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Januar - Anwaltsblatt

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DeutscherAnwaltVerein<br />

Aufsätze<br />

Juristenausbildung 2006 (Kilger) 1<br />

Bologna-Prozess (Dauner-Lieb) 5<br />

Interessenkollision (Kleine-Cosack) 13<br />

Kommentar<br />

Rechtsberatung (Heussen) 29<br />

Thema<br />

Zukunft des Einheitsjuristen 30<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

Justizreform 34<br />

Werbekampagne 35<br />

Mitteilungen<br />

Erfolgshonorar (Soldan Institut) 50<br />

Rechtsprechung<br />

BGH: Erforschung des Sachverhalts 68<br />

BGH: Honorarfreie Fehlerbeseitigung 70<br />

BGH: Terminsgebühr ohne Termin 71<br />

1/2006<br />

<strong>Januar</strong> DeutscherAnwaltVerlag


MNEditorial<br />

Nur wer sich ändert, bleibt sich treu;<br />

Identität bewährt und verstärkt sich im<br />

Wandel – dies ist der Grundgedanke<br />

unserer Zeit. Das gilt für die Anwaltschaft,<br />

genauso aber auch für den<br />

Deutschen Anwaltverein. Es gilt für<br />

uns alle.<br />

Wir appellieren immer wieder an<br />

Sie: Nehmen Sie die Herausforderung<br />

des Marktes an, investieren Sie in Qualität,<br />

bilden Sie sich fort, stellen Sie<br />

sich auf die Freigabe der außergerichtlichen<br />

Beratung ab dem 1. Juli 2006<br />

ein und engagieren Sie sich in der<br />

DAV-Anwaltausbildung. Wir werben<br />

dafür, dass Sie den Wandel mitgehen:<br />

damit die Anwaltschaft auch in der<br />

Zukunft stark ist und Kernwerte wie<br />

Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und<br />

das Verbot der Interessenkollision bewahrt<br />

werden – und damit unsere anwaltliche<br />

Identität die bleibt, die sie<br />

war und ist.<br />

Auch der DAV bewegt sich ständig,<br />

um sich als Anwalt der Anwälte treu<br />

zu bleiben. Seit 2003 gibt es die DAV-<br />

Anwaltausbildung, im Herbst 2005 haben<br />

wir die Fortbildungsbescheinigung<br />

des DAV geschaffen und in diesem<br />

Jahr werden wir die Werbekampagne<br />

„Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser“<br />

für die deutsche Anwaltschaft starten.<br />

Große und wichtige Projekte für die<br />

Anwaltschaft.<br />

Ein Klassiker im Angebot des DAV<br />

ist das <strong>Anwaltsblatt</strong>. Doch auch Bewährtes<br />

muss immer wieder auf den<br />

Prüfstand. Das Ergebnis halten Sie in<br />

Händen. Blättern Sie in diesem Heft.<br />

Es hat sich viel geändert im „neuen“<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>. Das frischere Lay-Out<br />

soll das Auffinden der Rubriken erleichtern.<br />

Das Inhaltsverzeichnis ist<br />

Bewahren und Erneuern –<br />

auf ein Neues<br />

Hartmut Kilger<br />

Rechtsanwalt,<br />

Präsident des Deutschen Anwaltvereins.<br />

übersichtlicher geworden. Den Verbandsteil<br />

finden Sie als Heft im Heft in<br />

der Mitte – jetzt auch mit eigenem,<br />

ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Die<br />

Rubrik ist leicht zu erkennen an einem<br />

roten Balken. Außerdem hat die Redaktion<br />

einen immer wieder von vielen<br />

Lesern geäußerten Wunsch umgesetzt:<br />

Endlich wird das <strong>Anwaltsblatt</strong> auf weißerem<br />

Papier gedruckt.<br />

Das „neue“ <strong>Anwaltsblatt</strong> nimmt die<br />

geänderten Lesegewohnheiten ernst –<br />

und bleibt sich damit treu. Gerade wir<br />

Anwälte müssen unendlich viel Material<br />

sichten, lesen und verarbeiten. Sie<br />

wollen schnell aufnehmen – und wünschen<br />

doch genaue und präzise Informationen.<br />

Daran ändert sich nichts:<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> wird die Mitglieder<br />

des DAV auch zukünftig über alle Themen<br />

rund um den Anwalt seriös, kompetent<br />

und – wenn nötig – auch mit<br />

wissenschaftlichem Tiefgang unterrichten.<br />

Welche Themen in neuen Jahr für<br />

die Anwaltschaft wichtig werden, können<br />

Sie bereits in dieser Ausgabe sehen.<br />

Die Einführung einer wirklichen<br />

Anwaltsausbildung ist und bleibt ein<br />

wichtiges Ziel, erst recht, nachdem<br />

sich auch die Justizministerkonferenz<br />

mit ihr befasst (mit den Einwänden gegen<br />

ein solches Modell setze ich mich<br />

in einem Beitrag ab Seite 1 auseinander).<br />

Ein weiteres zentrales Thema<br />

könnte 2006 die „Große Justizreform“<br />

werden. Chancen und Risiken sollten<br />

am 1. und 2. Februar auf dem DAV-Forum<br />

„Justizreform“ diskutiert werden.<br />

Warum der DAV diese Veranstaltung<br />

verschoben hat, lesen Sie in dem Bericht<br />

von Busse auf Seite 34.<br />

Außerdem dokumentiert das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

den DAV-Entwurf für eine<br />

Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens<br />

(ab Seite 24). Der<br />

Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht haben Minimalforderungen<br />

aus Sicht der Anwaltschaft<br />

zusammengefasst. Das<br />

Strafrecht und das Strafprozessrecht<br />

haben im Koalitionsvertrag von SPD,<br />

CDU und CSU einen eigenen Gliederungspunkt<br />

erhalten. Kronzeugenregelung,<br />

akustische Wohnraumüberwachung<br />

und die Absprachen (sog.<br />

Deals) im Strafverfahren werden uns<br />

beschäftigen. Natürlich wird der DAV<br />

auch wieder wachsam sein, wenn die<br />

Große Koalition an die geplante Neufassung<br />

des Rechtsberatungsgesetzes<br />

geht.<br />

Wir versprechen ihnen, dass der<br />

DAV in Bewegung bleibt – bleiben Sie<br />

es auch, damit niemand der Anwaltschaft<br />

den ihr im Rechtsstaat zukommenden<br />

Platz streitig machen kann.<br />

AnwBl 1 / 2006 I


Editorial<br />

I Bewahren und Erneuern – auf ein Neues<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />

Bericht aus Berlin<br />

IV Rollentausch<br />

Bettina Mävers, Berlin<br />

VI Informationen<br />

Aufsätze<br />

1 Juristenausbildung 2006 – nur Qualität sichert<br />

den Anwaltsberuf<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />

5 Der Bologna-Prozess – endgültig kein Thema für<br />

die Juristenausbildung?<br />

Professor Dr. Barbara Dauner-Lieb, Köln<br />

10 Strukturelle Richterperspektive und<br />

Juristenausbildung<br />

Wiss. Assistent Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />

13 Sozietätserstreckung des Verbots der<br />

Interessenkollision<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i.Br.<br />

19 Das Ende der Haftungsbegrenzung der GmbH?<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />

24 Reform des strafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahrens<br />

Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins<br />

Kommentar<br />

29 Rechtsberatung in der Absatzbar<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />

Thema<br />

30 Brauchen wir den Einheitsjuristen –<br />

oder kommt die Spartenausbildung?<br />

Streitgespräch zwischen Marliese Dicke und Dr. Dierk Mattik<br />

Gastkommentar<br />

33 Aus Mangel an Mandanten<br />

Marcus Creutz, Freier Journalist<br />

II AnwBl 1 / 2006<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 56, 1 / 2006<br />

Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

AusderArbeitdesDAV<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig<br />

(Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

34 DAV-Forum Justizreform verschoben<br />

35 DAV-Werbekampagne startet im <strong>Januar</strong><br />

36 DAV-Pressemitteilung: Spartenausbildung<br />

36 DAV-Pressemitteilung: Kosten des Referendariats<br />

36 Forum Junge Anwaltschaft: Existenzgründer<br />

38 DAV-Pressemitteilung: Ausländerrecht<br />

38 DAV-Pressemitteilung: Polizeigesetz in Bayern<br />

38 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

39 Bayerischer Anwaltverband: Ehrung Dr. Vogel<br />

40 Berliner Anwaltverein: Anwaltsausbildung<br />

40 Berliner Anwaltverein: Internationales Treffen<br />

41 DAV und Menschenrechte<br />

41 AG Handels- und Gesellschaftsrecht gegründet<br />

42 AG Strafrecht: Herbstkolloquium<br />

43 AG Steuerrecht: 12. Steueranwaltstag<br />

44 AG Sozialrecht: Neue Website<br />

44 AG Erbrecht: Mitgliederversammlung<br />

45 ARGE Baurecht: Mitgliederversammlung<br />

45 AG Insolvenzrecht: Mitgliederversammlung<br />

45 Personalien<br />

Europa<br />

46 Rechsstaatliche Grundsätze beim Kampf gegen<br />

den Terrorismus wahren<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

Meinung & Kritik<br />

47 Vertrauen zwischen Mandant und Anwalt –<br />

der Testfall des 1. Juli 2006<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln<br />

Mitteilungen<br />

Soldan Institut<br />

50 Erfolgshonorare in der beruflichen Praxis der<br />

Rechtsanwälte<br />

Studie zur Vergütungsvereinbarung<br />

Zwischenruf<br />

51 Der transparente Anwalt –<br />

wie handelt er, was denkt er?<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin


RVG – Frage des Monats<br />

53 Terminsgebühr ohne Termin<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Anwaltsvergütung<br />

54 Gegenstandswertkappung auf 30 Mio. E durch<br />

§ 22 Abs. 2 RVG<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

55 Kappungsgrenze im RVG: Haftpflichtkosten als<br />

Auslage<br />

Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL), Frechen<br />

Steuerrecht<br />

57 Steuerliches Gestaltungsrisiko durch Haltefristen<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />

Bücherschau<br />

59 Anwaltsrecht im Ausland<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Haftpflichtfragen<br />

61 Prozesskosten als Haftungsquelle<br />

Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG, München<br />

Rechtsprechung<br />

64<br />

Anwaltsrecht<br />

BGH: Rechtsschutz und Vergleich<br />

65 BGH: Rechtsschutz und Kosten (mit Anmerkung)<br />

Rechtsberatungsgesetz<br />

66 BGH: Unfallregulierung durch Autovermieter<br />

Anwaltshaftung<br />

68 BGH: Sachverhalt und Recht (mit Anmerkung)<br />

70 BGH: Honorarfreie Fehlerbeseitigung<br />

Anwaltsvergütung<br />

71 BGH: Terminsgebühr ohne Termin<br />

73 KG: Terminsgebühr ohne Termin<br />

74 BGH: Erhöhungsgebühr<br />

Prozesskostenhilfe<br />

75 BGH: Nachträgliche Klageänderung<br />

Prozessrecht<br />

76 BGH: Abgrenzung Unterschrift/Paraphe<br />

76 Fotonachweis, Impressum<br />

XXII Deutscher Anwaltverlag aktuell<br />

XXIV Bücher & Internet<br />

XXVI Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />

Schlussplädoyer<br />

XXVIII Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service<br />

AnwBl 1 / 2006 III


MNBericht aus Berlin<br />

Rollentausch<br />

Neue Spielregeln<br />

Wolfgang Neskovic, bislang Richter<br />

am Bundesgerichtshof und als Abgeordneter<br />

der Linkspartei neu im Bundestag,<br />

bekam gleich in der ersten Sitzung<br />

des Rechtsausschusses zu spüren,<br />

was es heißt, als Oppositionspartei gegen<br />

eine große Koalition anzutreten:<br />

Seinen Antrag, eine Anhörung zum<br />

Zollfahndungsdienstgesetz anzuberaumen,<br />

pulverisierte der Ausschussvorsitzende<br />

Andreas Schmidt (CDU) mit<br />

dem trockenen Hinweis, dass die Abgeordneten<br />

der Linkspartei nicht das<br />

nötige Quorum für einen solchen Antrag<br />

erreichen. In der vergangenen<br />

Wahlperiode konnte die Unionsfraktion<br />

allein jede Anhörung durchsetzen, und<br />

sie hat dieses wichtige parlamentarische<br />

Instrumentarium auch umfassend<br />

genutzt – um die öffentliche Aufmerksamkeit<br />

zu schärfen, um Zeit zu gewinnen<br />

und mitunter auch im Interesse eines<br />

Erkenntnisgewinns.<br />

Werden nun die eigentlich spinnefeinden<br />

Oppositionsparteien eine Art<br />

parlamentarische Zweckgemeinschaft<br />

gründen, die nur gemeinsam das Quorum<br />

erreichen und sich auf dem kleinsten<br />

formalen Nenner über das „Ob“ einer<br />

Anhörung verständigen, beim<br />

„Wie“ und der politischen Zielrichtung<br />

jedoch wieder getrennte Wege gehen?<br />

Oder werden die Fraktionen der Regierungskoalition<br />

entsprechende Ansinnen<br />

aus der Opposition unterstützen, um<br />

sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie<br />

seien nur der verlängerte Arm der Bundesregierung<br />

und würden parlamentarische<br />

Minderheitsrechte torpedieren?<br />

Und werden sie dies nur gemeinsam<br />

und nach Absprache tun oder als einzelne<br />

Fraktion selbstbewusst ein kleines<br />

bisschen Opposition innerhalb der Großen<br />

Koalition wagen – in Fragen der<br />

parlamentarischen Kultur und in der<br />

Diskussion um politische Inhalte?<br />

Bei den Aussprachen im Anschluss<br />

an die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin<br />

Angela Merkel tasteten<br />

sich die Abgeordneten von SPD und<br />

CDU/CSU noch sehr verhalten vor in<br />

ihre neue, ungewohnte Rolle: Ein bisschen<br />

gegenseitiger Beifall, ein paar zustimmende<br />

Zwischenrufe, wo noch vor<br />

wenigen Monaten Häme und politische<br />

Gegnerschaft die parlamentarischen<br />

IV AnwBl 1 / 2006<br />

Debatten dominierten. Nach der Rede<br />

der alten und neuen Bundesjustizministerin<br />

Brigitte Zypries zum Themenbereich<br />

Rechtspolitik, die nicht nur<br />

Ausblick und Erläuterung des Koalitionsvertrages,<br />

sondern auch eine tour<br />

d’horizon erfolgreicher Rechtspolitik<br />

der früheren Bundesregierung war, verzichteten<br />

die Redner aus der Unionsfraktion<br />

selbst auf kleinste post-oppositionelle<br />

Seitenhiebe. Die über Jahre<br />

trainierten politischen Reflexe gegenüber<br />

einstigen politischen Gegnern oder<br />

einstigen Verbündeten müssen neu justiert<br />

werden, die Parlamentarier sich an<br />

neue Spielregeln gewöhnen. Doch zurzeit<br />

scheint es, als wisse noch niemand<br />

so recht, wie diese Spielregeln eigentlich<br />

lauten.<br />

Zeit gewinnen<br />

Die Gesetze, die der Bundestag<br />

noch vor der Weihnachtspause eilig<br />

durchpeitschte, waren vor allem darauf<br />

gerichtet, Regelungen zu verlängern,<br />

die bis Ende 2005 befristet waren – zum<br />

Beispiel die Bestimmungen in der Bundesnotarordnung,<br />

die auf beamtenrechtliche<br />

Disziplinarregelungen verweisen.<br />

Das Gesetz zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetz,<br />

das die Linkspartei<br />

in einer Anhörung diskutieren wollte,<br />

verlängert die Befristung der Regelungen<br />

zur präventiven Telekommunikationsüberwachung.<br />

Damit soll ausreichend<br />

Zeit bleiben, den Vorgaben des<br />

Bundesverfassungsgerichts gesetzgeberisch<br />

gerecht zu werden. Es hatte<br />

moniert, dass die Rechtsgrundlage für<br />

derartige Überwachungsmaßnahmen<br />

verfassungswidrig sei und in einem<br />

weiteren Urteil Schutzvorkehrungen<br />

bei Eingriffen in das verfassungsrechtlich<br />

geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis<br />

gefordert. Die erforderlichen<br />

Regelungen sollen in den<br />

verschiedenen Bundesgesetzen parallel<br />

geschaffen werden, was jedoch wegen<br />

der Neuwahlen nicht mehr bis zum<br />

31.12.2005 realisiert werden konnte.<br />

Die nach dem Regierungsentwurf beabsichtigte<br />

Verlängerung um zwei Jahre<br />

haben die Fraktionen von SPD und<br />

CDU/CSU mit einem gemeinsamen<br />

Änderungsantrag – auch daran wird<br />

man sich gewöhnen müssen – auf eineinhalb<br />

Jahre reduziert. Sicherlich nicht<br />

motiviert durch das Anhörungsbegehren<br />

des Abgeordneten Neskovic, doch<br />

vielleicht ein klitzekleines Indiz für ein<br />

aufkeimendes Selbstbewusstsein der<br />

Parlamentarier gegenüber der Bundesregierung.<br />

Kleine Justizreform<br />

Nicht wenige waren überrascht,<br />

dass der endgültige Koalitionsvertrag<br />

einen Punkt nicht mehr enthielt, den<br />

die Landesjustizminister bei den Koalitionsgesprächen<br />

der Arbeitsgruppe<br />

Justiz durchgesetzt und als Erfolg verbucht<br />

hatten: Die „angestrebte“ Zusammenlegung<br />

von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />

haben die<br />

Koalitionäre auf Drängen der Sozialpolitiker<br />

wieder von der politischen<br />

Agenda gestrichen. Ohnehin dürfte der<br />

reformerische Ehrgeiz der Landesjustizminister<br />

gedämpft, wenngleich nicht<br />

gebremst sein: Relativ eindeutig haben<br />

vor allem die Redner der SPD in der<br />

rechtspolitischen Aussprache im Bundestag<br />

erklärt, was alles „mit ihnen<br />

nicht zu machen“ ist: Keine Verkürzung<br />

von Rechtswegen und Rechtsmitteln,<br />

keine Privatisierung der freiwilligen<br />

Gerichtsbarkeit. Auch den<br />

„Bologna-Prozess“, also die Einführung<br />

neuer Studienabschlüsse, lehnen<br />

CDU/CSU und SPD für die Juristenausbildung<br />

ab. Darüber allerdings sind<br />

weitere Diskussionen programmiert,<br />

denn die Bildungspolitiker der Fraktionen<br />

und die Landespolitiker, die die<br />

Kompetenz für die Bildungspolitik<br />

nach der Föderalismusreform komplett<br />

beanspruchen wollen, haben dazu bereits<br />

eine andere Meinung geäußert.<br />

Abseits der parlamentarischen Identitätssuche<br />

und der Grundsatzdebatten<br />

über Koalitionsvertrag und politische<br />

Agenden hält ganz allmählich der politische<br />

Alltag wieder Einzug in Berlin.<br />

Deshalb zum Schluss noch ein bisschen<br />

rechtspolitisches Schwarzbrot:<br />

Das Bundesjustizministerium hat einen<br />

Referentenentwurf zur Errichtung und<br />

Regelung des Bundesamts für Justiz<br />

vorgelegt, das künftig Aufgaben des<br />

Bundes auf den Gebieten des Registerwesens,<br />

des internationalen Rechtsverkehrs,<br />

der Verfolgung und Ahndung<br />

von Ordnungswidrigkeiten und der allgemeinen<br />

Justizverwaltung wahrnehmen<br />

soll.<br />

Bettina Mävers<br />

Die Autorin war als<br />

Journalistin u. a. für das<br />

Handelsblatt tätig und<br />

erhielt 2001 den DAV-<br />

Pressepreis


MNInformationen<br />

Justizministerkonferenz<br />

Justizreform, Anwaltsnotariat<br />

und<br />

Insolvenzrecht<br />

Die Justizministerkonferenz (Ju-<br />

MiKo) hat auf ihrer Herbsttagung<br />

Mitte November 2005 zahlreiche Beschlüsse<br />

gefasst, die auch Auswirkungen<br />

auf die Anwaltschaft haben. Einige<br />

wichtige stellt das <strong>Anwaltsblatt</strong> vor:<br />

9 Diskussionsmodell für eine Spartenausbildung:<br />

Bis 2008 soll ein Diskussionsmodell<br />

für einen Spartenvorbereitungsdienst<br />

entwickelt werden (siehe<br />

dazu Seite 36 in diesem Heft).<br />

9 Zugang zum Anwaltsnotariat: Der<br />

Zugang zum Anwaltsnotariat soll neu<br />

gestaltet, ein Gesetzgebungsvorschlag<br />

erarbeitet werden.<br />

9 Erstinstanzliche Zuständigkeit der<br />

Oberlandesgerichte in besonderen Zivilrechtsstreitigkeiten:<br />

Die JuMiKo befürwortet<br />

eine erstinstanzliche Zuständigkeit<br />

der Oberlandesgerichte für<br />

gesellschaftsrechtliche Verfahren unter<br />

Beteiligung einer Aktiengesellschaft.<br />

Dies soll insbesondere für gesellschaftsrechtliche<br />

Spruchverfahren gelten,<br />

wozu sich der DAV bereits in einer<br />

ersten Stellungnahme im Oktober 2005<br />

zustimmend geäußert hatte.<br />

9 Reformvorhaben des Bundes im<br />

Recht der Insolvenzanfechtung: Besonders<br />

hinzuweisen ist auch auf den begrüßenswerten<br />

Beschluss der Landesjustizminister<br />

zu den Reformvorhaben des<br />

Bundes im Recht der Insolvenzanfechtung.<br />

Mit diesem Beschluss bringen die<br />

Landesjustizminister ihre Besorgnis gegenüber<br />

der von der Bundesregierung<br />

vorgeschlagenen Änderung der Insolvenzanfechtung<br />

zum Ausdruck. Der<br />

Vorschlag der Bundesregierung will erneut<br />

Privilegien für die Anfechtung<br />

durch öffentliche Kassen einführen.<br />

9 Abschlussbericht der Bund-Länder-<br />

Arbeitsgruppe „Aufgabenübertragung<br />

auf Notare“: Der DAV hält die Übertragung<br />

von Aufgaben auf die (Anwalts-)Notare,<br />

insbesondere im Bereich<br />

des Nachlasswesens, für zweckmäßig.<br />

Im Nachlasswesen sind freilich noch<br />

genaue Analysen im Detail erforderlich.<br />

Von einer Öffnungsklausel für die<br />

Länder in diesen Regelungsbereichen<br />

sollte abgesehen werden.<br />

Alle Beschlüsse der Justizministerkonferenz<br />

im Internet unter www.anwalt<br />

verein.de/01/beschluesse.pdf.<br />

VI AnwBl 1 / 2006<br />

England und Wales<br />

Neuer Rechtsrahmen<br />

für anwaltliche<br />

Dienstleistungen<br />

Die anwaltliche Selbstverwaltung in<br />

Großbritannien wird voraussichtlich<br />

2006 völlig neu strukturiert. Hintergrund<br />

dafür ist, dass Sir David Clementi<br />

(ehemaliger stellvertretender<br />

Präsident der Bank of England) 2003<br />

den Auftrag der englischen Regierung<br />

erhielt, die Regeln des britischen<br />

Rechtsberatungsdienstleistungsmarktes<br />

umfassend zu überprüfen. Nachdem im<br />

Laufe der Untersuchungen verschiedene<br />

Regulierungsmodelle erwogen<br />

wurden, hatte sich Clementi hinsichtlich<br />

der Organisation der Britischen<br />

Anwaltsvereinigungen für eine weitgehende<br />

Umwälzung des bestehenden<br />

Regulierungssystems ausgesprochen.<br />

Danach sollte es eine deutliche Trennung<br />

zwischen regulierenden und repräsentativen<br />

Aufgaben geben, um Interessenkonflikte<br />

zu vermeiden (siehe<br />

AnwBl 2004, 430). Nunmehr liegt das<br />

Weißbuch des Department for Constitutional<br />

Affairs vor. Das nimmt den Bericht<br />

von Sir David Clementi aus dem<br />

Dezember 2004 im wesentlichen auf.<br />

Die neue Struktur soll das Wirrwarr an<br />

bisherigen Institutionen auflösen. Verbraucher<br />

sollen sich darauf verlassen<br />

können, dass die Regulierungen verhältnismäßig<br />

sind und ihre Interessen<br />

grundsätzlich geschützt werden. Entsprechend<br />

heißt das Weißbuch auch<br />

„The Future of Legal Services: Putting<br />

Consumers first“.<br />

Im Einzelnen: Das Weißbuch lässt<br />

die sog. Front Line Regulators wie Bar<br />

Council und die Law Society bestehen.<br />

Allerdings wird die Law Society nicht<br />

mehr regulatorische Aufgaben und Interessenvertretung<br />

zugleich übernehmen.<br />

Das Legal Services Board (LSB)<br />

wird in Zukunft die regulatorischen<br />

Aufgaben kontrollieren. Die Aufgaben<br />

und Befugnisse des LSB sollen dabei<br />

klar geregelt werden. Die Law Society<br />

und das Bar Council werden danach<br />

von dem LSD für die tägliche Arbeit<br />

autorisiert. Sie müssen die Verbraucherinteressen<br />

berücksichtigen. Alle täglichen<br />

regulatorischen Maßnahmen, so<br />

z. B. Disziplinarmaßnahmen gegen Anwälte,<br />

würden in dem neuen Office for<br />

Legal Complaints (OLC) behandelt,<br />

um den disziplinarischen Prozess zu<br />

vereinfachen. Durch das OLC soll das<br />

Vertrauen des Verbrauchers in das System<br />

gestärkt werden. Es geht um ein<br />

unabhängiges Beschwerdemanagement.<br />

Der Rat soll schnell und fair erreicht<br />

werden.<br />

Die Regierung will einen Regierungsentwurf<br />

noch in dieser Legislatur<br />

veröffentlichen. Demnach kann noch<br />

im Jahr 2005/2006 mit einem Gesetzentwurf<br />

gerechnet werden. Daneben<br />

sollen verbraucherschützende Gesetze<br />

erlassen werden, wie z. B. ein Compensation<br />

Bill. Kosten für die Veränderung<br />

soll der Berufsstand selbst tragen.<br />

Bewertung<br />

Zum jetzigen Zeitpunkt soll nur<br />

festgehalten werden, dass aus Sicht des<br />

DAV eine Trennung zwischen regulatorischen<br />

Aufgaben und Aufgaben der<br />

Interessenvertretung begrüßt wird. Das<br />

würde dem rechtlichen Status Quo in<br />

Deutschland entsprechen. Aus Sicht<br />

des DAV ist das deutsche Modell ein<br />

Modell für Europa.<br />

Ob allerdings die Multidisciplinary<br />

Partnerships – damit sind die interprofessionellen<br />

Sozietäten gemeint – so<br />

wie vorgesehen sinnvoll sind, ist fraglich.<br />

In Deutschland dürfen derzeit<br />

Anwälte mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern<br />

und Patentanwälten zusammenarbeiten.<br />

Diese unterliegen<br />

weitestgehend ähnlichen Berufsrechten.<br />

Die Trias der Berufsrechte, demnach<br />

das Verbot der Interessenkollision,<br />

die Verschwiegenheitspflicht und<br />

die Unabhängigkeit müssen auch bei<br />

interprofessionellen Sozietäten gewährleistet<br />

werden. Das erscheint fragwürdig,<br />

wenn Außenstehende als Kapitalinvestoren<br />

möglich sind. Banken und<br />

Versicherungen als Anteilseigner sind<br />

nach dem englischen Modell möglich.<br />

Im Zusammenhang mit dem Papier<br />

der Kommission vom 5. September<br />

2005 „Professional Services“, wo zwischen<br />

den Adressaten der anwaltlichen<br />

Dienstleistung unterschieden wird,<br />

demnach zwischen dem privaten Verbraucher<br />

und dem Unternehmen, ist<br />

auch mit diesem Weißbuch ein deutlicher<br />

Fokus eines Gesetzgebers in Richtung<br />

Verbraucherschutz zu erkennen.<br />

Der Zweck ist lobenswert, ob es alle<br />

Mittel sind, ist fraglich.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL. M., Berlin


VIII AnwBl 1 / 2006<br />

MNInformationen<br />

International Bar Association<br />

Umstrukturierung abgeschlossen<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Hellwig hat als Mitglied im Council<br />

der International Bar Association (IBA)<br />

für den Deutschen Anwaltverein mehrfach<br />

über die Umstrukturierung der<br />

IBA berichtet (zuletzt im AnwBl 2005,<br />

129). Die Arbeiten daran sind nunmehr<br />

abgeschlossen. Es gibt eine sog. Bar Issues<br />

Commission (BIC), die berufspolitische<br />

Themen von weltweiter Bedeutung<br />

beraten und entsprechende<br />

Resolutionen dem IBA-Council zur Beschlussfassung<br />

vorschlagen soll. In<br />

Prag gab es auf der IBA-Jahrestagung<br />

Ende September ein intensives BIC-Programm.<br />

Die BIC wird inzwischen zu einem<br />

eigenen Anwaltstag der IBA für<br />

Bar Leaders mit Informationsveranstaltungen<br />

und Show Cases.<br />

In der Vergangenheit bestanden<br />

Spannungen zwischen den 195 Member<br />

Organisations und der IBA Section<br />

in Business Law, da letztere mehrfach<br />

von den kollektiven Mitgliedern nicht<br />

geteilte Positionen im Namen der IBA<br />

gegenüber der Öffentlichkeit verlautbart<br />

hatte. Eine von der Präsidentschaft<br />

eingesetzte Arbeitsgruppe hat nunmehr<br />

die sog. Voice Rules erarbeitet und<br />

diese wurden vom Management Committee<br />

der IBA verabschiedet. Danach<br />

dürfen sich Untergliederungen zu berufspolitischen<br />

Fragen äußern, müssen<br />

aber deutlich machen, dass es sich<br />

nicht um eine IBA-Position handelt.<br />

In Prag fand eine Show Case Session<br />

zu den sog. Core Values der Legal<br />

Profession statt. Hintergrund ist die<br />

derzeitige Überarbeitung des IBA-International<br />

Code of Ethics, beschlossen<br />

1956, überarbeitet 1988. Insbesondere<br />

sprach sich Ramon Mullerat (Spanien)<br />

für eine weltweite anwaltliche Berufsordnung<br />

mit relativ hohem Detaillierungsgrad<br />

aus, da der IBA-International<br />

Code of Ethics sich nur auf die grenzüberschreitende<br />

Tätigkeit beziehe.<br />

Prof. Hellwig wies darauf hin, dass er<br />

von der IBA selbst als genereller Code<br />

of Ethics angesehen werde, also auch<br />

für die rein inländische Tätigkeit. Die<br />

angestrebte Vollharmonisierung sei<br />

gänzlich unrealistisch. Allenfalls könne<br />

die IBA allgemein formulierte gemeinsame<br />

Grundsätze verabschieden, während<br />

Detailformulierungen auf der nationalen<br />

Ebene erfolgen müsse.<br />

Der Präsident der IBA, Francis<br />

Neate, legte einen überarbeiteten Entwurf<br />

zur Rule of Law Resolution vor,<br />

der vom Council verabschiedet wurde.<br />

Die IBA setzt sich damit für eine Verstärkung<br />

der Rechtsstaatsprinzipien<br />

weltweit ein.<br />

Fazit: Das IBA-Meeting in Prag war<br />

mit über 4.000 Teilnehmern, davon 200<br />

Teilnehmer aus Deutschland ein großer<br />

Erfolg.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

Berlin<br />

Alsberg-Tagung<br />

Neue Hirnforschung –<br />

neues Strafrecht?<br />

Die 15. Alsberg-Tagung – veranstaltet<br />

vom Deutschen Strafverteidiger e.V.<br />

und dem Deutschen Richterbund – befasste<br />

sich Ende Oktober in Berlin mit<br />

dem Thema „Neue Hirnforschung –<br />

Neues Strafrecht?“. Handeln wir erst<br />

und wollen wir dann? Neue Erkenntnisse<br />

der Hirnforschung könnten diesen<br />

Schluss zulassen. Was aber könnte dies<br />

bedeuten? Wird damit unsere Willensfreiheit<br />

in Frage gestellt? Hätten damit<br />

wiederum das Strafrecht und das<br />

Schuldprinzip „ausgedient“? Die Alsberg-Tagung<br />

suchte Antworten auf<br />

diese u. a. Fragen im interdisziplinären<br />

Diskurs mit Vertretern der Hirnforschung,<br />

Psychologie, Psychiatrie und<br />

des Strafrechts.<br />

Ehrung für Salditt<br />

Anlässlich der Tagung verlieh der<br />

Deutsche Strafverteidiger e.V. Rechtsanwalt<br />

Prof. Dr. Franz Salditt aus Neuwied<br />

den Max-Alsberg-Preis<br />

2005. Salditt wird damit nicht nur für<br />

seine Tätigkeit als Strafverteidiger und<br />

seine umfangreichen literarischen Verdienste<br />

gewürdigt, sondern auch für -<br />

seinen Einsatz für die European Criminal<br />

Bar Association. Die Laudatio hielt<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />

Hellwig aus Frankfurt am Main, der<br />

sein internationales Engagement für<br />

Mindeststandards der Beschuldigtenund<br />

Verteidigerrechte hervorhob. Selten<br />

sind bei Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälten fachliches Können,<br />

Überzeugungskraft, dogmatische<br />

Tiefe, Freundlichkeit und Bescheidenheit<br />

in einer Person so vereint, wie bei<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt.<br />

Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter,<br />

Ratzeburg


MN Informationen<br />

DACH Europäische<br />

Anwaltsvereinigung<br />

Blick über den Zaun im<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Die Herbsttagung der Vereinigung<br />

fand in Düsseldorf zu dem Thema:<br />

„Betriebliche Expansion ins Ausland –<br />

praktische Hinweise“ statt. Trotz des<br />

für Verhältnisse der DACH bereits sehr<br />

weit nördlich gelegenen Tagungsortes<br />

nahmen weit über 50 Mitglieder an der<br />

Tagung teil. Bei den Referaten zu den<br />

drei Kernländern der Vereinigung,<br />

Deutschland, Österreich und Schweiz<br />

kristallisierte sich als Schwerpunkt der<br />

betrieblichen Expansion ins Ausland<br />

die Gründung von Tochtergesellschaften<br />

in der Rechtsform einer GmbH heraus.<br />

Für alle drei Länder rieten die Referenten<br />

grundsätzlich davon ab, die<br />

Expansion durch den Erwerb von Vorratsgesellschaften<br />

einzuleiten. Die damit<br />

verbundenen Risiken stehen in keinem<br />

vernünftigen Verhältnis zu dem<br />

möglichen minimalen Zeitgewinn.<br />

Bei den Länderberichten zum Fürstentum<br />

Liechtenstein, zu Frankreich, zu<br />

den Niederlanden, zu Italien, zu Tschechien,<br />

zu Slowenien, zu Kroatien und<br />

zu Polen wurden zum Teil andere<br />

Schwerpunkte einer möglichen betrieblichen<br />

Expansion ins Ausland beleuchtet;<br />

wie z. B. die Gründung von Zweigniederlassungen,<br />

die Einbindung von<br />

Handelsvertretern und Vertragshändlern<br />

sowie generell der grenzüberschreitende<br />

Lieferverkehr.<br />

Einen Gesamtüberblick verschaffte<br />

im Übrigen eine synoptische Gegenüberstellung<br />

zu den Themen GmbH-<br />

Gründung, Publizitätserfordernisse und<br />

Organisationsverfassung sowie zu der<br />

Gründung und rechtlichen Behandlung<br />

von Zweigniederlassungen.<br />

Die nächsten Veranstaltungen: Vom<br />

18. bis 20. Mai 2006 findet in Wien die<br />

Frühjahrstagung zu dem Thema „Unternehmensnachfolge“<br />

und vom 21. bis<br />

23. September 2006 in Ljubljana die<br />

Herbsttagung zu dem Thema „Personenfreizügigkeit“<br />

statt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Peter Zimmermann,<br />

Düsseldorf<br />

Weitere Informationen zur DACH<br />

Europäische Anwaltsvereinigung e. V.<br />

unter c/o Rechtsanwältin Dr. Susanne<br />

Hüppi, Klosbachstr. 10, CH-8032 Zürich,<br />

Tel.: 00 41/44 252 66 88, Fax:<br />

00 41/44 252 63 90, sh@interlaw.ch<br />

oder unter www.dach-ra.de.<br />

AG Verkehrsrecht<br />

Regionale Fortbildung<br />

9 Anwaltsvergütung im verkehrsrechtlichen<br />

Mandat, Vors. Richter am LG<br />

Heinz Hansens, Berlin (4. Februar<br />

2006, München; 11. Februar 2006, Erfurt;<br />

18. Februar 2006, Bad Bramstedt;<br />

5. Februar 2006, Nürnberg; 4. März<br />

2006, Dresden; 18. März 2006, Neubrandenburg;<br />

1. April 2006, Oldenburg;<br />

8. April 2006, Hannover; 6. Mai 2006,<br />

Hagen; 17. Juni, Düsseldorf; 15 Juli,<br />

Berlin).<br />

9 Fahreignung – Erteilung, Entziehung<br />

und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis,<br />

Rechtsanwalt Frank R. Hillmann<br />

III, Oldenburg, Dipl. Psych. Axel<br />

Uhle, TÜV MPI, Saarbrücken (11. Februar<br />

2006, Neukirchen; 18. März<br />

2006, Stuttgart).<br />

9 Schadensersatz in der Rechtsprechung<br />

des VI. Zivilsenats des BGH,<br />

Richter am BGH Wolfgang Wellner,<br />

Karlsruhe (18. Februar 2006, Freiburg<br />

Teilnehmergebühr der Veranstaltungen:<br />

140 E für Mitglieder der ARGE;<br />

190 E für Nichtmitglieder.<br />

Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />

weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />

Verkehrsrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />

wendling@verkehrs<br />

recht.de, Gansweide 21, 53359 Rheinbach,<br />

Tel: 02226 / 91 20 91, Fax: – 95.<br />

AG Mietrecht und WEG<br />

WEG-Rechtsfähigkeit<br />

Die AG Mietrecht und WEG veranstaltet<br />

am Samstag, 11. Februar<br />

2006, von 10.00 bis 17.15 Uhr, in<br />

Frankfurt/M. im Holiday Inn Frankfurt<br />

Airport-North, Isenburger Schneise 40,<br />

eine Sonderveranstaltung zum Thema<br />

„Die Rechtsfähigkeit der WEG!“. Referenten<br />

sind VRiBGH und Vizepräsident<br />

a. D. Dr. Joachim Wenzel sowie<br />

die Rechtsanwälte Michael Drasdo und<br />

Jan-Hendrik Schmidt.<br />

Anmeldung und weitere Informationen:<br />

Deutsche Anwaltakademie, Frank<br />

Ritter, Littenstr. 1, 10179 Berlin, Tel.: 0<br />

30/72 61 53-181, Fax: 0 30/72 61<br />

53-188, ritter@anwaltakademie.de.<br />

AnwBl 1 / 2006 IX


Im Auftrag des<br />

Deutschen Anwaltvereins<br />

herausgegeben von den<br />

Rechtsanwälten:<br />

Felix Busse<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack<br />

Wolfgang Schwackenberg<br />

Juristenausbildung 2006 –<br />

nur Qualität sichert den<br />

Anwaltsberuf *<br />

Warum die Anwaltschaft eine<br />

Spartenausbildung braucht<br />

Q<br />

Redaktion:<br />

Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />

Dr. Peter Hamacher<br />

Udo Henke<br />

Rechtsanwälte<br />

Jahrgang 56<br />

<strong>Januar</strong> 2006<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />

Wo steht die unendliche Geschichte der Reform der Juristenausbildung<br />

am Anfang des Jahres 2006? Wir stellen<br />

fest: Auch die reformierte Juristenausbildung erfüllt nicht<br />

die an sie gestellten Anforderungen. Das Jura-Studium<br />

und das Referendariat sind weiter in der Diskussion. Sogar<br />

bis in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung1<br />

hat es die Juristenausbildung geschafft: Es wird Reformbedarf<br />

festgestellt, konstruktive Lösungsansätze<br />

allerdings sucht man dort vergebens. Die Justizministerkonferenz<br />

hat auf ihrer Herbsttagung 2005 in Berlin dagegen<br />

einen Reformbedarf festgestellt und den Auftrag erteilt,<br />

bis 2008 ein Spartenausbildungsmodell zu<br />

erarbeiten. 2 Der DAV wird diesen Prozess unterstützen und<br />

beschleunigen: Noch im Laufe des Jahres 2006 wird ein<br />

Gesetzentwurf zur Umsetzung der Spartenausbildung vorgelegt<br />

werden.<br />

I. Bologna-Prozess: „Wer nicht handelt, der wird<br />

behandelt.“<br />

An den Universitäten haben sich die juristischen Fakultäten<br />

mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie sich aus der<br />

deutschen und europäischen Hochschulentwicklung ausklinken<br />

wollen, um das bisherige Jurastudium wie gewohnt weiterzuführen<br />

oder ob die Qualität der Ausbildung durch die<br />

Umsetzung des Bologna-Prozesses weiter erhöht werden<br />

kann. Die Grundpfeiler des Bologna-Prozesses, zu dessen<br />

Umsetzung sich Deutschland gemeinsam mit mittlerweile<br />

45 Staaten in Europa3 verpflichtet hat, sind von Dauner-Lieb<br />

in diesem Heft4 dargestellt.<br />

Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint Manches von<br />

dem, was die europäischen Bildungsminister verabredet haben,<br />

nicht auf das deutsche Jurastudium zu passen. Zu national<br />

ist der Lehrstoff, zu groß das Renomée der Juristenausbildung,<br />

die mit dem Staatsexamen vergleichbare Abschlüsse<br />

schafft, die ein gleich bleibend hohes Niveau der Absolventen<br />

gewährleisten. Außerdem können wir in Deutschland auf<br />

ein erfolgreiches duales Bildungssystem blicken, das hochwertige<br />

Berufsausbildungen bietet, die die massenhafte Produktion<br />

von Bachelors of Law unnötig machen könnte. Wichtig<br />

scheint mir in diesem Zusammenhang darauf<br />

hinzuweisen, dass die Reform bereits eine beträchtliche Eigendynamik<br />

entwickelt hat. 5 Anlässlich einer vom Deutschen<br />

Juristen-Fakultätentag, dem Deutschen Hochschulverband<br />

und dem DAV organisierten Berliner Fachtagung zum<br />

Bologna-Prozess 6 brachte der bayerische Bildungspolitiker<br />

Dr. Ludwig Spänle es auf den Punkt: „Wer nicht handelt, der<br />

wird behandelt.“ Also: Der Bologna-Prozess ist unumkehrbar.<br />

Noch ist es möglich, ihn mitzugestalten. Die an der Diskussion<br />

um die Juristenausbildung Beteiligten sollten verhindern,<br />

dass Wissenschafts- und Finanzministerien die<br />

Lokomotive des Reformprozesses werden, damit nicht Budgetfragen,<br />

sondern die Auseinandersetzung um die best mögliche<br />

Juristenausbildung die Diskussion bestimmt.<br />

Die Diskussion um die Reform der universitären Juristenausbildung<br />

soll im Wesentlichen an den Fakultäten<br />

geführt werden. Was wir Anwälte uns wünschen, ist kurz<br />

gesagt: Wir wollen wissenschaftlich ausgebildete Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte. Wir wollen reflektierende<br />

Praktiker und keine „Rechtshandwerker“. Reflexionsfähigkeit<br />

setzt eine breite rechtswissenschaftliche Ausbildung<br />

voraus. Wir wollen, dass die Universitäten nicht nur Wissen<br />

vermitteln, sondern Studenten einen Blick auf unser Rechtssystem<br />

vermitteln. Studierende sollen nicht nur lernen, Normen<br />

anzuwenden, sondern auch, sie zu hinterfragen. Zu einer<br />

rechtswissenschaftlichen Ausbildung, wie sie jeder<br />

zukünftige Anwalt und jede zukünftige Anwältin durchlau-<br />

* Überarbeitete und ergänzte Fassung eines Vortrags, den der Verfasser am 13.<br />

April 2005 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster gehalten hat.<br />

1 Vgl. http://www.bundesregierung.de/Anlage920135/Koalitionsvertrag.pdf.<br />

2 ftd.de vom 17. November 2005: „Justizminister lehnen Reform des Jura-Studiums<br />

ab“<br />

3 Nach Ziekow, Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf die deutsche Juristenausbildung,<br />

2004, S. 6 haben sich lediglich Weißrussland, die Ukraine und<br />

Moldawien dem Bologna-Prozess nicht angeschlossen.<br />

4 S. 5 mit weiteren Nachweisen zur Diskussion.<br />

5 Hierzu sehr pointiert der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz<br />

Gaehtgens, DER SPIEGEL v. 22. November 2005: „Groteske Vorstellung“<br />

6 Symposium „Der Bologna-Prozess und die Juristenausbildung in Deutschland“,<br />

22. September 2005, vgl. Brügmann, AnwBl 2005, 756.<br />

AnwBl 1 / 2006 1


MN Aufsätze<br />

fen muss, gehören neben der Vermittlung der Grundlagen<br />

des geltenden Rechts auch Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte,<br />

-philosophie, -methodik 7 , -vergleichung oder<br />

-soziologie. Anwältinnen und Anwälte müssen ein Verständnis<br />

dieser Grundlagenfächer haben, um die geltenden<br />

Normen zu verstehen und anzuwenden. Anwältinnen und<br />

Anwälte werden häufig mit Sachverhalten konfrontiert, für<br />

deren Bearbeitung ein Verständnis nicht nur der unmittelbar<br />

anwendbaren Normen, sondern des Systems unserer Rechtsordnung<br />

samt ihrer Grundlagen notwendig ist. Eine breite<br />

Grundausbildung ist gerade in Zeiten, in denen das Recht<br />

sich immer weiter ausdifferenziert, unverzichtbar. Wir Anwälte<br />

haben eine weitere Forderung an das Jurastudium:<br />

Die Universität muss die Studierenden in die Lage versetzen,<br />

nach dem ersten Examen eine Berufsentscheidung zu<br />

treffen. Eine Entscheidung erst nach dem zweiten Staatsexamen<br />

ist zu spät. Es wäre ein enormer Fortschritt, wenn<br />

alle Studierenden die Möglichkeit hätten, schon vor dem<br />

ersten Examen mehr als bisher Vorstellungen darüber zu haben,<br />

welchen Beruf sie dereinst ergreifen werden und ob er<br />

für sie und sie für ihn geeignet ist.<br />

II. Anwaltsqualität durch Anwaltsausbildung<br />

Neben der Reform des Studiums müssen wir allerdings<br />

unser drängendstes Problem in den Griff bekommen: Die<br />

Qualität der Ausbildung im Referendariat. Und dieses Problem<br />

lässt sich nur durch eine echte berufsbezogene Anwaltsausbildung8<br />

lösen. Das Modell des DAV sieht die folgenden<br />

Eckpunkte vor:<br />

9 Zur Sicherung der erforderlichen Ausbildungsqualität ist<br />

es nach Ansicht des DAV dringend erforderlich, das herkömmliche<br />

Referendariat abzuschaffen. Nach dem DAV-<br />

Modell soll der juristische Vorbereitungsdienst unmittelbar<br />

nach der ersten juristischen Prüfung in getrennten<br />

Ausbildungsgängen beginnen. Die Universitätsabsolventen<br />

müssen sich entscheiden, ob sie die Justizlaufbahn ergreifen<br />

möchten, in die öffentliche Verwaltung gehen<br />

oder Rechtsanwalt werden wollen. Anwalt kann dann nur<br />

werden, bei dem gesichert ist, dass er Anwalt auch gelernt<br />

hat. Der DAV steht nicht allein mit seiner Forderung<br />

nach einer Einführung von berufsbezogenen Ausbildungsgängen:<br />

Auch die Konferenz der Justizministerinnen und<br />

Justizminister sieht die möglichen Vorteile einer berufsbezogenen<br />

postuniversitären Ausbildung und hat den<br />

Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung beauftragt,<br />

ein Diskussionsmodell für die Umsetzung bis<br />

2008 zu erarbeiten. 9 Unter den Berufsverbänden der klassischen<br />

juristischen Berufe ist es insbesondere der Deutsche<br />

Richterbund, der eine Spartenausbildung nach dem<br />

1. Staatsexamen befürwortet. 10<br />

9 Die Ausbildungszeit von 24 Monaten soll beibehalten<br />

werden. Gute Ausbildung – Praxis und vertiefende Theorie<br />

– braucht Zeit; diese Zeit hat man den Referendaren<br />

traditionell gegeben; man wird sie für eine Anwaltsausbildung<br />

mindestens brauchen.<br />

9 An der Ausbildung kann nur teilnehmen, wer einen anwaltlichen<br />

Ausbildungsplatz findet. Wo auch sonst sollte<br />

die Ausbildung zum Anwalt möglich sein?<br />

9 Ausbildungsstationen bei Gericht und in der öffentlichen<br />

Verwaltung sind für Anwaltsreferendare weiterhin vorgesehen.<br />

Umgekehrt sollen angehende Richter und Ver-<br />

2 AnwBl 1 / 2006<br />

waltungsjuristen in ihrem Vorbereitungsdienst eine Anwaltsstation<br />

absolvieren.<br />

9 Die Ausbildung zur Rechtsanwältin, zum Rechtsanwalt<br />

wird bundeseinheitlich geregelt. Der Anwaltsberuf ist ein<br />

bundeseinheitlicher Beruf, der sich im europäischen Wettbewerb<br />

bewähren muss. Unterschiedliche Standards nach<br />

Ländern oder gar Kammerbezirken dürfen sich nicht entwickeln.<br />

Das ist auch rechtlich nicht problematisch, denn<br />

der Bundesgesetzgeber kann im Rahmen seiner konkurrierenden<br />

Gesetzgebungskompetenz die Ausbildung und<br />

Prüfung der Rechtsanwälte bundeseinheitlich regeln,<br />

Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 2 GG. 11<br />

9 Alle Ausbildungsgänge, die der Anwälte, der Juristen in<br />

der Justiz und der Juristen in der öffentlichen Verwaltung,<br />

werden mit einer Staatsprüfung beendet, wodurch die<br />

Gleichwertigkeit aller dieser Ausbildungsgänge gesichert<br />

wird. Die Prüfung sollte von den Landesjustizprüfungsämtern<br />

abgenommen werden.<br />

9 Die Alimentierung der Anwaltsreferendare ist nach dem<br />

DAV-Vorschlag während der anwaltlichen Ausbildungsstation<br />

Sache des ausbildenden Anwalts, während der<br />

Stationen bei Gericht und Verwaltung und während der<br />

Prüfung Sache des Staates.<br />

9 Die Durchlässigkeit zwischen Ausbildungsgängen und<br />

Berufen wird durch entsprechende Regelungen gewährleistet.<br />

Auch in Zukunft soll ein Richter Anwalt werden<br />

können und umgekehrt. Die Regelungen über die Zulassung<br />

von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus anderen<br />

Staaten der Europäischen Union zeigen uns einen<br />

gangbaren Weg auf. 12<br />

9 Abgesehen von der Staatsprüfung und den Stagen in Justiz<br />

und Verwaltung liegt die Anwaltsausbildung – anders<br />

als das staatliche Referendariat – in den Händen der Anwaltschaft<br />

und damit bei den Kammern.<br />

III. Reformbedarf ist unstrittig<br />

Die jüngste Reform der Juristenausbildung ist misslungen.<br />

Es handelt sich im postuniversitären Bereich um eine<br />

Scheinreform. Es gibt lediglich eine Verlängerung der Anwaltsstation,<br />

allerdings ohne dass anwaltliche Inhalte den<br />

Stellenwert bekommen hätten, der ihnen gebührte. Die Anwalts-Stage<br />

liegt in den meisten Bundesländern weiterhin<br />

7 Zur juristischen Methodik gehört neben der Methode des (richterlichen) Entscheidens<br />

auch die Methodik der (anwaltlichen) Rechtsberatung und -durchsetzung.<br />

Anwälte müssen nicht nur gelernt haben zu subsumieren, sondern müssen<br />

interessengeleitet beraten können.<br />

8 Vgl. „Vorschläge des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zur Reform des juristischen<br />

Vorbereitungsdienstes durch Einrichtung einer gesonderten Anwaltsausbildung<br />

und weiterer Ausbildungsgänge (Spartenausbildung)“, vom Vorstand<br />

des DAV auf seiner Sitzung am 22. und 23. September 2004 verabschiedete<br />

Fassung, http://www.anwaltverein.de/anwaltausbildung/modell.pdf.<br />

9 Vgl. Beschlüsse der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister<br />

vom 17. November 2005, http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/be<br />

schluesse/2005/herbstkonferenz05/I¹.html<br />

10 Vgl. die Stellungnahme des DRiB „Der Bologna-Prozess und seine möglichen<br />

Auswirkungen auf die Juristenausbildung“ vom 26. <strong>Januar</strong> 2005, im Anlagenband<br />

zum Bericht des Ausschusses der Justizministerkonferenz zur Koordinierung<br />

der Juristenausbildung „Der Bologna-Prozess und seine möglichen Auswirkungen<br />

auf die Juristenausbildung“, Anlage 4/14, http://www.justiz.<br />

nrw.de/JM/justizpolitik/schwerpunkte/bologna_prozess/index.html.<br />

11 So auch Bericht Koordinierungsausschuss, S. 243 (http://www.justiz.nrw.de/<br />

JM/justizpolitik/schwerpunkte/bologna_prozess/abschlussbericht.pdf).<br />

12 Vgl. insbesondere die RL 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates<br />

zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem<br />

anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde<br />

(Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie) und das Gesetz über die Tätigkeit europäischer<br />

Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG).


MN Aufsätze<br />

vor den schriftlichen Prüfungen des 2. Staatsexamens. Wir<br />

hören aus verschiedenen Regionen, dass die Anwaltsstation<br />

wieder als – nunmehr verlängerte – Tauchstation benutzt<br />

wird. Nur wenige Referendarinnen und Referendare nutzen<br />

die Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, um sich zielgerichtet<br />

auf den Anwaltsberuf vorzubereiten. Diese gehören<br />

zu denjenigen, die wir auch in der Anwaltschaft sehen<br />

wollen.<br />

IV. DAV-Anwaltausbildung als Vorbild für die Anwaltsausbildung<br />

Eben weil die Reform der Juristenausbildung unzureichend<br />

ist, wieder keine wirkliche Anwaltsausbildung zum<br />

Ziel hat und weil wir nicht länger warten können, haben wir<br />

das Ausbildungsmodell der DAV-Anwaltausbildung13 entwickelt<br />

und im Jahr 2003 ins Werk gesetzt. Mit der DAV-<br />

Anwaltausbildung wird den am Anwaltsberuf Interessierten<br />

schon jetzt eine Anwaltsausbildung angeboten. Die DAV-<br />

Anwaltausbildung ist die einzige anwaltliche Ausbildung,<br />

der ein verbindliches Curriculum zugrunde liegt, das eine<br />

12-monatige praktische und 3-monatige theoretische Ausbildung<br />

zum Anwaltsberuf miteinander verzahnt. Sie geht<br />

weit über das hinaus, was im staatlichen Referendariat an<br />

anwaltsbezogener Juristenausbildung angeboten wird. Wer<br />

die DAV-Anwaltausbildung durchlaufen hat, hat als Berufsanfänger<br />

einen Vorsprung vor seinen Wettbewerbern. Die<br />

DAV-Anwaltausbildung kann nach Aufbau und Curriculum<br />

als Vorbild für die Spartenausbildung zum Anwalt dienen.<br />

Die Inhalte des geforderten Anwaltsreferendariats können<br />

sich an dem im Feldversuch erprobten Lehrplan der DAV-<br />

Anwaltausbildung orientieren.<br />

V. Anwaltsberuf spannend und wirtschaftlich interessant<br />

Wir gehen davon aus, dass die Anwaltschaft jedes Jahr<br />

um die 2.000 bis 3.000 junge Kolleginnen und Kollegen als<br />

Nachwuchs braucht. Diese engagierten und motivierten jungen<br />

Juristinnen und Juristen gilt es zu gewinnen. Wir sind<br />

dabei guten Mutes: Der Anwaltsberuf ist einer der spannendsten,<br />

kreativsten und auch wirtschaftlich interessantesten<br />

juristischen Berufe, die es gibt. Viele gute Juristen werden<br />

Anwälte.<br />

VI. Mögliche Einwände<br />

1. Warum schon wieder Reformen?<br />

Dem DAV wird häufig die Frage gestellt: Warum kommen<br />

Sie jetzt – nach der Reform der Juristenausbildung aus<br />

dem Jahre 2003 – mit ihren Vorschlägen? Sollten wir nicht<br />

erst einmal die Ergebnisse dieser Reform abwarten? 14 Unsere<br />

klare Antwort darauf: Wir können uns Reformmüdigkeit<br />

auf diesem Sektor nicht erlauben. Reformen sind durchzuführen,<br />

wenn ein Reformbedürfnis festgestellt wird. Und<br />

dies ist hier der Fall. Im Übrigen haben die Diskussionen<br />

der vergangenen Jahre und Jahrzehnte gezeigt, dass Reformen<br />

der Juristenausbildung im Abstand von jeweils wenigen<br />

Jahren möglich waren. Die Reform aus dem Jahr 2003<br />

hat nicht das gebracht, was wir brauchen. Ein Zuwarten<br />

oder ein „Weiter so“ ist nicht zu verantworten. Handeln ist<br />

geboten.<br />

2. Aufgabe des „Einheitsjuristen“?<br />

Der folgende Einwand ist ernst zu nehmen, aber nicht<br />

überzeugend: Der große Vorteil der deutschen Juristenausbildung<br />

sei die Ausbildung zum so genannten „Einheitsjuristen“.<br />

Die Verfechter der Spartenausbildung würden ihn<br />

ohne Not aufgeben. 15 Der Einheitsjurist ist ein viel beschworenes<br />

Bild von dem Volljuristen, der Richter, Staatsanwalt<br />

oder Anwalt sein kann. Die Ausbildung zum Einheitsjuristen<br />

verschaffe allen Vertretern der klassischen juristischen<br />

Berufe die Möglichkeit, auf Augenhöhe miteinander zu<br />

kommunizieren. Ich möchte als Kontrast dazu Folgendes ins<br />

Bewusstsein rufen: Wenn man in die Geschichte schaut,<br />

sieht man, dass der „Einheitsjurist“ nicht bloß geschaffen<br />

wurde, um gleiche Augenhöhe zu schaffen. Vielmehr ist die<br />

Einbindung der Anwaltsausbildung in die staatliche Juristenausbildung<br />

ein Relikt des späten 18. Jahrhunderts, der<br />

Einbindung der Advokatur in den Staatsdienst. Der Staat<br />

gab Anwälten Staatsnähe und enthielt ihnen damit einen guten<br />

Teil ihrer Freiheit vor. Außerdem: Ein Anwalt, eine Anwältin<br />

braucht nicht die Befähigung zum Richteramt, um<br />

mit Richtern auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können.<br />

Außerdem: Den überkommenen deutschen Einheitsjuristen<br />

gibt es schon lange nicht mehr. Er hatte spätestens dann<br />

seine Berechtigung verloren, als das zahlenmäßige Verhältnis<br />

der Berufsträger sich immer weiter auseinander entwickelte.<br />

Wenn heute jährlich von 10.000 Absolventen des<br />

zweiten Staatsexamens vier Prozent in die Justiz gehen,<br />

weitere sechs Prozent in die öffentliche Verwaltung, ca. 15<br />

Prozent in die freie Wirtschaft und ungefähr 75 Prozent in<br />

die Anwaltschaft, dann ist eine Ausbildung, die die „Befähigung<br />

zum Richteramt“ als Lernziel postuliert, um dann nur<br />

den Anwaltszugang zu eröffnen, eine erstaunliche „Ausbildungspirouette“<br />

16 .<br />

Allerdings ist es unserer Ansicht nach richtig, dass alle<br />

Vertreter der klassischen juristischen Berufe in Anwaltschaft,<br />

Justiz und öffentlicher Verwaltung eine gleiche Sprache sprechen.<br />

Das ist der richtige Kern des Einheitsjuristen. Die Ausbildung<br />

darf sich also nicht allzu früh auseinander entwickeln.<br />

Aus Sicht des DAV müssen es die Universitäten<br />

sein, an denen die gemeinsame Sprache, die den Einheitsjuristen<br />

ausmacht, erlernt wird. Kurz: Der Einheitsjurist alter<br />

Prägung ist nach unserer Meinung am Ende. Es ist Zeit, ihn<br />

neu zu definieren. Der Schlüssel liegt in den Universitäten.<br />

3. Spartenausbildung unsozial?<br />

Nicht jeder wird einen Ausbildungsplatz für die postuniversitäre<br />

Ausbildung bekommen. Das ist hart, aber unserer<br />

Ansicht nach nicht unfair. 17 Wir halten dieses System sogar<br />

für ehrlicher als das bisherige. Den Juristen in der Ausbildung<br />

wird nicht mehr vorgegaukelt, „man könne mit Jura alles<br />

machen“. Wir sagen deswegen: die Berufsentscheidung<br />

muss früher fallen. Und wer 24 Jahre jung ist, wird sich<br />

13 Details zu Aufbau und Curriculum unter www.dav-anwaltausbildung.de.<br />

14 Für ein Abwarten auf die Evaluation der jüngsten Juristenausbildung plädiert<br />

neben der Justizministerkonferenz und dem Deutschen Juristen-Fakultätentag<br />

insbes. die BRAK, vgl. Resolution der 104. Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

am 29.4.2005 in Bremen, BRAK-Pressemitteilung Nr. 13<br />

vom 29. April 2005.<br />

15 Vgl. hierzu Dombek, BB 2005, 1<br />

16 Diese „Ausbildungspirouette“ kostet die Länder übrigens jährlich ca. 500 Millionen<br />

EUR, vgl. DAV-Pressemeldung 43/05 vom 17. November 2005 (Seite 36<br />

in diesem Heft).<br />

17 A. A. Jeep, Nur Schwimmen für den Thriathlon? AnwBl 2005, 632<br />

AnwBl 1 / 2006 3


MN Aufsätze<br />

leichter und besser umorientieren können, als ein 28-jähriger<br />

Absolvent des zweiten Staatsexamens das kann, der<br />

dann erfährt, dass ihm nur der Weg in den Anwaltsberuf<br />

bleibt. Die Spartenausbildung hat also eine Nebenwirkung:<br />

nämlich die Reduzierung der Zulassungszahlen. Wäre dies<br />

die einzige Motivation für Reformen, wäre das in der Tat<br />

problematisch. Als Nebeneffekt ist sie aber gewollt und<br />

auch verfassungsrechtlich unproblematisch. 18<br />

4. Schutzwall um Rechtsanwälte?<br />

Der DAV ist der Berufsverband der Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte in Deutschland. Daher wirft man uns<br />

vor, dass das Anwaltsausbildungsmodell lediglich dem<br />

Schutz vor Konkurrenz des eigenen Berufsstandes dienen<br />

soll. 19 Das ist kurzsichtig und falsch. Erstes Ziel des Anwaltsausbildungsmodells<br />

ist die Sicherung und Verbesserung<br />

der Qualität der Juristenausbildung, damit die Anwaltschaft<br />

auf dem heftig umkämpften<br />

Rechtsberatungsmarkt bestehen kann. Wir wollen eine wirkliche<br />

Ausbildung unseres eigenen Nachwuchses zum Anwalt<br />

gewährleisten. Wir brauchen hoch qualifizierten Nachwuchs.<br />

Ca. 3.000 Berufsanfänger sind sehr willkommen.<br />

Die meisten Referendarinnen und Referendare werden weiterhin<br />

nur zum Schein durch die Anwaltsstage geschleust,<br />

ohne dass eine wirkliche Ausbildung stattfindet. In der Diskussion<br />

über die Ausbildungsbereitschaft der Anwaltschaft<br />

wird außerdem Folgendes übersehen: Die Leistungsbereitschaft<br />

der Referendare und die für eine nützliche Ausbildung<br />

in anwaltlicher Arbeit notwendige zeitliche Ausdehnung<br />

der einzelnen anwaltlichen Ausbildungsabschnitte<br />

machen die Ausbildungsanstrengungen für den ausbildenden<br />

Rechtsanwalt lohnend. Je mehr Zeit er in den Referendar<br />

investiert, je besser und damit je verwendbarer werden<br />

die Leistungen des Referendars. Gute Ausbildung zahlt sich<br />

aus. Dieser Gesichtspunkt macht im Rahmen eines anwaltlichen<br />

Ausbildungsganges die Ausbildung der Anwaltsreferendare<br />

für eine große Zahl der Anwälte attraktiv, während<br />

sie gegenwärtig unattraktiv ist.<br />

Was zu verhindern ist, ist minder qualifizierte Konkurrenz.<br />

Denn es gibt zwei einfache Argumente dafür, dass jeder<br />

Anwalt und die Anwaltschaft als Ganzes hoch qualifizierte<br />

Kolleginnen und Kollegen braucht: Einmal ein<br />

praktisches Argument: Es ist viel einfacher und im Ergebnis<br />

für alle Beteiligten befriedigender und letztlich gerechter,<br />

einen Rechtsstreit mit einem Kollegen auszutragen, der über<br />

hohe anwaltliche Kompetenz verfügt. Schlecht ist ein<br />

schlechter Anwalt auf der Gegenseite. Das zweite Argument<br />

gilt für unseren gesamten Berufsstand und damit für<br />

die Rechtspflege insgesamt: Wenn ein Mandant sich von einem<br />

Anwalt schlecht beraten fühlt, dann kann er zu einem<br />

anderen Anwalt gehen, von dem er sich besser qualifizierten<br />

Rechtsrat erhofft. Er kann sich aber auch dafür entscheiden,<br />

überhaupt keinen Anwalt mehr aufzusuchen. Wir wollen<br />

aber, dass Bürger mit ihren Rechtsproblemen zu uns<br />

Rechtsanwälten kommen. Daher ist es in unserem ureigens-<br />

18 So zuletzt Bericht Koordinierungsausschuss, S. 289.<br />

19 Besonders kritisch mit Hinweis auf mögliche Auswirkungen auf das Rechtsberatungsmonopol<br />

der Anwaltschaft Kilian, Die Europäisierung des Hochschulraumes,<br />

o. J., S. 20 f.<br />

20 So sehr deutlich Stähle, Mitteilungen der RAK München III/05, S. 1: „... Anwaltschaft<br />

zur Heranbildung ihres eigenen Nachwuchses nicht bereit und geeignet<br />

... .“<br />

21 So Bericht Koordinierungsausschuss, S. 291.<br />

4 AnwBl 1 / 2006<br />

ten Interesse, die Qualität der Dienstleistungen der Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte hoch zu halten, und zwar<br />

aller Rechtsanwälte.<br />

Daher müssen wir erreichen, dass wo Rechtsanwalt drauf<br />

steht, Rechtsanwalt drin sein muss – das eben gewährleistet<br />

das gegenwärtige System nicht.<br />

5. Überforderung der Anwaltschaft<br />

Ein letztes Gegenargument ist bedauerlicherweise auch<br />

aus der Anwaltschaft zu hören: Die Anwaltschaft könne aus<br />

eigener Kraft und mit eigenen Mitteln die Anwaltsausbildung<br />

nicht leisten, weil die Ausbildungskapazitäten in den<br />

Anwaltsbüros zu gering seien. 20 Diese Einschätzung halte<br />

ich für schlicht falsch. Schon im Rahmen der DAV-Anwaltausbildung<br />

– einem auf Freiwilligkeit aufbauenden Modell<br />

– können wir mehr als 1.000 qualifizierte Ausbildungsplätze<br />

anbieten. Und das in international ausgerichteten Großkanzleien<br />

wie in kleinen Anwaltsgemeinschaften oder bei Einzelanwälten.<br />

Die Befürchtung, erfahrene und gut qualifizierte<br />

Anwälte würden bereits aus zeitlichen Gründen nicht<br />

in der Lage sein, sich um die Ausbildung der angehenden<br />

Kolleginnen und Kollegen zu kümmern, es sei vielmehr zu<br />

erwarten, dass unerfahrene und gering qualifizierte Anwälte<br />

die Ausbildungslast übernähmen 21 , ist – gelinde gesagt – absurd<br />

und getragen von einer Unkenntnis der Marktmechanismen.<br />

Wir Anwälte wollen uns nicht aus unserer Verantwortung<br />

stehlen. Wir brauchen auch nicht den Staat, damit<br />

er uns Arbeit abnimmt, die eigentlich zu unseren Aufgaben<br />

gehört. Wir brauchen den Staat für die rechtswissenschaftliche<br />

Universitätsausbildung. Und wir brauchen den Staat,<br />

damit unsere angehenden Kolleginnen und Kollegen die Berufe<br />

im Staatsdienst kennen lernen können. Wir brauchen<br />

den Staat für die Staatsprüfung. Aber alles darüber hinaus<br />

können wir selbst leisten.<br />

VII. Schluss<br />

Die Anwaltsausbildung ist das Angebot der Anwaltschaft<br />

für eine notwendige Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung<br />

anwaltlicher Rechtsberatung. Wir brauchen<br />

diese Qualitätssteigerung, um auf einem sich immer weiter<br />

ausdifferenzierenden Markt, der längst nicht mehr nur national<br />

ist, auch in Zukunft bestehen zu können. Eine gut<br />

funktionierende Anwaltschaft ist integraler Bestandteil eines<br />

gut funktionierenden Rechtsstaates.<br />

Gibt es eine Angst vor einer echten Anwaltsausbildung?<br />

Ich glaube das nicht. Angst wäre auch kein guter Ratgeber.<br />

Die gesamte Anwaltschaft und damit auch unsere Mandanten<br />

werden von der Anwaltsausbildung profitieren. Nur<br />

Qualität sichert den Berufsstand. Alles andere – Fort- und<br />

Weiterbildung – kommt danach.<br />

Hartmut Kilger, Tübingen<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Präsident des<br />

Deutschen Anwaltvereins.


