braun, Handbuch der Gerichtsberichterstattung,<br />
1994, S. 170 (zu den im Stadium der Ermittlungen nicht gestatteten Schlagzeilen<br />
über gefasste „Täter“ und „Mörder“); Dahs, NStZ 1986, 563 (Die Wahrung<br />
der Anonymität des Beschuldigten sei ein Stück praktizierter Unschuldsvermutung.);<br />
Dalbkermeyer, Der Schutz (Fn. 77), S. 27 (zur Vorverurteilung<br />
durch die Medien); Ionescu, in: Dölling/Gössel/Waltos, Kriminalberichterstattung<br />
(Fn. 49), S. 45, 64 (erwähnt, dass bei Unbekanntsachen der<br />
Betroffene zwar sehr oft als „Täter“ bezeichnet worden sei, jedoch müsse<br />
man die tatausführende Person irgendwie bezeichnen. Hier finde durch die<br />
Bezeichnung in diesem Kontext keine Stigmatisierung einer bestimmten Person<br />
als „Täter“ statt.); Kühl, Hubmann-FS (1985), S. 241 (244); ders., ZStW<br />
100 (1988), S. 406, 601, 635, 637 (zu Reformforderungen – die mit Art. 6<br />
Abs. 2 MRK begründet werden – an den Gesetzgeber zum Schutz vor öffentlicher<br />
Vorverurteilung durch die Medien); ders., in: Lackner/Kühl, Strafgesetzbuch,<br />
23. Aufl. (1999), § 193 Rdnr. 11 (hinsichtlich der Verhütung von „Vorverurteilungen“<br />
durch die Presse: „Namentlich während eines schwebenden<br />
Strafverfahrens ist es idR nicht gerechtfertigt, den Beschuldigten auf der<br />
Grundlage eigener Recherchen schon als Täter und nicht lediglich als Verdächtigen<br />
hinzustellen ...“); Ludwig, Persönlichkeitsrechtsverletzungen (Fn.<br />
84), S. 146; Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 43 ff. m. w. N.<br />
86 Vgl.: Marxen, Straftatsystem (Fn. 7), S. 345; ders., GA 1980, 365, 366 („Die<br />
Vernachlässigung der Unschuldsvermutung gehört in einem großen Teil der<br />
Presse zu den Darstellungsprinzipien der Kriminalberichterstattung. Täglich<br />
werden in einer Vielzahl von Fällen Beschuldigte als Täter hingestellt.“);<br />
Wagner, Strafprozessführung (Fn. 77), S. 43 ff. m. w. N.; K. Braun, Handbuch<br />
(Fn. 85), S. 170.<br />
87 Vgl.: Schaefer, NJW 1996, 496 f. („Die Vorverurteilung wird gegeißelt und<br />
verurteilt, sie sei eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens unwürdig, und alle<br />
daran Beteiligten, Justiz und/oder Presse sollten sich des Problems annehmen<br />
und Besserung geloben zum Schutz des einzelnen und bis zu seiner rechtskräftigen<br />
Verurteilung als unschuldig zu geltenden Beschuldigten“). Vgl.: F.-C.<br />
Schroeder, Roxin-FS (2001), S. 33, 41 (zu den Grundsätzen des Strafverfahrensrechts).<br />
88 Vgl.: Eiffler, Die Auslegung unbestimmter Schrankenbegriffe der Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention, Diss. Berlin 1999, S, 1, 19 (hebt hinsichtlich<br />
der Schrankenbegriffe der MRK hervor, dass „eine verlässliche Bestimmung<br />
ihres Inhalts sowohl für den Hoheitsträger als auch für den<br />
Grundrechtsträger unabdingbar“ sei.); ders., Die Polizei 1999, 324 ff. (zur Bedeutung<br />
der MRK für die polizeiliche Praxis und Ausbildung); ders., NJW<br />
1999, 762 m. w. N, (betont, „dass polizeiliche Maßnahmen auch hier zu Lande<br />
dem Maßstab der Europäischen Menschenrechtskonvention gerecht werden<br />
müssen.“); Gropp, JZ 1991, 804, 806 (zum Verfahrensbereich, „wo die verfahrensbezogene<br />
Form der Unschuldsvermutung ihren limitierenden, d. h. hoheitliche<br />
Eingriffe in die Beschuldigteninteressen einschränkenden, Gehalt entfaltet.“);<br />
Paeffgen, DRiZ 1998, 317, 320 („Rechtsanwender und interessiertem<br />
Bürger“); ders., Roxin-FS (2001), S. 1299, 1309 (zum Tatverdacht der Strafverfolgungsbehörden).<br />
Siehe demnächst: K.-S. von Danwitz, Staatliche Straftatbeteiligung<br />
– die Bestimmung der Grenzen staatlicher Machtausübung in<br />
Form von Tatprovokation und Straftatbegehung, Habil.-Schrift Bonn 2001,<br />
S. 77, 85 m. w. N. (zum Prinzip, „dass der Staat von der Normtreue des Bürgers<br />
auszugehen hat.“).<br />
89 Vgl.: F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.; ders., Der Täter hinter dem Täter,<br />
Diss. München 1962, S. 13, 58 ff., 221 f. (allgemein zum strafrechtlichen<br />
„Täter“-Begriff); Diercks, AnwBl 1999, 311 (316 m. w. N.). Vgl. auch: Weigend,<br />
ZStW 111 (1999), S. 920, 925 (fragt, ob man das Substrat dessen, was<br />
die Unschuldsvermutung zu schützen aufgerufen ist – das „Verfahren“ –, ganz<br />
dem Gutdünken des Gesetzgebers überantworten sollte.).<br />
90 Uerpmann, Die Europäische Menschenrechtskonvention (Fn. 44), S. 132, 245.<br />
Vgl.: Dilcher, NJW 1998, 3690, 3692 (zum Bezug der Unschuldsvermutung<br />
auf die „Rechtskultur“); Kerscher, DRiZ 1983, 439, 442 (hält „das Gros der<br />
deutschen Gerichtsberichterstattung für einen andauernden, rechtskulturellen<br />
Skandal.“).<br />
91 F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483, 2484 (fordert den Gesetzgeber dringend<br />
auf, „den geschilderten Rechtszustand zu ändern. Als alternative Ausdrücke<br />
stehen der ,Verdächtige’ und ,die als Täter in Frage kommende Person’ zur<br />
Verfügung.“). Vgl.: Binder, Rechtsprobleme (Fn. 43), S. 23 (plädiert für den<br />
Begriff „als Täter Verdächtigte“.); Simon, Die Beschuldigtenrechte (Fn. 45),<br />
S. 226 f. („Was kann der Konvention in Zukunft zu angemessener Berücksichtigung<br />
verhelfen?! Die Gerichte sollten sich den Inhalten der Konventionsgarantien<br />
nicht mehr mit dem pauschalen Hinweis auf den ,bloßen’ Mindeststandard<br />
der Konvention verschließen. Wie die vorliegende Arbeit gezeigt hat,<br />
reicht dieser Mindeststandard nicht selten über die Regelungen der StPO hinaus<br />
oder bietet zumindest eine ausdrücklich normativ gefasste Grundlage, die<br />
in dieser Deutlichkeit in der StPO an mancher Stelle fehlt.“).<br />
92 Vgl.: Paeffgen, Festgabe zum 50-jährigen Bestehen des Bundesgerichtshofs<br />
(2000), Band IV, S. 695, 735 (zu „gesetzgeberischen Eskapaden“); ders.,<br />
Grünwald-FS (1999), S. 433, 468 (zum „Umgang mit problematischen Gesetzen“);<br />
ders., StV 1999, 668 ff. (zum G 10 in der Fassung des Verbrechensbekämpfungsgesetzes<br />
1994); ders., Der Verrat in irriger Annahme eines illegalen<br />
Geheimnisses (§ 97b StGB) und die allgemeine Irrtumslehre, Diss. Mainz<br />
1978, S. 88 (zur „gesetzlichen Willkür“); F.-C. Schroeder, NJW 2000, 2483 ff.;<br />
ders., Der Schutz von Staat und Verfassung im Strafrecht, Habil.-Schrift 1967,<br />
S. 484 (allgemein zur Gesetzgebung); Zaczyk, StV 1993, 490 (498); Diercks,<br />
AnwBl 1999, 311 (316 Fn. 77 ff. m. w. N.).<br />
93 Vgl.: Mahrenholz, in: Mahrenholz/Hilf/Klein (Fn. 49), S. 73, 88 („Es wäre<br />
schon merkwürdig, wenn man die Politiker nicht bei ihrem Europäischen Portepee<br />
fassen könnte, mit dem sie sich im Bedarfsfall so gern schmücken. Dass<br />
die Verwirklichung der Menschenrechte für die europäischen Völker von größerer<br />
Bedeutung ist als die Vereinheitlichung von Industrienormen, müsste<br />
einleuchten.“); Peukert, Mahrenholz-FS (1994), S. 277, 279 (zum besonderen<br />
„Engagement für einen strikten und effektiven Grund- bzw. Menschenrechtsschutz“);<br />
Bleckmann, DÖV 1979, 309, 311 (hervorhebend: „Hierzu tritt aus<br />
Art. 1 Abs. 2 GG die Verpflichtung, gerade auch bei der Entwicklung der<br />
Menschenrechte auf universeller und europäischer Ebene positiv mitzuwirken.“);<br />
Frowein, Carstens-FS (1984), Band 1, S. 327, 337 („Die Herausbildung<br />
gemeineuropäischer Grundrechtsstandards auf der Grundlage der Europäischen<br />
Menschenrechtskonvention ist eine große Aufgabe.“); Llobet<br />
Rodriguez, Die Unschuldsvermutung und die materiellen Voraussetzungen der<br />
Untersuchungshaft, Diss. Freiburg (Breisgau) 1995, S. 27 ff. (zur weltweiten<br />
Anerkennung der Unschuldsvermutung als Menschenrecht). Zum Entwurf der<br />
EU-Grundrechtecharta, siehe: Alber/Widmaier, EuGRZ 2000, 497 ff.; Hilf,<br />
Beilage JuS 1/2001, 5; Hirsch, NJW 2000, 46 (47); Krüger/Polakiewicz,<br />
EuGRZ 2001, 92 ff.; Magiera, DÖV 2000, 1017 ff.; Zuleeg, EuGRZ 2000,<br />
511.<br />
94 J. Humphrey, zitiert nach: B. Schmid, Rang und Geltung der Europäischen<br />
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 3.<br />
November 1950 in den Vertragsstaaten, 1984, S. VI.<br />
Buchhinweis<br />
Hartmann, Kostengesetze; Beck´sche Kommentare, Band 2,<br />
Kostengesetze, Kurz-Kommentar von Dr. Dr. Peter Hartmann<br />
unter Mitwirkung von Dr. Jan Albers; 31. neubearbeitete<br />
Auflage 2002; Verlag C.H. Beck München; 1.893<br />
Seiten; 99,– E<br />
Das vorzügliche Werk erfasst in der neuen Auflage den Gesetzestext<br />
per 1. Januar 2002, teilweise bereits per 1. Juli<br />
2002. Die Novellen der letzten Monate sind vollständig an<br />
Ort und Stelle eingebracht. Es gibt ja Vorschriften, die in<br />
wenigen Monaten zwei– bis dreimal geändert worden sind.<br />
Natürlich sind die Euro-Umstellungsvorschriften allenthalben<br />
verarbeitet. Die Neuordnung des Gerichtsvollzieherkostenrechts<br />
vom 19. April 2001 und die künftigen Änderungen<br />
(1. Juli 2002) im Zustellungsrecht sind kommentiert<br />
und, soweit altes und neues Recht nebeneinander stehen,<br />
parallel ausgewiesen. Viele Bestimmungen der BRAGO<br />
sind vollständig überarbeitet. Wie immer gefällt an dem<br />
Meisterwerk die durch klare Begrifflichkeit veranlasste<br />
Übersichtlichkeit und Gestaltung des zerfließenden Stoffs.<br />
Kostenrecht kompakt und umfassend heißt nach wie vor:<br />
„Hartmann, Kostengesetze“.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher, Berlin
156<br />
u<br />
Rechtsrat im<br />
Fernsehen<br />
rechtens<br />
Rechtsanwalt Bernhard Töpper,<br />
Leiter der Redaktion Recht und Justiz<br />
im ZDF, Mainz<br />
Na endlich, möchte man erleichtert<br />
ausrufen. Mit einem Grundsatzurteil<br />
hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs<br />
am Nikolaustag 2001 einen<br />
jahrelangen Rechtsstreit beendet und<br />
jetzt für Klarheit gesorgt:<br />
Rechtsrat im Fernsehen ist erlaubt!<br />
Es liegt kein Verstoß gegen das<br />
Rechtsberatungsgesetz vor, so die<br />
höchsten Zivilrichter in Karlsruhe,<br />
wenn sich Verbraucher- und Ratgebersendungen<br />
im Fernsehen mit konkreten<br />
Rechtsfällen befassen und juristische<br />
Ratschläge erteilen.<br />
Das Urteil wurde in der Anwaltschaft<br />
und in den Medien mit großer<br />
Spannung erwartet, hatte es doch über<br />
das Thema „Rechtsberatung im Fernsehen“<br />
seit langem heftige und höchst<br />
kontroverse Diskussionen gegeben.<br />
Geklagt hatten einige Rechtsanwälte,<br />
die sich darauf spezialisiert<br />
hatten, in Fernsehsendungen nach Verstößen<br />
gegen das Rechtsberatungsgesetz<br />
regelrecht zu fahnden. Mehrere<br />
Landgerichte und Oberlandesgerichte<br />
hatten ihrer Klage stattgegeben und<br />
die Sendungen untersagt. Betroffen<br />
waren der Bayerische Rundfunk, RTL<br />
und das ZDF.<br />
So hatte das ZDF zum Beispiel in<br />
der Fernsehsendung „WISO“ das<br />
Thema „Mängel bei Urlaubsreisen“<br />
behandelt, die Zuschauer aufgefordert<br />
anzurufen und vier Zuschauern die<br />
Möglichkeit gegeben, in der Sendung<br />
telefonisch ihre Reiseerlebnisse zu<br />
schildern und Fragen zu Reisepreisminderungen<br />
zu stellen, die dann von<br />
einem Redakteur – live im Studio –<br />
beantwortet wurden. Das Landgericht<br />
Regensburg sah darin einen Verstoß<br />
gegen das Rechtsberatungsgesetz. In<br />
der Urteilsbegründung malten die Regensburger<br />
Richter ein Schreckensszenario<br />
und behaupteten allen Ernstes,<br />
dass viele Rechtsanwälte im Raum Regensburg<br />
unter das notwendige Existenzminimum<br />
fallen würden, „wenn<br />
man dies zuließe“. Wohl gemerkt bei<br />
vier telefonischen Anfragen, die zudem<br />
– wegen der Kürze der Zeit – in<br />
der Sendung noch nicht einmal abschließend<br />
behandelt wurden. Das<br />
OLG Nürnberg ging noch einen Schritt<br />
weiter und sah bereits in der Ankündigung<br />
des Moderators einen Verstoß gegen<br />
das Rechtsberatungsgesetz, weil<br />
dieser gesagt hatte: „Danach wird’s<br />
ernst, wir geben Ihnen am Telefon<br />
Auskunft“. OLG Nürnberg: „Gegen<br />
das Rechtsberatungsgesetz verstößt<br />
nicht nur, wer tatsächlich Rechtsberatung<br />
durchführt, sondern auch derjenige,<br />
der nach dem Verständnis der angesprochenen<br />
Verkehrskreise anbietet<br />
oder ankündigt, Rechtsberatung im<br />
Einzelfall zu erteilen“.<br />
Der Bundesgerichtshof hat jetzt die<br />
zum Teil abwegigen Rechtsauffassungen<br />
der unteren Instanzen – und auch<br />
einiger Vertreter aus der Anwaltschaft –<br />
korrigiert und klar gestellt:<br />
Konkrete Auskünfte und Ratschläge<br />
in Fernsehsendungen sind keine unzulässige<br />
Rechtsberatung, weil in diesen<br />
Programmbeiträgen nicht der Einzelfall<br />
und seine Lösung im Vordergrund<br />
steht, sondern der Kern und Schwerpunkt<br />
der Sendung in der allgemeinen<br />
Information der Zuschauer über typische<br />
Rechtsprobleme liegt.<br />
Die Berichterstattung über Fragen<br />
aus dem Bereich des Rechts und der<br />
Justiz gehört zweifellos zum Programmauftrag<br />
der Fernsehveranstalter,<br />
AnwBl 3/2002<br />
zur Rundfunkfreiheit des Art. 5 GG.<br />
Das große Interesse der Zuschauer an<br />
diesen Fragen lässt sich aber nur durch<br />
die Darstellung konkreter und anschaulicher<br />
Einzelfälle erfüllen. Abstrakte,<br />
theoretische und allgemeine Erläuterungen<br />
gehen am Zuschauer<br />
dagegen weitestgehend vorbei. Diese<br />
medienspezifischen Zusammenhänge<br />
hatten die unteren Instanzen nicht erkannt.<br />
Eine unzulässige Rechtsberatung<br />
liegt nach Ansicht des BGH erst<br />
dann vor, wenn der telefonische<br />
Rechtsrat außerhalb der Fernsehsendungen<br />
gegeben wird und es dabei zu<br />
einer abschließenden Lösung kommt.<br />
Das Fernsehen ist auf dem Gebiet<br />
der Rechtsberatung im Übrigen keine<br />
Konkurrenz für den Anwaltsstand. Im<br />
Gegenteil: Die Berichterstattung über<br />
Rechtsfragen kommt im Ergebnis vielmehr<br />
sogar den Anwälten zugute, weil<br />
bei vielen Bürgern durch die Darstellung<br />
eines exemplarischen Falles in<br />
einer Fernsehsendung erst das Rechtsbewusstsein<br />
geschaffen wird, mit<br />
einem eigenen Fall, der sich so oder<br />
ähnlich wie der im Fernsehen gezeigte<br />
zugetragen hat, zum nächsten Anwalt<br />
zu gehen und sich dort über die Erfolgsaussichten<br />
einer Klage beraten zu<br />
lassen.<br />
Seit vielen Jahren gibt es in fast<br />
jedem Fernsehprogramm ein „Gesundheitsmagazin“.<br />
Dort erhalten die<br />
Zuschauer auf ihre telefonischen Anfragen<br />
Ratschläge und Auskünfte zu<br />
allen Bereichen der Medizin.<br />
Haben sich je die Ärzte über diese<br />
„Gesundheits-Ratgeber-Sendungen“<br />
beklagt? Bisher ist jedenfalls nicht bekannt<br />
geworden, dass sich die Ärzteschaft<br />
dadurch in ihrer wirtschaftlichen<br />
Existenz bedroht sieht.<br />
Warum also fürchten die Anwälte<br />
eigentlich juristische Ratgeber-Sendungen?<br />
Die Anwaltschaft muss umdenken.<br />
Nicht das Beharren auf überholten Privilegien<br />
ist gefragt, sondern es geht<br />
jetzt darum, wie die Rechtsanwälte<br />
ihre jahrelange Ausbildung und Erfahrung,<br />
ihre juristische Kompetenz bei<br />
der Rechtsberatung in den Medien einbringen<br />
können. Nicht Konfrontation,<br />
sondern Kooperation ist angesagt.
AnwBl 3/2002 157<br />
5 %<br />
Stehempfang im großen Sitzungssaal des DAV-Hauses<br />
Dr. Geiger, Staatssekretär des BMJ und Dr. Streck, Präsident des DAV<br />
DAV Empfang „Auftakt 2002“<br />
Dr. Birkmann,<br />
Justizminister Thüringen<br />
MN<br />
Am 8. Januar 2002 haben der<br />
Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> und die<br />
Deutsche Anwaltakademie zu<br />
einem „Auftakt 2002“ geladen.<br />
Zahlreiche Persönlichkeiten aus<br />
Politik und Gesellschaft folgten<br />
dieser Einladung. Unter ihnen<br />
der Justizminister aus Thüringen,<br />
Dr. Andreas Birkmann, in<br />
seiner Eigenschaft als amtierender<br />
Vorsitzender der Justizministerkonferenz.<br />
Der Präsident<br />
konnte viele Angehörige<br />
der Ministerien, angeführt von<br />
dem Staatssekretär des Bundesministeriums<br />
der Justiz, Dr.<br />
Hansjörg Geiger, begrüßen.<br />
In seiner Ansprache wies der<br />
Präsident des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
Rechtsanwalt Dr.<br />
Michael Streck, auf die in diesem<br />
Jahr dringenden Vorhaben<br />
für die Anwaltschaft hin. Er<br />
nutzte die Gelegenheit, den<br />
Justizminister Dr. Birkmann<br />
auf die Notwendigkeit einer<br />
baldigen Gebührenstrukturreform<br />
hinzuweisen. In seinem<br />
Grußwort erklärte Dr. Birkmann<br />
die Bereitschaft, dieses Vorhaben<br />
bereitwillig zu prüfen.<br />
Hinsichtlich der Abschaffung<br />
des Gebührenabschlags Ost erwartet<br />
er weiterhin die Unterstützung<br />
des DAV.<br />
Die Gäste nutzten bei dem<br />
Empfang die Gelegenheit, über<br />
dieses und andere Themen zu<br />
diskutieren.<br />
Aufgrund des Erfolgs und<br />
der Zufriedenheit der Gäste mit<br />
den Gesprächen, hat der DAV<br />
sich dazu entschlossen, künftig<br />
jährlich einen solchen Empfang<br />
durchzuführen.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Berlin
158<br />
MN<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Einladung zur Mitgliederversammlung des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s am<br />
Donnerstag, dem 9. Mai 2002, 9.00 Uhr<br />
im Arabella Sheraton Grand Hotel, Arabellastraße 13, 81925 München<br />
Tagesordnung<br />
1) Eröffnung durch den Präsidenten<br />
2) Grußworte<br />
3) Verleihung des Ehrenzeichens<br />
4) Tätigkeitsbericht des Hauptgeschäftsführers und Aussprache<br />
5) Kassenbericht des Schatzmeisters und Aussprache<br />
6) Wahl der Stimmzähler für evtl. schriftliche Abstimmungen<br />
7) Genehmigung des Jahresabschlusses 2001<br />
8) Wahl des Kassenprüfers 2002 und seines Vertreters<br />
9) Entlastung des Vorstands<br />
10) Verschiedenes<br />
Stimmberechtigt für einen Verein gemäss § 15 der DAV-Satzung sind die als Vertreter bestellten Mitglieder eines Mitgliedsvereins.<br />
Einzelmitglieder und Ehrenmitglieder haben jeweils eine Stimme.<br />
Die Stimmberechtigten werden gebeten, sich vor der Mitgliederversammlung von 8.00 bis 9.00 Uhr in die vor dem<br />
Saal ausliegenden Anwesenheitslisten einzutragen, als Vertreter von örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en ihre Stimmberechtigung<br />
durch Vorlage entsprechender Vollmachten nachzuweisen und die für sie vorbereiteten Stimmzettel abzuholen.<br />
DAV Stiftung contra<br />
Rechtsextremismus und Gewalt<br />
Die Stiftung konnte bereits in<br />
zahlreichen Fällen helfen<br />
Die im Dezember 2000 vorgestellte<br />
Stiftung „DAV contra Rechtsextremismus<br />
und Gewalt“ hat im vergangenen<br />
Jahr ihre Arbeit aufgenommen und<br />
konnte bereits Hilfe leisten. Sie ist als<br />
gemeinnützig anerkannt. Die Stiftung<br />
ist auch vielfach in die Liste der Institutionen,<br />
die nach § 153a StPO begünstigt<br />
werden können, aufgenommen<br />
worden. Wo eine Aufnahme in diese<br />
Liste noch nicht geschehen ist, steht<br />
dies unmittelbar bevor. Die Kolleginnen<br />
und Kollegen sind aufgerufen bei<br />
„Einstellungen des Verfahrens gegen<br />
Erfüllung von Auflagen“ auf die<br />
Möglichkeit hinzuweisen, die Stiftung<br />
zu begünstigen. In das Vermögen der<br />
Stiftung hat der DAV einen Grundbetrag<br />
von 51.000 E bereit gestellt.<br />
Weiteres Vermögen setzt sich aus<br />
Spenden und zu einem geringerem<br />
Teil bereits aus Zahlungen aus Auflagen<br />
zusammen.<br />
Aus den Mitteln der Stiftung sollen<br />
die Kosten für Rechtsberatung und<br />
Rechtsvertretung von Opfern politisch<br />
motivierter Gewalttaten getragen werden.<br />
Nach Ansicht des DAV kann<br />
damit die Anwaltschaft dafür sorgen,<br />
dass die Opfer solcher Gewalttaten<br />
zumindestens schnell und ohne bürokratische<br />
Hürden den notwendigen<br />
Rechtsbeistand erhalten können. Die<br />
Anwältin bzw. der Anwalt des betroffenen<br />
Opfers wendet sich an die Stiftung<br />
und erhält nach Prüfung des Vorliegens<br />
des Stiftungszweckes einen<br />
Kostenvorschuss in Höhe von 300 E<br />
zuzüglich Umsatzsteuer. Dabei muss<br />
dargelegt werden, dass sie ein Opfer<br />
rechtsextremistischer oder politisch<br />
motivierter Gewalt vertreten und das<br />
Opfer bedürftig ist. Nach Abwicklung<br />
und Durchführung des anwaltlichen<br />
Auftrages wird die Kostenrechnung<br />
der Stiftung eingereicht. Von der<br />
Kostenrechnung werden alle Beträge<br />
abgerechnet, die durch Dritte, wie beispielsweise<br />
Prozesskostenhilfe,<br />
Rechtsschutzversicherung etc. erreicht<br />
werden.<br />
In diesem Zusammenhang von<br />
einer „erfolgreichen“ Arbeit zu sprechen,<br />
verbietet sich von selbst. Die Arbeit<br />
ist aber aufgenommen. Anwälte<br />
von Opfern politisch motivierter Gewalttaten<br />
haben bereits in 32 Fällen<br />
den Antrag auf Unterstützung durch<br />
die Stiftung gestellt. Die ersten Verfahren<br />
sind durch Übernahme der anwaltlichen<br />
Kosten durch die Stiftung<br />
abgeschlossen. Durch die Zusage der<br />
Übernahme des Kostenvorschusses<br />
konnte die Arbeit der Kolleginnen und<br />
Kollegen unterstützt werden. Zahlreiche<br />
andere Fälle sind noch nicht abgeschlossen;<br />
dort wurde ein Kostenvorschuss<br />
gewährt.<br />
Wie notwendig die Errichtung der<br />
Stiftung ist, ergibt sich aus folgenden<br />
beispielhaft herausgesuchten Fällen:<br />
In einem von der Stiftung unterstützen<br />
Fall wurde ein portugiesischer<br />
Zimmermann durch Skinheads niedergeschlagen.<br />
Dabei wurde ihm drei bis<br />
fünfmal mit Springerstiefeln und Stahlkappen<br />
gegen den Kopf getreten. Das<br />
Opfer verstarb. Die Familie des Opfers<br />
lebt in Portugal und hat auch dort<br />
einen portugiesischen Anwalt mit der<br />
Wahrnehmung der Interessen beauftragt.<br />
Aus Sicht der Stiftung war es<br />
notwendig, dass die Familie einen portugiesischen<br />
Anwalt hat und dieser bei<br />
den Verhandlungen in Deutschland mit<br />
einem deutschen Anwalt zusammenarbeiten<br />
kann.<br />
Ein weiteres Opfer wurde in einer<br />
Bahnhofsunterführung von drei Tätern<br />
als „Schwein“, „Ausländer“, „Neger“<br />
beschimpft. Des Weiteren wurde er<br />
mit einem Messer akttaktiert und erlitt<br />
erhebliche Verletzungen. Auch hier<br />
sah das Kuratorium der Stiftung den<br />
Stiftungszweck erfüllt und unterstützte<br />
das Opfer durch Zahlung der Rechtsanwaltskosten.<br />
Die Stiftung unterstützt nicht nur<br />
die Nebenklage, sondern auch die<br />
Geltendmachung zivilrechtlicher Ansprüche.<br />
So konnte sie in einem Fall<br />
helfen, als ein Betroffener auf offener<br />
Straße als „Neger“ beschimpft wurde.<br />
Der Mandant wurde auf den Kopf geschlagen<br />
und versuchte dabei zu fliehen.<br />
Er wurde bei seiner Flucht durch
AnwBl 3/2002 159<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
die Innenstadt von den Tätern gestellt.<br />
So dann wurde er mehrfach getreten,<br />
so dass dieser neben einer Schädelprellung<br />
noch andere Verletzungen davon<br />
trug. Bei der Tat wurden ausländerfeindliche<br />
Parolen gebrüllt.<br />
In einem anderen Fall wurde ein<br />
pakistanischer Mandant von mehreren<br />
Skinheads angegriffen. Nachdem dieser<br />
verletzt worden war, wurden seine<br />
indischen Begleiter mit zur Hilfenahme<br />
eines Kampfhundes durch die<br />
Stadt gehetzt. In der Urteilsbegründung<br />
heißt es: „Doch bereits in der<br />
Bereitschaft eine mögliche Schlägerei<br />
zu führen, kamen die Angeklagten in<br />
diese Situation spontan überein, gemeinsam<br />
mit körperlicher Gewalt den<br />
Ausländern klar zu machen, dass ihre<br />
Anwesenheit stört und dass man sich<br />
besser nicht mit ihnen anlegt. Ohne es<br />
ausdrücklich auszusprechen, beabsichtigten<br />
sie, bei der Auseinandersetzung<br />
verschiedene Gegenstände und auch<br />
den vor Ort verbliebenen Kampfhund<br />
des Angeklagten K. bewusst gegen die<br />
Ausländer als Waffen einzusetzen“.<br />
Dies sind nur Beispiele, die zeigen,<br />
wie nötig die Errichtung der Stiftung<br />
war. Die Anwaltschaft kann durch<br />
diese Stiftung ihr gesellschaftliches<br />
Engagement dadurch zum Ausdruck<br />
bringen, dass sie die Unterstützung<br />
eines Opfers mit anwaltlicher Hilfe<br />
gewährleistet.<br />
Das Vermögen der Stiftung bedarf,<br />
wie die dargestellten Fälle zeigen,<br />
durchaus noch der Aufstockung, damit<br />
wirksam geholfen werden kann.<br />
Daher bleiben alle Kolleginnen und<br />
Kollegen aufgerufen, einen kleinen<br />
oder größeren Beitrag auf das Konto<br />
der Stiftung bei der<br />
Dresdner Bank Bonn<br />
Konto-Nr.: 207829601<br />
BLZ: 37080040<br />
einzuzahlen. Bitte unterstützen Sie<br />
die Stiftung auch dadurch, dass Sie bei<br />
Einstellung gemäß § 153a StPO auf<br />
die gemeinnützige Stiftung des DAV<br />
hinweisen.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
Deutsche Anwaltauskunft<br />
Deutsche Anwaltauskunft –<br />
Ein starker Auftritt<br />
„Wir finden den passenden Anwalt.<br />
Für Ihr Problem. In Ihrer Nähe“.<br />
Mit dieser Aussage trat die Deutsche<br />
Anwaltauskunft bei einer bundesweiten<br />
Werbeaktion unter der Nen-<br />
nung der Telefonnummer und der<br />
Internetadresse auf. Von Mitte Januar<br />
bis Mitte Februar wurden die Fahrgäste<br />
in S-, U-, und Straßenbahnen<br />
sowie Omnibussen an über 12.000<br />
Stellen auf die Servicenummer der<br />
Deutschen Anwaltauskunft und deren<br />
Internetadresse aufmerksam gemacht.<br />
Allein im Januar konnte so die Zahl<br />
der Anrufe um rund 2.300 gesteigert<br />
werden. Neben dieser Werbeaktion<br />
wird die Deutsche Anwaltauskunft<br />
ganzjährig in den Gelben Seiten, dort<br />
wo dies möglich ist, und über redaktionelle<br />
Beiträge in Anzeigenblättern,<br />
Zeitungen und Zeitschriften beworben.<br />
Erfolg exklusiv für Mitglieder<br />
Die Deutsche Anwaltauskunft, der<br />
Anwaltsuchdienst des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s,<br />
benennt exklusiv – ohne<br />
weitere Kosten – die Mitglieder der<br />
örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e. Damit kommt<br />
sie dem Informationsbedürfnis der<br />
Bürger weit entgegen und kann den<br />
Mitgliedern neue Mandate bringen..<br />
Unter der bundesweit einheitlichen<br />
Rufnummer 01805/181805 (0,12<br />
E/min.) und im Internet unter<br />
www.anwaltauskunft.de kann der Ratsuchende<br />
sich den passenden Anwalt<br />
in seiner Nähe benennen lassen. Neben<br />
dem großen Erfolg des telefonischen<br />
Service (ca. 6.000 Anrufe pro<br />
Monat) werden auch monatlich rund<br />
70.000 Seiten im Internet abgerufen.<br />
Damit hat es die Deutsche Anwaltauskunft<br />
geschafft, die Nachfrage nach<br />
anwaltlicher Dienstleistung auf die<br />
Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />
zu lenken.<br />
Die Deutsche Anwaltauskunft benennt<br />
mit Hilfe eines Anforderungsprofils<br />
(Postleitzahl und Rechtsgebiet<br />
etc.) am Telefon bis zu drei Kolleginnen<br />
und Kollegen, im Internet sind<br />
dies bis zu fünf. Sollte das Anforderungsprofil<br />
auf mehr als eine Kollegin<br />
bzw. einen Kollegen zutreffen, erfolgt<br />
die Auswahl und Reihenfolge der Benennung<br />
mit Hilfe eines Zufallgenerators.<br />
Die Begrenzung der Benennung<br />
ist erforderlich, da der Datenbestand<br />
der Deutschen Anwaltauskunft mit einem<br />
hohen Aufwand gepflegt wird<br />
und für kommerzielle Adressdienstleister<br />
von außerordentlichem Interesse<br />
ist. Die Erfahrungen zeigen<br />
auch, dass die Nennung von bis zu<br />
drei Adressen ausreichend ist.<br />
Bundesweit größter Datenbestand<br />
Die Deutsche Anwaltauskunft greift<br />
bei ihrer Benennung auf den Daten-<br />
bestand der Deutschen Anwaltadresse,<br />
der Anschriftenzentrale des DAV,<br />
zurück. Dort werden sämtliche büround<br />
personenbezogenen Daten sowie<br />
Qualifikationen, wie Fachanwaltschaften,<br />
Tätigkeits- und Interessensschwerpunkte,<br />
Fremdsprachenkenntnisse, etc.<br />
gespeichert. Diese Daten sind für das<br />
oben bezeichnete Anforderungsprofil<br />
wesentlich. Wichtig ist daher, mit welchen<br />
Daten das einzelne Mitglied bei<br />
der Deutschen Anwaltadresse gespeichert<br />
ist. Wer seine Daten überprüfen<br />
möchte, kann sich sein persönliches<br />
Datenblatt von der Deutschen Anwaltadresse<br />
(Tel.: 030/ 726153-170, -171,<br />
Fax: 030/726153-177) zufaxen lassen.<br />
Dieses kann dann ergänzt bzw.<br />
korrigiert und mit der Unterschrift versehen<br />
wieder zurückgefaxt werden.<br />
Nach einer Einarbeitungszeit und der<br />
monatlichen Aktualisierung sind die<br />
neuen Daten im Datenbestand der<br />
Deutschen Anwaltauskunft sowohl am<br />
Telefon als auch im Internet enthalten.<br />
Aus Kostengründen wird der Datenbestand<br />
der Deutschen Anwaltauskunft<br />
monatlich und nicht täglich aktualisiert.<br />
Flächendeckende Benennung<br />
Allein die Deutsche Anwaltauskunft<br />
ist in der Lage, die passende Anwältin<br />
bzw. den passenden Anwalt in<br />
der Nähe der Bürger zu benennen. Die<br />
Deutsche Anwaltauskunft ist damit<br />
der größte Anwaltsuchdienst in der<br />
Bundesrepublik. Dies ist der entscheidende<br />
Wettbewerbsvorteil gegenüber<br />
anderen Suchdiensten und hat sich damit<br />
in der Öffentlichkeit durchgesetzt.<br />
Für die Presse ist dies der Mehrwert,<br />
um auf die Deutsche Anwaltauskunft<br />
aufmerksam zu machen. Ein weiterer<br />
Vorteil in der Berichterstattung wird<br />
darin gesehen, dass die in der Deutschen<br />
Anwaltauskunft verzeichneten<br />
Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte<br />
für ihren Auftritt keinen zusätzlichen<br />
Beitrag entrichten müssen und die<br />
Deutsche Anwaltauskunft damit keinen<br />
kommerziellen Service darstellt.<br />
Verkehrsrechtler mit direktem Draht<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> nutzt<br />
den Service der Deutschen Anwaltauskunft<br />
für eine zusätzliche Dienstleistung.<br />
Die in der Arbeitsgemeinschaft<br />
zusammengeschlossenen 5.000 Verkehrsrechtler<br />
haben sich dazu entschlossen,<br />
mit Hilfe der Verdopplung<br />
des Mitgliedsbeitrages der ARGE Verkehrsrecht<br />
diese Rufnummer zu bewer-
160<br />
MN<br />
ben. Dies ist durch das sogenannte<br />
Schadensmanagement der Versicherungswirtschaft<br />
notwendig geworden.<br />
Mit Hilfe dieses „Schadensmanagements“<br />
versuchen die Versicherer die<br />
Geschädigten eines Verkehrsunfalls<br />
von anwaltlichem Rat, abzuschneiden.<br />
Eine Umfrage in der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht hat ergeben, dass<br />
das Gebührenaufkommen aus der<br />
Schadensregulierung bereits erheblich<br />
zurückgegangen ist. Daher muss in der<br />
Öffentlichkeit auf die Notwendigkeit,<br />
z. B. bei Verkehrsunfällen sich anwaltlicher<br />
Hilfe zu bedienen, hingewiesen<br />
werden.<br />
Mit Hilfe der Deutschen Anwaltauskunft<br />
wird eine „Verkehrshotline“<br />
beworben. Die Anrufer bei der Deutschen<br />
Anwaltauskunft, die nach „Verkehrsrecht“<br />
fragen, haben die Auswahl,<br />
sich in der Nähe jemanden<br />
benennen zu lassen oder sich direkt<br />
mit einem im Verkehrsrecht versierten<br />
Anwalt verbinden zu lassen. Bei der<br />
letzteren Möglichkeit wird aufgrund<br />
des Werbeaufwandes der Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht ausschließlich<br />
auf deren Mitglieder zurückgegriffen.<br />
Ziel der Durchstellung ist nicht<br />
telefonische Rechtsberatung, sondern<br />
ein Mandatsanbahnungsgespräch.<br />
Durch die Sonderwerbungen der<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht unter<br />
der Nennung der Rufnummer der<br />
Deutschen Anwaltauskunft konnte das<br />
Anrufvolumen insgesamt gesteigert<br />
werden. Dies kommt sowohl den Mitgliedern<br />
der Arbeitsgemeinschaft als<br />
auch den Mitgliedern der örtlichen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>e zugute. Die<br />
größtmögliche Verbreitung der Servicenummer<br />
ist dabei wesentlich. Bemerkenswert<br />
ist weiterhin, dass so ein<br />
wichtiges Tätigkeitsfeld, wie das Verkehrsrecht,<br />
für Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte gesichert wird.<br />
Erfolg spart Kosten<br />
Der Erfolg der Deutschen Anwaltauskunft<br />
zeigt, dass es keine zwingende<br />
Notwendigkeit gibt, in anderen<br />
Suchdiensten gegen Gebühr enthalten<br />
zu sein. Der Service der Deutschen<br />
Anwaltauskunft stellt daher einen weiteren<br />
rechnerischen Vorteil für die<br />
Mitglieder der örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e<br />
dar.<br />
Zur Zeit gibt es eine verstärkte<br />
Werbeaktion kleinerer, kommerzieller<br />
Anbieter, die auch solche Dienstleistungen<br />
anbieten. Dabei sollte der angepriesene<br />
Vorteil mit dem Erfolg der<br />
Deutschen Anwaltauskunft verglichen<br />
werden, um die Notwendigkeit der<br />
Mitgliedschaft in anderen Suchdiensten<br />
zu überprüfen. Solches Werbematerial<br />
darf auch nicht mit der Deutschen Anwaltauskunft<br />
und den Suchdiensten der<br />
örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>e und der regionalen<br />
Kammern verwechselt werden.<br />
Bei den örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>en<br />
ist die einzelne Anwältin, der einzelne<br />
Anwalt Mitglied und nicht die Kanzlei.<br />
Die Wahrscheinlichkeit der Benennung<br />
durch die Deutsche Anwaltauskunft<br />
wird dadurch erhöht, dass<br />
sämtliche Mitglieder einer Kanzlei<br />
auch Mitglieder ihres örtlichen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
sind.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
DAV-Ausschüsse<br />
Stellungnahmen im Jahre 2002<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s<br />
Künftig erhalten Sie regelmäßig einen<br />
Überblick über die von den Gesetzgebungsausschüssen<br />
des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s herausgegebenen<br />
Stellungnahmen zu den laufenden Gesetzgebungsvorhaben.<br />
Anliegend finden Sie den Überblick<br />
für den Monat Januar 2002.<br />
Datum Nr. Betreff<br />
31.1.2002 10 Ausschuss Gebüh-<br />
21.1.2002 09<br />
renrecht/Gebührenstruktur Kommissionsentwurf<br />
RechtsanwaltsvergütungsgesetzSozialrechtsausschuss<br />
Gleichstellungsgesetz<br />
17.1.2002 08 Zivilrechtsausschuss<br />
2. Schadensersatzänderungsgesetz<br />
17.1.2002 07 Handelsrechtsausschuss<br />
Corporate<br />
Gouvernance Codex<br />
15.1.2002 06 Arbeitsrechtsausschuss<br />
Seemannsgesetz<br />
15.1.2002 05 Ausschuss Geistiges<br />
Eigentum<br />
Gemeinschaftspatent<br />
14.1.2002 04 Handelsrechtsausschuss<br />
Transparenz- und<br />
Publikationsgesetz<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
14.1.2002 03 HandelsrechtsausschussSpruchverfahrensgesetz<br />
8.1.2002 02 Strafrechtsausschuss<br />
Verletztenrechte<br />
3.1.2002 01 Ausländer- und<br />
Asylrechtsausschuss<br />
Zuwanderungsgesetz<br />
Die Stellungnahmen finden Sie im Internet<br />
unter www.anwaltverein.de/03/<br />
05/index.html oder können beim Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße 11,<br />
10179 Berlin angefordert werden.<br />
DAV-Pressemitteilungen<br />
Die Nachwuchsmesse zum<br />
Deutschen Anwaltstag:<br />
AdvoJob/Praxi§<br />
Berlin (DAV). Anlässlich des vom<br />
9. bis zum 11. Mai 2002 in München<br />
stattfindenden 53. Deutschen Anwaltstages<br />
wird am 9. Mai 2002 im<br />
Münchner Künstlerhaus eine überregionale<br />
juristische Nachwuchsmesse<br />
veranstaltet. Diese wird gemeinsam<br />
vom Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV)<br />
und vom FORUM Junger Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte im<br />
DAV sowie der Dr. von Göler Verlagsgesellschaft<br />
durchgeführt. Trotz einer<br />
viel beklagten Juristenschwemme werden<br />
qualifizierte Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte von Kanzleien unterschiedlicher<br />
Größe in Deutschland<br />
nach wie vor dringend gesucht. Auf<br />
der „AdvoJob in Kooperation mit<br />
Praxi§“ können Bewerbungs- und Informationsgespräche<br />
mit renommierten<br />
Anwaltskanzleien geführt werden. Zudem<br />
erhalten die Nachwuchsjuristen<br />
Informationen über entscheidende<br />
Aspekte der Karriereplanung, Fortbildungsmöglichkeiten,<br />
die erfolgreiche<br />
Kanzleigründung und vieles mehr.<br />
Für diese Bewerbermesse haben<br />
sich Partner zusammengefunden, die<br />
gemeinsam in der Lage sind, Angebot<br />
und Nachfrage im juristischen Arbeitsmarkt<br />
in optimaler Weise zusammenzuführen:<br />
Im DAV sind rund 240 regionale<br />
<strong>Anwaltverein</strong>e mit insgesamt rund<br />
56.000 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten<br />
zusammengeschlossen. Das<br />
FORUM Junger Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte im DAV vertritt die<br />
Interessen der Zielgruppe junge Anwälte<br />
bis 40 Jahre. Das FORUM berät<br />
und unterstützt seine derzeit über<br />
4.500 Mitglieder bei der Existenzgrün-
AnwBl 3/2002 161<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
dung und liefert durch Publikationen<br />
der Zeitschrift AdVoice wichtige Informationen<br />
zum Arbeitsmarkt, zur Kanzleiausstattung<br />
und vieles mehr. Die Dr.<br />
von Göler Verlagsgesellschaft ist auf<br />
den juristischen Arbeitsmarkt spezialisiert<br />
und erreicht über Zeitschriften,<br />
Newslettern, Bewerbermessen und einer<br />
online Präsenz insbesondere den<br />
juristischen Nachwuchs mit einer Vielzahl<br />
spezialisierter Medien.<br />
Im Vorfeld der Messe kann von Interessenten<br />
eine kostenlose Broschüre<br />
unter Broschuere@praxis-online.com<br />
abgerufen werden, die ca. zwei Wochen<br />
vor der Veranstaltung übersandt<br />
wird. Zum selben Zeitpunkt wird auch<br />
ein Profilservice zur Verfügung stehen,<br />
um Gesprächswünsche mit den Ausstellern<br />
abzustimmen. Informationen<br />
sind erhältlich bei: Dr. von Göler Verlagsgesellschaft,<br />
Polkostr. 74, 81245<br />
München, Tel: 089/82085950, Fax:<br />
089/82085959.<br />
Die AdvoJob/Praxi§ findet am<br />
9. Mai 2002 im Münchner Künstlerhaus,<br />
Lenbachstraße 8, 80333<br />
München, von 10.00 Uhr bis 17.00 Uhr<br />
statt.<br />
Der Eintritt ist kostenlos.<br />
(DAV-Pressemitt. Nr. 01/02 v. 15.1.2002)<br />
AG Anwaltsmanagement<br />
Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />
führt ihre diesjährige<br />
Mitgliederversammlung am Donnerstag,<br />
9. Mai 2002, 14.00 Uhr im Rahmen<br />
des Deutschen Anwaltstages<br />
2002 im Arabella Sheraton Grand<br />
Hotel, Arabellastraße 6 in 81925<br />
München durch.<br />
Vorschlag zur Tagesordnung:<br />
1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />
2. Kassenbericht<br />
3. Allgemeine Aussprache<br />
4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
5. Neuwahl des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
6. Wahl eines Kassenprüfers<br />
7. Veranstaltungsplanung<br />
8. Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaft<br />
9. Sonstiges<br />
Anträge von Mitgliedern zur Tagesordnung<br />
sind bis 17. April 2002 an<br />
den Geschäftsführenden Ausschuss der<br />
Arbeitsgemeinschaft Anwaltsmanagement<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße<br />
11, 10179 Berlin zu richten.<br />
AG Anwaltsnotariat<br />
Neues im Notariat<br />
Frühjahr 2002, Herbst 2001<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Anwaltsnotariat<br />
freut sich auf Ihre Frühjahrsveranstaltung<br />
am 15. und 16. März<br />
2002 in Kassel. Einladung und Programm<br />
finden Sie in diesem Heft.<br />
Mit dieser Tagung setzte die Arbeitsgemeinschaft<br />
ihre traditionelle<br />
Veranstaltungsreihe „Neues im Notariat“<br />
fort. Sie hatte zuletzt sehr erfolgreich<br />
und interessant am 19. und<br />
20. Oktober 2001 in Berlin ihre<br />
Herbstveranstaltung 2001 bestritten,<br />
über deren Inhalte hier knapp und im<br />
Überblick berichtet werden soll.<br />
Herbstveranstaltung 2001<br />
Zu Beginn der Tagung sprach<br />
Rechtsanwältin und Notarin Anne<br />
Elisabeth Klein, Berlin, über „Unterhaltsvereinbarungen<br />
in der Notariellen<br />
Praxis“. In der Einleitung klärte<br />
die Referentin zunächst die Verträge,<br />
die zwischen Eheleuten und Lebenspartnern<br />
geschlossen zu werden pflegen<br />
als Verträge vor der Ehe, vor der<br />
Eingehung der Lebenspartnerschaft;<br />
als Verträge während der Ehe, der Lebenspartnerschaft;<br />
oder als Verträge,<br />
die auf Beendigung der Ehe, der Lebenspartnerschaft<br />
ausgerichtet sind<br />
(Scheidung, Aufhebung der Lebenspartnerschaft);<br />
und schließlich als Verträge,<br />
die der Vorsorge auf den Todesfall<br />
zu dienen bestimmt sind. Deutlich<br />
wurde auf die unterschiedlichen Aufgaben<br />
der anwaltlichen und der notariellen<br />
Tätigkeit in diesem Arbeitsfeld<br />
hingewiesen. Originär anwaltliche Tätigkeit<br />
ist es danach, gestalterisch den<br />
Parteiwillen des Auftraggebers zum<br />
Ausdruck zu bringen und dabei das<br />
gemeinsame Ziel beider Parteien im<br />
Auge zu behalten. Das ist die einvernehmliche<br />
außergerichtliche Regelung<br />
aller klärungsbedürftigen Gegenstände.<br />
Anders der Notar: Er darf nicht für<br />
eine einseitig günstige Gestaltung des<br />
Vertrages sorgen. Die sich wiedersprechenden<br />
Interessen der Eheleute und<br />
Lebenspartner nach optimaler einseitiger<br />
Interessenvertretung einerseits und<br />
der Wunsch nach außergerichtlicher<br />
gütlicher Einigung mit der Gegenseite<br />
andererseits sind nicht leicht miteinander<br />
zu vereinbaren und führen häufiger<br />
zu Konflikten. Der beurkundende<br />
Notar hat allergrößte Zurückhaltung zu<br />
wahren, damit er nicht in die einseitige<br />
Begünstigung gerät, aber auch nicht<br />
aus dem Auge verliert, dass sein Werk<br />
als Vertrag, Vereinbarung, Vergleich<br />
nur gelingt, wenn gegenseitiges Nachgeben<br />
der Beteiligten vorliegt. Bei der<br />
gestalterischen Aufklärung etwa für<br />
den Trennungs- und Scheidungsfolgenvertrag<br />
sollten nach der unabdingbaren<br />
sorgfältigen Anamnese des Sachverhalts<br />
und der Zielvorstellungen der<br />
Parteien die notariellen Prüfungs- und<br />
Hinweispflichten enthalten seien, denn<br />
die Verträge, vor allem in Gestalt vollstreckbarer<br />
Titel, bedürfen regelmäßig<br />
der notariellen Beurkundung. Vor diesem<br />
Hintergrund behandelte Rechtsanwältin<br />
und Notarin Anne Elisabeth<br />
Klein sehr übersichtlich, mit klaren<br />
Aussagen und Hilfen für die tägliche<br />
Praxis Scheidungsfolgen- und Trennungsvereinbarung<br />
(Checkliste), den<br />
Kindesunterhalt mit den kürzlichen<br />
wichtigsten Änderungen, einschließlich<br />
der Hinweise zu volljährigen<br />
Kindern in der allgemeinen Schulausbildung,<br />
den Ehegattenunterhalt,<br />
Familien-, Trennungs- und Geschiedenenunterhalt<br />
sowie zuletzt das Unterhaltsrecht<br />
der eingetragenen Lebenspartnerschaft.<br />
Reicher Gewinn für die<br />
Teilnehmer der Veranstaltung.<br />
Die sog. Mitwirkungsverbote bleiben<br />
seit der Novellierung der Bundesnotarordnung<br />
und des Beurkundungsgesetzes<br />
im Jahre 1998 ein „ewiges“<br />
Thema. Sie sind oft in der Literatur<br />
und auf Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaften<br />
behandelt worden. Im<br />
Herbst 2001 gab es eine neue, nämlich<br />
empirische Annäherung an das Thema.<br />
Aufgrund eines von der Arbeitsgemeinschaft<br />
angeregten und gestalteten<br />
Umfragetableaus entwarf Prof. Dr.<br />
Christoph Armbrüster, Bucerius Law<br />
School Hamburg die Konzeption für<br />
die Umfrage, führte sie durch und<br />
erörterte die analysierten Ergebnisse<br />
mit den Teilnehmern der Veranstaltung<br />
unter dem Titel „Mitwirkungsverbote<br />
in Theorie und Praxis – Eine kritische<br />
Analyse“. Der Inhalt des Vortrages ist<br />
gut in den nachfolgenden Thesen zusammengefasst.<br />
1. Die gebotene verfahrensrechtliche<br />
Absicherung der notariellen<br />
Unparteilichkeit ist nur gewährleistet,<br />
wenn neben der Generalklausel<br />
typische und bedeutsame Fälle herausgegriffen<br />
und enumerativ Ausschlussgründe<br />
formuliert werden.
