Januar - Anwaltsblatt
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DeutscherAnwaltVerein<br />
Aufsätze<br />
Juristenausbildung 2006 (Kilger) 1<br />
Bologna-Prozess (Dauner-Lieb) 5<br />
Interessenkollision (Kleine-Cosack) 13<br />
Kommentar<br />
Rechtsberatung (Heussen) 29<br />
Thema<br />
Zukunft des Einheitsjuristen 30<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
Justizreform 34<br />
Werbekampagne 35<br />
Mitteilungen<br />
Erfolgshonorar (Soldan Institut) 50<br />
Rechtsprechung<br />
BGH: Erforschung des Sachverhalts 68<br />
BGH: Honorarfreie Fehlerbeseitigung 70<br />
BGH: Terminsgebühr ohne Termin 71<br />
1/2006<br />
<strong>Januar</strong> DeutscherAnwaltVerlag
MNEditorial<br />
Nur wer sich ändert, bleibt sich treu;<br />
Identität bewährt und verstärkt sich im<br />
Wandel – dies ist der Grundgedanke<br />
unserer Zeit. Das gilt für die Anwaltschaft,<br />
genauso aber auch für den<br />
Deutschen Anwaltverein. Es gilt für<br />
uns alle.<br />
Wir appellieren immer wieder an<br />
Sie: Nehmen Sie die Herausforderung<br />
des Marktes an, investieren Sie in Qualität,<br />
bilden Sie sich fort, stellen Sie<br />
sich auf die Freigabe der außergerichtlichen<br />
Beratung ab dem 1. Juli 2006<br />
ein und engagieren Sie sich in der<br />
DAV-Anwaltausbildung. Wir werben<br />
dafür, dass Sie den Wandel mitgehen:<br />
damit die Anwaltschaft auch in der<br />
Zukunft stark ist und Kernwerte wie<br />
Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und<br />
das Verbot der Interessenkollision bewahrt<br />
werden – und damit unsere anwaltliche<br />
Identität die bleibt, die sie<br />
war und ist.<br />
Auch der DAV bewegt sich ständig,<br />
um sich als Anwalt der Anwälte treu<br />
zu bleiben. Seit 2003 gibt es die DAV-<br />
Anwaltausbildung, im Herbst 2005 haben<br />
wir die Fortbildungsbescheinigung<br />
des DAV geschaffen und in diesem<br />
Jahr werden wir die Werbekampagne<br />
„Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser“<br />
für die deutsche Anwaltschaft starten.<br />
Große und wichtige Projekte für die<br />
Anwaltschaft.<br />
Ein Klassiker im Angebot des DAV<br />
ist das <strong>Anwaltsblatt</strong>. Doch auch Bewährtes<br />
muss immer wieder auf den<br />
Prüfstand. Das Ergebnis halten Sie in<br />
Händen. Blättern Sie in diesem Heft.<br />
Es hat sich viel geändert im „neuen“<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>. Das frischere Lay-Out<br />
soll das Auffinden der Rubriken erleichtern.<br />
Das Inhaltsverzeichnis ist<br />
Bewahren und Erneuern –<br />
auf ein Neues<br />
Hartmut Kilger<br />
Rechtsanwalt,<br />
Präsident des Deutschen Anwaltvereins.<br />
übersichtlicher geworden. Den Verbandsteil<br />
finden Sie als Heft im Heft in<br />
der Mitte – jetzt auch mit eigenem,<br />
ausführlichen Inhaltsverzeichnis. Die<br />
Rubrik ist leicht zu erkennen an einem<br />
roten Balken. Außerdem hat die Redaktion<br />
einen immer wieder von vielen<br />
Lesern geäußerten Wunsch umgesetzt:<br />
Endlich wird das <strong>Anwaltsblatt</strong> auf weißerem<br />
Papier gedruckt.<br />
Das „neue“ <strong>Anwaltsblatt</strong> nimmt die<br />
geänderten Lesegewohnheiten ernst –<br />
und bleibt sich damit treu. Gerade wir<br />
Anwälte müssen unendlich viel Material<br />
sichten, lesen und verarbeiten. Sie<br />
wollen schnell aufnehmen – und wünschen<br />
doch genaue und präzise Informationen.<br />
Daran ändert sich nichts:<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> wird die Mitglieder<br />
des DAV auch zukünftig über alle Themen<br />
rund um den Anwalt seriös, kompetent<br />
und – wenn nötig – auch mit<br />
wissenschaftlichem Tiefgang unterrichten.<br />
Welche Themen in neuen Jahr für<br />
die Anwaltschaft wichtig werden, können<br />
Sie bereits in dieser Ausgabe sehen.<br />
Die Einführung einer wirklichen<br />
Anwaltsausbildung ist und bleibt ein<br />
wichtiges Ziel, erst recht, nachdem<br />
sich auch die Justizministerkonferenz<br />
mit ihr befasst (mit den Einwänden gegen<br />
ein solches Modell setze ich mich<br />
in einem Beitrag ab Seite 1 auseinander).<br />
Ein weiteres zentrales Thema<br />
könnte 2006 die „Große Justizreform“<br />
werden. Chancen und Risiken sollten<br />
am 1. und 2. Februar auf dem DAV-Forum<br />
„Justizreform“ diskutiert werden.<br />
Warum der DAV diese Veranstaltung<br />
verschoben hat, lesen Sie in dem Bericht<br />
von Busse auf Seite 34.<br />
Außerdem dokumentiert das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
den DAV-Entwurf für eine<br />
Reform des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens<br />
(ab Seite 24). Der<br />
Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht haben Minimalforderungen<br />
aus Sicht der Anwaltschaft<br />
zusammengefasst. Das<br />
Strafrecht und das Strafprozessrecht<br />
haben im Koalitionsvertrag von SPD,<br />
CDU und CSU einen eigenen Gliederungspunkt<br />
erhalten. Kronzeugenregelung,<br />
akustische Wohnraumüberwachung<br />
und die Absprachen (sog.<br />
Deals) im Strafverfahren werden uns<br />
beschäftigen. Natürlich wird der DAV<br />
auch wieder wachsam sein, wenn die<br />
Große Koalition an die geplante Neufassung<br />
des Rechtsberatungsgesetzes<br />
geht.<br />
Wir versprechen ihnen, dass der<br />
DAV in Bewegung bleibt – bleiben Sie<br />
es auch, damit niemand der Anwaltschaft<br />
den ihr im Rechtsstaat zukommenden<br />
Platz streitig machen kann.<br />
AnwBl 1 / 2006 I
Editorial<br />
I Bewahren und Erneuern – auf ein Neues<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Präsident des Deutschen Anwaltvereins<br />
Bericht aus Berlin<br />
IV Rollentausch<br />
Bettina Mävers, Berlin<br />
VI Informationen<br />
Aufsätze<br />
1 Juristenausbildung 2006 – nur Qualität sichert<br />
den Anwaltsberuf<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
5 Der Bologna-Prozess – endgültig kein Thema für<br />
die Juristenausbildung?<br />
Professor Dr. Barbara Dauner-Lieb, Köln<br />
10 Strukturelle Richterperspektive und<br />
Juristenausbildung<br />
Wiss. Assistent Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />
13 Sozietätserstreckung des Verbots der<br />
Interessenkollision<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i.Br.<br />
19 Das Ende der Haftungsbegrenzung der GmbH?<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />
24 Reform des strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens<br />
Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins<br />
Kommentar<br />
29 Rechtsberatung in der Absatzbar<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Benno Heussen, Berlin<br />
Thema<br />
30 Brauchen wir den Einheitsjuristen –<br />
oder kommt die Spartenausbildung?<br />
Streitgespräch zwischen Marliese Dicke und Dr. Dierk Mattik<br />
Gastkommentar<br />
33 Aus Mangel an Mandanten<br />
Marcus Creutz, Freier Journalist<br />
II AnwBl 1 / 2006<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong> Jahrgang 56, 1 / 2006<br />
Im Auftrag des Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
AusderArbeitdesDAV<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig<br />
(Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
34 DAV-Forum Justizreform verschoben<br />
35 DAV-Werbekampagne startet im <strong>Januar</strong><br />
36 DAV-Pressemitteilung: Spartenausbildung<br />
36 DAV-Pressemitteilung: Kosten des Referendariats<br />
36 Forum Junge Anwaltschaft: Existenzgründer<br />
38 DAV-Pressemitteilung: Ausländerrecht<br />
38 DAV-Pressemitteilung: Polizeigesetz in Bayern<br />
38 DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
39 Bayerischer Anwaltverband: Ehrung Dr. Vogel<br />
40 Berliner Anwaltverein: Anwaltsausbildung<br />
40 Berliner Anwaltverein: Internationales Treffen<br />
41 DAV und Menschenrechte<br />
41 AG Handels- und Gesellschaftsrecht gegründet<br />
42 AG Strafrecht: Herbstkolloquium<br />
43 AG Steuerrecht: 12. Steueranwaltstag<br />
44 AG Sozialrecht: Neue Website<br />
44 AG Erbrecht: Mitgliederversammlung<br />
45 ARGE Baurecht: Mitgliederversammlung<br />
45 AG Insolvenzrecht: Mitgliederversammlung<br />
45 Personalien<br />
Europa<br />
46 Rechsstaatliche Grundsätze beim Kampf gegen<br />
den Terrorismus wahren<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Meinung & Kritik<br />
47 Vertrauen zwischen Mandant und Anwalt –<br />
der Testfall des 1. Juli 2006<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen, Köln<br />
Mitteilungen<br />
Soldan Institut<br />
50 Erfolgshonorare in der beruflichen Praxis der<br />
Rechtsanwälte<br />
Studie zur Vergütungsvereinbarung<br />
Zwischenruf<br />
51 Der transparente Anwalt –<br />
wie handelt er, was denkt er?<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin
RVG – Frage des Monats<br />
53 Terminsgebühr ohne Termin<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Anwaltsvergütung<br />
54 Gegenstandswertkappung auf 30 Mio. E durch<br />
§ 22 Abs. 2 RVG<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
55 Kappungsgrenze im RVG: Haftpflichtkosten als<br />
Auslage<br />
Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL), Frechen<br />
Steuerrecht<br />
57 Steuerliches Gestaltungsrisiko durch Haltefristen<br />
Rechtsanwalt Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />
Bücherschau<br />
59 Anwaltsrecht im Ausland<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Haftpflichtfragen<br />
61 Prozesskosten als Haftungsquelle<br />
Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG, München<br />
Rechtsprechung<br />
64<br />
Anwaltsrecht<br />
BGH: Rechtsschutz und Vergleich<br />
65 BGH: Rechtsschutz und Kosten (mit Anmerkung)<br />
Rechtsberatungsgesetz<br />
66 BGH: Unfallregulierung durch Autovermieter<br />
Anwaltshaftung<br />
68 BGH: Sachverhalt und Recht (mit Anmerkung)<br />
70 BGH: Honorarfreie Fehlerbeseitigung<br />
Anwaltsvergütung<br />
71 BGH: Terminsgebühr ohne Termin<br />
73 KG: Terminsgebühr ohne Termin<br />
74 BGH: Erhöhungsgebühr<br />
Prozesskostenhilfe<br />
75 BGH: Nachträgliche Klageänderung<br />
Prozessrecht<br />
76 BGH: Abgrenzung Unterschrift/Paraphe<br />
76 Fotonachweis, Impressum<br />
XXII Deutscher Anwaltverlag aktuell<br />
XXIV Bücher & Internet<br />
XXVI Deutsche Anwaltakademie aktuell<br />
Schlussplädoyer<br />
XXVIII Nachgefragt, Comic, Mitglieder Service<br />
AnwBl 1 / 2006 III
MNBericht aus Berlin<br />
Rollentausch<br />
Neue Spielregeln<br />
Wolfgang Neskovic, bislang Richter<br />
am Bundesgerichtshof und als Abgeordneter<br />
der Linkspartei neu im Bundestag,<br />
bekam gleich in der ersten Sitzung<br />
des Rechtsausschusses zu spüren,<br />
was es heißt, als Oppositionspartei gegen<br />
eine große Koalition anzutreten:<br />
Seinen Antrag, eine Anhörung zum<br />
Zollfahndungsdienstgesetz anzuberaumen,<br />
pulverisierte der Ausschussvorsitzende<br />
Andreas Schmidt (CDU) mit<br />
dem trockenen Hinweis, dass die Abgeordneten<br />
der Linkspartei nicht das<br />
nötige Quorum für einen solchen Antrag<br />
erreichen. In der vergangenen<br />
Wahlperiode konnte die Unionsfraktion<br />
allein jede Anhörung durchsetzen, und<br />
sie hat dieses wichtige parlamentarische<br />
Instrumentarium auch umfassend<br />
genutzt – um die öffentliche Aufmerksamkeit<br />
zu schärfen, um Zeit zu gewinnen<br />
und mitunter auch im Interesse eines<br />
Erkenntnisgewinns.<br />
Werden nun die eigentlich spinnefeinden<br />
Oppositionsparteien eine Art<br />
parlamentarische Zweckgemeinschaft<br />
gründen, die nur gemeinsam das Quorum<br />
erreichen und sich auf dem kleinsten<br />
formalen Nenner über das „Ob“ einer<br />
Anhörung verständigen, beim<br />
„Wie“ und der politischen Zielrichtung<br />
jedoch wieder getrennte Wege gehen?<br />
Oder werden die Fraktionen der Regierungskoalition<br />
entsprechende Ansinnen<br />
aus der Opposition unterstützen, um<br />
sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, sie<br />
seien nur der verlängerte Arm der Bundesregierung<br />
und würden parlamentarische<br />
Minderheitsrechte torpedieren?<br />
Und werden sie dies nur gemeinsam<br />
und nach Absprache tun oder als einzelne<br />
Fraktion selbstbewusst ein kleines<br />
bisschen Opposition innerhalb der Großen<br />
Koalition wagen – in Fragen der<br />
parlamentarischen Kultur und in der<br />
Diskussion um politische Inhalte?<br />
Bei den Aussprachen im Anschluss<br />
an die Regierungserklärung von Bundeskanzlerin<br />
Angela Merkel tasteten<br />
sich die Abgeordneten von SPD und<br />
CDU/CSU noch sehr verhalten vor in<br />
ihre neue, ungewohnte Rolle: Ein bisschen<br />
gegenseitiger Beifall, ein paar zustimmende<br />
Zwischenrufe, wo noch vor<br />
wenigen Monaten Häme und politische<br />
Gegnerschaft die parlamentarischen<br />
IV AnwBl 1 / 2006<br />
Debatten dominierten. Nach der Rede<br />
der alten und neuen Bundesjustizministerin<br />
Brigitte Zypries zum Themenbereich<br />
Rechtspolitik, die nicht nur<br />
Ausblick und Erläuterung des Koalitionsvertrages,<br />
sondern auch eine tour<br />
d’horizon erfolgreicher Rechtspolitik<br />
der früheren Bundesregierung war, verzichteten<br />
die Redner aus der Unionsfraktion<br />
selbst auf kleinste post-oppositionelle<br />
Seitenhiebe. Die über Jahre<br />
trainierten politischen Reflexe gegenüber<br />
einstigen politischen Gegnern oder<br />
einstigen Verbündeten müssen neu justiert<br />
werden, die Parlamentarier sich an<br />
neue Spielregeln gewöhnen. Doch zurzeit<br />
scheint es, als wisse noch niemand<br />
so recht, wie diese Spielregeln eigentlich<br />
lauten.<br />
Zeit gewinnen<br />
Die Gesetze, die der Bundestag<br />
noch vor der Weihnachtspause eilig<br />
durchpeitschte, waren vor allem darauf<br />
gerichtet, Regelungen zu verlängern,<br />
die bis Ende 2005 befristet waren – zum<br />
Beispiel die Bestimmungen in der Bundesnotarordnung,<br />
die auf beamtenrechtliche<br />
Disziplinarregelungen verweisen.<br />
Das Gesetz zur Änderung des Zollfahndungsdienstgesetz,<br />
das die Linkspartei<br />
in einer Anhörung diskutieren wollte,<br />
verlängert die Befristung der Regelungen<br />
zur präventiven Telekommunikationsüberwachung.<br />
Damit soll ausreichend<br />
Zeit bleiben, den Vorgaben des<br />
Bundesverfassungsgerichts gesetzgeberisch<br />
gerecht zu werden. Es hatte<br />
moniert, dass die Rechtsgrundlage für<br />
derartige Überwachungsmaßnahmen<br />
verfassungswidrig sei und in einem<br />
weiteren Urteil Schutzvorkehrungen<br />
bei Eingriffen in das verfassungsrechtlich<br />
geschützte Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis<br />
gefordert. Die erforderlichen<br />
Regelungen sollen in den<br />
verschiedenen Bundesgesetzen parallel<br />
geschaffen werden, was jedoch wegen<br />
der Neuwahlen nicht mehr bis zum<br />
31.12.2005 realisiert werden konnte.<br />
Die nach dem Regierungsentwurf beabsichtigte<br />
Verlängerung um zwei Jahre<br />
haben die Fraktionen von SPD und<br />
CDU/CSU mit einem gemeinsamen<br />
Änderungsantrag – auch daran wird<br />
man sich gewöhnen müssen – auf eineinhalb<br />
Jahre reduziert. Sicherlich nicht<br />
motiviert durch das Anhörungsbegehren<br />
des Abgeordneten Neskovic, doch<br />
vielleicht ein klitzekleines Indiz für ein<br />
aufkeimendes Selbstbewusstsein der<br />
Parlamentarier gegenüber der Bundesregierung.<br />
Kleine Justizreform<br />
Nicht wenige waren überrascht,<br />
dass der endgültige Koalitionsvertrag<br />
einen Punkt nicht mehr enthielt, den<br />
die Landesjustizminister bei den Koalitionsgesprächen<br />
der Arbeitsgruppe<br />
Justiz durchgesetzt und als Erfolg verbucht<br />
hatten: Die „angestrebte“ Zusammenlegung<br />
von Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit<br />
haben die<br />
Koalitionäre auf Drängen der Sozialpolitiker<br />
wieder von der politischen<br />
Agenda gestrichen. Ohnehin dürfte der<br />
reformerische Ehrgeiz der Landesjustizminister<br />
gedämpft, wenngleich nicht<br />
gebremst sein: Relativ eindeutig haben<br />
vor allem die Redner der SPD in der<br />
rechtspolitischen Aussprache im Bundestag<br />
erklärt, was alles „mit ihnen<br />
nicht zu machen“ ist: Keine Verkürzung<br />
von Rechtswegen und Rechtsmitteln,<br />
keine Privatisierung der freiwilligen<br />
Gerichtsbarkeit. Auch den<br />
„Bologna-Prozess“, also die Einführung<br />
neuer Studienabschlüsse, lehnen<br />
CDU/CSU und SPD für die Juristenausbildung<br />
ab. Darüber allerdings sind<br />
weitere Diskussionen programmiert,<br />
denn die Bildungspolitiker der Fraktionen<br />
und die Landespolitiker, die die<br />
Kompetenz für die Bildungspolitik<br />
nach der Föderalismusreform komplett<br />
beanspruchen wollen, haben dazu bereits<br />
eine andere Meinung geäußert.<br />
Abseits der parlamentarischen Identitätssuche<br />
und der Grundsatzdebatten<br />
über Koalitionsvertrag und politische<br />
Agenden hält ganz allmählich der politische<br />
Alltag wieder Einzug in Berlin.<br />
Deshalb zum Schluss noch ein bisschen<br />
rechtspolitisches Schwarzbrot:<br />
Das Bundesjustizministerium hat einen<br />
Referentenentwurf zur Errichtung und<br />
Regelung des Bundesamts für Justiz<br />
vorgelegt, das künftig Aufgaben des<br />
Bundes auf den Gebieten des Registerwesens,<br />
des internationalen Rechtsverkehrs,<br />
der Verfolgung und Ahndung<br />
von Ordnungswidrigkeiten und der allgemeinen<br />
Justizverwaltung wahrnehmen<br />
soll.<br />
Bettina Mävers<br />
Die Autorin war als<br />
Journalistin u. a. für das<br />
Handelsblatt tätig und<br />
erhielt 2001 den DAV-<br />
Pressepreis
MNInformationen<br />
Justizministerkonferenz<br />
Justizreform, Anwaltsnotariat<br />
und<br />
Insolvenzrecht<br />
Die Justizministerkonferenz (Ju-<br />
MiKo) hat auf ihrer Herbsttagung<br />
Mitte November 2005 zahlreiche Beschlüsse<br />
gefasst, die auch Auswirkungen<br />
auf die Anwaltschaft haben. Einige<br />
wichtige stellt das <strong>Anwaltsblatt</strong> vor:<br />
9 Diskussionsmodell für eine Spartenausbildung:<br />
Bis 2008 soll ein Diskussionsmodell<br />
für einen Spartenvorbereitungsdienst<br />
entwickelt werden (siehe<br />
dazu Seite 36 in diesem Heft).<br />
9 Zugang zum Anwaltsnotariat: Der<br />
Zugang zum Anwaltsnotariat soll neu<br />
gestaltet, ein Gesetzgebungsvorschlag<br />
erarbeitet werden.<br />
9 Erstinstanzliche Zuständigkeit der<br />
Oberlandesgerichte in besonderen Zivilrechtsstreitigkeiten:<br />
Die JuMiKo befürwortet<br />
eine erstinstanzliche Zuständigkeit<br />
der Oberlandesgerichte für<br />
gesellschaftsrechtliche Verfahren unter<br />
Beteiligung einer Aktiengesellschaft.<br />
Dies soll insbesondere für gesellschaftsrechtliche<br />
Spruchverfahren gelten,<br />
wozu sich der DAV bereits in einer<br />
ersten Stellungnahme im Oktober 2005<br />
zustimmend geäußert hatte.<br />
9 Reformvorhaben des Bundes im<br />
Recht der Insolvenzanfechtung: Besonders<br />
hinzuweisen ist auch auf den begrüßenswerten<br />
Beschluss der Landesjustizminister<br />
zu den Reformvorhaben des<br />
Bundes im Recht der Insolvenzanfechtung.<br />
Mit diesem Beschluss bringen die<br />
Landesjustizminister ihre Besorgnis gegenüber<br />
der von der Bundesregierung<br />
vorgeschlagenen Änderung der Insolvenzanfechtung<br />
zum Ausdruck. Der<br />
Vorschlag der Bundesregierung will erneut<br />
Privilegien für die Anfechtung<br />
durch öffentliche Kassen einführen.<br />
9 Abschlussbericht der Bund-Länder-<br />
Arbeitsgruppe „Aufgabenübertragung<br />
auf Notare“: Der DAV hält die Übertragung<br />
von Aufgaben auf die (Anwalts-)Notare,<br />
insbesondere im Bereich<br />
des Nachlasswesens, für zweckmäßig.<br />
Im Nachlasswesen sind freilich noch<br />
genaue Analysen im Detail erforderlich.<br />
Von einer Öffnungsklausel für die<br />
Länder in diesen Regelungsbereichen<br />
sollte abgesehen werden.<br />
Alle Beschlüsse der Justizministerkonferenz<br />
im Internet unter www.anwalt<br />
verein.de/01/beschluesse.pdf.<br />
VI AnwBl 1 / 2006<br />
England und Wales<br />
Neuer Rechtsrahmen<br />
für anwaltliche<br />
Dienstleistungen<br />
Die anwaltliche Selbstverwaltung in<br />
Großbritannien wird voraussichtlich<br />
2006 völlig neu strukturiert. Hintergrund<br />
dafür ist, dass Sir David Clementi<br />
(ehemaliger stellvertretender<br />
Präsident der Bank of England) 2003<br />
den Auftrag der englischen Regierung<br />
erhielt, die Regeln des britischen<br />
Rechtsberatungsdienstleistungsmarktes<br />
umfassend zu überprüfen. Nachdem im<br />
Laufe der Untersuchungen verschiedene<br />
Regulierungsmodelle erwogen<br />
wurden, hatte sich Clementi hinsichtlich<br />
der Organisation der Britischen<br />
Anwaltsvereinigungen für eine weitgehende<br />
Umwälzung des bestehenden<br />
Regulierungssystems ausgesprochen.<br />
Danach sollte es eine deutliche Trennung<br />
zwischen regulierenden und repräsentativen<br />
Aufgaben geben, um Interessenkonflikte<br />
zu vermeiden (siehe<br />
AnwBl 2004, 430). Nunmehr liegt das<br />
Weißbuch des Department for Constitutional<br />
Affairs vor. Das nimmt den Bericht<br />
von Sir David Clementi aus dem<br />
Dezember 2004 im wesentlichen auf.<br />
Die neue Struktur soll das Wirrwarr an<br />
bisherigen Institutionen auflösen. Verbraucher<br />
sollen sich darauf verlassen<br />
können, dass die Regulierungen verhältnismäßig<br />
sind und ihre Interessen<br />
grundsätzlich geschützt werden. Entsprechend<br />
heißt das Weißbuch auch<br />
„The Future of Legal Services: Putting<br />
Consumers first“.<br />
Im Einzelnen: Das Weißbuch lässt<br />
die sog. Front Line Regulators wie Bar<br />
Council und die Law Society bestehen.<br />
Allerdings wird die Law Society nicht<br />
mehr regulatorische Aufgaben und Interessenvertretung<br />
zugleich übernehmen.<br />
Das Legal Services Board (LSB)<br />
wird in Zukunft die regulatorischen<br />
Aufgaben kontrollieren. Die Aufgaben<br />
und Befugnisse des LSB sollen dabei<br />
klar geregelt werden. Die Law Society<br />
und das Bar Council werden danach<br />
von dem LSD für die tägliche Arbeit<br />
autorisiert. Sie müssen die Verbraucherinteressen<br />
berücksichtigen. Alle täglichen<br />
regulatorischen Maßnahmen, so<br />
z. B. Disziplinarmaßnahmen gegen Anwälte,<br />
würden in dem neuen Office for<br />
Legal Complaints (OLC) behandelt,<br />
um den disziplinarischen Prozess zu<br />
vereinfachen. Durch das OLC soll das<br />
Vertrauen des Verbrauchers in das System<br />
gestärkt werden. Es geht um ein<br />
unabhängiges Beschwerdemanagement.<br />
Der Rat soll schnell und fair erreicht<br />
werden.<br />
Die Regierung will einen Regierungsentwurf<br />
noch in dieser Legislatur<br />
veröffentlichen. Demnach kann noch<br />
im Jahr 2005/2006 mit einem Gesetzentwurf<br />
gerechnet werden. Daneben<br />
sollen verbraucherschützende Gesetze<br />
erlassen werden, wie z. B. ein Compensation<br />
Bill. Kosten für die Veränderung<br />
soll der Berufsstand selbst tragen.<br />
Bewertung<br />
Zum jetzigen Zeitpunkt soll nur<br />
festgehalten werden, dass aus Sicht des<br />
DAV eine Trennung zwischen regulatorischen<br />
Aufgaben und Aufgaben der<br />
Interessenvertretung begrüßt wird. Das<br />
würde dem rechtlichen Status Quo in<br />
Deutschland entsprechen. Aus Sicht<br />
des DAV ist das deutsche Modell ein<br />
Modell für Europa.<br />
Ob allerdings die Multidisciplinary<br />
Partnerships – damit sind die interprofessionellen<br />
Sozietäten gemeint – so<br />
wie vorgesehen sinnvoll sind, ist fraglich.<br />
In Deutschland dürfen derzeit<br />
Anwälte mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern<br />
und Patentanwälten zusammenarbeiten.<br />
Diese unterliegen<br />
weitestgehend ähnlichen Berufsrechten.<br />
Die Trias der Berufsrechte, demnach<br />
das Verbot der Interessenkollision,<br />
die Verschwiegenheitspflicht und<br />
die Unabhängigkeit müssen auch bei<br />
interprofessionellen Sozietäten gewährleistet<br />
werden. Das erscheint fragwürdig,<br />
wenn Außenstehende als Kapitalinvestoren<br />
möglich sind. Banken und<br />
Versicherungen als Anteilseigner sind<br />
nach dem englischen Modell möglich.<br />
Im Zusammenhang mit dem Papier<br />
der Kommission vom 5. September<br />
2005 „Professional Services“, wo zwischen<br />
den Adressaten der anwaltlichen<br />
Dienstleistung unterschieden wird,<br />
demnach zwischen dem privaten Verbraucher<br />
und dem Unternehmen, ist<br />
auch mit diesem Weißbuch ein deutlicher<br />
Fokus eines Gesetzgebers in Richtung<br />
Verbraucherschutz zu erkennen.<br />
Der Zweck ist lobenswert, ob es alle<br />
Mittel sind, ist fraglich.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL. M., Berlin
VIII AnwBl 1 / 2006<br />
MNInformationen<br />
International Bar Association<br />
Umstrukturierung abgeschlossen<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Hellwig hat als Mitglied im Council<br />
der International Bar Association (IBA)<br />
für den Deutschen Anwaltverein mehrfach<br />
über die Umstrukturierung der<br />
IBA berichtet (zuletzt im AnwBl 2005,<br />
129). Die Arbeiten daran sind nunmehr<br />
abgeschlossen. Es gibt eine sog. Bar Issues<br />
Commission (BIC), die berufspolitische<br />
Themen von weltweiter Bedeutung<br />
beraten und entsprechende<br />
Resolutionen dem IBA-Council zur Beschlussfassung<br />
vorschlagen soll. In<br />
Prag gab es auf der IBA-Jahrestagung<br />
Ende September ein intensives BIC-Programm.<br />
Die BIC wird inzwischen zu einem<br />
eigenen Anwaltstag der IBA für<br />
Bar Leaders mit Informationsveranstaltungen<br />
und Show Cases.<br />
In der Vergangenheit bestanden<br />
Spannungen zwischen den 195 Member<br />
Organisations und der IBA Section<br />
in Business Law, da letztere mehrfach<br />
von den kollektiven Mitgliedern nicht<br />
geteilte Positionen im Namen der IBA<br />
gegenüber der Öffentlichkeit verlautbart<br />
hatte. Eine von der Präsidentschaft<br />
eingesetzte Arbeitsgruppe hat nunmehr<br />
die sog. Voice Rules erarbeitet und<br />
diese wurden vom Management Committee<br />
der IBA verabschiedet. Danach<br />
dürfen sich Untergliederungen zu berufspolitischen<br />
Fragen äußern, müssen<br />
aber deutlich machen, dass es sich<br />
nicht um eine IBA-Position handelt.<br />
In Prag fand eine Show Case Session<br />
zu den sog. Core Values der Legal<br />
Profession statt. Hintergrund ist die<br />
derzeitige Überarbeitung des IBA-International<br />
Code of Ethics, beschlossen<br />
1956, überarbeitet 1988. Insbesondere<br />
sprach sich Ramon Mullerat (Spanien)<br />
für eine weltweite anwaltliche Berufsordnung<br />
mit relativ hohem Detaillierungsgrad<br />
aus, da der IBA-International<br />
Code of Ethics sich nur auf die grenzüberschreitende<br />
Tätigkeit beziehe.<br />
Prof. Hellwig wies darauf hin, dass er<br />
von der IBA selbst als genereller Code<br />
of Ethics angesehen werde, also auch<br />
für die rein inländische Tätigkeit. Die<br />
angestrebte Vollharmonisierung sei<br />
gänzlich unrealistisch. Allenfalls könne<br />
die IBA allgemein formulierte gemeinsame<br />
Grundsätze verabschieden, während<br />
Detailformulierungen auf der nationalen<br />
Ebene erfolgen müsse.<br />
Der Präsident der IBA, Francis<br />
Neate, legte einen überarbeiteten Entwurf<br />
zur Rule of Law Resolution vor,<br />
der vom Council verabschiedet wurde.<br />
Die IBA setzt sich damit für eine Verstärkung<br />
der Rechtsstaatsprinzipien<br />
weltweit ein.<br />
Fazit: Das IBA-Meeting in Prag war<br />
mit über 4.000 Teilnehmern, davon 200<br />
Teilnehmer aus Deutschland ein großer<br />
Erfolg.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
Berlin<br />
Alsberg-Tagung<br />
Neue Hirnforschung –<br />
neues Strafrecht?<br />
Die 15. Alsberg-Tagung – veranstaltet<br />
vom Deutschen Strafverteidiger e.V.<br />
und dem Deutschen Richterbund – befasste<br />
sich Ende Oktober in Berlin mit<br />
dem Thema „Neue Hirnforschung –<br />
Neues Strafrecht?“. Handeln wir erst<br />
und wollen wir dann? Neue Erkenntnisse<br />
der Hirnforschung könnten diesen<br />
Schluss zulassen. Was aber könnte dies<br />
bedeuten? Wird damit unsere Willensfreiheit<br />
in Frage gestellt? Hätten damit<br />
wiederum das Strafrecht und das<br />
Schuldprinzip „ausgedient“? Die Alsberg-Tagung<br />
suchte Antworten auf<br />
diese u. a. Fragen im interdisziplinären<br />
Diskurs mit Vertretern der Hirnforschung,<br />
Psychologie, Psychiatrie und<br />
des Strafrechts.<br />
Ehrung für Salditt<br />
Anlässlich der Tagung verlieh der<br />
Deutsche Strafverteidiger e.V. Rechtsanwalt<br />
Prof. Dr. Franz Salditt aus Neuwied<br />
den Max-Alsberg-Preis<br />
2005. Salditt wird damit nicht nur für<br />
seine Tätigkeit als Strafverteidiger und<br />
seine umfangreichen literarischen Verdienste<br />
gewürdigt, sondern auch für -<br />
seinen Einsatz für die European Criminal<br />
Bar Association. Die Laudatio hielt<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hans-Jürgen<br />
Hellwig aus Frankfurt am Main, der<br />
sein internationales Engagement für<br />
Mindeststandards der Beschuldigtenund<br />
Verteidigerrechte hervorhob. Selten<br />
sind bei Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälten fachliches Können,<br />
Überzeugungskraft, dogmatische<br />
Tiefe, Freundlichkeit und Bescheidenheit<br />
in einer Person so vereint, wie bei<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Franz Salditt.<br />
Rechtsanwalt Andreas Hagenkötter,<br />
Ratzeburg
MN Informationen<br />
DACH Europäische<br />
Anwaltsvereinigung<br />
Blick über den Zaun im<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Die Herbsttagung der Vereinigung<br />
fand in Düsseldorf zu dem Thema:<br />
„Betriebliche Expansion ins Ausland –<br />
praktische Hinweise“ statt. Trotz des<br />
für Verhältnisse der DACH bereits sehr<br />
weit nördlich gelegenen Tagungsortes<br />
nahmen weit über 50 Mitglieder an der<br />
Tagung teil. Bei den Referaten zu den<br />
drei Kernländern der Vereinigung,<br />
Deutschland, Österreich und Schweiz<br />
kristallisierte sich als Schwerpunkt der<br />
betrieblichen Expansion ins Ausland<br />
die Gründung von Tochtergesellschaften<br />
in der Rechtsform einer GmbH heraus.<br />
Für alle drei Länder rieten die Referenten<br />
grundsätzlich davon ab, die<br />
Expansion durch den Erwerb von Vorratsgesellschaften<br />
einzuleiten. Die damit<br />
verbundenen Risiken stehen in keinem<br />
vernünftigen Verhältnis zu dem<br />
möglichen minimalen Zeitgewinn.<br />
Bei den Länderberichten zum Fürstentum<br />
Liechtenstein, zu Frankreich, zu<br />
den Niederlanden, zu Italien, zu Tschechien,<br />
zu Slowenien, zu Kroatien und<br />
zu Polen wurden zum Teil andere<br />
Schwerpunkte einer möglichen betrieblichen<br />
Expansion ins Ausland beleuchtet;<br />
wie z. B. die Gründung von Zweigniederlassungen,<br />
die Einbindung von<br />
Handelsvertretern und Vertragshändlern<br />
sowie generell der grenzüberschreitende<br />
Lieferverkehr.<br />
Einen Gesamtüberblick verschaffte<br />
im Übrigen eine synoptische Gegenüberstellung<br />
zu den Themen GmbH-<br />
Gründung, Publizitätserfordernisse und<br />
Organisationsverfassung sowie zu der<br />
Gründung und rechtlichen Behandlung<br />
von Zweigniederlassungen.<br />
Die nächsten Veranstaltungen: Vom<br />
18. bis 20. Mai 2006 findet in Wien die<br />
Frühjahrstagung zu dem Thema „Unternehmensnachfolge“<br />
und vom 21. bis<br />
23. September 2006 in Ljubljana die<br />
Herbsttagung zu dem Thema „Personenfreizügigkeit“<br />
statt.<br />
Rechtsanwalt Dr. Peter Zimmermann,<br />
Düsseldorf<br />
Weitere Informationen zur DACH<br />
Europäische Anwaltsvereinigung e. V.<br />
unter c/o Rechtsanwältin Dr. Susanne<br />
Hüppi, Klosbachstr. 10, CH-8032 Zürich,<br />
Tel.: 00 41/44 252 66 88, Fax:<br />
00 41/44 252 63 90, sh@interlaw.ch<br />
oder unter www.dach-ra.de.<br />
AG Verkehrsrecht<br />
Regionale Fortbildung<br />
9 Anwaltsvergütung im verkehrsrechtlichen<br />
Mandat, Vors. Richter am LG<br />
Heinz Hansens, Berlin (4. Februar<br />
2006, München; 11. Februar 2006, Erfurt;<br />
18. Februar 2006, Bad Bramstedt;<br />
5. Februar 2006, Nürnberg; 4. März<br />
2006, Dresden; 18. März 2006, Neubrandenburg;<br />
1. April 2006, Oldenburg;<br />
8. April 2006, Hannover; 6. Mai 2006,<br />
Hagen; 17. Juni, Düsseldorf; 15 Juli,<br />
Berlin).<br />
9 Fahreignung – Erteilung, Entziehung<br />
und Wiedererteilung der Fahrerlaubnis,<br />
Rechtsanwalt Frank R. Hillmann<br />
III, Oldenburg, Dipl. Psych. Axel<br />
Uhle, TÜV MPI, Saarbrücken (11. Februar<br />
2006, Neukirchen; 18. März<br />
2006, Stuttgart).<br />
9 Schadensersatz in der Rechtsprechung<br />
des VI. Zivilsenats des BGH,<br />
Richter am BGH Wolfgang Wellner,<br />
Karlsruhe (18. Februar 2006, Freiburg<br />
Teilnehmergebühr der Veranstaltungen:<br />
140 E für Mitglieder der ARGE;<br />
190 E für Nichtmitglieder.<br />
Anmeldungen (bitte schriftlich) und<br />
weitere Informationen: Arbeitsgemeinschaft<br />
Verkehrsrecht, Veranstaltungsorganisation,<br />
wendling@verkehrs<br />
recht.de, Gansweide 21, 53359 Rheinbach,<br />
Tel: 02226 / 91 20 91, Fax: – 95.<br />
AG Mietrecht und WEG<br />
WEG-Rechtsfähigkeit<br />
Die AG Mietrecht und WEG veranstaltet<br />
am Samstag, 11. Februar<br />
2006, von 10.00 bis 17.15 Uhr, in<br />
Frankfurt/M. im Holiday Inn Frankfurt<br />
Airport-North, Isenburger Schneise 40,<br />
eine Sonderveranstaltung zum Thema<br />
„Die Rechtsfähigkeit der WEG!“. Referenten<br />
sind VRiBGH und Vizepräsident<br />
a. D. Dr. Joachim Wenzel sowie<br />
die Rechtsanwälte Michael Drasdo und<br />
Jan-Hendrik Schmidt.<br />
Anmeldung und weitere Informationen:<br />
Deutsche Anwaltakademie, Frank<br />
Ritter, Littenstr. 1, 10179 Berlin, Tel.: 0<br />
30/72 61 53-181, Fax: 0 30/72 61<br />
53-188, ritter@anwaltakademie.de.<br />
AnwBl 1 / 2006 IX
Im Auftrag des<br />
Deutschen Anwaltvereins<br />
herausgegeben von den<br />
Rechtsanwälten:<br />
Felix Busse<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack<br />
Wolfgang Schwackenberg<br />
Juristenausbildung 2006 –<br />
nur Qualität sichert den<br />
Anwaltsberuf *<br />
Warum die Anwaltschaft eine<br />
Spartenausbildung braucht<br />
Q<br />
Redaktion:<br />
Dr. Nicolas Lührig (Leitung)<br />
Dr. Peter Hamacher<br />
Udo Henke<br />
Rechtsanwälte<br />
Jahrgang 56<br />
<strong>Januar</strong> 2006<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger, Tübingen<br />
Wo steht die unendliche Geschichte der Reform der Juristenausbildung<br />
am Anfang des Jahres 2006? Wir stellen<br />
fest: Auch die reformierte Juristenausbildung erfüllt nicht<br />
die an sie gestellten Anforderungen. Das Jura-Studium<br />
und das Referendariat sind weiter in der Diskussion. Sogar<br />
bis in den Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung1<br />
hat es die Juristenausbildung geschafft: Es wird Reformbedarf<br />
festgestellt, konstruktive Lösungsansätze<br />
allerdings sucht man dort vergebens. Die Justizministerkonferenz<br />
hat auf ihrer Herbsttagung 2005 in Berlin dagegen<br />
einen Reformbedarf festgestellt und den Auftrag erteilt,<br />
bis 2008 ein Spartenausbildungsmodell zu<br />
erarbeiten. 2 Der DAV wird diesen Prozess unterstützen und<br />
beschleunigen: Noch im Laufe des Jahres 2006 wird ein<br />
Gesetzentwurf zur Umsetzung der Spartenausbildung vorgelegt<br />
werden.<br />
I. Bologna-Prozess: „Wer nicht handelt, der wird<br />
behandelt.“<br />
An den Universitäten haben sich die juristischen Fakultäten<br />
mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sie sich aus der<br />
deutschen und europäischen Hochschulentwicklung ausklinken<br />
wollen, um das bisherige Jurastudium wie gewohnt weiterzuführen<br />
oder ob die Qualität der Ausbildung durch die<br />
Umsetzung des Bologna-Prozesses weiter erhöht werden<br />
kann. Die Grundpfeiler des Bologna-Prozesses, zu dessen<br />
Umsetzung sich Deutschland gemeinsam mit mittlerweile<br />
45 Staaten in Europa3 verpflichtet hat, sind von Dauner-Lieb<br />
in diesem Heft4 dargestellt.<br />
Zugegeben: Auf den ersten Blick scheint Manches von<br />
dem, was die europäischen Bildungsminister verabredet haben,<br />
nicht auf das deutsche Jurastudium zu passen. Zu national<br />
ist der Lehrstoff, zu groß das Renomée der Juristenausbildung,<br />
die mit dem Staatsexamen vergleichbare Abschlüsse<br />
schafft, die ein gleich bleibend hohes Niveau der Absolventen<br />
gewährleisten. Außerdem können wir in Deutschland auf<br />
ein erfolgreiches duales Bildungssystem blicken, das hochwertige<br />
Berufsausbildungen bietet, die die massenhafte Produktion<br />
von Bachelors of Law unnötig machen könnte. Wichtig<br />
scheint mir in diesem Zusammenhang darauf<br />
hinzuweisen, dass die Reform bereits eine beträchtliche Eigendynamik<br />
entwickelt hat. 5 Anlässlich einer vom Deutschen<br />
Juristen-Fakultätentag, dem Deutschen Hochschulverband<br />
und dem DAV organisierten Berliner Fachtagung zum<br />
Bologna-Prozess 6 brachte der bayerische Bildungspolitiker<br />
Dr. Ludwig Spänle es auf den Punkt: „Wer nicht handelt, der<br />
wird behandelt.“ Also: Der Bologna-Prozess ist unumkehrbar.<br />
Noch ist es möglich, ihn mitzugestalten. Die an der Diskussion<br />
um die Juristenausbildung Beteiligten sollten verhindern,<br />
dass Wissenschafts- und Finanzministerien die<br />
Lokomotive des Reformprozesses werden, damit nicht Budgetfragen,<br />
sondern die Auseinandersetzung um die best mögliche<br />
Juristenausbildung die Diskussion bestimmt.<br />
Die Diskussion um die Reform der universitären Juristenausbildung<br />
soll im Wesentlichen an den Fakultäten<br />
geführt werden. Was wir Anwälte uns wünschen, ist kurz<br />
gesagt: Wir wollen wissenschaftlich ausgebildete Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte. Wir wollen reflektierende<br />
Praktiker und keine „Rechtshandwerker“. Reflexionsfähigkeit<br />
setzt eine breite rechtswissenschaftliche Ausbildung<br />
voraus. Wir wollen, dass die Universitäten nicht nur Wissen<br />
vermitteln, sondern Studenten einen Blick auf unser Rechtssystem<br />
vermitteln. Studierende sollen nicht nur lernen, Normen<br />
anzuwenden, sondern auch, sie zu hinterfragen. Zu einer<br />
rechtswissenschaftlichen Ausbildung, wie sie jeder<br />
zukünftige Anwalt und jede zukünftige Anwältin durchlau-<br />
* Überarbeitete und ergänzte Fassung eines Vortrags, den der Verfasser am 13.<br />
April 2005 an der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster gehalten hat.<br />
1 Vgl. http://www.bundesregierung.de/Anlage920135/Koalitionsvertrag.pdf.<br />
2 ftd.de vom 17. November 2005: „Justizminister lehnen Reform des Jura-Studiums<br />
ab“<br />
3 Nach Ziekow, Die Auswirkungen des Bologna-Prozesses auf die deutsche Juristenausbildung,<br />
2004, S. 6 haben sich lediglich Weißrussland, die Ukraine und<br />
Moldawien dem Bologna-Prozess nicht angeschlossen.<br />
4 S. 5 mit weiteren Nachweisen zur Diskussion.<br />
5 Hierzu sehr pointiert der damalige Präsident der Hochschulrektorenkonferenz<br />
Gaehtgens, DER SPIEGEL v. 22. November 2005: „Groteske Vorstellung“<br />
6 Symposium „Der Bologna-Prozess und die Juristenausbildung in Deutschland“,<br />
22. September 2005, vgl. Brügmann, AnwBl 2005, 756.<br />
AnwBl 1 / 2006 1
MN Aufsätze<br />
fen muss, gehören neben der Vermittlung der Grundlagen<br />
des geltenden Rechts auch Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte,<br />
-philosophie, -methodik 7 , -vergleichung oder<br />
-soziologie. Anwältinnen und Anwälte müssen ein Verständnis<br />
dieser Grundlagenfächer haben, um die geltenden<br />
Normen zu verstehen und anzuwenden. Anwältinnen und<br />
Anwälte werden häufig mit Sachverhalten konfrontiert, für<br />
deren Bearbeitung ein Verständnis nicht nur der unmittelbar<br />
anwendbaren Normen, sondern des Systems unserer Rechtsordnung<br />
samt ihrer Grundlagen notwendig ist. Eine breite<br />
Grundausbildung ist gerade in Zeiten, in denen das Recht<br />
sich immer weiter ausdifferenziert, unverzichtbar. Wir Anwälte<br />
haben eine weitere Forderung an das Jurastudium:<br />
Die Universität muss die Studierenden in die Lage versetzen,<br />
nach dem ersten Examen eine Berufsentscheidung zu<br />
treffen. Eine Entscheidung erst nach dem zweiten Staatsexamen<br />
ist zu spät. Es wäre ein enormer Fortschritt, wenn<br />
alle Studierenden die Möglichkeit hätten, schon vor dem<br />
ersten Examen mehr als bisher Vorstellungen darüber zu haben,<br />
welchen Beruf sie dereinst ergreifen werden und ob er<br />
für sie und sie für ihn geeignet ist.<br />
II. Anwaltsqualität durch Anwaltsausbildung<br />
Neben der Reform des Studiums müssen wir allerdings<br />
unser drängendstes Problem in den Griff bekommen: Die<br />
Qualität der Ausbildung im Referendariat. Und dieses Problem<br />
lässt sich nur durch eine echte berufsbezogene Anwaltsausbildung8<br />
lösen. Das Modell des DAV sieht die folgenden<br />
Eckpunkte vor:<br />
9 Zur Sicherung der erforderlichen Ausbildungsqualität ist<br />
es nach Ansicht des DAV dringend erforderlich, das herkömmliche<br />
Referendariat abzuschaffen. Nach dem DAV-<br />
Modell soll der juristische Vorbereitungsdienst unmittelbar<br />
nach der ersten juristischen Prüfung in getrennten<br />
Ausbildungsgängen beginnen. Die Universitätsabsolventen<br />
müssen sich entscheiden, ob sie die Justizlaufbahn ergreifen<br />
möchten, in die öffentliche Verwaltung gehen<br />
oder Rechtsanwalt werden wollen. Anwalt kann dann nur<br />
werden, bei dem gesichert ist, dass er Anwalt auch gelernt<br />
hat. Der DAV steht nicht allein mit seiner Forderung<br />
nach einer Einführung von berufsbezogenen Ausbildungsgängen:<br />
Auch die Konferenz der Justizministerinnen und<br />
Justizminister sieht die möglichen Vorteile einer berufsbezogenen<br />
postuniversitären Ausbildung und hat den<br />
Ausschuss zur Koordinierung der Juristenausbildung beauftragt,<br />
ein Diskussionsmodell für die Umsetzung bis<br />
2008 zu erarbeiten. 9 Unter den Berufsverbänden der klassischen<br />
juristischen Berufe ist es insbesondere der Deutsche<br />
Richterbund, der eine Spartenausbildung nach dem<br />
1. Staatsexamen befürwortet. 10<br />
9 Die Ausbildungszeit von 24 Monaten soll beibehalten<br />
werden. Gute Ausbildung – Praxis und vertiefende Theorie<br />
– braucht Zeit; diese Zeit hat man den Referendaren<br />
traditionell gegeben; man wird sie für eine Anwaltsausbildung<br />
mindestens brauchen.<br />
9 An der Ausbildung kann nur teilnehmen, wer einen anwaltlichen<br />
Ausbildungsplatz findet. Wo auch sonst sollte<br />
die Ausbildung zum Anwalt möglich sein?<br />
9 Ausbildungsstationen bei Gericht und in der öffentlichen<br />
Verwaltung sind für Anwaltsreferendare weiterhin vorgesehen.<br />
Umgekehrt sollen angehende Richter und Ver-<br />
2 AnwBl 1 / 2006<br />
waltungsjuristen in ihrem Vorbereitungsdienst eine Anwaltsstation<br />
absolvieren.<br />
9 Die Ausbildung zur Rechtsanwältin, zum Rechtsanwalt<br />
wird bundeseinheitlich geregelt. Der Anwaltsberuf ist ein<br />
bundeseinheitlicher Beruf, der sich im europäischen Wettbewerb<br />
bewähren muss. Unterschiedliche Standards nach<br />
Ländern oder gar Kammerbezirken dürfen sich nicht entwickeln.<br />
Das ist auch rechtlich nicht problematisch, denn<br />
der Bundesgesetzgeber kann im Rahmen seiner konkurrierenden<br />
Gesetzgebungskompetenz die Ausbildung und<br />
Prüfung der Rechtsanwälte bundeseinheitlich regeln,<br />
Art. 74 Abs. 1 Nr. 1, 72 Abs. 2 GG. 11<br />
9 Alle Ausbildungsgänge, die der Anwälte, der Juristen in<br />
der Justiz und der Juristen in der öffentlichen Verwaltung,<br />
werden mit einer Staatsprüfung beendet, wodurch die<br />
Gleichwertigkeit aller dieser Ausbildungsgänge gesichert<br />
wird. Die Prüfung sollte von den Landesjustizprüfungsämtern<br />
abgenommen werden.<br />
9 Die Alimentierung der Anwaltsreferendare ist nach dem<br />
DAV-Vorschlag während der anwaltlichen Ausbildungsstation<br />
Sache des ausbildenden Anwalts, während der<br />
Stationen bei Gericht und Verwaltung und während der<br />
Prüfung Sache des Staates.<br />
9 Die Durchlässigkeit zwischen Ausbildungsgängen und<br />
Berufen wird durch entsprechende Regelungen gewährleistet.<br />
Auch in Zukunft soll ein Richter Anwalt werden<br />
können und umgekehrt. Die Regelungen über die Zulassung<br />
von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten aus anderen<br />
Staaten der Europäischen Union zeigen uns einen<br />
gangbaren Weg auf. 12<br />
9 Abgesehen von der Staatsprüfung und den Stagen in Justiz<br />
und Verwaltung liegt die Anwaltsausbildung – anders<br />
als das staatliche Referendariat – in den Händen der Anwaltschaft<br />
und damit bei den Kammern.<br />
III. Reformbedarf ist unstrittig<br />
Die jüngste Reform der Juristenausbildung ist misslungen.<br />
Es handelt sich im postuniversitären Bereich um eine<br />
Scheinreform. Es gibt lediglich eine Verlängerung der Anwaltsstation,<br />
allerdings ohne dass anwaltliche Inhalte den<br />
Stellenwert bekommen hätten, der ihnen gebührte. Die Anwalts-Stage<br />
liegt in den meisten Bundesländern weiterhin<br />
7 Zur juristischen Methodik gehört neben der Methode des (richterlichen) Entscheidens<br />
auch die Methodik der (anwaltlichen) Rechtsberatung und -durchsetzung.<br />
Anwälte müssen nicht nur gelernt haben zu subsumieren, sondern müssen<br />
interessengeleitet beraten können.<br />
8 Vgl. „Vorschläge des Deutschen Anwaltvereins (DAV) zur Reform des juristischen<br />
Vorbereitungsdienstes durch Einrichtung einer gesonderten Anwaltsausbildung<br />
und weiterer Ausbildungsgänge (Spartenausbildung)“, vom Vorstand<br />
des DAV auf seiner Sitzung am 22. und 23. September 2004 verabschiedete<br />
Fassung, http://www.anwaltverein.de/anwaltausbildung/modell.pdf.<br />
9 Vgl. Beschlüsse der Herbstkonferenz der Justizministerinnen und -minister<br />
vom 17. November 2005, http://www.justiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/be<br />
schluesse/2005/herbstkonferenz05/I¹.html<br />
10 Vgl. die Stellungnahme des DRiB „Der Bologna-Prozess und seine möglichen<br />
Auswirkungen auf die Juristenausbildung“ vom 26. <strong>Januar</strong> 2005, im Anlagenband<br />
zum Bericht des Ausschusses der Justizministerkonferenz zur Koordinierung<br />
der Juristenausbildung „Der Bologna-Prozess und seine möglichen Auswirkungen<br />
auf die Juristenausbildung“, Anlage 4/14, http://www.justiz.<br />
nrw.de/JM/justizpolitik/schwerpunkte/bologna_prozess/index.html.<br />
11 So auch Bericht Koordinierungsausschuss, S. 243 (http://www.justiz.nrw.de/<br />
JM/justizpolitik/schwerpunkte/bologna_prozess/abschlussbericht.pdf).<br />
12 Vgl. insbesondere die RL 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates<br />
zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem<br />
anderen Mitgliedsstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde<br />
(Rechtsanwalts-Niederlassungsrichtlinie) und das Gesetz über die Tätigkeit europäischer<br />
Rechtsanwälte in Deutschland (EuRAG).