MN Aufsätze<br />

Der Bologna-Prozess –<br />

endgültig kein Thema für<br />

die Juristenausbildung?<br />

Plädoyer für einen gangbaren Weg der Reform<br />

Professor Dr. jur. Barbara Dauner-Lieb, Köln*<br />

Union und SPD haben sich in ihren Koalitionsverhandlungen<br />

geeinigt, die Juristenausbildung aus dem Bologna-<br />

Prozess herauszuhalten. Ebenso haben die Justizministerinnen<br />

und Justizminister auf der Herbsttagung vom<br />

17.11.05 bekundet, dass eine Umsetzung der Ziele von Bologna<br />

derzeit nicht für sinnvoll erachtet wird. 1 Die Anhänger<br />

des klassischen Einheitsjuristen werden aufatmen, gibt<br />

es doch gute Gründe, eine Implementierung des Bologna-<br />

Konzepts in die Juristenausbildung ganz grundsätzlich abzulehnen<br />

und sich infolgedessen auf eine Diskussion über<br />

Einzelheiten gar nicht erst einzulassen: Die letzte Reform<br />

der Juristenausbildung ist noch nicht verdaut; vor allem<br />

aber steht viel auf dem Spiel, nicht zuletzt das einheitliche<br />

Niveau des juristischen Nachwuchses und damit die hohe<br />

Qualität der Rechtspflege.<br />

Allerdings erscheint zweifelhaft, ob die Sonderstellung der<br />

Juristenausbildung außerhalb des Bologna-Prozesses nun<br />

tatsächlich endgültig schon als gesichert angesehen werden<br />

kann. Der äußere Druck auf die juristischen Fakultäten<br />

ist groß und wird weiter wachsen. Immerhin gewähren<br />

die neuen politischen Signale jedoch eine Atempause und<br />

damit eine Chance, die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung<br />

mit dem Bologna-Konzept ohne Zeitdruck zu<br />

führen. Der folgende Beitrag ist von der Auffassung getragen,<br />

dass das Bologna-Konzept Optionen für eine behutsame<br />

und qualitätswahrende Umsetzung offen hält.<br />

I. Die Reform der Juristenausbildung – Eine unendliche<br />

Geschichte<br />

Über die Juristenausbildung wird kontrovers diskutiert<br />

seit es Berufsjuristen gibt. 2 Dabei hat sich der „Streitstoff“<br />

im Kern kaum verändert. Die zentralen Fragen nach Inhalt<br />

(lokal geltendes Recht oder allgemeine Prinzipien), nach juristischer<br />

Pädagogik (kasuistische oder systematische Methode)<br />

und Dauer (mindestens vier Jahre) 3 werden seit Jahrhunderten<br />

tradiert und lediglich im Lichte des jeweiligen<br />

historischen Kontextes variiert. Seit dem Zweiten Weltkrieg<br />

ist die tatsächliche oder vermeintliche Notwendigkeit einer<br />

grundlegenden Reform der Juristenausbildung endgültig<br />

zum Dauerthema geworden. 4<br />

Letzte Frucht dieser Diskussion ist das Gesetz zur Reform<br />

der Juristenausbildung vom 11.7.2002, das mit der Einführung<br />

einer frühen Spezialisierung in Form eines Schwerpunktbereichsstudiums<br />

30 % der examensrelevanten Prüfungsleistungen<br />

in die Universität verlagert und eine fachspezifische<br />

Fremdsprachenausbildung sowie die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen<br />

zwingend zum Gegenstand der universitären<br />

Juristenausbildung gemacht hat. Der belastende und komplexe<br />

Umsetzungsprozess ist in den Juristischen Fakultäten<br />

gerade eben erst abgeschlossen worden. Daher fehlt es auch<br />

noch an validen Evaluationen. Allerdings zeichnen sich schon<br />

jetzt gewisse Probleme im Hinblick auf Qualitätsmanagement<br />

und Qualitätssicherung ab: In den Schwerpunktbereichsprüfungen<br />

wird die zur Verfügung stehende Notenskala überwiegend<br />

nicht ausgeschöpft, es zeichnet sich eine deutliche Tendenz<br />

zu „Kuschelnoten“ ab. Eine Ursache dafür ist<br />

möglicherweise, dass sehr viele Studierende ihren Schwerpunktbereich<br />

nicht nach Neigung oder im Hinblick auf den<br />

künftigen Arbeitsmarkt aussuchen; entscheidende Motive sind<br />

vielmehr die vermeintliche oder tatsächliche Schwierigkeit<br />

des jeweiligen Rechtsstoffes, seine Verwertbarkeit im Rahmen<br />

der staatlichen Pflichtfachprüfung, vor allem aber auch<br />

das „Bewertungsprofil“ der jeweils Lehrenden. Vor diesem<br />

Hintergrund ist mittelfristig nicht zu erwarten, dass es zu einem<br />

Qualitätswettbewerb zwischen den Hochschulen kommt.<br />

II. Das Bologna-Konzept und die Juristenausbildung<br />

1. Zum Diskussionsstand<br />

Für die deutschen Juristen war die Bologna-Erklärung<br />

vom 19.06.1999 lange Zeit kein Thema. Über das Ringen<br />

um eine tatsächlich oder vermeintlich notwendige Anwaltsorientierung<br />

der Juristenausbildung auf nationaler<br />

Ebene, das schließlich in das Gesetz vom 11.7.2002 mündete,<br />

wurde der sich parallel abzeichnende, gesamteuropäische<br />

Bologna-Prozess kaum wahrgenommen. Erst in<br />

den letzten Monaten ist die Diskussion über eine Implementierung<br />

des Bologna-Konzepts in die Juristenausbildung<br />

in Fahrt gekommen. 5 Dabei zeichnet sich derzeit in<br />

Juristenkreisen eine klare Front der Ablehnung ab, deren<br />

Bandbreite von deutlicher Skepsis bis zu vehementem<br />

Widerstand reicht. So wird Bologna überwiegend abgelehnt<br />

vom Deutschen Juristen-Fakultätentag 6 , von der<br />

BRAK 7 , der Bundesnotarkammer und dem Deutschen Notarverein.<br />

8 Aus der Justizpolitik hat sich besonders prominent<br />

die Bayerische Staatsministerin der Justiz Merk<br />

geäußert. 9 Differenziertere Ansätze sind vom Deutschen<br />

* Meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Brechtel danke ich für Inspiration<br />

und Unterstützung.<br />

1 Beschluss der JuMiKo vom 17.11.05 in Berlin zu Top I.1: Der Bologna-Prozess<br />

und seine möglichen Auswirkungen auf die Juristenausbildung. www.jus<br />

tiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2005/herbstkonferenz05/I¹.html<br />

2 Siehe nur den Überblick von Lührig, Die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung<br />

von 1945 bis 1995, 1997; vgl. auch Burmeister, Das Studium der<br />

Rechte im Zeitalter des Humanismus, 1974; sehr erhellend Meincke, Die Institutionen<br />

Justinians als Repetitionsprogramm, JZ 1988, 1095.<br />

3 Siehe dazu etwa Burmeister (Fn. 2), S. 263 ff.<br />

4 Zu den typischen Argumentationsmustern sehr erhellend Lührig (Fn. 2),<br />

S. 218 ff.<br />

5 Informativ und pointiert von Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890; einen sehr<br />

umfassenden und abgewogenen Überblick über den bisherigen Diskussionsstand<br />

und den Argumentationshaushalt bietet Kilian, Die Europäisierung des Hochschulraumes;<br />

besonders konstruktiv und lesenswert auch Jeep, NJW 2005, 2283;<br />

AnwBl 2005, 632 und ausführlich unter www.neue-juristenausbildung.de; Merk,<br />

ZRP 2004, 264; Pfeiffer, NJW 2005, 2281; Hirte/Mock, Die Juristenausbildung<br />

in Europa vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses. Jus-Beilage zu Heft<br />

12/2005; Huber, Symposium des Deutschen Juristen-Fakultätentags, des Deutschen<br />

Hochschulverbandes und des Deutschen Anwaltvereins in Berlin am<br />

22.9.05; Zypries, Reform nach der Reform – Vereinbarkeit der besonderen Wesenszüge<br />

der Juristenausbildung in Deutschland mit dem Anliegen des Bologna-<br />

Prozesses; die Stellungnahmen der Berufsverbände zusammenfassend v. Wulffen/Schlegel<br />

NVwZ 2005, 890, 894; siehe auch für den Deutschen<br />

Anwaltverein, Kilger, Symposium am 22.9.05.<br />

6 Siehe Huber, Symposium am 22.9.05 (Fn. 5); Krings, Symposium am 22.9.05<br />

(Fn. 5).<br />

7 Resolution der 104. Hauptversammlung der BRAK vom 29.8.2005.<br />

8 V. Wulffen/Schlegel NvwZ 2005, 890, 893.<br />

9 Merk, ZRP 2004, 264; sehr kritisch auch der Zwischenbericht des Ausschusses<br />

der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der Juristenausbildung.<br />

AnwBl 1 / 2006 5


MN Aufsätze<br />

Anwaltsverein 10 und vom Deutschen Richterbund zu hören,<br />

die sich möglicherweise eine Kombination von Bologna-<br />

Konzept und Ablösung des bisherigen Referendariats durch<br />

eine berufsspezifische Form der Weiterqualifizierung vorstellen<br />

können (sog. Spartenmodell). 11<br />

Bereits an dieser Stelle deutet sich an, dass es um weit<br />

mehr geht als nur um einen weiteren Versuch der Optimierung<br />

der universitären Phase der Juristenausbildung. Auf<br />

dem Prüfstand steht das gesamte System der Juristenausbildung<br />

zum sog. Einheitsjuristen mit seinen staatsgetragenen<br />

Prüfungsanteilen und dem Referendariat. Damit steht der<br />

hohe Qualitätsstandard der deutschen Rechtspflege, der inzwischen<br />

auch auf EU-Ebene anerkannt ist, auf dem Spiel. 12<br />

Brisant und unübersichtlich ist die Diskussion vor allem auch<br />

deshalb, weil sie zwar vordergründig um ideele Ziele wie<br />

Qualitätssteigerung, Flexibilisierung und Europäisierung der<br />

Juristenausbildung kreist, möglicherweise aber auch von<br />

ganz handgreiflich-materiellen Interessen vorangetrieben<br />

wird. So liegt die Vermutung nahe, dass der Bologna-Prozess<br />

teilweise als Instrument (oder willkommener Vorwand?) gesehen<br />

wird, endlich die hohen Zulassungszahlen zur Anwaltschaft<br />

und damit den schwer erträglichen Konkurrenzdruck<br />

in den Griff zu bekommen. Verlockend könnte auch das Potential<br />

von erheblichen Einsparungen in der Justiz durch Beschränkung<br />

des Vorbereitungsdienstes auf künftige Richter<br />

und vollständige Verlagerung des Prüfungsgeschäfts in die<br />

Universitäten sein. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht,<br />

dass viele Juristen zögern, sich überhaupt auf eine Diskussion<br />

über Einzelheiten einer Implementierung des Bologna-Konzepts<br />

einzulassen. Die Gefahr eines politischen Dammbruchs<br />

mit der Konsequenz einer Gefährdung fast aller bewährten<br />

Elemente der Juristenausbildung ist nicht von der Hand zu<br />

weisen. So gesehen erscheint die Entscheidung von Union<br />

und SPD, die Juristenausbildung aus dem Bologna-Prozess<br />

auszuklammern, als Zeichen geradezu sensationeller politischer<br />

Vernunft.<br />

Wer freilich über den fachlichen Tellerrand der legal<br />

community hinausschauend den Prozess der Implementierung<br />

des Bologna-Konzeptes beobachtet, hat mancherlei<br />

Anlass zur Skepsis, ob das Ende des Liedes schon erreicht<br />

ist: Zum einen ist äußerst zweifelhaft, ob die Juristischen<br />

Fakultäten universitätsintern für sich auf Dauer eine Sonderstellung<br />

beanspruchen können, wenn sich alle anderen Fakultäten<br />

der Hochschule um sie herum Bologna-konform reformieren.<br />

Eine entsprechende Abkoppelung würde eine<br />

interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fakultäten<br />

im Rahmen gemeinsamer Studiengänge erheblich erschweren,<br />

wenn nicht teilweise sogar unmöglich machen. Es ist<br />

im übrigen auch damit zu rechnen, dass in noch größerem<br />

Umfang als bisher schon die Gewährung zusätzlicher Fördergelder<br />

von der Bologna-Konformität des zu Fördernden<br />

abhängig gemacht werden. Im Übrigen könnte ein Ignorieren<br />

von Bologna mittelfristig nicht nur zu einer Isolierung<br />

innerhalb der deutschen Hochschullandschaft, sondern auch<br />

zu einer Abkoppelung von der gesamteuropäischen Juristenausbildung<br />

führen. 13 Angesichts dieses „äußeren Drucks“<br />

erscheint es nicht ungefährlich, in der Gewissheit einer<br />

„ganz herrschenden Meinung“ in Juristenkreisen allzu siegesgewiss<br />

das Nachdenken einzustellen; es könnte sich herausstellen,<br />

dass „die lange als angenehm empfundene Dunkelheit<br />

nicht von den hohen Mauern der uneinnehmbaren<br />

Festung der deutschen Juristenausbildung herrührte, sondern<br />

6 AnwBl 1 / 2006<br />

von dem Sand, in dem der Vogel Strauß seinen Kopf zu stecken<br />

pflegt“. 14<br />

2. Die Erste Staatsprüfung auf dem Prüfstand<br />

Soweit der Bologna-Prozess in Juristenkreisen überhaupt<br />

schon inhaltlich diskutiert wird, reduzieren sich die Überlegungen<br />

weitgehend auf die Alternative „Staatsprüfung<br />

oder Hochschulprüfung“. 15 So begründet insbesondere Merk<br />

ihre Ablehnung einer Umstrukturierung der Juristenausbildung<br />

nach Bologna-Kriterien damit, für eine Beibehaltung<br />

der Staatsprüfung im Pflichtfachbereich spreche u. a. die<br />

Verantwortung des Staates für die Rechtspflege und qualifizierte<br />

Nachwuchsjuristen, Objektivität und Qualität einer<br />

zentral gestellten, leistungs- und wettbewerbsorientierten<br />

Prüfung, Sicherung eines einheitlichen Niveaus der Absolventen<br />

in den Kernfächern und hohe Aussagekraft des Prüfungsergebnisses.<br />

16 Umgekehrt plädiert etwa Kilger in seiner<br />

Funktion als Präsident des Deutschen Anwaltsvereins –<br />

unter Berufung auf eine sehr problematische Verlautbarung<br />

des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 200217 – dass das momentane<br />

Staatsexamensystem unbefriedigend sei, weil es zu<br />

einer Entwissenschaftlichung des juristischen Studium geführt<br />

habe; wenn Studenten ab dem 4. oder 5. Semester zum<br />

Repetitor laufen müssten, um Examensfalllösungstechnik zu<br />

pauken, bliebe kein Raum für wissenschaftliches Arbeiten. 18<br />

Diese Zuspitzung auf die Frage nach dem Weg zum universitären<br />

Abschluss ist kein Zufall. Die sog. Modularisierung<br />

der Studieninhalte ist ein zentrales Anliegen des Bologna-Konzeptes.<br />

Es bringt mit sich, dass sich das Studium<br />

nicht mehr auf eine alles entscheidende Abschlussprüfung<br />

zuspitzt, sondern kontinuierlich für den Abschluss relevante<br />

Credits in den einzelnen Modulen des Studiums gesammelt<br />

werden; der Bachelor-Abschluss ist ohne zusätzliche Anstrengung<br />

bereits erreicht, wenn genug Credits akkumuliert<br />

worden sind. 19<br />

Die zentrale Bedeutung der studienabschliessenden<br />

Blockprüfung für die Qualität des deutschen Juristen wird<br />

häufig verkannt, obwohl sie eigentlich auf der Hand liegt:<br />

Der gesamte Pflichtfachstoff wird am Ende des Studiums<br />

so abgeprüft, wie er in der juristischen Praxis gebraucht<br />

wird, als Einheit, also in seiner komplexen Vernetzung der<br />

verschiedenen Problemebenen und Rechtsgebiete. Mit einer<br />

isolierten, mit Credits belohnten Erarbeitung einzelner Module<br />

(Schuldrecht, Grundrechte, Vermögensdelikte) ist es<br />

eben nicht getan. Angesichts der Anforderungen der Abschlussprüfung<br />

zeichnet sich das klassische juristische Studium<br />

durch ein „Lernen in Spiralen“ aus (wissenschaftliche<br />

Grundausbildung anhand eines Überblicks im Pflichtfachstoff,<br />

Vertiefung des Pflichtfachstoffs bei gleichzeitigem<br />

Kennenlernen einiger Nebengebiete sowie des gewählten<br />

10 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom 24. <strong>Januar</strong> 2005 zur Einführung<br />

eines Bachelor-/Master-Systems in die deutsche Juristenausbildung für die<br />

Anhörung des Ausschusses der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der<br />

Juristenausbildung am 26. <strong>Januar</strong> 2005 in Berlin.<br />

11 Vgl. die Stellungnahme von Kilger (Fn. 5), S. 5 f.<br />

12 Council of Europe, European Judicial Systems 2002, CEPEJ (2004) 30.<br />

13 Ausführlich dazu Kilian (Fn. 5), S. 16 f; Jeep, NJW 2005, 2283, 2284.<br />

14 So sehr plastisch Kilian (Fn. 5), S. 17.<br />

15 Besonders plastisch Merk, ZRP 2004, 264.<br />

16 Merk, ZRP 2004, 264.<br />

17 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Reform der staatlichen Abschlüsse, Drs.<br />

5460/02.<br />

18 Kilger Symposium am 22.9.05 (Fn. 5), S. 2; Huber (Fn. 5), S. 9.<br />

19 Vgl. dazu auch Kilian (Fn. 5), S. 23 ff.


MN Aufsätze<br />

Schwerpunktbereichs, komplette Wiederholung und Vertiefung<br />

des Pflichtfachstoffs zur Examensvorbereitung). Gerade<br />

diese Vernetzung ist es aber, die den guten deutschen<br />

Juristen befähigt, mit Hilfe der Methodenlehre und des juristischen<br />

Handwerkszeugs selbständig neue Probleme,<br />

Rechtsgebiete oder sogar fremde Rechtsordnungen zu erschließen.<br />

20 Dass diese Vernetzung auch bei begabten Studenten<br />

im Regelfall nicht innerhalb von sechs Semestern zu<br />

erreichen ist, wird kaum bestritten.<br />

Es hat sich bewährt, dass die studienabschließende Blockprüfung<br />

in den erfahrenen Händen der staatlichen Justizprüfungsämter<br />

liegt: Es gilt zwar nicht erst seit gestern als Zeichen juristischer<br />

Aufgeschlossenheit, die Tragfähigkeit und Aussagekraft des<br />

Staatsexamens zu bezweifeln und haarsträubende Horroranekdoten<br />

zu kolportieren. 21 Es mag auch tatsächlich in den letzten Jahrzehnten<br />

ab und zu zu einer Überbetonung der Falltechnik und damit<br />

der Anspruchsakrobatik gekommen sein. Vorhandene<br />

Defizite ließen sich freilich unschwer systemimmanent korrigieren;<br />

ein stärkeres Engagement der Hochschullehrer in der Staatsprüfung<br />

könnte ein Auseinanderdriften von Lehr- und Prüfungsinhalten<br />

weitgehend verhindern. Ein gewisser<br />

Optimierungsbedarf sollte jedenfalls nicht den Blick dafür verstellen,<br />

dass die Staatsprüfung ein Gütesiegel ist und eine Qualitätskontrolle<br />

der juristischen Ausbildung sicherstellt, wie sie keine<br />

Akkreditierungsagentur bieten kann. 22 Damit lässt sich ein Zwischenergebnis<br />

formulieren: Wäre mit der Entscheidung für ein<br />

Einlassen auf den Bologna-Prozess notwendig eine Weichenstellung<br />

gegen das Staatsexamen verbunden, dann wäre der Preis<br />

aus heutiger Sicht tatsächlich zu hoch.<br />

3. Dichtung und Wahrheit<br />

Das Bologna-Konzept lässt freilich deutlich mehr Gestaltungsspielraum<br />

als üblicherweise angenommen. 23 Viele tatsächliche<br />

oder vermeintliche Zwänge ergeben sich erst aus<br />

der deutschen, teilweise bürokratischen und überperfektionistischen<br />

Interpretation und Weiterentwicklung der Grundgedanken.<br />

Viele frühe Festlegungen ließen sich – den entsprechenden<br />

politischen Willen vorausgesetzt – korrigieren,<br />

also im Hinblick auf die bisher eher vernachlässigten Besonderheiten<br />

der einzelnen Fächer abwandeln.<br />

Entscheidend ist zunächst, dass der Bologna-Prozess lediglich<br />

ein formales Ordnungsprinzip etabliert. Harmonisiert<br />

wird der organisatorische Rahmen, in dem ausgebildet<br />

wird, nicht aber der Inhalt der Ausbildung selbst. 24 Hauptziele<br />

dieser organisatorischen Vereinheitlichung ist die Förderung<br />

9 der gegenseitigen Anerkennung akademischer Abschlüsse,<br />

9 der Mobilität der Studierenden und<br />

9 der Vermittelbarkeit der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Zu diesem Zweck wird u.a. angestrebt:<br />

9 Die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen<br />

(Stichwort: konsekutive Studiengänge), Bachelor<br />

und Master;<br />

9 die Modularisierung der Ausbildung und die hierdurch ermöglichte<br />

Einführung eines Leistungspunktesystems, des<br />

European Credit Transfer System (ECTS), das insbesondere<br />

die Mobilität der Studierenden während des Studiums<br />

verbessern soll;<br />

9 die Verbesserung der Qualität der Hochschulausbildung<br />

durch Akkreditierung der Bachelor- und Masterstudiengänge.<br />

25<br />

Als erster berufsqualifizierender Abschluss soll der Bachelor<br />

der Regelabschluss eines Hochschulstudiums sein<br />

und für die Mehrzahl der Studierenden zu einer „ersten Berufseinmündung“<br />

führen. Dies bedeutet notwendig, dass das<br />

Master-Studium nicht allen Bachelor-Absolventen offen<br />

steht. Für eine Festschreibung bestimmter Quoten (z. B.<br />

80 %/20 %) bietet freilich das Bologna-Konzept selbst keine<br />

Grundlage, entsprechende Vorgaben haben kapazitäre<br />

Gründe. Offen ist aber vor allem auch die zeitliche Gewichtung<br />

zwischen den Bachelor- und Masterstudiengängen eines<br />

Faches. Möglich ist sowohl das Modell einer Verteilung<br />

von drei Jahren auf das Bachelor-Studium und zwei Jahren<br />

auf das Master-Studium (3:2) als auch die Variante einer<br />

Aufteilung von vier Jahren auf das Bachelor-Studium und<br />

einem Jahr auf das Master-Studium (4:1). Schließlich – und<br />

dies ist nach den vorherigen Überlegungen entscheidend –<br />

enthält das Bologna-Konzept keinerlei Vorgaben im Hinblick<br />

auf eine staatliche Eingangsprüfung für die reglementierten<br />

juristischen Berufe. Die Beibehaltung des Staatsexamens<br />

wäre daher nicht unzulässig 26 und nicht einmal<br />

systemwidrig. 27 Das Bologna-Konzept zwingt also keineswegs<br />

zur Einführung eines juristischen Schmalspurbachelors<br />

von drei Jahren. Ein Blick über den nationalen Zaun bestätigt<br />

diesen Befund: In keinem EU-Mitgliedstaat, der<br />

bisher das Bologna-Konzept umgesetzt hat, berechtigt allein<br />

der „Bachelor of Law“ zur Ausübung eines klassischen, juristischen<br />

Berufs, insbesondere zur Niederlassung als<br />

Rechtsanwalt. Dies setzt überall mindestens eine weitere<br />

Prüfung, meist „Eingangsprüfung“ genannt, voraus. 28<br />

III. Die 3:2-Modelle: Eine Sackgasse<br />

1. Kennzeichnung<br />

Im Mittelpunkt der Diskussion stehen derzeit (und sei es<br />

auch nur als Objekt vehementer Ablehnung) Modelle, in denen<br />

der juristische Bachelor ein dreijähriges Studium umfasst,<br />

der Master ein zweijähriges Studium. 29 Dabei wird<br />

ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass dann Zugangsvoraussetzung<br />

für die reglementierten Berufe ein<br />

Master sein muss. Zusätzliche Eingangsprüfungen für die<br />

jeweiligen Sparten gelten als naheliegend, ein praxisbezogener<br />

„Vorbereitungsdienst“ mit oder ohne Abschlussprüfung<br />

innerhalb der jeweiligen Sparte als natürliche Konsequenz. 30<br />

Der Abschied vom deutschen „Einheitsjuristen“ wäre vollzogen.<br />

31 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es in diese Rich-<br />

20 Zutreffend Merk, ZRP 2004, 264, 265; so auch von Wulffen/Schlegel, NVwZ<br />

2005, 890, 892.<br />

21 Siehe aus neuester Zeit etwa Derleder, NJW 2005, 2334; erstaunlich ist, dass<br />

die schärfsten Kritiker des traditionellen Systems der Juristenausbildung auf<br />

dem Boden genau dieser Ausbildung beruflich und auch finanziell durchaus erfolgreich<br />

gewesen sind.<br />

22 Zutreffend Merk, ZRP 2004, 264, 265.<br />

23 Dies hat zu Recht Jeep, NJW 2005, 2283, immer wieder betont.<br />

24 Besonders informativ Kilian (Fn. 5), S. 2 ff.; von Wulffen/Schlegel, NVwZ<br />

2005, 890 ff.<br />

25 „Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen<br />

Hochschulbildung“ (sog. Sorbonne-Erklärung), vgl. http://www.bmbf.de/pub/<br />

sorbonne_declaration.pdf; Bologna-Erklärung v. 19.6.1999, vgl. http://www.<br />

bmbf.de/pub/bologna_deu.pdf; 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in<br />

Deutschland. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.6.2003, vgl.<br />

http://www.kmk.org/doc/beschl/bmthesen.pdf.<br />

26 Ebenso Kilian (Fn. 5), S. 21.<br />

27 A. A. Kilian (Fn. 5), S. 21.<br />

28 Siehe die umfassende Studie von Hirte/Mock (Fn. 5).<br />

29 Vgl. Fn. 5.<br />

30 Siehe zu entsprechenden Modellen ausführlich Kilian (Fn. 5), S. 19 ff.<br />

31 V. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890, 892; Kilian (Fn. 5), S. 19.<br />

AnwBl 1 / 2006 7


MN Aufsätze<br />

tung zielende Modelle waren, die Union und SPD in den<br />

Koalitionsverhandlungen bewogen haben, zunächst einmal<br />

die politische Notbremse zu ziehen.<br />

2. Schwerwiegende rechtspolitische Bedenken<br />

Der standespolitische und fiskalische Charme und damit<br />

die rechtspolitische Sprengkraft dieses Ansatzes liegen<br />

nämlich auf der Hand: Nimmt man das Postulat des Bologna-Konzepts<br />

ernst, dass nur ein begrenzter Anteil der erfolgreichen<br />

Absolventen eines Bachelor-Studiums sofort<br />

zum Master-Studium zugelassen wird, dann kann auf diesem<br />

Weg ein recht enger Flaschenhals installiert werden,<br />

der den so lästigen Massenansturm auf die reglementierten<br />

Berufe bereits sehr früh im Vorfeld abfängt. Ob die „Masterquote“<br />

auf 20 % oder 30 % festgelegt würde, wäre fast nebensächlich.<br />

Die drängendsten Probleme wären gebannt –<br />

jedenfalls kurzfristig. Schon mittelfristig müsste man freilich<br />

mit noch größeren Problemen rechnen. Es erscheint<br />

durchaus zweifelhaft, ob es politisch tatsächlich durchsetzbar<br />

wäre, das frühzeitig aus der juristischen Ausbildung gedrängte<br />

Bachelor-Proletariat endgültig großflächig von der<br />

Rechtsberatung fernzuhalten. Eine Öffnung könnte allerdings<br />

dann wirklich eine Gefahr für die Qualität der Rechtspflege<br />

bedeuten. Andere Berufsperspektiven sind derzeit<br />

nicht ersichtlich. Eine für die Praxis brauchbare Spezialisierung,<br />

wie sie etwa die sehr erfolgreichen Rechtspflegerschulen<br />

bieten, lässt sich in der Universität innerhalb der<br />

normalen Studiengänge in drei Jahren nicht erreichen, weil<br />

hier ja zunächst einmal eine Grundlegung in der Methodenlehre<br />

und in den Pflichtfächern erfolgen muss, die für sich<br />

genommen im Regelfall eben noch nicht berufsqualifizierend<br />

wäre.<br />

3. Unvereinbarkeit mit dem Bologna-Konzept<br />

Damit erweist sich dieses Modell auch aus Bologna-<br />

Sicht als wenig tauglich: Der Bachelor, der eine Berufstauglichkeit<br />

vermitteln soll, hätte die Qualität einer besseren<br />

Zwischenprüfung, mit einer vorgegebenen, letztlich sehr hohen<br />

Misserfolgsquote. Eine fachübergreifende Erweiterung<br />

des Studiums in den Masterstudiengängen wäre auch<br />

schwer denkbar, hätte der Master doch zwangsläufig zunächst<br />

einmal die Aufgabe, auf die Zugangsprüfungen zu<br />

den einzelnen Berufssparten vorzubereiten.<br />

IV. Ein gangbarer Weg: 4:1, Staatsexamen nach<br />

dem Bachelor<br />

1. Grundstrukturen<br />

Inzwischen werden aber auch bereits sehr gründlich<br />

4:1-Modelle unter Beibehaltung des Staatsexamens als Eingangsprüfung<br />

für die reglementierten juristischen Berufe<br />

vorgeschlagen. 32 Dass solche Modelle mit dem Bologna-<br />

Konzept in Einklang zu bringen sind, wurde bereits dargelegt.<br />

Ein gangbarer Weg könnte damit wie folgt aussehen<br />

(eine schematische Darstellung findet sich auf der folgenden<br />

Seite):<br />

Den Grundstock der typischen Juristenausbildung würde<br />

ein 4-jähriges, universitäres Bachelor-Studium bilden, das<br />

Zugangsvoraussetzung für alle weiteren Qualifikationsstufen<br />

wäre. Nach dem Bachelor würde sich die Ausbildung<br />

gabeln: Wer einen reglementierten juristischen Beruf einschlagen<br />

möchte, müsste nach dem Bachelor zunächst eine<br />

staatliche Eingangsprüfung bestehen. Mit überdurchschnitt-<br />

8 AnwBl 1 / 2006<br />

lich erfolgreichem Bachelor könnte aber auch entsprechend<br />

einer bestimmten Quote ein einjähriges Master-Studium angeschlossen<br />

werden. Die Masterstudiengänge würden sich<br />

in anwendungsorientierte und forschungsorientierte Studiengänge<br />

gliedern, entsprechend der Forderung der Kultusministerkonferenz<br />

(KMK) vom 12.6.2003. 33 Die weitere<br />

Ausbildung für die reglementierten Berufe könnte so bleiben<br />

wie sie ist. Die Absolventen des Zweiten Staatsexamens<br />

wären klassische Volljuristen im Sinne eines Einheitsjuristen,<br />

hätten jedoch zusätzlich den Titel Bachelor und könnten<br />

nach dem Zweiten Staatsexamen wiederum noch eine Promotion<br />

oder ein Master-Studium anschließen. Größere Lösungen<br />

wie eine Abschaffung des Zweiten Staatsexamens,<br />

eine Verkürzung der Vorbereitungszeit etc. wären denkbar,<br />

könnten aber isoliert diskutiert oder auch zunächst einmal<br />

auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden 34 .<br />

Das somit 4-jährige universitäre Bachelor-Studium<br />

könnte einen mit dem Status quo vergleichbaren Ausbildungsstand<br />

gewährleisten; das System der Credit-Points<br />

würde Leistungen bereits während des Studiums honorieren,<br />

um die Studierenden zu gleichmäßiger Arbeit anzuspornen.<br />

Die Juristischen Fakultäten die – wie etwa die Kölner<br />

Fakultät – ohnehin bereits für jede Veranstaltung einen Abschlusstest<br />

vorsehen, hätten nur ganz wenig Umstellungsaufwand.<br />

Allerdings müssten für die letzte Phase des Studiums<br />

Module zur Wiederholung und Vertiefung des Stoffes<br />

eingeführt werden, für deren Bewältigung ebenfalls Credits<br />

zu vergeben wären. Ein entsprechender Umbau bereits –<br />

etwa in Köln – vorhandener flächendeckender Universitätsrepetitorien<br />

wäre freilich unschwer zu leisten. Diejenigen<br />

Studierenden, die es ohnehin nicht in die klassischen Berufe<br />

zieht, wären nicht mehr gezwungen, das Examen zu machen;<br />

dies könnte zu einer nicht ganz unerheblichen Reduktion<br />

der Zulassungszahlen zum Staatsexamen führen.<br />

Da die Masterstudiengänge nicht mehr die Aufgabe hätten,<br />

auf die reglementierten juristischen Berufe vorzubereiten,<br />

wären sie von einer Vertiefung und Wiederholung des<br />

Pflichtfachstoffes entlastet. Sie könnten sich daher – nur<br />

dies wäre bolognakonform – auf wissenschaftliche Vertiefung<br />

oder interdisziplinäre Inhalte konzentrieren. Damit wären<br />

sie auch für ausländische Studierende interessant. Vor<br />

allem könnten ökonomisch orientierte Studenten einen juristischen<br />

Bachelor mit einem Master aus den Wirtschaftswissenschaften<br />

kombinieren. Dies könnte möglicherweise<br />

Chancen eröffnen, für Juristen verloren gegangene Berufsfelder<br />

(Steuerberater, Wirtschaftsprüfung, Manager) zurückzugewinnen.<br />

2. Kritische Würdigung<br />

Auch dieses Modell wirft die Frage auf, ob der Bachelor<br />

tatsächlich als berufsqualifizierend im Sinne des Bologna-<br />

Konzeptes zu akzeptieren ist, wenn nach wie vor der Weg<br />

zu den Berufsqualifikationen nur über eine weitere Prüfung<br />

führt. Dies lässt sich aber im Hinblick auf ein 4-jähriges Bachelor-Studium<br />

deutlich eher vertreten als im Modell eines<br />

3-jährigen, universitären Bachelors: Nach einem erfolgreichen<br />

4-jährigen Universitätsstudium verfügt der junge Jurist<br />

32 Jeep, NJW 2005, 2283; sowie ausführlich http://www.neue-juristenausbil<br />

dung.de.<br />

33 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland. Beschluss der<br />

Kultusministerkonferenz vom 12.6.2003, vgl. http://www.kmk.org/doc/beschl/<br />

bmthesen.pdf.<br />

34 Vorschläge zu „größeren Lösungen“ bei Jeep, NJW 2005, 2283, 2284.


MN Aufsätze<br />

Schematische Darstellung eines 4 : 1-Modells unter Beibehaltung des Staatsexamens.<br />

über eine Fülle von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ihn in<br />

Zukunft auch für nichtjuristische Berufe interessant machen<br />

könnten. Im übrigen bietet die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen,<br />

Sprachkompetenz und Praktika, die schon<br />

jetzt Bestandteil der normalen juristischen Ausbildung ist,<br />

einen hohen Grad an „Employability“.<br />

Im übrigen bietet das Modell nur Vorteile: Die Fakultäten<br />

würden nur mit einem minimalen Umstellungsaufwand belastet.<br />

Mit Hilfe des ECTS-Systems könnte ein Auslandsaufenthalt<br />

in das 4-jährige Bachelor-Studium eingebaut werden,<br />

was der Forderung nach Erhöhung der Mobilität entsprechen<br />

würde. Die Justizprüfungsämter würden um diejenigen Jurastudenten<br />

entlastet, die ohnehin nicht in die reglementierten<br />

juristischen Berufe streben. Die Fakultäten könnten auch weiterhin<br />

einen prozentualen Anteil an der Examensnote über<br />

die Schwerpunktbereichsprüfung tragen, so dass auch insoweit<br />

das bestehende System nicht geändert werden müsste.<br />

V. Thesen<br />

1. Aus der isolierten Sicht der legal community besteht<br />

derzeit kein Anlass über weitere Reformen der Juristenausbildung<br />

nachzudenken.<br />

2. Positive, weiterführende Impulse für eine Verbesserung<br />

der Juristenausbildung sind von dem Bologna-Prozess kaum<br />

zu erwarten. Im Gegenteil: Die den guten Juristen kennzeichnende<br />

Vernetzung des Stoffes, die auf einem „Lernen in Spiralen“<br />

beruht, wird bisher durch eine abschließende Blockprüfung<br />

erzwungen. In einem System, das für den erfolgreichen<br />

Abschluss lediglich eine Akkumulation von Credits für einzelne<br />

modularisierte Studienleistungen genügen lässt, wäre<br />

diese Verzahnung nicht mehr gewährleistet. Außerdem lässt<br />

der Verlauf der Umsetzung des Bologna-Prozesses in anderen<br />

Fächern durchaus Zweifel, ob die hohen Ziele des Bologna-<br />

Konzeptes (Europäisierung des Bildungsraums, Vergleichbarkeit<br />

der Abschlüsse, Flexibilisierung der Studiengänge, Stei-<br />

gerung der Mobilität) auf<br />

dem eingeschlagenen<br />

Weg überhaupt zu erreichen<br />

sind.<br />

3. Allerdings ist ganz<br />

unwahrscheinlich, dass<br />

der Bologna-Prozess<br />

noch zu stoppen ist. Trotz<br />

des aktuellen politischen<br />

Signals aus Berlin, die<br />

Juristenausbildung vom<br />

Bologna-Prozess zu verschonen,<br />

geraten damit<br />

die Juristischen Fakultäten<br />

zwangsläufig unter<br />

starken „äußeren Druck“,<br />

ihre Ausbildungsstrukturen<br />

anzupassen. Es ist<br />

zweifelhaft, ob sich die<br />

derzeit noch ganz überwiegend<br />

verteidigte Sonderstellung<br />

halten lässt.<br />

Infolgedessen erscheint<br />

auch für Juristen eine<br />

gründliche inhaltliche<br />

Auseinandersetzung mit<br />

dem Bologna-Konzept nach wie vor nötig. Ausgangspunkt<br />

aller Überlegungen muss dabei das völlig unbestrittene Postulat<br />

sein, dass keine Abstriche vom derzeitigen Niveau der<br />

juristischen Ausbildung gemacht werden dürfen.<br />

4. Eine Erhaltung des aktuellen Qualitätsniveaus ist –<br />

den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt – auch<br />

im Rahmen des Bologna-Konzepts nicht ausgeschlossen.<br />

Das Konzept gibt nur einen sehr weiten, formalen Rahmen<br />

vor. Dieser lässt eine hohe Flexibilität bei der inhaltlichen<br />

Gestaltung, der in anderen EU-Staaten auch schon kreativ<br />

genutzt wird. Insbesondere zwingt das Bologna-Konzept<br />

nicht zur Einführung von 3-jährigen juristischen Schmalspurbachelors.<br />

Es zwingt auch nicht zur Aufgabe des Juristischen<br />

Staatsexamens als Eingangsprüfung für die reglementierten<br />

juristischen Berufe.<br />

5. Der Bologna-Prozess muss daher nicht zwangsläufig<br />

eine Gefahr für die hohe Qualität der Juristenausbildung<br />

und damit der deutschen Rechtspflege bedeuten. Die eigentliche<br />

Gefahr liegt in einer Instrumentalisierung des Bologna-Prozesses<br />

zu standes- und finanzpolitischen Zielen.<br />

Daher ist in der Tat äußerste Vorsicht geboten, gerade deshalb<br />

aber auch eine gründliche, inhaltliche Auseinandersetzung.<br />

Die Juristenausbildung ist zu wichtig, als dass man<br />

die nächste Umstrukturierungsrunde den Nichtjuristen überlassen<br />

dürfte.<br />

Professor Dr. Barbara Dauner-Lieb, Köln<br />

Die Autorin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches<br />

Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />

Arbeitsrecht und Europäische Privatrechtsentwicklung,<br />

Direktorin des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht<br />

und Prorektorin der Universität zu Köln.<br />

AnwBl 1 / 2006 9


MN Aufsätze<br />

Strukturelle<br />

Richterperspektive und<br />

Juristenausbildung<br />

Die Sicht des Richters und die<br />

rechtsgebietsübergreifende Ausbildung<br />

Wiss. Assistent Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />

Die rechtsberatende anwaltliche Praxis arbeitet rechtsgebietsübergreifend.<br />

Die Ausbildung an der Universität<br />

und im Referendariat ist dagegen nach den klassischen<br />

Rechtsgebieten Bürgerliches Recht, Strafrecht und Öffentliches<br />

Recht (§ 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG) aufgeteilt1 . Sie<br />

übernimmt damit die Sichtweise des Richters und Verwaltungsjuristen,<br />

ist also von einer „strukturellen Richterperspektive“<br />

2 geprägt. Übungssachverhalte werden so durch<br />

den Filter der gerichtlichen und behördlichen Zuständigkeit<br />

vorstrukturiert3 und „in das Korsett des Prozessrechts<br />

gezwängt“ 4 . Dies zeigt sich deutlich an den veröffentlichten<br />

Übungsklausuren5 . Nur vereinzelt ist bisher die rechtsgebietsübergreifende<br />

Perspektive überhaupt angedeutet<br />

worden6 . Der Beitrag wirbt für rechtsgebietsübergreifende<br />

Ausbildung und Prüfung.<br />

A. Rechtsgebietsübergreifende Ausbildung und<br />

Prüfung<br />

Bei rechtsgebietsübergreifenden Sachverhalten steht der<br />

Lebenssachverhalt im Mittelpunkt. Die Fokussierung auf lediglich<br />

ein Rechtsgebiet ist bewusst aufgegeben. Ergiebig<br />

hierfür sind Fälle aus Querschnittsgebieten7 . Für die Ausbildung<br />

bietet sich besonders das Baurecht an8 . Einen Bauherrn<br />

interessieren nicht abgegrenzte Fragen des privaten<br />

oder des öffentlichen Nachbarrechts, des (öffentlichenrechtlichen)<br />

Bauplanungs- und -ordnungsrechts oder Grundstücksrechts,<br />

sondern dass sein Bauvorhaben realisiert wird.<br />

Rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen können<br />

auch Rechtsgebiete kombinieren. Naheliegend ist die Verbindung<br />

von Delikts- und Strafrecht9 . Eine strafbare Handlung<br />

braucht nicht – wie herkömmlich – nur eine bloße Vorfrage<br />

eines zivilrechtlichen Anspruchs zu sein, sondern<br />

kann ihm nach Umfang und Schwierigkeitsgrad als selbständiger<br />

und ebenbürtiger Teil der Aufgabe entsprechen.<br />

Für Fortgeschrittene kann auch das UWG-Recht einbezogen<br />

werden10 . Nicht nur aus der Berater-, sondern auch aus der<br />

Entscheiderperspektive können Straßenverkehrssachen mit<br />

ihren straf-, zivil- und fahrerlaubnisrechtlichen Folgen betrachtet<br />

werden, ebenso Fragen aus dem Nebenstrafrecht<br />

mit verwaltungs- oder zivilrechtlichen Vorfragen.<br />

B. Rechtlicher Rahmen<br />

Didaktisch sind rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen<br />

also sinnvoll, (ausbildungs-)rechtlich aber nicht<br />

ohne weiteres möglich. Dabei kommt es mit Blick auf die<br />

Ausbildungswirklichkeit weniger darauf an, dass entsprechende<br />

Inhalte gelehrt, als darauf, dass sie auch geprüft werden<br />

dürfen11 . Man würde die Augen vor den verständlichen<br />

Schwerpunktsetzungen der Kandidaten verschließen, wenn<br />

man Ausbildungsinhalte propagierte, die nicht prüfungsrelevant<br />

sind.<br />

10 AnwBl 1 / 2006<br />

I. Stoffbegrenzung durch das DRiG<br />

Die die Inhalte der Ausbildung bestimmende bundesrechtliche<br />

Norm 12 ist seit jeher (inhaltlich 13 ) unverändert.<br />

§ 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG lautet: „Pflichtfächer sind die Kernbereiche<br />

des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen<br />

Rechts und des Verfahrensrechts [...]“. Hierdurch<br />

wird ein Rahmen abgesteckt, der das (kollektive) Arbeits-,<br />

das Sozial- und das Steuerrecht von den Pflichtfächern ausschließt.<br />

Dies ist vom Standpunkt des DRiG konsequent,<br />

das den methodisch allgemeingebildeten Juristen anstrebt.<br />

II. Keine Stoffstrukturierung durch das DRiG<br />

Auch wenn sich die rechtsgebietsübergreifende Pflichtfachausbildung<br />

auf die eben genannten Fächer beschränken<br />

muss, bedeutet § 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG aber nicht, dass sie<br />

jeweils voneinander getrennt gelehrt und dann auch geprüft<br />

werden müssen. Der Wortlaut ist in dieser Hinsicht offen.<br />

Jedenfalls kann man die Aufzählung in § 5 a Abs. 2 S. 3<br />

DRiG so verstehen, dass hier allgemein anerkannte Gruppen<br />

von Rechtsfragen und damit ein historisch gewachsener Fächerkanon<br />

umschrieben wird. Aus der herkömmlichen Richterperspektive<br />

der Ausbildung ergibt sich kein zwingender<br />

Gegenschluss. Denn die jeweils isolierte Betrachtung der<br />

einzelnen Rechtsgebiete in Lehre und auch Prüfung ist das<br />

Ergebnis des Blickwinkels eines (richterlichen) Entscheiders,<br />

nicht dessen Voraussetzung.<br />

1 Vgl. die Ergebnisse der Erhebung über die Inhalte anwaltsbezogener Ausbildung<br />

an deutschen Universitäten bei Barton/Jost/Lindemann/Schumacher,<br />

Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2000), S. 15-48.<br />

2 Lewinski/Schmidt, JA 2004, S. 856 („strukturelle Richterorientierung“). Zur<br />

„Befähigung zum Richteramt“ als Zulassungsvoraussetzung für Rechtsanwälte:<br />

Lewinski, Grundriss des Anwaltlichen Berufsrechts, 2006, S. 153.<br />

3 Die Sonderfälle der Rechtswegekonzentration nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG und<br />

des Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO sollen hier als wenig examensrelevant<br />

unberücksichtigt bleiben.<br />

4 Raiser, in: Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 4.<br />

5 Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 41–320; Barton/Jost,<br />

Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 19–408.<br />

Eine Auswertung der Klausuren aus den Ausbildungszeitschriften der Jahre<br />

1977 bis 2005 (vgl. http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/etc/lwk//DOK/Anwaltsklausuren.pdf)<br />

stützt diesen Befund. Zu den wenigen Ausnahmen siehe unten<br />

Fn. 7 bis 10.<br />

6 Vgl. Raiser, in: Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 23;<br />

Kleindieck, Methodische Herausforderungen der Ausbildungsreform, in: Barton/Jost,<br />

Die inhaltliche Neuausrichtung des rechtswissenschaftlichen Studiums<br />

(2003), S. 59, 62.<br />

7 Vgl. etwa Hoeren/Walter, „Musterklausur Datenschutzrecht“, in: Ehmann, Der<br />

Datenschutzbeauftragte im Unternehmen (1993), S. 160 ff. (Kombination von<br />

Ordnungswidrigkeiten-, Verwaltungs- und Arbeitsrecht, allerdings nicht in der<br />

Form einer Beraterklausur).<br />

8 Grziwotz, „Wir wollen keinen Cent’ bezahlen!“, in: Barton/Jost, Anwaltsorientierung<br />

im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 73 ff. (Immobiliarsachenrecht<br />

und öffentlichrechtlicher Vertrag).<br />

9 Lewinski, „Der unehrliche Bewerber“, JuS 2005, S. 718 ff. (Straf-, Zivil- und<br />

Arbeitsrecht); vgl. Barton, 1. Beispielsfall, JuS 2004, S. 553, 554 (Strafrecht<br />

und Vertragsgestaltung).<br />

10 Gusy/Schewe, „Der grüne Daumen der öffentlichen Hand“, in: Barton/Jost,<br />

Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 299 ff.<br />

(Kommunal- und Wettbewerbsrecht); Lewinski, „Berliner Hefehörnchen Französische<br />

Art“, JA 2004, S. 735 ff. (Lebensmittel-, Zivil-, Straf- und Wettbewerbsrecht).<br />

11 Vgl. Becker-Eberhard, NJ 2004, S. 389, 390.<br />

12 Die – soweit ersichtlich – h. M. nimmt für die Juristenausbildung eine konkurrierende<br />

Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG<br />

(Gerichtsverfassung) an (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), vor § 5,<br />

Rzn. 3, 10; Schmidt-Räntsch, DöD 1987, S. 280, 282 f.). Weil der Bund tatsächlich<br />

nur einen Rahmen vorgibt, kann es hier dahinstehen, ob ihm nicht<br />

doch nur eine bloße Rahmengesetzgebungskompetenz nach entweder Art. 98<br />

Abs. 1, Abs. 3 S. 2 GG oder Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a GG zusteht. Wegen<br />

der (teilweisen) Übertragung der juristischen Prüfungen auf die Universitäten<br />

spricht inzwischen mehr für Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a GG als Kompetenztitel,<br />

jedenfalls für den universitären Teil der Juristenausbildung.<br />

13 Vorläufer des heutigen § 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG war § 5 DRiG und davor<br />

§ 2 ff. GVG (Schmidt-Räntsch, DRiG, 5. Aufl. 1995, vor § 5, Rz. 1; § 5, Rz.<br />

1; § 5 a, Rz. 1).


MN Aufsätze<br />

Auch die sonstigen Vorgaben des DRiG sprechen nicht<br />

gegen einen rechtsgebietsübergreifenden Ansatz. Denn sie<br />

betreffen nur organisatorische Fragen des Prüfungsablaufs:<br />

So unterteilt § 5 Abs. 1, 2. HS DRiG die erste Prüfung in<br />

einen universitären und einen staatlichen Teil. Nach § 5d<br />

Abs. 1 S. 3 DRiG besteht die staatliche Pflichtfachprüfung<br />

aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil, nach<br />

§ 5 d Abs. 2 S. 2 DRiG ist im Schwerpunktbereich mindestens<br />

eine schriftliche Leistung zu erbringen. § 5d Abs. 2<br />

S. 3, 2. HS DRiG schließlich macht nur Vorgaben für den<br />

zeitlichen Ablauf der Prüfung.<br />

Aus der Eigenschaft der §§ 5 a ff. DRiG als Rahmenvorschrift<br />

kann abgeleitet werden, dass der Bund nicht die Abgrenzung<br />

der einzelnen Rechtsgebiete voneinander regeln<br />

wollte. Jedenfalls ist anerkannt, dass das Bundesrecht<br />

„keine ausdrücklichen Vorgaben zur Art und Gestaltung<br />

von [Prüfungs-]Aufgaben“ macht 14 . So steht es den Ländern<br />

traditionell frei, die schriftliche Prüfung durch Klausur oder<br />

Hausarbeit abzunehmen.<br />

Die Ausbildungsreform 2003 jedenfalls wollte die<br />

rechtsgebietsübergreifende Stoffvermittlung fördern. Nach<br />

§ 5 a Abs. 3 S. 1 DRiG berücksichtigen „die Inhalte des<br />

Studiums [u. a.] die [...] rechtsberatende Praxis“. Gleiches<br />

gilt nach § 5 d Abs. 1 S. 1 DRiG für die universitären und<br />

staatlichen Prüfungen. Es ist das Ziel der Reform der Juristenausbildung,<br />

die rechtsberatende Perspektive auch in die<br />

Pflichtfachveranstaltungen zu integrieren 15 . Jedenfalls für<br />

den mündlichen Teil der zweiten Staatsprüfung geht der Gesetzgeber<br />

davon aus, dass „berufsfeldorientierte“ und damit<br />

auch rechtsgebietsübergreifende Aufgaben gestellt werden<br />

können 16 .<br />

III. Strukturierung des Stoffes durch Landesrecht<br />

Die überkommene, nach Rechtsgebieten getrennte Vermittlung<br />

des Stoffes ist also nicht durch das DRiG bedingt,<br />

sondern ausschließlich durch das Juristenausbildungs- und<br />

-prüfungsrecht der Länder. So legen alle Länder fest, dass in<br />

den (staatlichen) Prüfungen die Prüfungsleistungen getrennt<br />

nach den genannten Rechtsgebieten zu erbringen sind 17 .<br />

Ausnahmen, jedenfalls nach dem Wortlaut, bestehen für die<br />

mündliche Prüfung in Berlin und Brandenburg für das<br />

zweite Staatsexamen (jeweils § 29 Abs. 3 JAO) und möglicherweise<br />

noch in Schleswig-Holstein für den staatlichen<br />

Teil des erste Examens (§ 18 Abs. 3 JAO). In Nordrhein-<br />

Westfalen gilt dies ausdrücklich für erstes und zweites<br />

Examen (§§ 15 Abs. 2 S. 3, 51 Abs. 5 JAG). Eine Besonderheit<br />

existiert in Hessen, wo im schriftlichen Teil der zweiten<br />

Staatsprüfung nach § 48 Abs. 3 Nr. 4 JAG eine Klausur<br />

„aus den Bereichen von Arbeit und Wirtschaft“ geschrieben<br />

werden muss.<br />

Die beschriebene „strukturelle Richterperspektive“ des<br />

Juristenausbildungsrechts der Länder betrifft allerdings nur<br />

den staatlichen Teil der Prüfung. Den Universitäten steht es<br />

nach der Konzeption des DRiG ausdrücklich frei, in den<br />

Schwerpunktbereichen Rechtsgebiete zu kombinieren. Nach<br />

der Vorstellung des Reformgesetzgebers ist es sogar der eigentliche<br />

Zweck der Schwerpunktbereiche, einzelne juristische<br />

Fächer (Rechtsgebiete) zusammenzuführen und sich –<br />

rechtsgebietsübergreifend – an „Lebens- und Handlungsbereichen<br />

[zu] orientieren“ 18 . Damit ist das Juristenausbildungsrecht<br />

der Länder als „Bremsklotz“ für rechtsgebietsübergreifende<br />

Prüfungsinhalte identifiziert, jedenfalls im<br />

staatlichen Teil der Prüfung.<br />

IV. Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen<br />

Die strenge Untergliederung in Rechtsgebiete nach dem<br />

Prüfungsrecht der Länder ist nicht unumstößlich19 . Allerdings<br />

dürfen die Bundesländer nicht ohne weiteres für die<br />

juristischen Prüfungen rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen<br />

vorsehen. Denn § 5 d Abs. 1 S. 2 DRiG<br />

schreibt vor, dass die „Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen<br />

[...] zu gewährleisten“ ist. Damit wird zwar einerseits<br />

nicht gefordert, dass die Prüfungsregelungen der Länder<br />

in jeder Einzelheit übereinstimmen müssen20 . Doch hat<br />

diese Norm andererseits mehr im Blick als nur die äußere<br />

Begrenzung des Prüfungsstoffes, denn der Pflichtfachstoff<br />

ist bereits in § 5 a Abs. 2 S. 2 DRiG festgelegt. Wie § 5 d<br />

Abs. 1 S. 1 DRiG zeigt, der die rechtsprechende, verwaltende<br />

und rechtsberatende Praxis gleichermaßen erwähnt,<br />

geht es auch um die Art und Weise, wie der Stoff vermittelt<br />

und abgeprüft wird. Fraglich ist also, was das Tatbestandsmerkmal<br />

der „Einheitlichkeit“ bedeutet und wo die Grenze<br />

für die Uneinheitlichkeit liegt. Zwar kann nicht vom Sein<br />

auf das Sollen geschlossen werden, doch mag ein vergleichender<br />

Blick auf die Prüfungsregelungen der Länder hier<br />

Aufschlüsse geben:<br />

Die Gewichtung und Anzahl der Leistungskontrollen in<br />

den Bundesländern ist vergleichbar. So überwiegt im<br />

schriftlichen Teil der staatlichen Prüfung allgemein das Zivilrecht.<br />

Im Einzelnen weichen die Regelungen aber durchaus<br />

voreinander ab. Es gibt Bundesländer, in denen die drei<br />

Rechtsgebiete im Umfang gleichberechtigt nebeneinander<br />

stehen (z. B. Sachsen-Anhalt: §§ 16 Abs. 3, 47 Abs. 3<br />

Nrn. 1–3 JAPrVO). Bei der absoluten Zahl der schriftlichen<br />

Prüfungsleistungen gibt es zwar nominelle Unterscheide<br />

zwischen den Bundesländern. Besonders deutlich ist dies im<br />

Zivilrecht im zweiten Staatsexamen, in dem in Sachsen-Anhalt<br />

nur zwei Klausuren geschrieben werden (§ 47 Abs. 3<br />

Nr. 1 JAPrVO) und in Bayern fünf (§ 62 Abs. 3 S. 1<br />

Nr. 1 JAPO). Doch relativiert sich dieser Befund, wenn man<br />

berücksichtigt, dass in Sachsen-Anhalt noch zusätzlich zwei<br />

Anwaltsklausuren geschrieben werden (§ 47 Abs. 3<br />

Nr. 4 JAPrVO) und in Bayern die Zahl der schriftlichen Prü-<br />

14 Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), Anh. zu § 5 d, Rz. 62.<br />

15 BT-Ds. 14/7176, S. 10 f.; so schon die Forderung der 1. Soldan-Tagung 1999<br />

(Barton/Jost/Lindemann/Schumacher, Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen<br />

Studium (2000), S. 9).<br />

16 BT-Ds. 14/7176, S. 14. Dies ist – soweit ersichtlich – nur in Berlin und Brandenburg<br />

(jeweils § 29 Abs. 3 JAO) und Nordrhein-Westfalen (§ 51 Abs. 5 JAG)<br />

landesrechtlich umgesetzt worden.<br />

17 Baden-Württemberg: §§ 13 Abs. 3, 17 Abs. 2, 50 Abs. 3, 53 Abs. 2 JAPrO;<br />

Bayern: §§ 28 Abs. 1, 62 Abs. 3, 65 Abs. 2 S. 1 JAPO; Berlin: §§ 5 Abs. 3, 9<br />

Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 2 S. 1 JAO; Brandenburg: §§ 5 Abs. 3, 9 Abs. 2 S. 2, 28<br />

Abs. 2 S. 1 JAO; Bremen: §§ 18 Abs. 2, 22 Abs. 2 JAPG; Hamburg: §§ 15<br />

Abs. 2, 20 Abs. 3 JAG; Hessen: §§ 13 Abs. 2, 14, 48 Abs. 4, 50 Abs. 4 JAG;<br />

Mecklenburg-Vorpommern: §§ 12 Abs. 2, 19 Abs. 1, 46 Abs. 3, 50<br />

Abs. 2 JAPO; Niedersachsen: §§ 16, 19 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 4, 37 Abs. 2, 39<br />

Abs. 4 JAVO; Nordrhein-Westfalen: §§ 10 Abs. 2, 51 Abs. 2 S. 2 JAG; Rheinland-Pfalz:<br />

§§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 JAPO; Saarland: §§ 5<br />

Abs. 1, 10 Abs. 2, 33 Abs. 1, 36 Abs. 2 JAO; Sachsen: §§ 23 Abs. 2, 26<br />

Abs. 3, 47 Abs. 3, 49 Abs. 4 JAPO; Sachsen-Anhalt: §§ 16 Abs. 3, 21 Abs. 4,<br />

47 Abs. 3 JAPrVO; Schleswig-Holstein: §§ 11 Abs. 2 JAVO; Thüringen: §§ 20<br />

Abs. 2, 23 Abs. 5, 47 Abs. 2, 49 Abs. 2 JAPO. Für das 2. Staatsexamen in<br />

Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein gilt eine Übereinkunft von 1972;<br />

sie deckt sich inhaltlich mit den Regelungen der anderen Bundesländer (vgl.<br />

§§ 8 Abs. 2, 16 Abs. 5).<br />

18 BT-Ds. 14/8629, S. 12; vgl. auch BT-Ds. 14/7176, S. 10 („interdisziplinäre<br />

Wahlfächer“).<br />

19 Vgl. zum fachübergreifenden Ansatz in der Medizinerausbildung: § 2<br />

Abs. 2 ÄAppO („Der Unterricht im Studium soll fächerübergreifendes Denken<br />

fördern und soweit zweckmäßig problemorientiert am Lehrgegenstand ausgerichtet<br />

sein.“).<br />

20 Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), § 5 d, Rz. 4.<br />

AnwBl 1 / 2006 11


MN Aufsätze<br />

fungsleistungen mit elf (§ 62 Abs. 3 JAPO) im Bundesvergleich<br />

am höchsten ist.<br />

Dieser Überblick zeigt, dass die Zahl der in den Bundesländern<br />

geforderten Klausuren um regelmäßig eine Klausur<br />

pro Fach variiert. Im zweiten Staatexamen ist eine Abweichung<br />

von bis zu zwei Klausuren üblich; der eben beschriebene<br />

Unterschied zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern<br />

von drei Klausuren ist bereits eine Ausnahme und beruht<br />

zudem auf Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsrechts.<br />

Es ist also heute schon möglich, in den staatlichen Prüfungen<br />

wenigstens eine Klausur rechtgebietsübergreifend<br />

zu konzipieren. Eine stärkere Abweichung wäre vor dem<br />

Hintergrund der geltenden Praxis aber mit dem Risiko behaftet,<br />

die „Einheitlichkeit“ zu verletzen.<br />

V. Begrenzte Möglichkeit zur Einführung rechtsgebietsübergreifender<br />

Prüfungen<br />

Es kann festgehalten werden, dass die Länder in begrenztem<br />

Umfang berechtigt sind, rechtsgebietsübergreifende<br />

Aufgaben in den juristischen Prüfungen in den<br />

Pflichtfächern einzuführen. Eine stärkere Betonung dieser<br />

Art der Prüfung muss das (auch) auf § 5 d Abs. 1<br />

S. 1 DRiG bezogene Einheitlichkeitserfordernis berücksichtigen.<br />

C. Vorschläge zur Beseitigung der „strukturellen<br />

Richterperspektive“<br />

Rechtsgebietsübergreifende Prüfungen sind also nur<br />

möglich, wenn sie landesrechtlich erlaubt werden. Eine solche<br />

landesrechtliche Regelung ist ihrerseits aber nur zulässig,<br />

wenn dadurch die „Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen“<br />

nicht verletzt wird.<br />

Wenn eine rechtsgebietsübergreifende Ausbildung und<br />

Prüfung gewollt ist – wovon man nach der Zielsetzung der<br />

Reform der Juristenausbildung ausgehen kann – dann muss<br />

nach Wegen gesucht werden, dieses Ziel zu erreichen. Diejenigen,<br />

die der Rechtsberatung und -gestaltung mehr Raum<br />

in der Ausbildung gewähren wollen, sind hier also selbst<br />

zur Rechtsgestaltung aufgerufen. Zwei Möglichkeiten stehen<br />

zur Auswahl:<br />

I. Konzertierte Aktion der Länder<br />

Da das Bundesrecht bis auf das „Einheitlichkeitserfordernis“<br />

den Ländern für rechtsgebietsübergreifende Prüfungsinhalte<br />

keine Vorgaben macht, könnten sich die Länder zu<br />

einer „konzertierten Aktion“ verständigen und rechtsgebietsübergreifende<br />

Aspekte in ihre Juristenausbildungsgesetze<br />

aufnehmen. Auch können einzelne Länder, solange<br />

die Einheitlichkeit gewahrt bleibt, schrittweise vorangehen<br />

und warten, bis die anderen folgen.<br />

Es bleibt aber zu bedenken, was geschieht, wenn sich die<br />

Länder nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen können<br />

oder sich die Prüfungsanforderungen so weit auseinanderentwickeln,<br />

dass keine Einheitlichkeit mehr besteht. Das<br />

Gebot der Einheitlichkeit lässt es nicht zu, dass auch nur ein<br />

Bundesland einen grundsätzlich anderen Weg wählt. Dies<br />

gilt sowohl für den Fall, dass ein oder nur wenige Länder<br />

von der bisherigen Praxis abweichen wollen, als auch für<br />

den, dass nur ein Land bei der „strukturellen Richterper-<br />

21 Greßmann, Die Reform der Juristenausbildung (2002), S. 40.<br />

12 AnwBl 1 / 2006<br />

spektive“ bleibt. Das Gebot der „Einheitlichkeit“ kennt kein<br />

Quorum.<br />

II. Ergänzung des DRiG<br />

Zur Beseitigung der „strukturellen Richterperspektive“<br />

kann der Bund auch das DRiG ändern, insb. das Einheitlichkeitserfordernis<br />

in § 5 d Abs. 1 S. 2 DRiG streichen. Dies<br />

könnte aber zu einer Auseinanderentwicklung der juristischen<br />

Ausbildungen führen, die letztlich den „Einheitsjuristen“<br />

– in dem Sinne, dass er in ganz Deutschland einheitlich<br />

ausgebildet wird – in Frage stellt 21 .<br />

Dem Ziel rechtsgebietsübergreifender Klausuren wäre<br />

am besten gedient, wenn das DRiG um eine Bestimmung ergänzt<br />

würde, die es den Ländern freistellt, rechtsgebietsübergreifende<br />

Prüfungen abzunehmen. Bei der bestehenden<br />

Regelung des § 5 d DRiG mag sich empfehlen, dem Satz 2<br />

in § 5 d Abs. 1 DRiG folgenden, durch ein Semikolon abgetrennten<br />

Halbsatz anzufügen: „die Einheitlichkeit bezieht<br />

sich nicht auf Trennung und Kombination der Pflichtfächer<br />

in der Prüfung“.<br />

Eine spezielle Bestimmung zur Wahrung der Richteroder<br />

Entscheiderperspektive in der Prüfung ist dagegen<br />

nicht erforderlich. Sie besteht bereits in Form des § 5 d<br />

Abs. 1 S. 1 DRiG, wonach die rechtsprechende und rechtsberatende<br />

Praxis zu berücksichtigen ist. Dies verbietet eine<br />

unverhältnismäßige Betonung des einen Aspekts gegenüber<br />

dem anderen. So wird man aus dieser Norm folgern können,<br />

dass rechtsgebietsübergreifende (Berater-)Klausuren allgemein<br />

nicht mehr als die Hälfte der Prüfung ausmachen<br />

dürften, da rechtsprechende und verwaltende Praxis auch<br />

berücksichtigt werden müssen.<br />

D. Keine gleichberechtigte Anwaltsausbildung bei<br />

struktureller Richterperspektive<br />

Während bereits heute rechtsbereichsübergreifend gelehrt<br />

und in den universitären Schwerpunktbereichen auch<br />

geprüft werden kann, ist die staatliche Prüfung durch das<br />

Prüfungsrecht der Länder der „strukturellen Richterperspektive“<br />

verhaftet. Gleichberechtigt wird die rechtsgebietsübergreifende<br />

Anwaltsperspektive in die juristische Ausbildung<br />

und Prüfung erst dann sein, wenn sich entweder die Bundesländer<br />

einheitlich hierauf verständigen oder der Bundesgesetzgeber<br />

eine entsprechende Vorschrift in das DRiG einfügt.<br />

Erste Schritte fort von der „strukturellen<br />

Richterperspektive“ und damit hin zu einer Gleichberechtigung<br />

der Anwaltsorientierung können die Länder schon<br />

heute jeweils alleine machen, etwa durch einzelne rechtsbereichsübergreifende<br />

Klausuren im ersten Examen.<br />

Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />

Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent an der<br />

Humboldt-Universität zu Berlin. Er war Rechtsanwalt<br />

und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anwaltsrecht<br />

an der Humboldt-Universität zu Berlin.


MN Aufsätze<br />

Sozietätserstreckung<br />

des Verbots<br />

der Interessenkollision<br />

Satzungsversammlung beschließt Neuregelung<br />

des § 3 BORA<br />

Rechtsanwalt, Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i.Br.<br />

Eine der wesentlichsten Berufspflichten der Rechtsanwälte<br />

ist das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Es<br />

erfasst bisher nur den einzelnen Rechtsanwalt, so dass ein<br />

Mandat im Kollisionsfall durch Abgabe an einen Sozius fortgeführt<br />

werden kann. Das BVerfG hatte in dem Sozietätswechslerfall<br />

die Satzungsbestimmung für verfassungswidrig<br />

erklärt, in der eine Sozietätserstreckung dieser Berufspflicht<br />

erstmals normiert war. Nunmehr hat die Satzungsversammlung<br />

mit § 3 BORA einen neuen Versuch unternommen, um<br />

das Interessenwiderstreitverbot zu erweitern. Sollte die dem<br />

Bundesjustizministerium zur Prüfung vorgelegte Bestimmung<br />

geltendes Recht werden, wird dies erhebliche Auswirkungen<br />

auf die Praxis haben. Über ihr schwebt aber erneut<br />

das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit.<br />

I. Bisherige Rechtslage<br />

Das Interessenwiderstreitverbot ist strafrechtlich und berufsrechtlich<br />

normiert. Die Parteiverratsbestimmung des<br />

§ 356 StGB gilt – unstreitig – nur für den im Einzelfall tätigen<br />

Rechtsanwalt, nicht aber für mit ihm zivilvertraglich<br />

verbundene Kollegen 1 . Das nur auf dem Sozietätsverhältnis<br />

beruhende Anvertrautsein einer Rechtssache kann die zusätzliche<br />

Tatbestandsvoraussetzung des Dienens für die Partei<br />

nicht ersetzen. Dies gilt erst recht im Fall eines in eine<br />

Sozietät eintretenden Rechtsanwalts, da diesem eine Rechtssache<br />

aus einem schon bestehenden Mandat noch nicht einmal<br />

anvertraut war.<br />

Nichts anderes gilt auch für die berufsrechtliche Regelung<br />

des § 43 a IV BRAO. Vereinzelt vertretene gegenteilige<br />

Meinungen – wie von Feuerich 2 oder Eylmann 3 – erweisen<br />

sich bei Beachtung auch im Berufsrecht bisher noch geltender<br />

elementarer Auslegungsgrundsätze für Rechtsnormen<br />

als unhaltbar, zumal auch die von den Autoren unkritisch<br />

gebilligte Satzungsbestimmung des § 3 II BORA a. F. vom<br />

BVerfG – wie prognostiziert 4 – kassiert wurde. 5 Für eine dahingehende<br />

Auslegung spricht schließlich einmal der Wortlaut<br />

des – eindeutig nur den einzelnen Rechtsanwalt erfassenden<br />

– § 43 a IV BRAO; dies gilt nicht nur bei Erteilung<br />

einer Einzelvollmacht, wie sie im Strafrecht oder Berufsund<br />

Disziplinarrecht zwingend ist, sondern auch bei einer<br />

auf die Kanzlei ausgestellten Vollmacht. Auch die systematische<br />

Interpretation bestätigt das Fehlen einer Sozietätserstreckung,<br />

hat doch der Gesetzgeber bei der insoweit<br />

maßgeblichen Berufsrechtsreform 1994 das Interessenwiderstreitverbot<br />

aus der Bestimmung des § 45 BRAO herausgenommen<br />

und in § 43 a IV BRAO normiert bei gleichzeitiger<br />

erstmaliger Einfügung von dezidierten speziellen<br />

Sozietätserstreckungsregelungen in § 45 III BRAO sowie<br />

§ 46 III BRAO.<br />

Wenn angesichts dieses eindeutigen Auslegungsbefundes<br />

der AGH München 6 in einer neueren Entscheidung allen<br />

Ernstes behauptet, dass der Zweck der Regelung des § 43 a<br />

IV BRAO eine Sozietätserstreckung gebiete, dann setzen<br />

sich diese Richter über elementarste Grundsätze juristischer<br />

Hermeneutik – man muss es offen sagen – hinweg. Ihre Argumentation<br />

ist schlicht unhaltbar, wie die apodiktische Behauptung<br />

einer Sozietätserstreckung der gesetzlichen Regelung<br />

durch den BGH im Sozietätswechslerfall, welche das<br />

BVerfG prompt mit einer einstweiligen Anordnung 7 und der<br />

späteren Aufhebung 8 „bestrafte“.<br />

II. Praxis der Vertretung widerstreitender Interessen<br />

in Sozietäten<br />

Die Beschränkung des straf- wie berufsrechtlichen Interessenwiderstreitverbots<br />

auf den Einzelanwalt entspricht<br />

auch bis heute der Praxis, wie das Fehlen entgegenstehender<br />

berufsrechtlicher Judikatur zeigt. So wird die Verteidigung<br />

mehrerer Angeklagter in derselben Rechtssache durch verschiedene<br />

Rechtsanwälte ein und derselben Sozietät für unbedenklich<br />

erachtet 9 .<br />

Eine undifferenzierte Sozietätserstreckung des Verbots<br />

führt nach dem BVerfG auch zu einer unverhältnismäßigen<br />

Beschränkung der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach<br />

Art. 12 I GG. 10 „Denn danach könnte keiner der Sozien eines<br />

Verteidigers das Mandat des Mitbeschuldigten übernehmen.<br />

Des weiteren wäre die Bildung einer Sozietät unter<br />

Rechtsanwälten, die je einen von mehreren<br />

Mitbeschuldigten verteidigen, nur um den Preis des Mandatsverlusts<br />

möglich. Es geht nicht an, solche Behinderungen<br />

und Beschränkungen der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />

allein an den Umstand zu knüpfen, dass Rechtsanwälte in<br />

einer Sozietät zusamgengeschlossen sind und damit eine<br />

Form der Berufsausübung gezählt haben, die seit langem<br />

üblich, erlaubt und gesetzlich anerkannt ist. .... Dies käme<br />

einer übermäßig belastenden und nicht zumutbaren Berufsausübungsregelung<br />

gleich, für die sich keinerlei vernünftige<br />

Erwägungen des Gemeinwohls anführen lassen<br />

(BVerfGE 7, 377, 378, 405).“<br />

Entsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung auch<br />

die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger<br />

nicht schon deshalb unzulässig, weil dessen Sozietätskollege<br />

bereits einen derselben Tat Mitbeschuldigten verteidigt.<br />

Auf der Linie des BVerfG liegen auch die Fachgerichte wie<br />

1 Vgl. nur OLG Stuttgart, NJW 1986, 948; Kleine-Cosack, StrafV. 1999,<br />

149,150; Henssler, NJW 2001, 1524; vgl. auch BGH NJW 1994, 2302.<br />

2 Feuerich-Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 43 a Rn. 57 ff.; n. ü. auch Offermann-Burckart,<br />

AnwBl. 2005, 312 ff.<br />

3 In: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 43 a Rn. 129; Grunewald,<br />

AnwBl 2005, 437, 441; Kilian, BB 2003, 2189, 2193; Kirchberg, BRAK-Mitt.<br />

2003, 236, 237; Müller, AnwBl 2001, 491, 492; Römermann, MDR 2003,<br />

1083, 1084; Schramm, DStR 2003, 1316, 1319; Westerwelle, NJW 2003, 2958,<br />

2960. – An dem skizzierten Negativbefund ändert im übrigen auch nichts der<br />

sich in der Sozietätswechlerentscheidung des BVerfG findende Verweis auf die<br />

Rechtsfortbildungskompetenz der Gerichte. Mit ihm hat das BVerfG schließlich<br />

nur interpretatorisch Steine statt Brot geliefert. Die Aussage kommt nicht über<br />

die Bestimmtheit delphischer Orakelsprüche hinaus, zumal es keine richterliche<br />

Rechtsfortbildung contra legem und gegen den klaren Wortlaut und die<br />

Systematik geben kann.<br />

4 Vgl. Kleine-Cosack, StrafFO 1998, 149 ff.<br />

5 BVerfG AnwBl. 2003, 521; dazu Kleine-Cosack, AnwBl. 2003, 539.<br />

6 AGH München NVwZ-RR 2005, 1225.<br />

7 BVerfG NJW 1977, 2781 ff.<br />

8 BVerfG ebenda.<br />

9 Vgl. ausf. m. w. N. Kleine-Cosack, AnwBl. 1998, 417 ff.<br />

10 BVerfG ebenda.<br />

AnwBl 1 / 2006 13


MN Aufsätze<br />

z. B. das OLG Düsseldorf 11 oder das OLG Frankfurt 12 . Allein<br />

die abstrakte Möglichkeit eines Interessenwiderstreits stellt<br />

keinen Hinderungsgrund für eine Bestellung dar 13 .<br />

III. Neue Satzungsbestimmung<br />

Die Satzungsversammlung hat auf ihrer letzten Sitzung<br />

im November 2005 nunmehr einen neuen Anlauf unternommen,<br />

um das berufsrechtliche Verbot der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen auf Sozietäten zu erstrecken. Die<br />

fragliche Vorschrift des § 3 BORA n. F. soll in der Zukunft<br />

lauten:<br />

„§ 3 Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit<br />

(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er<br />

eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden<br />

Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit<br />

dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45,<br />

46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war.<br />

(2) Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in<br />

derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich<br />

welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen<br />

Rechtsanwälte. Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die<br />

betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten<br />

nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich<br />

einverstanden erklärt haben und Belange der<br />

Rechtspflege nicht entgegenstehen. Information und Einverständniserklärung<br />

sollen in Textform erfolgen.<br />

(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass<br />

der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />

zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />

wechselt.<br />

(4) Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 bis 3<br />

tätig ist, hat unverzüglich seinen Mandanten davon zu unterrichten<br />

und alle Mandate in derselben Rechtssache zu<br />

beenden.<br />

(5) Die vorstehenden Regelungen lassen die Verpflichtung<br />

zur Verschwiegenheit unberührt.“<br />

Mit einem Inkrafttreten dieser neuen Reglung ist nicht<br />

vor dem 1. Juli 2006 zu rechnen. Voraussetzung ist jedoch,<br />

dass das Bundesjustizministerium keine Beanstandung –<br />

wie erst kürzlich zum wiederholten Male bei der Neufassung<br />

des § 7 BORA – ausspricht. Dies ist auch diesmal<br />

nicht völlig auszuschließen, da die Vorschrift erhebliche<br />

Probleme aufwirft und gravierende verfassungsrechtliche<br />

Bedenken gegen die Kompetenz der Satzungsversammlung<br />

zum Erlass einer derart weitreichenden Regelung bestehen.<br />

IV. Allgemeine Kritik<br />

Die Neuregelung des § 3 BORA n. F. ist alles andere als<br />

ein Meisterwerk der anwaltlicher Satzungsautonomie. Dies<br />

gilt einmal unter dem Aspekt der Wiederholung. Teile der<br />

Norm sind entweder völlig überflüssig oder sie führen zu<br />

Problemen. Der erste Kritikpunkt betrifft den Absatz 1.<br />

Hier wird einmal völlig unnötig der § 43 a IV BRAO wiedergegeben;<br />

soweit darin die in der gesetzlichen Bestimmung<br />

sich nicht findenden Worte „in derselben Rechtssache“<br />

enthalten sind, ist damit keine konstitutive<br />

Neuregelung verbunden, weil die entsprechende Beschränkung<br />

schon immer bei § 43 a IV BRAO nach h. A. gegolten<br />

hat. 14 Nicht erforderlich ist auch die Niederlegungspflicht in<br />

Abs. 4; sie ist schließlich selbstverständliche Folge des Vertretungsverbots.<br />

Überflüssig ist schließlich auch die Rege-<br />

14 AnwBl 1 / 2006<br />

lung des Absatzes 5, wonach die Neuregelung die Verschwiegenheitspflicht<br />

unberührt lässt; insoweit besteht<br />

zudem ohnehin keine nennenswerte Satzungskompetenz<br />

nach § 59 b BRAO angesichts des Vorrangs der strafrechtlichen<br />

Normierung der Verschwiegenheitspflicht in § 203<br />

StGB.<br />

Nichtssagend ist weiter der Absatz 3, nach dem die Sozietätserstreckung<br />

des Absatz zwei auch im Falle des Sozietätswechsels<br />

gelten soll. Ursprünglich war speziell für diese<br />

Fallkonstellation bei dem Versuch der Umsetzung der Sozietätswechslerentscheidung<br />

des BVerfG 15 mit ihren Hinweisen<br />

auf eine mögliche Neuregelung eine „bandwurmartige“ Bestimmung<br />

mit zahlreichen Verfahrens- und Aufklärungspflichten<br />

vorgesehen. Sie hat sich in der Diskussion als untauglich<br />

bzw. unpraktikabel und unverhältnismäßig<br />

erwiesen. Mit dem endgültig beschlossen Verzicht auf alle<br />

Details und nur dem Verweis auf den Absatz 2 ist jedoch<br />

nichts gewonnen. Das Schweigen der Satzung erinnert an<br />

den Schlußsatz des mittlerweile „gestorbenen“ Literarischen<br />

Quartetts: „Man sieht betroffen, den Vorhang zu und alle<br />

Fragen offen.“<br />

Eine in mehrfacher Hinsicht nicht ganz unproblematische<br />

Wiederholung findet sich im 2. Satzteil des Absatz 1.<br />

Hier wird Bezug genommen auf die Berufspflichten der<br />

§§ 45, 46 BRAO. Dieser Verweis ist nicht nur ebenfalls entbehrlich.<br />

Unklar ist vielmehr, ob mit der Satzungsregelung<br />

auch Modifikationen der gesetzlichen Regelung verbunden<br />

sein sollen. Wenn nämlich z. B. bestimmt ist, dass der<br />

Rechtsanwalt auch nicht tätig werden darf, wenn er mit einer<br />

Rechtssache nach § 45 BRAO befasst war, so wird damit<br />

ein uneingeschränktes Tätigkeitsverbot normiert. Die mehr<br />

als problematische Bestimmung des § 45 I Nr. 4 BRAO erlaubt<br />

jedoch ein Tätigwerden des Rechtsanwalts, wenn die<br />

bisherige nichtanwaltliche Tätigkeit beendet ist. Diese Einschränkung<br />

ist auf Druck des Rechtsausschusses des Deutschen<br />

Bundestages aufgenommen worden und auch verfassungsrechtlich<br />

zwingend, da ein uneingeschränktes<br />

Tätigkeitsverbot am Maßstab des Art. 12 I GG nicht vertretbar<br />

war. 16 Diese unter dem Aspekt des Vorrangs des Gesetzes<br />

wie auch materiell verfassungsrechtlich zwingende Restriktion<br />

des Verbots findet sich nicht in Absatz 1 der<br />

Neuregelung, was bereits Bedenken im Hinblick auf die<br />

Verfassungsmäßigkeit aufwirft. Ihnen kann man nur dadurch<br />

begegnen, indem man den Absatz. 1 als – wenn auch<br />

verunglückten – Verweis auf die §§ 45, 46 BRAO auffasst,<br />

dem keine darüber hinausgehende oder davon abweichende<br />

inhaltliche Neuregelungsfunktion zukommt.<br />

Die Zitierung der §§ 45 und 46 BRAO ist auch deshalb<br />

fragwürdig, weil diese gesetzlichen Bestimmungen bereits<br />

Sozietätserstreckungsregelungen in den Absätzen drei enthalten<br />

im Gegensatz zu § 43 a IV BRAO. Das Verhältnis der<br />

11 OLG Düsseldorf NJW 2002, 3267: „ § 146 StPO verbietet es nicht, dass sich<br />

die Verteidiger mehrerer derselben Tat Beschuldigter untereinander besprechen<br />

und ihr Vorgehen miteinander abstimmen. Zur Entwicklung einer solchen<br />

– in den Grenzen der §§ 258 und 356 StGB zulässigen – gemeinsamen<br />

Verteidigungsstrategie kann der eine Verteidiger auch an Gesprächen teilnehmen,<br />

die der andere Verteidiger mit seinem Mandanten führt. Eine derartige<br />

Zusammenarbeit allein vermag die konkrete Vermutung für eine Tätigkeit zu<br />

Gunsten des weiteren Beschuldigten, die den Interessen des eigene Mandanten<br />

zuwiderläuft, nicht zu begründen.“<br />

12 NJW 1999, 1414.<br />

13 Vgl. a. OLG Stuttgart StV 2000,656, 5. Strafsenat; vgl. aber OLG Stuttgart,<br />

OLG StPO § 142 Nr. 5.<br />

14 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 43 a Rn 80.<br />

15 BVerfG AnwBl. 2003, 521.<br />

16 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO (aaO. Fn. 14) § 45 Rn 22 ff.