162<br />
MN<br />
2. Unter dem Begriff der Angelegenheit<br />
lässt sich ein durch den<br />
konkreten Beurkundungsauftrag begrenztes<br />
Rechtsverhältnis mit den sich<br />
hieraus unmittelbar ergebenden Rechten<br />
und Pflichten verstehen, einschließlich<br />
solcher Rechtsverhältnisse,<br />
die von dem Gegenstand der Beurkundung<br />
unmittelbar präjudiziert werden.<br />
Die Erfassung präjudizierter Rechtsverhältnisse<br />
ist unter anderem deshalb<br />
erforderlich, weil sonst reine Tatsachenbeurkundungen<br />
entgegen dem Gesetz<br />
generell aus dem Anwendungsbereich<br />
des § 3 BeurkG herausfallen<br />
würden.<br />
3. Vereinzelt wird angenommen,<br />
dass sich bei Unterschriftsbeglaubigungen<br />
der zugrundeliegende Lebenssachverhalt<br />
auf die Unterschriftsleistung<br />
beschränkt und somit nur der<br />
Unterzeichnende sachlich beteiligt ist.<br />
Hierfür lassen sich gute Gründe<br />
anführen; da sich dieser Standpunkt jedoch<br />
bislang nicht durchgesetzt hat,<br />
sollte sich die Praxis daran vorerst<br />
nicht orientieren.<br />
4. Der Anwendungsbereich des § 3<br />
Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BeurkG lässt sich<br />
teleologisch dahingehend reduzieren,<br />
dass das Mitwirkungsverbot nicht für<br />
Unterschriftsbeglaubigungen und einseitige<br />
nicht empfangsbedürftige Willenserklärungen<br />
gilt. Der vorsichtige<br />
Notar wird freilich keine Beurkundung<br />
für seinen Sozius vornehmen, solange<br />
keine Stellungnahmen der Aufsichtsbehörde<br />
oder Notarkammern vorliegen.<br />
5. Für den Ausschluss wegen Vorbefassung<br />
gem. § 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 7<br />
BeurkG genügt es im Falle eines Sozieätswechsels<br />
nicht, dass nur frühere<br />
Sozien des Sozietäswechslers, nicht<br />
aber dieser selbst mit der Angelegenheit<br />
befasst waren.<br />
6. Dispositive Mitwirkungsverbote<br />
sind nicht generell zu befürworten, da<br />
die notarielle Unparteilichkeit auch<br />
dann gefährdet sein kann, wenn weder<br />
den Beteiligten noch dem Notar selber<br />
die Parteilichkeit bewusst ist. Einige<br />
Mitwirkungsverbote, etwa das gem.<br />
§ 3 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 BeurkG würden<br />
allerdings für eine dispositive Lösung<br />
nach dem Vorbild des § 3 Abs. 2<br />
und 3 BeurkG durchaus in Betracht<br />
kommen.<br />
7. Der Ausnahme des § 3 Abs. 1<br />
S. 1 Nr. 7 Hs. 2 BeurkG liegt der<br />
materielle Beteiligtenbegriff zugrunde.<br />
Es ist zudem daran festzuhalten, dass<br />
auch spontane Beurkundungen nach<br />
Abschluss der nichtnotariellen Tätigkeit<br />
möglich sein müssen.<br />
8. Wenngleich die Vorbefassungsfrage<br />
ihren Zweck nicht erfüllt und<br />
§ 3 Abs. 1 S. 2 BeurkG daher aufgehoben<br />
werden sollte, ist diese Regelung<br />
als derzeit geltendes Recht ausnahmslos<br />
zu beachten.<br />
Die sehr instruktive Unterrichtung<br />
der Kolleginnen und Kollegen war begleitet<br />
von der Erörterung zahlreicher<br />
Beispielsfälle. Der Referent hat das<br />
Thema inzwischen in der ZNotP dargelegt.<br />
Den dritten Teil der Veranstaltung<br />
bestritt Rechtsanwalt und Notar Volker<br />
G. Heinz, Barrister at Law and Notary<br />
Public Berlin/London mit dem Vortrag<br />
„Notarkosten in Europa – Ein Überblick“.<br />
Angesichts der europaweit<br />
sehr rudimentären Dokumentation<br />
kann man die Arbeit und die Präsentation<br />
des Themas durch den Referenten<br />
nicht hoch genug einschätzen. Den<br />
Teilnehmern der Veranstaltung wurden<br />
in der Schilderung der europäischen<br />
Notariatsverfassungen, der Tätigkeit<br />
der Notare in Europa, des Honorarsystems,<br />
dies alles im Vergleich, weitestgehend<br />
neue Einsichten vermittelt.<br />
Man sieht, dass sich im europäischen<br />
Kontext dem Notariat trotz aller Unterschiede<br />
und des deutlichen Anpassungs-<br />
und Erneuerungsbedarfs beträchtliche<br />
Chancen eröffnen.<br />
Zum Abschluss der Veranstaltung<br />
besprach Prof. Dr. Barbara Grunewald,<br />
Universität zu Köln „Neues<br />
Schuldrecht und Notariat“. Im Vorfeld<br />
der Verabschiedung der Schuldrechtsreform<br />
gelang es der Referentin durch<br />
ihren temperamentvollen Vortrag die<br />
Teilnehmer der Veranstaltung zu fesseln<br />
und sie im Gestrüpp der widerstreitenden<br />
Argumentationen über Sinn<br />
und Zweck der Reform für die unbestreitbaren<br />
Vorzüge des neuen Systems<br />
einzunehmen. Dessen tragende Grundlagen<br />
wurden sehr deutlich in der<br />
Reihe der behandelten Einzelthemen:<br />
Sachmangel/Rechtsmangel; Rechtsbehelfe<br />
vor und nach Gefahrübergang,<br />
Schadensersatz; Verjährung; Ausschluss<br />
der Haftung; Rechtskauf; verdrängte<br />
Rechtsbehelfe, jeweils mit<br />
Hinweisen auf instruktive Beispiele<br />
der notariellen Praxis. Die Teilnehmer<br />
konnten die Veranstaltung mit beschwingter<br />
Aussicht auf ein neuerlich<br />
erforderliches Grundstudium verlassen,<br />
zu dem sie trefflich angeleitet waren.<br />
Was hier nur knapp umrissen ist,<br />
wird ganz oder in Teilen im Mit-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
teilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft<br />
nachzulesen sein.<br />
Mitgliederversammlung 2001<br />
Im Rahmen der Herbstveranstaltung<br />
fand die Mitgliederversammlung<br />
2001 der Arbeitsgemeinschaft statt.<br />
Im Geschäftsbericht blickte der Vorsitzende<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
Rechtsanwalt und Notar<br />
Günter Schmaler auf die Veranstaltungen<br />
der Arbeitsgemeinschaft in Bremen<br />
und Hamburg zurück und auch<br />
auf die Mitwirkung an dem erfolgreichen<br />
Anwaltstag 2001 in Bremen. Er<br />
hob hervor die schöne Präsenz der Arbeitsgemeinschaft<br />
im Internet und den<br />
lebhaften Besuch auf den dort verfügbaren<br />
Seiten. Mit dem Mitteilungsblatt,<br />
dass in unregelmäßiger Folge<br />
erscheinen soll, sei für die Mitglieder<br />
ein weiteres Informationsinstrument<br />
geschaffen. Wichtig sei es, dass der<br />
Geschäftsführende Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft<br />
stets gemeinsam mit<br />
dem Ausschuss Anwaltsnotariat tage.<br />
Auf diese Weise könnten die Gremien<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s wirkungsvoll<br />
für das Notariat arbeiten.<br />
Die Mitgliederversammlung wählte<br />
den Geschäftsführenden Ausschuss<br />
neu und bestellte einstimmig zu dessen<br />
Mitgliedern Rechtsanwalt und Notar<br />
Günter Schmaler, Emden; Rechtsanwalt<br />
und Notar Wolfgang Grebe,<br />
Olpe; Rechtsanwalt und Notar Dr.<br />
Wolfgang Heeb, Stuttgart; Rechtsanwältin<br />
und Notarin Elke Holthausen-<br />
Dux, Berlin; Rechtsanwalt und Notar<br />
Jan de Vries, Leer. Die bisherigen<br />
Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses Rechtsanwalt und Notar<br />
Dr. Ulrich Dithmar, Kassel und<br />
Rechtsanwalt und Notar Dieter Kronenbitter,<br />
Esslingen, kandidierten nicht<br />
für die neue Amtsperiode des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses. Dr. Ulrich<br />
Dithmar und Dieter Kronenbitter,<br />
die an der Gründung der Arbeitsgemeinschaft<br />
entscheidend beteiligt<br />
waren und seit dem sehr engagiert und<br />
kenntnisreich mitwirkten, sei von Herzen<br />
gedankt. Natürlich sehen wir sie<br />
mit großer Freude auf allen künftigen<br />
Veranstaltungen der Arbeitsgemeinschaft<br />
und auch bei allen sonst passend<br />
erscheinenden Gelegenheiten.<br />
Die Mitgliederversammlung setzte<br />
den Jahresbeitrag für das Jahr 2002<br />
und die Folgejahre bis auf weiteres<br />
auf 70 EURO fest.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Hamacher,<br />
Berlin
AnwBl 3/2002 163<br />
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Forum junger Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte im DAV<br />
Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
Hiermit lade ich alle Mitglieder<br />
des FORUMs junger Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte zur diesjährigen<br />
Mitgliederversammlung ein. Sie<br />
findet statt am Freitag, den 10.5.2001<br />
um 16.00–18.00 Uhr im Arabella<br />
Sheraton Grand Hotel in München.<br />
Tagesordnung<br />
1. Begrüßung<br />
2. Feststellung der Beschlussfähigkeit<br />
3. Genehmigung der Tagesordnung<br />
4. Verlesung und Genehmigung des<br />
Protokolls der letzten Mitgliederversammlung<br />
5. Bericht der Vorsitzenden und der<br />
Mitglieder des GFA<br />
6. Bericht der Rechnungsprüfer<br />
7. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
8. Wahl der Rechnungsprüfer<br />
9. Anträge<br />
10. Gebung einer Geschäftsordnung<br />
für Mitgliederversammlungen<br />
11. Satzungsänderungen (Namensänderung,<br />
Nachwahl von Mitgliedern<br />
des GfA)<br />
12. Sonstiges<br />
Unter Punkt 10. wird neben einer<br />
Umbenennung des Forums die<br />
Möglichkeit zur Nachwahl von Mitgliedern<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
zur Abstimmung gestellt. In<br />
einer Neufassung soll § 7 der Geschäftsordnung<br />
wie folgt lauten:<br />
„Die Amtsdauer für Mitglieder des<br />
Geschäftsführenden Ausschusses beträgt<br />
zwei Geschäftsjahre. Sie beginnt<br />
mit dem Ende der Mitgliederversammlung,<br />
in der das Mitglied gewählt worden<br />
ist. und endet mit dem Schluss der<br />
Mitgliederversammlung, in der eine<br />
Neuwahl oder Nachwahl zum Geschäftsführenden<br />
Ausschuss erfolgt.<br />
Wenn ein Mitglied des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses vor Ablauf der<br />
Amtsdauer zurücktritt, erfolgt eine<br />
Nachwahl bei der nächsten Mitgliederversammlung.<br />
Die Nachwahl ist nach<br />
§ 6 Nr. 3 auf die Tagesordnung zu setzen.<br />
Die Amtsdauer nachgewählter<br />
Mitglieder des Geschäftsführenden<br />
Ausschuss beträgt ebenfalls zwei Geschäftsjahre.“<br />
Rechtsanwältin Tanja Irion, Hamburg<br />
AG Informationstechnologie<br />
Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung<br />
anlässlich des Deutschen<br />
Anwaltstages 2002 in München<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Informationstechnologie<br />
führt ihre diesjährige<br />
Mitgliederversammlung am Donnerstag,<br />
9. Mai 2002, 17.15 Uhr im Rahmen<br />
des Deutschen Anwaltstages<br />
2002 im Arabella Sheraton Grand<br />
Hotel, Arabellastraße 6 in 81925<br />
München durch.<br />
Vorschlag zur Tagesordnung:<br />
1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />
2. Kassenbericht für die Jahre 2000<br />
und 2001<br />
3. Allgemeine Aussprache<br />
4. Wahl eines Kassenprüfers<br />
5. Verschiedenes<br />
Anträge von Mitgliedern zur Tagesordnung<br />
sind bis 17. April 2002 an den<br />
Geschäftsführenden Ausschuss der ArbeitsgemeinschaftInformationstechnologie<br />
im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>, Littenstraße<br />
11, 10179 Berlin zu richten.<br />
AG Internationaler<br />
Rechtsverkehr<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
der Arbeitsgemeinschaft für Internationalen<br />
Rechtsverkehr im Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong> lädt ein zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
Freitag, 10. Mai 2002, 16.30 bis 18.00<br />
Uhr, Arabella Sheraton Grand Hotel,<br />
Arabellastraße 6, 81925 München<br />
oder Arabella Sheraton Bogenhausen,<br />
Arabellastraße 6, 81925 München<br />
Tagesordnung:<br />
1. Bericht des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
2. Bericht des Kassenprüfers<br />
3. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
4. Wahl des Kassenprüfers<br />
5. Nachwahl zum Vorstand<br />
6. Verschiedenes<br />
Die Mitgliederversammlung findet<br />
im Rahmen des Deutschen Anwaltstages<br />
statt, der vom 9. bis 11. Mai<br />
2002 in München abgehalten wird.<br />
Vor der Mitgliederversammlung<br />
findet von 14.30 und 16.30 Uhr eine<br />
Seminarveranstaltung zum Thema:<br />
„Gestaltung von Außenhandelsbeziehungen<br />
nach der Schuldrechtsreform“<br />
statt.<br />
Referent: Rechtsanwalt Prof. Dr.<br />
Burkardt Piltz, Gütersloh<br />
Die Veranstaltung wird simultan<br />
ins Englische und Deutsche übersetzt.<br />
Die Anmeldung erfolgt bei:<br />
DeutscheAnwaltAkademie<br />
Frau Nilufar Lankarani<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin<br />
T: +49 (0)30 72 61 53 180<br />
F: +49 (0)30 72 61 53 <strong>188</strong><br />
E: Lankarani@anwaltakademie.de<br />
ARGE Mietrecht & WEG<br />
Einladung zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht<br />
und WEG im Deutschen <strong>Anwaltverein</strong><br />
lädt alle Mitglieder ein zur Mitgliederversammlung<br />
am Donnerstag, 9. Mai 2002, 11.30<br />
Uhr, Hotel Arabella Sheraton Bogenhausen,<br />
Arabellastr. 6, 81925 München.<br />
Vorschlag zur Tagesordnung:<br />
1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia<br />
2. Jahresbericht für 2001<br />
3. Ausblick für 2002/2003<br />
4. Bericht der Schatzmeisterin für<br />
2001<br />
5. Bericht der Kassenprüfer<br />
6. Aussprache und Entlastung<br />
7. Wahl von Kassenprüfern für 2002<br />
8. Nachwahl in den Geschäftsführenden<br />
Ausschuss<br />
9. Fachanwaltsdiskussion<br />
10. Verschiedenes<br />
Im Vorfeld der Mitgliederversammlung<br />
findet ab 9.30 Uhr am gleichem<br />
Ort ein Vortrag statt zum Thema<br />
„Schuldrechtsreform und Mietrecht“.<br />
Referent ist Prof. Dr. Peter Derleder<br />
aus Bremen. Nach der Mitgliederversammlung<br />
sind von 14.00 bis 15.30<br />
Uhr Präsentationen von Compus/Datatronic<br />
und RA Mirco Bayern GmbH<br />
zur Spracherkennung und von 16.00<br />
bis 17.30 Uhr zwei Vorträge von RiAG<br />
Fritz Billner und Vors. RiLG Fritz<br />
Mugler aus München zu den ersten Erfahrungen<br />
mit der ZPO-Reform vorgesehen.<br />
Die Mitgliederversammlung und<br />
die Begleitveranstaltungen finden statt
164<br />
MN<br />
im Rahmen des 53. Deutschen Anwaltstages<br />
in München. Ein attraktives<br />
Rahmenprogramm für Teilnehmer und<br />
ihre Begleitpersonen ist also gewährleistet.<br />
Die Teilnahme allein an der Mitgliederversammlung<br />
(11.30 bis ca.<br />
12.30 Uhr) ist für die Mitglieder der<br />
ARGE Mietrecht & WEG unentgeltlich.<br />
Der Besuch der Fachveranstaltungen<br />
erfordert eine Anmeldung zum<br />
Anwaltstag. Die Tageskarte für den<br />
Besuch des Anwaltstages in München<br />
kostet 63 E, die Dauerkarte für alle 3<br />
Tage des Anwaltstages kostet für DAV-<br />
Mitglieder <strong>125</strong> E.<br />
Anmeldungen und Anfragen zur<br />
Veranstaltung sind zu richten an die<br />
Deutsche Anwaltakademie, DAT-Organisation,<br />
Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />
Tel.: 0 30/726153 -0, Fax: 0 30/<br />
726152 -111.<br />
AG Verkehrsrecht<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
der Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s lädt alle<br />
Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft ein<br />
zur<br />
Mitgliederversammlung 2002<br />
am Freitag, den 26. April 2002,<br />
18.00 Uhr in das Dorint Hotel, Eichstraße/Ludwigstraße,<br />
97070 Würzburg,<br />
Telefon: 0931/3054-0; Telefax:<br />
0931/3054-423).<br />
Tagesordnung:<br />
1. Begrüßung durch den Vorsitzenden<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
2. Tätigkeitsbericht des Vorsitzenden<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
3. Kassenbericht des Schatzmeisters<br />
4. Prüfungsbericht der Kassenprüfer<br />
5. Aussprache zu den Punkten 2 –4<br />
6. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses und der Kassenprüfer<br />
7. Wahl zweier Kassenprüfer<br />
8. Bericht über das Call-Center Verkehrsrecht<br />
9. Verschiedenes<br />
Im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />
ist ein gemeinsamer Abend<br />
für die Mitglieder in den „Bürgerspital-Weinstuben“,<br />
Theaterstr. 18, 97070<br />
Würzburg vorgesehen (Selbstzahler).<br />
Damit wir die dafür benötigten Plätze<br />
reservieren lassen können, bitten wir<br />
um baldige Mitteilung, mit wie vielen<br />
Personen Sie an dieser Abendveranstaltung<br />
teilnehmen werden.<br />
Am folgenden Tag findet in<br />
Würzburg die bundesweite Fortbildungsveranstaltung<br />
„Die Rechtsprechung<br />
des BGH in Verkehrssachen<br />
im Jahre 2001“ am 27. April 2002,<br />
9.30–17.00 Uhr auf der Festung Marienberg<br />
statt.<br />
Referenten sind:<br />
Richter am BGH Dr. Jürgen von Gerlach<br />
– Zivilrecht<br />
Vors. Richter am BGH Prof. Dr. Klaus<br />
Tolksdorf – Strafrecht<br />
Richter am BGH a. D. Prof. Wolfgang<br />
Römer – Versicherungsrecht<br />
Anmeldungen für die genannten<br />
Veranstaltungen bitte schriftlich an:<br />
Arbeitsgemeinschaft Verkehrsrecht<br />
Veranstaltungsorganisation<br />
Hirschmannstr. 7, 53359 Rheinbach<br />
Tel.: 0 22 26 /91 20 91<br />
Fax: 0 22 26 / 91 20 95<br />
Personalien<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt und Notar Rainer P a -<br />
p e n f u ß , Berlin, das Verdienstkreuz<br />
1. Klasse der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt und Notar Willi Werner<br />
D e c k u , Trier, das Verdienstkreuz am<br />
Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />
verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Frau<br />
Rechtsanwältin Christa E d m o n d<br />
v o n K i r s c h b a u m , München, das<br />
Verdienstkreuz am Bande der Bundesrepublik<br />
Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt und Notar Dr. Friedrich-<br />
Wilhelm v o n E i n e m , Schwanewede,<br />
das Verdienstkreuz am Bande<br />
der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Stefan K l a w i t t e r,<br />
Gräfelfing, das Verdienstkreuz am<br />
Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />
verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Dr. Horst-Dieter P r o -<br />
j a h n , Hagen, das Verdienstkreuz am<br />
Bande der Bundesrepublik Deutschland<br />
verliehen.<br />
Neuer Aufsichtsratsvorsitzender<br />
des Deutschen Anwaltverlages<br />
Rechtsanwalt Dr. Axel Bauer,<br />
Dresden, hat den Vorsitz im Aufsichtsrat<br />
des Deutschen Anwaltverlags übernommen.<br />
Dr. Bauer war und ist in<br />
vielfältigen anwaltlichen Bereichen<br />
tätig und arbeitet auch in Aufsichtsund<br />
Leitungsgremien von wirtschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Unternehmungen.<br />
Buchhinweis<br />
AnwBl 3/2002<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Schlund, Gerhard H.: Verkehrssicherungspflicht<br />
auf öffentlichen Grund,<br />
Neuaufl. 2002, ADAC-Verlag, 176 S.,<br />
kart., 26,90 E<br />
1.500 Urteile für „erste Hilfe“: Aktuelles<br />
ADAC-Handbuch zur Verkehrssicherungspflicht<br />
Wenn es zu Unfällen kommt, weil<br />
Dachlawinen herabstürzen, Gehwege<br />
nicht gestreut oder Baustellen ungenügend<br />
abgesichert sind, stellt sich<br />
für die Geschädigten sofort die Frage<br />
nach der Haftpflicht. Lässt sich die auf<br />
Anhieb nicht klären, enden viele Auseinandersetzungen<br />
vor Gericht. Dabei<br />
ist der Ausgang für die Betroffenen<br />
oft ungewiss. Ihnen, aber auch Verwaltungsbeamten<br />
und Juristen, leistet<br />
ein Nachschlagewerk „erste Hilfe“,<br />
das der ADAC-Verlag unter dem Titel<br />
„Verkehrssicherungspflicht auf öffentlichem<br />
Grund“ jetzt in aktualisierter<br />
Form herausgebracht hat.<br />
Im Mittelpunkt des 224 Seiten starken<br />
Handbuchs stehen neben einem ausführlichen<br />
Kapitel zum Thema Streupflicht<br />
über 1.500 Urteile, die mit<br />
ihrem vollen Leitsatz oder in Stichworten<br />
und mit der jeweiligen Fundstelle<br />
in den einschlägigen juristischen<br />
Fachzeitschriften zitiert sind. Grundsätzliches<br />
zu den Haftungsgrundlagen<br />
wird in einem eigenen Kapitel abgehandelt.<br />
(Red.)
AnwBl 3/2002 165<br />
EUROPA<br />
Europaweiter Anspruch auf Prozesskostenhilfe<br />
Die Europäische Kommission, Generaldirektion Justiz<br />
und Inneres, hat nach Auswertung der Stellungnahmen zum<br />
Grünbuch „Prozesskostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der<br />
Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen“ (s. Zerdick,<br />
AnwBl 2000, 244) festgestellt, dass eine Person, die<br />
in einem anderen Mitgliedstaat gerichtliche Schritte unternehmen<br />
oder sich in einem gegen sie angestrengten Verfahren<br />
verteidigen will und hierzu in diesem Mitgliedstaat Prozesskostenhilfe<br />
in Anspruch nehmen will, wird aufgrund<br />
der Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsordnungen<br />
diversen Schwierigkeiten begegnen.<br />
Als Lösungsvorschlag hat die Kommission nunmehr<br />
einen Richtlinienentwurf zur Festlegung gemeinsamer<br />
Mindestvorschriften bei der Prozesskostenhilfe vorgestellt,<br />
so wie auch vom Deutschen <strong>Anwaltverein</strong> (DAV) gefordert<br />
(vgl. DAV-Stellungnahme 34/2001, im Internet abrufbar<br />
unter: http://www.anwaltverein.de/03/05/2001/34-01.pdf).<br />
Der Richtlinienentwurf „für eine Richtlinie des Rates<br />
zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen<br />
mit grenzübergreifendem Bezug durch die Festlegung gemeinsamer<br />
Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe<br />
und für andere mit Zivilverfahren verbundene finanzielle<br />
Aspekte“ (KOM [2002] 13 endgültig) sieht kurz gefasst folgendes<br />
vor:<br />
Die Richtlinie soll – unabhängig von der Art der Gerichtsbarkeit<br />
– auf alle zivilrechtlichen Verfahren einschließlich<br />
des Handelsrechts, Arbeitsrechts und Verbraucherschutzrechts<br />
Anwendung finden (Art 1, 2). Auf<br />
außergerichtliche Verfahren sollen die Vorschriften ebenfalls<br />
anzuwenden sein, wenn diese Verfahren gesetzlich<br />
gefördert oder die Streitparteien durch den Richter darauf<br />
verwiesen werden (Art. 16). Der Vorschlag gilt nicht für verwaltungsrechtliche<br />
Streitsachen, da diese nicht von Artikel<br />
61 EG-Vertrag erfasst sind. Die Richtlinie soll auf sämtliche<br />
Rechtssachen EU-weit Anwendung finden. Ausdrücklich<br />
wird sich davon verabschiedet, eine Regelung ausschließlich<br />
für grenzüberschreitende Fälle zu finden.<br />
Die EU-Kommission schlägt die Einführung eines EUweiten<br />
Anspruchs auf angemessene Prozesskostenhilfe<br />
vor (Art. 3). Dazu gehöre insbesondere „die konkrete Unterstützung<br />
durch einen Rechtsanwalt oder eine andere zur<br />
Vertretung vor Gericht gesetzlich befugte Person in Form<br />
einer Rechtsberatung vor Prozessbeginn und in Form der<br />
Vertretung der betreffenden Person vor Gericht“ (Art. 3).<br />
Der Vorschlag belässt dabei den Mitgliedstaaten die Möglichkeit,<br />
die Art und Weise der anwaltlichen Unterstützung<br />
(Regelung durch den Staat, die Justizbehörden oder die Anwaltschaft)<br />
sowie die Modalitäten für die Vergütung des<br />
Rechtsanwalts zu regeln. Im Entwurf wird daneben ausdrücklich<br />
festgestellt: „Die Aussicht für eine Partei, die Gerichts-<br />
oder Anwaltskosten selbst dann tragen zu müssen,<br />
wenn sie obsiegt, stellt ein Hindernis für den Zugang zum<br />
Recht dar.“ (Erwägungsgrund 24). Alle EU-Mitgliedstaaten<br />
sollen daher nach Auffassung der Kommission vorsehen,<br />
der erfolgreichen Partei einen Anspruch auf eine angemes-<br />
sene Erstattung eines Teils oder der Gesamtheit der Prozesskosten<br />
einschließlich der Anwaltshonorare durch die unterliegende<br />
Partei einzuräumen (Art. 17).<br />
Weiterhin schreibt der Entwurf den Grundsatz der<br />
Nichtdiskriminierung bei der Behandlung von EU-Staatsangehörigen<br />
im Bereich der Prozesskostenhilfe fest. Auf<br />
Nicht-EU-Bürger soll die Richtlinie dagegen grundsätzlich<br />
keine Anwendung finden.<br />
Über die Erteilung der Prozesskostenhilfe soll der EU-<br />
Mitgliedstaat des Gerichtsstands entscheiden. Gleichzeitig<br />
sind Vermögensschwellen festzusetzen, bei deren Überschreiten<br />
davon ausgegangen werden soll, dass der Antragsteller<br />
die Prozesskosten tragen könne. Wegen der unterschiedlichen<br />
Lebenshaltungs- und Prozesskosten in den<br />
Mitgliedstaaten wurde jedoch davon abgesehen, eine gemeinsame<br />
„europäische“ Schwelle festzulegen (Art. 13).<br />
Der Wortlaut des Entwurfs ist im Internet abrufbar unter<br />
http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2002/com2002_0013de01.pdf<br />
oder kann beim DAV Büro Brüssel angefordert werden, per<br />
Telefax: +32 2 280 28 13 oder per elektronischer Post:<br />
bruessel@anwaltverein.de.<br />
Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel<br />
Niederlassungsrecht für Rechtsanwälte in Belgien<br />
Nach Spanien (vgl. Zerdick, AnwBl 2001, 622) hat nunmehr<br />
auch Belgien die Rechtsanwaltsniederlassungsrichtlinie<br />
98/5/EG in nationales Recht umgesetzt.<br />
Das belgische Umsetzungsgesetz „Loi visant à faciliter<br />
l’exercice de la profession d’avocat ainsi que l’établissement<br />
en Belgique d’avocats ressortissants d’un autre État<br />
membre de l’Union européenne“ bzw. „Wet ter vergemakkelijking<br />
van de uittoefening van het beroep van advocaat<br />
en van de vestiging in België van advocaten die onderdaan<br />
zijn van een andere lidstaat van de Europese Unie“ vom<br />
22. November 2001 (Belgisches Staatsblatt, Ausgabe 1; S.<br />
43980) ist seit dem 1.1.2002 in Kraft.<br />
Es regelt umfassend die Rechte und Pflichten der dienstleistenden<br />
und niedergelassenen europäischen Anwälte in<br />
Belgien und ist daher für die Vielzahl in Brüssel tätigen<br />
deutschen Rechtsanwälte von besonderem Interesse.<br />
Bei einer Niederlassung in Belgien ist in erster Linie auf<br />
die bereits von Art. 3 EG-Richtlinie vorgesehene Eintragungspflicht<br />
in eine Anwaltsliste bei der örtlichen Anwaltvertretung<br />
hinzuweisen. Der anwaltlichen Berufsbezeichnung<br />
des Herkunftslandes ist dabei auf Briefköpfen eine<br />
Entsprechung in der oder den Amtssprachen des Gerichtsbezirks<br />
der Niederlassung hinzuzufügen (Art. 477quinquies<br />
§ 3).<br />
Der Wortlaut des Gesetzes auf französisch und niederländisch<br />
ist über die Internetseiten des belgischen Justizministeriums<br />
unter http://www.moniteur.be abzurufen oder<br />
kann beim DAV Büro Brüssel angefordert werden, per<br />
Telefax: +32 2 280 28 13 oder per elektronischer Post:<br />
bruessel@anwaltverein.de.<br />
Rechtsanwalt Thomas Zerdick, LL.M., Brüssel
166<br />
l<br />
6<br />
Anwaltausbildung<br />
Treffen der Anwaltshospitanten der Jahrgänge 1993<br />
bis 2001 in Budapest vom 6.–9. Dezember 2001<br />
Seit 1993 hospitieren junge Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälte aus den Mittel- und Osteuropäischen Staaten<br />
für insgesamt drei Monate in deutschen Anwaltskanzleien<br />
auf Kosten der Deutschen Stiftung für internationale<br />
rechtliche Zusammenarbeit e. V., IRZ-Stiftung. Dabei werden<br />
sie zunächst in einem zweiwöchigen Kurs in deutschem<br />
und europäischem Recht geschult. Außerdem erhalten sie<br />
Informationen über den Aufbau der Anwaltschaft in<br />
Deutschland und ein Besuch im DAV-Haus findet statt. Ohnehin<br />
unterstützt der DAV das sog. Hospitationsprojekt der<br />
IRZ-Stiftung logistisch, personell und finanziell.<br />
Zum ersten Mal konnte nunmehr ein Treffen der ehemaligen<br />
Anwaltshospitanten der Jahrgänge 1993 bis 2001<br />
unter Koordination der IRZ-Stiftung, der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
und des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s in Budapest<br />
vom 6.–9. Dezember 2001 stattfinden.<br />
Nach einer Begrüßung erfuhren die ehemaligen Hospitanten<br />
zunächst Aktuelles aus der Projektarbeit der IRZ-<br />
Stiftung. Hierbei ist beachtenswert, dass die IRZ-Stiftung<br />
nicht nur logistisch bei einzelnen Projekten in Mittel- und<br />
Osteuropa hilft, sondern auch durch nennenswerte Beiträge<br />
zur Finanzierung deren Ermöglichung garantiert. Weitere<br />
Einzelheiten zu den aktuellen Projekten können auch im<br />
Internet unter www.irz.de abgerufen werden.<br />
Der zweite Tag unter Moderation von Rechtsanwalt<br />
Anton Braun, Hauptgeschäftsführer der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
(Berlin), stand zunächst vollständig im<br />
Mittelpunkt der aktuellen Entwicklungen in Deutschland.<br />
MDgt. Dr. Hubert Weis, BMJ, berichtete über die Reform<br />
des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches 1 , wie das<br />
Schuldrechtmodernisierungsgesetz, welches in Deutschland<br />
grundlegende Bedeutung erlangt. Hierbei wurde auch der<br />
Einfluss des EU-Rechts, also z. B. aufgrund der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie,<br />
der Zahlungsverzugsrichtlinie<br />
und der E-Commerce-Richtlinie sehr deutlich.<br />
Rechtsanwältin Dr. Ulrike Rein, Freshfields Bruckhaus<br />
Deringer (Budapest), schilderte Aktuelles im Bereich<br />
Unternehmenskauf/Unternehmensübernahme. Auch hier<br />
wurden wichtige Entwicklungen und insbesondere der Einfluss<br />
europäischer aber auch globaler Prozesse umfangreich<br />
aufgezeigt.<br />
Den EU-Einfluss auf das deutsche Gesellschaftsrecht<br />
und die zunehmende Internationalisierung, die letztlich zu<br />
einer „Modernisierungstendenz“ im deutschen Recht führten,<br />
erläuterte ausführlich und hochaktuell Rechtsanwalt<br />
Dr. Matthias Schüppen, Haarmann, Hemmelrath & Partner<br />
(Stuttgart), in seinem Vortrag Aktuelle Entwicklungen zum<br />
Gesellschaftsrecht. Dabei führte er auch einen kurzen Exkurs<br />
zum Thema Steuerreform durch.<br />
Rechtsanwalt Dr. Thomas Lapp, PricewaterhouseCoopers<br />
Veltins Rechtsanwaltsgesellschaft mbH (Frankfurt a. M.),<br />
trug zum Thema E-Commerce und Recht – Handel und Werbung<br />
im Internet vor. Hierbei waren Inhalt Grundlegendes<br />
zum Thema „Domain“ wie auch zu den wichtigsten marken-<br />
AnwBl 3/2002<br />
und namensrechtlichen Ansprüchen. Er schilderte gut verständlich,<br />
wo eigentlich Beratungsbedarf im Internet besteht,<br />
also auch Wer für Was haftet, wie Vertragsabschlüsse im Internet<br />
zustande kommen, wie der Datenschutz gewährleistet<br />
wird und welche Bedeutung eigentlich elektronische Signaturen<br />
haben.<br />
Gemütlicher Abschluss des hochinteressanten Tagungsprogramms<br />
am Freitag waren ein gemeinsames Essen mit<br />
Lifemusik und Tanz, bei dem sich nicht nur die „nationalen<br />
Delegationen“, sondern vor allen Dingen die jeweiligen<br />
Jahrgänge, also international bunt gemischt, bei sehr guter<br />
Stimmung zusammenfanden.<br />
Am Samstag fand zunächst eine Führung durch das<br />
ungarische Parlamentsgebäude statt. Anschließend referierte<br />
Herr Dr. Jeno Horvath, Präsident der Ungarischen<br />
Landesanwaltskammern, in der Budapester Anwaltskammer<br />
über die aktuellen Entwicklungen und das Bild des<br />
Rechtsanwalts in Ungarn. Er äußerte hierzu auch Bedenken,<br />
dass Grundpfeiler des Berufsbildes wie die Verschwiegenheitspflicht<br />
durch die EU-Aufnahme aufgegeben werden<br />
müssten (Stichwort Geldwäscherichtlinie). Er traf<br />
dabei ins Mark der anwesenden Vertreter der Rechtsanwaltschaft<br />
in den Kandidatenländern.<br />
In seinem Vortrag zum Telekommunikationsrecht wies<br />
Rechtsanwalt Rainer Lüddemann, Geschäftsführer des Bundesverbandes<br />
der regionalen und lokalen Telekommunikationsgesellschaften<br />
e. V. (Bonn), darauf hin, dass das Thema<br />
nunmehr entgegen seiner Anfänge nicht mehr<br />
wegzudenken ist. Er schilderte eindrücklich die Entwicklung<br />
in Deutschland von einem staatlichen Monopol über<br />
die Privatisierung zu den Liberalisierungen des Marktes.<br />
Insbesondere müssten die Zugangsansprüche reguliert werden.<br />
Er kritisierte, dass sich das Recht im dynamischen<br />
Markt viel zu langsam entwickele.<br />
In seinem spannenden Vortrag Mediation – Pro und<br />
Kontra klärte Rechtsanwalt Dr. h. c. Ludwig Koch, Kanzlei<br />
Koch & Börsch (Köln), zunächst den archaischen Ursprung<br />
und brachte auch über Definitionen Licht ins Dunkel der<br />
Begrifflichkeiten um die Mediation. Rechtsanwälte seien<br />
prädestiniert dafür, Konflikte zu regeln, zwischen Streitpartnern<br />
zu vermitteln und Kompromisse zu finden. Als Argumente<br />
gegen die Übernahme von Mediation durch<br />
Rechtsanwälte nannte Dr. Koch verschiedene Vorschriften<br />
wie §§ 1 ff. und § 43a Abs. 4 BRAO. Doch in seiner Conclusio<br />
wurde deutlich, dass es sich hierbei nur um Argumente<br />
handelte, und letztlich § 1 Abs. 3 BerufsO, wonach<br />
auch die Konfliktvermeidung und streitschlichtende Begleitung<br />
Aufgabe des Rechtsanwalts sind und daher § 18 BerufsO<br />
den Mediator auch ausdrücklich nennt. Der Rechtsanwalt<br />
sei schließlich der Garant des Rechtsstaats, der sich<br />
der Gerechtigkeit verpflichtet habe. In der anschließenden<br />
Diskussion wurden auch rechtsvergleichende Elemente aus<br />
den osteuropäischen Staaten erläutert.<br />
In den „Offiziellen Schlussworten“ bedankte sich<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Geschäftsführerin<br />