MN Aufsätze<br />
vor den schriftlichen Prüfungen des 2. Staatsexamens. Wir<br />
hören aus verschiedenen Regionen, dass die Anwaltsstation<br />
wieder als – nunmehr verlängerte – Tauchstation benutzt<br />
wird. Nur wenige Referendarinnen und Referendare nutzen<br />
die Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten, um sich zielgerichtet<br />
auf den Anwaltsberuf vorzubereiten. Diese gehören<br />
zu denjenigen, die wir auch in der Anwaltschaft sehen<br />
wollen.<br />
IV. DAV-Anwaltausbildung als Vorbild für die Anwaltsausbildung<br />
Eben weil die Reform der Juristenausbildung unzureichend<br />
ist, wieder keine wirkliche Anwaltsausbildung zum<br />
Ziel hat und weil wir nicht länger warten können, haben wir<br />
das Ausbildungsmodell der DAV-Anwaltausbildung13 entwickelt<br />
und im Jahr 2003 ins Werk gesetzt. Mit der DAV-<br />
Anwaltausbildung wird den am Anwaltsberuf Interessierten<br />
schon jetzt eine Anwaltsausbildung angeboten. Die DAV-<br />
Anwaltausbildung ist die einzige anwaltliche Ausbildung,<br />
der ein verbindliches Curriculum zugrunde liegt, das eine<br />
12-monatige praktische und 3-monatige theoretische Ausbildung<br />
zum Anwaltsberuf miteinander verzahnt. Sie geht<br />
weit über das hinaus, was im staatlichen Referendariat an<br />
anwaltsbezogener Juristenausbildung angeboten wird. Wer<br />
die DAV-Anwaltausbildung durchlaufen hat, hat als Berufsanfänger<br />
einen Vorsprung vor seinen Wettbewerbern. Die<br />
DAV-Anwaltausbildung kann nach Aufbau und Curriculum<br />
als Vorbild für die Spartenausbildung zum Anwalt dienen.<br />
Die Inhalte des geforderten Anwaltsreferendariats können<br />
sich an dem im Feldversuch erprobten Lehrplan der DAV-<br />
Anwaltausbildung orientieren.<br />
V. Anwaltsberuf spannend und wirtschaftlich interessant<br />
Wir gehen davon aus, dass die Anwaltschaft jedes Jahr<br />
um die 2.000 bis 3.000 junge Kolleginnen und Kollegen als<br />
Nachwuchs braucht. Diese engagierten und motivierten jungen<br />
Juristinnen und Juristen gilt es zu gewinnen. Wir sind<br />
dabei guten Mutes: Der Anwaltsberuf ist einer der spannendsten,<br />
kreativsten und auch wirtschaftlich interessantesten<br />
juristischen Berufe, die es gibt. Viele gute Juristen werden<br />
Anwälte.<br />
VI. Mögliche Einwände<br />
1. Warum schon wieder Reformen?<br />
Dem DAV wird häufig die Frage gestellt: Warum kommen<br />
Sie jetzt – nach der Reform der Juristenausbildung aus<br />
dem Jahre 2003 – mit ihren Vorschlägen? Sollten wir nicht<br />
erst einmal die Ergebnisse dieser Reform abwarten? 14 Unsere<br />
klare Antwort darauf: Wir können uns Reformmüdigkeit<br />
auf diesem Sektor nicht erlauben. Reformen sind durchzuführen,<br />
wenn ein Reformbedürfnis festgestellt wird. Und<br />
dies ist hier der Fall. Im Übrigen haben die Diskussionen<br />
der vergangenen Jahre und Jahrzehnte gezeigt, dass Reformen<br />
der Juristenausbildung im Abstand von jeweils wenigen<br />
Jahren möglich waren. Die Reform aus dem Jahr 2003<br />
hat nicht das gebracht, was wir brauchen. Ein Zuwarten<br />
oder ein „Weiter so“ ist nicht zu verantworten. Handeln ist<br />
geboten.<br />
2. Aufgabe des „Einheitsjuristen“?<br />
Der folgende Einwand ist ernst zu nehmen, aber nicht<br />
überzeugend: Der große Vorteil der deutschen Juristenausbildung<br />
sei die Ausbildung zum so genannten „Einheitsjuristen“.<br />
Die Verfechter der Spartenausbildung würden ihn<br />
ohne Not aufgeben. 15 Der Einheitsjurist ist ein viel beschworenes<br />
Bild von dem Volljuristen, der Richter, Staatsanwalt<br />
oder Anwalt sein kann. Die Ausbildung zum Einheitsjuristen<br />
verschaffe allen Vertretern der klassischen juristischen<br />
Berufe die Möglichkeit, auf Augenhöhe miteinander zu<br />
kommunizieren. Ich möchte als Kontrast dazu Folgendes ins<br />
Bewusstsein rufen: Wenn man in die Geschichte schaut,<br />
sieht man, dass der „Einheitsjurist“ nicht bloß geschaffen<br />
wurde, um gleiche Augenhöhe zu schaffen. Vielmehr ist die<br />
Einbindung der Anwaltsausbildung in die staatliche Juristenausbildung<br />
ein Relikt des späten 18. Jahrhunderts, der<br />
Einbindung der Advokatur in den Staatsdienst. Der Staat<br />
gab Anwälten Staatsnähe und enthielt ihnen damit einen guten<br />
Teil ihrer Freiheit vor. Außerdem: Ein Anwalt, eine Anwältin<br />
braucht nicht die Befähigung zum Richteramt, um<br />
mit Richtern auf gleicher Augenhöhe verhandeln zu können.<br />
Außerdem: Den überkommenen deutschen Einheitsjuristen<br />
gibt es schon lange nicht mehr. Er hatte spätestens dann<br />
seine Berechtigung verloren, als das zahlenmäßige Verhältnis<br />
der Berufsträger sich immer weiter auseinander entwickelte.<br />
Wenn heute jährlich von 10.000 Absolventen des<br />
zweiten Staatsexamens vier Prozent in die Justiz gehen,<br />
weitere sechs Prozent in die öffentliche Verwaltung, ca. 15<br />
Prozent in die freie Wirtschaft und ungefähr 75 Prozent in<br />
die Anwaltschaft, dann ist eine Ausbildung, die die „Befähigung<br />
zum Richteramt“ als Lernziel postuliert, um dann nur<br />
den Anwaltszugang zu eröffnen, eine erstaunliche „Ausbildungspirouette“<br />
16 .<br />
Allerdings ist es unserer Ansicht nach richtig, dass alle<br />
Vertreter der klassischen juristischen Berufe in Anwaltschaft,<br />
Justiz und öffentlicher Verwaltung eine gleiche Sprache sprechen.<br />
Das ist der richtige Kern des Einheitsjuristen. Die Ausbildung<br />
darf sich also nicht allzu früh auseinander entwickeln.<br />
Aus Sicht des DAV müssen es die Universitäten<br />
sein, an denen die gemeinsame Sprache, die den Einheitsjuristen<br />
ausmacht, erlernt wird. Kurz: Der Einheitsjurist alter<br />
Prägung ist nach unserer Meinung am Ende. Es ist Zeit, ihn<br />
neu zu definieren. Der Schlüssel liegt in den Universitäten.<br />
3. Spartenausbildung unsozial?<br />
Nicht jeder wird einen Ausbildungsplatz für die postuniversitäre<br />
Ausbildung bekommen. Das ist hart, aber unserer<br />
Ansicht nach nicht unfair. 17 Wir halten dieses System sogar<br />
für ehrlicher als das bisherige. Den Juristen in der Ausbildung<br />
wird nicht mehr vorgegaukelt, „man könne mit Jura alles<br />
machen“. Wir sagen deswegen: die Berufsentscheidung<br />
muss früher fallen. Und wer 24 Jahre jung ist, wird sich<br />
13 Details zu Aufbau und Curriculum unter www.dav-anwaltausbildung.de.<br />
14 Für ein Abwarten auf die Evaluation der jüngsten Juristenausbildung plädiert<br />
neben der Justizministerkonferenz und dem Deutschen Juristen-Fakultätentag<br />
insbes. die BRAK, vgl. Resolution der 104. Hauptversammlung der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
am 29.4.2005 in Bremen, BRAK-Pressemitteilung Nr. 13<br />
vom 29. April 2005.<br />
15 Vgl. hierzu Dombek, BB 2005, 1<br />
16 Diese „Ausbildungspirouette“ kostet die Länder übrigens jährlich ca. 500 Millionen<br />
EUR, vgl. DAV-Pressemeldung 43/05 vom 17. November 2005 (Seite 36<br />
in diesem Heft).<br />
17 A. A. Jeep, Nur Schwimmen für den Thriathlon? AnwBl 2005, 632<br />
AnwBl 1 / 2006 3
MN Aufsätze<br />
leichter und besser umorientieren können, als ein 28-jähriger<br />
Absolvent des zweiten Staatsexamens das kann, der<br />
dann erfährt, dass ihm nur der Weg in den Anwaltsberuf<br />
bleibt. Die Spartenausbildung hat also eine Nebenwirkung:<br />
nämlich die Reduzierung der Zulassungszahlen. Wäre dies<br />
die einzige Motivation für Reformen, wäre das in der Tat<br />
problematisch. Als Nebeneffekt ist sie aber gewollt und<br />
auch verfassungsrechtlich unproblematisch. 18<br />
4. Schutzwall um Rechtsanwälte?<br />
Der DAV ist der Berufsverband der Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte in Deutschland. Daher wirft man uns<br />
vor, dass das Anwaltsausbildungsmodell lediglich dem<br />
Schutz vor Konkurrenz des eigenen Berufsstandes dienen<br />
soll. 19 Das ist kurzsichtig und falsch. Erstes Ziel des Anwaltsausbildungsmodells<br />
ist die Sicherung und Verbesserung<br />
der Qualität der Juristenausbildung, damit die Anwaltschaft<br />
auf dem heftig umkämpften<br />
Rechtsberatungsmarkt bestehen kann. Wir wollen eine wirkliche<br />
Ausbildung unseres eigenen Nachwuchses zum Anwalt<br />
gewährleisten. Wir brauchen hoch qualifizierten Nachwuchs.<br />
Ca. 3.000 Berufsanfänger sind sehr willkommen.<br />
Die meisten Referendarinnen und Referendare werden weiterhin<br />
nur zum Schein durch die Anwaltsstage geschleust,<br />
ohne dass eine wirkliche Ausbildung stattfindet. In der Diskussion<br />
über die Ausbildungsbereitschaft der Anwaltschaft<br />
wird außerdem Folgendes übersehen: Die Leistungsbereitschaft<br />
der Referendare und die für eine nützliche Ausbildung<br />
in anwaltlicher Arbeit notwendige zeitliche Ausdehnung<br />
der einzelnen anwaltlichen Ausbildungsabschnitte<br />
machen die Ausbildungsanstrengungen für den ausbildenden<br />
Rechtsanwalt lohnend. Je mehr Zeit er in den Referendar<br />
investiert, je besser und damit je verwendbarer werden<br />
die Leistungen des Referendars. Gute Ausbildung zahlt sich<br />
aus. Dieser Gesichtspunkt macht im Rahmen eines anwaltlichen<br />
Ausbildungsganges die Ausbildung der Anwaltsreferendare<br />
für eine große Zahl der Anwälte attraktiv, während<br />
sie gegenwärtig unattraktiv ist.<br />
Was zu verhindern ist, ist minder qualifizierte Konkurrenz.<br />
Denn es gibt zwei einfache Argumente dafür, dass jeder<br />
Anwalt und die Anwaltschaft als Ganzes hoch qualifizierte<br />
Kolleginnen und Kollegen braucht: Einmal ein<br />
praktisches Argument: Es ist viel einfacher und im Ergebnis<br />
für alle Beteiligten befriedigender und letztlich gerechter,<br />
einen Rechtsstreit mit einem Kollegen auszutragen, der über<br />
hohe anwaltliche Kompetenz verfügt. Schlecht ist ein<br />
schlechter Anwalt auf der Gegenseite. Das zweite Argument<br />
gilt für unseren gesamten Berufsstand und damit für<br />
die Rechtspflege insgesamt: Wenn ein Mandant sich von einem<br />
Anwalt schlecht beraten fühlt, dann kann er zu einem<br />
anderen Anwalt gehen, von dem er sich besser qualifizierten<br />
Rechtsrat erhofft. Er kann sich aber auch dafür entscheiden,<br />
überhaupt keinen Anwalt mehr aufzusuchen. Wir wollen<br />
aber, dass Bürger mit ihren Rechtsproblemen zu uns<br />
Rechtsanwälten kommen. Daher ist es in unserem ureigens-<br />
18 So zuletzt Bericht Koordinierungsausschuss, S. 289.<br />
19 Besonders kritisch mit Hinweis auf mögliche Auswirkungen auf das Rechtsberatungsmonopol<br />
der Anwaltschaft Kilian, Die Europäisierung des Hochschulraumes,<br />
o. J., S. 20 f.<br />
20 So sehr deutlich Stähle, Mitteilungen der RAK München III/05, S. 1: „... Anwaltschaft<br />
zur Heranbildung ihres eigenen Nachwuchses nicht bereit und geeignet<br />
... .“<br />
21 So Bericht Koordinierungsausschuss, S. 291.<br />
4 AnwBl 1 / 2006<br />
ten Interesse, die Qualität der Dienstleistungen der Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte hoch zu halten, und zwar<br />
aller Rechtsanwälte.<br />
Daher müssen wir erreichen, dass wo Rechtsanwalt drauf<br />
steht, Rechtsanwalt drin sein muss – das eben gewährleistet<br />
das gegenwärtige System nicht.<br />
5. Überforderung der Anwaltschaft<br />
Ein letztes Gegenargument ist bedauerlicherweise auch<br />
aus der Anwaltschaft zu hören: Die Anwaltschaft könne aus<br />
eigener Kraft und mit eigenen Mitteln die Anwaltsausbildung<br />
nicht leisten, weil die Ausbildungskapazitäten in den<br />
Anwaltsbüros zu gering seien. 20 Diese Einschätzung halte<br />
ich für schlicht falsch. Schon im Rahmen der DAV-Anwaltausbildung<br />
– einem auf Freiwilligkeit aufbauenden Modell<br />
– können wir mehr als 1.000 qualifizierte Ausbildungsplätze<br />
anbieten. Und das in international ausgerichteten Großkanzleien<br />
wie in kleinen Anwaltsgemeinschaften oder bei Einzelanwälten.<br />
Die Befürchtung, erfahrene und gut qualifizierte<br />
Anwälte würden bereits aus zeitlichen Gründen nicht<br />
in der Lage sein, sich um die Ausbildung der angehenden<br />
Kolleginnen und Kollegen zu kümmern, es sei vielmehr zu<br />
erwarten, dass unerfahrene und gering qualifizierte Anwälte<br />
die Ausbildungslast übernähmen 21 , ist – gelinde gesagt – absurd<br />
und getragen von einer Unkenntnis der Marktmechanismen.<br />
Wir Anwälte wollen uns nicht aus unserer Verantwortung<br />
stehlen. Wir brauchen auch nicht den Staat, damit<br />
er uns Arbeit abnimmt, die eigentlich zu unseren Aufgaben<br />
gehört. Wir brauchen den Staat für die rechtswissenschaftliche<br />
Universitätsausbildung. Und wir brauchen den Staat,<br />
damit unsere angehenden Kolleginnen und Kollegen die Berufe<br />
im Staatsdienst kennen lernen können. Wir brauchen<br />
den Staat für die Staatsprüfung. Aber alles darüber hinaus<br />
können wir selbst leisten.<br />
VII. Schluss<br />
Die Anwaltsausbildung ist das Angebot der Anwaltschaft<br />
für eine notwendige Qualitätssteigerung und Qualitätssicherung<br />
anwaltlicher Rechtsberatung. Wir brauchen<br />
diese Qualitätssteigerung, um auf einem sich immer weiter<br />
ausdifferenzierenden Markt, der längst nicht mehr nur national<br />
ist, auch in Zukunft bestehen zu können. Eine gut<br />
funktionierende Anwaltschaft ist integraler Bestandteil eines<br />
gut funktionierenden Rechtsstaates.<br />
Gibt es eine Angst vor einer echten Anwaltsausbildung?<br />
Ich glaube das nicht. Angst wäre auch kein guter Ratgeber.<br />
Die gesamte Anwaltschaft und damit auch unsere Mandanten<br />
werden von der Anwaltsausbildung profitieren. Nur<br />
Qualität sichert den Berufsstand. Alles andere – Fort- und<br />
Weiterbildung – kommt danach.<br />
Hartmut Kilger, Tübingen<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Präsident des<br />
Deutschen Anwaltvereins.
MN Aufsätze<br />
Der Bologna-Prozess –<br />
endgültig kein Thema für<br />
die Juristenausbildung?<br />
Plädoyer für einen gangbaren Weg der Reform<br />
Professor Dr. jur. Barbara Dauner-Lieb, Köln*<br />
Union und SPD haben sich in ihren Koalitionsverhandlungen<br />
geeinigt, die Juristenausbildung aus dem Bologna-<br />
Prozess herauszuhalten. Ebenso haben die Justizministerinnen<br />
und Justizminister auf der Herbsttagung vom<br />
17.11.05 bekundet, dass eine Umsetzung der Ziele von Bologna<br />
derzeit nicht für sinnvoll erachtet wird. 1 Die Anhänger<br />
des klassischen Einheitsjuristen werden aufatmen, gibt<br />
es doch gute Gründe, eine Implementierung des Bologna-<br />
Konzepts in die Juristenausbildung ganz grundsätzlich abzulehnen<br />
und sich infolgedessen auf eine Diskussion über<br />
Einzelheiten gar nicht erst einzulassen: Die letzte Reform<br />
der Juristenausbildung ist noch nicht verdaut; vor allem<br />
aber steht viel auf dem Spiel, nicht zuletzt das einheitliche<br />
Niveau des juristischen Nachwuchses und damit die hohe<br />
Qualität der Rechtspflege.<br />
Allerdings erscheint zweifelhaft, ob die Sonderstellung der<br />
Juristenausbildung außerhalb des Bologna-Prozesses nun<br />
tatsächlich endgültig schon als gesichert angesehen werden<br />
kann. Der äußere Druck auf die juristischen Fakultäten<br />
ist groß und wird weiter wachsen. Immerhin gewähren<br />
die neuen politischen Signale jedoch eine Atempause und<br />
damit eine Chance, die notwendige inhaltliche Auseinandersetzung<br />
mit dem Bologna-Konzept ohne Zeitdruck zu<br />
führen. Der folgende Beitrag ist von der Auffassung getragen,<br />
dass das Bologna-Konzept Optionen für eine behutsame<br />
und qualitätswahrende Umsetzung offen hält.<br />
I. Die Reform der Juristenausbildung – Eine unendliche<br />
Geschichte<br />
Über die Juristenausbildung wird kontrovers diskutiert<br />
seit es Berufsjuristen gibt. 2 Dabei hat sich der „Streitstoff“<br />
im Kern kaum verändert. Die zentralen Fragen nach Inhalt<br />
(lokal geltendes Recht oder allgemeine Prinzipien), nach juristischer<br />
Pädagogik (kasuistische oder systematische Methode)<br />
und Dauer (mindestens vier Jahre) 3 werden seit Jahrhunderten<br />
tradiert und lediglich im Lichte des jeweiligen<br />
historischen Kontextes variiert. Seit dem Zweiten Weltkrieg<br />
ist die tatsächliche oder vermeintliche Notwendigkeit einer<br />
grundlegenden Reform der Juristenausbildung endgültig<br />
zum Dauerthema geworden. 4<br />
Letzte Frucht dieser Diskussion ist das Gesetz zur Reform<br />
der Juristenausbildung vom 11.7.2002, das mit der Einführung<br />
einer frühen Spezialisierung in Form eines Schwerpunktbereichsstudiums<br />
30 % der examensrelevanten Prüfungsleistungen<br />
in die Universität verlagert und eine fachspezifische<br />
Fremdsprachenausbildung sowie die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen<br />
zwingend zum Gegenstand der universitären<br />
Juristenausbildung gemacht hat. Der belastende und komplexe<br />
Umsetzungsprozess ist in den Juristischen Fakultäten<br />
gerade eben erst abgeschlossen worden. Daher fehlt es auch<br />
noch an validen Evaluationen. Allerdings zeichnen sich schon<br />
jetzt gewisse Probleme im Hinblick auf Qualitätsmanagement<br />
und Qualitätssicherung ab: In den Schwerpunktbereichsprüfungen<br />
wird die zur Verfügung stehende Notenskala überwiegend<br />
nicht ausgeschöpft, es zeichnet sich eine deutliche Tendenz<br />
zu „Kuschelnoten“ ab. Eine Ursache dafür ist<br />
möglicherweise, dass sehr viele Studierende ihren Schwerpunktbereich<br />
nicht nach Neigung oder im Hinblick auf den<br />
künftigen Arbeitsmarkt aussuchen; entscheidende Motive sind<br />
vielmehr die vermeintliche oder tatsächliche Schwierigkeit<br />
des jeweiligen Rechtsstoffes, seine Verwertbarkeit im Rahmen<br />
der staatlichen Pflichtfachprüfung, vor allem aber auch<br />
das „Bewertungsprofil“ der jeweils Lehrenden. Vor diesem<br />
Hintergrund ist mittelfristig nicht zu erwarten, dass es zu einem<br />
Qualitätswettbewerb zwischen den Hochschulen kommt.<br />
II. Das Bologna-Konzept und die Juristenausbildung<br />
1. Zum Diskussionsstand<br />
Für die deutschen Juristen war die Bologna-Erklärung<br />
vom 19.06.1999 lange Zeit kein Thema. Über das Ringen<br />
um eine tatsächlich oder vermeintlich notwendige Anwaltsorientierung<br />
der Juristenausbildung auf nationaler<br />
Ebene, das schließlich in das Gesetz vom 11.7.2002 mündete,<br />
wurde der sich parallel abzeichnende, gesamteuropäische<br />
Bologna-Prozess kaum wahrgenommen. Erst in<br />
den letzten Monaten ist die Diskussion über eine Implementierung<br />
des Bologna-Konzepts in die Juristenausbildung<br />
in Fahrt gekommen. 5 Dabei zeichnet sich derzeit in<br />
Juristenkreisen eine klare Front der Ablehnung ab, deren<br />
Bandbreite von deutlicher Skepsis bis zu vehementem<br />
Widerstand reicht. So wird Bologna überwiegend abgelehnt<br />
vom Deutschen Juristen-Fakultätentag 6 , von der<br />
BRAK 7 , der Bundesnotarkammer und dem Deutschen Notarverein.<br />
8 Aus der Justizpolitik hat sich besonders prominent<br />
die Bayerische Staatsministerin der Justiz Merk<br />
geäußert. 9 Differenziertere Ansätze sind vom Deutschen<br />
* Meinem wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Brechtel danke ich für Inspiration<br />
und Unterstützung.<br />
1 Beschluss der JuMiKo vom 17.11.05 in Berlin zu Top I.1: Der Bologna-Prozess<br />
und seine möglichen Auswirkungen auf die Juristenausbildung. www.jus<br />
tiz.nrw.de/JM/justizpolitik/jumiko/beschluesse/2005/herbstkonferenz05/I¹.html<br />
2 Siehe nur den Überblick von Lührig, Die Diskussion über die Reform der Juristenausbildung<br />
von 1945 bis 1995, 1997; vgl. auch Burmeister, Das Studium der<br />
Rechte im Zeitalter des Humanismus, 1974; sehr erhellend Meincke, Die Institutionen<br />
Justinians als Repetitionsprogramm, JZ 1988, 1095.<br />
3 Siehe dazu etwa Burmeister (Fn. 2), S. 263 ff.<br />
4 Zu den typischen Argumentationsmustern sehr erhellend Lührig (Fn. 2),<br />
S. 218 ff.<br />
5 Informativ und pointiert von Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890; einen sehr<br />
umfassenden und abgewogenen Überblick über den bisherigen Diskussionsstand<br />
und den Argumentationshaushalt bietet Kilian, Die Europäisierung des Hochschulraumes;<br />
besonders konstruktiv und lesenswert auch Jeep, NJW 2005, 2283;<br />
AnwBl 2005, 632 und ausführlich unter www.neue-juristenausbildung.de; Merk,<br />
ZRP 2004, 264; Pfeiffer, NJW 2005, 2281; Hirte/Mock, Die Juristenausbildung<br />
in Europa vor dem Hintergrund des Bologna-Prozesses. Jus-Beilage zu Heft<br />
12/2005; Huber, Symposium des Deutschen Juristen-Fakultätentags, des Deutschen<br />
Hochschulverbandes und des Deutschen Anwaltvereins in Berlin am<br />
22.9.05; Zypries, Reform nach der Reform – Vereinbarkeit der besonderen Wesenszüge<br />
der Juristenausbildung in Deutschland mit dem Anliegen des Bologna-<br />
Prozesses; die Stellungnahmen der Berufsverbände zusammenfassend v. Wulffen/Schlegel<br />
NVwZ 2005, 890, 894; siehe auch für den Deutschen<br />
Anwaltverein, Kilger, Symposium am 22.9.05.<br />
6 Siehe Huber, Symposium am 22.9.05 (Fn. 5); Krings, Symposium am 22.9.05<br />
(Fn. 5).<br />
7 Resolution der 104. Hauptversammlung der BRAK vom 29.8.2005.<br />
8 V. Wulffen/Schlegel NvwZ 2005, 890, 893.<br />
9 Merk, ZRP 2004, 264; sehr kritisch auch der Zwischenbericht des Ausschusses<br />
der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der Juristenausbildung.<br />
AnwBl 1 / 2006 5
MN Aufsätze<br />
Anwaltsverein 10 und vom Deutschen Richterbund zu hören,<br />
die sich möglicherweise eine Kombination von Bologna-<br />
Konzept und Ablösung des bisherigen Referendariats durch<br />
eine berufsspezifische Form der Weiterqualifizierung vorstellen<br />
können (sog. Spartenmodell). 11<br />
Bereits an dieser Stelle deutet sich an, dass es um weit<br />
mehr geht als nur um einen weiteren Versuch der Optimierung<br />
der universitären Phase der Juristenausbildung. Auf<br />
dem Prüfstand steht das gesamte System der Juristenausbildung<br />
zum sog. Einheitsjuristen mit seinen staatsgetragenen<br />
Prüfungsanteilen und dem Referendariat. Damit steht der<br />
hohe Qualitätsstandard der deutschen Rechtspflege, der inzwischen<br />
auch auf EU-Ebene anerkannt ist, auf dem Spiel. 12<br />
Brisant und unübersichtlich ist die Diskussion vor allem auch<br />
deshalb, weil sie zwar vordergründig um ideele Ziele wie<br />
Qualitätssteigerung, Flexibilisierung und Europäisierung der<br />
Juristenausbildung kreist, möglicherweise aber auch von<br />
ganz handgreiflich-materiellen Interessen vorangetrieben<br />
wird. So liegt die Vermutung nahe, dass der Bologna-Prozess<br />
teilweise als Instrument (oder willkommener Vorwand?) gesehen<br />
wird, endlich die hohen Zulassungszahlen zur Anwaltschaft<br />
und damit den schwer erträglichen Konkurrenzdruck<br />
in den Griff zu bekommen. Verlockend könnte auch das Potential<br />
von erheblichen Einsparungen in der Justiz durch Beschränkung<br />
des Vorbereitungsdienstes auf künftige Richter<br />
und vollständige Verlagerung des Prüfungsgeschäfts in die<br />
Universitäten sein. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht,<br />
dass viele Juristen zögern, sich überhaupt auf eine Diskussion<br />
über Einzelheiten einer Implementierung des Bologna-Konzepts<br />
einzulassen. Die Gefahr eines politischen Dammbruchs<br />
mit der Konsequenz einer Gefährdung fast aller bewährten<br />
Elemente der Juristenausbildung ist nicht von der Hand zu<br />
weisen. So gesehen erscheint die Entscheidung von Union<br />
und SPD, die Juristenausbildung aus dem Bologna-Prozess<br />
auszuklammern, als Zeichen geradezu sensationeller politischer<br />
Vernunft.<br />
Wer freilich über den fachlichen Tellerrand der legal<br />
community hinausschauend den Prozess der Implementierung<br />
des Bologna-Konzeptes beobachtet, hat mancherlei<br />
Anlass zur Skepsis, ob das Ende des Liedes schon erreicht<br />
ist: Zum einen ist äußerst zweifelhaft, ob die Juristischen<br />
Fakultäten universitätsintern für sich auf Dauer eine Sonderstellung<br />
beanspruchen können, wenn sich alle anderen Fakultäten<br />
der Hochschule um sie herum Bologna-konform reformieren.<br />
Eine entsprechende Abkoppelung würde eine<br />
interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Fakultäten<br />
im Rahmen gemeinsamer Studiengänge erheblich erschweren,<br />
wenn nicht teilweise sogar unmöglich machen. Es ist<br />
im übrigen auch damit zu rechnen, dass in noch größerem<br />
Umfang als bisher schon die Gewährung zusätzlicher Fördergelder<br />
von der Bologna-Konformität des zu Fördernden<br />
abhängig gemacht werden. Im Übrigen könnte ein Ignorieren<br />
von Bologna mittelfristig nicht nur zu einer Isolierung<br />
innerhalb der deutschen Hochschullandschaft, sondern auch<br />
zu einer Abkoppelung von der gesamteuropäischen Juristenausbildung<br />
führen. 13 Angesichts dieses „äußeren Drucks“<br />
erscheint es nicht ungefährlich, in der Gewissheit einer<br />
„ganz herrschenden Meinung“ in Juristenkreisen allzu siegesgewiss<br />
das Nachdenken einzustellen; es könnte sich herausstellen,<br />
dass „die lange als angenehm empfundene Dunkelheit<br />
nicht von den hohen Mauern der uneinnehmbaren<br />
Festung der deutschen Juristenausbildung herrührte, sondern<br />
6 AnwBl 1 / 2006<br />
von dem Sand, in dem der Vogel Strauß seinen Kopf zu stecken<br />
pflegt“. 14<br />
2. Die Erste Staatsprüfung auf dem Prüfstand<br />
Soweit der Bologna-Prozess in Juristenkreisen überhaupt<br />
schon inhaltlich diskutiert wird, reduzieren sich die Überlegungen<br />
weitgehend auf die Alternative „Staatsprüfung<br />
oder Hochschulprüfung“. 15 So begründet insbesondere Merk<br />
ihre Ablehnung einer Umstrukturierung der Juristenausbildung<br />
nach Bologna-Kriterien damit, für eine Beibehaltung<br />
der Staatsprüfung im Pflichtfachbereich spreche u. a. die<br />
Verantwortung des Staates für die Rechtspflege und qualifizierte<br />
Nachwuchsjuristen, Objektivität und Qualität einer<br />
zentral gestellten, leistungs- und wettbewerbsorientierten<br />
Prüfung, Sicherung eines einheitlichen Niveaus der Absolventen<br />
in den Kernfächern und hohe Aussagekraft des Prüfungsergebnisses.<br />
16 Umgekehrt plädiert etwa Kilger in seiner<br />
Funktion als Präsident des Deutschen Anwaltsvereins –<br />
unter Berufung auf eine sehr problematische Verlautbarung<br />
des Wissenschaftsrates aus dem Jahre 200217 – dass das momentane<br />
Staatsexamensystem unbefriedigend sei, weil es zu<br />
einer Entwissenschaftlichung des juristischen Studium geführt<br />
habe; wenn Studenten ab dem 4. oder 5. Semester zum<br />
Repetitor laufen müssten, um Examensfalllösungstechnik zu<br />
pauken, bliebe kein Raum für wissenschaftliches Arbeiten. 18<br />
Diese Zuspitzung auf die Frage nach dem Weg zum universitären<br />
Abschluss ist kein Zufall. Die sog. Modularisierung<br />
der Studieninhalte ist ein zentrales Anliegen des Bologna-Konzeptes.<br />
Es bringt mit sich, dass sich das Studium<br />
nicht mehr auf eine alles entscheidende Abschlussprüfung<br />
zuspitzt, sondern kontinuierlich für den Abschluss relevante<br />
Credits in den einzelnen Modulen des Studiums gesammelt<br />
werden; der Bachelor-Abschluss ist ohne zusätzliche Anstrengung<br />
bereits erreicht, wenn genug Credits akkumuliert<br />
worden sind. 19<br />
Die zentrale Bedeutung der studienabschliessenden<br />
Blockprüfung für die Qualität des deutschen Juristen wird<br />
häufig verkannt, obwohl sie eigentlich auf der Hand liegt:<br />
Der gesamte Pflichtfachstoff wird am Ende des Studiums<br />
so abgeprüft, wie er in der juristischen Praxis gebraucht<br />
wird, als Einheit, also in seiner komplexen Vernetzung der<br />
verschiedenen Problemebenen und Rechtsgebiete. Mit einer<br />
isolierten, mit Credits belohnten Erarbeitung einzelner Module<br />
(Schuldrecht, Grundrechte, Vermögensdelikte) ist es<br />
eben nicht getan. Angesichts der Anforderungen der Abschlussprüfung<br />
zeichnet sich das klassische juristische Studium<br />
durch ein „Lernen in Spiralen“ aus (wissenschaftliche<br />
Grundausbildung anhand eines Überblicks im Pflichtfachstoff,<br />
Vertiefung des Pflichtfachstoffs bei gleichzeitigem<br />
Kennenlernen einiger Nebengebiete sowie des gewählten<br />
10 Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins vom 24. <strong>Januar</strong> 2005 zur Einführung<br />
eines Bachelor-/Master-Systems in die deutsche Juristenausbildung für die<br />
Anhörung des Ausschusses der Justizministerkonferenz zur Koordinierung der<br />
Juristenausbildung am 26. <strong>Januar</strong> 2005 in Berlin.<br />
11 Vgl. die Stellungnahme von Kilger (Fn. 5), S. 5 f.<br />
12 Council of Europe, European Judicial Systems 2002, CEPEJ (2004) 30.<br />
13 Ausführlich dazu Kilian (Fn. 5), S. 16 f; Jeep, NJW 2005, 2283, 2284.<br />
14 So sehr plastisch Kilian (Fn. 5), S. 17.<br />
15 Besonders plastisch Merk, ZRP 2004, 264.<br />
16 Merk, ZRP 2004, 264.<br />
17 Wissenschaftsrat, Empfehlungen zur Reform der staatlichen Abschlüsse, Drs.<br />
5460/02.<br />
18 Kilger Symposium am 22.9.05 (Fn. 5), S. 2; Huber (Fn. 5), S. 9.<br />
19 Vgl. dazu auch Kilian (Fn. 5), S. 23 ff.
MN Aufsätze<br />
Schwerpunktbereichs, komplette Wiederholung und Vertiefung<br />
des Pflichtfachstoffs zur Examensvorbereitung). Gerade<br />
diese Vernetzung ist es aber, die den guten deutschen<br />
Juristen befähigt, mit Hilfe der Methodenlehre und des juristischen<br />
Handwerkszeugs selbständig neue Probleme,<br />
Rechtsgebiete oder sogar fremde Rechtsordnungen zu erschließen.<br />
20 Dass diese Vernetzung auch bei begabten Studenten<br />
im Regelfall nicht innerhalb von sechs Semestern zu<br />
erreichen ist, wird kaum bestritten.<br />
Es hat sich bewährt, dass die studienabschließende Blockprüfung<br />
in den erfahrenen Händen der staatlichen Justizprüfungsämter<br />
liegt: Es gilt zwar nicht erst seit gestern als Zeichen juristischer<br />
Aufgeschlossenheit, die Tragfähigkeit und Aussagekraft des<br />
Staatsexamens zu bezweifeln und haarsträubende Horroranekdoten<br />
zu kolportieren. 21 Es mag auch tatsächlich in den letzten Jahrzehnten<br />
ab und zu zu einer Überbetonung der Falltechnik und damit<br />
der Anspruchsakrobatik gekommen sein. Vorhandene<br />
Defizite ließen sich freilich unschwer systemimmanent korrigieren;<br />
ein stärkeres Engagement der Hochschullehrer in der Staatsprüfung<br />
könnte ein Auseinanderdriften von Lehr- und Prüfungsinhalten<br />
weitgehend verhindern. Ein gewisser<br />
Optimierungsbedarf sollte jedenfalls nicht den Blick dafür verstellen,<br />
dass die Staatsprüfung ein Gütesiegel ist und eine Qualitätskontrolle<br />
der juristischen Ausbildung sicherstellt, wie sie keine<br />
Akkreditierungsagentur bieten kann. 22 Damit lässt sich ein Zwischenergebnis<br />
formulieren: Wäre mit der Entscheidung für ein<br />
Einlassen auf den Bologna-Prozess notwendig eine Weichenstellung<br />
gegen das Staatsexamen verbunden, dann wäre der Preis<br />
aus heutiger Sicht tatsächlich zu hoch.<br />
3. Dichtung und Wahrheit<br />
Das Bologna-Konzept lässt freilich deutlich mehr Gestaltungsspielraum<br />
als üblicherweise angenommen. 23 Viele tatsächliche<br />
oder vermeintliche Zwänge ergeben sich erst aus<br />
der deutschen, teilweise bürokratischen und überperfektionistischen<br />
Interpretation und Weiterentwicklung der Grundgedanken.<br />
Viele frühe Festlegungen ließen sich – den entsprechenden<br />
politischen Willen vorausgesetzt – korrigieren,<br />
also im Hinblick auf die bisher eher vernachlässigten Besonderheiten<br />
der einzelnen Fächer abwandeln.<br />
Entscheidend ist zunächst, dass der Bologna-Prozess lediglich<br />
ein formales Ordnungsprinzip etabliert. Harmonisiert<br />
wird der organisatorische Rahmen, in dem ausgebildet<br />
wird, nicht aber der Inhalt der Ausbildung selbst. 24 Hauptziele<br />
dieser organisatorischen Vereinheitlichung ist die Förderung<br />
9 der gegenseitigen Anerkennung akademischer Abschlüsse,<br />
9 der Mobilität der Studierenden und<br />
9 der Vermittelbarkeit der Studierenden auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Zu diesem Zweck wird u.a. angestrebt:<br />
9 Die Schaffung eines zweistufigen Systems von Studienabschlüssen<br />
(Stichwort: konsekutive Studiengänge), Bachelor<br />
und Master;<br />
9 die Modularisierung der Ausbildung und die hierdurch ermöglichte<br />
Einführung eines Leistungspunktesystems, des<br />
European Credit Transfer System (ECTS), das insbesondere<br />
die Mobilität der Studierenden während des Studiums<br />
verbessern soll;<br />
9 die Verbesserung der Qualität der Hochschulausbildung<br />
durch Akkreditierung der Bachelor- und Masterstudiengänge.<br />
25<br />
Als erster berufsqualifizierender Abschluss soll der Bachelor<br />
der Regelabschluss eines Hochschulstudiums sein<br />
und für die Mehrzahl der Studierenden zu einer „ersten Berufseinmündung“<br />
führen. Dies bedeutet notwendig, dass das<br />
Master-Studium nicht allen Bachelor-Absolventen offen<br />
steht. Für eine Festschreibung bestimmter Quoten (z. B.<br />
80 %/20 %) bietet freilich das Bologna-Konzept selbst keine<br />
Grundlage, entsprechende Vorgaben haben kapazitäre<br />
Gründe. Offen ist aber vor allem auch die zeitliche Gewichtung<br />
zwischen den Bachelor- und Masterstudiengängen eines<br />
Faches. Möglich ist sowohl das Modell einer Verteilung<br />
von drei Jahren auf das Bachelor-Studium und zwei Jahren<br />
auf das Master-Studium (3:2) als auch die Variante einer<br />
Aufteilung von vier Jahren auf das Bachelor-Studium und<br />
einem Jahr auf das Master-Studium (4:1). Schließlich – und<br />
dies ist nach den vorherigen Überlegungen entscheidend –<br />
enthält das Bologna-Konzept keinerlei Vorgaben im Hinblick<br />
auf eine staatliche Eingangsprüfung für die reglementierten<br />
juristischen Berufe. Die Beibehaltung des Staatsexamens<br />
wäre daher nicht unzulässig 26 und nicht einmal<br />
systemwidrig. 27 Das Bologna-Konzept zwingt also keineswegs<br />
zur Einführung eines juristischen Schmalspurbachelors<br />
von drei Jahren. Ein Blick über den nationalen Zaun bestätigt<br />
diesen Befund: In keinem EU-Mitgliedstaat, der<br />
bisher das Bologna-Konzept umgesetzt hat, berechtigt allein<br />
der „Bachelor of Law“ zur Ausübung eines klassischen, juristischen<br />
Berufs, insbesondere zur Niederlassung als<br />
Rechtsanwalt. Dies setzt überall mindestens eine weitere<br />
Prüfung, meist „Eingangsprüfung“ genannt, voraus. 28<br />
III. Die 3:2-Modelle: Eine Sackgasse<br />
1. Kennzeichnung<br />
Im Mittelpunkt der Diskussion stehen derzeit (und sei es<br />
auch nur als Objekt vehementer Ablehnung) Modelle, in denen<br />
der juristische Bachelor ein dreijähriges Studium umfasst,<br />
der Master ein zweijähriges Studium. 29 Dabei wird<br />
ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass dann Zugangsvoraussetzung<br />
für die reglementierten Berufe ein<br />
Master sein muss. Zusätzliche Eingangsprüfungen für die<br />
jeweiligen Sparten gelten als naheliegend, ein praxisbezogener<br />
„Vorbereitungsdienst“ mit oder ohne Abschlussprüfung<br />
innerhalb der jeweiligen Sparte als natürliche Konsequenz. 30<br />
Der Abschied vom deutschen „Einheitsjuristen“ wäre vollzogen.<br />
31 Es ist sehr wahrscheinlich, dass es in diese Rich-<br />
20 Zutreffend Merk, ZRP 2004, 264, 265; so auch von Wulffen/Schlegel, NVwZ<br />
2005, 890, 892.<br />
21 Siehe aus neuester Zeit etwa Derleder, NJW 2005, 2334; erstaunlich ist, dass<br />
die schärfsten Kritiker des traditionellen Systems der Juristenausbildung auf<br />
dem Boden genau dieser Ausbildung beruflich und auch finanziell durchaus erfolgreich<br />
gewesen sind.<br />
22 Zutreffend Merk, ZRP 2004, 264, 265.<br />
23 Dies hat zu Recht Jeep, NJW 2005, 2283, immer wieder betont.<br />
24 Besonders informativ Kilian (Fn. 5), S. 2 ff.; von Wulffen/Schlegel, NVwZ<br />
2005, 890 ff.<br />
25 „Gemeinsame Erklärung zur Harmonisierung der Architektur der europäischen<br />
Hochschulbildung“ (sog. Sorbonne-Erklärung), vgl. http://www.bmbf.de/pub/<br />
sorbonne_declaration.pdf; Bologna-Erklärung v. 19.6.1999, vgl. http://www.<br />
bmbf.de/pub/bologna_deu.pdf; 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in<br />
Deutschland. Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12.6.2003, vgl.<br />
http://www.kmk.org/doc/beschl/bmthesen.pdf.<br />
26 Ebenso Kilian (Fn. 5), S. 21.<br />
27 A. A. Kilian (Fn. 5), S. 21.<br />
28 Siehe die umfassende Studie von Hirte/Mock (Fn. 5).<br />
29 Vgl. Fn. 5.<br />
30 Siehe zu entsprechenden Modellen ausführlich Kilian (Fn. 5), S. 19 ff.<br />
31 V. Wulffen/Schlegel, NVwZ 2005, 890, 892; Kilian (Fn. 5), S. 19.<br />
AnwBl 1 / 2006 7
MN Aufsätze<br />
tung zielende Modelle waren, die Union und SPD in den<br />
Koalitionsverhandlungen bewogen haben, zunächst einmal<br />
die politische Notbremse zu ziehen.<br />
2. Schwerwiegende rechtspolitische Bedenken<br />
Der standespolitische und fiskalische Charme und damit<br />
die rechtspolitische Sprengkraft dieses Ansatzes liegen<br />
nämlich auf der Hand: Nimmt man das Postulat des Bologna-Konzepts<br />
ernst, dass nur ein begrenzter Anteil der erfolgreichen<br />
Absolventen eines Bachelor-Studiums sofort<br />
zum Master-Studium zugelassen wird, dann kann auf diesem<br />
Weg ein recht enger Flaschenhals installiert werden,<br />
der den so lästigen Massenansturm auf die reglementierten<br />
Berufe bereits sehr früh im Vorfeld abfängt. Ob die „Masterquote“<br />
auf 20 % oder 30 % festgelegt würde, wäre fast nebensächlich.<br />
Die drängendsten Probleme wären gebannt –<br />
jedenfalls kurzfristig. Schon mittelfristig müsste man freilich<br />
mit noch größeren Problemen rechnen. Es erscheint<br />
durchaus zweifelhaft, ob es politisch tatsächlich durchsetzbar<br />
wäre, das frühzeitig aus der juristischen Ausbildung gedrängte<br />
Bachelor-Proletariat endgültig großflächig von der<br />
Rechtsberatung fernzuhalten. Eine Öffnung könnte allerdings<br />
dann wirklich eine Gefahr für die Qualität der Rechtspflege<br />
bedeuten. Andere Berufsperspektiven sind derzeit<br />
nicht ersichtlich. Eine für die Praxis brauchbare Spezialisierung,<br />
wie sie etwa die sehr erfolgreichen Rechtspflegerschulen<br />
bieten, lässt sich in der Universität innerhalb der<br />
normalen Studiengänge in drei Jahren nicht erreichen, weil<br />
hier ja zunächst einmal eine Grundlegung in der Methodenlehre<br />
und in den Pflichtfächern erfolgen muss, die für sich<br />
genommen im Regelfall eben noch nicht berufsqualifizierend<br />
wäre.<br />
3. Unvereinbarkeit mit dem Bologna-Konzept<br />
Damit erweist sich dieses Modell auch aus Bologna-<br />
Sicht als wenig tauglich: Der Bachelor, der eine Berufstauglichkeit<br />
vermitteln soll, hätte die Qualität einer besseren<br />
Zwischenprüfung, mit einer vorgegebenen, letztlich sehr hohen<br />
Misserfolgsquote. Eine fachübergreifende Erweiterung<br />
des Studiums in den Masterstudiengängen wäre auch<br />
schwer denkbar, hätte der Master doch zwangsläufig zunächst<br />
einmal die Aufgabe, auf die Zugangsprüfungen zu<br />
den einzelnen Berufssparten vorzubereiten.<br />
IV. Ein gangbarer Weg: 4:1, Staatsexamen nach<br />
dem Bachelor<br />
1. Grundstrukturen<br />
Inzwischen werden aber auch bereits sehr gründlich<br />
4:1-Modelle unter Beibehaltung des Staatsexamens als Eingangsprüfung<br />
für die reglementierten juristischen Berufe<br />
vorgeschlagen. 32 Dass solche Modelle mit dem Bologna-<br />
Konzept in Einklang zu bringen sind, wurde bereits dargelegt.<br />
Ein gangbarer Weg könnte damit wie folgt aussehen<br />
(eine schematische Darstellung findet sich auf der folgenden<br />
Seite):<br />
Den Grundstock der typischen Juristenausbildung würde<br />
ein 4-jähriges, universitäres Bachelor-Studium bilden, das<br />
Zugangsvoraussetzung für alle weiteren Qualifikationsstufen<br />
wäre. Nach dem Bachelor würde sich die Ausbildung<br />
gabeln: Wer einen reglementierten juristischen Beruf einschlagen<br />
möchte, müsste nach dem Bachelor zunächst eine<br />
staatliche Eingangsprüfung bestehen. Mit überdurchschnitt-<br />
8 AnwBl 1 / 2006<br />
lich erfolgreichem Bachelor könnte aber auch entsprechend<br />
einer bestimmten Quote ein einjähriges Master-Studium angeschlossen<br />
werden. Die Masterstudiengänge würden sich<br />
in anwendungsorientierte und forschungsorientierte Studiengänge<br />
gliedern, entsprechend der Forderung der Kultusministerkonferenz<br />
(KMK) vom 12.6.2003. 33 Die weitere<br />
Ausbildung für die reglementierten Berufe könnte so bleiben<br />
wie sie ist. Die Absolventen des Zweiten Staatsexamens<br />
wären klassische Volljuristen im Sinne eines Einheitsjuristen,<br />
hätten jedoch zusätzlich den Titel Bachelor und könnten<br />
nach dem Zweiten Staatsexamen wiederum noch eine Promotion<br />
oder ein Master-Studium anschließen. Größere Lösungen<br />
wie eine Abschaffung des Zweiten Staatsexamens,<br />
eine Verkürzung der Vorbereitungszeit etc. wären denkbar,<br />
könnten aber isoliert diskutiert oder auch zunächst einmal<br />
auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden 34 .<br />
Das somit 4-jährige universitäre Bachelor-Studium<br />
könnte einen mit dem Status quo vergleichbaren Ausbildungsstand<br />
gewährleisten; das System der Credit-Points<br />
würde Leistungen bereits während des Studiums honorieren,<br />
um die Studierenden zu gleichmäßiger Arbeit anzuspornen.<br />
Die Juristischen Fakultäten die – wie etwa die Kölner<br />
Fakultät – ohnehin bereits für jede Veranstaltung einen Abschlusstest<br />
vorsehen, hätten nur ganz wenig Umstellungsaufwand.<br />
Allerdings müssten für die letzte Phase des Studiums<br />
Module zur Wiederholung und Vertiefung des Stoffes<br />
eingeführt werden, für deren Bewältigung ebenfalls Credits<br />
zu vergeben wären. Ein entsprechender Umbau bereits –<br />
etwa in Köln – vorhandener flächendeckender Universitätsrepetitorien<br />
wäre freilich unschwer zu leisten. Diejenigen<br />
Studierenden, die es ohnehin nicht in die klassischen Berufe<br />
zieht, wären nicht mehr gezwungen, das Examen zu machen;<br />
dies könnte zu einer nicht ganz unerheblichen Reduktion<br />
der Zulassungszahlen zum Staatsexamen führen.<br />
Da die Masterstudiengänge nicht mehr die Aufgabe hätten,<br />
auf die reglementierten juristischen Berufe vorzubereiten,<br />
wären sie von einer Vertiefung und Wiederholung des<br />
Pflichtfachstoffes entlastet. Sie könnten sich daher – nur<br />
dies wäre bolognakonform – auf wissenschaftliche Vertiefung<br />
oder interdisziplinäre Inhalte konzentrieren. Damit wären<br />
sie auch für ausländische Studierende interessant. Vor<br />
allem könnten ökonomisch orientierte Studenten einen juristischen<br />
Bachelor mit einem Master aus den Wirtschaftswissenschaften<br />
kombinieren. Dies könnte möglicherweise<br />
Chancen eröffnen, für Juristen verloren gegangene Berufsfelder<br />
(Steuerberater, Wirtschaftsprüfung, Manager) zurückzugewinnen.<br />
2. Kritische Würdigung<br />
Auch dieses Modell wirft die Frage auf, ob der Bachelor<br />
tatsächlich als berufsqualifizierend im Sinne des Bologna-<br />
Konzeptes zu akzeptieren ist, wenn nach wie vor der Weg<br />
zu den Berufsqualifikationen nur über eine weitere Prüfung<br />
führt. Dies lässt sich aber im Hinblick auf ein 4-jähriges Bachelor-Studium<br />
deutlich eher vertreten als im Modell eines<br />
3-jährigen, universitären Bachelors: Nach einem erfolgreichen<br />
4-jährigen Universitätsstudium verfügt der junge Jurist<br />
32 Jeep, NJW 2005, 2283; sowie ausführlich http://www.neue-juristenausbil<br />
dung.de.<br />
33 10 Thesen zur Bachelor- und Masterstruktur in Deutschland. Beschluss der<br />