MN Aufsätze<br />

Satzungsregelung des § 3 II BORA n. F. zu den §§ 45 III<br />

und § 46 III BRAO ist aber mehr als fragwürdig; schließlich<br />

enthält der § 3 II BORA Einschränkungen des Verbots, welche<br />

sich in den gesetzlichen Bestimmungen nicht finden. Es<br />

stellt sich daher unter dem Aspekt des in Art. 20 III GG verankerten<br />

Vorrangs des Gesetzes die Frage, ob der Satzungsgeber<br />

die Tatbestände der §§ 45 III und 46 III BRAO einschränken<br />

durfte, was mehr als problematisch ist. § 59 b II<br />

1 e BRAO enthält schließlich nur eine Ermächtigung zur näheren<br />

Regelung des Verbots widerstreitender Interessen und<br />

damit des § 43 a IV BRAO; eine Satzungskompetenz für die<br />

§§ 45, 46 BRAO, in denen es im wesentlichen nicht um Interessenwiderstreitverbote<br />

geht, besteht hingegen nicht.<br />

Wenn der Satzungsgeber daher klug gewesen wäre, dann<br />

hätte er sich auf den Absatz 2 mit der Beschränkung der Sozietätserstreckung<br />

auf den zentralen Fall des § 43 a IV<br />

BRAO beschränkt bei gleichzeitigem Verzicht auf das problematische<br />

oder völlig überflüssige normative Beiwerk in<br />

den Absätzen 1, 3, 4 und 5.<br />

V. Voraussetzungen des § 3 II BORA n. F.<br />

Das eigentliche „Herzstück“ der Neuregelung ist die Sozietätserstreckungsregelung<br />

für das Verbot widerstreitender<br />

Interessen in § 3 II BORA. Seine Auslegung wirft verschiedene<br />

Fragen auf.<br />

1. Berufliche Verbindung<br />

Erfasst werden von der Erstreckungsregelung Verbote<br />

des Abs. 1. Erfüllt werden muss daher bei dem die Infizierung<br />

auslösenden Rechtsanwalt einer der Verbotstatbestände<br />

der §§ 43 a IV, 45 oder 46 BRAO. Beim wichtigsten Fall des<br />

Interessenwiderstreitverbots des § 43 a IV BRAO muss daher<br />

ein Rechtsanwalt „in derselben Rechtssache“ auf Grund<br />

einer früherer anwaltlicher Vorbefassung „interessengegensätzlich“<br />

handeln bei der Übernahme des Mandats auf der<br />

Gegenseite.<br />

Das Verbot des Abs. 1 gilt für alle mit dem „infizierten“<br />

Rechtsanwalt in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />

gleich welcher Rechts- oder Organisationsform<br />

verbundenen Rechtsanwälte.<br />

a) Berufsausübungsgemeinschaft<br />

Es muß daher einmal eine Berufsausübungsgemeinschaft<br />

vorliegen. Deren Rechtsform ist weitgehend irrelevant. Es<br />

kann sich handeln um eine Sozietät in Form einer BGB-Gesellschaft,<br />

GmbH, AG oder auch nach ausländischem Recht.<br />

Nicht differenziert die Norm zwischen örtlichen und überörtlichen,<br />

nationalen wie internationalen Sozietäten, was –<br />

ungeachtet der bestehenden Abgrenzungsprobleme – unter<br />

Verhältnismäßigkeitsaspekten mehr als problematisch ist.<br />

Unerheblich ist auch im Prinzip der Status in der Gemeinschaft.<br />

So kann es sich um Sozien oder Angestellte handeln.<br />

Nicht hingegen reicht die schlichte Stellung als freier Mitarbeiter,<br />

wobei sich im Berufsrecht bei dieser Vorschrift die<br />

gleichen Abgrenzungsprobleme stellen wie im Arbeits- und Sozialrecht.<br />

Maßgeblich sind danach vor allem die tatsächlichen<br />

Verhältnisse und nicht allein – oftmals der Wirklichkeit nicht<br />

entsprechende – Verträge. Irrelevant ist nach dem Wortlaut<br />

auch die Art der Mandatierung. Das Verbot soll nicht nur im<br />

Regelfall der Erteilung einer Vollmacht auf die gesamte Sozietät<br />

sondern auch bei auf einzelne Rechtsanwälte erteilten – wie erwähnt<br />

u. a. im Strafrecht üblichen – Einzelvollmachten gelten.<br />

Rechtsanwälte neigen dazu, sich – obwohl tatsächlich<br />

zahlenmäßig klein oder gar allein – gerne größer zu machen,<br />

indem sie auf den Briefköpfen u. a. Kollegen so aufführen,<br />

dass der Eindruck einer Berufsausübungsgemeinschaft entsteht.<br />

Angesichts des Zwecks der Regelung sollte auch in<br />

diesem Fall – entsprechend der Judikatur zum vergleichbaren<br />

Problem der Haftungserstreckung auf die gesamte Sozietät<br />

– die Sozietätserstreckung gelten.<br />

b) Bürogemeinschaft<br />

Sie soll auch gelten bei einer Kooperation in Form einer<br />

Bürogemeinschaft. Dies ist verfassungsrechtlich mehr als<br />

problematisch, da in diesem Fall die Erforderlichkeit der<br />

Beschränkung und damit deren Verhältnismäßigkeit nur<br />

schwer begründet werden kann. Keinesfalls reicht im Übrigen<br />

eine Kooperation unter dem Dach einer EWiV, da es<br />

sich bei dieser weder um eine Berufsausübungsgemeinschaft<br />

noch eine Bürogemeinschaft handelt.<br />

2. Einschränkungen<br />

Satz 1 gilt nach § 3 III 2 BORA n. F. nicht, wenn sich im<br />

Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden<br />

Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung<br />

ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange<br />

der Rechtspflege nicht entgegenstehen.<br />

a) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit<br />

Die anders als bei der Einzelverbotsnorm des § 43 a IV<br />

BRAO, bei der z. B. das Einverständnis der Mandanten<br />

schlicht irrelevant ist, in der Sozietätserstreckungsregelung<br />

sich findenden Einschränkungen sind letztlich verfassungsrechtlich<br />

bedingt. Das BVerfG hat in der Entscheidung zur<br />

Beschränkung des § 146 StPO 17 auf den Einzelanwalt sowie<br />

zur Nichtigkeit des Vorläufers des § 3 BORA n. F. im Sozietätswechslerfall<br />

18 deutlich gemacht, dass die Grundrechte<br />

der Anwälte – hier vor allem die Berufsausübungsfreiheit<br />

des Art. 12 I GG – und der Mandanten – hier vor allem die<br />

Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG – pauschale Sozietätserstreckungsregelungen<br />

verbieten. Bei der unverzichtbaren<br />

strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung erweisen sich hier Verbote<br />

nicht ohne weiteres als erforderlich. Schließlich kommen<br />

die mit der individualbezogenen Prävarikationsregelung<br />

verfolgten Ziele bei einer widerstreitenden<br />

Interessenvertretung durch andere Anwälte nur mehr als abgeschwächt<br />

zur Geltung.<br />

aa) Funktion des Einzelverbots<br />

Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />

soll vor allem der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts<br />

dienen. Ein Anwalt, der sich zum Diener gegenläufiger<br />

Interessen macht, verliert jegliche unabhängige Sachwalterstellung<br />

im Dienst des Rechtsuchenden. Das Verbot<br />

ist erforderlich im Interesse der Rechtspflege zwecks Sicherstellung<br />

der gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen<br />

Berufsausübung 19 . Geschützt wird das Vertrauen der Allgemeinheit<br />

in die Zuverlässigkeit und Integrität der An-<br />

17 BVerfG NJW 1977, 99.<br />

18 BVerfG AnwBl 2003, 521.<br />

19 Vgl. auch BT-Ds. 12/4993, S. 27.<br />

AnwBl 1 / 2006 15


MN Aufsätze<br />

walts- und Rechtsbeistandschaft 20 . Der Prävarikation kommt<br />

zudem auch eine subjektive Mandantenfunktion zu.<br />

bb) Abschwächung der Gemeinwohlziele bei Sozietäten<br />

Diese Gemeinwohlziele können jedoch bei einer Interessenvertretung<br />

nur durch Sozien des Anwalts nicht ohne<br />

weiteres Geltung beanspruchen. So zwingend argumentiert<br />

werden kann, dass ein Einzelanwalt ausgeschlossen bleiben<br />

muss, wenn er bereits zuvor gegensätzlich vertreten hat,<br />

weil er auf Grund der persönlichen Vorbefassung nicht mehr<br />

zu einer freien und unabhängigen und damit kompetenten<br />

Beratung oder Vertretung in der Lage ist, so gelten diese Erwägungen<br />

nicht in gleichem Umfang, wenn nur andere Mitarbeiter<br />

der Sozietät gegensätzlich beteiligt sind. Das<br />

BVerfG hat zu recht in der Strafrechtsentscheidung zu § 146<br />

StPO betont, dass das Interessenwiderstreitverbot einen<br />

Konflikt in der „Brust“ des Einzelanwalts vermeiden soll.<br />

Er besteht jedoch nicht annähernd in vergleichbarem Umfang<br />

bei einer gegensätzlichen Vertretung durch andere Mitglieder<br />

der Sozietät. Dies zeigen die im Prinzip positiven<br />

Erfahrungen mit einer – oftmals mehr als interessengegensätzlichen<br />

– Strafverteidigung in derselben Rechtssache<br />

durch die Mitglieder einer Sozietät.<br />

Eine weitere Abschwächung der Bedeutung der Funktionen<br />

des Einzelverbots des § 43 a IV BRAO bei einer Sozietätserstreckung<br />

ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die<br />

unterschiedlichsten Formen von Zusammenschlüssen erfasst,<br />

welche nicht alle in gleichem Masse die unabhängige<br />

Tätigkeit durch einen Sozietätsmitarbeiter bei interessengegensätzlicher<br />

(Vor-)Befassung durch einen Kollegen in<br />

Frage stellen. Dies gilt erst recht bei großen und überörtlichen<br />

sowie internationalen Sozietäten. So ist bei Mandaten<br />

mit lokaler Bedeutung schwer zu erklären, warum dann dennoch<br />

– so aber der Wortlaut des § 3 II BORA n. F. – Mitarbeiter<br />

auf einem anderen Kontinent ausgeschlossen sein<br />

sollen.<br />

Wegen der mehr als abgeschwächten Gemeinwohlrelevanz<br />

der Sozietätserstreckungsregelung ist eine strikte Erforderlichkeitsprüfung<br />

im Einzelfall geboten. Schließlich<br />

hat seit 1878 niemand bisher rational nachvollziehbar dargetan,<br />

dass eine Sozietätserstreckungsregelung auch wirklich<br />

erforderlich wäre, um nicht hinnehmbare Missstände für die<br />

Rechtspflege zu beseitigen. Wären wirklich Einbußen in der<br />

Qualität anwaltlicher Leistungen auf Grund des Fehlens einer<br />

Ausweitungsnorm entstanden, dann wäre längst die Forderung<br />

nach einer Ausdehnung des strafrechtlichen Norm<br />

des § 356 StGB laut geworden. Dahingehende Forderungen<br />

sind aber nicht erhoben worden, obwohl sich die berufliche<br />

Anwaltswirklichkeit seit der Einführung der freien Advokatur<br />

in den letzten 15 Jahren erheblich geändert hat mit der<br />

Entwicklung vom Einzelanwalt bzw. der zahlenmäßig kleinen<br />

Sozietät zu größeren – seit 1990 auch überörtlichen –<br />

Sozietäten bis hin zu weltweit agierenden internationalen<br />

law-firms. Darüber hinaus spricht gegen die uneingeschränkte<br />

Erforderlichkeit einer Sozietätserstreckung der<br />

Umstand, dass die Rechtsanwälte im Regelfall keiner berufsrechtlichen<br />

Regelung bedürfen, da sie zwecks Erhalts<br />

bisheriger Mandatsbeziehungen nicht die Front wechseln<br />

oder gleichzeitig in einer Sozietät interessengegensätzlich<br />

vertreten, um die eigenen Klienten nicht zu vergraulen.<br />

Schließlich laufen sie Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen<br />

und am Ende zwischen allen Stühlen zu sitzen und alle<br />

Mandanten zu verlieren.<br />

16 AnwBl 1 / 2006<br />

Die Einschränkungen des § 3 II BORA n. F. sind daher<br />

letztlich verfassungsrechtlich geboten. Die Grundrechte verpflichten<br />

auch die Rechtsanwender in den Kammern und<br />

Gerichten zur strikten Beachtung des Gebots der verfasungskonformen<br />

Auslegung der Norm. Angesichts der<br />

gravierenden Auswirkungen von Tätigkeitsverboten ist in<br />

jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob sie tatsächlich erforderlich<br />

sind im Interesse des Gemeinwohls. Mit der bloßen<br />

Behauptung der Unzulässigkeit einer widerstreitenden<br />

Interessenvertretung durch Sozien – wie seitens des AGH<br />

München in dem bereits kritisierten Beschluss 21 geschehen<br />

– ist es jedenfalls nicht getan.<br />

b) Einverständnis<br />

Das Verbot einer sozietätsweiten Interessenvertretung<br />

entfällt einmal, wenn die Mandanten sich einverstanden erklärt<br />

haben mit der interessengegensätzlichen Vertretung<br />

durch verschiedene Kanzleimitarbeiter.<br />

aa) Ausdrückliche Erklärung<br />

Das Einverständnis sowie die ihm vorangehende Mandanteninformation<br />

müssen nach dem Wortlaut des § 3 II<br />

BORA n. F. zwar „ausdrücklich“ erfolgen; es reicht daher<br />

nicht das konkludente Einverständnis. Erforderlich ist aber<br />

nicht – wie ursprünglich in Entwurfsfassungen vorgesehen<br />

– die Einhaltung der Schriftform für Information und Einverständnis.<br />

Sie können – was in der Praxis die Regel sein<br />

wird – mündlich erfolgen. In diesem Fall trägt der Rechtsanwalt<br />

aber das Beweislastrisiko. Immerhin sollte bei für<br />

beide Mandanten offensichtlicher gegensätzlicher Vertretung<br />

durch die gleichen Mitarbeiter einer Sozietät – wie<br />

z. B. im Fall einer gemeinsamen Strafverteidigung in derselben<br />

Rechtssache – vom Vorliegen und Nachweis des Einverständnisses<br />

ausgegangen werden können.<br />

bb) Zeitpunkt<br />

Was dessen Zeitpunkt anbelangt, so sollte es im Prinzip<br />

vor der gegensätzlichen Vertretung durch einen anderen<br />

Mitarbeiter der Sozietät eingeholt werden. Fraglich ist, ob<br />

es auch noch während der Vertretung oder gar nachträglich<br />

erteilt werden kann. Dem Normideal entsprechen Information<br />

und Einholung nur vor der Vertretung widerstreitender<br />

Interessen. Es sollte aber auch – schon am Maßstab des Gebots<br />

der verfassungskonformen Auslegung und damit der<br />

Verhältnismäßigkeit des mit dem Verbot verbundenen Eingriffs<br />

in die Grundrechte der Mandanten wie der Rechtsanwälte<br />

– noch möglich sein, im Laufe einer Mandatsbearbeitung<br />

das Einverständnis zu erklären ungeachtet der<br />

Rechtsunsicherheit, welche angesichts der damit verbundenen<br />

fließenden Grenze des Verbotstatbestandes besteht.<br />

Nicht hingegen reicht ein Einverständnis nach Abschluss<br />

des Mandats.<br />

c) Nichtentgegenstehen von Belangen der Rechtspflege<br />

Eine sozietätsmäßige Vertretung widerstreitender Interessen<br />

setzt weiter neben dem Einverständnis voraus, dass<br />

20 BVerfG NJW 2001, 3180, 3181 unter Berufung auf Cramer, in: Schönke/<br />

Schröder, StGB § 356 Rn.1; Hübner, in: LK, StGB, § 356 Rn. 9; krit. zum Verbot,<br />

jedoch nicht überzeugend Schlosser NJW 2002, 1376.<br />

21 AGH München NVwZ-RR 2005, 1225.


MN Aufsätze<br />

ihr „Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen.“ Bei<br />

diesem Erfordernis liegt ein erhebliches Interpretationsproblem<br />

des § 3 II BORA angesichts der Unbestimmtheit der<br />

Rechtsbegriffe. Deren Auslegung deckt sich aber weitgehend<br />

mit dem bereits erörterten Gebot der verfassungskonformen<br />

Auslegung, auf das hier verwiesen werden kann.<br />

Belange der Rechtspflege stehen nämlich trotz Zustimmung<br />

der Mandanten entgegen, wenn die interessengegensätzliche<br />

Vertretung in der Sozietät im Interesse des Gemeinwohls<br />

grundrechtskonform untersagt werden kann, weil dadurch<br />

die Geradlinigkeit und Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung<br />

oder das Vertrauensverhältnis zur Mandantschaft<br />

gefährdet wird. Anhaltspunkte zur Auslegung kann<br />

im Übrigen auch die strafprozessuale Judikatur zum Ausschluss<br />

von Strafverteidigern derselben Sozietät bei Pflichtverteidigungen<br />

liefern.<br />

d) Fragwürdige absolute Bedeutung des Einverständnisses<br />

Grundsätzlich erfordert der § 3 II BORA n. F. ein kumulatives<br />

Vorliegen des Einverständnisses und des Nichtentgegenstehens<br />

öffentlicher Belange. Dies ist verfassungsrechtlich<br />

unter Verhältnismäßigkeitaspekten fraglich. Es<br />

wird nur schwer zu begründen sein wird, warum ein Vertretungsverbot<br />

bestehen soll, wenn Belange der Rechtspflege<br />

nicht entgegenstehen, nur weil einer der Mandanten nicht<br />

mit der Sozietätsvertretung einverstanden ist, wenn auch der<br />

Schutz des Vertrauensverhältnisses von Anwalt und Mandant<br />

zum Schutzzweck des Verbots gehört.<br />

Diese absolute Wirkung des Einverständniserfordernisses<br />

ist auch deshalb fragwürdig, weil es nicht nur zu Lasten<br />

des Rechtsanwalts sondern auch des durch den anderen Anwalt<br />

vertretenen Klienten geht. Besonders problematisch ist<br />

dieses Abstellen allein auf das Einverständnis in dem Fall,<br />

dass es nachträglich widerrufen wird; schließlich besteht zumindest<br />

prima facie und nach dem Wortlaut keine Pflicht<br />

zur Bindung an das Einverständnis. Denkbar ist daher der<br />

Fall, dass ein Angeklagter bei einer Strafverteidigung das<br />

Einverständnis widerruft, weil er z. B. feststellen muss, dass<br />

der einen Mitangeklagten verteidigende Sozius seines Verteidigers<br />

besser ist und es darauf abstellt, seine Verurteilung<br />

durchzusetzen.<br />

Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass einem Einverständniserfordernis<br />

nicht zu Lasten der Rechtspflege, der<br />

anderen Mandanten wie auch der Rechtsanwälte eine derart<br />

weitreichende Bedeutung zukommen kann. Es ist daher zu<br />

überlegen, ob nicht statt des kumulativen Erfordernisses nur<br />

eine veränderte Fassung des Einschränkungstatbestandes<br />

verfassungsrechtlich haltbar ist, um eine unverhältnismäßige<br />

Grundrechtsbeeinträchtigung zu vermeiden. Danach<br />

würde eine sozietätsweite Erstreckung des Verbots ausscheiden,<br />

„wenn Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen,<br />

was widerlegbar vermutet wird, wenn die Mandanten<br />

ihr Einverständnis erklärt haben.“ Eine derartige<br />

Fassung dürfte sich näher am Grundgesetz bewegen als die<br />

bis normierte kumulative Regelung.<br />

3. Sonderfall: Sozietätswechsel<br />

Bei der heftig umstrittenen Frage der Sozietätserstreckung<br />

des Interessenwiderstreitverbots im Sonderfall des<br />

Sozietätswechsels legt der Satzungsgeber eine mehr als vornehme<br />

Zurückhaltung an den Tag. In § 3 III BORA n. F. beschränkt<br />

er sich auf eine schlichte Verweisung, welche im<br />

Übrigen unverständlicherweise durch ein Versehen des Sat-<br />

zungsgebers nicht den Fall des Wechsels eines Rechtsanwalts<br />

aus einer Einzelkanzlei erfasst. Alle damit verbundenen<br />

Fragen bleiben jedoch offen. Die Wissenschaft wie<br />

auch die Rechtspraxis sind hier auf die Ausdeutung des Sozietätswechslerbeschlusses<br />

des BVerfG 22 angewiesen. Auch<br />

er ist aber nur beschränkt hilfreich. Das BVerfG 23 hat z. B.<br />

explizit offengelassen, welche Folgerungen zu ziehen wären,<br />

wenn der die Sozietät wechselnde Rechtsanwalt das<br />

„widerstreitende“ Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmende<br />

Kanzlei einbringt. Nicht zu behandeln seien auch<br />

Fälle, in denen der bekannt gewordene Sozietätswechsel die<br />

Mandanten in ihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so<br />

dass sie das Mandatsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden<br />

Kanzlei von sich aus beenden. Des Weiteren<br />

stehe nicht zur Entscheidung, wie zu verfahren sei, wenn<br />

durch den Sozietätswechsel die Verschwiegenheitspflicht<br />

des § 43 a II BRAO gefährdet oder verletzt würde.<br />

Die Bestimmung des § 3 III BORA n. F. dürfte sich jedoch<br />

nicht nur wegen der Unbestimmtheit weitgehend als<br />

„zahnlos“ erweisen. Es darf schließlich nicht übersehen werden,<br />

dass die gegensätzliche Interessenvertretung durch<br />

eine Sozietät des Abs. 2 sich erheblich unterscheidet vom<br />

Sonderfall des Sozietätswechsels. Bei letzterem ist ein Verbot<br />

bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung<br />

noch schwieriger teleologisch wie verfassungsrechtlich zu<br />

rechtfertigen als im Regelfall des Absatz zwei. Schließlich<br />

ist schon nach § 43 a IV BRAO der wechselnde Rechtsanwalt<br />

von einer Weiterbearbeitung eines Mandats in der<br />

neuen Sozietät ausgeschlossen, das er zuvor in der Kanzlei<br />

bearbeitet hat, die er verlässt. Zudem – so auch das BVerfG 24<br />

– muss davon ausgegangen werden, dass ein Rechtsanwalt<br />

bei einem Sozietätswechsel seine berufs- wie strafrechtlich<br />

abgesicherte Pflicht zur Verschwiegenheit – vgl. auch § 3 V<br />

BORA n. F. – einhält 25 . Schweigt er jedoch, dann besteht<br />

auch keine Gefahr des „Transports von Vorwissen“.<br />

Die Umsetzung des Abs. 3 in der Praxis wird zudem vor<br />

allem große Sozietäten vor nahezu unerfüllbare praktische<br />

Schwierigkeiten stellen. Angesichts der personellen Fluktuation<br />

auch zwischen Großkanzleien – vor allem internationalen<br />

Zuschnitts – ist nicht erkennbar, wie sie allein die in<br />

Abs. 2 geforderten Informationen erlangen können und<br />

dann auch vermitteln sollen. Sie müssten ein völlig neuartiges<br />

Informationssystem aufbauen, um weltweit widerstreitende<br />

Mandate zu ermitteln. Es kann zudem kaum rational<br />

nachvollziehbar gerechtfertigt werden, dass bei einem Sozietätswechsel<br />

in Tokio weltweit die Kanzlei prüfen, informieren<br />

und niederlegen muss, wenn z. B. die Mandanten<br />

nicht zustimmen. Die Kanzleien kämen zudem in Fällen<br />

verdeckter Beratung in erhebliche Schwierigkeiten, da sie<br />

weniger offensichtlich ist und – problematisch wegen der<br />

Verschwiegenheitspflicht – nicht bekannt werden soll nach<br />

dem Willen der Mandanten.<br />

Es darf weiter nicht ausser Acht gelassen werden, dass<br />

die Informationspflicht auch den wechselnden Rechtsanwalt<br />

22 BVerfG AnwBl 2003, 539.<br />

23 BVerfG AnwBl 2003, 539.<br />

24 BVerfG ebenda.<br />

25 BVerfG AnwBl. 2003, 539 ff.: „Daneben liegt es in der gesetzesgeleiteten verantwortlichen<br />

Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, ob die Konfliktsituation<br />

oder doch jedenfalls das Ziel der Vermeidung zukünftiger Störungen<br />

des Vertrauensverhältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet.“<br />

AnwBl 1 / 2006 17


MN Aufsätze<br />

vor erhebliche Probleme stellt. Schließlich wird in der Regel<br />

die Wechselabsicht erst dann bekannt gegeben, wenn er<br />

kurz bevorsteht und die Verträge unterschrieben sind. Sollen<br />

aber nunmehr im Vorfeld durch die betroffenen Kanzleien<br />

massive Recherchen erforderlich werden, drohen Mandatsniederlegungen,<br />

Streitigkeiten mit Mandanten etc. mit der<br />

Folge, dass vielfach der Wechsel unmöglich wird oder zumindest<br />

unzumutbare Belastungen verursacht.<br />

Es kann jedenfalls nur in Ausnahmefällen eine Infizierung<br />

der aufnehmenden Sozietät in Betracht kommen, soll<br />

nicht im Verweisungsfall des Abs.3 die Sozietätserstreckung<br />

der Interessenwiderstreitregelung zum unverhältnismäßigen<br />

Berufsausübungsverbot oder verfassungswidrigen<br />

Anscheinstatbestand werden. Auch hier muss dargetan werden,<br />

dass eine Sozietätserstreckung im Interesse des Gemeinwohls<br />

erforderlich ist. Jeder Versuch der Umsetzung<br />

der Regelung des § 3 III BORA n. F. durch Kammern und<br />

Gerichte läuft im Einzelfall jedenfalls Gefahr, dass das über<br />

ihr hängende Damoklesschwert heruntergeht, weil sie den<br />

subtilen Verhältnismäßigkeitserwägungen des BVerfG wie<br />

auch den von diesem nicht erwähnten Kritikpunkten nicht<br />

Rechnung trägt.<br />

VI. Formell verfassungsrechtliche Bedenken<br />

Das BVerfG hat im Sozietätswechslerbeschluss die Frage<br />

offen gelassen, ob nicht die Satzungsnorm des § 3 II<br />

BORA schon aus formellen Gründen mangels Kompetenz<br />

der Satzungsversammlung nichtig war. Diese – an anderer<br />

Stelle ausführlich erörterte26 – Problematik stellt sich jedoch<br />

unverändert angesichts der nunmehr vorliegenden Neuregelung.<br />

Die Satzungsversammlung hat sie in unverständlicher<br />

Weise nicht geprüft. Grenzen der ihr im Prinzip in § 59 b<br />

BRAO eingeräumten Satzungskompetenz ergeben sich aber<br />

aus höherrangigem Recht.<br />

1. Vorrang des Gesetzes<br />

Das Bestehen einer Satzungskompetenz im wahrgenommenen<br />

Umfang ist bei § 3 BORA n. F. einmal am Maßstab<br />

des in Art. 20 III GG enthaltenen Vorrangs des Gesetzes<br />

fraglich. Schließlich hat der Gesetzgeber in § 43 a IV<br />

BRAO anders als in §§ 45, 46 BRAO keine Sozietätserweiterung<br />

angeordnet. Es ist daher mehr als fraglich, ob der<br />

schlichte untergesetzliche Satzungsgeber eindeutiges höherrangiges<br />

Gesetzesrecht ändern darf. Das BVerfG 27 hat u. a.<br />

im Beschluss zur Verfassungswidrigkeit des satzungsmäßigen<br />

Versäumnisurteilsverbots die Bedeutung des Gesetzesvorrangs<br />

als Grenze der Satzungsautonomie betont.<br />

2. Vorbehalt des Gesetzes<br />

Erst recht bestehen Bedenken gegen die Satzungsregelung<br />

am Maßstab des in Art. 20 III GG vorausgesetzten<br />

Vorbehalts des Gesetzes. Danach hat bekanntlich alle „wesentlichen“<br />

Regelungen der parlamentarische Gesetzgeber<br />

zu treffen. Wesentlichkeit wird aber am Maßstab der bis<br />

zum heutigen Tage maßgeblichen – im Notarkassen-<br />

26 Vgl. dazu aus f. Kleine-Cosack, AnwBl 1998, 417 ff.<br />

27 BVerfG NJW 2000, 347.<br />

28 BVerfG NJW 2005, 49.<br />

29 BVerfGE 33, 125 ff; dazu ausführlich Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie<br />

und Grundgesetz, 1983.<br />

18 AnwBl 1 / 2006<br />

beschluss 28 erneut relevanten – Facharztentscheidung des<br />

BVerfG 29 auch dann bejaht, wenn eine Regelung von grundlegender<br />

Bedeutung für die Berufsausübung der Berufsangehörigen<br />

ist. Vergleichbare statusbildende Normen hat<br />

das Parlament zu treffen. Nur die Ausgestaltung kann dem<br />

Satzungsgeber überlassen bleiben. Der erstmaligen Einführung<br />

einer Sozietätserstreckung kann jedoch eine derart wesentliche<br />

Bedeutung attestiert werden, da sie erhebliche<br />

Auswirkungen für die Berufsfreiheit hat.<br />

Für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung sprechen<br />

zudem die nachteiligen Konsequenzen für die Mandanten,<br />

die auf Grund der Verbotsregelung – z. B. im Falle<br />

eines Sozietätswechsels – möglicherweise zu einem Anwaltswechsel<br />

gezwungen werden, weil der bisher sie vertretende<br />

Rechtsanwalt sie nicht weiter vertreten darf. Autonome<br />

Satzungen sind im Regelfall auf das Binnenrecht der<br />

Körperschaften beschränkt. Kommt ihnen hingegen eine erhebliche<br />

Bedeutung für aussenstehende Dritte zu, dann<br />

fehlt den satzungsgebenden Körperschaften die demokratische<br />

Legitimation und ist allein der Gesetzgeber kompetent.<br />

Dies hat ebenfalls die Versäumnisurteilsentscheidung des<br />

BVerfG deutlich gemacht. Die Aussenrelevanz des § 3 II<br />

BORA n. F. wird offensichtlich am Erfordernis des Einverständnisses<br />

der Mandanten. Angesichts der manifesten formell-verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken gegen die Neureglung<br />

sollte zwecks Vermeidung einer weiteren<br />

(verfassungs-) gerichtlichen Kassation letztlich der Gesetzgeber<br />

eine Sozietätserstreckung vornehmen.<br />

VII. Resümee<br />

Es gilt abzuwarten, ob die neue Sozietätserstreckungsregelung<br />

geltendes Recht werden wird. Zunächst ist es Sache<br />

des Bundesjustizministeriums als Rechtsaufsichtsbehörde,<br />

die Bestimmung auf ihre verfassungsrechtliche<br />

Haltbarkeit zu überprüfen. Angesichts der nicht unerheblichen<br />

verfassungsrechtlichen Bedenken ist zu prüfen, ob<br />

nicht erneut eine Beanstandung ausgesprochen werden soll.<br />

Zugleich könnte eine modifizierte Norm bei der nächsten<br />

Änderung der BRAO erlassen werden durch Erweiterung<br />

des § 43 a IV BRAO; man könnte dann zugleich die viel zu<br />

weiten Sozietätserstreckungsregelungen der §§ 45 III, 46<br />

III BRAO ändern bzw. anpassen. Lässt die Rechtsaufsichtsbehörde<br />

die fragliche Norm unbeanstandet, dann gilt es abzuwarten,<br />

ob bei ihrer Umsetzung die verfassungsrechtlichen<br />

Bedenken unbeanstandet bleiben. Von einer<br />

Rechtssicherheit in Sachen Sozietätsrrstreckung der Prävarikation<br />

ist man derzeit jedenfalls noch weit entfernt.<br />

Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg/Br.<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Verwaltungsrecht.


MN Aufsätze<br />

Das Ende der<br />

Haftungsbegrenzung der<br />

GmbH?<br />

Wer kein Kapital hat, braucht auch keine<br />

Kapitalgesellschaft<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />

Die internationale Konkurrenz von Gesellschaftsformen –<br />

eingeleitet mit der Aufgabe der „Sitztheorie“ durch den<br />

EuGH – setzt das GmbH-Recht unter Druck. Vor allem die<br />

englische Limited erscheint vielen attraktiv, weil sie kein<br />

Mindestkapital erfordert (siehe zum Vergleich englische Limited<br />

und GmbH Heinz AnwBl 2004, 612). In der Koalitionsvereinbarung<br />

zwischen CDU, CSU und SPD wird eine<br />

Reform des GmbH-Rechts angekündigt, um „die Wettbewerbsfähigkeit<br />

der GmbH im Vergleich mit ausländischen<br />

Rechtsformen zu sichern“. In der vergangenen Legislaturperiode<br />

gab es bereits Pläne, das Mindestkapital<br />

der GmbH zu senken. Doch bei allen Diskussionen sollte<br />

nicht übersehen werden: Es geht um die Sicherung der<br />

Gläubigerinteressen. Der Autor plädiert dafür, die GmbH<br />

zu pflegen – im Interesse der Gläubiger.<br />

I. Die Theorie der Kapitalgesellschaft im deutschen<br />

Gesellschaftsrecht<br />

1. Das Prinzip der persönlichen Haftung für jedes unternehmerische<br />

Handeln<br />

Nichts hatte die gesellschaftsrechtliche Diskussion in<br />

den letzten 15 Jahren des vergangenen Jahrhunderts so<br />

durcheinander gebracht wie die Urteile des II. Zivilsenats<br />

beim BGH zum qualifiziert-faktischen GmbH-Konzern unter<br />

den Stichworten „Autokran“ 1 , „Video“ 2 und „TBB“ 3 .Es<br />

ging um die Frage, unter welchen Voraussetzungen es einem<br />

– oder mehreren zusammenwirkenden – GmbH-Gesellschaftern<br />

verwehrt sein sollte, sich auf das haftungsrechtliche<br />

Trennungsprinzip zu berufen, welches der Gesetzgeber<br />

in § 13 Abs. 2 GmbHG schlicht und eindeutig wie folgt definiert:<br />

„Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet<br />

den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen“.<br />

Natürlich gehören dazu auch alle Verpflichtungen der<br />

Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft. Gesellschaftsrechtlich<br />

sind diese Verpflichtungen jedoch beschränkt<br />

durch den Nennwert des Stammkapitals, etwaige Nebenleistungen<br />

und Nachschüsse sowie alles, was sich aus dem Eigenkapitalschutz<br />

einschließlich der Ersatzkapitalregeln ergibt.<br />

Mehr nicht.<br />

Die Diskussion um die Aufweichung des Trennungsprinzips<br />

gipfelte in einer gar nicht mehr so ironisch gemeinten<br />

Frage, mit der Priester seinen gesellschaftsrechtlichen<br />

Hauptvortrag auf dem 24. Deutschen Notartag 1993 in<br />

Hamburg betitelte: „Die GmbH auf dem Wege zur oHG?“<br />

Heute ist das alles Rechtsgeschichte; alles, was zum qualifiziert-faktischen<br />

GmbH-Konzern geschrieben wurde, ist inzwischen<br />

Makulatur.<br />

Das dringend notwendige dogmatische Umdenken begann<br />

gar nicht mit einem Fall aus dem Recht der Kapitalgesellschaften,<br />

sondern – ausgerechnet – mit einem solchen<br />

aus dem Gesellschaftsrecht des BGB, mit einer Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts also. Ich meine die Entscheidung des<br />

II. BGH-Zivilsenats vom 27.9.1999 4 , mit der der Bundesgerichtshof<br />

seine bis dahin maßgebliche Rechtsprechung<br />

aufgab, derzufolge es möglich sein sollte, durch einseitige<br />

Geschäftsführererklärung die persönliche Haftung der<br />

BGB-Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft auszuschließen<br />

und die Gläubiger allein auf das Gesellschaftsvermögen<br />

zu verweisen. 5 Im September 1999 wurde dieser<br />

Konstruktion einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts „mit<br />

beschränkter Haftung“ der Garaus gemacht und es wurde<br />

ein gar nicht einmal nur gesellschaftsrechtliches, sondern<br />

allgemein wirtschaftsrechtliches Prinzip herausgestellt,<br />

nämlich „. . . der allgemeine Grundsatz des bürgerlichen<br />

Rechts und des Handelsrechts, dass derjenige, der als Einzelperson<br />

oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibt,<br />

für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem<br />

gesamten Vermögen haftet, solange sich aus dem<br />

Gesetz nichts anderes ergibt oder mit dem Vertragspartner .<br />

. . vereinbart wird“.<br />

Auf diese Weise wurden die Dinge erst einmal wieder<br />

auf die Füße gestellt. Es war die Grundlinie geschaffen worden,<br />

von der aus das neue Denken um die Kapitalgesellschaft<br />

entwickelt werden konnte.<br />

2. Die Kapitalgesellschaft als Verselbständigung eines bestimmten<br />

Risiko-Kapitaleinsatzes<br />

Nach den Vorstellungen aller Kapitalgesellschaftsformen<br />

des deutschen Rechts setzt die haftungsrechtliche Trennung<br />

zwischen der Gesellschaft, einerseits, und ihren Gesellschaftern,<br />

andererseits, voraus, dass die Gesellschafter ihre<br />

Kapitalgesellschaft mit einem bestimmten Vermögen, einem<br />

bewertbaren Eigenkapital in vereinbarter Höhe, jedenfalls<br />

aber im Umfange der gesetzlichen Mindestbeträge ausstatten<br />

und dieses Eigenkapital in der Gesellschaft belassen.<br />

Ein für unternehmerische Zwecke eingesetztes Risikokapital<br />

darf sich auf diese Weise verselbständigen. Das gab es<br />

schon im Altertum, wenngleich nicht in Form unserer Kapitalgesellschaften,<br />

sondern in Personenvereinigungen, die<br />

unserer gesetzestypischen Kommanditgesellschaft am ehesten<br />

vergleichbar sind 6 . Richtige und vollständige Einlagenleistung,<br />

einerseits, und Befreiung von der persönlichen<br />

Haftung für die Schulden der Gesellschaft, andererseits, entsprachen<br />

sich wie kommunizierende Röhren.<br />

Das unter ausdrücklicher Verwerfung der alten Rechtsprechung<br />

zum qualifiziert-faktischen GmbH-Konzern entwickelte<br />

aktuelle Konzept für die Haftung der Kapitalgesellschaft<br />

(gemeint ist hierbei vor allem die GmbH), einerseits,<br />

und ihrer Gesellschaftern, andererseits, wurde dem Publikum<br />

erstmals in der Entscheidung zum Fall „Bremer Vulkan“<br />

am 17.9.2001 7 vorgestellt. Dieser Entscheidung wurde<br />

sehr schnell ein im folgenden noch zu erörterndes Stich-<br />

1 BGH v. 16.9.1985 – BGHZ 95, 330 ff.<br />

2 BGH v. 23.9.1991 – BGHZ 115, 187.<br />

3 BGH v. 29.3.1993 – BGHZ 122, 123.<br />

4 DB 1999, 2205/2206.<br />

5 So noch BGHZ 61, 59/67; BGHZ 113, 216/219 und BGHZ IP 1990, 715/716.<br />

6 Gummert in MünchHdbGesR KG 2. Aufl. § 1 RdNr. 2 f.<br />

7 BGHZ 149, 10.<br />

AnwBl 1 / 2006 19


MN Aufsätze<br />

wort, nämlich dasjenige vom „existenzvernichtenden Eingriff“<br />

zugewiesen. Statt eigenen wortschöpferischen Bemühens<br />

will ich mich zu seiner Erläuterung der Ausführungen<br />

des damaligen Vorsitzenden im II. BGH-Zivilsenat, Volker<br />

Röhricht8 bedienen:<br />

„Das Haftungskonzept des Bremer Vulkan-Urteils und<br />

seiner Nachfolgeentscheidungen beruht auf dem grundlegenden<br />

funktionellen Zusammenhang zwischen der Beschränkung<br />

der Haftung auf ein bestimmtes Gesellschaftsvermögen<br />

und der Separierung eines der Gesellschaft als<br />

eigenes zustehendes, von dem übrigen Vermögen der Gesellschafter<br />

getrennt zu haltendes Gesellschaftsvermögen<br />

und der strikten Bindung des ersteren zur vorrangigen Befriedigung<br />

der Gesellschaftsgläubiger. Die Wahrung dieses<br />

Trennungsprinzips ist unverzichtbare Bedingung der Haftungsbeschränkung.<br />

Die Haftungsbeschränkung hat also<br />

einen Preis: er besteht darin, dass der Gesellschafter das<br />

primär als Haftungssubstrat dienende Vermögen der Gesellschaft<br />

einschließlich der in ihr erarbeiteten Marktstellung<br />

nur insoweit unter Aufhebung der Trennung in sein<br />

privates oder anderweitiges wirtschaftliches Vermögen<br />

überführen darf, wie es nicht zur Bedienung der Verbindlichkeiten<br />

der Gesellschafter benötigt wird. Die ansonsten<br />

sehr weit gehende Dispositionsbefugnis der Gesellschafter<br />

über Existenz, Vermögen und Geschäftschancen der Gesellschaft<br />

endet dort, wo der Gläubigerschutz beginnt. Der Gesellschafter<br />

hat daher bei Entnahmen von Vermögenswerten<br />

der Gesellschaft im Hinblick auf deren primäre<br />

Zweckbestimmung zur Deckung ihrer Verbindlichkeiten<br />

stets in angemessener Weise Rücksicht auf den Erhalt der<br />

Fähigkeit der Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Gläubiger<br />

zu nehmen. Nur die nicht erkennbar für diesen Zweck<br />

erforderlichen und deshalb in der Gesellschaft gebundenen<br />

Mittel darf er sich aneignen, um sie der Verwendung zu anderen<br />

privaten oder wirtschaftlichen Zwecken zuzuführen.<br />

Dieses Regelungskonzept reicht weit über das Recht der<br />

GmbH und den deutschen Rechtsraum hinaus. Es handelt<br />

sich bei ihm um das fundamentale Prinzip der Kapitalgesellschaften,<br />

die zwar den unter dieser Rechtsform tätigen<br />

Wirtschaftssubjekten die mit der Teilnahme am Wirtschaftsleben<br />

verbundenen Risiken einschließlich der Folgen etwaiger<br />

unternehmerischer Fehlentscheidungen (partiell) abnehmen<br />

sollen, aber nicht dazu bestimmt sind, ihnen die<br />

Möglichkeit zu geben, sich die unter dem schützenden Mantel<br />

der Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Erträge anzueignen,<br />

die zu deren Erzielung eingegangenen Verbindlichkeiten<br />

dagegen zu Lasten der Gläubiger der Gesellschaft<br />

unbedient zu lassen.<br />

Das Haftungskonzept des Senats gründet damit unmittelbar<br />

im Kern des Funktionsprinzips der Kapitalgesellschaften<br />

selber. Die Kapitalgesellschaft ist eine juristische<br />

Kunstfigur, die ihren Betreibern die mit ihrer Teilnahme am<br />

Wirtschaftsleben verbundenen Risiken einschließlich der<br />

Gefahren unternehmerischer Fehlentscheidungen abnehmen<br />

soll und der das Recht zu diesem Zweck ein eigenes<br />

Vermögen zuordnet, das anstelle des übrigen Vermögens ihrer<br />

Betreiber für die unter Inanspruchnahme dieser Kunstfigur<br />

begründeten Schulden haften soll. Unverzichtbare,<br />

geradezu elementare Funktionsbedingung dieses den rechtlichen<br />

Grundsatz der persönlichen Einstandspflicht eines<br />

jeden Rechtssubjekts für die von ihm begründeten Verbindlichkeiten<br />

vermittels eines juristischen Kunstgriffs durch-<br />

20 AnwBl 1 / 2006<br />

brechenden Systems ist es, dass das Vermögen der Gesellschaft,<br />

mit dem sie den Gesellschaftern ihre persönliche<br />

Haftung abnehmen soll, strikt von dem sonstigen Vermögen<br />

der Gesellschafter abgesondert wird (Trennungsprinzip),<br />

während der gesamten Lebensdauer der Gesellschaft für<br />

die Erfüllung dieser Aufgabe reserviert bleibt und ihr nicht<br />

von ihren eigenen Gesellschaftern wieder entzogen wird.<br />

Die Gesellschafter dürfen sich deshalb nur die für die Erfüllung<br />

dieser Funktion nicht benötigten, in der Gesellschaft<br />

erwirtschafteten Überschüsse aneignen.“<br />

3. Von der „Kopfgeburt“ zum Eigeninteresse der GmbH<br />

Bremer Vulkan bedeutet einen Schritt von elementarer<br />

dogmatischer Bedeutung im Recht der Kapitalgesellschaften.<br />

Erstmals bekannte sich der BGH eindeutig zu dem, was<br />

man früher etwas vulgär als „Eigeninteresse“ 9 der GmbH<br />

bezeichnete. Während der BGH früher nichts davon wissen<br />

wollte10 , hat dieses „Eigeninteresse“ seit Bremer Vulkan<br />

eine Synonym-Funktion für das Interesse der Gesellschafts-<br />

Gläubiger, kurz: für das Gläubigerinteresse bekommen. Die<br />

GmbH-Gesellschafter stehen in der Pflicht, das Eigeninteresse<br />

ihrer GmbH um derer Gläubiger willen zu schützen.<br />

Wenn sie das nicht tun, müßte das haftungsrechtliche Folgen<br />

haben, weil sie damit den haftungsbeschränkenden<br />

Schutz verscherzten, den ihnen das Trennungsprinzip bietet.<br />

Vielleicht etwas zu ungenau wurde dies als neues Modell<br />

einer „Durchgriffshaftung“ 11 bezeichnet. Genau genommen<br />

handelt es sich um eine „Direkthaftung“ der Gesellschafter<br />

wegen der Beseitigung des sie zunächst haftungsrechtlich<br />

privilegierenden Trennungsprinzips. 12 Wir sind bei der<br />

GmbH in einem Haftungssystem angekommen, welches<br />

weitgehend dem der Kommanditistenhaftung entspricht.<br />

Schlimmer noch: Während es bei der Kommanditgesellschaft<br />

immer nur bei demjenigen Kommanditisten zum<br />

Wiederaufleben der persönlichen Haftung kommt, der etwas<br />

aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft zurückerhält,<br />

sollen bei der GmbH alle Gesellschafter, die an der<br />

Schmälerung des Eigenkapitals der GmbH mit existenzgefährdender<br />

Wirkung „mitwirken“, unmittelbar den Gläubigern<br />

gegenüber in die persönliche Haftung geraten, soweit<br />

letztere keine Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen<br />

erlangen können.<br />

Außerdem: Die persönliche Haftung der Kommanditisten<br />

ist – jedenfalls in aller Regel – durch die in das Handelsregister<br />

eingetragene Haftsumme begrenzt. Verwirkt ein<br />

GmbH-Gesellschafter aus den oben erwähnten Gründen das<br />

Recht, sich auf das Trennungsprinzip zu berufen, dann ist<br />

seine persönliche Außenhaftung im Nachrang nach derjenigen<br />

der Gesellschaft unbeschränkt und unbeschränkbar.<br />

Was heißt das im einzelnen? Das grundsätzlich Neue an<br />

der Vulkan-Entscheidung ist die Weiterentwicklung des in<br />

den §§ 30, 31 GmbHG normierten Stammkapital-Schutzes<br />

zu einem allgemeinen Eigenkapital-Bestandsschutz, den die<br />

8 Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002, S. 24 f. (Bd. 6 der Schriftenreihe<br />

der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung).<br />

9 Priester, ZGR 1993, 512/517 m. w. N.<br />

10 BGHZ 56, 97/101; BGHZ 95, 345 f. (Autokran – vgl. Fn 1, BGH DB 1993,<br />

34).<br />

11 So zuletzt Goette ZIP 2005, 1481/1487.<br />

12 BGHZ 151, 181 – KBV.


MN Aufsätze<br />

GmbH-Gesellschafter für ihre GmbH zu gewährleisten verpflichtet<br />

sind. Das darf nicht in dem Sinne mißverstanden<br />

werden, dass die Gesellschafter einen durch Verluste eingetretenen<br />

Eigenkapitalverzehr ihrer GmbH auszugleichen<br />

hätten. Eine allgemeine Unterbilanzhaftung schwebt dem<br />

BGH keineswegs vor. Es geht „nur“ um Eingriffe in das Eigenkapital<br />

der GmbH durch Maßnahmen ihrer Gesellschafter.<br />

Unter Eigenkapital wird hier alles verstanden, was<br />

§ 266 Abs. 3 A i. V. m. § 272 HGB beschreibt (im Falle Vulkan<br />

betrug das nach den §§ 30, 31 GmbHG geschützte<br />

Stammkapital der abhängigen Tochtergesellschaft MTV nur<br />

etwa 5 % ihres insgesamt vorhandenen Eigenkapitals). Im<br />

KBV-Urteil 13 wird dazu ausgeführt: „Die GmbH hat zwar<br />

keinen Anspruch gegen ihre Gesellschafter auf Gewährleistung<br />

ihres Bestandes. Sie können die Existenz der Gesellschaft<br />

im Grundsatz jederzeit – sei es im Rahmen einer<br />

freiwilligen Liquidation, sei es im Rahmen eines Insolvenzverfahrens<br />

– beenden. In jedem Fall hat ihre Beendigung<br />

jedoch in einem geordneten Verfahren zu erfolgen, in dem<br />

die Vermögenswerte der Gesellschaft zunächst zur Befriedigung<br />

ihrer Gläubiger zu verwenden sind. Auf keinen Fall<br />

kann es ihnen erlaubt sein, der Gesellschaft ihr Vermögen<br />

ohne Rücksichtnahme auf ihre gesetzliche Funktion, anstelle<br />

ihrer Gesellschafter als Haftungsträger zu dienen, zu<br />

entziehen und ihr dadurch die Möglichkeit zu nehmen, ihre<br />

Verbindlichkeiten – ganz oder wenigstens teilweise – zu erfüllen.<br />

Den Gesellschaftern steht innerhalb wie außerhalb<br />

der Liquidation nur der Zugriff auf den zur Erfüllung der<br />

Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht benötigten Überschuß<br />

zu“.<br />

4. Die Interdependenz zwischen Kapitalausstattung der<br />

GmbH und Haftungsfreistellung ihrer Gesellschafter<br />

In der Vulkan-Entscheidung wurde die so verstandene<br />

Eigenkapital-Schutzverpflichtung der Gesellschafter nicht<br />

präzise definiert. Es blieb bei unbestimmten Tatbestandsmerkmalen,<br />

wie „Gewährleistung ihres Bestandsschutzes“<br />

und Verpflichtung zu „angemessener Rücksichtnahme auf<br />

die Eigenbelange der GmbH“ (Leitsatz 1 des Gerichts),<br />

dies, obwohl in den rechtlichen Erörterungen während der<br />

mündlichen Verhandlung vor dem II. Zivilsenat des BGH<br />

die These zur Diskussion gestellt wurde, dass das gesamte<br />

Eigenkapital prinzipiell intangibel für die Gesellschafter sei<br />

und überhaupt nur dann von ihnen angefaßt werden dürfe,<br />

wenn die im Gesetz dafür bestimmten Voraussetzungen gegeben<br />

seien, also praktisch nur im Rahmen von Gewinnverwendungsentscheidungen<br />

aufgrund ordnungsmäßig errichteter,<br />

ggfs. geprüfter und ordnungsmäßig festgestellter<br />

Jahresabschlüsse, ferner im Rahmen von ordnungsmäßigen<br />

Kapitalherabsetzungen oder gelegentlich einer Verteilung<br />

von Liquidationsüberschüssen – auf Sonderfragen, wie die<br />

Abfindung von Gesellschaftern, die infolge der Einziehung<br />

ihrer Geschäftsanteile ausscheiden u.ä., will ich hier nicht<br />

eingehen.<br />

Der Grund für diese These eines das gesamte Eigenkapital<br />

der GmbH (also nicht nur deren Stammkapital) umfassenden<br />

Rückgewährverbots sollte ein aus § 317 Abs. 1<br />

AktG abgeleitetes argumentum e contrario sein: dort, im aktienrechtlichen<br />

faktischen Konzern, begründet das Gesetz<br />

eine einzelfallbezogene Nachteilsausgleichspflicht des herrschenden<br />

Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft,<br />

und zwar konkretisiert durch Nachteile, die Folge<br />

von Gesellschaftermaßnahmen sind. Dort, im Aktienrecht,<br />

seien solche sich nachteilig auswirkenden Maßnahmen um<br />

den Preis der Nachteilsausgleichspflicht erlaubt. Weil es<br />

Vergleichbares im Recht der GmbH nicht gebe, seien solche<br />

Maßnahmen dort rechtswidrig. In seiner Entscheidung des<br />

Vulkan-Falles und den Folge-Entscheidungen ist der Senat<br />

auf diese Thesen nicht eingegangen, sondern hat es vorerst<br />

bei dem allgemeinen Verbot existenzgefährdender Eingriffe<br />

belassen und damit Raum gegeben für eine Abwägung im<br />

Einzelfall.<br />

Inzwischen hat das Thema jedenfalls insoweit an Brisanz<br />

gewonnen, als nunmehr unter Rückgriff auf einen Diskussionsbeitrag<br />

von Stimpel 14 nach der Entscheidung des II. Zivilsenats<br />

beim BGH vom 24.11.2003 15 die Gewährung von<br />

Darlehen an Gesellschafter auch dann unzulässig ist, wenn<br />

solche Darlehen angemessen verzinst werden und ihre<br />

Rückführung gesichert ist, allerdings nur dann, wenn sie gerade<br />

nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen finanzierbar<br />

sind.<br />

Seither gibt es auf diesem Felde nichts Neues. Aber das<br />

Prinzip ist klar: Die bisher ausschließliche Innenhaftung der<br />

GmbH-Gesellschafter gegenüber ihrer GmbH, welche auf<br />

Leistung der versprochenen Stammeinlagen und unbedingten<br />

Kapitalschutz gerichtet war, mutierte infolge der<br />

Entscheidungen „Vulkan“ und „KBV“ zu einer direkten Außenhaftung<br />

der Gesellschafter bei illegitimem Eigenkapital-<br />

Rücktransfer.<br />

II. Die Konkurrenz der Systeme<br />

1. Die Sitztheorie und ihre Begründung im deutschen internationalen<br />

Gesellschaftsrecht (Kollisionsrecht)<br />

Dieses vom Bundesgerichtshof dogmatisch plausibel begründete<br />

Interdependenz-Verhältnis zwischen prinzipieller<br />

Unantastbarkeit des Eigenkapitals einer GmbH, einerseits,<br />

und der Beschränkung der Gesellschafterhaftung auf die<br />

Verpflichtung zur Einlagenleistung im Sinne einer Innen-<br />

Haftung des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft,<br />

andererseits, setzt exklusive Regelungskompetenz desjenigen<br />

Staates voraus, der die Anwendung dieses Systems<br />

durchsetzen will. Nach unserem, dem deutschen Verständnis,<br />

muß das derjenige Staat sein, in dem eine Kapitalgesellschaft<br />

ihr „center of main interest“ hat, worunter der Standort<br />

verstanden wird, an dem alle die Gesellschafter, die<br />

Gesellschaft und ihre Gläubiger berührenden Entscheidungen<br />

getroffen werden.<br />

Das ist der Kerngedanke, aus dem heraus das deutsche<br />

internationale Gesellschaftsrecht die sog. „Sitztheorie“ entwickelte:<br />

Unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten setzt<br />

die Anerkennung einer Kapitalgesellschaft in Deutschland<br />

voraus, dass die Kapitalgesellschaft in dem Staat, dessen<br />

Recht das Gründungsrecht ist, auch ihren Verwaltungssitz,<br />

13 BGHZ 151/181/186.<br />

14 FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 335 ff.<br />

15 BGHZ 157, 72 mit Besprechung von Hentzen in ZGR 2005, 480.<br />

AnwBl 1 / 2006 21


MN Aufsätze<br />

ihr „center of main interest“, hat. Ist dies nicht der Fall,<br />

dann wird nicht etwa das entsprechende Gesellschaftsrecht<br />

des Sitzstaates angewendet, sondern die Existenz der Gesellschaft<br />

wird überhaupt geleugnet 16 . Nach herkömmlichem<br />

Verständnis ist die Wirkung der Sitztheorie also im wesentlichen<br />

negativ; positiv allenfalls insoweit, als auf eine nicht<br />

als rechtsfähig anerkennungsfähige ausländische Kapitalgesellschaft<br />

im Inland die für Personengesellschaften geltenden<br />

Regeln anzuwenden sind, was zur Folge hätte, dass wir<br />

nie zur Anwendung des haftungsrechtlichen Trennungsprinzips<br />

kommen würden.<br />

2. Die „Übersee-Entscheidung“ des EuGH – Kapitalgarantie<br />

und Kapitalschutz, einerseits, sowie Niederlassungsfreiheit,<br />

andererseits<br />

Die im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht entwickelte<br />

Sitztheorie sollte also die Grundlage für die Entwicklung<br />

einer Kapitalgesellschaftskonzeption sichern, die<br />

wir, genauer: unser Gesetzgeber und unsere Gerichte, für<br />

die richtige oder jedenfalls vertretbare halten. Dieses nationale<br />

Anliegen wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />

vom 5.11.2002 17 gründlich durcheinandergewirbelt.<br />

Dieser Entscheidung („Überseering“) lag folgender<br />

Sachverhalt zugrunde: Im Jahre 1990 wurde eine niederländische<br />

Kapitalgesellschaft unter der Firma „Überseering<br />

B.V.“ ordnungsmäßig nach niederländischem Recht gegründet<br />

und in das für sie zuständige Handelsregister eingetragen.<br />

Die geschuldeten Einlagen wurden richtig und vollständig<br />

erbracht. Später veräußerten die niederländischen<br />

Gründungsgesellschafter ihre Gesellschaftsanteile wirksam<br />

an zwei deutsche Kaufleute. Diese kauften im Namen der<br />

Überseering B.V. in Düsseldorf ein Geschäftsgrundstück,<br />

von wo aus sie künftig die Geschäfte der Überseering B.V.<br />

betrieben. Nach Errichtung des dafür benötigten Geschäftsgebäudes<br />

kam es zu baumängelbedingten Auseinandersetzungen<br />

mit dem für die Gebäudeerrichtung herangezogenen<br />

Bauunternehmer.<br />

Die Auseinandersetzung mündete in einen Prozeß zwischen<br />

der Überseering B.V. als Klägerin und diesem Bauunternehmer.<br />

Die Instanzgerichte wiesen die Klage als unzulässig<br />

ab, weil sie – in Entsprechung der einleitend<br />

erläuterten Sitztheorie – die Rechts– und Parteifähigkeit der<br />

niederländischen Überseering B.V. in Deutschland verneinten.<br />

Sie wollten in dem Zusammenschluß der beiden Gesellschafter<br />

von Überseering B.V. allenfalls eine Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts sehen, konnten aber nicht ahnen, dass<br />

der Bundesgerichtshof am 29.1.2001 18 die Rechtsfähigkeit<br />

der BGB-Außengesellschaft und damit ihre Parteifähigkeit<br />

anerkennen würde und damit die Zulässigkeit der von Überseering<br />

B.V. erhobenen Klage hätte bejahen müssen. Er, der<br />

BGH selbst, sah diese gesellschaftsrechtliche Entwicklung<br />

im März 2000 ebensowenig voraus, denn er fragte per Vorlagebeschluß<br />

den Europäischen Gerichtshof, was dieser davon<br />

halte, wenn deutsche Gerichte eine holländische Kapitalgesellschaft<br />

mit Geschäftssitz in Deutschland für ein<br />

rechtliches nullum erklären würden.<br />

Der EuGH war pflichtgemäß empört und schrieb den<br />

Deutschen auf, dass jede in einem Mitgliedsstaat der Europäischen<br />

Union ordnungsmäßig gegründete Kapitalgesellschaft<br />

ihren Geschäftssitz in jedem anderen Mitgliedsstaat<br />

der Europäischen Union nehmen dürfe und von diesem je-<br />

22 AnwBl 1 / 2006<br />

denfalls als rechts– und parteifähig anzuerkennen sei. Alles<br />

andere sei ein Verstoß gegen die im EG-Vertrag verbriefte<br />

Niederlassungsfreiheit 19 .<br />

Die Überseering-Entscheidung des EuGH verwarf die<br />

deutsche Sitztheorie, um zur Anerkennung der Rechts– und<br />

Parteifähigkeit der Überseering B.V. zu kommen. Die von<br />

der deutschen Regierung vorgebrachten Sorgen dahingehend,<br />

dass mit der Anerkennung solcher ausländischer<br />

Kapitalgesellschaften die deutschen Regeln über den Schutz<br />

des Gesellschaftskapitals und den Schutz von Minderheitsgesellschaftern<br />

unterlaufen werden könne und dass es dann<br />

auch möglich sei, die deutschen Regeln über die Mitbestimmung<br />

der Arbeitnehmer auszuhebeln, sah der EuGH als<br />

nicht entscheidungsrelevant für die Frage der Anerkennung<br />

von Rechts– und Parteifähigkeit an. Im Gegenteil: Er orakelte<br />

in Ziff. 92 der Entscheidungsgründe, „es lasse sich<br />

nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls,<br />

wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der<br />

Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des<br />

Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung<br />

bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit<br />

rechtfertigen können.“<br />

3. Von der „festen Burg“ zum Wettbewerb der Systeme<br />

Der damit verbundene Hoffnungsschimmer entschwand<br />

jedoch endgültig durch die Entscheidung zum Stichwort<br />

„Inspire Art“ des EuGH vom 30.9.2003 20 . Mit diesem Urteil<br />

verbot der EuGH den Niederländern eine gesetzliche Regelung,<br />

deren Zweck darauf gerichtet war, in England gegründete<br />

Briefkasten-Kapitalgesellschaften zu veranlassen, den<br />

in Holland geltenden Vorschriften über die Mindestkapitalausstattung<br />

zu genügen. Danach breitete sich hierzulande<br />

Ratlosigkeit aus. Die Deutschen sahen sich in einem Wettbewerb<br />

der Systeme, denn nun sollten die Kapitalgesellschafts-Konzepte<br />

von immerhin 25 EU-Mitgliedsstaaten in<br />

Deutschland zur Anwendung kommen dürfen.<br />

Zunächst einmal kam jedenfalls die englische Ltd. ohne<br />

gesetzlich festgelegte Mindestkapitalausstattung in Mode.<br />

Die Frage, wie wir darauf reagieren können und sollten, ist<br />

unverändert offen. Priester fragte unlängst öffentlich, ob<br />

wir nach „Inspire Art“ eine „neue“ GmbH brauchen 21 ,was<br />

er verneinte, offensichtlich in der Hoffnung, dass unsere<br />

Gerichte sich wohl Sanktionen gegen den allzu sorglosen<br />

Umgang mit unseriösen ausländischen Kapitalgesellschaften<br />

einfallen lassen würden. Nach seiner Prognose kann<br />

diese Sanktion nur in der Etablierung einer Unterkapitalisierungshaftung<br />

liegen, aber woran gemessen, am Geschäftsumfang<br />

und dem sich daraus ergebenden Eigenkapitalbedarf<br />

oder am Umfang des Ausfalls, den die Gläubiger erleiden<br />

oder an der Mindestkapitalausstattung, die das GmbH-Gesetz<br />

verlangt? – Lauter Ideen, die entweder unser Konzept<br />

für Gesellschafts– und Gesellschafterhaftung im Recht der<br />

Kapitalgesellschaften verwüsten oder nach den Grundsätzen<br />

der EuGH-Entscheidung zu Inspire Art verboten wären.<br />

16 Staudinger/Großfeld, IntGesR, 53 ff.; Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter<br />

Haftung im internationalen und europäischen Recht, RdNr. 4.<br />

17 EuGH-Rs C-208/00 – ZIP 2002, 2037.<br />

18 BGHZ 146, 341.<br />

19 EGV (Nizza-Fassung v. 26.2.2001), Art. 43, 48.<br />

20 EuGH-RsC-167/01 – DB 2003, 2217 ff.<br />

21 DB 2005, 1315.


MN Aufsätze<br />

4. Die große Ratlosigkeit<br />

Um das Durcheinander komplett zu machen, ließ sich<br />

die Bundesregierung etwas besonders Schickes einfallen,<br />

nämlich das sog. Mindestkapitalgesetz in der Fassung des<br />

BMJ-Entwurfs vom 1.6.2005. Zunächst war daran gedacht<br />

worden, sich im „Wettlauf der Systeme“ (s. o.) an die Spitze<br />

der Banausen zu setzen und das Mindestkapital der GmbH<br />

von jetzt E 25.000,00 auf E 1,00 zu beschränken. Aber<br />

dann bekamen die flotten Gesetzesmacher doch Angst vor<br />

der eigenen Courage; sie beschränkten sich auf den Vorschlag,<br />

ein Mindestkapital von E 10.000,00 genügen zu lassen.<br />

Der Ratlosigkeit wurde damit nicht abgeholfen. Während<br />

der DAV-Handelsrechtsausschuß in seiner vom BMJ<br />

erbetenen Stellungnahme 22 dringend anriet, das Thema vorerst<br />

überhaupt nicht anzufassen, sondern die überfällige<br />

dogmatische Diskussion, deren Verlauf und deren Ergebnis<br />

abzuwarten, wurde – wiederum – Priester sarkastisch: „Wer<br />

eine 1-E-GmbH mit dem Argument verlangt, E 25.000,00<br />

bewirkten auch keinen Gläubigerschutz, erinnert an jemanden,<br />

der einem bei Eis und Schnee in der Badehose frierend<br />

herumlaufenden Manne rät, er solle diese doch auch noch<br />

ausziehen, sie wärme ohnehin nicht.“ 23<br />

Zuletzt äußerte sich Goette, der neue Vorsitzende des II.<br />

Zivilsenats beim BGH 24 . Er begründete – nochmals –, warum<br />

das deutsche Recht dem Treiben der unterkapitalisierten<br />

Ltd. in Deutschland nicht mit einer analogen Anwendung<br />

der Handelnden-Haftung nach § 11 Abs. 2<br />

GmbH-Gesetz entgegenwirken dürfe. Derartiges laufe klar<br />

den Vorgaben des EuGH zuwider. Auch Überlegungen, der<br />

englischen Ltd. in Deutschland das Handwerk mit der Begründung<br />

zu legen, sie dürfe hier nur tätig werden, wenn sie<br />

als Zweigniederlassung in das Handelsregister eingetragen<br />

sei, trat der BGH mit der richtigen Begründung entgegen,<br />

dass die versäumte Handelsregisteranmeldung allenfalls zur<br />

Verhängung von Zwangsgeld führen könne, nicht aber zur<br />

persönlichen Haftung der Geschäftsführungsverantwortlichen.<br />

Vorerst sieht auch Goette nur den Ausweg über deliktische<br />

Haftungstatbestände (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263<br />

StGB oder § 826 BGB), womit aber nicht notwendig eine<br />

Gesellschafterhaftung, sondern in der Regel nur eine Geschäftsführerhaftung<br />

verbunden sein kann. Im übrigen wagt<br />

auch Goette noch keine Prognose für die Entwicklung der<br />

Rechtsprechung seines Senats angesichts dieser Turbulenzen,<br />

sondern hebt lediglich drohend den Zeigefinger mit<br />

dem Hinweis „. . . . es gilt, sich klarzumachen, dass opportunistisches<br />

Verhalten von Gesellschaftern auch unter dem<br />

Mantel der Ltd. nicht wird hingenommen werden können.“<br />

25<br />

5. Resümee<br />

Erinnert sei zunächst an die einleitend zitierten Worte<br />

von Röhricht, wonach das hier erläuterte und vom BGH<br />

plausibel dargestellte Kapitalgesellschaftskonzept „weit<br />

über das Recht der GmbH und den deutschen Rechtsraum<br />

22 DAV-Fachausschuss-Stellungnahme Nr. 32/05.<br />

23 ZIP 2005, 921.<br />

24 ZIP 2005, 1481 ff.<br />

25 Goette, ZIP 2005, 1481 sub. 1.<br />

hinausreicht“. Die Konkurrenz der Systeme im EU-Raum<br />

beruht nicht auf Attraktivitätsvorzügen des einen gegenüber<br />

dem anderen, sondern allenfalls auf unterschiedlichen Ansätzen<br />

für die Lösung desselben Problems, nämlich der Sicherung<br />

des Gläubigervertrauens auf einen ausreichenden<br />

Haftungsfonds desjenigen Rechtsgebildes, welches den<br />

Gläubigern als Kapitalgesellschaft jedweden Rechts gegenübertritt.<br />

Die Idee unserer Rechtspolitiker im Bundesjustizministerium,<br />

die Mindesteigenkapitalausstattung der GmbH<br />

ganz zu beseitigen, zeigt eigentlich nur verheerende Ignoranz<br />

gegenüber dem, was der BGH hier in den letzten 5 Jahren<br />

entwickelte. Wer kein Kapital braucht, weil er nichts<br />

mit Eigenkapital zu finanzieren hat, der braucht auch keine<br />

Kapitalgesellschaft. Es gibt auch bei uns eine ausreichend<br />

breite Kollektion an Rechtsformen, unter denen sich immer<br />

etwas finden wird, was dem individuellen Unternehmerinteresse<br />

gerecht wird.<br />

Dem Problem der vermeintlichen Konkurrenz von Kapitalgesellschaftskonzepten<br />

unterschiedlicher Rechtsordnungen<br />

werden wir im Sinne einer vertrauensstiftenden Lösung<br />

– und darum geht es im wesentlichen – nur durch Rechtsvereinheitlichung<br />

beikommen. Aber davon sind wir noch weit<br />

entfernt, weil die Vereinheitlichung des Rechts der Kapitalgesellschaften<br />

in Europa nicht nur – das wäre auch noch das<br />

Einfachste – die Verständigung über Mindestkapitalausstattungen,<br />

Kapitalaufbringungsgarantien und deren Prüfung,<br />

Regelungen über die Registerpublizität und die Rechnungslegung<br />

voraussetzen würde, sondern vor allem auch ein einheitliches<br />

Insolvenzrecht und ein einheitliches Konzernrecht<br />

unter Einschluß des Umwandlungsrechts.<br />

Vertrauen wir zunächst auf das, was wir haben und überlassen<br />

wir es getrost dem kaufmännischen Geschäftsverkehr,<br />

wie er – auf eigenes Risiko – seinen Umgang mit ausländischen<br />

Kapitalgesellschaften organisiert, die ihm selbst<br />

ebenso fremd sind, wie seinen des deutschen Rechts kundigen<br />

Beratern.<br />

Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar. Er ist Sozius<br />

der Kanzlei Blaum Dettmers Rabstein sowie Honorarprofessor<br />

an der Universität Bremen.<br />

AnwBl 1 / 2006 23


MN Aufsätze<br />

Reform des<br />

strafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahrens<br />

Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins*<br />

Der DAV-Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht des DAV fassen mit der Gesetzesinitiative zur<br />

Reform des strafprozessualen Ermittlungsverfahren die<br />

20 Jahre währende intensive Diskussion zusammen und unterbreiten<br />

dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen Vorschlag.<br />

Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf Minimalforderungen,<br />

die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />

der Rechtsprechung der Obergerichte ergeben. Der Entwurf<br />

– als Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins veröffentlicht<br />

– ist der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

auf dem Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />

am 11. November 2005 übergeben worden (siehe Seite<br />

42 in diesem Heft). Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert den Entwurf.<br />

A. Allgemeine Begründung<br />

Die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die<br />

Grünen hat mit ihren „Eckpunkten für eine Reform des<br />

Strafverfahrens“ vom 6. April 2001 die Diskussion über<br />

eine Reform des Strafverfahrens aufgenommen, die von der<br />

Anwaltschaft und der Wissenschaft schon seit langem gefordert<br />

wird. 1<br />

Das Bundesministerium der Justiz hat diese Diskussion<br />

mit dem „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />

fortgesetzt, den es in Zusammenarbeit mit einer<br />

Koalitionsarbeitsgruppe der Bundestagsfraktionen von SPD<br />

und Bündnis 90/Die Grünen nach „intensivem Meinungsaustausch<br />

mit dem Bundesgerichtshof, dem Generalbundesanwalt,<br />

den Landesjustizverwaltungen sowie zahlreichen<br />

Verbänden aus Justiz und Anwaltschaft“ am 18. Februar<br />

2004 vorgelegt hat2 .<br />

Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />

hat – neben dem Gutachten von Satzger und den<br />

Thesen der Referenten3 – die Verhandlungen der strafrechtlichen<br />

Abteilung des DJT 2004 beherrscht und hatte maßgeblichen<br />

Einfluss auf die Beschlüsse. 4<br />

Rechtzeitig zum DJT 2004 erschienen – nach langen Vorarbeiten<br />

– die „Thesen zur Reform des Ermittlungsverfahrens“<br />

des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer5<br />

, die seit langem erhobene Forderungen der<br />

Anwaltschaft für eine Reform des Ermittlungsverfahrens in<br />

einem geschlossenen Zusammenhang darstellen, ergänzen<br />

und mit ausführlicher Begründung versehen.<br />

Entgegen anders lautender Ankündigungen und Erwartungen<br />

folgte dem „Diskussionsentwurf“ weder ein Referenten-<br />

noch gar ein Regierungsentwurf.<br />

Der Strafrechtsausschuss des DAV, der mit seinem Forum<br />

von 1985 bereits den Anstoß zu einer Reform des strafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahrens gegeben hatte und die dadurch<br />

in Gang gekommene Debatte mit Stellungnahmen in zahlreichen<br />

Gesetzgebungsverfahren aktiv begleitet hat6 , hat es<br />

sich zur Aufgabe gemacht, die 20 Jahre währende intensive<br />

Diskussion mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf<br />

zusammenzufassen und dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen<br />

Vorschlag zu unterbreiten.<br />

24 AnwBl 1 / 2006<br />

Der hiermit vorgelegte Gesetzentwurf beschränkt sich auf<br />

Minimalforderungen, die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />

der maßgeblichen Rechtsprechung der Obergerichte<br />

zu den jeweiligen Fragen und deren Fortschreibung ergeben.<br />

Er nimmt bewusst die umstrittenen Vorschläge des<br />

„Diskussionsentwurfs“ nicht auf, den Verteidiger an Vernehmungen<br />

von Zeugen und Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren<br />

zu beteiligen und geht damit auch der Debatte um<br />

den sog. „Zwangstransfer“ von Ermittlungsergebnissen in die<br />

Hauptverhandlung aus dem Weg. Eine maßgebliche Veränderung<br />

des Ermittlungsverfahrens insgesamt oder auch nur eine<br />

Verlagerung von Gewichten der am Verfahren Beteiligten ergibt<br />

sich aus diesem Entwurf nicht.<br />

Der Strafrechtsausschuss des DAV verbindet mit diesem<br />

Entwurf die Erwartung, dass die drängendsten Fragen einer<br />

Reform des Ermittlungsverfahrens nach langer und ausführlicher<br />

Diskussion in der laufenden Legislaturperiode einem<br />

Ergebnis zugeführt werden können.<br />

Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens<br />

hat die Grundlinien für seinen nach wie vor gültigen<br />

Ansatz wie folgt umschrieben:<br />

„Die Gesetzgebung zum Strafverfahrensrecht war in<br />

den letzten Jahrzehnten häufig von anlassbezogenen<br />

und isolierten Änderungen in Teilbereichen geprägt.<br />

Wie bei der sog. Terrorismusgesetzgebung in den siebziger<br />

Jahren oder den Gesetzen zur Bekämpfung der Organisierten<br />

Kriminalität aus den neunziger Jahren handelte<br />

es sich, vor allem beim Ausbau des<br />

Ermittlungsinstrumentariums, um die Reaktion auf neue<br />

Formen von Kriminalität. ... Eine weitere Motivation der<br />

Gesetzgebung waren die Justizentlastung einschließlich<br />

der Verfahrensbeschleunigung.<br />

... hat die Bundesregierung mit dem Standpunkt verbunden,<br />

dass sich das Ziel einer Modernisierung und Vereinfachung<br />

des Strafverfahrens nicht mit weiteren, nur<br />

punktuellen Änderungen erreichen lasse.<br />

Die Reform des Strafverfahrens verfolgt das Ziel einer<br />

zukunftssicheren Weiterorientierung des Strafverfahrens<br />

als Gesamtkonzept, das die Rechte aller am Strafverfahren<br />

Beteiligter unter grundsätzlicher Beibehaltung der<br />

insgesamt bewährten Strukturen verstärkt und zueinander<br />

in gerechten Ausgleich bringt.“<br />

Hieran orientiert sich der vorliegende Entwurf.<br />

* Herausgegeben durch den Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht des DAV. Mitglieder des Strafrechtsausschusses sind die Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte: Eberhard Kempf, Frankfurt a. M. (Vorsitz und Berichterstatter);<br />

Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf (Berichterstatter); Dr. Gina<br />

Greeve, Frankfurt a. M.; Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt a. M.; Gabriele Jansen,<br />

Köln; Dr. Stefan König, Berlin; Georg Prasser, Stuttgart; Michael Rosenthal,<br />

Karlsruhe; Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam; Dr. Rainer Spatscheck, München.<br />

Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />

des DAV sind die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte: Werner Leitner,<br />

München (Vorsitz); Martin Amelung, München; Dr. Ferdinand Gillmeister, Freiburg<br />

i. Br.; Dr. Gina Greeve, Frankfurt; Dr. Daniel Krause, Berlin; Dr. Wilhelm<br />

Krekeler, Dortmund; Dr. Dirk Lammer, Berlin; Dr. Klaus Leipold, München;<br />

Annette Marberth-Kubicki, Kiel; Dr. Manfred Parigger, Hannover; Dr. Ulrich<br />

Sommer, Köln. Zutändig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Tanja<br />

Brexl, Berlin .<br />

1 Vgl. nur: Reform des Ermittlungsverfahrens, Forum des Strafrechtsausschusses<br />

des DAV, 1985, AnwBl 1986, 50 ff; Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung,<br />

Arbeitskreis Strafprozessreform, 1979; Alternativ-Entwurf Reform<br />

des Ermittlungsverfahrens (AE-EV), 2001.<br />

2 www.sirius.soldan.de/anwaltverein/01/depesche/texte04/Disk-entw.pdf<br />

3 65. DJT 2004.<br />

4 www.djt.files/djt/65/beschluesse.pdf<br />

5 Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Thesen mit Begründung, vorgelegt<br />

vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, 2004.<br />

6 Vgl. zuletzt „Stellungnahme zum Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />

vom September 2004.


MN Aufsätze<br />

B. Der Gesetzentwurf<br />

Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung<br />

vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt<br />

geändert durch (...) wird wie folgt geändert:<br />

1. § 136 Abs. 1 wird wie folgt geändert:<br />

„(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten<br />

zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird<br />

und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist<br />

darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe,<br />

sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur<br />

Sache auszusagen und jederzeit einen, auch schon vor seiner<br />

Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger<br />

zu befragen. Er ist ferner darüber zu belehren, dass er zu<br />

seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen<br />

kann. Er ist über das Antragsrecht nach § 141 Abs. 3 Satz<br />

2 zu belehren, wenn abzusehen ist, dass die Mitwirkung eines<br />

Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein<br />

wird. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf,<br />

dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die<br />

Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen<br />

werden.“<br />

2. § 140 Abs. 1 wird wie folgt geändert:<br />

„(1) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist von der ersten<br />

Vernehmung des Beschuldigten an notwendig, wenn<br />

1. sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet und<br />

eine Strafe von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder<br />

Jugendstrafe zu erwarten ist;<br />

2. ersichtlich ist, dass die spätere Hauptverhandlung vor<br />

dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem<br />

Schöffengericht stattfinden wird;<br />

3. wenn der Gegenstand der Untersuchung ein Verbrechen<br />

ist;<br />

4. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;<br />

5. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen<br />

Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung<br />

nach § 81 in Frage kommt;<br />

6. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;<br />

7. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von<br />

der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.<br />

(2) In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag<br />

oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der<br />

Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sachoder<br />

Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten<br />

erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte<br />

nicht selbst verteidigen kann – namentlich, weil dem<br />

Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und 4 ein<br />

Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines<br />

hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.“<br />

3. § 141 Abs. 3 wird wie folgt geändert:<br />

„(3) Das Gericht bestellt auf Antrag der Staatsanwaltschaft<br />

einen Verteidiger, sobald abzusehen ist, dass seine<br />

Mitwirkung nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.<br />

Das Antragsrecht steht auch dem Beschuldigten und seinem<br />

gesetzlichen Vertreter zu.“<br />

4. § 147 wird in seinen Abs. 2, 3 und 5 wie folgt geändert:<br />

„(2) Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den<br />

Akten vermerkt, so kann dem Verteidiger die Einsicht in<br />

die Akten oder einzelne Aktenstücke sowie die Besichtigung<br />

der amtlich verwahrten Beweisstücke versagt werden,<br />

soweit sie den Untersuchungszweck in erheblicher<br />

Weise gefährden kann. Diese Gefahr muss in den Akten<br />

vermerkt und mit bestimmten Tatsachen belegt werden.<br />

Sobald der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet ist,<br />

ist dem Verteidiger auf dessen Antrag Einsicht in die Akte<br />

sowie die Besichtigung von Beweisstücken zu gewähren.<br />

(3) Die Einsicht in die Niederschriften über die Vernehmung<br />

des Beschuldigten und über solche richterlichen Untersuchungshandlungen,<br />

bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit<br />

gestattet worden ist oder hätte gestattet werden<br />

müssen, sowie in die Gutachten von Sachverständigen darf<br />

dem Verteidiger in keiner Lage des Verfahrens versagt werden.<br />

Dasselbe gilt für die Besichtigung amtlich verwahrter<br />

Beweisstücke, die bei dem Beschuldigten sichergestellt<br />

worden sind oder von ihm stammen.<br />

(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im<br />

vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss<br />

des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen<br />

der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Versagt<br />

die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, ... so kann<br />

gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 161 a<br />

Abs. 3 Satz 2 bis 4 beantragt werden. Diese Entscheidungen<br />

werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren<br />

Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden<br />

könnte.“<br />

5. Dem § 160 werden folgende Absätze angefügt:<br />

„(5) Die Staatsanwaltschaft vermerkt die Einleitung der Ermittlungen,<br />

die den Verdacht tragenden tatsächlichen Anhaltspunkte,<br />

deren rechtliche Bewertung sowie den Zeitpunkt<br />

der Einleitung.<br />

(6) Der Beschuldigte ist über die Einleitung von Ermittlungen<br />

zu unterrichten, sobald eine Gefährdung des Untersuchungszwecks<br />

nicht zu befürchten ist. Die Mitteilung<br />

kann unterbleiben, wenn das Verfahren alsbald eingestellt<br />

wird.“<br />

6. Der § 161 a wird wie folgt geändert:<br />

„(1) Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, auf Ladung<br />

von der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache<br />

auszusagen oder ihr Gutachten zu erstatten.<br />

(2) Die Vernehmung wird in Bild und Ton aufgezeichnet.<br />

(3) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften<br />

des sechsten und siebenten Abschnitts des ersten<br />

Buches über Zeugen und Sachverständige entsprechend.<br />

(4) Die eidliche Vernehmung bleibt dem Richter vorbehalten.“<br />

7. § 163 a Abs. 4 wird wie folgt ergänzt:<br />

„(4) Dem Verteidiger ist bei der Vernehmung des Beschuldigten<br />

die Anwesenheit gestattet. Die Vernehmung wird in<br />

Bild und Ton aufgezeichnet.<br />

(5) 1. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch<br />

Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen,<br />

welche Tat ihm zur Last gelegt wird.<br />

2. Im Übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten<br />

durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Abs. 1 Satz 2 bis<br />

4, Abs. 2, 3, § 136 a und § 163 a Abs. 4 anzuwenden.<br />

(6) Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen<br />

durch Beamte des Polizeidienstes sind § 52 Abs. 3,<br />

§ 55 Abs. 2, 81 c Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 52<br />

Abs. 3, § 161 a Abs. 2 und § 136 a entsprechend anzuwenden.“<br />

AnwBl 1 / 2006 25


MN Aufsätze<br />

C. Begründung<br />

1. Allgemeiner Teil<br />

Der Strafrechtsausschuss des DAV verweist zur Begründung<br />

des von ihm vorgelegten Gesetzentwurfs vor allem auf<br />

die nach wie zutreffenden Erwägungsgründe des Diskussionsentwurfs<br />

vom Februar 2004. Dort wurde ausgeführt:<br />

„Die Gesetzgebung zum Strafverfahrensrecht war in<br />

den letzten Jahrzehnten häufig von anlassbezogenen<br />

und isolierten Änderungen in Teilbereichen geprägt.<br />

Wie bei der sog. Terrorismusgesetzgebung in den siebziger<br />

Jahren oder den Gesetzen zur Bekämpfung der Organisierten<br />

Kriminalität aus den neunziger Jahren handelte<br />

es sich, vor allem beim Ausbau des<br />

Ermittlungsinstrumentariums, um die Reaktion auf neue<br />

Formen von Kriminalität. ... Eine weitere Motivation der<br />

Gesetzgebung waren die Justizentlastung einschließlich<br />

der Verfahrensbeschleunigung.<br />

Die Bundesregierung (hat den) ... Standpunkt ..., dass<br />

sich das Ziel einer Modernisierung und Vereinfachung<br />

des Strafverfahrens nicht mit weiteren, nur punktuellen<br />

Änderungen erreichen lasse.<br />

Die Reform des Strafverfahrens verfolgt das Ziel einer<br />

zukunftssicheren Weiterorientierung des Strafverfahrens<br />

als Gesamtkonzept, das die Rechte aller am Strafverfahren<br />

Beteiligter unter grundsätzlicher Beibehaltung der<br />

insgesamt bewährten Strukturen verstärkt und zueinander<br />

in gerechten Ausgleich bringt.“<br />

„Erkenntnis“ im Strafverfahren entsteht im argumentativen<br />

Streit der am Verfahren Beteiligten und durch diesen<br />

Streit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />

nennt das „kontradiktorisches Verfahren“. Das rechtliche<br />

Gehör wird daher zu Recht vom Bundesverfassungsgericht<br />

als das prozessuale „Ur-Recht“ der Verfahrensbeteiligten<br />

bezeichnet7 .<br />

Diese Feststellung ist nicht auf die strafprozessuale<br />

Hauptverhandlung beschränkt oder beschränkbar. Sie gilt in<br />

jedem Stadium des Strafverfahrens. So unbestreitbar ein<br />

erster Abschnitt des Ermittlungsverfahrens geheim, d. h. insbesondere<br />

ohne Information und Mitwirkung des Beschuldigten<br />

und seines Verteidigers durchgeführt werden können<br />

muss, so grundlegend ist die Ein- bzw. Mitwirkungsmöglichkeit<br />

des Beschuldigten für alle nachfolgenden Abschnitte<br />

des Strafverfahrens, in denen es nicht mehr geheim<br />

geführt werden darf. Daraus ergeben sich die vorgeschlagenen<br />

Änderungen des Gesetzentwurfs zur möglichst frühzeitigen<br />

Information des Beschuldigten über die Einleitung eines<br />

Ermittlungsverfahrens sowie zur Akteneinsicht.<br />

Die Generalstaatsanwälte und der Generalbundesanwalt<br />

haben auf ihrer Arbeitstagung vom 17. bis 19. Mai 2004 einen<br />

Beschluss zu dem Diskussionsentwurf gefasst, mit dem<br />

sie ihn als „Gefährdung der Wahrheitsfindung in nicht vertretbarer<br />

Weise“ kritisiert haben. In ähnlicher Weise befürchten<br />

Richter8 , dass die mit dem Diskussionsentwurf intendierte<br />

erweiterte Mitwirkung des Verteidigers im<br />

Ermittlungsverfahren zu einer „(potentiellen) Gefährdung<br />

der Wahrheitsfindung“ führe. Die „Zielrichtung anwaltlicher<br />

Tätigkeit“ entsprechend der „Funktion des Verteidigers in<br />

einem an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Strafverfahren“<br />

wird nur im Grundsatz anerkannt, im selben<br />

Atemzug aber betont: „Andererseits (sic!) liegt es auf der<br />

Hand, dass die einseitige Interessenwahrnehmung den Auf-<br />

26 AnwBl 1 / 2006<br />

gaben der Ermittlungsbehörden zuwiderlaufen kann, da jedwede<br />

»Mitwirkung« des Verteidigers an konkreten Maßnahmen<br />

von seinem Verteidigungsziel bestimmt sein muss.“ 9<br />

Der Verteidiger als ein Störfaktor im Ermittlungsverfahren?<br />

Die Forderung einer „von Beeinträchtigungen freien<br />

Beweiserhebung gerade im Ermittlungsverfahren“ lässt keinen<br />

anderen Schluss zu. Aber das ist eine überholte, überalterte,<br />

etatistische Sicht des Verteidigers und seiner Funktion<br />

im Strafverfahren. Die Wahrheitsfindung im<br />

Strafverfahren ist nicht eine der Staatsanwaltschaft und dem<br />

Gericht vorbehaltene Aufgabe, die darin bestünde, eine an<br />

sich bestehende, vorgegebene Wirklichkeit zu rekonstruieren.<br />

Wahrheit entsteht nicht in Abwesenheit des Verteidigers.<br />

Wahrheit wird in procedendo durch die kontradiktorische<br />

Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligter hergestellt.<br />

Nach dem Leitbild des liberal-rechtsstaatlich reformierten<br />

Strafprozesses, der den Dialog zum System erhoben hat,<br />

sind „Staatsanwalt und Strafverteidiger in gleicher Weise<br />

berufen, der Wahrheitsforschung zu dienen. Dadurch dass<br />

jeder von ihnen seinen Parteistandpunkt vertritt, soll die<br />

Wahrheit kund werden.“ 10 Die Wahrnehmung von Verteidigerrechten<br />

ist daher nicht eine Gefahr, sondern eine Voraussetzung<br />

für die Wahrheitsfindung. Nichts anderes meint der<br />

Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wenn er –<br />

ohne Differenzierung zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren<br />

– von einem „wirklich kontradiktorisch“ geführten<br />

Verfahren spricht.<br />

Aus diesem Verständnis von Verteidigung ergeben sich<br />

für den Strafrechtsausschuss des Deutschen AnwaltVereins<br />

notwendige Änderungen von Vorschriften des Ermittlungsverfahrens.<br />

Sie beziehen sich auf die Formalisierung der<br />

Verfügung über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens,<br />

den Anfangsverdacht und die ihn tragenden materiellrechtlichen<br />

Vorschriften, auf die zeitliche Vorverlagerung und<br />

Gewährleistung notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren,<br />

auf Mitwirkungsrechte des Verteidigers des Beschuldigten<br />

bei dessen Vernehmungen, auf das Akteneinsichtsrecht<br />

des Verteidigers und auf die regelmäßige<br />

Tonband- bzw. Videoaufzeichnung von Vernehmungen von<br />

Beschuldigten und Zeugen im Ermittlungsverfahren sowie<br />

der Hauptverhandlung. Um vorgetragenen Bedenken aus<br />

der Justiz Rechnung zu tragen und längst fällige Anpassungen<br />

im Recht des Ermittlungsverfahrens an den erreichten<br />

Stand der Rechtsprechung und Wissenschaft nicht zu behindern,<br />

hat der Strafrechtsausschuss des DAV davon abgesehen,<br />

die Vorschläge des Diskussionsentwurfs zur Teilnahme<br />

des Strafverteidigers an Vernehmungen von Zeugen<br />

und Mitbeschuldigten zu übernehmen. Der geäußerten Kritik<br />

aus der Justiz dürfte damit der Boden entzogen sein. Die<br />

vorgeschlagene Reform des Ermittlungsverfahrens bleibt<br />

gleichwohl notwendige Folge der Anerkennung der konstituierenden<br />

Rolle des Verteidigers bei der Herstellung der<br />

Wahrheit im Strafverfahren.<br />

7 BVerfGE 55, 1, 6.<br />

8 DRiZ 2004, 184.<br />

9 Haller, aaO, S. 186.<br />

10 V. Liszt, Vortrag über die Stellung der Verteidigung in Strafsachen (DJZ 1901,<br />

179, 180).