des Deutschen <strong>Anwaltverein</strong>s (Berlin) für das große<br />
Interesse der Teilnehmer, das Engagement der Referenten<br />
und das insgesamt gelungene Programm. Die Chance des<br />
1 Sein Vortrag kann in der DAV-Geschäftsstelle abgefragt werden.
AnwBl 3/2002 167<br />
Mitteilungen l<br />
Austauschs sei genutzt worden. Vor allen Dingen die deutsche<br />
Situation, die mittlerweile größtenteils europäisch geprägt<br />
sei, habe deutlich gemacht werden können und biete<br />
sich als Modell auch für die Kandidatenländer an. Sie zeigte<br />
insbesondere ihre Freude über die hochspannenden Themen<br />
sowie die vor allem aus der Sicht des DAV und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
interessanten berufspolitischen Ansätze.<br />
Sie werde sich aufgrund der beruflich entstandenen<br />
Partnerschaften und persönlichen Freundschaften auch zukünftig<br />
für das Programm der IRZ-Stiftung einsetzen. Sie<br />
appellierte hierbei auch an die Teilnehmer, das bestehende<br />
Netzwerk zu nutzen, und in ihren Heimatländern darüber zu<br />
berichten. Sie dankte Herrn Gregor Kutsch, Projektleiter<br />
der IRZ-Stiftung (Bonn), für sein persönliches Engagement,<br />
ohne das die Veranstaltung nicht hätte stattfinden können.<br />
Herr Kutsch äußerte in einer persönlichen Rede seine<br />
Freude für die prompte Zusage und Begeisterung einer derart<br />
großen Teilnehmerschaft (ca. 160 Personen). Gerade die<br />
Vielfalt der Vertreter zeige, dass ein lebendiges Interesse<br />
an den Strukturen in Deutschland und Europa bestehe und<br />
grenzüberschreitend Gemeinsamkeiten aufgezeigt werden<br />
könnten. Es bleibe zu hoffen, dass auch zukünftig durch<br />
die großzügige Finanzierung der Hans Soldan Stiftung hier<br />
in Anwesenheit von Herrn Dr. Koch auch in kürzeren Zeiträumen<br />
derartige Veranstaltungen durchgeführt werden<br />
könnten.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, LL.M., Berlin<br />
Gebührenfragen<br />
Aufhebung des 10 %-igen Gebührenabschlags<br />
Ost für das Stadtgebiet von Berlin-Ost<br />
Der Gebührenabschlag Ost in Höhe von 10 % auf die<br />
Anwaltsgebühren fällt für den Beitrittsteil des Landes Berlin<br />
voraussichtlich ab 1. März 2002 weg.<br />
Der Deutsche Bundestag hat den vom Land Berlin über<br />
den Bundesrat eingebrachten „Entwurf eines Gesetzes zur<br />
Aufhebung der für die Kostengesetze nach dem Einigungsvertrag<br />
geltenden Ermäßigungssätze für den Teil des Landes<br />
Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober<br />
1990 nicht galt“ (Ermäßigungssatz-Aufhebungsgesetz Berlin<br />
– KostGErmAufhGBln) am 14. Dezember 2001 in 2.<br />
und 3. Lesung abschließend beraten und (wie vom Rechtsausschuss<br />
des Bundestages abschließend empfohlen, vgl.<br />
BT-Drs. 14/7817 vom 12.12.2001) verabschiedet.<br />
Es war nicht einfach, den politischen Widerstand, der<br />
zum Teil auch aus den mitberatenden Ausschüssen des<br />
Bundestages kam, zu überwinden.<br />
Der Bundesrat hat dem Gesetzesbeschluss in seiner Sitzung<br />
am 1. Februar 2002 zugestimmt.<br />
Das Gesetz tritt nach Artikel 2 des KostGErmAufhGBln<br />
am 1. des auf die Verkündung folgenden Monats in Kraft.<br />
Die Verkündung war bei Redaktionsschluss noch im Februar<br />
2002 zu erwarten.<br />
Anwälte in Berlin-Ost begünstigt<br />
Der Gesetzentwurf geht zurück auf eine im Mai 2000<br />
durch ein Schreiben des DAV-Präsidenten an die Bundesjustizministerin<br />
angestoßene Initiative zur Beseitigung des<br />
Gebührenabschlags Ost in allen neuen Bundesländern (vgl.<br />
AnwBl 2000, 413 ff. und 435).<br />
Die Bundesjustizministerin hatte eine Beseitigung des<br />
Gebührenabschlags Ost für alle neuen Bundesländer durch<br />
Rechtsverordnung abgelehnt, da nach ihrer Auffassung die<br />
wirtschaftlichen Verhältnis zwischen den alten und den<br />
neuen Bundesländern noch immer nicht gleichwertig seien,<br />
insbesondere die Löhne und Gehälter noch nicht ein einheitliches<br />
Niveau erreicht hätten. Sie hat allerdings insofern<br />
bei den betroffenen Ländern angeregt, den Gebührenabschlag<br />
durch ein Bundesgesetz zu beseitigen, wenn die<br />
Länder dies befürworteten. Aus diesem Anstoß ist die Sonder-Initiative<br />
des Landes Berlin hervorgegangen, die jetzt<br />
zum Ergebnis geführt hat.<br />
Die Beseitigung des Gebührenabschlags Ost ist damit<br />
natürlich noch nicht vollendet. Allerdings sind über 2.000<br />
Rechtsanwälte mit Kanzleisitz in den östlichen Stadtbezirken<br />
von Berlin davon begünstigt (2.011 nach dem Datenbestand<br />
der Deutschen Anwaltadresse vom 15.01.2002).<br />
Dies bedeutet, dass bei einem durchschnittlichen Jahresgebührenaufkommen<br />
(nach BRAGO und mit Gebührenabschlag)<br />
von vorsichtig geschätzt mindestens 60.000 E<br />
pro betroffenem Anwalt (insgesamt 132 Mio. E) für die ab<br />
1. März 2002 erteilten Mandate eine Steigerung des nach<br />
BRAGO abgerechneten Gebührenaufkommens von mindestens<br />
6.000 E pro Anwalt in Berlin-Ost (insgesamt 13,2<br />
Mio. E) pro Jahr zu erwarten ist; kein schlechtes Ergebnis<br />
für die Anwaltschaft zumindest in Berlin.<br />
Wie geht es weiter?<br />
Den Antrag der Abgeordneten Funke, Dr. Schmidt-Jortzig,<br />
van Essen, Dr. Gerhardt und der Fraktion der FDP<br />
zum „Ende der doppelten Benachteiligung für die Rechtsanwälte<br />
in den neuen Ländern“ (BT-Drs. 14/3485 vom<br />
31.5.2000) hat der Bundestag entsprechend der Empfehlung<br />
des federführenden Rechtsausschusses abgelehnt.<br />
In diesem Antrag wurde gefordert, dass der Bundestag<br />
beschließen solle, die Bundesregierung möge den<br />
10 %-igen Gebührenabschlag für die Anwaltschaft in allen<br />
neuen Ländern aufheben. Der ausführlich begründete Antrag<br />
legte dar, warum der Gebührenabschlag insgesamt<br />
nicht mehr gerechtfertigt sei. Der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong><br />
hat diesen Antrag begrüßt und durch Veröffentlichung im<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> und Rundschreiben an die <strong>Anwaltverein</strong>e unterstützt<br />
(vgl. AnwBl 2000, 531).<br />
Auch die im Vorfeld im Rechtsausschuss im Dezember<br />
2001 erörterten Alternativen, den neuen Bundesländern entweder<br />
eine Öffnungsklausel für die Beseitigung des Gebührenabschlags<br />
Ost zuzubilligen oder den Abschlag in allen<br />
neuen Ländern in Stufen (5 % demnächst, die restlichen<br />
5 % etwa 2 bis 3 Jahre später) ins Auge zu fassen, fanden<br />
am Schluss keine Mehrheiten.<br />
Der Landesjustizminister in Thüringen hat seine grundsätzliche<br />
Bereitschaft erklärt, den Gebührenabschlag für<br />
Thüringen fallen zu lassen. Innerhalb des Thüringer Landeskabinetts<br />
soll darüber allerdings noch keine Einigkeit<br />
bestehen, da der Landesfinanzminister Bedenken gegen<br />
eine solche Regelung habe.<br />
Die Argumente für die Beseitigung des Gebührenabschlags<br />
Ost im Beitrittsteil von Berlin treffen nahezu<br />
vollständig auch auf die Situation im Umland von Berlin,<br />
also im Brandenburger Speckgürtel der Hauptstadt zu. Deshalb<br />
gibt es keinen rechtfertigenden Grund dafür, dass der<br />
Gebührenabschlag Ost dort noch länger beibehalten wird.<br />
Möglicherweise wird dazu das Bundesverfassungsgericht<br />
noch einmal angerufen werden. Es könnte ein Domino-Effekt<br />
für die um Berlin gelagerten neuen Bundesländer eintreten.<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin
168<br />
l<br />
Steuerrecht<br />
Gewerblichkeit des Rechtsanwalts als<br />
Insolvenzverwalter<br />
– Anmerkung zum Urteil des BFH vom 12.12.2001 –<br />
Rechtsanwälte und Fachanwälte für Steuerrecht Dr. Klaus<br />
Olbing und Dr. Heinz-Willi Kamps, beide Berlin 1<br />
I. Einleitung<br />
Der Rechtsanwalt übt als Organ der Rechtspflege einen<br />
freien Beruf aus. Damit in Übereinstimmung ist auch nach<br />
Maßgabe der zentralen Vorschrift des § 18 EStG seine<br />
Tätigkeit grundsätzlich nicht gewerbesteuerpflichtig. Nur<br />
in Ausnahmesituationen (z. B. Vermittlungen gegen Provision2<br />
; die rein kapitalmäßige Beteiligung an einer Sozietät<br />
3 , Beschäftigung einer Vielzahl von angestellten Anwälten<br />
4 ) besteht die Gefahr der Gewerblichkeit. Nicht zuletzt<br />
unter dem Druck der Haushaltsdefizite ist jedoch die Tendenz<br />
in der Finanzverwaltung zu erkennen, die Tätigkeit<br />
der Rechtsanwälte auf eine mögliche Gewerbesteuerpflicht<br />
hin zu überprüfen. Dies betrifft auch die Insolvenzverwaltung.<br />
Entgegen der bisherigen Praxis der Finanzverwaltung<br />
wird in der Literatur seit einigen Jahren auf die Gefahr hingewiesen,<br />
dass Rechtsanwälte, die auch als Insolvenzverwalter<br />
tätig sind, sehr viel häufiger gewerbesteuerpflichtig<br />
sind als bisher angenommen5 .<br />
Der BFH hat sich dieser Ansicht angeschlossen. Im einem<br />
veröffentlichten Gerichtsbescheid 6 unterwirft er – unter<br />
Aufgabe des gegenteiligen Urteils der Vorinstanz7 – die<br />
gesamten Einkünfte einer Rechtsanwalts-GbR, die schwerpunktmäßig<br />
Gesamtvollstreckungsverfahren 8 betrieb, der<br />
Gewerbesteuer. Die GbR beschäftigte dazu insgesamt 70<br />
Mitarbeiter. Im Streitjahr betrugen ihre Aufwendungen für<br />
Fremdarbeiten (u. a. für Korrespondenzanwälte und gutachterlich<br />
tätige Wirtschaftsprüfer) rund 337.000 DM. Der Antrag<br />
auf mündliche Verhandlung9 verhinderte zunächst die<br />
Rechtskraft dieses Gerichtsbescheids. Nach einer Meldung<br />
des Handelsblatts vom 28.1.2002, und bestätigt in der Jahrespressekonferenz<br />
des BFH am 5.2.2002, hat mittlerweile<br />
der BFH per Urteil entschieden. Er bestätigt bis auf wenige<br />
unbedeutende Abweichungen im Wortlaut den Gerichtsbescheid<br />
vom 14.8.2001. Dieses Urteil hat tiefgreifende<br />
Auswirkungen nicht nur für die Insolvenzverwalter, sondern<br />
für alle Rechtsanwälte, die auch vermögensverwaltend<br />
i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG tätig sind (z. B. als Testamentsvollstrecker,<br />
Treuhänder, Vormund, Pfleger). Dem<br />
Vernehmen nach soll gegen das Urteil des BFH Verfassungsbeschwerde<br />
eingelegt werden.<br />
Aufgrund der gravierenden Folgen der Rechtsauffassung<br />
des BFH geben wir eine erste Analyse mit Gestaltungshinweisen.<br />
II. Freiberufliche Tätigkeit i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 oder<br />
Nr. 3 EStG<br />
1. Der Gesetzgeber gibt folgende Grundkonzeption vor:<br />
Gewerbesteuerpflichtig ist gem. § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2<br />
GewStG i. V. m. § 15 Abs. 2 Satz 1 EStG jede selbständige,<br />
nachhaltige, unter Beteiligung am allgemeinen Wirtschafts-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Mitteilungen<br />
verkehr mit Gewinnerzielungsabsicht betriebene Betätigung,<br />
wenn sie – soweit hier relevant – weder als Ausübung<br />
eines freien Berufs noch als eine andere<br />
selbständige Tätigkeit anzusehen ist. Letzteres entscheidet<br />
sich nach § 18 Abs. 1 EStG.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG führt sog. Katalogberufe<br />
auf. Dazu gehören u. a. Rechtsanwälte, Notare, Patentanwälte,<br />
Steuerberater und Wirtschaftsprüfer. Die Ausübung<br />
dieser Berufe führt zu nicht gewerbesteuerpflichtigen<br />
Einkünften aus freiberuflicher Tätigkeit, selbst dann, wenn<br />
die Einkünfte aus einer Sozietät (Mitunternehmerschaft)<br />
stammen, in der die Berufsträger zur gemeinsamen Berufsausübung<br />
zusammengeschlossen sind 10 . Die Qualifizierung<br />
als freiberufliche Einkünfte geht auch dann nicht verloren,<br />
wenn der den Katalogberuf Ausübende sich der Hilfe fachlich<br />
vorgebildeter Arbeitskräfte bedient. Voraussetzung ist<br />
jedoch, dass er aufgrund eigener Fachkenntnis leitend und<br />
eigenverantwortlich tätig wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3<br />
EStG). Er muss dazu bildhaft gesprochen der Tätigkeit den<br />
Stempel seiner eigenen Persönlichkeit aufdrücken 11 . Im<br />
Rahmen der Katalogberufe ist es also möglich, in erheblichem<br />
Umfang Hilfskräfte zu engagieren, ohne die Gewerblichkeit<br />
zu begründen.<br />
Fällt die Tätigkeit nicht unter einen Katalogberuf i. S. v.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, können die daraus erzielten<br />
Einkünfte solche aus sonstiger selbständiger Arbeit i. S. v.<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG und damit ebenfalls nicht gewerblich<br />
sein. Im wesentlichen Unterschied zu den Katalogberufen<br />
begründet die selbständige Arbeit i. S. v. von Nr. 3 der<br />
Vorschrift weit eher die Gefahr, in die Gewerblichkeit<br />
abzurutschen, wenn sich der Berufsangehörige der Mithilfe<br />
weiterer Personen bedient. Maßstab war dazu bisher die<br />
sog. Vervielfältigungstheorie 12 .<br />
Die Unterscheidung zwischen § 18 Abs. 1 Nr. 1 und<br />
Nr. 3 EStG ist bei der Insolvenzverwaltung von maßgeblicher<br />
Bedeutung, da der Insolvenzverwalter zunehmend<br />
gezwungen ist, qualifizierte Mitarbeiter in die Verwaltung<br />
einzubinden.<br />
2. Wird die Insolvenzverwaltung vom Katalogberuf des<br />
Rechtsanwalts iSv. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst?<br />
a. Unstreitig stellt die Tätigkeit als Insolvenzverwalter<br />
für sich betrachtet keinen Katalogberuf i. S. v. § 18 Abs. 1<br />
Nr. 1 EStG dar, sondern fällt als Vermögensverwaltung<br />
unter § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG 13 . Wird eine an sich unter<br />
1 Die Autoren sind Partner der Sozietät Streck Mack Schwedhelm, Köln/Berlin/<br />
München.<br />
2 Seeger in Schmidt, EStG, 20. Aufl., 2001, § 18 Rdnr. 100.<br />
3 Kamps/Alvermann, NJW 2001, 2121, 2127 f.; FG des Saarlands 1 K 227/98<br />
vom 3.8.1998, rkr., EFG 1998, 1583 (betreffend Steuerberater-GbR); zu weit<br />
u. E. Schulze zur Wiesche, DStR 2001, 1589, 1590 f.<br />
4 Vgl. dazu z. B. Streck, NJW 1991, 2252, 2254.<br />
5 Vgl. Kanzler, FR 1995, 114, und Korn, DStR 1995, 1249, <strong>125</strong>2 f.<br />
6 Vom 14.8.2001, XI R 56/00, ZInsO 2001, 954 ff.<br />
7 FG Bremen 398107 K 1 vom 25.3.1999, EFG 1999, 843 ff.<br />
8 Die Ausführungen zum Gesamtvollstreckungsverfahren gelten entsprechend<br />
für das Konkurs- und nach neuem Recht für das Insolvenzverfahren. Die Begriffe<br />
werden im Folgenden synonym verwandt.<br />
9 Siehe § 90a FGO.<br />
10 Vgl. dazu Schulze zur Wiesche, aaO (Fn. 3),1589 ff.; Kamps/Alvermann, aaO<br />
(Fn. 3), 2127.<br />
11 Korn in Korn, EStG, § 18 Rdnr. 89 (Juli 2000), m. w. N.<br />
12 Siehe dazu unten Tz. III.<br />
13 BFH IV 404/60 U vom 29.3.1961, BStBl. 1961 III, 306; BFH IV R 127/69<br />
vom 5.7.1973; Wacker in Schmidt, aaO (Fn. 2), § 18 Rdnr. 141, jeweils m. w.N.
AnwBl 3/2002 169<br />
Mitteilungen l<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG fallende Tätigkeit im Rahmen eines<br />
Katalogberufs ausgeübt, stellt sich jedoch die Frage, ob sie<br />
der Hauptberufstätigkeit zuzurechnen ist und damit die<br />
Qualifikation als freiberuflich teilt. Soweit der Rechtsanwalt<br />
als Konkurs- bzw. Insolvenzverwalter tätig wurde,<br />
war dies ertragsteuerlich bisher vom BFH nicht entschieden.<br />
Die Literaturansicht ist geteilt 14 .<br />
Der Wortlaut von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG nimmt keine<br />
Unterscheidung vor. Er stellt lediglich auf die „selbständige<br />
Berufstätigkeit der Rechtsanwälte“ ab. Was darunter fällt,<br />
ist auslegungsbedürftig.<br />
b. Der BFH fordert im Urteil vom 12.12.2002 unter<br />
Bezug auf die zur umsatzsteuerlichen Qualifizierung von<br />
Testamentsvollstreckern ergangenen Urteile 15 , dass die ausgeübte<br />
Tätigkeit „berufstypisch“ sein müsse. Nur die „in<br />
besonderer Weise charakteristische und dem Katalogberuf<br />
vorbehaltene“ Tätigkeit werde erfasst. Damit würde die Insolvenzverwaltung<br />
nicht einbezogen. Maßgebend sei weder,<br />
ob die Tätigkeit mit dem Berufsrecht der Rechtsanwälte<br />
vereinbar sei, noch ob das Berufsrecht eine entsprechende<br />
Fachanwaltsbezeichnung (hier Fachanwalt für Insolvenzrecht)<br />
vorsehe. Dass die Insolvenzverwaltung keine den<br />
Rechtsanwaltsberuf charakterisierende Tätigkeit darstelle,<br />
lasse sich auch aus der fehlenden Möglichkeit ableiten,<br />
diese Tätigkeit nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung<br />
abzurechnen. Schließlich, so der BFH, würde die<br />
Subsumtion der Insolvenzverwaltertätigkeit unter den Katalogberuf<br />
des Rechtsberufs zu einer nicht gerechtfertigten<br />
Benachteiligung gegenüber den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern<br />
führen, für welche § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG<br />
keine Anwendung fände.<br />
c. UE ist die einschränkende Auslegung des BFH im Urteil<br />
vom 12.12.2002 nicht gerechtfertigt.<br />
Der BFH wählt zwar den zutreffenden Ansatzpunkt. Allein<br />
die Tatsache, dass eine Tätigkeit berufsrechtlich zulässig<br />
oder unzulässig ist, zwingt jedoch nicht zu dem<br />
Schluss, dass die Einkünfte freiberuflich oder gewerblich<br />
sind. Berufsrecht und Steuerrecht qualifizieren grundsätzlich<br />
eigenständig 16 . Dennoch misst der BFH die Zuordnung<br />
an überzogenen Tatbestandsvoraussetzungen. Wieso unter<br />
den Katalogberuf nur eine berufstypische, in besonderer<br />
Weise charakteristische und dem Katalogberuf vorbehaltene<br />
Tätigkeit fällt, wird im Besprechungsurteil nicht näher begründet17<br />
. Diese Einschränkung findet in § 18 EStG keine<br />
Grundlage.<br />
Auch im Ergebnis kann sich der BFH nicht auf eine einheitliche,<br />
diese Voraussetzungen bestätigende Rechtsprechung<br />
zu Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern stützen 18 .<br />
Zudem weisen mehrere Urteile, die sich mit der Zuordnung<br />
der von einem Rechtsanwalt ausgeübten Konkurs- bzw. Insolvenzverwaltung<br />
zu seiner freiberuflichen Tätigkeit mit<br />
Bezug zum Ertragsteuerrecht 19 und der Abgabenordnung20 befassen, erstere seiner freiberuflichen Tätigkeit zu.<br />
Der Umsatzsteuersenat, aus dessen Urteilen der BFH<br />
nun die zugrunde gelegte restriktive Auslegung (berufstypisch)<br />
ableitet, weist selbst darauf hin 21 , dass sich diese<br />
zur Umsatzsteuer ergangenen Urteile nicht ohne Weiteres<br />
auf das Ertragsteuerrecht übertragen lassen 22 . Das Umsatzsteuerrecht<br />
wird u. a. davon bestimmt, gleiche Leistungen<br />
wettbewerbsneutral zu besteuern, was auf das Ertragsteuerrecht<br />
weniger zutrifft 23 . Zudem enthalten auch diese Urteile<br />
keine Begründung, wieso die Tätigkeit in besonderer Weise<br />
charakteristisch und dem Katalogberuf vorbehalten sein<br />
müsse, um vom Katalogberuf des Rechtsanwalts erfasst zu<br />
werden.<br />
Im Ergebnis kann aus der bisherigen Rechtsprechung<br />
u. E. verlässlich nur die Einschränkung entnommen werden,<br />
dass die ausgeübte Tätigkeit berufstypisch sein muss. Was<br />
davon erfasst wird, bestimmt sich nach dem jeweiligen „Berufsbild“<br />
24 . Der Begriff ist – wie die Vorinstanz zutreffend<br />
mit Verweis auf die Gesetzesbegründung und den fehlenden<br />
einschränkenden Wortlaut der Vorschrift darlegt 25 – weit<br />
auszulegen. Erfasst werden muss als Berufsbild nicht nur<br />
die berufstypische Tätigkeit des Rechtsanwalts im engeren<br />
Sinne (advokatorische Tätigkeit i. S. v. § 3 Abs. 1 BRAO),<br />
sondern jede Tätigkeit, die in engem tatsächlichen, insbesondere<br />
wirtschaftlichen Zusammenhang mit der eigentlichen<br />
Rechtsanwaltstätigkeit steht 26 . Darüber hinaus ist bei<br />
Tätigkeiten, die Elemente der Rechtsbesorgung i. S. v. Art. 1<br />
§ 1 Abs. 1 Satz 1 RBerG aufweisen und die gem. Art. 1<br />
§ 3 Nr. 6 RBerG (Zwangsverwalter, Insolvenzverwalter,<br />
Nachlasspfleger) von dem Erlaubnisvorbehalt des Rechtsberatungsgesetzes<br />
ausgenommen sind, folgende Abgrenzung<br />
gerechtfertigt: Solange diese Tätigkeiten nach dem<br />
Berufsrecht der Rechtsanwälte mit dem Rechtsanwaltsberuf<br />
vereinbar sind (§ 7 BRAO), werden sie vom Katalogberuf<br />
des Rechtsanwalts iSv. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG umfasst. Die<br />
Freistellung der Betätigung als Insolvenzverwalter vom Erlaubnisvorbehalt<br />
des Rechtsberatungsgesetzes gem. Art. 1<br />
§ 3 Nr. 6 RBerG belegt, dass die Insolvenzverwaltung regelmäßig<br />
Rechtsbesorgung einschließt. Die Rechtsbesorgung<br />
als Oberbegriff der Rechtsberatung und -vertretung ist<br />
die ureigenste Aufgabe des Rechtsanwalts. Die Insolvenzverwaltung<br />
gehört zu seinem Berufsbild. Um Abgrenzungsprobleme<br />
zu vermeiden und der typisierenden Regelung in<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG gerecht zu werden, ist daher u. E.<br />
die vorgenannte Zuordnung gerechtfertigt.<br />
Mit dieser Auslegung lassen sich auch die durch das Besprechungsurteil<br />
vorprogrammierten Abgrenzungsprobleme<br />
14 Vom Katalogberuf des Rechtsanwalts umfasst: Schick, NJW 1991, 1328,<br />
1332; Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, EStG, § 18 Rdnr. 135 (Jan.<br />
1996); Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 18 Rdnr. 153 (1995);<br />
a. A. Kanzler, aaO (Fn. 5), 114; Wacker in Schmidt, aaO (Fn. 2) § 18 Rdnr.<br />
97; Korn in Korn, aaO (Fn. 11), § 18 Rdnr. 98 (Juli 2000); Kling, DStR 1998,<br />
1813, 1816; wohl auch Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 18 Rdnr.<br />
175 (1997).<br />
15 BFH V R 99/78 vom 2.10.1986, BStBl. 1987 II, 147, 148 f.; BFH V R 33/79<br />
vom 13.3.1987, BStBl. 1987 II, 524, 526; BFH V R 30/86 vom 9.8.1990,<br />
BFH/NV 1991, 126.<br />
16 Kamps/Alvermann, aaO (Fn. 3), 2127 f., m. w. N.<br />
17 Vielmehr begründet der BFH ausführlich, wieso sein Urteil nicht im Widerspruch<br />
zu anderen Entscheidungen des BFH steht.<br />
18 Katalogberuf ablehnend BFH IV 235/60 U vom 16.2.1961, BStBl. 1961 III,<br />
210; IV 404/60 U, aaO (Fn. 13), 306; IV R 126/91 vom 11.8.1994, BStBl.<br />
1994 II, 936, 938; bejahend BFH IV R 77/70 vom 28.6.1973, BStBl. 1973 II,<br />
729; IV R <strong>125</strong>/89 vom 6.9.1990, BStBl. 1990 II, 1028.<br />
19 RFH IV 75/38 vom 28.7.1938, RStBl. 1938, 809.<br />
20 BFH VII R 148/81 vom 26.11.1985, BFH/NV 1986, 134, 135, zu § 109<br />
Abs. 2 RAO, der Vorgängernorm des § 191 Abs. 2 AO; II R 4/96 vom<br />
13.5.1998, BStBl. 1998 II, 760 (inzident zu Rechten eines Testamentsvollstreckers<br />
bei § 191 Abs. 2 AO); I R 172/71 vom 27.6.1973, BStBl. 1973 II,<br />
832, 833, im Zusammenhang mit einem Steuerbevollmächtigten zu § 109<br />
Abs. 2 RAO.<br />
21 BFH V R 99/78, aaO (Fn. 15), 147, 148 f.<br />
22 Ebenso Schick, aaO (Fn. 14), 1332.<br />
23 Darauf weist das aufgehobene Urteil des FG Bremen 398107 K 1, aaO (Fn. 7),<br />
845, hin.<br />
24 Vgl. BFH IV R 42/89 vom 1.2.1990, BStBl. 1990 II, 534, 535, auch wenn der<br />
BFH dort im Ergebnis die Testamentsvollstreckung eines Rechtsanwalts nicht<br />
als Katalogberuf qualifiziert.<br />
25 FG Bremen 398107 K 1, aaO (Fn. 7), 844.<br />
26 Im Ergebnis auch Fitsch in Lademann/Söffing/Brockhoff, aaO (Fn. 14), § 18<br />
Rdnr. 135 (Jan. 1996).
170<br />
l<br />
vermeiden. Wird „ein Rechtsanwalt (überwiegend) als Verwalter<br />
im Gesamtvollstreckungsverfahren tätig“, ist diese<br />
Tätigkeit nicht berufstypisch und damit nicht von § 18<br />
Abs. 1 Nr. 1 EStG erfasst, so der BFH 27 . Wann die Voraussetzung<br />
des Merkmals „überwiegend“ erfüllt ist, wird nicht<br />
geklärt. Auf die in der Literatur dazu schon früher genannten<br />
Grenzen (schädlich bei Überschreiten von 10 % oder<br />
50 %) 28 darf es u. E. nicht ankommen.<br />
Entgegen der Ansicht des BFH im Besprechungsurteil<br />
tritt eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der<br />
Wirtschaftsprüfer und Steuerberater nicht ein, auch wenn<br />
der BFH deren Tätigkeit als Insolvenzverwalter der sonstigen<br />
selbständigen Tätigkeit i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG<br />
zuordnet. Vielmehr spiegelt sich darin die im Vergleich zu<br />
den Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern weitergehende<br />
Befugnis des Rechtsanwalts zur umfassenden Rechtsbesorgung<br />
wider 29 .<br />
III.Vervielfältigungstheorie<br />
1. Da nach Ansicht des BFH nicht § 18 Abs. 1 Nr. 1<br />
EStG, sondern § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG einschlägig sein<br />
soll, kommt der BFH scheinbar zwangsläufig zur sog. Vervielfältigungstheorie.<br />
Diese Theorie beruht auf der Erwägung,<br />
dass es zu den Wesensmerkmalen der selbständigen<br />
Arbeit gehört, dass sie in ihrem Kernbereich auf der eigenen<br />
persönlichen Arbeitskraft des Berufsträgers beruht.<br />
Nimmt die Tätigkeit einen Umfang an, der die ständige Beschäftigung<br />
mehrerer Angestellter oder aber die Einschaltung<br />
von Subunternehmern erforderlich macht, und werden<br />
den genannten Personen nicht nur untergeordnete, insbesondere<br />
vorbereitende oder mechanische Aufgaben übertragen,<br />
so beruht sie nicht auf der persönlichen Arbeitskraft des<br />
Berufsträgers und ist deshalb steuerlich als gewerblich zu<br />
qualifizieren. Aber auch dann, wenn nur Hilfskräfte beschäftigt<br />
werden, die ausschließlich untergeordnete Arbeiten<br />
erledigen, kann dadurch im Einzelfall der gewerbliche<br />
Charakter der Tätigkeit begründet werden.<br />
2. Wann diese Voraussetzungen vorliegen, soll im Einzelfall<br />
nach dem Gesamtbild der Verhältnisse entschieden<br />
werden 30 . Dabei wird grundsätzlich die Beschäftigung von<br />
mehr als einem qualifizierten Mitarbeiter als schädlich angesehen.<br />
I. d. R. ist u. E. die Beschäftigung von weniger<br />
als 10 nicht qualifizierten Mitarbeitern unschädlich.<br />
3. Die Vervielfältigungstheorie ist aufgrund der Neufassung<br />
des § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG durch das Steueränderungsgesetz<br />
1960 vom 30.7.1960 (BGBl. 1960 I, 616) für<br />
die Angehörigen der freien Berufe nicht mehr anzuwenden.<br />
Sie soll jedoch für die sonstige selbständige Arbeit weiterhin<br />
von Bedeutung sein. Der Grund dafür liege darin, dass<br />
die in § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG erfassten Tätigkeiten ihrer<br />
Natur nach einer kaufmännischen Beschäftigung näher stehen<br />
als die in § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG genannten Berufe 31 .<br />
4. Die im Besprechungsurteil niedergelegte Ansicht des<br />
BFH ist aus mehreren Gründen abzulehnen.<br />
Die Vervielfältigungstheorie wurde noch nie den tatsächlichen<br />
Gegebenheiten der freien Berufe gerecht 32 . Nicht nur<br />
die Katalogberufe i. S. v. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG, sondern<br />
auch die vermögensverwaltenden Berufe i. S. v. Nr. 3 sind<br />
typischerweise auf die Hinzuziehung qualifizierter Hilfe angewiesen.<br />
Die Personenbezogenheit der – auch unter Mithilfe<br />
Dritter – erbrachten Leistung zeigt sich insbesondere<br />
bei den Insolvenzverwaltern. Gerade bei großen Insolvenzverfahren<br />
werden die Verwalter aufgrund ihrer starken Persönlichkeit<br />
ausgewählt, auch wenn alle Beteiligten wissen,<br />
AnwBl 3/2002<br />
Mitteilungen<br />
dass der Verwalter nicht jede einzelne Forderungsanmeldung<br />
höchstpersönlich prüft.<br />
Die Anzahl der hinzuzuziehenden Mitarbeiter hängt zudem<br />
von Zufälligkeiten ab. Der Verwalter ist in vielfältiger<br />
Beziehung auf „fremde“ Mithilfe angewiesen. Im Idealfall<br />
erhält er diese Unterstützung im insolventen Unternehmen.<br />
Häufig ist das Personal des Unternehmens jedoch ein<br />
Grund für die Insolvenz, sodass es i. d. R. notwendig ist,<br />
externe Hilfe hinzuzuziehen. Für die Höchstpersönlichkeit<br />
der Verwaltung macht es jedoch keinen Unterschied, ob der<br />
Verwalter eigene oder fremde Mitarbeiter führt. Nur die<br />
Hinzuziehung eigener Mitarbeiter soll aber nach Ansicht<br />
des BFH zur Gewerblichkeit führen.<br />
Die unterschiedliche Behandlung/Handhabung von Nr. 1<br />
und Nr. 3 verletzt Art. 3 Abs. 1 GG. Der Verwalter ist zudem<br />
in seiner Berufsausübungsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1<br />
Satz 2 GG beeinträchtigt. Der Verwalter kann nicht frei<br />
nach sachgerechten Kriterien entscheiden, ob er eine Tätigkeit<br />
von Mitarbeitern des insolventen Unternehmens, von<br />
eigenen Mitarbeitern oder von Externen ausführen lässt.<br />
Unabhängig davon darf die Vervielfältigungstheorie<br />
nicht pauschal angewendet werden. Entscheidend ist nicht,<br />
wie viele Hilfskräfte der Insolvenzverwalter insgesamt beschäftigt.<br />
Abzustellen ist u. E. auf das einzelne Verfahren.<br />
Ist der Rechtsanwalt in mehreren Verfahren als Verwalter<br />
bestellt und setzt er in jedem einzelnen Verfahren nicht<br />
mehr als eine qualifizierte Hilfskraft ein, dürfte dies nicht<br />
zur Gewerbesteuer führen. Gänzlich unbeachtlich sind die<br />
Mitarbeiter, die in der eigenen Büroorganisation eingesetzt<br />
werden (z. B. eigene Buchhaltung).<br />
Schließlich ist u. E. danach zu differenzieren, ob der Insolvenzverwalter<br />
im Rahmen seiner Insolvenzverwaltung<br />
reine Anwaltstätigkeit ausübt. In diesen Teilbereichen wäre<br />
es sinnwidrig, die strenge Vervielfältigungstheorie anzuwenden.<br />
Erfasst man entgegen unserer Ansicht die Insolvenztätigkeit<br />
nicht als Katalogberuf, muss gleichwohl für<br />
die reine Anwaltstätigkeit der großzügigere Maßstab des<br />
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG anwendbar sein.<br />
IV. Rechtsfolgen der Gewerblichkeit<br />
1. Das Urteil des BFH vom 12.12.2001 hat insbesondere<br />
Auswirkungen für Veranlagungszeiträume bis 2001. Es<br />
stellt keine Gesetzesänderung dar und ist somit – soweit<br />
die Finanzverwaltung keine anderslautenden Anweisungen<br />
(Nichtanwendungserlass oder Übergangsfristen) erlässt –<br />
auf alle noch offenen Veranlagungen anzuwenden.<br />
Ob die Veranlagung zur Gewerbesteuer noch offen ist,<br />
richtet sich dabei nicht nach den – möglicherweise schon<br />
bestandskräftigen – Einkommensteuer- oder Gewinnfeststellungsbescheiden.<br />
Maßgebend ist die Veranlagung zur Gewerbesteuer,<br />
also grundsätzlich der Erlass von Gewerbesteuermessbescheiden.<br />
In der vorliegenden Konstellation<br />
werden i. d. R. weder Gewerbesteuerbescheide ergangen<br />
27 XI R 56/00, aaO (Fn. 6), 955.<br />
28 Kanzler, aaO (Fn. 5),115; Korn, aaO (Fn. 5), <strong>125</strong>3 (10 %).<br />
29 Auch der BFH rechtfertigt mit dieser Unterscheidung die unterschiedliche<br />
Wertung der jeweiligen Ausübung eines freien Berufs durch einen Steuerberater<br />
oder einen Rechtsanwalt (II R 4/96, aaO (Fn. 20, 760); vgl. zur Abgrenzung<br />
der Befugnis von Steuerberatern Schwedhelm/Kamps, AnwBl. 1998,<br />
245 ff.<br />
30 So BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937, sowie Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach,<br />
aaO (Fn. 14), § 18 Rdnr. 225, jeweils m. w. N.<br />
31 So BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937.<br />
32 Deshalb zu Recht ablehnend Brandt in Herrmann/Heuer/Raupach, aaO (Fn.<br />
14), § 18 Rdnr. 225; Steinhauff in Littmann/Bitz/Pust, aaO (Fn. 14), § 18<br />
Rdnr. 238.