Kultusministerkonferenz vom 12.6.2003, vgl. http://www.kmk.org/doc/beschl/<br />
bmthesen.pdf.<br />
34 Vorschläge zu „größeren Lösungen“ bei Jeep, NJW 2005, 2283, 2284.
MN Aufsätze<br />
Schematische Darstellung eines 4 : 1-Modells unter Beibehaltung des Staatsexamens.<br />
über eine Fülle von Kenntnissen und Fähigkeiten, die ihn in<br />
Zukunft auch für nichtjuristische Berufe interessant machen<br />
könnten. Im übrigen bietet die Vermittlung von Schlüsselqualifikationen,<br />
Sprachkompetenz und Praktika, die schon<br />
jetzt Bestandteil der normalen juristischen Ausbildung ist,<br />
einen hohen Grad an „Employability“.<br />
Im übrigen bietet das Modell nur Vorteile: Die Fakultäten<br />
würden nur mit einem minimalen Umstellungsaufwand belastet.<br />
Mit Hilfe des ECTS-Systems könnte ein Auslandsaufenthalt<br />
in das 4-jährige Bachelor-Studium eingebaut werden,<br />
was der Forderung nach Erhöhung der Mobilität entsprechen<br />
würde. Die Justizprüfungsämter würden um diejenigen Jurastudenten<br />
entlastet, die ohnehin nicht in die reglementierten<br />
juristischen Berufe streben. Die Fakultäten könnten auch weiterhin<br />
einen prozentualen Anteil an der Examensnote über<br />
die Schwerpunktbereichsprüfung tragen, so dass auch insoweit<br />
das bestehende System nicht geändert werden müsste.<br />
V. Thesen<br />
1. Aus der isolierten Sicht der legal community besteht<br />
derzeit kein Anlass über weitere Reformen der Juristenausbildung<br />
nachzudenken.<br />
2. Positive, weiterführende Impulse für eine Verbesserung<br />
der Juristenausbildung sind von dem Bologna-Prozess kaum<br />
zu erwarten. Im Gegenteil: Die den guten Juristen kennzeichnende<br />
Vernetzung des Stoffes, die auf einem „Lernen in Spiralen“<br />
beruht, wird bisher durch eine abschließende Blockprüfung<br />
erzwungen. In einem System, das für den erfolgreichen<br />
Abschluss lediglich eine Akkumulation von Credits für einzelne<br />
modularisierte Studienleistungen genügen lässt, wäre<br />
diese Verzahnung nicht mehr gewährleistet. Außerdem lässt<br />
der Verlauf der Umsetzung des Bologna-Prozesses in anderen<br />
Fächern durchaus Zweifel, ob die hohen Ziele des Bologna-<br />
Konzeptes (Europäisierung des Bildungsraums, Vergleichbarkeit<br />
der Abschlüsse, Flexibilisierung der Studiengänge, Stei-<br />
gerung der Mobilität) auf<br />
dem eingeschlagenen<br />
Weg überhaupt zu erreichen<br />
sind.<br />
3. Allerdings ist ganz<br />
unwahrscheinlich, dass<br />
der Bologna-Prozess<br />
noch zu stoppen ist. Trotz<br />
des aktuellen politischen<br />
Signals aus Berlin, die<br />
Juristenausbildung vom<br />
Bologna-Prozess zu verschonen,<br />
geraten damit<br />
die Juristischen Fakultäten<br />
zwangsläufig unter<br />
starken „äußeren Druck“,<br />
ihre Ausbildungsstrukturen<br />
anzupassen. Es ist<br />
zweifelhaft, ob sich die<br />
derzeit noch ganz überwiegend<br />
verteidigte Sonderstellung<br />
halten lässt.<br />
Infolgedessen erscheint<br />
auch für Juristen eine<br />
gründliche inhaltliche<br />
Auseinandersetzung mit<br />
dem Bologna-Konzept nach wie vor nötig. Ausgangspunkt<br />
aller Überlegungen muss dabei das völlig unbestrittene Postulat<br />
sein, dass keine Abstriche vom derzeitigen Niveau der<br />
juristischen Ausbildung gemacht werden dürfen.<br />
4. Eine Erhaltung des aktuellen Qualitätsniveaus ist –<br />
den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt – auch<br />
im Rahmen des Bologna-Konzepts nicht ausgeschlossen.<br />
Das Konzept gibt nur einen sehr weiten, formalen Rahmen<br />
vor. Dieser lässt eine hohe Flexibilität bei der inhaltlichen<br />
Gestaltung, der in anderen EU-Staaten auch schon kreativ<br />
genutzt wird. Insbesondere zwingt das Bologna-Konzept<br />
nicht zur Einführung von 3-jährigen juristischen Schmalspurbachelors.<br />
Es zwingt auch nicht zur Aufgabe des Juristischen<br />
Staatsexamens als Eingangsprüfung für die reglementierten<br />
juristischen Berufe.<br />
5. Der Bologna-Prozess muss daher nicht zwangsläufig<br />
eine Gefahr für die hohe Qualität der Juristenausbildung<br />
und damit der deutschen Rechtspflege bedeuten. Die eigentliche<br />
Gefahr liegt in einer Instrumentalisierung des Bologna-Prozesses<br />
zu standes- und finanzpolitischen Zielen.<br />
Daher ist in der Tat äußerste Vorsicht geboten, gerade deshalb<br />
aber auch eine gründliche, inhaltliche Auseinandersetzung.<br />
Die Juristenausbildung ist zu wichtig, als dass man<br />
die nächste Umstrukturierungsrunde den Nichtjuristen überlassen<br />
dürfte.<br />
Professor Dr. Barbara Dauner-Lieb, Köln<br />
Die Autorin ist Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches<br />
Recht, Handels- und Gesellschaftsrecht,<br />
Arbeitsrecht und Europäische Privatrechtsentwicklung,<br />
Direktorin des Instituts für Arbeits- und Wirtschaftsrecht<br />
und Prorektorin der Universität zu Köln.<br />
AnwBl 1 / 2006 9
MN Aufsätze<br />
Strukturelle<br />
Richterperspektive und<br />
Juristenausbildung<br />
Die Sicht des Richters und die<br />
rechtsgebietsübergreifende Ausbildung<br />
Wiss. Assistent Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />
Die rechtsberatende anwaltliche Praxis arbeitet rechtsgebietsübergreifend.<br />
Die Ausbildung an der Universität<br />
und im Referendariat ist dagegen nach den klassischen<br />
Rechtsgebieten Bürgerliches Recht, Strafrecht und Öffentliches<br />
Recht (§ 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG) aufgeteilt1 . Sie<br />
übernimmt damit die Sichtweise des Richters und Verwaltungsjuristen,<br />
ist also von einer „strukturellen Richterperspektive“<br />
2 geprägt. Übungssachverhalte werden so durch<br />
den Filter der gerichtlichen und behördlichen Zuständigkeit<br />
vorstrukturiert3 und „in das Korsett des Prozessrechts<br />
gezwängt“ 4 . Dies zeigt sich deutlich an den veröffentlichten<br />
Übungsklausuren5 . Nur vereinzelt ist bisher die rechtsgebietsübergreifende<br />
Perspektive überhaupt angedeutet<br />
worden6 . Der Beitrag wirbt für rechtsgebietsübergreifende<br />
Ausbildung und Prüfung.<br />
A. Rechtsgebietsübergreifende Ausbildung und<br />
Prüfung<br />
Bei rechtsgebietsübergreifenden Sachverhalten steht der<br />
Lebenssachverhalt im Mittelpunkt. Die Fokussierung auf lediglich<br />
ein Rechtsgebiet ist bewusst aufgegeben. Ergiebig<br />
hierfür sind Fälle aus Querschnittsgebieten7 . Für die Ausbildung<br />
bietet sich besonders das Baurecht an8 . Einen Bauherrn<br />
interessieren nicht abgegrenzte Fragen des privaten<br />
oder des öffentlichen Nachbarrechts, des (öffentlichenrechtlichen)<br />
Bauplanungs- und -ordnungsrechts oder Grundstücksrechts,<br />
sondern dass sein Bauvorhaben realisiert wird.<br />
Rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen können<br />
auch Rechtsgebiete kombinieren. Naheliegend ist die Verbindung<br />
von Delikts- und Strafrecht9 . Eine strafbare Handlung<br />
braucht nicht – wie herkömmlich – nur eine bloße Vorfrage<br />
eines zivilrechtlichen Anspruchs zu sein, sondern<br />
kann ihm nach Umfang und Schwierigkeitsgrad als selbständiger<br />
und ebenbürtiger Teil der Aufgabe entsprechen.<br />
Für Fortgeschrittene kann auch das UWG-Recht einbezogen<br />
werden10 . Nicht nur aus der Berater-, sondern auch aus der<br />
Entscheiderperspektive können Straßenverkehrssachen mit<br />
ihren straf-, zivil- und fahrerlaubnisrechtlichen Folgen betrachtet<br />
werden, ebenso Fragen aus dem Nebenstrafrecht<br />
mit verwaltungs- oder zivilrechtlichen Vorfragen.<br />
B. Rechtlicher Rahmen<br />
Didaktisch sind rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen<br />
also sinnvoll, (ausbildungs-)rechtlich aber nicht<br />
ohne weiteres möglich. Dabei kommt es mit Blick auf die<br />
Ausbildungswirklichkeit weniger darauf an, dass entsprechende<br />
Inhalte gelehrt, als darauf, dass sie auch geprüft werden<br />
dürfen11 . Man würde die Augen vor den verständlichen<br />
Schwerpunktsetzungen der Kandidaten verschließen, wenn<br />
man Ausbildungsinhalte propagierte, die nicht prüfungsrelevant<br />
sind.<br />
10 AnwBl 1 / 2006<br />
I. Stoffbegrenzung durch das DRiG<br />
Die die Inhalte der Ausbildung bestimmende bundesrechtliche<br />
Norm 12 ist seit jeher (inhaltlich 13 ) unverändert.<br />
§ 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG lautet: „Pflichtfächer sind die Kernbereiche<br />
des Bürgerlichen Rechts, des Strafrechts, des Öffentlichen<br />
Rechts und des Verfahrensrechts [...]“. Hierdurch<br />
wird ein Rahmen abgesteckt, der das (kollektive) Arbeits-,<br />
das Sozial- und das Steuerrecht von den Pflichtfächern ausschließt.<br />
Dies ist vom Standpunkt des DRiG konsequent,<br />
das den methodisch allgemeingebildeten Juristen anstrebt.<br />
II. Keine Stoffstrukturierung durch das DRiG<br />
Auch wenn sich die rechtsgebietsübergreifende Pflichtfachausbildung<br />
auf die eben genannten Fächer beschränken<br />
muss, bedeutet § 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG aber nicht, dass sie<br />
jeweils voneinander getrennt gelehrt und dann auch geprüft<br />
werden müssen. Der Wortlaut ist in dieser Hinsicht offen.<br />
Jedenfalls kann man die Aufzählung in § 5 a Abs. 2 S. 3<br />
DRiG so verstehen, dass hier allgemein anerkannte Gruppen<br />
von Rechtsfragen und damit ein historisch gewachsener Fächerkanon<br />
umschrieben wird. Aus der herkömmlichen Richterperspektive<br />
der Ausbildung ergibt sich kein zwingender<br />
Gegenschluss. Denn die jeweils isolierte Betrachtung der<br />
einzelnen Rechtsgebiete in Lehre und auch Prüfung ist das<br />
Ergebnis des Blickwinkels eines (richterlichen) Entscheiders,<br />
nicht dessen Voraussetzung.<br />
1 Vgl. die Ergebnisse der Erhebung über die Inhalte anwaltsbezogener Ausbildung<br />
an deutschen Universitäten bei Barton/Jost/Lindemann/Schumacher,<br />
Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2000), S. 15-48.<br />
2 Lewinski/Schmidt, JA 2004, S. 856 („strukturelle Richterorientierung“). Zur<br />
„Befähigung zum Richteramt“ als Zulassungsvoraussetzung für Rechtsanwälte:<br />
Lewinski, Grundriss des Anwaltlichen Berufsrechts, 2006, S. 153.<br />
3 Die Sonderfälle der Rechtswegekonzentration nach § 17 Abs. 2 S. 1 GVG und<br />
des Adhäsionsverfahren nach §§ 403 ff. StPO sollen hier als wenig examensrelevant<br />
unberücksichtigt bleiben.<br />
4 Raiser, in: Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 4.<br />
5 Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 41–320; Barton/Jost,<br />
Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 19–408.<br />
Eine Auswertung der Klausuren aus den Ausbildungszeitschriften der Jahre<br />
1977 bis 2005 (vgl. http://www.rewi.hu-berlin.de/jura/etc/lwk//DOK/Anwaltsklausuren.pdf)<br />
stützt diesen Befund. Zu den wenigen Ausnahmen siehe unten<br />
Fn. 7 bis 10.<br />
6 Vgl. Raiser, in: Raiser/Schmidt/Bultmann, Anwaltsklausuren (2003), S. 23;<br />
Kleindieck, Methodische Herausforderungen der Ausbildungsreform, in: Barton/Jost,<br />
Die inhaltliche Neuausrichtung des rechtswissenschaftlichen Studiums<br />
(2003), S. 59, 62.<br />
7 Vgl. etwa Hoeren/Walter, „Musterklausur Datenschutzrecht“, in: Ehmann, Der<br />
Datenschutzbeauftragte im Unternehmen (1993), S. 160 ff. (Kombination von<br />
Ordnungswidrigkeiten-, Verwaltungs- und Arbeitsrecht, allerdings nicht in der<br />
Form einer Beraterklausur).<br />
8 Grziwotz, „Wir wollen keinen Cent’ bezahlen!“, in: Barton/Jost, Anwaltsorientierung<br />
im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 73 ff. (Immobiliarsachenrecht<br />
und öffentlichrechtlicher Vertrag).<br />
9 Lewinski, „Der unehrliche Bewerber“, JuS 2005, S. 718 ff. (Straf-, Zivil- und<br />
Arbeitsrecht); vgl. Barton, 1. Beispielsfall, JuS 2004, S. 553, 554 (Strafrecht<br />
und Vertragsgestaltung).<br />
10 Gusy/Schewe, „Der grüne Daumen der öffentlichen Hand“, in: Barton/Jost,<br />
Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen Studium (2002), S. 299 ff.<br />
(Kommunal- und Wettbewerbsrecht); Lewinski, „Berliner Hefehörnchen Französische<br />
Art“, JA 2004, S. 735 ff. (Lebensmittel-, Zivil-, Straf- und Wettbewerbsrecht).<br />
11 Vgl. Becker-Eberhard, NJ 2004, S. 389, 390.<br />
12 Die – soweit ersichtlich – h. M. nimmt für die Juristenausbildung eine konkurrierende<br />
Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG<br />
(Gerichtsverfassung) an (vgl. Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), vor § 5,<br />
Rzn. 3, 10; Schmidt-Räntsch, DöD 1987, S. 280, 282 f.). Weil der Bund tatsächlich<br />
nur einen Rahmen vorgibt, kann es hier dahinstehen, ob ihm nicht<br />
doch nur eine bloße Rahmengesetzgebungskompetenz nach entweder Art. 98<br />
Abs. 1, Abs. 3 S. 2 GG oder Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a GG zusteht. Wegen<br />
der (teilweisen) Übertragung der juristischen Prüfungen auf die Universitäten<br />
spricht inzwischen mehr für Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 a GG als Kompetenztitel,<br />
jedenfalls für den universitären Teil der Juristenausbildung.<br />
13 Vorläufer des heutigen § 5 a Abs. 2 S. 3 DRiG war § 5 DRiG und davor<br />
§ 2 ff. GVG (Schmidt-Räntsch, DRiG, 5. Aufl. 1995, vor § 5, Rz. 1; § 5, Rz.<br />
1; § 5 a, Rz. 1).
MN Aufsätze<br />
Auch die sonstigen Vorgaben des DRiG sprechen nicht<br />
gegen einen rechtsgebietsübergreifenden Ansatz. Denn sie<br />
betreffen nur organisatorische Fragen des Prüfungsablaufs:<br />
So unterteilt § 5 Abs. 1, 2. HS DRiG die erste Prüfung in<br />
einen universitären und einen staatlichen Teil. Nach § 5d<br />
Abs. 1 S. 3 DRiG besteht die staatliche Pflichtfachprüfung<br />
aus einem schriftlichen und einem mündlichen Teil, nach<br />
§ 5 d Abs. 2 S. 2 DRiG ist im Schwerpunktbereich mindestens<br />
eine schriftliche Leistung zu erbringen. § 5d Abs. 2<br />
S. 3, 2. HS DRiG schließlich macht nur Vorgaben für den<br />
zeitlichen Ablauf der Prüfung.<br />
Aus der Eigenschaft der §§ 5 a ff. DRiG als Rahmenvorschrift<br />
kann abgeleitet werden, dass der Bund nicht die Abgrenzung<br />
der einzelnen Rechtsgebiete voneinander regeln<br />
wollte. Jedenfalls ist anerkannt, dass das Bundesrecht<br />
„keine ausdrücklichen Vorgaben zur Art und Gestaltung<br />
von [Prüfungs-]Aufgaben“ macht 14 . So steht es den Ländern<br />
traditionell frei, die schriftliche Prüfung durch Klausur oder<br />
Hausarbeit abzunehmen.<br />
Die Ausbildungsreform 2003 jedenfalls wollte die<br />
rechtsgebietsübergreifende Stoffvermittlung fördern. Nach<br />
§ 5 a Abs. 3 S. 1 DRiG berücksichtigen „die Inhalte des<br />
Studiums [u. a.] die [...] rechtsberatende Praxis“. Gleiches<br />
gilt nach § 5 d Abs. 1 S. 1 DRiG für die universitären und<br />
staatlichen Prüfungen. Es ist das Ziel der Reform der Juristenausbildung,<br />
die rechtsberatende Perspektive auch in die<br />
Pflichtfachveranstaltungen zu integrieren 15 . Jedenfalls für<br />
den mündlichen Teil der zweiten Staatsprüfung geht der Gesetzgeber<br />
davon aus, dass „berufsfeldorientierte“ und damit<br />
auch rechtsgebietsübergreifende Aufgaben gestellt werden<br />
können 16 .<br />
III. Strukturierung des Stoffes durch Landesrecht<br />
Die überkommene, nach Rechtsgebieten getrennte Vermittlung<br />
des Stoffes ist also nicht durch das DRiG bedingt,<br />
sondern ausschließlich durch das Juristenausbildungs- und<br />
-prüfungsrecht der Länder. So legen alle Länder fest, dass in<br />
den (staatlichen) Prüfungen die Prüfungsleistungen getrennt<br />
nach den genannten Rechtsgebieten zu erbringen sind 17 .<br />
Ausnahmen, jedenfalls nach dem Wortlaut, bestehen für die<br />
mündliche Prüfung in Berlin und Brandenburg für das<br />
zweite Staatsexamen (jeweils § 29 Abs. 3 JAO) und möglicherweise<br />
noch in Schleswig-Holstein für den staatlichen<br />
Teil des erste Examens (§ 18 Abs. 3 JAO). In Nordrhein-<br />
Westfalen gilt dies ausdrücklich für erstes und zweites<br />
Examen (§§ 15 Abs. 2 S. 3, 51 Abs. 5 JAG). Eine Besonderheit<br />
existiert in Hessen, wo im schriftlichen Teil der zweiten<br />
Staatsprüfung nach § 48 Abs. 3 Nr. 4 JAG eine Klausur<br />
„aus den Bereichen von Arbeit und Wirtschaft“ geschrieben<br />
werden muss.<br />
Die beschriebene „strukturelle Richterperspektive“ des<br />
Juristenausbildungsrechts der Länder betrifft allerdings nur<br />
den staatlichen Teil der Prüfung. Den Universitäten steht es<br />
nach der Konzeption des DRiG ausdrücklich frei, in den<br />
Schwerpunktbereichen Rechtsgebiete zu kombinieren. Nach<br />
der Vorstellung des Reformgesetzgebers ist es sogar der eigentliche<br />
Zweck der Schwerpunktbereiche, einzelne juristische<br />
Fächer (Rechtsgebiete) zusammenzuführen und sich –<br />
rechtsgebietsübergreifend – an „Lebens- und Handlungsbereichen<br />
[zu] orientieren“ 18 . Damit ist das Juristenausbildungsrecht<br />
der Länder als „Bremsklotz“ für rechtsgebietsübergreifende<br />
Prüfungsinhalte identifiziert, jedenfalls im<br />
staatlichen Teil der Prüfung.<br />
IV. Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen<br />
Die strenge Untergliederung in Rechtsgebiete nach dem<br />
Prüfungsrecht der Länder ist nicht unumstößlich19 . Allerdings<br />
dürfen die Bundesländer nicht ohne weiteres für die<br />
juristischen Prüfungen rechtsgebietsübergreifende Aufgabenstellungen<br />
vorsehen. Denn § 5 d Abs. 1 S. 2 DRiG<br />
schreibt vor, dass die „Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen<br />
[...] zu gewährleisten“ ist. Damit wird zwar einerseits<br />
nicht gefordert, dass die Prüfungsregelungen der Länder<br />
in jeder Einzelheit übereinstimmen müssen20 . Doch hat<br />
diese Norm andererseits mehr im Blick als nur die äußere<br />
Begrenzung des Prüfungsstoffes, denn der Pflichtfachstoff<br />
ist bereits in § 5 a Abs. 2 S. 2 DRiG festgelegt. Wie § 5 d<br />
Abs. 1 S. 1 DRiG zeigt, der die rechtsprechende, verwaltende<br />
und rechtsberatende Praxis gleichermaßen erwähnt,<br />
geht es auch um die Art und Weise, wie der Stoff vermittelt<br />
und abgeprüft wird. Fraglich ist also, was das Tatbestandsmerkmal<br />
der „Einheitlichkeit“ bedeutet und wo die Grenze<br />
für die Uneinheitlichkeit liegt. Zwar kann nicht vom Sein<br />
auf das Sollen geschlossen werden, doch mag ein vergleichender<br />
Blick auf die Prüfungsregelungen der Länder hier<br />
Aufschlüsse geben:<br />
Die Gewichtung und Anzahl der Leistungskontrollen in<br />
den Bundesländern ist vergleichbar. So überwiegt im<br />
schriftlichen Teil der staatlichen Prüfung allgemein das Zivilrecht.<br />
Im Einzelnen weichen die Regelungen aber durchaus<br />
voreinander ab. Es gibt Bundesländer, in denen die drei<br />
Rechtsgebiete im Umfang gleichberechtigt nebeneinander<br />
stehen (z. B. Sachsen-Anhalt: §§ 16 Abs. 3, 47 Abs. 3<br />
Nrn. 1–3 JAPrVO). Bei der absoluten Zahl der schriftlichen<br />
Prüfungsleistungen gibt es zwar nominelle Unterscheide<br />
zwischen den Bundesländern. Besonders deutlich ist dies im<br />
Zivilrecht im zweiten Staatsexamen, in dem in Sachsen-Anhalt<br />
nur zwei Klausuren geschrieben werden (§ 47 Abs. 3<br />
Nr. 1 JAPrVO) und in Bayern fünf (§ 62 Abs. 3 S. 1<br />
Nr. 1 JAPO). Doch relativiert sich dieser Befund, wenn man<br />
berücksichtigt, dass in Sachsen-Anhalt noch zusätzlich zwei<br />
Anwaltsklausuren geschrieben werden (§ 47 Abs. 3<br />
Nr. 4 JAPrVO) und in Bayern die Zahl der schriftlichen Prü-<br />
14 Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), Anh. zu § 5 d, Rz. 62.<br />
15 BT-Ds. 14/7176, S. 10 f.; so schon die Forderung der 1. Soldan-Tagung 1999<br />
(Barton/Jost/Lindemann/Schumacher, Anwaltsorientierung im rechtswissenschaftlichen<br />
Studium (2000), S. 9).<br />
16 BT-Ds. 14/7176, S. 14. Dies ist – soweit ersichtlich – nur in Berlin und Brandenburg<br />
(jeweils § 29 Abs. 3 JAO) und Nordrhein-Westfalen (§ 51 Abs. 5 JAG)<br />
landesrechtlich umgesetzt worden.<br />
17 Baden-Württemberg: §§ 13 Abs. 3, 17 Abs. 2, 50 Abs. 3, 53 Abs. 2 JAPrO;<br />
Bayern: §§ 28 Abs. 1, 62 Abs. 3, 65 Abs. 2 S. 1 JAPO; Berlin: §§ 5 Abs. 3, 9<br />
Abs. 2 S. 2, 28 Abs. 2 S. 1 JAO; Brandenburg: §§ 5 Abs. 3, 9 Abs. 2 S. 2, 28<br />
Abs. 2 S. 1 JAO; Bremen: §§ 18 Abs. 2, 22 Abs. 2 JAPG; Hamburg: §§ 15<br />
Abs. 2, 20 Abs. 3 JAG; Hessen: §§ 13 Abs. 2, 14, 48 Abs. 4, 50 Abs. 4 JAG;<br />
Mecklenburg-Vorpommern: §§ 12 Abs. 2, 19 Abs. 1, 46 Abs. 3, 50<br />
Abs. 2 JAPO; Niedersachsen: §§ 16, 19 Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 4, 37 Abs. 2, 39<br />
Abs. 4 JAVO; Nordrhein-Westfalen: §§ 10 Abs. 2, 51 Abs. 2 S. 2 JAG; Rheinland-Pfalz:<br />
§§ 6 Abs. 1, 7 Abs. 1, 39 Abs. 1, 40 Abs. 1 JAPO; Saarland: §§ 5<br />
Abs. 1, 10 Abs. 2, 33 Abs. 1, 36 Abs. 2 JAO; Sachsen: §§ 23 Abs. 2, 26<br />
Abs. 3, 47 Abs. 3, 49 Abs. 4 JAPO; Sachsen-Anhalt: §§ 16 Abs. 3, 21 Abs. 4,<br />
47 Abs. 3 JAPrVO; Schleswig-Holstein: §§ 11 Abs. 2 JAVO; Thüringen: §§ 20<br />
Abs. 2, 23 Abs. 5, 47 Abs. 2, 49 Abs. 2 JAPO. Für das 2. Staatsexamen in<br />
Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein gilt eine Übereinkunft von 1972;<br />
sie deckt sich inhaltlich mit den Regelungen der anderen Bundesländer (vgl.<br />
§§ 8 Abs. 2, 16 Abs. 5).<br />
18 BT-Ds. 14/8629, S. 12; vgl. auch BT-Ds. 14/7176, S. 10 („interdisziplinäre<br />
Wahlfächer“).<br />
19 Vgl. zum fachübergreifenden Ansatz in der Medizinerausbildung: § 2<br />
Abs. 2 ÄAppO („Der Unterricht im Studium soll fächerübergreifendes Denken<br />
fördern und soweit zweckmäßig problemorientiert am Lehrgegenstand ausgerichtet<br />
sein.“).<br />
20 Schmidt-Räntsch, DRiG (5. Aufl. 1995), § 5 d, Rz. 4.<br />
AnwBl 1 / 2006 11
MN Aufsätze<br />
fungsleistungen mit elf (§ 62 Abs. 3 JAPO) im Bundesvergleich<br />
am höchsten ist.<br />
Dieser Überblick zeigt, dass die Zahl der in den Bundesländern<br />
geforderten Klausuren um regelmäßig eine Klausur<br />
pro Fach variiert. Im zweiten Staatexamen ist eine Abweichung<br />
von bis zu zwei Klausuren üblich; der eben beschriebene<br />
Unterschied zwischen Sachsen-Anhalt und Bayern<br />
von drei Klausuren ist bereits eine Ausnahme und beruht<br />
zudem auf Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsrechts.<br />
Es ist also heute schon möglich, in den staatlichen Prüfungen<br />
wenigstens eine Klausur rechtgebietsübergreifend<br />
zu konzipieren. Eine stärkere Abweichung wäre vor dem<br />
Hintergrund der geltenden Praxis aber mit dem Risiko behaftet,<br />
die „Einheitlichkeit“ zu verletzen.<br />
V. Begrenzte Möglichkeit zur Einführung rechtsgebietsübergreifender<br />
Prüfungen<br />
Es kann festgehalten werden, dass die Länder in begrenztem<br />
Umfang berechtigt sind, rechtsgebietsübergreifende<br />
Aufgaben in den juristischen Prüfungen in den<br />
Pflichtfächern einzuführen. Eine stärkere Betonung dieser<br />
Art der Prüfung muss das (auch) auf § 5 d Abs. 1<br />
S. 1 DRiG bezogene Einheitlichkeitserfordernis berücksichtigen.<br />
C. Vorschläge zur Beseitigung der „strukturellen<br />
Richterperspektive“<br />
Rechtsgebietsübergreifende Prüfungen sind also nur<br />
möglich, wenn sie landesrechtlich erlaubt werden. Eine solche<br />
landesrechtliche Regelung ist ihrerseits aber nur zulässig,<br />
wenn dadurch die „Einheitlichkeit der Prüfungsanforderungen“<br />
nicht verletzt wird.<br />
Wenn eine rechtsgebietsübergreifende Ausbildung und<br />
Prüfung gewollt ist – wovon man nach der Zielsetzung der<br />
Reform der Juristenausbildung ausgehen kann – dann muss<br />
nach Wegen gesucht werden, dieses Ziel zu erreichen. Diejenigen,<br />
die der Rechtsberatung und -gestaltung mehr Raum<br />
in der Ausbildung gewähren wollen, sind hier also selbst<br />
zur Rechtsgestaltung aufgerufen. Zwei Möglichkeiten stehen<br />
zur Auswahl:<br />
I. Konzertierte Aktion der Länder<br />
Da das Bundesrecht bis auf das „Einheitlichkeitserfordernis“<br />
den Ländern für rechtsgebietsübergreifende Prüfungsinhalte<br />
keine Vorgaben macht, könnten sich die Länder zu<br />
einer „konzertierten Aktion“ verständigen und rechtsgebietsübergreifende<br />
Aspekte in ihre Juristenausbildungsgesetze<br />
aufnehmen. Auch können einzelne Länder, solange<br />
die Einheitlichkeit gewahrt bleibt, schrittweise vorangehen<br />
und warten, bis die anderen folgen.<br />
Es bleibt aber zu bedenken, was geschieht, wenn sich die<br />
Länder nicht auf ein einheitliches Vorgehen einigen können<br />
oder sich die Prüfungsanforderungen so weit auseinanderentwickeln,<br />
dass keine Einheitlichkeit mehr besteht. Das<br />
Gebot der Einheitlichkeit lässt es nicht zu, dass auch nur ein<br />
Bundesland einen grundsätzlich anderen Weg wählt. Dies<br />
gilt sowohl für den Fall, dass ein oder nur wenige Länder<br />
von der bisherigen Praxis abweichen wollen, als auch für<br />
den, dass nur ein Land bei der „strukturellen Richterper-<br />
21 Greßmann, Die Reform der Juristenausbildung (2002), S. 40.<br />
12 AnwBl 1 / 2006<br />
spektive“ bleibt. Das Gebot der „Einheitlichkeit“ kennt kein<br />
Quorum.<br />
II. Ergänzung des DRiG<br />
Zur Beseitigung der „strukturellen Richterperspektive“<br />
kann der Bund auch das DRiG ändern, insb. das Einheitlichkeitserfordernis<br />
in § 5 d Abs. 1 S. 2 DRiG streichen. Dies<br />
könnte aber zu einer Auseinanderentwicklung der juristischen<br />
Ausbildungen führen, die letztlich den „Einheitsjuristen“<br />
– in dem Sinne, dass er in ganz Deutschland einheitlich<br />
ausgebildet wird – in Frage stellt 21 .<br />
Dem Ziel rechtsgebietsübergreifender Klausuren wäre<br />
am besten gedient, wenn das DRiG um eine Bestimmung ergänzt<br />
würde, die es den Ländern freistellt, rechtsgebietsübergreifende<br />
Prüfungen abzunehmen. Bei der bestehenden<br />
Regelung des § 5 d DRiG mag sich empfehlen, dem Satz 2<br />
in § 5 d Abs. 1 DRiG folgenden, durch ein Semikolon abgetrennten<br />
Halbsatz anzufügen: „die Einheitlichkeit bezieht<br />
sich nicht auf Trennung und Kombination der Pflichtfächer<br />
in der Prüfung“.<br />
Eine spezielle Bestimmung zur Wahrung der Richteroder<br />
Entscheiderperspektive in der Prüfung ist dagegen<br />
nicht erforderlich. Sie besteht bereits in Form des § 5 d<br />
Abs. 1 S. 1 DRiG, wonach die rechtsprechende und rechtsberatende<br />
Praxis zu berücksichtigen ist. Dies verbietet eine<br />
unverhältnismäßige Betonung des einen Aspekts gegenüber<br />
dem anderen. So wird man aus dieser Norm folgern können,<br />
dass rechtsgebietsübergreifende (Berater-)Klausuren allgemein<br />
nicht mehr als die Hälfte der Prüfung ausmachen<br />
dürften, da rechtsprechende und verwaltende Praxis auch<br />
berücksichtigt werden müssen.<br />
D. Keine gleichberechtigte Anwaltsausbildung bei<br />
struktureller Richterperspektive<br />
Während bereits heute rechtsbereichsübergreifend gelehrt<br />
und in den universitären Schwerpunktbereichen auch<br />
geprüft werden kann, ist die staatliche Prüfung durch das<br />
Prüfungsrecht der Länder der „strukturellen Richterperspektive“<br />
verhaftet. Gleichberechtigt wird die rechtsgebietsübergreifende<br />
Anwaltsperspektive in die juristische Ausbildung<br />
und Prüfung erst dann sein, wenn sich entweder die Bundesländer<br />
einheitlich hierauf verständigen oder der Bundesgesetzgeber<br />
eine entsprechende Vorschrift in das DRiG einfügt.<br />
Erste Schritte fort von der „strukturellen<br />
Richterperspektive“ und damit hin zu einer Gleichberechtigung<br />
der Anwaltsorientierung können die Länder schon<br />
heute jeweils alleine machen, etwa durch einzelne rechtsbereichsübergreifende<br />
Klausuren im ersten Examen.<br />
Dr. Kai von Lewinski, Berlin<br />
Der Autor ist wissenschaftlicher Assistent an der<br />
Humboldt-Universität zu Berlin. Er war Rechtsanwalt<br />
und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Anwaltsrecht<br />
an der Humboldt-Universität zu Berlin.