MN Aufsätze<br />

2. Zu den einzelnen Vorschriften<br />

a. Die Formalisierung der Verfügung über die Einleitung<br />

des Ermittlungsverfahrens<br />

Der Entwurf des Strafrechtsausschusses sieht über den<br />

Diskussionsentwurf zu § 160 Abs. 5 – neu – StPO hinaus<br />

vor, dass die Staatsanwaltschaft die Einleitung des Ermittlungsverfahrens<br />

schriftlich in den Akten dokumentiert und<br />

dabei die den Anfangsverdacht tragenden tatsächlichen und<br />

rechtlichen Anhaltspunkte vermerkt.<br />

Über die Beteiligtenöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens<br />

hinaus – die der Diskussionsentwurf anstrebt – wird<br />

auf diese Weise der Beschuldigtenstatus formalisiert und<br />

eine Regelung in die StPO eingefügt, die der des § 397 AO<br />

gleicht.<br />

Die Bekanntgabe der Beschuldigung spiegelt den Inhalt<br />

des Einleitungsvermerks lediglich wider. Deshalb ist es konsequent,<br />

beides zu institutionalisieren.<br />

Dokumentation und Bekanntgabe dienen der Transparenz<br />

über die Rolle der am Verfahren Beteiligten, namentlich<br />

für Zwangsmaßnahmen (Durchsuchung und Beschlagnahme,<br />

verdeckte Ermittlungen, körperliche<br />

Untersuchungen) oder solche Maßnahmen, die die Mitwirkung<br />

des am Verfahren Beteiligten erfordern (Vernehmung).<br />

Darüber, welchen Status die verfahrensbeteiligte Person<br />

innehat, sollte es in einem rechtsstaatlichen Verfahren weder<br />

Zweifel noch freie Dispositionsbefugnis durch die Strafverfolgungsbehörde<br />

geben. 11<br />

b. Die Änderungen im Recht der notwendigen Verteidigung<br />

„Der Beschuldigte kann sich jederzeit des Beistands eines<br />

Verteidigers bedienen.“ (§ 137 StPO). Dieses Recht des<br />

Beschuldigten ist als prozessuale Bedingung der Hauptverhandlung<br />

auch dort in ausreichendem Umfang durch Gesetz<br />

und Rechtsprechung gesichert, wo der Beschuldigte nicht in<br />

der Lage ist, einen Verteidiger an seiner Seite zu bestellen.<br />

In diesem Bereich der Verteidigung in der Hauptverhandlung<br />

schlägt der Gesetzentwurf lediglich eine Anpassung<br />

der Vorschrift des § 140 StPO an den aktuellen Stand der<br />

obergerichtlichen Rechtsprechung vor. Der Katalog der<br />

Fälle notwendiger Verteidigung in § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO,<br />

den der Diskussionsentwurf noch unangetastet gelassen hat,<br />

ist spätestens durch das RechtspflegeentlastungsG vom<br />

11.1.199312 reformbedürftig geworden, wodurch die Strafgewalt<br />

des Schöffengerichts von drei auf vier Jahre erhöht<br />

wurde; § 140 Abs. 1 Nr. 1 (Verfahren vor dem Landgericht)<br />

erfasst damit nicht mehr die Fälle früherer landgerichtlicher<br />

Verfahren, die wegen der erhöhten Strafgewalt seither dem<br />

Schöffengericht zugewiesen sind. Unabhängig davon hat<br />

die Rechtsprechung zu § 140 Abs. 2 StPO als sichere Regel<br />

herausgearbeitet, dass bei praktisch allen Fällen einer drohenden<br />

Freiheitsstrafe ab einem Jahr notwendige Verteidigung<br />

vorliegt. 13 Dem trägt der Gesetzentwurf Rechnung,<br />

ohne über derzeitige Anforderungen der Rechtsprechung hinauszugehen.<br />

Im Übrigen weitet der Entwurf den Anwendungsbereich<br />

der notwendigen Verteidigung aus.<br />

Im Spannungsfeld zwischen staatlicher Fürsorge und der<br />

Autonomie des Beschuldigten, seine Verteidigung selbst zu<br />

bestimmen, geht der Entwurf – entsprechend der Gesetzeslage<br />

– davon aus, dass in bestimmten Fällen eine Verteidigung<br />

ohne Rücksicht auf einen – möglicherweise entgegenstehenden<br />

Willen des Beschuldigten – notwendig ist.<br />

Es lässt sich sagen, dass in bestimmten – im Entwurf angeführten<br />

– Fallkonstellationen der Staat Anlass hat, zu garantieren,<br />

dass ein Beschuldigter bereits zu einem möglichst<br />

frühen Zeitpunkt einen Verteidiger konsultiert (§ 137 StPO).<br />

Damit sollen die Mindestbedingungen geschaffen werden,<br />

derer ein Beschuldigter bedarf, um ein vernünftiges Verteidigungskonzept<br />

entwickeln und umsetzen zu können. 14 In<br />

diesen Fallkonstellationen, in denen das Gleichgewicht der<br />

Kräfte zwischen staatlicher Strafverfolgung und Freiheitsinteresse<br />

des Beschuldigten wegen besonderer Bedingungen<br />

gestört ist, muss der Staat von sich aus die Verteidigung stärken<br />

– bei mangelnder materieller und/oder geistiger Kompetenz<br />

des Beschuldigten notfalls durch die Anordnung notwendiger<br />

Verteidigung.<br />

Ein solches Ungleichgewicht manifestiert sich im besonderen<br />

Maße im Ermittlungsverfahren, wenn der Beschuldigte<br />

festgenommen und in Untersuchungshaft genommen<br />

wird. Für den Beschuldigten stehen Weichen stellende prozessuale<br />

Entscheidungen an; gleichzeitig ist in diesem Anfangsstadium<br />

die Situation für ihn völlig unübersichtlich, er<br />

ist vom gewohnten sozialen Umfeld isoliert und – regelmäßig<br />

– der asymmetrischen Konfrontation mit professionellen<br />

Strafverfolgern ausgesetzt. Die Garantie, dass der<br />

Beschuldigte in dieser Situation sich des Rates eines Verteidigers<br />

vergewissert, der ihn über seine prozessuale Lage<br />

aufklärt und Alternativen möglichen Verteidigungshandelns<br />

erläutert, entspricht dem Gedanken staatlicher Selbstkontrolle<br />

und Machtbeschränkung, der wiederum dem Rechtsstaatsprinzip<br />

immanent ist.<br />

Der Entwurf orientiert sich an der Entscheidung des<br />

1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November<br />

2001 – BGHSt 47, 172 ff. –, in der ausgeführt wird:<br />

„Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrags besteht<br />

jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der<br />

Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der<br />

Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens<br />

tatsächlich eines Verteidigers bedarf. Stellt die Staatsanwaltschaft<br />

also einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls<br />

wegen eines Verbrechens, wird sie stets auch die<br />

Stellung des Beiordnungsantrags erwägen. Dieser kann<br />

zurückgestellt werden, solange der Beschuldigte noch<br />

nicht festgenommen ist.“<br />

Der Entwurf sieht die frühzeitige Mitwirkung des Verteidigers<br />

in diesen Fallkonstellationen als notwendig an, um<br />

Transparenz für den Beschuldigten zu schaffen und damit<br />

auch das Interesse des Staates zu fördern, ein Strafverfahren<br />

durchzusetzen, das bei den Beteiligten und der Bevölkerung<br />

das Vertrauen in seine Rechtsstaatlichkeit festigt. 15<br />

11 Vgl. auch Bannenberg u. a. AE-EV, 2001 S. 95 ff.<br />

12 BGBl. I 50 ff.<br />

13 Vgl. Meyer-Goßner, § 140, Rn. 22.<br />

14 Bemmann u. A. „Die Verteidigung“, 1979, S. 60.<br />

15 Vgl. Bemmann u. A. aaO S. 62.<br />

AnwBl 1 / 2006 27


MN Aufsätze<br />

c. Anwesenheit des Verteidigers bei Vernehmungen des Beschuldigten<br />

Der Entwurf gestattet dem Verteidiger die Anwesenheit<br />

bei jeder Vernehmung des Beschuldigten – über § 168 c<br />

StPO hinaus – und dient damit dem Schutz des Beschuldigten<br />

vor unreflektierter Selbstbelastung.<br />

Die Verfügung über sein Wissen und seine Informationen<br />

sowie die Wahl, ob und was er erklärt, soll der Beschuldigte<br />

generell unter professioneller Beratung durch einen<br />

Verteidiger treffen.<br />

Der Entwurf folgt damit einer verbreiteten Forderung im<br />

Schrifttum16 und begegnet der vielfach kritisierten asymmetrischen<br />

Konstellation in solchen Vernehmungen.<br />

d. Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen<br />

im Ermittlungsverfahren<br />

Die Vernehmung des Beschuldigten soll in Ton und Bild<br />

aufgezeichnet werden.<br />

Dem Verteidiger ist – nach der Intention des Entwurfs –<br />

lediglich Gelegenheit zur Mitwirkung an der Vernehmung<br />

des Beschuldigten zu geben. Der Entwurfsvorschlag soll sicherstellen,<br />

dass auch bei Abwesenheit des Verteidigers die<br />

Beschuldigtenvernehmung nachvollzogen werden kann.<br />

Die Empirie zeigt, dass das geschriebene Protokoll häufig<br />

nicht den wirklichen Verlauf der Vernehmung widerspiegelt,<br />

sondern lediglich die zwischen Vernehmenden und Vernommenen<br />

„ausgehandelte“ Wirklichkeit repräsentiert17 ,so<br />

z. B. wenn der Sachverhalt im sog. „informatorischen Vorgespräch“<br />

erörtert und anschließend vom Vernehmenden im<br />

Protokoll niedergelegt wird.<br />

Auch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen<br />

soll in Ton und Bild aufgezeichnet werden.<br />

Der Entwurf verzichtet darauf, die komplexe Materie der<br />

Beweiserhebung über Zeugen und Sachverständige mit Mitwirkungsrechten<br />

der Verteidigung zu befrachten. Die Reform<br />

sollte sich nicht lähmend auf die Ermittlungstätigkeit<br />

der Ermittlungsbeamten und der Staatsanwaltschaft auswirken.<br />

Kontroversen über Art und Weise der Vernehmung im<br />

Erhebungsakt oder über die Gefährdung des Untersuchungszweckes<br />

bei Anwesenheit von Beschuldigtem und Verteidiger<br />

können solche Behinderungen nach sich ziehen.<br />

Aber es sollte sichergestellt sein, dass der Beweiserhebungsakt<br />

im Ermittlungsverfahren ordentlich dokumentiert<br />

wird und damit jederzeit nachvollzogen und überprüft werden<br />

kann.<br />

Dadurch soll erreicht werden, dass in der Ermittlungsvernehmung<br />

die Methoden, die die StPO vorgibt (§ 69 StPO),<br />

eingehalten und der Grundsatz der Neutralität (vgl. § 160<br />

Abs. 2 StPO) gewahrt werden.<br />

Die Erfahrung lehrt, dass unbewusste oder bewusste Einflüsse<br />

(Beispiel: Arbeitshypothesen des Vernehmenden) die<br />

Beweiserhebung prägen und das Ergebnis verzerren können.<br />

Die Richtigkeit der im Verfahren zu treffenden Entscheidungen<br />

hängt dann maßgeblich davon ab, ob die Prägung<br />

erkannt und bei der Beweiswürdigung bedacht werden<br />

kann. Ohne eine exakte Dokumentation bleiben Führung<br />

(durch Fragen) und Definition (durch Protokollierung) in<br />

der Ermittlungsvernehmung regelmäßig unerkannt.<br />

Das kontradiktorische Element, das darin liegt, dass der<br />

Verteidiger in der Hauptverhandlung den Zeugen befragen<br />

kann, dient der Richtigkeit des im Verfahren zu gewinnenden<br />

Erkenntnisses.<br />

28 AnwBl 1 / 2006<br />

Dieser Verfahrensbeitrag wird verkürzt und beschnitten,<br />

wenn die amtliche Entstehung der Aussage der Auskunftsperson<br />

nicht verifiziert werden kann.<br />

Eine faire Untersuchung wird es nur dann geben können,<br />

wenn bereits im Stadium der Beweiserhebung das Element<br />

der Kontrolle als integrierter Bestandteil wirkt.<br />

e. Akteneinsichtsrecht<br />

Die Vorschriften der §§ 147 Abs. 2, 169 a StPO, wonach<br />

vor dem in den Akten vermerkten Abschluss der Ermittlungen<br />

Akteneinsicht verweigert werden kann, sind Ausdruck<br />

eines überkommenen, etatistischen Verständnisses von<br />

Strafprozess.<br />

Bereits durch die „soweit“-Fassung von § 147 Abs. 2<br />

S. 1 StPO soll die Dynamik der Prüfung des Staatsanwalts<br />

betont werden, ob die Akteneinsicht dem Verteidiger angesichts<br />

des Fortschritts der Ermittlungen nach wie vor verweigert<br />

werden kann. Denselben Gedanken nimmt § 147<br />

Abs. 2 StPO in Anlehnung an den § 11 Abs. 2 des Entwurfs<br />

des „Arbeitskreis Strafprozessreform“ auf, der folgende<br />

Fassung vorschlägt18 :<br />

„Sobald der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet<br />

werden kann, ist dem Verteidiger auf dessen Antrag Einsicht<br />

in die Akte sowie die Besichtigung von Beweisstücken<br />

zu gewähren. Die dringende Gefahr, dass die Einsichtnahme<br />

die weiteren Ermittlungen in erheblicher<br />

Weise behindern werde, muss mit bestimmten Tatsachen<br />

belegt werden.“<br />

Mit einer solchen Fassung von § 147 Abs. 2 StPO ist<br />

gleichzeitig in allgemeiner Weise der Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren<br />

bezeichnet, ab dem es für die Verfahrensbeteiligten,<br />

vor allem den Beschuldigten und seinen Verteidiger,<br />

offen und mit der Möglichkeit effektiver Mitwirkung<br />

geführt werden muss.<br />

Die bisher auf bestimmte Fälle beschränkte gerichtliche<br />

Überprüfungsmöglichkeit des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO ist generell<br />

auf die Versagung von Akteneinsicht gemäß § 147<br />

Abs. 2 StPO zu erstrecken.<br />

16 Rieß, Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag, S. 203; Müller-Dietz<br />

ZStW 98 (1981), 1231 f.; Wolter, Aspekte 1991, S. 80; Weigend ZStW 104<br />

(1992) 508; Bannenberg u. a., Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens,<br />

2001 S. 132.<br />

17 Vgl. dazu Eisenberg, Das Beweisrecht der StPO, Rn. 732, 1344 ff; Prüfer StV<br />

1998, 232 ff.<br />

18 Arbeitskreis Strafprozessreform, Die Verteidigung, Gesetzentwurf und Begründung,<br />

Karlsruhe 1997, S. 7.


MNKommentar<br />

„Wenn die Flut fällt, zeigen sich<br />

die Felsen“ – so sagt ein japanisches<br />

Sprichwort, dass einem einfällt, wenn<br />

man an die sinkenden durchschnittlichen<br />

Einnahmen der deutschen Anwälte<br />

denkt. Vor allem zwei Klippen<br />

sind es, die sichtbar werden:<br />

9 Die Schwellenangst unserer Mandanten,<br />

die häufig weder die Qualität<br />

noch das Preis-/Leistungsverhältnis<br />

eines Anwaltsbüros beurteilen<br />

können.<br />

9 Die Segmentierung der früher einmal<br />

einheitlichen Anwaltstätigkeit<br />

in viele Teilprodukte, die von der telefonischen<br />

Auskunft bis hin zu jahrelanger<br />

Prozessbetreuung reichen.<br />

Die meisten unserer Mandanten<br />

wissen nicht, welchen Spezialisten sie<br />

brauchen, was der kostet, wie der sie<br />

behandeln wird, was sie von ihm erwarten<br />

können etc. Dienstleistungsmärkte<br />

sind sehr viel undurchsichtiger<br />

als andere.<br />

Die Anwälte haben nie gelernt, mit<br />

dieser Schwellenangst richtig umzugehen.<br />

Ich habe 1982 in meinem ersten<br />

Buch „Über den Umgang mit Anwälten“<br />

versucht, den Mandanten ein paar<br />

Tipps zu geben und was ich damals an<br />

Leserbriefen bekam, war so erschreckend,<br />

dass ich es kaum schildern<br />

möchte: Viele hatten das Gefühl, sie<br />

hätten einen Bäcker gebraucht, waren<br />

aber beim Metzger gelandet. Und keiner<br />

traut sich was zu sagen!<br />

Da wir selbst nicht fähig waren,<br />

dieses Problem zu lösen, nimmt es<br />

jetzt der Markt in Angriff – und zwar<br />

über das Internet, ein Medium, dessen<br />

Schwelle jedermann ohne Angst überschreitet.<br />

Sehen sie sich z. B. einmal<br />

Rechtsberatung<br />

in der Absatzbar<br />

Prof. Dr. Benno Heussen<br />

Rechtsanwalt,<br />

Mitglied des DAV-Vorstands<br />

www.frag-einen-anwalt.de, www.anw<br />

ser24.de oder die Telefonrechtsberatung<br />

www.anwaeltedirekt.de oder<br />

www.janolaw.de, www.advoweb.de,<br />

www.anwalt.de, www.zurecht.de an.<br />

Damit habe ich nur die Hälfte der<br />

Dienste genannt, die tätig sind. Natürlich<br />

bieten sie keine Eingangsberatung<br />

im klassischen Sinn an. Aber wenn<br />

Sie sich die Antworten ansehen und<br />

die Preise, die dafür gezahlt werden<br />

(zwischen 15,00 E und 50,00 E) und<br />

wenn<br />

„Es gibt einen Bedarf<br />

für Fastfood in der Rechtsberatung“<br />

Sie ferner berücksichtigen, dass jeder<br />

Anfrager die Qualität der Antwort öffentlich<br />

(!) bewerten kann, (so bei:<br />

www.frag-einen-anwalt.de) dann sehen<br />

Sie auf einmal eine Transparenz,<br />

die es bisher noch nie gegeben hat.<br />

Auch die Anwaltssuchservices tragen<br />

zu dieser Transparenz bei, müssen sich<br />

aus wettbewerbsrechtlichen Gründen<br />

aber weit mehr zurückhalten.<br />

Die zweite Klippe, an der wir<br />

scheitern können, ist die völlige Aufsplitterung<br />

des früheren einheitlichen<br />

Tätigkeitsbildes in viele Einzeltätigkeiten,<br />

die nicht mehr aus einer Hand<br />

kommen müssen. Sie reichen von der<br />

Telefonberatung über große Vertragsprojekte<br />

bis hin zu jahrelangen Prozessen,<br />

die nur von Anwaltteams geführt<br />

werden können. Auf den ersten<br />

Blick scheint dadurch ein Qualitätsgefälle<br />

zu entstehen.<br />

Der Schein trügt aber, denn die unterschiedliche<br />

Tiefe in der Bearbeitung<br />

ist nichts weiter als eine Reaktion auf<br />

die Bedürfnisse des Mandanten: Wer<br />

auf die Schnelle eine Currywurst essen<br />

will, dem ist mit einem sechsgängigen<br />

Menü nun einmal nicht gedient. Betrachtet<br />

man sich die Noten, die die<br />

Anwälte für ihre Antworten erhalten,<br />

sieht man sofort, dass die meisten Anfrager<br />

sehr zufrieden sind, wenn ihnen<br />

jemand einen ersten Eindruck über ihr<br />

Problem für 20,00 E verschafft.<br />

Es gibt einen Bedarf für Fastfood<br />

in der Rechtsberatung und es werden<br />

sich noch andere Felder zeigen, die<br />

mit dem klassischen Berufsbild nur<br />

noch wenig zu tun haben. Der Versuch,<br />

sich mit restriktiven Abwehrstrategien<br />

gegen diese Entwicklung zu<br />

wehren, wird misslingen. Auch den<br />

Schuhmachermeistern ist das in den<br />

siebziger Jahren so gegangen, als sie<br />

versuchten, gegen die Schuhexpressbar<br />

anzutreten (BVerwG, NJW 1964,<br />

512).<br />

Friedrich Graf von Westphalen und<br />

Felix Busse haben im Novemberheft<br />

2005 des <strong>Anwaltsblatt</strong>s nochmals<br />

beschwörend auf den Wert des unabhängigen,<br />

verschwiegenen und den Interessen<br />

seines Mandanten verpflichteten<br />

Anwalts für das Rechtssystem<br />

hingewiesen. Diese Tugenden sind für<br />

jede Form der Rechtsdurchsetzung unverzichtbar.<br />

Im Bereich der Rechtsberatung<br />

hingegen verschwinden sie<br />

gerade bei den großen Beratungsprojekten<br />

(unter anderem, weil andere<br />

Berater sich nicht daran halten) – und<br />

bei vielen Tätigkeiten im reinen Beratungsmarkt<br />

(z. B. beim Mieterverein,<br />

dem Internet oder Hotlineberatungen)<br />

werden zwar Rechtsauskünfte gegeben,<br />

aber keine Mandate übernommen.<br />

Es liegt nicht in unserer Hand, das<br />

zu steuern: Der Markt wird sich so<br />

oder so durchsetzen, wie er es bei der<br />

Absatzbar auch geschafft hat.<br />

AnwBl 1 / 2006 29


MNThema<br />

Brauchen wir den Einheitsjuristen –<br />

oder kommt die Spartenausbildung?<br />

Justiz und Anwaltschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse – Streitgespräch<br />

über die Juristenausbildung<br />

Die „Befähigung zum Richteramt“ eint die Juristen. Der<br />

Einheitsjurist gilt als Garant dafür, dass die Juristenausbildung<br />

anderen Ausbildungen überlegen ist – so sehen<br />

das noch immer Richter, Verwaltungsbeamte und viele Anwälte.<br />

Doch ist dem noch so? Von den jährlich rund<br />

10.000 Juristen mit der „Befähigung zum Richteramt“<br />

werden an die 7.500 Rechtsanwälte. Ist der Einheitsjurist<br />

noch zeitgemäß? Das <strong>Anwaltsblatt</strong> bat eine Vertreterin der<br />

Justiz und einen Anwaltsvertreter zum Streitgespräch. In<br />

Berlin diskutierten die Präsidentin des rheinland-pfälzischen<br />

Landesprüfungsamtes für Juristen, Marliese Dicke,<br />

und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins,<br />

Dr. Dierk Mattik.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Angehende Volljuristen orientieren sich in<br />

ihrer jahrelangen Ausbildung am Leitbild des habilitierfähigen<br />

Oberlandesgerichtsrats, obwohl fast alle so nie arbeiten<br />

werden. Der DAV schlägt eine eigenständige Anwaltsausbildung<br />

vor. Anwalt soll nur werden, wer Anwalt gelernt<br />

hat. Brauchen wir den Einheitsjuristen noch?<br />

Dicke: Ja. Es gibt gute Gründe, die Ausbildung – so wie<br />

sie heute ausgestaltet ist – aufrecht zu erhalten. Im Übrigen:<br />

Der Einheitsjurist hat – obwohl viele an ihm schon herumgedoktert<br />

haben – immer überlebt. Der Begriff „Befähigung<br />

zum Richteramt“ gibt sicherlich Anlass zu Missverständnissen.<br />

Er besagt, dass jeder Absolvent der Ausbildung Richter<br />

werden kann. Die Ausbildung war früher in der Tat mehr<br />

auf die Justizberufe ausgerichtet. Heute streiten wir eher um<br />

den Begriff. Die Ausbildung ist schon längst nicht mehr die<br />

alte. Der Gesetzgeber hat ja erst kürzlich die Ausbildung<br />

wesentlich stärker am Anwaltsberuf ausgerichtet, als es früher<br />

der Fall war.<br />

Dr. Mattik: Ich widerspreche. Wir machen es uns zu einfach,<br />

wenn wir sagen, Einheitsjusrist ist ein überholter Begriff<br />

– und die Inhalte sehen eigentlich ganz anders aus. Es<br />

ist schon ein wenig Überheblichkeit der Justizjuristen im<br />

Spiel, wenn sie sagen, auch der Anwalt braucht die Befähigung<br />

zum Richteramt. Wer Richter kann, muss nicht auch<br />

Stritten im DAV-Haus in Berlin über die Zukunft des Einheitsjuristen:<br />

Marliese Dicke und Dr. Dierk Mattik.<br />

30 AnwBl 1 / 2006<br />

Anwalt können. Als Anwalt reicht es nicht, ein guter Jurist<br />

zu sein. Sie müssen Managementfähigkeiten haben, sie<br />

müssen Personal führen, sie brauchen steuerrechtliche<br />

Kenntnisse – sie sind Unternehmer. Es reicht heute nicht<br />

mehr aus, jemand mit der Befähigung zum Richteramt auszubilden<br />

– und dann zu glauben, dass er hinterher als Unternehmer<br />

auf dem Anwaltsmarkt bestehen kann.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist der Einheitsjurist ein Mythos?<br />

Dr. Mattik: Es mag einmal Zeiten gegeben haben, wo<br />

das Idealbild Einheitsjurist der Maßstab gewesen ist. Diese<br />

Zeiten sind längst vorbei. Wir müssen feststellen: Justiz und<br />

Verwaltung kommen mit dem Einheitsjuristen und mit der<br />

Juristenausbildung bestens aus. Es wird ausgebildet, was<br />

die Justiz hinterher auch abfordert. Es werden sowieso nur<br />

fünf Prozent der Absolventen Richter, die sowieso die Besten<br />

sind – und für die Verwaltungsbeamten gibt es in der<br />

Regel eine postassessorale Ausbildung. Aber wir bilden<br />

eben auch eine große Masse von durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen<br />

Juristen aus. Sie werden alle Anwalt.<br />

Früher war das kein großes Problem. Die anwaltliche Karriere<br />

begann als angestellter Anwalt – da wurde der junge<br />

Anwalt von den erfahrenen Kollegen in den Beruf eingeführt.<br />

Doch das funktioniert seit langem nicht mehr. Viele<br />

juristische Karrieren als Anwalt beginnen als Einzelanwalt.<br />

Die kommen aus dem 2. Staatsexamen und werden ins Wasser<br />

geschmissen.<br />

Dicke: Dass dieses Massenproblem existiert, leugne ich<br />

nicht. Eine breite Masse schlecht benoteter – nicht unbedingt<br />

schlecht ausgebildeter – Juristen steht auf dem Arbeitsmarkt.<br />

Dieses Massenproblem sorgt uns alle. Darüber<br />

sind wir uns sicher einig.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Der Einheitsjurist ist ein Idealtypus, der alles<br />

weiß, aber am Ende nichts kann. Wer Anwalt oder Notar<br />

werden will, braucht eine Zusatzausbildung – und selbst in<br />

der Justiz wird nach dem zweiten Examen weiter ausgebildet.<br />

Ignoriert die Juristenausbildung einfach den aktuellen<br />

Trend?<br />

Dicke: Der Einheitsjurist kann sehr viel. Wir sollten die<br />

Vorzüge der Ausbildung nicht übersehen. Der Anwalt soll<br />

mit dem Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsjuristen auf<br />

Augenhöhe sein. Das ist ein wichtiges Argument. Wenn wir<br />

wirklich in Sparten ausbilden – wie es der DAV forciert -,<br />

würden die Vertreter der einzelnen Berufe eben nicht mehr<br />

auf Augenhöhe sein. Wir hätten Anwälte, wenige Richter,<br />

einige Verwaltungsjuristen – und wir hätten einen Anteil<br />

von mindestens 15 Prozent Studienabgänger, die gar keine<br />

Ausbildung durchlaufen hätten. Sie müssten in der freien<br />

Wirtschaft ihren Markt suchen – ohne irgendwo ausgebildet<br />

worden zu sein. Das ist auch ein Problem, über das wir sicher<br />

reden müssen. Dagegen steht derzeit beispielsweise der<br />

universell ausgebildete Richter, der auch gesehen hat, wie<br />

Anwälte arbeiten – und umgekehrt. Und nach der letzten<br />

Reform aus dem Jahre 2003 dauert die Anwaltsstation im<br />

Referendariat jetzt immerhin 9 Monate lang – und kann um


MN Thema<br />

drei Monate in der Wahlstation verlängert werden. Ich<br />

denke, wir sollten einmal abwarten, was daraus wird. Wir<br />

prüfen jetzt die ersten Referendare, die ihre Ausbildung<br />

nach dem neuen Recht gemacht haben. Noch haben wir<br />

keine Erkenntnisse.<br />

Dr. Mattik: Macht es eigentlich Sinn, dass wir die jungen<br />

Juristen erst acht Jahre durch ein Studium und ein Referendariat<br />

laufen lassen, um sie dann am Ende für den eigentlichen<br />

Beruf fit zu machen? Müssen wir uns nicht von der<br />

Idee verabschieden, dass man sich für einen Beruf erst in einem<br />

hohen Alter von 28 Jahren entscheiden muss? Warum<br />

verlangen wir jungen Menschen nicht nach dem Studium<br />

eine Berufsentscheidung ab? Und dann schicken wir sie in<br />

die Ausbildung als Anwalt, Richter oder Verwaltungsbeamter.<br />

Ein Wirtschaftswissenschaftler muss sich auch nach<br />

dem Studium entscheiden, ob er Steuerberater werden will.<br />

Dicke: Ich halte dagegen: Auch wenn nach acht Semestern<br />

Studium und einem Examen die eine oder der andere<br />

das sicherlich bereits entscheiden kann: Sie verlieren bei einer<br />

Spartenausbildung den Juristen, der in alle Bereiche<br />

reingeschnuppert hat. Außerdem ist das heutige System bereits<br />

so flexibel, dass auch derjenige mit dem festen Berufsziel<br />

„Anwalt“ seine Ausbildung gezielt darauf abstellen<br />

kann.<br />

Dr. Mattik: Das ist völlig richtig. Nur müssen wir leider<br />

feststellen, dass sich um diese Entscheidung alle unsere zukünftigen<br />

Nachwuchsjuristen schlicht und ergreifend drücken.<br />

Sie wollen erst das Examen machen und dann entscheiden<br />

– je nachdem wie die Note ausfällt. Im Rahmen<br />

des Referendariats bietet der DAV bereits die DAV-Anwaltsausbildung<br />

an: Keiner sagt uns, es sei ein schlechtes Modell.<br />

Alle sagen sogar, es sei ein hervorragendes und ambitioniertes<br />

System. Und deswegen zögern die Referendare,<br />

weil sie diesen Stress nicht auf sich nehmen wollen. Es geht<br />

ihnen nur um das Examen. Eins muss ich aber auch sagen:<br />

Unsere DAV-Anwaltreferendare wissen ganz genau, was sie<br />

wollen. Um das noch einmal zu sagen, um die Guten mache<br />

ich mir keine Sorgen. Die anderen müssen wir aber an die<br />

Hand nehmen. Wir hatten 2004 rund 7.500 neue Zulassungen<br />

und 2005 werden es nicht weniger sein. Das heißt also<br />

– und die Zahlen sprechen dafür – die nächsten 10 Jahre<br />

geht das so weiter. Wir haben 104.000 Studenten in der<br />

Ausbildung. Wir können diesen nicht nach einer langen und<br />

harten Ausbildung sagen, eigentlich hast du das Falsche studiert.<br />

Es geht darum, dass wir den Marktmechanismen zum<br />

Durchbruch verhelfen. Nur wer einen Ausbildungsplatz hat,<br />

kann die Ausbildung zum Anwalt mit Prüfung absolvieren.<br />

Wer keinen findet, muss sich etwas anderes suchen<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Frau Dicke, können Sie sich mit dieser<br />

Sicht anfreunden?<br />

Dicke: Nein, nicht wirklich.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Warum nicht?<br />

Dicke: Der Vorschlag läuft auf eine Reglementierung<br />

des Berufszugangs hinaus, auch wenn gesagt wird, die Spartenausbildung<br />

stehe für eine bessere Qualität. Natürlich<br />

muss die Qualität erhalten, gegebenenfalls auch verbessert<br />

werden. Ich frage mich aber, wie die Qualität gesichert<br />

wird, wenn nur der ausgebildet wird, der irgendwo einen<br />

Ausbildungsplatz findet. Das Spartenmodell kennt keine<br />

Eingangsprüfung, die Aufnahme in die Ausbildung hängt<br />

auch nicht von einer besonders guten Note ab. Die Spartenausbildung<br />

ist die falsche Antwort auf das Massenproblem.<br />

Wer Jura unbedingt studieren<br />

will, der wird<br />

nicht glauben wollen,<br />

dass am Ende seine Berufsaussichten<br />

schlecht<br />

sind. Das Ganze ist<br />

letztendlich ein bildungspolitischesProblem.<br />

Wir müssen es<br />

viel früher anpacken.<br />

An der Universität geht<br />

etwa die Hälfte der Jurastudenten<br />

unter, weil sie<br />

das Studium abbricht<br />

oder sonst wo versickert.<br />

Auch bestehen<br />

durchschnittlich ca. 30<br />

Prozent der Absolventen<br />

die erste Prüfung nicht.<br />

All das müsste eigentlich<br />

Studierende abschrecken<br />

– jedenfalls<br />

all diejenigen, die den 2.<br />

Schein nur mit 4 Punkten<br />

geschafft haben. Es<br />

schreckt aber nicht ab.<br />

Die jungen Leute machen<br />

weiter, warum<br />

auch immer. Es stimmt<br />

mich aber nachdenklich,<br />

wenn wegen dieses<br />

Massenproblems eine<br />

Ausbildung mit all ihren<br />

großen Vorzügen in<br />

Frage gestellt wird.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Würde<br />

die Anwaltschaft etwas<br />

verlieren, wenn der Einheitsjurist<br />

aufgegeben<br />

wird?<br />

Dr. Dierk Mattik: „In zehn Jahren<br />

haben wir die Spartenausbildung<br />

als Anwaltsausbildung<br />

durchgesetzt. Da bin ich ganz<br />

sicher.“<br />

Marliese Dicke: „Ich vertraue<br />

darauf, dass wir in zehn Jahren<br />

noch ähnlich ausbilden wie bisher<br />

– natürlich mit den notwendigen<br />

Neuerungen.“<br />

Dr. Mattik: Ich glaube nicht. Was habe ich denn von einem<br />

Anwalt, der keine Praxis mehr erlernt hat. Wenn er vor<br />

Gericht zieht, sitzt er dort einem Richter gegenüber, der jeden<br />

Tag Mietsachen macht. Diese Augenhöhe hat er nach<br />

Ablegung des 2. Staatsexamens verloren. Er ist rettungslos<br />

dem hochprofessionellen Richter unterlegen, der sich mit einer<br />

Spezialmaterie befasst. Das gilt nicht, wenn der Anwalt<br />

in gleicher Weise in diesem Bereich tätig ist. Warum haben<br />

wir denn die Fachanwaltschaften? Da ist die Augenhöhe gewährleistet.<br />

Dicke: Ich halte dagegen: Was habe ich von einem Anwalt,<br />

der gar nicht weiß, wie der hochspezialisierte Richter<br />

eigentlich arbeitet.<br />

Dr. Mattik: In drei Monaten im Referendariat lernt er<br />

das nicht.<br />

Dicke: Das mag sein. Ich meine trotzdem, dass das Reinschnuppern<br />

– manchmal ist es ja gar nicht mehr – in die verschiedensten<br />

Tätigkeitsbereiche sinnvoll ist. Es ist für den<br />

von Vorteil, der schon weiß, was er werden möchte; aber<br />

auch für den, der es nach dem Studium eben vielleicht noch<br />

nicht weiß – oder für den, der nach einer Station sagt: „Das<br />

war nichts für mich.“ Diese Chance wäre bei der Sparten-<br />

AnwBl 1 / 2006 31


MN Thema<br />

ausbildung verloren. Mit dem Einheitsjuristen haben wir<br />

eine gute Sache, die uns von vielen anderen Ausbildungsgängen<br />

unterscheidet. Wir sollten sie nicht ohne Not wegen<br />

des Massenproblems aufgeben.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist das heutige Ausbildungsmodell ein Luxussystem?<br />

Dr. Mattik: Ja.<br />

Dicke: Ein Luxussystem ... vielleicht insofern, als dass wir<br />

es uns leisten, allen diese zweijährige staatliche Ausbildung zu<br />

gewährleisten. Wir sollten es trotzdem nicht aufgeben.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Braucht die Justiz den Einheitsjuristen?<br />

Dicke: Die Frage stelle ich anders: Braucht eine gesunde<br />

Rechtspflege den Einheitsjuristen? Ich meine, dass unsere<br />

Gesellschaft nicht schlecht bedient ist mit ihm. Warum soll<br />

sie ihn dann aufgeben? Es geht nicht ausschließlich um die<br />

Frage, ob ein Verzicht für die Justiz Einsparungen ermöglichen<br />

könnte.<br />

Dr. Mattik: Die Justiz braucht den Einheitsjuristen nicht.<br />

Sie benötigt einen wissenschaftlich ausgebildeten Juristen,<br />

der nach dem Studium auf seine richterliche Tätigkeit vorbereitet<br />

wird – genau das, was die von der niedersächsischen<br />

Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann eingesetzte<br />

Expertenkommission 2004 gesagt hat: Wir müssen so<br />

etwas wie den Richterassistenten schaffen, der drei oder<br />

vier Jahre als Assistent in einem Spruchkörper ausgebildet<br />

wird – und nicht als junger Amtsrichter alleine den Rechtssuchenden<br />

gegenübertritt. Wenn wir diese Spartenausbildung<br />

für Richter hätten, wäre das für die Justiz ein großer<br />

Segen.<br />

Dicke: Was geschieht aber mit den Richteranwärtern, die<br />

nicht übernommen werden? Sie müssten dann in den Anwaltsberuf<br />

überwechseln dürfen. Wir müssten eine Durchlässigkeit<br />

schaffen – und zwar eine große Durchlässigkeit.<br />

Dann sind wir doch fast wieder bei dem Modell, das wir<br />

jetzt in der Ausbildung haben.<br />

Dr. Mattik: Das stimmt. Wer die Richterausbildung<br />

durchlaufen hat, muss sich um einen Platz bewerben. Neu ist<br />

aber, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die den Kandidaten<br />

zu einer frühen echten Berufsentscheidung zwingen<br />

– in Kenntnis aller Risiken und Chancen. Ideal wäre das System<br />

der Bucerius Law School. Die nehmen von 400 Abiturienten<br />

nur die 100 Besten. Das aber machen die Universitäten<br />

nicht. Das können sie auch nicht machen. Denn die<br />

Zuteilung der sachlichen und finanziellen Mittel für die Einzelfakultät<br />

hängt davon ab, wie viel Studienanfänger sie bekommt.<br />

So ist es nun mal. Wir reden von einem Numerus<br />

clausus und von den scharfen Zwischenprüfungen seit vielen<br />

Jahrzehnten. Und es passiert nichts. Das ist unser Problem:<br />

Die Spartenausbildung fängt zu einem Zeitpunkt an, wo alles<br />

schon gelaufen ist. Eine Reform des Studiums ist aber nicht<br />

möglich. Da lassen uns alle am ausgestreckten Arm verhungern<br />

– Universitäten und Gesetzgeber.<br />

Dicke: Dass der Gesetzgeber Sie so ganz am ausgestreckten<br />

Arm verhungern lässt, stelle ich in Abrede. So<br />

lässt sich die Zwischenprüfung durchaus effektiv gestalten,<br />

wie ich es in Rheinland-Pfalz sehe. Ich beobachte, dass die<br />

Fakultäten diesen Ansatz mittragen und in der Zwischenprüfung<br />

Maßstäbe setzen. Der eine oder andere Studierende<br />

wird sich künftig fragen, ob Jura das Richtige für ihn oder<br />

für sie war. Ob das die Masse ergreift, weiß ich nicht, wäre<br />

aber denkbar. Uns liegen noch keine verwertbaren Ergeb-<br />

32 AnwBl 1 / 2006<br />

nisse vor. Aber auch hier sollten wir abwarten – denn für<br />

das Studium greift die Reform von 2003 erst ab 2007.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Beim Einheitsjuristen haben wir einen<br />

Dissens ...<br />

Dr. Mattik: Um das klarzustellen: An dem wissenschaftlichen<br />

Studium der Universitätsausbildung wollen wir nichts<br />

ändern – da wollen auch wir die Einheitlichkeit der Ausbildung<br />

beibehalten.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: ... einig sind Sie sich, dass es ein Massenproblem<br />

gibt.<br />

Dicke: Zugegeben: Masse ist ein Problem. Ich bezweifele<br />

aber, dass das Problem dadurch gelöst wird, einfach<br />

weniger Studienabsolventen in die Anwaltsausbildung zu<br />

schicken. Die Studienabsolventen bleiben am Markt.<br />

Dr. Mattik: Frau Dicke, wenn Sie einräumen, dass das<br />

Massenproblem die Justiz genauso wie die Anwaltschaft<br />

drückt, dann muss ich sagen: Nicht nur den Mund spitzen,<br />

sondern auch pfeifen. Alle sagen, die Anwaltschaft hat ein<br />

Problem. Und alle Politiker sagen dem DAV, solange kein<br />

Dritter zuhört, eigentlich müssten wir etwas unternehmen.<br />

Aber es passiert eben doch nichts, es bleibt alles beim Alten.<br />

Der Zeitpunkt zum Handeln ist gekommen.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: Hätten Sie einen Therapievorschlag, Frau<br />

Dicke?<br />

Dicke: Ich schlage vor, dass wir ganz früh im Studium<br />

ansetzen, um für das Jurastudium ungeeignete Studenten herauszufiltern.<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>: – Wie sieht die Juristenausbildung in zehn<br />

Jahren aus?<br />

Dr. Mattik: In zehn Jahren haben wir die Spartenausbildung<br />

durchgesetzt. Es könnte sein, dass sie gerade erst begonnen<br />

hat, weil wir einen unglaublichen Vorlauf haben<br />

werden. Aber in zehn Jahren wird es die Spartenausbildung<br />

geben. Da bin ich ganz sicher.<br />

Dicke: Ich vertraue darauf, dass wir in zehn Jahren noch<br />

ähnlich ausbilden wie bisher – natürlich mit den notwendigen<br />

Neuerungen. Wir müssen am Ball bleiben, wie bei der<br />

letzten Reform 2003. Als wir feststellten, dass die Absolventen<br />

vor allem in die Anwaltschaft streben, haben wir die<br />

Ausbildung umgekrempelt und anwaltsnäher gemacht. Es<br />

wäre mir ein großes Anliegen, erst einmal ein paar Durchgänge<br />

abzuwarten und dann zu sehen, was aus der Reform<br />

geworden ist.<br />

Das Gespräch moderierte Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />

Berlin.<br />

Marliese Dicke, Mainz<br />

Die Präsidentin des rheinland-pfälzischen Landesprüfungsamtes<br />

für Juristen verteidigt den Einheitsjuristen<br />

klassischer Prägung, weil der Rechtsanwalt mit Staatsanwälten,<br />

Richtern und Verwaltungsjuristen auf Augenhöhe<br />

sein soll.<br />

Dr. Dierk Mattik, Berlin<br />

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins<br />

kämpft für eine eigenständige Anwaltsausbildung (Spartenausbildung),<br />

weil ein guter Jurist noch lange nicht ein guter<br />

Anwalt sein muss. Der Anwalt ist eben auch Unternehmer.


MNGastkommentar<br />

Den Begriff des Mangels kannte die<br />

Anwaltschaft über Jahrzehnte nur als<br />

Rechtsbegriff – als Abweichung von<br />

der Soll- zur Istbeschaffenheit einer<br />

verkauften Sache. Und beim Geldmangel<br />

trichterte man ihnen in den Schuldrechtsvorlesungen<br />

der ersten Semester<br />

gebetsmühlenartig immer wieder ein:<br />

Geld hat der Schuldner zu haben. Doch<br />

die im Juristenhimmel ausgedachte<br />

Lehre funktioniert auf dem harten Erdenboden<br />

nur noch bedingt. Der Grund:<br />

Den derzeit etwa 138.000 Berufsträgern<br />

droht nicht nur weitere Konkurrenz aus<br />

den eigenen Reihen. Nein, sie werden<br />

in absehbarer Zeit zusätzlich mit einem<br />

Mangel an Mandanten zu kämpfen haben.<br />

Glaubt man nämlich den Prognosen<br />

des Deutschen Anwaltvereins,<br />

dann gibt es in Deutschland im Jahr<br />

2012 über 180.000 Anwälte. Parallel<br />

wird das Verhältnis Einwohner zu Anwalt<br />

rapide absinken: Kamen 1992<br />

noch 1.253 Einwohner auf einen Anwalt,<br />

könnten es 2012 nur noch 458<br />

sein.<br />

Da dieses Szenario als sehr wahrscheinlich<br />

unterstellt werden und keine<br />

denkbare Gegenmaßnahme diese Entwicklung<br />

noch aufhalten kann, gilt es,<br />

der harten Realität ins Auge zu<br />

schauen. Und das heißt konkret: Die<br />

Anwaltschaft muss sich mit dem Mangel<br />

an Mandanten intensiv beschäftigen,<br />

um daraus Antworten für ihr eigenes<br />

Überleben zu finden. Nun wissen<br />

wir sowohl aus der Homöopathie als<br />

auch aus der klassischen Medizin, dass<br />

man Ähnliches mit Ähnlichem heilen<br />

kann. Wer nach dem Biss einer Klapperschlange<br />

weiter leben möchte, der<br />

muss sich innerhalb weniger Stunden<br />

ein Gegenserum beschaffen – ein Ge-<br />

Aus Mangel an<br />

Mandanten<br />

Marcus Creutz<br />

Freier Journalist<br />

gengift. Welch einfache und zugleich<br />

grandiose Erkenntnis – kaum zu glauben!<br />

Und tatsächlich: Weite Teile der<br />

Anwaltschaft scheinen an diesen Heilungssatz<br />

nicht zu glauben. Viele unter<br />

ihnen gleichen derzeit eher einem erstarrten<br />

Kaninchen, das jeden Moment<br />

den tödlichen Biss der Klapperschlange<br />

erwartet.<br />

Doch Erstarrung führt schnurstracks<br />

in das Verderben. Es gilt, jetzt<br />

mit Hochdruck ein Gegenserum zu entwickeln.<br />

Übersetzt heißt das: Den<br />

„Mandanten wünschen sich<br />

kaufmännisch denkende<br />

Anwälte“<br />

Mangel bei sich und bei den Mandanten<br />

genau anschauen und in sein Gegenteil<br />

transformieren. Wie das funktioniert,<br />

zeigen vor allem die<br />

Großkanzleien. Die erfolgreichsten<br />

Geschäftsmodelle aus den letzten Jahren<br />

resultieren vor allem aus einem<br />

starken Mangel auf Seiten der Mandanten.<br />

So etwa bei bestimmten Banken,<br />

die während der 90er Jahre im<br />

Immobiliensektor kräftig mitgemischt<br />

und sich dabei ebenso kräftig verspekuliert<br />

haben. Den Mangel in den Bilanzen<br />

haben findige Großkanzleien<br />

ausgemerzt. Sie zeigten sich äußerst<br />

kreativ, indem sie dafür sorgten, dass<br />

die Banker ihre faulen Kredite im<br />

Wege des Forderungsverkaufs auf einen<br />

Schlag wieder los wurden. Wie<br />

kann ich Steuern sparen, wie die Mitbestimmung<br />

vermeiden oder Staat und<br />

Gemeinden aus der Haushaltsmisere<br />

heraushelfen? Schwierige Fragen, auf<br />

die findige Anwälte aber immer wieder<br />

legale Antworten finden.<br />

Klar ist auch: Je stärker ein Mangel<br />

bzw. der daraus resultierende Leidensdruck<br />

auf Seiten des Mandanten ist,<br />

umso empfänglicher und aufgeschlossener<br />

wird er für Lösungsvorschläge<br />

sein. Und umso intensiver wird die Beziehung<br />

zwischen Anwalt und Mandant.<br />

Vielen Anwälten brechen dieser<br />

Tage die Umsätze auch deshalb weg,<br />

weil sie das Verhältnis zu ihren Klienten<br />

einfach nicht genug gepflegt haben.<br />

Auch diesen Mangel an Beziehungsfähigkeit<br />

gilt es genau anzuschauen!<br />

Einen weiteren eklatanten Mangel<br />

hat jüngst eine Befragung des Handelsblatts<br />

unter den 1.500 größten Unternehmen<br />

in Deutschland zu Tage gefördert:<br />

44 Prozent sind der Meinung, dass<br />

Anwälte immer noch zu juristisch und<br />

zu wenig kaufmännisch denken! Was<br />

wollen diese Mandanten damit eigentlich<br />

sagen? Was erwarten sie von einem<br />

modernen Anwalt? Ganz einfach: Dass<br />

er sie aus einer Mangelsituation herausführt<br />

und ihnen das Gegenstück – die<br />

Fülle – ins Leben holt. So einfach und<br />

brutal zugleich ist das! Denn diese Erwartungshaltung<br />

bedeutet letztendlich<br />

nichts anderes, als dass der Anwalt<br />

wahre Wunder vollbringen soll. Er<br />

muss zum Beispiel dort einspringen, wo<br />

gelernte Unternehmer selbst versagt haben<br />

– zum Beispiel im Insolvenzfall<br />

oder in Phasen, die kurz davor liegen.<br />

Statt aber nun den Mangel an unternehmerischen<br />

Fähigkeiten zu beheben,<br />

laufen die Anwälte in Fachanwaltslehrgänge<br />

– kaufmännische Denke werden<br />

sie aber auch dort nicht erlernen. Spezialisierung<br />

allein, das können wir jeden<br />

Samstag in der Sportschau verfolgen,<br />

ist noch lange kein Garant für<br />

Erfolg. Wie viele gelernte Stürmer werden<br />

dort gezeigt, die trotz bester Chancen<br />

das Tor nicht treffen, während andere<br />

Stürmerkollegen in schöner<br />

Regelmäßigkeit und scheinbar aus dem<br />

Nichts heraus Spiele zu ihren Gunsten<br />

entscheiden. Torinstinkt dort – unternehmerisches<br />

Gespür hier. Die gute<br />

Nachricht für die Anwaltschaft lautet:<br />

Die Zahl der Mandanten wird zwar rapide<br />

sinken, deren Probleme nehmen<br />

dafür aber gewaltig zu - Globalisierung,<br />

Überalterung der Gesellschaft und Zusammenbruch<br />

der Sozial- und Gesundheitssysteme<br />

sei Dank!<br />

AnwBl 1 / 2006 33


MNAus der Arbeit des DAV<br />

Aus der Arbeit des DAV<br />

34 DAV-Forum Justizreform verschoben<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn<br />

35 DAV-Werbekampagne für die Anwaltschaft<br />

startet im <strong>Januar</strong><br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />

36 DAV-Pressemitteilung:<br />

Spartenausbildung in der Juristenausbildung<br />

36 DAV-Pressemitteilung:<br />

500 Millionen Euro für das Rechtsreferendariat<br />

36 Forum Junge Anwaltschaft:<br />

Schwierige Zeiten sind für Überzeugungstäter<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

38 DAV-Pressemitteilung:<br />

Keine staatliche Anfechtung von Vaterschaften<br />

38 DAV-Pressemitteilung:<br />

Keine Verschärfung des Polizeigesetzes<br />

in Bayern<br />

38 DAV-Gesetzgebungsausschüsse:<br />

Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben<br />

39 Bayerischer Anwaltverband:<br />

Anstand in der Politik – Kampf gegen das<br />

Vergessen der NS-Zeit<br />

Rechtsanwalt Anton A. Mertl, Rosenheim<br />

39 Stichwort:<br />

Max-Friedlaender-Preis<br />

40 Berliner Anwaltverein:<br />

Anwaltsausbildung in Europa<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, Berlin<br />

40 Berliner Anwaltverein:<br />

„Wer nicht genießen kann, wird ungenießbar“<br />

Rechtsanwalt Carsten Langenfeld, Berlin<br />

41 DAV und Menschenrechte:<br />

ABA schickt Prozessbeobachter<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, Berlin<br />

41 AG Handels- und Gesellschaftsrecht:<br />

Neue Arbeitsgemeinschaft gegründet<br />

Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />

42 AG Strafrecht:<br />

Chancen und Risiken strafprozessualer<br />

Reformen<br />

Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />

43 AG Steuerrecht:<br />

12. Steueranwaltstag in Berlin<br />

Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz<br />

44 AG Sozialrecht:<br />

Barrierefreier Zugang zum Sozialrecht<br />

44 AG Erbrecht:<br />

Mitgliederversammlung<br />

45 ARGE Baurecht:<br />

Mitgliederversammlung<br />

45 AG Insolvenzrecht und Sanierung:<br />

Mitgliederversammlung<br />

45 Personalien<br />

34 AnwBl 1 / 2006<br />

DAV-Aktuell<br />

DAV-Forum Justizreform<br />

verschoben<br />

Zurückhaltende Beschlüsse der<br />

Justizministerkonferenz<br />

Der DAV hat das im Dezemberheft des<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>s für den 1./2. Februar<br />

2006 angekündigte DAV-Forum Justizreform<br />

auf unbestimmte Zeit verschoben.<br />

Der Vorsitzende des DAV-Ausschusses<br />

Justizreform, Rechsanwalt<br />

Felix Busse, erläutert die Gründe.<br />

Die Entscheidung wird auf den ersten<br />

Blick verwundern. Denn das<br />

Thema „Große Justizreform“ hat für<br />

den DAV keineswegs an Bedeutung<br />

verloren. Die noch auf der Justizministerkonferenz<br />

vom Juni 2005 verkündeten<br />

Pläne müssen die Anwaltschaft<br />

alarmieren. Das gilt insbesondere für<br />

die hinter dem Zauberwort „Einführung<br />

der funktionalen Zweigliedrigkeit“<br />

versteckte Absicht tief greifender<br />

Eingriffe in das Rechtsmittelrecht, insbesondere<br />

das Recht der Berufung.<br />

Die Berufung als zweite Tatsacheninstanz<br />

wird in Frage gestellt, der Zugang<br />

zur Berufungsinstanz soll in allen<br />

Prozessordnungen an die Zulassung<br />

der Berufung durch das Rechtsmittelgericht<br />

gebunden werden. Die Steuerung<br />

der Arbeitsbelastung der Justiz<br />

durch eine restriktive „Politik“ der Berufungszulassung,<br />

eine Pervertierung<br />

des immer mehr nur noch in Sonntagsreden<br />

hochgehaltenen Rechtsstaates,<br />

wird ernsthaft erwogen. Der Rechtsschutz<br />

des Bürgers gegen fehlerhafte<br />

Gerichtsentscheidungen würde durch<br />

solche Schritte ausgehöhlt, effektiver<br />

Rechtsschutz auf dem Altar staatlicher<br />

Finanznöte geopfert. Dabei wendet unser<br />

Staat schon heute so wenig für die<br />

Rechtspflege auf, dass das Wort<br />

„Rechtsstaat“ immer weniger passt.<br />

Hinzu kommt die fehlende Schlüssigkeit<br />

der Vorschläge für die damit angestrebten<br />

Ziele der Entlastung, der Effektivitätssteigerung<br />

und der<br />

Freisetzung von Mitteln. Darüber sind<br />

sich weite Kreise der Praxis, nicht nur<br />

der Anwaltschaft einig. Ebenso würde<br />

die seinerzeit geäußerte Absicht der<br />

Justizministerkonferenz, die Regelung<br />

einvernehmlicher Scheidungen oder<br />

die Schaffung der Voraussetzungen dafür<br />

den Notaren zu übertragen, die<br />

Haushaltsnöte des Staates nicht lindern,<br />

dafür aber unweigerlich eine Be-<br />

nachteiligung der sozial und finanziell<br />

schwächeren Seite mit sich bringen.<br />

Auch hierzu könnte die Anwaltschaft<br />

ihre Hand nicht reichen.<br />

Warum dann aber die Absage des<br />

Forums Justizreform? Weil die Justizministerkonferenz<br />

am 17.11.2005 die<br />

oben genannten tiefen Einschnitte jedenfalls<br />

im Moment nicht weiterverfolgt<br />

hat. Sie hat sich nur für eine<br />

partielle Verlagerung gerichtlicher Tätigkeiten<br />

in Nachlasssachen auf die<br />

Notare ausgesprochen. Dies ist eine<br />

Aufgabenübertragung, die auch der<br />

DAV-Ausschuss Justizreform in seiner<br />

Stellungnahme vom Mai 2005 für erwägenswert<br />

gehalten hat. Eine Aufgabenverlagerung<br />

im Bereich einverständlicher<br />

Scheidungen hat die<br />

Justizministerkonferenz fallengelassen.<br />

Aus dem Strauß der Vorschläge zu einer<br />

großen Justizreform hat sie nur<br />

noch die Einführung einer erstinstanzlichen<br />

Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />

empfohlen und dies auf aktienrechtliche<br />

Streitigkeiten<br />

beschränkt. Dafür hatten sich der Handelsrechtsausschuss<br />

und der Ausschuss<br />

Justizreform des DAV jedenfalls für<br />

den Bereich der Spruchverfahren bereits<br />

ausgesprochen. In dieser Situation<br />

gilt es abzuwarten, ob und mit welchem<br />

Inhalt die im November nicht behandelten<br />

Themen der Justizreform,<br />

die angesichts ihrer Bedeutung in den<br />

Mittelpunkt des DAV-Forums gestellt<br />

werden sollten, auf der politischen<br />

Bühne weiterverfolgt werden oder ob<br />

die ablehnenden Stellungnahmen von<br />

DAV, BRAK, Richterbund und anderen<br />

doch schon Wirkung gezeigt haben.<br />

Der DAV bleibt auf der Hut<br />

Allerdings müssen wir auf der Hut<br />

sein. Abschnitt 2.4 der Koalitionsvereinbarung<br />

lässt offen, wohin die Reise<br />

geht. Keiner der früheren Vorschläge<br />

der Justizministerkonferenz wurde ausdrücklich<br />

fallen gelassen. Sobald die<br />

Politik hierzu konkrete Vorschläge vorlegt,<br />

denen die Anwaltschaft im Interesse<br />

der Bürger, aber auch im eigenen<br />

Interesse entgegentreten muss, wird<br />

der DAV sich mit den dann zur Diskussion<br />

stehenden Vorschlägen kritisch<br />

auseinandersetzen, erforderlichenfalls<br />

die Stellungnahmen seiner Ausschüsse<br />

ergänzen und gegebenenfalls kurzfristig<br />

ein DAV-Forum Justizreform einberufen.<br />

Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Werbekampagne für die<br />

Anwaltschaft startet im <strong>Januar</strong><br />

Ganzseitige Anzeigen in Publikumszeitschriften<br />

„Endlich geht’s los“. Dieser Satz beschreibt<br />

anschaulich den Start der<br />

vom DAV initiierten Werbekampagne<br />

der deutschen Anwaltschaft in diesem<br />

Monat. Wie bereits im November-Heft<br />

des <strong>Anwaltsblatt</strong>s (Seite 689 ff.), beschrieben,<br />

mündet die lange Planungs-<br />

und Entscheidungsphase nun<br />

endlich in den Kampagnenstart.<br />

„Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser“<br />

Unter diesem Slogan startet erstmals<br />

eine bundesweite Werbekampagne für<br />

die deutsche Anwaltschaft. Ziel der<br />

Kampagne ist nicht bloß die Imagesteigerung<br />

der anwaltlichen Dienstleistungen<br />

im Allgemeinen, sondern auch die<br />

Sicherung des Rechtsberatungsmarktes<br />

für die Anwaltschaft.<br />

Die zunächst auf zwei Jahre angelegte<br />

Kampagne wird im Jahr 2006 im<br />

An diesem Design-Beispiel ist zu erkennen, dass sich die<br />

schwarz-/weiß-Gebung des Bildmotivs in dem vielfarbigen<br />

Werbeumfeld wohltuend abhebt. Im nächsten Heft des <strong>Anwaltsblatt</strong>es<br />

wird über die veröffentlichten Motive berichtet.<br />

wesentlichen mit zwei sogenannten<br />

Flights durchgeführt. Die erste Phase<br />

beginnt Mitte <strong>Januar</strong> und läuft bis<br />

Ende März. In zwei Zeitschriften soll<br />

im April und Mai weiter geworben<br />

werden. Auf Grund der Fußballweltmeisterschaft<br />

wird im Sommer pausiert.<br />

Der zweite Flight läuft von Mitte<br />

September bis Ende November.<br />

Definition der Zielgruppe<br />

Bei der Mediaauswahl war es notwendig,<br />

die Zielgruppe zunächst zu<br />

definieren, die man erreichen möchte.<br />

Dies sind im wesentlichen die<br />

Entscheider kleiner und mittlerer Unternehmen,<br />

also der klassische Mittelstand,<br />

die geschäftsführenden Gesellschafter,<br />

sowie Angestellte, Arbeiter,<br />

Beamte mit einem Haushaltsnettoeinkommen<br />

von 2.000 bis 5.000 Euro.<br />

Um in dieser Zielgruppe<br />

eine große<br />

Reichweite zu erreichen,<br />

ist eine Anzeigenwerbung<br />

in Publikumszeitschriften,<br />

Wirtschaftspresse und<br />

überregionalen Zeitungen<br />

notwendig.<br />

Mediaauswahl<br />

Geworben wird<br />

mit ganzseitigen Anzeigen<br />

im redaktionellen<br />

Teil von Focus,<br />

Der Spiegel, Stern,<br />

Handwerk-Magazin<br />

und Impulse. Hinzu<br />

kommen seitenteilige<br />

Anzeigen in Anzeigenteilen<br />

der Welt am<br />

Sonntag/Welt, der<br />

FAZ, der Zeit, Bild<br />

am Sonntag und der<br />

Süddeutschen Zeitung.<br />

Dies ist das Ergebnis<br />

der Analyse<br />

der beauftragten Mediaagentur,<br />

wie man<br />

die Zielgruppen weitestgehend<br />

erreicht.<br />

In den Publikumszeitschriften<br />

werden<br />

die Anzeigen zwi-<br />

schen sechs und zwölf Mal pro Titel<br />

erscheinen. Bezüglich der Seitenteilanzeigen<br />

ist eine sechsmalige Belegung<br />

im Jahr pro Titel vorgesehen. Für andere<br />

Werbung neben der Anzeigenwerbung<br />

besteht mit den vorliegenden begrenzten<br />

Mitteln kein Raum.<br />

Kreativkonzept<br />

Die beauftragte Agentur Goldfisch<br />

Berlin, die die Kreation der Kampagne<br />

entwickelt hat, fand die Zustimmung<br />

in den örtlichen Anwaltvereinen und<br />

insbesondere der außerordentlichen<br />

Mitgliederversammlung des DAV am<br />

30. September 2005 in Berlin. Dort<br />

wurde die Durchführung der Kampagne<br />

unter der finanziellen Beteiligung<br />

der Mitgliedschaft beschlossen.<br />

Pro Jahr erhebt der DAV pro beitragspflichtigem<br />

Mitglied bei den örtlichen<br />

Anwaltvereinen einen Betrag von<br />

30 Euro, da die zur Verfügung gestellten<br />

Eigenmittel in Höhe von 1,1 Millionen<br />

Euro nicht ausreichen, um diese<br />

Kampagne zu finanzieren. Somit steht<br />

ein jährliches Budget von 2,2 Millionen<br />

Euro zur Verfügung.<br />

Die ganzseitigen Anzeigen in den<br />

Publikumszeitschriften sind so ausgelegt,<br />

dass der Slogan „Vertrauen ist<br />

gut. Anwalt ist besser“ mit Hilfe einer<br />

einleuchtenden Überschrift und des<br />

dazu passenden Motivs transportiert<br />

wird. Die relevanten Aussagen sind mit<br />

einer Begründung versehen, warum es<br />

sinnvoll ist, eine Anwältin bzw. einen<br />

Anwalt zu Rate zu ziehen. Der Vorteil<br />

des Slogans liegt in seiner Merkfähigkeit.<br />

Er fasst in einem Satz ein ganzes<br />

Akquisegespräch zusammen.<br />

Die Themen und die Motive sollen<br />

sympathisch und pfiffig sein und auf<br />

intelligente Weise die Zielgruppe ansprechen.<br />

Die kleineren, lediglich mit<br />

Text arbeitenden Anzeigen werden themenbezogen<br />

in die jeweiligen Rubriken<br />

der überregionalen Tageszeitungen<br />

platziert.<br />

Einbindung der Anwaltschaft<br />

Nach dem Start der Kampagne erhalten<br />

die Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine<br />

die Möglichkeit, von der<br />

Dachkampagne zu profitieren. Dafür<br />

werden spezielle Anzeigenpools entwickelt,<br />

aus denen sich die Mitgliedschaft<br />

bedienen kann. Informationen<br />

darüber wird es in der DAV-Depesche<br />

und insbesondere im März-Heft des<br />

<strong>Anwaltsblatt</strong>es geben.<br />

Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />

Berlin<br />

AnwBl 1 / 2006 35


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

Spartenausbildung in der<br />

Juristenausbildung<br />

Justizministerkonferenz will ein Diskussionsmodell<br />

entwickeln<br />

Auf ihrer Herbstkonferenz im November<br />

2005 haben die Justizministerinnen<br />

und Justizminister den zuständigen<br />

Fachausschuss beauftragt, ein<br />

Diskussionsmodell eines Spartenvorbereitungsdienstes<br />

zu entwickeln und<br />

der Konferenz zur Beratung vorzulegen.<br />

Der Deutsche Anwaltverein begrüßt<br />

diese Entscheidung ausdrücklich.<br />

Er fordert seit langem die Spartenausbildung,<br />

um so eine echte Ausbildung<br />

zu gewährleisten. Der DAV wird einen<br />

Gesetzentwurf zur Spartenausbildung<br />

erarbeiten und alsbald vorlegen.<br />

„Endlich nimmt die Politik die Reformnotwendigkeit<br />

bei der Anwaltsausbildung<br />

zur Kenntnis und tut den<br />

ersten Schritt zur notwendigen Reform<br />

zu einer Spartenausbildung. Die Anwaltschaft<br />

braucht die Spartenausbildung<br />

als echte Anwaltsausbildung, das<br />

heißt, eine Ausbildung, die auf den<br />

Anwaltsberuf tatsächlich vorbereitet“,<br />

so der Präsident des DAV, Rechtsanwalt<br />

Hartmut Kilger. Es sei erfreulich, dass<br />

die vergangenen intensiven Diskussionen<br />

mit den Justizministerinnen und<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

500 Millionen Euro für<br />

das Rechtsreferendariat<br />

– zuviel Geld<br />

Der Deutsche Anwaltverein hat<br />

anlässlich der Herbstkonferenz der<br />

Justizministerinnen und Justizminister<br />

der Länder (JuMiKo) im November<br />

2005 darauf hingewiesen, dass<br />

die öffentliche Hand bei der Referendarausbildung<br />

jährlich rund 500<br />

Millionen Euro verschwende. Dieser<br />

Betrag werde benötigt, um 7.500 bis<br />

8.000 Absolventen für den Richterdienst<br />

auszubilden, die aber tatsächlich<br />

Anwalt werden.<br />

In jedem Jahr drängten ca.<br />

10.000 Absolventen, die die Befähigung<br />

zum „Richteramt“ erhalten haben,<br />

auf den Markt. Nur vier Prozent<br />

36 AnwBl 1 / 2006<br />

Justizministern dazu geführt haben,<br />

nun den Weg frei zu machen, dass die<br />

Anwaltschaft ihren Nachwuchs selbst<br />

ausbilden kann. Es sei notwendig, dass<br />

endlich diejenigen, die tatsächlich Anwalt<br />

werden, auch zum Anwalt ausgebildet<br />

werden.<br />

„Wir werden diesen Diskussionsprozess<br />

dadurch fördern, dass wir das<br />

bereits von uns vorgelegte Modell der<br />

Spartenausbildung in einem Gesetzentwurf<br />

umsetzen. Wir gehen davon aus,<br />

dass die Arbeiten noch im nächsten<br />

Jahr abgeschlossen werden können“,<br />

so Kilger weiter. Wir hoffen dadurch,<br />

die Diskussions- und Klärungsprozesse<br />

beschleunigen zu können, so dass man<br />

noch vor dem von der Justizministerkonferenz<br />

avisierten Jahr 2008 zu einer<br />

Regelung komme.<br />

Bei dem Spartenmodell wird derjenige,<br />

der nach einem erfolgreich abgeschlossenen<br />

Jura-Studium sich für den<br />

Anwaltsberuf entscheidet, in einer<br />

zweijährigen Anwaltsausbildung intensiv<br />

auf den Beruf des Anwalts vorbereitet.<br />

Der DAV erhebt seit mehreren<br />

Jahren die Forderung, dass die Anwaltschaft<br />

den eigenen Nachwuchs selbst<br />

ausbilden kann.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. 45/05<br />

Die Spartenausbildung für Anwälte<br />

stellt DAV-Präsident Hartmut Kilger in<br />

diesem Heft im Spitzenaufsatz ausführlich<br />

vor.<br />

dieser Absolventen würden in den<br />

Richterdienst aufgenommen. Der<br />

größte Teil ginge in den Anwaltsberuf,<br />

ohne hierfür richtig ausgebildet<br />

zu sein. Dazu DAV-Präsident<br />

Hartmut Kilger: „Die ungeheuere<br />

Summe von 500 Millionen Euro<br />

wird damit an den Bedürfnissen des<br />

Marktes vorbei investiert. Eine solche<br />

Summe für etwa nur 400 Personen<br />

pro Jahr, die den tatsächlich<br />

ausgebildeten Beruf des Richters ergreifen,<br />

ist angesichts des Sparzwangs<br />

der öffentlichen Haushalte<br />

nicht gerechtfertigt.“<br />

Der Rest der Referendare wird,<br />

was die Berufsvorbereitung angeht,<br />

allein gelassen. Die Ausbildungsstation<br />

in einer Anwaltskanzlei wird<br />

nach wie vor von fast allen für die<br />

Vorbereitung auf das anschließende<br />

Klausurenexamen genutzt.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 43/05<br />

Forum Junge Anwaltschaft<br />

Schwierige Zeiten sind<br />

für anwaltliche<br />

Überzeugungstäter<br />

XXIII. Forum „Erfolgreicher<br />

Einstieg in den Anwaltsberuf“<br />

Der Anwaltsmarkt gilt als überfüllt –<br />

und doch wird der Markt täglich neu<br />

verteilt. Der Präsident des Deutschen<br />

Anwaltvereins Hartmut Kilger machte<br />

den zukünftigen Kollegen Mut. Rund<br />

300 Referendare, Assessoren und<br />

Junganwälte trafen sich Mitte Oktober<br />

in Gelsenkirchen beim XXIII. Forum<br />

„Erfolgreicher Einstieg in den Anwaltsberuf“.<br />

Der Seminar-Dauerbrenner<br />

– veranstaltet vom Verein Deutsche<br />

Anwaltakademie e.V. – zeigte:<br />

Dieser Nachwuchs kann es packen.<br />

Erstmals fand in den Tagen vor dem<br />

Forum ein Präsenzseminar für rund<br />

50 Referendare der DAV-Anwaltausbildung<br />

statt.<br />

Das Forum „Erfolgreicher Einstieg<br />

in den Anwaltsberuf“ ist mehr als ein<br />

Existenzgründerseminar. Es ist auch<br />

Ideenbörse, Kontakthof und ein Ort für<br />

die Aktiven. Die Wege in die Anwaltschaft<br />

sind so vielfältig wie die Anwaltschaft.<br />

Zwei Erfahrungsberichte –<br />

von einem jungen Kanzleigründer und<br />

einer Kanzleigründerin – machten das<br />

deutlich. Nur eines eint die jungen Anwälte:<br />

Immer weniger können zunächst<br />

Anwaltserfahrung als angestellte<br />

Anwälte oder freie Mitarbeiter<br />

sammeln. Immer mehr gründen mit der<br />

Zulassung die eigene Kanzlei.<br />

Vorstand einer Ich-AG<br />

„Ich bin der alleinige Vorstand meiner<br />

Ich-AG.“ So stellt sich Thomas<br />

Hentschel vor, seit eineinhalb Jahren<br />

Rechtsanwalt in Bonn. Er setzt schon<br />

seit dem Referendariat auf Spezialisierung.<br />

Der 30jährige konzentriert sich<br />

auf das Sozialrecht und strebt den<br />

Fachanwalt an. Sein Glück: Er arbeitet<br />

in Bürogemeinschaft mit einer erfahrenen<br />

Fachanwältin für Sozialrecht. „Ich<br />

habe eine Kollegin, die ich fragen<br />

kann“, sagt Hentschel. Und hin und<br />

wieder fällt auch ein Mandat ab. Sein<br />

Appell an die gestandenen Anwälte:<br />

„Geben Sie uns eine Chance – beide<br />

Seiten können profitieren, die jungen<br />

Kollegen bringen frischen Wind in die<br />

Kanzlei.“


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Nicht auf Spezialisierung, sondern<br />

auf Mandantennähe und Kostenmanagement<br />

setzt Ursula von Unger. Ihre<br />

Kanzlei hat sie in ihrer Heimatstadt<br />

Lohmar gegründet. Das Kanzleikonzept<br />

entwickelt sie langsam. Sie<br />

schaut, was der Markt an Mandaten<br />

hergibt. Dazu gehört Familienrecht,<br />

aber auch Bau- und Mietrecht. Die<br />

Kosten sind gering, weil sie – noch –<br />

von zu Hause arbeitet. Aus dieser<br />

Schwäche hat sie längst eine Stärke gemacht.<br />

„Ich gehe zum Mandanten hin“,<br />

sagt von Unger. Die Mandanten schätzen<br />

das. „Nur zur Kummerkasten-<br />

Tante dürfen sie nicht werden“, sagt<br />

sie.<br />

Einstieg DAV-Anwaltausbildung<br />

Den Trend zur Kanzleigründung<br />

aus Not bestätigt Rechtsanwalt Martin<br />

Lang, Vorsitzender des Forums Junge<br />

Anwaltschaft im DAV. „Die jungen<br />

Renate Kuchler<br />

(28) ist seit Juni<br />

2004 Rechtsanwältin<br />

und absolviert<br />

trotzdem die DAV-<br />

Anwaltausbildung.<br />

Ihr Motto: Von der<br />

Pike auf lernen.<br />

DAV-Anwaltreferendar<br />

Malte Beuster<br />

(27) nahm am Forum<br />

„Erfolgreicher<br />

Einstieg in den Anwaltsberuf“<br />

und<br />

am Präsenzseminar<br />

der DAV-Anwaltausbildung<br />

teil.<br />

Diskutierten über Kanzleikonzepte:<br />

Maureen Görg (Bochum, 29, rechts),<br />

Nadja Schimmel (Dortmund, 27) und<br />

Marc Claudius Grupp (Essen, 30) werden<br />

– so sah es zum Zeitpunkt des Forums<br />

aus – eigene Kanzleien gründen. Ein Berufsstart<br />

in etablierten Kanzleien wird für<br />

viele Absolventen des zweiten Examens<br />

immer schwieriger.<br />

Berichteten über ihre unterschiedlichen<br />

Erfahrungen mit der Gründung der<br />

eigenen Kanzlei: Rechtsanwalt Thomas<br />

Hentschel aus Bonn und Rechtsanwältin<br />

Ursula von Unger aus Lohmar.<br />

Kolleginnen und Kollegen wünschen<br />

sich keinen Start als Einzelanwalt, sondern<br />

suchen eine professionelle Ausbildung<br />

als angestellter Anwalt, freier<br />

Mitarbeiter oder in einer Bürogemeinschaft“,<br />

sagt Lang. Wer gleichwohl den<br />

Schritt in die Selbstständigkeit wage,<br />

sei jedoch meist besonders motiviert<br />

und kreativ. „Die eigene Lage wird –<br />

ohne verzagt zu sein – realistisch eingeschätzt“,<br />

sagt Lang.<br />

Dass die DAV-Anwaltausbildung<br />

auf den Anwaltsberuf vorbereitet,<br />

zeigten die DAV-Anwaltreferendare in<br />

Gelsenkirchen. Rund 50 hatten sich in<br />

den Tagen vor dem Forum zum Erfahrungsaustausch<br />

getroffen und nahmen<br />

geschlossen am Forum teil.<br />

„Die DAV-Anwaltausbildung kann<br />

ich weiter empfehlen“, sagt DAV-A nwaltreferendar<br />

Malte Beuster (Berlin,<br />

27). Er arbeite inzwischen sehr selbstständig,<br />

werde gleichwohl aber überwacht.<br />

Seit <strong>Januar</strong> 2005 ist Beuster Referendar<br />

in einer 4er-Kanzlei, die sich<br />

im Zivil-, Versicherungs- und Unternehmensrecht<br />

auf kleine und mittelständische<br />

Unternehmen spezialisiert<br />

hat. Er will noch einen Abschluss als<br />

Diplom-Kaufmann draufsatteln – und<br />

sich mittelfristig selbstständig machen.<br />

Schon Mitten im Beruf steht Renate<br />

Kuchler (Vilsbiburg, 28). Sie ist seit<br />

Juni 2004 Rechtsanwältin, absolviert<br />

die DAV-Anwaltausbildung und ist in<br />

einer Kanzlei angestellt – und damit<br />

die Ausnahme von der Regel: „Ich<br />

lerne von der Pike auf.“ Nach dem<br />

zweiten Examen hätte sie sich die<br />

Kanzleigründung nicht zugetraut.<br />

„Heute kann ich mir das vorstellen“,<br />

so Kuchler.<br />

Die Jungen lernen von den Alten<br />

Der Erfolg des Forums liegt aber<br />

nicht nur in seinen engagierten Teilnehmern.<br />

Ganz wesentlich gehören dazu<br />

auch die Vorträge der arrivierten An-<br />

Begrüßten den Nachwuchs: Die Rechtsanwälte<br />

Hartmut Kilger (DAV-Präsident,<br />

M.), Martin Lang (Forum Junge Anwaltschaft,<br />

l.) und Jürgen Widder (Vorstand<br />

des Vereins Deutsche Anwaltakademie).<br />

wälte. Sie machten dem Nachwuchs<br />

Mut, zeigten ihm aber seine Grenzen<br />

auf. „Begreifen Sie Ihren eigenen Fall<br />

auch als juristischen, der sich mit juristischer<br />

Arbeit lösen lässt“, empfahl<br />

Rechtsanwalt Hartmut Kilger. Die sozialrechtlichen<br />

Klippen von Arbeitsverträgen<br />

und freier Mitarbeit erläuterte<br />

er und führte in das System der<br />

Versorgungswerke ein.<br />

Über Honorar und Haftung sprach<br />

Rechtsanwältin Edith Kindermann. Sie<br />

warnte vor allem davor, Scheinsozius<br />

zu werden: „Wer aufs Briefpapier geht,<br />

geht voll in die Haftung.“ Umlagert<br />

war am Ende seines Vortrags zum Berufsrecht<br />

Rechtsanwalt Dr. Michael<br />

Kleine-Cosack, geduldig beantwortete<br />

er auch die letzte berufsrechtliche<br />

Frage. Über das Kanzleimarketing<br />

sprach Rechtsanwalt Axel Thoenneßen,<br />

der selbst lange im Forum Junge<br />

Anwaltschaft aktiv war.<br />

Die Notwendigkeit strategischer<br />

Planung betonte Rechtsanwalt Wolfgang<br />

Schwackenberg. „Es ist ein verdrängender<br />

Markt und er wird sich<br />

weiter verschlechtern“, warnte er. Das<br />

gelte auch für etablierte Kanzleien. Zu<br />

den jungen Anwältinnen und Anwälten<br />

sagte er: „Sie sind es, die uns vom<br />

Markt jagen.“ Die Größe einer Kanzlei<br />

und das Alter des Anwalts seien kein<br />

Thema mehr. Es gebe – gerade weil<br />

die großen Kanzleien noch größer geworden<br />

seien – noch immer viele Nischen.<br />

DAV-Präsident Kilger zog sein<br />

ganz persönliches Fazit: „Wir sind<br />

stolz auf diesen Nachwuchs.“<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />

Berlin<br />

Das XXIV. Forum „Erfolgreicher Einstige<br />

in den Anwaltsberuf“ findet am 3./4.<br />

Februar 2006 in Timmendorf statt. Informationen<br />

erhalten sie über die Deutsche<br />

Anwaltakademie, Frank Ritter, Littenstr.<br />

11, 10179 Berlin, Tel.: 0 30/72 61 53-181,<br />

Fax: -188; ritter@ anwaltakademie.de.<br />

AnwBl 1 / 2006 37


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

Keine staatliche Anfechtung<br />

von Vaterschaften<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />

Asylrecht im Deutschen Anwaltverein<br />

wendet sich entschieden „gegen<br />

die Pläne der Bundesjustizministerin<br />

und der Justizministerkonferenz (Ju-<br />

MiKo) gegen vermeintlich missbräuchliche<br />

Vaterschaftsanerkennungen zu<br />

Zwecken der Erlangung „eines Aufenthaltstitels<br />

vorgehen zu können. Nach<br />

dem Willen der Justizminister soll den<br />

Behörden eine Einspruchsmöglichkeit<br />

gegen die Vaterschaftsanerkennung bei<br />

DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />

Stellungnahmen zu<br />

Gesetzesvorhaben<br />

Der Deutsche Anwaltverein begleitet<br />

aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />

auf nationaler als auch auf<br />

europäischer und internationaler<br />

Ebene. Stellungnahmen des DAV<br />

werden von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen<br />

erarbeitet.<br />

Das <strong>Anwaltsblatt</strong> weist regelmäßig<br />

auf wichtige Stellungnahmen hin.<br />

Alle Stellungnahmen finden sich unter<br />

www.anwaltverein.de/03/05/in<br />

dex.html.<br />

Familienrechtsausschuss<br />

9 Zwischenbericht der Justizministerkonferenz„Aufgabenübertragung<br />

auf Notare“<br />

Scheidungen werden wohl auch<br />

zukünftig eine Aufgabe für die Gerichte<br />

bleiben und nicht zur Aufgabe<br />

der Notare werden. Die Justizminister<br />

haben sich auf ihrer Herbstkonferenz<br />

am 17. November in Berlin<br />

mit dem Zwischenbericht der Bund-<br />

Länder-Arbeitsgruppe „Aufgabenübertragung<br />

auf Notare“ beschäftigt.<br />

Im Mittelpunkt der Beratungen<br />

stand die „kleine Lösung“. Der Vorschlag:<br />

Einverständliche Scheidungen<br />

sollen durch das Gericht im Beschlussverfahren<br />

durchgeführt<br />

werden. Die Scheidungsfolgen sollen<br />

durch notariellen Vertrag geregelt<br />

werden, dann würde ohne<br />

mündliche Verhandlung durch Beschluss<br />

geschieden. Der DAV hat allen<br />

Justizministern bereits am 2. No-<br />

38 AnwBl 1 / 2006<br />

nichtehelichen Kindern eröffnet werden.<br />

Als Begründung wird angeführt,<br />

dass das Instrument der Vaterschaftsanerkennung<br />

missbraucht werde, um<br />

rechtswidrig Aufenthaltstitel zu erlangen.<br />

„Wenn zwei Menschen entscheiden,<br />

gemeinsam Eltern eines Kindes zu<br />

sein, haben das staatliche Behörden zu<br />

akzeptieren“, sagt Rechtsanwältin Susanne<br />

Schröder, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />

Ausländer- und<br />

Asylrecht. Die Einspruchsmöglichkeit<br />

der Jugendämter gegen die Vaterschaftsanerkennung<br />

bei nichtehelichen<br />

Kindern sei im Jahre 1998 aus gutem<br />

Grund abgeschafft worden.<br />

vember 2005 die Stellungnahme<br />

zum Zwischenbericht übersandt.<br />

Der DAV lehnt durch seinen Familienrechtsausschuss<br />

die Übertragung<br />

der Ehescheidung auf Notare<br />

(„große Lösung“) ab. Er hat erklärt,<br />

dass die „kleine Lösung“ für die Justiz<br />

keine Vorteile hätte und für die<br />

Parteien des Scheidungsverfahrens<br />

ausschließlich mit Nachteilen verbunden<br />

wäre. Diese Nachteile würden<br />

als Bumerang auf die Justiz zurück<br />

fallen.<br />

Ausschuss Ausländer- und Asylrecht<br />

9 Erfordernis eine Bleiberechtsregelung<br />

für langjährig Geduldete<br />

Aus Anlass der Konferenz der Innenminister<br />

des Bundes und Länder<br />

im Dezember 2005 in Karlsruhe hat<br />

der DAV durch seinen Ausschuss Ausländer-<br />

und Asylrecht auf das Erfordernis<br />

einer „Bleiberechtsregelung“<br />

für die etwa 200.000 im Bundesgebiet<br />

lebenden geduldeten Ausländer hingewiesen.<br />

Die bisherigen Vorschläge<br />

werden als zu Eng abgelehnt.<br />

Strafrechtsausschuss und AG<br />

Strafrecht<br />

9 Gesetzentwurf zur Reform des<br />

strafprozessualen Ermittlungsverfahrens<br />

Der DAV hat durch seinen Strafrechtsausschuss<br />

und die Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht einen Initiativgesetzentwurf<br />

für eine Reform<br />

des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens<br />

vorgelegt. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

dokumentiert ihn in diesem<br />

Heft ab Seite 24.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 44/05<br />

DAV-Pressemitteilung<br />

Keine Verschärfung des<br />

Polizeigesetzes in Bayern<br />

Der von der Fraktion der CSU im<br />

Bayerischen Landtag eingebrachte<br />

Entwurf für ein polizeiliches Aufgabengesetz<br />

wurde am 9. November<br />

2005 im „Innenausschuss des Bayerischen<br />

Landtages beraten. Der Deutsche<br />

Anwaltverein (DAV) und der<br />

Bayerische Anwaltverband lehnen diesen<br />

Entwurf auf Grund seiner handwerklichen<br />

Mängel und wegen verfassungsrechtlicher<br />

Bedenken ab. Der<br />

Gesetzentwurf, der die Urteile des<br />

Bundesverfassungsgerichts zum Großen<br />

Lauschangriff und zur vorbeugenden<br />

Telefonüberwachung auf Landesebene<br />

umsetzen soll (Landtag Bayern,<br />

Drucksache 15/4097), ist ungeeignet<br />

und daher zurückzuziehen. Der DAV<br />

hatte diesen Gesetzentwurf bereits im<br />

März 2005 scharf kritisiert.<br />

„Auch der nun vorgelegte Änderungsantrag<br />

wird den verfassungsrechtlichen<br />

Anforderungen an Lauschangriffe<br />

gegen Telefon und Wohnung<br />

nicht gerecht“, sage Rechtsanwalt<br />

Hartmut Kilger, Präsident des DAV. Bereits<br />

der Straftatenkatalog, nach dem<br />

das Abhören in Wohnungen oder Telefongesprächen<br />

erlaubt sein soll, sei<br />

viel zu weitreichend. So seien auch<br />

Fahrlässigkeitsdelikte aufgeführt, gegen<br />

die mit den Mitteln des Polizeirechts<br />

gar nicht vorgegangen werden<br />

könne. „Fahrlässigkeitsdelikte sind<br />

aber nicht planbar“, erinnert Kilger.<br />

„In der jetzigen Form verstößt der<br />

Gesetzentwurf gegen die Vorgaben des<br />

Bundesverfassungsgerichts“, sagte<br />

Rechtsanwalt Anton Mertl, Präsident<br />

des Bayerischen Anwaltverbandes. Für<br />

die Telefonüberwachung würden Regelungen<br />

fehlen, nach denen die Abhörmaßnahmen<br />

sofort abgebrochen und<br />

die Aufzeichnung gelöscht werden<br />

müssen, wenn der Kernbereich privater<br />

Lebensführung von der Lauschaktion<br />

getroffen werde. Diese aus dem Urteil<br />

des Bundesverfassungsgerichtes notwendige<br />

Konsequenz setze der Entwurf<br />

nicht um. Der Bayerische Anwaltverband<br />

fordert daher, den<br />

Vorschlag für eine polizeirechtliche Telefonüberwachung<br />

endgültig zu stoppen.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 3905


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Bayerischer Anwaltverband<br />

Anstand in der Politik –<br />

Kampf gegen das<br />

Vergessen der NS-Zeit<br />

Max-Friedlaender-Preis an<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel verliehen<br />

Der Bayerische Anwaltverband verleiht<br />

jährlich im Herbst den Max-<br />

Friedlaender-Preis (siehe dazu das<br />

Stichwort). Über den Festakt zur diesjährigen<br />

Verleihung Ende Oktober in<br />

München berichtet der Präsident des<br />

Bayerischen Anwaltverbands:<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel bedankte sich.<br />

Die Eröffnung der Olympischen<br />

Sommerspiele in München und das Attentat<br />

auf die israelischen Olympiasportler,<br />

die Strafrechtsreform und das<br />

neue Familienrecht, die Entführung<br />

Hans Martin Schleyers und der Lufthansamaschine<br />

Landshut nach Mogadischu<br />

– Höhepunkte und Verzweiflung<br />

im rechtspolitischen Leben von<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel zeichnete der<br />

Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes<br />

Anton Mertl in seiner Laudatio<br />

des Preisträgers. Er rief den Festgästen<br />

in der Münchener Residenz einen Abriss<br />

der neuesten deutschen Geschichte<br />

– von den Schwabinger Krawallen<br />

1962 über die 68er Jahre, die Zeiten<br />

der RAF bis zur Wiedervereinigung –<br />

in Erinnerung.<br />

Wie aus dem „Who is who“ der<br />

bayerischen Justiz las sich die Gästeliste.<br />

Mertl konnte neben der Bayerischen<br />

Justizministerin Dr. Beate Merk<br />

und den Vertretern der Ministerialbürokratie,<br />

die Präsidenten der meisten<br />

bayerischen Oberlandesgerichte, Landgerichte<br />

und Amtsgerichte begrüßen.<br />

Die Anwaltschaft war durch den Präsidenten<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

Hartmut Kilger und den Hauptgeschäftsführer<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

Dr. Dierk Mattik, den Präsidenten<br />

der Rechtsanwaltskammer<br />

München mit Kolleginnen und Kollegen<br />

aus Präsidium und Vorstand und<br />

die meisten Vorsitzenden der bayerischen<br />

Anwaltvereine vertreten.<br />

Staatssekretär Prof. Dr. Hansjörg<br />

Geiger vom Bundesjustizministerium<br />

in Berlin hob die Verdienste von Dr.<br />

Vogel in der Rechtsentwicklung hervor.<br />

Die Bayerische Justizministerin<br />

Dr. Merk gratulierte dem Preisträger.<br />

In ihrem Grußwort strich sie Verantwortung<br />

der Politik für eine funktionierende<br />

Justiz heraus, die durch eine<br />

selbstverwaltete Anwaltschaft mitgetragen<br />

werden müsse. Sie wiederholte<br />

eindringlich ihre Forderung nach<br />

einer Spartenausbildung als Qualitätsvoraussetzung<br />

der künftigen Anwaltschaft<br />

und zur Eindämmung der Anwaltsschwemme.<br />

„Es ist nicht alles falsch, was Sie zu<br />

meinem Lobe gesagt haben,“ erwiderte<br />

launig der Preisträger und forderte in<br />

seiner Dankesrede auf zum Kampf ge-<br />

Dr. Hans-Jochen Vogel<br />

(M., links daneben seine<br />

Ehefrau) mit (v.l.n.r.) Anton<br />

A. Mertl (Präsident des<br />

Bayerischen Anwaltverbandes),<br />

Dr. Beate Merk<br />

(Bayerische Justizministerin),<br />

Prof. Dr. Hansjörg Geiger<br />

(damals Staatssekretär im<br />

Bundesjustizministerium),<br />

Hildegund Holzheid<br />

(Präsidentin des BayerischenVerfassungsgerichtshofes<br />

a.D.) sowie Hartmut<br />

Kilger (DAV-Präsident).<br />

Stichwort<br />

Max-Friedlaender-Preis<br />

Der Max-Friedlaender-Preis ist<br />

nach dem Mitbegründer und ersten<br />

Präsidenten des Bayerischen Anwaltverbandes<br />

benannt.<br />

Rechtsanwalt Dr. Max Friedlaender<br />

war Vorsitzender des Bayerischen<br />

Anwaltverbands von 1918 bis<br />

1933, von 1924 war er auch Vorstandsmitglied<br />

des Deutschen Anwaltvereins<br />

und von 1911 bis 1927<br />

Mitglied des Münchener Kammervorstandes.<br />

Er kämpfte für ein freies<br />

Anwaltsrecht, gegen die Einschränkung<br />

der Verfahrensrechte zur Vereinfachung<br />

der Rechtspflege und für<br />

die Ausdehnung anwaltlicher Tätigkeitsfelder.<br />

Aufgrund seiner jüdi-<br />

Der Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes<br />

Anton A. Mertl übergibt den<br />

Max-Friedlaender-Preis an Dr. Hans-Jochen<br />

Vogel, der unter anderem auch Bundesjustizminister<br />

gewesen ist.<br />

gen das Vergessen der Greuel der Nazidiktatur,<br />

zum Kampf für den Erhalt<br />

der Demokratie und zum Glauben und<br />

zum Optimismus an die Zukunft<br />

Deutschlands, das in den letzten 60<br />

Jahren mit ganz anderen Problemen<br />

fertig geworden sei.<br />

Rechtsanwalt Anton A. Mertl,<br />

Rosenheim<br />

schen Herkunft und seiner freiheitlichen<br />

Geisteshaltung wurde ihm im<br />

Dritten Reich die anwaltliche Zulassung<br />

entzogen. Im November 1938<br />

floh er nach England. Er wurde Ehrenmitglied<br />

des Deutschen Anwaltvereins,<br />

kehrte aber nicht mehr nach<br />

Deutschland zurück.<br />

Preisträger der vergangenen<br />

Jahre sind die Präsidentin des Bayerischen<br />

Verfassungsgerichtshofs Hildegund<br />

Holzheid, Prof. Dr. Medicus<br />

von der Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München, die Präsidentin<br />

des Bundesverfassungsgerichts,<br />

Prof. Dr. Jutta Limbach und (zuletzt<br />

2004) der Münchener Rechtsanwalt<br />

und Publizist Dr. Otto Gritschneder.<br />

Der Preis wird jährlich an Juristen<br />

verliehen, die sich in ihrer Profession<br />

besonders verdient gemacht<br />

und einen Bezug zu Bayern haben.<br />

AnwBl 1 / 2006 39


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Berliner Anwaltverein<br />

Anwaltsausbildung in<br />

Europa: Unterschiedliche<br />

nationale Wege<br />

5. Konferenz der Europäischen<br />

Rechtsanwaltschaften<br />

Im Rahmen der Internationalen Anwaltstage<br />

des Berliner Anwaltsverein<br />

diskutierten europäische und deutsche<br />

Rechtsanwälte Anfang November über<br />

die „Anwaltsausbildung in Europa –<br />

Auf dem Weg zum europäischen Anwalt?“.<br />

In kaum einem anderen Ausbildungsbereich<br />

sind die kulturellen Eigenheiten<br />

und die wachsenden Strukturen<br />

so unterschiedlich wie in den<br />

Justizsystemen der einzelnen europäischen<br />

Länder. Darauf wies Rechtsanwalt<br />

und Notar Ulrich Schellenberg<br />

als Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins<br />

hin. Aufgrund des Bologna-<br />

Prozesses sei die Frage der Ausbildung<br />

zum anwaltlichen Beruf in allen europäischen<br />

Ländern ein wichtiges<br />

Thema. Dies bestätigten der Staatssekretär<br />

bei der Senatsverwaltung für<br />

Justiz des Landes Berlin, Christoph<br />

Flügge, sowie der Staatssekretär im<br />

Ministerium der Justiz des Landes<br />

Brandenburg, Günter Reitz. Beide<br />

Länder verfügen über ein gemeinsames<br />

Justizprüfungsamt und traten als<br />

„Zwillinge“ bei dieser Veranstaltung<br />

auf. Flügge sprach sich explizit gegen<br />

die Abschaffung eines Einheitsjuristen<br />

aus.<br />

Die Diskussion eröffnete Rechtsanwalt<br />

Cord Brügmann, in der DAV-<br />

Geschäftsführung zuständig für das<br />

Thema „Aus- und Fortbildung“. beim<br />

DAV, führte in die Diskussion durch<br />

eine Darstellung der Anwaltausbildung<br />

in Deutschland ein. Er wies darauf hin,<br />

dass der Bologna-Prozess unumkehrbar<br />

sei und deshalb mitgestaltet werden<br />

solle. Es gehe um die Suche nach<br />

der besten Juristenausbildung und nicht<br />

um rein fiskalische Interessen. Das<br />

Konzept des Einheitsjuristen sei nicht<br />

mehr zeitgemäß.<br />

Spartenausbildung?<br />

Rechtsanwalt Dr. Gerhard Benn-Ibler<br />

erläuterte als Präsident des ÖsterreichischenRechtsanwaltskammertages,<br />

dass in Österreich diejenigen als<br />

Rechtsanwälte ausgebildet werden, die<br />

auch Rechtsanwälte werden wollen.<br />

40 AnwBl 1 / 2006<br />

Österreich kennt<br />

eine Spartenausbildung<br />

für Anwälte,<br />

berichtete Rechtsanwalt<br />

Dr. Gerhard<br />

Benn-Ibler (Präsident<br />

des ÖsterreichischenRechtsanwaltskammertages).<br />

In England<br />

und Wales wird<br />

Richter nur, wer<br />

Anwalt ist, so Barbara<br />

Dohmann<br />

(QC).<br />

Man sei mit dieser Spartenausbildung<br />

bisher sehr gut gefahren. Defizite bestünden<br />

eher in wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Fächern und in der sprachlichen<br />

Ausbildung. In England und<br />

Wales, so Barbara Dohmann (QC, Former<br />

Chairman of the Commercial Bar<br />

Association), werden alle als Rechtsanwälte<br />

ausgebildet. Richter werde nur<br />

der- oder diejenige, der anwaltlich Hervorragendes<br />

geleistet habe. Man könne<br />

im übrigen auch beide Berufe gleichzeitig<br />

ausüben. Rechtsanwalt Eckhard<br />

D. Mehring, Adcvocat, Amsterdam,<br />

berichtet aus den Niederlanden, dass<br />

dort eine Spezialisierung sehr früh<br />

stattfinde. Der Grundsatz sei „learning<br />

by doing“. Die eigentliche Berufswahl<br />

finde früh statt und sei ein erfolgreiches<br />

System. Rechtsanwalt Kay-Thomas<br />

Pohl, ehemaliger Präsident der<br />

Berliner Rechtsanwaltskammer und<br />

heutiger deutscher Delegationsleiter<br />

beim CCBE (Rat der Europäischen<br />

Anwaltschaften) hielt die Durchlässigkeit<br />

der Berufe in Deutschland für eine<br />

Illusion. Man werde entweder Anwalt<br />

oder Richter.<br />

Bachelor und Master?<br />

Kein einheitliches Bild gab die Diskussion<br />

bei der Frage, ob der Bachelor-<br />

Abschluss im juristischen Bereich berufsqualifizierend<br />

sein könne. Ulrich<br />

Hirt, Fürsprecher, Regional Secretary<br />

und National Vice-President, Coordinator<br />

of UIA, wies auf schlechten Erfahrungen<br />

in der Schweiz mit dem Bologna-Modell<br />

hin. Zögerlich war auch<br />

der Österreicher Dr. Benn-Ibler. Der<br />

Niederländer Mehring betonte, dass<br />

die Bachelors durchaus Berufschancen<br />

hätten. Mâitre Joe Lemmer, Präsident<br />

der European Lawyers Union (UAE),<br />

wies darauf hin, dass die Qualität der<br />

anwaltlichen Dienstleistung in der EU<br />

hoch gehalten werden müsse. Es gehe<br />

darum, den Mandanten zu schützen.<br />

Ihm müsse garantiert werden, dass er<br />

einen gut qualifizierten Rechtsanwalt<br />

erhalte.<br />

Fazit der Diskussion<br />

Die Diskussion zeigte, dass die jeweiligen<br />

Länder auf verschiedenen<br />

Traditionen gegründete wissenschaftliche<br />

und nachfolgende berufsqualifizierende<br />

Ausbildungen haben. Wichtig ist<br />

gegenseitiger Respekt vor den nationalen<br />

Ausbildungen. Deutlich wurde<br />

auch, dass einheitliche Berufsregelungen<br />

wichtig sind, damit sogenannte<br />

Kernpunkte wie die Unabhängigkeit<br />

des Anwalts, die Verschwiegenheitspflicht<br />

und das Verbot der Interessenkollision<br />

beachtet werden.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL. M., Berlin<br />

Der DAV unterstützt eine Anwaltausbildung<br />

im Ausland. Eine Liste mit<br />

ausländischen Anwälten, die zu einer<br />

Ausbildung in der Wahlstation bereit<br />

sind, gibt es beim Deutschen Anwaltverein<br />

(Tel. 030 / 72 61 52 – 147).<br />

Berliner Anwaltverein<br />

„Wer nicht genießen<br />

kann, wird ungenießbar“<br />

Der Berliner Anwaltsverein lud Anfang<br />

November wieder zu seinem Internationalen<br />

Berliner Anwaltsessen<br />

ein.<br />

„Wer nicht genießen kann, wird ungenießbar“,<br />

in Abwandlung der Maxime<br />

„Wer nicht gestaltet, wird gestaltet“<br />

brachte der Vorsitzende des<br />

Berliner Anwaltsvereins, Rechtsanwalt<br />

und Notar Ulrich Schellenberg in seiner<br />

Ansprache zum Internationalen<br />

Berliner Anwaltsessen am Anfang November<br />

2005 das Wesen des Abends<br />

auf den Punkt: unter den rund 250 anwesenden<br />

Gästen war sicherlich keiner,<br />

der sich den kulinarischen und rhetorischen<br />

Genüssen verschließen<br />

konnte oder wollte.


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

Der Vorsitzende des Berliner Anwaltsverein<br />

Ulrich Schellenberg (r.) mit Prof. Dr.<br />

Hansjörg Geiger (damals Staatssekretär<br />

im Bundesjustizministerium).<br />

Der Hauptredner des Abends Generalbundesanwalt<br />

Kay Nehm mit DAV-Vizepräsidentin<br />

Rechtsanwältin Verena Mittendorf.<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Raue (M.),<br />

Rechtsanwältin Dr. Lore-Maria Peschel-<br />

Gutzeit und Walter Momper (Präsident des<br />

Abgeordnetenhauses von Berlin).<br />

Dafür, sorgten im Festsaal des Berliner<br />

Hotel Palace nicht zuletzt mit ihren<br />

Ansprachen der Staatsekretär im<br />

Bundesjustizministerrum Prof. Dr.<br />

Hansjörg Geiger sowie die Justizministerin<br />

des Landes Brandenburg<br />

Beate Blechinger und die Justizsenatorin<br />

und Bürgermeisterin von Berlin<br />

Karin Schubert.<br />

So ernteten alle Reden großen Beifall<br />

aus dem Publikum, das sich aus<br />

Kolleginnen und Kollegen aus dem Inund<br />

Ausland, Richterinnen und Richtern<br />

aller Instanzen sowie bundesdeutschen<br />

und Berliner Spitzenpolitikerinnen<br />

und -politikern zusammensetzte.<br />

Den langanhaltendsten Beifall verdiente<br />

sich Generalbundesanwalt Kay<br />

Nehm, der als Hauptredner mit seiner<br />

charmanten und humorvollen Dinnerspeech<br />

zum Thema „Von Anwalt zu<br />

Anwalt“ den Höhepunkt des Abends<br />

setze.<br />

Rechtsanwalt Carsten Langenfeld,<br />

Berlin<br />

DAV und Menschenrechte<br />

ABA schickt<br />

Prozessbeobachter<br />

Der Deutsche Anwaltverein ist in vielen<br />

internationalen und europäischen<br />

Anwaltorganisationen aktiv und setzt<br />

sich auch dort für den Schutz der<br />

Menschenrechte ein. In einer Serie berichtet<br />

das <strong>Anwaltsblatt</strong> über die Aktivitäten<br />

dieser Anwaltorganisationen.<br />

In diesem Heft: Die ABA (American<br />

Bar Association). Sie ist mit über<br />

400.000 Mitgliedern die größte Anwaltorganisation<br />

mit freiwilliger Mitgliedschaft<br />

auf der Welt. Wie der DAV<br />

in Deutschland repräsentiert sie die<br />

Anwaltschaft und vertritt die Interessen<br />

ihrer Mitglieder. Der DAV wird<br />

bei den Jahreskongressen der ABA<br />

durch den Vizepräsidenten Dr. Hans<br />

Lühn vertreten.<br />

Bei der ABA besteht ein „Center<br />

for Human Rights“, das im Jahr 2001<br />

als Teil der ABA gegründet wurde, um<br />

sich mit dem Thema Menschenrechte<br />

zu befassen. Das Center arbeitet sowohl<br />

innerhalb als auch außerhalb der<br />

ABA. Ziel ist es unter anderem, die<br />

Öffentlichkeit über das Thema zu informieren.<br />

Das Center unterstützt das<br />

„Trial Observer Project“ der ABA, bei<br />

dem eine vom Präsidenten der ABA<br />

gewählte, qualifizierte Person in andere<br />

Länder fährt, um an Prozessen<br />

teilzunehmen und hierüber zu berichten.<br />

Außerdem nimmt das Center am<br />

„Rule of Law Letter Program“. Bei<br />

diesem Projekt werden Briefe an<br />

Staatsoberhäupte oder Repräsentanten<br />

in anderen Ländern geschrieben, um<br />

sie dazu zu bringen, gegen Menschenrechtsverletzungen<br />

in ihrem Staat vorzugehen<br />

bzw. gegen die Personen, die<br />

für solche verantwortlich sind.<br />

Darüber hinaus informiert das Center<br />

das „ABA House of Delegates“<br />

über menschenrechtsrelevante Themen<br />

und unterstützt außenstehende Organisationen,<br />

die auch auf dem Feld der<br />

Menschenrechte tätig sind.<br />

Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />

LL. M., Berlin<br />

Weitere Informationen können auf der<br />

Website der ABA abgerufen werden<br />

unter www.abanet.org/humanrights.<br />

Im nächsten Heft: IBA (International<br />

Bar Association).<br />

AG Handels- und<br />

Gesellschaftsrecht<br />

Neue Arbeitsgemeinschaft<br />

gegründet<br />

Vorläufiger Geschäftsführender Ausschuss<br />

gebildet<br />

Im Zuge der Einführung der Einführung<br />

einer Fachanwaltschaft Handels-<br />

und Gesellschaftsrecht hat der<br />

Deutsche Anwaltverein eine Arbeitsgemeinschaft<br />

Handels- und Gesellschaftsrecht<br />

gegründet. Der vorläufige<br />

Geschäftsführende Ausschuss setzt<br />

sich zusammen aus:<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Rolf Schwedhelm,<br />

Köln (vorläufiger Vorsitzender),<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Burkhard Binnewies,<br />

Köln,<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Matthias Grund,<br />

Düsseldorf,<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Otfried Guillaume,<br />

Aachen,<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Carsten Jaeger,<br />

Dortmund,<br />

9 Rechtsanwalt Gerhard Manz, Freiburg,<br />

9 Rechtsanwalt Dr. Randolf Mohr,<br />

Köln,<br />

9 Rechtsanwältin Dr. Hildegard Ziemons,<br />

Frankfurt.<br />

Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft<br />

ist Rechtsanwalt Jens Wagener/<br />

Berlin. Sollten Sie bereits jetzt Ihr Interesse<br />

an der Mitgliedschaft der<br />

Arbeitsgemeinschaft bekunden wollen,<br />

können Sie Ihr Eintrittsgesuch an den<br />

Deutschen Anwaltverein, Mitgliederverwaltung,<br />

Littenstraße 11, 10179<br />

Berlin übersenden. Für das erste Halbjahr<br />

2006 ist eine erste größere gesellschaftsrechtliche<br />

Veranstaltung in<br />

Verbindung mit einer Mitgliederversammlung<br />

geplant. Zeit und Ort werden<br />

Ihnen dabei noch rechtzeitig bekannt<br />

gegeben.<br />

Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />

Eintrittsgesuche für eine Aufnahme in<br />

die Arbeitsgemeinschaft Handels- und<br />

Gesellschaftsrecht bitte direkt an den<br />

Deutschen Anwaltverein, Mitgliederverwaltung,<br />

Littenstraße 11, 10179<br />

Berlin, richten.<br />

AnwBl 1 / 2006 41


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

AG Strafrecht<br />

Chancen und Risiken<br />

strafprozessualer<br />

Reformen<br />

Herbstkolloquium 2005:<br />

Moderne Verteidigungsstrategien<br />

Das 22. Herbstkolloquium fand Mitte<br />

November mit mehr als 300 Teilnehmern<br />

in Berlin statt. Hauptthema war<br />

die Notwendigkeit strafprozessualer<br />

Reformen. Bundesjustizministerin Brigitte<br />

Zypries wurde ein vom DAV-Gesetzgebungsausschuss<br />

Strafrecht und<br />

der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht erarbeiteter<br />

Gesetzentwurf für eine Reform<br />

des Ermittlungsverfahrens übergeben.<br />

Die frühere Regierungskoalition<br />

von SPD und Bündnis 90/Die Grünen<br />

hatte 2001 mit einem „Eckpunktepapier“<br />

zur Reform des Ermittlungsverfahrens<br />

die Diskussion über eine Reform<br />

des Strafverfahrens wieder<br />

aufgenommen. Zu dieser hatte der<br />

DAV bereits 1985 auf seinem Forum<br />

konkrete Forderungen gestellt. Das<br />

Bundesjustizministerium hatte schließlich<br />

2004 den „Diskussionsentwurf für<br />

eine Reform des Strafverfahrens“ vorgelegt.<br />

Trotz ausführlicher Debatte auf<br />

der strafrechtlichen Abteilung des<br />

Deutschen Juristentags 2004 wartete<br />

die Fachwelt indes vergeblich auf einen<br />

Referenten- bzw. Regierungsentwurf.<br />

Zur Eröffnung des Kolloquiums<br />

wies Rechtsanwalt Werner Leitner,<br />

Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht, zurecht darauf hin, dass das<br />

Thema an sich und damit auch das der<br />

Veranstaltung weiterhin aktuell sei.<br />

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />

erläuterte in ihrer Ansprache<br />

zahlreiche Reformvorhaben, welche<br />

im Rahmen der Koalitionsverhandlungen<br />

für die 16. Legislaturperiode in<br />

Aussicht gestellt wurden.<br />

Danach überreichte Eberhard<br />

Kempf für die Arbeitsgemeinschaft<br />

und den Strafrechtsausschuss einen<br />

Gesetzesentwurf für eine notwendige<br />

Reform des Ermittlungsverfahrens.<br />

Ziel sei die Verwirklichung eines<br />

„wirklich kontradiktorisch“ geführten<br />

Verfahrens, an dem zukünftig alle Verfahrensbeteiligten<br />

mitwirken (der Entwurf<br />

wird in diesem Heft ab Seite 24<br />

dokumentiert).<br />

42 AnwBl 1 / 2006<br />

Wandel des Ermittlungsverfahrens<br />

Prof. Dr. Helmut Satzger (Universität<br />

München) stellte im Festvortrag<br />

den dringenden Handlungsbedarf –<br />

losgelöst von fiskalischen Gründen –<br />

nach rechtstaatlich notwendigen bzw.<br />

möglichen Reformen dar. Insbesondere<br />

den Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens<br />

benannte er als Grund<br />

der Vorverlagerung rechtstaatlicher<br />

Garantien in das Ermittlungsverfahren,<br />

die denen gleichwertig seien, die die<br />

StPO für das Hauptverfahren vorsehe.<br />

Rechtsanwalt Dr. h.c. Rüdiger Deckers,<br />

Mitglied des Strafrechtsausschusses<br />

des DAV, stellte im zweiten<br />

Festvortrag zur Reform des Strafprozesses<br />

Unverzichtbares aus Sicht der<br />

Verteidigung dar.<br />

In weiteren zahlreichen Referaten<br />

lieferte die Veranstaltung einen gelungenen<br />

Überblick über aktuell abgeschlossene<br />

Reformvorhaben der 15.<br />

sowie der bevorstehenden 16. Legislaturperiode,<br />

um nur das ergangene Justizmodernisierungs-<br />

und Opferrechtsreformgesetz<br />

sowie die eventuell<br />

bevorstehende gesetzliche Regelung<br />

des so viel diskutierten „Deal“ zu nennen.<br />

Einen wirklich eindrucksvollen<br />

Überblick der das Strafrecht berührenden<br />

Gesetzesänderungen der beiden<br />

abgelaufenen Legislaturperioden schilderte<br />

das Ehrenmitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />

Strafrecht Prof. Dr. Peter<br />

Rieß. Ministerialdirektor a. D. Rieß<br />

teilte die Auffassung von Satzger, dass<br />

der Strafprozess Reformen braucht,<br />

nicht aber eine Vielzahl nur punktueller<br />

Gesetzesänderungen.<br />

Diskussion: Darf Europa strafen?<br />

Mit dem zweiten Teil des Herbstkolloquiums<br />

stellte die Arbeitsgemeinschaft<br />

unter Beweis, dass sie sich auch<br />

auf die gesetzgeberischen Vorgaben<br />

der EU bereits eingestellt hat. Unter<br />

der Überschrift „Darf Europa strafen?“<br />

Mit dem Preis “pro reo“<br />

wurde Dr. Frank Nobis<br />

(M., rechts daneben seine<br />

Lebenspartnerin) ausgezeichnet.<br />

Es gratulierten<br />

(v.l.n.r.): Werner Leitner<br />

(Vorsitzender der AG<br />

Strafrecht), Dr. Margarete<br />

Gräfin von Galen<br />

(Präsidentin der Rechtsanwaltskammer<br />

Berlin)<br />

und Laudator Dr. Stefan<br />

König (Mitglied des Strafrechtsausschusses).<br />

Überreichten den Gesetzentwurf zum strafrechtlichen<br />

Ermittlungsverfahren an<br />

Bundesjustizministerin Brigitte Zypries:<br />

Eberhard Kempf (Vorsitzender des Strafrechtsausschusses,<br />

rechts) und Werner<br />

Leitner (Vorsitzender der AG Strafrecht).<br />

diskutierten interessant und lebhaft Rudolf<br />

Mellinghof (Richter am BverfG),<br />

Rechtsanwalt Siegfried Kauder (MdB,<br />

CDU), Rechtsanwalt Hans-Christian<br />

Ströbele (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)<br />

und Prof. Dr. Helmut Satzger unter<br />

der Moderation von Rechtsanwalt Werner<br />

Leitner. Gegenstand der Diskussion<br />

war das Urteil des BVerfG aus dem Juli<br />

2005 (2 BvR 223/04), welches das deutsche<br />

Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses<br />

über den Europäischen<br />

Haftbefehl für nichtig erklärt hatte.<br />

Grundsätzlich wurde das Urteil von<br />

den Teilnehmern des Herbstkolloquiums<br />

sowie den Diskutanten begrüßt,<br />

da es den Bürger als Grundrechtsträger<br />

in den Vordergrund stelle.<br />

Anhand des Rahmenbeschlusses sowie<br />

des vom Bundestag erlassenen Europäischen<br />

Haftbefehlsgesetzes wurde<br />

jedoch Kritik an der grundsätzlichen<br />

demokratischen Legitimation der europäischen<br />

Gesetzgebung innerhalb der<br />

dritten Säule laut. Die Teilnehmer des<br />

Kolloquiums brachten ihr Bedauern<br />

darüber zum Ausdruck, dass das Bundesverfassungsgericht<br />

keine Antwort<br />

auf die Frage einer möglichen Verletzung<br />

des Demokratieprinzips bzw. der<br />

Gewaltenteilung gegeben habe. Weder<br />

auf europäischer Ebene noch im Bun-


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

destag habe ein parlamentarischer Mitsprache-<br />

bzw. Entscheidungsprozess stattgefunden.<br />

Auch wurden die Parlamentsvertreter<br />

angemahnt, das Handeln ihrer Regierungen<br />

früher im europäischen Gesetzgebungsgang<br />

zu beobachten und europäische Gesetzgebungsvorhaben<br />

nicht „1:1“ umzusetzen.<br />

Bundesverfassungsrichter Rudolf<br />

Mellinghof wies auf die Umsetzung<br />

und damit die Legitimation durch das<br />

nationale Parlament hin; das Gericht<br />

habe sich daher zur Verletzung des Demokratieprinzips<br />

nicht äußern müssen.<br />

Er schloss sich jedoch der Kritik in Bezug<br />

auf die vermeintliche Umsetzungspflicht<br />

des Parlaments an und forderte<br />

die Abgeordneten auf, von ihren Rechten<br />

bis hin zur Ablehnung eines Gesetzesvorhabens<br />

Gebrauch zu machen. Im<br />

Zusammenhang mit der Frage nach einer<br />

eigenen Strafgewalt der EU wies<br />

er ferner auf die vom Europäischen<br />

Gerichtshof vor kurzem erlassene Entscheidung<br />

im Bereich des Umweltstrafrechts<br />

hin, wonach der Gemeinschaft<br />

eine Art strafrechtliche<br />

Annexkompetenz zugesprochen<br />

wurde, wenn Maßnahmen im Bereich<br />

des Strafrechts erforderlich sind, um<br />

die Umweltpolitik sicherzustellen.<br />

Ehrenpreis „pro reo“<br />

Last but not least erinnerte die Arbeitsgemeinschaft<br />

auch in diesem Jahr<br />

durch die Verleihung des „pro<br />

reo“-Preises daran, was Strafverteidiger<br />

alltäglich zu tun haben und täglich<br />

leisten. Sie ehrte dieses Jahr Rechtsanwalt<br />

Dr. Frank Nobis für seinen Beitrag<br />

zur Förderung der Strafverteidigung.<br />

Nobis hatte Verteidigerrechte<br />

vor dem Amtsgericht Hagen wahrgenommen<br />

und dadurch in Kauf genommen,<br />

dass er eine mehrstündige –<br />

rechtswidrige – Inhaftierung über sich<br />

ergehen lassen musste. Der Laudator<br />

Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Mitglied<br />

des Strafrechtsausschusses: „Es<br />

war und ist vorbildlich für uns alle, die<br />

wir trotz allen konsensualen Parfums,<br />

mit dem wir uns neuerdings gerne besprühen<br />

(lassen), immer wieder in Situationen<br />

geraten, wo die Anwendung<br />

des Rechts perforiert wird durch bloße<br />

Ausübung von Macht. Da reicht es<br />

eben nicht immer, klug zu denken und<br />

feinsinnig zu formulieren. Da kommt<br />

es darauf an, entschlossen und mutig<br />

zum richtigen Zeitpunkt zu agieren.<br />

Der Preis pro reo ist dieses Mal im<br />

doppelten Sinne ein Preis ,pro nobis‘“.<br />

Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />

AG Steuerrecht<br />

Überblick über aktuelle<br />

Probleme des<br />

Steuerrechts<br />

12. Steueranwaltstag 2005 in Berlin<br />

Die AG Steuerrecht hat zwei feste Termine<br />

im Jahr: Die „internationale“<br />

Tagung, der Steueranwalt International<br />

in Palma de Mallorca, sowie ihre<br />

„nationale“ Tagung, der Steueranwaltstag<br />

in Berlin. Mit 220 Teilnehmern<br />

und zwölf hochkarätigen Referenten<br />

war der diesjährige<br />

Steueranwaltstag im Hotel Adlon ein<br />

Highlight.<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Steuerrecht Dr. Rolf Schwedhelm<br />

(Streck Mack Schwedhelm) und<br />

Rechtsanwalt und Steuerberater Friedhelm<br />

Jacob (Hengeler Mueller) führten<br />

in die Veranstaltung ein und wünschten<br />

sich Diskussionen besonders über die<br />

Reform der Unternehmensteuern, die<br />

Abschaffung der Gewerbesteuer sowie<br />

über die Bekämpfung des Mißbrauchs<br />

der Umsatzsteuer.<br />

Grundrecht auf ein faires Verfahren<br />

Zum Auftakt der Veranstaltung referierte<br />

Jürgen Brandt, Richter am<br />

Bundesfinanzhof, über das Vorhaben<br />

der „Großen Justizreform“, wobei er<br />

die geplanten Änderungen im Steuerprozessrecht<br />

beleuchtete. „Woran darf<br />

sich eine Reform stoßen, aber nicht<br />

vergreifen“, fragte anschließend Prof.<br />

Dr. Ferdinand Kirchhof, Universität<br />

Tübingen. Fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten<br />

deckte er beim Träger indirekter<br />

Steuern auf, insbesondere beim<br />

ökonomischen Steuerträger der Umsatzsteuer,<br />

typischerweise also dem<br />

Endverbraucher. Dass die Schutz-<br />

Berichteten über aktuelle<br />

europäische Entwicklungen:<br />

Rechtsanwalt Dr.<br />

Ottmar Thömmes (l.) und<br />

Dr. Dieter Kischel (Referent<br />

der Europäischen<br />

Kommission, 2. v.r.) zusammen<br />

mit den Moderatoren<br />

Rechtsanwälte Friedhelm<br />

Jacob (2.v.l.) und Dr. Rolf<br />

Schwedhelm.<br />

bedürftigkeit des Steuerpflichtigen<br />

durch unverständliche Gesetzestexte<br />

steige, hörten alle Steueranwälte gern.<br />

Bedeutend schien auch der Ansatz, die<br />

Ausdehnung der Mitwirkungslasten<br />

des Steuerpflichtigen bei gleichzeitig<br />

umfassenden Zugriffsrechten der Finanzverwaltung<br />

bedrohe allmählich<br />

die Waffengleichheit vor Gericht und<br />

damit das Grundrecht auf ein faires<br />

Verfahren.<br />

Praxis des Steuerrechts<br />

Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Steuerrecht Dr. Burkhard Binnewies<br />

(Streck Mack Schwedhelm) stellte aktuelle<br />

Probleme der verdeckten Gewinnausschüttung<br />

(vGA), insbesondere<br />

bei Aktiengesellschaften und Betrieben<br />

der öffentlichen Hand dar. Im Anschluss<br />

gab Notar Dr. Eckhard Wälzholz,<br />

Füssen, äußerst praktische<br />

Hinweise bis hin zu Formulierungsvorschlägen<br />

in der Arbeitsunterlage zur<br />

Vertragsgestaltung bei der GmbH &<br />

Co. KG.<br />

Der Referent der Europäischen<br />

Kommission Dr. Dieter Kischel,<br />

Brüssel, begann mit einem aktuellen<br />

Überblick über europarechtliche Vertragsverletzungsverfahren<br />

und EuGH-<br />

Entscheidungen im Bereich der direkten<br />

Steuern. Vorgestellt wurden unter<br />

anderem das BMF-Schreiben über die<br />

Anwendung des § 6 AStG sowie die<br />

aktuellen EuGH-Verfahren „Meilicke“<br />

sowie „Marks & Spencer“, durch die<br />

den Mitgliedstaaten Steuerausfälle in<br />

Milliardenhöhe drohen. Als nächster<br />

Dozent erläuterte Rechtsanwalt und<br />

Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Ottmar<br />

Thömmes (Deloitte), welche Vorteile<br />

man in der Beratungspraxis aus dem<br />

EG-Recht ziehen und wie man dies<br />

verfahrensmäßig umsetzen kann. Über<br />

die Nachfolgeplanung referierte<br />

Rechtsanwalt und Steuerberater Dr.<br />

Matthias Söffing (Düsseldorf),<br />

AnwBl 1 / 2006 43


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

besonders im Hinblick auf die Vermögensübertragung<br />

gegen Versorgungsleistungen<br />

(s. hierzu Steueranwaltsmagazin<br />

2005, 66 ff. und<br />

98 ff.). Zu der schenkungsteuerlichen<br />

Behandlung und den entsprechenden<br />

Wahlmöglichkeiten und Berechnungsmethoden<br />

nahm anschließend Dr.<br />

Heinrich Hübner Stellung und erläuterte<br />

die in diesem Rahmen bestehende<br />

Gestaltungsmöglichkeiten.<br />

Möglichkeiten der Steuerfahndung<br />

Am zweiten Tag präsentierte Ministerialdirigent<br />

Werner Widmann, Finanzministerium<br />

Rheinland-Pfalz,<br />

neue Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen<br />

im Umsatzsteuerrecht.<br />

Rechtsanwalt und Steuerberater<br />

Prof. Dr. Ulrich Prinz (Flick Gocke<br />

Schaumburg) stellte die Rechtsentwicklung<br />

des § 8 a KStG unter dem<br />

Druck des Europarechts dar. Als Praktiker<br />

(Leiter der Steuerfahndung Berlin)<br />

sprach Wolfgang Lübke über die<br />

Ermittlungsmöglichkeiten der Steuerfahndung.<br />

Hier hat die Finanzverwaltung<br />

im EDV-Bereich neueste Mittel<br />

und durchforstet auch das Internet<br />

planmäßig nach Hinterziehungstatbeständen.<br />

Verfassungsrechtlich bedenklich<br />

ist dabei der gesteigerte Informationsaustausch<br />

von Behörden mit<br />

Hilfe einer neuen steuerlichen Identifikationsnummer.<br />

Zum Abschluss erfuhren die Teilnehmer<br />

von Rechtsanwätlin und Fachanwältin<br />

für Steuerrecht Ursula Tipp<br />

(William Fry, Dublin) welche Konsequenzen<br />

die jüngste EuGH-Rechtsprechung<br />

bezüglich Auslandsgesellschaften<br />

hat. Anhand des Beispiels<br />

Irland erläuterte sie die Unternehmensgründung<br />

und besteuerung im internationalen<br />

Kontext.<br />

Rechtsanwalt Jürgen Wagner,<br />

Konstanz/Zürich/Vaduz<br />

Die AG Steuerrecht wird die Referate<br />

wie gewohnt in einem Tagungsband<br />

zusammenfassen. Dieser erscheint voraussichtlich<br />

Mitte Februar 2006. Der<br />

Steueranwalt International findet in<br />

Palma de Mallorca vom 27.–28. April<br />

2006 statt. Dem separat buchbaren<br />

ersten Teil (Grundlagen des Internationalen<br />

Steuerrechts) schließt sich<br />

ein aktuelles Vertiefungsseminar an<br />

(28.–29. April). Näheres im Veranstaltungsprogramm<br />

der Deutschen Anwaltakademie<br />

oder unter steuerrecht.<br />

org.<br />

44 AnwBl 1 / 2006<br />

AG Sozialrecht<br />

Barrierefreier Zugang<br />

zum Sozialrecht<br />

Website noch verbraucherfreundlicher<br />

Durch eine Überarbeitung der<br />

Homepage www.anwalt-im-sozial<br />

recht.de der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht<br />

im DAV erhalten ab sofort alle<br />

Bürgerinnen und Bürger leichter Zugang<br />

zum Sozialrecht und den darin<br />

spezialisierten Rechtsanwältinnen und<br />

Rechtsanwälten. Gerade im Sozialrecht<br />

geht es um wichtige und existenzielle<br />

Fragen in allen Lebenssituationen,<br />

um die Sicherung der eigenen<br />

Zukunft.<br />

Die Homepage bietet hochaktuelle<br />

Informationen über alle Bereiche des<br />

Sozialrechts. Insbesondere werden die<br />

Bereiche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung<br />

behandelt. Es gibt<br />

Informationen zur aktuellen Rechtsprechung,<br />

sowie eine leicht zu bedienende<br />

Anwaltsuchfunktion.<br />

Mit der Überarbeitung der Homepage<br />

erhalten die Bürgerinnen und<br />

Bürger auch einen barrierefreien Zugang<br />

zu den im Sozialrecht spezialisierten<br />

Anwältinnen und Anwälten.<br />

Die Schriftgröße kann dabei beliebig<br />

angepasst werden und ist deshalb besonders<br />

gut lesbar. Gerade farbenblinde<br />

und sehschwache Menschen<br />

profitieren von den starken Farbkontrasten.<br />

Darüber hinaus ist die Seite so<br />

programmiert, dass sie für Blinde von<br />

sogenannten Screenreadern (Vorlesern)<br />

gut gelesen werden kann.<br />

„Auch wer jahrelang in die Rente<br />

einzahlt, noch nicht krank oder arbeitslos<br />

ist, sollte sich rechtzeitig absichern“,<br />

so der Vorsitzende der<br />

Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht,<br />

Rechtsanwalt Ronald Richter. Jederzeit<br />

könne eine plötzliche Erkrankung die<br />

Existenz gefährden. Daher sei es notwendig,<br />

hierfür rechtzeitig vorgesorgt<br />

zu haben. „Es passiert nicht selten,<br />

dass die Behörde falsche Ratschläge<br />

erteilt oder unvollständige Auskunft<br />

gibt. Oder man wird zwischen Bundesagentur<br />

für Arbeit, Rentenversicherung<br />

oder dem Sozialamt hin und her geschickt.<br />

Um wegen der Antragsfristen<br />

keine Leistungen zu verlieren, sollte<br />

man sich schnellstens beraten lassen“,<br />

so Richter.<br />

Quelle: DAV-Pressemitt. SozR Nr. 5/05<br />

AG Erbrecht<br />

Mitgliederversammlung<br />

Erster Deutscher Erbrechtstag<br />

Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht<br />

im Deutschen Anwaltverein lädt zum<br />

Ersten Deutschen Erbrechtstag und zur<br />

Mitgliederversammlung 2006 ein. Die<br />

Mitgliederversammlung findet am<br />

25. März 2006, 14 Uhr im Hotel Palace<br />

Berlin, Budapester Straße 45, 10787<br />

Berlin, statt.<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

gibt die Tagesordnung bekannt:<br />

1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />

des Geschäftsführenden Ausschusses<br />

2. Bericht des Schatzmeisters<br />

3. Aussprache<br />

4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

5. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers<br />

6. Änderung der Geschäftsordnung<br />

der Arbeitsgemeinschaft (§ 4 und<br />

§9)<br />

7. Anpassung des Mitgliederbeitrages<br />

8. Verschiedenes<br />

Anträge zur Tagesordnung sind spätestens<br />

21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />

beim Geschäftsführenden<br />

Ausschuss eingehend unter der Anschrift:<br />

Arbeitsgemeinschaft Erbrecht<br />

im DAV, Littenstr. 11, 10179 Berlin, zu<br />

stellen und müssen von mindestens<br />

10 Mitgliedern unterstützt werden.<br />

Der Erste Deutsche Erbrechtstag<br />

bietet eine Vor- und Rückschau in den<br />

Bereichen Erbrecht, Erbschaftsteuerrecht<br />

und Berufsrecht; er wird sich mit<br />

der Praxis des Erbrechtlers und mit<br />

dem Erbrechtler im Dienstleistungsmarkt<br />

beschäftigen. Es ist die erste<br />

große Tagung der im November 2004<br />

gegründeten Arbeitsgemeinschaft, die<br />

den wohl rasantesten Mitgliederzuwachs<br />

aller DAV-Arbeitsgemeinschaften<br />

innerhalb von zwölf Monaten<br />

aufzuweisen hat; sie hat 645 Mitglieder<br />

(Stand: 1. November 2006).<br />

Fragen zur Organisation beantwortet<br />

Ihnen das Veranstaltungsbüro der<br />

Deutschen Anwaltakademie, Tobias<br />

Hopf, Littenstr. 11, 10179 Berlin, Tel.:<br />

0 30/72 61 53-180, Fax: -188.


Aus der Arbeit des DAV MN<br />

ARGE Baurecht<br />

Mitgliederversammlung<br />

27. Baurechtstagung<br />

Am 17. und 18. März 2006 veranstaltet<br />

die ARGE Baurecht ihre<br />

27. Baurechtstagung, diesmal im Maritim-Hotel<br />

in Stuttgart zum Thema<br />

„Vorzeitige Vertragsbeendigung“.<br />

Die Veranstaltung beginnt am Freitag,<br />

den 17. März 2006 um 14.00 Uhr.<br />

Das Fachprogramm endet am Samstag<br />

gegen 13.00 Uhr, die anschließende<br />

Mitgliederversammlung um 14.00 Uhr.<br />

Im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />

besteht Gelegenheit für die<br />

Teilnehmer und ihre Begleitpersonen,<br />

die Tagung bei einer geplanten Führung<br />

auf der Baustelle der „Mercedes-<br />

Benz-Welt“ in Untertürkheim unter<br />

sachkundiger Leitung ausklingen zu<br />

lassen. Am Freitagabend findet ein gemeinsames<br />

Abendessen im Schloss Solitude<br />

statt. Die näheren Einzelheiten<br />

und Anmeldeformalitäten entnehmen<br />

Sie bitte der Werbeanzeige in dieser<br />

Ausgabe oder fragen Sie bei dem u. g.<br />

Organisationsbüro der ARGE Baurecht<br />

nach.<br />

Alle Mitglieder der ARGE Baurecht<br />

sind eingeladen zur Mitgliederversammlung,<br />

die unmittelbar im Anschluss<br />

an die 27. Baurechtstagung im<br />

Maritim-Hotel in Stuttgart, Seidenstr.<br />

34, am Samstag, 18. März 2006,<br />

13.00 bis 14.00 Uhr stattfindet.<br />

Der Vorschlag zur Tagesordnung<br />

lautet:<br />

1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia<br />

2. Jahresbericht für 2005<br />

3. Bericht des Schatzmeisters für 2005<br />

4. Bericht der Kassenprüfer für 2005<br />

5. Aussprache und Entlastung<br />

6. Wahl der Kassenprüfer für 2006<br />

7. Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss<br />

8. Verschiedenes<br />

Informationen und Auskünfte zur<br />

27. Baurechtstagung gibt – als Organisationsbüro<br />

der ARGE Baurecht –<br />

die Deutsche Anwaltakademie, Frank<br />

Ritter, Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />

Tel.: (0 30) 72 61 53-181, Fax: (0 30)<br />

72 61 53-188, ritter@anwaltakade<br />

mie.de.<br />

AG Insolvenzrecht und Sanierung<br />

Mitgliederversammlung<br />

3. Deutscher Insolvenzrechtstag<br />

Der Geschäftsführende Ausschuss<br />

der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht<br />

und Sanierung im DAV lädt alle<br />

Mitglieder ein zur Mitgliederversammlung<br />

am Freitag, den 31. März 2006,<br />

17.00 bis 18.00 Uhr, im Berliner Congress<br />

Center – bcc, Alexanderplatz 3,<br />

10178 Berlin.<br />

Die vorgeschlagene Tagesordnung<br />

lautet:<br />

1. Satzungsmäßige Feststellungen:<br />

9 Einladung fristgemäß versandt<br />

und in <strong>Anwaltsblatt</strong> veröffentlicht<br />

9 Feststellung der stimmberechtigten<br />

Mitglieder<br />

2. Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden<br />

3. Rechenschaftsbericht des Schatzmeisters<br />

für das Jahr 2005<br />

4. Bericht der Kassenprüfer für das<br />

Jahr 2005<br />

5. Aussprache und Entlastung des Geschäftsführenden<br />

Ausschusses<br />

6. Wahl der Kassenprüfer für das Geschäftsjahr<br />

2006<br />

7. Änderung der Geschäftsordnung *<br />

8. Verschiedenes<br />

* Geändert werden sollen § 3 Abs. 2 (Verleihung<br />

der Ehrenmitgliedschaft), § 4<br />

Abs. 3 – neu (Ausschluss wg. Beitragsrückstand)<br />

und § 9 (Streichung von<br />

Abs. 2 bzgl. Vermögensübergang bei<br />

Auflösung).<br />

Die Mitgliederversammlung findet<br />

statt im Anschluss an den 3. Deutschen<br />

Insolvenzrechtstag 2006 (30. – 31.03.).<br />

Anfragen und Anmeldungen zum<br />

Insolvenzrechtstag 2006 richten Sie<br />

bitte an die Deutsche Anwaltakademie,<br />

Anja Hoffmann, Littenstraße<br />

11, 10179 Berlin, Telefon: 0 30 / 72 61<br />

53-183, Fax: 0 30 / 72 61 53-188, hoff<br />

mann@anwaltakademie. de.<br />

Personalien<br />

Heide Krönert-Stolting 65<br />

Rechtsanwältin<br />

Heide Krönert-<br />

Stolting (Kronberg<br />

im Taunus) ist am<br />

14. Dezember 2005<br />

65 Jahre alt geworden.<br />

Sie ist seit<br />

1991 Mitglied des<br />

Vorstands des Deutschen Anwaltvereins.<br />

Sie ist u.a. Mitglied im Ausschuss<br />

für Aus- und Fortbildung. Im Frankfurter<br />

Anwaltverein ist sie seit 1984 Mitglied<br />

des Vorstands. Von 1988 bis 2000<br />

war sie dessen Vorsitzende.<br />

Dr. Hermann Büttner 65<br />

Rechtsanwalt beim BGH Dr. Hermann<br />

Büttner (Karlsruhe) feierte am<br />

5. Dezember 2005 seinen 65. Geburtstag.<br />

Dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins<br />

gehörte Büttner von 1993<br />

bis 2001 an. Seit 1999 ist er Mitglied<br />

in dem Ausschuss Justizreform ZPO.<br />

Von 1995 bis 1998 war er Vorsitzender<br />

des damaligen Ausschusses Justizreform.<br />

Neue Vereinsvorsitzende<br />

Rechtsanwaltsverein<br />

im Amtsgerichtsbezirk<br />

Bad<br />

Segeberg: Rechtsanwältin<br />

Nicole<br />

Buchert ist zur Vorsitzenden<br />

des neugegründetenOrtsvereins<br />

gewählt worden. Es handelt<br />

sich um den 245. Anwaltverein im<br />

Deutschen Anwaltverein.<br />

Auszeichnung von Anwälten<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Dr. Friedrich Eckehard<br />

Kempter, München, das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse des Verdienstordens der<br />

Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus-Peter<br />

Dolde, Stuttgart, das Verdienstkreuz<br />

am Bande des Verdienstordens der<br />

Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

Der Bundespräsident hat Herrn<br />

Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Rolf<br />

A. Schütze, Weissbach, das Verdienstkreuz<br />

1. Klasse des Verdienstordens<br />

der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />

AnwBl 1 / 2006 45


MNEuropa<br />

Rechsstaatliche Grundsätze<br />

beim Kampf gegen<br />

den Terrorismus wahren<br />

Vollversammlung des Rates der europäischen<br />

Anwaltschaften (CCBE)<br />

Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />

Die Herbstvollversammlung des CCBE fand Mitte November<br />

2005 in Paris am Kanzleisitz des scheidenden Präsidenten<br />

Bernard Vatiers statt.<br />

Neuer CCBE-Präsident aus Portugal<br />

Wie in jedem Jahr stand diese zweite Vollversammlung<br />

des Jahres im Zeichen der Präsidentschaftswahlen. In einer<br />

spannenden Wahl wurde unter drei Kandidaten der ungarische<br />

Anwalt Peter Köves zum zweiten Vizepräsidenten gekoren.<br />

Der schottische Barrister und ehemalige Delegationsleiter<br />

des Vereinigten Königreichs, Colin Tyre, übernimmt<br />

den Posten des ersten Vize-Präsidenten. Präsident, und damit<br />

Nachfolger von Bernard Vatier, wird ab dem 1. <strong>Januar</strong><br />

2006 der Portugiese Manuel Cavaleiro Brandao. Manuel<br />

Cavaleiro Brand¼o ist seit 1972 Mitglied der portugiesischen<br />

Rechtsanwaltskammer und war lange Jahre im Vorstand<br />

der Kammer von Porto, der portugiesischen Rechtsanwaltskammer<br />

und der portugiesischen CCBE-Delegation.<br />

Sieben Jahre lang, zwischen 1980 und 1987, war Manuel<br />

Cavaleiro Brand¼o Abgeordneter des portugiesischen Parlaments<br />

und ist seit 1990 Mitglied im Europäischen Wirtschafts-<br />

und Sozialausschuss sowie Mitglied des Schiedsgerichtshofs<br />

bei der Internationalen Handelskammer in<br />

Paris.<br />

Als Schwerpunkt seiner Präsidentschaft stellte Cavaleiro<br />

Brandao die Schaffung eines europäischen Rechtsanwalts<br />

dar. Für ihn, als überzeugten Europäer, ist es notwendig,<br />

dass die CCBE-Mitgliedsorganisationen weiterhin eingehend<br />

mit den wichtigen europäischen Entwicklungen befassen<br />

und weiter mitarbeiten bei der Schaffung eines europäischen<br />

Rechtssystems. Eine der Herausforderungen sei es,<br />

die Kluft zwischen dem Einzelanwalt, der auf nationaler<br />

Ebene tätig ist und dem Anwalt mit europäischer Erfahrung<br />

zu schließen. Aus diesem Grund ist es ihm wichtig, dass die<br />

nationalen Präsidenten regelmäßig zumindest an der Vollversammlung<br />

des CCBE teilnehmen.<br />

Terrorismusbekämpfung und Rechtsstaat<br />

Hauptthema der Vollversammlung war das Verhältnis<br />

von Sicherheit und Recht in der Gesetzgebung der Europäischen<br />

Union. Bereits unter der Präsidentschaft von Prof. Dr.<br />

Hans-Jürgen Hellwig (Frankfurt/Main, Mitglied des Vorstands<br />

des Deutschen Anwaltvereins) hatte das Thema eine<br />

große Rolle im CCBE gespielt und es wurde zum Schwerpunkt<br />

der Präsidentschaft Bernhard Vatiers. Wie ist Sicherheit<br />

z. B. im Kampf gegen den internationalen Terrorismus<br />

herzustellen bei gleichzeitiger Wahrung rechtsstaatlicher<br />

Grundsätze? Der CCBE und auch der DAV hatten dieses<br />

Spannungsfeld bei ihren Gesprächen zur dritten Geldwäscherichtlinie<br />

in Brüssel immer wieder problematisiert.<br />

Auch bei der Intervention des CCBE im Verfahren zur zweiten<br />

Geldwäscherichtlinie vor dem belgischen Verfassungs-<br />

46 AnwBl 1 / 2006<br />

gericht und nunmehr<br />

vor dem<br />

EuGH geht es um<br />

dieses Thema.<br />

Gastredner der<br />

Vollversammlung<br />

waren der britischeJustizminister<br />

Lord Goldsmith<br />

sowie für<br />

den zuständigen<br />

Präsident des<br />

Rates der<br />

europäischen<br />

Anwaltschaften<br />

im Jahr 2006 ist<br />

der Portugiese<br />

Manuel Cavaleiro<br />

Brandao.<br />

Kommissar im Bereich Justiz und Inneres Lorenzo Salazar<br />

als Kabinettsmitglied Frattinis. Der CCBE hat einstimmig<br />

eine Erklärung zum Verhältnis zwischen Recht und Sicherheit<br />

bei Antiterror-Maßnahmen verabschiedet. In dieser fordert<br />

der CCBE bei Antiterrorgesetzgebung noch stärker als<br />

in der Vergangenheit darauf zu achten, dass hierbei nicht<br />

einseitig Entscheidungen zu Lasten des Rechts getroffen<br />

werden.<br />

Jüngstes Beispiel für diese Gefahr sei der geplante Rahmenbeschluss<br />

bzw. die Richtlinie der Kommission zur Vorratsdatenspeicherung.<br />

Der CCBE rief die Kommission auf<br />

darauf zu achten, dass das Berufsgeheimnis der Anwälte, das<br />

in vielen Staaten mit Verfassungsrang ausgestattet ist, gewahrt<br />

bleiben muss. Dieses könne nicht nur durch die Preisgabe<br />

des Inhalts der Gespräche, sondern auch durch Weitergabe<br />

von Zeit und Dauer der Gespräche berührt sein. Darüber<br />

hinaus wurde während der Diskussion auch eine verstärkte<br />

Einbeziehung der Generaldirektion Justiz, Freiheit und Recht<br />

bei Gesetzgebungsvorhaben aus dem Bereich Binnenmarkt<br />

und Wettbewerb angesprochen. Salazar sagte zu, die Bedenken<br />

des CCBE an den Kommissar heranzutragen.<br />

Folgebericht Wettbewerb Freie Berufe<br />

Zudem beschäftigte sich die Vollversammlung mit dem<br />

Folgebericht der Kommission zum Thema Wettbewerb der<br />

Freien Berufe von September 2005 (siehe zuletzt AnwBl<br />

2005, 767) und verabschiedete eine Stellungnahme. Der<br />

CCBE betont wie schon in seiner Erklärung zum Monti-Bericht<br />

aus dem Jahr 2004, dass die Regulierung der Freien<br />

Berufe nicht nur auf der Basis wirtschaftlicher Grundsätze<br />

diskutiert werden könne. Überdies greift der CCBE den<br />

ebenfalls vom DAV kritisierten Punkt des Konzepts der unterschiedlichen<br />

Nutzergruppen von Rechtsdienstleistungen<br />

auf. So bestünden die anwaltlichen Regelungen eben nicht<br />

nur zum Nutzen eines mehr oder weniger informierten<br />

Empfängerkreises, sondern vielmehr zum Schutz der Öffentlichkeit<br />

und der Rechtspflege. Skandale, wie im Fall Enron<br />

oder Worldcom hätten gezeigt, dass selbst wenn im konkreten<br />

Fall die Empfänger der freiberuflichen<br />

Dienstleistungen erfahrene Nutzer seien, die Geschädigten<br />

einfache Bürger, das heißt Aktionäre und Angestellte seien.<br />

Für Dezember ist ein Gespräch der neuen CCBE-Präsidentschaft<br />

mit Lawrie Evans, Direktorin im Bereich Wettbewerb,<br />

vorgesehen. Der CCBE hat darüber hinaus angekündigt,<br />

in einem weiteren Dokument aufzuzeigen, dass<br />

weitergehende Deregulierung in vielen Fällen selbst aus<br />

wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive nicht zu positiven<br />

Ergebnissen führt.


MNMeinung & Kritik<br />

Vertrauen zwischen<br />

Mandant und Anwalt –<br />

der Testfall des 1. Juli 2006 *<br />

RVG gibt außergerichtliche Beratung frei:<br />

Wege zur gerechten Vergütungsvereinbarung<br />

Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen,<br />

Köln<br />

Die Anwaltschaft steht 2006 vor einer großen Herausforderung.<br />

Das Vergütungsrecht wird – wie vom Gesetzgeber<br />

2004 angekündigt – teilweise dereguliert. Ab dem 1. Juli<br />

2005 wird es für die außergerichtliche Beratung keinen<br />

gesetzlichen Vergütungstatbestand mehr geben. Anwälte<br />

und Mandanten werden über das Honorar reden müssen.<br />

Der Autor appelliert an die Anwälte, mit dieser neuen<br />

Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen.<br />

I.<br />

Testfälle, so lehrt das Leben, sind wie Weggabelungen.<br />

Der jeweils gewählte Weg kann der richtige sein, er kann<br />

aber auch in die Irre führen. Eine solche Weggabelung für<br />

die Anwaltschaft ist mit einiger Sicherheit der 1. Juli 2006,<br />

der Tag, an dem Anwälte bei außergerichtlichen Streitigkeiten<br />

in der Bestimmung des ihnen zustehenden Honorars frei<br />

sind, nicht mehr an die Kette des gesetzlichen Gebührenrechts<br />

gebunden. Die den Testfall kennzeichnende Frage<br />

aber ist unausweichlich: Wird die jeweils getroffene Gebührenabsprache<br />

als gerecht bewertet – nicht nur dann, wenn<br />

sie getroffen wird und der Anwalt die Übernahme des Mandats<br />

bestätigt, sondern vor allem auch dann, wenn das Mandat<br />

beendet und Abrechnung erteilt worden ist.<br />

In diesem Augenblick wird nämlich gleichzeitig über Erfolg<br />

oder Misserfolg der anwaltlichen Beratung entschieden.<br />

An dieser Einstellung des Verbrauchers, des Bürgers<br />

kann der Anwalt kein Deut ändern. In der Regel will der<br />

Mandant den Erfolg, herbeigeführt durch „seinen“ Anwalt<br />

oder<br />

Der Mandant befindet darüber, ob der Preis<br />

für die Leistung angemessen war<br />

– so er denn prominent und hinreichend wohlhabend ist –<br />

durch „seine Anwälte“. Immeraber ist es der Mandant<br />

selbst, kein Dritter, der nach Maßgabe seiner Zufriedenheit<br />

darüber befindet, ob der vom Anwalt für seine Leistung geforderte<br />

Preis gerecht und angemessen war – und dies vor<br />

allem auch dann, wenn der erhoffte Erfolg nicht die anwaltliche<br />

Leistung krönt.<br />

Natürlich, dieser auf den 1. Juli 2006 datierte Testfall<br />

stellt sich nicht für die großen Anwaltskanzleien, auch nicht<br />

für die Anwälte, die seit geraumer Zeit es gewöhnt sind,<br />

ihre Dienstleistung nach vereinbarten Stundensätzen abzurechnen.<br />

Für sie alle ändert sich an diesem Datum wenig bis<br />

gar nichts. Für die überwältigende Mehrzahl der Anwälte<br />

aber besteht die den Testfall kennzeichnende Schwierigkeit<br />

darin, dass von ihnen ganz und gar Ungewohntes, bislang<br />

nicht Eingeübtes bei Vereinbarung und Abrechnung frei verhandelter<br />

Stundensätze verlangt wird. Doch auch der Verbraucher,<br />

der Bürger, aber auch das kleinere oder mittelständische<br />

Unternehmen haben keine Erfahrung, was denn im<br />

Einzelfall der gerechte und angemessene Preis für die anwaltliche<br />

Dienstleistung ist. Auf beiden Seiten des Marktes<br />

besteht weder Erfahrung noch Transparenz. Ungewissheit<br />

und Wagnis beherrschen das Feld. Und die Frage, ob denn<br />

die vom Anwalt zu bewältigende Rechtsfrage viel oder wenig<br />

Zeit beansprucht und welcher Qualitätsmaßstab hier entscheidet,<br />

ist genauso wenig mit einiger Verlässlichkeit durch<br />

die Marktteilnehmer zu beantworten. Für alle Beteiligten ist<br />

also insoweit das Datum des 1. Juli 2006 ein Testfall.<br />

II.<br />

Bei diesen Bedingungen des Marktes regiert – es sind<br />

dies wohl unverrückbare Gesetzmäßigkeiten – entweder der<br />

mehr oder weniger gekonnte Versuch zum nachhaltigen Poker<br />

– nicht nur auf Seiten des Mandanten, sondern nicht weniger<br />

auch auf Seiten des Anwalts. Das ist die eine Möglichkeit,<br />

die andere: Der Mandant öffnet sich in schierem,<br />

fast blindem Vertrauen dem Angebot des Anwalts und argwöhnt<br />

keine Sekunde, es könnte unehrlich, übersetzt oder<br />

gar unangemessen sein. Gleichgültig, welche Alternative<br />

der Mandant im Rahmen des Gebührengesprächs auswählt,<br />

die Würfel sind bereits gefallen. Denn der Mandant, der<br />

Pokern und Feilschen – oder Vertrauen in<br />

die Ehrlichkeit des Anwalts<br />

sich bei Beginn auf das Feilschen verlegt, mit immer neuen<br />

sprachlichen Nuancen den Preis zu drücken versucht, der<br />

wird dies auch bei Beendigung des Mandats nicht minder<br />

nachhaltig und hartnäckig tun. Denn für einen so denkenden<br />

und auch handelnden Mandanten wird der gerechte Preis<br />

nur mit Hilfe der Kategorie Erfolg oder Misserfolg bewertet.<br />

Mehr noch: Der eingetretene Misserfolg oder – bescheidener<br />

gesagt – der fehlende Sieg über den Gegner begründet<br />

sogleich den Zweifel an der Lauterkeit des Anwalts, vor allem<br />

im Blick auf die Zahl der abgerechneten (und auch<br />

nachgewiesenen) Stunden.<br />

Dieser Zweifel entfaltet vor allem dann seine vielleicht<br />

sogar verheerende Sprengkraft, wenn auf der einen Seite<br />

eine hohe Stundenzahl, auf der anderen aber kein hinreichender<br />

Erfolg den Saldo der beiderseits zu erbringenden<br />

Leistungen ausmacht. Denn dann berührt der Zweifel des<br />

Mandanten sogleich die Kernfrage, ob denn der Anwalt hinreichende<br />

Kompetenz besaß, das ihm angetragene Mandat<br />

auch zielführend und in angemessener Frist zu behandeln.<br />

* Herrn Kollegen Dr. Peter Hamacher, dem scheidenden stellvertretenden Hauptgeschäftsführer<br />

des DAV, in Dankbarkeit für viele wichtige Anregungen zugeeignet.<br />

AnwBl 1 / 2006 47


Meinung & Kritik MN<br />

III.<br />

Das führt jedoch unversehens zu der harten Frage, ob<br />

denn nicht schon bei Übernahme des Mandats – und der immer<br />

wieder in diesen Gesprächen eingeforderten Schätzung<br />

der voraussichtlichen Stundenzahl – der Anwalt hätte erklären<br />

können oder gar müssen, dass er streng genommen erst<br />

„am Fall“ selbst sich das erforderliche Know-How besorgt<br />

– auf Kosten des Mandanten, was bei nicht wenigen Großkanzleien<br />

leider zur Tagesordnung geworden ist. Denn die<br />

den Gewinn erst verbürgende Zahl des „leverage“ (Zahl der<br />

Anwälte pro Partner) belegt genau dies: Der Partnerservice<br />

ist oft (freilich gibt es auch hier Ausnahmen) bei weitem der<br />

billigere, aber auch der preiswertere gegenüber der Arbeit<br />

in einem Team, in dem sich die „Associates“ erst die Sporen<br />

auf Kosten des Mandanten verdienen.<br />

Aber nicht nur dieser Punkt kennzeichnet den am 1. Juli<br />

2006 eintretenden Testfall. Vielmehr und ganz entscheidend:<br />

Es wird wohl nur sehr wenige Verbraucher und Bürger geben,<br />

die sogleich das Feilschen um die Höhe des anwaltlichen<br />

Honorars anzetteln. Die überwältigende Mehrzahl<br />

wird den vom Anwalt geforderten Preis – im rückhaltlosen<br />

Vertrauen auf seine Angemessenheit – akzeptieren. Vielleicht<br />

geschieht dies dann, wenn die Rechnung nach einiger<br />

Zeit erst gestellt ist, mit einigem Murren, weil sie unerwartet<br />

hoch ausfällt und der Mandant überhaupt nicht in der<br />

Lage ist, die Angemessenheit der Rechnung von sich zu<br />

überprüfen. Mangels hinreichender Kenntnis des Marktes<br />

hat der Bürger nämlich keinen anderen Advokaten als das<br />

Vertrauen in die Rechtschaffenheit anwaltlichen Handelns<br />

und anwaltlicher Gebührenberechnung.<br />

IV.<br />

So gesehen ist es ein doppeltes Vertrauen: Es ist das Vertrauen<br />

in die anwaltliche Fachkompetenz, nicht minder aber<br />

in die Redlichkeit und Gradlinigkeit des Anwalts, den geforderten<br />

Preis als gerecht zu behandeln und auch zu akzeptieren<br />

– den Fall des Misserfolges anwaltlicher Beratung eingeschlossen.<br />

Hier erweist sich ein ehernes Gesetz wieder einmal als<br />

zutreffend. Solange die Regulierung der anwaltlichen Gebühren<br />

Bestand hatte, war Verlässlichkeit und Redlichkeit<br />

anwaltlichen Handelns kein wirkliches Thema, weil der Gebührentatbestand<br />

nachprüfbar fixiert war. Die nunmehr<br />

Der Anwalt muss seinen Mandanten vor<br />

sich selbst schützen – das ist der Testfall<br />

eingetretene – und von den Wettbewerbsschützern nachhaltig<br />

begrüßte Deregulierung – findet allerdings als Regulativ<br />

nicht mehr die Institution Anwaltschaft, sondern nur noch<br />

das auf dem Markt handelnde Individuum. Damit sind –<br />

mangels gesetzlicher Halterungen und Stützen zugunsten<br />

der Anwaltschaft wie des Verbrauchers – vor allem redliches<br />

kommerzielles Kalkül und nicht zuletzt das Gewissen<br />

des Anwalts eingefordert. Er ist praktisch verpflichtet, dem<br />

arglosen Bürger zu sagen, dass er für die angesprochene<br />

Rechtsfrage nicht hinreichend kompetent ist, dass er daher<br />

48 AnwBl 1 / 2006<br />

nicht in der Lage ist, einen angemessenen Preis für die erbetene<br />

Dienstleistung in Rechnung zu stellen. Ob das wirklich<br />

geschieht, ist Teil des Testfalls nach dem 1. Juli 2006.<br />

Von diesem Tag an steht der Verbraucher mit seiner – ungewohnten<br />

und unerprobten – Freiheit gegenüber dem Anwalt<br />

mutterseelenallein, wenn er auf dem immer noch reichlich<br />

unübersichtlichen Markt der Rechtsdienstleistungen<br />

Rechtsrat begehrt und gehalten ist, dafür einen angemessenen<br />

oder gar gerechten Preis zu entrichten. Niemand ist da,<br />

der ihm dabei hilft. Man mag einwenden, dass über all diese<br />

Fragen letztlich der Markt entscheidet. Das ist sicherlich die<br />

Signatur des liberalen Zeitgeistes.<br />

Doch damit übersieht man bereits im Ansatz, dass der<br />

Verbraucher hilf- und schutzlos ist. Er ist, selbst wenn er<br />

wollte, nicht in der Lage, sich selbst die erforderliche – regulierende<br />

und kontrollierende – Kenntnis des Marktes und<br />

des angemessenen Marktpreises für anwaltliche Dienstleistungen<br />

zu verschaffen. Schon gar nicht ist er in der Lage,<br />

die Qualifikation des Anwalts und die Qualität der erbrachten<br />

Dienstleistung zu beurteilen. Denn die Mehrzahl der<br />

Empfehlungen stammt vom Hörensagen. Und der Verbraucher<br />

weiß auch nicht, ob es ein rechtlich einfach gelagerter<br />

oder ein komplizierte Fall war, zumal es ja der Erfahrung eines<br />

jeden Anwalts entspricht, die tückischsten Fälle sind<br />

mitunter die, die der Alltag beschert. Daher kann der Verbraucher<br />

auch nicht ermessen, ob die Lösung des Falls nur<br />

eine kurze Beschäftigung oder langwierige Recherchen bedingte,<br />

deren Umfang ja immer auch entscheidend von der<br />

Kompetenz des Anwalts abhängen.<br />

V.<br />

Die hinter dieser Unkenntnis des Verbrauchers liegenden<br />

Fragen berühren indessen den Kern des am 1. Juli 2006<br />

Wirklichkeit werdenden Testfalls. An dieser Stelle erweist<br />

sich nämlich, dass Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant<br />

– wie stets – nur als ein Akt personaler-dualistischer Beziehung<br />

zwischen zwei handelnden und interagierenden Personen<br />

verstanden werden kann. Immer hat Vertrauen zen-<br />

Das notwendige Vertrauen hat mit<br />

„Kundenorientierung“ nicht sehr viel gemein<br />

trale zwischenmenschliche Bezugspunkte. Vertrauen entsteht<br />

auch erst mit der Zeit, es wächst langsam. Immer ist es<br />

in hohem Maße verletzlich. Es lebt von der Prägekraft der<br />

Verlässlichkeit und der Bindungskraft des gegebenen und<br />

dann auch uneingeschränkt eingelösten Versprechens, setzt<br />

daher auch Klarheit und Transparenz der auszutauschenden<br />

Gedanken ebenso voraus wie das offene Wort und das hinhörende,<br />

geduldige zum Verstehen bereits Ohr.<br />

Wie gegenüber dem Arzt oder gegenüber einem Priester<br />

umschreibt das unübertreffliche Wort des Sich-Kümmerns,<br />

des Sich-Sorgens, des Dienens um und für die Belange des<br />

anderen Menschen das hier Gemeinte, damit aber auch den<br />

Kernbestand des einzufordernden, des notwendigen Vertrauens<br />

in der Beziehung zwischen Anwalt und Mandant.<br />

Unverzichtbar ist dieser Grundbestand zwischenmenschlichen<br />

Vertrauens in der Beziehung zwischen Anwalt und


Meinung & Kritik MN<br />

Mandant. Mit der immer wieder von Seiten des Marketing<br />

den Anwälten empfohlenen und auch eingeforderten „Kundenorientierung“<br />

hat das so verstandene Vertrauen nicht<br />

sehr viel gemein. Dieses ist immer dualistisch, auf die handelnden<br />

Personen bezogen damit nicht austauschbar, während<br />

sich die „Kundenorientierung“ – austauschbar und<br />

menschlich bestenfalls an der Oberfläche einer „connection“<br />

verharrend – an den Bedürfnissen des Kunden als<br />

der Marktgegenseite ausrichtet. Vertrauen entsteht und besteht<br />

immer um seiner selbst willen, die „Kundenorientierung“<br />

hingegen wegen des angestrebten Erfolges auf dem<br />

Markt. Doch sicherlich – das soll nicht unter den Tisch fallen<br />

– haben die Haltungen der Verlässlichkeit, der Pünktlichkeit<br />

und auch der Transparenz sowie der Kompetenz im<br />

Vertrauen wie in der „Kundenorientierung“ eine gemeinsame<br />

Wurzel. Immer aber beginnt Vertrauen – das ist der<br />

Kern – im Kleinen, beim ersten Kontakt der sich begegnenden<br />

Menschen im Alltag. Nie kann es mit welchem Rechtstitel<br />

auch immer eingefordert werden, wenn es nicht zuvor<br />

zwischen den Menschen gewachsen ist.<br />

VI.<br />

Gerade weil der Verbraucher, der Bürger – um den Gedankenfaden<br />

wieder aufzugreifen – nicht in der Lage ist,<br />

ohne fremde Hilfe die Angemessenheit der Gebührenrech-<br />

Nicht das Ziel, sondern der gemeinsame<br />

Weg ist der Grund sich entfaltenden<br />

zwischenmenschlichen Vertrauens<br />

nung des Anwalts nachzuvollziehen oder gar zu überprüfen,<br />

kann nur gewachsenes Vertrauen in die Redlichkeit, Verlässlichkeit<br />

und Wahrhaftigkeit anwaltlichen – von Fachkompetenz<br />

getragenen – Handelns dem Misstrauen – gerade im<br />

Fall eines Misserfolges – den Stachel nehmen. Das vor allem<br />

begründet die Reputation des Anwalts. Gerade dann,<br />

wenn Misstrauen sich einschleicht, ist – wie stets im Leben<br />

– das offene, das klärende Gespräch eingefordert. Es ist als<br />

Gespräch zwischen Anwalt und Mandant in seinem Urgrund<br />

nicht anders als das Gespräch zwischen Arzt und Patienten<br />

oder das (seltener gewordene) Gespräch zwischen<br />

dem Seelsorger und dem sündigen Menschen: Es muss auf<br />

Aufklärung über Chancen und Risiken, über Irrwege und<br />

Ziele, über erlöschende Hoffnungen und neue Wege in verständiger<br />

Sorge geführt werden. Und es darf nicht nur am<br />

Anfang oder am Ende der „Therapie“ stehen, sondern muss<br />

den gemeinsamen Weg begleiten. Nicht das Ziel, sondern<br />

der gemeinsame Weg ist der Grund sich entfaltenden zwischenmenschlichen<br />

Vertrauens.<br />

VII.<br />

Eigennutz des Anwalts in Gebührenfrage, das große<br />

Mandat und die Verheißung erheblichen Nutzens – das ist<br />

freilich die große Versuchung, die es nach dem 1. Juli 2006<br />

zu bestehen gilt. Denn nach dem bislang geltenden Gebührenrecht<br />

war der Anwalt gut beraten, den Eigennutz darin<br />

zu sehen, ein solches Mandat möglichst rasch zu beenden.<br />

Das versprach den wirklichen „return on investment“, den<br />

„profit“. Nach dem 1. Juli 2006 wird es im außergerichtlichen<br />

Bereich genau umgekehrt sein. Hier schneidet die<br />

Schere im Kopf des Anwalts genau anders: Nur das reichlich<br />

lang konservierte Mandat verspricht – entsprechend der<br />

Zahl der immer weiter anfallenden und sorgsam in Rechnung<br />

gestellten<br />

Der Eigennutz des Anwalts in<br />

Gebührenfrage: Was war, was wird?<br />

Stunden – den eigenen Vorteil. Und der Eigennutz des Anwalts<br />

schlägt ein Schnippchen nach dem anderen, indem<br />

immer wieder noch zu klärende Rechtsfragen, Zweifel und<br />

Risiken in den Vordergrund gerückt werden – entweder mit<br />

dem Ziel, gleichwohl ein anschließendes Gerichtsverfahren<br />

zu führen und so das Mandat zu halten oder den schon lange<br />

überfälligen Vergleich eben doch nicht zu empfehlen, jedenfalls<br />

noch nicht.<br />

An dieser Stelle die Interessen des Mandanten radikal in<br />

den Vordergrund zu rücken, die eigenen Interessen hintanzustellen,<br />

den Vergleich gleichwohl nachhaltig zu empfehlen<br />

und das wohl dotierte Mandat zu beenden – das erfordert<br />

Mut und Charakter. Denn am Tag nach dem dann so<br />

abgeschlossenen Vergleich droht mitunter die Leere, die indessen<br />

nur durch neue Acquisitionen, durch das Bemühen<br />

um neues Vertrauen zu neuen Mandanten ausgefüllt werden<br />

kann – ständiger Kreislauf im Kampf des Anwalts um das<br />

Recht, für ein wenig mehr Gerechtigkeit zwischen den<br />

Menschen. Das alles wird nach dem 1. Juli 2006 nicht einfacher,<br />

schon gar nicht leichter, weil eben – wie immer im<br />

zwischenmenschlichen Bereich – die vom Anwalt geforderten<br />

und erst Vertrauen zum Mandanten schaffenden Tugenden<br />

bei einer Anwaltschaft, welche sich über das Massenproblem<br />

beklagt, natürlich nicht in der Masse vorhanden<br />

sind, schon gar nicht ohne tägliches Mühen und Rückschritte<br />

des einzelnen Anwalts selbst entstehen.<br />

Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen,<br />

Köln<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Vizepräsident des<br />