AnwBl 3/2002 171<br />
Mitteilungen l<br />
noch entsprechende Gewerbesteuererklärungen abgegeben<br />
worden sein. In einem solchen Fall beginnt die allgemeine<br />
vierjährige Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2<br />
AO erst mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das<br />
Kalenderjahr folgt, in dem Gewerbesteuer entstanden ist 33 .<br />
Da die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums,<br />
für den die Festsetzung vorgenommen wird, entsteht, sind<br />
bei der vorgenannten Konstellation die Gewerbesteueransprüche<br />
bis zum Jahre 1995 einschließlich noch nicht verjährt.<br />
Dies kann zu erheblichen Steuernachforderungen<br />
führen. Eine Rechtsprechungsänderung, die eine Besteuerung<br />
für die Altjahre unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes<br />
gem. § 176 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AO hindern<br />
könnte, liegt zwar nicht vor. Sind jedoch in bestandskräftigen<br />
Einkommensteuer- oder Gewinnfeststellungsbescheiden<br />
Einkünfte aus freiberuflicher Tätigkeit ausgewiesen, kann<br />
der Erlass von erstmaligen Gewerbesteuermessbescheiden<br />
unter dem Gesichtspunkt der Verwirkung unzulässig sein 34 .<br />
2. Im Übrigen verliert die Gefahr der Gewerblichkeit an<br />
Brisanz. Als Neuerung der am 1.1.2001 wirksam gewordenen<br />
Unternehmenssteuerreform sieht § 35 Abs. 1 EStG<br />
n. F. eine pauschalierte Anrechnung der Gewerbesteuer auf<br />
die Einkommensteuer vor. Abhängig vom jeweiligen Hebesatz<br />
der Gemeinde und unter der Voraussetzung, dass ein<br />
entsprechendes Einkommensteuerpotential zur Verfügung<br />
steht, kann eine Naturalisierung der Gewerbesteuerlast eintreten.<br />
3. Eine besondere Gefahr ist zu beachten, wenn die Insolvenzverwaltung<br />
durch eine Mitunternehmerschaft betrieben<br />
wird: Ist eine der Tätigkeiten der Personen, die zur gemeinsamen<br />
Berufsausübung in einer Personengesellschaft<br />
zusammengeschlossen sind (z. B. Rechtsanwaltssozietät als<br />
GbR oder Partnerschaftsgesellschaft), gewerblich, wird automatisch<br />
die gesamte Tätigkeit der Gesellschaft gewerblich<br />
(sog. Abfärbewirkung gem. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG) 35 . Ausnahmen<br />
bestehen nur bei einem sehr geringen Anteil der<br />
originär gewerblichen Tätigkeit an den Gesamtumsätzen36 .<br />
V. Ausblick und Vermeidungsstrategien<br />
Die konkreten Auswirkungen der Entscheidung des<br />
BFH auf die Verwaltertätigkeit sind noch nicht abzusehen.<br />
Folgende erste Prognosen wagen wir jedoch:<br />
1. Von der neuen Rechtsprechung des BFH sind alle<br />
Verwalter betroffen, die mehr als einen qualifizierten bzw.<br />
zehn nicht qualifizierte Mitarbeiter beschäftigen.<br />
2. Soweit die Finanzverwaltung von einer Gewerblichkeit<br />
ausgeht, lohnt es sich, zu streiten. Der BFH bietet im<br />
Besprechungsurteil zunächst selbst zwei Aspekte für Streitpotential.<br />
Zum einen fordert er für die Subsumtion unter<br />
den Katalogberuf, dass der Rechtsanwalt „überwiegend“ als<br />
Verwalter im Gesamtvollstreckungsverfahren tätig ist37 .<br />
Hier ist der jeweilige Einzelfall maßgebend. Zum anderen<br />
muss im jeweiligen Einzelfall geklärt werden, ob die Anwendung<br />
der Vervielfältigungstheorie konkret in die Gewerblichkeit<br />
führt.<br />
Ferner ist es nicht auszuschließen, dass die Verfassungsbeschwerde<br />
Erfolg haben wird. Ansonsten muss der BFH<br />
in einem neuen Revisionsverfahren zur Änderung seiner<br />
Rechtsprechung bewegt werden. An die Finanzverwaltung<br />
ist dringend zu appellieren, einen Nichtanwendungserlass<br />
oder zumindest eine Übergangsfrist zu gewähren. Auch aus<br />
diesem Grunde sind die Gewerbesteuermessbescheide offenzuhalten.<br />
3. Für die Zukunft raten wir dem Verwalter, möglichst<br />
wenig eigenes Personal zu beschäftigen. Vorrangig sind –<br />
soweit überhaupt vertretbar – die Mitarbeiter des insolventen<br />
Unternehmens in die Verwaltung einzubeziehen. Soweit<br />
externe Fachleute hinzugezogen werden müssen, sind diese<br />
nicht vom Verwalter persönlich, sondern in Vertretung des<br />
insolventen Unternehmens zu beauftragen. Nach Ansicht<br />
des BFH ist es grundsätzlich nicht ausreichend, die Hilfstätigkeit<br />
über eine mit dem Verwalter verbundene Berater-<br />
GmbH ausführen zu lassen 38 .<br />
4. Die eigenen Mitarbeiter sind sorgsam den einzelnen<br />
Verfahren zuzuweisen. Dadurch kann nachgewiesen werden,<br />
dass, bezogen auf das jeweilige Verfahren, nicht mehr<br />
als eine qualifizierte bzw. nicht mehr als zehn nicht qualifizierte<br />
Hilfskräfte eingesetzt wurden.<br />
5. Das ungünstige Verhältnis zwischen Verwalter und<br />
Mitarbeiter kann auch dadurch verbessert werden, dass die<br />
qualifizierten Mitarbeiter Partner der Sozietät und eigenverantwortliche<br />
Verwalter werden. Zu warnen ist jedoch vor<br />
einer Scheinsozietät 39 .<br />
6. Um eine Rechtsanwaltssozietät nicht über die Insolvenzverwaltung<br />
gewerblich zu infizieren, kann die Insolvenzverwaltung<br />
ausgelagert werden. Steuerrechtlich ist es<br />
zulässig, neben der freiberuflichen Sozietät eine personenidentische<br />
gewerbliche Gesellschaft zu betreiben. Berufsrechtlich<br />
ist die sog. Sternsozietät jedoch problematisch 40 .<br />
7. Die Wahl des Standorts wird steuerlich an Bedeutung<br />
gewinnen. Gemeinden mit einem geringen Hebesatz – z. B.<br />
Norderfriedrichskoog 0 % – sind attraktiv. Hier kommt es<br />
über § 35 EStG zu einer Überkompensation. Jeder Euro gewerbliche<br />
Einkünfte reduziert die Einkommensteuer.<br />
33 § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO.<br />
34 Vgl. zu Einzelheiten Streck/Mack/Schwedhelm, Stbg. 1993, 370; Gürhoff in<br />
Glanegger/Gürhoff, GewStG, 4. Aufl. 1999, § 1 Rdnr. 32.<br />
35 Vgl. zu Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit Niedersächsisches FG IV 317/<br />
91 vom 24.6.1998, BB 1998, 1453 ff.; Seer, FR 1998, 1022; Schmidt in<br />
Schmidt, aaO (Fn. 2), § 15 Rdnr. 185.<br />
36 BFH XI R 12/98 vom 11.8.1999, BStBl. 2000 II, 229 f. (Anteil von 1,25 %).<br />
37 Siehe dazu oben Tz. II. 2. c.<br />
38 BFH IV R 126/91, aaO (Fn. 18), 936, 937 f.<br />
39 Vgl. zu Gefahren aus der Scheinsozietät Kamps/Alvermann, aaO (Fn. 3),<br />
2121 ff.<br />
40 Vgl. dazu Römermann in Hartung/Holl, Anwaltliche Berufsordnung, 2. Aufl.<br />
2001, § 31 BerufsO Rdnr. 18 ff.; Henssler in Henssler/Mack/Olbing/Olgemöller/Streck,<br />
BeratungsAkzente – Sozietäten, 1999, S. 13 f.; ders., NJW 1999,<br />
241, 245 f.; Kilian, NJW 2001, 326 ff.; Deichfuß, AnwBl 2001, 645 ff.<br />
Versicherungsfragen<br />
Neues aus der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
Es ist erforderlich, sich mit der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
zu befassen. Denn sie bildet nicht nur einen Kostenfaktor<br />
in den Anwaltskanzleien. Es ist für den Anwalt<br />
wichtig, dem anwaltlichen Personal, aber auch sich selbst<br />
einen sicheren und gesunden Arbeitsplatz zu stellen und,<br />
sollte es doch zu einem Versicherungsfall kommen, ausreichend<br />
abgesichert zu sein. Neue Entwicklungen lohnen<br />
einen kurzen Blick hierauf.<br />
Erinnern wir uns: das System der gesetzlichen Unfallversicherung<br />
– durch die kaiserliche Botschaft Wilhelm I<br />
im Jahr <strong>188</strong>4 eingeführt – sieht eine Absicherung bei Ar-
172<br />
l<br />
beitsunfall und Berufskrankheit vor. Beiträge leisten allein<br />
die Unternehmer – hier wird die Last also nicht hälftig verteilt,<br />
wie das in den anderen gesetzlichen Sicherungssystemen<br />
der Fall ist. Dafür ist der Unternehmer (und sein Beschäftigter)<br />
von einer Haftung auch für fahrlässiges Verschulden<br />
freigestellt. Dies erspart ihm insoweit eine Prämie<br />
für eine Haftpflichtversicherung. Außerdem wahrt das Verfahren<br />
den Betriebsfrieden.<br />
a) Pflichtversichert sind Beschäftigte, die der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung zu melden sind. Im Fall der Anwälte<br />
ist das die Verwaltungsberufsgenossenschaft in Hamburg<br />
mit ihren Bezirksverwaltungen vor Ort. Unternehmer<br />
sind nicht versichert; sie können sich aber bei der VBG<br />
freiwillig versichern. Das ist nach § 6 Abs. 1 Ziff. 1 SGB<br />
VI durch einfachen schriftlichen Antrag möglich – der Versicherungsschutz<br />
beginnt am Folgetage. Dies Verfahren<br />
muss jedem selbstständigen Anwalt dringend empfohlen<br />
werden. Denn es gibt – gemessen an der Prämie – für den<br />
beruflichen Bereich bisher kaum effektiveren Versicherungsschutz.<br />
Das ist beim Anwalt besonders wichtig – er<br />
ist viel und häufig unterwegs und hat ohnehin wenig Freizeit.<br />
Lediglich vorsorglich sei der Anwalt, der nicht versichert<br />
ist, daran erinnert, dass er (ohne beigetreten zu sein)<br />
Versicherungsschutz haben kann, wenn er auf fremdem Betriebsgelände<br />
einen Unfall erleidet – eine Konstellation, die<br />
beim modernen Anwalt (der nämlich seine Kunden aufsucht)<br />
durchaus vorkommen kann: Satzungen einiger Berufsgenossenschaften<br />
sehen auf Grund von § 3 Abs. 1 Ziff. 2<br />
SGB VII hier Versicherungsschutz vor. Ohnehin gilt die unter<br />
Sozialrechtlern (auch für das Beratungsgeschäft) gültige<br />
Regel, dass jeder Unfall mit Körperschaden auf die Frage<br />
untersucht werden sollte, ob nicht Eintrittspflicht einer gesetzlichen<br />
Unfallversicherung besteht – nicht zuletzt wegen<br />
des weithin unbekannten Konstruktes des so genannten<br />
„Wie-Beschäftigten“ des § 2 Abs. 2 SGB VII.<br />
b) Kommt der Beitragsbescheid der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft<br />
ins Haus, so lohnt es sich einmal, den Bescheid<br />
nicht nur in die Buchhaltung zu geben, sondern zu<br />
lesen. Abgerechnet wird nach einem so genannten „Gefahrtarif“.<br />
In ihm sind die Unternehmen einer Gefahrengemeinschaft<br />
zu Berechnungs- und Finanzierungszwecken in Risikogemeinschaften<br />
zusammengefasst. Das Nähere erläutert<br />
der Bescheid. Will man gegen den Bescheid mit der Begründung<br />
vorgehen, es sei der Gefahrtarif nicht richtig angewandt<br />
oder in sich unstimmig, so wird man ohne einen<br />
Spezialisten (z. B. Fachanwalt für Sozialrecht) nicht auskommen.<br />
Das Rechtsgebiet ist ausgesprochen komplex –<br />
außerdem ist der Gefahrtarif Gesetz im materiellen Sinn,<br />
was seine Anfechtbarkeit naturgemäß einschränkt. – Unverständnis<br />
weckt manchmal die Aufführung des Insolvenzgeldes<br />
im Bescheid der Berufsgenossenschaft. Warum sollen<br />
die Insolvenzen anderer Unternehmen mit finanziert<br />
werden? Hier gilt jedoch die gesetzliche Regelung der §§<br />
358, 359 SGB III, welche die Berufsgenossenschaften praktisch<br />
zur Inkassostelle für das Arbeitsamt macht. Sie ersetzt<br />
dem Arbeitsamt nämlich die Kosten, welche dieses für die<br />
Zahlungen von Insolvenzgeld an Arbeitnehmer nach § 183<br />
SGB III ff. aufwenden muss, die bei Insolvenzen von Unternehmen<br />
noch offene Lohnforderungen haben. Mit Arbeitsunfall<br />
oder Berufskrankheit hat das zwar nichts zu tun:<br />
immerhin haben die Unternehmen aber solidarisch für die<br />
ausfallenden Unternehmen (für einen auf drei Monate begrenzten<br />
Zeitraum) gerade zu stehen. Ob das die richtige<br />
Finanzierungsform ist und ob hier nicht eher eine Aufgabe<br />
der Allgemeinheit, nicht der gesetzlichen Unfallversiche-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Mitteilungen<br />
rung vorliegt, sei hier dahingestellt. – Allerdings hatte der<br />
Gefahrtarif in den letzten Jahren aus anwaltlicher Sicht Kritik<br />
erfahren, als der festgelegte Wert sich nachteilig erheblich<br />
von dem der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer unterschied.<br />
Seit dem seit 2000 geltenden neuen Gefahrtarif ist<br />
das jedoch nicht mehr der Fall.<br />
c) Allerdings gibt es nun etwas (scheinbar) Neues: ab<br />
dem 1.1.2002 muss jeder Anwalt darauf achten, dass für<br />
seine Kanzlei ein Betriebsarzt und eine Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />
bestellt wird. Jawohl: jeder Anwalt. Es gibt<br />
nur eine einzige Ausnahme: den Anwalt, der keine Beschäftigten<br />
hat. Also: schon jeder Anwalt mit nur einem<br />
(noch so geringfügig beschäftigen oder nah verwandten)<br />
Arbeitnehmer ist betroffen.<br />
Bevor nun allerdings geklagt wird, warum das nicht verhindert<br />
werden konnte, sollte die Rechtslage zur Kenntnis<br />
genommen werden. Das Gesetz über Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure<br />
und andere Fachkräfte für Arbeitssicherheit<br />
vom 12.12.1973 ASiG (BGBl l S. <strong>188</strong>5) gilt schon seit<br />
27 Jahren. Seither gilt auch § 1 ASiG mit folgendem Wortlaut:<br />
Der Arbeitgeber hat nach Maßgabe dieses Gesetzes Betriebsärzte<br />
und Fachkräfte für Arbeitssicherheit zu bestellen. Diese sollen<br />
ihn beim Arbeitsschutz und bei der Unfallverhütung unterstützen.<br />
Damit soll erreicht werden, dass<br />
1. die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden<br />
Vorschriften den besonderen Betriebsverhältnissen entsprechend<br />
angewandt werden,<br />
2. gesicherte arbeitsmedizinische und sicherheitstechnische Erkenntnisse<br />
zur Verbesserung des Arbeitsschutzes und der Unfallverhütung<br />
verwirklicht werden können,<br />
3. die dem Arbeitsschutz und der Unfallverhütung dienenden<br />
Maßnahmen einen möglichst hohen Wirkungsgrad erreichen.<br />
Die „Maßgabe dieses Gesetzes“ sah eine für Anwälte<br />
relevante Ausnahme nicht vor. Das heißt: was zum diesjährigen<br />
Jahresbeginn als Neuigkeit mitgeteilt wird, galt dem<br />
Grunde nach schon seit 1973, bisher allerdings ohne nähere<br />
Gesetzeskonkretisierung und ohne Sanktion. Deswegen<br />
fand die Vorschrift wenig Beachtung. Sie ist in vielen Branchen,<br />
so auch in der Anwaltschaft, völlig unbekannt gewesen<br />
und deswegen nicht befolgt worden.<br />
Dabei bestimmte § 14 ASiG schon immer:<br />
(1) Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung kann mit<br />
Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen,<br />
welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus<br />
diesem Gesetz ergebenden Pflichten zu treffen hat. So weit die<br />
Träger der gesetzlichen Unfallversicherung ermächtigt sind, die<br />
gesetzlichen Pflichten durch Unfallverhütungsvorschriften näher<br />
zu bestimmen, macht der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung<br />
von der Ermächtigung erst Gebrauch, nachdem innerhalb<br />
einer von ihm gesetzten angemessenen Frist der Träger der gesetzlichen<br />
Unfallversicherung eine entsprechende Unfallverhütungsvorschrift<br />
nicht erlassen hat oder eine unzureichend gewordene<br />
Unfallverhütungsvorschrift nicht ändert.<br />
Deswegen mussten die Berufsgenossenschaften handeln,<br />
wollten sie ein Eingreifen des Verordnungsgebers, also des<br />
Staates selbst, verhindern. Ein Teil des Notwendigen war<br />
zwar schon in der alten Unfallverhütungsvorschrift VBG<br />
123 enthalten. Wie vielen Anwälten bekannt, ist deswegen<br />
schon in den letzten Jahren über die sicherheitstechnische<br />
Überwachung im Anwaltsbüro gesprochen worden. Es<br />
drohte aber nun die Gefahr, dass diese Unfallverhütungsvorschrift<br />
nicht als zureichend angesehen werden würde. Dann<br />
hätte (siehe Gesetzestext) der Verordnungsgeber selbst eingreifen<br />
können.
AnwBl 3/2002 173<br />
Mitteilungen l<br />
Um das zu verhindern, haben sich nun die Vertreter der<br />
Unternehmer und der Versicherten in der Verwaltungsberufsgenossenschaft<br />
im Zusammenwirken mit der Rechtsaufsicht<br />
nach langen Verhandlungen auf einen Kompromiss<br />
geeinigt, der im ablaufenden Jahr von der Vertreterversammlung<br />
der Verwaltungsberufsgenossenschaft genehmigt<br />
worden ist. Er findet sich in den neuen Berufsgenossenschaftlichen<br />
Vorschriften für Sicherheit und Gesundheit bei<br />
der Arbeit, nämlich BGV A6 „Fachkräfte für Arbeitssicherheit“<br />
und BGVA7 „Betriebsärzte“. Jeder Anwalt wird nicht<br />
umhin können, sie sich kommen zu lassen. Er ist nämlich<br />
als Unternehmer gem. § 21 SGB VII für die Durchführung<br />
der Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen und<br />
Berufskrankheiten, für die Verhütung von arbeitsbedingten<br />
Gesundheitsgefahren sowie für eine wirksame erste Hilfe<br />
verantwortlich. Eine Übersicht soll nachfolgend gegeben<br />
werden.<br />
Natürlich sind die meisten Anwaltskanzleien zu klein,<br />
um sich eine eigene angestellte Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />
oder einen eigenen Betriebsarzt leisten zu können. Das<br />
wird auch nicht verlangt. Es ist vielmehr möglich, Dritte<br />
mit dieser Aufgabe zu betreuen. Bei der Frage, welche<br />
Maßnahmen ergriffen werden müssen, ist aber zu unterscheiden:<br />
1. Betriebsarzt in Kanzleien mit maximal<br />
10 Arbeitnehmern<br />
Hier muss im Wege der so genannten Regelbetreuung<br />
jährlich einmal ein Betriebsarzt tätig werden, und zwar 12<br />
Minuten pro Arbeitnehmer – mindestens jedoch 80 Minuten<br />
insgesamt. Allerdings kann man die Untersuchungszeit<br />
für bis zu 3 Jahren auflaufen lassen und dann summiert in<br />
Anspruch nehmen. Dann sind (3 x 80 Minuten) 240 Minuten<br />
(also 4 Stunden) Betriebsarzt-Stunden durchzuführen<br />
(pro Kanzlei – nicht pro Arbeitnehmer).<br />
Auf Antrag kann auch die Grundbetreuung gewählt<br />
werden. Dann ist innerhalb 3 Jahren eine Einsatzzeit von<br />
4 Stunden (wie oben) vorgesehen. Eine erneute Grundbetreuung<br />
von mindestens 80 Minuten ist dann erst nach<br />
weiteren 6 Jahren nötig. Dafür besteht die Verpflichtung<br />
zur so genannten „Bedarfsbetreuung“. Sie wird zusätzlich<br />
notwendig bei einer Neu- oder Umgestaltung der Kanzlei,<br />
Arbeitsmitteln oder Arbeitsplätzen, wenn Beschäftigte den<br />
entsprechenden Wunsch äußern oder wenn Betriebsunfälle<br />
oder sonstige einschneidende Ereignisse vorgekommen<br />
sind.<br />
2. Fachkraft für Arbeitssicherheit in Kanzleien mit<br />
maximal 10 Arbeitnehmern<br />
Hier gilt automatisch die Grundbetreuung. Sie sieht (unabhängig<br />
von der Zahl der Arbeitnehmer) eine Erstbetreuung<br />
von 2 Stunden jährlich vor. Auch hier ist Summierung<br />
auf 3 Jahre möglich, dann werden jedoch 6 Stunden fällig.<br />
Eine erneute Grundbetreuung wird dann mit jeweils mindestens<br />
2 Stunden nach weiten 6 Jahren nötig. Auch hier<br />
wird allerdings eine Bedarfsbetreuung bei den vorgenannten<br />
Anlässen erforderlich.<br />
Auf Antrag kann hier (umgekehrt als oben) die Regelbetreuung<br />
gewählt werden. Hier sind 18 Minuten Einsatzzeit<br />
pro Arbeitnehmer pro Jahr, mindestens jedoch Stunden<br />
vorzusehen. Eine Kumulierung auf 3 Jahre ist hier nicht<br />
möglich. Hier könnte der Anwalt auch das sog. „Unternehmermodell“<br />
wählen. Danach müsste sich der Anwalt selbst<br />
in Fragen der betrieblichen Arbeitssicherheit und des Ge-<br />
sundheitsschutzes dadurch schulen, dass er innerhalb zwei<br />
Jahren zwei aufeinander aufbauende zweitägige Seminarveranstaltungen<br />
bei der BG absolviert und regelmäßig an<br />
Fortbildungen auf diesem Sektor teilnimmt. Außerdem<br />
muss er sich alle 6 Jahre einschlägig beraten lassen. Dieses<br />
Modell wird wegen des Zeitbedarfs aber wohl nur für wenige<br />
Anwälte in Betracht kommen.<br />
3. Betriebsarzt in Kanzleien mit mehr als<br />
10 Arbeitnehmern<br />
Hier ist nur die Regelbetreuung ohne Summierung<br />
möglich. Bei 11 Arbeitnehmern bedeutet das 2,2 Stunden<br />
jährlich (11 x 0,2 Std.).<br />
4. Fachkraft für Arbeitssicherheit in Kanzleien mit mehr<br />
als 10 Arbeitnehmern<br />
Auch hier ist die Regelbetreuung ohne Summierung vorgesehen.<br />
Bei 11 Arbeitnehmern bedeutet das 3,3 Stunden<br />
jährlich (11 x 0,3 Std.). Allerdings kann auch das Unternehmermodell<br />
gewählt werden, was in größeren Kanzleien diskutierbar<br />
sein könnte.<br />
Im Ergebnis heißt das: kleinere Kanzleien können es bei<br />
den satzungsgemäßen Vorgaben belassen. Dann gestaltet<br />
sich der Einsatz des Betriebsarztes nach der Regelbetreuung<br />
und der Fachkraft für Arbeitssicherheit nach der<br />
Grundbetreuung. In beiden Fälle kann man dann aufschieben<br />
und hat alle drei Jahre den Betriebsarzt für 4 Stunden<br />
und nach drei Jahren die Fachkraft für Arbeitssicherung 6<br />
Stunden und dann alle 6 Jahre für 2 Stunden im Haus. Bei<br />
großen Kanzleien ist immer die Regelbetreuung vorgesehen,<br />
man kann sich allerdings Gedanken darüber machen,<br />
ob man für den Bereich der Fachkraft für Arbeitssicherheit<br />
das Unternehmermodell wählt.<br />
Wie wird das in der Praxis umgesetzt? Mit der sicherheitstechnischen<br />
Überwachung haben schon viele Anwälte<br />
Erfahrungen gemacht. Ähnlich wird es bei den Betriebsärzten<br />
laufen: man muss Externe bestellen und bezahlen. Es<br />
empfiehlt sich folgendes Vorgehen:<br />
1. Bei der Verwaltungsberufsgenossenschaft sollte man<br />
sich kostenlos die Schrift SP 26 Sicherheitstechnische und<br />
arbeitsmedizinische Betreuung kommen lassen. Dort werden<br />
alle Einzelheiten aufgeführt und Tipps gegeben.<br />
2. In den langjährigen Fristenkalender, in den auch Verjährungen<br />
eingetragen werden, sollte man die oben genannten<br />
Untersuchungsfristen markieren.<br />
3. Man sollte sich nach Dienstleistern für die Sicherheitstechnische<br />
und arbeitsmedizinische Betreuung umsehen.<br />
Überstürzte Eile ist nicht geboten. Auch sollte man<br />
darauf achten, dass andere Berufsgruppen hier ein neues<br />
Betätigungsfeld sehen. Es lohnen sich Preis- und Qualitätsvergleiche<br />
der Anbieter.<br />
Insgesamt wird mancher Anwalt dazu neigen, über zusätzliche<br />
Kosten und Bürokratie zu klagen. Es ist nicht zu<br />
bestreiten, dass das Regelwerk zusätzliche Lasten mit sich<br />
bringt. Man muss aber sehen, dass hier nur eine seit 27 Jahren<br />
leer laufende Rechtslage in die Wirklichkeit umgesetzt<br />
wird. Der Berufsgenossenschaft ist es auch gelungen, eine<br />
Kompromisslösung zu finden, die die Zustimmung der<br />
staatlichen Aufsicht gefunden hat. Sie hat sich sehr bemüht,<br />
ein einigermaßen transparentes und unbürokratisches Verfahren<br />
zu finden. Es hat keine Sinn, hier Obstruktion zu<br />
leisten: das Ziel der Sicherung eines gesunden Arbeitsplatzes<br />
im Büro des digitalen Zeitalters ist letztlich auch im
174<br />
l<br />
Sinne des Anwalts selbst. Der DAV wird sich bemühen,<br />
auch im betriebsärztlichen Bereich seriöse Anbieter nachweisen<br />
zu können.<br />
Die gesetzliche Unfallversicherung, bis zum 31.12.1996<br />
noch in der RVO geregelt, ist fast unverändert in das SGB<br />
VII übernommen worden. Man ging davon aus, dass sich<br />
dieser Zweig der gesetzlichen Versicherung bewährt habe.<br />
Das kann auch noch für heute gelten. Zwar gibt es auch in<br />
der gesetzlichen Unfallversicherung Strukturprobleme. Gemessen<br />
an den Schwierigkeiten anderer großer Versicherungssysteme<br />
(Renten- und Krankenversicherung) ist die<br />
Unfallversicherung heute noch im Wesentlichen unversehrt.<br />
Sie sollte genutzt werden.<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
Haftpflichtfragen<br />
Rechtsanwältin Antje Jungk<br />
Allianz Versicherungs-AG München<br />
Besondere Verjährungsvorschriften nach der<br />
Schuldrechtsreform<br />
Seit dem 1.1.2002 ist das „Gesetz zur Modernisierung<br />
des Schuldrechts“ nun in Kraft. Insbesondere das Verjährungsrecht<br />
hat tief greifende Änderungen erfahren. Über die<br />
Vor- und Nachteile der Neuregelungen lässt sich trefflich<br />
streiten, wie die zahlreichen Kommentare in den Fachzeitschriften<br />
zeigen. Doch auch wer die Änderungen ablehnt,<br />
muss mit ihnen leben. Die Versäumung von Verjährungsfristen<br />
macht von jeher einen erheblichen Teil der anwaltlichen<br />
Haftungsfälle aus. Die Überwachung der Fristen ist<br />
dabei nur die eine Seite der Medaille: Gerade jetzt in<br />
der Übergangszeit stellt die zutreffende Berechnung der<br />
Fristen – unter Berücksichtigung der Hemmungszeiträume<br />
(!) und der schwierigen Übergangsregelungen in Art. 229<br />
§ 6 EGBGB – erhöhte Anforderungen an jeden Anwalt.<br />
Über die Neuerungen im Allgemeinen Teil des BGB hatten<br />
wir bereits im letzten Heft (Dobmaier, AnwBl 2002,<br />
107) berichtet. Die neue Regelverjährung von 3 Jahren,<br />
kenntnisabhängig, als Jahresendfrist (§§ 195, 199 BGB) ist<br />
hoffentlich schon den meisten in Fleisch und Blut übergegangen.<br />
1. Sonderregelungen im Allgemeinen Teil des BGB<br />
10-Jahres-Fristen haben wir nun zum einen in den in<br />
§ 196 BGB genannten Fällen. Im Gegensatz zur bisherigen<br />
Rechtslage verjähren Ansprüche auf Übertragung oder Aufhebung<br />
eines Rechts am Grundstück bereits nach 10 Jahren.<br />
Wolfsteiner (DNotZ 2001, 902) weist darauf hin, dass hierunter<br />
auch Rückgewähransprüche aus Grundschulden fallen.<br />
Er empfiehlt, die Verjährung hier durch eine nach § 202<br />
BGB ohne weiteres zulässige vertragliche Vereinbarung auf<br />
30 Jahre zu verlängern. Zu einer 10-jährigen Verjährung<br />
kann es aber auch bei solchen Ansprüchen kommen, die<br />
grds. der 3-jährigen Regelverjährung unterfallen, bei denen<br />
jedoch die Verjährungsfrist mangels Kenntnis des Gläubigers<br />
nicht zu laufen beginnt. In jedem Fall, also auch dann,<br />
wenn der Gläubiger beispielsweise nach 9 Jahren Kenntnis<br />
von allen anspruchsbegründenden Umständen und der Per-<br />
son des Schuldners erlangt, verjährt der Anspruch taggenau<br />
nach 10 Jahren. Eine Sondervorschrift findet sich ferner in<br />
§ 852 S. 2 BGB für den Herausgabeanspruch nach deliktischen<br />
Handlungen.<br />
Die 30-Jahres-Frist ist gemäß § 197 BGB (wie bisher)<br />
insbesondere einschlägig für Herausgabeansprüche aus<br />
dinglichen Rechten, familien- und erbrechtliche sowie titulierte<br />
Ansprüche. Unter besonderen Umständen kann auch<br />
für Schadensersatzansprüche die 30-Jahres-Frist zur Anwendung<br />
kommen: Mangels Kenntnis des Gläubigers verjähren<br />
Schadensersatzansprüche wegen Verletzung von Leben,<br />
Körper, Gesundheit oder Freiheit 30 Jahre nach dem Schadensereignis,<br />
andere Schadensersatzansprüche dann, wenn<br />
zusätzlich der Schaden auch noch nicht entstanden ist.<br />
So weit wären die Verjährungsvorschriften einigermaßen<br />
übersichtlich. Man darf dabei aber nicht übersehen, dass es<br />
auch Verjährungsvorschriften innerhalb und außerhalb des<br />
BGB gibt, die nicht geändert wurden. Zudem sind auch<br />
neue besondere Verjährungsvorschriften zu beachten. Im<br />
BGB sind dies insbesondere die Gewährleistungsvorschriften<br />
im Kauf- und Werkvertragsrecht.<br />
2. Neue Regelungen im Besonderen Teil des BGB<br />
AnwBl 3/2002<br />
Mitteilungen<br />
a) Kaufvertrag<br />
Im Kaufvertragsrecht gelten zunächst die allgemeinen<br />
Regelungen, d. h. der Anspruch auf Eigentumsübertragung<br />
und Gegenleistung verjährt in der regelmäßigen Frist von<br />
nunmehr nur noch 3 Jahren, bei Grundstücksrechten gemäß<br />
§ 196 BGB nach 10 Jahren. Komplizierter wird es bei der<br />
Verjährung der Gewährleistungsansprüche. Einschlägig ist<br />
hier § 438 BGB. Die Verjährung beginnt jeweils mit Übergabe<br />
bzw. Ablieferung der Sache und beträgt 2 Jahre (statt<br />
bisher 6 Monate!), bei Bauwerken und Verwendung für dieselben<br />
5 Jahre, wegen eines Mangels auf Grund dinglicher<br />
Rechte eines Dritten sogar 30 Jahre. Diese Fristen gelten<br />
zwar gemäß § 438 Abs. 1 BGB grds. nur für Nacherfüllungs-<br />
und Schadensersatzansprüche und nicht für Gestaltungsrechte;<br />
auf dem Umweg über §§ 438 Abs. 4, 5, 218<br />
BGB kommt man aber bezüglich Rücktritt und Minderung<br />
zum selben Ergebnis.<br />
Nach altem Recht war für die zutreffende Beurteilung<br />
der Verjährung nicht nur die Kenntnis des Gesetzeswortlauts<br />
nötig, sondern die Rechtsprechung hatte verschiedenste<br />
Konstruktionen entwickelt, um die kurze Verjährungsfrist<br />
von 6 Monaten zu überwinden. § 437 Nr. 3 BGB<br />
lässt solche Differenzierungen nicht mehr zu. Westermann<br />
(NJW 2002, 250) weist allerdings darauf hin, dass man wegen<br />
eines Sachmangels zum „großen“ Schadensersatz greifen<br />
und damit zur (kenntnisabhängigen) Regelverjährung<br />
kommen könne. Für den Fall des arglistigen Verschweigens<br />
eines Mangels verweist § 438 Abs. 3 BGB ebenfalls auf<br />
die Regelverjährung, wobei dem Käufer eine evtl. längere<br />
5-jährige oder gar 10-jährige Verjährung gemäß § 438<br />
Abs. 1 BGB gleichwohl zugute kommt.<br />
Der Rechtsprechung überlassen bleiben sicherlich die<br />
schon bisher diskutierten Sonderprobleme, namentlich Anspruchskonkurrenzen<br />
zum Deliktsrecht, z. B. beim „weiterfressenden<br />
Mangel“. Die Anwendung der alten 6-Monats-<br />
Frist im Gegensatz zur kenntnisabhängigen Frist des § 852<br />
BGB a. F. führte hier zu z. T. krass unterschiedlichen Beurteilungen.<br />
Auch wenn der Unterschied zwischen § 438
AnwBl 3/2002 175<br />
Mitteilungen l<br />
BGB und der Regelverjährung nun nicht mehr so eklatant<br />
ist, kann jedenfalls die Kenntnisabhängigkeit gemäß § 199<br />
BGB immer noch zu einer deutlich längeren Verjährungsfrist<br />
führen.<br />
b) Verbrauchsgüterkauf<br />
Ein Novum im BGB ist der in §§ 474 ff. geregelte Verbrauchsgüterkauf,<br />
bei dem auf Käuferseite ein Verbraucher,<br />
auf Verkäuferseite ein Unternehmer steht. Die Regelungen<br />
berücksichtigen insbesondere, dass es sich dabei i.d.R. um<br />
eine Lieferantenkette handelt. Als besondere Verjährungsvorschrift<br />
ist dabei dann § 479 BGB zu beachten: Die Vorschrift<br />
unterscheidet zwischen dem eigentlichen Gewährleistungsanspruch<br />
des Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer<br />
und solchen Schäden, die dem Unternehmer selbst<br />
auf Grund der Mangelhaftigkeit der Ware entstehen. Für<br />
letztere gilt die 2-Jahres-Frist ab Ablieferung beim Unternehmer<br />
selbst (§ 479 Abs. 1 BGB). Die Verjährung der<br />
Rückgriffsansprüche wegen der eigentlichen Gewährleistungsansprüche<br />
des Käufers (Verbrauchers) ist allerdings<br />
gemäß § 479 Abs. 2 BGB bis zu 5 Jahre ab Ablieferung<br />
beim Unternehmer gehemmt. Nur so hat nämlich der Unternehmer<br />
eine realistische Chance, noch Rückgriff zu nehmen,<br />
wenn der Verbraucher erst kurz vor Ablauf der Verjährungsfrist<br />
seine Ansprüche geltend macht. Die Verjährung<br />
tritt dann frühestens 2 Monate nach Erfüllung der<br />
Ansprüche des Verbrauchers ein. Eine vertraglich vereinbarte<br />
Verkürzung der Gewährleistungsfristen ist gemäß<br />
§ 475 Abs. 2 BGB nur für gebrauchte Sachen und auf nicht<br />
weniger als 1 Jahr zulässig.<br />
c) Werkvertrag<br />
Die besondere Verjährungsvorschrift im Werkvertragsrecht<br />
ist § 634a BGB. Die Regelungen entsprechen im Wesentlichen<br />
dem Kaufvertragsrecht: Auch hier löst grds. eine<br />
2-Jahres-Frist die bisherige 6-Monats-Frist ab. Für Bauwerke<br />
gelten 5 Jahre, für nicht körperliche Werke wird auf<br />
die Regelverjährung verwiesen. Zu beachten ist dabei,<br />
dass Gewährleistungsansprüche für Planungs- und Überwachungsleistungen<br />
entsprechend denen für das Werk<br />
selbst verjähren. Die Gewährleistungsverjährung für körperliche<br />
Werke beginnt mit der Abnahme. Für Rücktritts- und<br />
Minderungsrechte kommt man über §§ 634a Abs. 4, 5, 218<br />
BGB zu denselben Fristen, für arglistiges Verschweigen<br />
wird ebenfalls auf die Regelverjährung verwiesen.<br />