MN Aufsätze<br />
Sozietätserstreckung<br />
des Verbots<br />
der Interessenkollision<br />
Satzungsversammlung beschließt Neuregelung<br />
des § 3 BORA<br />
Rechtsanwalt, Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg i.Br.<br />
Eine der wesentlichsten Berufspflichten der Rechtsanwälte<br />
ist das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Es<br />
erfasst bisher nur den einzelnen Rechtsanwalt, so dass ein<br />
Mandat im Kollisionsfall durch Abgabe an einen Sozius fortgeführt<br />
werden kann. Das BVerfG hatte in dem Sozietätswechslerfall<br />
die Satzungsbestimmung für verfassungswidrig<br />
erklärt, in der eine Sozietätserstreckung dieser Berufspflicht<br />
erstmals normiert war. Nunmehr hat die Satzungsversammlung<br />
mit § 3 BORA einen neuen Versuch unternommen, um<br />
das Interessenwiderstreitverbot zu erweitern. Sollte die dem<br />
Bundesjustizministerium zur Prüfung vorgelegte Bestimmung<br />
geltendes Recht werden, wird dies erhebliche Auswirkungen<br />
auf die Praxis haben. Über ihr schwebt aber erneut<br />
das Damoklesschwert der Verfassungswidrigkeit.<br />
I. Bisherige Rechtslage<br />
Das Interessenwiderstreitverbot ist strafrechtlich und berufsrechtlich<br />
normiert. Die Parteiverratsbestimmung des<br />
§ 356 StGB gilt – unstreitig – nur für den im Einzelfall tätigen<br />
Rechtsanwalt, nicht aber für mit ihm zivilvertraglich<br />
verbundene Kollegen 1 . Das nur auf dem Sozietätsverhältnis<br />
beruhende Anvertrautsein einer Rechtssache kann die zusätzliche<br />
Tatbestandsvoraussetzung des Dienens für die Partei<br />
nicht ersetzen. Dies gilt erst recht im Fall eines in eine<br />
Sozietät eintretenden Rechtsanwalts, da diesem eine Rechtssache<br />
aus einem schon bestehenden Mandat noch nicht einmal<br />
anvertraut war.<br />
Nichts anderes gilt auch für die berufsrechtliche Regelung<br />
des § 43 a IV BRAO. Vereinzelt vertretene gegenteilige<br />
Meinungen – wie von Feuerich 2 oder Eylmann 3 – erweisen<br />
sich bei Beachtung auch im Berufsrecht bisher noch geltender<br />
elementarer Auslegungsgrundsätze für Rechtsnormen<br />
als unhaltbar, zumal auch die von den Autoren unkritisch<br />
gebilligte Satzungsbestimmung des § 3 II BORA a. F. vom<br />
BVerfG – wie prognostiziert 4 – kassiert wurde. 5 Für eine dahingehende<br />
Auslegung spricht schließlich einmal der Wortlaut<br />
des – eindeutig nur den einzelnen Rechtsanwalt erfassenden<br />
– § 43 a IV BRAO; dies gilt nicht nur bei Erteilung<br />
einer Einzelvollmacht, wie sie im Strafrecht oder Berufsund<br />
Disziplinarrecht zwingend ist, sondern auch bei einer<br />
auf die Kanzlei ausgestellten Vollmacht. Auch die systematische<br />
Interpretation bestätigt das Fehlen einer Sozietätserstreckung,<br />
hat doch der Gesetzgeber bei der insoweit<br />
maßgeblichen Berufsrechtsreform 1994 das Interessenwiderstreitverbot<br />
aus der Bestimmung des § 45 BRAO herausgenommen<br />
und in § 43 a IV BRAO normiert bei gleichzeitiger<br />
erstmaliger Einfügung von dezidierten speziellen<br />
Sozietätserstreckungsregelungen in § 45 III BRAO sowie<br />
§ 46 III BRAO.<br />
Wenn angesichts dieses eindeutigen Auslegungsbefundes<br />
der AGH München 6 in einer neueren Entscheidung allen<br />
Ernstes behauptet, dass der Zweck der Regelung des § 43 a<br />
IV BRAO eine Sozietätserstreckung gebiete, dann setzen<br />
sich diese Richter über elementarste Grundsätze juristischer<br />
Hermeneutik – man muss es offen sagen – hinweg. Ihre Argumentation<br />
ist schlicht unhaltbar, wie die apodiktische Behauptung<br />
einer Sozietätserstreckung der gesetzlichen Regelung<br />
durch den BGH im Sozietätswechslerfall, welche das<br />
BVerfG prompt mit einer einstweiligen Anordnung 7 und der<br />
späteren Aufhebung 8 „bestrafte“.<br />
II. Praxis der Vertretung widerstreitender Interessen<br />
in Sozietäten<br />
Die Beschränkung des straf- wie berufsrechtlichen Interessenwiderstreitverbots<br />
auf den Einzelanwalt entspricht<br />
auch bis heute der Praxis, wie das Fehlen entgegenstehender<br />
berufsrechtlicher Judikatur zeigt. So wird die Verteidigung<br />
mehrerer Angeklagter in derselben Rechtssache durch verschiedene<br />
Rechtsanwälte ein und derselben Sozietät für unbedenklich<br />
erachtet 9 .<br />
Eine undifferenzierte Sozietätserstreckung des Verbots<br />
führt nach dem BVerfG auch zu einer unverhältnismäßigen<br />
Beschränkung der Berufsfreiheit des Rechtsanwalts nach<br />
Art. 12 I GG. 10 „Denn danach könnte keiner der Sozien eines<br />
Verteidigers das Mandat des Mitbeschuldigten übernehmen.<br />
Des weiteren wäre die Bildung einer Sozietät unter<br />
Rechtsanwälten, die je einen von mehreren<br />
Mitbeschuldigten verteidigen, nur um den Preis des Mandatsverlusts<br />
möglich. Es geht nicht an, solche Behinderungen<br />
und Beschränkungen der anwaltlichen Berufstätigkeit<br />
allein an den Umstand zu knüpfen, dass Rechtsanwälte in<br />
einer Sozietät zusamgengeschlossen sind und damit eine<br />
Form der Berufsausübung gezählt haben, die seit langem<br />
üblich, erlaubt und gesetzlich anerkannt ist. .... Dies käme<br />
einer übermäßig belastenden und nicht zumutbaren Berufsausübungsregelung<br />
gleich, für die sich keinerlei vernünftige<br />
Erwägungen des Gemeinwohls anführen lassen<br />
(BVerfGE 7, 377, 378, 405).“<br />
Entsprechend ist nach ständiger Rechtsprechung auch<br />
die Bestellung eines Rechtsanwalts zum Pflichtverteidiger<br />
nicht schon deshalb unzulässig, weil dessen Sozietätskollege<br />
bereits einen derselben Tat Mitbeschuldigten verteidigt.<br />
Auf der Linie des BVerfG liegen auch die Fachgerichte wie<br />
1 Vgl. nur OLG Stuttgart, NJW 1986, 948; Kleine-Cosack, StrafV. 1999,<br />
149,150; Henssler, NJW 2001, 1524; vgl. auch BGH NJW 1994, 2302.<br />
2 Feuerich-Weyland, BRAO, 6. Aufl. 2003, § 43 a Rn. 57 ff.; n. ü. auch Offermann-Burckart,<br />
AnwBl. 2005, 312 ff.<br />
3 In: Henssler/Prütting, BRAO, 2. Aufl. 2004, § 43 a Rn. 129; Grunewald,<br />
AnwBl 2005, 437, 441; Kilian, BB 2003, 2189, 2193; Kirchberg, BRAK-Mitt.<br />
2003, 236, 237; Müller, AnwBl 2001, 491, 492; Römermann, MDR 2003,<br />
1083, 1084; Schramm, DStR 2003, 1316, 1319; Westerwelle, NJW 2003, 2958,<br />
2960. – An dem skizzierten Negativbefund ändert im übrigen auch nichts der<br />
sich in der Sozietätswechlerentscheidung des BVerfG findende Verweis auf die<br />
Rechtsfortbildungskompetenz der Gerichte. Mit ihm hat das BVerfG schließlich<br />
nur interpretatorisch Steine statt Brot geliefert. Die Aussage kommt nicht über<br />
die Bestimmtheit delphischer Orakelsprüche hinaus, zumal es keine richterliche<br />
Rechtsfortbildung contra legem und gegen den klaren Wortlaut und die<br />
Systematik geben kann.<br />
4 Vgl. Kleine-Cosack, StrafFO 1998, 149 ff.<br />
5 BVerfG AnwBl. 2003, 521; dazu Kleine-Cosack, AnwBl. 2003, 539.<br />
6 AGH München NVwZ-RR 2005, 1225.<br />
7 BVerfG NJW 1977, 2781 ff.<br />
8 BVerfG ebenda.<br />
9 Vgl. ausf. m. w. N. Kleine-Cosack, AnwBl. 1998, 417 ff.<br />
10 BVerfG ebenda.<br />
AnwBl 1 / 2006 13
MN Aufsätze<br />
z. B. das OLG Düsseldorf 11 oder das OLG Frankfurt 12 . Allein<br />
die abstrakte Möglichkeit eines Interessenwiderstreits stellt<br />
keinen Hinderungsgrund für eine Bestellung dar 13 .<br />
III. Neue Satzungsbestimmung<br />
Die Satzungsversammlung hat auf ihrer letzten Sitzung<br />
im November 2005 nunmehr einen neuen Anlauf unternommen,<br />
um das berufsrechtliche Verbot der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen auf Sozietäten zu erstrecken. Die<br />
fragliche Vorschrift des § 3 BORA n. F. soll in der Zukunft<br />
lauten:<br />
„§ 3 Widerstreitende Interessen, Versagung der Berufstätigkeit<br />
(1) Der Rechtsanwalt darf nicht tätig werden, wenn er<br />
eine andere Partei in derselben Rechtssache im widerstreitenden<br />
Interesse bereits beraten oder vertreten hat oder mit<br />
dieser Rechtssache in sonstiger Weise im Sinne der §§ 45,<br />
46 Bundesrechtsanwaltsordnung beruflich befasst war.<br />
(2) Das Verbot des Abs. 1 gilt auch für alle mit ihm in<br />
derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft gleich<br />
welcher Rechts- oder Organisationsform verbundenen<br />
Rechtsanwälte. Satz 1 gilt nicht, wenn sich im Einzelfall die<br />
betroffenen Mandanten in den widerstreitenden Mandaten<br />
nach umfassender Information mit der Vertretung ausdrücklich<br />
einverstanden erklärt haben und Belange der<br />
Rechtspflege nicht entgegenstehen. Information und Einverständniserklärung<br />
sollen in Textform erfolgen.<br />
(3) Die Absätze 1 und 2 gelten auch für den Fall, dass<br />
der Rechtsanwalt von einer Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />
zu einer anderen Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />
wechselt.<br />
(4) Wer erkennt, dass er entgegen den Absätzen 1 bis 3<br />
tätig ist, hat unverzüglich seinen Mandanten davon zu unterrichten<br />
und alle Mandate in derselben Rechtssache zu<br />
beenden.<br />
(5) Die vorstehenden Regelungen lassen die Verpflichtung<br />
zur Verschwiegenheit unberührt.“<br />
Mit einem Inkrafttreten dieser neuen Reglung ist nicht<br />
vor dem 1. Juli 2006 zu rechnen. Voraussetzung ist jedoch,<br />
dass das Bundesjustizministerium keine Beanstandung –<br />
wie erst kürzlich zum wiederholten Male bei der Neufassung<br />
des § 7 BORA – ausspricht. Dies ist auch diesmal<br />
nicht völlig auszuschließen, da die Vorschrift erhebliche<br />
Probleme aufwirft und gravierende verfassungsrechtliche<br />
Bedenken gegen die Kompetenz der Satzungsversammlung<br />
zum Erlass einer derart weitreichenden Regelung bestehen.<br />
IV. Allgemeine Kritik<br />
Die Neuregelung des § 3 BORA n. F. ist alles andere als<br />
ein Meisterwerk der anwaltlicher Satzungsautonomie. Dies<br />
gilt einmal unter dem Aspekt der Wiederholung. Teile der<br />
Norm sind entweder völlig überflüssig oder sie führen zu<br />
Problemen. Der erste Kritikpunkt betrifft den Absatz 1.<br />
Hier wird einmal völlig unnötig der § 43 a IV BRAO wiedergegeben;<br />
soweit darin die in der gesetzlichen Bestimmung<br />
sich nicht findenden Worte „in derselben Rechtssache“<br />
enthalten sind, ist damit keine konstitutive<br />
Neuregelung verbunden, weil die entsprechende Beschränkung<br />
schon immer bei § 43 a IV BRAO nach h. A. gegolten<br />
hat. 14 Nicht erforderlich ist auch die Niederlegungspflicht in<br />
Abs. 4; sie ist schließlich selbstverständliche Folge des Vertretungsverbots.<br />
Überflüssig ist schließlich auch die Rege-<br />
14 AnwBl 1 / 2006<br />
lung des Absatzes 5, wonach die Neuregelung die Verschwiegenheitspflicht<br />
unberührt lässt; insoweit besteht<br />
zudem ohnehin keine nennenswerte Satzungskompetenz<br />
nach § 59 b BRAO angesichts des Vorrangs der strafrechtlichen<br />
Normierung der Verschwiegenheitspflicht in § 203<br />
StGB.<br />
Nichtssagend ist weiter der Absatz 3, nach dem die Sozietätserstreckung<br />
des Absatz zwei auch im Falle des Sozietätswechsels<br />
gelten soll. Ursprünglich war speziell für diese<br />
Fallkonstellation bei dem Versuch der Umsetzung der Sozietätswechslerentscheidung<br />
des BVerfG 15 mit ihren Hinweisen<br />
auf eine mögliche Neuregelung eine „bandwurmartige“ Bestimmung<br />
mit zahlreichen Verfahrens- und Aufklärungspflichten<br />
vorgesehen. Sie hat sich in der Diskussion als untauglich<br />
bzw. unpraktikabel und unverhältnismäßig<br />
erwiesen. Mit dem endgültig beschlossen Verzicht auf alle<br />
Details und nur dem Verweis auf den Absatz 2 ist jedoch<br />
nichts gewonnen. Das Schweigen der Satzung erinnert an<br />
den Schlußsatz des mittlerweile „gestorbenen“ Literarischen<br />
Quartetts: „Man sieht betroffen, den Vorhang zu und alle<br />
Fragen offen.“<br />
Eine in mehrfacher Hinsicht nicht ganz unproblematische<br />
Wiederholung findet sich im 2. Satzteil des Absatz 1.<br />
Hier wird Bezug genommen auf die Berufspflichten der<br />
§§ 45, 46 BRAO. Dieser Verweis ist nicht nur ebenfalls entbehrlich.<br />
Unklar ist vielmehr, ob mit der Satzungsregelung<br />
auch Modifikationen der gesetzlichen Regelung verbunden<br />
sein sollen. Wenn nämlich z. B. bestimmt ist, dass der<br />
Rechtsanwalt auch nicht tätig werden darf, wenn er mit einer<br />
Rechtssache nach § 45 BRAO befasst war, so wird damit<br />
ein uneingeschränktes Tätigkeitsverbot normiert. Die mehr<br />
als problematische Bestimmung des § 45 I Nr. 4 BRAO erlaubt<br />
jedoch ein Tätigwerden des Rechtsanwalts, wenn die<br />
bisherige nichtanwaltliche Tätigkeit beendet ist. Diese Einschränkung<br />
ist auf Druck des Rechtsausschusses des Deutschen<br />
Bundestages aufgenommen worden und auch verfassungsrechtlich<br />
zwingend, da ein uneingeschränktes<br />
Tätigkeitsverbot am Maßstab des Art. 12 I GG nicht vertretbar<br />
war. 16 Diese unter dem Aspekt des Vorrangs des Gesetzes<br />
wie auch materiell verfassungsrechtlich zwingende Restriktion<br />
des Verbots findet sich nicht in Absatz 1 der<br />
Neuregelung, was bereits Bedenken im Hinblick auf die<br />
Verfassungsmäßigkeit aufwirft. Ihnen kann man nur dadurch<br />
begegnen, indem man den Absatz. 1 als – wenn auch<br />
verunglückten – Verweis auf die §§ 45, 46 BRAO auffasst,<br />
dem keine darüber hinausgehende oder davon abweichende<br />
inhaltliche Neuregelungsfunktion zukommt.<br />
Die Zitierung der §§ 45 und 46 BRAO ist auch deshalb<br />
fragwürdig, weil diese gesetzlichen Bestimmungen bereits<br />
Sozietätserstreckungsregelungen in den Absätzen drei enthalten<br />
im Gegensatz zu § 43 a IV BRAO. Das Verhältnis der<br />
11 OLG Düsseldorf NJW 2002, 3267: „ § 146 StPO verbietet es nicht, dass sich<br />
die Verteidiger mehrerer derselben Tat Beschuldigter untereinander besprechen<br />
und ihr Vorgehen miteinander abstimmen. Zur Entwicklung einer solchen<br />
– in den Grenzen der §§ 258 und 356 StGB zulässigen – gemeinsamen<br />
Verteidigungsstrategie kann der eine Verteidiger auch an Gesprächen teilnehmen,<br />
die der andere Verteidiger mit seinem Mandanten führt. Eine derartige<br />
Zusammenarbeit allein vermag die konkrete Vermutung für eine Tätigkeit zu<br />
Gunsten des weiteren Beschuldigten, die den Interessen des eigene Mandanten<br />
zuwiderläuft, nicht zu begründen.“<br />
12 NJW 1999, 1414.<br />
13 Vgl. a. OLG Stuttgart StV 2000,656, 5. Strafsenat; vgl. aber OLG Stuttgart,<br />
OLG StPO § 142 Nr. 5.<br />
14 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO, 4. Aufl. 2003, § 43 a Rn 80.<br />
15 BVerfG AnwBl. 2003, 521.<br />
16 Vgl. Kleine-Cosack, BRAO (aaO. Fn. 14) § 45 Rn 22 ff.
MN Aufsätze<br />
Satzungsregelung des § 3 II BORA n. F. zu den §§ 45 III<br />
und § 46 III BRAO ist aber mehr als fragwürdig; schließlich<br />
enthält der § 3 II BORA Einschränkungen des Verbots, welche<br />
sich in den gesetzlichen Bestimmungen nicht finden. Es<br />
stellt sich daher unter dem Aspekt des in Art. 20 III GG verankerten<br />
Vorrangs des Gesetzes die Frage, ob der Satzungsgeber<br />
die Tatbestände der §§ 45 III und 46 III BRAO einschränken<br />
durfte, was mehr als problematisch ist. § 59 b II<br />
1 e BRAO enthält schließlich nur eine Ermächtigung zur näheren<br />
Regelung des Verbots widerstreitender Interessen und<br />
damit des § 43 a IV BRAO; eine Satzungskompetenz für die<br />
§§ 45, 46 BRAO, in denen es im wesentlichen nicht um Interessenwiderstreitverbote<br />
geht, besteht hingegen nicht.<br />
Wenn der Satzungsgeber daher klug gewesen wäre, dann<br />
hätte er sich auf den Absatz 2 mit der Beschränkung der Sozietätserstreckung<br />
auf den zentralen Fall des § 43 a IV<br />
BRAO beschränkt bei gleichzeitigem Verzicht auf das problematische<br />
oder völlig überflüssige normative Beiwerk in<br />
den Absätzen 1, 3, 4 und 5.<br />
V. Voraussetzungen des § 3 II BORA n. F.<br />
Das eigentliche „Herzstück“ der Neuregelung ist die Sozietätserstreckungsregelung<br />
für das Verbot widerstreitender<br />
Interessen in § 3 II BORA. Seine Auslegung wirft verschiedene<br />
Fragen auf.<br />
1. Berufliche Verbindung<br />
Erfasst werden von der Erstreckungsregelung Verbote<br />
des Abs. 1. Erfüllt werden muss daher bei dem die Infizierung<br />
auslösenden Rechtsanwalt einer der Verbotstatbestände<br />
der §§ 43 a IV, 45 oder 46 BRAO. Beim wichtigsten Fall des<br />
Interessenwiderstreitverbots des § 43 a IV BRAO muss daher<br />
ein Rechtsanwalt „in derselben Rechtssache“ auf Grund<br />
einer früherer anwaltlicher Vorbefassung „interessengegensätzlich“<br />
handeln bei der Übernahme des Mandats auf der<br />
Gegenseite.<br />
Das Verbot des Abs. 1 gilt für alle mit dem „infizierten“<br />
Rechtsanwalt in derselben Berufsausübungs- oder Bürogemeinschaft<br />
gleich welcher Rechts- oder Organisationsform<br />
verbundenen Rechtsanwälte.<br />
a) Berufsausübungsgemeinschaft<br />
Es muß daher einmal eine Berufsausübungsgemeinschaft<br />
vorliegen. Deren Rechtsform ist weitgehend irrelevant. Es<br />
kann sich handeln um eine Sozietät in Form einer BGB-Gesellschaft,<br />
GmbH, AG oder auch nach ausländischem Recht.<br />
Nicht differenziert die Norm zwischen örtlichen und überörtlichen,<br />
nationalen wie internationalen Sozietäten, was –<br />
ungeachtet der bestehenden Abgrenzungsprobleme – unter<br />
Verhältnismäßigkeitsaspekten mehr als problematisch ist.<br />
Unerheblich ist auch im Prinzip der Status in der Gemeinschaft.<br />
So kann es sich um Sozien oder Angestellte handeln.<br />
Nicht hingegen reicht die schlichte Stellung als freier Mitarbeiter,<br />
wobei sich im Berufsrecht bei dieser Vorschrift die<br />
gleichen Abgrenzungsprobleme stellen wie im Arbeits- und Sozialrecht.<br />
Maßgeblich sind danach vor allem die tatsächlichen<br />
Verhältnisse und nicht allein – oftmals der Wirklichkeit nicht<br />
entsprechende – Verträge. Irrelevant ist nach dem Wortlaut<br />
auch die Art der Mandatierung. Das Verbot soll nicht nur im<br />
Regelfall der Erteilung einer Vollmacht auf die gesamte Sozietät<br />
sondern auch bei auf einzelne Rechtsanwälte erteilten – wie erwähnt<br />
u. a. im Strafrecht üblichen – Einzelvollmachten gelten.<br />
Rechtsanwälte neigen dazu, sich – obwohl tatsächlich<br />
zahlenmäßig klein oder gar allein – gerne größer zu machen,<br />
indem sie auf den Briefköpfen u. a. Kollegen so aufführen,<br />
dass der Eindruck einer Berufsausübungsgemeinschaft entsteht.<br />
Angesichts des Zwecks der Regelung sollte auch in<br />
diesem Fall – entsprechend der Judikatur zum vergleichbaren<br />
Problem der Haftungserstreckung auf die gesamte Sozietät<br />
– die Sozietätserstreckung gelten.<br />
b) Bürogemeinschaft<br />
Sie soll auch gelten bei einer Kooperation in Form einer<br />
Bürogemeinschaft. Dies ist verfassungsrechtlich mehr als<br />
problematisch, da in diesem Fall die Erforderlichkeit der<br />
Beschränkung und damit deren Verhältnismäßigkeit nur<br />
schwer begründet werden kann. Keinesfalls reicht im Übrigen<br />
eine Kooperation unter dem Dach einer EWiV, da es<br />
sich bei dieser weder um eine Berufsausübungsgemeinschaft<br />
noch eine Bürogemeinschaft handelt.<br />
2. Einschränkungen<br />
Satz 1 gilt nach § 3 III 2 BORA n. F. nicht, wenn sich im<br />
Einzelfall die betroffenen Mandanten in den widerstreitenden<br />
Mandaten nach umfassender Information mit der Vertretung<br />
ausdrücklich einverstanden erklärt haben und Belange<br />
der Rechtspflege nicht entgegenstehen.<br />
a) Verfassungsrechtliche Notwendigkeit<br />
Die anders als bei der Einzelverbotsnorm des § 43 a IV<br />
BRAO, bei der z. B. das Einverständnis der Mandanten<br />
schlicht irrelevant ist, in der Sozietätserstreckungsregelung<br />
sich findenden Einschränkungen sind letztlich verfassungsrechtlich<br />
bedingt. Das BVerfG hat in der Entscheidung zur<br />
Beschränkung des § 146 StPO 17 auf den Einzelanwalt sowie<br />
zur Nichtigkeit des Vorläufers des § 3 BORA n. F. im Sozietätswechslerfall<br />
18 deutlich gemacht, dass die Grundrechte<br />
der Anwälte – hier vor allem die Berufsausübungsfreiheit<br />
des Art. 12 I GG – und der Mandanten – hier vor allem die<br />
Handlungsfreiheit gem. Art. 2 I GG – pauschale Sozietätserstreckungsregelungen<br />
verbieten. Bei der unverzichtbaren<br />
strikten Verhältnismäßigkeitsprüfung erweisen sich hier Verbote<br />
nicht ohne weiteres als erforderlich. Schließlich kommen<br />
die mit der individualbezogenen Prävarikationsregelung<br />
verfolgten Ziele bei einer widerstreitenden<br />
Interessenvertretung durch andere Anwälte nur mehr als abgeschwächt<br />
zur Geltung.<br />
aa) Funktion des Einzelverbots<br />
Das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen<br />
soll vor allem der Wahrung der Unabhängigkeit des Rechtsanwalts<br />
dienen. Ein Anwalt, der sich zum Diener gegenläufiger<br />
Interessen macht, verliert jegliche unabhängige Sachwalterstellung<br />
im Dienst des Rechtsuchenden. Das Verbot<br />
ist erforderlich im Interesse der Rechtspflege zwecks Sicherstellung<br />
der gebotenen Geradlinigkeit der anwaltlichen<br />
Berufsausübung 19 . Geschützt wird das Vertrauen der Allgemeinheit<br />
in die Zuverlässigkeit und Integrität der An-<br />
17 BVerfG NJW 1977, 99.<br />
18 BVerfG AnwBl 2003, 521.<br />
19 Vgl. auch BT-Ds. 12/4993, S. 27.<br />
AnwBl 1 / 2006 15
MN Aufsätze<br />
walts- und Rechtsbeistandschaft 20 . Der Prävarikation kommt<br />
zudem auch eine subjektive Mandantenfunktion zu.<br />
bb) Abschwächung der Gemeinwohlziele bei Sozietäten<br />
Diese Gemeinwohlziele können jedoch bei einer Interessenvertretung<br />
nur durch Sozien des Anwalts nicht ohne<br />
weiteres Geltung beanspruchen. So zwingend argumentiert<br />
werden kann, dass ein Einzelanwalt ausgeschlossen bleiben<br />
muss, wenn er bereits zuvor gegensätzlich vertreten hat,<br />
weil er auf Grund der persönlichen Vorbefassung nicht mehr<br />
zu einer freien und unabhängigen und damit kompetenten<br />
Beratung oder Vertretung in der Lage ist, so gelten diese Erwägungen<br />
nicht in gleichem Umfang, wenn nur andere Mitarbeiter<br />
der Sozietät gegensätzlich beteiligt sind. Das<br />
BVerfG hat zu recht in der Strafrechtsentscheidung zu § 146<br />
StPO betont, dass das Interessenwiderstreitverbot einen<br />
Konflikt in der „Brust“ des Einzelanwalts vermeiden soll.<br />
Er besteht jedoch nicht annähernd in vergleichbarem Umfang<br />
bei einer gegensätzlichen Vertretung durch andere Mitglieder<br />
der Sozietät. Dies zeigen die im Prinzip positiven<br />
Erfahrungen mit einer – oftmals mehr als interessengegensätzlichen<br />
– Strafverteidigung in derselben Rechtssache<br />
durch die Mitglieder einer Sozietät.<br />
Eine weitere Abschwächung der Bedeutung der Funktionen<br />
des Einzelverbots des § 43 a IV BRAO bei einer Sozietätserstreckung<br />
ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die<br />
unterschiedlichsten Formen von Zusammenschlüssen erfasst,<br />
welche nicht alle in gleichem Masse die unabhängige<br />
Tätigkeit durch einen Sozietätsmitarbeiter bei interessengegensätzlicher<br />
(Vor-)Befassung durch einen Kollegen in<br />
Frage stellen. Dies gilt erst recht bei großen und überörtlichen<br />
sowie internationalen Sozietäten. So ist bei Mandaten<br />
mit lokaler Bedeutung schwer zu erklären, warum dann dennoch<br />
– so aber der Wortlaut des § 3 II BORA n. F. – Mitarbeiter<br />
auf einem anderen Kontinent ausgeschlossen sein<br />
sollen.<br />
Wegen der mehr als abgeschwächten Gemeinwohlrelevanz<br />
der Sozietätserstreckungsregelung ist eine strikte Erforderlichkeitsprüfung<br />
im Einzelfall geboten. Schließlich<br />
hat seit 1878 niemand bisher rational nachvollziehbar dargetan,<br />
dass eine Sozietätserstreckungsregelung auch wirklich<br />
erforderlich wäre, um nicht hinnehmbare Missstände für die<br />
Rechtspflege zu beseitigen. Wären wirklich Einbußen in der<br />
Qualität anwaltlicher Leistungen auf Grund des Fehlens einer<br />
Ausweitungsnorm entstanden, dann wäre längst die Forderung<br />
nach einer Ausdehnung des strafrechtlichen Norm<br />
des § 356 StGB laut geworden. Dahingehende Forderungen<br />
sind aber nicht erhoben worden, obwohl sich die berufliche<br />
Anwaltswirklichkeit seit der Einführung der freien Advokatur<br />
in den letzten 15 Jahren erheblich geändert hat mit der<br />
Entwicklung vom Einzelanwalt bzw. der zahlenmäßig kleinen<br />
Sozietät zu größeren – seit 1990 auch überörtlichen –<br />
Sozietäten bis hin zu weltweit agierenden internationalen<br />
law-firms. Darüber hinaus spricht gegen die uneingeschränkte<br />
Erforderlichkeit einer Sozietätserstreckung der<br />
Umstand, dass die Rechtsanwälte im Regelfall keiner berufsrechtlichen<br />
Regelung bedürfen, da sie zwecks Erhalts<br />
bisheriger Mandatsbeziehungen nicht die Front wechseln<br />
oder gleichzeitig in einer Sozietät interessengegensätzlich<br />
vertreten, um die eigenen Klienten nicht zu vergraulen.<br />
Schließlich laufen sie Gefahr, sich unglaubwürdig zu machen<br />
und am Ende zwischen allen Stühlen zu sitzen und alle<br />
Mandanten zu verlieren.<br />
16 AnwBl 1 / 2006<br />
Die Einschränkungen des § 3 II BORA n. F. sind daher<br />
letztlich verfassungsrechtlich geboten. Die Grundrechte verpflichten<br />
auch die Rechtsanwender in den Kammern und<br />
Gerichten zur strikten Beachtung des Gebots der verfasungskonformen<br />
Auslegung der Norm. Angesichts der<br />
gravierenden Auswirkungen von Tätigkeitsverboten ist in<br />
jedem Einzelfall sorgfältig zu prüfen, ob sie tatsächlich erforderlich<br />
sind im Interesse des Gemeinwohls. Mit der bloßen<br />
Behauptung der Unzulässigkeit einer widerstreitenden<br />
Interessenvertretung durch Sozien – wie seitens des AGH<br />
München in dem bereits kritisierten Beschluss 21 geschehen<br />
– ist es jedenfalls nicht getan.<br />
b) Einverständnis<br />
Das Verbot einer sozietätsweiten Interessenvertretung<br />
entfällt einmal, wenn die Mandanten sich einverstanden erklärt<br />
haben mit der interessengegensätzlichen Vertretung<br />
durch verschiedene Kanzleimitarbeiter.<br />
aa) Ausdrückliche Erklärung<br />
Das Einverständnis sowie die ihm vorangehende Mandanteninformation<br />
müssen nach dem Wortlaut des § 3 II<br />
BORA n. F. zwar „ausdrücklich“ erfolgen; es reicht daher<br />
nicht das konkludente Einverständnis. Erforderlich ist aber<br />
nicht – wie ursprünglich in Entwurfsfassungen vorgesehen<br />
– die Einhaltung der Schriftform für Information und Einverständnis.<br />
Sie können – was in der Praxis die Regel sein<br />
wird – mündlich erfolgen. In diesem Fall trägt der Rechtsanwalt<br />
aber das Beweislastrisiko. Immerhin sollte bei für<br />
beide Mandanten offensichtlicher gegensätzlicher Vertretung<br />
durch die gleichen Mitarbeiter einer Sozietät – wie<br />
z. B. im Fall einer gemeinsamen Strafverteidigung in derselben<br />
Rechtssache – vom Vorliegen und Nachweis des Einverständnisses<br />
ausgegangen werden können.<br />
bb) Zeitpunkt<br />
Was dessen Zeitpunkt anbelangt, so sollte es im Prinzip<br />
vor der gegensätzlichen Vertretung durch einen anderen<br />
Mitarbeiter der Sozietät eingeholt werden. Fraglich ist, ob<br />
es auch noch während der Vertretung oder gar nachträglich<br />
erteilt werden kann. Dem Normideal entsprechen Information<br />
und Einholung nur vor der Vertretung widerstreitender<br />
Interessen. Es sollte aber auch – schon am Maßstab des Gebots<br />
der verfassungskonformen Auslegung und damit der<br />
Verhältnismäßigkeit des mit dem Verbot verbundenen Eingriffs<br />
in die Grundrechte der Mandanten wie der Rechtsanwälte<br />
– noch möglich sein, im Laufe einer Mandatsbearbeitung<br />
das Einverständnis zu erklären ungeachtet der<br />
Rechtsunsicherheit, welche angesichts der damit verbundenen<br />
fließenden Grenze des Verbotstatbestandes besteht.<br />
Nicht hingegen reicht ein Einverständnis nach Abschluss<br />
des Mandats.<br />
c) Nichtentgegenstehen von Belangen der Rechtspflege<br />
Eine sozietätsmäßige Vertretung widerstreitender Interessen<br />
setzt weiter neben dem Einverständnis voraus, dass<br />
20 BVerfG NJW 2001, 3180, 3181 unter Berufung auf Cramer, in: Schönke/<br />
Schröder, StGB § 356 Rn.1; Hübner, in: LK, StGB, § 356 Rn. 9; krit. zum Verbot,<br />
jedoch nicht überzeugend Schlosser NJW 2002, 1376.<br />
21 AGH München NVwZ-RR 2005, 1225.
MN Aufsätze<br />
ihr „Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen.“ Bei<br />
diesem Erfordernis liegt ein erhebliches Interpretationsproblem<br />
des § 3 II BORA angesichts der Unbestimmtheit der<br />
Rechtsbegriffe. Deren Auslegung deckt sich aber weitgehend<br />
mit dem bereits erörterten Gebot der verfassungskonformen<br />
Auslegung, auf das hier verwiesen werden kann.<br />
Belange der Rechtspflege stehen nämlich trotz Zustimmung<br />
der Mandanten entgegen, wenn die interessengegensätzliche<br />
Vertretung in der Sozietät im Interesse des Gemeinwohls<br />
grundrechtskonform untersagt werden kann, weil dadurch<br />
die Geradlinigkeit und Unabhängigkeit der anwaltlichen Berufsausübung<br />
oder das Vertrauensverhältnis zur Mandantschaft<br />
gefährdet wird. Anhaltspunkte zur Auslegung kann<br />
im Übrigen auch die strafprozessuale Judikatur zum Ausschluss<br />
von Strafverteidigern derselben Sozietät bei Pflichtverteidigungen<br />
liefern.<br />
d) Fragwürdige absolute Bedeutung des Einverständnisses<br />
Grundsätzlich erfordert der § 3 II BORA n. F. ein kumulatives<br />
Vorliegen des Einverständnisses und des Nichtentgegenstehens<br />
öffentlicher Belange. Dies ist verfassungsrechtlich<br />
unter Verhältnismäßigkeitaspekten fraglich. Es<br />
wird nur schwer zu begründen sein wird, warum ein Vertretungsverbot<br />
bestehen soll, wenn Belange der Rechtspflege<br />
nicht entgegenstehen, nur weil einer der Mandanten nicht<br />
mit der Sozietätsvertretung einverstanden ist, wenn auch der<br />
Schutz des Vertrauensverhältnisses von Anwalt und Mandant<br />
zum Schutzzweck des Verbots gehört.<br />
Diese absolute Wirkung des Einverständniserfordernisses<br />
ist auch deshalb fragwürdig, weil es nicht nur zu Lasten<br />
des Rechtsanwalts sondern auch des durch den anderen Anwalt<br />
vertretenen Klienten geht. Besonders problematisch ist<br />
dieses Abstellen allein auf das Einverständnis in dem Fall,<br />
dass es nachträglich widerrufen wird; schließlich besteht zumindest<br />
prima facie und nach dem Wortlaut keine Pflicht<br />
zur Bindung an das Einverständnis. Denkbar ist daher der<br />
Fall, dass ein Angeklagter bei einer Strafverteidigung das<br />
Einverständnis widerruft, weil er z. B. feststellen muss, dass<br />
der einen Mitangeklagten verteidigende Sozius seines Verteidigers<br />
besser ist und es darauf abstellt, seine Verurteilung<br />
durchzusetzen.<br />
Es bedarf keiner näheren Erörterung, dass einem Einverständniserfordernis<br />
nicht zu Lasten der Rechtspflege, der<br />
anderen Mandanten wie auch der Rechtsanwälte eine derart<br />
weitreichende Bedeutung zukommen kann. Es ist daher zu<br />
überlegen, ob nicht statt des kumulativen Erfordernisses nur<br />
eine veränderte Fassung des Einschränkungstatbestandes<br />
verfassungsrechtlich haltbar ist, um eine unverhältnismäßige<br />
Grundrechtsbeeinträchtigung zu vermeiden. Danach<br />
würde eine sozietätsweite Erstreckung des Verbots ausscheiden,<br />
„wenn Belange der Rechtspflege nicht entgegenstehen,<br />
was widerlegbar vermutet wird, wenn die Mandanten<br />
ihr Einverständnis erklärt haben.“ Eine derartige<br />
Fassung dürfte sich näher am Grundgesetz bewegen als die<br />
bis normierte kumulative Regelung.<br />
3. Sonderfall: Sozietätswechsel<br />
Bei der heftig umstrittenen Frage der Sozietätserstreckung<br />
des Interessenwiderstreitverbots im Sonderfall des<br />
Sozietätswechsels legt der Satzungsgeber eine mehr als vornehme<br />
Zurückhaltung an den Tag. In § 3 III BORA n. F. beschränkt<br />
er sich auf eine schlichte Verweisung, welche im<br />
Übrigen unverständlicherweise durch ein Versehen des Sat-<br />
zungsgebers nicht den Fall des Wechsels eines Rechtsanwalts<br />
aus einer Einzelkanzlei erfasst. Alle damit verbundenen<br />
Fragen bleiben jedoch offen. Die Wissenschaft wie<br />
auch die Rechtspraxis sind hier auf die Ausdeutung des Sozietätswechslerbeschlusses<br />
des BVerfG 22 angewiesen. Auch<br />
er ist aber nur beschränkt hilfreich. Das BVerfG 23 hat z. B.<br />
explizit offengelassen, welche Folgerungen zu ziehen wären,<br />
wenn der die Sozietät wechselnde Rechtsanwalt das<br />
„widerstreitende“ Mandat selbst betreut, es gar in die aufnehmende<br />
Kanzlei einbringt. Nicht zu behandeln seien auch<br />
Fälle, in denen der bekannt gewordene Sozietätswechsel die<br />
Mandanten in ihrem Vertrauen tatsächlich erschüttert, so<br />
dass sie das Mandatsverhältnis zur abgebenden oder zur aufnehmenden<br />
Kanzlei von sich aus beenden. Des Weiteren<br />
stehe nicht zur Entscheidung, wie zu verfahren sei, wenn<br />
durch den Sozietätswechsel die Verschwiegenheitspflicht<br />
des § 43 a II BRAO gefährdet oder verletzt würde.<br />
Die Bestimmung des § 3 III BORA n. F. dürfte sich jedoch<br />
nicht nur wegen der Unbestimmtheit weitgehend als<br />
„zahnlos“ erweisen. Es darf schließlich nicht übersehen werden,<br />
dass die gegensätzliche Interessenvertretung durch<br />
eine Sozietät des Abs. 2 sich erheblich unterscheidet vom<br />
Sonderfall des Sozietätswechsels. Bei letzterem ist ein Verbot<br />
bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung<br />
noch schwieriger teleologisch wie verfassungsrechtlich zu<br />
rechtfertigen als im Regelfall des Absatz zwei. Schließlich<br />
ist schon nach § 43 a IV BRAO der wechselnde Rechtsanwalt<br />
von einer Weiterbearbeitung eines Mandats in der<br />
neuen Sozietät ausgeschlossen, das er zuvor in der Kanzlei<br />
bearbeitet hat, die er verlässt. Zudem – so auch das BVerfG 24<br />
– muss davon ausgegangen werden, dass ein Rechtsanwalt<br />
bei einem Sozietätswechsel seine berufs- wie strafrechtlich<br />
abgesicherte Pflicht zur Verschwiegenheit – vgl. auch § 3 V<br />
BORA n. F. – einhält 25 . Schweigt er jedoch, dann besteht<br />
auch keine Gefahr des „Transports von Vorwissen“.<br />
Die Umsetzung des Abs. 3 in der Praxis wird zudem vor<br />
allem große Sozietäten vor nahezu unerfüllbare praktische<br />
Schwierigkeiten stellen. Angesichts der personellen Fluktuation<br />
auch zwischen Großkanzleien – vor allem internationalen<br />
Zuschnitts – ist nicht erkennbar, wie sie allein die in<br />
Abs. 2 geforderten Informationen erlangen können und<br />
dann auch vermitteln sollen. Sie müssten ein völlig neuartiges<br />
Informationssystem aufbauen, um weltweit widerstreitende<br />
Mandate zu ermitteln. Es kann zudem kaum rational<br />
nachvollziehbar gerechtfertigt werden, dass bei einem Sozietätswechsel<br />
in Tokio weltweit die Kanzlei prüfen, informieren<br />
und niederlegen muss, wenn z. B. die Mandanten<br />
nicht zustimmen. Die Kanzleien kämen zudem in Fällen<br />
verdeckter Beratung in erhebliche Schwierigkeiten, da sie<br />
weniger offensichtlich ist und – problematisch wegen der<br />
Verschwiegenheitspflicht – nicht bekannt werden soll nach<br />
dem Willen der Mandanten.<br />
Es darf weiter nicht ausser Acht gelassen werden, dass<br />
die Informationspflicht auch den wechselnden Rechtsanwalt<br />
22 BVerfG AnwBl 2003, 539.<br />
23 BVerfG AnwBl 2003, 539.<br />
24 BVerfG ebenda.<br />
25 BVerfG AnwBl. 2003, 539 ff.: „Daneben liegt es in der gesetzesgeleiteten verantwortlichen<br />
Einschätzung der betroffenen Rechtsanwälte, ob die Konfliktsituation<br />
oder doch jedenfalls das Ziel der Vermeidung zukünftiger Störungen<br />
des Vertrauensverhältnisses eine Mandatsniederlegung gebietet.“<br />
AnwBl 1 / 2006 17
MN Aufsätze<br />
vor erhebliche Probleme stellt. Schließlich wird in der Regel<br />
die Wechselabsicht erst dann bekannt gegeben, wenn er<br />
kurz bevorsteht und die Verträge unterschrieben sind. Sollen<br />
aber nunmehr im Vorfeld durch die betroffenen Kanzleien<br />
massive Recherchen erforderlich werden, drohen Mandatsniederlegungen,<br />
Streitigkeiten mit Mandanten etc. mit der<br />
Folge, dass vielfach der Wechsel unmöglich wird oder zumindest<br />
unzumutbare Belastungen verursacht.<br />
Es kann jedenfalls nur in Ausnahmefällen eine Infizierung<br />
der aufnehmenden Sozietät in Betracht kommen, soll<br />
nicht im Verweisungsfall des Abs.3 die Sozietätserstreckung<br />
der Interessenwiderstreitregelung zum unverhältnismäßigen<br />
Berufsausübungsverbot oder verfassungswidrigen<br />
Anscheinstatbestand werden. Auch hier muss dargetan werden,<br />
dass eine Sozietätserstreckung im Interesse des Gemeinwohls<br />
erforderlich ist. Jeder Versuch der Umsetzung<br />
der Regelung des § 3 III BORA n. F. durch Kammern und<br />
Gerichte läuft im Einzelfall jedenfalls Gefahr, dass das über<br />
ihr hängende Damoklesschwert heruntergeht, weil sie den<br />
subtilen Verhältnismäßigkeitserwägungen des BVerfG wie<br />
auch den von diesem nicht erwähnten Kritikpunkten nicht<br />
Rechnung trägt.<br />
VI. Formell verfassungsrechtliche Bedenken<br />
Das BVerfG hat im Sozietätswechslerbeschluss die Frage<br />
offen gelassen, ob nicht die Satzungsnorm des § 3 II<br />
BORA schon aus formellen Gründen mangels Kompetenz<br />
der Satzungsversammlung nichtig war. Diese – an anderer<br />
Stelle ausführlich erörterte26 – Problematik stellt sich jedoch<br />
unverändert angesichts der nunmehr vorliegenden Neuregelung.<br />
Die Satzungsversammlung hat sie in unverständlicher<br />
Weise nicht geprüft. Grenzen der ihr im Prinzip in § 59 b<br />
BRAO eingeräumten Satzungskompetenz ergeben sich aber<br />
aus höherrangigem Recht.<br />
1. Vorrang des Gesetzes<br />
Das Bestehen einer Satzungskompetenz im wahrgenommenen<br />
Umfang ist bei § 3 BORA n. F. einmal am Maßstab<br />
des in Art. 20 III GG enthaltenen Vorrangs des Gesetzes<br />
fraglich. Schließlich hat der Gesetzgeber in § 43 a IV<br />
BRAO anders als in §§ 45, 46 BRAO keine Sozietätserweiterung<br />
angeordnet. Es ist daher mehr als fraglich, ob der<br />
schlichte untergesetzliche Satzungsgeber eindeutiges höherrangiges<br />
Gesetzesrecht ändern darf. Das BVerfG 27 hat u. a.<br />
im Beschluss zur Verfassungswidrigkeit des satzungsmäßigen<br />
Versäumnisurteilsverbots die Bedeutung des Gesetzesvorrangs<br />
als Grenze der Satzungsautonomie betont.<br />
2. Vorbehalt des Gesetzes<br />
Erst recht bestehen Bedenken gegen die Satzungsregelung<br />
am Maßstab des in Art. 20 III GG vorausgesetzten<br />
Vorbehalts des Gesetzes. Danach hat bekanntlich alle „wesentlichen“<br />
Regelungen der parlamentarische Gesetzgeber<br />
zu treffen. Wesentlichkeit wird aber am Maßstab der bis<br />
zum heutigen Tage maßgeblichen – im Notarkassen-<br />
26 Vgl. dazu aus f. Kleine-Cosack, AnwBl 1998, 417 ff.<br />
27 BVerfG NJW 2000, 347.<br />
28 BVerfG NJW 2005, 49.<br />
29 BVerfGE 33, 125 ff; dazu ausführlich Kleine-Cosack, Berufsständische Autonomie<br />
und Grundgesetz, 1983.<br />
18 AnwBl 1 / 2006<br />
beschluss 28 erneut relevanten – Facharztentscheidung des<br />
BVerfG 29 auch dann bejaht, wenn eine Regelung von grundlegender<br />
Bedeutung für die Berufsausübung der Berufsangehörigen<br />
ist. Vergleichbare statusbildende Normen hat<br />
das Parlament zu treffen. Nur die Ausgestaltung kann dem<br />
Satzungsgeber überlassen bleiben. Der erstmaligen Einführung<br />
einer Sozietätserstreckung kann jedoch eine derart wesentliche<br />
Bedeutung attestiert werden, da sie erhebliche<br />
Auswirkungen für die Berufsfreiheit hat.<br />
Für die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung sprechen<br />
zudem die nachteiligen Konsequenzen für die Mandanten,<br />
die auf Grund der Verbotsregelung – z. B. im Falle<br />
eines Sozietätswechsels – möglicherweise zu einem Anwaltswechsel<br />
gezwungen werden, weil der bisher sie vertretende<br />
Rechtsanwalt sie nicht weiter vertreten darf. Autonome<br />
Satzungen sind im Regelfall auf das Binnenrecht der<br />
Körperschaften beschränkt. Kommt ihnen hingegen eine erhebliche<br />
Bedeutung für aussenstehende Dritte zu, dann<br />
fehlt den satzungsgebenden Körperschaften die demokratische<br />
Legitimation und ist allein der Gesetzgeber kompetent.<br />
Dies hat ebenfalls die Versäumnisurteilsentscheidung des<br />
BVerfG deutlich gemacht. Die Aussenrelevanz des § 3 II<br />
BORA n. F. wird offensichtlich am Erfordernis des Einverständnisses<br />
der Mandanten. Angesichts der manifesten formell-verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken gegen die Neureglung<br />
sollte zwecks Vermeidung einer weiteren<br />
(verfassungs-) gerichtlichen Kassation letztlich der Gesetzgeber<br />
eine Sozietätserstreckung vornehmen.<br />
VII. Resümee<br />
Es gilt abzuwarten, ob die neue Sozietätserstreckungsregelung<br />
geltendes Recht werden wird. Zunächst ist es Sache<br />
des Bundesjustizministeriums als Rechtsaufsichtsbehörde,<br />
die Bestimmung auf ihre verfassungsrechtliche<br />
Haltbarkeit zu überprüfen. Angesichts der nicht unerheblichen<br />
verfassungsrechtlichen Bedenken ist zu prüfen, ob<br />
nicht erneut eine Beanstandung ausgesprochen werden soll.<br />
Zugleich könnte eine modifizierte Norm bei der nächsten<br />
Änderung der BRAO erlassen werden durch Erweiterung<br />
des § 43 a IV BRAO; man könnte dann zugleich die viel zu<br />
weiten Sozietätserstreckungsregelungen der §§ 45 III, 46<br />
III BRAO ändern bzw. anpassen. Lässt die Rechtsaufsichtsbehörde<br />
die fragliche Norm unbeanstandet, dann gilt es abzuwarten,<br />
ob bei ihrer Umsetzung die verfassungsrechtlichen<br />
Bedenken unbeanstandet bleiben. Von einer<br />
Rechtssicherheit in Sachen Sozietätsrrstreckung der Prävarikation<br />
ist man derzeit jedenfalls noch weit entfernt.<br />
Dr. Michael Kleine-Cosack, Freiburg/Br.<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Verwaltungsrecht.