Deutschen Anwaltvereins.<br />

AnwBl 1 / 2006 49


MNMitteilungen<br />

Soldan Institut<br />

Erfolgshonorare in der<br />

beruflichen Praxis der<br />

Rechtsanwälte<br />

Neue Serie: Ergebnisse der Umfrage zu<br />

Vergütungsvereinbarungen<br />

Mehr als 1.000 Rechtsanwälte haben dem Soldan Institut<br />

für Anwaltmanagement e.V. im März 2005 Auskunft zu ihren<br />

Gewohnheiten beim Abschluss von Vergütungsvereinbarungen<br />

gegeben. Über 50 Fragen wurden beantwortet.<br />

Als Ergebnis liegen nunmehr erstmals umfassende empirische<br />

Daten zu Vergütungsvereinbarungen deutscher<br />

Rechtsanwälte vor*. Einzelne Aspekte der Studie beleuchtet<br />

das Soldan Institut für Anwaltmanagement in einer Serie<br />

von Kurzbeiträgen. In diesem Monat wird das Problem<br />

des Verbots des Erfolgshonorars aus Sicht der Berufspraxis<br />

analysiert.<br />

I. Das Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars<br />

Das Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars ist im deutschen<br />

Recht gleichsam in Stein gemeißelt – seit mehr als<br />

120 Jahren äußern sich die Gerichte ablehnend gegenüber<br />

jeder Form erfolgsbasierter Vergütung für den Rechtsanwalt.<br />

Sie soll mit dem Gebot anwaltlicher Unabhängigkeit,<br />

der Stellung als Organ der Rechtspflege und den Belangen<br />

der Rechtspflege unvereinbar sein. Der Gesetzgeber<br />

hat die ständige Rechtsprechung 1994 aufgegriffen und ein<br />

ausdrückliches Verbot in § 49 b Abs. 2 BRAO kodifiziert1 .<br />

Nur wenige berufsrechtliche Themen werden seitdem so<br />

grundsätzlich diskutiert wie die Frage der erfolgsabhängigen<br />

Anwaltsvergütung. Auf der einen Seite stehen jene, die<br />

ohne ein solches Verbot eine Verrohung der anwaltlichen<br />

Sitten, die Einkehr „amerikanischer Verhältnisse“ in<br />

Deutschland befürchten. Auf der anderen Seite sind jene anzutreffen,<br />

die die durch Verbot bewirkte Einschränkung der<br />

Vertragsfreiheit von Rechtsanwalt und Mandant für verfassungsrechtlich<br />

problematisch halten und darauf hinweisen,<br />

dass Deutschland mit seiner Bewertung anwaltlicher Erfolgshonorare<br />

bei einem Rechtsvergleich isoliert dasteht<br />

und sich von einem internationalen Trend abgekoppelt hat2 .<br />

Vor dem Hintergrund, dass sich das BVerfG demnächst im<br />

Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Verfassungsmäßigkeit<br />

des Verbots beschäftigen muss3 , ist es reizvoll,<br />

Erkenntnisse über den gegenwärtigen Umgang mit dem Erfolg<br />

anwaltlicher Vergütung als Bestimmungsfaktor für die<br />

Vergütung und diesbezügliche Wünsche der Anwaltschaften<br />

zu gewinnen.<br />

II.Vereinbarung von Erfolgshonoraren<br />

De lege lata sind Erfolgshonorare nicht zulässig. 83 %<br />

der befragten Rechtsanwälte geben vor diesem Hintergrund<br />

an, dass sie keine entsprechenden Vereinbarungen treffen.<br />

8 % räumen allerdings ein, Erfolgshonorare fallweise zu<br />

vereinbaren, wobei dies in gleichem Maße schriftlich (4 %)<br />

wie auch mündlich (4 %) erfolgt (Mehrfachnennungen waren<br />

möglich).<br />

50 AnwBl 1 / 2006<br />

Abb.1: Aufnahme erfolgsabhängiger Komponenten in eine Vergütungsvereinbarung<br />

Die für die gesamte Anwaltschaft erhobenen Werte weichen<br />

von den Daten ab, die für Großkanzleien bekannt sind:<br />

Von diesen gibt nach einer Befragung des Handelsblatts<br />

eine deutlicher größere Zahl, nämlich rund 1/3, entsprechenden<br />

Wünschen der Mandanten nach 4 .<br />

Im Streitfalle durchsetzbar sind diese Vereinbarungen regelmäßig<br />

nicht 5 , scheitert die Vereinbarung doch nach allgemeiner<br />

Auffassung an § 134 BGB und bei bloß mündlicher<br />

Absprache zusätzlich an § 4 RVG (soweit mit dem<br />

Erfolgshonorar die gesetzlichen Gebühren überschritten<br />

werden). Weitere 10 % der Rechtsanwälte geben an, Erfolgshonorare<br />

„unverbindlich“ zu vereinbaren. Nach der ratio<br />

legis des Verbots sind auch solche „unverbindlichen“<br />

Absprachen unerwünscht, da § 49 b Abs. 2 BRAO besondere<br />

Leistungsanreize für den Rechtsanwalt unterbinden will, die<br />

auch durch unverbindliche Absprachen gesetzt werden können.<br />

Dass sich immerhin 17 % aller Anwälte über das explizite<br />

gesetzliche Verbot des § 49 b Abs.2 BRAO hinwegsetzen,<br />

mag ein Indiz dafür sein, dass ein praktisches<br />

Bedürfnis besteht, in bestimmten Mandaten die Vergütung<br />

erfolgsbasiert zu bestimmen.<br />

III. Nachträgliche Ergebnisorientierung der Vergütung<br />

Dass der Erfolg der anwaltlichen Bemühungen in der<br />

Praxis trotz des Verbots, verbindliche Erfolgshonorarvereinbarungen<br />

zu treffen, gleichwohl eine erhebliche Bedeutung<br />

für die Vergütung hat, erhellt sich aus den Antworten der<br />

Anwaltschaft auf die Frage, ob eine abgerechnete Vergütung<br />

schon einmal an den Erfolg der Tätigkeit angepasst<br />

worden ist. Ein solches Vorgehen ist vom Verbot des § 49 b<br />

Abs. 2 BRAO nicht erfasst, da die Vorschrift lediglich erfolgsdifferenzierende<br />

Vergütungsvereinbarungen im laufen-<br />

* Die Gesamtstudie wird zum Anwaltstag 2006 als Band 3 der Schriftenreihe des<br />

Soldan Instituts für Anwaltmanagement im Anwaltverlag, Bonn, erscheinen<br />

1 Ausführlich hierzu Kilian, Der Erfolg und die Vergütung des Rechtsanwalts,<br />

Bonn 2003.<br />

2 Vgl. die Länderübersicht bei Kilian, aaO, S. 453–487; ferner Krämer/Mauer/Kilian,<br />

Vergütungsvereinbarung und -management, München 2005, Rdnr. 495.<br />

3 Das Verfahren wird unter dem Az. 1 BvR 2576/04 geführt. Vgl. Filges, Kammerreport<br />

Hamburg 2005/4, S. 1 f. KammerForum Köln 2005, 242 ff.<br />

4 Lichter/Tödtmann, Handelsblatt vom 29. April 2005.<br />

5 Zur kautelarjustistischen Gestaltung zulässiger, wirkungsähnlicher Vereinbarungen<br />

Krämer/Mauer/Kilian, aaO, Rdnrn. 488 ff.


MN Mitteilungen<br />

Abb. 2: Anpassung der Abrechnung nach Mandatsende an den<br />

Erfolg der Tätigkeit nach Kanzleigröße<br />

den Mandat untersagt6 . Eine nachträgliche Anpassung ist<br />

hingegen berufsrechtlich unbedenklich, sie darf nach allgemeiner<br />

Auffassung sogar vom Rechtsanwalt – unverbindlich<br />

– in Aussicht gestellt werden. 59 % aller Rechtsanwälte<br />

geben an, entsprechende erfolgsbedingte „Korrekturen“ am<br />

eigentlich geschuldeten Honorar schon einmal vorgenommen<br />

zu haben. Die entsprechenden korrigierenden Eingriffe<br />

können mannigfaltig sein und von der Zugrundelegung eines<br />

fiktiv niedrigen Streitwerts über eine Reduzierung der<br />

abgerechneten Stunden bis hin zur Ermäßigung des Stundensatzes<br />

oder einem pauschalen Abschlag reichen.<br />

Häufiger kommen solche erfolgsabhängigen Korrekturen<br />

in Kanzleien vor, die einen hohen Anteil (>30 %) an gewerblichen<br />

Mandaten haben (64 % : 56 %).<br />

In eine ähnliche Richtung zielt die ebenfalls gestellte<br />

Frage, ob in geeigneten Mandaten nach Abschluss des Mandats<br />

nicht einseitige Korrekturen vorgenommen, sondern regelrechte<br />

Vergütungsvereinbarungen getroffen werden, die<br />

sich am Erfolg des Anwalts orientieren. Dies kommt bei<br />

77 % der Rechtsanwälte nie und bei 23% selten bzw. gelegentlich<br />

vor. Bei Anwälten, die einen geringen Anteil gewerblicher<br />

Mandate abrechnen (< 30 %), kommt es deutlich<br />

seltener zu solchen Vereinbarungen („nie“ = 83,4 %) als bei<br />

Kanzleien mit gewerblich geprägter Mandantschaft („nie“ =<br />

69,7 %).<br />

Abb. 3: Treffen von erfolgsorientierten Vergütungsvereinbarungen<br />

bei geeigneten Mandaten nach Abschluss des Mandats<br />

6 Näher Krämer/Mauer/Kilian, aaO, Rdnr. 488.<br />

Zwischenruf<br />

Der transparente<br />

Anwalt – wie handelt er,<br />

was denkt er?<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Können 1.000 Rechtsanwälte für mehr als 130.000<br />

Anwälte sprechen? Sie können. Das versichern uns die<br />

Sozialwissenschaftler. Das Soldan Institut für Anwaltsmanagement<br />

hat 1.000 Anwälte – in einer repräsentativen<br />

Studie – nach ihrer Abrechnungspraxis gefragt.<br />

Nicht zum Umgang mit den Gebühren des RVG, sondern<br />

mit Vergütungsvereinbarungen. Das ist spannend,<br />

spricht doch kaum ein Kollege offen über seine Erfahrungen.<br />

Dabei erfreut sich die Vergütungsvereinbarung<br />

bei Mandanten und Anwälten wachsender Beliebtheit.<br />

Der Mandant will keine Überraschungen erleben und<br />

für den Anwalt ist es ein Weg, das Honorar für das<br />

Mandat möglichst genau zu kalkulieren.<br />

Anwältinnen und Anwälte aus allen Kanzleiformen<br />

und -größen wurden vom Soldan Institut nach den von<br />

ihnen bevorzugten Vergütungsmodellen, Methoden der<br />

Preisfindung, der Höhe der Vergütung und ihrer Meinung<br />

zu aktuellen Entwicklungen wie dem Factoring<br />

von Vergütungsforderungen, Preisvereinbarungen mit<br />

Versicherungsunternehmen oder dem Erfolgshonorar<br />

befragt. Erstmals liegen damit empirische Daten vor.<br />

Die vom Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />

unterstützte Studie wird zum 57.<br />

Deutschen Anwaltstag in Köln erscheinen. Im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

werden wichtige Ergebnisse der Studie ab<br />

diesem Heft Monat für Monat in einer Serie vorgestellt.<br />

Den Beginn macht die Auswertung zum Erfolgshonorar.<br />

Denken Sie daran: Selbst die harten Verweigerer unter<br />

den Anwälten können sich ab dem 1. Juli 2006 der<br />

Vergütungsvereinbarung nicht mehr entziehen. Dann<br />

fallen die gesetzlichen Anwaltsgebühren für die außergerichtliche<br />

Beratung ersatzlos weg. Schließen Mandant<br />

und Anwalt keine Vergütungsvereinbarung, kann<br />

der Anwalt nur die übliche Vergütung verlangen. Ist der<br />

Mandant gar Verbraucher, ist die übliche Vergütung für<br />

die Erstberatung bei 190 Euro und für jede andere Beratung<br />

bei 250 Euro gedeckelt (§ 34 Abs. 1 Satz 3 RVG<br />

n. F.).<br />

Wenn Sie nicht handeln, wird der Mandant sich gelassen<br />

zurücklehnen können.<br />

Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und leitet die Redaktion<br />

des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />

AnwBl 1 / 2006 51


MN Mitteilungen<br />

Die Zahlen belegen nachdrücklich, dass das gesetzgeberische<br />

Anliegen, dass der Erfolg des Anwalts für seine Vergütung<br />

keine Rolle spielen soll, in der Praxis von einem Teil<br />

der Anwaltschaft nicht beachtet bzw. umgangen wird.<br />

IV. Einstellung der Mandanten zu Erfolgshonoraren<br />

10 % der befragten Rechtsanwälte berichten, dass sie<br />

häufig von Mandanten auf die Möglichkeit der Aufnahme<br />

erfolgsabhängiger Komponenten in ihre Vergütung angesprochen<br />

werden. Bei 33 % der Rechtsanwälte ist dies gelegentlich,<br />

bei 36 % selten der Fall. Lediglich 22 % der<br />

Rechtsanwälte berichten, dass eine solche Frage von Seiten<br />

der Mandanten nie aufgebracht wird. Das Handelsblatt ist<br />

bei seiner auf Großkanzleien beschränkten Befragung zu einem<br />

ähnlichen Wert gelangt und hat ermittelt, dass rund<br />

50 % aller Mandanten der Großkanzleien Erfolgshonorare<br />

wünschen7 . Die Erfahrungen der gesamten Anwaltschaft –<br />

vom Einzelanwalt bis zur Großkanzlei – unterscheiden sich<br />

damit nicht grundlegend von jenen der „Law Firms“:<br />

Anwälte werden von Mandanten häufig oder zumindest gelegentlich<br />

auf die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />

angesprochen. Allerdings gibt in der Gesamtanwaltschaft<br />

eine deutlich geringere Zahl von Anwälten<br />

einem solchen Ansinnen nach als dies in den Großkanzleien<br />

der Fall ist.<br />

Abb. 4:Wunsch des Mandanten, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren,<br />

nach Mandatsstruktur<br />

Ein Grund hierfür ist, dass gewerbliche Mandanten, eine<br />

Klientel also, die Großkanzleien fast ausschließlich betreuen,<br />

stärker auf Erfolgshonorare drängen: 49 % dieser<br />

Mandanten äußern häufig oder gelegentlich den Wunsch,<br />

Mandate nach Erfolg abzurechnen.<br />

V. Einstellung der Anwaltschaft zu Erfolgshonoraren<br />

Es kann daher nicht verwundern, dass die Hälfte der Anwälte<br />

Veränderungsbedarf sieht. 50 % der Anwälte bejahen<br />

die Frage, ob sie bei Zulässigkeit einer solchen Absprache<br />

in geeigneten Mandaten auf Wunsch des Mandanten vereinbaren<br />

würden, dass ihre Vergütung im Misserfolgsfall nied-<br />

7 Lichter/Tödtmann, Handelsblatt vom 29. April 2005.<br />

52 AnwBl 1 / 2006<br />

Abb. 5: Bereitschaft, zulässiges Erfolgshonorar auf Wunsch<br />

des Mandanten zu vereinbaren<br />

Abb. 6: Bereitschaft, zulässiges Erfolgshonorar zu vereinbaren<br />

nach Mandatsstruktur<br />

riger und im Erfolgsfall höher sein soll als ihre gewöhnliche<br />

Vergütung.<br />

Die in der Anwaltschaft gespaltene Meinung zu Erfolgshonoraren<br />

spiegelt sich in diesen Zahlen wider, wenngleich<br />

sich nur wenig mehr als ein Drittel aller befragten Rechtsanwälte<br />

definitiv ablehnend gegenüber der Möglichkeit der<br />

Erfolgs-Basierung ihrer Vergütung äußert.<br />

Anwälte, die vor allem gewerbliche Mandanten betreuen,<br />

befürworten Erfolgshonorare deutlich häufiger als<br />

solche mit geringerem gewerblichen Mandatsaufkommen.<br />

Dies ist ein deutlicher Hinweis auf einen wachsenden Nachfragedruck,<br />

der Abrechnungssysteme dieser Art verstärkt.<br />

Fazit: Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass die<br />

Problematik der Erfolgshonorare in der Zukunft marktgetrieben<br />

einen höheren Stellenwert erhalten wird.<br />

Vorschau: Der nächste Bericht aus dem Soldan Institut<br />

wird sich mit der Einstellung der Anwaltschaft zum Factoring<br />

anwaltlicher Vergütungsforderungen („Verrechnungsstellen“)<br />

befassen.<br />

Projektteam: Prof. Dr. Christoph Hommerich, Rechtsanwalt Dr.<br />

Matthias Kilian, Dipl.-Soz. Heike Jackmuth, Mag. rer. publ., Thomas<br />

Wolf, M.A.<br />

Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, kilian@soldaninstitut.de.


MN Mitteilungen<br />

RVG – Frage des Monats<br />

Terminsgebühr ohne<br />

Termin<br />

Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 27.10.05<br />

KG bejaht Terminsgebühr für Vergleich<br />

Das Kammergericht hat am 27.10.05 einen zu begrüßenden<br />

Beschluss gefasst. Der Tenor lautet: Die Mitwirkung<br />

des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines schriftlichen<br />

Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO löst eine Terminsgebühr<br />

nach Nr. 3104 Abs. 1 VV-RVG aus (AZ: 27 W<br />

65/05, veröffentlicht in diesem Heft auf S. 73). Das KG<br />

weist darauf hin, dass die Frage umstritten ist, ob bei Abschluss<br />

eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO für den<br />

Rechtsanwalt eine Terminsgebühr anfällt – und schließt sich<br />

erfreulicherweise derjenigen Auffassung an, die für die Mitwirkung<br />

des Anwalts am Zustandekommen eines Vergleichs<br />

in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben<br />

ist, immer auch eine Terminsgebühr zubilligt<br />

(so schon OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.6.05 – 8 W 180/05,<br />

zitiert bei juris und Beschl. v. 8.9.05 – 8 W 415/05, AGS<br />

2005, 482). Der schriftliche Vergleich ist nach Ansicht des<br />

KG nach dem Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 die gleichwertige<br />

Alternative zur Gerichtsentscheidung. Damit werde<br />

die Intention des Gesetzgebers berücksichtigt, die Einigung<br />

in einem möglichst frühen Verfahrensstadium zu fördern<br />

und zu honorieren und damit zur Verfahrensbeschleunigung<br />

und zur Justizentlastung beizutragen. Das KG hat die<br />

Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />

BGH beendet OLG-Disput über Terminsgebühr<br />

Das wäre nicht nötig gewesen. Ebenfalls am 27.10.05<br />

entschied der BGH (III ZB 42/05, veröffentlicht in diesem<br />

Heft auf S. 71) ebenso und beendet damit einen Disput verschiedener<br />

Oberlandesgerichte, ob in der erwähnten Konstellation<br />

die Terminsgebühr anfällt oder nicht. Der BGH<br />

hebt mit dem Beschluss die Entscheidung des OLG Nürnberg<br />

vom 24.2.2005 – 2 W 208/05 (vgl. NJW-RR 2005,<br />

655; vgl. auch die ähnlich lautende Entscheidung des OLG<br />

Nürnberg, Beschl. v. 15.12.2004 – 3 W 4006/04 mit kritischer<br />

Anmerkung Henke, AnwBl 2005, 222) auf und begründet<br />

knapp und überzeugend, warum dem Anwalt eine<br />

Terminsgebühr zusteht, wenn in einem in 1. Instanz geführten<br />

Zivilprozess über den rechtshängigen Anspruch (auf<br />

Vorschlag des Gerichts) ein schriftlicher Vergleich nach §<br />

278 Abs. 6 ZPO geschlossen wird. Die Terminsgebühr entsteht<br />

also auch dann, wenn in einem Verfahren, für das<br />

mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis<br />

mit den Parteien oder gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a. F.)<br />

oder gemäß § 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />

wird oder – und das ist gegenüber der Rechtslage<br />

nach § 35 BRAGO neu – in einem solchen Verfahren ein<br />

schriftlicher Vergleich geschlossen wird.<br />

Grundsätzlich und in Übereinstimmung mit der bisherigen<br />

Rechtslage soll der Prozessbevollmächtigte, der in einem<br />

Zivilprozess im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit<br />

(§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten kann, in der<br />

mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen,<br />

keinen Gebührennachteil erleiden, wenn durch eine andere<br />

Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung ver-<br />

zichtet wird. Dies betrifft zunächst die Fälle, in denen nach<br />

§ 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien oder gemäß<br />

§ 307 Satz 2 ZPO a. F. oder bei einem 600 E nicht übersteigenden<br />

Streitwert (§ 495 a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung<br />

ohne mündliche Verhandlung entschieden werden<br />

kann. Dabei wird die Terminsgebühr erst durch den Erlass der<br />

Entscheidung ausgelöst. Der Erlass einer Entscheidung ist zur<br />

Entstehung der Terminsgebühr nicht erforderlich, wenn in einem<br />

Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben<br />

ist, ein Vergleich schriftlich geschlossen wird.<br />

Allein der Umstand, dass das Gericht nach § 278 Abs. 6<br />

Satz 2 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines nach<br />

Satz 1 der Bestimmung geschlossenen Vergleichs durch Beschluss<br />

feststellt, der nach § 128 Abs. 4 ZPO ohne mündliche<br />

Verhandlung ergehen kann, ist für die Entstehung der<br />

Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung. Der<br />

BGH stützt seine Auffassung auf den Wortlaut und auf die<br />

überwiegende Meinung in der Literatur.<br />

Damit schiebt der III. Zivilsenat abweichende obiterdictum-Ausführungen<br />

anderer BGH-Senate beiseite (z. B.<br />

vom 30.3.2004, VI ZB 81/03, AnwBl 2004, 593 mit kritischer<br />

Anm. Henke und vom 30.6.2004, VI ZB 81/03 (Bestätigung<br />

auf Gegenvorstellung des Bf. vom 02.06.04), NJOZ<br />

2004, 2004, 4083, 4084), die sich mit den im vorliegenden<br />

Verfahren streiterheblichen Vorschriften nur am Rande -<br />

ohne, dass es auf sie angekommen wäre - beschäftigt haben.<br />

Ein Verfahren nach § 132 GVG vor dem Großen Senat war<br />

daher nicht erforderlich.<br />

Eine Rechtsbeschwerde in der o. g. KG-Entscheidung<br />

dürfte sich damit erledigt haben.<br />

Bleiben noch Fragen offen?<br />

Leider ja. So birgt bereits der Leitzsatz des BGH Anlass<br />

für Missverständnisse: Bestätigt wird die Entstehung einer<br />

Terminsgebühr, wenn der Vergleichsvorschlag vom Gericht<br />

ausgeht. Nach § 278 Abs. 6 1. Alt ZPO kann ein gerichtlicher<br />

Vergleich auch durch schriftlichen Vergleichsvorschlag<br />

der Parteien vor dem Gericht geschlossen werden.<br />

Deshalb ist es hilfreich, dass das KG diese Konstellation definitiv<br />

als terminsgebührauslösend bewertet hat. Der Absicht<br />

des Gesetzgebers, in jeder Verfahrenssituation zu einer<br />

einvernehmlichen Verfahrensbeendigung Anreiz zu geben,<br />

kommt die Auslegung des KG am nächsten.<br />

Eine zweite Frage: Findet die Entscheidung des BGH<br />

auch für Vergleichsabschlüsse in einem einstweiligen Verfügungsverfahren<br />

Anwendung? Dort ist keine mündliche<br />

Verhandlung vorgeschrieben. In der Begründung scheint der<br />

BGH dahin zu tendieren, dass es die Vergleichs-Terminsgebühr<br />

nur für solche Verfahren gibt, für die eine mündliche<br />

Verhandlung vorgeschrieben ist. In Verfügungsverfahren<br />

sollte daher der Anwalt vorsichtshalber vor Abschluss eines<br />

beabsichtigten Vergleichs unmittelbar mit dem Prozessbevollmächtigten<br />

bzw. dem Gegner Kontakt aufnehmen, um<br />

die Sache mit Streitbeilegungsabsicht zuvor zu besprechen.<br />

Schließlich bleibt offen, ob auch bei einem PKH-Bewilligungsverfahren<br />

die Regelung des § 278 Abs. 6 ZPO Anwendung<br />

findet. Hier steht die mündliche Erörterung mit<br />

den Parteien im Ermessen des Gerichts (vgl. Mock in einer<br />

Anm. zu dem BGH-Beschl., AGS 2005, 540, 542).<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

RVG-Fragen können DAV-Mitglieder im Internet-Forum unter<br />

www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben sich bereits<br />

rund 3.100 Benutzer registrieren lassen.<br />

AnwBl 1 / 2006 53


MN Mitteilungen<br />

Anwaltsvergütung<br />

Gegenstandswertkappung<br />

auf 30 Mio. E durch § 22<br />

Abs. 2 RVG<br />

Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />

Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) führte erstmals<br />

eine Kappungsgrenze bei 30 Mio. E Gegenstandswert für<br />

die Anwaltsgebühren ein. Die Zahl der Mandate, die von<br />

dieser Kappungsregelung betroffen sind, dürfte zwar überschaubar<br />

sein. Für die Anwaltskanzleien, die solche lukrativen<br />

Mandate führen, ist die Kappungsgrenze aber von<br />

erheblichem Gewicht: Sie verändert die Kulisse der gesetzlichen<br />

Gebührenregelung für die Verhandlung über die<br />

Höhe des Anwaltshonorars ganz erheblich. Bei sehr hohen<br />

Streitwerten reduziert die neue Regelung die gesetzlich<br />

vorgesehenen Anwaltsgebühren auf einen Bruchteil der<br />

früheren Vergütung.<br />

Zum 1. Juli 2004 hat der Gesetzgeber im Kostenrecht<br />

erstmals eine Kappung bei den Gerichtsgebühren (§ 39<br />

Abs. 2 GKG: Streitwert höchstens 30 Mio. E) und auch bei<br />

der Anwaltsvergütung (§ 22 Abs. 2 RVG: Gegenstandswert<br />

Thema Streitwert<br />

30 Mio. E<br />

Streitwert<br />

100 Mio. E<br />

mit<br />

Kappungsgrenze<br />

höchstens 30 Mio E; bei mehreren Auftraggebern in der selben<br />

Angelegenheit 30 Mio. E pro Auftraggeberperson,<br />

max. bis 100 Mio. E) eingeführt. Die Gebührenbegrenzung<br />

wurde im Vorfeld der RVG-Gesetzgebung von Anwälten in<br />

Großkanzleien zwar misstrauisch beäugt und auch kritisiert,<br />

insgesamt in der Anwaltschaft aber bisher wohl wenig zur<br />

Kenntnis genommen – und bei RVG-Seminaren von den<br />

Teilnehmern eher belächelt.<br />

Berechnet man aber die tatsächlichen Veränderungen bei<br />

der Vergütung auf Grund der neu eingeführten Gegenstandswertkappung,<br />

so kommt man zu erstaunlichen Resultaten.<br />

Die nachfolgende Übersicht zeigt die Dimension der Differenzen<br />

auf, die einzig und allein durch die Kappung des Gegenstandwertes<br />

auf 30 Mio. E entsteht und zwar anhand<br />

von drei Fallbeispielen mit 30 Mio. E, mit 100 Mio. E und<br />

mit 500 Mio. E Gegenstandswert.<br />

Fallgestaltung: Gerichtsgebühren und Kosten für den eigenen<br />

Anwalt nach RVG in einem erstinstanzlichen Zivilprozess<br />

am Landgericht; nur ein Auftraggeber, keine<br />

außergerichtliche Mandatierung, Termin, Verhandlung, Urteil,<br />

Streitwert alternativ 30 Mio. E, 100 Mio. E und<br />

500 Mio. E, gerechnet einmal ohne Kappung nach BRAGO<br />

und alternativ mit der RVG-Kappung auf max. 30 Mio. E<br />

für die Wertberechnung aus § 22 Abs. 2 RVG und § 39<br />

Abs. 2 GKG; alle Beträge in E.<br />

Der nach RVG abrechnungsfähige Vergütungsbetrag<br />

liegt also in der genannten Fallgestaltung bei einem Gegen-<br />

Streitwert<br />

100 Mio. E<br />

ohne<br />

Kappungsgrenze<br />

Streitwert<br />

500 Mio. E<br />

mit<br />

Kappungsgrenze<br />

Streitwert<br />

500 Mio. E<br />

ohne<br />

Kappungsgrenze<br />

Gerichtsgebühren:<br />

3,0 Verfahrensgebühr aus<br />

GKG-KV Nr. 1210<br />

Anwaltsvergütung:<br />

274.368,00 274.368,00 904.368,00 274.368,00 4.504.368,00<br />

– 1,3 Verfahrensgebühr aus<br />

RVG-VV Nr. 3100<br />

118.945,00 118.945,00 391.944,80 118.945,00 1.951.944,80<br />

– 1,2 Terminsgebühr aus<br />

RVG-VV Nr. 3104<br />

109.795,00 109.795,00 361.795,20 109.795,00 1.801.792,20<br />

– Auslagenpauschale aus<br />

RVG-VV Nr. 7002<br />

20,00 20,00 20,00 20,00 20,00<br />

Zwischensumme RA-Vergütung<br />

netto<br />

228.760,00 228.760,00 753.760,00 228.760,00 3.753.760,00<br />

– USt. 16 % aus<br />

RVG-VV Nr. 7008<br />

36.601,60 36.601,60 120.601,60 36.601,60 600.601,60<br />

Zwischensumme Anwaltsgebühren<br />

brutto<br />

265.361,60 265.361,60 874.361,60 265.361,60 4.354.361,60<br />

Gesamtbetrag von Gerichtsund<br />

Anwaltsgebühren<br />

539.729,60 539.729,60 1.778.729,60 539.729,60 8.858.729,60<br />

Differenz der Kosten durch<br />

die Streitwertdeckelung:<br />

Gerichts- und<br />

Anwaltsgebühren<br />

nur Gerichtsgebühren<br />

nur Anwaltsvergütung<br />

– bei 30 Mio. E Wert 0,00 0,00 0,00<br />

– bei 100 Mio. E Wert ./. 1.239.000,00 ./. 630.000,00 ./. 609.000,00<br />

– bei 500 Mio. E Wert ./. 8.319.000,00 ./. 4.230.000,00 ./. 4.089.000,00<br />

54 AnwBl 1 / 2006


MN Mitteilungen<br />

standswert von 100 Mio. E Wert um 609.000 E niedriger,<br />

als ein ungekappter Gebührenbetrag nach der BRAGO. Die<br />

RVG-Vergütung beträgt also nur noch ca. 30 % der früheren<br />

BRAGO-Gebühren. Die extreme Reduzierung wird deutlich<br />

bei dem Fallbeispiel mit Gegenstandswert 500 Mio. E. Hier<br />

sinkt die bis zum 30.6.2004 theoretisch mögliche BRAGO-<br />

Gebühr von 4.354.361,60 E auf 265.361,60 E nach RVG<br />

und reduziert sich damit um 4.089.000 E. Die nach RVG<br />

mögliche Vergütung beträgt also nur noch ca. 6 % der nach<br />

BRAGO möglichen Vergütung bei 500 Mio. E Wert. In<br />

etwa gleicher Dimension reduziert sich auch die Höhe der<br />

Gerichtsgebühren. Haben die Bundesländer diese Konsequenz<br />

eigentlich bedacht?<br />

Im Gegenzug zur Vergütungsbegrenzung ist die für eine<br />

Haftpflichtversicherung aufzuwendende Versicherungsprämie<br />

oberhalb der Kappungsgrenze von 30 Mio. E nach<br />

RVG VV Nr. 7007 ohne weitere Vereinbarung als Auslage<br />

gegenüber dem eigenen Mandanten (und bei erfolgreichen<br />

Prozessverfahren natürlich auch im Wege der Kostenfestsetzung<br />

gegenüber der Gegenseite) erstattungsfähig (vgl. dazu<br />

den nachfolgenden Beitrag von Zimmermann ab S. 55). Versicherungsprämien<br />

für Haftpflichtabsicherungen in der Größenordnung<br />

dreistelliger Millionenbeträge sind exorbitant.<br />

Ohne eine wasserdichte Vergütungs- und Haftungsbegrenzungsvereinbarung<br />

mit dem eigenen Mandanten sind solche<br />

Aufträge mit dem RVG als Hintergrund kaum noch zu<br />

handhaben. Die Gebühren-„Kulisse“ der BRAGO machte<br />

dagegen die Honorarverhandlungen erheblich entspannter.<br />

Die hohen Gebührenbeträge der BRAGO verursachten einen<br />

erheblichen Einigungsdruck im Hinblick auf die Anwaltsgebühren<br />

und zwar zu Gunsten der Rechtsanwälte.<br />

Verfassungsbeschwerde gegen Kappungsgrenze anhängig<br />

Seit April 2005 ist eine Verfassungsbeschwerde, eingelegt<br />

durch eine große Baurechtskanzlei, beim Bundesverfassungsgericht<br />

anhängig (1 BvR 910/05). Die Verfassungsbeschwerde<br />

richtet sich direkt gegen § 22 Abs. 2 RVG und<br />

rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12<br />

Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführer berichten über eine Vielzahl<br />

von baurechtlichen Großprojekten mit Gegenstandswerten<br />

jenseits der 30 Mio. E, bei zwei Projekten sogar jenseits<br />

der Milliardengrenze und schildern die Konsequenzen<br />

bei Verhandlungen über die Höhe des Anwaltshonorars und<br />

die Auswirkungen von § 22 Abs. 2 RVG auf ihre Praxis.<br />

Die Erfolgsaussichten dieser Verfassungsbeschwerde sind<br />

nicht zu unterschätzen. Mit einer Entscheidung ist wohl im<br />

Laufe des Jahres 2006 zu rechnen.<br />

Udo Henke, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt, Geschäftsführer des DAV und<br />

Mitglied der Redaktion des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />

Anwaltsvergütung<br />

Kappungsgrenze<br />

im RVG: Haftpflicht- kosten<br />

als Auslage<br />

Kostentragung nach 7007 VV-RVG<br />

Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL), Frechen<br />

Mit Einführung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />

(RVG) wurde ein neuer Gebührentatbestand für die Kosten<br />

einer mandatsbezogenen Haftpflichtversicherung im Einzelfall<br />

geschaffen. Im Folgenden werden die Voraussetzungen<br />

für diese gesetzliche Kostentragung (I) sowie ergänzend<br />

vertragliche Kostentragungsmöglichkeiten (II)<br />

vorgestellt. Die Frage nach den Versicherungskosten<br />

würde sich nicht stellen, wenn die Berufshaftpflichtversicherung<br />

von vornherein vermeidbar oder nur auf ein<br />

Mindestmaß reduzierbar wäre. Dem steht jedoch die<br />

Pflicht<br />

(III).<br />

zu angemessenen Versicherungsschutz entgegen<br />

I. Gesetzliche Kostentragung<br />

Ab einem Gegenstandswert von E 30 Mio. in derselben<br />

Sache partizipieren die Anwaltsgebühren nicht mehr am<br />

Gegenstandswert, § 22 Abs. 2 RVG. Diese Kappungsgrenze<br />

stellt eine Verschlechterung gegenüber der früheren Rechtslage<br />

dar, vgl. § 7 BRAGO. Die Kosten für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung<br />

steigen jedoch entsprechend<br />

der Versicherungssumme ohne Höchstgrenze. Die<br />

Degression der Anwaltsvergütung und besonders die Gebührengrenze<br />

ab einem Auftragswert von E 30 Mio. öffnen<br />

daher eine Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben.<br />

Als Ausgleich wurde ein neuer Gebührentatbestand in<br />

Nr. 7007 VV-RVG geschaffen. Demnach kann der Anwalt<br />

erheben:<br />

1. die gezahlte Prämie für die im Einzelfall abgeschlossene<br />

Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden,<br />

2. soweit die Prämie auf Haftungsbeträge von mehr als<br />

E 30 Mio. entfällt.<br />

1. Einzelfallversicherung<br />

Zunächst bedarf es also einer Einzelfallversicherung. Im<br />

Unterschied zur allgemeinen Berufshaftpflichtversicherung,<br />

die sich auf die allgemeine Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />

oder der Sozietät bezieht, gilt die Objektversicherung für<br />

das einzelne Mandat. Die konkreten Kosten hängen von einer<br />

individuellen Risikoanalyse ab, die der Versicherer regelmäßig<br />

anhand einer Beschreibung des zu versichernden<br />

Mandats vornimmt.<br />

Bei der Wahl der mandantenbezogenen Versicherungssumme<br />

bestehen zwei Möglichkeiten:<br />

a) als Grundversicherung<br />

Überwiegend wird die Objektversicherung unabhängig<br />

von bestehenden Versicherungen ab dem ersten Euro Versicherungssumme<br />

versichert. Das bedeutet zum Beispiel,<br />

dass ein Mandat mit einem Risiko von E 50 Mio. auch zu<br />

E 50 Mio. versichert wird.<br />

AnwBl 1 / 2006 55


MN Mitteilungen<br />

b) als Anschlussversicherung<br />

Alternativ gibt es die Möglichkeit, das Objekt im Anschluss<br />

an einen bestehenden Grundvertrag zu versichern.<br />

Besteht zum Beispiel eine allgemeine Sozietätsversicherung<br />

mit einer Versicherungssumme von E 30 Mio., kann das<br />

Mandat im Anschluss an diese Versicherung gesondert versichert<br />

werden. Bei einem mandatsbezogenen Risiko von<br />

E 50 Mio. und einer Sozietätsversicherung von E 30 Mio.<br />

bezieht sich die Einzelfallversicherung auf die fehlende Versicherungssumme<br />

von E 20 Mio. im Anschluss an E 30<br />

Mio. Zwar lässt sich über diese Möglichkeit eine gewisse<br />

Prämienersparnis erzielen, da die Grundversicherung bereits<br />

durch die Sozietät versichert ist. Auf der anderen Seite besteht<br />

bei dieser Gestaltung die Gefahr, dass die Versicherungssumme<br />

der Sozietätsversicherung aufgeweicht wird.<br />

Sie stünde bei dieser Variante für eine Vielzahl von Mandaten<br />

im Risiko, so dass ein Schadensfall in einem Mandat<br />

auch den Schutz der übrigen Mandate beeinträchtigen<br />

könnte. Um dies zu vermeiden, sollte vorsorglich auf eine<br />

ausreichende Maximierung der Jahreshöchstleistung der<br />

Grund- oder Sozietätsversicherung geachtet werden.<br />

2. Für den 30 Mio. übersteigenden Teil der Versicherungssumme<br />

Erstattungsfähig sind die Kosten für den E 30 Mio. übersteigenden<br />

Anteil der Versicherungssumme, Nr. 7007 VV-<br />

RVG. Der Gesetzestext geht zunächst von einer gesonderten<br />

Anschlussversicherung nach einer Grundversicherung von<br />

E 30 Mio. aus (vgl. 1b). Die Prämie für diese Versicherungslösung<br />

ist eindeutig bestimmbar.<br />

Können hingegen die anteiligen Kosten nicht ermittelt<br />

werden, weil die E 30 Mio. überschreitende Versicherungssumme<br />

nicht über eine gesonderte Anschlussdeckung dokumentiert<br />

wurde (wie oben zu 1 a), so ist der E 30 Mio. übersteigende<br />

Teil der Versicherungssumme im Verhältnis zu der<br />

Gesamtprämie zu setzen (Nr. 7007 Satz 2 VV-RVG). Wird<br />

zum Beispiel ein Mandat mit E 50 Mio. Versicherungssumme<br />

zu einer Prämie von E 55.000 versichert, gilt folgende Rechnung:<br />

E 55.000 dividiert durch E 50 Mio. Versicherungssumme<br />

ergibt eine anteilige Prämie von E 1.100 je E 1 Mio.<br />

Versicherungssumme multipliziert um den E 30 Mio. übersteigenden<br />

Anteil, nämlich E 20 Mio., also E 22.000.<br />

II.Vertragliche Kostentragung<br />

Wegen der Gebührendegression öffnet sich die Einnahmen-Ausgaben-Schere<br />

im Verhältnis zu den Versicherungskosten<br />

regelmäßig bereits unter der Grenze von E 30 Mio.<br />

Gegenstandswert. Daher empfiehlt sich eine vertragliche<br />

Kostentragungsregel bereits im niedrigen Summenbereich.<br />

In der Praxis stellt ein Rechtsanwalt seinen Mandant bei<br />

Mandatsübernahme vor die Wahl, entweder einer Haftungsbegrenzung<br />

gem. § 51a BRAO zuzustimmen1 , oder aber die<br />

Kosten für eine Einzelfallversicherung zu übernehmen.<br />

1 Zu den Anforderungen des § 51 a BRAO: Zimmermann, NJW 2005, 177 ff.<br />

m. w. N.<br />

2 Vgl. Borgmann//Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. München 2005, S. 302.<br />

3 Entstehungsgeschichte: BT-Drucks. 1249/92, S. 7, 8; Braun, BRAK-Mitt. 2002,<br />

150, 151.<br />

4 Braun, BRAK-Mitt. 2002, 150, 151; so auch die h.M. für Notare: Arndt/Lerch/<br />

Sandkühler, Bundesnotarordnung, § 19 a RN 4; Zimmermann, DNotZ 1982, 4,<br />

29; a. A. Stobbe in Henssler/ Prütting § 51 BRAO RN 89.<br />

56 AnwBl 1 / 2006<br />

III.Wahl der „richtigen“ Versicherungssumme<br />

1. Angemessenheit der Versicherungssumme<br />

Der Abschluss einer angemessenen Berufshaftpflichtversicherung<br />

wurde schon in der Vergangenheit standesrechtlich<br />

gefordert 2 Auch nach Einführung der Pflichtversicherung<br />

durch § 51 BRAO besteht die Verpflichtung, eine<br />

angemessene Versicherungssumme vorzuhalten. Denn § 51<br />

Abs. 1 Satz 1, 2 BRAO begründet die gesetzliche Pflicht für<br />

jeden Rechtsanwalt, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen<br />

zur Deckung der sich aus „seiner“ Berufstätigkeit<br />

ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden<br />

3 . Aus dem Wortlaut „seiner“ wird die Pflicht einer<br />

individuellen Risikoabsicherung geschlossen 4 . Ob die Mindestversicherungssumme<br />

angemessen und ausreichend ist,<br />

muss daher jeder Rechtsanwalt individuell entscheiden.<br />

Maßgeblich hierfür ist zum einen die Mandatsstruktur, d. h.<br />

die Art der Mandantschaft, sowie die angetragenen Gegenstandswerte.<br />

Es erscheint nachvollziehbar, dass eine international<br />

operierende Kanzlei einen höheren Versicherungsschutz<br />

benötigt als ein örtlicher Einzelanwalt.<br />

2. Risikoabwägung<br />

Die Höhe der Versicherungssumme bemisst sich im<br />

schlimmsten Fall nach der Höhe des Gegenstandswertes zuzüglich<br />

eines eventuellen Zinsschadens. Dennoch ist das Risiko<br />

eines Totalverlustes unwahrscheinlich. Ein Rechtsanwalt<br />

sollte daher eine Abwägung treffen, bis zu welcher<br />

Höhe sich ein Differenzschaden zuzüglich eines etwaigen<br />

Verzögerungsschadens realisieren kann. Daran sollte sich<br />

die Versicherungssumme orientieren.<br />

Da die Einzelfallversicherung zeit- und kostenintensiver<br />

ist als die allgemeine Sozietätsversicherung, ist zu überlegen,<br />

diese auf ein gewisses Maß anzuheben. Schon bei<br />

mehr als 2 Einzelversicherungen im Jahr kann sich eine Erhöhung<br />

der allgemeinen Sozietätsversicherung bzw. Grundversicherung<br />

auf das Niveau dieser Einzelversicherungen<br />

lohnen.<br />

IV. Zusammenfassung<br />

Der neue Auslagentatbestand nach Ziffer 7007 VV-RVG<br />

steht in direktem Zusammenhang mit der Pflicht, eine angemessene<br />

Versicherungssumme vorzuhalten. Einerseits besteht<br />

die Verpflichtung, eine hohe Versicherungssumme mit<br />

entsprechenden Kosten abzuschließen, andererseits entlastet<br />

der neue Auslagentatbestand das Anwaltsbudget ab einem<br />

Gegenstandswert von E 30 Mio.<br />

Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL),<br />

Frechen<br />

Der Autor ist Berater bei von Lauff und Bolz, Fachversicherungsmakler<br />

für rechts- und wirtschaftsberatende Berufe.


MN Mitteilungen<br />

Steuerrecht<br />

Steuerliches Gestaltungsrisiko<br />

durch Haltefristen<br />

BFH stellt sich nicht vor die Insolvenzverwalter<br />

Rechtsanwalt Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />

Haltefristen haben in der Gestaltungsberatung eine oft unterschätzte<br />

Bedeutung. Der Beitrag stellt für die Beratungspraxis<br />

wichtige Konstellationen vor und weist auf Risiken hin.<br />

Der Gesetzgeber kennt zweierlei Arten von Haltefristen.<br />

Zum Teil werden Privilegien unter der Voraussetzung gewährt,<br />

dass der begünstigte Vorgang eine gewisse Zeit aufrecht<br />

erhalten bleibt. Wird gegen die Haltefrist verstoßen,<br />

entfällt das Privileg – zum Teil rückwirkend (sog. zukunftsbezogene<br />

Fristen; Beispiel § 18 Abs. 4 UmwStG: Die Umwandlung<br />

einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft<br />

ist unter Buchwertfortführung möglich und löst keine<br />

Gewerbesteuer aus. Wird der Betrieb der Personengesellschaft<br />

innerhalb von fünf Jahren nach der Umwandlung aufgegeben<br />

oder veräußert, unterliegt ein Auflösungs- oder Veräußerungsgewinn<br />

der Gewerbesteuer).<br />

Die andere Art der Haltefrist betrifft Privilegien, die erst<br />

dann gewährt werden, wenn ein Zustand eine bestimmte<br />

Zeit bestanden hat (sog. vergangenheitsbezogene Fristen;<br />

Beispiel § 3 Nr. 40 Satz 4 EStG; § 8 b Abs. 4 Satz 2 KStG:<br />

Der Verkauf von einbringungsgeborenen Anteilen unterliegt<br />

erst dann dem Halbeinkünfteverfahren, wenn seit dem Erwerb<br />

mindestens sieben Jahre vergangen sind).<br />

Der Gesetzgeber macht es nicht leicht<br />

Die Anzahl solcher Haltefristen ist in den letzten Jahren<br />

stark gestiegen (vgl. umfassende Übersicht bei Korn/Fuhrmann,<br />

KÖSDI 2001, 12845, m. w. N.). Je weniger den Steuergesetzen<br />

einheitliche Prinzipien zugrunde liegen und Ausnahmen<br />

gewährt werden, desto mehr muss der Gesetzgeber<br />

dafür Sorge tragen, dass diese Ausnahmen nicht durch kurzfristige<br />

Gestaltungen ausgenutzt werden. Die Haltefristen<br />

werden häufig als Sondervorschriften zu § 42 AO angesehen.<br />

Leider ist hierbei keine Systematik zu erkennen. Die<br />

Fristen gehen von wenigen Monaten (z. B. drei Monate bei<br />

§ 4 Abs. 4 a EStG) bis zu zwölf Jahren (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b,<br />

Abs. 2 Satz 2 EStG). Die Fristberechnung erfolgt nach unterschiedlichen<br />

Methoden. § 13 a EStG fordert z. B. eine<br />

taggenaue Berechnung, § 15 a UStG knüpft an den Kalendermonat,<br />

§ 6 b Abs. 3 EStG an das Wirtschaftsjahr an.<br />

Prüfung der Historie<br />

Mit der wachsenden Anzahl von Haltefristen steigt deren<br />

Bedeutung in der Gestaltungsberatung. Im Zusammenhang<br />

mit GmbH-Anteilen muss sorgsam deren Historie geprüft<br />

werden, insbesondere ob Haltefristen zu beachten<br />

sind.<br />

Beispiel (Umwandlung): Eine GmbH mit mehreren Anteilseignern<br />

soll in eine Personengesellschaft durch Formwechsel<br />

umgewandelt werden. Bei der Anwendung des<br />

§ 14 i.V. m. § 3 ff. UmwStG darf nicht allein darauf abgestellt<br />

werden, welchen Status die Anteile zum Zeitpunkt der<br />

Umwandlung haben. Gehören die Anteile an der GmbH z. B. zu<br />

einem Betriebsvermögen, ist bei der Ermittlung des Übernahmegewinns<br />

grundsätzlich der Buchwert der Anteile anzusetzen (§ 5<br />

Abs. 3 Satz 1 UmwStG). Es muss aber u. a. geprüft werden, ob<br />

die Anteile in den letzten fünf Jahren vor dem Umwandlungsstichtag<br />

in das Betriebsvermögen eingelegt worden sind. Falls dem so<br />

ist, muss von den Anschaffungskosten ausgegangen werden, wenn<br />

diese geringer als der Buchwert sind (§ 5 Abs. 3 Satz 2 UmwStG).<br />

Zudem ist zu prüfen, ob in den letzten zehn Jahren die Anteile entgeltlich<br />

übertragen wurden. Falls ja, muss ermittelt werden, ob die<br />

damalige Veräußerung steuerpflichtig war (§ 50 c Abs. 11 EStG).<br />

Falls nein, ist der Anteil sperrbetragsbehaftet. Dieser Sperrbetrag<br />

erhöht den Übernahmegewinn nach § 4 Abs. 5 UmwStG und<br />

kann zu einem steuerpflichtigen Scheingewinn führen. Diese Haltefristen<br />

ergeben sich unmittelbar aus dem UmwStG und werden<br />

in der Regel bei der Gestaltung beachtet. Es drohen aber auch Gefahren<br />

aus untypischen Bereichen. So lässt die Umwandlung nach<br />

§ 13 a Abs. 5 Satz 2 ErbStG den Freibetrag und den verminderten<br />

Wertansatz des § 13 a Abs. 2 ErbStG nachträglich entfallen, wenn<br />

seit der begünstigten Übertragung und der Umwandlung nicht<br />

mindestens fünf Jahre vergangen sind.<br />

Die Prüfung, ob Haltefristen zu beachten sind, setzt eine<br />

umfassende Sachverhaltskenntnis voraus. Bei der Veräußerung<br />

von GmbH-Anteilen ist ein Zeitraum von zehn Jahren<br />

(§ 50 c EStG) von Relevanz. Auch einem Berater, der die<br />

beteiligten Personen über den gesamten Zeitraum betreut<br />

hat, dürfte es schwer fallen, eine umfassende Prüfung vorzunehmen.<br />

Besondere Schwierigkeiten treffen den Berater,<br />

der noch nicht so lange tätig ist. Er muss sich alle erforderlichen<br />

Informationen zusammensuchen. Diese Verpflichtung<br />

ist haftungsrelevant.<br />

Ausweg Vertragsgestaltung?<br />

Lässt sich der Sachverhalt nicht restlos aufklären, bleibt<br />

ein Restrisiko bestehen, dass ungewollt gegen Haltefristen<br />

verstoßen wird. Aus Beratersicht ist wichtig, auf dieses Risiko<br />

hinzuweisen. Im Rahmen der Vertragsgestaltung gibt<br />

es kaum Möglichkeiten, die möglichen Steuerfolgen der<br />

Verletzung der Haltefristen zu vermeiden. Insbesondere im<br />

Ertrag- und Umwandlungssteuerrecht gibt es keine dem<br />

§ 29 ErbStG vergleichbare Regelung, wonach die Rückabwicklung<br />

des Rechtsgeschäfts die einmal bewirkte Besteuerung<br />

erlöschen lässt. Nur in Ausnahmefällen wird man<br />

in die Verträge eine Steuerklausel einbauen können, wonach<br />

die Besteuerung durch den Verstoß gegen Haltefristen zwischen<br />

den Parteien auszugleichen ist. Schlussendlich muss<br />

der Mandant die Entscheidung treffen, ob die Gestaltung<br />

trotz des verbleibenden Restrisikos durchgeführt werden<br />

soll.<br />

Sinnvolle Absicherungen sind hingegen bei der ursprünglich<br />

privilegierten Gestaltung möglich, die die Haltefristen<br />

auslöst. Hier können zwischen den Beteiligten Vereinbarungen<br />

getroffen werden, wer die Nachteile zu tragen<br />

hat, wenn gegen die Haltefristen verstoßen wird. Notwendig<br />

sind solche Steuerklauseln, wenn der Nachteil des Verstoßes<br />

nicht den trifft, der die schädliche Handlung durchführt.<br />

Beispiel (Umwandlung mit ungeplantem späteren Verkauf):<br />

A ist zu 10 % an der A-GmbH beteiligt. Die restlichen<br />

Anteile teilen sich B, C und D zu je 30 %. Die<br />

A-GmbH wird zum 1.1.2005 nach dem § 14 i.V. m. § 3 ff.<br />

UmwStG unter Buchwertfortführung in eine GmbH & Co.<br />

KG formgewechselt. Nach § 18 Abs. 1 UmwStG fällt keine<br />

Gewerbesteuer an. Zum 30.10.2005 verkauft A seine An-<br />

AnwBl 1 / 2006 57


MN Mitteilungen<br />

teile an der GmbH & Co. KG vollständig an D. Der Veräußerungsgewinn<br />

beträgt E 500.000,–. Dieser Gewinn löst<br />

nach § 18 Abs. 4 UmwStG bei der GmbH & Co. KG Gewerbesteuer<br />

aus. Belastet sind damit alle Gesellschafter im<br />

Rahmen des Gewinnverteilungsschlüssels, der zum Zeitpunkt<br />

des Ausscheidens gilt. Die h.M. gibt den nicht veräußernden<br />

Gesellschaftern nicht das Recht, eine abweichende<br />

Gewinnverteilung zu verlangen (vgl. Widmann, in<br />

Widmann/Mayer, UmwStG, § 18 Tz. 238 (Juni 2000)).<br />

Eine entsprechende Steuerklausel kann jedoch in den Umwandlungsbeschluss<br />

oder Gesellschaftsvertrag aufgenommen<br />

werden.<br />

Besteuerungsrisiko trotz Haltefrist?<br />

Da die Haltefristen zum Teil damit begründet werden, einen<br />

Gestaltungsmissbrauch zu vermeiden, ist vor dem Hintergrund<br />

der Gesamtplanrechtsprechung des BFH (vgl. dazu aus<br />

der umfangreichen Literatur Söffing, BB 2004, 2777; Spindler,<br />

DStR 2005, 1) fraglich geworden, ob trotz der Beachtung<br />

der gesetzlichen Fristen ein Besteuerungsrisiko besteht.<br />

Beispiel (Umwandlung, um anschließend zu verkaufen):<br />

Die A-GmbH ist alleiniger Kommanditist der B-GmbH<br />

& Co. KG sowie Alleingesellschafter der Komplementär-<br />

GmbH. Die B-GmbH & Co. KG soll verkauft werden. Um<br />

den Veräußerungsgewinn möglichst steuerfrei vereinnahmen<br />

zu können, wird die B-GmbH & Co. KG nach § 20 UmwStG<br />

unter Buchwertfortführung in eine GmbH formgewechselt.<br />

Nach Ablauf der siebenjährigen Haltefrist wird verkauft.<br />

Meines Erachtens ist die Gesamtplanrechtsprechung<br />

nicht einschlägig. Der Gesetzgeber hat durch die Fristen<br />

vorgegeben, welche Zeiträume er als problematisch ansieht.<br />

Es liegt keine kurzfristige, untypische Gestaltung vor. Vielmehr<br />

wird eine dauerhafte neue Struktur geschaffen. Es<br />

werden über einen längeren Zeitraum nicht nur die Vorteile<br />

der Körperschaftsbesteuerung, sondern auch deren Nachteile<br />

übernommen (z. B. § 8 a KStG, verdeckte Gewinnausschüttung).<br />

In der Regel wird es andere – außer steuerliche<br />

– Gründe für die Umgestaltung geben. Dennoch sollte man<br />

in den Arbeitspapieren den unzutreffenden Eindruck vermeiden,<br />

man wandele nur wegen der weitgehenden Steuerfreiheit<br />

des Veräußerungsgewinns um.<br />

Auch wenn die Haltefristen häufig damit begründet werden,<br />

Missbrauchsfälle zu vermeiden, sind die individuellen<br />

Gründe für das „schädliche“ Verhalten in der Regel für die<br />

Besteuerung nach der herrschenden Meinung irrelevant.<br />

Auch durch äußeren Zwang verursachtes schädliches Verhalten<br />

ruft die gesetzlichen Steuernachteile hervor.<br />

Beispiel (erzwungenes Spekulationsgeschäft): Wird ein<br />

Anteil an einer GmbH in Höhe von 0,9 % des Stammkapitals<br />

am 1.1.2005 erworben, löst nicht nur der Verkauf des<br />

Anteils bis zum 31.12.2005 die Spekulationssteuer nach<br />

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aus. Gleichgestellt sind (vgl.<br />

Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 24. Aufl., 2005, § 23<br />

Rz. 55, m. w. N.) die Enteignung gegen Entschädigung, die<br />

Einziehung der Anteile, die Zwangsversteigerung, die<br />

Pfandverwertung, die Veräußerung wegen Krankheit, Zahlungsunfähigkeit,<br />

Trennung vom Ehegatten, Versetzung, etc.<br />

Nur vereinzelt wird die Ansicht vertreten, eine Veräußerung<br />

unter Zwang sei unschädlich (z. B. Jülicher, in Troll/Gebel/<br />

Jülicher, ErbStG, § 13 a Rz. 267, 271 [März 2004], der die<br />

Besteuerung bei einer erzwungenen Veräußerung oder Betriebsaufgabe<br />

auf das noch vorhandene Vermögen beschränken<br />

will).<br />

58 AnwBl 1 / 2006<br />

Die Risiken für Insolvenzverwalter<br />

Es gibt kein allgemeines Sanierungs- oder Insolvenzprivileg<br />

(wie z. B. in § 75 AO). Auch die vom Insolvenzverwalter<br />

veranlasste Veräußerung kann ein Spekulationsgeschäft<br />

i. S. d. § 23 EStG sein. Es wird lediglich diskutiert,<br />

ob die dadurch verursachte Einkommensteuer einheitlich<br />

Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 InsO ist, ob zumindest insoweit<br />

eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO besteht und<br />

wie stille Reserven verwirklicht werden, die vor der Insolvenzeröffnung<br />

entstanden sind (vgl. dazu Frotscher, Besteuerung<br />

bei Insolvenz, 5. Aufl., 2000, 120 ff., m. w. N.).<br />

Vor diesem Hintergrund schien sich Mitte 2004 eine bedeutsame<br />

Rechtsprechungsänderung in diesem Bereich abzuzeichnen.<br />

In einem Aussetzungsverfahren hielt es der<br />

BFH für ernstlich zweifelhaft, ob die Steuervergünstigung<br />

des § 13 a ErbStG für den Erwerb eines Anteils an einer<br />

KG nachträglich gemäß § 13 a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG wieder<br />

entfällt, wenn der Anteil dadurch untergeht, dass über das<br />

Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet wird und<br />

der Konkursverwalter den Gewerbebetrieb der KG aufgibt<br />

(II B 32/04 vom 7.7.2004, BStBl. 2004 II, 747). Die durch<br />

diese Entscheidung verursachten Hoffnungen hat der BFH<br />

in seinem Urteil vom 15.2.2005 (II R 39/03, BStBl. 2005 II,<br />

571) wieder zunichte gemacht. Danach tritt der Wegfall der<br />

Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 2 a ErbStG a. F. unabhängig<br />

davon ein, aus welchen Gründen das begünstigt erworbene<br />

Betriebsvermögen veräußert oder der Betrieb aufgegeben<br />

wurde; eine teleologische Reduktion des Nachbesteuerungstatbestands<br />

komme nicht in Betracht. Die im Beschluss vom<br />

7.7.2004 (BFH II B 32/04, aaO, 747) vertretene Auffassung<br />

werde nicht mehr aufrecht erhalten. Es bleibt damit bei der<br />

bisherigen herrschenden Meinung. Diese stellt den Sanierer<br />

bzw. den Insolvenzverwalter vor eine schwierige Abwägung,<br />

wenn es um die Einstelllung eines Unternehmens<br />

geht. Auch dadurch kann gegen eine Vielzahl von Haltefristen<br />

verstoßen werden. Folge ist die Nachbesteuerung.<br />

Diese Nachbesteuerung ist für den Verwalter solange<br />

ohne Bedeutung, wie die Insolvenzmasse nicht betroffen<br />

ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Steuer sich nicht gegen<br />

den Schuldner, sondern gegen einen Dritten richtet (z. B. die<br />

Erbschaftsteuer bei B im obigen Beispielsfall) oder als Insolvenzforderung<br />

zu qualifizieren ist. Da die Nachbesteuerung<br />

durch ein Handeln des Verwalters bedingt ist, kann<br />

aber auch eine Qualifizierung der Steuern als Masseverbindlichkeit<br />

nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht kommen<br />

(z. B. bei der Gewerbesteuer nach § 18 Abs. 4 UmwStG).<br />

Hier muss der Verwalter dafür Sorge tragen, dass die Finanzverwaltung<br />

aus der Insolvenzmasse vollständig befriedigt<br />

wird. Ansonsten droht eine persönliche Schadensersatzpflicht<br />

nach § 61 InsO. Die steuerlichen Haltefristen<br />

müssen daher bei der Entscheidung, ob ein Unternehmen<br />

fortgeführt oder eingestellt wird, berücksichtigt werden.<br />

Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />

Steuerrecht. Er ist Partner der Sozietät Streck Mack<br />

Schwedhelm, Köln/Berlin/München.


MNBücherschau<br />

Anwaltsrecht im Ausland<br />

Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

I. Schweizerisches Anwaltsrecht<br />

1. Aufgrund der extrem föderalen Struktur der Eidgenossenschaft<br />

hat es lange an einem gesamtschweizerischen Anwaltsrecht<br />

gemangelt. Das 2002 in Kraft getretene Bundesgesetz<br />

über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte<br />

(BGFA) hat hier in gewissem Umfang Abhilfe geschaffen,<br />

hat es neben der Herstellung der interkantonalen Freizügigkeit<br />

durch die Schaffung kantonaler Anwaltsregister doch<br />

auch Berufsregeln und Disziplinarrecht partiell vereinheitlicht.<br />

Allerdings bleiben die Kantone zuständig, Vorschriften<br />

über den Anwaltsberuf zu erlassen, soweit der Bund seine<br />

Kompetenzen nicht ausgeschöpft hat. In dieser neuen Gemengelage<br />

ist es hilfreich, dass vor kurzem der – nach<br />

Kenntnis des Verfassers – erste schweizerische Kommentar<br />

zum Anwaltsrecht überhaupt erschienen ist. Fellmann und<br />

Zindel als Herausgeber haben gemeinsam mit acht weiteren<br />

Co-Autoren den gut 400seitigen „Kommentar zum Anwaltsgesetz“<br />

1 vorgelegt, um in dem nunmehr entstandenen<br />

Nebeneinander von eidgenössischem Rahmengesetz, 26 kantonalen<br />

Erlassen, Standesregeln der kantonalen Anwaltsverbände<br />

und den Richtlinien für Berufs- und Standesregeln des<br />

Schweizerischen Anwaltsverbandes erste Handreichungen<br />

zur Interpretation zu geben. Das BGFA behandelt drei Komplexe:<br />

Die interkantonale Freizügigkeit, das Berufs- und<br />

Disziplinarrecht sowie die Tätigkeit von EU- und EFTA-Anwälten<br />

in der Schweiz. Diese drei Materien werden von den<br />

Kommentatoren kenntnisreich dargestellt. Herzstück des<br />

Kommentars ist in gewissem Sinne die mehr als 100seitige<br />

Kommentierung des Art. 12 BGFA, der in den Buchstaben<br />

a)–j) die grundlegenden, nunmehr in der gesamten Schweiz<br />

geltenden Berufsregeln der Anwaltschaft statuiert. Diese Berufsregeln<br />

wurden erst spät in der Erkenntnis in das Gesetz<br />

aufgenommen, dass eine grenzüberschreitende und interkantonale<br />

Freizügigkeit ohne eine solche Harmonisierung praktisch<br />

unmöglich wäre. Auf die vielen in der Kommentierung<br />

angesprochenen Einzelaspekte kann hier naturgemäß nicht<br />

eingegangen werden. Ein wesentliches Verdienst der Kommentierung<br />

ist aber, dass die häufig unveröffentlichten Entscheidungen<br />

des Bundesgerichts und der Aufsichtskommissionen<br />

zum Berufsrecht durch den Kommentar zumindest<br />

über eine Sekundärquelle zugänglich werden. Aus deutscher<br />

Sicht ist belebend, dass die einheimische Berufsrechtsdiskussion<br />

durch Kommentare wie das besprochene<br />

Werk Anstöße auch aus Sicht eng verwandter Rechtsordnungen<br />

erhält: So vertritt Dreyer zu dem bei Art. 25 BGFA erörterten<br />

Problem der kollidierenden Berufsrechte bei grenzüberschreitender<br />

Tätigkeit die Auffassung, dass der<br />

Rechtsanwalt in der Schweiz das jeweils strengere Berufsrecht<br />

beachten muss. Fellmann mahnt mit Blick auf die berufsrechtliche<br />

Generalklausel des Art. 12 lit a) BGFA eine<br />

zurückhaltende Anwendung von Generalklauseln im Berufsrecht<br />

der freien Berufe an. Immer wieder enthält auch die<br />

nachgewiesene Rspr. Denkanstöße, wenn etwa über einen<br />

Entscheid der Zürcher Aufsichtskommission berichtet wird,<br />

nach dem die Regeln zum Interessenkonflikt nicht nur sozietätsweit,<br />

sondern sogar in einer anwaltlichen EWIV gelten<br />

sollen. Erfreulich, dass es nun ein Kompendium zum<br />

schweizerischen Anwaltsrecht gibt.<br />

2. Die zweite anzuzeigende Neuerscheinung aus der<br />

Schweiz hat einen gänzlich anderen Zuschnitt: Das von<br />

Bruno Glaus und Karl Lüönd herausgegebene Werk „Läufer,<br />

Mietmaul, König: Anwälte an der Schnittstelle von<br />

Recht und Macht“ 2 stellt 17 bekannte Schweizer Anwaltspersönlichkeiten<br />

vor. Dies geschieht nicht im Stile<br />

nüchterner Biographien, sondern durch das Stilmittel der<br />

biografischen Reportage. Ausgewählt worden sind Rechtsanwältinnen<br />

und Rechtsanwälte, die in der Schweiz bei den<br />

unterschiedlichsten Gelegenheiten durch ihr berufliches<br />

Wirken Aufsehen erregt, zum Teil auch Verwunderung oder<br />

Widerspruch herausgefordert haben. Porträtiert wird etwa<br />

der Wirtschaftsanwalt Eugen Auer, in dessen florierender<br />

Sozietät alle Anwälte im Stile einer Genossenschaft einen<br />

Einheitslohn erhalten, der „Tierrechtler“ Antoine Goetschel,<br />

für den die ihm in jungen Jahren gestellte Fleißaufgabe der<br />

Durchforstung des Bundesrechts auf tierschutzrechtliche<br />

Bestimmungen zu einer Berufung wurde, die Zürcher Strafverteidigerin<br />

Barbara Hug, die politisch engagierte Strafverteidigung<br />

betreibt, oder der aus gutbürgerlichen Verhältnissen<br />

stammende Valentin Landsmann, der eine fast<br />

fertiggestellte Habilitation in den Reißwolf steckte, um sich<br />

fürderhin als „Milieuanwalt“ der Verteidigung etwa von<br />

Mitgliedern der Hell’s Angels, von Junkies oder Bordellbetreibern<br />

zu widmen. Ein Wesenselement der Anwaltstätigkeit<br />

beschäftigt die Autoren ersichtlich besonders stark,<br />

die Grenzziehung zwischen angemessenem Einsatz für den<br />

Mandanten und falsch verstandener Identifikation mit diesem.<br />

Ein weiterer Interessenschwerpunkt: Der berufliche<br />

Rollenwechsel des Anwalts vom Vertreter und Berater in<br />

eine neue Funktion als politischer oder wirtschaftlicher Akteur.<br />

Lesenswert ist das gleichsam die Klammer um die Einzelbeiträge<br />

legende Essay des Publizisten und Philosophen<br />

Ludwig Hasler mit dem Titel „Sind Anwälte zu allem fähig?“.<br />

Es wirft anfänglich die provozierende Frage auf, ob<br />

der Titel Rechtsanwalt nur noch ein Kunstbegriff sei, weil<br />

die Anwaltschaft mittlerweile nur noch ein „ausfransendes<br />

Patchwork von Separatrechtshändlern“ sei. Hasler vergleicht<br />

diese Spezialisierung mit der Ärzteschaft, bei welcher<br />

der Trend zur Spezialisierung Ärzte zu Mechanikern<br />

spezieller Körperfunktionen „versimpelt“ habe, die den<br />

„Menschen“ als Ganzen aus dem Auge verloren hätten. In<br />

die gleiche Richtung zielt seine Frage, ob Rechtsanwälte als<br />

normative Elite, als Funktionselite handeln – oder als bloße<br />

Lakaien von Sonderinteressen. Auch die Worte Haslers zur<br />

Kommerzialisierung der Rechtsberatung sind deutlich: Wer<br />

Rechtsanwalt, Freiberufler sein wolle, so Hasler, dürfe nicht<br />

als „Hofschranze neofeudaler Machtzentren“ erscheinen.<br />

Ähnlich provokant seine Überlegungen zur Motivation, den<br />

Anwaltsberuf zu ergreifen – der möglicherweise ein Ersatzberuf<br />

für Leute sei, die ihren Beruf verfehlt haben, ein –<br />

dank der primär auf Bewahrung gerichteten Rechtspflege –<br />

„Retro-Beruf“, gar ein Beruf, den vor allem Personen ergreifen,<br />

die unter einem dominanten Vater aufwachsen? Das<br />

empfehlenswerte Buch ist ein faszinierendes Zeugnis der<br />

Vielschichtigkeit des Anwaltsberufs, exemplifiziert am Beispiel<br />

der Schweiz.<br />

1 Walter Fellmann u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Anwaltsgesetz. Bundesgesetz<br />

über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA),<br />

Schulthess, Zürich 2005, 465 S., ISBN 3-7255-4857-9, 123,– EUR<br />

2 Bruno Glaus/Karl Lüönd (Hrsg.)., Läufer, Mietmaul, König: Anwälte an der<br />

Schnittstelle von Recht und Macht, Orell Füssli, Zürich 2005, 304 S., ISBN<br />

3-280-06056-7, 32,80 EUR<br />

AnwBl 1 / 2006 59


MN Bücherschau<br />

II. Österreichisches Anwaltsrecht<br />

1. Das Standardkompendium zum Anwaltsrecht in Österreich<br />

ist der „Schuppich/Tades“, der zuletzt 2002 erschienen<br />

ist. In der Neuauflage des Jahres 2005 hat Helmut Tades für<br />

das Werk „Rechtsanwaltsordnung“ 3 Unterstützung von<br />

Klaus Hoffmann erhalten, langjähriger Präsident des<br />

ÖRAK. Das Buch „firmiert“ nunmehr als „Tades/Hoffmann“.<br />

Es ist als sog. „erläuterte Textausgabe“ weiterhin<br />

eine Mischung aus Gesetzessammlung und Kurzkommentar.<br />

Die Sammlung geht inhaltlich allerdings weit über die<br />

Rechtsanwaltsordnung hinaus – enthalten sind sämtliche Gesetze,<br />

Verordnungen, Stauten und Richtlinien, welche die<br />

Berufstätigkeit des in Österreich tätigen Rechtsanwalts regulieren.<br />

Die Kommentierung konzentriert sich auf die RAO,<br />

die dem Titel entsprechend das Herzstück des Werkes bildet,<br />

und das Disziplinarstatut. Anlass der Neuauflage waren die<br />

zahlreichen Gesetzgebungsaktivitäten mit anwaltsrechtlichem<br />

Bezug, die seit 2002 in Österreich zu verzeichnen<br />

waren, so etwa das Bundesgesetz zur Umsetzung der EG-<br />

Geldwäsche-Richtlinie, die Neukonstruktion des anwaltlichen<br />

Versorgungswesens, Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes,<br />

des Disziplinarstatuts, des Bundesgesetzes<br />

über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung<br />

von ausländischen Rechtsanwälten in Österreich.<br />

2. Erstmals im Jahr 1998 erschienen ist der Kommentar<br />

„Anwaltsrecht“ 4 von Erich Feil und Fritz Wennig. Wie<br />

wohlwollend der Markt die erste umfangreichere Kommentierung<br />

des österreichischen Anwaltsrechts seit den 1950<br />

letztmalig erschienenen Lohsing’schen Kommentaren aufgenommen<br />

hat, belegt die Tatsache, dass das Werk im Jahr<br />

2004 bereits in dritter Auflage vorgelegt worden ist und seinen<br />

Umfang seit der Erstauflage auf rund 950 Seiten fast verdoppelt<br />

hat. Der Zuwachs erklärt sich nicht nur aus der Fülle<br />

an neu zu kommentierenden Normen – der österreichische<br />

Gesetzgeber war in den zurückliegenden Jahren im Bereich<br />

des Anwaltsrechts überaus aktiv –, sondern auch aus dem<br />

Anliegen der Autoren, den Nachweisapparat umfassend um<br />

unveröffentlichte Entscheidungen der Obergerichte zu ergänzen.<br />

Die RAO, die sich anders als die deutsche BRAO<br />

auf die Regelung des Berufszugangs, der Rechte und Pflichten<br />

des Anwalts und des Kammerwesens beschränkt, wird<br />

ebenso wie das Disziplinarstatut, das in fast 70 Paragraphen<br />

Organisation und Verfahren der Berufsgerichtsbarkeit regelt,<br />

auf jeweils annähernd 300 Seiten kommentiert. Weiterer<br />

Schwerpunkt der Erläuterungen sind das Rechtsanwaltstarifgesetz<br />

und die Tarifpost, die vom Regelungsgehalt dem deutschen<br />

RVG entsprechen (120 Seiten). Die Erläuterung des<br />

EuRAG sowie einiger weiterer Normen (etwa zur Ausbildung)<br />

beschränkt sich zumeist auf den Abdruck des Gesetzeswortlauts,<br />

bisweilen angereichert um die Gesetzesbegründung.<br />

Eine Besonderheit, die das Werk sinnvoll abrundet, ist<br />

eine 70seitige lehrbuchartige Darstellung der Anwaltshaftung<br />

nach österreichischem Zivilrecht. Mit diesen Inhalten<br />

sollten keine Fragen zum österreichischen Anwaltsrecht of-<br />

3 Helmut Tades/Klaus Hoffmann, Rechtsanwaltsordnung, Manz’sche Verlagsbuchhandlung,<br />

Wien, 8. Auflage, Wien 2005, 410 S., ISBN 3-214-07767-8, 89,–<br />

EUR.<br />

4 Erich Feil/Fritz Wennig (Hrsg.), Anwaltsrecht: Rechtsanwaltsordnung, Rechtsanwaltstarifgesetz,<br />

Disziplinarstatut: Alle relevanten Gesetze, Verordnungen<br />

und EU-Richtlinien, Linde Verlag, 3. Auflage, Wien 2004, 944 S., ISBN<br />

3-7073-0539-2, 129,– EUR.<br />

5 Werner Thurner, Treuhand- und Fremdgeldverwaltung: unter besonderer Berücksichtigung<br />

der standesrechtlichen Verpflichtungen für RechtsanwältInnen,<br />

NWV-Verlag, Graz 2004, 101 S., ISBN 3-7041-0323-3, 19,80 EUR.<br />

60 AnwBl 1 / 2006<br />

fen bleiben müssen, so dass das Anwaltsrecht von Feil/Wennig<br />

wärmstens empfohlen werden kann.<br />

3. Angezeigt sei schließlich das monothematische Bändchen<br />

„Treuhand- und Fremdgeldverwaltung“ 5 von Werner<br />

Thurner, das auch deshalb erwähnt werden soll, weil es Teil<br />

einer interessanten Reihe ist, die es in vergleichbarer Form<br />

in Deutschland nicht gibt: Die „Arbeitsmaterialien zur<br />

Kanzleiorganisation“ sollen Anwälte und Kanzleimitarbeitern<br />

in knapper Form in die Lage versetzen, berufsrechtliche<br />

Anforderungen an die Kanzleiorganisation mit betriebwirtschaftlichen<br />

Erfordernissen abzugleichen. In dem zuletzt erschienenen,<br />

achten Band der Reihe geht es um die Fremdgeldverwaltung.<br />

Nach einer allgemeinen Erörterung der<br />

Vorgaben für die Übernahme von Treuhandschaft und die<br />

Vereinnahmung von Fremdgeldern werden die aus kompetenzrechtlichen<br />

Gründen in den Bundesländern unterschiedlich<br />

und zum Teil stark voneinander abweichenden<br />

Statuten der jeweiligen Anwaltskammer abgedruckt.<br />

III. Russisches Anwaltsrecht<br />

Russland ist für den deutschen Beobachter bislang anwaltsrechtlich<br />

die sprichwörtliche terra incognita, was auch<br />

darin begründet ist, dass es nach dem Ende der Sowjetunion<br />

1991 bis zum 1.7.2002 dauerte, bevor ein russisches Anwaltsgesetz<br />

verabschiedet wurde (das erstmals auch Regelungen<br />

zur Tätigkeit ausländischer Anwälte in Russland mit<br />

sich bringt). Jan Karraß und Rainer Wedde, beide als<br />

Rechtsanwalt in Moskau tätig, führen in ihrem Werk „Das<br />

Berufsrecht der Anwälte in der Russischen Föderation“ 5<br />

in diese Materie in einer rund 30seitigen Darstellung ein,<br />

die einen kurzen geschichtlichen Abriss die allgemeinen<br />

Bestimmungen zur Anwaltstätigkeit darstellt, Rechte und<br />

Pflichten des Anwalts, das Zulassungsverfahren, die Organisation<br />

der Anwaltschaft und das recht umfassende Sonderprivatrecht<br />

der Anwaltschaft erörtert. In dieser einleitenden<br />

Darstellung sparen die Verfasser nicht mit kritischen Anmerkungen,<br />

etwa zum fehlenden Rechtsdienstleistungsmonopol<br />

der Anwaltschaft oder zur Intensität der staatlichen<br />

Kontrollmöglichkeiten. Hilfreich ist, dass die<br />

Verfasser zu Fragen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut<br />

beantworten, Hinweise auf weiterführende<br />

russische Literatur geben, die zum Anwaltsrecht in überraschender<br />

Zahl zu existieren scheint. Der Einleitung schließen<br />

sich auf weiteren 100 Seiten Übersetzungen des Anwaltsgesetzes,<br />

der Satzung der föderalen Anwaltskammer<br />

sowie der von dieser gemäß entsprechender Ermächtigung<br />

verabschiedete Kodex der anwaltlichen Standesregeln an.<br />

2004 durch den Gesetzgeber vorgenommene Änderungen<br />

sind in einer dem Buch beigegebenen Beilage dokumentiert.<br />

Vorschau: Die nächste Bücherschau befasst sich mit<br />

Neuerscheinungen zur Anwaltshaftung.<br />

Dr. Matthias Kilian, Köln<br />

Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des<br />

Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement e.V. (Essen).<br />

Er ist erreichbar per E-Mail: kilian@anwaltsrecht.org.