d) Reisevertrag<br />
Etwas versteckt, aber gleichwohl von Bedeutung, findet<br />
sich eine weitere Verlängerung von 6 Monaten auf 2 Jahre<br />
in § 651g Abs. 2 BGB für reisevertragliche Mängelansprüche.<br />
Die Monatsfrist gemäß § 651 g Abs. 1 BGB<br />
bleibt allerdings bestehen!<br />
3. Nicht geänderte Fristen im Besonderen Teil des BGB<br />
Neben den genannten ausdrücklichen Neuregelungen im<br />
Kauf-, Werk- und Reisevertragsrecht gibt es nach wie vor<br />
weitere Fristen im BGB, die nicht unter die allgemeinen<br />
Regelungen der §§ 194 ff. BGB fallen.<br />
Bei einer 6-Monats-Frist bleibt es beispielweise für Ersatzansprüche<br />
beim Leihvertrag (§ 606 BGB), Nießbrauch<br />
(§ 1057 BGB) oder Pfandrecht (§ 1226 BGB).<br />
Ansprüche aus einer Inhaberschuldverschreibung erlöschen<br />
nach 30 Jahren, verjähren aber 2 Jahre nach Vorlegung<br />
(§ 801 BGB), aus Zinsscheinen in 4 Jahren (§ 804<br />
Abs. 1 S. 3 BGB), aus einem Verlöbnis nach 2 Jahren<br />
(§ 1302 BGB).<br />
Die kenntnisabhängige 3-Jahresfrist für den Zugewinnausgleichsanspruch<br />
(§ 1378 IV BGB) wird man wohl dennoch<br />
als lex specialis ansehen müssen, ebenso diejenige für<br />
den Pflichtteilsanspruch (§ 2332 BGB).<br />
Eher erstaunlich ist die erst am 1.9.2001 in Kraft getretene<br />
Neufassung des § 548 BGB. Auch hier bleibt es bei<br />
der 6-Monats-Frist für Ersatzansprüche aus dem Mietvertrag.<br />
Als Neuerung wurde allerdings § 548 Abs. 3 BGB<br />
eingefügt, nach dem die Verjährung durch Beantragung des<br />
selbstständigen Beweisverfahrens unterbrochen werden<br />
kann. Nach § 204 Nr. 7 BGB führt das selbstständige Beweisverfahren<br />
nur noch zu einer Verjährungshemmung. Die<br />
Vorschrift ist daher nicht systemkonform. Sie dahingehend<br />
auszulegen, dass nunmehr eine Hemmung bewirkt wird,<br />
wäre aber m. E. contra legem. Man wird wohl von einem<br />
Neubeginn ausgehen dürfen.<br />
4.Verjährungsregelungen außerhalb des BGB<br />
Es stellt sich zuletzt die Frage, welche Auswirkungen<br />
die Neuregelung der Verjährungsvorschriften im BGB für<br />
die außerhalb des BGB geregelten Ansprüche hat.<br />
a) Geänderte Vorschriften<br />
Ausdrücklich geändert und mit einem Verweis auf die<br />
neuen Verjährungsvorschriften im BGB, insbesondere Regelverjährung<br />
bzw. Hemmung, versehen wurden beispielsweise<br />
§ 159 Abs. 4 HGB, Art. 53 ScheckG, §§ 33 Abs. 3,<br />
141 PatG, § 24c GebrMG, § 20c MarkenG, § 9 Abs. 3<br />
HalbleiterschutzG, § 102 UrhG, § 14a Abs. 4 GeschmMG,<br />
§ 117 Abs. 2 BBergG, § 37c SortenschutzG, § 189 des Gesetzes<br />
zur Verbesserung der betrieblichen Altersvorsorge<br />
und Art. 3 CMR (Verweis auf § 438 Abs. 3 BGB).<br />
b) Nicht ausdrücklich geänderte Vorschriften<br />
Interessanter ist die Frage, wie diejenigen Vorschriften<br />
zu verstehen sind, die ihrerseits keine ausdrückliche Änderung<br />
erfahren haben. Sollen hier im Sinne einer einheitlichen<br />
Neuregelung die allgemeinen Vorschriften über Verjährungsbeginn,<br />
-hemmung etc. nach der Neufassung des<br />
BGB Anwendung finden? Oder ist die jeweilige Vorschrift<br />
bewusst auf das alte Recht zugeschnitten und somit auch<br />
weiterhin in diesem Sinne zu verstehen?<br />
Im öffentlichen Recht führten z. B. Verweisungen auf<br />
das BGB vielfach zu einer 30-jährigen Verjährungsfrist.<br />
Man kann bezweifeln, ob auch hier nun in allen Fällen eine<br />
Verkürzung auf 3 Jahre gewollt ist. Mansel (NJW 2002, 91)<br />
beispielsweise geht davon aus, dass es im Zweifel bei der<br />
30-Jahres-Frist bleibt, sofern nicht die Interessen- und<br />
Normzweckanalyse ein anderes ergibt.<br />
Im Übrigen wird man davon ausgehen können und<br />
dürfen, dass die nicht ausdrücklich geänderten Verjährungsvorschriften<br />
(z.B. § 12 ProdHG, § 12 I 2 VVG) selbst bestehen<br />
bleiben, bzgl. Neubeginn oder Hemmung aber neues<br />
Recht Anwendung findet.<br />
Als für die Anwaltschaft wichtige Vorschriften seien in<br />
diesem Zusammenhang ausdrücklich §§ 51b BRAO, 68
176<br />
l<br />
StBerG und 51a WirtschPrO genannt. Es mag dahinstehen,<br />
ob solche Sondervorschriften an die neuen allgemeinen Vorschriften<br />
anzupassen sind, wie dies zuweilen gefordert wird<br />
(so beispielsweise Heinrichs, BB 2001, 1417, 1420). Wenn<br />
Heinrichs allerdings bereits nach bestehender Rechtslage<br />
die neuen Vorschriften des BGB am Beispiel eines Anwaltshaftungsfalles<br />
erläutert, so überzeugt dies nicht. § 51b<br />
BRAO gilt mangels ausdrücklicher Änderung als lex specialis<br />
fort. Allein die jetzt auch hierfür geltenden allgemeinen<br />
Vorschriften über Neubeginn und Hemmung, insbesondere<br />
Hemmung der Verjährung durch Verhandlungen (§ 203<br />
BGB), können im Einzelfall zu anderen Ergebnissen führen.<br />
Buchhinweis<br />
Jürgen Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Nomos-Verlagsgesellschaft,<br />
1. Auflage 2000<br />
Was muss ein Kommentar zum europäischen Recht leisten, der den<br />
Bedürfnissen des Praktikers genügt? Er muss handlich sein, übersichtlich<br />
und detailliert. Er muss nicht nur die Vorschriften der Verträge<br />
darstellen, sondern auch die vielfältigen Normen des Sekundärrechts<br />
und die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte, die<br />
das EG-Recht fortentwickelt und konkretisiert haben. Dem Kommentar<br />
von Schwarze und seiner Mit-Autoren ist das weitestgehend<br />
gelungen, auch und gerade im Vergleich zu den älteren in<br />
letzter Zeit in neuer Auflage erschienenen umfangreichen anderen<br />
Kommentaren. Handlich ist die Darstellung des gesamten EU- und<br />
EG-Rechts in einem festen Band auf 2660 Seiten. Das ist allerdings<br />
mit dem raschen Veralten eines Kommentars auf einem<br />
Rechtsgebiet, das sich in dynamischer Fortentwicklung befindet,<br />
verbunden. Der Kommentar ist nach den Änderungen durch den<br />
Vertrag von Amsterdam aktuell, die Änderungen von Nizza konnten<br />
allerdings nicht berücksichtigt werden. Es ist deshalb zu hoffen,<br />
dass der ersten Auflage in kurzem Abstand eine zweite folgen<br />
wird.<br />
An dem von Schwarze herausgegebenen Werk haben 41 Autoren<br />
mitgewirkt, die in ihren Kommentierungen ausschließlich ihre persönliche<br />
Auffassung wiedergeben. Nichtsdestoweniger hat die<br />
Schriftleitung von Ulrich Becker, Armin Hatje und Johann Schoo<br />
ein einheitliches Werk zustande gebracht, auch wenn es manche<br />
Überschneidungen und Unterschiede gibt. Die Autoren repräsentieren<br />
eine gute Mischung von Wissenschaftlern und Praktikern, letztere<br />
meistens aus den Diensten des Rates, der Kommission und des<br />
Europäischen Parlaments. Anwälte sind – leider – nur relativ spärlich<br />
vertreten, allerdings meist mit besonders wichtigen Abschnitten,<br />
wie z. B. Meesenburg mit dem Kapitel über die Zollunion und<br />
Bär Bouyssiere zu den staatlichen Beihilfen. Ein kleiner Mangel<br />
ist die fehlende Internationalität. Einziger Ausländer ist Prof. Holoubek,<br />
Wien. Für die Nutzung in der Rechtspraxis zu begrüßen ist<br />
auch der Abdruck der wichtigsten Protokolle zum EG-Vertrag und<br />
zum EU-Vertrag, der Satzung des Gerichtshofs und der Verfahrensordnungen<br />
im Anhang.<br />
Der Vertrag über die Europäische Union wird auf insgesamt 190<br />
Seiten, also weniger als einem Zehntel des Werkes, entsprechend<br />
seiner Bedeutung in der gebotenen Kürze kommentiert. Die Europäische<br />
Union ist, wie Cordula Stumpf zu Art. 1 EUV richtig<br />
betont, eine internationale Organisation oder, wie das BVerfG in<br />
seinem Maastricht-Urteil formuliert, ein Staatenverbund. Sie ist<br />
also keine voll ausgereifte supranationale Organisation und damit<br />
keine Rechtsgemeinschaft im engeren Sinne. Grundlage der Union<br />
sind, wie in Art. 1 Abs. 3 EUV formuliert, die Europäischen<br />
Gemeinschaften, was in dem Kommentar zutreffend betont wird.<br />
Das plastische aber falsche Bild der drei Säulen – Gemeinsame<br />
Außen- und Sicherheitspolitik, Zusammenarbeit in den Bereichen<br />
Justiz und Inneres und Europäische Gemeinschaften – wird aller-<br />
AnwBl 3/2002<br />
Mitteilungen<br />
dings in der Kommentierung (Rdnr. 38 zu Art. 1 EUV) nicht genügend<br />
kritisiert.<br />
Für den Praktiker von besonderer Bedeutung ist Art- 6 EUV, der<br />
die Verfassungsprinzipien und die Achtung der Grundrechte statuiert.<br />
Wegen der Nennung der Grundrechte an dieser Stelle des EU-<br />
Vertrages werden Grundrechte als allgemeine Rechtsgrundsätze<br />
des Gemeinschaftsrechts dort behandelt. Das mag bei einem an<br />
dem Vertrags-Text orientierten Kommentar eine gewisse Berechtigung<br />
haben, ist aber angesichts der Entwicklung der allgemeinen<br />
Rechtsgrundsätze und Grundrechte durch die Rechtsprechung des<br />
Europäischen Gerichtshofs der Sache nach nicht angemessen.<br />
Demgemäss ist der erwähnte Abschnitt (Rdnr. 17 bis 41 zu Art. 6<br />
EUV) relativ knapp ausgefallen. Andere Kommentatoren haben<br />
Grundrechte und allgemeine Rechtsgrundsätze denn auch in ihren<br />
Abschnitten spezieller behandelt, so Holoubek das allgemeine Diskriminierungsverbot<br />
ausführlich zu Art. 12 EGV (Rdnr. 38 bis 55)<br />
und Hix die allgemeinen Rechtsgrundsätze und Grundrechte in der<br />
Gemeinsamen Agrarpolitik zu Art. 34 EGV (Rdnr. 68 bis 87). Dort<br />
ist insbesondere die erschöpfende Darstellung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes<br />
anhand der Rechtsprechung des EuGH hervorzuheben.<br />
Nicht erwähnt wird allerdings, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip<br />
in das europäische Recht vor allem aufgrund des<br />
Einflusses des deutschen Verwaltungsrechts und deutscher Richter<br />
Eingang gefunden hat.<br />
Ein weiterer für den Anwalt wichtiger Teil des EU-Vertrages sind<br />
die Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit<br />
in Strafsachen der Art. 29 ff. EUV. Böse von der Technischen<br />
Universität Dresden kommentiert ihn ausführlich, was angesichts<br />
der Unübersichtlichkeit der dort vorgesehenen Maßnahmen<br />
der intergouvemementalen Zusammenarbeit besonders schwierig<br />
ist. Die schwachen Möglichkeiten der europäischen Organe zur<br />
Förderung dieser Zusammenarbeit kommen gut zum Ausdruck.<br />
Vorsichtig kritisch wird auch die geringe Möglichkeit zur gerichtlichen<br />
Kontrolle durch den Gerichtshof gemäß Art 35 EUV erwähnt,<br />
deutlicher kritisiert die praktische Ausschaltung des Parlaments,<br />
das nach Art. 39 EUV nur Stellungnahmen abgeben darf. Auch<br />
eine Beteiligung der nationalen Parlamente im Bereich der polizeilichen<br />
und justiziellen Zusammenarbeit hat sich, wie zu Art. 39<br />
EUV (Rdnr. 5) bemerkt wird, bisher nicht abgezeichnet: „Dies ist<br />
gerade in einem so eingriffsintensiven Bereich wie dem Straf- und<br />
Strafverfahrensrecht bedenklich“.<br />
Wesentlich ausführlicher ist sodann die Kommentierung des EG-<br />
Vertrages. Mit Recht betont Schwarze zu Art. 1 EGV (Rdnr. 3),<br />
dass der Vertrag von Maastricht in der Sache eine weitere Zunahme<br />
der Regelung von nichtwirtschaftlichen Sachverhalten im EGV<br />
mit sich gebracht hat, insbesondere die Aufnahme zahlreicher neuer<br />
Kompetenzen, wie z. B. der Sozialpolitik, der Berufsbildungsund<br />
Kulturpolitik, des Gesundheitswesens, des Verbraucherschutzes<br />
und der Forschungs- und Technologiepolitik. Im folgenden<br />
können nur einige für den Wirtschaftsanwalt besonders wichtige<br />
Bereiche des europäischen Wirtschaftsrechts rezensiert werden.<br />
Auf die Kommentierung des Diskriminierungsverbots gemäß<br />
Art. 12 EGV durch den Österreicher Holoubek wurde schon hingewiesen.<br />
Er bezeichnet das Verbot der Diskriminierung aus Gründen<br />
der Staatsangehörigkeit im Anschluss an Ipsen als die „Magna<br />
Charta“ des Vertrags. Die Überwindung des Fremden-Status im<br />
Bezug auf Gemeinschaftsbürger ist eine notwendige Voraussetzung<br />
für einen funktionierenden Binnenmarkt. Anhand von Beispielen<br />
aus der Rechtsprechung werden offene und versteckte Diskriminierung<br />
detailliert dargestellt. Allenfalls das Thema der Inländerdiskriminierung<br />
(Rdnr. 33 zu Art. 12 EGV) hätte um einen kurzen<br />
Blick auf das innerstaatliche deutsche und österreichische Recht erweitert<br />
werden können.<br />
Grundlage der Gemeinschaft ist gemäß Art. 23 EGV eine Zollunion.<br />
Deshalb kommt diesem Abschnitt (Art. 23 bis 27 EGV)<br />
große praktische Bedeutung zu. Kurz aber mit einer bemerkenswerten<br />
Gründlichkeit behandelt Messenburg das Zollrecht der EG,<br />
aber auch das GATT-Recht und das Internationale Übereinkommen<br />
über das harmonisierte System zur Bezeichnung und Kodierung<br />
der Waren von 1983. Die Bedeutung der Rechtsprechung des
AnwBl 3/2002 177<br />
Mitteilungen l<br />
EuGH zum Zollrecht (Rdnr. 32 zu Art. 26 EGV) bewertet er allerdings<br />
wohl etwas zu schwach.<br />
Die Landwirtschaft ist der am strengsten regulierte Bereich des<br />
Gemeinschaftsrechts und finanziell von großer Bedeutung; nach<br />
wie vor fließt knapp die Hälfte des Gemeinschaftshaushalts in das<br />
Agrarwesen. Deshalb ist die ausführliche und sachkundige Kommentierung<br />
der Art. 32 bis 38 EGV durch Hix vom Juristischen<br />
Dienst des Rates zu begrüßen. Auch hier ermöglicht ein umfangreiches<br />
Literaturverzeichnis zu Beginn des Abschnittes weiterführende<br />
Lektüre. Mit Recht betont Hix, dass die Struktur des Art. 32<br />
und der übrigen Vorschriften des Titels II „nicht besonders übersichtlich<br />
gestaltet“ ist. Das gilt allerdings noch mehr für das Sekundärrecht<br />
im Agrarbereich. Die Rechtsangleichung in den verschiedenen<br />
Branchen, wie Veterinärwesen und Futtermittel,<br />
Tierschutz, Phytosanitärwesen und Saat- und Pflanzgut, wird kurz<br />
dargestellt. Wichtiger ist sodann die Darstellung der Gemeinsamen<br />
Agrarpolitik gemäß Art. 33 ff. EGV. Die bisherige Agrarmarktpolitik<br />
der Gemeinschaft wird mit der notwendigen Zurückhaltung kritisiert<br />
(Rdnr. 4 zu Art. 34 EGV). Von dem bisherigen<br />
Marktstützungsregime, gekennzeichnet durch Interventionsmaßnahmen<br />
mit garantierten Mindestpreisen, muss nicht nur auf dem<br />
Hintergrund des zunehmenden Drucks der Handelspartner der EU<br />
im Rahmen der WTO, wie Hix meint, sondern auch wegen der auf<br />
Dauer nicht tragbaren Kosten abgegangen werden. Schließlich gibt<br />
Hix einen Überblick über die einzelnen Marktordnungen von Getreide<br />
über Rohtabak bis zur Bananenmarktordnung und den Milcherzeugnissen.<br />
Die Kommentierung des Kartellrechts im Rahmen der Wettbewerbsregeln<br />
(Art. 81 bis 86 EGV) hat Rechtsanwalt Brinker vorgenommen.<br />
Auch hier ist für den Praktiker bedeutsam, dass nicht<br />
nur Vertragsvorschriften kommentiert werden, sondern auch ein<br />
Überblick über das Sekundärrecht gegeben wird (Rdnr. 12 bis 20<br />
zu Art. 81 EGV). Neben die förmlichen Rechtsakte des Rates und<br />
der Kommission treten verschiedene Bekanntmachungen und Mitteilungen<br />
der Kommission, die im einzelnen aufgeführt werden.<br />
Als Einzelfälle werden Vertriebsverträge, Technologietransfer-Vereinbarungen,<br />
Branchenregelungen und Kooperationen in verschiedenen<br />
Bereichen, vor allem gemeinsame Forschung und Entwicklung,<br />
dargestellt. Der Abschnitt kann als eine Kurzfassung des EG-<br />
Kartellrechts bezeichnet werden, wobei auch hier wieder besonders<br />
ausführliche Literaturverzeichnisse weiter führen.<br />
Art. 86 EGV, der die Anwendbarkeit der Wettbewerbsregeln auf<br />
öffentliche Unternehmen regelt, kommentiert von Burchard von<br />
der Ruhrgas AG. Wegen der vor allem in Deutschland virulenten<br />
Diskussion um die sogenannten „öffentlichen Vorsorgeleistungen“<br />
ist die Kommentierung des Art. 86 Abs. 2 EGV, der Ausnahmen<br />
von der Geltung der Vertragsvorschriften enthält (Rdnr. 51 bis 77),<br />
besonders aktuell. Von Burchard betont, dass der Begriff der<br />
Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse unscharf<br />
sei (Rdnr. 63). Aus der Rechtsprechung des EuGH ergibt<br />
sich, dass den Mitgliedstaaten insoweit ein gewisser, wenn auch<br />
begrenzter Ermessensspielraum zukommt. Dafür werden vielfältige<br />
Beispiele, nämlich die Tätigkeit öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten,<br />
das Monopol für die Einrichtung und den Betrieb des öffentlichen<br />
Fernmeldenetzes, die öffentliche Postverteilung sowie<br />
Monopole bei Strom und Gas, genannt.<br />
Ein Glanzpunkt des Werkes ist die Kommentierung des Rechtsschutzes<br />
zu den Art. 220 bis 245 EGV, die Schwarze aufgrund seiner<br />
umfangreichen Vor-Publikationen, wie sie aus dem Literaturverzeichnis<br />
ersichtlich sind, selbst vorgenommen hat. Eingangs<br />
betont er zu Art 220 EGV, dass diese grundlegende Vorschrift objektiv-rechtlich<br />
gefasst sei (Rdnr. 2): „Es ist allein von der Wahrung<br />
des Rechts, nicht vom Schutz subjektiver Rechte die Rede.“ Das<br />
sei der Einfluss des französischen Verwaltungsrechts. Die Garantie<br />
gerichtlichen Rechtsschutzes als solche sei in der EG auf nennenswerte<br />
Einflüsse aus Deutschland zurückzuführen. Aus der Entscheidung<br />
Van Gend & Loos (Rs 26/62, Slg. 1963, 1) wäre hier allerdings<br />
die Formulierung nachzutragen: „Die Wachsamkeit der an<br />
der Wahrung ihrer Rechte interessierten Einzelnen stellt eine wirksame<br />
Kontrolle dar, welche die durch die Kommission und die Mitgliedstaaten<br />
gemäß den Artikeln 169 und 170 ausgeübte Kontrolle<br />
ergänzt.“ Demgemäss hat der Gerichtshof, wie Schwarze mit Recht<br />
betont (Rdnr. 3 zu Art. 220 EGV), die Bestimmungen des EGV in<br />
rechtsschutzfreundlicher Weise ausgelegt. Er begreift das Gemeinschaftsrecht<br />
als System eines möglichst umfassenden Rechtsschutzes.<br />
Der kurze Abschnitt über die richterliche Rechtsfortbildung<br />
durch den Gerichtshof (Rdnr. 4 bis 6 zu Art. 220 EGV) kann auch<br />
jedem Neuling im europäischen Recht als kurze Einführung in die<br />
europäische Rechtsgeschichte empfohlen werden. Der Gerichtshof<br />
hat das Gemeinschaftsrecht vom herkömmlichen allgemeinen Völkerrecht<br />
gelöst und als eine „neue, eigene Rechtsordnung“ interpretiert.<br />
Auch in diesem Zusammenhang werden ein weiteres Mal die<br />
allgemeinen Rechtsgrundsätze und die Grundrechte des Gemeinschaftsrechts<br />
(ohne Verweisungen auf die früheren ausführlicheren<br />
Abschnitte) behandelt (Rdnr. 14 bis 17). Wichtig für den Rechtsanwalt<br />
ist die Befugnis privater Personen, gegen Entscheidungen<br />
an Dritte oder gegen Verordnungen Nichtigkeitsklage zu erheben<br />
(Art. 230 Abs. 4 EGV). Dafür ist unmittelbare und individuelle<br />
Betroffenheit erforderlich. Schwarze registriert eine Weiterentwicklung<br />
der ursprünglich strengen Rechtsprechung des Gerichtshofs,<br />
insbesondere in Fällen einer tatsächlichen Verfahrensbeteiligung<br />
und eines Eingriffs in besondere Rechte des Wirtschaftsteilnehmers<br />
(Rdnr. 38 und 39 zu Art. 230 EGV). Er meint allerdings, es bleibe<br />
abzuwarten, ob sich eine weitere Fallgruppe der Beeinträchtigung<br />
spezifischer Rechte, die sich aufgrund der Urteile Extramet und<br />
Codorniu entwickelt hatte, im Bereich der Drittanfechtung durchzusetzen<br />
vermöge (Rdnr. 45). Angesichts der begrenzten Möglichkeit<br />
Privater, gegen Verordnungen vorzugehen, ist das Vorabentscheidungsverfahren<br />
für den Rechtsschutz von eminenter Bedeutung.<br />
Diese wird von Schwarze etwas zu schwach betont: er meint,<br />
neben der Sicherung der einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts<br />
habe das Vorabentscheidungsverfahren „zumindest<br />
mittelbar Bedeutung für den Individualrechtsschutz“ (Rdnr. 1 zu<br />
Art. 234 EGV). Hier könnten auch statistische Angaben über die<br />
Zahl der Vorabentscheidungsverfahren im Vergleich zu den anderen<br />
Klagearten dessen Bedeutung unterstreichen (von 273 Urteilen des<br />
Europäischen Gerichtshofs im Jahre 2000 waren mehr als die<br />
Hälfte, nämlich 152, Urteile in Vorabentscheidungsverfahren, denen<br />
nur 84 direkte Klagen und 37 Berufungsverfahren gegenüber<br />
standen). Bei der Behandlung der Vorlageberechtigung (Rdnr. 25<br />
bis 28 zu Art. 234 EGV) vermisse ich, dass Schwarze nicht auf die,<br />
vom EuGH selbst allerdings abgelehnten, Bestrebungen eingeht,<br />
diese Berechtigung auf die letztinstanzlichen Gerichte eines Mitgliedstaates<br />
zu beschränken. Zur Vorlagepflicht der letztinstanzlichen<br />
Gerichte erwähnt er die Ausnahmemöglichkeit, wenn die richtige<br />
Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist,<br />
dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel besteht. Er betont,<br />
dass der EuGH „hier zu Recht eine restriktive Linie“ verfolgt<br />
(Rdnr. 46 zu Art. 234 EGV).<br />
Schadensersatzklagen, für die der Gerichtshof nach Art. 235 EGV<br />
zuständig ist, werden an dieser Stelle nur kurz behandelt, dafür ausführlich<br />
von Rechtsanwalt Berg zu Art. 288 EGV. Aus dieser Kommentierung<br />
ist insbesondere auf die Ausführungen zum Schadensersatzanspruch<br />
bei normativem Handeln (Rdnr. 42 bis 50) und<br />
gegenüber Mitgliedstaaten (Rdnr. 72 bis 87) hinzuweisen. Die Voraussetzungen<br />
für solche Klagen werden anhand der Rechtsprechung<br />
ausführlich dargestellt, ohne dass allerdings dem im Europarecht<br />
nicht erfahrenen Juristen deutlich wird, wie selten sie Erfolg haben.<br />
Eine Rezension kann nur einige wenige Abschnitte eines derart<br />
umfangreichen Werkes behandeln und würdigen. Schon die dargestellten<br />
Abschnitte zeigen aber, wie gründlich, wissenschaftlich,<br />
aber auch praxisbezogen der Kommentar von Schwarze u. a. ist.<br />
Aus ihm spricht allgemein eine positive Beurteilung der Entwicklung<br />
und des gegenwärtigen Standes des Gemeinschaftsrechts,<br />
wobei kritische Anmerkungen manchmal etwas zu kurz kommen.<br />
Wer einen tiefergehenden Einblick in das Europarecht sucht, aber<br />
vor allem wer Hilfe bei der Bearbeitung eines europarechtlichen<br />
Falles braucht, der sollte zum EU-Kommentar von Schwarze greifen.<br />
Er wird darin klare Antworten und vielfältige Wegweisung<br />
finden.<br />
Rechtsanwalt Dr. Jürgen Gündisch LL.M., Hamburg,<br />
Mitglied des Hamburgischen Verfassungsgerichts
178<br />
l<br />
7<br />
Berufsrecht<br />
GG Art. 3, 12<br />
1. Dem seit der Wiedervereinigung geltenden Recht lässt sich als<br />
Grundgedanke entnehmen, dass in der ehemaligen DDR ausgebildete<br />
Diplom-Juristen mit entsprechenden Berufserfahrung<br />
den Volljuristen gleichgestellt sind.<br />
2. Die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, welche für das<br />
Anwaltsnotariat in Berlin für solche Diplom-Juristen, die im<br />
Zeitpunkt des Beitritts noch nicht zum Anwaltsnotar bestellt<br />
waren, die Befähigung zum Richteramt fordert, verkennt die<br />
Reichweite des Art. 3 Abs. 1 i.V. m. Art. 12, Abs. 1 in Ansehung<br />
der Gesamtregelung zur Integration der Diplom-Juristen.<br />
(LS der Redaktion)<br />
BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 26.9.2001 – 1 BvR<br />
1740/98; 69/99; 521/99<br />
Aus den Gründen: A. Die Beschwerdeführer sind Diplomjuristen,<br />
die beim Land- und beim Kammergericht als Rechtsanwälte<br />
zugelassen sind. Sie begehren die Zulassung als Anwaltsnotare in<br />
Berlin.<br />
I. 1. Nach § 5 der Bundesnotarordnung (BNotO) vom 24.2.1961<br />
(BGBl I S. 98) setzt die Bestellung zum Notar die Befähigung zum<br />
Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz im Folgenden:<br />
DRiG) voraus. Dies gilt gleichermaßen in den Ländern, die das<br />
Nur-Notariat eingeführt haben, wie auch für die Gebiete, in denen<br />
das Anwaltsnotariat gilt (§ 3 BNotO).<br />
2. Im Zuge der Wiedervereinigung wurden – zunächst nur im<br />
Beitrittsgebiet, später im ganzen Bundesgebiet – ergänzende Regelungen<br />
für das Notariatswesen erforderlich.<br />
a) In der Deutschen Demokratischen Republik waren von 1976<br />
bis 1990 die Notare in einer staatlichen Behörde zusammengefasst;<br />
es bestand das Nur-Notariat. Dabei blieb es auch in dem Gebiet der<br />
neuen Länder nach der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren<br />
in eigener Praxis vom 20.6.1990 (GB1 I S. 475; im Folgenden: VO-<br />
Not); als ein erster Schritt der Rechtsangleichung an die Verhältnisse<br />
im Westteil Berlins wurde jedoch im Bezirk des Stadtgerichts<br />
Berlin das Anwaltsnotariat eingeführt. Nach dieser Verordnung<br />
setzte das Notariat in beiden Fällen ein rechtswissenschaftliches<br />
Studium in der Deutschen Demokratischen Republik mit dem<br />
Staatsexamen sowie grundsätzlich einen zweijährigen Vorbereitungsdienst<br />
mit anschließender Staatsprüfung voraus. Der Vorbereitungsdienst<br />
und die Staatsprüfung waren entbehrlich, wenn der<br />
Bewerber zuvor schon Notar in einem Staatlichen Notariat gewesen<br />
war oder aber zehn Jahre als Jurist gearbeitet hat und notarspezifische<br />
Kenntnisse nachweisen konnte. Ergänzt wurden diese Ausnahmen<br />
alsbald durch die Verordnung zur Änderung und Ergänzung<br />
der Verordnung über die Tätigkeit von Notaren in eigener<br />
Praxis vom 22.8.1990 (GB1 I S. 1328) für Bewerber mit der Befähigung<br />
zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz; auch<br />
sie konnten im Beitrittsgebiet zu Notaren bestellt werden, ohne zuvor<br />
Notarassessor (vgl. § 7 BNotO) gewesen zu sein.<br />
b) Nach dem Vertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland<br />
und der Deutschen Demokratischen Republik über die Herstellung<br />
der Einheit Deutschlands – Einigungsvertrag – vom<br />
31.8.1990 (BGBl II S. 889; im Folgenden: EV) blieb die Notariatsverordnung<br />
in den fünf neuen Ländern mit wenigen Änderungen in<br />
Kraft (Anlage II Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 2 EV).<br />
Sie galt bis zum In-Kraft-Treten des Dritten Gesetzes zur Änderung<br />
der Bundesnotarordnung und anderer Gesetze vom 31.8.1998<br />
(BGBl I S. 2585; im Folgenden: 3. ÄndG BNotO) fort.<br />
Demgegenüber galt in dem beigetretenen Teil des Landes Berlin<br />
die Bundesnotarordnung ab dem Beitritt mit folgender Maßgabe:<br />
In dem Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz bisher nicht<br />
galt, werden ausschließlich Rechtsanwälte für die Dauer ihrer Zulassung bei<br />
einem Gericht als Notare zu gleichzeitiger Amtsausübung neben dem Beruf<br />
des Rechtsanwalts bestellt. Rechtsanwälte, die am Tag des Wirksamwerdens<br />
des Beitritts in dem Teil des Landes Berlin zu Anwaltsnotaren in eigener<br />
AnwBl 3/2002<br />
Praxis bestellt sind, werden nach ihrer Zulassung bei einem Gericht in Berlin,<br />
in dem das Grundgesetz bisher nicht galt, zu Anwaltsnotaren nach der<br />
Bundesnotarordnung bestellt. Sie gehören der Notarkammer Berlin an (Anlage<br />
I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe b EV).<br />
c) In den fünf neuen Ländern ist die Bundesnotarordnung erst<br />
seit 1998 in Kraft. Seitdem gelten die dort nach der Notariatsverordnung<br />
bestellten Notare als nach der Bundesnotarordnung bestellt<br />
(Art. 13 Abs. 2 3. ÄndG BNotO). Auch für die Zukunft wirken<br />
sich die besonderen Regelungen, die von der ersten frei<br />
gewählten Volkskammer getroffen wurden, noch aus. Art. 13 Abs.<br />
7 3. ÄndG BNotO bestimmt:<br />
Abweichend von § 5 der Bundesnotarordnung kann in den Ländern<br />
Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und<br />
Thüringen auch ein deutscher Staatsangehöriger zum Notar bestellt werden,<br />
der ein rechtswissenschaftliches Studium an einer Universität oder Hochschule<br />
der Deutschen Demokratischen Republik mit dem Staatsexamen abgeschlossen<br />
und einen zweijährigen Vorbereitungsdienst mit einer Staatsprüfung<br />
absolviert hat. Auf den Vorbereitungsdienst mit der Staatsprüfung wird<br />
verzichtet, wenn der Bewerber als Notar in einem Staatlichen Notariat tätig<br />
war oder zehn Jahre als Jurist gearbeitet hat und notarspezifische Kenntnisse<br />
nachweist. Wer nach den vorstehenden Regelungen oder nach Abs. 2 zum<br />
Notar bestellt worden ist, kann auch in den übrigen Ländern zum Notar bestellt<br />
werden; § 5 der Bundesnotarordnung gilt insoweit nicht.<br />
Danach haben die Diplom-Juristen weiterhin einen speziellen<br />
Zugang zum Notaramt. Sind sie in einem der neuen Länder einmal<br />
bestellt, können sie in der ganzen Bundesrepublik zum Notariat zugelassen<br />
werden. Sie können in den alten Ländern auch Anwaltsnotare<br />
werden, weil den Diplom-Juristen generell der Anwaltsberuf<br />
offen steht, obwohl ihnen die hierfür ebenfalls notwendige<br />
Befähigung zum Richteramt, die auch in § 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
(im Folgenden: BRAO) vorausgesetzt wird, fehlt.<br />
3. Die Integration der Diplom-Juristen hat zu zahlreichen Sonderregelungen<br />
im Einigungsvertrag geführt: Diplom-Juristen können<br />
Richter des BVerfG werden (Anlage I Kapitel III Sachgebiet F<br />
Abschnitt III). Hochschullehrer der Deutschen Demokratischen<br />
Republik haben die Befähigung zum Berufsrichter (Anlage I Kapitel<br />
III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe a EV i. V. m.<br />
§ 9 Abs. 3 Richtergesetz vom 5.7.1990 [GB1 DDR I S. 637]) wer<br />
nach dem Beitritt zum Hochschullehrer berufen wurde, hat auch<br />
die Befähigung i. S. d. Deutschen Richtergesetzes (EV, aaO, Nr. 8<br />
Buchstabe y Doppelbuchstabe dd). Diplom-Juristen, die die Befähigung<br />
zum Berufsrichter nach dem Recht der Deutschen Demokratischen<br />
Republik erworben hatten, konnten nach dem Beitritt<br />
Richter werden, zum Richter auf Lebenszeit ernannt und sodann<br />
auch in den alten Bundesländern zum Richter berufen werden (Anlage<br />
I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8 Buchstabe a,<br />
Buchstabe b und Buchstabe y Doppelbuchstabe bb EV). Diese Befähigung<br />
zum Berufsrichter konnte auch über einen Laufbahnwechsel<br />
erworben werden (EV, aaO, Buchstabe y Doppelbuchstabe ee<br />
und ff). Für Staatsanwälte gelten die Vorschriften des Einigungsvertrags<br />
über die Befähigung zum Berufsrichter entsprechend (EV,<br />
aaO, Nr. 8 Buchstabe z Doppelbuchstabe cc). Gemäß Art. 6 des<br />
Gesetzes zur Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze<br />
vom 24.6.1994 (BGBl I S. 1374) sind die Berufsrichter auch<br />
dazu befähigt, Staatsanwälte zu werden. Seitdem sind die beiden<br />
staatlichen Berufe bei Diplom-Juristen kompatibel.<br />
Nach dem Rechtsanwaltsgesetz der Deutschen Demokratischen<br />
Republik vom 13.9.1990 (GB1 I S. 1504; im Folgenden: RAG)<br />
konnten Diplom-Juristen Rechtsanwälte werden, wenn sie nach<br />
dem Hochschulstudium mit dem Abschluss als Diplom-Jurist eine<br />
zweijährige Praxis in einem rechtsberatenden Beruf aufwiesen; alte<br />
Zulassungen blieben wirksam (vgl. zu den Einzelheiten BVerfGE<br />
93, 213 [217]) Der Einigungsvertrag ließ das Rechtsanwaltsgesetz<br />
in den neuen Ländern in Kraft (Anlage II Kapitel III Sachgebiet A<br />
Abschnitt III Nr. 1). Es wirkte fort, sofern die zweijährige Praxis<br />
spätestens bis zum 9.9.1996 erworben ist (Art. 21 Abs. 8 des<br />
Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und<br />
der Patentanwälte vom 2.9.1994 [BGBl I S. 2278]; im Folgenden:<br />
Neuordnungsgesetz). Art. 21 Abs. 2 des Neuordnungsgesetzes<br />
bestimmt ausdrücklich, dass die nach dem Rechtsanwaltsgesetz<br />
zugelassenen Anwälte als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
zugelassen gelten.