MN Aufsätze<br />
Das Ende der<br />
Haftungsbegrenzung der<br />
GmbH?<br />
Wer kein Kapital hat, braucht auch keine<br />
Kapitalgesellschaft<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />
Die internationale Konkurrenz von Gesellschaftsformen –<br />
eingeleitet mit der Aufgabe der „Sitztheorie“ durch den<br />
EuGH – setzt das GmbH-Recht unter Druck. Vor allem die<br />
englische Limited erscheint vielen attraktiv, weil sie kein<br />
Mindestkapital erfordert (siehe zum Vergleich englische Limited<br />
und GmbH Heinz AnwBl 2004, 612). In der Koalitionsvereinbarung<br />
zwischen CDU, CSU und SPD wird eine<br />
Reform des GmbH-Rechts angekündigt, um „die Wettbewerbsfähigkeit<br />
der GmbH im Vergleich mit ausländischen<br />
Rechtsformen zu sichern“. In der vergangenen Legislaturperiode<br />
gab es bereits Pläne, das Mindestkapital<br />
der GmbH zu senken. Doch bei allen Diskussionen sollte<br />
nicht übersehen werden: Es geht um die Sicherung der<br />
Gläubigerinteressen. Der Autor plädiert dafür, die GmbH<br />
zu pflegen – im Interesse der Gläubiger.<br />
I. Die Theorie der Kapitalgesellschaft im deutschen<br />
Gesellschaftsrecht<br />
1. Das Prinzip der persönlichen Haftung für jedes unternehmerische<br />
Handeln<br />
Nichts hatte die gesellschaftsrechtliche Diskussion in<br />
den letzten 15 Jahren des vergangenen Jahrhunderts so<br />
durcheinander gebracht wie die Urteile des II. Zivilsenats<br />
beim BGH zum qualifiziert-faktischen GmbH-Konzern unter<br />
den Stichworten „Autokran“ 1 , „Video“ 2 und „TBB“ 3 .Es<br />
ging um die Frage, unter welchen Voraussetzungen es einem<br />
– oder mehreren zusammenwirkenden – GmbH-Gesellschaftern<br />
verwehrt sein sollte, sich auf das haftungsrechtliche<br />
Trennungsprinzip zu berufen, welches der Gesetzgeber<br />
in § 13 Abs. 2 GmbHG schlicht und eindeutig wie folgt definiert:<br />
„Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet<br />
den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen“.<br />
Natürlich gehören dazu auch alle Verpflichtungen der<br />
Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft. Gesellschaftsrechtlich<br />
sind diese Verpflichtungen jedoch beschränkt<br />
durch den Nennwert des Stammkapitals, etwaige Nebenleistungen<br />
und Nachschüsse sowie alles, was sich aus dem Eigenkapitalschutz<br />
einschließlich der Ersatzkapitalregeln ergibt.<br />
Mehr nicht.<br />
Die Diskussion um die Aufweichung des Trennungsprinzips<br />
gipfelte in einer gar nicht mehr so ironisch gemeinten<br />
Frage, mit der Priester seinen gesellschaftsrechtlichen<br />
Hauptvortrag auf dem 24. Deutschen Notartag 1993 in<br />
Hamburg betitelte: „Die GmbH auf dem Wege zur oHG?“<br />
Heute ist das alles Rechtsgeschichte; alles, was zum qualifiziert-faktischen<br />
GmbH-Konzern geschrieben wurde, ist inzwischen<br />
Makulatur.<br />
Das dringend notwendige dogmatische Umdenken begann<br />
gar nicht mit einem Fall aus dem Recht der Kapitalgesellschaften,<br />
sondern – ausgerechnet – mit einem solchen<br />
aus dem Gesellschaftsrecht des BGB, mit einer Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts also. Ich meine die Entscheidung des<br />
II. BGH-Zivilsenats vom 27.9.1999 4 , mit der der Bundesgerichtshof<br />
seine bis dahin maßgebliche Rechtsprechung<br />
aufgab, derzufolge es möglich sein sollte, durch einseitige<br />
Geschäftsführererklärung die persönliche Haftung der<br />
BGB-Gesellschafter für die Schulden der Gesellschaft auszuschließen<br />
und die Gläubiger allein auf das Gesellschaftsvermögen<br />
zu verweisen. 5 Im September 1999 wurde dieser<br />
Konstruktion einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts „mit<br />
beschränkter Haftung“ der Garaus gemacht und es wurde<br />
ein gar nicht einmal nur gesellschaftsrechtliches, sondern<br />
allgemein wirtschaftsrechtliches Prinzip herausgestellt,<br />
nämlich „. . . der allgemeine Grundsatz des bürgerlichen<br />
Rechts und des Handelsrechts, dass derjenige, der als Einzelperson<br />
oder in Gemeinschaft mit anderen Geschäfte betreibt,<br />
für die daraus entstehenden Verpflichtungen mit seinem<br />
gesamten Vermögen haftet, solange sich aus dem<br />
Gesetz nichts anderes ergibt oder mit dem Vertragspartner .<br />
. . vereinbart wird“.<br />
Auf diese Weise wurden die Dinge erst einmal wieder<br />
auf die Füße gestellt. Es war die Grundlinie geschaffen worden,<br />
von der aus das neue Denken um die Kapitalgesellschaft<br />
entwickelt werden konnte.<br />
2. Die Kapitalgesellschaft als Verselbständigung eines bestimmten<br />
Risiko-Kapitaleinsatzes<br />
Nach den Vorstellungen aller Kapitalgesellschaftsformen<br />
des deutschen Rechts setzt die haftungsrechtliche Trennung<br />
zwischen der Gesellschaft, einerseits, und ihren Gesellschaftern,<br />
andererseits, voraus, dass die Gesellschafter ihre<br />
Kapitalgesellschaft mit einem bestimmten Vermögen, einem<br />
bewertbaren Eigenkapital in vereinbarter Höhe, jedenfalls<br />
aber im Umfange der gesetzlichen Mindestbeträge ausstatten<br />
und dieses Eigenkapital in der Gesellschaft belassen.<br />
Ein für unternehmerische Zwecke eingesetztes Risikokapital<br />
darf sich auf diese Weise verselbständigen. Das gab es<br />
schon im Altertum, wenngleich nicht in Form unserer Kapitalgesellschaften,<br />
sondern in Personenvereinigungen, die<br />
unserer gesetzestypischen Kommanditgesellschaft am ehesten<br />
vergleichbar sind 6 . Richtige und vollständige Einlagenleistung,<br />
einerseits, und Befreiung von der persönlichen<br />
Haftung für die Schulden der Gesellschaft, andererseits, entsprachen<br />
sich wie kommunizierende Röhren.<br />
Das unter ausdrücklicher Verwerfung der alten Rechtsprechung<br />
zum qualifiziert-faktischen GmbH-Konzern entwickelte<br />
aktuelle Konzept für die Haftung der Kapitalgesellschaft<br />
(gemeint ist hierbei vor allem die GmbH), einerseits,<br />
und ihrer Gesellschaftern, andererseits, wurde dem Publikum<br />
erstmals in der Entscheidung zum Fall „Bremer Vulkan“<br />
am 17.9.2001 7 vorgestellt. Dieser Entscheidung wurde<br />
sehr schnell ein im folgenden noch zu erörterndes Stich-<br />
1 BGH v. 16.9.1985 – BGHZ 95, 330 ff.<br />
2 BGH v. 23.9.1991 – BGHZ 115, 187.<br />
3 BGH v. 29.3.1993 – BGHZ 122, 123.<br />
4 DB 1999, 2205/2206.<br />
5 So noch BGHZ 61, 59/67; BGHZ 113, 216/219 und BGHZ IP 1990, 715/716.<br />
6 Gummert in MünchHdbGesR KG 2. Aufl. § 1 RdNr. 2 f.<br />
7 BGHZ 149, 10.<br />
AnwBl 1 / 2006 19
MN Aufsätze<br />
wort, nämlich dasjenige vom „existenzvernichtenden Eingriff“<br />
zugewiesen. Statt eigenen wortschöpferischen Bemühens<br />
will ich mich zu seiner Erläuterung der Ausführungen<br />
des damaligen Vorsitzenden im II. BGH-Zivilsenat, Volker<br />
Röhricht8 bedienen:<br />
„Das Haftungskonzept des Bremer Vulkan-Urteils und<br />
seiner Nachfolgeentscheidungen beruht auf dem grundlegenden<br />
funktionellen Zusammenhang zwischen der Beschränkung<br />
der Haftung auf ein bestimmtes Gesellschaftsvermögen<br />
und der Separierung eines der Gesellschaft als<br />
eigenes zustehendes, von dem übrigen Vermögen der Gesellschafter<br />
getrennt zu haltendes Gesellschaftsvermögen<br />
und der strikten Bindung des ersteren zur vorrangigen Befriedigung<br />
der Gesellschaftsgläubiger. Die Wahrung dieses<br />
Trennungsprinzips ist unverzichtbare Bedingung der Haftungsbeschränkung.<br />
Die Haftungsbeschränkung hat also<br />
einen Preis: er besteht darin, dass der Gesellschafter das<br />
primär als Haftungssubstrat dienende Vermögen der Gesellschaft<br />
einschließlich der in ihr erarbeiteten Marktstellung<br />
nur insoweit unter Aufhebung der Trennung in sein<br />
privates oder anderweitiges wirtschaftliches Vermögen<br />
überführen darf, wie es nicht zur Bedienung der Verbindlichkeiten<br />
der Gesellschafter benötigt wird. Die ansonsten<br />
sehr weit gehende Dispositionsbefugnis der Gesellschafter<br />
über Existenz, Vermögen und Geschäftschancen der Gesellschaft<br />
endet dort, wo der Gläubigerschutz beginnt. Der Gesellschafter<br />
hat daher bei Entnahmen von Vermögenswerten<br />
der Gesellschaft im Hinblick auf deren primäre<br />
Zweckbestimmung zur Deckung ihrer Verbindlichkeiten<br />
stets in angemessener Weise Rücksicht auf den Erhalt der<br />
Fähigkeit der Gesellschaft zur Befriedigung ihrer Gläubiger<br />
zu nehmen. Nur die nicht erkennbar für diesen Zweck<br />
erforderlichen und deshalb in der Gesellschaft gebundenen<br />
Mittel darf er sich aneignen, um sie der Verwendung zu anderen<br />
privaten oder wirtschaftlichen Zwecken zuzuführen.<br />
Dieses Regelungskonzept reicht weit über das Recht der<br />
GmbH und den deutschen Rechtsraum hinaus. Es handelt<br />
sich bei ihm um das fundamentale Prinzip der Kapitalgesellschaften,<br />
die zwar den unter dieser Rechtsform tätigen<br />
Wirtschaftssubjekten die mit der Teilnahme am Wirtschaftsleben<br />
verbundenen Risiken einschließlich der Folgen etwaiger<br />
unternehmerischer Fehlentscheidungen (partiell) abnehmen<br />
sollen, aber nicht dazu bestimmt sind, ihnen die<br />
Möglichkeit zu geben, sich die unter dem schützenden Mantel<br />
der Kapitalgesellschaft erwirtschafteten Erträge anzueignen,<br />
die zu deren Erzielung eingegangenen Verbindlichkeiten<br />
dagegen zu Lasten der Gläubiger der Gesellschaft<br />
unbedient zu lassen.<br />
Das Haftungskonzept des Senats gründet damit unmittelbar<br />
im Kern des Funktionsprinzips der Kapitalgesellschaften<br />
selber. Die Kapitalgesellschaft ist eine juristische<br />
Kunstfigur, die ihren Betreibern die mit ihrer Teilnahme am<br />
Wirtschaftsleben verbundenen Risiken einschließlich der<br />
Gefahren unternehmerischer Fehlentscheidungen abnehmen<br />
soll und der das Recht zu diesem Zweck ein eigenes<br />
Vermögen zuordnet, das anstelle des übrigen Vermögens ihrer<br />
Betreiber für die unter Inanspruchnahme dieser Kunstfigur<br />
begründeten Schulden haften soll. Unverzichtbare,<br />
geradezu elementare Funktionsbedingung dieses den rechtlichen<br />
Grundsatz der persönlichen Einstandspflicht eines<br />
jeden Rechtssubjekts für die von ihm begründeten Verbindlichkeiten<br />
vermittels eines juristischen Kunstgriffs durch-<br />
20 AnwBl 1 / 2006<br />
brechenden Systems ist es, dass das Vermögen der Gesellschaft,<br />
mit dem sie den Gesellschaftern ihre persönliche<br />
Haftung abnehmen soll, strikt von dem sonstigen Vermögen<br />
der Gesellschafter abgesondert wird (Trennungsprinzip),<br />
während der gesamten Lebensdauer der Gesellschaft für<br />
die Erfüllung dieser Aufgabe reserviert bleibt und ihr nicht<br />
von ihren eigenen Gesellschaftern wieder entzogen wird.<br />
Die Gesellschafter dürfen sich deshalb nur die für die Erfüllung<br />
dieser Funktion nicht benötigten, in der Gesellschaft<br />
erwirtschafteten Überschüsse aneignen.“<br />
3. Von der „Kopfgeburt“ zum Eigeninteresse der GmbH<br />
Bremer Vulkan bedeutet einen Schritt von elementarer<br />
dogmatischer Bedeutung im Recht der Kapitalgesellschaften.<br />
Erstmals bekannte sich der BGH eindeutig zu dem, was<br />
man früher etwas vulgär als „Eigeninteresse“ 9 der GmbH<br />
bezeichnete. Während der BGH früher nichts davon wissen<br />
wollte10 , hat dieses „Eigeninteresse“ seit Bremer Vulkan<br />
eine Synonym-Funktion für das Interesse der Gesellschafts-<br />
Gläubiger, kurz: für das Gläubigerinteresse bekommen. Die<br />
GmbH-Gesellschafter stehen in der Pflicht, das Eigeninteresse<br />
ihrer GmbH um derer Gläubiger willen zu schützen.<br />
Wenn sie das nicht tun, müßte das haftungsrechtliche Folgen<br />
haben, weil sie damit den haftungsbeschränkenden<br />
Schutz verscherzten, den ihnen das Trennungsprinzip bietet.<br />
Vielleicht etwas zu ungenau wurde dies als neues Modell<br />
einer „Durchgriffshaftung“ 11 bezeichnet. Genau genommen<br />
handelt es sich um eine „Direkthaftung“ der Gesellschafter<br />
wegen der Beseitigung des sie zunächst haftungsrechtlich<br />
privilegierenden Trennungsprinzips. 12 Wir sind bei der<br />
GmbH in einem Haftungssystem angekommen, welches<br />
weitgehend dem der Kommanditistenhaftung entspricht.<br />
Schlimmer noch: Während es bei der Kommanditgesellschaft<br />
immer nur bei demjenigen Kommanditisten zum<br />
Wiederaufleben der persönlichen Haftung kommt, der etwas<br />
aus dem Vermögen der Kommanditgesellschaft zurückerhält,<br />
sollen bei der GmbH alle Gesellschafter, die an der<br />
Schmälerung des Eigenkapitals der GmbH mit existenzgefährdender<br />
Wirkung „mitwirken“, unmittelbar den Gläubigern<br />
gegenüber in die persönliche Haftung geraten, soweit<br />
letztere keine Befriedigung aus dem Gesellschaftsvermögen<br />
erlangen können.<br />
Außerdem: Die persönliche Haftung der Kommanditisten<br />
ist – jedenfalls in aller Regel – durch die in das Handelsregister<br />
eingetragene Haftsumme begrenzt. Verwirkt ein<br />
GmbH-Gesellschafter aus den oben erwähnten Gründen das<br />
Recht, sich auf das Trennungsprinzip zu berufen, dann ist<br />
seine persönliche Außenhaftung im Nachrang nach derjenigen<br />
der Gesellschaft unbeschränkt und unbeschränkbar.<br />
Was heißt das im einzelnen? Das grundsätzlich Neue an<br />
der Vulkan-Entscheidung ist die Weiterentwicklung des in<br />
den §§ 30, 31 GmbHG normierten Stammkapital-Schutzes<br />
zu einem allgemeinen Eigenkapital-Bestandsschutz, den die<br />
8 Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2002, S. 24 f. (Bd. 6 der Schriftenreihe<br />
der Gesellschaftsrechtlichen Vereinigung).<br />
9 Priester, ZGR 1993, 512/517 m. w. N.<br />
10 BGHZ 56, 97/101; BGHZ 95, 345 f. (Autokran – vgl. Fn 1, BGH DB 1993,<br />
34).<br />
11 So zuletzt Goette ZIP 2005, 1481/1487.<br />
12 BGHZ 151, 181 – KBV.
MN Aufsätze<br />
GmbH-Gesellschafter für ihre GmbH zu gewährleisten verpflichtet<br />
sind. Das darf nicht in dem Sinne mißverstanden<br />
werden, dass die Gesellschafter einen durch Verluste eingetretenen<br />
Eigenkapitalverzehr ihrer GmbH auszugleichen<br />
hätten. Eine allgemeine Unterbilanzhaftung schwebt dem<br />
BGH keineswegs vor. Es geht „nur“ um Eingriffe in das Eigenkapital<br />
der GmbH durch Maßnahmen ihrer Gesellschafter.<br />
Unter Eigenkapital wird hier alles verstanden, was<br />
§ 266 Abs. 3 A i. V. m. § 272 HGB beschreibt (im Falle Vulkan<br />
betrug das nach den §§ 30, 31 GmbHG geschützte<br />
Stammkapital der abhängigen Tochtergesellschaft MTV nur<br />
etwa 5 % ihres insgesamt vorhandenen Eigenkapitals). Im<br />
KBV-Urteil 13 wird dazu ausgeführt: „Die GmbH hat zwar<br />
keinen Anspruch gegen ihre Gesellschafter auf Gewährleistung<br />
ihres Bestandes. Sie können die Existenz der Gesellschaft<br />
im Grundsatz jederzeit – sei es im Rahmen einer<br />
freiwilligen Liquidation, sei es im Rahmen eines Insolvenzverfahrens<br />
– beenden. In jedem Fall hat ihre Beendigung<br />
jedoch in einem geordneten Verfahren zu erfolgen, in dem<br />
die Vermögenswerte der Gesellschaft zunächst zur Befriedigung<br />
ihrer Gläubiger zu verwenden sind. Auf keinen Fall<br />
kann es ihnen erlaubt sein, der Gesellschaft ihr Vermögen<br />
ohne Rücksichtnahme auf ihre gesetzliche Funktion, anstelle<br />
ihrer Gesellschafter als Haftungsträger zu dienen, zu<br />
entziehen und ihr dadurch die Möglichkeit zu nehmen, ihre<br />
Verbindlichkeiten – ganz oder wenigstens teilweise – zu erfüllen.<br />
Den Gesellschaftern steht innerhalb wie außerhalb<br />
der Liquidation nur der Zugriff auf den zur Erfüllung der<br />
Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht benötigten Überschuß<br />
zu“.<br />
4. Die Interdependenz zwischen Kapitalausstattung der<br />
GmbH und Haftungsfreistellung ihrer Gesellschafter<br />
In der Vulkan-Entscheidung wurde die so verstandene<br />
Eigenkapital-Schutzverpflichtung der Gesellschafter nicht<br />
präzise definiert. Es blieb bei unbestimmten Tatbestandsmerkmalen,<br />
wie „Gewährleistung ihres Bestandsschutzes“<br />
und Verpflichtung zu „angemessener Rücksichtnahme auf<br />
die Eigenbelange der GmbH“ (Leitsatz 1 des Gerichts),<br />
dies, obwohl in den rechtlichen Erörterungen während der<br />
mündlichen Verhandlung vor dem II. Zivilsenat des BGH<br />
die These zur Diskussion gestellt wurde, dass das gesamte<br />
Eigenkapital prinzipiell intangibel für die Gesellschafter sei<br />
und überhaupt nur dann von ihnen angefaßt werden dürfe,<br />
wenn die im Gesetz dafür bestimmten Voraussetzungen gegeben<br />
seien, also praktisch nur im Rahmen von Gewinnverwendungsentscheidungen<br />
aufgrund ordnungsmäßig errichteter,<br />
ggfs. geprüfter und ordnungsmäßig festgestellter<br />
Jahresabschlüsse, ferner im Rahmen von ordnungsmäßigen<br />
Kapitalherabsetzungen oder gelegentlich einer Verteilung<br />
von Liquidationsüberschüssen – auf Sonderfragen, wie die<br />
Abfindung von Gesellschaftern, die infolge der Einziehung<br />
ihrer Geschäftsanteile ausscheiden u.ä., will ich hier nicht<br />
eingehen.<br />
Der Grund für diese These eines das gesamte Eigenkapital<br />
der GmbH (also nicht nur deren Stammkapital) umfassenden<br />
Rückgewährverbots sollte ein aus § 317 Abs. 1<br />
AktG abgeleitetes argumentum e contrario sein: dort, im aktienrechtlichen<br />
faktischen Konzern, begründet das Gesetz<br />
eine einzelfallbezogene Nachteilsausgleichspflicht des herrschenden<br />
Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft,<br />
und zwar konkretisiert durch Nachteile, die Folge<br />
von Gesellschaftermaßnahmen sind. Dort, im Aktienrecht,<br />
seien solche sich nachteilig auswirkenden Maßnahmen um<br />
den Preis der Nachteilsausgleichspflicht erlaubt. Weil es<br />
Vergleichbares im Recht der GmbH nicht gebe, seien solche<br />
Maßnahmen dort rechtswidrig. In seiner Entscheidung des<br />
Vulkan-Falles und den Folge-Entscheidungen ist der Senat<br />
auf diese Thesen nicht eingegangen, sondern hat es vorerst<br />
bei dem allgemeinen Verbot existenzgefährdender Eingriffe<br />
belassen und damit Raum gegeben für eine Abwägung im<br />
Einzelfall.<br />
Inzwischen hat das Thema jedenfalls insoweit an Brisanz<br />
gewonnen, als nunmehr unter Rückgriff auf einen Diskussionsbeitrag<br />
von Stimpel 14 nach der Entscheidung des II. Zivilsenats<br />
beim BGH vom 24.11.2003 15 die Gewährung von<br />
Darlehen an Gesellschafter auch dann unzulässig ist, wenn<br />
solche Darlehen angemessen verzinst werden und ihre<br />
Rückführung gesichert ist, allerdings nur dann, wenn sie gerade<br />
nicht aus Rücklagen oder Gewinnvorträgen finanzierbar<br />
sind.<br />
Seither gibt es auf diesem Felde nichts Neues. Aber das<br />
Prinzip ist klar: Die bisher ausschließliche Innenhaftung der<br />
GmbH-Gesellschafter gegenüber ihrer GmbH, welche auf<br />
Leistung der versprochenen Stammeinlagen und unbedingten<br />
Kapitalschutz gerichtet war, mutierte infolge der<br />
Entscheidungen „Vulkan“ und „KBV“ zu einer direkten Außenhaftung<br />
der Gesellschafter bei illegitimem Eigenkapital-<br />
Rücktransfer.<br />
II. Die Konkurrenz der Systeme<br />
1. Die Sitztheorie und ihre Begründung im deutschen internationalen<br />
Gesellschaftsrecht (Kollisionsrecht)<br />
Dieses vom Bundesgerichtshof dogmatisch plausibel begründete<br />
Interdependenz-Verhältnis zwischen prinzipieller<br />
Unantastbarkeit des Eigenkapitals einer GmbH, einerseits,<br />
und der Beschränkung der Gesellschafterhaftung auf die<br />
Verpflichtung zur Einlagenleistung im Sinne einer Innen-<br />
Haftung des Gesellschafters gegenüber seiner Gesellschaft,<br />
andererseits, setzt exklusive Regelungskompetenz desjenigen<br />
Staates voraus, der die Anwendung dieses Systems<br />
durchsetzen will. Nach unserem, dem deutschen Verständnis,<br />
muß das derjenige Staat sein, in dem eine Kapitalgesellschaft<br />
ihr „center of main interest“ hat, worunter der Standort<br />
verstanden wird, an dem alle die Gesellschafter, die<br />
Gesellschaft und ihre Gläubiger berührenden Entscheidungen<br />
getroffen werden.<br />
Das ist der Kerngedanke, aus dem heraus das deutsche<br />
internationale Gesellschaftsrecht die sog. „Sitztheorie“ entwickelte:<br />
Unter kollisionsrechtlichen Gesichtspunkten setzt<br />
die Anerkennung einer Kapitalgesellschaft in Deutschland<br />
voraus, dass die Kapitalgesellschaft in dem Staat, dessen<br />
Recht das Gründungsrecht ist, auch ihren Verwaltungssitz,<br />
13 BGHZ 151/181/186.<br />
14 FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 335 ff.<br />
15 BGHZ 157, 72 mit Besprechung von Hentzen in ZGR 2005, 480.<br />
AnwBl 1 / 2006 21
MN Aufsätze<br />
ihr „center of main interest“, hat. Ist dies nicht der Fall,<br />
dann wird nicht etwa das entsprechende Gesellschaftsrecht<br />
des Sitzstaates angewendet, sondern die Existenz der Gesellschaft<br />
wird überhaupt geleugnet 16 . Nach herkömmlichem<br />
Verständnis ist die Wirkung der Sitztheorie also im wesentlichen<br />
negativ; positiv allenfalls insoweit, als auf eine nicht<br />
als rechtsfähig anerkennungsfähige ausländische Kapitalgesellschaft<br />
im Inland die für Personengesellschaften geltenden<br />
Regeln anzuwenden sind, was zur Folge hätte, dass wir<br />
nie zur Anwendung des haftungsrechtlichen Trennungsprinzips<br />
kommen würden.<br />
2. Die „Übersee-Entscheidung“ des EuGH – Kapitalgarantie<br />
und Kapitalschutz, einerseits, sowie Niederlassungsfreiheit,<br />
andererseits<br />
Die im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht entwickelte<br />
Sitztheorie sollte also die Grundlage für die Entwicklung<br />
einer Kapitalgesellschaftskonzeption sichern, die<br />
wir, genauer: unser Gesetzgeber und unsere Gerichte, für<br />
die richtige oder jedenfalls vertretbare halten. Dieses nationale<br />
Anliegen wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />
vom 5.11.2002 17 gründlich durcheinandergewirbelt.<br />
Dieser Entscheidung („Überseering“) lag folgender<br />
Sachverhalt zugrunde: Im Jahre 1990 wurde eine niederländische<br />
Kapitalgesellschaft unter der Firma „Überseering<br />
B.V.“ ordnungsmäßig nach niederländischem Recht gegründet<br />
und in das für sie zuständige Handelsregister eingetragen.<br />
Die geschuldeten Einlagen wurden richtig und vollständig<br />
erbracht. Später veräußerten die niederländischen<br />
Gründungsgesellschafter ihre Gesellschaftsanteile wirksam<br />
an zwei deutsche Kaufleute. Diese kauften im Namen der<br />
Überseering B.V. in Düsseldorf ein Geschäftsgrundstück,<br />
von wo aus sie künftig die Geschäfte der Überseering B.V.<br />
betrieben. Nach Errichtung des dafür benötigten Geschäftsgebäudes<br />
kam es zu baumängelbedingten Auseinandersetzungen<br />
mit dem für die Gebäudeerrichtung herangezogenen<br />
Bauunternehmer.<br />
Die Auseinandersetzung mündete in einen Prozeß zwischen<br />
der Überseering B.V. als Klägerin und diesem Bauunternehmer.<br />
Die Instanzgerichte wiesen die Klage als unzulässig<br />
ab, weil sie – in Entsprechung der einleitend<br />
erläuterten Sitztheorie – die Rechts– und Parteifähigkeit der<br />
niederländischen Überseering B.V. in Deutschland verneinten.<br />
Sie wollten in dem Zusammenschluß der beiden Gesellschafter<br />
von Überseering B.V. allenfalls eine Gesellschaft<br />
bürgerlichen Rechts sehen, konnten aber nicht ahnen, dass<br />
der Bundesgerichtshof am 29.1.2001 18 die Rechtsfähigkeit<br />
der BGB-Außengesellschaft und damit ihre Parteifähigkeit<br />
anerkennen würde und damit die Zulässigkeit der von Überseering<br />
B.V. erhobenen Klage hätte bejahen müssen. Er, der<br />
BGH selbst, sah diese gesellschaftsrechtliche Entwicklung<br />
im März 2000 ebensowenig voraus, denn er fragte per Vorlagebeschluß<br />
den Europäischen Gerichtshof, was dieser davon<br />
halte, wenn deutsche Gerichte eine holländische Kapitalgesellschaft<br />
mit Geschäftssitz in Deutschland für ein<br />
rechtliches nullum erklären würden.<br />
Der EuGH war pflichtgemäß empört und schrieb den<br />
Deutschen auf, dass jede in einem Mitgliedsstaat der Europäischen<br />
Union ordnungsmäßig gegründete Kapitalgesellschaft<br />
ihren Geschäftssitz in jedem anderen Mitgliedsstaat<br />
der Europäischen Union nehmen dürfe und von diesem je-<br />
22 AnwBl 1 / 2006<br />
denfalls als rechts– und parteifähig anzuerkennen sei. Alles<br />
andere sei ein Verstoß gegen die im EG-Vertrag verbriefte<br />
Niederlassungsfreiheit 19 .<br />
Die Überseering-Entscheidung des EuGH verwarf die<br />
deutsche Sitztheorie, um zur Anerkennung der Rechts– und<br />
Parteifähigkeit der Überseering B.V. zu kommen. Die von<br />
der deutschen Regierung vorgebrachten Sorgen dahingehend,<br />
dass mit der Anerkennung solcher ausländischer<br />
Kapitalgesellschaften die deutschen Regeln über den Schutz<br />
des Gesellschaftskapitals und den Schutz von Minderheitsgesellschaftern<br />
unterlaufen werden könne und dass es dann<br />
auch möglich sei, die deutschen Regeln über die Mitbestimmung<br />
der Arbeitnehmer auszuhebeln, sah der EuGH als<br />
nicht entscheidungsrelevant für die Frage der Anerkennung<br />
von Rechts– und Parteifähigkeit an. Im Gegenteil: Er orakelte<br />
in Ziff. 92 der Entscheidungsgründe, „es lasse sich<br />
nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls,<br />
wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der<br />
Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des<br />
Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung<br />
bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit<br />
rechtfertigen können.“<br />
3. Von der „festen Burg“ zum Wettbewerb der Systeme<br />
Der damit verbundene Hoffnungsschimmer entschwand<br />
jedoch endgültig durch die Entscheidung zum Stichwort<br />
„Inspire Art“ des EuGH vom 30.9.2003 20 . Mit diesem Urteil<br />
verbot der EuGH den Niederländern eine gesetzliche Regelung,<br />
deren Zweck darauf gerichtet war, in England gegründete<br />
Briefkasten-Kapitalgesellschaften zu veranlassen, den<br />
in Holland geltenden Vorschriften über die Mindestkapitalausstattung<br />
zu genügen. Danach breitete sich hierzulande<br />
Ratlosigkeit aus. Die Deutschen sahen sich in einem Wettbewerb<br />
der Systeme, denn nun sollten die Kapitalgesellschafts-Konzepte<br />
von immerhin 25 EU-Mitgliedsstaaten in<br />
Deutschland zur Anwendung kommen dürfen.<br />
Zunächst einmal kam jedenfalls die englische Ltd. ohne<br />
gesetzlich festgelegte Mindestkapitalausstattung in Mode.<br />
Die Frage, wie wir darauf reagieren können und sollten, ist<br />
unverändert offen. Priester fragte unlängst öffentlich, ob<br />
wir nach „Inspire Art“ eine „neue“ GmbH brauchen 21 ,was<br />
er verneinte, offensichtlich in der Hoffnung, dass unsere<br />
Gerichte sich wohl Sanktionen gegen den allzu sorglosen<br />
Umgang mit unseriösen ausländischen Kapitalgesellschaften<br />
einfallen lassen würden. Nach seiner Prognose kann<br />
diese Sanktion nur in der Etablierung einer Unterkapitalisierungshaftung<br />
liegen, aber woran gemessen, am Geschäftsumfang<br />
und dem sich daraus ergebenden Eigenkapitalbedarf<br />
oder am Umfang des Ausfalls, den die Gläubiger erleiden<br />
oder an der Mindestkapitalausstattung, die das GmbH-Gesetz<br />
verlangt? – Lauter Ideen, die entweder unser Konzept<br />
für Gesellschafts– und Gesellschafterhaftung im Recht der<br />
Kapitalgesellschaften verwüsten oder nach den Grundsätzen<br />
der EuGH-Entscheidung zu Inspire Art verboten wären.<br />
16 Staudinger/Großfeld, IntGesR, 53 ff.; Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter<br />
Haftung im internationalen und europäischen Recht, RdNr. 4.<br />
17 EuGH-Rs C-208/00 – ZIP 2002, 2037.<br />
18 BGHZ 146, 341.<br />
19 EGV (Nizza-Fassung v. 26.2.2001), Art. 43, 48.<br />
20 EuGH-RsC-167/01 – DB 2003, 2217 ff.<br />
21 DB 2005, 1315.
MN Aufsätze<br />
4. Die große Ratlosigkeit<br />
Um das Durcheinander komplett zu machen, ließ sich<br />
die Bundesregierung etwas besonders Schickes einfallen,<br />
nämlich das sog. Mindestkapitalgesetz in der Fassung des<br />
BMJ-Entwurfs vom 1.6.2005. Zunächst war daran gedacht<br />
worden, sich im „Wettlauf der Systeme“ (s. o.) an die Spitze<br />
der Banausen zu setzen und das Mindestkapital der GmbH<br />
von jetzt E 25.000,00 auf E 1,00 zu beschränken. Aber<br />
dann bekamen die flotten Gesetzesmacher doch Angst vor<br />
der eigenen Courage; sie beschränkten sich auf den Vorschlag,<br />
ein Mindestkapital von E 10.000,00 genügen zu lassen.<br />
Der Ratlosigkeit wurde damit nicht abgeholfen. Während<br />
der DAV-Handelsrechtsausschuß in seiner vom BMJ<br />
erbetenen Stellungnahme 22 dringend anriet, das Thema vorerst<br />
überhaupt nicht anzufassen, sondern die überfällige<br />
dogmatische Diskussion, deren Verlauf und deren Ergebnis<br />
abzuwarten, wurde – wiederum – Priester sarkastisch: „Wer<br />
eine 1-E-GmbH mit dem Argument verlangt, E 25.000,00<br />
bewirkten auch keinen Gläubigerschutz, erinnert an jemanden,<br />
der einem bei Eis und Schnee in der Badehose frierend<br />
herumlaufenden Manne rät, er solle diese doch auch noch<br />
ausziehen, sie wärme ohnehin nicht.“ 23<br />
Zuletzt äußerte sich Goette, der neue Vorsitzende des II.<br />
Zivilsenats beim BGH 24 . Er begründete – nochmals –, warum<br />
das deutsche Recht dem Treiben der unterkapitalisierten<br />
Ltd. in Deutschland nicht mit einer analogen Anwendung<br />
der Handelnden-Haftung nach § 11 Abs. 2<br />
GmbH-Gesetz entgegenwirken dürfe. Derartiges laufe klar<br />
den Vorgaben des EuGH zuwider. Auch Überlegungen, der<br />
englischen Ltd. in Deutschland das Handwerk mit der Begründung<br />
zu legen, sie dürfe hier nur tätig werden, wenn sie<br />
als Zweigniederlassung in das Handelsregister eingetragen<br />
sei, trat der BGH mit der richtigen Begründung entgegen,<br />
dass die versäumte Handelsregisteranmeldung allenfalls zur<br />
Verhängung von Zwangsgeld führen könne, nicht aber zur<br />
persönlichen Haftung der Geschäftsführungsverantwortlichen.<br />
Vorerst sieht auch Goette nur den Ausweg über deliktische<br />
Haftungstatbestände (§ 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263<br />
StGB oder § 826 BGB), womit aber nicht notwendig eine<br />
Gesellschafterhaftung, sondern in der Regel nur eine Geschäftsführerhaftung<br />
verbunden sein kann. Im übrigen wagt<br />
auch Goette noch keine Prognose für die Entwicklung der<br />
Rechtsprechung seines Senats angesichts dieser Turbulenzen,<br />
sondern hebt lediglich drohend den Zeigefinger mit<br />
dem Hinweis „. . . . es gilt, sich klarzumachen, dass opportunistisches<br />
Verhalten von Gesellschaftern auch unter dem<br />
Mantel der Ltd. nicht wird hingenommen werden können.“<br />
25<br />
5. Resümee<br />
Erinnert sei zunächst an die einleitend zitierten Worte<br />
von Röhricht, wonach das hier erläuterte und vom BGH<br />
plausibel dargestellte Kapitalgesellschaftskonzept „weit<br />
über das Recht der GmbH und den deutschen Rechtsraum<br />
22 DAV-Fachausschuss-Stellungnahme Nr. 32/05.<br />
23 ZIP 2005, 921.<br />
24 ZIP 2005, 1481 ff.<br />
25 Goette, ZIP 2005, 1481 sub. 1.<br />
hinausreicht“. Die Konkurrenz der Systeme im EU-Raum<br />
beruht nicht auf Attraktivitätsvorzügen des einen gegenüber<br />
dem anderen, sondern allenfalls auf unterschiedlichen Ansätzen<br />
für die Lösung desselben Problems, nämlich der Sicherung<br />
des Gläubigervertrauens auf einen ausreichenden<br />
Haftungsfonds desjenigen Rechtsgebildes, welches den<br />
Gläubigern als Kapitalgesellschaft jedweden Rechts gegenübertritt.<br />
Die Idee unserer Rechtspolitiker im Bundesjustizministerium,<br />
die Mindesteigenkapitalausstattung der GmbH<br />
ganz zu beseitigen, zeigt eigentlich nur verheerende Ignoranz<br />
gegenüber dem, was der BGH hier in den letzten 5 Jahren<br />
entwickelte. Wer kein Kapital braucht, weil er nichts<br />
mit Eigenkapital zu finanzieren hat, der braucht auch keine<br />
Kapitalgesellschaft. Es gibt auch bei uns eine ausreichend<br />
breite Kollektion an Rechtsformen, unter denen sich immer<br />
etwas finden wird, was dem individuellen Unternehmerinteresse<br />
gerecht wird.<br />
Dem Problem der vermeintlichen Konkurrenz von Kapitalgesellschaftskonzepten<br />
unterschiedlicher Rechtsordnungen<br />
werden wir im Sinne einer vertrauensstiftenden Lösung<br />
– und darum geht es im wesentlichen – nur durch Rechtsvereinheitlichung<br />
beikommen. Aber davon sind wir noch weit<br />
entfernt, weil die Vereinheitlichung des Rechts der Kapitalgesellschaften<br />
in Europa nicht nur – das wäre auch noch das<br />
Einfachste – die Verständigung über Mindestkapitalausstattungen,<br />
Kapitalaufbringungsgarantien und deren Prüfung,<br />
Regelungen über die Registerpublizität und die Rechnungslegung<br />
voraussetzen würde, sondern vor allem auch ein einheitliches<br />
Insolvenzrecht und ein einheitliches Konzernrecht<br />
unter Einschluß des Umwandlungsrechts.<br />
Vertrauen wir zunächst auf das, was wir haben und überlassen<br />
wir es getrost dem kaufmännischen Geschäftsverkehr,<br />
wie er – auf eigenes Risiko – seinen Umgang mit ausländischen<br />
Kapitalgesellschaften organisiert, die ihm selbst<br />
ebenso fremd sind, wie seinen des deutschen Rechts kundigen<br />
Beratern.<br />
Prof. Dr. Lutz Weipert, Bremen<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar. Er ist Sozius<br />
der Kanzlei Blaum Dettmers Rabstein sowie Honorarprofessor<br />
an der Universität Bremen.<br />
AnwBl 1 / 2006 23
MN Aufsätze<br />
Reform des<br />
strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens<br />
Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins*<br />
Der DAV-Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht des DAV fassen mit der Gesetzesinitiative zur<br />
Reform des strafprozessualen Ermittlungsverfahren die<br />
20 Jahre währende intensive Diskussion zusammen und unterbreiten<br />
dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen Vorschlag.<br />
Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf Minimalforderungen,<br />
die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />
der Rechtsprechung der Obergerichte ergeben. Der Entwurf<br />
– als Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins veröffentlicht<br />
– ist der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
auf dem Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />
am 11. November 2005 übergeben worden (siehe Seite<br />
42 in diesem Heft). Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert den Entwurf.<br />
A. Allgemeine Begründung<br />
Die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die<br />
Grünen hat mit ihren „Eckpunkten für eine Reform des<br />
Strafverfahrens“ vom 6. April 2001 die Diskussion über<br />
eine Reform des Strafverfahrens aufgenommen, die von der<br />
Anwaltschaft und der Wissenschaft schon seit langem gefordert<br />
wird. 1<br />
Das Bundesministerium der Justiz hat diese Diskussion<br />
mit dem „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
fortgesetzt, den es in Zusammenarbeit mit einer<br />
Koalitionsarbeitsgruppe der Bundestagsfraktionen von SPD<br />
und Bündnis 90/Die Grünen nach „intensivem Meinungsaustausch<br />
mit dem Bundesgerichtshof, dem Generalbundesanwalt,<br />
den Landesjustizverwaltungen sowie zahlreichen<br />
Verbänden aus Justiz und Anwaltschaft“ am 18. Februar<br />
2004 vorgelegt hat2 .<br />
Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
hat – neben dem Gutachten von Satzger und den<br />
Thesen der Referenten3 – die Verhandlungen der strafrechtlichen<br />
Abteilung des DJT 2004 beherrscht und hatte maßgeblichen<br />
Einfluss auf die Beschlüsse. 4<br />
Rechtzeitig zum DJT 2004 erschienen – nach langen Vorarbeiten<br />
– die „Thesen zur Reform des Ermittlungsverfahrens“<br />
des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer5<br />
, die seit langem erhobene Forderungen der<br />
Anwaltschaft für eine Reform des Ermittlungsverfahrens in<br />
einem geschlossenen Zusammenhang darstellen, ergänzen<br />
und mit ausführlicher Begründung versehen.<br />
Entgegen anders lautender Ankündigungen und Erwartungen<br />
folgte dem „Diskussionsentwurf“ weder ein Referenten-<br />
noch gar ein Regierungsentwurf.<br />
Der Strafrechtsausschuss des DAV, der mit seinem Forum<br />
von 1985 bereits den Anstoß zu einer Reform des strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens gegeben hatte und die dadurch<br />
in Gang gekommene Debatte mit Stellungnahmen in zahlreichen<br />
Gesetzgebungsverfahren aktiv begleitet hat6 , hat es<br />
sich zur Aufgabe gemacht, die 20 Jahre währende intensive<br />
Diskussion mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf<br />
zusammenzufassen und dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen<br />
Vorschlag zu unterbreiten.<br />
24 AnwBl 1 / 2006<br />
Der hiermit vorgelegte Gesetzentwurf beschränkt sich auf<br />
Minimalforderungen, die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />
der maßgeblichen Rechtsprechung der Obergerichte<br />
zu den jeweiligen Fragen und deren Fortschreibung ergeben.<br />
Er nimmt bewusst die umstrittenen Vorschläge des<br />
„Diskussionsentwurfs“ nicht auf, den Verteidiger an Vernehmungen<br />
von Zeugen und Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren<br />
zu beteiligen und geht damit auch der Debatte um<br />
den sog. „Zwangstransfer“ von Ermittlungsergebnissen in die<br />
Hauptverhandlung aus dem Weg. Eine maßgebliche Veränderung<br />
des Ermittlungsverfahrens insgesamt oder auch nur eine<br />
Verlagerung von Gewichten der am Verfahren Beteiligten ergibt<br />
sich aus diesem Entwurf nicht.<br />
Der Strafrechtsausschuss des DAV verbindet mit diesem<br />
Entwurf die Erwartung, dass die drängendsten Fragen einer<br />
Reform des Ermittlungsverfahrens nach langer und ausführlicher<br />
Diskussion in der laufenden Legislaturperiode einem<br />
Ergebnis zugeführt werden können.<br />
Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens<br />
hat die Grundlinien für seinen nach wie vor gültigen<br />
Ansatz wie folgt umschrieben:<br />
„Die Gesetzgebung zum Strafverfahrensrecht war in<br />
den letzten Jahrzehnten häufig von anlassbezogenen<br />
und isolierten Änderungen in Teilbereichen geprägt.<br />
Wie bei der sog. Terrorismusgesetzgebung in den siebziger<br />
Jahren oder den Gesetzen zur Bekämpfung der Organisierten<br />
Kriminalität aus den neunziger Jahren handelte<br />
es sich, vor allem beim Ausbau des<br />
Ermittlungsinstrumentariums, um die Reaktion auf neue<br />
Formen von Kriminalität. ... Eine weitere Motivation der<br />
Gesetzgebung waren die Justizentlastung einschließlich<br />
der Verfahrensbeschleunigung.<br />
... hat die Bundesregierung mit dem Standpunkt verbunden,<br />
dass sich das Ziel einer Modernisierung und Vereinfachung<br />
des Strafverfahrens nicht mit weiteren, nur<br />
punktuellen Änderungen erreichen lasse.<br />
Die Reform des Strafverfahrens verfolgt das Ziel einer<br />
zukunftssicheren Weiterorientierung des Strafverfahrens<br />
als Gesamtkonzept, das die Rechte aller am Strafverfahren<br />
Beteiligter unter grundsätzlicher Beibehaltung der<br />
insgesamt bewährten Strukturen verstärkt und zueinander<br />
in gerechten Ausgleich bringt.“<br />
Hieran orientiert sich der vorliegende Entwurf.<br />
* Herausgegeben durch den Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht des DAV. Mitglieder des Strafrechtsausschusses sind die Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte: Eberhard Kempf, Frankfurt a. M. (Vorsitz und Berichterstatter);<br />
Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf (Berichterstatter); Dr. Gina<br />
Greeve, Frankfurt a. M.; Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt a. M.; Gabriele Jansen,<br />
Köln; Dr. Stefan König, Berlin; Georg Prasser, Stuttgart; Michael Rosenthal,<br />
Karlsruhe; Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam; Dr. Rainer Spatscheck, München.<br />
Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />
des DAV sind die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte: Werner Leitner,<br />
München (Vorsitz); Martin Amelung, München; Dr. Ferdinand Gillmeister, Freiburg<br />
i. Br.; Dr. Gina Greeve, Frankfurt; Dr. Daniel Krause, Berlin; Dr. Wilhelm<br />
Krekeler, Dortmund; Dr. Dirk Lammer, Berlin; Dr. Klaus Leipold, München;<br />
Annette Marberth-Kubicki, Kiel; Dr. Manfred Parigger, Hannover; Dr. Ulrich<br />
Sommer, Köln. Zutändig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Tanja<br />
Brexl, Berlin .<br />
1 Vgl. nur: Reform des Ermittlungsverfahrens, Forum des Strafrechtsausschusses<br />
des DAV, 1985, AnwBl 1986, 50 ff; Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung,<br />
Arbeitskreis Strafprozessreform, 1979; Alternativ-Entwurf Reform<br />
des Ermittlungsverfahrens (AE-EV), 2001.<br />
2 www.sirius.soldan.de/anwaltverein/01/depesche/texte04/Disk-entw.pdf<br />
3 65. DJT 2004.<br />
4 www.djt.files/djt/65/beschluesse.pdf<br />
5 Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Thesen mit Begründung, vorgelegt<br />
vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, 2004.<br />
6 Vgl. zuletzt „Stellungnahme zum Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
vom September 2004.
MN Aufsätze<br />
B. Der Gesetzentwurf<br />
Die Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung<br />
vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt<br />
geändert durch (...) wird wie folgt geändert:<br />
1. § 136 Abs. 1 wird wie folgt geändert:<br />
„(1) Bei Beginn der ersten Vernehmung ist dem Beschuldigten<br />
zu eröffnen, welche Tat ihm zur Last gelegt wird<br />
und welche Strafvorschriften in Betracht kommen. Er ist<br />
darauf hinzuweisen, dass es ihm nach dem Gesetz freistehe,<br />
sich zu der Beschuldigung zu äußern oder nicht zur<br />
Sache auszusagen und jederzeit einen, auch schon vor seiner<br />
Vernehmung, einen von ihm zu wählenden Verteidiger<br />
zu befragen. Er ist ferner darüber zu belehren, dass er zu<br />
seiner Entlastung einzelne Beweiserhebungen beantragen<br />
kann. Er ist über das Antragsrecht nach § 141 Abs. 3 Satz<br />
2 zu belehren, wenn abzusehen ist, dass die Mitwirkung eines<br />
Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein<br />
wird. In geeigneten Fällen soll der Beschuldigte auch darauf,<br />
dass er sich schriftlich äußern kann, sowie auf die<br />
Möglichkeit eines Täter-Opfer-Ausgleichs hingewiesen<br />
werden.“<br />
2. § 140 Abs. 1 wird wie folgt geändert:<br />
„(1) Die Mitwirkung eines Verteidigers ist von der ersten<br />
Vernehmung des Beschuldigten an notwendig, wenn<br />
1. sich der Beschuldigte nicht auf freiem Fuß befindet und<br />
eine Strafe von mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe oder<br />
Jugendstrafe zu erwarten ist;<br />
2. ersichtlich ist, dass die spätere Hauptverhandlung vor<br />
dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem<br />
Schöffengericht stattfinden wird;<br />
3. wenn der Gegenstand der Untersuchung ein Verbrechen<br />
ist;<br />
4. das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;<br />
5. zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen<br />
Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung<br />
nach § 81 in Frage kommt;<br />
6. ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;<br />
7. der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von<br />
der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist.<br />
(2) In anderen Fällen bestellt der Vorsitzende auf Antrag<br />
oder von Amts wegen einen Verteidiger, wenn wegen der<br />
Schwere der Tat oder wegen der Schwierigkeit der Sachoder<br />
Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten<br />
erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte<br />
nicht selbst verteidigen kann – namentlich, weil dem<br />
Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und 4 ein<br />
Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dem Antrag eines<br />
hör- oder sprachbehinderten Beschuldigten ist zu entsprechen.“<br />
3. § 141 Abs. 3 wird wie folgt geändert:<br />
„(3) Das Gericht bestellt auf Antrag der Staatsanwaltschaft<br />
einen Verteidiger, sobald abzusehen ist, dass seine<br />
Mitwirkung nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.<br />
Das Antragsrecht steht auch dem Beschuldigten und seinem<br />
gesetzlichen Vertreter zu.“<br />
4. § 147 wird in seinen Abs. 2, 3 und 5 wie folgt geändert:<br />
„(2) Ist der Abschluss der Ermittlungen noch nicht in den<br />
Akten vermerkt, so kann dem Verteidiger die Einsicht in<br />
die Akten oder einzelne Aktenstücke sowie die Besichtigung<br />
der amtlich verwahrten Beweisstücke versagt werden,<br />
soweit sie den Untersuchungszweck in erheblicher<br />
Weise gefährden kann. Diese Gefahr muss in den Akten<br />
vermerkt und mit bestimmten Tatsachen belegt werden.<br />
Sobald der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet ist,<br />
ist dem Verteidiger auf dessen Antrag Einsicht in die Akte<br />
sowie die Besichtigung von Beweisstücken zu gewähren.<br />
(3) Die Einsicht in die Niederschriften über die Vernehmung<br />
des Beschuldigten und über solche richterlichen Untersuchungshandlungen,<br />
bei denen dem Verteidiger die Anwesenheit<br />
gestattet worden ist oder hätte gestattet werden<br />
müssen, sowie in die Gutachten von Sachverständigen darf<br />
dem Verteidiger in keiner Lage des Verfahrens versagt werden.<br />
Dasselbe gilt für die Besichtigung amtlich verwahrter<br />
Beweisstücke, die bei dem Beschuldigten sichergestellt<br />
worden sind oder von ihm stammen.<br />
(5) Über die Gewährung der Akteneinsicht entscheidet im<br />
vorbereitenden Verfahren und nach rechtskräftigem Abschluss<br />
des Verfahrens die Staatsanwaltschaft, im Übrigen<br />
der Vorsitzende des mit der Sache befassten Gerichts. Versagt<br />
die Staatsanwaltschaft die Akteneinsicht, ... so kann<br />
gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 161 a<br />
Abs. 3 Satz 2 bis 4 beantragt werden. Diese Entscheidungen<br />
werden nicht mit Gründen versehen, soweit durch deren<br />
Offenlegung der Untersuchungszweck gefährdet werden<br />
könnte.“<br />
5. Dem § 160 werden folgende Absätze angefügt:<br />
„(5) Die Staatsanwaltschaft vermerkt die Einleitung der Ermittlungen,<br />
die den Verdacht tragenden tatsächlichen Anhaltspunkte,<br />
deren rechtliche Bewertung sowie den Zeitpunkt<br />
der Einleitung.<br />
(6) Der Beschuldigte ist über die Einleitung von Ermittlungen<br />
zu unterrichten, sobald eine Gefährdung des Untersuchungszwecks<br />
nicht zu befürchten ist. Die Mitteilung<br />
kann unterbleiben, wenn das Verfahren alsbald eingestellt<br />
wird.“<br />
6. Der § 161 a wird wie folgt geändert:<br />
„(1) Zeugen und Sachverständige sind verpflichtet, auf Ladung<br />
von der Staatsanwaltschaft zu erscheinen und zur Sache<br />
auszusagen oder ihr Gutachten zu erstatten.<br />
(2) Die Vernehmung wird in Bild und Ton aufgezeichnet.<br />
(3) Soweit nichts anderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften<br />
des sechsten und siebenten Abschnitts des ersten<br />
Buches über Zeugen und Sachverständige entsprechend.<br />
(4) Die eidliche Vernehmung bleibt dem Richter vorbehalten.“<br />
7. § 163 a Abs. 4 wird wie folgt ergänzt:<br />
„(4) Dem Verteidiger ist bei der Vernehmung des Beschuldigten<br />
die Anwesenheit gestattet. Die Vernehmung wird in<br />
Bild und Ton aufgezeichnet.<br />
(5) 1. Bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten durch<br />
Beamte des Polizeidienstes ist dem Beschuldigten zu eröffnen,<br />
welche Tat ihm zur Last gelegt wird.<br />
2. Im Übrigen sind bei der Vernehmung des Beschuldigten<br />
durch Beamte des Polizeidienstes § 136 Abs. 1 Satz 2 bis<br />
4, Abs. 2, 3, § 136 a und § 163 a Abs. 4 anzuwenden.<br />
(6) Bei der Vernehmung eines Zeugen oder Sachverständigen<br />
durch Beamte des Polizeidienstes sind § 52 Abs. 3,<br />
§ 55 Abs. 2, 81 c Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 52<br />
Abs. 3, § 161 a Abs. 2 und § 136 a entsprechend anzuwenden.“<br />
AnwBl 1 / 2006 25
MN Aufsätze<br />
C. Begründung<br />
1. Allgemeiner Teil<br />
Der Strafrechtsausschuss des DAV verweist zur Begründung<br />
des von ihm vorgelegten Gesetzentwurfs vor allem auf<br />
die nach wie zutreffenden Erwägungsgründe des Diskussionsentwurfs<br />
vom Februar 2004. Dort wurde ausgeführt:<br />
„Die Gesetzgebung zum Strafverfahrensrecht war in<br />
den letzten Jahrzehnten häufig von anlassbezogenen<br />
und isolierten Änderungen in Teilbereichen geprägt.<br />
Wie bei der sog. Terrorismusgesetzgebung in den siebziger<br />
Jahren oder den Gesetzen zur Bekämpfung der Organisierten<br />
Kriminalität aus den neunziger Jahren handelte<br />
es sich, vor allem beim Ausbau des<br />
Ermittlungsinstrumentariums, um die Reaktion auf neue<br />
Formen von Kriminalität. ... Eine weitere Motivation der<br />
Gesetzgebung waren die Justizentlastung einschließlich<br />
der Verfahrensbeschleunigung.<br />
Die Bundesregierung (hat den) ... Standpunkt ..., dass<br />
sich das Ziel einer Modernisierung und Vereinfachung<br />
des Strafverfahrens nicht mit weiteren, nur punktuellen<br />
Änderungen erreichen lasse.<br />
Die Reform des Strafverfahrens verfolgt das Ziel einer<br />
zukunftssicheren Weiterorientierung des Strafverfahrens<br />
als Gesamtkonzept, das die Rechte aller am Strafverfahren<br />
Beteiligter unter grundsätzlicher Beibehaltung der<br />
insgesamt bewährten Strukturen verstärkt und zueinander<br />
in gerechten Ausgleich bringt.“<br />
„Erkenntnis“ im Strafverfahren entsteht im argumentativen<br />
Streit der am Verfahren Beteiligten und durch diesen<br />
Streit. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte<br />
nennt das „kontradiktorisches Verfahren“. Das rechtliche<br />
Gehör wird daher zu Recht vom Bundesverfassungsgericht<br />
als das prozessuale „Ur-Recht“ der Verfahrensbeteiligten<br />
bezeichnet7 .<br />
Diese Feststellung ist nicht auf die strafprozessuale<br />
Hauptverhandlung beschränkt oder beschränkbar. Sie gilt in<br />
jedem Stadium des Strafverfahrens. So unbestreitbar ein<br />
erster Abschnitt des Ermittlungsverfahrens geheim, d. h. insbesondere<br />
ohne Information und Mitwirkung des Beschuldigten<br />
und seines Verteidigers durchgeführt werden können<br />
muss, so grundlegend ist die Ein- bzw. Mitwirkungsmöglichkeit<br />
des Beschuldigten für alle nachfolgenden Abschnitte<br />
des Strafverfahrens, in denen es nicht mehr geheim<br />
geführt werden darf. Daraus ergeben sich die vorgeschlagenen<br />
Änderungen des Gesetzentwurfs zur möglichst frühzeitigen<br />
Information des Beschuldigten über die Einleitung eines<br />
Ermittlungsverfahrens sowie zur Akteneinsicht.<br />
Die Generalstaatsanwälte und der Generalbundesanwalt<br />
haben auf ihrer Arbeitstagung vom 17. bis 19. Mai 2004 einen<br />
Beschluss zu dem Diskussionsentwurf gefasst, mit dem<br />
sie ihn als „Gefährdung der Wahrheitsfindung in nicht vertretbarer<br />
Weise“ kritisiert haben. In ähnlicher Weise befürchten<br />
Richter8 , dass die mit dem Diskussionsentwurf intendierte<br />
erweiterte Mitwirkung des Verteidigers im<br />
Ermittlungsverfahren zu einer „(potentiellen) Gefährdung<br />
der Wahrheitsfindung“ führe. Die „Zielrichtung anwaltlicher<br />
Tätigkeit“ entsprechend der „Funktion des Verteidigers in<br />
einem an rechtsstaatlichen Grundsätzen orientierten Strafverfahren“<br />
wird nur im Grundsatz anerkannt, im selben<br />
Atemzug aber betont: „Andererseits (sic!) liegt es auf der<br />
Hand, dass die einseitige Interessenwahrnehmung den Auf-<br />
26 AnwBl 1 / 2006<br />
gaben der Ermittlungsbehörden zuwiderlaufen kann, da jedwede<br />
»Mitwirkung« des Verteidigers an konkreten Maßnahmen<br />
von seinem Verteidigungsziel bestimmt sein muss.“ 9<br />
Der Verteidiger als ein Störfaktor im Ermittlungsverfahren?<br />
Die Forderung einer „von Beeinträchtigungen freien<br />
Beweiserhebung gerade im Ermittlungsverfahren“ lässt keinen<br />
anderen Schluss zu. Aber das ist eine überholte, überalterte,<br />
etatistische Sicht des Verteidigers und seiner Funktion<br />
im Strafverfahren. Die Wahrheitsfindung im<br />
Strafverfahren ist nicht eine der Staatsanwaltschaft und dem<br />
Gericht vorbehaltene Aufgabe, die darin bestünde, eine an<br />
sich bestehende, vorgegebene Wirklichkeit zu rekonstruieren.<br />
Wahrheit entsteht nicht in Abwesenheit des Verteidigers.<br />
Wahrheit wird in procedendo durch die kontradiktorische<br />
Mitwirkung aller Verfahrensbeteiligter hergestellt.<br />
Nach dem Leitbild des liberal-rechtsstaatlich reformierten<br />
Strafprozesses, der den Dialog zum System erhoben hat,<br />
sind „Staatsanwalt und Strafverteidiger in gleicher Weise<br />
berufen, der Wahrheitsforschung zu dienen. Dadurch dass<br />
jeder von ihnen seinen Parteistandpunkt vertritt, soll die<br />
Wahrheit kund werden.“ 10 Die Wahrnehmung von Verteidigerrechten<br />
ist daher nicht eine Gefahr, sondern eine Voraussetzung<br />
für die Wahrheitsfindung. Nichts anderes meint der<br />
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, wenn er –<br />
ohne Differenzierung zwischen Ermittlungs- und Hauptverfahren<br />
– von einem „wirklich kontradiktorisch“ geführten<br />
Verfahren spricht.<br />
Aus diesem Verständnis von Verteidigung ergeben sich<br />
für den Strafrechtsausschuss des Deutschen AnwaltVereins<br />
notwendige Änderungen von Vorschriften des Ermittlungsverfahrens.<br />
Sie beziehen sich auf die Formalisierung der<br />
Verfügung über die Einleitung des Ermittlungsverfahrens,<br />
den Anfangsverdacht und die ihn tragenden materiellrechtlichen<br />
Vorschriften, auf die zeitliche Vorverlagerung und<br />
Gewährleistung notwendiger Verteidigung im Ermittlungsverfahren,<br />
auf Mitwirkungsrechte des Verteidigers des Beschuldigten<br />
bei dessen Vernehmungen, auf das Akteneinsichtsrecht<br />
des Verteidigers und auf die regelmäßige<br />
Tonband- bzw. Videoaufzeichnung von Vernehmungen von<br />
Beschuldigten und Zeugen im Ermittlungsverfahren sowie<br />
der Hauptverhandlung. Um vorgetragenen Bedenken aus<br />
der Justiz Rechnung zu tragen und längst fällige Anpassungen<br />
im Recht des Ermittlungsverfahrens an den erreichten<br />
Stand der Rechtsprechung und Wissenschaft nicht zu behindern,<br />
hat der Strafrechtsausschuss des DAV davon abgesehen,<br />
die Vorschläge des Diskussionsentwurfs zur Teilnahme<br />
des Strafverteidigers an Vernehmungen von Zeugen<br />
und Mitbeschuldigten zu übernehmen. Der geäußerten Kritik<br />
aus der Justiz dürfte damit der Boden entzogen sein. Die<br />
vorgeschlagene Reform des Ermittlungsverfahrens bleibt<br />
gleichwohl notwendige Folge der Anerkennung der konstituierenden<br />
Rolle des Verteidigers bei der Herstellung der<br />
Wahrheit im Strafverfahren.<br />
7 BVerfGE 55, 1, 6.<br />
8 DRiZ 2004, 184.<br />
9 Haller, aaO, S. 186.<br />
10 V. Liszt, Vortrag über die Stellung der Verteidigung in Strafsachen (DJZ 1901,<br />
179, 180).