MNHaftpflichtfragen<br />

Prozesskosten als<br />

Haftungsquelle<br />

Unterschiedliche Pflichten des Anwalts<br />

Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG,<br />

München<br />

Die Kosten eines Prozesses sind für die meisten Mandanten<br />

in Zeiten knapper Kassen ein zentrales Thema. Neben Prozesskostenhilfe<br />

(PKH) und Rechtschutzversicherern sind<br />

seit bald acht Jahren Prozesskostenfinanzierer auf dem<br />

Markt (vgl. hierzu auch Bräuer, Rechtsanwalt und Prozessfinanzierer,<br />

AnwBl 2001, 112). Der durchschnittlich informierte<br />

Anwalt weiß wohl um die Existenz dieser Finanzierungsmöglichkeit.<br />

Wer für einen Mandanten schon einmal<br />

um eine Prozessfinanzierung nachgesucht hat, wird möglicherweise<br />

erfahren haben, welch hohe Anforderungen seitens<br />

der Prozesskostenfinanzierer gestellt werden. Nicht<br />

ohne Grund natürlich. Auch PKH und Rechtsschutzdeckung<br />

werden nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt,<br />

wobei allerdings die Maßstäbe jeweils unterschiedlich sind.<br />

Nicht jeder Prozess verläuft so, wie man sich das vorgestellt<br />

hatte. Im Fall des Misserfolges hat der Anwalt mit<br />

unterschiedlichen Konsequenzen zu rechnen, je nachdem,<br />

wie bzw. durch wen der Prozess finanziert worden war.<br />

Auch dies soll im folgenden näher dargestellt werden.<br />

1. Beratung über zu erwartende Prozesskosten<br />

Die Pflichten des Anwalts sind unterschiedlich, wenn es<br />

darum geht, dem Mandanten Finanzierungsmöglichkeiten<br />

für einen (Aktiv-)Prozess aufzuzeigen. Grundsätzlich darf<br />

der Anwalt davon ausgehen, dass der Mandant weiß, dass<br />

es etwas kostet, einen Prozess zu führen. Spricht der Mandant<br />

von sich aus die Höhe der zu erwartenden Prozesskosten<br />

nicht an, braucht es der Anwalt auch nicht zu tun (BGH<br />

NJW 1998, 136 f; BGH NJW 1998, 3486 f; Sieg in Zugehör<br />

Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 677). Er darf dann<br />

grundsätzlich annehmen, dass die Höhe der zu erwartenden<br />

Kosten für den Mandanten keine entscheidende Rolle spielt<br />

und dass der Mandant sich um die Aufbringung der Finanzmittel<br />

selbst kümmern wird. Fragt der Mandant gezielt nach<br />

den voraussichtlichen Kosten, hat der Anwalt sie ihm so gut<br />

als möglich darzulegen (BGH aaO). Schließlich soll der<br />

Mandant dadurch in die Lage versetzt werden, sich zu entscheiden,<br />

ob er angesichts des Kostenrisikos den Prozess<br />

überhaupt führen will.<br />

2. Kostenaufbringung ist Sache des Mandanten<br />

Der Mandant muss sich überlegen, ob und wie er die<br />

Kosten aufbringen kann, egal ob er den Anwalt explizit<br />

nach den zu erwartenden Kosten gefragt hat oder nicht. In<br />

der Regel wird sich der Mandant zunächst nur darüber Gedanken<br />

machen, wie er die Gerichtskosten und den Vorschuss<br />

für den eigenen Anwalt aufbringt, da er von einem<br />

Obsiegen ausgehen und damit auf eine Kostenerstattung<br />

durch die Gegenseite hoffen wird. Wünscht der Mandant<br />

eine Auskunft über die voraussichtlichen Kosten und spricht<br />

er nach Erhalt der Kosteneinschätzung den Anwalt nicht auf<br />

Finanzierungsprobleme an, hat die Kostenseite für den Anwalt<br />

damit grundsätzlich ihr Bewenden. Er braucht sich<br />

keine Gedanken darüber zu machen, ob der Mandant eine<br />

Rechtschutzversicherung hat oder ob dieser PKH beantragen<br />

könnte (Sieg aaO Rn. 687) oder ob vielleicht sogar ein<br />

Prozesskostenfinanzierer einzuschalten wäre.<br />

3. Beratungsbedarf hinsichtlich Finanzierung<br />

a) Beratungspflichten des Anwalts<br />

Äußert der Mandant finanzielle Probleme, hat der Anwalt<br />

ihn über die grundsätzliche Möglichkeit und die Voraussetzungen<br />

eines PKH-Antrags zu informieren. Beratungspflichten<br />

in Richtung PKH kann es auch dann für den<br />

Anwalt geben, wenn er aufgrund des Mandats selbst (z.B.<br />

Unterhalt) Einblick in die finanziellen Verhältnisse des<br />

Mandanten bekommt (OLG Köln NJW 1986, 725 f; OLG<br />

Koblenz VersR 1990, 309). Vielleicht kommt PKH für den<br />

Mandanten aber dennoch nicht in Betracht. Der Anwalt hat<br />

dann nicht etwa von sich aus zu fragen, ob der Mandant<br />

eine Rechtschutzversicherung hat (a. A. OLG Nürnberg<br />

NJW-RR 1989,1370). Es ist vom Mandanten zu erwarten,<br />

dass er weiß, dass er eine Rechtschutzversicherung hat und<br />

dass er von sich aus den Anwalt darauf anspricht (Sieg aaO<br />

Rn. 689). Der Anwalt kann sich dann vom Mandanten gesondert<br />

beauftragen lassen, die Korrespondenz mit der<br />

Rechtschutzversicherung zu führen. Scheitert die Kostenaufbringung<br />

über PKH oder Rechtschutz, bleibt eigentlich<br />

nur noch eine Prozesskostenfinanzierung übrig. Wenn bisher<br />

auch noch keine dahingehende Rechtsprechung erkennbar<br />

ist, wird man den Anwalt unter diesen Umständen in der<br />

Pflicht sehen müssen, den Mandanten auf die Möglichkeit<br />

einer Prozessfinanzierung durch einen professionellen Prozesskostenfinanzierer<br />

hinzuweisen.<br />

b) Vor- und Nachteile der Finanzierungsmöglichkeiten<br />

Aus Sicht des durchschnittlichen Mandanten wird eine<br />

Rangfolge der Finanzierungsmöglichkeiten dahingehen,<br />

dass er es zuerst über die Rechtschutzversicherung versucht,<br />

wenn er denn eine hat, denn diese Möglichkeit löst bei ihm,<br />

abgesehen von einem geringen Selbstbehalt vielleicht, aktuell<br />

keine Kosten aus, die Prämie zahlt er über das Jahr ohnehin.<br />

Greift die Rechtschutzversicherung nicht, könnte er<br />

überlegen, die Kosten aus eigener Tasche aufzubringen.<br />

Scheitert dies, ist an PKH zu denken, wobei allerdings für<br />

manche Mandanten die umfangreichen Offenlegungspflichten<br />

sehr unangenehm sein könnten. Hinzu kommt sozusagen<br />

als Manko, dass die PKH niemals die gegnerischen Kosten<br />

Berichtigung<br />

Haftpflichtfragen 11/2005<br />

Leider hat sich im November-Beitrag ein Schreibfehler<br />

eingeschlichen. So heißt es auf Seite 714 Linke Spalte<br />

Mitte: „Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ...<br />

wird es den Beklagten zur Zahlung von 500.000,– EUR<br />

aufgrund des Hauptantrags verurteilen.“ Richtig muss<br />

es hier, wie sich aus dem Zusammenhang erkennen<br />

lässt, heißen 450.000,– EUR, da in dem Beispiel der<br />

Hauptantrag nur in dieser Höhe lautete. Einer aufmerksamen<br />

Leserin sei Dank.<br />

Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG, München<br />

AnwBl 1 / 2006 61


MN Haftpflichtfragen<br />

abdeckt. Ist auch der Weg über die PKH nicht gangbar,<br />

dürfte die letzte Alternative eine Prozesskostenfinanzierung<br />

sein. Eine Prozesskostenfinanzierung ist zwar nicht unangenehm<br />

für den Mandanten, aber es ist zu bedenken, dass der<br />

Prozesskostenfinanzierer vertragsgemäß als Gegenleistung<br />

für die Bereitstellung der Prozesskosten einen namhaften<br />

Anteil am Prozessgewinn erhält. Die Vor- und Nachteile der<br />

verschiedenen Finanzierungsarten sind dem Mandanten gegenüber<br />

darzustellen, damit dieser sie gegeneinander abwägen<br />

kann. Die Überlegungen verschiedener Mandanten können<br />

hierbei im Ergebnis ganz unterschiedlich ausfallen. Ein<br />

Geschäftsmann wird vielleicht die Finanzierung mit einem<br />

Prozesskostenfinanzierer in Erwägung ziehen, auch wenn er<br />

die Prozesskosten aus Geschäftsmitteln aufbringen könnte,<br />

um nicht flüssige Mittel unnötig länger in einem Prozessgeschehen<br />

zu binden. Für ihn bedeutet also in diesem Fall<br />

die Einschaltung eines Prozesskostenfinanzierers einen Liquiditätsvorteil.<br />

Ein Privatmann wird sich vielleicht eher gegen<br />

eine Prozessfinanzierung entscheiden, weil er von seinem<br />

Prozessgewinn nichts abgeben möchte. Der Anwalt<br />

muss die Entscheidung des Mandanten akzeptieren, auch<br />

wenn er selbst sie vielleicht anders getroffen hätte. Aus<br />

Sicht des Anwalts ist die Einschaltung eines Prozesskostenfinanzierers<br />

durchaus auch interessant, wird doch im Regelfall<br />

im Finanzierungsvertrag zwischen Mandant und Prozesskostenfinanzierer<br />

zugunsten des Anwalts für die<br />

Abwicklung mit dem Prozesskostenfinanzierer eine gesonderte<br />

Geschäftsgebühr vereinbart.<br />

4. Haftungskonstellationen bei der PKH<br />

a) Unterlassener Hinweis auf PKH-Möglichkeit<br />

Der häufigste Vorwurf geht in diesem Zusammenhang<br />

dahin, dass der Anwalt gar nicht auf die Möglichkeit eines<br />

PKH-Antrags hingewiesen hat, obwohl eine Beratungspflicht<br />

bestanden hätte, mit der Folge, dass der Mandant die<br />

Kosten aus eigenen Mitteln aufgebracht oder von einer<br />

Klage Abstand genommen hat. Hat der Mandant die Kosten<br />

selbst aufgebracht, stellt sich im Nachhinein unter Haftungsgesichtspunkten<br />

die Frage, ob er denn im Sinne des PKH-<br />

Rechts überhaupt bedürftig gewesen wäre.<br />

b) Kosten des Gegners<br />

Grundsätzlich muss der Anwalt den Mandanten über die<br />

Prozessaussichten an sich belehren. Entschließt sich der<br />

Mandant bei geringen Prozessaussichten dennoch zu dem<br />

Prozess angesichts der Überlegung, dass die Kosten der<br />

Staat trage, und hatte der Anwalt den Mandanten nicht zuvor<br />

darauf hingewiesen, dass die gegnerischen Kosten nicht<br />

über die PKH abgedeckt sind, wird der Anwalt grundsätzlich<br />

hinsichtlich der gegnerischen Prozesskosten haften.<br />

5. Haftungsfragen bei Einbeziehung eines Rechtschutzversicherers<br />

Der Rechtschutzversicherer steht zu seinem Kunden –<br />

dem Mandanten – in einem Vertragsverhältnis. Bei der<br />

Rechtschutzanfrage wird die Deckung geprüft, nicht die Erfolgsaussichten<br />

des Begehrens. Übernimmt der Anwalt die<br />

Abwicklung mit der Rechtschutzversicherung, kann er sich<br />

gegenüber dem Mandanten haftpflichtig machen, wenn die<br />

Korrespondenz mit dem Rechtschutzversicherer beispielsweise<br />

stark verzögerlich erfolgt und Verjährung eintritt, bevor<br />

die Klage eingereicht werden kann. Übernimmt der An-<br />

62 AnwBl 1 / 2006<br />

walt aufgrund gesonderten Auftrags die Abwicklung mit<br />

dem Rechtschutzversicherer, wird man ihn als Erfüllungsgehilfen<br />

des Mandanten ansehen müssen, soweit es um dessen<br />

Obliegenheiten gegenüber dem Rechtschutzversicherer<br />

geht (so wohl auch OLG Köln VersR 1994, 813). Wird<br />

Rechtschutz gewährt, führt aber der Anwalt den Prozess<br />

schlecht mit der Folge des Prozessverlusts, wird er sich unter<br />

Umständen zwei Anspruchstellern ausgesetzt sehen:<br />

dem Mandanten hinsichtlich der Hauptsache, dem Rechtschutzversicherer<br />

hinsichtlich der Kosten. Die Schadenersatzforderung<br />

des Mandanten gegen den Rechtsanwalt bezüglich<br />

der Prozesskosten geht nach §§ 67 Abs. 1 VVG, 20<br />

Abs. 2 ARB auf den Rechtschutzversicherer über. Es lässt<br />

sich dem Mandanten, wenn der Rechtschutzversicherer die<br />

Prozesskosten getragen hat, nicht etwa entgegenhalten, er<br />

habe gar keinen Schaden erlitten, da er schließlich nicht<br />

selbst gezahlt habe (vgl. OLG Köln VersR 1994, 813). Vgl.<br />

zu dem Thema Anwalt und Rechtschutzversicherung Chab<br />

AnwBl 2003, 652 ff.<br />

6. Haftung im Fall der Prozesskostenfinanzierung<br />

a) Dreiecksverhältnis<br />

Wird ein Prozesskostenfinanzierer eingeschaltet, nimmt<br />

das Mandat aus Sicht des Anwalts deutlich an Komplexität<br />

zu. Zwar existieren auch zwischen dem Prozesskostenfinanzierer<br />

und dem Anwalt keine eigenen Rechtsbeziehungen,<br />

aber auch hier ist der Anwalt Erfüllungsgehilfe des Mandanten,<br />

und jener übernimmt gegenüber dem Prozessfinanzierer<br />

diverse und weitgehende Verpflichtungen, die zu einem<br />

sehr engen und intensiven Kontakt zwischen Anwalt<br />

und Prozessfinanzierer führen. Mit Anwalt und Prozessfinanzierer<br />

stehen sich Juristen auf gleicher Augenhöhe gegenüber.<br />

Der Prozessfinanzierer wird es grundsätzlich vorziehen,<br />

sich bei Rückfragen an den Anwalt zu wenden statt<br />

an den Mandanten, da der Anwalt schneller wissen wird,<br />

um was es geht, und vielleicht gezielter Antworten geben<br />

kann. Der Abschluss eines Prozessfinanzierungsvertrages<br />

setzt im Regelfall voraus, dass der Anwalt einen Klageentwurf<br />

oder dgl. fertigt und mit sämtlichen Anlagen dem Prozesskostenfinanzierer<br />

zur Prüfung zur Verfügung stellt, wobei<br />

dieser einen wesentlich strengeren Maßstab anlegen<br />

wird als ein Rechtschutzversicherer. So wird auf jeden Fall<br />

die Schlüssigkeit der beabsichtigten Klage geprüft werden,<br />

so wie die Beweisbarkeit der strittigen Punkte. Ferner wird<br />

der Prozesskostenfinanzierer vor seiner Entscheidung noch<br />

mögliche Einreden und Einwendungen der Gegenseite abfragen,<br />

soweit er sie erkennen bzw. vorhersehen kann. Eine<br />

etwaige schon zur Diskussion stehende oder erst noch drohende<br />

Verjährung wird besonders sorgfältig geprüft werden,<br />

würde sie doch möglicherweise den Prozess unerwünscht<br />

schnell zu Fall bringen. Auch die Bonität des Schuldners interessiert<br />

den Prozesskostenfinanzierer. Dieser hat nämlich<br />

kein Interesse, einen an sich aussichtsreichen Prozess zu finanzieren,<br />

wenn das Urteil absehbar nicht erfolgreich vollstreckt<br />

werden könnte. Er verdient grundsätzlich nur im<br />

Falle der Realisierung des Titels seinen vertraglich bestimmten<br />

Anteil. Wird der Prozess zwar rechtskräftig gewonnen,<br />

kann der Titel aber nicht in Geld umgesetzt werden,<br />

hat der Prozessfinanzierer das Risiko und das<br />

Nachsehen. Der Mandant schuldet nicht etwa unabhängig<br />

von der Realisierung des Titels eine Gegenleistung für die<br />

Bereitstellung der Kosten. Erst wenn die Prüfung aller Fak-


MN Haftpflichtfragen<br />

toren positiv ausfällt, wird der mögliche Abschluss eines<br />

Prozesskostenfinanzierungsvertrages ins Detail gehen. Die<br />

Bedingungen gibt in der Regel der Prozesskostenfinanzierer<br />

vor. Insbesondere der Anteil, den der Prozesskostenfinanzierer<br />

vom vollstreckten Titel erhält (in der Regel zwischen 20<br />

und 30 %), wird kaum der Höhe nach verhandelbar sein.<br />

Stimmen Mandant und Prozesskostenfinanzierer hinsichtlich<br />

der Konditionen nicht überein, wird der Prozesskostenfinanzierer<br />

eher auf den Abschluss dieses Vertrages verzichten als<br />

dem Mandanten nachzugeben.<br />

b) Interessenkonflikte vermeiden<br />

Bereits in dieser vorvertraglichen Phase wird ein enger<br />

Kontakt zwischen Anwalt und Prozesskostenfinanzierer entstehen.<br />

Der Anwalt könnte hierbei leicht in Gefahr geraten,<br />

aus den Augen zu verlieren, wer eigentlich sein Mandant ist.<br />

Der Anspruchsinhaber ist und bleibt Mandant für den Anwalt,<br />

der Prozessfinanzierer ist in diesem Dreiecksverhältnis niemals<br />

Mandant sondern sonstiger Geschäftpartner für den Anwalt,<br />

dem gegenüber er allerdings gesteigerte Pflichten hat als<br />

Interessenvertreter des Kunden des Prozesskostenfinanzierers.<br />

Augenscheinlich haben alle Beteiligten gleich gelagerte Interessen,<br />

nämlich die erfolgreiche Führung des Prozesses.<br />

Schaut man aber genauer hin, treten doch wieder unterschiedliche<br />

eigene Interessen der Beteiligten zu Tage. Der Anspruchsinhaber<br />

will seinen Prozess gewinnen. Der Prozesskostenfinanzierer<br />

will sich seinen Anteil verdienen, der<br />

Prozessgewinn ist dabei notwendiges Mittel zum Zweck. Der<br />

Anwalt will sein Honorar verdienen. Dabei ist der Prozessgewinn<br />

für ihn nur eine mögliche Option, er verdient schließlich<br />

seine Gebühren auch bei Verlust des Prozesses.<br />

c) Beratung des Mandanten vor der Finanzierung<br />

Bereits vor Abschluss des Vertrages setzen Beratungspflichten<br />

des Anwalts gegenüber dem Mandanten ein. So<br />

muss er mit diesem die avisierten Vertragsmodalitäten im<br />

Fall von Gewinn und Verlust des Prozesses durchsprechen.<br />

Insbesondere muss dem Mandanten deutlich vor Augen geführt<br />

werden, dass er im Fall des Sieges einen namhaften<br />

Teil seines Erlöses an den Prozesskostenfinanzierer abzuführen<br />

hat, die legitime Gegenleistung für die Bereitstellung<br />

der Finanzierungsmittel. Bei mangelnder Beratung durch<br />

den Anwalt und entsprechendem Haftungsbegehren wird<br />

man dem Mandanten in diesem Fall aber immer entgegenhalten<br />

können, dass er den Prozess sonst gar nicht geführt<br />

und somit auch gar nichts bekommen hätte. Ein Schaden<br />

wäre hier jedenfalls nicht zu erkennen.<br />

d) Haftung im finanzierten Prozess<br />

Wird der Prozess wider Erwarten verloren, kann sich der<br />

Anwalt Haftungsvorwürfen gegenüber sehen. Diese werden<br />

grundsätzlich ernst zu nehmen sein, muss man doch davon ausgehen,<br />

dass die Prozessaussichten doppelt, nämlich auch durch<br />

den Prozessfinanzierer geprüft worden waren. Vertraglich sind<br />

Schadenersatzansprüche des Mandanten gegen den Anwalt<br />

meist schon von vornherein an den Prozesskostenfinanzierer<br />

abgetreten. Findet sich tatsächlich ein Anwaltsfehler, ist<br />

grundsätzlich nach Art des Fehlers zu differenzieren.<br />

Wurde zum Beispiel ein verjährter Anspruch eingeklagt,<br />

wird man dem Prozesskostenfinanzierer, wenn er im eigenen<br />

Namen Regressansprüche geltend macht, entgegenhalten<br />

können, dass er die Verjährung bei gehörig sorgfältiger<br />

Prüfung vorher selbst hätte erkennen können. Dann hätte er<br />

die Finanzierungszusage verweigern können. Hatte er keine<br />

genügenden Informationen, um eine mögliche Verjährungsproblematik<br />

abzuklären, wird man ihm entgegenhalten, dass<br />

er sich diese vor der Finanzierungszusage hätte beschaffen<br />

können und müssen. Schließlich erhebt er vertraglich Anspruch<br />

auf umfassende Informationen. Hier liegt ein wesentlicher<br />

Unterschied zur Rechtschutz-Deckung. Der Rechtschutzversicherer<br />

prüft die Erfolgsaussichten der<br />

beabsichtigten Klage bestenfalls kursorisch und oberflächlich.<br />

Folglich kann man ihm bei Verlust des Prozesses kaum<br />

eigene Pflichtverletzungen entgegenhalten. Anders beim<br />

Prozessfinanzierer. Er ist nicht verpflichtet, sich auf das Geschäft<br />

einzulassen. Er hat bei jedem Geschäft ein eigenes Risiko,<br />

welches der Anwalt ihm nicht abzunehmen verpflichtet<br />

ist. Der Anwalt ist primär seinem Mandanten verpflichtet.<br />

Ist dem Anwalt schlechte Prozessführung vorzuwerfen,<br />

könnte man überlegen, ob der Finanzierer nicht rechtzeitig<br />

hätte helfend eingreifen können, schließlich begleitet er das<br />

Verfahren sehr eng. Hier darf man aber nicht auf die Idee verfallen,<br />

der Finanzierer sei Erfüllungsgehilfe des Anwalts.<br />

Wenn der Prozessfinanzierer in den Lauf des Prozesses eingreift,<br />

dann allein aus seinem eigenen Geschäftsinteresse heraus,<br />

nicht, um den Anwalt vor einer Haftung zu bewahren.<br />

Mögliche Einwände gegenüber dem Prozesskostenfinanzierer<br />

werden allerdings dann nicht weiterhelfen, wenn<br />

nicht der Prozesskostenfinanzierer selbst, sondern der Mandant<br />

Regressansprüche erhebt. Der Mandant ist gegenüber<br />

dem Anwalt naturgemäß nicht selbst zur Rechtsprüfung verpflichtet<br />

– was schließlich auch absurd wäre – folglich kann<br />

auch der Prozesskostenfinanzierer nicht als Erfüllungsgehilfe<br />

im Verhältnis Anwalt-Mandant gelten.<br />

Liegt tatsächlich ein Haftungsfall vor, wird sich der Anwalt<br />

zwei Anspruchstellern gegenüber sehen: dem Prozesskostenfinanzierer<br />

wegen der nutzlos aufgewendeten Kosten und wegen<br />

des entgangenen Gewinns hinsichtlich des Anteils an der<br />

Hauptsache und dem Mandanten bezüglich der Hauptsache<br />

abzüglich des auf den Prozesskostenfinanzierer entfallenden<br />

Anteils. Rechtlich betrachtet ist dies kein anderer Haftungsfall,<br />

als wenn der Anwalt dem Mandanten allein gegenübersteht,<br />

der Schaden ist nicht größer, er ist nur auf zwei Geschädigte<br />

verteilt. Allerdings wird der Prozesskostenfinanzierer seine Interessen<br />

möglicherweise mit größerer Vehemenz verfolgen als<br />

der Mandant und auch einen Regressprozess nicht scheuen. In<br />

der Praxis ist zu beobachten, dass Prozessfinanzierer eigene<br />

Regressansprüche in der Regel doch nicht im eigenen Namen<br />

geltend machen, wie man aufgrund der vertraglichen Vorwegabtretung<br />

der Regressansprüche vermuten könnte, sondern<br />

hier eine Rückabtretung an ihren Kunden vornehmen und<br />

dann diesem auf der zweiten Ebene den Regressprozess gegen<br />

seine Anwalt finanzieren. Über die dafür sprechenden Gründe<br />

kann man wohl nur Mutmaßungen anstellen. Möglicherweise<br />

soll negative Publicity in der Anwaltschaft vermieden werden.<br />

Jacqueline Bräuer, München<br />

Die Autorin ist Assessorin und bei der Allianz<br />

Versicherungs-AG tätig.<br />

AnwBl 1 / 2006 63


MNRechtsprechung<br />

Anwaltsrecht<br />

Rechtsschutz und Mehrkosten des Vergleichs<br />

ARB 94 § 5 (3) b<br />

Endet ein mit Rechtsschutz geführter Rechtsstreit durch Vergleich,<br />

hat der Versicherer dessen Kosten in Höhe der Misserfolgsquote<br />

des Versicherungsnehmers auch insoweit zu tragen,<br />

als in den Vergleich weitere, bisher nicht streitige Gegenstände<br />

einbezogen worden sind, wenn der Versicherer auch für sie<br />

Rechtsschutz zu gewähren hat und sie rechtlich mit dem Gegenstand<br />

des Ausgangsrechtsstreits zusammenhängen.<br />

BGH, Urt. v. 14.9.2005 – IV ZR 145/04<br />

Sachverhalt: Auf der Grundlage der Allgemeinen Bedingungen<br />

für die Rechtsschutzversicherung (ARB 94/2000, vgl. VerBAV<br />

1994, 97 ff., im folgenden: ARB 94) hat der Kläger mit dem beklagten<br />

Rechtsschutzversicherer Arbeits-Rechtsschutz vereinbart<br />

(§ 2 b ARB 94). Er verlangt Erstattung der Kosten seines Prozessbevollmächtigten<br />

in einem Kündigungsschutzprozess. Mit der dortigen<br />

Klage wurde die Feststellung begehrt, das Anstellungsverhältnis<br />

sei nicht durch eine fristlose, hilfsweise fristgemäße<br />

Kündigung der Arbeitgeberin beendet worden, sondern bestehe unbefristet<br />

zu den vertragsgemäßen Konditionen auf unbestimmte<br />

Zeit fort. Die Parteien jenes Rechtsstreits einigten sich in einem<br />

Vergleich vor dem Arbeitsgericht, dass das Arbeitsverhältnis infolge<br />

ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung sein Ende finde.<br />

Außerdem verpflichtete sich die Arbeitgeberseite u. a., dem Kläger<br />

bis zum vorgesehenen Ende des Arbeitsverhältnisses ungeachtet<br />

seiner Freistellung von der Arbeitsleistung Lohn sowie eine Abfindung<br />

für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen und ein wohlwollendes<br />

Zeugnis mit der Note „gut“ zu erteilen; der Kläger verpflichtete<br />

sich seinerseits, den Generalschlüssel des<br />

Firmengeländes herauszugeben. Im Vergleich wurden die Kosten<br />

des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Das Arbeitsgericht<br />

setzte den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren<br />

auf 14.340 E und für den Vergleich auf 30.150 E fest. Der<br />

Anwalt des Klägers berechnete danach seine Gebühren auf insgesamt<br />

2.299,12 E. Die Beklagte erstattete 1.992,88 E, verweigert<br />

aber die Zahlung von Mehrkosten bezüglich der Vergleichsgebühr,<br />

soweit sie durch den höheren Streitwert des Vergleichs entstanden<br />

sind.<br />

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der ARB 94 lauten:<br />

§ 4 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz<br />

Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt:<br />

(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines<br />

Rechtsschutzfalles<br />

a)...<br />

b)...<br />

c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der<br />

Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen<br />

Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder<br />

begangen haben soll.<br />

§ 5 Leistungsumfang<br />

Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:<br />

(1) Der Versicherer trägt<br />

a) bei Eintritt des Rechtsschutzfalles im Inland die Vergütung<br />

eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts<br />

bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung eines am Ort des<br />

zuständigen Gerichtes ansässigen Rechtsanwaltes. ...<br />

b) ...<br />

(2)...<br />

(3) Der Versicherer trägt nicht<br />

a)...<br />

b) Kosten, die im Zusammenhang mit einer einverständlichen<br />

Erledigung entstanden sind, soweit sie nicht dem Verhältnis<br />

des vom Versicherungsnehmer angestrebten Ergebnisses<br />

zum erzielten Ergebnis entsprechen, ...<br />

Das Amtsgericht hat der Klage auf Zahlung von 306,24 E stattgegeben;<br />

das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision<br />

verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.<br />

64 AnwBl 1 / 2006<br />

Aus den Gründen: Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückweisung<br />

der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des<br />

Amtsgerichts.<br />

1. Das Berufungsgericht hebt darauf ab, dass den streitigen Vergleichsmehrkosten<br />

kein Versicherungsfall im Sinne des § 4 (1) c<br />

ARB 94 zugrunde liege. Deckungsschutz habe die Beklagte nur für<br />

die Kündigungsschutzklage als solche gewährt. Im Vergleich vor<br />

dem Arbeitsgericht seien darüber hinaus weitere Punkte geregelt<br />

worden wie insbesondere die Zeugniserteilung und die Herausgabe<br />

eines Schlüssels. Es sei nicht ersichtlich, dass über diese weiteren<br />

Punkte überhaupt Streit zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin<br />

bestanden habe. Dass insoweit vorsorglich ein künftig etwa<br />

möglicher Streit habe ausgeschlossen werden sollen, rechtfertige<br />

die Annahme eines Versicherungsfalles nicht (in diesem Sinne<br />

auch LG Hannover r+s 1993, 466 f.).<br />

2. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Die Auslegung der<br />

hier vereinbarten Versicherungsbedingungen ergibt vielmehr, dass<br />

bei Beendigung eines unter den Versicherungsschutz fallenden<br />

Rechtsstreits durch gerichtlichen Vergleich dessen Kosten – soweit<br />

der Versicherungsnehmer keinen Erfolg hatte – vom Versicherer<br />

grundsätzlich auch insoweit zu tragen sind, als in den Vergleich<br />

weitere, den Gebührenstreitwert erhöhende, nicht wegen eines bestimmten<br />

Rechtsverstoßes streitige Gegenstände einbezogen worden<br />

sind, wenn für sie grundsätzlich ebenfalls Versicherungsschutz<br />

besteht und sie mit dem eigentlichen Gegenstand des verglichenen<br />

Rechtsstreits in rechtlichem Zusammenhang stehen.<br />

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine<br />

Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher<br />

Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer<br />

Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren<br />

Sinnzusammenhangs verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten<br />

eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche<br />

Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen<br />

an. Bei Klauseln, die den Versicherungsschutz<br />

ausschließen oder einschränken, geht das Interesse des Versicherungsnehmers<br />

regelmäßig dahin, dass der Versicherungsschutz<br />

nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel<br />

dies gebietet. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass sein Versicherungsschutz<br />

Lücken hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht<br />

werden (vgl. BGHZ 123, 83, 85; Urteil vom 29. September<br />

2004 – IV ZR 170/03 –VersR 2004, 1596 unter II 1).<br />

b) Im vorliegenden Fall ist nicht streitig, dass die Beklagte für<br />

den Kündigungsschutzprozess, den der Kläger gegen seine Arbeitgeberin<br />

geführt hat, gemäß § 4 (1) c ARB 94 Versicherungsschutz<br />

zu leisten hatte. Das hat sie dem Kläger in einer Deckungszusage<br />

„zunächst für die 1. Instanz“ bestätigt, auch soweit bei einem Erfolg<br />

des Kündigungsschutzantrages zusätzlich ein Weiterbeschäftigungsanspruch<br />

geltend gemacht wurde. Versicherungsschutz hatte<br />

die Beklagte nach § 4 (1) c ARB 94 deshalb zu leisten, weil es bei<br />

dem Rechtsstreit um die Wirksamkeit der von der Arbeitgeberin<br />

des Klägers ausgesprochenen Kündigung und damit um einen vom<br />

Kläger behaupteten Verstoß der Arbeitgeberin gegen Rechtspflichten<br />

oder Rechtsvorschriften ging. Im Übrigen lassen sich § 4 (1) c<br />

ARB 94 zwar zeitliche Grenzen des Versicherungsschutzes entnehmen,<br />

nicht aber eine nähere Begrenzung des Leistungsumfangs.<br />

c) Zum Leistungsumfang ist § 5 (1) a ARB 94 zu entnehmen,<br />

dass der Versicherer bei einem Rechtsschutzfall im Inland die Vergütung<br />

eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts<br />

trägt. Diese Zusage wird der Höhe nach nur insofern eingeschränkt,<br />

als der Versicherer nur die gesetzliche Vergütung eines<br />

am Ort des zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalts trägt<br />

(sowie unter zusätzlichen Voraussetzungen die Kosten eines Verkehrsanwalts).<br />

Zur gesetzlichen Vergütung gehörte im Zeitpunkt<br />

der Beendigung des Kündigungsschutzprozesses auch die Vergleichsgebühr<br />

nach § 23 BRAGO (vgl. heute VV Nr. 1000 zum<br />

RVG). Dabei handelt es sich um Kosten einer einverständlichen Erledigung<br />

des Rechtsstreits, die in § 5 (3) b ARB 94 ausdrücklich<br />

angesprochen werden. Mit dieser Vorschrift schließt der Versicherer<br />

zwar seine Leistungspflicht hinsichtlich solcher Kosten einer<br />

einverständlichen Erledigung aus, die nicht der Misserfolgsquote<br />

des Versicherungsnehmers entsprechen. Davon abgesehen geht<br />

aber auch die Vorschrift des § 5 (3) b ARB 94 davon aus, dass der


MN Rechtsprechung<br />

Versicherer die im Zusammenhang mit einer einverständlichen Erledigung<br />

des Rechtsstreits entstandenen Kosten zu tragen hat.<br />

d) Bei der einverständlichen Erledigung eines Rechtsstreits<br />

durch einen Vergleich ist aber dessen Ausdehnung auf nicht rechtshängige<br />

Streitgegenstände häufig sachdienlich und allgemein üblich<br />

(vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1977 – IV ZR 97/76 – VersR<br />

1977, 809 unter I 2 b). Die Miterledigung anderer Streitpunkte<br />

schafft vielfach gerade erst die Grundlage für die Einigung über<br />

den bereits streitbefangenen Anspruch.<br />

Das wird auch der verständige Versicherungsnehmer in Betracht<br />

ziehen. Deshalb bedingt der Umstand, dass ihm gemäß §4 (1) ARB<br />

94 ein Rechtsschutzanspruch für einen bestimmten – hier durch einen<br />

Verstoß im Sinne des § 4 (1) c ARB 94 konkretisierten –<br />

Rechtsschutzfall zusteht, nicht notwendig und zugleich ein Verständnis<br />

des § 5 (3) b ARB 94 dahin, dass nur solche Kosten vom Versicherer<br />

zu tragen sind, die durch die vergleichsweise Erledigung<br />

des konkreten Rechtsschutzfalles unmittelbar entstanden sind. Der<br />

Versicherungsnehmer kann nicht davon ausgehen, dass der Versicherer<br />

die Kosten der vergleichsweisen Erledigung anderer Streitpunkte<br />

zwischen den Parteien selbst dann nicht (im Rahmen der Misserfolgsquote)<br />

tragen will, wenn solche Streitpunkte mit dem unmittelbaren<br />

Gegenstand des Rechtsstreits in rechtlichem Zusammenhang<br />

stehen und für die der Versicherer im Streitfalle gegebenenfalls<br />

deckungspflichtig wäre. Das gilt schon deshalb, weil die Miterledigung<br />

anderer Streitpunkte in solchen Fällen zumindest geeignet sein<br />

kann, den Eintritt eines weiteren Rechtsschutzfalles zu verhindern<br />

und wertere Kosten zu vermeiden. Der Versicherungsnehmer wird<br />

deshalb die Wendung „Kosten, die im Zusammenhang mit einer einverständlichen<br />

Erledigung entstanden sind“ dahin verstehen, dass sie<br />

auch solche Kosten einschließt, die durch die Einbeziehung weiterer<br />

Streitgegenstände entstanden sind, soweit diese mit dem eigentlichen<br />

Gegenstand des Streites in rechtlichem Zusammenhang stehen<br />

und der Versicherer auch für diese grundsätzlich Rechtsschutz zu gewähren<br />

hätte. Dass zudem hinsichtlich der weiteren in die Erledigung<br />

einbezogenen Gegenstände bereits ein Verstoß im Sinne des<br />

§ 4 (1) c ARB 94 vorliegen, also bereits ein konkreter Rechtsschutzanspruch<br />

gegeben sein müsste, erschließt sich dem Versicherungsnehmer<br />

dagegen aus § 5 (3) b ARB 94 nicht. Denn aus seiner Sicht<br />

zielt die einverständliche Regelung weiterer, im Zusammenhang mit<br />

dem unmittelbaren Streitgegenstand stehender Punkte gerade auch<br />

darauf, einen weiteren Verstoß und damit einen weiteren Rechtsschutzfall<br />

nicht eintreten zu lassen.<br />

e) Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte für die im Vergleich<br />

mit erledigten Fragen, wenn sie streitig geworden wären, im Rahmen<br />

des vereinbarten Arbeits-Rechtsschutzes Deckung zu gewähren.<br />

Die getroffenen Vereinbarungen betreffen Rechtsfragen in engem<br />

Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses,<br />

um die es im Ausgangsrechtsstreit ging, auch soweit der Vergleich<br />

die Erteilung eines wohlwollenden Zeugnisses für den Kläger oder<br />

die Rückgabe seines Generalschlüssels vorsieht. Von einer unnötigen<br />

Erhöhung der Kosten (vgl. § 17 (5) c cc ARB 94) kann hier<br />

nicht die Rede sein.<br />

Kostenübernahme durch Rechtsschutzversicherung<br />

ARB 94 §§ 4 (1) Satz 1 c), 3 (1) d) dd)<br />

1. Für den einen Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß gemäß<br />

§ 4 (1) Satz 1 c) ARB 94 genügt jeder tatsächliche, objektiv<br />

feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonflikts in<br />

sich trägt.<br />

2. Der Streit um den Neuwertanteil in einer Feuerversicherung<br />

unterliegt nicht dem Risikoausschluss der so genannten Baufinanzierungsklausel<br />

in § 3 (1) d) dd) ARB 94.<br />

BGH, Urt. vom 28.9.2005 – IV ZR 106/04<br />

Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />

Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de.<br />

Anmerkung zu der Entscheidung<br />

I. Der Sachverhalt in knappen Worten<br />

Ende <strong>Januar</strong> 2001 brannte ein denkmalgeschütztes feuerversichertes<br />

Gebäude einer Schlossanlage ab. Der damalige Eigentümer<br />

erhielt von der Feuerversicherung die sogenannte Zeitwertentschädigung.<br />

Im Dezember 2001 erwarb die Klägerin die Schlossanlage und<br />

damit auch gem. § 69 VVG die Rechte und Pflichten aus dem Feuerversicherungsvertrag.<br />

Die Klägerin beabsichtigte, das Gebäude wiederherzustellen<br />

und verlangte von dem Feuerversicherer den Neuwertanteil<br />

(Differenz zwischen Zeitwertentschädigung und<br />

Wiederherstellungskosten). Dieser lehnte die Zahlung ab.<br />

Die Klägerin war von Anfang <strong>Januar</strong> 2000 bis Ende März 2002<br />

bei der Beklagten rechtsschutzversichert; vereinbart waren die<br />

ARB 96 der Beklagten (entspr. in den entscheidenden Klauseln<br />

den ARB 94). Die Parteien streiten darüber, ob der Feuerversicherer<br />

den Deckungsschutz während der Laufzeit der Rechtsschutzversicherung<br />

abgelehnt hat.<br />

II. Die Streitfragen<br />

1. Behauptete Nachvertraglichkeit<br />

Der Feuerversicherer hatte im Februar 2002 der Versicherungsmaklerfirma<br />

mitgeteilt, es würden über die Zeitwertentschädigung<br />

hinaus keine Leistungen erbracht. Diese Mitteilung wurde noch<br />

während der Laufzeit der Rechtsschutzversicherung an den Sohn<br />

der Klägerin weitergegeben. Der Rechtsschutzversicherer war der<br />

Ansicht, dies sei keine endgültige Ablehnung gewesen. Der Feuerversicherer<br />

habe erst nach Ende des Rechtsschutzversicherungsvertrages<br />

endgültig über die Deckungsablehnung entschieden. Die<br />

Mitteilung an den Makler sei weder als endgültige Leistungsablehnung<br />

zu sehen, noch sei die Weitergabe nach außen dem Feuerversicherer<br />

zuzurechnen.<br />

Gemäß § 4 (1) c) ARB 96/94 ist der Versicherungsfall eingetreten,<br />

wenn einer der Beteiligten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften<br />

verstoßen hat oder verstoßen haben soll. Versicherungsschutz<br />

besteht für Fälle, die nach Beginn des<br />

Versicherungsschutzes und vor dessen Ende eingetreten sind.<br />

Der BGH trifft hier eine fein austarierte Entscheidung, indem<br />

er die drei unterschiedlichen Stadien Vorvertraglichkeit/innerhalb<br />

des versicherten Zeitraums/Nachvertraglichkeit betrachtet. Im Ergebnis<br />

muss der Rechtsschutzversicherer die Kriterien der Vorvertraglichkeit<br />

(„latent schwelender Rechtsstreit vor Vertragsschluss“)<br />

auch gegen sich gelten lassen. Wenn bereits während des Versicherungszeitraums<br />

ein solch latent schwelender Rechtsstreit besteht,<br />

dann ist dieser vom Versicherungsschutz umfasst.<br />

2. Behaupteter Risikoausschluss: Baurisiko<br />

Seit den ARB 94 ist jedes Risiko ausgeschlossen, dass in ursächlichem<br />

Zusammenhang mit der Baufinanzierung steht § 3 (1)<br />

d) dd) ARB 94. Der Rechtsschutzversicherer hatte nun behauptet,<br />

der Rechtsstreit mit dem Feuerversicherer betreffe die Baufinanzierung,<br />

da der begehrte Neuwertanteil ein entscheidendes Instrument<br />

der vorsorglichen Finanzierung sei. Vereinfacht ausgedrückt<br />

habe die Klägerin beim Erwerb des abgebrannten Gebäudes die begehrte<br />

Versicherungszahlung bereits in ihre Finanzierung eingeplant.<br />

Dem tritt der BGH entgegen. Die Klägerin beabsichtige, einen<br />

Rechtsstreit aus dem (Feuer)versicherungsvertrag und nicht über<br />

die Baufinanzierung zu führen. Dabei stellt er wie stets auf die Betrachtungsweise<br />

des durchschnittlichen, vernünftigen Versicherungsnehmers<br />

ab. Nicht nur aus dessen Sicht handele es sich um<br />

einen Schadensersatzanspruch<br />

III. Bedeutung für die Praxis<br />

1. „Keim des Rechtsstreits“<br />

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AnwBl 1 / 2006 65


MN Rechtsprechung<br />

Die Frage, wann der erste behauptete Verstoß der Gegenseite –<br />

und somit der Eintritt des Rechtsschutzfalls in zeitlicher Hinsicht –<br />

vorliegt, war bereits bisher streitig. Den Ausdruck vom „Keim des<br />

Rechtskonflikts“ verwendete man bislang zur Abgrenzung eines<br />

vorvertraglich bestehenden Rechtsstreits, der damit nicht versichert<br />

ist (so bereits Maier, in: Harbauer, 7. Aufl. § 14 ARB 75<br />

Rdnr. 39 ff).<br />

Neu ist, dass diese Argumentation nun auch zur Bestimmung<br />

dient, ob ein Rechtskonflikt noch innerhalb des versicherten Zeitraums<br />

liegt. Der anwaltliche Berater, der für seinen Mandanten<br />

Deckungsschutz aus einer bereits gekündigten Rechtsschutzversicherung<br />

begehrt, sollte also mit Hilfe der besprochenen Entscheidung<br />

stets nach dem tatsächlich, objektiv feststellbaren Vorgang,<br />

der den Keim des Rechtskonflikts in sich trägt, suchen.<br />

2. Baufinanzierungsklausel<br />

Aus anwaltlicher Sicht ist es zunächst zu begrüßen, dass der<br />

BGH eine uferlose Ausweitung der Baufinanzierungsklausel seit<br />

ARB 94 ff. verhindert hat. Vergleicht man die Entscheidung allerdings<br />

mit seinen neueren Urteilen zu Streitigkeiten über die Finanzierung<br />

von Immobilienfondsanteilen, so hat der Bundesgerichtshof<br />

(noch) nicht deutlich gemacht, wo die Trennlinie des<br />

ursächlichen Zusammenhangs genau verläuft.<br />

Rechtsanwalt Axel Pabst, Frankfurt am Main<br />

Rechtsberatungsgesetz<br />

Unfallregulierung durch Autovermieter<br />

RBerG Art. 1 § 1<br />

Geht es dem Mietwagenunternehmen im Wesentlichen darum,<br />

die ihm durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen,<br />

so besorgt es keine Rechtsangelegenheit des geschädigten<br />

Kunden, sondern eine eigene Angelegenheit (Anschluss<br />

an Senatsurteile vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 –<br />

VersR 2005, 241 und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 –<br />

VersR 2005, 1256).<br />

BGH, Urteil vom 20.9.2005 – VI ZR 251/04<br />

Sachverhalt: Die Klägerin, eine Autovermietung, macht gegen<br />

den Beklagten als Verursacher eines Verkehrsunfalls Ansprüche<br />

auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten geltend, die die Unfallgeschädigte<br />

an sie zur Sicherheit abgetreten hat. Die Alleinhaftung<br />

der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit.<br />

Die Geschädigte mietete am 20. September 2000 einen PKW<br />

zu einem Unfallersatztarif an und trat gleichzeitig ihre Ansprüche<br />

gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer ab. In der<br />

Sicherungsabtretung und der auf der Rückseite niedergelegten<br />

„Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“ heißt es:<br />

9 „Über die Alternative der Privatanmietung mit Vorauszahlung<br />

wurde ich informiert. Ich werde – unabhängig von der Sicherungsabtretung<br />

– den Schaden beim Haftpflichtversicherer des<br />

Schädigers anmelden und mich um die Verfolgung und Durchsetzung<br />

meines Schadensersatzanspruches selber kümmern.“<br />

9 „Wegen der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bei der obigen<br />

Autovermietung und aus Anlass des vorstehenden Unfalles trete<br />

ich hiermit nur meinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung<br />

der Mietwagenkosten an die obige Autovermietung zur Sicherheit<br />

ab ... . Die obige Autovermietung ist nicht berechtigt, die<br />

abgetretenen Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger oder<br />

dessen Haftpflichtversicherung geltend zu machen, bevor sie<br />

mich erfolglos zur Zahlung aufgefordert hat ... . Um die Schadensregulierung<br />

werde ich mich selbst kümmern und beim leistungsverpflichteten<br />

Versicherer den Schaden anmelden.“<br />

Am 7. Oktober 2000 berechnete die Klägerin der Geschädigten<br />

die Miete des Fahrzeugs mit 6.097,66 DM und gab folgenden Hinweis:<br />

„Absprachegemäß haben wir eine Kopie der Rechnung mit<br />

unserer Sicherungsabtretungsvereinbarung der gegnerischen Versicherung<br />

zugesandt. Sofern diese den Rechnungsbetrag nicht binnen<br />

drei Wochen zahlt, müssen wir Sie in Anspruch nehmen ... .“<br />

66 AnwBl 1 / 2006<br />

Da der Haftpflichtversicherer des Beklagten auf den Gesamtbetrag<br />

nur 3.700 DM zahlte, setzte die Geschädigte ihm mit<br />

Schreiben vom 12. Dezember 2000 eine Frist bis zum 20. Dezember<br />

2000 zur Zahlung des Restbetrages an die Klägerin mit der Erklärung,<br />

dass sie danach die Angelegenheit ihrem Anwalt übergeben<br />

werde. Am 5. Februar 2001 forderte die Klägerin die<br />

Geschädigte auf, den Restbetrag von 2.397,66 DM binnen 14 Tagen<br />

zu bezahlen. Sie wies diese auf die Pflicht hin, selbst für die<br />

Durchsetzung der Forderung zu sorgen und erklärte, bei fruchtlosem<br />

Fristablauf blieben weitere Schritte vorbehalten.<br />

Hierauf antwortete die Geschädigte mit Schreiben vom<br />

12. März 2001: „Sie sicherten mir zu, dass Ihre Forderung ... im<br />

Rahmen der erstattungsfähigen Aufwendungen ist ...“. Gleichzeitig<br />

trat sie den Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer in Höhe<br />

der Restforderung an die Klägerin ab. Diese forderte sodann mit<br />

anwaltlichem Schriftsatz vom 2. April 2001 vom Beklagten den<br />

Restbetrag unter Hinweis auf die Sicherungsabtretung und die<br />

„Weigerung“ der Geschädigten, den Betrag zu zahlen.<br />

Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 826,98 E verurteilt<br />

und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des<br />

Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht<br />

zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das Ziel<br />

weiter, die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückzuweisen.<br />

Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht vertritt in seiner –<br />

in VersR 2004, 1470 abgedruckten – Entscheidung die Auffassung,<br />

die „Sicherungsabtretung“ und die weitere Abtretung vom<br />

12. März 2001 seien wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 RBerG<br />

nichtig (§ 134 BGB).<br />

Zwar führten allein die Sicherungsabtretung der Ansprüche auf<br />

Ersatz der Mietwagenkosten und die Abfassung eines Unfallberichtes<br />

seitens der Geschädigten, der zusammen mit der Abrechnung<br />

der gegnerischen Haftpflichtversicherung durch die Klägerin übersandt<br />

worden sei, nicht zur Nichtigkeit der Sicherungsabtretung, da<br />

durch die gewählten Formulierungen klargestellt sei, dass primär<br />

die Geschädigte für die Regulierung des Schadens und die Durchsetzung<br />

ihrer Schadensersatzansprüche zuständig sei. Unter Berücksichtigung<br />

der sonstigen Umstände seien diese Erklärungen<br />

aber nur als Scheinerklärungen zu werten. Die Gesamtschau des<br />

Geschehensablaufs habe das Gericht zu der Überzeugung kommen<br />

lassen, dass die Klägerin selbst keine ernsthaften Bemühungen vorgenommen<br />

habe, ihre berechtigte Forderung gegenüber der Geschädigten<br />

durchzusetzen. Vielmehr habe sie mit der Zession den<br />

Zweck verfolgt, die Geschädigte von der Durchsetzung der Mietwagenrechnung<br />

zu entlasten.<br />

Die Klägerin habe ihre Mietwagenrechnung zunächst lediglich<br />

an den Beklagten bzw. die hinter diesem stehende Haftpflichtversicherung<br />

übersandt. Erst nachdem diese nur einen Teilbetrag erstattet<br />

habe, habe sie sich an die Geschädigte gewandt. Auch deren<br />

Reaktion mit Schreiben vom 12. März 2001 deute darauf hin, dass<br />

ihr zumindest mündlich zugesagt worden sei, dass sie mit den<br />

Mietwagenkosten nicht belastet werde, sondern diese durch die<br />

Klägerin bei der gegnerischen Versicherung geltend gemacht und<br />

von dieser in vollem Umfang erstattet würden.<br />

II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />

nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts<br />

verstößt die Abtretung der Forderung gegen den Schädiger<br />

unter den Umständen des vorliegenden Falles nach den getroffenen<br />

Feststellungen nicht gegen Art. 1 § 1 RBerG.<br />

1. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf der Inhaber eines<br />

Mietwagenunternehmens, das es geschäftsmäßig übernimmt, für<br />

unfallgeschädigte Kunden die Schadensregulierung durchzuführen,<br />

der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, und zwar auch dann,<br />

wenn er sich die Schadensersatzforderung erfüllungshalber abtreten<br />

lässt und die eingezogenen Beträge auf seine Forderungen an die<br />

Kunden verrechnet. Die Ausnahmevorschrift des Art. 1 § 5 Nr. 1<br />

RBerG kommt ihm nicht zugute. Bei der Beurteilung, ob die Abtretung<br />

den Weg zu einer erlaubnispflichtigen Besorgung von<br />

Rechtsangelegenheiten eröffnen sollte, ist nicht allein auf den<br />

Wortlaut der getroffenen vertraglichen Vereinbarung, sondern auf<br />

die gesamten diesen zugrunde liegenden Umstände und ihren wirtschaftlichen<br />

Zusammenhang abzustellen, also auf eine wirtschaftliche<br />

Betrachtung, die es vermeidet, dass Art. 1 § 1 RBerG durch


MN Rechtsprechung<br />

formale Anpassung der geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung an den<br />

Gesetzeswortlaut und die hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze<br />

umgangen wird (vgl. Senatsurteile vom 18. März 2003 –<br />

VI ZR 152/02 – VersR 2003, 656; vom 22. Juni 2004 –<br />

VI ZR 272/03 – VersR 2004, 1062, 1063; vom 26. Oktober 2004 –<br />

VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241 und vom 5. Juli 2005 –<br />

VI ZR 173/04 – VersR 2005, 1256, jeweils m. w. N.).<br />

Geht es dem Mietwagenunternehmen im Wesentlichen darum,<br />

die durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen,<br />

so besorgt es keine Rechtsangelegenheit des geschädigten Kunden,<br />

sondern eine eigene Angelegenheit. Ein solcher Fall liegt aber<br />

nicht vor, wenn nach der Geschäftspraxis des Mietwagenunternehmens<br />

die Schadensersatzforderungen der unfallgeschädigten Kunden<br />

eingezogen werden, bevor diese selbst auf Zahlung in Anspruch<br />

genommen werden. Denn damit werden den Geschädigten<br />

Rechtsangelegenheiten abgenommen, um die sie sich eigentlich<br />

selbst zu kümmern hätten (vgl. Senatsurteile BGHZ 47, 364,<br />

366 f.; vom 18. März 2003 – VI ZR 152/02 – aaO, 656 f.; vom<br />

26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241 f. und vom<br />

5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO).<br />

2. Diesen Grundsätzen wird die Beurteilung des Berufungsgerichts,<br />

dessen Urteil vor den ähnliche Sachverhalte betreffende<br />

Senatsentscheidungen vom 26. Oktober 2004 und 5. Juli 2005 ergangen<br />

ist, nicht gerecht.<br />

Die in erster Linie dem Tatrichter obliegende Würdigung der<br />

den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände<br />

ist einer revisionsrechtlichen Nachprüfung allerdings nur beschränkt<br />

zugänglich (vgl. Senatsurteile vom 18. März 2003 –<br />

VI ZR 152/02 – aaO und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 –<br />

aaO). Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter die<br />

gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet hat, seine Auslegung nicht<br />

gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und Verfahrensvorschriften<br />

nicht verletzt worden sind. Ein im Revisionsverfahren<br />

beachtlicher Rechtsfehler liegt vor, wenn die Auslegung des Tatrichters<br />

von den festgestellten Tatsachen nicht getragen wird (vgl.<br />

Senatsurteil vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO, 1256 f.<br />

m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall.<br />

a) Bei der Auslegung des zwischen der Klägerin und der Geschädigten<br />

geschlossenen Sicherungsvertrages ist zunächst von dessen<br />

Wortlaut auszugehen. Insoweit ergibt sich sowohl aus der Sicherungsabtretung<br />

als auch der „Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“,<br />

dass sich nicht die Klägerin, sondern die Geschädigte selbst um die<br />

Schadensregulierung kümmern musste. Der Wortlaut spricht demnach<br />

nicht für die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit durch die<br />

Klägerin. Das wird vom Berufungsgericht auch nicht verkannt. Es hat<br />

auch gesehen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats<br />

eine Mitwirkung des KFZ-Vermieters an der Geltendmachung der<br />

Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtversicherer<br />

des Schädigers in gewissem Umfang zulässig ist. So stellt<br />

es keine unerlaubte Rechtsberatung dar, wenn ein Mietwagenunternehmen<br />

von seinen unfallgeschädigten Kunden, die ihm ihre Ansprüche<br />

auf Ersatz der Mietwagenkosten sicherheitshalber abgetreten haben, einen<br />

Unfallbericht fertigen lässt und diesen zusammen mit der Aufforderung,<br />

die Mietwagenkosten zu begleichen, an die Haftpflichtversicherung<br />

des Schädigers weiterleitet, sofern zweifelsfrei klargestellt ist, dass<br />

die Kunden für die Verfolgung und Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche<br />

selbst tätig werden müssen (vgl. Senatsurteile vom 26. April<br />

1994 – VI ZR 305/93 – VersR 1994, 950, 952; vom 18. März 2003 –<br />

VI ZR 152/02 – aaO, 657; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 –<br />

aaO, 242 und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO, 1257).<br />

b) Von daher steht die Auffassung des Berufungsgerichts, unter<br />

Berücksichtigung der sonstigen Umstände seien die Erklärungen<br />

der Vertragspartner nur als Scheinerklärungen zu werten, mit den<br />

getroffenen Feststellungen nicht in Einklang.<br />

Die Erwägungen des Berufungsgerichts lassen zunächst außer Acht,<br />

dass sich die Klägerin nach der „Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“<br />

anders als in den den Senatsurteilen vom 18. April 1967 (BGHZ 47, 364)<br />

und 6. November 1973 (BGHZ 61, 317) zugrunde liegenden Fällen nicht<br />

sämtliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger hat abtreten<br />

lassen; die Abtretung ist vielmehr auf die Ersatzansprüche hinsichtlich der<br />

Mietwagenkosten beschränkt. Schon dies spricht gegen eine umfassende<br />

Besorgung fremder Angelegenheiten im Sinne des Art. 1 § 1 RBerG (vgl.<br />

Senatsurteil vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – aaO).<br />

Zudem widerspricht die Begründung des Berufungsurteils, die<br />

Klägerin habe ihre Mietwagenrechnung zunächst lediglich an den<br />

Beklagten bzw. die hinter diesem stehende Haftpflichtversicherung<br />

übersandt, den Feststellungen im Tatbestand, nach denen die Kosten<br />

am 7. Oktober 2000 der Klägerin in Rechnung gestellt und nur eine<br />

Kopie der Rechnung mit der Sicherungsabtretungsvereinbarung der<br />

gegnerischen Versicherung zugesandt worden ist. Nach der Rechtsprechung<br />

des Senats muss jedoch nicht schon darin eine unerlaubte<br />

Rechtsberatung gesehen werden, dass das Mietwagenunternehmen<br />

dem Haftpflichtversicherer des Geschädigten durch Übersendung einer<br />

Kopie der Rechnung Gelegenheit gibt, die Verbindlichkeiten des<br />

Geschädigten direkt durch Zahlung an es zu tilgen. Ein solches Vorgehen<br />

dient nämlich regelmäßig nur einer Vereinfachung der Schadensabwicklung,<br />

erfordert keine besonderen Rechtskenntnisse und<br />

nimmt dem Geschädigten auch seine Verpflichtung zur eigenen<br />

Rechtsbesorgung nicht ab (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 2004 –<br />

VI ZR 300/03 – aaO, m. w. N.). Auch hat das Berufungsgericht entgegen<br />

§ 286 ZPO nicht berücksichtigt, dass sich die Geschädigte<br />

mit Schreiben vom 12. Dezember 2000 selbst an den hinter dem Beklagten<br />

stehenden Haftpflichtversicherer gewandt und ihm zur Zahlung<br />

des Restbetrages an die Klägerin eine Frist bis zum 20. Dezember<br />

2000 gesetzt hat. Zudem hat die Klägerin mit Schriftsatz vom<br />

5. Februar 2001 von der Geschädigten den Restbetrag eingefordert<br />

und auf deren Pflicht hingewiesen, selbst für die Durchsetzung der<br />

Forderung zu sorgen, nachdem vom Haftpflichtversicherer lediglich<br />

ein Teilbetrag der Mietwagenkosten erstattet worden sei. All dies steht<br />

in Einklang mit dem Wortlaut der Vereinbarungen, wonach es dem Geschädigten<br />

weiterhin oblag, seine Schadensersatzansprüche – auch<br />

hinsichtlich der Mietwagenkosten – gegenüber dem Schädiger bzw.<br />

der Beklagten geltend zu machen.<br />

In Anbetracht dessen ist den Gesamtumständen nicht zu entnehmen,<br />

dass es sich nur um Scheinerklärungen handelte. Dies ergibt<br />

sich auch nicht aus der Reaktion der Geschädigten gegenüber<br />

der Klägerin auf deren Schreiben vom 5. Februar 2001, welche das<br />

Berufungsgericht als maßgeblich für seine Überzeugungsbildung<br />

angesehen hat. Soweit das Berufungsgericht meint, das Schreiben<br />

der Geschädigten vom 12. März 2001 deute darauf hin, dass ihr<br />

bei Abschluss des Mietwagenvertrages bzw. der Sicherungsabtretung<br />

zumindest mündlich zugesagt worden sei, sie nicht mit den<br />

Mietwagenkosten zu belasten, sondern diese vielmehr durch die<br />

Klägerin bei der gegnerischen Versicherung geltend zu machen,<br />

lässt sich dies dem Schreiben nicht entnehmen. Aus dem Schreiben<br />

ergibt sich nur, dass die Klägerin gegenüber der Geschädigten äußerte,<br />

der Unfallersatztarif sei angemessen und vom Schädiger<br />

bzw. dessen Haftpflichtversicherer zu ersetzen. Dies sagt nichts darüber<br />

aus, wer verpflichtet ist, diesen Anspruch anzumelden und<br />

ggf. durchzusetzen. Deshalb trägt der Inhalt des Schreibens nicht<br />

die vom Berufungsgericht gezogene Folgerung, dass entgegen dem<br />

Wortlaut der Vereinbarungen und den anderen vorstehend dargelegten<br />

Umständen eine Umgehung des Art. 1 § 1 RBerG vorliege.<br />

III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur<br />

neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.<br />

Dieses wird im weiteren Verfahren zu prüfen haben, inwieweit<br />

der geltend gemachte Mietzins bei einem Unfallersatztarif als „erforderlich“<br />

im Sinne des § 249 Satz 2 BGB a. F. (Art. 229 § 8 Abs. 1<br />

EGBGB) anzusehen ist (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2004 –<br />

VI ZR 151/03 – VersR 2005, 239, zur Veröffentlichung in BGHZ 160,<br />

377 vorgesehen; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – aaO, 242 f.;<br />

vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – VersR 2005, 569 und –<br />

VI ZR 74/04 – VersR 2005, 568 sowie vom 19. April 2005 –<br />

VI ZR 37/04 – VersR 2005, 850 f.).<br />

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AnwBl 1 / 2006 67


MN Rechtsprechung<br />

Anwaltshaftung<br />

Sachverhaltserforschung und Rechtskenntnis<br />

BGB § 675<br />

a) Liefert der von dem Mandanten mitgeteilte Sachverhalt<br />

keine tatsächlichen Anhaltspunkte für rechtshindernde Einwendungen,<br />

welche die Rechtslage zugunsten des Mandanten<br />

beeinflussen könnten, ist der Rechtsanwalt, der erst in der<br />

Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, insoweit<br />

zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts nicht<br />

verpflichtet.<br />

b) Eine Pflichtverletzung des Anwalts, der eine einschlägige<br />

Rechtsnorm übersehen hat, kann grundsätzlich nicht deshalb<br />

verneint werden, weil es sich dabei um eine entlegene Rechtsmaterie<br />

handelt.<br />

BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04<br />

Sachverhalt: Die Klägerin, die zu den Zentralorganisationen<br />

der R.-Handelsgruppe gehört, bestellte unter dem 20. <strong>Januar</strong> 1998<br />

anlässlich eines Jubiläums der P.-Kette 5 Millionen Einkaufswagen-<br />

Chips nebst Schlüsselring und Karabinerhaken, die während der<br />

Jubiläumsfeiern an Kunden verschenkt werden sollten. 985.000<br />

Stück der bestellten Ware wurden fristgerecht ausgeliefert und bezahlt.<br />

4,015 Millionen Stück konnten wegen Havarie des zum Warentransport<br />

eingesetzten Frachtschiffes nicht fristgerecht geliefert<br />

werden. Die Klägerin trat daraufhin von dem Vertrag, den sie als<br />

Fixgeschäft ansah, zurück. Auf Zahlung des Kaufpreises gerichtlich<br />

in Anspruch genommen beauftragte sie im Herbst 1998 die<br />

Beklagten mit ihrer Rechtsverteidigung. Diese wandten ein, es<br />

liege ein Fixgeschäft vor. Die Klägerin unterlag in beiden Tatsacheninstanzen.<br />

Ihre Revision wurde nicht angenommen. In der<br />

Folgezeit nahm sie die Einkaufswagen-Chips, die sie bis auf eine<br />

Restmenge von 15.000 Stück auch bezahlte, ab. Die Restmenge<br />

war nicht Gegenstand der Kaufpreisklage gewesen.<br />

In einem zweiten Vorprozess nahm die Verkäuferin die Klägerin<br />

auf Bezahlung dieser Restmenge sowie auf Ausgleich von<br />

Wechselkursdifferenzen in Anspruch. Die durch andere Rechtsanwälte<br />

vertretene Klägerin, die inzwischen eine Abmahnung eines<br />

Automatenaufstellers erhalten hatte, verteidigte sich nunmehr damit,<br />

dass der Kaufvertrag nichtig sei, weil er gegen die Verordnung<br />

über die Herstellung und den Vertrieb von Medaillen und Marken<br />

vom 13. Dezember 1974 (BGBI. l S. 3520; fortan: MedVO) verstoße.<br />

Auch mit dieser Verteidigung drang sie nicht durch. Der<br />

Bundesgerichtshof wies in letzter Instanz die zugelassene Revision<br />

der Klägerin zurück, wobei er die Frage nach dem Anwendungsbereich<br />

der MedVO offen ließ (BGH, Urt v. 11. Februar 2004 –<br />

VIII ZR 85/03, nicht veröffentlicht).<br />

Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ausgleich der durch den<br />

Verlust des ersten Vorprozesses begründeten Zahlungspflichten von<br />

insgesamt 626.030,89 E in Anspruch und begehrt die Feststellung<br />

der Einstandspflicht der Beklagten für den weiteren Schaden, welcher<br />

der Klägerin dadurch entstanden sei oder künftig noch entstehen<br />

werde, dass die Beklagten in dem ersten Vorprozess nicht Tatsachen<br />

und rechtliche Erwägungen eingeführt hätten, aus denen<br />

sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags über die Einkaufswagen-<br />

Chips wegen Verstoßes gegen die MedVO ergebe, Die Vorinstanzen<br />

haben die Anwendbarkeit der Verordnung verneint und die<br />

Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision<br />

der Klägerin, mit der sie ihre Anträge weiterverfolgt.<br />

Aus den Gründen: Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />

I. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Einkaufswagen-Chips<br />

würden von der MedVO nach deren Sinn und Zweck nicht erfasst.<br />

Die Ermächtigungsnorm (§ 12 a MünzG a. F.) lasse erkennen, dass<br />

die MedVO dazu diene, solche Marken und Medaillen vom allgemeinen<br />

Verkehr fernzuhalten, die mit Münzen verwechselt werden<br />

könnten. Zur Verwechslung fähig sei nur der Mensch mit seinen<br />

geistigen und sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Die<br />

Aufsteller von Automaten gehörten hingegen nicht zu dem durch<br />

die MedVO geschützten Personenkreis. Der Einkaufswagen-Chip<br />

sei durch sein sinnlich wahrnehmbares Erscheinungsbild ohne weiteres<br />

von den zum Zahlungsverkehr zugelassenen Münzen zu unterscheiden.<br />

Jedenfalls treffe die Beklagten kein Verschulden. Bei<br />

68 AnwBl 1 / 2006<br />

dem Münzgesetz und der MedVO handele es sich um eine weitgehend<br />

unbekannte Materie, welche die Beklagten nicht hätten<br />

kennen müssen.<br />

II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen<br />

Überprüfung stand.<br />

1. Nicht zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,<br />

dass die Anwendbarkeit der MedVO auf den gelieferten<br />

Chip zu verneinen sei und eine schuldhafte Pflichtverletzung<br />

der Beklagten schon deshalb ausscheide, weil es sich bei der<br />

MedVO um eine entlegene Rechtsmaterie handele.<br />

a) Der Bundesgerichtshof hat – allerdings erst nach Erlass des<br />

angefochtenen Urteils – entschieden, die MedVO schütze als<br />

Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auch das Vermögen<br />

des einzelnen Automatenaufstellers. Er könne den Vertreiber von<br />

Einkaufswagen-Chips im Falle eines Verstoßes gegen die Norm auf<br />

Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen, der dadurch entstehe,<br />

dass sich Automatenbenutzer die angebotene Leistung unrechtmäßig<br />

verschafften, indem sie in ihrer Größe den einzuwerfenden<br />

Geldmünzen entsprechende und deshalb nach der Verordnung nicht<br />

erlaubte Chips verwendeten (BGH, Urt. v. 16. März 2004 – VI ZR<br />

105/03, NJW 2004, 1949 ff). Der Bundesgerichtshof leitet dies aus<br />

dem der Entstehungsgeschichte zu entnehmenden Schutzzweck der<br />

Vorgängerregelung her, von dem sich die späteren Verordnungsgeber<br />

ersichtlich nicht gelöst haben (vgl. BGH, aaO S. 1950).<br />

In dem damals zu entscheidenden Fall hatte der auf Schadensersatz<br />

in Anspruch genommene Beklagte sogenannte „Eikachips“<br />

aus Kunststoff, die in ihren Abmessungen dem Markstück entsprachen,<br />

vertrieben. Die dort zum Anwendungsbereich der MedVO<br />

getroffenen Erwägungen treffen erst recht auf die im Streitfall gelieferten<br />

goldfarbigen Marken aus Eisen zu, deren Vertrieb wegen<br />

ihres Durchmessers und ihrer Stärke gegen § 3 MedVO verstößt<br />

und die von der Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 MedVO nicht<br />

erfasst werden, weil sie in ihrem Zentrum kein Loch von mindestens<br />

6,0 mm aufweisen.<br />

b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist<br />

der um eine Beratung ersuchte Rechtsanwalt zu einer umfassenden<br />

und erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet,<br />

sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rats nur<br />

in einer bestimmten Richtung bedarf. Der Anwalt muss den ihm<br />

vorgetragenen Sachverhalt daraufhin prüfen, ob er geeignet ist, den<br />

vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen (BGH, Urt.v.<br />

6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, WM 1992, 742, 743; v. 13. März<br />

1997 – IX ZR81/96, WM 1997, 1392, 1393). Rechtsprüfung und<br />

Rechtsberatung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen<br />

Rechtsnormen voraus, zu denen auch die auf der Grundlage von<br />

Bundesgesetzen erlassenen Rechtsverordnungen gehören (vgl. Zugehör,<br />

Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 556). Notfalls muss sich<br />

der anwaltliche Berater die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse,<br />

soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, ungesäumt<br />

verschaffen (BGH, Urt. v. 15. Juli 2004 – IX ZR 472/00, WM<br />

2005, 896) und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten (vgl.<br />

BGH, Urt. v. 8. November 2001 – IX ZR 64/01, WM 2001, 2455,<br />

2457).<br />

Mit diesen Grundsätzen ist die Auffassung des Berufungsgerichts,<br />

die hier einschlägige Verordnungsermächtigung in § 12 a<br />

MünzG a. F. stelle ebenso wie die auf dieser Grundlage erlassene<br />

Verordnung eine entlegene Rechtsmaterie dar, welche den Beklagten<br />

nicht hätte bekannt sein müssen und nach der sie generell nicht<br />

hätten zu forschen brauchen, nicht zu vereinbaren.<br />

2. Auf diesen Fehlern des Berufungsgerichts beruht das Urteil<br />

jedoch nicht. Die Beklagten waren nach den gegebenen Umständen<br />

nicht verpflichtet, die Wirksamkeit des Kaufvertrages unter<br />

münzrechtlichen Gesichtspunkten in Zweifel zu ziehen.<br />

a) Die Beklagten waren von der Klägerin in die Vertragsverhandlungen,<br />

die schließlich zum Abschluss des Kaufvertrages über<br />

5 Mio. Einkaufswagen-Chips geführt hatten, nicht eingeschaltet<br />

worden. Ihr anwaltlicher Auftrag bezog sich auf die weitere Vertragsabwicklung,<br />

nachdem bereits eine erste Teillieferung abgenommen<br />

und vorbehaltlos bezahlt worden war. Der vereinbarte<br />

Kaufgegenstand war ihnen von der Klägerin weder in tatsächlicher<br />

noch in rechtlicher Hinsicht als problematisch geschildert worden.<br />

Gleiches gilt für den von der Verkäuferin zur Abnahme bereit-


MN Rechtsprechung<br />

gehaltenen Teil der Ware, die in ihrer Ausführung unstreitig der<br />

ersten Teillieferung entsprach.<br />

aa) Der anwaltliche Berater wäre überfordert, wenn von ihm<br />

allgemein verlangt würde, dass er über eine im Wesentlichen lückenlose<br />

Gesetzeskenntnis verfügen und sie in das Beratungsgeschehen<br />

einbringen müsste. Erwartet wird von ihm nur eine<br />

mandatsbezogene Rechtskenntnis, die zudem mit der Informationspflicht<br />

des Mandanten in Wechselwirkung steht: Grundsätzlich darf<br />

der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der<br />

tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen, ohne eigene<br />

Nachforschungen anstellen zu müssen (vgl. BGH, Urt v. 13.<br />

März 1997 – IX ZR 81/96, WM 1997, 1392, 1394). Dies gilt insbesondere<br />

für die Informationserteilung, welche die berufliche Tätigkeit<br />

des Auftraggebers betrifft (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober<br />

1981 – III ZR 190/79, NJW 1982, 437). Der Rechtsanwalt muss<br />

sich allerdings um zusätzliche Aufklärung bemühen, wenn den<br />

Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die<br />

Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für<br />

den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist (vgl. BGH, IM.<br />

v. 20. Juni 1996 – IX ZR 106/95, WM 1996, 1832, 1835; v. 2. April<br />

1998 – IX ZR 107/97, WM 1998, 1542, 1544; v. 18. November<br />

1999 – IX ZR 420/97, WM 2000, 189, 190; v. 7. Februar 2002 –<br />

IX ZR 209/00, WM 2002, 1077).<br />

bb) Richtet sich der Auftrag des Mandanten – wie im Streitfall<br />

– darauf, Ansprüche aus einem Vertrag abzuwehren, hat der<br />

Rechtsanwalt auf der Grundlage des ihm mitgeteilten Sachverhalts<br />

in jeder Richtung zu prüfen, was der Inanspruchnahme seines<br />

Mandanten entgegenstehen kann.<br />

(1) Er hat dabei rechtshindernde Einwendungen, für die der<br />

mitgeteilte Sachverhalt Anlass gibt, selbst dann in Erwägung zu<br />

ziehen, wenn der Mandant die Wirksamkeit des Vertrages nicht anzweifelt<br />

und sich nur auf rechtsvernichtende Einwendungen oder<br />

auf Einreden bezieht. Dies gilt nicht nur für die Beachtung etwaiger<br />

Formvorschriften oder Genehmigungserfordernisse des bürgerlichen<br />

Rechts. Die Möglichkeit einer Unwirksamkeit des Vertrages<br />

ist nach Lage des Falles auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen,<br />

ob die Vereinbarung, aus welcher der Gegner des Mandanten Ansprüche<br />

herleitet, unter Verstoß gegen Bestimmungen des öffentlichen<br />

Rechts zustande gekommen ist und ob die verletzten Bestimmungen<br />

zu den Verbotsgesetzen im Sinne des § 134 BGB<br />

zählen. Hat der Rechtsanwalt in dem Bereich, der aufgrund des<br />

von dem Mandanten mitgeteilten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht<br />

zu prüfen und gegebenenfalls in tatsächlicher Hinsicht weiter<br />

aufzuklären ist, kein hinreichend präsentes Wissen, hat er sich,<br />

wenn er das Mandant weiterführen will, in die Rechtsmaterie in<br />

dem Maße einzuarbeiten, das für ihn erkennbar zur Wahrung des<br />

Interesses des Auftraggebers notwendig ist. Unterlässt er dies und<br />

übersieht er trotz gegebener tatsächlicher Anhaltspunkte Unwirksamkeitsgründe,<br />

kann er sich in einem nachfolgenden Regressprozess<br />

nicht darauf berufen, dass diese in einer weitgehend unbekannten<br />

Rechtsmaterie anzusiedeln seien.<br />

(2) Liefert der von dem Mandanten mitgeteilte Sachverhalt dem<br />

Rechtsanwalt dagegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für<br />

rechtshindernde Einwendungen, welche die Rechtslage zugunsten<br />

des Mandanten beeinflussen könnten, ist der Rechtsanwalt, der erst<br />

in der Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, von<br />

sich aus zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts insoweit<br />

nicht verpflichtet. Ohne entsprechende Anhaltspunkte hat er zum<br />

Beispiel keine Suche nach Tatsachen anzustellen, aus denen sich<br />

die Geschäftsunfähigkeit eines der Vertragspartner oder die Einordnung<br />

des Vertrages als Scheingeschäft ergeben könnte. Er hat auch<br />

nicht von sich aus danach zu forschen, ob der geschlossene Vertrag<br />

wegen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung<br />

den Wuchertatbestand erfüllt, wenn die von dem Mandanten<br />

mitgeteilten tatsächlichen Umstände hierfür keine Anhaltspunkte<br />

bieten. Entsprechendes gilt für mögliche Verstöße gegen Verbotsgesetze<br />

im Sinne des § 134 BGB.<br />

b) Auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten,<br />

von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Sachverhalts<br />

bestand in dem Ausgangsrechtsstreit um die Bezahlung und<br />

Abnahme des zweiten Chipkontingents über rund 4 Mio. Stück für<br />

die Beklagten keine Veranlassung, der münzrechtlichen Gesetzmäßigkeit<br />

des Vertrages weiter nachzugehen.<br />

aa) Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass die Beklagten<br />

die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen mit der Verkäuferin<br />

nicht anwaltlich beraten haben und sie auch kein Mandat hatten,<br />

die erste Lieferung von 985.000 Einkaufswagen-Chips auf ihre<br />

Mangelfreiheit zu prüfen. In der Auftragsbestätigung vom 20. <strong>Januar</strong><br />