AnwBl 3/2002 179<br />
Rechtsprechung l<br />
In Berlin wurde die Bundesrechtsanwaltsordnung unmittelbar<br />
mit dem Einigungsvertrag auf dem ganzen Gebiet eingeführt (Anlage<br />
I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a EV).<br />
Die nach dem Rechtsanwaltsgesetz am Tage des Beitritts zugelassenen<br />
Anwälte gelten als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen.<br />
Personen, die am Tage des Wirksamwerdens des Beitritts<br />
ihren Wohnsitz im beigetretenen Teil Berlins hatten, konnten nach<br />
dieser Vorschrift in Berlin auch weiterhin als Rechtsanwälte zugelassen<br />
werden, soweit sie die Voraussetzungen des Rechtsanwaltsgesetzes<br />
erfüllten. Inzwischen können sie nach § 226 Abs. 2 BRAO<br />
auch zugleich am Kammergericht zugelassen werden.<br />
II. Der Beschwerdeführer zu 1) erwarb sein Diplom an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist seit 1991 beim LG Berlin<br />
und seit 1996 beim Kammergericht als Rechtsanwalt zugelassen.<br />
Seine Bewerbung um eine im Oktober 1996 ausgeschriebene<br />
Notarstelle scheiterte daran, dass er die Befähigung zum Richteramt<br />
nicht hat. Die von der Präsidentin des Kammergerichts. insoweit<br />
vertretene Auffassung wurde vom Senat für Notarsachen geteilt,<br />
der den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückwies.<br />
Der Abschluss als Diplom-Jurist stehe einer Zweiten Juristischen<br />
Staatsprüfung nach durchlaufenem Referendariat nicht gleich. Das<br />
folge auch nicht aus den Regelungen des Einigungsvertrages. Der<br />
Beschwerdeführer könne das Referendariat und das Zweite Juristische<br />
Staatsexamen noch nachholen. Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung<br />
im Verhältnis zu den am 3.10.1990 im Ostteil<br />
Berlins bereits zugelassenen Anwaltsnotaren liege nicht vor. Diese<br />
Diplom-Juristen hätten zu diesem Zeitpunkt einen zu beachtenden<br />
Bestandsschutz gehabt; zur Herstellung der Rechtseinheit im Lande<br />
Berlin sei es aus übergeordneten Gesichtspunkten geboten gewesen,<br />
von der an sich nötigen Qualifikation für das Notariat abzusehen.<br />
Auch die Fortgeltung der Notariatsverordnung im übrigen<br />
Beitrittsgebiet begründe keinen Anspruch auf Gleichbehandlung,<br />
obwohl auch dort Diplom-Juristen im Nur-Notariat tätig geworden<br />
seien und noch tätig werden könnten. Anders sei eine angemessene<br />
flächendeckende Versorgung im Beitrittsgebiet nicht sicherzustellen<br />
gewesen. Vorhandene Ausbildungsdefizite würden durch zunehmende<br />
Erfahrung kompensiert. Der Beschwerdeführer könne<br />
auch in diese Länder ausweichen und sich dort um eine Notarstelle<br />
bewerben; dann stehe seiner Übernahme als Anwaltsnotar in Berlin<br />
nichts mehr entgegen.<br />
Dieser Argumentation schloss sich der BGH an und führte ergänzend<br />
aus, der Beschwerdeführer sei mit den Anwaltsnotaren,<br />
die schon im Zeitpunkt des Beitritts die Voraussetzungen erfüllt<br />
gehabt hätten, nicht vergleichbar, weil er damals nicht Notar in<br />
eigener Praxis gewesen sei. Dies stelle einen ausreichenden Differenzierungsgrund<br />
dar. Bezüglich der Diplom-Juristen in den anderen<br />
neuen Ländern bilde der Unterschied der Notariatsform einen<br />
ausreichenden Differenzierungsgrund.<br />
2. Die Beschwerdeführerin zu 2) ist seit 1981 Diplom-Juristin.<br />
Sie wurde im April 1990 im Ostteil der Stadt Berlin als Rechtsanwältin<br />
zugelassen. Im November 1990 erhielt sie die Zulassung<br />
beim LG Berlin und 1995 diejenige beim Kammergericht. Ihre Bewerbung<br />
um eine im Oktober 1996 ausgeschriebene Notarstelle<br />
war ebenfalls erfolglos. Die Begründungen im Ausgangsverfahren<br />
sind weitgehend identisch mit denjenigen im Verfahren des Beschwerdeführers<br />
zu 1). Lediglich der BGH hat ergänzend darauf<br />
hingewiesen, dass die durch Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO geschaffene<br />
Niederlassungsfreiheit für Nur-Notare aus den neuen<br />
Ländern die Rechtslage für die Berliner Rechtsanwälte nicht geändert<br />
habe.<br />
3. Die Beschwerdeführerin zu 3), seit 1981 Diplom-Juristin,<br />
promovierte 1990 an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie wurde<br />
im Mai 1990 als Rechtsanwältin im Ostteil der Stadt zugelassen.<br />
Seit Dezember 1990 ist sie beim LG Berlin und seit 1996 auch<br />
beim Kammergericht als Rechtsanwältin zugelassen. Auch ihre Bewerbung<br />
um eine der im Oktober 1996 ausgeschriebenen Notarstellen<br />
in Berlin wurde mit der Begründung abschlägig beschieden,<br />
dass sie nicht die Befähigung zum Richteramt besitze. Die eingelegten<br />
Rechtsmittel waren erfolglos. Die Begründungen entsprechen<br />
denjenigen im Verfahren des Beschwerdeführers zu 1). Auch<br />
die persönlichen Lebensumstände der Beschwerdeführerin, die die<br />
erreichte Lebensstellung für sich und ihre Familie mit zwei schulpflichtigen<br />
Kindern nach 10 Jahren freiberuflicher Tätigkeit als<br />
Rechtsanwältin nicht gefährden wolle, ändere an dieser Beurteilung<br />
nichts.<br />
III. Die Beschwerdeführer rügen im Wesentlichen eine Verletzung<br />
ihrer Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und aus Art. 3 Abs. 1<br />
GG. Der Schutz der Berufsfreiheit gelte auch für Notare und umfasse<br />
die berufliche Niederlassungsfreiheit an jedem Ort. Die Beschwerdeführer<br />
könnten daher nicht darauf verwiesen werden, sich<br />
zunächst in den fünf neuen Ländern um eine Notarstelle zu bewerben.<br />
Die an sich subjektive Berufszugangsvoraussetzung des § 5<br />
BNotO wirke sich als objektive Schranke aus. Dies sei unverhältnismäßig<br />
und daher verfassungswidrig, wenn im Beitrittsgebiet<br />
lediglich für die Diplom-Juristen im Ostteil Berlins, die im Zeitpunkt<br />
des Beitritts nicht Notare in eigener Praxis waren, die Befähigung<br />
zum Richteramt verlangt werde, dies aber in den neuen<br />
Ländern weder in der Vergangenheit noch für die Zukunft so sei<br />
und auch für die „Altnotare“ aus dem Ostteil der Stadt nicht gelte.<br />
Qualitätsunterschiede ergäben sich insoweit nicht. Aus diesem<br />
Grund sei die Ungleichbehandlung auch vor Art. 3 Abs. 1 GG<br />
nicht zu rechtfertigen. Die unterschiedlichen Notariatsformen hätten<br />
in Gestalt des Nur-Notariats oder des Anwaltsnotariats keine<br />
unterschiedlichen Zugangsschwellen. Erfordernisse der Rechtspflege<br />
könnten daher die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht rechtfertigen.<br />
Auch der Bezirk Berlin weise keine Besonderheiten auf, die<br />
es rechtfertigen könnten, dort andere Zugangsvoraussetzungen aufzustellen<br />
als in den übrigen Ländern. In Berlin würden im Gegensatz<br />
zu den neuen Ländern die Juristen mit der Zweiten Juristischen<br />
Staatsprüfung privilegiert, da sie nicht der Konkurrenz von<br />
Diplom-Juristen bei Neuzulassungen ausgesetzt seien, der Aspekt<br />
des Konkurrenzschutzes vermöge jedoch weder freiheitsrechtlich<br />
noch gleichheitsrechtlich die Ungleichbehandlung zu rechtfertigen.<br />
IV. Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium<br />
der Justiz, die Bundesnotarkammer, die Bundesrechtsanwaltskammer<br />
und der Deutsche <strong>Anwaltverein</strong> Stellung genommen. Der<br />
Bundestag, der Bundesrat, der BGH, die Länder Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und der Deutsche<br />
Notarverein haben ausdrücklich von einer Stellungnahme abgesehen.<br />
1. Nach Auffassung des Bundesministeriums rechtfertigt die<br />
staatliche Organisationsgewalt in Verbindung mit der Einschätzung<br />
der Erfordernisse über gewisse Lockerungen der Zugangsvoraussetzungen<br />
zur Gewährleistung eines funktionsfähigen Notarwesens in<br />
den neuen Ländern einerseits die Schranke des § 5 BNotO in Berlin<br />
und andererseits die Einbeziehung der Diplom-Juristen in den Notarberuf<br />
in den neuen Ländern. Auch könne mangels Vergleichbarkeit<br />
der jeweiligen Prüfungen der Abschluss als Diplom-Jurist nicht in<br />
das Punktesystem zur Vergabe der Notarstellen einbezogen werden,<br />
so dass auch verwaltungsmäßige Schwierigkeiten entstünden.<br />
2. Die Bundesnotarkammer hält die Besitzstandswahrung für<br />
im Ostteil Berlins bestellte Notare in eigener Praxis für unabweisbar,<br />
ohne dass daraus ein Gleichbehandlungsanspruch für die Beschwerdeführer<br />
erwüchse. Die unterschiedlichen Notariatsformen<br />
vermöchten allerdings nicht zu rechtfertigen, dass im Nur-Notariat<br />
der neuen Länder die Befähigung zum Richteramt zunächst übergangsweise<br />
und inzwischen auch für die Zukunft für Diplom-Juristen<br />
nicht vorausgesetzt werde. Rechtfertigend könne insoweit<br />
allein das Bedürfnis nach angemessener Versorgung der rechtsuchenden<br />
Bevölkerung herangezogen werden. Gäbe es solche<br />
Ausnahmen auch in Berlin, werde dort aber die Rechtsvereinheitlichung<br />
verhindert. Gleichbehandlung insgesamt sei demnach nicht<br />
herstellbar. Soweit Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO Diplom-Juristen,<br />
die als Notare praktizierten, mit solchen, die das Amt erst anstrebten,<br />
gleichstelle, habe die Regelung nur geringfügige praktische<br />
Relevanz. Eine solche Gleichstellung bereits als Notar<br />
zugelassener Diplom-Juristen und nachrückender Bewerber in Berlin<br />
sei nicht gleichermaßen geboten. Das Festhalten an den üblichen<br />
Qualifikationserfordernissen komme der Rechtspflege zugute.<br />
Die Befähigung zum Richteramt sei keine unverhältnismäßige Zugangsvoraussetzung,<br />
weil sie einem überragend wichtigen Gemeinschaftsgut<br />
diene.<br />
3. Auch die Bundesrechtsanwaltskammer und der Deutsche<br />
<strong>Anwaltverein</strong> halten die Verfassungsbeschwerden nicht für begründet.<br />
Sie folgen mit einigen Vorbehalten der Argumentation in den<br />
angegriffenen Entscheidungen.<br />
B. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden zur Entscheidung<br />
an, weil dies zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1<br />
BVerfGG genannten Rechten angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe<br />
b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c
180<br />
l<br />
Abs. 1 BVerfGG sind gegeben. Die angegriffenen Entscheidungen<br />
verletzen die Beschwerdeführer in ihrem Recht auf Gleichbehandlung<br />
und in ihrer Berufsfreiheit (Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1<br />
GG).<br />
A. Das BVerfG hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen<br />
Fragen bereits entschieden. Grundsätzliche Fragen werfen die vorliegenden<br />
Fälle auch nach der Überzeugung, die sich der Erste<br />
Senat des BVerfG in der Beratung am 9.5.2001 gebildet hat, nicht<br />
auf.<br />
1. Den Beschwerdeführern, die im Zeitpunkt des Beitritts seit<br />
mehreren Jahren Diplom-Juristen waren und seit 1990 oder 1991<br />
als Rechtsanwälte praktizieren, wird in den angegriffenen Entscheidungen<br />
der Zugang zum Zweitberuf des Notars verwehrt, weil<br />
sie keine Voll-Juristen i. S. d. bundesrepublikanischen Rechts sind.<br />
Abweichend von der Behandlung der Diplom-Juristen beim Zugang<br />
zum Beruf des Richters, Staatsanwalts, Rechtsanwalts und<br />
Nur-Notars haben die angegriffenen Entscheidungen der Gruppe<br />
der Berliner Rechtsanwälte, die vor oder kurz nach dem Beitritt<br />
ihre Berufstätigkeit in Berlin aufgenommen haben, für das<br />
Anwaltsnotariat keine wiedervereinigungsbedingten Sonderkonditionen<br />
eingeräumt. Sie haben sie auch anders behandelt als die Diplom-Juristen,<br />
die im Zeitpunkt des Beitritts schon Anwaltsnotare<br />
in Berlin waren.<br />
Derartige Ungleichbehandlungen sind am Maßstab des Art. 3<br />
Abs. 1 GG zu messen. Berufswahlregelungen berühren zugleich<br />
den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG.<br />
2. Die verfassungsrechtlichen Fragen zum Schutz- und Prüfungsumfang<br />
bei Anwendung des allgemeinen Gleichheitssatzes<br />
sind verfassungsrechtlich geklärt und werfen keine Fragen grundsätzlicher<br />
Bedeutung mehr auf (vgl. BVerfGE 60, 123 [133 f.]; 82,<br />
126 [146] 100, 59 [90]). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen<br />
vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber<br />
allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt aber das<br />
Grundrecht, wenn er bei Regelungen, die Personengruppen betreffen,<br />
eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen<br />
Normadressaten anders behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen<br />
keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen,<br />
dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten<br />
(vgl. BVerfGE 102, 41 [54]; stRspr).<br />
Dabei sind dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers umso<br />
engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung<br />
auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten nachteilig<br />
auswirken kann (vgl. BVerfGE 88, 87 [96]).<br />
Der Richter ist bei Auslegung und Anwendung der Gesetze an<br />
denselben Maßstab gebunden. Ihm sind Differenzierungen verboten,<br />
die auch dem Gesetzgeber nicht erlaubt wären (vgl. BVerfGE<br />
54, 224 [235]; 99, 129 [139]). Deshalb ist der Richter, wenn er<br />
Gesetzesbestimmungen auslegt, gehalten zu prüfen und darzulegen,<br />
ob, inwieweit und aus welchen Gründen seine Entscheidung in<br />
grundrechtlich geschützte Freiheiten eingreift oder Personengruppen<br />
ungleich behandelt. Ferner ist zu begründen, warum dieser<br />
Eingriff oder die Ungleichbehandlung den im Gesetz zum Ausdruck<br />
gekommenen Absichten des Gesetzgebers entspricht und verfassungsrechtlich<br />
gerechtfertigt ist.<br />
3. Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des BVerfG,<br />
dass auch die Berufsausübung der Notare unter dem Grundrechtsschutz<br />
des Art. 12 Abs. 1 GG steht (vgl. BVerfGE 73, 280 [292])<br />
und dass dieser Schutz auch für einen Zweitberuf gilt (vgl. BVerf-<br />
GE 21, 173 [179]; 87, 287 [316]).<br />
4. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Kontrolle gerichtlicher<br />
Entscheidungen werfen ebenfalls keine grundsätzlichen Fragen<br />
auf. Es ist geklärt, dass die von Fachgerichten vorgenommene<br />
Auslegung einer Norm verfassungsrechtlich nur zu beanstanden ist,<br />
wenn sie willkürlich ist, die Tragweite eines Grundrechts nicht hinreichend<br />
berücksichtigt oder im Ergebnis zu einer unverhältnismäßigen<br />
Beschränkung der grundrechtlichen Freiheit führt (vgl.<br />
BVerfGE 85, 248 [257 f.]; 94, 372 [396]).<br />
II. Grundlage der angegriffenen Entscheidungen ist § 5 BNotO,<br />
dessen Verfassungsmäßigkeit nach den vom BVerfG entwickelten<br />
Maßstäben nicht zweifelhaft ist.<br />
1. Die Vorschrift setzt für die Bestellung zum Notar die Befähigung<br />
zum Richteramt voraus. Es bedarf keiner vertieften Begründung,<br />
dass der Gesetzgeber die Norm für geeignet und erforderlich<br />
AnwBl 3/2002<br />
Rechtsprechung<br />
halten durfte, um die zu schützenden Gemeinwohlbelange in Gestalt<br />
der Sicherung der Funktionsfähigkeit der vorsorgenden<br />
Rechtspflege und der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu verwirklichen.<br />
Sie ist auch verhältnismäßig im engeren Sinne, soweit an den Zugang<br />
zum Notariat regelmäßig keine geringeren Anforderungen gestellt<br />
werden als an den Zugang zu den sonstigen juristischen Berufen<br />
(Richter, Staatsanwalt und Rechtsanwalt).<br />
2. An dieser Einschätzung hat der Gesetzgeber indessen nicht<br />
uneingeschränkt festgehalten, als die beiden deutschen Staaten zusammengeführt<br />
wurden. Der Gesetzgeber hat vielmehr durch zahlreiche<br />
Einzelregelungen im Einigungsvertrag und in nachfolgenden<br />
Gesetzen sichergestellt, dass die in der Deutschen Demokratischen<br />
Republik ausgebildeten und tätigen Diplom-Juristen nach dem Beitritt<br />
weiterhin als Juristen tätig sein konnten. Für diesen Personenkreis<br />
hat er in allen juristischen Vollberufen Ausnahmen von der<br />
sonst einheitlich vorausgesetzten Befähigung zum Richteramt geschaffen.<br />
Den Ausgangspunkt für die verfassungsrechtliche Prüfung bilden<br />
daher neben § 5 BNotO diese übergangsrechtlichen Sondernormen<br />
für Diplom-Juristen, welche im Gesetzgebungsverfahren als<br />
einschneidend, aber angesichts der Wirklichkeit in der Deutschen<br />
Demokratischen Republik auch für unvermeidlich gehalten worden<br />
sind (vgl. die Erläuterungen zu den Anlagen zum Einigungsvertrag<br />
in BT-Drucks 11/7817, S. 7).<br />
III. Die im Zusammenwirken dieser Vorschriften zum Ausdruck<br />
gekommene Absicht des Gesetzgebers wird in den angegriffenen<br />
Entscheidungen nicht hinreichend gewürdigt. Diese genügen<br />
daher den oben genannten verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht.<br />
Sie verfehlen eine dem Gleichheitssatz entsprechende Auslegung<br />
von § 5 BNotO in Verbindung mit den Normen des Einigungsvertrags<br />
und der nachfolgenden Gesetze, die die Rechtsverhältnisse<br />
der Rechtsanwälte und der Notare geregelt haben und erkennen<br />
lassen, dass einem Diplom-Juristen, der die Voraussetzungen für<br />
die Ausübung eines juristischen Berufes nach dem Recht der Deutschen<br />
Demokratischen Republik erworben hat, jeweils die volle<br />
Befähigung zu seiner Ausübung zukommt, sofern ihm der Berufszugang<br />
zugleich nach den jeweiligen Übergangsvorschriften erhalten<br />
geblieben ist. Die berufsrechtlichen Einschränkungen sind vom<br />
Gesetzgeber auf das Unumgängliche zurückgeführt worden. Dieser<br />
Erkenntnis haben sich die angegriffenen Entscheidungen verschlossen<br />
und damit die verfassungsrechtlich gebotene Gleichbehandlung<br />
im Berufsrecht verfehlt.<br />
1. Neben die Sicherstellung einer kontinuierlichen Rechtspflege<br />
auf dem Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik, die nur<br />
gewährleistet war, wenn die dort ausgebildeten und politisch unbelasteten<br />
Juristen weiterhin Rechtspflegeaufgaben wahrnahmen (vgl.<br />
BT-Drucks 11/7817, S. 7), trat im Zeitpunkt der Vereinigung der<br />
deutschen Staaten auch das öffentliche Interesse an einer Integration<br />
der in der Deutschen Demokratischen Republik Berufstätigen<br />
als wichtiger öffentlicher Belang hinzu (vgl. zu diesem Gesichtspunkt<br />
im öffentlichen Dienst: BVerfGE 92, 140 [154] mit Hinweis<br />
auf BT-Drucks 11/7817, S. 179; s. auch Denkschrift zum Einigungsvertrag<br />
BT-Drucks 11/7760, S. 356). So blieben beispielsweise<br />
auch die ärztlichen Approbationen und die Handwerkerrechte<br />
für die Bür-ger der Deutschen Demokratischen Republik erhalten<br />
(vgl. BT-Drucks 11/7817, S. 159 und S. 130).<br />
Bei der Übernahme der Diplom-Juristen in juristische Berufe<br />
hat der Gesetzgeber die Gleichstellung mittels gesetzlicher Fiktionen<br />
bewirkt.<br />
a) Bis zum Beitritt stand nach bundesrepublikanischem Recht<br />
fest, dass der Abschluss als Diplom-Jurist dem Zweiten Juristischen<br />
Staatsexamen nicht gleichstand (vgl. BGH, NJW 1968, S.<br />
1047; NJW 1990, S. 910). Die juristischen Vollberufe setzten einheitlich<br />
die Befähigung zum Richteramt nach § 5 DRiG voraus<br />
(vgl. § 122 Abs. 1 DRiG für die Staatsanwälte, § 5 BNotO für die<br />
Notare, § 4 BRAO für die Rechtsanwälte und § 3 Abs. 2 BVerfGG<br />
für die Verfassungsrichter). Diese Regelung gilt auch gegenwärtig<br />
und für die Zukunft, soweit nicht Probleme im Zusammenhang mit<br />
der Wiedervereinigung betroffen sind.<br />
Die Diplom-Juristen erfüllten diese Voraussetzungen nicht; dennoch<br />
wurden ihnen die juristischen Vollberufe in der Bundesrepublik<br />
ab dem Tag des Beitritts eröffnet. Dieser Zugang wurde nicht<br />
einmal nur denjenigen vorbehalten, die schon im Zeitpunkt des<br />
Beitritts in juristischen Berufen tätig waren; die Ausbildung zum
AnwBl 3/2002 181<br />
Rechtsprechung l<br />
Diplom-Juristen konnte noch danach beendet werden; die notwendige<br />
zweijährige Berufspraxis vor Aufnahme des Berufs musste<br />
erst spätestens im September 1996 abgeschlossen sein. Die an sich<br />
notwendige Qualifikation, die § 5 DRiG und die Verweisungen auf<br />
diese Vorschrift in den übrigen berufsregelnden Gesetzen sicherstellen<br />
sollen, wurde für diese Übergangszeit zurückgestellt. Bezogen<br />
auf einzelne Berufe wurde die Gleichwertigkeit der Ausbildungsgänge<br />
fingiert.<br />
b) Die Diplom-Juristen gelten jeweils als nach den bundesrepublikanischen<br />
Vorschriften ernannt, bestellt oder zugelassen.<br />
aa) Wer als Diplom-Jurist zum Richter auf Lebenszeit ernannt<br />
wird, erfüllt die Voraussetzungen des Deutschen Richtergesetzes in<br />
der ganzen Bundesrepublik (Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt<br />
III Nr. 8 Buchstabe y Doppelbuchstabe bb EV; vgl. auch<br />
BT-Drucks 11/7817, S. 22). Das gilt für die Staatsanwälte entsprechend<br />
(Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 8<br />
Buchstabe z Doppelbuchstabe cc EV). Hieraus hat das Gesetz zur<br />
Änderung des Rechtspflegergesetzes und anderer Gesetze vom<br />
24.6.1994 die Konsequenz gezogen, dass Staatsanwälten, die in<br />
den Richterberuf wechseln wollen, oder Richtern, die als Staatsanwälte<br />
eingesetzt werden sollen, nicht entgegengehalten werden<br />
kann, ihnen fehle jeweils die für diesen Beruf notwendige Befähigung<br />
zum Richteramt nach § 5 oder nach § 122 Abs. 1 DRiG.<br />
bb) Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts als Rechtsanwälte<br />
tätig waren oder später nach dem Rechtsanwaltsgesetz der<br />
Deutschen Demokratischen Republik in Verbindung mit dem Einigungsvertrag<br />
zu diesem Beruf noch zugelassen worden sind, haben<br />
1994 durch Art. 21 Abs. 2 des Neuordnungsgesetzes ihre volle<br />
Gleichstellung erhalten. Sie gelten als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
zugelassen, wodurch die Erfüllung der dort vorgesehenen<br />
Voraussetzungen, also auch des § 4 BRAO, fingiert wird.<br />
In Berlin, wo die Bundesrechtsanwaltsordnung unmittelbar<br />
durch den Einigungsvertrag eingeführt worden ist, gelten die dort<br />
nach dem Rechtsanwaltsgesetz am Tage des Beitritts zugelassenen<br />
Anwälte als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen<br />
(Anlage I Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a<br />
Doppelbuchstabe aa EV). Auch hier wird insofern vom Tage des<br />
Beitritts an fingiert, dass die zugelassenen Rechtsanwälte die Voraussetzungen<br />
der Bundesrechtsanwaltsordnung, also auch § 4<br />
BRAO, erfüllen. Wer erst später die Befähigung zur Zulassung<br />
nach dem Rechtsanwaltsgesetz erworben hat, wird in Berlin ebenfalls<br />
als Diplom-Jurist nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen;<br />
auch auf diese Personen erstreckt sich die Fiktion (Anlage I<br />
Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe a Doppelbuchstabe<br />
bb EV).<br />
cc) Auch für die Notare hat der Gesetzgeber entsprechende<br />
Fiktionen geschaffen.<br />
In den fünf neuen Ländern war eine solche Gleichstellung<br />
zunächst nicht nötig, da die Notariatsverordnung fortgalt. Sie ist<br />
jedoch im Jahr 1998 durch Art. 13 Abs. 2 3. ÄndG BNotO eingeführt<br />
worden. Seitdem gelten die Notare in Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern,<br />
Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen als<br />
nach der Bundesnotarordnung bestellt und können demzufolge<br />
auch in den übrigen Ländern zum Notar bestellt werden; in Art. 13<br />
Abs. 7 3. ÄndG BNotO wird dies nochmals ausdrücklich klargestellt.<br />
In Berlin waren die Rechtsanwälte, die am Tage des Wirksamwerdens<br />
des Beitritts zu Anwaltsnotaren in eigener Praxis bestellt<br />
waren, nach ihrer Zulassung als Rechtsanwalt bei einem Gericht<br />
Berlins zugleich auch zu „Anwaltsnotaren nach der Bundesnotarordnung“<br />
bestellt. Dies regelt der Einigungsvertrag in Anlage I<br />
Kapitel III Sachgebiet A Abschnitt IV Nr. 1 Buchstabe b, ohne<br />
ausdrücklich eine Befreiung von § 5 BNotO auszusprechen. Dies<br />
war auch entbehrlich, da die Anwaltszulassung, wie oben dargestellt,<br />
bereits auf der Fiktion beruhte, dass die Voraussetzungen<br />
von § 5 DRiG als erfüllt galten.<br />
2. a) Bei den drei Beschwerdeführern könnten schon allein nach<br />
dem Wortlaut des Einigungsvertrages die Voraussetzungen für eine<br />
Zulassung zum Anwaltsnotariat vorliegen. Sie hatten lediglich –<br />
wie für die Zulassung am Kammergericht (vgl. BT-Drucks 11/7817,<br />
S. 33) – die erforderliche Zeit der Zulassung im Sinne von § 6<br />
Abs. 2 Nr. 1 und 2 BNotO abzuwarten. Da die Zulassung zur Anwaltschaft<br />
im Lande Berlin nur an die Voraussetzung geknüpft ist,<br />
dass der Diplom-Jurist als Anwalt im Zeitpunkt des Beitritts zuge-<br />
lassen war (so die Beschwerdeführerinnen zu 2 und 3) oder dort<br />
später die Voraussetzungen für diese Zulassung erfüllte (so der Beschwerdeführer<br />
zu 1), gelten alle Beschwerdeführer nach dem<br />
Wortlaut des Einigungsvertrages als nach der Bundesrechtsanwaltsordnung<br />
zugelassen. Personen, die i. S. d. Einigungsvertrages als<br />
nach der Bundesrechtsanwaltsordnung zugelassen gelten, erfüllen<br />
die Voraussetzungen auch für die Zulassung zum Anwaltsnotariat,<br />
soweit die Voraussetzungen beider Berufe identisch sind. Ob ein<br />
Bewerber um ein Notaramt Voll-Jurist ist, bedarf in Berlin danach<br />
keiner erneuten Prüfung. Lediglich für eine Bewerbung um ein Anwaltsnotariat<br />
außerhalb Berlins war die ergänzende Regelung in<br />
Art. 21 Abs. 2 S. 1 des Neuordnungsgesetzes von Bedeutung, die<br />
ab 1994 für die Rechtsanwälte des Beitrittsgebiets die Freizügigkeit<br />
im ganzen Bundesgebiet hergestellt hat.<br />
b) Allein ein solches Verständnis der Normen wird jedenfalls<br />
dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG unter besonderer<br />
Berücksichtigung der Gewährleistung von Art. 12 Abs. 1 GG<br />
gerecht. Sollte der Wortlaut noch andere Auslegungsvarianten zulassen,<br />
kommen sie von Verfassungs wegen nicht in Betracht.<br />
Es sind keine ausreichend gewichtigen Gründe dafür ersichtlich,<br />
den Diplom-Juristen das Anwaltsnotariat zu verschließen,<br />
nachdem ihnen das Nur-Notariat nicht nur überall dort offen steht,<br />
wo es im Beitrittsgebiet eingeführt worden ist, sondern seit 1998<br />
auch im restlichen Bundesgebiet. An den Anwaltsnotar dürfen<br />
nach dem allgemeinen Gleichheitssatz keine strengeren Anforderungen<br />
gestellt werden als an den Nur-Notar, zumal der Gesetzgeber<br />
solche Differenzierungen zwischen den beiden Notariatsformen<br />
in der Bundesnotarordnung auch im Übrigen nicht kennt. Hierauf<br />
hat die Bundesnotarkammer zutreffend hingewiesen.<br />
Der ursprüngliche Rechtfertigungsgrund, dass zwar in den fünf<br />
neuen Ländern die Rechtspflege ohne gewisse Abstriche an der<br />
Qualifikation der Juristen nicht hätte aufrechterhalten werden können,<br />
dass dies aber für Berlin nicht in gleichem Maße gelte, überzeugt<br />
nicht mehr, nachdem der Gesetzgeber den zu Notaren bestellten<br />
Diplom-Juristen die volle Freizügigkeit gewährt hat.<br />
Seitdem haben sich die Übergangsvorschriften von der Bedarfslage<br />
in den neuen Ländern abgelöst.<br />
Ebenso wenig ist der Gedanke der Rechtseinheit im Lande Berlin<br />
ein zureichender Grund für die angegriffenen Entscheidungen.<br />
Diese Rechtseinheit kann mit keiner Auslegungsvariante hergestellt<br />
werden. Denn vom Beitritt an sind dort Diplom-Juristen als Anwaltsnotare<br />
zugelassen; sie können auch – jedenfalls mit dem Umweg<br />
über eine Zulassung in den neuen Ländern – dort weiterhin zu<br />
Notaren bestellt werden. Mit Art. 13 Abs. 7 3. ÄndG BNotO hat<br />
der Gesetzgeber die Rechtseinheit vielmehr definitiv zugunsten der<br />
Integration der Diplom-Juristen zurückgestellt, indem er ihnen das<br />
Notariat in den alten Ländern zugänglich gemacht hat.<br />
c) Das Nebeneinander von Diplom-Juristen und Juristen mit<br />
der Befähigung zum Richteramt nach dem Deutschen Richtergesetz<br />
in den Berufen als Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und<br />
Notare wird nach den ausdrücklich getroffenen Regelungen des<br />
Gesetzgebers so lange anhalten, wie Diplom-Juristen noch in diesen<br />
Berufen tätig sein werden. Es lässt sich dem seit der Wiedervereinigung<br />
geltenden Recht als Grundgedanke entnehmen, dass<br />
die Diplom-Juristen mit entsprechender Berufserfahrung den Volljuristen<br />
gleichgestellt sind, so dass jede Abweichung hiervon besonderer<br />
Begründung bedarf. Eine solche Begründung kann ggf.<br />
aus dem Anforderungsprofil eines Berufes abgeleitet werden; dann<br />
müssen die Anforderungen aber für dasselbe Amt ausnahmslos<br />
durchgesetzt werden.<br />
Nachdem der Gesetzgeber ersichtlich die Diplom-Juristen vom<br />
Notaramt nicht hat fernhalten wollen, fehlt es im Anwaltsnotariat<br />
Berlins insofern an einer stichhaltigen Rechtfertigung für ihren<br />
Ausschluss. Die Besonderheiten des Auswahlverfahrens können<br />
entgegen der Auffassung des Bundesministeriums der Justiz ebenfalls<br />
nicht als Differenzierungsgrund herangezogen werden. Für<br />
Bewerber, deren Zeugnis eine Benotung nicht enthält, bestehen<br />
schon Sonderregelungen (vgl. Nr. 12 Abs. 2 Buchstabe a der Allgemeinen<br />
Verfügung über Angelegenheiten der Notare vom<br />
22.4.1996, ABl Berlin, S. 1741). Die Vermeidung von Problemen<br />
bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern stellt keinen Gemeinwohlbelang<br />
dar, der vor Art. 12 Abs. 1 GG die vollständige Sperre<br />
des Berufszugangs rechtfertigen könnte.
182<br />
l<br />
d) Die angegriffenen Entscheidungen berücksichtigen die<br />
Fiktionen des Einigungsvertrages und der nachfolgenden Gesetze<br />
nicht. Ihre Auslegung, die für das Anwaltsnotariat in Berlin für<br />
solche Diplom-Juristen, die im Zeitpunkt des Beitritts noch nicht<br />
zum Anwaltsnotar bestellt waren, die Befähigung zum Richteramt<br />
zwar für den Anwaltsberuf nicht voraussetzt (oder als fingiert ansieht),<br />
wohl aber für den Notarberuf fordert, verkennt damit die<br />
Reichweite des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 GG<br />
in Ansehung der Gesamtregelung, die der Gesetzgeber zur Integration<br />
des Diplom-Juristen getroffen hat. Die Entscheidungen sind<br />
daher aufzuheben und die Verfahren zur erneuten Entscheidung in<br />
der Sache an die letzte Tatsacheninstanz zurückzuverweisen.<br />
GG Art. 12 Abs. 1; BRAO § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />
1. § 46 Abs. 2 Nr. 1 umschreibt nur eine solche Vertragsbeziehung,<br />
bei der die Gefahr einer Interessenkollision bestehen<br />
kann.<br />
2. Aus Organisationsstrukturen können ohne Weiteres keine<br />
Schlüsse auf eine auf sachlichen Weisungen beruhende Abhängigkeit<br />
gezogen werden (LS der Red.)<br />
BVerfG, Erster Senat, 2. Kammer, Beschl. v. 5.11.2001 – 1 BvR<br />
1523/00<br />
Aus den Gründen: I. 1. Mit der Verfassungsbeschwerde wenden<br />
sich die Beschwerdeführer gegen die Aufforderung der für sie<br />
zuständigen Rechtsanwaltskammer, künftig Mitglieder eines Mietervereins<br />
nicht mehr als Anwälte zu vertreten, wenn sie – in ihrer<br />
Eigenschaft als Justitiare des Vereins – in derselben Angelegenheit<br />
für diese Mitglieder bereits tätig waren.<br />
2. Die Beschwerdeführer betreiben in der Form einer Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts gemeinsam eine Anwaltskanzlei. Sie<br />
beraten aufgrund einer vertraglichen Vereinbarung auch die Mitglieder<br />
des örtlichen Mietervereins. Dazu halten sie an vier Tagen<br />
pro Woche insgesamt 12 Sprechstunden ab, die im Briefkopf des<br />
Mietervereins als feste Sprechzeiten ausgewiesen sind. Die<br />
Sprechstunden werden durch die Beschwerdeführer selbst oder<br />
durch von diesen bestimmte Personen in ihrem Auftrag und Verantwortung<br />
durchgeführt, wobei das nicht beratende Personal vom<br />
Mieterverein gestellt wird. Die Beschwerdeführer teilen sich diese<br />
Tätigkeit untereinander auf. Sie beziehen dafür vom Verein ein fixes<br />
Entgelt, das knapp 10 vom Hundert des anwaltlichen Gesamtgebührenaufkommens<br />
ihrer Praxis ausmacht.<br />
Mit Bescheid vom 16.3.2000 erteilte die Rechtsanwaltskammer<br />
den Beschwerdeführern einen „belehrenden Hinweis“ gem. § 73<br />
Abs. 2 Nr. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (im Folgenden:<br />
BRAO) über den Inhalt von § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO. Sie wurden<br />
aufgefordert, künftig Mitglieder des Mietervereins nicht mehr als<br />
Anwälte zu vertreten, wenn sie für sie in derselben Angelegenheit<br />
bereits als Justitiare des Vereins rechtsbesorgend tätig geworden<br />
waren.<br />
Der Antrag der Beschwerdeführer auf gerichtliche Entscheidung<br />
wurde mit Beschl. des Anwaltsgerichtshofs v. 2.6.2000 zurückgewiesen.<br />
In der Begründung wird ausgeführt, die Beschwerdeführer<br />
verstießen gegen das Tätigkeitsverbot des § 46 Abs. 2 Nr.<br />
1 BRAO. Sie würden als Justitiare des Mietervereins rechtsbesorgend<br />
für dessen Mitglieder tätig, indem sie Rechtsrat erteilten und<br />
außerprozessual für die Mitglieder Rechtsstandpunkte nach außen<br />
verträten. Die Beschwerdeführer stünden als Justitiare in einem<br />
ständigen Dienst- oder ähnlichen Beschäftigungsverhältnis. Durch<br />
§ 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO solle verhindert werden, dass die Weisungs-<br />
und Richtlinienkompetenz des Arbeitsgebers im Zweitberuf<br />
in die anwaltliche Tätigkeit hineinreiche. Eine solche persönliche<br />
Abhängigkeit der Beschwerdeführer sei zu bejahen, da sie in die<br />
Organisation des Mietervereins eingebunden seien, die Tätigkeit<br />
dauerhaft verrichteten, feste Sprechzeiten abzuhalten hätten, die<br />
zudem in den Geschäftsräumen des Vereins und unter Einsatz personeller<br />
und sachlicher Mittel des Vereins abgehalten würden, wofür<br />
sie ein fixes monatliches Entgelt ohne Rücksicht auf den tatsächlich<br />
erbrachten Umfang der Leistung erhielten.<br />
3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer<br />
die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG. Für das Gebot der<br />
Rechtsanwaltskammer fehle es an einer gesetzlichen Grundlage.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Rechtsprechung<br />
Ein „Dienst- oder ähnliches Beschäftigungsverhältnis“, in dem<br />
Rechtsrat erteilt werde, sei nicht gegeben. Die Regelung betreffe<br />
nach der Überschrift „Rechtsanwälte in ständigen Dienstverhältnissen“.<br />
Darunter fielen vor allem Vertragsverhältnisse arbeitsrechtlicher<br />
Art von Syndikusanwälten mit nicht anwaltlichen Arbeitgebern<br />
wie Unternehmen oder Banken. Im vorliegenden Fall seien<br />
sie jedoch nur auf Stundenbasis als freie Mitarbeiter für den Mieterverein<br />
tätig. Über den Abschluss des Vertragsverhältnisses hinaus<br />
seien auch Art und Umfang der geleisteten Tätigkeit maßgeblich.<br />
Berate ein Rechtsanwalt nur Vereinsmitglieder, nicht aber den<br />
nicht anwaltlichen Arbeitgeber selbst, und sei die Tätigkeit nur<br />
von geringem Umfang, dann fehle es an einem Vertragsverhältnis,<br />
i. S. d. § 46 BRAO. Zudem werde mit dem Verbot unverhältnismäßig<br />
in ihre Berufsfreiheit eingegriffen. Das Verbot sei zur Sicherung<br />
der anwaltlichen Unabhängigkeit nicht erforderlich.<br />
4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bundesministerium<br />
der Justiz für die Bundesregierung, der BGH, die Bundesrechtsanwaltskammer,<br />
der Deutsche AnwaltVerein, der Republikanische<br />
Anwältinnen- und Anwälteverein, der Bundesverband der<br />
Freien Berufe und die im Ausgangsverfahren tätig gewordene<br />
Rechtsanwaltskammer Stellung genommen.<br />
Mit Ausnahme der Stellungnahme der letzteren werden in den<br />
Stellungnahmen die angegriffenen Entscheidungen wegen Verstoßes<br />
gegen Art. 12 Abs. 1 GG für verfassungswidrig gehalten. Der<br />
BGH verweist hinsichtlich der mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen<br />
Rechtsfragen auf seine Rechtsprechung (vgl. BGHZ<br />
141, 69; BGH, VersR 2001, S. 1137).<br />
II. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung<br />
an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1<br />
BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe<br />
b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1<br />
BVerfGG liegen vor. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen<br />
die Beschwerdeführer in ihrer Berufsausübungsfreiheit gemäß Art.<br />
12 Abs. 1 GG.<br />
1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine Fragen von grundsätzlicher<br />
verfassungsrechtlicher Bedeutung auf.<br />
Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind bereits<br />
entschieden (vgl. BVerfGE 87, 287). Ein Grundsatz, wonach anwaltliche<br />
und erwerbswirtschaftliche Tätigkeiten grundsätzlich unvereinbar<br />
sind, kommt in der Bundesrechtsanwaltsordnung nicht<br />
zum Ausdruck. Es bedarf einer Prüfung im Einzelfall, ob bei der<br />
Ausübung von Doppelberufen Interessenkollisionen oder Berufspflichtverletzungen<br />
auftreten können. Die Unabhängigkeit und Integrität<br />
eines Rechtsanwalts sowie dessen maßgebende Orientierung<br />
am Recht und an den Interessen seiner Mandanten sollen<br />
durch die erwerbswirtschaftliche Prägung eines Zweitberufs nicht<br />
gefährdet werden.<br />
2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung<br />
des Grundrechts der Beschwerdeführer aus Art. 12 Abs. 1<br />
GG angezeigt.<br />
a) Der belehrende Hinweis bezieht sich auf die grundsätzlich<br />
verfassungsrechtlich unbedenkliche Vorschrift des § 46 Abs. 2 Nr. 1<br />
BRAO. Auslegung und Anwendung dieser Bestimmung können<br />
vom BVerfG – abgesehen von Verstößen gegen das Willkürverbot –<br />
nur darauf überprüft werden, ob sie Auslegungsfehler enthalten,<br />
die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung<br />
des betroffenen Grundrechts, insbesondere vom Umfang<br />
seines Schutzbereichs, beruhen. Das ist der Fall, wenn die von den<br />
Fachgerichten vorgenommene Auslegung der Norm die Tragweite<br />
des Grundrechts nicht hinreichend berücksichtigt oder im Ergebnis<br />
zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der grundrechtlichen<br />
Freiheiten führt (BVerfGE 18, 85 [92 f., 96]; 85, 248 [257 f.]; 87,<br />
287 [323]).<br />
b) So liegt der vorliegende Fall. Die angegriffenen Entscheidungen<br />
berücksichtigen die Tragweite von Art. 12 Abs. 1 GG nicht<br />
ausreichend und beschränken die Beschwerdeführer unverhältnismäßig<br />
in ihrer Berufsausübungsfreiheit.<br />
Der Anwaltsgerichtshof bejaht die persönliche Abhängigkeit,<br />
weil die Beschwerdeführer durch feste Sprechzeiten und die Nutzung<br />
personeller und sachlicher Mittel in die Organisation des Mietervereins<br />
fest eingebunden und insoweit Weisungen unterworfen<br />
seien. Das finde seinen Ausdruck in einem festen Entgelt. Damit
AnwBl 3/2002 183<br />
Rechtsprechung l<br />
bestehe ein „ähnliches Beschäftigungsverhältnis“ im Sinne von<br />
§ 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO.<br />
Diese Argumentation beruht auf einer grundsätzlich unrichtigen<br />
Anschauung von der Bedeutung der Berufsfreiheit. Sie leitet aus<br />
Organisationsstrukturen eine auf sachlichen Weisungen beruhende<br />
Abhängigkeit ab, obwohl nach der Fallgestaltung offenbar ist, dass<br />
weder der Verein noch seine einzelnen Mitglieder den Beschwerdeführern<br />
vorschreiben, was sie in den Sprechzeiten zu tun haben.<br />
Ersichtlich werden sie vom Verein in ihrer Eigenschaft als Rechtsanwälte,<br />
also gerade als unabhängige Berater, den Mitgliedern zur<br />
Verfügung gestellt. Für Interessenkollisionen in dem Sinne, dass<br />
die Beschwerdeführer die späteren Mandate ohne die notwendige<br />
Unabhängigkeit und auf Weisung des Vereins führen, fehlt jeder<br />
Anhalt.<br />
aa) Fraglich ist bereits, ob „dieselbe Angelegenheit“ gem. § 46<br />
Abs. 2 Nr. 1 BRAO vorliegt. Bei einer unter Berücksichtigung der<br />
Tragweite der Berufsausübungsfreiheit gebotenen restriktiven Auslegung<br />
ist es zweifelhaft, ob die Erfüllung der Verpflichtung gegenüber<br />
dem Mieterverein, die Mitglieder in mietrechtlichen Fragen<br />
zu beraten, und die spätere Tätigkeit als Rechtsanwalt für ein Vereinsmitglied<br />
bezogen auf das mietrechtliche Problem dieselbe Angelegenheit<br />
ist, da derjenige, dem die Beschwerdeführer vertraglich<br />
in genereller Weise Rechtsrat schulden (Mieterverein), und diejenigen,<br />
die von der rechtlichen Beratung profitieren (Vereinsmitglieder),<br />
personenverschieden sind.<br />
bb) Da es auch Anwälten grundsätzlich frei steht, einen Zweitberuf<br />
auszuüben, muss ein Verbot, das den Anforderungen des Art.<br />
12 Abs. 1 GG standhalten soll, erforderlich sein, um besonderen<br />
Gefährdungen des Anwaltsberufs zu begegnen. Deshalb ist bei verfassungskonformer<br />
Auslegung des Begriffs „ständiges Dienst- oder<br />
ähnliches Beschäftigungsverhältnis“ in § 46 Abs. 2 Nr. 1 BRAO<br />
nur eine solche Vertragsbeziehung umschrieben, bei der die Gefahr<br />
einer Interessenkollision bestehen kann. Es muss zu besorgen sein,<br />
dass die Weisungs- und Richtlinienkompetenz des Arbeitgebers des<br />
Zweitberufs in die später ausgeübte anwaltliche Tätigkeit hineinwirkt.<br />
Anderenfalls ist kein Gemeinwohlbelang ersichtlich, der<br />
eine Einschränkung der Berufsfreiheit rechtfertigen könnte.<br />
Hierfür sprechen Sinn und Zweck der Regelung, ihre Entstehungsgeschichte<br />
sowie die gesetzliche Stellung der Norm. Sie wurde<br />
in das Gesetz nach der Zweitberufsentscheidung des BVerfG<br />
(BVerfGE 87, 287) aufgenommen, in der angemahnt worden war,<br />
Berufseinschränkungen an Interessenkollisionen zu binden. Konsequenterweise<br />
wird in den Gesetzesmaterialien hervorgehoben, dass<br />
es bei dem streitgegenständlichen Tätigkeitsverbot genau darum<br />
gehe (vgl. BRDrucks 93/93, S. 86 ff.). Auch der Vergleich zum<br />
(echten) Syndikusanwalt, dessen Tätigkeitsverbot in § 46 Abs. 1<br />
BRAO geregelt ist und bei dem typisierend angenommen wird,<br />
dass die Weisungsbefugnis des Arbeitgebers den gerichtlichen Bereich<br />
mitberührt, zeigt, dass Interessenkollisionen vermieden werden<br />
sollen.<br />
cc) Vorliegend ist nicht nachvollziehbar, dass tatsächlich eine<br />
Gefahr von Interessenkollisionen bestehen könnte.<br />
Weisungsrechte des Vereins sind in den angegriffenen Entscheidungen<br />
nicht festgestellt worden. Schon hinsichtlich der Beratung<br />
im Verein fehlt es an entsprechenden Feststellungen im Sachverhalt.<br />
Für eine Einflussnahme im Zuge der Wahrnehmung von Einzelmandaten<br />
fehlt insoweit jeder Anhalt. Sie ergeben sich insbesondere<br />
nicht daraus, dass die Beschwerdeführer in die Organisation des<br />
Mietervereins eingebunden sind. Die Beschwerdeführer sind zu<br />
zeitlicher und örtlicher Rücksichtnahme verpflichtet und übernehmen<br />
– je nach Beratungsbedarf der einzelnen Mieter – im Rahmen<br />
der gegenüber dem Verein eingegangenen Verpflichtung die Rechtsbesorgung.<br />
Abhängigkeit durch Einbindung in eine Organisation<br />
entsteht aber nicht durch die übliche Rücksichtnahme unter Vertragspartnern,<br />
sondern durch richtunggebende Einflussnahme auf<br />
den Inhalt der Dienstleistung und durch Rechenschaftsverpflichtungen<br />
des Dienstleistenden. Hieran fehlt es.<br />
Anderes ergibt sich auch nicht aus der Vereinssatzung oder<br />
dem Vertrag zwischen dem Verein und den Beschwerdeführern. Zu<br />
Recht wird in den eingeholten Stellungnahmen darauf hingewiesen,<br />
dass bei dauerhaften Beratungsverhältnissen der Rechtsanwalt auf<br />
die zeitlichen Vorstellungen seines Mandanten schon aus „Kundenfreundlichkeit“<br />
eingehen wird, ohne dass dies seine Unabhängigkeit<br />
beeinträchtigt. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Bereitstellung<br />
einer Sekretärin sowie der für die Beratung erforderlichen Gegenstände<br />
durch den Mieterverein irgendeinen inhaltlichen Einfluss<br />
auf die Rechtsbesorgung im Verein oder die spätere anwaltliche Tätigkeit<br />
bei der Vertretung von Vereinsmitgliedern haben kann.<br />
Schließlich überzeugt auch das Argument nicht, die persönliche<br />
Abhängigkeit der Beschwerdeführer ergebe sich aus der Dauer der<br />
Tätigkeit für den Mieterverein. Es ist nicht erkennbar, inwieweit es<br />
eine Rolle spielen kann, ob die zweitberufliche Tätigkeit erst seit<br />
kurzer Zeit oder bereits über einen längeren Zeitraum betrieben<br />
wird. Insoweit wird in den eingeholten Stellungnahmen zutreffend<br />
darauf hingewiesen, dass auch bei ausschließlicher anwaltlicher<br />
Tätigkeit Dauerberatungsmandate üblich sind, die zu wirtschaftlicher<br />
Abhängigkeit führen können, ohne dass die Stellung des<br />
Rechtsanwalts als unabhängiges Organ der Rechtspflege in Frage<br />
gestellt wird. Deshalb lässt sich die in den angegriffenen Entscheidungen<br />
behauptete Interessenkollision auch nicht auf das vom<br />
Mieterverein gezahlte Entgelt stützen. Es wird nicht dargelegt,<br />
dass über die jeder wirtschaftlichen Betätigung immanente Abhängigkeit<br />
zum Vertragspartner hinaus im vorliegenden Fall die Gefahr<br />
aufscheint, wegen der Bezahlung könnten Weisungen aus dem<br />
Zweitberuf in die anwaltliche Tätigkeit hineinwirken.<br />
Vorliegend spricht alles gegen eine solche Konstellation. Die<br />
Beschwerdeführer beraten nicht den Mieterverein, sondern dessen<br />
Mitglieder. Die unterstellten Weisungen des Mieterverins aus dem<br />
Vertragsverhältnis zu den Beschwerdeführern müssten auf diese individuelle<br />
Beratungsebene durchschlagen und sogar bei einer späteren<br />
anwaltlichen Tätigkeit für das Vereinsmitglied Wirkung entfalten.<br />
Auch bei typisierender Betrachtungsweise ist das kaum<br />
vorstellbar. Ohne jeden Anhalt im Vertrag kann das jedenfalls nicht<br />
unterstellt werden. Vielmehr wird mit der Beratung im Verein und<br />
der anwaltlichen Tätigkeit für ein Mitglied das gleiche Ziel verfolgt;<br />
es geht um die Wahrung der Rechte des einzelnen Mieters in<br />
einer konkreten Situation, die nicht in der Vereinsmitgliedschaft<br />
wurzelt. Es geht um individuelle Verhältnisse, die dem auftraggebenden<br />
Verein regelmäßig nicht einmal bekannt sein werden.<br />
3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf<br />
§ 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes ergibt<br />
sich aus § 113 Abs. 2 S. 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79,<br />
365 [366 ff.]).<br />
BRAO § 40 Abs. 4, § 41; FGG §§ 16, 27 Abs. 1 S. 2; ZPO § 551<br />
Nr. 7<br />
Ein nach mündlicher Verhandlung ergangener Beschluss ist<br />
„nicht mit Gründen versehen“, wenn er nicht binnen fünf Monaten<br />
nach der Verhandlung voltständig schriftlich niedergelegt,<br />
von den Richtern besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle<br />
übergeben worden ist. Dies gilt unabhängig davon, ob die<br />
Beschlussformel verkündet oder die Entscheidung insgesamt<br />
durch Zustellung bekannt gemacht worden ist (Fortführung von<br />
BGH, Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – BRAK-Mitt. 1998,<br />
93 und Aufgabe von BGH, Beschl.v. 29.9.1997 – AnwZ (B) 27/97 –<br />
BRAK-Mitt. 1998, 89).<br />
BGH, Beschl. v. 18.6.2001 – AnwZ (B) 10/00<br />
Aus den Gründen: I. Der Antragsteller ist seit 1981 zur Rechtsanwaltschaft<br />
und als Rechtsanwalt beim LG Berlin, seit 1988 beim<br />
Kammergericht, zugelassen. Zum 1.3.1991 ist er unter Berufung in<br />
das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zum Professor an der Fachhochschule<br />
P (für Familien- und Verwaltungsrecht) ernannt worden.<br />
Die frühere Antragsgegnerin, die Präsidentin des Kammergerichts,<br />
hat mit Verfügung vom 3.6.1998 die Zulassung des<br />
Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft nach § 14 Abs. 2 Nr. 5<br />
BRAO widerrufen. Gegen den Beschluss des Anwaltsgerichtshofs<br />
vom 10.1.2000, durch den sein Antrag auf gerichtliche Entscheidung<br />
zurückgewiesen worden ist, richtet sich die sofortige Beschwerde<br />
des Antragstellers.<br />
II. Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4<br />
BRAO), hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Zulassung des<br />
Antragstellers zur Rechtsanwaltschaft war gem. § 14 Abs. 2 Nr. 5<br />
BRAO zu widerrufen, weil er zum Beamten auf Lebenszeit ernannt<br />
worden ist und nicht auf die Rechte aus der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />
verzichtet hat.