MN Aufsätze<br />
2. Zu den einzelnen Vorschriften<br />
a. Die Formalisierung der Verfügung über die Einleitung<br />
des Ermittlungsverfahrens<br />
Der Entwurf des Strafrechtsausschusses sieht über den<br />
Diskussionsentwurf zu § 160 Abs. 5 – neu – StPO hinaus<br />
vor, dass die Staatsanwaltschaft die Einleitung des Ermittlungsverfahrens<br />
schriftlich in den Akten dokumentiert und<br />
dabei die den Anfangsverdacht tragenden tatsächlichen und<br />
rechtlichen Anhaltspunkte vermerkt.<br />
Über die Beteiligtenöffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens<br />
hinaus – die der Diskussionsentwurf anstrebt – wird<br />
auf diese Weise der Beschuldigtenstatus formalisiert und<br />
eine Regelung in die StPO eingefügt, die der des § 397 AO<br />
gleicht.<br />
Die Bekanntgabe der Beschuldigung spiegelt den Inhalt<br />
des Einleitungsvermerks lediglich wider. Deshalb ist es konsequent,<br />
beides zu institutionalisieren.<br />
Dokumentation und Bekanntgabe dienen der Transparenz<br />
über die Rolle der am Verfahren Beteiligten, namentlich<br />
für Zwangsmaßnahmen (Durchsuchung und Beschlagnahme,<br />
verdeckte Ermittlungen, körperliche<br />
Untersuchungen) oder solche Maßnahmen, die die Mitwirkung<br />
des am Verfahren Beteiligten erfordern (Vernehmung).<br />
Darüber, welchen Status die verfahrensbeteiligte Person<br />
innehat, sollte es in einem rechtsstaatlichen Verfahren weder<br />
Zweifel noch freie Dispositionsbefugnis durch die Strafverfolgungsbehörde<br />
geben. 11<br />
b. Die Änderungen im Recht der notwendigen Verteidigung<br />
„Der Beschuldigte kann sich jederzeit des Beistands eines<br />
Verteidigers bedienen.“ (§ 137 StPO). Dieses Recht des<br />
Beschuldigten ist als prozessuale Bedingung der Hauptverhandlung<br />
auch dort in ausreichendem Umfang durch Gesetz<br />
und Rechtsprechung gesichert, wo der Beschuldigte nicht in<br />
der Lage ist, einen Verteidiger an seiner Seite zu bestellen.<br />
In diesem Bereich der Verteidigung in der Hauptverhandlung<br />
schlägt der Gesetzentwurf lediglich eine Anpassung<br />
der Vorschrift des § 140 StPO an den aktuellen Stand der<br />
obergerichtlichen Rechtsprechung vor. Der Katalog der<br />
Fälle notwendiger Verteidigung in § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO,<br />
den der Diskussionsentwurf noch unangetastet gelassen hat,<br />
ist spätestens durch das RechtspflegeentlastungsG vom<br />
11.1.199312 reformbedürftig geworden, wodurch die Strafgewalt<br />
des Schöffengerichts von drei auf vier Jahre erhöht<br />
wurde; § 140 Abs. 1 Nr. 1 (Verfahren vor dem Landgericht)<br />
erfasst damit nicht mehr die Fälle früherer landgerichtlicher<br />
Verfahren, die wegen der erhöhten Strafgewalt seither dem<br />
Schöffengericht zugewiesen sind. Unabhängig davon hat<br />
die Rechtsprechung zu § 140 Abs. 2 StPO als sichere Regel<br />
herausgearbeitet, dass bei praktisch allen Fällen einer drohenden<br />
Freiheitsstrafe ab einem Jahr notwendige Verteidigung<br />
vorliegt. 13 Dem trägt der Gesetzentwurf Rechnung,<br />
ohne über derzeitige Anforderungen der Rechtsprechung hinauszugehen.<br />
Im Übrigen weitet der Entwurf den Anwendungsbereich<br />
der notwendigen Verteidigung aus.<br />
Im Spannungsfeld zwischen staatlicher Fürsorge und der<br />
Autonomie des Beschuldigten, seine Verteidigung selbst zu<br />
bestimmen, geht der Entwurf – entsprechend der Gesetzeslage<br />
– davon aus, dass in bestimmten Fällen eine Verteidigung<br />
ohne Rücksicht auf einen – möglicherweise entgegenstehenden<br />
Willen des Beschuldigten – notwendig ist.<br />
Es lässt sich sagen, dass in bestimmten – im Entwurf angeführten<br />
– Fallkonstellationen der Staat Anlass hat, zu garantieren,<br />
dass ein Beschuldigter bereits zu einem möglichst<br />
frühen Zeitpunkt einen Verteidiger konsultiert (§ 137 StPO).<br />
Damit sollen die Mindestbedingungen geschaffen werden,<br />
derer ein Beschuldigter bedarf, um ein vernünftiges Verteidigungskonzept<br />
entwickeln und umsetzen zu können. 14 In<br />
diesen Fallkonstellationen, in denen das Gleichgewicht der<br />
Kräfte zwischen staatlicher Strafverfolgung und Freiheitsinteresse<br />
des Beschuldigten wegen besonderer Bedingungen<br />
gestört ist, muss der Staat von sich aus die Verteidigung stärken<br />
– bei mangelnder materieller und/oder geistiger Kompetenz<br />
des Beschuldigten notfalls durch die Anordnung notwendiger<br />
Verteidigung.<br />
Ein solches Ungleichgewicht manifestiert sich im besonderen<br />
Maße im Ermittlungsverfahren, wenn der Beschuldigte<br />
festgenommen und in Untersuchungshaft genommen<br />
wird. Für den Beschuldigten stehen Weichen stellende prozessuale<br />
Entscheidungen an; gleichzeitig ist in diesem Anfangsstadium<br />
die Situation für ihn völlig unübersichtlich, er<br />
ist vom gewohnten sozialen Umfeld isoliert und – regelmäßig<br />
– der asymmetrischen Konfrontation mit professionellen<br />
Strafverfolgern ausgesetzt. Die Garantie, dass der<br />
Beschuldigte in dieser Situation sich des Rates eines Verteidigers<br />
vergewissert, der ihn über seine prozessuale Lage<br />
aufklärt und Alternativen möglichen Verteidigungshandelns<br />
erläutert, entspricht dem Gedanken staatlicher Selbstkontrolle<br />
und Machtbeschränkung, der wiederum dem Rechtsstaatsprinzip<br />
immanent ist.<br />
Der Entwurf orientiert sich an der Entscheidung des<br />
1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 22. November<br />
2001 – BGHSt 47, 172 ff. –, in der ausgeführt wird:<br />
„Eine Pflicht zur Stellung eines Beiordnungsantrags besteht<br />
jedenfalls dann, wenn der Tatverdacht von der<br />
Staatsanwaltschaft als dringend erachtet wird und der<br />
Beschuldigte zugleich aufgrund der Lage des Verfahrens<br />
tatsächlich eines Verteidigers bedarf. Stellt die Staatsanwaltschaft<br />
also einen Antrag auf Erlass eines Haftbefehls<br />
wegen eines Verbrechens, wird sie stets auch die<br />
Stellung des Beiordnungsantrags erwägen. Dieser kann<br />
zurückgestellt werden, solange der Beschuldigte noch<br />
nicht festgenommen ist.“<br />
Der Entwurf sieht die frühzeitige Mitwirkung des Verteidigers<br />
in diesen Fallkonstellationen als notwendig an, um<br />
Transparenz für den Beschuldigten zu schaffen und damit<br />
auch das Interesse des Staates zu fördern, ein Strafverfahren<br />
durchzusetzen, das bei den Beteiligten und der Bevölkerung<br />
das Vertrauen in seine Rechtsstaatlichkeit festigt. 15<br />
11 Vgl. auch Bannenberg u. a. AE-EV, 2001 S. 95 ff.<br />
12 BGBl. I 50 ff.<br />
13 Vgl. Meyer-Goßner, § 140, Rn. 22.<br />
14 Bemmann u. A. „Die Verteidigung“, 1979, S. 60.<br />
15 Vgl. Bemmann u. A. aaO S. 62.<br />
AnwBl 1 / 2006 27
MN Aufsätze<br />
c. Anwesenheit des Verteidigers bei Vernehmungen des Beschuldigten<br />
Der Entwurf gestattet dem Verteidiger die Anwesenheit<br />
bei jeder Vernehmung des Beschuldigten – über § 168 c<br />
StPO hinaus – und dient damit dem Schutz des Beschuldigten<br />
vor unreflektierter Selbstbelastung.<br />
Die Verfügung über sein Wissen und seine Informationen<br />
sowie die Wahl, ob und was er erklärt, soll der Beschuldigte<br />
generell unter professioneller Beratung durch einen<br />
Verteidiger treffen.<br />
Der Entwurf folgt damit einer verbreiteten Forderung im<br />
Schrifttum16 und begegnet der vielfach kritisierten asymmetrischen<br />
Konstellation in solchen Vernehmungen.<br />
d. Aufzeichnung von Beschuldigten- und Zeugenvernehmungen<br />
im Ermittlungsverfahren<br />
Die Vernehmung des Beschuldigten soll in Ton und Bild<br />
aufgezeichnet werden.<br />
Dem Verteidiger ist – nach der Intention des Entwurfs –<br />
lediglich Gelegenheit zur Mitwirkung an der Vernehmung<br />
des Beschuldigten zu geben. Der Entwurfsvorschlag soll sicherstellen,<br />
dass auch bei Abwesenheit des Verteidigers die<br />
Beschuldigtenvernehmung nachvollzogen werden kann.<br />
Die Empirie zeigt, dass das geschriebene Protokoll häufig<br />
nicht den wirklichen Verlauf der Vernehmung widerspiegelt,<br />
sondern lediglich die zwischen Vernehmenden und Vernommenen<br />
„ausgehandelte“ Wirklichkeit repräsentiert17 ,so<br />
z. B. wenn der Sachverhalt im sog. „informatorischen Vorgespräch“<br />
erörtert und anschließend vom Vernehmenden im<br />
Protokoll niedergelegt wird.<br />
Auch die Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen<br />
soll in Ton und Bild aufgezeichnet werden.<br />
Der Entwurf verzichtet darauf, die komplexe Materie der<br />
Beweiserhebung über Zeugen und Sachverständige mit Mitwirkungsrechten<br />
der Verteidigung zu befrachten. Die Reform<br />
sollte sich nicht lähmend auf die Ermittlungstätigkeit<br />
der Ermittlungsbeamten und der Staatsanwaltschaft auswirken.<br />
Kontroversen über Art und Weise der Vernehmung im<br />
Erhebungsakt oder über die Gefährdung des Untersuchungszweckes<br />
bei Anwesenheit von Beschuldigtem und Verteidiger<br />
können solche Behinderungen nach sich ziehen.<br />
Aber es sollte sichergestellt sein, dass der Beweiserhebungsakt<br />
im Ermittlungsverfahren ordentlich dokumentiert<br />
wird und damit jederzeit nachvollzogen und überprüft werden<br />
kann.<br />
Dadurch soll erreicht werden, dass in der Ermittlungsvernehmung<br />
die Methoden, die die StPO vorgibt (§ 69 StPO),<br />
eingehalten und der Grundsatz der Neutralität (vgl. § 160<br />
Abs. 2 StPO) gewahrt werden.<br />
Die Erfahrung lehrt, dass unbewusste oder bewusste Einflüsse<br />
(Beispiel: Arbeitshypothesen des Vernehmenden) die<br />
Beweiserhebung prägen und das Ergebnis verzerren können.<br />
Die Richtigkeit der im Verfahren zu treffenden Entscheidungen<br />
hängt dann maßgeblich davon ab, ob die Prägung<br />
erkannt und bei der Beweiswürdigung bedacht werden<br />
kann. Ohne eine exakte Dokumentation bleiben Führung<br />
(durch Fragen) und Definition (durch Protokollierung) in<br />
der Ermittlungsvernehmung regelmäßig unerkannt.<br />
Das kontradiktorische Element, das darin liegt, dass der<br />
Verteidiger in der Hauptverhandlung den Zeugen befragen<br />
kann, dient der Richtigkeit des im Verfahren zu gewinnenden<br />
Erkenntnisses.<br />
28 AnwBl 1 / 2006<br />
Dieser Verfahrensbeitrag wird verkürzt und beschnitten,<br />
wenn die amtliche Entstehung der Aussage der Auskunftsperson<br />
nicht verifiziert werden kann.<br />
Eine faire Untersuchung wird es nur dann geben können,<br />
wenn bereits im Stadium der Beweiserhebung das Element<br />
der Kontrolle als integrierter Bestandteil wirkt.<br />
e. Akteneinsichtsrecht<br />
Die Vorschriften der §§ 147 Abs. 2, 169 a StPO, wonach<br />
vor dem in den Akten vermerkten Abschluss der Ermittlungen<br />
Akteneinsicht verweigert werden kann, sind Ausdruck<br />
eines überkommenen, etatistischen Verständnisses von<br />
Strafprozess.<br />
Bereits durch die „soweit“-Fassung von § 147 Abs. 2<br />
S. 1 StPO soll die Dynamik der Prüfung des Staatsanwalts<br />
betont werden, ob die Akteneinsicht dem Verteidiger angesichts<br />
des Fortschritts der Ermittlungen nach wie vor verweigert<br />
werden kann. Denselben Gedanken nimmt § 147<br />
Abs. 2 StPO in Anlehnung an den § 11 Abs. 2 des Entwurfs<br />
des „Arbeitskreis Strafprozessreform“ auf, der folgende<br />
Fassung vorschlägt18 :<br />
„Sobald der Untersuchungszweck nicht mehr gefährdet<br />
werden kann, ist dem Verteidiger auf dessen Antrag Einsicht<br />
in die Akte sowie die Besichtigung von Beweisstücken<br />
zu gewähren. Die dringende Gefahr, dass die Einsichtnahme<br />
die weiteren Ermittlungen in erheblicher<br />
Weise behindern werde, muss mit bestimmten Tatsachen<br />
belegt werden.“<br />
Mit einer solchen Fassung von § 147 Abs. 2 StPO ist<br />
gleichzeitig in allgemeiner Weise der Zeitpunkt im Ermittlungsverfahren<br />
bezeichnet, ab dem es für die Verfahrensbeteiligten,<br />
vor allem den Beschuldigten und seinen Verteidiger,<br />
offen und mit der Möglichkeit effektiver Mitwirkung<br />
geführt werden muss.<br />
Die bisher auf bestimmte Fälle beschränkte gerichtliche<br />
Überprüfungsmöglichkeit des § 147 Abs. 5 S. 2 StPO ist generell<br />
auf die Versagung von Akteneinsicht gemäß § 147<br />
Abs. 2 StPO zu erstrecken.<br />
16 Rieß, Festschrift für Karl Schäfer zum 80. Geburtstag, S. 203; Müller-Dietz<br />
ZStW 98 (1981), 1231 f.; Wolter, Aspekte 1991, S. 80; Weigend ZStW 104<br />
(1992) 508; Bannenberg u. a., Alternativ-Entwurf Reform des Ermittlungsverfahrens,<br />
2001 S. 132.<br />
17 Vgl. dazu Eisenberg, Das Beweisrecht der StPO, Rn. 732, 1344 ff; Prüfer StV<br />
1998, 232 ff.<br />
18 Arbeitskreis Strafprozessreform, Die Verteidigung, Gesetzentwurf und Begründung,<br />
Karlsruhe 1997, S. 7.
MNKommentar<br />
„Wenn die Flut fällt, zeigen sich<br />
die Felsen“ – so sagt ein japanisches<br />
Sprichwort, dass einem einfällt, wenn<br />
man an die sinkenden durchschnittlichen<br />
Einnahmen der deutschen Anwälte<br />
denkt. Vor allem zwei Klippen<br />
sind es, die sichtbar werden:<br />
9 Die Schwellenangst unserer Mandanten,<br />
die häufig weder die Qualität<br />
noch das Preis-/Leistungsverhältnis<br />
eines Anwaltsbüros beurteilen<br />
können.<br />
9 Die Segmentierung der früher einmal<br />
einheitlichen Anwaltstätigkeit<br />
in viele Teilprodukte, die von der telefonischen<br />
Auskunft bis hin zu jahrelanger<br />
Prozessbetreuung reichen.<br />
Die meisten unserer Mandanten<br />
wissen nicht, welchen Spezialisten sie<br />
brauchen, was der kostet, wie der sie<br />
behandeln wird, was sie von ihm erwarten<br />
können etc. Dienstleistungsmärkte<br />
sind sehr viel undurchsichtiger<br />
als andere.<br />
Die Anwälte haben nie gelernt, mit<br />
dieser Schwellenangst richtig umzugehen.<br />
Ich habe 1982 in meinem ersten<br />
Buch „Über den Umgang mit Anwälten“<br />
versucht, den Mandanten ein paar<br />
Tipps zu geben und was ich damals an<br />
Leserbriefen bekam, war so erschreckend,<br />
dass ich es kaum schildern<br />
möchte: Viele hatten das Gefühl, sie<br />
hätten einen Bäcker gebraucht, waren<br />
aber beim Metzger gelandet. Und keiner<br />
traut sich was zu sagen!<br />
Da wir selbst nicht fähig waren,<br />
dieses Problem zu lösen, nimmt es<br />
jetzt der Markt in Angriff – und zwar<br />
über das Internet, ein Medium, dessen<br />
Schwelle jedermann ohne Angst überschreitet.<br />
Sehen sie sich z. B. einmal<br />
Rechtsberatung<br />
in der Absatzbar<br />
Prof. Dr. Benno Heussen<br />
Rechtsanwalt,<br />
Mitglied des DAV-Vorstands<br />
www.frag-einen-anwalt.de, www.anw<br />
ser24.de oder die Telefonrechtsberatung<br />
www.anwaeltedirekt.de oder<br />
www.janolaw.de, www.advoweb.de,<br />
www.anwalt.de, www.zurecht.de an.<br />
Damit habe ich nur die Hälfte der<br />
Dienste genannt, die tätig sind. Natürlich<br />
bieten sie keine Eingangsberatung<br />
im klassischen Sinn an. Aber wenn<br />
Sie sich die Antworten ansehen und<br />
die Preise, die dafür gezahlt werden<br />
(zwischen 15,00 E und 50,00 E) und<br />
wenn<br />
„Es gibt einen Bedarf<br />
für Fastfood in der Rechtsberatung“<br />
Sie ferner berücksichtigen, dass jeder<br />
Anfrager die Qualität der Antwort öffentlich<br />
(!) bewerten kann, (so bei:<br />
www.frag-einen-anwalt.de) dann sehen<br />
Sie auf einmal eine Transparenz,<br />
die es bisher noch nie gegeben hat.<br />
Auch die Anwaltssuchservices tragen<br />
zu dieser Transparenz bei, müssen sich<br />
aus wettbewerbsrechtlichen Gründen<br />
aber weit mehr zurückhalten.<br />
Die zweite Klippe, an der wir<br />
scheitern können, ist die völlige Aufsplitterung<br />
des früheren einheitlichen<br />
Tätigkeitsbildes in viele Einzeltätigkeiten,<br />
die nicht mehr aus einer Hand<br />
kommen müssen. Sie reichen von der<br />
Telefonberatung über große Vertragsprojekte<br />
bis hin zu jahrelangen Prozessen,<br />
die nur von Anwaltteams geführt<br />
werden können. Auf den ersten<br />
Blick scheint dadurch ein Qualitätsgefälle<br />
zu entstehen.<br />
Der Schein trügt aber, denn die unterschiedliche<br />
Tiefe in der Bearbeitung<br />
ist nichts weiter als eine Reaktion auf<br />
die Bedürfnisse des Mandanten: Wer<br />
auf die Schnelle eine Currywurst essen<br />
will, dem ist mit einem sechsgängigen<br />
Menü nun einmal nicht gedient. Betrachtet<br />
man sich die Noten, die die<br />
Anwälte für ihre Antworten erhalten,<br />
sieht man sofort, dass die meisten Anfrager<br />
sehr zufrieden sind, wenn ihnen<br />
jemand einen ersten Eindruck über ihr<br />
Problem für 20,00 E verschafft.<br />
Es gibt einen Bedarf für Fastfood<br />
in der Rechtsberatung und es werden<br />
sich noch andere Felder zeigen, die<br />
mit dem klassischen Berufsbild nur<br />
noch wenig zu tun haben. Der Versuch,<br />
sich mit restriktiven Abwehrstrategien<br />
gegen diese Entwicklung zu<br />
wehren, wird misslingen. Auch den<br />
Schuhmachermeistern ist das in den<br />
siebziger Jahren so gegangen, als sie<br />
versuchten, gegen die Schuhexpressbar<br />
anzutreten (BVerwG, NJW 1964,<br />
512).<br />
Friedrich Graf von Westphalen und<br />
Felix Busse haben im Novemberheft<br />
2005 des <strong>Anwaltsblatt</strong>s nochmals<br />
beschwörend auf den Wert des unabhängigen,<br />
verschwiegenen und den Interessen<br />
seines Mandanten verpflichteten<br />
Anwalts für das Rechtssystem<br />
hingewiesen. Diese Tugenden sind für<br />
jede Form der Rechtsdurchsetzung unverzichtbar.<br />
Im Bereich der Rechtsberatung<br />
hingegen verschwinden sie<br />
gerade bei den großen Beratungsprojekten<br />
(unter anderem, weil andere<br />
Berater sich nicht daran halten) – und<br />
bei vielen Tätigkeiten im reinen Beratungsmarkt<br />
(z. B. beim Mieterverein,<br />
dem Internet oder Hotlineberatungen)<br />
werden zwar Rechtsauskünfte gegeben,<br />
aber keine Mandate übernommen.<br />
Es liegt nicht in unserer Hand, das<br />
zu steuern: Der Markt wird sich so<br />
oder so durchsetzen, wie er es bei der<br />
Absatzbar auch geschafft hat.<br />
AnwBl 1 / 2006 29
MNThema<br />
Brauchen wir den Einheitsjuristen –<br />
oder kommt die Spartenausbildung?<br />
Justiz und Anwaltschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse – Streitgespräch<br />
über die Juristenausbildung<br />
Die „Befähigung zum Richteramt“ eint die Juristen. Der<br />
Einheitsjurist gilt als Garant dafür, dass die Juristenausbildung<br />
anderen Ausbildungen überlegen ist – so sehen<br />
das noch immer Richter, Verwaltungsbeamte und viele Anwälte.<br />
Doch ist dem noch so? Von den jährlich rund<br />
10.000 Juristen mit der „Befähigung zum Richteramt“<br />
werden an die 7.500 Rechtsanwälte. Ist der Einheitsjurist<br />
noch zeitgemäß? Das <strong>Anwaltsblatt</strong> bat eine Vertreterin der<br />
Justiz und einen Anwaltsvertreter zum Streitgespräch. In<br />
Berlin diskutierten die Präsidentin des rheinland-pfälzischen<br />
Landesprüfungsamtes für Juristen, Marliese Dicke,<br />
und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Dr. Dierk Mattik.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Angehende Volljuristen orientieren sich in<br />
ihrer jahrelangen Ausbildung am Leitbild des habilitierfähigen<br />
Oberlandesgerichtsrats, obwohl fast alle so nie arbeiten<br />
werden. Der DAV schlägt eine eigenständige Anwaltsausbildung<br />
vor. Anwalt soll nur werden, wer Anwalt gelernt<br />
hat. Brauchen wir den Einheitsjuristen noch?<br />
Dicke: Ja. Es gibt gute Gründe, die Ausbildung – so wie<br />
sie heute ausgestaltet ist – aufrecht zu erhalten. Im Übrigen:<br />
Der Einheitsjurist hat – obwohl viele an ihm schon herumgedoktert<br />
haben – immer überlebt. Der Begriff „Befähigung<br />
zum Richteramt“ gibt sicherlich Anlass zu Missverständnissen.<br />
Er besagt, dass jeder Absolvent der Ausbildung Richter<br />
werden kann. Die Ausbildung war früher in der Tat mehr<br />
auf die Justizberufe ausgerichtet. Heute streiten wir eher um<br />
den Begriff. Die Ausbildung ist schon längst nicht mehr die<br />
alte. Der Gesetzgeber hat ja erst kürzlich die Ausbildung<br />
wesentlich stärker am Anwaltsberuf ausgerichtet, als es früher<br />
der Fall war.<br />
Dr. Mattik: Ich widerspreche. Wir machen es uns zu einfach,<br />
wenn wir sagen, Einheitsjusrist ist ein überholter Begriff<br />
– und die Inhalte sehen eigentlich ganz anders aus. Es<br />
ist schon ein wenig Überheblichkeit der Justizjuristen im<br />
Spiel, wenn sie sagen, auch der Anwalt braucht die Befähigung<br />
zum Richteramt. Wer Richter kann, muss nicht auch<br />
Stritten im DAV-Haus in Berlin über die Zukunft des Einheitsjuristen:<br />
Marliese Dicke und Dr. Dierk Mattik.<br />
30 AnwBl 1 / 2006<br />
Anwalt können. Als Anwalt reicht es nicht, ein guter Jurist<br />
zu sein. Sie müssen Managementfähigkeiten haben, sie<br />
müssen Personal führen, sie brauchen steuerrechtliche<br />
Kenntnisse – sie sind Unternehmer. Es reicht heute nicht<br />
mehr aus, jemand mit der Befähigung zum Richteramt auszubilden<br />
– und dann zu glauben, dass er hinterher als Unternehmer<br />
auf dem Anwaltsmarkt bestehen kann.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist der Einheitsjurist ein Mythos?<br />
Dr. Mattik: Es mag einmal Zeiten gegeben haben, wo<br />
das Idealbild Einheitsjurist der Maßstab gewesen ist. Diese<br />
Zeiten sind längst vorbei. Wir müssen feststellen: Justiz und<br />
Verwaltung kommen mit dem Einheitsjuristen und mit der<br />
Juristenausbildung bestens aus. Es wird ausgebildet, was<br />
die Justiz hinterher auch abfordert. Es werden sowieso nur<br />
fünf Prozent der Absolventen Richter, die sowieso die Besten<br />
sind – und für die Verwaltungsbeamten gibt es in der<br />
Regel eine postassessorale Ausbildung. Aber wir bilden<br />
eben auch eine große Masse von durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen<br />
Juristen aus. Sie werden alle Anwalt.<br />
Früher war das kein großes Problem. Die anwaltliche Karriere<br />
begann als angestellter Anwalt – da wurde der junge<br />
Anwalt von den erfahrenen Kollegen in den Beruf eingeführt.<br />
Doch das funktioniert seit langem nicht mehr. Viele<br />
juristische Karrieren als Anwalt beginnen als Einzelanwalt.<br />
Die kommen aus dem 2. Staatsexamen und werden ins Wasser<br />
geschmissen.<br />
Dicke: Dass dieses Massenproblem existiert, leugne ich<br />
nicht. Eine breite Masse schlecht benoteter – nicht unbedingt<br />
schlecht ausgebildeter – Juristen steht auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Dieses Massenproblem sorgt uns alle. Darüber<br />
sind wir uns sicher einig.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Der Einheitsjurist ist ein Idealtypus, der alles<br />
weiß, aber am Ende nichts kann. Wer Anwalt oder Notar<br />
werden will, braucht eine Zusatzausbildung – und selbst in<br />
der Justiz wird nach dem zweiten Examen weiter ausgebildet.<br />
Ignoriert die Juristenausbildung einfach den aktuellen<br />
Trend?<br />
Dicke: Der Einheitsjurist kann sehr viel. Wir sollten die<br />
Vorzüge der Ausbildung nicht übersehen. Der Anwalt soll<br />
mit dem Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsjuristen auf<br />
Augenhöhe sein. Das ist ein wichtiges Argument. Wenn wir<br />
wirklich in Sparten ausbilden – wie es der DAV forciert -,<br />
würden die Vertreter der einzelnen Berufe eben nicht mehr<br />
auf Augenhöhe sein. Wir hätten Anwälte, wenige Richter,<br />
einige Verwaltungsjuristen – und wir hätten einen Anteil<br />
von mindestens 15 Prozent Studienabgänger, die gar keine<br />
Ausbildung durchlaufen hätten. Sie müssten in der freien<br />
Wirtschaft ihren Markt suchen – ohne irgendwo ausgebildet<br />
worden zu sein. Das ist auch ein Problem, über das wir sicher<br />
reden müssen. Dagegen steht derzeit beispielsweise der<br />
universell ausgebildete Richter, der auch gesehen hat, wie<br />
Anwälte arbeiten – und umgekehrt. Und nach der letzten<br />
Reform aus dem Jahre 2003 dauert die Anwaltsstation im<br />
Referendariat jetzt immerhin 9 Monate lang – und kann um
MN Thema<br />
drei Monate in der Wahlstation verlängert werden. Ich<br />
denke, wir sollten einmal abwarten, was daraus wird. Wir<br />
prüfen jetzt die ersten Referendare, die ihre Ausbildung<br />
nach dem neuen Recht gemacht haben. Noch haben wir<br />
keine Erkenntnisse.<br />
Dr. Mattik: Macht es eigentlich Sinn, dass wir die jungen<br />
Juristen erst acht Jahre durch ein Studium und ein Referendariat<br />
laufen lassen, um sie dann am Ende für den eigentlichen<br />
Beruf fit zu machen? Müssen wir uns nicht von der<br />
Idee verabschieden, dass man sich für einen Beruf erst in einem<br />
hohen Alter von 28 Jahren entscheiden muss? Warum<br />
verlangen wir jungen Menschen nicht nach dem Studium<br />
eine Berufsentscheidung ab? Und dann schicken wir sie in<br />
die Ausbildung als Anwalt, Richter oder Verwaltungsbeamter.<br />
Ein Wirtschaftswissenschaftler muss sich auch nach<br />
dem Studium entscheiden, ob er Steuerberater werden will.<br />
Dicke: Ich halte dagegen: Auch wenn nach acht Semestern<br />
Studium und einem Examen die eine oder der andere<br />
das sicherlich bereits entscheiden kann: Sie verlieren bei einer<br />
Spartenausbildung den Juristen, der in alle Bereiche<br />
reingeschnuppert hat. Außerdem ist das heutige System bereits<br />
so flexibel, dass auch derjenige mit dem festen Berufsziel<br />
„Anwalt“ seine Ausbildung gezielt darauf abstellen<br />
kann.<br />
Dr. Mattik: Das ist völlig richtig. Nur müssen wir leider<br />
feststellen, dass sich um diese Entscheidung alle unsere zukünftigen<br />
Nachwuchsjuristen schlicht und ergreifend drücken.<br />
Sie wollen erst das Examen machen und dann entscheiden<br />
– je nachdem wie die Note ausfällt. Im Rahmen<br />
des Referendariats bietet der DAV bereits die DAV-Anwaltsausbildung<br />
an: Keiner sagt uns, es sei ein schlechtes Modell.<br />
Alle sagen sogar, es sei ein hervorragendes und ambitioniertes<br />
System. Und deswegen zögern die Referendare,<br />
weil sie diesen Stress nicht auf sich nehmen wollen. Es geht<br />
ihnen nur um das Examen. Eins muss ich aber auch sagen:<br />
Unsere DAV-Anwaltreferendare wissen ganz genau, was sie<br />
wollen. Um das noch einmal zu sagen, um die Guten mache<br />
ich mir keine Sorgen. Die anderen müssen wir aber an die<br />
Hand nehmen. Wir hatten 2004 rund 7.500 neue Zulassungen<br />
und 2005 werden es nicht weniger sein. Das heißt also<br />
– und die Zahlen sprechen dafür – die nächsten 10 Jahre<br />
geht das so weiter. Wir haben 104.000 Studenten in der<br />
Ausbildung. Wir können diesen nicht nach einer langen und<br />
harten Ausbildung sagen, eigentlich hast du das Falsche studiert.<br />
Es geht darum, dass wir den Marktmechanismen zum<br />
Durchbruch verhelfen. Nur wer einen Ausbildungsplatz hat,<br />
kann die Ausbildung zum Anwalt mit Prüfung absolvieren.<br />
Wer keinen findet, muss sich etwas anderes suchen<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Frau Dicke, können Sie sich mit dieser<br />
Sicht anfreunden?<br />
Dicke: Nein, nicht wirklich.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Warum nicht?<br />
Dicke: Der Vorschlag läuft auf eine Reglementierung<br />
des Berufszugangs hinaus, auch wenn gesagt wird, die Spartenausbildung<br />
stehe für eine bessere Qualität. Natürlich<br />
muss die Qualität erhalten, gegebenenfalls auch verbessert<br />
werden. Ich frage mich aber, wie die Qualität gesichert<br />
wird, wenn nur der ausgebildet wird, der irgendwo einen<br />
Ausbildungsplatz findet. Das Spartenmodell kennt keine<br />
Eingangsprüfung, die Aufnahme in die Ausbildung hängt<br />
auch nicht von einer besonders guten Note ab. Die Spartenausbildung<br />
ist die falsche Antwort auf das Massenproblem.<br />
Wer Jura unbedingt studieren<br />
will, der wird<br />
nicht glauben wollen,<br />
dass am Ende seine Berufsaussichten<br />
schlecht<br />
sind. Das Ganze ist<br />
letztendlich ein bildungspolitischesProblem.<br />
Wir müssen es<br />
viel früher anpacken.<br />
An der Universität geht<br />
etwa die Hälfte der Jurastudenten<br />
unter, weil sie<br />
das Studium abbricht<br />
oder sonst wo versickert.<br />
Auch bestehen<br />
durchschnittlich ca. 30<br />
Prozent der Absolventen<br />
die erste Prüfung nicht.<br />
All das müsste eigentlich<br />
Studierende abschrecken<br />
– jedenfalls<br />
all diejenigen, die den 2.<br />
Schein nur mit 4 Punkten<br />
geschafft haben. Es<br />
schreckt aber nicht ab.<br />
Die jungen Leute machen<br />
weiter, warum<br />
auch immer. Es stimmt<br />
mich aber nachdenklich,<br />
wenn wegen dieses<br />
Massenproblems eine<br />
Ausbildung mit all ihren<br />
großen Vorzügen in<br />
Frage gestellt wird.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Würde<br />
die Anwaltschaft etwas<br />
verlieren, wenn der Einheitsjurist<br />
aufgegeben<br />
wird?<br />
Dr. Dierk Mattik: „In zehn Jahren<br />
haben wir die Spartenausbildung<br />
als Anwaltsausbildung<br />
durchgesetzt. Da bin ich ganz<br />
sicher.“<br />
Marliese Dicke: „Ich vertraue<br />
darauf, dass wir in zehn Jahren<br />
noch ähnlich ausbilden wie bisher<br />
– natürlich mit den notwendigen<br />
Neuerungen.“<br />
Dr. Mattik: Ich glaube nicht. Was habe ich denn von einem<br />
Anwalt, der keine Praxis mehr erlernt hat. Wenn er vor<br />
Gericht zieht, sitzt er dort einem Richter gegenüber, der jeden<br />
Tag Mietsachen macht. Diese Augenhöhe hat er nach<br />
Ablegung des 2. Staatsexamens verloren. Er ist rettungslos<br />
dem hochprofessionellen Richter unterlegen, der sich mit einer<br />
Spezialmaterie befasst. Das gilt nicht, wenn der Anwalt<br />
in gleicher Weise in diesem Bereich tätig ist. Warum haben<br />
wir denn die Fachanwaltschaften? Da ist die Augenhöhe gewährleistet.<br />
Dicke: Ich halte dagegen: Was habe ich von einem Anwalt,<br />
der gar nicht weiß, wie der hochspezialisierte Richter<br />
eigentlich arbeitet.<br />
Dr. Mattik: In drei Monaten im Referendariat lernt er<br />
das nicht.<br />
Dicke: Das mag sein. Ich meine trotzdem, dass das Reinschnuppern<br />
– manchmal ist es ja gar nicht mehr – in die verschiedensten<br />
Tätigkeitsbereiche sinnvoll ist. Es ist für den<br />
von Vorteil, der schon weiß, was er werden möchte; aber<br />
auch für den, der es nach dem Studium eben vielleicht noch<br />
nicht weiß – oder für den, der nach einer Station sagt: „Das<br />
war nichts für mich.“ Diese Chance wäre bei der Sparten-<br />
AnwBl 1 / 2006 31
MN Thema<br />
ausbildung verloren. Mit dem Einheitsjuristen haben wir<br />
eine gute Sache, die uns von vielen anderen Ausbildungsgängen<br />
unterscheidet. Wir sollten sie nicht ohne Not wegen<br />
des Massenproblems aufgeben.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist das heutige Ausbildungsmodell ein Luxussystem?<br />
Dr. Mattik: Ja.<br />
Dicke: Ein Luxussystem ... vielleicht insofern, als dass wir<br />
es uns leisten, allen diese zweijährige staatliche Ausbildung zu<br />
gewährleisten. Wir sollten es trotzdem nicht aufgeben.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Braucht die Justiz den Einheitsjuristen?<br />
Dicke: Die Frage stelle ich anders: Braucht eine gesunde<br />
Rechtspflege den Einheitsjuristen? Ich meine, dass unsere<br />
Gesellschaft nicht schlecht bedient ist mit ihm. Warum soll<br />
sie ihn dann aufgeben? Es geht nicht ausschließlich um die<br />
Frage, ob ein Verzicht für die Justiz Einsparungen ermöglichen<br />
könnte.<br />
Dr. Mattik: Die Justiz braucht den Einheitsjuristen nicht.<br />
Sie benötigt einen wissenschaftlich ausgebildeten Juristen,<br />
der nach dem Studium auf seine richterliche Tätigkeit vorbereitet<br />
wird – genau das, was die von der niedersächsischen<br />
Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann eingesetzte<br />
Expertenkommission 2004 gesagt hat: Wir müssen so<br />
etwas wie den Richterassistenten schaffen, der drei oder<br />
vier Jahre als Assistent in einem Spruchkörper ausgebildet<br />
wird – und nicht als junger Amtsrichter alleine den Rechtssuchenden<br />
gegenübertritt. Wenn wir diese Spartenausbildung<br />
für Richter hätten, wäre das für die Justiz ein großer<br />
Segen.<br />
Dicke: Was geschieht aber mit den Richteranwärtern, die<br />
nicht übernommen werden? Sie müssten dann in den Anwaltsberuf<br />
überwechseln dürfen. Wir müssten eine Durchlässigkeit<br />
schaffen – und zwar eine große Durchlässigkeit.<br />
Dann sind wir doch fast wieder bei dem Modell, das wir<br />
jetzt in der Ausbildung haben.<br />
Dr. Mattik: Das stimmt. Wer die Richterausbildung<br />
durchlaufen hat, muss sich um einen Platz bewerben. Neu ist<br />
aber, dass wir Rahmenbedingungen schaffen, die den Kandidaten<br />
zu einer frühen echten Berufsentscheidung zwingen<br />
– in Kenntnis aller Risiken und Chancen. Ideal wäre das System<br />
der Bucerius Law School. Die nehmen von 400 Abiturienten<br />
nur die 100 Besten. Das aber machen die Universitäten<br />
nicht. Das können sie auch nicht machen. Denn die<br />
Zuteilung der sachlichen und finanziellen Mittel für die Einzelfakultät<br />
hängt davon ab, wie viel Studienanfänger sie bekommt.<br />
So ist es nun mal. Wir reden von einem Numerus<br />
clausus und von den scharfen Zwischenprüfungen seit vielen<br />
Jahrzehnten. Und es passiert nichts. Das ist unser Problem:<br />
Die Spartenausbildung fängt zu einem Zeitpunkt an, wo alles<br />
schon gelaufen ist. Eine Reform des Studiums ist aber nicht<br />
möglich. Da lassen uns alle am ausgestreckten Arm verhungern<br />
– Universitäten und Gesetzgeber.<br />
Dicke: Dass der Gesetzgeber Sie so ganz am ausgestreckten<br />
Arm verhungern lässt, stelle ich in Abrede. So<br />
lässt sich die Zwischenprüfung durchaus effektiv gestalten,<br />
wie ich es in Rheinland-Pfalz sehe. Ich beobachte, dass die<br />
Fakultäten diesen Ansatz mittragen und in der Zwischenprüfung<br />
Maßstäbe setzen. Der eine oder andere Studierende<br />
wird sich künftig fragen, ob Jura das Richtige für ihn oder<br />
für sie war. Ob das die Masse ergreift, weiß ich nicht, wäre<br />
aber denkbar. Uns liegen noch keine verwertbaren Ergeb-<br />
32 AnwBl 1 / 2006<br />
nisse vor. Aber auch hier sollten wir abwarten – denn für<br />
das Studium greift die Reform von 2003 erst ab 2007.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Beim Einheitsjuristen haben wir einen<br />
Dissens ...<br />
Dr. Mattik: Um das klarzustellen: An dem wissenschaftlichen<br />
Studium der Universitätsausbildung wollen wir nichts<br />
ändern – da wollen auch wir die Einheitlichkeit der Ausbildung<br />
beibehalten.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: ... einig sind Sie sich, dass es ein Massenproblem<br />
gibt.<br />
Dicke: Zugegeben: Masse ist ein Problem. Ich bezweifele<br />
aber, dass das Problem dadurch gelöst wird, einfach<br />
weniger Studienabsolventen in die Anwaltsausbildung zu<br />
schicken. Die Studienabsolventen bleiben am Markt.<br />
Dr. Mattik: Frau Dicke, wenn Sie einräumen, dass das<br />
Massenproblem die Justiz genauso wie die Anwaltschaft<br />
drückt, dann muss ich sagen: Nicht nur den Mund spitzen,<br />
sondern auch pfeifen. Alle sagen, die Anwaltschaft hat ein<br />
Problem. Und alle Politiker sagen dem DAV, solange kein<br />
Dritter zuhört, eigentlich müssten wir etwas unternehmen.<br />
Aber es passiert eben doch nichts, es bleibt alles beim Alten.<br />
Der Zeitpunkt zum Handeln ist gekommen.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Hätten Sie einen Therapievorschlag, Frau<br />
Dicke?<br />
Dicke: Ich schlage vor, dass wir ganz früh im Studium<br />
ansetzen, um für das Jurastudium ungeeignete Studenten herauszufiltern.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: – Wie sieht die Juristenausbildung in zehn<br />
Jahren aus?<br />
Dr. Mattik: In zehn Jahren haben wir die Spartenausbildung<br />
durchgesetzt. Es könnte sein, dass sie gerade erst begonnen<br />
hat, weil wir einen unglaublichen Vorlauf haben<br />
werden. Aber in zehn Jahren wird es die Spartenausbildung<br />
geben. Da bin ich ganz sicher.<br />
Dicke: Ich vertraue darauf, dass wir in zehn Jahren noch<br />
ähnlich ausbilden wie bisher – natürlich mit den notwendigen<br />
Neuerungen. Wir müssen am Ball bleiben, wie bei der<br />
letzten Reform 2003. Als wir feststellten, dass die Absolventen<br />
vor allem in die Anwaltschaft streben, haben wir die<br />
Ausbildung umgekrempelt und anwaltsnäher gemacht. Es<br />
wäre mir ein großes Anliegen, erst einmal ein paar Durchgänge<br />
abzuwarten und dann zu sehen, was aus der Reform<br />
geworden ist.<br />
Das Gespräch moderierte Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />
Berlin.<br />
Marliese Dicke, Mainz<br />
Die Präsidentin des rheinland-pfälzischen Landesprüfungsamtes<br />
für Juristen verteidigt den Einheitsjuristen<br />
klassischer Prägung, weil der Rechtsanwalt mit Staatsanwälten,<br />
Richtern und Verwaltungsjuristen auf Augenhöhe<br />
sein soll.<br />
Dr. Dierk Mattik, Berlin<br />
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins<br />
kämpft für eine eigenständige Anwaltsausbildung (Spartenausbildung),<br />
weil ein guter Jurist noch lange nicht ein guter<br />
Anwalt sein muss. Der Anwalt ist eben auch Unternehmer.