1998, die auf das Angebot vom 16. <strong>Januar</strong> 1998 Bezug<br />

nimmt, wird der gekaufte Artikel als „Ek-Wagen-Chips mit Schlüsselanhänger“<br />

bezeichnet. Allein die Bezeichnung des Kaufgegenstandes<br />

als Einkaufswagen-Chip musste bei der Beklagten noch<br />

nicht den Verdacht auf eine Verletzung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen<br />

auslösen, zumal der Zusatz „mit Schlüsselanhänger“<br />

einen möglichen Verstoß gegen Normen des Münzrechts noch unwahrscheinlicher<br />

erscheinen ließ. Die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen<br />

nicht angezweifelt, dass die Verkäuferin nach dem<br />

Schriftwechsel zwischen den damaligen Vertragsparteien, der<br />

schließlich zum Vertragsschluss führte und der den Beklagten möglicherweise<br />

mit Mandatserteilung übermittelt worden ist, berechtigt<br />

und in der Lage war, funktionsfähige Einkaufswagen-Chips zu liefern,<br />

die den Anforderungen des Münzrechts genügten. Der im <strong>Januar</strong><br />

1998 geschlossene Vertrag hatte somit nach den von der Klägerin<br />

erteilten Informationen keinen Kaufgegenstand zum Inhalt,<br />

der bei einem Rechtsanwalt geeignet war, den Verdacht zu erregen,<br />

seine Beschaffenheit könne die Unwirksamkeit des Vertrags nach<br />

§ 134 BGB in Verbindung mit den Vorschriften des Münzrechts<br />

nach sich ziehen. Allein der Umstand, dass nach der Vereinbarung<br />

auch die Lieferung gesetzwidriger Ware möglich war, verpflichtet<br />

den Anwalt nicht, im Streit um eine verspätete Lieferung den<br />

Kaufgegenstand einer näheren Untersuchung zu unterziehen, solange<br />

ihm keine Umstände mitgeteilt werden, die einen entsprechenden<br />

Verdacht begründen können. Deshalb kann den Beklagten<br />

nicht als Pflichtverletzung angelastet werden, dass sie die Verteidigung<br />

auf den Fixgeschäftcharakter des Vertrages konzentriert und<br />

Verteidigungsalternativen, die an der möglichen Unwirksamkeit<br />

des Vertrages anknüpften, außer Betracht gelassen haben.<br />

bb) Soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kaufpreisanspruch,<br />

den die Beklagten abzuwehren hatten, an Gewährleistungsrechten<br />

der Klägerin aus §§ 459, 462, 467 BGB a. F. gescheitert<br />

wäre, gilt das Entsprechende. Ohne auf einen Mangel<br />

hindeutende Informationen durch die Klägerin brauchten die Beklagten<br />

nicht von sich aus in Erwägung zu ziehen, dass hinsichtlich<br />

der zweiten Teillieferung das Gewährleistungsrecht möglicherweise<br />

erfolgversprechende Ansatzpunkte bot, den gegen die Klägenn gerichteten<br />

Kaufpreisanspruch abzuwenden.<br />

Anmerkung der Redaktion<br />

Die Entscheidung empfiehlt sich – trotz des auf den ersten<br />

Blick unübersichtlichen Sachverhalts – zur genauen Lektüre.<br />

Der BGH bekräftigt erneut, dass der Rechtsanwalt über umfassende<br />

Rechtskenntnisse zur Bearbeitung eines von ihm angenommenen<br />

Mandats verfügen muss. Notfalls muss er sich die mandatsbezogenen<br />

Rechtskenntnisse „ungesäumt“ – wie es im Urteil heißt<br />

– beschaffen. In diesem Fall hätte das bedeutet: Auch ein nichtspezialisierter<br />

bzw. branchenfremder Anwalt hätte das Münzrecht<br />

berücksichtigen müssen, wenn er einen Vertrag über den Kauf von<br />

Einkaufswagen-Chips entwirft oder verhandelt. Einkaufswagen-<br />

Chips können nämlich – wenn sie wie Münzen einzusetzen sind –<br />

gegen die Verordnung über die Herstellung und den Vertrieb von<br />

Medaillen und Marken verstoßen.<br />

Allerdings gibt der BGH den Anwälte am Ende doch ein wenig<br />

Marscherleichterung mit auf dem Weg: Sie müssen nicht jeden<br />

Sachverhalt im Hinblick auf jede auch nur denkbar anwendbare<br />

Norm aufklären. Das gilt zumindest, solange sie auf die Richtigkeit<br />

Anzeige<br />

AnwBl 1 / 2006 69


MN Rechtsprechung<br />

und Vollständigkeit der Informationen des Mandanten vertrauen<br />

dürfen und sie keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit entlegener<br />

Rechtsvorschriften haben.<br />

In dem entschiedenen Fall hafteten die beklagten Anwälte im<br />

Ergebnis nicht. Sie hatten mit dem Abschluss des Kaufvertrags<br />

über die Einkaufswagen-Chips nichts zu tun. Als sie für ihren<br />

Mandanten die Verkäuferansprüche dann später abwehrten, konnten<br />

sie nach Auffassung des BGH die mögliche Nichtigkeit des Kaufvertrags<br />

aus Münzrecht nicht mehr erkennen.<br />

Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />

Honorarfreie Fehlerbeseitigung<br />

BGB § 675, § 254 Abs. 2 Satz 1<br />

Hat der Auftraggeber einen Prozess in erster Instanz aufgrund<br />

unzureichenden Vertrags seines Prozessbevollmächtigten verloren,<br />

darf er, ohne sich dem Einwand des Mitverschuldens auszusetzen,<br />

die Einlegung der Berufung von dessen Erklärung abhängig<br />

machen, dass er den Auftraggeber von den Kosten der<br />

zweiten Instanz freistelle, falls ergänzender Vortrag im Hinblick<br />

auf die Verspätungsvorschriften nicht zugelassen und deshalb<br />

die Berufung zurückgewiesen werde.<br />

BGH, Urt. v. 6.10.2005 – IX ZR 111/02<br />

Sachverhalt: Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihrer<br />

Mutter, einer Handelsvertreterin, einen Schadensersatzanspruch gegen<br />

den verklagten Rechtsanwalt geltend. Dieser habe in einem vorausgegangenen<br />

Rechtsstreit vor dem Landgericht Düsseldorf den<br />

Anspruch der Zedentin gegen deren Geschäftsherrin auf Zahlung<br />

eines Handelsvertreterausgleichs (§ 89 b HGB) nicht schlüssig dargelegt<br />

und damit seine anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt.<br />

Gegen das die Klage abweisende Urteil erster Instanz hat die Zedentin<br />

kein Rechtsmittel eingelegt. Die auf Zahlung von<br />

232.500,00 DM gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen<br />

Erfolg. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen<br />

Revision.<br />

Aus den Gründen: Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und<br />

Zurückverweisung.<br />

I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe seine<br />

anwaltlichen Pflichten als Prozessbevollmächtigter der Zedentin<br />

im Vorprozess schuldhaft verletzt. Er habe die Voraussetzungen<br />

des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs aus § 89 b HGB nicht<br />

schlüssig dargelegt. Darauf habe die damalige Prozessgegnerin bereits<br />

in ihrer Klageerwiderung hingewiesen. Auch habe der Vorsitzende<br />

des Gerichts in der mündlichen Verhandlung entsprechende<br />

Bedenken geäußert. Der Beklagte habe jedoch nicht auf eine Ergänzung<br />

des Vertrags durch die – im Termin anwesende – Zedentin<br />

hingewirkt und auch sonst keine prozessualen Maßnahmen ergriffen,<br />

die eine Substantiierung des Vorbringens noch ermöglicht hätten.<br />

Es entlaste ihn auch nicht, dass er über einen Verkehrsanwalt,<br />

seinen nunmehrigen Streithelfer, mit der Zedentin korrespondiert<br />

habe. Zugunsten der Klägerin könne weiter unterstellt werden,<br />

dass der Zedentin durch die Pflichtverletzung des Beklagten der<br />

geltend gemachte Schaden entstanden sei. Der Zedentin wäre es<br />

nach entsprechendem Hinweis des Beklagten gelungen, ihren Ausgleichsanspruch<br />

nach Grund und Höhe schlüssig darzulegen und<br />

zu beweisen; die verklagte schlüssig darzulegen und zu beweisen;<br />

die verklagte Geschäftsherrin hätte nicht beweisen können, dass sie<br />

das Vertragsverhältnis berechtigt aus wichtigem Grund gekündigt<br />

habe und der Ausgleichsanspruch somit ausgeschlossen sei.<br />

Gleichwohl sei die Regressklage abzuweisen, weil die Zedentin<br />

den für sie negativen Ausgang des Vorprozesses durch Einlegung<br />

der Berufung hätte abwenden können und müssen (§ 254 Abs. 2<br />

BGB). Es lasse sich nicht feststellen, dass das Rechtsmittel keinen<br />

Erfolg gehabt hatte, weil das ergänzende, den Ausgleichsanspruch<br />

schlüssig begründende Vorbringen gemäß § 528 ZPO in der bis<br />

zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung als verspätet zurückgewiesen<br />

worden wäre. Vielmehr sei es ständige, dem Gesetz entsprechende<br />

Praxis des Regresssenats, der zugleich für Handelsvertretersachen<br />

zuständig sei, selbst dann, wenn die Ausgleichsklage<br />

in der Berufungsinstanz noch nicht schlüssig begründet sei, den<br />

klagenden Handelsvertreter darauf hinzuweisen und ihm noch Ge-<br />

70 AnwBl 1 / 2006<br />

legenheit zur Nachbesserung zu geben. Es entlaste die Zedentin<br />

nicht, dass ihre neuen, nach Zustellung des im Vorprozessergangenen<br />

Urteils beauftragten Rechtsanwälte ihr dazu geraten hätten,<br />

kein Rechtsmittel einzulegen. Diese fehlerhafte Einschätzung<br />

müsse sich die Zedentin als eigenes Verschulden entgegenhalten<br />

lassen. Es sei ihr zuzumuten gewesen, das keineswegs aussichtslos<br />

erscheinende Rechtsmittel einzulegen. Zwar habe der Beklagte es<br />

abgelehnt, das damit verbundene Kostenrisiko für den Fall zuübernehmen,<br />

dass die Berufung wegen Verspätung des neuen Vorbringensgemäß<br />

§ 528 ZPO a. F. zurückgewiesen werde. Den Beklagten<br />

habe jedoch keine Vorschusspflicht hinsichtlich der Kosten des Berufungsrechtszuges<br />

getroffen.<br />

II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in<br />

wesentlichen Punkten nicht stand.<br />

1. Allerdings hat das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht<br />

der Revision – nicht angenommen, der Zurechnungszusammenhang<br />

zwischen dem Anwaltsfehler des Beklagten und dem der Zedentin<br />

entstandenen Schaden sei unterbrochen, weil die Zedentin<br />

es unterlassen habe, die ihr drohenden Nachteile durch Einlegung<br />

der Berufung abzuwenden. Eine derartige Unterbrechung kommt<br />

nach der Rechtsprechung des Senats nur in Betracht, wenn der Eingriff<br />

des Geschädigten in den Geschehensablauf unvertretbar und<br />

völlig unsachgemäß ist (BGH, Urt. v. 14. Juli 1994 – IX ZR<br />

204/93, WM 1994, 2162; v. 29. November 2001 – IX ZR 278/00,<br />

WM 2002, 505, 508), Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht<br />

den Zurechnungszusammenhang ausdrücklich bejaht.<br />

2. Zutreffend (vgl. BGHZ 133, 110, 111; BGH, Urt. v. 9. Dezember<br />

1999 – IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 962; v. 27. <strong>Januar</strong><br />

2000 – IX ZR 45/98, WM 2000, 966, 968) ist auch die Ansicht des<br />

Berufungsgerichts, für die hypothetische Betrachtung, wie der Vorprozess<br />

ausgegangen wäre, wenn die Klägerin gegen das klageabweisende<br />

erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hätte,<br />

komme es ausschließlich auf die Sicht des Regressrichters an.<br />

Diese Ansicht wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Berufungsgericht<br />

an anderer Stelle darauf hingewiesen hat, es hätte –<br />

falls in dem früheren Verfahren die Berufung eingelegt worden<br />

wäre – nach der internen Zuständigkeitsverteilung beim Oberlandesgericht<br />

Düsseldorf selbst darüber entscheiden müssen und nach<br />

seiner ständigen Praxis sei es zulässig, dass Ausgleichsktagen von<br />

Handelsvertretern erst in der Berufungsinstanz schlüssig begründet<br />

würden. Denn das Berufungsgericht hat weiter bemerkt, diese Praxis<br />

sei eine „dem Gesetz entsprechende“, womit es die maßgebliche<br />

Sicht des Regressrichters zum Ausdruck gebracht hat.<br />

3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann jedoch<br />

der Beklagte der Klägerin nicht als Mitverschulden (§ 254 Abs. 2<br />

BGB) entgegenhalten, sie hätte Berufung einlegen müssen. Denn er<br />

hat sich geweigert, die von der Zedentin verlangte eingeschränkte<br />

Kostenfreistellungserklärung abzugeben. Ohne eine solche durfte<br />

die Zedentin von der Einlegung des Rechtsmittels absehen.<br />

Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei die alleinige Obliegenheit<br />

der Zedentin gewesen, ihren Anspruch durchzusetzen und<br />

Rechtsmittel gegen das abweisende erstinstanzliche Urteil einzulegen,<br />

steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.<br />

Danach hat ein Rechtsanwalt, dem ein Fehler unterlaufen<br />

ist, aus dem seinem Auftraggeber ein Schaden droht,<br />

zusätzliche honorarfreie Leistungen zu erbringen, sofern sich der<br />

Schadenseintritt nur noch auf diese Weise verhindern lässt (BGH,<br />

Urt. v. 10. Februar 1994 – IX ZR 109/93, WM 1994, 1114). Ist der<br />

Schaden aus von dem Rechtsanwalt zu verantwortenden Gründen<br />

bereits eingetreten, besteht jedoch berechtigte Aussicht, ihn durch<br />

einen zweiten Prozess zu beseitigen oder zu verringern, hat der<br />

Anwalt aufgrund der ihn nach § 249 BGB treffenden Ersatzpflichten<br />

seinem Mandanten die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung<br />

zu stellen, sofern er ihn nicht auf andere Weise entschädigt<br />

(BGH, Urt. v. 21. September 2000 – IX ZR 439/99, WM 2000,<br />

2437, 2439). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Schaden<br />

bereits dann eingetreten, wenn eine ansonsten begründete Klage<br />

wegen eines Anwaltsfehlers abgewiesen wird (BGH, Urt. v. 12. Februar<br />

1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787 f). Rechtskräftig<br />

braucht die Abweisung nicht zu sein (BGH, Urt, v. 11. Februar<br />

1998 aaO S. 788; v. 8. Dezember 1999 – IX ZR 129/99, WM 2000,<br />

959, 960; v. 27. <strong>Januar</strong> 2000 – IX ZR 354/98, WM 2000, 969, 970;<br />

anders noch Urt. v. 9. Juli 1992 – IX ZR 50/91, WM 1992, 2023,


MN Rechtsprechung<br />

2024 f). Wenn nach Schadenseintritt der Rechtsanwalt für den<br />

Mandanten sogar einen Zweitprozess auf eigenes Risiko und eigene<br />

Kosten führen muss, hat er, falls der Mandant wegen der anwaltlichen<br />

Pflichtverletzung in erster Instanz unterlegen und der<br />

Schaden somit bereits vor Beendigung eines Prozesses eingetreten<br />

ist, auch das Kostenrisiko für eine weitere Instanz zu tragen.<br />

Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte wäre „allenfalls“<br />

nach einer Zurückweisung der Berufung – soweit auch dieser<br />

Misserfolg auf die von dem Beklagten zu vertretende Pflichtverletzung<br />

zurückzuführen gewesen wäre – zur Übernahme der Kosten<br />

des zweiten Rechtszuges verpflichtet gewesen; eine Vorschusspflicht<br />

habe ihn nicht getroffen. Ob dem zuzustimmen ist, braucht<br />

nicht entschieden zu werden. Denn einen „Vorschuss“ hatte die Zedentin<br />

nicht verlangt. Sie hatte mit Anwaltsschreiben vom 19. August<br />

1997 dem Beklagten lediglich angesonnen, sie von den Kosten<br />

des Berufungsverfahrens für den Fall freizustellen, dass diese Instanz<br />

aus den von dem Beklagten zu verantwortenden Gründen<br />

ebenfalls verloren gehen sollte. Soweit das Berufungsgericht diese<br />

Freistellungspflicht verneint hat, ist dies mit der Rechtsprechung<br />

des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 21. September 2000 aaO) nicht zu<br />

vereinbaren, Die Zedentin hat von dem Beklagten nur verlangt,<br />

wozu er ohnehin verpflichtet war. Denn die Kostenlast, von der die<br />

Klägerin Freistellung begehrt hat, wäre gegebenenfalls nur eine<br />

weitere Folge der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des Beklagten<br />

gewesen.<br />

Es kann nicht danach unterschieden werden, ob die Einlegung<br />

des Rechtsmittels aussichtslos ist oder nicht. Wer ein aussichtsloses<br />

Rechtsmittel nicht einlegt, handelt seinen eigenen Interessen niemals<br />

zuwider. Ist das Rechtsmittel nicht aussichtslos, der Erfolg<br />

aber auch nicht gewiss, ist es in einem Fall wie dem vorliegenden<br />

kein „Verschulden gegen sich selbst“, entspricht es vielmehr einem<br />

vernünftigen Prozessverhalten, wenn die Partei die Einlegung eines<br />

Rechtsmittels von einer eingeschränkten Kostenfreistellungserklärung<br />

des Schädigers abhängig macht.<br />

Ein Mitverschulden kann dem Mandanten allenfalls dann vorgeworfen<br />

werden, wenn für diesen klar zutage liegt, dass das<br />

Rechtsmittel Erfolg haben würde, und er gleichwohl davon keinen<br />

Gebrauch macht, weil der für den Misserfolg der Klage in erster<br />

Instanz verantwortliche Rechtsanwalt die von ihm verlangte Kostenfreistellungserklärung<br />

nicht abgibt. Ob ein derartiges Verhalten<br />

des Mandanten als „rechtsmissbräuchlich“ anzusehen wäre,<br />

braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn einen solchen Fall<br />

hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat sich nicht einmal<br />

davon überzeugen können, dass die Berufung hätte Erfolg haben<br />

müssen. Vielmehr hat es lediglich nicht ausschließen können, dass<br />

die Berufung Erfolg gehabt hätte („Dass eine Berufung ... keinen<br />

Erfolg gehabt hätte, ... lässt sich nicht feststellen“).<br />

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Revisionsbeklagte<br />

darauf hingewiesen, dass die Zedentin Berufung hätte<br />

einlegen und ihm – dem Revisionsbeklagten – den Streit hätte verkünden<br />

können. Dies ist zutreffend, begründet jedoch kein Mitverschulden.<br />

Im Verhältnis zu dem Schädiger steht es dem Geschädigten<br />

frei, ob er sich die Nebeninterventionswirkung einer<br />

Streitverkündung zunutze machen oder ohne diese den Regressprozess<br />

durchführen will. Zwar hätte der Beklagte im Falle einer Streitverkündung<br />

dem Rechtsstreit beitreten und sodann seinen Rechtsstandpunkt<br />

zur Geltung bringen können. Den Weg hierzu hätte ihm<br />

jedoch auch die Abgabe der eingeschränkten Kostenfreistellungserklärung<br />

geebnet, welche die Zedentin von ihm verlangt hat.<br />

III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1<br />

ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen<br />

(§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr prüfen müssen, ob –<br />

was bisher lediglich unterstellt worden ist – durch die Pflichtverletzung<br />

des Beklagten der geltend gemachte Schaden entstanden ist.<br />

In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin:<br />

Ob einer im Vorprozess eingelegten Berufung unter Anwendung<br />

der Verspätungsvorschriften der Erfolg hätte versagt werden müssen,<br />

hat das Berufungsgericht offen gelassen. Statt dessen hat es<br />

ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass die Berufung keinen Erfolg<br />

gehabt hätte. Der Umstand, dass die Zedentin im Vorprozess<br />

keine Berufung eingelegt hat, ist für das Unterliegen im Vorprozess<br />

jedoch nur ursächlich geworden, wenn positiv festgestellt werden<br />

kann, dass die Berufung Erfolg hätte haben müssen.<br />

Anwaltsvergütung<br />

Terminsgebühr ohne Termin<br />

RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 278 Abs. 6<br />

Wird in einem in erster Instanz geführten Zivilprozess über den<br />

rechtshängigen Anspruch (auf Vorschlag des Gerichts) ein<br />

schriftlicher Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen, entsteht<br />

für den beauftragten Prozessbevollmächtigten – neben einer<br />

1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV und einer 1,0 Einigungsgebühr<br />

nach Nr. 1003 VV – eine 1,2 Terminsgebühr nach<br />

Nr. 3104 VV.<br />

BGH, Beschl. v. 27.10.2005 – III ZB 42/05<br />

Aus den Gründen: I. Mit seiner im Juli 2004 eingegangenen<br />

Vollstreckungsabwehrklage begehrte der Kläger die Unterlassung<br />

der Zwangsvollstreckung aus einem von der Beklagten erwirkten<br />

Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 5.412,02 E<br />

nebst weiterer Kosten und Zinsen. Das Landgericht führte ein<br />

schriftliches Vorverfahren durch und machte nach einem entsprechenden<br />

vorangegangenen Schriftsatz des Klägers vom 14. September<br />

2004 durch Verfügung vom 16. September 2004 gemäß<br />

§ 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleichsvorschlag, den die Parteien annahmen.<br />

Durch Beschluss vom 24. September 2004 stellte das<br />

Landgericht das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs<br />

nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO fest. Hiernach haben der Kläger 14<br />

v. H. und die Beklagte 86 v. H. der Kosten des Rechtsstreits und des<br />

Vergleichs zu tragen.<br />

In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. November<br />

2004 berücksichtigte das Landgericht die von den Parteien zum<br />

Ausgleich angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 des<br />

Vergütungsverzeichnisses (im Folgenden: VV) in Anlage 1 zu § 2<br />

Abs. 2 RVG und die 1,0-Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV, sah<br />

aber von der Ausgleichung der vom Kläger beanspruchten 1,2-Terminsgebühr<br />

gemäß Nr. 3104 VV ab, weil die mündliche Verhandlung<br />

für die in § 278 Abs. 6 ZPO vorgesehene Möglichkeit, in einem<br />

schriftlichen Verfahren einen Vergleich abzuschließen, nicht<br />

vorgeschrieben sei. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde<br />

des Klägers gegen die Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr<br />

zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />

II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.<br />

1. Das Beschwerdegericht (vgl. auch OLG Nürnberg NJW-RR<br />

2005, 655 mit kritischen Anmerkungen Henke AnwBl 2005, 222;<br />

Enders JurBüro 2005, 250; Schons AGS 2005, 145) nimmt auf den<br />

zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergangenen Beschluss<br />

des Bundesgerichtshofs vom 30. März 2004 (VI ZB 81/03<br />

-NJW 2004, 2311) Bezug. Danach lösten die außerhalb eines gerichtlichen<br />

Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung<br />

der Parteien oder ihrer Vertreter vor einem Vergleichsabschluss<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1<br />

Nr. 4 BRAGO aus, sondern sie wurden durch die Prozessgebühr<br />

abgegolten. Des weiteren äußerte der VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs<br />

außerhalb der tragenden Gründe die Auffassung, auch<br />

nach dem inzwischen verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des<br />

Rechtsanwaltsvergütungsrechts solle beim Abschluss eines schriftlichen<br />

Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO, der die Einigungsgebühr<br />

und Verfahrensgebühr auslöse, keine Terminsgebühr entstehen. Das<br />

Beschwerdegericht nimmt ferner auf den auf Gegenvorstellung ergangenen<br />

Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2004<br />

(NJOZ 2004, 4083, 4084) in dieser Sache Bezug, in dem darauf<br />

hingewiesen wird, der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV lege<br />

die Annahme nahe, dass mit dem Verfahren, in dem im Einverständnis<br />

mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />

oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen<br />

werde, das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO gemeint sei. Das Beschwerdegericht folgt<br />

dieser zum neuen Recht angedeuteten Auffassung des Bundesgerichtshofs<br />

und meint, für die hier vorliegende Fallkonstellation<br />

komme allein die Alternative in Betracht, dass für das Verfahren<br />

die mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei. Für einen Vergleichsabschluss<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO sei jedoch eine mündliche<br />

Verhandlung nicht erforderlich.<br />

AnwBl 1 / 2006 71


MN Rechtsprechung<br />

2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht<br />

stand.<br />

a) Die Neuordnung des anwaltlichen Gebührenrechts durch das<br />

am 1. Juli 2004 in Kraft getretene, vorliegend anwendbare Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />

hat für den hier betroffenen Anwendungsbereich<br />

der Terminsgebühr – ungeachtet der inhaltlichen<br />

Übernahme einiger Bestimmungen der Bundesgebührenordnung<br />

für Rechtsanwälte – zu Änderungen der Rechtslage gegenüber der<br />

Verhandlungs- und Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1, 4<br />

BRAGO geführt. Die Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der<br />

Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses für die Vertretung<br />

in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin<br />

oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten<br />

Sachverständigen anberaumten Termins. Es kommt damit nicht<br />

mehr – wie bei der Verhandlungs- und Erörterungsgebühr darauf<br />

an, ob in dem Termin Anträge gestellt werden oder ob die Sache<br />

erörtert wird (vgl. Gesetzentwurf BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Anders<br />

als nach früherem Recht ist ihr Anwendungsbereich auch auf<br />

die Mitwirkung an Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts<br />

erstreckt worden, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens<br />

gerichtet sind, wobei dies allerdings für Besprechungen<br />

(nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Der Gesetzgeber hat mit<br />

dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs fördern und honorieren<br />

wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens-<br />

oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens<br />

zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden<br />

Beendigung des Verfahrens beitragen soll.<br />

Ihm soll nach neuem Recht eine nach früherem Recht geübte<br />

Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in<br />

dem ein ausgehandelter Vergleich nach „Erörterung der Sach- und<br />

Rechtslage“ protokolliert wird, um eine Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr<br />

auszulösen, erspart bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO).<br />

Konnte daher nach früherem Recht eine außerhalb eines gerichtlichen<br />

Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der<br />

Parteien vor einem Vergleichsabschluss eine Erörterungsgebühr<br />

nicht auslösen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2004 aaO), ist<br />

dies durch Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />

bewusst abweichend geregelt worden. Allerdings ist vorliegend<br />

nach dieser Bestimmung keine Terminsgebühr ausgelöst worden,<br />

weil der Inhalt des später geschlossenen Vergleichs nicht, wie<br />

im Beschwerdeverfahren berichtigend vorgetragen worden ist, Anfang<br />

September 2004 in einem Gespräch zwischen den Prozessbevollmächtigten<br />

der Parteien abgestimmt worden ist.<br />

b) Auch wenn es an einer Terminswahrnehmung im vorgenannten<br />

Sinn fehlt, eröffnet Nr. 3104 VV für bestimmte Verfahrenskonstellationen<br />

die Entstehung einer Terminsgebühr für einen tatsächlich<br />

nicht wahrgenommenen Termin. Nach Abs. 1 Nr. 1 dieser<br />

Bestimmung, mit der – allerdings nur zum Teil die Regelung des<br />

§ 35 BRAGO übernommen wird, entsteht eine Terminsgebühr alternativ<br />

auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung<br />

vorgeschrieben ist,<br />

(1) im Einverständnis mit den Parteien,<br />

(2) gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a. F.),<br />

(3) gemäß § 495 a ZPO<br />

ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oder – und das ist<br />

gegenüber der Rechtslage nach § 35 BRAGO neu –<br />

(4) in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen<br />

wird.<br />

In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage soll der<br />

Prozessbevollmächtigte, der in einem Zivilprozess im Hinblick auf<br />

den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten<br />

kann, in der mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen,<br />

keinen Gebührennachteil erleiden, wenn durch eine andere<br />

Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet<br />

wird (vgl. Keller, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, VV<br />

Teil 3 Abschnitt 1 Rn. 45). Dies betrifft die Fälle, in denen nach<br />

§ 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien oder gemäß § 307<br />

Satz 2 ZPO oder bei einem 600 E nicht übersteigenden Streitwert<br />

(§ 495 a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung ohne mündliche<br />

Verhandlung entschieden werden kann. Dabei wird die Terminsgebühr<br />

erst durch den Erlass der Entscheidung ausgelöst (vgl.<br />

72 AnwBl 1 / 2006<br />

Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe,<br />

RVG, 16. Aufl. 2004, Nr. 3104 VV Rn. 17; Keller aaO Rn. 46, 50).<br />

Der Erlass einer Entscheidung ist jedoch zur Entstehung der<br />

Terminsgebühr nicht erforderlich, wenn nach der Variante (4) in einem<br />

Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,<br />

ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Der Umstand, dass<br />

das Gericht nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO das Zustandekommen<br />

und den Inhalt eines nach Satz 1 der Bestimmung geschlossenen<br />

Vergleichs durch Beschluss feststellt, der nach § 128 Abs. 4 ZPO<br />

ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, ist daher für die Entstehung<br />

der Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung.<br />

Deshalb schöpft auch die Überlegung des Beschwerdegerichts, für<br />

ein Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO sei die mündliche Verhandlung<br />

nicht vorgeschrieben, den Bedeutungsgehalt der Variante (4)<br />

der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV nicht aus. Zwar stünde der Wortlaut<br />

dieser Bestimmung einer Auslegung nicht entgegen, nach der der<br />

Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nur dann eine Terminsgebühr<br />

auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach<br />

§ 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495 a ZPO geschlossen wird (so im<br />

Bewusstsein des einengenden Charakters dieser Auslegung OLG<br />

Nürnberg NJW-RR 2005, 655, 656; vgl. auch Hartmann, Kostengesetze,<br />

35. Aufl. 2005, VV 3104 Rn. 30). Der Wortlaut legt jedoch<br />

in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur<br />

die Auslegung näher, dass der in Variante (4) geregelte Abschluss<br />

eines schriftlichen Vergleichs für alle Verfahren gilt, für die<br />

mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (vgl. Zöller/Greger,<br />

ZPO, 25. Aufl. 2005, § 278 Rn. 27; Müller-Rabe aaO Rn. 58, 60;<br />

Keller aaO Rn. 51; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2004, VV 3104<br />

Rn. 22; Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG,<br />

2004, Vergütungsverzeichnis Teil 3 Anm. 2.6.1.1; Vorwerk/Schneider,<br />

Prozessformularbuch, 8. Aufl. 2005, Kap. 42 Rn. 88; Hansens,<br />

in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2004,<br />

Teil 7 Rn. 347 f; Scherer, Grundlagen des Kostenrechts – RVG, 10.<br />

Aufl. 2005, Ziffer 6.1.1.2, S. 277 f; Goebel RVG-B 2004, 105, 106<br />

und RVG-B 2005, 8, 9 f; Schneider AGS 2004, 232, 233; wohl<br />

auch Jungbauer/Mock, Rechtsanwaltsvergütung, 3. Aufl. 2004,<br />

Rn. 1239), also auch für den hier vorliegenden Fall, dass die Sache<br />

durch einen Haupttermin (§ 272 ZPO) erledigt werden soll und dieser<br />

Haupttermin nach dem Ermessen des Vorsitzenden durch ein<br />

schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) vorbereitet wird, während<br />

dessen Verlauf es zum Abschluss des schriftlichen Vergleichs nach<br />

§ 278 Abs. 6 ZPO kommt. Insoweit kann es im Hinblick auf das<br />

Erfordernis, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung<br />

vorgeschrieben ist, nicht darauf ankommen, ob der Haupttermin<br />

durch einen frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder ein schriftliches<br />

Vorverfahren vorbereitet wird. Wollte man der einengenden<br />

Auffassung folgen, nach der lediglich ein im schriftlichen Verfahren<br />

(§ 128 Abs. 2 ZPO) oder im Verfahren nach § 495 a Satz 1<br />

ZPO geschlossener schriftlicher Vergleich die Terminsgebühr nach<br />

Nr. 3104 VV auslöst, ergäben sich Wertungswidersprüche, die<br />

durch das Argument einer günstigen kostenmäßigen Erledigung für<br />

die Parteien nicht ausgeräumt werden könnten. Aus der Sicht der<br />

anwaltlichen Tätigkeit macht es keinen Unterschied, ob eine Sache<br />

mit einem 600 E nicht übersteigenden Wert im Verfahren nach<br />

§ 495 a Satz 1 ZPO oder mit einem höheren Wert vor der mündlichen<br />

Verhandlung schriftlich verglichen wird. Es ließe sich wohl<br />

kaum ernsthaft vertreten, im letzteren Fall habe der Rechtsanwalt<br />

für seine Tätigkeit weniger Zeit und Mühe aufgewendet, weil er<br />

noch die mündliche Verhandlung vor Augen gehabt habe. Es will<br />

auch nicht einleuchten, dass der Rechtsanwalt in dem letzteren Fall<br />

nur deshalb die Terminsgebühr erhalten sollte, weil das Gericht im<br />

Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren (§ 128<br />

Abs. 2 ZPO) angeordnet hat. Die einengende Auslegung wird<br />

schließlich den allgemeinen Vorstellungen des Gesetzgebers nicht<br />

gerecht, mit denen er die Ausweitung des Anwendungsbereichs<br />

der Terminsgebühr (s. oben a) begründet hat, um im Interesse auch<br />

der Gerichte zu vermeiden, dass die früher geübte Praxis, einen gerichtlichen<br />

Verhandlungstermin nur um einer anwaltlichen Gebühr<br />

willen anzustreben, fortgesetzt wird. Solche allgemeinen Überlegungen<br />

im Gesetzgebungsverfahren können zwar nicht dazu führen,<br />

davon abzusehen, wie die Entstehung einer Gebühr im Vergütungsverzeichnis<br />

im Einzelnen umschrieben und wie der jeweils<br />

zu beurteilende Sachverhalt hierunter einzuordnen ist. Legt der<br />

Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV jedoch – wie hier – die Ent-


MN Rechtsprechung<br />

stehung einer Terminsgebühr nahe und stimmt dieses Ergebnis mit<br />

den in Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />

zu entnehmenden Wertungen überein, verdient eine entsprechende,<br />

den Wortlaut der Bestimmung ausschöpfende Auslegung den Vorzug.<br />

Daran ist der Senat durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs<br />

vom 30. März und 30. Juni 2004 (aaO), die sich mit den im<br />

jetzigen Verfahren streiterheblichen Vorschriften nur am Rande –<br />

ohne dass es auf sie angekommen wäre – beschäftigt haben, nicht<br />

gehindert. Es ist daher auch ein Verfahren nach § 132 GVG nicht<br />

erforderlich.<br />

3. Bei der Kostenausgleichung ist daher eine 1,2-Terminsgebühr<br />

zusätzlich zu berücksichtigen, und zwar auch ohne einen besonderen<br />

Antrag auf Seiten der Beschwerdegegnerin, da die Gebühr auf<br />

beiden Seiten entstanden ist (vgl. OLG Oldenburg MDR 1993,<br />

390; OLG Köln JurBüro 1994, 601, 602; Zöller/ Herget, § 106<br />

Rn. 6). Hiernach belaufen sich die außergerichtlichen Kosten des<br />

Klägers unter Einschluss der Mehrwertsteuer gegenüber der landgerichtlichen<br />

Festsetzung auf (924,98 E + 470,50 E =) 1.395,48 E<br />

(vgl. Bl. 66, 57) und diejenigen der Beklagten ohne Mehrwertsteuer<br />

auf (797,40 E + 405,60 E =) 1.203 E (vgl. Bl. 66, 59, 57),<br />

das sind zusammen 2.598,48 E. Nach dem Vergleich hat der Kläger<br />

hiervon 14 v. H., das sind 363,79 E, zu tragen, denen eigene<br />

Kosten von 1.395,48 E gegenüberstehen. Aus der Differenz ergibt<br />

sich ein Erstattungsbetrag von 1.031,69 E. Hinzu kommt hinsichtlich<br />

der Gerichtskosten nach dem insoweit unbeanstandet gebliebenen<br />

Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ein Erstattungsbetrag<br />

von 116,96 E, so dass die Beklagte insgesamt 1.148,65 E<br />

nebst Zinsen an den Kläger zu erstatten hat.<br />

Der Wert der Beschwerdeverfahren entspricht der Höhe des<br />

bisher nicht ausgeglichenen Differenzbetrags auf der Grundlage<br />

der Terminsgebühr und der Kostenquote des Vergleichs.<br />

Anmerkung der Redaktion: Siehe zu der Entscheidung auch die<br />

Besprechung in der RVG-Frage des Monats von Rechtsanwalt Udo<br />

Henke in diesem Heft auf Seite 53.<br />

Terminsgebühr ohne Termin<br />

RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 278 Abs. 6<br />

Die Mitwirkung des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines<br />

schriftlichen Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO löst<br />

eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 VV-RVG aus.<br />

KG, Beschl. v. 27.10.2005 – 27 W 65/05<br />

Aus den Gründen: I. Die Klägerin hat mit ihrer Klage ursprünglich<br />

Zahlung in Höhe von 35.058,91 EUR wegen erbrachter<br />

Dienstleistungen geltend gemacht. Nach Anordnung des schriftlichen<br />

Vorverfahrens haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />

dem Gericht u. a. schriftsätzlich mitgeteilt, dass die Beklagten<br />

anbieten, den Rechtsstreit vergleichsweise durch Zahlung eines Betrages<br />

in Höhe von 25.000,– EUR zu erledigen. Die Klägerin hat<br />

durch ihre Prozessbevollmächtigten dem Gericht gegenüber die<br />

Bereitschaft zur Annahme des Vergleichsangebots bekundet. Den<br />

daraufhin seitens des Gerichts gemäß § 278 Abs. 6 ZPO unterbreiteten<br />

Vergleichsvorschlag haben beide Parteien angenommen. Das<br />

Gericht hat das Zustandekommen des Vergleichs durch Beschluss<br />

festgestellt.<br />

Mit Kostenausgleichsantrag vom 31. <strong>Januar</strong> 2005 hatten die Beklagten<br />

u. a. die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 3104<br />

Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG beantragt. Das Landgericht Berlin hat die<br />

Festsetzung dieser Gebühr mit Beschluss vorn 9. Februar 2005 abgelehnt.<br />

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.<br />

Sie sind der Auffassung, dass eine Terminsgebühr auch<br />

bei einem schriftlichen Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6<br />

ZPO anfalle, ohne dass es auf die Anordnung eines schriftlichen<br />

Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO ankomme.<br />

II. Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde<br />

der Beklagten ist begründet.<br />

Die Frage, ob bei Abschluss eines Vergleiches nach § 278<br />

Abs. 6 ZPO für den Rechtsanwalt eine Terminsgebühr gemäß<br />

Nr. 3104 VV-RVG anfällt, ist umstritten.<br />

Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass für die Mitwirkung<br />

des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines Vergleiches<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung<br />

vorgeschrieben ist, immer auch eine Terminsgebühr anfalle<br />

(OLG Stuttgart, 8. Zivilsenat, Beschluss vom 16.6.05 – 8 W<br />

180/05 – zitiert bei Juris; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 278<br />

Rdn 27; Gerald/Schmidt, RVG, 16. Aufl. Nr. 3104 VV/Rdn 58/69;<br />

Schons AGS 2005, 145; Henke, AnwBl 2004, 594).<br />

Nach anderer Meinung löst ein schriftlicher Vergleichsabschluss<br />

nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr nicht aus<br />

(vgl. BGH NJW 2004, 2311; OLG Nürnberg AnwBl 2005, 222 sowie<br />

NJW-RR 2005, 655; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom<br />

1.8.2005 – 12 W 78/05 – zitiert bei Juris) bzw. nur dann, wenn er<br />

in einem Verfahren ohne vorgeschriebene mündliche Verhandlung<br />

zustande kommt (Hartmann, Kostengesetze, 35, Aufl. Nr. 3104 VV-<br />

RVG Rdn 30).<br />

Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Für<br />

sie spricht bereits der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift<br />

Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG, nach der „in einem Verfahren, für<br />

das (an sich) mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“ (z. B.<br />

§ 128 Abs. 1 ZPO), die Terminsgebühr ausnahmsweise auch dann<br />

entsteht, wenn eine mündliche Verhandlung tatsächlich nicht stattgefunden<br />

hat. Die hierzu zählenden Ausnahmefälle sind in der Vorschrift<br />

im einzelnen alternativ aufgeführt. Es handelt sich zum einen<br />

um drei Fälle, in denen abweichend von der Regel ohne<br />

mündliche Verhandlung entschieden wurde (§§ 128 Abs. 2, 307<br />

Abs. 2, 495 a ZPO) zum anderen um den Fall, in dem ohne mündliche<br />

Verhandlung ein schriftlicher Vergleich (z. B. nach § 278<br />

Abs. 6 ZPO) zustandegekommen ist („entschieden oder ... Vergleich<br />

geschlossen“). Der schriftliche Vergleich ist nach dem Wortlaut der<br />

Vorschrift die gleichwertige Alternative zur Entscheidung. Er<br />

bringt also – ebenso wie bei der Entscheidung des Gerichts – die<br />

Terminsgebühr zum Entstehen in all den Verfahren („in einem solchen<br />

Verfahren“), in denen bei einer Entscheidung die Terminsgebühr<br />

nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG oder nach Nr. 3104<br />

Abs. 1 Nr. 1., 1. bis 3. Altern. VV-RVG anfällt.<br />

Die hier vertretene Auffassung trägt überdies der Intention des<br />

Gesetzgebers Rechnung, die vergleichsweise Einigung in einem<br />

möglichst frühen Verfahrensstadium zu fördern und zu honorieren<br />

und damit zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren beizutragen<br />

und die Justiz zu entlasten (vgl. OLG Stuttgart aaO). Der Anwalt<br />

soll nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten<br />

in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen,<br />

der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des<br />

Verfahrens beitragen. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient<br />

sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens<br />

gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt,<br />

insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens<br />

durch eine gütliche Regelung zielen (BT-Drucksache 15/1971 vom<br />

11.11.2003, Seite 209). Dementsprechend hat der Gesetzgeber in<br />

Vorbemerkung 3 Abs, 3 VV-RVG das Entstehen einer Terminsgebühr<br />

bereits für die Mitwirkung an solchen Besprechungen festgeschrieben.<br />

Dies soll für die Anwälte ein Anreiz sein, jederzeit<br />

auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (Gerald/Schmidt, aaO<br />

Rdn 57). Der in der Gesetzesbegründung artikulierte Willen des<br />

Gesetzgebers kommt aber noch weit stärker zum Tragen, wenn der<br />

Rechtsanwalt nicht nur den Versuch einer möglichst frühen Beendigung<br />

des Rechtsstreits unternimmt sondern vielmehr dazu beiträgt,<br />

dass eine vergleichsweise Einigung z. B. durch einen schriftlichen<br />

Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO tatsächlich<br />

auch zustande kommt. Deshalb erscheint es nur folgerichtig, wenn<br />

die ergänzende Regelung in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1, 4. Altern. VV-<br />

RVG für diesen Fall ebenfalls das Entstehen einer Terminsgebühr<br />

vorsieht.<br />

Danach ist auch kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum bei<br />

einem schriftlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr<br />

nur entstehen soll, wenn dieser im schriftlichen Verfahren<br />

nach § 128 Abs. 2 ZPO oder § 495 a ZPO geschlossen wird<br />

(so: Hartmann, aaO Rdn 30), in denen ohnehin keine mündliche<br />

Verhandlung stattfindet, nicht aber in den Verfahren, die ohne den<br />

VergleichsabschSuss eine mündliche Verhandlung erfordert hätten.<br />

Der hier vertretenen Auffassung kann schließlich auch nicht<br />

mit Erfolg entgegengehalten werden, der Wortlaut der Nr. 3104<br />

AnwBl 1 / 2006 73


MN Rechtsprechung<br />

Nr. 1 Abs. 1 VV-RVG beziehe sich in der 1. Altern. auf das Verfahren<br />

nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht auf das Verfahren nach § 278<br />

Abs. 6 ZPO. Auch wenn dem so ist, wofür einiges spricht, schließt<br />

das gleichwohl nicht aus, dass auch im Verfahren nach § 128<br />

Abs. 2 ZPO ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO zustande kommt,<br />

der dann gemäß der 4. Altern. von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG<br />

die Terminsgebühr auslöst.<br />

Mitgeteilt von den Mitgliedern des 27. Zivilsenats am KG<br />

Anmerkung der Redaktion: Zu diesem Thema vgl. auch in diesem<br />

Heft auf S. 71 die Entscheidung des BGH, Beschl. v.<br />

27.10.2005 – III ZB 42/05 und die Anmerkung Henke zu beiden<br />

Entscheidungen in der „RVG-Frage des Monats“ auf S. 53.<br />

Erhöhungsgebühr bei Abwehr einer Räumungsklage<br />

BRAGO § 6 Abs. 1<br />

Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage auf<br />

Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung, ist der Gegenstand<br />

der anwaltlichen Tätigkeit derselbe im Sinne des § 6<br />

Abs. 1 Satz 2 BRAGO. In diesem Fall erhöht sich die Prozessgebühr<br />

des Rechtsanwalts für jeden Mitmieter um 3/10.<br />

BGH, Beschl. v. 5.10.2005 – VIII ZB 52/04<br />

Sachverhalt: I. Der Beklagte zu 1 und seine Ehefrau, die Beklagte<br />

zu 2, mieteten mit schriftlichem Mietvertrag vom 15. Juli<br />

1976 eine Wohnung in H. Die Klägerin erwarb das Hausgrundstück<br />

und kündigte das Mietverhältnis mit den Beklagten. Ihre auf<br />

Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hat das Amtsgericht<br />

Hagen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht<br />

Hagen die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils<br />

mangels Nachweises der Prozessfähigkeit des Beklagten zu 1<br />

insgesamt als unzulässig abgewiesen und der Klägerin die Kosten<br />

des Rechtsstreits auferlegt.<br />

Das Amtsgericht Hagen hat durch Kostenfestsetzungsbeschluss<br />

die von der Klägerin der Beklagten zu 2 zu erstattenden Kosten auf<br />

3.314,69 E nebst Zinsen festgesetzt und dabei die für beide Instanzen<br />

nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beantragte Erhöhung der Prozessgebühr<br />

um 3/10 (160,70 E und 123,48 E nebst Umsatzsteuer,<br />

insgesamt 329,65 E) unberücksichtigt gelassen. Hiergegen hat der<br />

Beklagte zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht<br />

zurückgewiesen hat. Gegen diese Entscheidung hat sich der Beklagte<br />

zu 1 mit der vom Beschwerdegericht als „weitere Beschwerde“<br />

zugelassenen Rechtsbeschwerde gewandt. Während des<br />

Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der Beklagte zu 1 verstorben und<br />

von seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2, beerbt worden.<br />

Aus den Gründen: II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574<br />

Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und im Übrigen nach § 575 ZPO zulässig.<br />

Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss die<br />

„weitere“ Beschwerde zugelassen hat, meint es ersichtlich die<br />

Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO, die an die Stelle der weiteren<br />

Beschwerde nach § 568 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001<br />

geltenden Fassung der Zivilprozessordnung getreten ist.<br />

2, Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.<br />

a) Das Landgericht hat ausgeführt, eine Mehrvertretungsgebühr<br />

nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO sei weder in erster noch in zweiter<br />

Instanz entstanden. Zwar stehe auch einem Rechtsanwalt, der einen<br />

geschäftsunfähigen Beklagten vertrete, nach den Grundsätzen<br />

der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigten Bereicherung<br />

die übliche Vergütung nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung<br />

zu, wenn die Vertretung wie hier dem wirklichen<br />

oder mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprochen habe. Die<br />

zur Abwehr der Räumungs- und Herausgabeklage entfaltete Tätigkeit<br />

des Prozessbevollmächtigten beider Beklagten habe sich jedoch<br />

nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1<br />

Satz 2 BRAGO bezogen. Daran fehle es, wenn ein gegen mehrere<br />

Personen gerichtetes Rechtsschutzbegehren jeden Streitgenossen<br />

selbständig betreffende – wenn auch inhaltsgleiche – Leistungen<br />

zum Gegenstand habe, die jeder der in Anspruch genommenen<br />

Streitgenossen nur für sich selbst erbringen könne. So verhalte es<br />

sich auch bei der den Gegenstand der Klage bildenden Räumungsund<br />

Herausgabeverpflichtung. Träfe diese Verpflichtung jeden Mit-<br />

74 AnwBl 1 / 2006<br />

mieter als von der des anderen unabhängige, eigenständige Verpflichtung,<br />

sei der Gegenstand der Tätigkeit des Anwalts für mehrere<br />

Beklagte eines Räumungsprozesses nicht „derselbe“ im Sinne<br />

des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.<br />

b) Diese Ausführungen halten in dem entscheidenden Punkt einer<br />

rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des<br />

Landgerichts steht dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />

eine Erhöhungsgebühr gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu.<br />

aa) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der nach § 61 Abs. 1<br />

Satz 1 RVG hier noch anzuwenden ist, erhält der Rechtsanwalt,<br />

der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig ist,<br />

die Gebühren nur einmal. Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit<br />

derselbe, so erhöht sich nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO die<br />

Prozessgebühr durch jeden weiteren Auftraggeber um 3/10. So verhält<br />

es sich hier.<br />

bb) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass<br />

Eheleute – wie hier der verstorbene Beklagte zu 1 und die Beklagte<br />

zu 2 – als mehrere Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1<br />

Satz 1 BRAGO anzusehen sind (BVerwG, Urteil vom 10. April<br />

2000 – 6 C 3/99, NJW 2000, 2288 unter II; OLG Gelle, JurBüro<br />

1979, 1005). Ohne Bedeutung für den Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten<br />

ist, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt<br />

hat, femer der Umstand, dass der Beklagte zu 1 bei der Erteilung<br />

des Auftrags an seinen Rechtsanwalt möglicherweise schon<br />

geschäftsunfähig gewesen ist. In diesem Fall stehen dem Prozessbevollmächtigten<br />

die üblichen Gebühren aus dem Gesichtspunkt<br />

der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigen Bereicherung<br />

zu (HansOLG Hamburg, MDR 1998, 1123; Zöller/Herget,<br />

ZPO, 25. Aufl„ §§103, 104 Rdnr 21 „Prozessfähigkeit“; Gerold/Schmidt/Madert,<br />

BRAGO, 15. Aufl., § 1 Rdnrn. 13, 14).<br />

cc) Das Landgericht hat jedoch zu Unrecht die beantragte Erhöhung<br />

der Prozessgebühr um 3/10 mit der Begründung abgelehnt,<br />

die zur Abwehr des Räumungs- und Herausgabeverlangens entfaltete<br />

Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe sich<br />

nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2<br />

BRAGO bezogen.<br />

Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur<br />

ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe, wenn der<br />

Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage des Vermieters auf<br />

Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung vertritt. Danach<br />

steht dem Rechtsanwalt ein Mehrvertretungszuschlag nach § 6<br />

Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu (OLG Hamm, Rpfleger 2000, 40; OLG<br />

Düsseldorf, Rpfleger 1998, 372; Schnapp in Gebauer/Schneider,<br />

BRAGO, § 6 Rdnr. 33). Das Oberlandesgericht Köln lehnt dagegen<br />

eine Erhöhung der Prozessgebühr mit der Begründung ab, in einem<br />

solchen Fall sei der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht<br />

derselbe (AnwBl 2000, 375; Jur-Büro 1992, 318). Die erstgenannte<br />

Ansicht ist richtig.<br />

Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist dann derselbe im<br />

Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wenn der Rechtsanwalt für<br />

mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses<br />

tätig wird (Gerald/ Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl.,<br />

§ 6 Rdnr. 25). Ob dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis betroffen<br />

ist, bestimmt sich auch dann nach dem klägerischen Begehren,<br />

wenn der Rechtsanwalt für die Beklagten tätig wird (Gerold/<br />

Schmidt/Madert aaO). In dem hier zugrunde liegenden Rechtsstreit<br />

hatte die Klägerin beantragt, die Beklagten zur Räumung und Herausgabe<br />

der Mietsache nach § 546 Abs. 1 BGB zu verurteilen.<br />

Dieser Anspruch auf Rückgabe der Mietsache ist auf Einräumung<br />

des unmittelbaren Besitzes an den Vermieter gerichtet. Mehrere<br />

Mieter schulden die Rückgabe als gleiche unteilbare Leistung und<br />

haften dafür gemäß § 431 BGB als Gesamtschuldner (Senat,<br />

BGH2 131, 176, 183; 65, 226, 227). Durch bloße Besitzaufgabe eines<br />

der Mieter tritt keine Erfüllung des Rückgabeanspruchs im<br />

Sinne von § 362 Abs. 1 BGB ein (Senat, BGHZ 131, aaO). Vielmehr<br />

müssen alle Mieter diese Leistung erbringen. Deshalb hat jeder<br />

Mitmieter im Innenverhältnis einen Anspruch aus § 426 Abs. 1<br />

Satz 1 BGB darauf, dass seine Mitschuldner ihrem Anteil entsprechend<br />

zur Befriedigung des Gläubigers mitwirken (Senat, BGHZ<br />

131, aaO). Die enge Verknüpfung dieser zwar selbständigen, aber<br />

unteilbaren und inhaltsgleichen Verpflichtungen eines jeden Mitmieters<br />

gegenüber dem Vermieter zeigt sich ferner daran, dass<br />

sämtliche Mitmieter bereits dann nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB


MN Rechtsprechung<br />

der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die<br />

Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können, wenn die Beendigung<br />

des Mietverhältnisses lediglich für einen der Mitmieter<br />

eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde (Schmidt-Futterer/Blank,<br />

Mietrecht, 8. Aufl., § 574 Rdnr. 19). Diese unmittelbare<br />

Verbindung der Haftung mehrerer Mitmieter für die Rückgabe<br />

der Mietsache rechtfertigt es, denselben Gegenstand der anwaltlichen<br />

Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO anzunehmen,<br />

wenn der Anwalt mehrere Mitmieter in einem gegen sie gerichteten<br />

Prozess auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung<br />

vertritt.<br />

Soweit das Berufungsgericht seine abweichende Auffassung in<br />

Anlehnung an das Oberlandesgericht Köln (aaO) damit begründet<br />

hat, es handele sich bei den Verpflichtungen der Mitmieter um eigenständige,<br />

wenn auch inhaltsgleiche Leistungen, kann dies nicht<br />

zu einer Versagung des Mehrvertretungszuschlags nach § 6 Abs. 1<br />

Satz 2 BRAGO führen. Die oben aufgezeigten engen Zusammenhänge<br />

im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer<br />

Mitmieter für die Erfüllung der Rückgabeverpflichtung aus § 546<br />

Abs. 1 BGB prägen deren Verpflichtung ungleich stärker als der<br />

Umstand, dass jeder Mieter eine ihn selbständig betreffende Leistung<br />

zu erbringen hat.<br />

Anmerkung der Redaktion: Mit dem Beschluss des BGH ist die<br />

Rechtsprechung des OLG Köln (AnwBl 2000, 373) überholt, worauf<br />

Rechtsanwalt Klaus Brensing (Düsseldorf) die Redaktion hingewiesen<br />

hat.<br />

Prozesskostenhilfe<br />

Nachträgliche Klageänderung<br />

ZPO § 114 Abs. 1<br />

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gilt nicht für eine nachträgliche<br />

Klageänderung.<br />

BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 163/04<br />

Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat der Antragstellerin<br />

Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Vollstreckungsabwehrklage<br />

bewilligt. Nunmehr beabsichtigt die Antragstellerin, eine<br />

Drittwiderspruchsklage zu erheben. Das Landgericht hat den Antrag<br />

auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den neuen Antrag<br />

wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen; die sofortige Beschwerde<br />

der Antragstellerin blieb erfolglos. Mit ihrer vom Beschwerdegericht<br />

zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin<br />

weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für<br />

den geänderten Klageantrag.<br />

II. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO<br />

statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung<br />

der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der<br />

Sache an das Oberlandesgericht.<br />

1. Im Grundsatz zutreffend hat das Oberlandesgericht für den<br />

Fall einer Klageänderung eine Prüfung der Erfolgsaussichten des<br />

neuen Antrags für erforderlich gehalten.<br />

a) Gemäß § 114 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen,<br />

wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat.<br />

Hinreichende Erfolgsaussicht hat eine Klage, wenn das Gericht<br />

den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachverhaltsdarstellung<br />

und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend<br />

oder jedenfalls für vertretbar und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung<br />

mindestens für möglich hält (BGH, Beschl. v. 14. Dezember<br />

1993 – VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160, 1161) Um eine<br />

Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Gericht zu ermöglichen,<br />

hat der Antragsteller das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel<br />

darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. etwa Zöller/Philippi,<br />

ZPO 25. Aufl. § 117 Rn. 12). Insbesondere der Sachantrag,<br />

der gestellt werden soll, ist bestimmt zu bezeichnen (Stein/Jonas/<br />

Bork, ZPO 22. Aufl. § 117 Rn. 16; Wieczorek/Schütze/Steiner,<br />

ZPO 3. Aufl. § 117 Rn. 11). Der Streitgegenstand, um den es ge-<br />

hen soll, muss nach Art und Umfang bestimmbar sein (Baumbach/<br />

Lauterbach/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 117 Rn. 17).<br />

b) Die in § 114 ZPO vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten<br />

wäre sinnlos, wenn der Antragsteller nach der Bewilligungsentscheidung<br />

beliebig einen anderen Lebenssachverhalt oder einen<br />

anderen Antrag „nachschieben“ könnte. Nach nahezu einhelliger<br />

Ansicht bezieht sich die Bewilligung der Prozesskostenhilfe daher<br />

nur auf den im Antrag dargelegten prozessualen Anspruch (Münch-<br />

Komm-ZPO/Wax, 2. Aufl. § 119 Rn. 56; Stein/Jonas/Bork aaO § 119<br />

Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 26. Aufl. § 119 Rn. 11;<br />

Wieczorek/ Schütze/Steiner aaO § 119 Rn. 10). Im Falle einer Klageänderung<br />

umfasst die bisherige Bewilligungsentscheidung den<br />

neuen Antrag nicht (Musielak/Fischer, ZPO 4. Aufl. § 119 Rn. 9).<br />

c) Eine andere Meinung vertreten – soweit ersichtlich – nur<br />

Zöl-ler/Philippi, aaO § 119 Rn. 14. Das Gericht hat danach lediglich<br />

zu prüfen, ob der geänderte Antrag einen höheren Streitwert<br />

hat; erhöht der Streitwert sich nicht, soll sich die Bewilligung der<br />

Prozesskostenhilfe auch auf den geänderten Antrag erstrecken, soweit<br />

keine zusätzlichen Kosten ausgelöst werden. Hintergrund dieser<br />

Ansicht sind wohl folgende Überlegungen: Die Vorschriften<br />

der §§ 263, 264 ZPO ersparen dem Kläger die Kosten eines weiteren<br />

Prozesses. Die Klageänderung zieht – wenn der Wert des<br />

neuen Antrags denjenigen des früheren Antrags nicht übersteigt –<br />

keine kostenrechtlichen Folgen nach sich. Hinsichtlich der Gerichtsgebühren<br />

gilt der neue Antrag als von Anfang an anhängig.<br />

Auch der Anwalt kann seine Gebühren nur einmal fordern, weil es<br />

sich um ein und dieselbe Angelegenheit handelt (Gerold/Schmidt/<br />

Madert, RVG 16. Aufl. § 15 Rn. 102; Riedel/Sußbauer/Fraunholz,<br />

RVG 9. Aufl, § 15 Rn. 10; Zöller/Greger, aaO § 263 Rn. 32; vgl.<br />

zur BRAGO auch KG JurBüro 1968, 610, 611; OLG Hamburg Jur-<br />

Büro 1978, 1807).<br />

Kostenrechtliche Überlegungen vermögen die in § 114 ZPO<br />

vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten<br />

Rechtsverfolgung jedoch nicht zu ersetzen. Dem Antragsteller können<br />

aus der erneuten Sachprüfung zudem keine rechtlich relevanten<br />

Nachteile entstehen. Hat der geänderte Antrag keine Aussicht<br />

auf Erfolg, ordnet § 114 ZPO an, dass insoweit kein Anspruch auf<br />

Bewilligung von Prozesskostenhilfe besteht.<br />

d) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt auch aus<br />

den Besonderheiten des vorliegenden Falles kein Anspruch der<br />

Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen<br />

Antrag, der keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Frage, ob das Landgericht<br />

die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ursprünglich<br />

gestellten Antrag widerrufen durfte, stellt sich nicht, weil kein<br />

Widerruf erfolgt ist. Dass der neue Antrag auf eine geänderte<br />

Rechtsauffassung des Gerichts zurückzuführen sein soll, begründet<br />

ebenfalls keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe;<br />

denn das Gericht ist an die im Bewilligungsbeschluss vertretene<br />

Rechtsansicht nicht gebunden (vgl. § 318 ZPO). Welche Kosten<br />

der zunächst beigeordnete Rechtsanwalt abrechnen kann, ist<br />

nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.<br />

2. Ob eine Klageänderung vorliegt, kann der Senat jedoch nicht<br />

beurteilen, weil der angefochtene Beschlüss keine hinreichenden<br />

Angaben zum Sachverhalt enthält.<br />

a) Beschlüsse, welche der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen<br />

den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden<br />

wird; denn die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind<br />

Grundlage der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 577<br />

Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 –<br />

IX ZB 29/03, WM 2004, 1686 f; v, 7. April 2005 – IX ZB 63/03,<br />

WM 2005, 1246). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so kann eine<br />

Rechtsprüfung nicht erfolgen. Ausführungen des Beschwerdegerichts,<br />

die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind<br />

keine Gründe im zivilprozessualen Sinne.<br />

b) Nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses hat die<br />

Klägerin zunächst eine Vollstreckungsgegenklage erhoben, während<br />

sie nunmehr Prozesskostenhilfe für eine Drittwiderspruchsklage<br />

begehrt. Ob den beiden Anträhgen derselbe oder ein jeweils<br />

anderer Lebenssachverhalt zugrunde liegt, lässt sich den Ausführungen<br />

des Beschwerdegerichts jedoch nicht entnehmen. Eine<br />

Rechtsprüfung ist nicht möglich. Nach § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6<br />

ZPO beruht der angefochtene Beschluss auf diesem Mangel. Er<br />

muss aufgehoben werden; die Sache muss zur erneuten Entschei-<br />

AnwBl 1 / 2006 75


MN Rechtsprechung<br />

dung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden (§ 577<br />

Abs. 4 Satz 1 ZPO).<br />

Prozessrecht<br />

Abgrenzung Unterschrift/Paraphe<br />

ZPO §§ 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 130 Nr. 6<br />

Zu den Anforderungen an die Unterschriftleistung eines Rechtsanwalts<br />

unter die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift.<br />

BGH, Beschl. v. 27.9.2005 – VIII ZB 105/04<br />

Aus den Gründen: I. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574<br />

Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt<br />

den formellen Anforderungen des § 575 ZPO. Eine Entscheidung<br />

des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen<br />

Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil die angefochtene<br />

Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Beklagten<br />

auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG<br />

in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den<br />

Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung<br />

eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen<br />

nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH,<br />

Beschluss vom 23. Oktober 2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367,<br />

unter II 1 bb m. w. Nachw.). Dies ist hier geschehen, weil das Berufungsgericht<br />

bei seinen Anforderungen an die gemäß §§ 519<br />

Abs. 4, 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift des<br />

Rechtsanwalts unter der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift<br />

eine mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung<br />

unvereinbare Strenge an den Tag gelegt hat (s. unter 2).<br />

2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.<br />

a) Als Unterschrift im Sinne von § 130 Nr. 6 ZPO ist nach der<br />

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein aus Buchstaben einer<br />

üblichen Schrift bestehendes Gebilde zu fordern, das nicht lesbar<br />

zu sein braucht. Erforderlich, aber auch genügend ist das Vorliegen<br />

eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden<br />

Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische<br />

Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der<br />

sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer<br />

vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur<br />

flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess<br />

gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein<br />

vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen<br />

sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner<br />

auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt<br />

(BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997 – XII ZB 17/97,<br />

FamRZ 1997, 737, unter II m. w. Nachw.). In Anbetracht der Variationsbreite,<br />

die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen,<br />

ist jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert ist,<br />

bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger<br />

Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – IX<br />

ZR 24/97, NJW 1997, 3380 unter II 2 a; Beschluss vom 29. Oktober<br />

1986 – IVa ZB 13/86, NJW 1987, 1333). Denn Sinn und<br />

Zweck des Unterschriftserfordernisses ist die äußere Dokumentation<br />

der vom Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung<br />

des Inhalts der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift durch<br />

den Anwalt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 – V ZB 45/04,<br />

NJW 2005, 2709, unter III 2 a bb), die gewährleistet ist, wenn feststeht,<br />

dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt.<br />

b) An der Autorenschaft des Rechtsanwalts G. S. bestanden<br />

hier auch beim Berufungsgericht zu keiner Zeit Zweifel. Sie wird<br />

zum einen dadurch bestätigt, dass der Schriftzug in beiden Schriftsätzen<br />

über den maschinenschriftlichen Zusatz „G. S., Rechtsanwalt“<br />

gesetzt ist, und ergibt sich zum andern daraus, dass die<br />

Unterschrift, anders als das Berufungsgericht meint, keine wesentlichen<br />

Abweichungen von den Schriftgebilden aufweist, mit denen<br />

Rechtsanwalt S. die unstreitig von ihm stammenden erstinstanzlichen<br />

Schriftsätze in diesem Verfahren unterzeichnet hat. Bei Anlegung<br />

eines großzügigen Maßstabs ist hier das Erfordernis einer<br />

Unterschrift noch erfüllt. Der Senat kann die Prüfung der dafür er-<br />

76 AnwBl 1 / 2006<br />

forderlichen Merkmale selbständig und ohne Bindung an die Ausführungen<br />

des Berufungsgerichts vornehmen (Senatsurteil vom 24.<br />

Juli 2001 – VIII ZR 58/01, NJW 2001, 2888, unter II 1; Beschluss<br />

vom 26. Februar 1997, aaO; Beschluss vom 29. Oktober 1986,<br />

aaO). Der Schriftzug auf der Berufungs- und der Berufungsbegründungsschrift<br />

lässt die Absicht erkennen, eine volle Unterschrift zu<br />

leisten und die Schriftstücke nicht lediglich mit einer Paraphe oder<br />

Abkürzung abzuzeichnen. Er ist zwar einfach strukturiert und einem<br />

starken Abschleifungsprozess unterlegen, aber dennoch so individuell<br />

ausgeführt, dass ihm insgesamt der Charakter einer Unterschrift<br />

nicht abgesprochen werden kann.<br />

c) Wenn man dies anders sehen wollte, wäre das Berufungsgericht<br />

jedenfalls gehalten gewesen, dem Beklagten auf dessen den<br />

Anforderungen der §§ 234, 236 ZPO genügenden Antrag hin gemäß<br />

§ 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die<br />

Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist zu<br />

gewähren. Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten glaubhaft<br />

gemacht hat, dass seine Unterschrift von den Gerichten jahrelang<br />

unbeanstandet geblieben ist, durfte er ohne Verschulden annehmen,<br />

dass sie den allgemein in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen<br />

entsprach, und hatte er unter Berücksichtigung des Anspruchs<br />

auf faire Verfahrensgestaltung vor dem Hinweisbeschluss<br />

vom 26. Juli 2004 keinen Anlass zu der Besorgnis, sie werde von<br />

der entscheidenden Kammer als unzureichend angesehen werden<br />

(vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1997 – 1 BvR<br />

1023/96, NJW 1998, 1853, unter II 2 b; BGH, Beschluss vom 28.<br />

September 1999 – II ZB 19/98, NJW 1999, 60, unter II 2).<br />

Fotonachweis<br />

Seiten IV, XXVIII, 4, 9, 12, 23, 46, 49, 51, 56, 58, 60, 63 :alle<br />

privat; Seiten I, XXXVI, 29, 30, 31, 32, 37, 39, 40, 41, 42, 43, 45:<br />

alle Burkhardt/Berlin; Seite 35, 55: DAV; Seite 33: Bonn-Sequenz.<br />

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der Justiz mit der Juris<br />

GmbH ist ein neuer Internetauftritt<br />

entstanden. Bisher gab es eine auch<br />

schon wertvolle Sammlung von etwa<br />

750 Gesetzen. Ab sofort stehen rund<br />

5.000 Gesetze und Rechtsverordnungen<br />

bereit. Damit soll nahezu das gesamte<br />

Bundesrecht online verfügbar<br />

sein. Der Zugang zu den Gesetzen erfolgt<br />

am schnellsten über die alphabetische<br />

Liste, die unter „Gesetze /<br />

Verordnungen“ zu finden ist. Der<br />

Nutzer wählt einen Anfangsbuchsta-<br />

ben von A – Z aus und gelangt zu der<br />

entsprechenden Liste. Hier sind die<br />

Gesetze nach ihrer offiziellen Abkürzung<br />

sortiert – die Liste beginnt mit<br />

dem AABG, dem Gesetz zur Begrenzung<br />

der Arzneimittelausgaben der<br />

gesetzlichen Krankenversicherung,<br />

und endet mit der ZZV, der Verordnung<br />

über die Zuzahlung bei der Abgabe<br />

von Arzei- und Verbandmitteln<br />

in der vertragsärztlichen Versorgung.<br />

Die Listen sind durch die Masse der<br />

Bundesgesetze immer noch sehr<br />

lang. Wer nicht durch die Verordnungsflut<br />

scrollen möchte, dem sei<br />

die Suchfunktion der gängigen Internetbrowser<br />

strg-f empfohlen, um<br />

schnell zum Ziel zu kommen. Ist das<br />

gewünschte Gesetz gefunden, gibt es<br />

die Auswahl zwischen der PDF-Version,<br />

in der das Gesetz als Ganzes herunter<br />

geladen und ausgedruckt werden<br />

kann, und der Internet-Version,<br />

in der die einzelnen Kapitel oder Paragraphen<br />

des Gesetzes ausgewählt<br />

und angeklickt werden können.<br />

Diese Wahl zwischen den verschiedenen<br />

Dateiformaten besteht nicht,<br />

wenn die Volltextsuche genutzt wird.<br />

Das gesamte Gesetz als PDF-Datei<br />

wird hier nicht angeboten. Dafür gibt<br />

es hier die Möglichkeit, nach bestimmten<br />

Begriffen gezielt zu suchen<br />

und diese Suche durch die Suchparameter<br />

„und“ bzw. „oder“ zu verknüpfen.<br />

Die Trefferliste führt sowohl<br />

zu Gesetzen und deren<br />

XXIV AnwBl 1 / 2006<br />

Für das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

im Internet:<br />

Rechtsanwältin<br />

Isa von Koeller,<br />

Online-Redakteurin<br />

von Marktplatz-Recht.de.<br />

Inhaltsverzeichnissen, als auch zu<br />

einzelnen Paragraphen, was mit der<br />

Überschrift „Einzelnorm“ angekündigt<br />

wird. Einziger – aber großer –<br />

Nachteil des direkten Anklickens des<br />

Paragraphen ist, dass dort nicht der<br />

Name des Gesetzes erscheint. In welchem<br />

Gesetz der angezeigte Paragraph<br />

steht, ist nur aus der Internetadresse<br />

herauszulesen, bei BGB und<br />

StGB ist das eindeutig zu erkennen,<br />

aber wofür mag „baf_g-teilerla_v“<br />

stehen, das in der URL nach bundesrecht.juris.de<br />

angezeigt wird? In welcher<br />

Verordnung steht der gefundene<br />

Paragraph? Auf der Suche nach unbekannten<br />

Normen kann dies lästig<br />

sein und gehört hoffentlich zu den<br />

bald behobenen Kinderkrankheiten<br />

dieses sinnvollen Projektes. Eine<br />

wichtige Ergänzung zu den Gesetzestexten<br />

ist der „Aktualitätendienst“.<br />

Hier sind die neu im Bundesgesetzblatt<br />

verkündeten und noch nicht in<br />

die einzelnen Gesetzestexte eingearbeiteten<br />

Verordnungen veröffentlicht.<br />

Erfreulicherweise erfolgt die<br />

oben beschriebene Volltextsuche<br />

auch über diesen Aktualitätendienst,<br />

so dass bei der Suche nach einem entsprechenden<br />

Begriff sowohl der Gesetzestext<br />

als auch eine ggf. ergangene<br />

Änderungsverordnung zu dem<br />

Bereich in der Trefferliste erscheint.<br />

9 Justiz.de<br />

Einen Überblick über vorhandene<br />

Internetangebote des Bundes und der<br />

Länder bietet dieses Justizportal, das<br />

vom Land Nordrhein-Westfalen verantwortet<br />

wird. Unter der Überschrift<br />

„Bund / Länder“ gibt es<br />

weiterführende Informationen zur<br />

Justizministerkonferenz, zur Bund-<br />

Länder-Kommission und zum elektronischen<br />

Rechtsverkehr. Außerdem<br />

sind hier die jeweiligen Justizministerien<br />

des Bundes und der Länder<br />

verlinkt. Folgt man der Navigation<br />

zu den Onlinediensten, finden sich<br />

Links zu den Ländern mit ihren Veröffentlichungen<br />

von Landesgesetzen.<br />

Im Orts-/Gerichtsverzeichnis, ebenfalls<br />

kein eigenes Angebot von Justiz.de,<br />

sondern ein weiterführender<br />

Link, lassen sich regionale Zuständigkeiten<br />

von Gerichten und Staatsanwaltschaften<br />

ermitteln. Der Menüpunkt<br />

„Formulare“ birgt eine Reihe<br />

von Formularen, die herunter geladen<br />

werden können.<br />

Anwaltsvergütung<br />

9 Streitwerttabelle<br />

von Fritz Finke. 5.<br />

Aufl.; Bonn, Deutscher<br />

Anwaltverlag,<br />

2005; 53 S., Ringbdg.;<br />

3-8240-0819-X; 26,– E.<br />

Orientiert an der anwaltlichen<br />

Praxis liefert<br />

die übersichtlich gestaltete<br />

Tabelle Auskunft<br />

über die aktuellen<br />

Streitwerte, insbesondere<br />

die Gegenstandswerte<br />

der Anwaltsgebühren.<br />

9 Vergütungstipps<br />

nach dem RVG von<br />

Frank Lautwein;<br />

München, C. H. Beck,<br />

2005; XV, 176 S.,<br />

brosch.; (Berufspraxis<br />

Rechtsanwälte);<br />

3-406-51859-1;18.–E.<br />

Der Band enthält Vergütungstipps<br />

für Anwälte,<br />

Bürovorsteher,<br />

Kanzleimanager sowie ReNo-Gehilfen und eignet<br />

sich somit für die tägliche Abrechnungspraxis.<br />

Anwaltshaftung<br />

9 Anwaltshaftung<br />

von Brigitte Borgmann,<br />

Antje Jungk<br />

und Holger Grams;<br />

4., völlig neu bearb.<br />

Aufl.; München, C. H.<br />

Beck, 2005; XXI, 520<br />

S., geb.; 3-406-47273-7;<br />

70,– E.<br />

Das Handbuch informiert<br />

umfassend über<br />

das anwaltliche Haftungsrisiko und bietet wertvolle<br />

Hinweise für ein optimales Risikomanagement<br />

in der Anwaltskanzlei.<br />

Prozesskostenhilfe<br />

9 Prozesskostenhilfe<br />

und Beratungshilfe<br />

von Elmar Kalthoener,<br />

Helmut Büttner<br />

und Hildegard Wrobel-Sachs;<br />

4., völlig<br />

neu bearb. Aufl.;<br />

München, C. H.<br />

Beck, 2005; XXXII,<br />

469 S., geb.; 3-406-<br />

53385-X; 48,– E.<br />

Im Mittelpunkt dieser<br />

Auflage stehen die<br />

zahlreichen Änderungen des GKG und die<br />

Auswirkungen der Einführung des RVG.<br />

Aufgenommen wurde auch die grenzüberschreitende<br />

Prozesskostenhilfe in der EU.


MN Schlussplädoyer<br />

Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />

Rechtsanwalt Henrich J. Potthast<br />

aus Köln ist Mitglied des Vorstandes<br />

des Deutschen Anwaltvereins. Er ist<br />

seit 1978 Rechtsanwalt und arbeitet in<br />

einer Sozietät mit drei Anwälten. Sein<br />

Schwerpunkt liegt auf dem Gebiet des<br />

Familienrechts. Er ist Mitglied im<br />

Deutschen Anwaltverein, weil eine<br />

starke Interessenvertretung nur bei einem<br />

hohen Repräsentationsgrad glaubwürdig<br />

ist und die Mitarbeit für die Interessen<br />

der Anwälte Freude macht.<br />

XXVIII AnwBl 1 / 2006<br />

Warum sind Sie Anwalt geworden?<br />

Ich bin seit 15 Generationen juristisch<br />

vorbelastet, da blieb keine andere<br />

Wahl.<br />

Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />

zurückzugeben?<br />

Wenn sich die Ferien in Griechenland<br />

dem Ende zuneigen, dann ...<br />

Ihr größter Erfolg als Anwalt?<br />

Dass ich die Zulassung trotzdem nie<br />

zurückgegeben haben und nicht zurückgeben<br />

werde.<br />

Ihr Stundensatz?<br />

Guter Rat ist teuer, aber er macht<br />

sich bezahlt.<br />

Ihr Traummandat?<br />

Das einerseits zur Zufriedenheit des<br />

Mandanten abgeschlossene und andererseits<br />

gut honorierte Mandat.<br />

Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />

nicht nachsagen?<br />

Dass ich nicht konstruktiv und gesprächsbereit<br />

gewesen wäre.<br />

Welches Lob wünschen Sie sich von<br />

einem Mandanten?<br />

Ich lasse mich bei Ihnen gerne noch<br />

einmal scheiden.<br />

Mitglieder Service<br />

DAV-Haus<br />

Littenstr. 11, 10179 Berlin<br />

Deutscher Anwaltverein<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />

dav@anwaltverein.de,<br />

www.anwaltverein.de<br />

Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />

anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />

www.anwaltsblatt.de<br />

Deutsche Anwaltakademie<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11<br />

daa@anwaltakademie.de<br />

www.anwaltakademie.de<br />

Deutsche Anwaltadresse<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />

adresse@anwaltverein.de<br />

DAV-Anwaltausbildung<br />

Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />

anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />

www.dav-anwaltausbildung.de<br />

Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />

Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />

DAV Büro Brüssel<br />

Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />

bruessel@anwaltverein.de,<br />

www.anwaltverein.de/bruessel<br />

Deutscher Anwaltverlag<br />

Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />

Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />

kontakt@anwaltverlag.de,<br />

www.anwaltverlag.de<br />

Sonderleistungen für Mitglieder<br />

Bei Hertz profitieren die Mitglieder von besonders<br />

günstigen Mietwagentarifen im Vergleich zu den<br />

Regeltarifen. Ob in Deutschland oder im Ausland,<br />

ob PKW oder LKW. Informationen über kostenfreie<br />

Hotline oder Onlinereservierung:<br />

http://www.anwaltverein.de/vorteile/index.html

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