184<br />
l<br />
1. a) Allerdings ist der angefochtene Beschluss mit einem wesentlichen<br />
Verfahrensmangel behaftet. Denn nachdem der Anwaltsgerichtshof<br />
über den Antrag des Rechtsanwalts auf gerichtliche<br />
Entscheidung am 12.7.1999 mündlich verhandelt hatte (§ 40 Abs. 2<br />
S. 1 BRAO), ist seine auf Grund dieser Verhandlung erlassene Entscheidung<br />
von allen Richtern erst mit dem 10.1.2000 – und damit<br />
mehr als fünf Monate nach der mündlichen Verhandlung – unterzeichnet<br />
und der Geschäftsstelle zur Zustellung zugeleitet worden.<br />
Es entspricht einem mittlerweile für alle Prozessarten anerkannten<br />
Grundsatz, dass ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes<br />
Urteil ,nicht mit Gründen versehen’ (§ 551 Nr. 7 ZPO)<br />
ist, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf<br />
Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern<br />
besonders unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben<br />
worden sind (vgl. GmS-OGB, Beschl. v. 27.4.1993, LM Nr. 1 zu<br />
§ 138 VwGO = NJW 1993, 2603). Demgemäß hat auch der Senat<br />
(Beschl. v. 30.9.1997 – AnwZ (B) 11/97 – LM Nr. 7 zu § 40<br />
BRAO = BRAK-Mitt. 1998, 93) entschieden, dass der im Zulassungsverfahren<br />
nach § 40 BRAO ergangene Beschluss des Anwaltsgerichtshofes<br />
dann an einem wesentlichen Verfahrensmangel<br />
(§ 40 Abs. 4 BRAO i. V. mit § 27 Abs. 1 S. 2 FGG, § 551 Nr. 7<br />
ZPO) leidet, wenn der vollständig abgefasste und unterschriebene<br />
Beschluss erst mehr als fünf Monate nach Verkündung der Beschlussformel<br />
zur Geschäftsstelle gelangt. Bei einer Bekanntmachung<br />
der auf Grund mündlicher Verhandlung ergangenen Entscheidung<br />
durch Zustellung (§ 40 Abs. 4 BRAO i. V. mit § 16 Abs.<br />
2 FGG), ohne dass dieser bereits eine Verkündung der Beschlussformel<br />
vorausgegangen ist, gilt – in entsprechender Anwendung<br />
dieses verfahrensübergreifenden Grundsatzes – nichts anderes.<br />
Vielmehr leidet auch in einem solchen Falle die Entscheidung an<br />
einem wesentlichen Verfahrensmangel, wenn der vollständige Beschluss<br />
nicht binnen fünf Monaten nach der mündlichen Verhandlung<br />
schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und<br />
der Geschäftsstelle übergeben worden ist. Denn die Annahme eines<br />
Verfahrensmangels bei Überschreitung der Fünf-Monatsfrist<br />
wird – unabhängig davon, ob die jeweilige Verfahrensordnung<br />
diese Frist als absolute Frist für die Rechtsmitteleinlegung vorsieht<br />
– von der Erwägung bestimmt, dass das richterliche Erinnerungsvermögen<br />
abnimmt und nach Ablauf von mehr als fünf Monaten<br />
insbesondere auch nicht mehr Gewähr leistet ist, dass der Eindruck<br />
von der mündlichen Verhandlung noch absolut zuverlässigen Niederschlag<br />
in den später abgefassten Gründen der Entscheidung findet<br />
(vgl. Senatsbeschluss vom 30.9.1997, aaO). Diese Erwägung<br />
beansprucht unabhängig davon Beachtung, ob nach der mündlichen<br />
Verhandlung bereits eine Beschlussformel verkündet worden ist<br />
oder nicht. Denn auch im letztgenannten Falle – die Vorschriften<br />
der BRAO und des FGG schreiben die Verkündung der Beschlussformel<br />
nicht zwingend vor – ist nicht mehr sicher Gewähr leistet,<br />
dass das in der mündlichen Verhandlung Erörterte bei der so viel<br />
späteren Abfassung des Beschlusses Berücksichtigung findet, die<br />
Entscheidung also noch ,auf Grund der mündlichen Verhandlung’<br />
(§ 40 Abs. 2 S. 1 BRAO) ergeht. So weit der Senat im Beschl. v.<br />
29.9.1997 (AnwZ (B) 27/97 – BRAK-Mitt. 1998, 89 f.) eine andere<br />
Auffassung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.<br />
b) Der Umstand, dass das Verfahren des Anwaltsgerichtshofes<br />
danach mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet ist, hindert<br />
den Anwaltssenat als Beschwerdegericht indessen nicht, im<br />
Beschwerdeverfahren, durch das eine neue Tatsacheninstanz eröffnet<br />
ist, nach dem Rechtsgedanken des § 540 ZPO eine eigene<br />
Sachentscheidung zu treffen (Senatsbeschluss vom 30.9.1997,<br />
aaO). Denn die Sache – die im Kern ohnehin im Wesentlichen<br />
Rechtsfragen betrifft – ist nach dem vorliegenden Verfahrensstoff<br />
und nach Berücksichtigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung<br />
entscheidungsreif.<br />
c) Für die Entscheidung über die Beschwerde kommt es<br />
schließlich auch nicht darauf an, ob dem Antragsteller – wie er<br />
meint – im Verfahren vor dem Anwaltsgerichtshof nicht ausreichend<br />
rechtliches Gehör gewährt worden ist. Ein etwaiger Verfahrensmangel<br />
wäre dadurch geheilt, dass der Antragsteller vor dem<br />
als Tatsacheninstanz beschließenden Senat rechtliches Gehör hatte<br />
(Senatsbeschluss vom 24.10.1994 – AnwZ (B) 30/94 – BRAK-<br />
Mitt. 1995, 76 f.). Einen Anspruch auf zwei Tatsacheninstanzen<br />
hat der Antragsteller nicht (BGHZ 77, 327, 329).<br />
2. a) Nach § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO ist die Zulassung zur<br />
Rechtsanwaltschaft zu widerrufen, wenn der Rechtsanwalt zum Be-<br />
amten auf Lebenszeit ernannt wird und nicht auf die Rechte aus<br />
der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft verzichtet. Die Vorschrift ergänzt<br />
mithin § 7 Nr. 10 BRAO für die Fälle, in denen die Berufung<br />
in dieses Beamtenverhältnis erst nach der Zulassung zur Rechtsanwaltschaft<br />
erfolgt. Beide Regelungen haben ihren Grund in der<br />
Unvereinbarkeit des Berufs eines Beamten mit der Stellung als<br />
Rechtsanwalt. Diese Unvereinbarkeit hat ihren Ursprung im Berufsbild<br />
des in freier Advokatur tätigen Rechtsanwalts, das durch<br />
innere und äußere Unabhängigkeit geprägt ist. Abhängigkeit und<br />
Weisungsgebundenheit sind neben der Dienstpflicht zur Erfüllung<br />
übertragener Aufgaben dagegen wesentliche Merkmale des Beamtenverhältnisses.<br />
Der Beamte steht zu seinem Dienstherrn in einem<br />
öffentlichrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, das ihm besondere<br />
Pflichten auferlegt und ihn bei der Übernahme und dem Umfang<br />
anderer Tätigkeiten grundsätzlich von Genehmigungen seines<br />
Dienstherrn abhängig macht. Dieser Inhalt des Beamtenverhältnisses<br />
steht nicht in Einklang mit der Stellung eines Rechtsanwalts.<br />
Das hat der Senat wiederholt und in ständiger Rechtsprechung zum<br />
Ausdruck gebracht (BGHZ 71, 23, 24 f.; 92, 1, 2 ff.; Senatsbeschlüsse<br />
vom 19.6.1995 – AnwZ (B) 82/94 – BRAK-Mitt. 1995,<br />
214; vom 26.1.1998 – AnwZ (B) 62/97 – BRAK-Mitt. 1998, 155;<br />
vom 18.10.1999 – AnwZ (B) 99/98 – BRAK-Mitt. 2000, 44, 45;<br />
vom 19.6.2000 – AnwZ (B) 58/99 – BRAK-Mitt. 2000, 255, 256).<br />
b) Sinn und Zweck des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO lassen es nicht<br />
zu, die Vorschrift – entgegen ihrem eindeutigen Wortlaut – dahin<br />
auszulegen, dass Professoren an Fachhochschulen – wenngleich<br />
Beamte auf Lebenszeit – von ihr nicht erfasst werden (vgl. Senatsbeschluss<br />
vom 18.10.1999, aaO zu § 7 Nr. 11 BRAO a. F.). Der Gesetzgeber<br />
hat – wie auch mit § 7 Nr. 10 BRAO – aus Gründen der<br />
Klarheit und Rechtssicherheit eine generalisierende und formalisierende<br />
Entscheidung getroffen, die eine einfache Handhabung Gewähr<br />
leisten soll und die allein auf die Rechtsstellung als Beamter<br />
im aktiven Dienst abstellt (st. Rspr. vgl. Beschl. v. 19.6.1995, aaO;<br />
vom 18.10.1999, aaO). Demgemäß kommt es auch nicht darauf an,<br />
ob die Stellung und die Tätigkeit als Beamter im Einzelfall zu<br />
Schwierigkeiten bei der Ausübung des Berufs als Rechtsanwalt geführt<br />
haben (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10.12.1982 – AnwZ (B)<br />
29/82 – BRAK-Mitt. 1983, 86 und vom 26.1.1998, aaO). Die Regelung<br />
beruht auf der grundsätzlichen Trennung zwischen dem öffentlichrechtlichen<br />
Status als Träger staatlicher Verwaltung und<br />
dem Anwaltsberuf. Diese Trennung steht im überragenden<br />
Allgemeininteresse und gehört zur Gewährleistung der Unabhängigkeit<br />
der Rechtsanwaltschaft.<br />
c) In dieser Auslegung begegnet die Vorschrift – auch mit Blick<br />
auf den mit ihr verbundenen Eingriff in die Berufsfreiheit – keinen<br />
verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn an die Voraussetzungen<br />
für den Zugang zu einem Zweitberuf und für den Verbleib in ihm<br />
sind nicht die gleichen hohen Anforderungen wie für einen Erstberuf<br />
zu stellen. Das hat der Senat in ständiger Rechtsprechung – sowohl<br />
für die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Nr. 5 BRAO als auch für §<br />
7 Nr. 11 BRAO a. F., § 7 Nr. 10 BRAO – wiederholt ausgesprochen<br />
(vgl. Senatsbeschlüsse vom 19.6.1995, aaO m. w. N.; vom<br />
26.1.1998, aaO; vom 18.10.1999, aaO) und zuletzt mit Beschl. v.<br />
19.6.2000 (aaO) bekräftigt. Das Beschwerdevorbringen bietet keinen<br />
Anlass zu einer anderen Beurteilung.<br />
Streitwert, Kosten, Erstattung<br />
AnwBl 3/2002<br />
Rechtsprechung<br />
ARB § 2 Abs. 1 lit a<br />
Die in der Auflösungsvereinbarung für ein Arbeitsverhältnis vereinbarten<br />
Leistungen bilden eine aufeinander bezogene Einheit<br />
und sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen.<br />
(LS der Redaktion)<br />
AG Köln, Urt. v. 5.7.2001 – 117 c 12/01<br />
Aus den Gründen: Die Klage ist begründet.<br />
Der Kl steht ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung<br />
gegen die Bekl in Höhe der Klagesumme zu. Die Bekl,<br />
die aufgrund des zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrages<br />
verpflichtet ist, der Kl Rechtsschutz für die Wahrnehmung<br />
rechtlicher Interessen aus Arbeitsverhältnissen gem. § 25
AnwBl 3/2002 185<br />
Rechtsprechung l<br />
Abs. 2 b) ARB zu gewähren, hätte der Kl die gesamte Honorarforderung<br />
ihres Prozessbevollmächtigten und damit auch den hier geltend<br />
gemachten Differenzbetrag in Höhe von 2.378 DM, welchen<br />
die Kl verauslagt hat, erstatten müssen.<br />
Dass mit der angekündigten Kündigung des Arbeitgebers der<br />
Kl ein Versicherungsfall vorlag, ist zwischen den Parteien unstreitig.<br />
Dem entspricht es auch, dass die Bekl die Gebühren des Prozessbevollmächtigten<br />
der Kl nach dem üblichen Streitwert von<br />
drei Brutto-Monatsgehältern für den Regelungskomplex „Kündigung“<br />
des Aufhebungsvertrages ohne weiteres erstattet hat.<br />
Bei der Berechnung der der Kl gem. § 2 Abs. 1 a) ARB zu<br />
erstattenden gesetzlichen Vergütung eines Rechtsanwaltes sind jedoch<br />
streitwerterhöhend auch die Regelstreitwerte für die innerhalb<br />
des Auflösungsvertrages mitverglichenen Ansprüche zu berücksichtigen.<br />
Denn entgegen der Auffassung der Bekl sind diese Ansprüche<br />
sehr wohl streitig in dem Sinne, als dass alle Teile des geschlossenen<br />
Vergleichs als Kompensation für den Verzicht der Kl<br />
auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage anzusehen sind.<br />
Zwar mag es sein, dass die in der Abfindungsvereinbarung als<br />
seitens des Arbeitgebers zu erbringenden festgeschriebenen Leistungen<br />
zwischen den Parteien bei Fortgang des Verfahrens nicht<br />
alle streitig geworden wären. Allein die – nicht abwegige – Möglichkeit<br />
eines Streitigwerdens dieser Fragen ist jedoch in der Regel<br />
für einen um Aufhebung verhandelnden Arbeitnehmer Grund genug,<br />
eine Auflösungsvereinbarung nur dann zu akzeptieren und auf<br />
die Durchführung eines Kündigungsschutzverfahrens zu verzichten,<br />
wenn alle denkbaren möglichen Streitfragen einvernehmlich<br />
geregelt werden. Stellt aber die einvernehmliche Regelung aller<br />
Abwicklungsfragen rund um das Arbeitsverhältnis insgesamt die<br />
Gegenleistung für den seitens der Kl erklärten Verzicht auf die Erhebung<br />
der Kündigungsschutzklage dar, so bilden die einzelnen<br />
vereinbarten Leistungen eine aufeinander bezogene Einheit und<br />
sind als Gesamtheit streitwerterhöhend zu berücksichtigen (ebenso<br />
LG Bonn, Urt. v. 14.1.1998, Az. 5 S 159/97, S. 5/6). Es wäre daher<br />
lebensfremd anzunehmen, einzelne Leistungen einer in diesem<br />
Sinne einheitlichen Regelung seien mit dem Rechtsschutzversicherer,<br />
andere hingegen zwischen Anwalt und Mandant unmittelbar<br />
abzurechen (vgl. LAG Hannover, R+S 1997, 202, 203; Harbauer,<br />
Kommentar zur BRAGO, § 2 Rdnr. 166 ff.).<br />
Da nur die grundsätzliche Berücksichtigung der Gegenstandswerte<br />
der mitverglichenen Ansprüche als streitwerterhöhend zwischen<br />
den Parteien streitig war, die Bekl aber die Höhe der angesetzten<br />
Einzelstreitwerte nicht beanstandet hat, war wie beantragt<br />
zu entscheiden.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Wolfdieter Küttner, Köln<br />
ArbGG § 12 Abs. 7 Satz 1; BRAGO § 8 Abs. 1 Satz 1, § 10 Abs. 3<br />
§ 31 Abs. 1 Nr. 1; BetrVG § 113 Abs. 3; GKG § 12 Abs. 1 Satz 1,<br />
§ 19 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 3<br />
1. Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />
dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />
und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Streitgegenstand<br />
beziehen.<br />
2. Der Kündigungsschutzantrag und der Antrag auf Abfindungszahlung<br />
gem. § 113 Abs. 3 BetrVG betreffen unterschiedliche<br />
Streitgegenstände.<br />
3. Die Tätigkeit des Rechtsanwalts bezüglich eines als Hilfsantrag<br />
gestellten Anspruchs auf Nachteilsausgleich ist, auch wenn<br />
das Gericht über den Hilfsantrag (hier wegen Klagerücknahme)<br />
nicht entschieden hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung<br />
zu berücksichtigen.<br />
LAG Köln, Beschl. v. 14.9.2001 – 13 Ta 214/01<br />
Aus den Gründen: II. Die nach § 10 Abs. 3 BRAGO statthaften<br />
und auch im Übrigen zulässigen Beschwerden sind begründet.<br />
1. Der Kündigungsschutzantrag ist zu Recht mit drei Monatsgehältern<br />
gemäß § 12 Abs. 7 Satz 1 ArbGG bewertet worden. Auszugehen<br />
ist von dem zwischen den Parteien unstreitigen Bruttomonatsgehalt<br />
des Kl von 4.094 DM. Der Streitwert für den<br />
Hauptantrag war daher in Höhe von 12.282 DM festzusetzen.<br />
2. Das Arbeitsgericht hat zu Unrecht abgelehnt, für den Antrag<br />
auf Abfindungszahlung einen gesonderten Streitwert festzusetzen,<br />
weil es sich dabei um einen Hilfsantrag handle. § 19 Abs. 1 Satz 2<br />
GKG ist hier nicht anwendbar. Nach dieser Regelung bleibt bei der<br />
Wertfestsetzung ein Hilfsantrag außer Betracht, wenn über ihn<br />
nicht entschieden wurde. Zwar ist das hier der Fall, da der Rechtsstreit<br />
auf Grund einer Klagerücknahme erledigt worden ist. Die<br />
Vorschrift des § 19 Abs. 1 Satz 2 GKG greift jedoch vorliegend<br />
nicht ein, da es sich nicht um die Bemessung der Gerichtskosten,<br />
sondern um die Bemessung der Anwaltsgebühren handelt.<br />
Die Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren ist für die Anwaltsgebühren<br />
dann nicht maßgebend, wenn sich die anwaltliche<br />
und gerichtliche Tätigkeit nicht auf denselben Gegenstand beziehen<br />
(GK-Wenzel ArbGG § 12 Rdnr. 88 m. w. N.; Riedel/Sußbauer<br />
BRAGO 8. Aufl. § 10 Rdnr. 5; Madert/Gerold/Schmidt BRAGO<br />
14. Aufl. § 8 Rdnr. 19). Das trifft auch zu, wenn das Gericht in<br />
eine Prüfung des Hilfsantrags gar nicht eingetreten ist, weil wie<br />
vorliegend das Verfahren durch Klagerücknahme vorzeitig erledigt<br />
worden ist. In diesem Fall ist der Anwalt bezüglich des Hilfsantrags<br />
durch Entgegennahme der Information sowie durch Anfertigen<br />
und Einreichen der Klageschrift auch im Sinne des § 31 Abs.<br />
1 Nr. 1 BRAGO tätig geworden. Diese Tätigkeit muss daher bei<br />
der Bemessung der Prozessgebühren, so weit sie nicht zur Erhebung<br />
einer Gerichtsgebühr geführt hat, mit einer besonderen Streitwertfestsetzung<br />
nach § 10 BRAGO berücksichtigt werden (LAG<br />
Hamm 26.5.1989 LAGE § 19 GKG Nr. 6; Egon Schneider, LAGE<br />
Anmerkung zu § § 19 GKG Nr. 4; Creutzfeldt: Die Wertfestsetzung<br />
im arbeitsgerichtlichen Verfahren NZA 1996, 956 f., 961, 962).<br />
Die Gegenauffassung (vgl. dazu Frank: Anspruchsmehrheiten im<br />
Streitwertrecht, 1986, S. 251 m. w. N.), berücksichtigt nicht, dass<br />
sich die Bemessung der Anwaltsgebühren nach der tatsächlich erbrachten<br />
anwaltlichen Leistung richtet (so auch LAG Hamm aaO).<br />
b) Der gesonderten Streitwertfestsetzung steht weiterhin § 12<br />
Abs. 7 Satz 1 2. Halbsatz ArbGG nicht entgegen. Danach wird<br />
eine Abfindung, die neben einem Kündigungsschutzantrag geltend<br />
gemacht worden ist, bei der Streitwertberechnung nicht hinzugerechnet.<br />
Diese Vorschrift kommt jedoch dann nicht zur Anwendung,<br />
wenn die Abfindung auf einer eigenen Anspruchsgrundlage<br />
beruht, die nicht von dem Ausgang des Kündigungsschutzrechtsstreits<br />
abhängig ist. Insoweit handelt es sich um verschiedene<br />
Streitgegenstände, sodass eine Streitwertaddition erfolgen kann.<br />
Dies ist bei einem Abfindungsanspruch nach § 113 Abs. 3 BetrVG<br />
der Fall (LAG Bremen 15.3.1983 EzA 22 zu § 12 ArbGG 1979<br />
Streitwert; LAG Düsseldorf 17.1.1985 LAGE Nr. 33 zu § 12<br />
ArbGG 1979 Streitwert; LAG Berlin 17.3.1995 NZA 1995, 1.072;<br />
Germelmann/Matthes/Prütting ArbGG, 3. Aufl. § 12 Rdnr. 116;<br />
GK-Wenzel aaO Rdnr. 103 m. w. N.).<br />
Vorliegend ist der Abfindungsanspruch ausdrücklich auf die<br />
eigenständige Anspruchgrundlage des § 113 Abs. 3 i. V. m. Abs. 1<br />
BetrVG gestützt und war daher neben dem Kündigungsschutzantrag<br />
mit einem gesonderten Streitwert zu bemessen.<br />
c) Die Höhe des Streitwerts für den Hilfsantrag auf Zahlung<br />
eines Nachteilsausgleichs war entsprechend der Berechnung der<br />
Prozessbevollmächtigten des Kl auf vier Bruttomonatsgehältern,<br />
also 16.376 DM festzusetzen.<br />
Für die Bemessung des Gegenstandswertes ist in vermögensrechtlichen<br />
Streitigkeiten nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BRAGO i. V. m.<br />
§§ 12 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3 ZPO der zu schätzende Wert des<br />
Streitgegenstandes maßgebend. Für unbezifferte Klageanträge, mit<br />
denen die Höhe des begehrten Geldanspruchs in das Ermessen des<br />
Gerichts gestellt wird, ist der Streitwert zu schätzen. Der Nachteilsausgleich<br />
verweist der Höhe nach gem. § 113 Abs. 1 2. Halbsatz<br />
auf § 10 KschG. Nach § 10 Abs. 1 KschG ist als Abfindung<br />
ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. Unter Berücksichtigung<br />
dieser Höchstgrenze erscheint ein Streitwert in<br />
Höhe eines halben Bruttomonatsverdienstes pro Beschäftigungsjahr<br />
angemessen (so auch BAG Beschl. v. 2.1.2001 – 1 AZN 547/<br />
00 – n. v.; LAG Köln 2.2.2001 – 13 Ta 327/00 n. v.).<br />
Der Streitwert war daher, da der Kl bis zum Zeitpunkt des Ausscheidens<br />
bei der Bekl acht Jahre beschäftigt war, auf vier Bruttomonatsgehälter<br />
festzusetzen.<br />
Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben, § 78<br />
Abs. 2 ArbGG.<br />
Mitgeteilt von dem LAG Köln
186<br />
l<br />
BRAGO § 10, § 9; GKG § 25; ZPO § 97<br />
Das Wertfestsetzungsverfahren nach § 10 BRAGO ist gegenüber<br />
dem nach § 9 BRAGO subsidiär. Es greift nur ein, wenn sich die<br />
Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die<br />
Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert richten oder es an einem<br />
solchen Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn<br />
Gerichtsgebühren nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren<br />
nach §§ 80 ff. ArbGG.<br />
Schließen die Parteien vor dem ArbG im Urteilsverfahren einen<br />
Vergleich, entfallen zwar die Gerichtsgebühren nach Ziff. 9112<br />
des Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Damit fehlt es nicht<br />
an einem Wert für die Festsetzung. Die Gebühren werden lediglich<br />
nicht erhoben. Auch in diesem Fall erfolgt die Wertfestsetzung<br />
nach § 9 BRAGO i.V. m. § 25 GKG.<br />
Legt ein Rechtsanwalt in eigenem Namen Beschwerde gegen<br />
eine Streitwertfestsetzung durch das Gericht nach § 9 BRAGO<br />
i.V. m. § 25 GKG ein, werden gem. § 25 Abs. 4 GKG außergerichtliche<br />
Kosten nicht erstattet.<br />
LAG Schleswig-Holstein, Urt. v. 29.12.2000 – 3 Ta 90/00<br />
Aus den Gründen: I. Der Kl hatte sich gegen eine Kündigung<br />
des Arbeitsverhältnisses durch die Bekl gewandt. Diese Streitigkeit<br />
wurde durch Vergleich vom 4.5.2000 beigelegt. Das ArbG setzte<br />
mit Beschl. v. 4.5.2000 den Wert des Streitgegenstandes auf 15.000<br />
DM fest. Am 31.5.2000 legten die Klägervertreter Streitwertbeschwerde<br />
ein und forderten Festsetzung auf 26.916,68 DM.<br />
Diese wurde durch Beschl. v. 25.7.2000 zurückgewiesen. Die Bekl<br />
hat nunmehr beantragt, die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem<br />
Kl aufzuerlegen.<br />
II. Der Antrag der Bekl hat keinen Erfolg.<br />
Es fehlt die Zulässigkeit des Antrags. Dieser ist dahingehend<br />
auszulegen, dass eine Ergänzung des Beschl. v. 25.7.2000 hinsichtlich<br />
der Kostenentscheidung ergehen soll, § 321 Abs. 1 ZPO. Die<br />
Vorschrift für Urteilsergänzungen ist auch auf Beschlüsse anzuwenden<br />
(Zöller/Vollkommer, Rdnr. 41 zu § 329 ZPO). Der Antrag<br />
ist aber nicht innerhalb der zweiwöchigen Frist, § 321 Abs. 2 ZPO,<br />
gestellt worden und damit unzulässig.<br />
Zudem ist der Antrag nicht begründet. Zwar fallen die Kosten<br />
eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels der Partei zur Last, die<br />
es eingelegt hat, § 97 Abs. 1 ZPO. Das gilt aber nicht im vorliegenden<br />
Fall. Es handelte sich um eine Streitwertbeschwerde, die die<br />
Klägervertreter eingelegt hatten.<br />
Die Streitwertfestsetzung erfolgte hier gem. § 9 BRAGO<br />
i. V. m. § 25 GKG. Zwar haben weder die Klägervertreter noch das<br />
ArbG zur Rechtsgrundlage Ausführungen gemacht. Jedoch ist die<br />
Festsetzung nach § 9 Abs. 2 BRAGO im vorliegenden Fall die zutreffende.<br />
Die Wertfestsetzung nach § 10 Abs. 1 BRAGO ist nämlich<br />
gegenüber der nach § 9 Abs. 2 BRAGO i. V. m. § 25 GKG<br />
subsidiär (LAG Köln Beschl. v. 8.8.1991 – 11 Ta 127/91 – JurBüro<br />
1991,1678, 1679 m. w. N.). Sie erfolgt nur dann, wenn sich die<br />
Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit nicht nach dem für die<br />
Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert richten oder es an einem<br />
solchen Wert fehlt. Das kommt insbesondere in Betracht, wenn<br />
Gerichtsgebühren nicht anfallen, z. B. in Beschlussverfahren nach<br />
§§ 80 ff. ArbGG. Aufgrund des von den Parteien abgeschlossenen<br />
Vergleichs fallen zwar Gebühren im vorliegenden Fall nicht an,<br />
Ziff. 9112 des Gebührenverzeichnisses zum ArbGG. Jedoch fehlt<br />
es deshalb nicht an einem Wert, nach dem sich die Gerichtsgebühren<br />
richten. Sie werden nur nicht erhoben.<br />
Die Befugnis, die Streitwertfestsetzung zu beantragen und auch<br />
Beschwerde einzulegen, steht dem bevollmächtigten Rechtsanwalt<br />
nach § 9 Abs. 2 BRAGO auch aus eigenem Recht zu (LAG Hamm<br />
Beschl. v. 15.4.1982 – 8 Ta 54/82 – EzA § 25 GKG Nr. 1). Hier ist<br />
ersichtlich nicht vom Kl, sondern von seinen Prozessbevollmächtigten<br />
Beschwerde eingelegt worden. Zwar haben sie dies nicht<br />
ausdrücklich angegeben. Ein Interesse des Kl an einer höheren<br />
Festsetzung ist allerdings nicht ersichtlich. Auch hat das ArbG im<br />
Nichtabhilfebeschluss ausdrücklich der Beschwerde der Klägervertreter<br />
nicht abgeholfen, ohne dass diese das später richtiggestellt<br />
haben.<br />
Gem. § 25 Abs. 4 GKG ist das Verfahren über die Beschwerde<br />
gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet. Dementsprechend ist<br />
auch nicht Raum für eine Kostenentscheidung.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Rechtsprechung<br />
Da es sich bei dem Kostenantrag um einen Teil des Verfahrens<br />
über die Streitwertbeschwerde handelt, ist auch jetzt nicht über die<br />
Kosten der Ergänzung des Beschlusses zu entscheiden.<br />
Mitgeteilt von dem LAG Schleswig-Holstein<br />
GKG § 13<br />
Der Streitwert in einem Verfahren, in dem vordergründig um<br />
die Verleihung der Rechtsfähigkeit an einen als wirtschaftlicher<br />
Verein gegründeten Feuerbestattungsverein gestritten wird, in<br />
der es hingegen mittelbar um die Frage geht, ob die Errichtung<br />
und der Betrieb eines Krematoriums überhaupt durch ein auf<br />
Gewinnerzielung ausgerichtetes Rechtssubjekt des privaten<br />
Rechts erfolgen darf, ist in Höhe eines Zehntels der für eine solche<br />
Anlage erforderlichen Investitionssumme festzusetzen.<br />
VG Schleswig, Beschl. v. 14.11.2000 – 3 A 144/98<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Dr. Wolfgang Ewer, Kiel<br />
ZSEG § 7Abs. 1<br />
In entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 1 ZSEG kann sich<br />
eine Parteivereinbarung auch auf die Höhe der dem Sachverständigen<br />
zu erstattenden Auslagen beziehen.<br />
OLG Koblenz, Beschl. v. 14.5.2001 – 11 W 319/01<br />
Aus den Gründen: Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.<br />
§ 7 ZSEG ermöglicht auch eine Parteivereinbarung über die<br />
einem Sachverständigen zu erstattenden Auslagen.<br />
Allerdings weist der Vertreter der Staatskasse zutreffend darauf<br />
hin, dass die Frage, ob eine Vereinbarung der Parteien über einen<br />
anderweitigen Ersatz von Aufwendungen die Staatskasse bindet, in<br />
Rechtsprechung und Literatur umstritten ist (vgl. die Nachweise<br />
bei Meyer/Höver ZSEG 21. Aufl. Rdnr. 1.3 zu § 7 ZSEG).<br />
Der Senat folgt der auch vom OLG Zweibrücken (Beschl. v.<br />
2.11.1989 – 4 U 170/88) vertretenen Ansicht, wonach die Parteien<br />
in entsprechender Anwendung von § 7 Abs. 1 ZSEG rechtswirksam<br />
auch eine Vereinbarung über die Höhe der dem Sachverständigen<br />
zu erstattenden Auslagen treffen können (so auch OLG Stuttgart<br />
Rpfleger 1986, 112 und LAG Düsseldorf Juristisches Büro<br />
1992, 765, 766 unter 4. a]).<br />
Meyer/Höver meinen demgegenüber, aus der systematischen<br />
Stellung des § 7 ZSEG ergebe sich, dass die Parteivereinbarung,<br />
sich nur auf die Leistungsentschädigung des Sachverständigen<br />
beziehen könne. Dem Senat erscheint indes zweifelhaft, ob der<br />
Gesetzgeber das Problem überhaupt gesehen und demzufolge<br />
durch die gewählte Gesetzessystematik den Anspruch eines Sachverständigen<br />
auf Ersatz von Aufwendungen aus dem Regelungsbereich<br />
des § 7 ZSEG ausschließen wollte.<br />
Das weitere Argument, für eine Vereinbarung über die Aufwendungen<br />
des Sachverständigen bestehe kein Bedürfnis, da er<br />
diese grundsätzlich nur in der tatsächlich entstehenden Höhe verlangen<br />
könne, ist nicht stichhaltig. Denn § 8 ZSEG schreibt für bestimmte<br />
Aufwendungen Festbeträge vor. Dass diese Beträge nach<br />
der individuellen Kalkulation des Sachverständigen seinen tatsächlichen<br />
Aufwand nicht abgelten, liegt auf der Hand. Sind die Prozessparteien<br />
in einer derartigen Situation mit der dem Sachverständigen<br />
tatsächlich entstehenden und begehrten höheren<br />
Aufwandentschädigung einverstanden, besteht kein praktisches Bedürfnis,<br />
dieser Vereinbarung die rechtliche Wirksamkeit abzusprechen<br />
(so zutreffend Herget KoRspr. Nr. 35 zu § 7 ZSEG).<br />
Der Senatsbeschluss vom 15.2.1985 (14 W 43/85) ist noch zur<br />
alten Fassung des § 7 ZSEG ergangen und daher überholt.<br />
Mitgeteilt von Justizamtmann Clemens Bowe, Koblenz<br />
ZPO § 91a<br />
Beruht die angefochtene Entscheidung eines Arbeitsamtes auf<br />
einer für verfassungswidrig erklärten Norm, so ist das Arbeitsamt<br />
zur Erstattung der Kosten der Rechtsverfolgung sowohl im<br />
Widerspruchs- wie auch im Klageverfahren verpflichtet.<br />
(LS der Red.)<br />
SG Düsseldorf, Beschl. v. 12.6.2001 – § 21 Al 112/00
AnwBl 3/2002 187<br />
Rechtsprechung l<br />
Aus den Gründen: Zwischen den Beteiligten war streitig, ob<br />
bei der Berechnung des der Antragstellerin ab 1.9.1997 zustehenden<br />
Arbeitslosengeldes Einmalzahlungen (hier Urlaubs- und Weihnachtsgeld)<br />
zu berücksichtigen waren.<br />
Mit Entscheidung vom 24.5.2000 (1 BvL 1/98, 1 BvL 4/98 und<br />
1 BvL 15/99) erklärte das BVerfG die §§ 112 Abs. 1 S. 2 Arbeitsförderungsgesetz<br />
i. d. F. vom 14.12.1987 (BGBl I Seite 2602) und<br />
134 Abs. 1 S. 3 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch i. d. F. vom<br />
24.3.1997 (BGBl I Seite 594) wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1<br />
des Grundgesetzes für verfassungswidrig, soweit danach einmalig<br />
gezahltes Arbeitsentgelt zu Sozialversicherungsbeiträgen herangezogen<br />
wird, ohne dass es bei der Berechnung sämtlicher beitragsfinanzierter<br />
Lohnersatzleistungen berücksichtigt wird. Außerdem<br />
verpflichtete das BVerfG den Gesetzgeber dazu, durch geeignete<br />
Regelungen sicherzustellen, dass einmalig gezahlte Arbeitsentgelte<br />
bei den Lohnersatzleistungen berücksichtigt werden, über deren<br />
Gewährung für die Zeit ab dem 1.1.1997 noch nicht bestandskräftig<br />
entschieden worden ist.<br />
Diese Verpflichtung setzte der Gesetzgeber mit dem am<br />
1.1.2001 in Kraft getretenen Einmalzahlungs-Neuregelungsgesetz<br />
vom 21.12.2000 (BGBl I, Seite 1971 folgende) um.<br />
Mit Bescheid vom 13.2.2001 erkannte die Antragsgegnerin den<br />
von der Antragstellerin geltend gemachten Anspruch an. Die<br />
Antragstellerin erklärte daraufhin den Rechtsstreit in der Hauptsache<br />
für erledigt und beantragte, der Antragsgegnerin die außergerichtlichen<br />
Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.<br />
Wenn ein sozialgerichtliches Verfahren, wie hier, anders als<br />
durch Urteil erledigt wird, entscheidet das Gericht auf Antrag, ob<br />
und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten<br />
haben (§ 193 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG –). Bei<br />
dieser Entscheidung ist der Rechtsgedanke des § 91a Zivilprozessordnung<br />
– ZPO – heranzuziehen, wonach das Gericht unter Berücksichtigung<br />
des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem<br />
Ermessen entscheidet (vgl. auch Meyer-Ladewig,<br />
Sozialgerichtsgesetz mit Erläuterungen, 6. Aufl., Rdnr. 13 zu<br />
§ 193). Hierbei sind neben den Erfolgsaussichten der Klage auch<br />
die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen<br />
(siehe Meyer-Ladewig, aaO, m. w. N. auf die Rechtsprechung).<br />
Vorliegend entspricht des unter Berücksichtigung dieser Grundsätze<br />
der Billigkeit, dass die Antragsgegnerin die der Antragstellerin<br />
entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten hat.<br />
Die Antragsgegnerin hat zwar zu Recht darauf hingewiesen,<br />
dass nach dem Beschluss des Bundessozialgerichts vom 24.5.1991<br />