MNGastkommentar<br />
Den Begriff des Mangels kannte die<br />
Anwaltschaft über Jahrzehnte nur als<br />
Rechtsbegriff – als Abweichung von<br />
der Soll- zur Istbeschaffenheit einer<br />
verkauften Sache. Und beim Geldmangel<br />
trichterte man ihnen in den Schuldrechtsvorlesungen<br />
der ersten Semester<br />
gebetsmühlenartig immer wieder ein:<br />
Geld hat der Schuldner zu haben. Doch<br />
die im Juristenhimmel ausgedachte<br />
Lehre funktioniert auf dem harten Erdenboden<br />
nur noch bedingt. Der Grund:<br />
Den derzeit etwa 138.000 Berufsträgern<br />
droht nicht nur weitere Konkurrenz aus<br />
den eigenen Reihen. Nein, sie werden<br />
in absehbarer Zeit zusätzlich mit einem<br />
Mangel an Mandanten zu kämpfen haben.<br />
Glaubt man nämlich den Prognosen<br />
des Deutschen Anwaltvereins,<br />
dann gibt es in Deutschland im Jahr<br />
2012 über 180.000 Anwälte. Parallel<br />
wird das Verhältnis Einwohner zu Anwalt<br />
rapide absinken: Kamen 1992<br />
noch 1.253 Einwohner auf einen Anwalt,<br />
könnten es 2012 nur noch 458<br />
sein.<br />
Da dieses Szenario als sehr wahrscheinlich<br />
unterstellt werden und keine<br />
denkbare Gegenmaßnahme diese Entwicklung<br />
noch aufhalten kann, gilt es,<br />
der harten Realität ins Auge zu<br />
schauen. Und das heißt konkret: Die<br />
Anwaltschaft muss sich mit dem Mangel<br />
an Mandanten intensiv beschäftigen,<br />
um daraus Antworten für ihr eigenes<br />
Überleben zu finden. Nun wissen<br />
wir sowohl aus der Homöopathie als<br />
auch aus der klassischen Medizin, dass<br />
man Ähnliches mit Ähnlichem heilen<br />
kann. Wer nach dem Biss einer Klapperschlange<br />
weiter leben möchte, der<br />
muss sich innerhalb weniger Stunden<br />
ein Gegenserum beschaffen – ein Ge-<br />
Aus Mangel an<br />
Mandanten<br />
Marcus Creutz<br />
Freier Journalist<br />
gengift. Welch einfache und zugleich<br />
grandiose Erkenntnis – kaum zu glauben!<br />
Und tatsächlich: Weite Teile der<br />
Anwaltschaft scheinen an diesen Heilungssatz<br />
nicht zu glauben. Viele unter<br />
ihnen gleichen derzeit eher einem erstarrten<br />
Kaninchen, das jeden Moment<br />
den tödlichen Biss der Klapperschlange<br />
erwartet.<br />
Doch Erstarrung führt schnurstracks<br />
in das Verderben. Es gilt, jetzt<br />
mit Hochdruck ein Gegenserum zu entwickeln.<br />
Übersetzt heißt das: Den<br />
„Mandanten wünschen sich<br />
kaufmännisch denkende<br />
Anwälte“<br />
Mangel bei sich und bei den Mandanten<br />
genau anschauen und in sein Gegenteil<br />
transformieren. Wie das funktioniert,<br />
zeigen vor allem die<br />
Großkanzleien. Die erfolgreichsten<br />
Geschäftsmodelle aus den letzten Jahren<br />
resultieren vor allem aus einem<br />
starken Mangel auf Seiten der Mandanten.<br />
So etwa bei bestimmten Banken,<br />
die während der 90er Jahre im<br />
Immobiliensektor kräftig mitgemischt<br />
und sich dabei ebenso kräftig verspekuliert<br />
haben. Den Mangel in den Bilanzen<br />
haben findige Großkanzleien<br />
ausgemerzt. Sie zeigten sich äußerst<br />
kreativ, indem sie dafür sorgten, dass<br />
die Banker ihre faulen Kredite im<br />
Wege des Forderungsverkaufs auf einen<br />
Schlag wieder los wurden. Wie<br />
kann ich Steuern sparen, wie die Mitbestimmung<br />
vermeiden oder Staat und<br />
Gemeinden aus der Haushaltsmisere<br />
heraushelfen? Schwierige Fragen, auf<br />
die findige Anwälte aber immer wieder<br />
legale Antworten finden.<br />
Klar ist auch: Je stärker ein Mangel<br />
bzw. der daraus resultierende Leidensdruck<br />
auf Seiten des Mandanten ist,<br />
umso empfänglicher und aufgeschlossener<br />
wird er für Lösungsvorschläge<br />
sein. Und umso intensiver wird die Beziehung<br />
zwischen Anwalt und Mandant.<br />
Vielen Anwälten brechen dieser<br />
Tage die Umsätze auch deshalb weg,<br />
weil sie das Verhältnis zu ihren Klienten<br />
einfach nicht genug gepflegt haben.<br />
Auch diesen Mangel an Beziehungsfähigkeit<br />
gilt es genau anzuschauen!<br />
Einen weiteren eklatanten Mangel<br />
hat jüngst eine Befragung des Handelsblatts<br />
unter den 1.500 größten Unternehmen<br />
in Deutschland zu Tage gefördert:<br />
44 Prozent sind der Meinung, dass<br />
Anwälte immer noch zu juristisch und<br />
zu wenig kaufmännisch denken! Was<br />
wollen diese Mandanten damit eigentlich<br />
sagen? Was erwarten sie von einem<br />
modernen Anwalt? Ganz einfach: Dass<br />
er sie aus einer Mangelsituation herausführt<br />
und ihnen das Gegenstück – die<br />
Fülle – ins Leben holt. So einfach und<br />
brutal zugleich ist das! Denn diese Erwartungshaltung<br />
bedeutet letztendlich<br />
nichts anderes, als dass der Anwalt<br />
wahre Wunder vollbringen soll. Er<br />
muss zum Beispiel dort einspringen, wo<br />
gelernte Unternehmer selbst versagt haben<br />
– zum Beispiel im Insolvenzfall<br />
oder in Phasen, die kurz davor liegen.<br />
Statt aber nun den Mangel an unternehmerischen<br />
Fähigkeiten zu beheben,<br />
laufen die Anwälte in Fachanwaltslehrgänge<br />
– kaufmännische Denke werden<br />
sie aber auch dort nicht erlernen. Spezialisierung<br />
allein, das können wir jeden<br />
Samstag in der Sportschau verfolgen,<br />
ist noch lange kein Garant für<br />
Erfolg. Wie viele gelernte Stürmer werden<br />
dort gezeigt, die trotz bester Chancen<br />
das Tor nicht treffen, während andere<br />
Stürmerkollegen in schöner<br />
Regelmäßigkeit und scheinbar aus dem<br />
Nichts heraus Spiele zu ihren Gunsten<br />
entscheiden. Torinstinkt dort – unternehmerisches<br />
Gespür hier. Die gute<br />
Nachricht für die Anwaltschaft lautet:<br />
Die Zahl der Mandanten wird zwar rapide<br />
sinken, deren Probleme nehmen<br />
dafür aber gewaltig zu - Globalisierung,<br />
Überalterung der Gesellschaft und Zusammenbruch<br />
der Sozial- und Gesundheitssysteme<br />
sei Dank!<br />
AnwBl 1 / 2006 33
MNAus der Arbeit des DAV<br />
Aus der Arbeit des DAV<br />
34 DAV-Forum Justizreform verschoben<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn<br />
35 DAV-Werbekampagne für die Anwaltschaft<br />
startet im <strong>Januar</strong><br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski, Berlin<br />
36 DAV-Pressemitteilung:<br />
Spartenausbildung in der Juristenausbildung<br />
36 DAV-Pressemitteilung:<br />
500 Millionen Euro für das Rechtsreferendariat<br />
36 Forum Junge Anwaltschaft:<br />
Schwierige Zeiten sind für Überzeugungstäter<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
38 DAV-Pressemitteilung:<br />
Keine staatliche Anfechtung von Vaterschaften<br />
38 DAV-Pressemitteilung:<br />
Keine Verschärfung des Polizeigesetzes<br />
in Bayern<br />
38 DAV-Gesetzgebungsausschüsse:<br />
Stellungnahmen zu Gesetzesvorhaben<br />
39 Bayerischer Anwaltverband:<br />
Anstand in der Politik – Kampf gegen das<br />
Vergessen der NS-Zeit<br />
Rechtsanwalt Anton A. Mertl, Rosenheim<br />
39 Stichwort:<br />
Max-Friedlaender-Preis<br />
40 Berliner Anwaltverein:<br />
Anwaltsausbildung in Europa<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, Berlin<br />
40 Berliner Anwaltverein:<br />
„Wer nicht genießen kann, wird ungenießbar“<br />
Rechtsanwalt Carsten Langenfeld, Berlin<br />
41 DAV und Menschenrechte:<br />
ABA schickt Prozessbeobachter<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers, Berlin<br />
41 AG Handels- und Gesellschaftsrecht:<br />
Neue Arbeitsgemeinschaft gegründet<br />
Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />
42 AG Strafrecht:<br />
Chancen und Risiken strafprozessualer<br />
Reformen<br />
Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />
43 AG Steuerrecht:<br />
12. Steueranwaltstag in Berlin<br />
Rechtsanwalt Jürgen Wagner, Konstanz<br />
44 AG Sozialrecht:<br />
Barrierefreier Zugang zum Sozialrecht<br />
44 AG Erbrecht:<br />
Mitgliederversammlung<br />
45 ARGE Baurecht:<br />
Mitgliederversammlung<br />
45 AG Insolvenzrecht und Sanierung:<br />
Mitgliederversammlung<br />
45 Personalien<br />
34 AnwBl 1 / 2006<br />
DAV-Aktuell<br />
DAV-Forum Justizreform<br />
verschoben<br />
Zurückhaltende Beschlüsse der<br />
Justizministerkonferenz<br />
Der DAV hat das im Dezemberheft des<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>s für den 1./2. Februar<br />
2006 angekündigte DAV-Forum Justizreform<br />
auf unbestimmte Zeit verschoben.<br />
Der Vorsitzende des DAV-Ausschusses<br />
Justizreform, Rechsanwalt<br />
Felix Busse, erläutert die Gründe.<br />
Die Entscheidung wird auf den ersten<br />
Blick verwundern. Denn das<br />
Thema „Große Justizreform“ hat für<br />
den DAV keineswegs an Bedeutung<br />
verloren. Die noch auf der Justizministerkonferenz<br />
vom Juni 2005 verkündeten<br />
Pläne müssen die Anwaltschaft<br />
alarmieren. Das gilt insbesondere für<br />
die hinter dem Zauberwort „Einführung<br />
der funktionalen Zweigliedrigkeit“<br />
versteckte Absicht tief greifender<br />
Eingriffe in das Rechtsmittelrecht, insbesondere<br />
das Recht der Berufung.<br />
Die Berufung als zweite Tatsacheninstanz<br />
wird in Frage gestellt, der Zugang<br />
zur Berufungsinstanz soll in allen<br />
Prozessordnungen an die Zulassung<br />
der Berufung durch das Rechtsmittelgericht<br />
gebunden werden. Die Steuerung<br />
der Arbeitsbelastung der Justiz<br />
durch eine restriktive „Politik“ der Berufungszulassung,<br />
eine Pervertierung<br />
des immer mehr nur noch in Sonntagsreden<br />
hochgehaltenen Rechtsstaates,<br />
wird ernsthaft erwogen. Der Rechtsschutz<br />
des Bürgers gegen fehlerhafte<br />
Gerichtsentscheidungen würde durch<br />
solche Schritte ausgehöhlt, effektiver<br />
Rechtsschutz auf dem Altar staatlicher<br />
Finanznöte geopfert. Dabei wendet unser<br />
Staat schon heute so wenig für die<br />
Rechtspflege auf, dass das Wort<br />
„Rechtsstaat“ immer weniger passt.<br />
Hinzu kommt die fehlende Schlüssigkeit<br />
der Vorschläge für die damit angestrebten<br />
Ziele der Entlastung, der Effektivitätssteigerung<br />
und der<br />
Freisetzung von Mitteln. Darüber sind<br />
sich weite Kreise der Praxis, nicht nur<br />
der Anwaltschaft einig. Ebenso würde<br />
die seinerzeit geäußerte Absicht der<br />
Justizministerkonferenz, die Regelung<br />
einvernehmlicher Scheidungen oder<br />
die Schaffung der Voraussetzungen dafür<br />
den Notaren zu übertragen, die<br />
Haushaltsnöte des Staates nicht lindern,<br />
dafür aber unweigerlich eine Be-<br />
nachteiligung der sozial und finanziell<br />
schwächeren Seite mit sich bringen.<br />
Auch hierzu könnte die Anwaltschaft<br />
ihre Hand nicht reichen.<br />
Warum dann aber die Absage des<br />
Forums Justizreform? Weil die Justizministerkonferenz<br />
am 17.11.2005 die<br />
oben genannten tiefen Einschnitte jedenfalls<br />
im Moment nicht weiterverfolgt<br />
hat. Sie hat sich nur für eine<br />
partielle Verlagerung gerichtlicher Tätigkeiten<br />
in Nachlasssachen auf die<br />
Notare ausgesprochen. Dies ist eine<br />
Aufgabenübertragung, die auch der<br />
DAV-Ausschuss Justizreform in seiner<br />
Stellungnahme vom Mai 2005 für erwägenswert<br />
gehalten hat. Eine Aufgabenverlagerung<br />
im Bereich einverständlicher<br />
Scheidungen hat die<br />
Justizministerkonferenz fallengelassen.<br />
Aus dem Strauß der Vorschläge zu einer<br />
großen Justizreform hat sie nur<br />
noch die Einführung einer erstinstanzlichen<br />
Zuständigkeit der Oberlandesgerichte<br />
empfohlen und dies auf aktienrechtliche<br />
Streitigkeiten<br />
beschränkt. Dafür hatten sich der Handelsrechtsausschuss<br />
und der Ausschuss<br />
Justizreform des DAV jedenfalls für<br />
den Bereich der Spruchverfahren bereits<br />
ausgesprochen. In dieser Situation<br />
gilt es abzuwarten, ob und mit welchem<br />
Inhalt die im November nicht behandelten<br />
Themen der Justizreform,<br />
die angesichts ihrer Bedeutung in den<br />
Mittelpunkt des DAV-Forums gestellt<br />
werden sollten, auf der politischen<br />
Bühne weiterverfolgt werden oder ob<br />
die ablehnenden Stellungnahmen von<br />
DAV, BRAK, Richterbund und anderen<br />
doch schon Wirkung gezeigt haben.<br />
Der DAV bleibt auf der Hut<br />
Allerdings müssen wir auf der Hut<br />
sein. Abschnitt 2.4 der Koalitionsvereinbarung<br />
lässt offen, wohin die Reise<br />
geht. Keiner der früheren Vorschläge<br />
der Justizministerkonferenz wurde ausdrücklich<br />
fallen gelassen. Sobald die<br />
Politik hierzu konkrete Vorschläge vorlegt,<br />
denen die Anwaltschaft im Interesse<br />
der Bürger, aber auch im eigenen<br />
Interesse entgegentreten muss, wird<br />
der DAV sich mit den dann zur Diskussion<br />
stehenden Vorschlägen kritisch<br />
auseinandersetzen, erforderlichenfalls<br />
die Stellungnahmen seiner Ausschüsse<br />
ergänzen und gegebenenfalls kurzfristig<br />
ein DAV-Forum Justizreform einberufen.<br />
Rechtsanwalt Felix Busse, Bonn
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Werbekampagne für die<br />
Anwaltschaft startet im <strong>Januar</strong><br />
Ganzseitige Anzeigen in Publikumszeitschriften<br />
„Endlich geht’s los“. Dieser Satz beschreibt<br />
anschaulich den Start der<br />
vom DAV initiierten Werbekampagne<br />
der deutschen Anwaltschaft in diesem<br />
Monat. Wie bereits im November-Heft<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s (Seite 689 ff.), beschrieben,<br />
mündet die lange Planungs-<br />
und Entscheidungsphase nun<br />
endlich in den Kampagnenstart.<br />
„Vertrauen ist gut. Anwalt ist besser“<br />
Unter diesem Slogan startet erstmals<br />
eine bundesweite Werbekampagne für<br />
die deutsche Anwaltschaft. Ziel der<br />
Kampagne ist nicht bloß die Imagesteigerung<br />
der anwaltlichen Dienstleistungen<br />
im Allgemeinen, sondern auch die<br />
Sicherung des Rechtsberatungsmarktes<br />
für die Anwaltschaft.<br />
Die zunächst auf zwei Jahre angelegte<br />
Kampagne wird im Jahr 2006 im<br />
An diesem Design-Beispiel ist zu erkennen, dass sich die<br />
schwarz-/weiß-Gebung des Bildmotivs in dem vielfarbigen<br />
Werbeumfeld wohltuend abhebt. Im nächsten Heft des <strong>Anwaltsblatt</strong>es<br />
wird über die veröffentlichten Motive berichtet.<br />
wesentlichen mit zwei sogenannten<br />
Flights durchgeführt. Die erste Phase<br />
beginnt Mitte <strong>Januar</strong> und läuft bis<br />
Ende März. In zwei Zeitschriften soll<br />
im April und Mai weiter geworben<br />
werden. Auf Grund der Fußballweltmeisterschaft<br />
wird im Sommer pausiert.<br />
Der zweite Flight läuft von Mitte<br />
September bis Ende November.<br />
Definition der Zielgruppe<br />
Bei der Mediaauswahl war es notwendig,<br />
die Zielgruppe zunächst zu<br />
definieren, die man erreichen möchte.<br />
Dies sind im wesentlichen die<br />
Entscheider kleiner und mittlerer Unternehmen,<br />
also der klassische Mittelstand,<br />
die geschäftsführenden Gesellschafter,<br />
sowie Angestellte, Arbeiter,<br />
Beamte mit einem Haushaltsnettoeinkommen<br />
von 2.000 bis 5.000 Euro.<br />
Um in dieser Zielgruppe<br />
eine große<br />
Reichweite zu erreichen,<br />
ist eine Anzeigenwerbung<br />
in Publikumszeitschriften,<br />
Wirtschaftspresse und<br />
überregionalen Zeitungen<br />
notwendig.<br />
Mediaauswahl<br />
Geworben wird<br />
mit ganzseitigen Anzeigen<br />
im redaktionellen<br />
Teil von Focus,<br />
Der Spiegel, Stern,<br />
Handwerk-Magazin<br />
und Impulse. Hinzu<br />
kommen seitenteilige<br />
Anzeigen in Anzeigenteilen<br />
der Welt am<br />
Sonntag/Welt, der<br />
FAZ, der Zeit, Bild<br />
am Sonntag und der<br />
Süddeutschen Zeitung.<br />
Dies ist das Ergebnis<br />
der Analyse<br />
der beauftragten Mediaagentur,<br />
wie man<br />
die Zielgruppen weitestgehend<br />
erreicht.<br />
In den Publikumszeitschriften<br />
werden<br />
die Anzeigen zwi-<br />
schen sechs und zwölf Mal pro Titel<br />
erscheinen. Bezüglich der Seitenteilanzeigen<br />
ist eine sechsmalige Belegung<br />
im Jahr pro Titel vorgesehen. Für andere<br />
Werbung neben der Anzeigenwerbung<br />
besteht mit den vorliegenden begrenzten<br />
Mitteln kein Raum.<br />
Kreativkonzept<br />
Die beauftragte Agentur Goldfisch<br />
Berlin, die die Kreation der Kampagne<br />
entwickelt hat, fand die Zustimmung<br />
in den örtlichen Anwaltvereinen und<br />
insbesondere der außerordentlichen<br />
Mitgliederversammlung des DAV am<br />
30. September 2005 in Berlin. Dort<br />
wurde die Durchführung der Kampagne<br />
unter der finanziellen Beteiligung<br />
der Mitgliedschaft beschlossen.<br />
Pro Jahr erhebt der DAV pro beitragspflichtigem<br />
Mitglied bei den örtlichen<br />
Anwaltvereinen einen Betrag von<br />
30 Euro, da die zur Verfügung gestellten<br />
Eigenmittel in Höhe von 1,1 Millionen<br />
Euro nicht ausreichen, um diese<br />
Kampagne zu finanzieren. Somit steht<br />
ein jährliches Budget von 2,2 Millionen<br />
Euro zur Verfügung.<br />
Die ganzseitigen Anzeigen in den<br />
Publikumszeitschriften sind so ausgelegt,<br />
dass der Slogan „Vertrauen ist<br />
gut. Anwalt ist besser“ mit Hilfe einer<br />
einleuchtenden Überschrift und des<br />
dazu passenden Motivs transportiert<br />
wird. Die relevanten Aussagen sind mit<br />
einer Begründung versehen, warum es<br />
sinnvoll ist, eine Anwältin bzw. einen<br />
Anwalt zu Rate zu ziehen. Der Vorteil<br />
des Slogans liegt in seiner Merkfähigkeit.<br />
Er fasst in einem Satz ein ganzes<br />
Akquisegespräch zusammen.<br />
Die Themen und die Motive sollen<br />
sympathisch und pfiffig sein und auf<br />
intelligente Weise die Zielgruppe ansprechen.<br />
Die kleineren, lediglich mit<br />
Text arbeitenden Anzeigen werden themenbezogen<br />
in die jeweiligen Rubriken<br />
der überregionalen Tageszeitungen<br />
platziert.<br />
Einbindung der Anwaltschaft<br />
Nach dem Start der Kampagne erhalten<br />
die Mitglieder der örtlichen Anwaltvereine<br />
die Möglichkeit, von der<br />
Dachkampagne zu profitieren. Dafür<br />
werden spezielle Anzeigenpools entwickelt,<br />
aus denen sich die Mitgliedschaft<br />
bedienen kann. Informationen<br />
darüber wird es in der DAV-Depesche<br />
und insbesondere im März-Heft des<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>es geben.<br />
Rechtsanwalt Swen Walentowski,<br />
Berlin<br />
AnwBl 1 / 2006 35
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
Spartenausbildung in der<br />
Juristenausbildung<br />
Justizministerkonferenz will ein Diskussionsmodell<br />
entwickeln<br />
Auf ihrer Herbstkonferenz im November<br />
2005 haben die Justizministerinnen<br />
und Justizminister den zuständigen<br />
Fachausschuss beauftragt, ein<br />
Diskussionsmodell eines Spartenvorbereitungsdienstes<br />
zu entwickeln und<br />
der Konferenz zur Beratung vorzulegen.<br />
Der Deutsche Anwaltverein begrüßt<br />
diese Entscheidung ausdrücklich.<br />
Er fordert seit langem die Spartenausbildung,<br />
um so eine echte Ausbildung<br />
zu gewährleisten. Der DAV wird einen<br />
Gesetzentwurf zur Spartenausbildung<br />
erarbeiten und alsbald vorlegen.<br />
„Endlich nimmt die Politik die Reformnotwendigkeit<br />
bei der Anwaltsausbildung<br />
zur Kenntnis und tut den<br />
ersten Schritt zur notwendigen Reform<br />
zu einer Spartenausbildung. Die Anwaltschaft<br />
braucht die Spartenausbildung<br />
als echte Anwaltsausbildung, das<br />
heißt, eine Ausbildung, die auf den<br />
Anwaltsberuf tatsächlich vorbereitet“,<br />
so der Präsident des DAV, Rechtsanwalt<br />
Hartmut Kilger. Es sei erfreulich, dass<br />
die vergangenen intensiven Diskussionen<br />
mit den Justizministerinnen und<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
500 Millionen Euro für<br />
das Rechtsreferendariat<br />
– zuviel Geld<br />
Der Deutsche Anwaltverein hat<br />
anlässlich der Herbstkonferenz der<br />
Justizministerinnen und Justizminister<br />
der Länder (JuMiKo) im November<br />
2005 darauf hingewiesen, dass<br />
die öffentliche Hand bei der Referendarausbildung<br />
jährlich rund 500<br />
Millionen Euro verschwende. Dieser<br />
Betrag werde benötigt, um 7.500 bis<br />
8.000 Absolventen für den Richterdienst<br />
auszubilden, die aber tatsächlich<br />
Anwalt werden.<br />
In jedem Jahr drängten ca.<br />
10.000 Absolventen, die die Befähigung<br />
zum „Richteramt“ erhalten haben,<br />
auf den Markt. Nur vier Prozent<br />
36 AnwBl 1 / 2006<br />
Justizministern dazu geführt haben,<br />
nun den Weg frei zu machen, dass die<br />
Anwaltschaft ihren Nachwuchs selbst<br />
ausbilden kann. Es sei notwendig, dass<br />
endlich diejenigen, die tatsächlich Anwalt<br />
werden, auch zum Anwalt ausgebildet<br />
werden.<br />
„Wir werden diesen Diskussionsprozess<br />
dadurch fördern, dass wir das<br />
bereits von uns vorgelegte Modell der<br />
Spartenausbildung in einem Gesetzentwurf<br />
umsetzen. Wir gehen davon aus,<br />
dass die Arbeiten noch im nächsten<br />
Jahr abgeschlossen werden können“,<br />
so Kilger weiter. Wir hoffen dadurch,<br />
die Diskussions- und Klärungsprozesse<br />
beschleunigen zu können, so dass man<br />
noch vor dem von der Justizministerkonferenz<br />
avisierten Jahr 2008 zu einer<br />
Regelung komme.<br />
Bei dem Spartenmodell wird derjenige,<br />
der nach einem erfolgreich abgeschlossenen<br />
Jura-Studium sich für den<br />
Anwaltsberuf entscheidet, in einer<br />
zweijährigen Anwaltsausbildung intensiv<br />
auf den Beruf des Anwalts vorbereitet.<br />
Der DAV erhebt seit mehreren<br />
Jahren die Forderung, dass die Anwaltschaft<br />
den eigenen Nachwuchs selbst<br />
ausbilden kann.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. 45/05<br />
Die Spartenausbildung für Anwälte<br />
stellt DAV-Präsident Hartmut Kilger in<br />
diesem Heft im Spitzenaufsatz ausführlich<br />
vor.<br />
dieser Absolventen würden in den<br />
Richterdienst aufgenommen. Der<br />
größte Teil ginge in den Anwaltsberuf,<br />
ohne hierfür richtig ausgebildet<br />
zu sein. Dazu DAV-Präsident<br />
Hartmut Kilger: „Die ungeheuere<br />
Summe von 500 Millionen Euro<br />
wird damit an den Bedürfnissen des<br />
Marktes vorbei investiert. Eine solche<br />
Summe für etwa nur 400 Personen<br />
pro Jahr, die den tatsächlich<br />
ausgebildeten Beruf des Richters ergreifen,<br />
ist angesichts des Sparzwangs<br />
der öffentlichen Haushalte<br />
nicht gerechtfertigt.“<br />
Der Rest der Referendare wird,<br />
was die Berufsvorbereitung angeht,<br />
allein gelassen. Die Ausbildungsstation<br />
in einer Anwaltskanzlei wird<br />
nach wie vor von fast allen für die<br />
Vorbereitung auf das anschließende<br />
Klausurenexamen genutzt.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 43/05<br />
Forum Junge Anwaltschaft<br />
Schwierige Zeiten sind<br />
für anwaltliche<br />
Überzeugungstäter<br />
XXIII. Forum „Erfolgreicher<br />
Einstieg in den Anwaltsberuf“<br />
Der Anwaltsmarkt gilt als überfüllt –<br />
und doch wird der Markt täglich neu<br />
verteilt. Der Präsident des Deutschen<br />
Anwaltvereins Hartmut Kilger machte<br />
den zukünftigen Kollegen Mut. Rund<br />
300 Referendare, Assessoren und<br />
Junganwälte trafen sich Mitte Oktober<br />
in Gelsenkirchen beim XXIII. Forum<br />
„Erfolgreicher Einstieg in den Anwaltsberuf“.<br />
Der Seminar-Dauerbrenner<br />
– veranstaltet vom Verein Deutsche<br />
Anwaltakademie e.V. – zeigte:<br />
Dieser Nachwuchs kann es packen.<br />
Erstmals fand in den Tagen vor dem<br />
Forum ein Präsenzseminar für rund<br />
50 Referendare der DAV-Anwaltausbildung<br />
statt.<br />
Das Forum „Erfolgreicher Einstieg<br />
in den Anwaltsberuf“ ist mehr als ein<br />
Existenzgründerseminar. Es ist auch<br />
Ideenbörse, Kontakthof und ein Ort für<br />
die Aktiven. Die Wege in die Anwaltschaft<br />
sind so vielfältig wie die Anwaltschaft.<br />
Zwei Erfahrungsberichte –<br />
von einem jungen Kanzleigründer und<br />
einer Kanzleigründerin – machten das<br />
deutlich. Nur eines eint die jungen Anwälte:<br />
Immer weniger können zunächst<br />
Anwaltserfahrung als angestellte<br />
Anwälte oder freie Mitarbeiter<br />
sammeln. Immer mehr gründen mit der<br />
Zulassung die eigene Kanzlei.<br />
Vorstand einer Ich-AG<br />
„Ich bin der alleinige Vorstand meiner<br />
Ich-AG.“ So stellt sich Thomas<br />
Hentschel vor, seit eineinhalb Jahren<br />
Rechtsanwalt in Bonn. Er setzt schon<br />
seit dem Referendariat auf Spezialisierung.<br />
Der 30jährige konzentriert sich<br />
auf das Sozialrecht und strebt den<br />
Fachanwalt an. Sein Glück: Er arbeitet<br />
in Bürogemeinschaft mit einer erfahrenen<br />
Fachanwältin für Sozialrecht. „Ich<br />
habe eine Kollegin, die ich fragen<br />
kann“, sagt Hentschel. Und hin und<br />
wieder fällt auch ein Mandat ab. Sein<br />
Appell an die gestandenen Anwälte:<br />
„Geben Sie uns eine Chance – beide<br />
Seiten können profitieren, die jungen<br />
Kollegen bringen frischen Wind in die<br />
Kanzlei.“
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Nicht auf Spezialisierung, sondern<br />
auf Mandantennähe und Kostenmanagement<br />
setzt Ursula von Unger. Ihre<br />
Kanzlei hat sie in ihrer Heimatstadt<br />
Lohmar gegründet. Das Kanzleikonzept<br />
entwickelt sie langsam. Sie<br />
schaut, was der Markt an Mandaten<br />
hergibt. Dazu gehört Familienrecht,<br />
aber auch Bau- und Mietrecht. Die<br />
Kosten sind gering, weil sie – noch –<br />
von zu Hause arbeitet. Aus dieser<br />
Schwäche hat sie längst eine Stärke gemacht.<br />
„Ich gehe zum Mandanten hin“,<br />
sagt von Unger. Die Mandanten schätzen<br />
das. „Nur zur Kummerkasten-<br />
Tante dürfen sie nicht werden“, sagt<br />
sie.<br />
Einstieg DAV-Anwaltausbildung<br />
Den Trend zur Kanzleigründung<br />
aus Not bestätigt Rechtsanwalt Martin<br />
Lang, Vorsitzender des Forums Junge<br />
Anwaltschaft im DAV. „Die jungen<br />
Renate Kuchler<br />
(28) ist seit Juni<br />
2004 Rechtsanwältin<br />
und absolviert<br />
trotzdem die DAV-<br />
Anwaltausbildung.<br />
Ihr Motto: Von der<br />
Pike auf lernen.<br />
DAV-Anwaltreferendar<br />
Malte Beuster<br />
(27) nahm am Forum<br />
„Erfolgreicher<br />
Einstieg in den Anwaltsberuf“<br />
und<br />
am Präsenzseminar<br />
der DAV-Anwaltausbildung<br />
teil.<br />
Diskutierten über Kanzleikonzepte:<br />
Maureen Görg (Bochum, 29, rechts),<br />
Nadja Schimmel (Dortmund, 27) und<br />
Marc Claudius Grupp (Essen, 30) werden<br />
– so sah es zum Zeitpunkt des Forums<br />
aus – eigene Kanzleien gründen. Ein Berufsstart<br />
in etablierten Kanzleien wird für<br />
viele Absolventen des zweiten Examens<br />
immer schwieriger.<br />
Berichteten über ihre unterschiedlichen<br />
Erfahrungen mit der Gründung der<br />
eigenen Kanzlei: Rechtsanwalt Thomas<br />
Hentschel aus Bonn und Rechtsanwältin<br />
Ursula von Unger aus Lohmar.<br />
Kolleginnen und Kollegen wünschen<br />
sich keinen Start als Einzelanwalt, sondern<br />
suchen eine professionelle Ausbildung<br />
als angestellter Anwalt, freier<br />
Mitarbeiter oder in einer Bürogemeinschaft“,<br />
sagt Lang. Wer gleichwohl den<br />
Schritt in die Selbstständigkeit wage,<br />
sei jedoch meist besonders motiviert<br />
und kreativ. „Die eigene Lage wird –<br />
ohne verzagt zu sein – realistisch eingeschätzt“,<br />
sagt Lang.<br />
Dass die DAV-Anwaltausbildung<br />
auf den Anwaltsberuf vorbereitet,<br />
zeigten die DAV-Anwaltreferendare in<br />
Gelsenkirchen. Rund 50 hatten sich in<br />
den Tagen vor dem Forum zum Erfahrungsaustausch<br />
getroffen und nahmen<br />
geschlossen am Forum teil.<br />
„Die DAV-Anwaltausbildung kann<br />
ich weiter empfehlen“, sagt DAV-A nwaltreferendar<br />
Malte Beuster (Berlin,<br />
27). Er arbeite inzwischen sehr selbstständig,<br />
werde gleichwohl aber überwacht.<br />
Seit <strong>Januar</strong> 2005 ist Beuster Referendar<br />
in einer 4er-Kanzlei, die sich<br />
im Zivil-, Versicherungs- und Unternehmensrecht<br />
auf kleine und mittelständische<br />
Unternehmen spezialisiert<br />
hat. Er will noch einen Abschluss als<br />
Diplom-Kaufmann draufsatteln – und<br />
sich mittelfristig selbstständig machen.<br />
Schon Mitten im Beruf steht Renate<br />
Kuchler (Vilsbiburg, 28). Sie ist seit<br />
Juni 2004 Rechtsanwältin, absolviert<br />
die DAV-Anwaltausbildung und ist in<br />
einer Kanzlei angestellt – und damit<br />
die Ausnahme von der Regel: „Ich<br />
lerne von der Pike auf.“ Nach dem<br />
zweiten Examen hätte sie sich die<br />
Kanzleigründung nicht zugetraut.<br />
„Heute kann ich mir das vorstellen“,<br />
so Kuchler.<br />
Die Jungen lernen von den Alten<br />
Der Erfolg des Forums liegt aber<br />
nicht nur in seinen engagierten Teilnehmern.<br />
Ganz wesentlich gehören dazu<br />
auch die Vorträge der arrivierten An-<br />
Begrüßten den Nachwuchs: Die Rechtsanwälte<br />
Hartmut Kilger (DAV-Präsident,<br />
M.), Martin Lang (Forum Junge Anwaltschaft,<br />
l.) und Jürgen Widder (Vorstand<br />
des Vereins Deutsche Anwaltakademie).<br />
wälte. Sie machten dem Nachwuchs<br />
Mut, zeigten ihm aber seine Grenzen<br />
auf. „Begreifen Sie Ihren eigenen Fall<br />
auch als juristischen, der sich mit juristischer<br />
Arbeit lösen lässt“, empfahl<br />
Rechtsanwalt Hartmut Kilger. Die sozialrechtlichen<br />
Klippen von Arbeitsverträgen<br />
und freier Mitarbeit erläuterte<br />
er und führte in das System der<br />
Versorgungswerke ein.<br />
Über Honorar und Haftung sprach<br />
Rechtsanwältin Edith Kindermann. Sie<br />
warnte vor allem davor, Scheinsozius<br />
zu werden: „Wer aufs Briefpapier geht,<br />
geht voll in die Haftung.“ Umlagert<br />
war am Ende seines Vortrags zum Berufsrecht<br />
Rechtsanwalt Dr. Michael<br />
Kleine-Cosack, geduldig beantwortete<br />
er auch die letzte berufsrechtliche<br />
Frage. Über das Kanzleimarketing<br />
sprach Rechtsanwalt Axel Thoenneßen,<br />
der selbst lange im Forum Junge<br />
Anwaltschaft aktiv war.<br />
Die Notwendigkeit strategischer<br />
Planung betonte Rechtsanwalt Wolfgang<br />
Schwackenberg. „Es ist ein verdrängender<br />
Markt und er wird sich<br />
weiter verschlechtern“, warnte er. Das<br />
gelte auch für etablierte Kanzleien. Zu<br />
den jungen Anwältinnen und Anwälten<br />
sagte er: „Sie sind es, die uns vom<br />
Markt jagen.“ Die Größe einer Kanzlei<br />
und das Alter des Anwalts seien kein<br />
Thema mehr. Es gebe – gerade weil<br />
die großen Kanzleien noch größer geworden<br />
seien – noch immer viele Nischen.<br />
DAV-Präsident Kilger zog sein<br />
ganz persönliches Fazit: „Wir sind<br />
stolz auf diesen Nachwuchs.“<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig,<br />
Berlin<br />
Das XXIV. Forum „Erfolgreicher Einstige<br />
in den Anwaltsberuf“ findet am 3./4.<br />
Februar 2006 in Timmendorf statt. Informationen<br />
erhalten sie über die Deutsche<br />
Anwaltakademie, Frank Ritter, Littenstr.<br />
11, 10179 Berlin, Tel.: 0 30/72 61 53-181,<br />
Fax: -188; ritter@ anwaltakademie.de.<br />
AnwBl 1 / 2006 37
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
Keine staatliche Anfechtung<br />
von Vaterschaften<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Ausländerund<br />
Asylrecht im Deutschen Anwaltverein<br />
wendet sich entschieden „gegen<br />
die Pläne der Bundesjustizministerin<br />
und der Justizministerkonferenz (Ju-<br />
MiKo) gegen vermeintlich missbräuchliche<br />
Vaterschaftsanerkennungen zu<br />
Zwecken der Erlangung „eines Aufenthaltstitels<br />
vorgehen zu können. Nach<br />
dem Willen der Justizminister soll den<br />
Behörden eine Einspruchsmöglichkeit<br />
gegen die Vaterschaftsanerkennung bei<br />
DAV-Gesetzgebungsausschüsse<br />
Stellungnahmen zu<br />
Gesetzesvorhaben<br />
Der Deutsche Anwaltverein begleitet<br />
aktuelle Gesetzesvorhaben sowohl<br />
auf nationaler als auch auf<br />
europäischer und internationaler<br />
Ebene. Stellungnahmen des DAV<br />
werden von seinen 32 Gesetzgebungsausschüssen<br />
erarbeitet.<br />
Das <strong>Anwaltsblatt</strong> weist regelmäßig<br />
auf wichtige Stellungnahmen hin.<br />
Alle Stellungnahmen finden sich unter<br />
www.anwaltverein.de/03/05/in<br />
dex.html.<br />
Familienrechtsausschuss<br />
9 Zwischenbericht der Justizministerkonferenz„Aufgabenübertragung<br />
auf Notare“<br />
Scheidungen werden wohl auch<br />
zukünftig eine Aufgabe für die Gerichte<br />
bleiben und nicht zur Aufgabe<br />
der Notare werden. Die Justizminister<br />
haben sich auf ihrer Herbstkonferenz<br />
am 17. November in Berlin<br />
mit dem Zwischenbericht der Bund-<br />
Länder-Arbeitsgruppe „Aufgabenübertragung<br />
auf Notare“ beschäftigt.<br />
Im Mittelpunkt der Beratungen<br />
stand die „kleine Lösung“. Der Vorschlag:<br />
Einverständliche Scheidungen<br />
sollen durch das Gericht im Beschlussverfahren<br />
durchgeführt<br />
werden. Die Scheidungsfolgen sollen<br />
durch notariellen Vertrag geregelt<br />
werden, dann würde ohne<br />
mündliche Verhandlung durch Beschluss<br />
geschieden. Der DAV hat allen<br />
Justizministern bereits am 2. No-<br />
38 AnwBl 1 / 2006<br />
nichtehelichen Kindern eröffnet werden.<br />
Als Begründung wird angeführt,<br />
dass das Instrument der Vaterschaftsanerkennung<br />
missbraucht werde, um<br />
rechtswidrig Aufenthaltstitel zu erlangen.<br />
„Wenn zwei Menschen entscheiden,<br />
gemeinsam Eltern eines Kindes zu<br />
sein, haben das staatliche Behörden zu<br />
akzeptieren“, sagt Rechtsanwältin Susanne<br />
Schröder, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft<br />
Ausländer- und<br />
Asylrecht. Die Einspruchsmöglichkeit<br />
der Jugendämter gegen die Vaterschaftsanerkennung<br />
bei nichtehelichen<br />
Kindern sei im Jahre 1998 aus gutem<br />
Grund abgeschafft worden.<br />
vember 2005 die Stellungnahme<br />
zum Zwischenbericht übersandt.<br />
Der DAV lehnt durch seinen Familienrechtsausschuss<br />
die Übertragung<br />
der Ehescheidung auf Notare<br />
(„große Lösung“) ab. Er hat erklärt,<br />
dass die „kleine Lösung“ für die Justiz<br />
keine Vorteile hätte und für die<br />
Parteien des Scheidungsverfahrens<br />
ausschließlich mit Nachteilen verbunden<br />
wäre. Diese Nachteile würden<br />
als Bumerang auf die Justiz zurück<br />
fallen.<br />
Ausschuss Ausländer- und Asylrecht<br />
9 Erfordernis eine Bleiberechtsregelung<br />
für langjährig Geduldete<br />
Aus Anlass der Konferenz der Innenminister<br />
des Bundes und Länder<br />
im Dezember 2005 in Karlsruhe hat<br />
der DAV durch seinen Ausschuss Ausländer-<br />
und Asylrecht auf das Erfordernis<br />
einer „Bleiberechtsregelung“<br />
für die etwa 200.000 im Bundesgebiet<br />
lebenden geduldeten Ausländer hingewiesen.<br />
Die bisherigen Vorschläge<br />
werden als zu Eng abgelehnt.<br />
Strafrechtsausschuss und AG<br />
Strafrecht<br />
9 Gesetzentwurf zur Reform des<br />
strafprozessualen Ermittlungsverfahrens<br />
Der DAV hat durch seinen Strafrechtsausschuss<br />
und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht einen Initiativgesetzentwurf<br />
für eine Reform<br />
des strafprozessualen Ermittlungsverfahrens<br />
vorgelegt. Das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
dokumentiert ihn in diesem<br />
Heft ab Seite 24.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 44/05<br />
DAV-Pressemitteilung<br />
Keine Verschärfung des<br />
Polizeigesetzes in Bayern<br />
Der von der Fraktion der CSU im<br />
Bayerischen Landtag eingebrachte<br />
Entwurf für ein polizeiliches Aufgabengesetz<br />
wurde am 9. November<br />
2005 im „Innenausschuss des Bayerischen<br />
Landtages beraten. Der Deutsche<br />
Anwaltverein (DAV) und der<br />
Bayerische Anwaltverband lehnen diesen<br />
Entwurf auf Grund seiner handwerklichen<br />
Mängel und wegen verfassungsrechtlicher<br />
Bedenken ab. Der<br />
Gesetzentwurf, der die Urteile des<br />
Bundesverfassungsgerichts zum Großen<br />
Lauschangriff und zur vorbeugenden<br />
Telefonüberwachung auf Landesebene<br />
umsetzen soll (Landtag Bayern,<br />
Drucksache 15/4097), ist ungeeignet<br />
und daher zurückzuziehen. Der DAV<br />
hatte diesen Gesetzentwurf bereits im<br />
März 2005 scharf kritisiert.<br />
„Auch der nun vorgelegte Änderungsantrag<br />
wird den verfassungsrechtlichen<br />
Anforderungen an Lauschangriffe<br />
gegen Telefon und Wohnung<br />
nicht gerecht“, sage Rechtsanwalt<br />
Hartmut Kilger, Präsident des DAV. Bereits<br />
der Straftatenkatalog, nach dem<br />
das Abhören in Wohnungen oder Telefongesprächen<br />
erlaubt sein soll, sei<br />
viel zu weitreichend. So seien auch<br />
Fahrlässigkeitsdelikte aufgeführt, gegen<br />
die mit den Mitteln des Polizeirechts<br />
gar nicht vorgegangen werden<br />
könne. „Fahrlässigkeitsdelikte sind<br />
aber nicht planbar“, erinnert Kilger.<br />
„In der jetzigen Form verstößt der<br />
Gesetzentwurf gegen die Vorgaben des<br />
Bundesverfassungsgerichts“, sagte<br />
Rechtsanwalt Anton Mertl, Präsident<br />
des Bayerischen Anwaltverbandes. Für<br />
die Telefonüberwachung würden Regelungen<br />
fehlen, nach denen die Abhörmaßnahmen<br />
sofort abgebrochen und<br />
die Aufzeichnung gelöscht werden<br />
müssen, wenn der Kernbereich privater<br />
Lebensführung von der Lauschaktion<br />
getroffen werde. Diese aus dem Urteil<br />
des Bundesverfassungsgerichtes notwendige<br />
Konsequenz setze der Entwurf<br />
nicht um. Der Bayerische Anwaltverband<br />
fordert daher, den<br />
Vorschlag für eine polizeirechtliche Telefonüberwachung<br />
endgültig zu stoppen.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. Nr. 3905
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Bayerischer Anwaltverband<br />
Anstand in der Politik –<br />
Kampf gegen das<br />
Vergessen der NS-Zeit<br />
Max-Friedlaender-Preis an<br />
Dr. Hans-Jochen Vogel verliehen<br />
Der Bayerische Anwaltverband verleiht<br />
jährlich im Herbst den Max-<br />
Friedlaender-Preis (siehe dazu das<br />
Stichwort). Über den Festakt zur diesjährigen<br />
Verleihung Ende Oktober in<br />
München berichtet der Präsident des<br />
Bayerischen Anwaltverbands:<br />
Dr. Hans-Jochen Vogel bedankte sich.<br />
Die Eröffnung der Olympischen<br />
Sommerspiele in München und das Attentat<br />
auf die israelischen Olympiasportler,<br />
die Strafrechtsreform und das<br />
neue Familienrecht, die Entführung<br />
Hans Martin Schleyers und der Lufthansamaschine<br />
Landshut nach Mogadischu<br />
– Höhepunkte und Verzweiflung<br />
im rechtspolitischen Leben von<br />
Dr. Hans-Jochen Vogel zeichnete der<br />
Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes<br />
Anton Mertl in seiner Laudatio<br />
des Preisträgers. Er rief den Festgästen<br />
in der Münchener Residenz einen Abriss<br />
der neuesten deutschen Geschichte<br />
– von den Schwabinger Krawallen<br />
1962 über die 68er Jahre, die Zeiten<br />
der RAF bis zur Wiedervereinigung –<br />
in Erinnerung.<br />
Wie aus dem „Who is who“ der<br />
bayerischen Justiz las sich die Gästeliste.<br />
Mertl konnte neben der Bayerischen<br />
Justizministerin Dr. Beate Merk<br />
und den Vertretern der Ministerialbürokratie,<br />
die Präsidenten der meisten<br />
bayerischen Oberlandesgerichte, Landgerichte<br />
und Amtsgerichte begrüßen.<br />
Die Anwaltschaft war durch den Präsidenten<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
Hartmut Kilger und den Hauptgeschäftsführer<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
Dr. Dierk Mattik, den Präsidenten<br />
der Rechtsanwaltskammer<br />
München mit Kolleginnen und Kollegen<br />
aus Präsidium und Vorstand und<br />
die meisten Vorsitzenden der bayerischen<br />
Anwaltvereine vertreten.<br />
Staatssekretär Prof. Dr. Hansjörg<br />
Geiger vom Bundesjustizministerium<br />
in Berlin hob die Verdienste von Dr.<br />
Vogel in der Rechtsentwicklung hervor.<br />
Die Bayerische Justizministerin<br />
Dr. Merk gratulierte dem Preisträger.<br />
In ihrem Grußwort strich sie Verantwortung<br />
der Politik für eine funktionierende<br />
Justiz heraus, die durch eine<br />
selbstverwaltete Anwaltschaft mitgetragen<br />
werden müsse. Sie wiederholte<br />
eindringlich ihre Forderung nach<br />
einer Spartenausbildung als Qualitätsvoraussetzung<br />
der künftigen Anwaltschaft<br />
und zur Eindämmung der Anwaltsschwemme.<br />
„Es ist nicht alles falsch, was Sie zu<br />
meinem Lobe gesagt haben,“ erwiderte<br />
launig der Preisträger und forderte in<br />
seiner Dankesrede auf zum Kampf ge-<br />
Dr. Hans-Jochen Vogel<br />
(M., links daneben seine<br />
Ehefrau) mit (v.l.n.r.) Anton<br />
A. Mertl (Präsident des<br />
Bayerischen Anwaltverbandes),<br />
Dr. Beate Merk<br />
(Bayerische Justizministerin),<br />
Prof. Dr. Hansjörg Geiger<br />
(damals Staatssekretär im<br />
Bundesjustizministerium),<br />
Hildegund Holzheid<br />
(Präsidentin des BayerischenVerfassungsgerichtshofes<br />
a.D.) sowie Hartmut<br />
Kilger (DAV-Präsident).<br />
Stichwort<br />
Max-Friedlaender-Preis<br />
Der Max-Friedlaender-Preis ist<br />
nach dem Mitbegründer und ersten<br />
Präsidenten des Bayerischen Anwaltverbandes<br />
benannt.<br />
Rechtsanwalt Dr. Max Friedlaender<br />
war Vorsitzender des Bayerischen<br />
Anwaltverbands von 1918 bis<br />
1933, von 1924 war er auch Vorstandsmitglied<br />
des Deutschen Anwaltvereins<br />
und von 1911 bis 1927<br />
Mitglied des Münchener Kammervorstandes.<br />
Er kämpfte für ein freies<br />
Anwaltsrecht, gegen die Einschränkung<br />
der Verfahrensrechte zur Vereinfachung<br />
der Rechtspflege und für<br />
die Ausdehnung anwaltlicher Tätigkeitsfelder.<br />
Aufgrund seiner jüdi-<br />
Der Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes<br />
Anton A. Mertl übergibt den<br />
Max-Friedlaender-Preis an Dr. Hans-Jochen<br />
Vogel, der unter anderem auch Bundesjustizminister<br />
gewesen ist.<br />
gen das Vergessen der Greuel der Nazidiktatur,<br />
zum Kampf für den Erhalt<br />
der Demokratie und zum Glauben und<br />
zum Optimismus an die Zukunft<br />
Deutschlands, das in den letzten 60<br />
Jahren mit ganz anderen Problemen<br />
fertig geworden sei.<br />
Rechtsanwalt Anton A. Mertl,<br />
Rosenheim<br />
schen Herkunft und seiner freiheitlichen<br />
Geisteshaltung wurde ihm im<br />
Dritten Reich die anwaltliche Zulassung<br />
entzogen. Im November 1938<br />
floh er nach England. Er wurde Ehrenmitglied<br />
des Deutschen Anwaltvereins,<br />
kehrte aber nicht mehr nach<br />
Deutschland zurück.<br />
Preisträger der vergangenen<br />
Jahre sind die Präsidentin des Bayerischen<br />
Verfassungsgerichtshofs Hildegund<br />
Holzheid, Prof. Dr. Medicus<br />
von der Ludwig-Maximilians-Universität<br />
München, die Präsidentin<br />
des Bundesverfassungsgerichts,<br />
Prof. Dr. Jutta Limbach und (zuletzt<br />
2004) der Münchener Rechtsanwalt<br />
und Publizist Dr. Otto Gritschneder.<br />
Der Preis wird jährlich an Juristen<br />
verliehen, die sich in ihrer Profession<br />
besonders verdient gemacht<br />
und einen Bezug zu Bayern haben.<br />
AnwBl 1 / 2006 39
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Berliner Anwaltverein<br />
Anwaltsausbildung in<br />
Europa: Unterschiedliche<br />
nationale Wege<br />
5. Konferenz der Europäischen<br />
Rechtsanwaltschaften<br />
Im Rahmen der Internationalen Anwaltstage<br />
des Berliner Anwaltsverein<br />
diskutierten europäische und deutsche<br />
Rechtsanwälte Anfang November über<br />
die „Anwaltsausbildung in Europa –<br />
Auf dem Weg zum europäischen Anwalt?“.<br />
In kaum einem anderen Ausbildungsbereich<br />
sind die kulturellen Eigenheiten<br />
und die wachsenden Strukturen<br />
so unterschiedlich wie in den<br />
Justizsystemen der einzelnen europäischen<br />
Länder. Darauf wies Rechtsanwalt<br />
und Notar Ulrich Schellenberg<br />
als Vorsitzender des Berliner Anwaltsvereins<br />
hin. Aufgrund des Bologna-<br />
Prozesses sei die Frage der Ausbildung<br />
zum anwaltlichen Beruf in allen europäischen<br />
Ländern ein wichtiges<br />
Thema. Dies bestätigten der Staatssekretär<br />
bei der Senatsverwaltung für<br />
Justiz des Landes Berlin, Christoph<br />
Flügge, sowie der Staatssekretär im<br />
Ministerium der Justiz des Landes<br />
Brandenburg, Günter Reitz. Beide<br />
Länder verfügen über ein gemeinsames<br />
Justizprüfungsamt und traten als<br />
„Zwillinge“ bei dieser Veranstaltung<br />
auf. Flügge sprach sich explizit gegen<br />
die Abschaffung eines Einheitsjuristen<br />
aus.<br />
Die Diskussion eröffnete Rechtsanwalt<br />
Cord Brügmann, in der DAV-<br />
Geschäftsführung zuständig für das<br />
Thema „Aus- und Fortbildung“. beim<br />
DAV, führte in die Diskussion durch<br />
eine Darstellung der Anwaltausbildung<br />
in Deutschland ein. Er wies darauf hin,<br />
dass der Bologna-Prozess unumkehrbar<br />
sei und deshalb mitgestaltet werden<br />
solle. Es gehe um die Suche nach<br />
der besten Juristenausbildung und nicht<br />
um rein fiskalische Interessen. Das<br />
Konzept des Einheitsjuristen sei nicht<br />
mehr zeitgemäß.<br />
Spartenausbildung?<br />
Rechtsanwalt Dr. Gerhard Benn-Ibler<br />
erläuterte als Präsident des ÖsterreichischenRechtsanwaltskammertages,<br />
dass in Österreich diejenigen als<br />
Rechtsanwälte ausgebildet werden, die<br />
auch Rechtsanwälte werden wollen.<br />
40 AnwBl 1 / 2006<br />
Österreich kennt<br />
eine Spartenausbildung<br />
für Anwälte,<br />
berichtete Rechtsanwalt<br />
Dr. Gerhard<br />
Benn-Ibler (Präsident<br />
des ÖsterreichischenRechtsanwaltskammertages).<br />
In England<br />
und Wales wird<br />
Richter nur, wer<br />
Anwalt ist, so Barbara<br />
Dohmann<br />
(QC).<br />
Man sei mit dieser Spartenausbildung<br />
bisher sehr gut gefahren. Defizite bestünden<br />
eher in wirtschaftswissenschaftlichen<br />
Fächern und in der sprachlichen<br />
Ausbildung. In England und<br />
Wales, so Barbara Dohmann (QC, Former<br />
Chairman of the Commercial Bar<br />
Association), werden alle als Rechtsanwälte<br />
ausgebildet. Richter werde nur<br />
der- oder diejenige, der anwaltlich Hervorragendes<br />
geleistet habe. Man könne<br />
im übrigen auch beide Berufe gleichzeitig<br />
ausüben. Rechtsanwalt Eckhard<br />
D. Mehring, Adcvocat, Amsterdam,<br />
berichtet aus den Niederlanden, dass<br />
dort eine Spezialisierung sehr früh<br />
stattfinde. Der Grundsatz sei „learning<br />
by doing“. Die eigentliche Berufswahl<br />
finde früh statt und sei ein erfolgreiches<br />
System. Rechtsanwalt Kay-Thomas<br />
Pohl, ehemaliger Präsident der<br />
Berliner Rechtsanwaltskammer und<br />
heutiger deutscher Delegationsleiter<br />
beim CCBE (Rat der Europäischen<br />
Anwaltschaften) hielt die Durchlässigkeit<br />
der Berufe in Deutschland für eine<br />
Illusion. Man werde entweder Anwalt<br />
oder Richter.<br />
Bachelor und Master?<br />
Kein einheitliches Bild gab die Diskussion<br />
bei der Frage, ob der Bachelor-<br />
Abschluss im juristischen Bereich berufsqualifizierend<br />
sein könne. Ulrich<br />
Hirt, Fürsprecher, Regional Secretary<br />
und National Vice-President, Coordinator<br />
of UIA, wies auf schlechten Erfahrungen<br />
in der Schweiz mit dem Bologna-Modell<br />
hin. Zögerlich war auch<br />
der Österreicher Dr. Benn-Ibler. Der<br />
Niederländer Mehring betonte, dass<br />
die Bachelors durchaus Berufschancen<br />
hätten. Mâitre Joe Lemmer, Präsident<br />
der European Lawyers Union (UAE),<br />
wies darauf hin, dass die Qualität der<br />
anwaltlichen Dienstleistung in der EU<br />
hoch gehalten werden müsse. Es gehe<br />
darum, den Mandanten zu schützen.<br />
Ihm müsse garantiert werden, dass er<br />
einen gut qualifizierten Rechtsanwalt<br />
erhalte.<br />
Fazit der Diskussion<br />
Die Diskussion zeigte, dass die jeweiligen<br />
Länder auf verschiedenen<br />
Traditionen gegründete wissenschaftliche<br />
und nachfolgende berufsqualifizierende<br />
Ausbildungen haben. Wichtig ist<br />
gegenseitiger Respekt vor den nationalen<br />
Ausbildungen. Deutlich wurde<br />
auch, dass einheitliche Berufsregelungen<br />
wichtig sind, damit sogenannte<br />
Kernpunkte wie die Unabhängigkeit<br />
des Anwalts, die Verschwiegenheitspflicht<br />
und das Verbot der Interessenkollision<br />
beachtet werden.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL. M., Berlin<br />
Der DAV unterstützt eine Anwaltausbildung<br />
im Ausland. Eine Liste mit<br />
ausländischen Anwälten, die zu einer<br />
Ausbildung in der Wahlstation bereit<br />
sind, gibt es beim Deutschen Anwaltverein<br />
(Tel. 030 / 72 61 52 – 147).<br />
Berliner Anwaltverein<br />
„Wer nicht genießen<br />
kann, wird ungenießbar“<br />
Der Berliner Anwaltsverein lud Anfang<br />
November wieder zu seinem Internationalen<br />
Berliner Anwaltsessen<br />
ein.<br />
„Wer nicht genießen kann, wird ungenießbar“,<br />
in Abwandlung der Maxime<br />
„Wer nicht gestaltet, wird gestaltet“<br />
brachte der Vorsitzende des<br />
Berliner Anwaltsvereins, Rechtsanwalt<br />
und Notar Ulrich Schellenberg in seiner<br />
Ansprache zum Internationalen<br />
Berliner Anwaltsessen am Anfang November<br />
2005 das Wesen des Abends<br />
auf den Punkt: unter den rund 250 anwesenden<br />
Gästen war sicherlich keiner,<br />
der sich den kulinarischen und rhetorischen<br />
Genüssen verschließen<br />
konnte oder wollte.