(7 Rar 2/91) außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind, wenn<br />
der Erfolg der Klage nur auf einer Rechtsänderung während des<br />
Klageverfahrens beruht und dieser Rechtsänderung unverzüglich<br />
Rechnung getragen wird.<br />
Dieser Beschluss ist jedoch für den hier zu entscheidenden Fall<br />
nicht einschlägig. Denn ihm lag ein Fall zugrunde, bei dem das bei<br />
Erlass der angefochtenen Entscheidung anzuwendende Recht nicht<br />
zu beanstanden und lediglich während des Klageverfahrens eine<br />
Rechtsänderung eingetreten war. Für diesen Fall ist es nachvollziehbar,<br />
dass die Verwaltung nicht allein wegen der Rechtsänderung<br />
mit Kosten belastet werden soll, zumindest wenn sie der<br />
Rechtsänderung unverzüglich Rechnung getragen hat, da sie keinen<br />
Anlass zur Klageerhebung gegeben hat.<br />
Der vorliegende Fall liegt aber anders. Die von der Antragsgegnerin<br />
bei Erlass des angefochtenen Bescheides angewandten<br />
Rechtsvorschriften waren, wie sich aus der Entscheidung des<br />
BVerfG vom 24.5.2000 (aaO) ergibt, verfassungswidrig. Für einen<br />
ähnlich gelagerten Fall hat das BSG mit Beschl. v. 5.8.1992 (10<br />
RKg 16/91) entschieden, dass die Verwaltung die außergerichtlichen<br />
Kosten in vollem Umfang zu tragen hat. Dieser Auffassung<br />
schließt sich das Gericht an. Denn die Antragstellerin hatte bereits<br />
bei Entstehung ihres Arbeitslosengeldanspruches im Jahre 1997<br />
einen Anspruch auf Herstellung einer verfassungsmäßigen Rechtslage,<br />
wenn auch deren Ausgestaltung im Einzelnen dem Gesetzgeber<br />
überlassen blieb. Um diesen Anspruch durchzusetzen, war<br />
die Antragstellerin gezwungen, den Rechtsstreit zu führen.<br />
Andernfalls wäre die Bewilligung von Arbeitslosengeld ohne<br />
die Berücksichtigung von Einmalzahlungen bestandskräftig geworden,<br />
was aufgrund der Entscheidung des BVerfG vom 24.5.2000<br />
(aaO) zur Folge gehabt hätte, dass die Einmalzahlungen nachträglich<br />
nicht mehr berücksichtigt worden waren. Demgegenüber fällt<br />
nicht ins Gewicht, dass die Antragsgegnerin vor einer gesetzlichen<br />
Neuregelung an einer Gewährung von Arbeitslosengeld unter<br />
Berücksichtigung von Einmalzahlungen schon mangels einer entsprechenden<br />
Rechtsgrundlage gehindert war. Mängel der Gesetzgebung<br />
können im Verhältnis Behörde-Bürger jedenfalls nicht dem<br />
Bürger angelastet werden und wirken sich damit im Ergebnis zum<br />
Nachteil der Behörde aus (vgl. Beschl. des BSG vom 5.8.1992,<br />
aaO, BSG vom 16.10.1991, BB 1992, 397 folgende). Dieser Grundsatz<br />
war auch für die Kostenentscheidung zu beachten.<br />
Mitgeteilt von Rechtsanwalt Jörg Holzmeier, Essen<br />
ZPO § 104 Abs. 2 S. 3<br />
Die erstattungsberechtigte Partei ist befugt, die ihreVorsteuerabzugsberechtigung<br />
betreffende Erklärung im Verlauf des<br />
Kostenfestsetzungsverfahrens zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene<br />
Erklärung maßgeblich ist.<br />
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 22.2.2000 – 10 W 11/00<br />
Aus den Gründen: Das gem. § 104 Abs. 3 ZPO in Verbindung<br />
mit § 11 Abs. 1 RpflG als sofortige Beschwerde zulässige Rechtsmittel<br />
des Bekl zu 2) hat in der Sache keinen Erfolg. Der Rpfleger<br />
hat in der angefochtenen Entscheidung zu Recht den Mehrwertsteuersatz<br />
in Höhe von 182,80 DM (16 %) gem. § 25 Abs. 2 BRAGO<br />
berücksichtigt. Das Beschwerdevorbringen rechtfertigt keine Abänderung<br />
der angefochtenen Entscheidung.<br />
1) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats reicht für die<br />
Erstattungsfähigkeit der auf die Rechtsanwaltsgebühren entfallenden<br />
Umsatzsteueranteile die gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebene<br />
Erklärung des Antragstellers, dass er die Beträge nicht als<br />
Vorsteuer abziehen kann. Im Festsetzungsverfahren ist nicht die<br />
Richtigkeit dieser Erklärung zu prüfen (Beschl. v. 25.1.1996, Az: 10<br />
W 3/96,.veröffentlicht in NJW-RR 1996, 768; J<strong>MB</strong>l 1996, 118;<br />
Rpfleger 1996, 304; JurBüro 1996, 426; AnwBl 1996, 238; so<br />
auch: KG JurBüro 1995, 206; OLG Koblenz JurBüro 1995, 206;<br />
OLG Braunschweig MDR 1995, 321; OLG München JurBüro<br />
1995, 34; einschränkend: OLG Brandenburg JurBüro 1997, 257;<br />
OLG Hamburg MDR 1998, 1249).<br />
2) Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluß ist im Verfahren<br />
gem. § 107 ZPO ergangen, nachdem durch Beschl. des LG<br />
Düsseldorf v. 9.9.1999 der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren<br />
neu festgesetzt worden war. In der letzten Kostennote ihrer<br />
Anwälte vom 1.7.1999 hatte die Kl angegeben, nicht vorsteuerabzugsberechtigt<br />
zu sein, so dass die ausgewiesene Umsatzsteuer<br />
festsetzungsfähig sei. Diese gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebene<br />
Erklärung ist auch für die Neuvornahme der Kostenausgleichung<br />
im Verfahren des § 107 ZPO maßgeblich.<br />
3) Dem steht nicht entgegen, dass die Kl in einer früheren<br />
Kostennote ihrer Anwälte vom 6.11.1998 in Widerspruch dazu angegeben<br />
hatte, vorsteuerabzugsberechtigt zu sein. Diese Angabe<br />
war nach ihrer Darstellung irrtümlich erfolgt. Für die Richtigkeit<br />
dieses Vortrages spricht, dass in dem Festsetzungsgesuch trotz der<br />
nachfolgenden gegenteiligen Erklärung der Umsatzsteueranteil<br />
gem. § 25 Abs. 2 BRAGO in der seinerzeit in Ansatz gebrachten<br />
Höhe von 199,60 DM zur Ausgleichung angemeldet worden war.<br />
4) Das Gesetz enthält keine Regelung zur Frage der Änderung<br />
einer gem. § 104 Abs. 2 S. 3 ZPO abgegebenen Erklärung. Es bestehen<br />
aber keine Bedenken dagegen, dass der Antragsteller auch<br />
insoweit – wie sonst in Kostenfestsetzungsverfahren – seine Anträge<br />
berichtigen und ergänzen kann. Dies gilt auch für das Rechtsmittelverfahren<br />
mit der Maßgabe, dass der Antragsteller dann indes<br />
mit der Anwendung der – hier nicht einschlägigen –<br />
Kostenvorschrift des § 97 Abs. 2 ZPO zu seinem Nachteil rechnen<br />
muss. Der Antragsteller ist befugt, die seine Vorsteuerabzugsberechtigung<br />
betreffende Erklärung im Verlauf des Kostenfestsetzungsverfahrens<br />
zu ändern, wobei die zuletzt abgegebene Erklärung<br />
maßgeblich ist (so auch OLG München JurBüro 1996, 427).<br />
5) Unbegründet ist schließlich der Einwand des Beschwerdeführers,<br />
er habe den gegnerischen Kostenerstattungsanspruch am<br />
9.12.1999 auf dem Überweisungswege durch Zahlung von mehr<br />
als 2.400 DM erfüllt, so dass der angegriffene Kostenfestsetzungsbeschluß<br />
weder aufrechtzuerhalten noch zu ersetzen sei. Die Festsetzungsentscheidung<br />
bildet die Rechtsgrundlage für die Zahlung<br />
des darin bestimmten Ausgleichungsbetrages und wird nicht durch<br />
eine nachfolgende Erfüllungshandlung hinfällig.<br />
Mitgeteilt von RiOLG Rolf Krücker, Düsseldorf
<strong>188</strong><br />
l<br />
ZPO §§ 104, 106<br />
Mit einer im Rechtsstreit rechtskräftig titulierten Forderung,<br />
kann auch dann im Kostenfestsetzungsverfahren gegen den<br />
Kostenerstattungsanspruch aufgerechnet werden, wenn wegen<br />
Kostenquotelung zwischen den Parteien ein Kostenausg1eich<br />
stattzufinden hat. Die Aufrechnung wird zulässig, sobald die<br />
Parteien die gegenseitigen Kostenfestsetzungsanträge eingereicht<br />
haben.<br />
OLG München, Beschl. v. 11.4.2000 – 11 WF 745/00<br />
Aus den Gründen: II. Die zulässige, insbesondere form- und<br />
fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde der Kl zu 1) hat<br />
Erfolg.<br />
1. Die unzutreffende Kostenentscheidung des Familiengerichts<br />
im Endurteil vom 07.10.1997 bezüglich der außergerichtlichen<br />
Kosten der Kl zu 1) ist vom Senat hinzunehmen. An sich hat diese<br />
Kl in Höhe von über 50 % obsiegt, weil sie nur in Höhe eines Teilbetrags<br />
von 18.042 DM am Gesamtstreitwert des Verfahrens beteiligt<br />
war. Im Hinblick darauf, dass beide Klägerinnen von derselben<br />
Rechtsanwältin vertreten worden waren, hat das AG im Kostenfestsetzungsbeschluß<br />
vom 29.12.1999 zutreffend die Gesamtkosten der<br />
beiden Klägerinnen in Höhe von 3.457,12 DM mit Rücksicht auf<br />
den Streitwertanteil der Kl zu 1) von 31,67% nur in Höhe eines<br />
Teilbetrages von 1.092,80 DM dieser Kl zugeordnet, so dass deren<br />
eigener Erstattungsanspruch wegen der im Urteil ausgeworfenen<br />
Kostenquote von 15,99% 174,74 DM beträgt. Da die Kl zu 1)<br />
umgekehrt 15,63% der Gesamtkosten des Bekl in Höhe von<br />
3.661,60 DM zu tragen hat, beläuft sich dessen Erstattungsanspruch<br />
gegen sie auf 572,31 DM, so dass sich im Wege der Verrechnung<br />
der festgesetzte Ausgleichsanspruch von 397,57 DM ergibt.<br />
2. Entgegen der Auffassung des Rpfleger, der sich auf die Entscheidung<br />
des OLG Düsseldorf vom 19.1.1996 (Rpfl. 1996, 373)<br />
bezogen hat, greift die Aufrechung der Kl zu 1) nach der vom Senat<br />
vertretenen Rechtsauffassung durch.<br />
Im grundsätzlich rein formell ausgestatteten Kostenfestsetzungsverfahren<br />
berücksichtigt der Senat ausnahmsweise materiellrechtliche<br />
Einwendungen, wenn die dem Einwand zu Grunde liegenden<br />
Tatsachen feststehen, was insbesondere dann der Fall ist,<br />
wenn sie vom Gegner zugestanden werden oder wenn der Anspruch,<br />
mit dem aufgerechnet wird, rechtskräftig tituliert ist (vgl.<br />
Senatsbeschl. v. 29.3.1996 – 11 W 942/96 – und 10.8.1999 – 11 WF<br />
1071/99 –; ferner Thomas Putzo, ZPO, 22. Aufl., Rdnr. 13 zu<br />
§ 104).<br />
Der Senat folgt nicht der Ansicht, dass im Falle einer Kostenquotelung<br />
mit der Folge, dass der Kostenausgleich nach § 106<br />
ZPO stattzufinden hat, vor Festsetzung des Ausgleichsbetrags die<br />
Aufrechnung nicht wirksam erklärt werden könne, weil der Kostenerstattungsanspruch,<br />
gegen weichen aufgerechnet werde, erst durch<br />
die Festsetzung bestimmbar geworden sei (so OLG Saarbrücken,<br />
JurBüro 1978, 1089; OLG Düsseldorf aaO; Zöller-Herget, ZPO,<br />
21. Aufl., Rdnr. 21 „Aufrechnung“ zu §§ 103, 104). Tatsächlich<br />
trifft diese Auffassung jedenfalls ab dem Zeitpunkt nicht mehr zu,<br />
ab dem beide gegeneinander anteilig erstattungsberechtigten Parteien<br />
ihre Kostenfestsetzungsanträge zum Zwecke des Kostenausgleichs<br />
eingereicht haben. Ab diesem Zeitpunkt ist der Rpfleger<br />
des Kostenfestsetzungsverfahrens in der Lage zu bestimmen, welche<br />
Partei einen Ausgleichsanspruch in welcher Höhe hat. Hat die<br />
demnach ausgleichspflichtige Partei die Aufrechnung mit einer unbestrittenen<br />
oder – wie hier – mit einer offenen, titulierten und<br />
rechtskräftigen Forderung erklärt, welche die Höhe des Ausgleichsanspruchs<br />
übersteigt, kann das Erlöschen der ermittelten Ausgleichsforderungen<br />
durch Aufrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
festgestellt werden. Liegen die genannten tatsächlichen<br />
Voraussetzungen vor, trifft auch die Überlegung des OLG Düsseldorf<br />
in der genannten Entscheidung nicht zu, eine Aufrechnung erst<br />
im Rechtsmittelverfahren verbiete sich, weit vorher zulässigerweise<br />
keine Aufrechnungserklärungen abgegeben werden könnten mit der<br />
Folge, dass die verspätete Geltendmachung der Aufrechnung zu<br />
keiner Kostenfolge nach § 97 Abs. 2 ZPO führen könne. Tatsächlich<br />
kann die Partei, zumal wenn die gegenseitigen Kostenfestsetzungsanträge<br />
– wie im vorliegenden Verfahren – mitgeteilt worden<br />
sind, wirksam die Aufrechnung mit ihrer in demselben Verfahren<br />
titulierten Hauptsacheforderung erklären. Hier war die Mitteilung<br />
der gegenseitigen Festsetzungsanträge bereits im Januar 1998 abgeschlossen.<br />
Der Kostenfestsetzungsbeschluß erging auf Grund<br />
Nichtbetrieb des Verfahrens durch die Parteien und das Gericht dagegen<br />
erst am 29.12.1999. Die Aufrechnungserklärung hätte von<br />
der Kl zu 1) damit ohne weiteres vor Erlass des Beschlusses abgegeben<br />
werden können.<br />
AnwBl 3/2002<br />
Rechtsprechung<br />
Dass eine Kostenquotelung den Erstattungsanspruch der Parteien<br />
nicht in jedem Fall unbestimmbar macht, hat auch das OLG<br />
Celle (JurBüro 1983, 1698) entschieden. Es kann dahinstehen, ob<br />
die dort vertretene Ansicht zutrifft, bei einer Kostenquotelung<br />
könne sich die ausgleichsberechtigte Partei durch Befragen der Gegenseite<br />
über deren Kosten hinreichende Klarheit über die Höhe<br />
des Erstattungsanspruchs verschaffen. Jedenfalls wenn die gegenseitigen<br />
Erstattungsanträge bereits eingereicht waren, bestehen gegen<br />
die Bestimmbarkeit des Erstattungsanspruchs keine Bedenken.<br />
Nach der Rechtsprechung des BGH (WM 1976, 460, 461) ist<br />
der prozessuale Kostenerstattungsanspruch schon vor Erlass oder<br />
gar Rechtskraft des Kostenfestsetzungsbeschlusses aufgrund der gesetzlichen<br />
Vorschriften der Höhe nach bestimmbar. Darüber hinaus<br />
sei eine Aufrechnung mit dem Kostenerstattungsanspruch – nicht<br />
wie hier gegen diesen Anspruch – zulässig, wenn die Höhe der zu<br />
erstattenden Kosten zwischen den Parteien unstreitig sei. Nur wenn<br />
Streit über die Höhe der Kosten bestehe, könne mit einem Kostenerstattungsanspruch<br />
nicht gegen eine eingeklagte Forderung aufgerechnet<br />
werden, weil das betreffende Gericht, das über die eingeklagte<br />
Forderung zu entscheiden habe, nicht befugt sei, über die<br />
Höhe des zur Aufrechnung gestellten Kostenerstattungsanspruchs<br />
zu entscheiden, für den das gesonderte Kostenfestsetzungsverfahren<br />
maßgebend ist. Diese Erwägung kann, auf den vorliegenden Fall<br />
schon deswegen nicht übertragen werden, weil die Aufrechnung im<br />
Kostenfestsetzungsverfahren erklärt wurde, in dem der Erstattungsanspruch,<br />
gegen den aufgerechnet wird, gerade der Höhe nach<br />
rechtskräftig festgestellt werden soll.<br />
Die Annahme, die Aufrechnungserklärung sei in Fällen des<br />
Kostenausgleichs nach § 106 ZPO im Kostenfestsetzungsverfahren<br />
grundsätzlich unbeachtlich, sondern müsse mit einer nachfolgenden<br />
Vollstreckungsgegenklage geltend gemacht werden, führt, wie gerade<br />
der vorliegende Fall zeigt, zu nicht hinnehmbaren Ergebnissen.<br />
Der rechtskräftig verurteilte Bekl ist hier nach Aktenlage<br />
offensichtlich weder zahlungswillig noch zahlungsfähig. Sein eigener<br />
Anwalt musste 2 1/2 Jahre nach Abschluss des Verfahrens einen<br />
Vergütungsfestsetzungsbeschluss vom 18.1.2000 in voller<br />
Höhegegen ihn erwirken. Die Kl zu 1) hat unbestritten vorgetragen,<br />
dass Vollstreckungsversuche wegen ihres titulierten Unterhalts<br />
vergeblich gewesen seien, zumal der Bekl offensichtlich untergetaucht<br />
sei. Im Fall einer erfolgreich auf Aufrechnung gestützten<br />
Vollstreckungsgegenklage müsste die Kl zu 1) daher damit rechnen,<br />
dass sie mit den ihr entstandenen Prozesskosten ausfällt.<br />
Mitgeteilt von dem 11. Zivilsenat des OLG München<br />
impressum<br />
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w
XXXVI<br />
4<br />
9 „BRAGO-Strukturreform“: Entwurf<br />
eines Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.<br />
Was so viel versprechend klingt<br />
ist noch längst nicht beschlossene Sache.<br />
Mit einer Umsetzung soll bis zum<br />
1. Januar 2003 zu rechnen sein. Interessierte<br />
können sich den Gesetzesentwurf<br />
der Expertenkommission auf der<br />
Website des BMJ herunterladen. Der<br />
Text beinhaltet wie üblich Gesetzesentwurf,<br />
Anpassungsgesetze sowie<br />
Begründungen. Außerdem eine tabellarische<br />
Gegenüberstellung der Gebührenhöhen<br />
in Strafsachen nach<br />
neuem RVG-E und BRAGO. Die<br />
letzte Änderung fand bekanntlich<br />
durch das Kostenrechtsänderungsgesetz<br />
von 1994 statt. Das Regelwerk<br />
wurde überwiegend neu gefasst und<br />
systematisiert. Erhebliche Umgestaltung<br />
erfuhr z. B. der Bereich der außergerichtlichen<br />
Beratung. Er wurde<br />
im Abschnitt 4 des RVG zusammengefasst<br />
und lautet „Außergerichtliche<br />
Beratung und Vertretung“. Man hat<br />
sich hier von den Rahmengebühren<br />
gelöst, die Regelungen empfehlen nun<br />
allgemein Gebührenvereinbarungen.<br />
Dem Gesetz beigefügt ist in Anlage 1<br />
jedoch ein detailliertes Vergütungsverzeichnis<br />
mit Spezialregelungen.<br />
http://www.bmj.bund.de/frames/ger/<br />
service/gesetzgebungsvorhaben/<br />
10000271/index.html<br />
Beim BMJ erhält man auch den „Referentenentwurf<br />
eines Gesetzes zur Änderung<br />
des Rechts der Vertretung<br />
durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten“.<br />
http://www.bmj.bund.de/frames/ger/<br />
service/gesetzgebungsvorhaben/<br />
10000269/index.html<br />
Die jeweiligen Einstiege über die<br />
Hauptseite des BMJ sind ohne direkten<br />
Link (siehe oben) nicht einfach zu finden.<br />
Was zunächst daran liegt, dass<br />
sich die Website erstaunlicherweise in<br />
Englisch meldet. Im Rahmen am Fuß<br />
lässt sich jedoch die Sprache umstellen.<br />
Dort ist auch eine Möglichkeit<br />
untergebracht, mehrseitige Anzeigen<br />
durchzublättern, bzw. wird damit erst<br />
indirekt darauf hingewiesen. Das BMJ<br />
meldet sich automatisch mit „Aktuelles“.<br />
Unter dem 23.1.2002 mit dem<br />
Text (neues) „Schadensersatzrecht –<br />
Fragen und Antworten“, der einige<br />
Beispielsfälle aufführt. Unter anderem<br />
zur Ausweitung des Schmerzensgeld-<br />
Internet –Aktuell<br />
anspruchs, zur Schadensberechnung<br />
bei Verkehrsunfällen oder zur Beweiserleichterung<br />
bei Arzneimittelhaftung.<br />
Unter dem Reiter „Themen“ befinden<br />
sich Zusammenfassungen wichtiger<br />
Bereiche wie „Wirtschaft und Recht“<br />
(Neue Pfändungsfreigrenzen, neues<br />
Urhebervertragsrecht, Informationen<br />
zum neuen Schuldrecht) oder „Internet<br />
und Recht“. Das Schwerpunkt liegt<br />
auf Gesetzgebungsprojekten und Meldungen<br />
aus den Behörden. Erwähnt<br />
sei auch der Servicebereich mit unentgeltlich<br />
beziehbaren Informationsbroschüren<br />
und (nochmals) Gesetzgebungsvorhaben.<br />
http://www.bmj.bund.de/<br />
Für das gesamte Internetangebot des<br />
Bundes und der Länder wählt man<br />
die zentrale Seite:<br />
http://www.bund.de/ (HIT)<br />
9 Den aktuellen Stand der Loseblattwerke<br />
des Verlages C.H. Beck,<br />
München, erfährt man recht komfortabel<br />
per Mausklick im Internet oder<br />
eben doch nur beim Buchhändler. Leider<br />
nutzt Beck die Nachfrage offenbar,<br />
um den Websurfer tief in das Verlagsangebot<br />
hineinzulotsen. So wechselte<br />
der entspreche Link in der Vergangenheit<br />
häufig die Position im System und<br />
war manchmal nur noch über die Suchfunktion<br />
zu ermitteln. Mittlerweile<br />
scheint sich ein fester Platz abzuzeichnen:<br />
Aus der Startseite heraus führt der<br />
Weg günstigerweise über „Nachrichten“<br />
im Kasten „Beck-Aktuell“ und<br />
dann zum Reiter „Service“ rechts<br />
oben. Auf der Serviceseite hinter dem<br />
Link „Buchhandelsservice“ erhält man<br />
wiederum links außen einen Hinweis<br />
„Stand Loseblattwerke“. Bis vor kurzem<br />
waren hier schöne Zusammenstellungen<br />
im pdf-Format (Acrobat) abrufbar,<br />
nunmehr setzt der Vorgang eine<br />
Registrierung voraus. Was bis vor kurzem<br />
ebenfalls noch funktionierte war<br />
der Direktabruf dieser Dateien nach<br />
dem Muster „http://rsw.beck.de/rsw/<br />
downloads/lb/LB2002_01_1.pdf“.<br />
Vorbehaltlos zu empfehlen sind jedenfalls<br />
die regelmäßigen juristischen<br />
Meldungen im Newsbereich, z. B. zu<br />
Gesetzgebungsprojekten. Hier wird<br />
zwar meist auf das BMJ verwiesen<br />
(siehe eingangs), Beck reichert die<br />
Meldungen aber informativ mit eige-<br />
nen Beiträgen und zusätzlichen Links<br />
an. Zu erreichen ist die Seite „Überblick<br />
über wichtige Gesetzgebungsvorhaben“<br />
wiederum über „Nachrichten“<br />
im Kasten „Beck-Aktuell“. Dort ist<br />
dann der Link „Gesetzgebung“. Seit<br />
Ende Januar beispielsweise mit dem<br />
„Gesetz zur Stärkung der vertraglichen<br />
Stellung von Urhebern und ausübenden<br />
Künstlern“.<br />
http://www.beck.de (HIT)<br />
9 Die Polizeikräfte haben sich formiert.<br />
Es gibt nun eine übergreifende<br />
Homepage mit Deutschlandkarte und<br />
Landeswappen, die zu den jeweiligen<br />
Landesseiten weiterführen. Auch<br />
BKA und BGS sind mit Links vertreten.<br />
Standard bei nahezu allen Websites<br />
sind aktuelle Informationen, Fahndungsmeldungen<br />
oder Jobangebote,<br />
manchmal auch Statistiken (z. B. Bayern).<br />
Das BKA unterscheidet hier die<br />
Fahndung nach Sachen und Personen.<br />
Weiter nach Vermissten, Meistgesuchten,<br />
Unbekannten Toten, Ungeklärten<br />
Mordfällen, Raubüberfällen. Die Fälle<br />
sind in der Regel mit Daten und Fotos<br />
bestückt. Baden-Württemberg führt<br />
auch die Themen „Polizeimusikcorps“<br />
oder „Versteigerungen von Fahrzeugen“;<br />
Bayern Regionalangebote per<br />
Landkarte, den Bußgeldkatalog oder<br />
eine griffige Newsübersicht mit wichtigen<br />
Warnungen, Gefahrenmeldungen<br />
und „Wanted-Aktuelles“.<br />
http://www.polizei.de (HIT)<br />
9 Stellungnahmen der DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
sind ganz aktuell<br />
und auch für zurückliegende Jahre seit<br />
1998 auf der Homepage des Deutschen<br />
<strong>Anwaltverein</strong>s unter der Rubrik<br />
„PresseService“ und „Örtliche <strong>Anwaltverein</strong>e“<br />
als Übersicht (gegliedert nach<br />
den Ausschüssen von Arbeitsrecht bis<br />
Zivilrecht) und im Volltext verzeichnet.<br />
http://www.anwaltverein.de/03/05/<br />
index.html bzw.<br />
http://www.anwaltverein.de/03/05/<br />
archiv.html (HEN)<br />
Zusammengestellt von Rechtsanwalt und<br />
Fachanwalt für Steuerrecht Timm Hitzfeld,<br />
Augsburg (HIT) und Rechtsanwalt Udo<br />
Henke, DAV, Berlin (HEN).
XXXVIII<br />
4<br />
(Fortsetzung von Seite XII)<br />
AG Strafrecht des DAV<br />
– Fortbildung nach § 15<br />
Fachanwaltsordnung –<br />
Datum/Ort: 11.–13. April 2002,<br />
Mannheim<br />
Thema: Fachlehrgang Strafrecht<br />
Baustein 4<br />
Rechtsmittel,<br />
insbes. Revision,<br />
Strafvollstreckung und<br />
Strafvollzug<br />
Referenten: Vors. Richter am BGH<br />
a. D. Herdegen, Karlsruhe<br />
Prof. Dr. Rieß,<br />
MinDir i.R., Bonn<br />
RAin Marbert-Kubicki,<br />
Kiel<br />
Datum/Ort: 25.–27. April 2002,<br />
Mannheim<br />
Thema: Fachlehrgang Strafrecht<br />
Baustein 5<br />
Kapitalstrafverfahren,<br />
Psychiatrie, Psychologie,<br />
Rechtsmedizin, Betäubungsmittelverfahren<br />
Referenten: RA Deckers, Düsseldorf<br />
RA Leitner, München<br />
Priv.-Doz. E. Platz, Berlin<br />
RA Endriß, Freiburg<br />
Regionale Veranstaltungen:<br />
Datum/Ort: 6. April 2002, Hannover<br />
Thema: Gewinnabschöpfung im<br />
Strafverfahren<br />
Referenten: RA Dr. Lammer, Berlin<br />
RAWeimann, Berlin<br />
Datum/Ort: 27. April 2002,<br />
Wiesbaden<br />
Thema: Jugendstrafrecht<br />
Referenten: RA Schmitz-Justen, Köln<br />
RA Pieplow, Köln<br />
Teilnehmergebühr: 140 E für Mitglieder<br />
der ARGE; 190 E für Nichtmitglieder<br />
Bundesweite Veranstaltung:<br />
Datum/Ort: 19. und 20. April 2002,<br />
Leipzig<br />
Thema: Strafverteldiger-Frühjahrssymposiuin<br />
Teilnehmergebühr (inkl. Mittagessen<br />
am 19.4.2002): 200 E für Rechtsanwälte;<br />
250 E für Nichtmitglieder<br />
Anmeldung (bitte schriftlich) und<br />
weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaften<br />
Verkehrs- und Strafrecht<br />
– Veranstaltungsorganisation –<br />
Hirschmannstr. 7, 53359 Rheinbach<br />
Tel.: 0 22 26 /91 20 91,<br />
Fax: 0 22 26 / 91 20 95<br />
Bundesverband der Freien<br />
Berufe/BFB<br />
Tag der Freien Berufe am<br />
24. April 2002<br />
Der Bundesverband der Freien Berufe<br />
organisiert am 24. April 2002 für seine<br />
Mitgliedsverbände und deren Mitglieder<br />
den Tag der Freien Berufe 2002 im<br />
Haus der Kulturen der Welt (sog.<br />
„Schwangere Auster“) in Berlin. Ziel<br />
dieser ganztägigen Veranstaltung ist<br />
es, die Bedeutung der Freien Berufe in<br />
unserer Gesellschaft stärker gegenüber<br />
den Berliner Politikern und der Öffentlichkeit<br />
darzustellen. Der Bundesverband<br />
der Freien Berufe (BFB) und<br />
seine Mitglieder sprechen in Deutschland<br />
für rund 739.000 Freiberufler mit<br />
ca. 1,9 Millionen Angestellten und<br />
über 162.000 Auszubildenden. Der<br />
BFB ist die Spitzenorganisation aller<br />
freiberuflichen Kammern und Verbände.<br />
Zu den freien Berufen zählen<br />
heilkundliche und technische /naturwissenschaftliche<br />
Berufe ebenso wie<br />
rechts- und wirtschaftsberatende und<br />
freie Kulturberufe.<br />
Gerade die Freiberufler leiden unter<br />
ihren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen.<br />
Die zumeist selbständigen<br />
Angehörigen der Freien Berufe spüren<br />
jeden Stimmungsumschwung in der<br />
Wirtschaft unmittelbar am eigenen<br />
Leibe. Tagtäglich müssen sie den<br />
Balanceakt vollbringen, die finanziellen<br />
Mittel für ihre Angestellten inklusive<br />
Alterssicherung und Krankheitsausfall,<br />
die Miete für die Praxis und<br />
die Aufwendungen für den eigenen<br />
Lebensbedarf aufzubringen, während<br />
gleichzeitig die Mandanten ausbleiben,<br />
oder die Krankenkassen Zahlungen<br />
verweigern. Einen finanziellen Puffer<br />
gibt es nach den zurückliegenden mageren<br />
Jahren in der Regel nicht. Nicht<br />
wenige Freiberufler sehen sich daher<br />
von finanziellen Turbulenzen bedroht.<br />
Ziel der Veranstaltung ist es, mit den<br />
Vertretern der Politik und der Berufsverbände<br />
die Zukunft der Freien Berufe<br />
zu erörtern. Es gilt, Lösungswege<br />
aus der Krise zu finden und diese gegenüber<br />
den entscheidenden Stellen<br />
im Lande offensiv zu vertreten.<br />
Der Bundeskanzler hat seine Teilnahme<br />
bereits zugesagt. Auch sein<br />
Herausforderer, Edmund Stoiber ist<br />
eingeladen.<br />
Im Rahmen der Veranstaltung werden<br />
zeitgleich vier Workshops stattfinden,<br />
in denen die „Basis“ die brennenden<br />
Themen der Freiberufler diskutieren<br />
wird : Vorrangig werden die Voraussetzungen<br />
für eine wirtschaftliche Erholung<br />
der Freiberufler zu formulieren<br />
sein. Dabei muß es um eine Änderung<br />
des geltenden Steuerrechts ebenso wie<br />
eine überfällige Deregulierung gehen.<br />
Gerade Freiberufler leiden unter zahlreichen<br />
Fehlentwicklungen, die jegliche<br />
wirtschaftliche Eigeninitiative zu<br />
ersticken drohen. Angesichts der anstehenden<br />
Erweiterung der Europäischen<br />
Union müssen die Chancen der<br />
Freien Berufe im europäischen Binnenmarkt<br />
konkret herausgearbeitet<br />
werden. Ein weiteres Kern - Thema<br />
wird die Ausbildung der Freien Berufen<br />
sein. Aufgrund des zumeist kleineren<br />
Zuschnitts der freiberuflichen Betriebe<br />
ist es von hoher Bedeutung, dass<br />
auch die Mitarbeiter excellent sind.<br />
Damit eng verwandt ist die Frage der<br />
Qualitätssicherung in den freien Berufen.<br />
Freiberufler überzeugen ihre<br />
Kunden durch die Qualität ihrer<br />
Dienstleistung. Dementsprechend besteht<br />
ein Interesse, z.B. durch Berufsordnungen<br />
für ein hohes Qualitätsniveau<br />
zu sorgen.<br />
Neben den Workshops besteht Gelegenheit<br />
für Schüler der Abschlußklassen,<br />
sich über die vielfältigen Ausbildungsmöglichkeiten<br />
in den Freien<br />
Berufen zu informieren. Zu diesem<br />
Zweck bieten die Kammern und Verbände<br />
eine spezielle Ausstellung an<br />
diesem Tage an.<br />
Zu dieser Manifestation des Überlebenswillens<br />
dieser Dienstleistungselite<br />
lädt der BFB alle Freiberufler ein.<br />
Um Anmeldung wird gebeten unter:<br />
Bundesverband der Freien Berufe<br />
Postfach 04 03 20, 10062 Berlin<br />
Fax: 0 30 / 28 44 44 - 40<br />
oder email: info-bfb@freie-berufe.de
4<br />
Buchhinweis<br />
Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts;<br />
10. Ergänzungslieferung, Stand Mai<br />
2001, rund 390 Seiten, erschienen im<br />
Verlag C.H. Beck, 124,– DM oder ab<br />
dem 1.1.2002: 63,– E, ISBN: 3-406-<br />
47836-0 und das Grundwerk mit eingeordneter<br />
10. Ergänzungslieferung,<br />
rund 2.752 Seiten, in zwei Plastikordnern,<br />
278,– DM oder ab dem<br />
1.1.2002: 144,– E, ISBN: 3-406-44100-9<br />
können auch direkt unter Verlag C.H.<br />
Beck München; Kundenservice,<br />
80791 München, Telefon: 089/<br />
381890, Telefax: 089/3 8189358,<br />
E-Mail: bestellung@beck.de bestellt<br />
werden.<br />
Bekanntermaßen wird das Wirtschaftsrecht<br />
auch in Deutschland zunehmend<br />
europäisch geprägt. Die Textsammlung<br />
Europäisches Wirtschaftsrecht ist dazu<br />
bestimmt und geeignet, Rechtsanwäl-<br />
ten und Notaren, Steuer- und Unternehmensberatern,<br />
Unternehmen aus Handwerk,<br />
Handel und Industrie, Banken<br />
und Versicherungen, Wirtschaftsverbänden,<br />
Industrie- und Handelskammern,<br />
Verwaltungen und Gerichten<br />
eine übersichtliche Zusammenstellung<br />
und Kommentierung der wichtigsten<br />
Texte in die Hand zu geben, die für<br />
den Binnenmarkt von Bedeutung sind.<br />
Eine derartige Rechtsdokumentation ist<br />
im Zuge des Europäischen Integrationsprozesses<br />
äußerst bedeutsam.<br />
In den letzten Jahren immer wieder<br />
aktualisiert, enthält das derzeitige<br />
Handbuch, bearbeitet von vierzig ausgewiesenen<br />
Spezialisten (Praktikern<br />
aus EU-Institutionen, Ministerien und<br />
Verbänden, Rechtsanwälten und Hochschullehrern)<br />
nunmehr aktuelle Darstellungen<br />
zu den folgenden Gebieten:<br />
Verfassungsordnung der EG/EU,<br />
Rechtssetzung und Vollzug, Wettbewerbssteuer,<br />
Außenhandels- und Um-<br />
XXXIX<br />
weltrecht und Gerichtsbarkeit der EG<br />
etc. Die zehnte Ergänzungslieferung<br />
diesen Jahres enthält Beiträge zum<br />
Verwaltungsverfahren in Kartellsachen,<br />
öffentlichem Auftragswesen,<br />
Steuerrecht und ein neues Kapitel aus<br />
der Feder des Autorenteams Karl<br />
Kreutzer/Rolf Wagner zum Europäischen<br />
/Internationalen Privatrecht.<br />
Hier wird über die Generalia der<br />
vertraglichen Schuldverhältnisse hinaus<br />
auch auf Spezialbereiche wie<br />
das internationale Verbrauchervertragsrecht,<br />
Arbeitsvertragsrecht, Versicherungsvertragsrecht<br />
und das internationale<br />
Transportvertragsrecht eingegangen.<br />
Es komplettiert somit substantiell<br />
das bereits mit der sechsten Ergänzungslieferung<br />
in das Handbuch eingefügte<br />
Kapitel derselben Autoren zum<br />
Europäischen/Internationalen Zivilverfahrensrecht.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL.M., Berlin