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
Der Vorsitzende des Berliner Anwaltsverein<br />
Ulrich Schellenberg (r.) mit Prof. Dr.<br />
Hansjörg Geiger (damals Staatssekretär<br />
im Bundesjustizministerium).<br />
Der Hauptredner des Abends Generalbundesanwalt<br />
Kay Nehm mit DAV-Vizepräsidentin<br />
Rechtsanwältin Verena Mittendorf.<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Peter Raue (M.),<br />
Rechtsanwältin Dr. Lore-Maria Peschel-<br />
Gutzeit und Walter Momper (Präsident des<br />
Abgeordnetenhauses von Berlin).<br />
Dafür, sorgten im Festsaal des Berliner<br />
Hotel Palace nicht zuletzt mit ihren<br />
Ansprachen der Staatsekretär im<br />
Bundesjustizministerrum Prof. Dr.<br />
Hansjörg Geiger sowie die Justizministerin<br />
des Landes Brandenburg<br />
Beate Blechinger und die Justizsenatorin<br />
und Bürgermeisterin von Berlin<br />
Karin Schubert.<br />
So ernteten alle Reden großen Beifall<br />
aus dem Publikum, das sich aus<br />
Kolleginnen und Kollegen aus dem Inund<br />
Ausland, Richterinnen und Richtern<br />
aller Instanzen sowie bundesdeutschen<br />
und Berliner Spitzenpolitikerinnen<br />
und -politikern zusammensetzte.<br />
Den langanhaltendsten Beifall verdiente<br />
sich Generalbundesanwalt Kay<br />
Nehm, der als Hauptredner mit seiner<br />
charmanten und humorvollen Dinnerspeech<br />
zum Thema „Von Anwalt zu<br />
Anwalt“ den Höhepunkt des Abends<br />
setze.<br />
Rechtsanwalt Carsten Langenfeld,<br />
Berlin<br />
DAV und Menschenrechte<br />
ABA schickt<br />
Prozessbeobachter<br />
Der Deutsche Anwaltverein ist in vielen<br />
internationalen und europäischen<br />
Anwaltorganisationen aktiv und setzt<br />
sich auch dort für den Schutz der<br />
Menschenrechte ein. In einer Serie berichtet<br />
das <strong>Anwaltsblatt</strong> über die Aktivitäten<br />
dieser Anwaltorganisationen.<br />
In diesem Heft: Die ABA (American<br />
Bar Association). Sie ist mit über<br />
400.000 Mitgliedern die größte Anwaltorganisation<br />
mit freiwilliger Mitgliedschaft<br />
auf der Welt. Wie der DAV<br />
in Deutschland repräsentiert sie die<br />
Anwaltschaft und vertritt die Interessen<br />
ihrer Mitglieder. Der DAV wird<br />
bei den Jahreskongressen der ABA<br />
durch den Vizepräsidenten Dr. Hans<br />
Lühn vertreten.<br />
Bei der ABA besteht ein „Center<br />
for Human Rights“, das im Jahr 2001<br />
als Teil der ABA gegründet wurde, um<br />
sich mit dem Thema Menschenrechte<br />
zu befassen. Das Center arbeitet sowohl<br />
innerhalb als auch außerhalb der<br />
ABA. Ziel ist es unter anderem, die<br />
Öffentlichkeit über das Thema zu informieren.<br />
Das Center unterstützt das<br />
„Trial Observer Project“ der ABA, bei<br />
dem eine vom Präsidenten der ABA<br />
gewählte, qualifizierte Person in andere<br />
Länder fährt, um an Prozessen<br />
teilzunehmen und hierüber zu berichten.<br />
Außerdem nimmt das Center am<br />
„Rule of Law Letter Program“. Bei<br />
diesem Projekt werden Briefe an<br />
Staatsoberhäupte oder Repräsentanten<br />
in anderen Ländern geschrieben, um<br />
sie dazu zu bringen, gegen Menschenrechtsverletzungen<br />
in ihrem Staat vorzugehen<br />
bzw. gegen die Personen, die<br />
für solche verantwortlich sind.<br />
Darüber hinaus informiert das Center<br />
das „ABA House of Delegates“<br />
über menschenrechtsrelevante Themen<br />
und unterstützt außenstehende Organisationen,<br />
die auch auf dem Feld der<br />
Menschenrechte tätig sind.<br />
Rechtsanwältin Dr. Malaika Ahlers,<br />
LL. M., Berlin<br />
Weitere Informationen können auf der<br />
Website der ABA abgerufen werden<br />
unter www.abanet.org/humanrights.<br />
Im nächsten Heft: IBA (International<br />
Bar Association).<br />
AG Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht<br />
Neue Arbeitsgemeinschaft<br />
gegründet<br />
Vorläufiger Geschäftsführender Ausschuss<br />
gebildet<br />
Im Zuge der Einführung der Einführung<br />
einer Fachanwaltschaft Handels-<br />
und Gesellschaftsrecht hat der<br />
Deutsche Anwaltverein eine Arbeitsgemeinschaft<br />
Handels- und Gesellschaftsrecht<br />
gegründet. Der vorläufige<br />
Geschäftsführende Ausschuss setzt<br />
sich zusammen aus:<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Rolf Schwedhelm,<br />
Köln (vorläufiger Vorsitzender),<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Burkhard Binnewies,<br />
Köln,<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Matthias Grund,<br />
Düsseldorf,<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Otfried Guillaume,<br />
Aachen,<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Carsten Jaeger,<br />
Dortmund,<br />
9 Rechtsanwalt Gerhard Manz, Freiburg,<br />
9 Rechtsanwalt Dr. Randolf Mohr,<br />
Köln,<br />
9 Rechtsanwältin Dr. Hildegard Ziemons,<br />
Frankfurt.<br />
Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft<br />
ist Rechtsanwalt Jens Wagener/<br />
Berlin. Sollten Sie bereits jetzt Ihr Interesse<br />
an der Mitgliedschaft der<br />
Arbeitsgemeinschaft bekunden wollen,<br />
können Sie Ihr Eintrittsgesuch an den<br />
Deutschen Anwaltverein, Mitgliederverwaltung,<br />
Littenstraße 11, 10179<br />
Berlin übersenden. Für das erste Halbjahr<br />
2006 ist eine erste größere gesellschaftsrechtliche<br />
Veranstaltung in<br />
Verbindung mit einer Mitgliederversammlung<br />
geplant. Zeit und Ort werden<br />
Ihnen dabei noch rechtzeitig bekannt<br />
gegeben.<br />
Rechtsanwalt Jens Wagener, Berlin<br />
Eintrittsgesuche für eine Aufnahme in<br />
die Arbeitsgemeinschaft Handels- und<br />
Gesellschaftsrecht bitte direkt an den<br />
Deutschen Anwaltverein, Mitgliederverwaltung,<br />
Littenstraße 11, 10179<br />
Berlin, richten.<br />
AnwBl 1 / 2006 41
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
AG Strafrecht<br />
Chancen und Risiken<br />
strafprozessualer<br />
Reformen<br />
Herbstkolloquium 2005:<br />
Moderne Verteidigungsstrategien<br />
Das 22. Herbstkolloquium fand Mitte<br />
November mit mehr als 300 Teilnehmern<br />
in Berlin statt. Hauptthema war<br />
die Notwendigkeit strafprozessualer<br />
Reformen. Bundesjustizministerin Brigitte<br />
Zypries wurde ein vom DAV-Gesetzgebungsausschuss<br />
Strafrecht und<br />
der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht erarbeiteter<br />
Gesetzentwurf für eine Reform<br />
des Ermittlungsverfahrens übergeben.<br />
Die frühere Regierungskoalition<br />
von SPD und Bündnis 90/Die Grünen<br />
hatte 2001 mit einem „Eckpunktepapier“<br />
zur Reform des Ermittlungsverfahrens<br />
die Diskussion über eine Reform<br />
des Strafverfahrens wieder<br />
aufgenommen. Zu dieser hatte der<br />
DAV bereits 1985 auf seinem Forum<br />
konkrete Forderungen gestellt. Das<br />
Bundesjustizministerium hatte schließlich<br />
2004 den „Diskussionsentwurf für<br />
eine Reform des Strafverfahrens“ vorgelegt.<br />
Trotz ausführlicher Debatte auf<br />
der strafrechtlichen Abteilung des<br />
Deutschen Juristentags 2004 wartete<br />
die Fachwelt indes vergeblich auf einen<br />
Referenten- bzw. Regierungsentwurf.<br />
Zur Eröffnung des Kolloquiums<br />
wies Rechtsanwalt Werner Leitner,<br />
Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht, zurecht darauf hin, dass das<br />
Thema an sich und damit auch das der<br />
Veranstaltung weiterhin aktuell sei.<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
erläuterte in ihrer Ansprache<br />
zahlreiche Reformvorhaben, welche<br />
im Rahmen der Koalitionsverhandlungen<br />
für die 16. Legislaturperiode in<br />
Aussicht gestellt wurden.<br />
Danach überreichte Eberhard<br />
Kempf für die Arbeitsgemeinschaft<br />
und den Strafrechtsausschuss einen<br />
Gesetzesentwurf für eine notwendige<br />
Reform des Ermittlungsverfahrens.<br />
Ziel sei die Verwirklichung eines<br />
„wirklich kontradiktorisch“ geführten<br />
Verfahrens, an dem zukünftig alle Verfahrensbeteiligten<br />
mitwirken (der Entwurf<br />
wird in diesem Heft ab Seite 24<br />
dokumentiert).<br />
42 AnwBl 1 / 2006<br />
Wandel des Ermittlungsverfahrens<br />
Prof. Dr. Helmut Satzger (Universität<br />
München) stellte im Festvortrag<br />
den dringenden Handlungsbedarf –<br />
losgelöst von fiskalischen Gründen –<br />
nach rechtstaatlich notwendigen bzw.<br />
möglichen Reformen dar. Insbesondere<br />
den Bedeutungswandel des Ermittlungsverfahrens<br />
benannte er als Grund<br />
der Vorverlagerung rechtstaatlicher<br />
Garantien in das Ermittlungsverfahren,<br />
die denen gleichwertig seien, die die<br />
StPO für das Hauptverfahren vorsehe.<br />
Rechtsanwalt Dr. h.c. Rüdiger Deckers,<br />
Mitglied des Strafrechtsausschusses<br />
des DAV, stellte im zweiten<br />
Festvortrag zur Reform des Strafprozesses<br />
Unverzichtbares aus Sicht der<br />
Verteidigung dar.<br />
In weiteren zahlreichen Referaten<br />
lieferte die Veranstaltung einen gelungenen<br />
Überblick über aktuell abgeschlossene<br />
Reformvorhaben der 15.<br />
sowie der bevorstehenden 16. Legislaturperiode,<br />
um nur das ergangene Justizmodernisierungs-<br />
und Opferrechtsreformgesetz<br />
sowie die eventuell<br />
bevorstehende gesetzliche Regelung<br />
des so viel diskutierten „Deal“ zu nennen.<br />
Einen wirklich eindrucksvollen<br />
Überblick der das Strafrecht berührenden<br />
Gesetzesänderungen der beiden<br />
abgelaufenen Legislaturperioden schilderte<br />
das Ehrenmitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht Prof. Dr. Peter<br />
Rieß. Ministerialdirektor a. D. Rieß<br />
teilte die Auffassung von Satzger, dass<br />
der Strafprozess Reformen braucht,<br />
nicht aber eine Vielzahl nur punktueller<br />
Gesetzesänderungen.<br />
Diskussion: Darf Europa strafen?<br />
Mit dem zweiten Teil des Herbstkolloquiums<br />
stellte die Arbeitsgemeinschaft<br />
unter Beweis, dass sie sich auch<br />
auf die gesetzgeberischen Vorgaben<br />
der EU bereits eingestellt hat. Unter<br />
der Überschrift „Darf Europa strafen?“<br />
Mit dem Preis “pro reo“<br />
wurde Dr. Frank Nobis<br />
(M., rechts daneben seine<br />
Lebenspartnerin) ausgezeichnet.<br />
Es gratulierten<br />
(v.l.n.r.): Werner Leitner<br />
(Vorsitzender der AG<br />
Strafrecht), Dr. Margarete<br />
Gräfin von Galen<br />
(Präsidentin der Rechtsanwaltskammer<br />
Berlin)<br />
und Laudator Dr. Stefan<br />
König (Mitglied des Strafrechtsausschusses).<br />
Überreichten den Gesetzentwurf zum strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahren an<br />
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries:<br />
Eberhard Kempf (Vorsitzender des Strafrechtsausschusses,<br />
rechts) und Werner<br />
Leitner (Vorsitzender der AG Strafrecht).<br />
diskutierten interessant und lebhaft Rudolf<br />
Mellinghof (Richter am BverfG),<br />
Rechtsanwalt Siegfried Kauder (MdB,<br />
CDU), Rechtsanwalt Hans-Christian<br />
Ströbele (MdB, Bündnis 90/Die Grünen)<br />
und Prof. Dr. Helmut Satzger unter<br />
der Moderation von Rechtsanwalt Werner<br />
Leitner. Gegenstand der Diskussion<br />
war das Urteil des BVerfG aus dem Juli<br />
2005 (2 BvR 223/04), welches das deutsche<br />
Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses<br />
über den Europäischen<br />
Haftbefehl für nichtig erklärt hatte.<br />
Grundsätzlich wurde das Urteil von<br />
den Teilnehmern des Herbstkolloquiums<br />
sowie den Diskutanten begrüßt,<br />
da es den Bürger als Grundrechtsträger<br />
in den Vordergrund stelle.<br />
Anhand des Rahmenbeschlusses sowie<br />
des vom Bundestag erlassenen Europäischen<br />
Haftbefehlsgesetzes wurde<br />
jedoch Kritik an der grundsätzlichen<br />
demokratischen Legitimation der europäischen<br />
Gesetzgebung innerhalb der<br />
dritten Säule laut. Die Teilnehmer des<br />
Kolloquiums brachten ihr Bedauern<br />
darüber zum Ausdruck, dass das Bundesverfassungsgericht<br />
keine Antwort<br />
auf die Frage einer möglichen Verletzung<br />
des Demokratieprinzips bzw. der<br />
Gewaltenteilung gegeben habe. Weder<br />
auf europäischer Ebene noch im Bun-
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
destag habe ein parlamentarischer Mitsprache-<br />
bzw. Entscheidungsprozess stattgefunden.<br />
Auch wurden die Parlamentsvertreter<br />
angemahnt, das Handeln ihrer Regierungen<br />
früher im europäischen Gesetzgebungsgang<br />
zu beobachten und europäische Gesetzgebungsvorhaben<br />
nicht „1:1“ umzusetzen.<br />
Bundesverfassungsrichter Rudolf<br />
Mellinghof wies auf die Umsetzung<br />
und damit die Legitimation durch das<br />
nationale Parlament hin; das Gericht<br />
habe sich daher zur Verletzung des Demokratieprinzips<br />
nicht äußern müssen.<br />
Er schloss sich jedoch der Kritik in Bezug<br />
auf die vermeintliche Umsetzungspflicht<br />
des Parlaments an und forderte<br />
die Abgeordneten auf, von ihren Rechten<br />
bis hin zur Ablehnung eines Gesetzesvorhabens<br />
Gebrauch zu machen. Im<br />
Zusammenhang mit der Frage nach einer<br />
eigenen Strafgewalt der EU wies<br />
er ferner auf die vom Europäischen<br />
Gerichtshof vor kurzem erlassene Entscheidung<br />
im Bereich des Umweltstrafrechts<br />
hin, wonach der Gemeinschaft<br />
eine Art strafrechtliche<br />
Annexkompetenz zugesprochen<br />
wurde, wenn Maßnahmen im Bereich<br />
des Strafrechts erforderlich sind, um<br />
die Umweltpolitik sicherzustellen.<br />
Ehrenpreis „pro reo“<br />
Last but not least erinnerte die Arbeitsgemeinschaft<br />
auch in diesem Jahr<br />
durch die Verleihung des „pro<br />
reo“-Preises daran, was Strafverteidiger<br />
alltäglich zu tun haben und täglich<br />
leisten. Sie ehrte dieses Jahr Rechtsanwalt<br />
Dr. Frank Nobis für seinen Beitrag<br />
zur Förderung der Strafverteidigung.<br />
Nobis hatte Verteidigerrechte<br />
vor dem Amtsgericht Hagen wahrgenommen<br />
und dadurch in Kauf genommen,<br />
dass er eine mehrstündige –<br />
rechtswidrige – Inhaftierung über sich<br />
ergehen lassen musste. Der Laudator<br />
Rechtsanwalt Dr. Stefan König, Mitglied<br />
des Strafrechtsausschusses: „Es<br />
war und ist vorbildlich für uns alle, die<br />
wir trotz allen konsensualen Parfums,<br />
mit dem wir uns neuerdings gerne besprühen<br />
(lassen), immer wieder in Situationen<br />
geraten, wo die Anwendung<br />
des Rechts perforiert wird durch bloße<br />
Ausübung von Macht. Da reicht es<br />
eben nicht immer, klug zu denken und<br />
feinsinnig zu formulieren. Da kommt<br />
es darauf an, entschlossen und mutig<br />
zum richtigen Zeitpunkt zu agieren.<br />
Der Preis pro reo ist dieses Mal im<br />
doppelten Sinne ein Preis ,pro nobis‘“.<br />
Rechtsanwältin Tanja Brexl, Berlin<br />
AG Steuerrecht<br />
Überblick über aktuelle<br />
Probleme des<br />
Steuerrechts<br />
12. Steueranwaltstag 2005 in Berlin<br />
Die AG Steuerrecht hat zwei feste Termine<br />
im Jahr: Die „internationale“<br />
Tagung, der Steueranwalt International<br />
in Palma de Mallorca, sowie ihre<br />
„nationale“ Tagung, der Steueranwaltstag<br />
in Berlin. Mit 220 Teilnehmern<br />
und zwölf hochkarätigen Referenten<br />
war der diesjährige<br />
Steueranwaltstag im Hotel Adlon ein<br />
Highlight.<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Steuerrecht Dr. Rolf Schwedhelm<br />
(Streck Mack Schwedhelm) und<br />
Rechtsanwalt und Steuerberater Friedhelm<br />
Jacob (Hengeler Mueller) führten<br />
in die Veranstaltung ein und wünschten<br />
sich Diskussionen besonders über die<br />
Reform der Unternehmensteuern, die<br />
Abschaffung der Gewerbesteuer sowie<br />
über die Bekämpfung des Mißbrauchs<br />
der Umsatzsteuer.<br />
Grundrecht auf ein faires Verfahren<br />
Zum Auftakt der Veranstaltung referierte<br />
Jürgen Brandt, Richter am<br />
Bundesfinanzhof, über das Vorhaben<br />
der „Großen Justizreform“, wobei er<br />
die geplanten Änderungen im Steuerprozessrecht<br />
beleuchtete. „Woran darf<br />
sich eine Reform stoßen, aber nicht<br />
vergreifen“, fragte anschließend Prof.<br />
Dr. Ferdinand Kirchhof, Universität<br />
Tübingen. Fehlende Rechtsschutzmöglichkeiten<br />
deckte er beim Träger indirekter<br />
Steuern auf, insbesondere beim<br />
ökonomischen Steuerträger der Umsatzsteuer,<br />
typischerweise also dem<br />
Endverbraucher. Dass die Schutz-<br />
Berichteten über aktuelle<br />
europäische Entwicklungen:<br />
Rechtsanwalt Dr.<br />
Ottmar Thömmes (l.) und<br />
Dr. Dieter Kischel (Referent<br />
der Europäischen<br />
Kommission, 2. v.r.) zusammen<br />
mit den Moderatoren<br />
Rechtsanwälte Friedhelm<br />
Jacob (2.v.l.) und Dr. Rolf<br />
Schwedhelm.<br />
bedürftigkeit des Steuerpflichtigen<br />
durch unverständliche Gesetzestexte<br />
steige, hörten alle Steueranwälte gern.<br />
Bedeutend schien auch der Ansatz, die<br />
Ausdehnung der Mitwirkungslasten<br />
des Steuerpflichtigen bei gleichzeitig<br />
umfassenden Zugriffsrechten der Finanzverwaltung<br />
bedrohe allmählich<br />
die Waffengleichheit vor Gericht und<br />
damit das Grundrecht auf ein faires<br />
Verfahren.<br />
Praxis des Steuerrechts<br />
Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Steuerrecht Dr. Burkhard Binnewies<br />
(Streck Mack Schwedhelm) stellte aktuelle<br />
Probleme der verdeckten Gewinnausschüttung<br />
(vGA), insbesondere<br />
bei Aktiengesellschaften und Betrieben<br />
der öffentlichen Hand dar. Im Anschluss<br />
gab Notar Dr. Eckhard Wälzholz,<br />
Füssen, äußerst praktische<br />
Hinweise bis hin zu Formulierungsvorschlägen<br />
in der Arbeitsunterlage zur<br />
Vertragsgestaltung bei der GmbH &<br />
Co. KG.<br />
Der Referent der Europäischen<br />
Kommission Dr. Dieter Kischel,<br />
Brüssel, begann mit einem aktuellen<br />
Überblick über europarechtliche Vertragsverletzungsverfahren<br />
und EuGH-<br />
Entscheidungen im Bereich der direkten<br />
Steuern. Vorgestellt wurden unter<br />
anderem das BMF-Schreiben über die<br />
Anwendung des § 6 AStG sowie die<br />
aktuellen EuGH-Verfahren „Meilicke“<br />
sowie „Marks & Spencer“, durch die<br />
den Mitgliedstaaten Steuerausfälle in<br />
Milliardenhöhe drohen. Als nächster<br />
Dozent erläuterte Rechtsanwalt und<br />
Fachanwalt für Steuerrecht Dr. Ottmar<br />
Thömmes (Deloitte), welche Vorteile<br />
man in der Beratungspraxis aus dem<br />
EG-Recht ziehen und wie man dies<br />
verfahrensmäßig umsetzen kann. Über<br />
die Nachfolgeplanung referierte<br />
Rechtsanwalt und Steuerberater Dr.<br />
Matthias Söffing (Düsseldorf),<br />
AnwBl 1 / 2006 43
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
besonders im Hinblick auf die Vermögensübertragung<br />
gegen Versorgungsleistungen<br />
(s. hierzu Steueranwaltsmagazin<br />
2005, 66 ff. und<br />
98 ff.). Zu der schenkungsteuerlichen<br />
Behandlung und den entsprechenden<br />
Wahlmöglichkeiten und Berechnungsmethoden<br />
nahm anschließend Dr.<br />
Heinrich Hübner Stellung und erläuterte<br />
die in diesem Rahmen bestehende<br />
Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Möglichkeiten der Steuerfahndung<br />
Am zweiten Tag präsentierte Ministerialdirigent<br />
Werner Widmann, Finanzministerium<br />
Rheinland-Pfalz,<br />
neue Rechtsprechung und Verwaltungsanweisungen<br />
im Umsatzsteuerrecht.<br />
Rechtsanwalt und Steuerberater<br />
Prof. Dr. Ulrich Prinz (Flick Gocke<br />
Schaumburg) stellte die Rechtsentwicklung<br />
des § 8 a KStG unter dem<br />
Druck des Europarechts dar. Als Praktiker<br />
(Leiter der Steuerfahndung Berlin)<br />
sprach Wolfgang Lübke über die<br />
Ermittlungsmöglichkeiten der Steuerfahndung.<br />
Hier hat die Finanzverwaltung<br />
im EDV-Bereich neueste Mittel<br />
und durchforstet auch das Internet<br />
planmäßig nach Hinterziehungstatbeständen.<br />
Verfassungsrechtlich bedenklich<br />
ist dabei der gesteigerte Informationsaustausch<br />
von Behörden mit<br />
Hilfe einer neuen steuerlichen Identifikationsnummer.<br />
Zum Abschluss erfuhren die Teilnehmer<br />
von Rechtsanwätlin und Fachanwältin<br />
für Steuerrecht Ursula Tipp<br />
(William Fry, Dublin) welche Konsequenzen<br />
die jüngste EuGH-Rechtsprechung<br />
bezüglich Auslandsgesellschaften<br />
hat. Anhand des Beispiels<br />
Irland erläuterte sie die Unternehmensgründung<br />
und besteuerung im internationalen<br />
Kontext.<br />
Rechtsanwalt Jürgen Wagner,<br />
Konstanz/Zürich/Vaduz<br />
Die AG Steuerrecht wird die Referate<br />
wie gewohnt in einem Tagungsband<br />
zusammenfassen. Dieser erscheint voraussichtlich<br />
Mitte Februar 2006. Der<br />
Steueranwalt International findet in<br />
Palma de Mallorca vom 27.–28. April<br />
2006 statt. Dem separat buchbaren<br />
ersten Teil (Grundlagen des Internationalen<br />
Steuerrechts) schließt sich<br />
ein aktuelles Vertiefungsseminar an<br />
(28.–29. April). Näheres im Veranstaltungsprogramm<br />
der Deutschen Anwaltakademie<br />
oder unter steuerrecht.<br />
org.<br />
44 AnwBl 1 / 2006<br />
AG Sozialrecht<br />
Barrierefreier Zugang<br />
zum Sozialrecht<br />
Website noch verbraucherfreundlicher<br />
Durch eine Überarbeitung der<br />
Homepage www.anwalt-im-sozial<br />
recht.de der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht<br />
im DAV erhalten ab sofort alle<br />
Bürgerinnen und Bürger leichter Zugang<br />
zum Sozialrecht und den darin<br />
spezialisierten Rechtsanwältinnen und<br />
Rechtsanwälten. Gerade im Sozialrecht<br />
geht es um wichtige und existenzielle<br />
Fragen in allen Lebenssituationen,<br />
um die Sicherung der eigenen<br />
Zukunft.<br />
Die Homepage bietet hochaktuelle<br />
Informationen über alle Bereiche des<br />
Sozialrechts. Insbesondere werden die<br />
Bereiche Kranken-, Renten- und Unfallversicherung<br />
behandelt. Es gibt<br />
Informationen zur aktuellen Rechtsprechung,<br />
sowie eine leicht zu bedienende<br />
Anwaltsuchfunktion.<br />
Mit der Überarbeitung der Homepage<br />
erhalten die Bürgerinnen und<br />
Bürger auch einen barrierefreien Zugang<br />
zu den im Sozialrecht spezialisierten<br />
Anwältinnen und Anwälten.<br />
Die Schriftgröße kann dabei beliebig<br />
angepasst werden und ist deshalb besonders<br />
gut lesbar. Gerade farbenblinde<br />
und sehschwache Menschen<br />
profitieren von den starken Farbkontrasten.<br />
Darüber hinaus ist die Seite so<br />
programmiert, dass sie für Blinde von<br />
sogenannten Screenreadern (Vorlesern)<br />
gut gelesen werden kann.<br />
„Auch wer jahrelang in die Rente<br />
einzahlt, noch nicht krank oder arbeitslos<br />
ist, sollte sich rechtzeitig absichern“,<br />
so der Vorsitzende der<br />
Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht,<br />
Rechtsanwalt Ronald Richter. Jederzeit<br />
könne eine plötzliche Erkrankung die<br />
Existenz gefährden. Daher sei es notwendig,<br />
hierfür rechtzeitig vorgesorgt<br />
zu haben. „Es passiert nicht selten,<br />
dass die Behörde falsche Ratschläge<br />
erteilt oder unvollständige Auskunft<br />
gibt. Oder man wird zwischen Bundesagentur<br />
für Arbeit, Rentenversicherung<br />
oder dem Sozialamt hin und her geschickt.<br />
Um wegen der Antragsfristen<br />
keine Leistungen zu verlieren, sollte<br />
man sich schnellstens beraten lassen“,<br />
so Richter.<br />
Quelle: DAV-Pressemitt. SozR Nr. 5/05<br />
AG Erbrecht<br />
Mitgliederversammlung<br />
Erster Deutscher Erbrechtstag<br />
Die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht<br />
im Deutschen Anwaltverein lädt zum<br />
Ersten Deutschen Erbrechtstag und zur<br />
Mitgliederversammlung 2006 ein. Die<br />
Mitgliederversammlung findet am<br />
25. März 2006, 14 Uhr im Hotel Palace<br />
Berlin, Budapester Straße 45, 10787<br />
Berlin, statt.<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
gibt die Tagesordnung bekannt:<br />
1. Geschäftsbericht des Vorsitzenden<br />
des Geschäftsführenden Ausschusses<br />
2. Bericht des Schatzmeisters<br />
3. Aussprache<br />
4. Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
5. Wahl der Kassenprüferin/des Kassenprüfers<br />
6. Änderung der Geschäftsordnung<br />
der Arbeitsgemeinschaft (§ 4 und<br />
§9)<br />
7. Anpassung des Mitgliederbeitrages<br />
8. Verschiedenes<br />
Anträge zur Tagesordnung sind spätestens<br />
21 Tage vor der Mitgliederversammlung<br />
beim Geschäftsführenden<br />
Ausschuss eingehend unter der Anschrift:<br />
Arbeitsgemeinschaft Erbrecht<br />
im DAV, Littenstr. 11, 10179 Berlin, zu<br />
stellen und müssen von mindestens<br />
10 Mitgliedern unterstützt werden.<br />
Der Erste Deutsche Erbrechtstag<br />
bietet eine Vor- und Rückschau in den<br />
Bereichen Erbrecht, Erbschaftsteuerrecht<br />
und Berufsrecht; er wird sich mit<br />
der Praxis des Erbrechtlers und mit<br />
dem Erbrechtler im Dienstleistungsmarkt<br />
beschäftigen. Es ist die erste<br />
große Tagung der im November 2004<br />
gegründeten Arbeitsgemeinschaft, die<br />
den wohl rasantesten Mitgliederzuwachs<br />
aller DAV-Arbeitsgemeinschaften<br />
innerhalb von zwölf Monaten<br />
aufzuweisen hat; sie hat 645 Mitglieder<br />
(Stand: 1. November 2006).<br />
Fragen zur Organisation beantwortet<br />
Ihnen das Veranstaltungsbüro der<br />
Deutschen Anwaltakademie, Tobias<br />
Hopf, Littenstr. 11, 10179 Berlin, Tel.:<br />
0 30/72 61 53-180, Fax: -188.
Aus der Arbeit des DAV MN<br />
ARGE Baurecht<br />
Mitgliederversammlung<br />
27. Baurechtstagung<br />
Am 17. und 18. März 2006 veranstaltet<br />
die ARGE Baurecht ihre<br />
27. Baurechtstagung, diesmal im Maritim-Hotel<br />
in Stuttgart zum Thema<br />
„Vorzeitige Vertragsbeendigung“.<br />
Die Veranstaltung beginnt am Freitag,<br />
den 17. März 2006 um 14.00 Uhr.<br />
Das Fachprogramm endet am Samstag<br />
gegen 13.00 Uhr, die anschließende<br />
Mitgliederversammlung um 14.00 Uhr.<br />
Im Anschluss an die Mitgliederversammlung<br />
besteht Gelegenheit für die<br />
Teilnehmer und ihre Begleitpersonen,<br />
die Tagung bei einer geplanten Führung<br />
auf der Baustelle der „Mercedes-<br />
Benz-Welt“ in Untertürkheim unter<br />
sachkundiger Leitung ausklingen zu<br />
lassen. Am Freitagabend findet ein gemeinsames<br />
Abendessen im Schloss Solitude<br />
statt. Die näheren Einzelheiten<br />
und Anmeldeformalitäten entnehmen<br />
Sie bitte der Werbeanzeige in dieser<br />
Ausgabe oder fragen Sie bei dem u. g.<br />
Organisationsbüro der ARGE Baurecht<br />
nach.<br />
Alle Mitglieder der ARGE Baurecht<br />
sind eingeladen zur Mitgliederversammlung,<br />
die unmittelbar im Anschluss<br />
an die 27. Baurechtstagung im<br />
Maritim-Hotel in Stuttgart, Seidenstr.<br />
34, am Samstag, 18. März 2006,<br />
13.00 bis 14.00 Uhr stattfindet.<br />
Der Vorschlag zur Tagesordnung<br />
lautet:<br />
1. Begrüßung, Eröffnung, Formalia<br />
2. Jahresbericht für 2005<br />
3. Bericht des Schatzmeisters für 2005<br />
4. Bericht der Kassenprüfer für 2005<br />
5. Aussprache und Entlastung<br />
6. Wahl der Kassenprüfer für 2006<br />
7. Wahl zum Geschäftsführenden Ausschuss<br />
8. Verschiedenes<br />
Informationen und Auskünfte zur<br />
27. Baurechtstagung gibt – als Organisationsbüro<br />
der ARGE Baurecht –<br />
die Deutsche Anwaltakademie, Frank<br />
Ritter, Littenstraße 11, 10179 Berlin,<br />
Tel.: (0 30) 72 61 53-181, Fax: (0 30)<br />
72 61 53-188, ritter@anwaltakade<br />
mie.de.<br />
AG Insolvenzrecht und Sanierung<br />
Mitgliederversammlung<br />
3. Deutscher Insolvenzrechtstag<br />
Der Geschäftsführende Ausschuss<br />
der Arbeitsgemeinschaft Insolvenzrecht<br />
und Sanierung im DAV lädt alle<br />
Mitglieder ein zur Mitgliederversammlung<br />
am Freitag, den 31. März 2006,<br />
17.00 bis 18.00 Uhr, im Berliner Congress<br />
Center – bcc, Alexanderplatz 3,<br />
10178 Berlin.<br />
Die vorgeschlagene Tagesordnung<br />
lautet:<br />
1. Satzungsmäßige Feststellungen:<br />
9 Einladung fristgemäß versandt<br />
und in <strong>Anwaltsblatt</strong> veröffentlicht<br />
9 Feststellung der stimmberechtigten<br />
Mitglieder<br />
2. Rechenschaftsbericht des Vorsitzenden<br />
3. Rechenschaftsbericht des Schatzmeisters<br />
für das Jahr 2005<br />
4. Bericht der Kassenprüfer für das<br />
Jahr 2005<br />
5. Aussprache und Entlastung des Geschäftsführenden<br />
Ausschusses<br />
6. Wahl der Kassenprüfer für das Geschäftsjahr<br />
2006<br />
7. Änderung der Geschäftsordnung *<br />
8. Verschiedenes<br />
* Geändert werden sollen § 3 Abs. 2 (Verleihung<br />
der Ehrenmitgliedschaft), § 4<br />
Abs. 3 – neu (Ausschluss wg. Beitragsrückstand)<br />
und § 9 (Streichung von<br />
Abs. 2 bzgl. Vermögensübergang bei<br />
Auflösung).<br />
Die Mitgliederversammlung findet<br />
statt im Anschluss an den 3. Deutschen<br />
Insolvenzrechtstag 2006 (30. – 31.03.).<br />
Anfragen und Anmeldungen zum<br />
Insolvenzrechtstag 2006 richten Sie<br />
bitte an die Deutsche Anwaltakademie,<br />
Anja Hoffmann, Littenstraße<br />
11, 10179 Berlin, Telefon: 0 30 / 72 61<br />
53-183, Fax: 0 30 / 72 61 53-188, hoff<br />
mann@anwaltakademie. de.<br />
Personalien<br />
Heide Krönert-Stolting 65<br />
Rechtsanwältin<br />
Heide Krönert-<br />
Stolting (Kronberg<br />
im Taunus) ist am<br />
14. Dezember 2005<br />
65 Jahre alt geworden.<br />
Sie ist seit<br />
1991 Mitglied des<br />
Vorstands des Deutschen Anwaltvereins.<br />
Sie ist u.a. Mitglied im Ausschuss<br />
für Aus- und Fortbildung. Im Frankfurter<br />
Anwaltverein ist sie seit 1984 Mitglied<br />
des Vorstands. Von 1988 bis 2000<br />
war sie dessen Vorsitzende.<br />
Dr. Hermann Büttner 65<br />
Rechtsanwalt beim BGH Dr. Hermann<br />
Büttner (Karlsruhe) feierte am<br />
5. Dezember 2005 seinen 65. Geburtstag.<br />
Dem Vorstand des Deutschen Anwaltvereins<br />
gehörte Büttner von 1993<br />
bis 2001 an. Seit 1999 ist er Mitglied<br />
in dem Ausschuss Justizreform ZPO.<br />
Von 1995 bis 1998 war er Vorsitzender<br />
des damaligen Ausschusses Justizreform.<br />
Neue Vereinsvorsitzende<br />
Rechtsanwaltsverein<br />
im Amtsgerichtsbezirk<br />
Bad<br />
Segeberg: Rechtsanwältin<br />
Nicole<br />
Buchert ist zur Vorsitzenden<br />
des neugegründetenOrtsvereins<br />
gewählt worden. Es handelt<br />
sich um den 245. Anwaltverein im<br />
Deutschen Anwaltverein.<br />
Auszeichnung von Anwälten<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Dr. Friedrich Eckehard<br />
Kempter, München, das Verdienstkreuz<br />
1. Klasse des Verdienstordens der<br />
Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Klaus-Peter<br />
Dolde, Stuttgart, das Verdienstkreuz<br />
am Bande des Verdienstordens der<br />
Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />
Der Bundespräsident hat Herrn<br />
Rechtsanwalt und Notar Prof. Dr. Rolf<br />
A. Schütze, Weissbach, das Verdienstkreuz<br />
1. Klasse des Verdienstordens<br />
der Bundesrepublik Deutschland verliehen.<br />
AnwBl 1 / 2006 45
MNEuropa<br />
Rechsstaatliche Grundsätze<br />
beim Kampf gegen<br />
den Terrorismus wahren<br />
Vollversammlung des Rates der europäischen<br />
Anwaltschaften (CCBE)<br />
Rechtsanwältin Eva Schriever, LL. M., Berlin/Brüssel<br />
Die Herbstvollversammlung des CCBE fand Mitte November<br />
2005 in Paris am Kanzleisitz des scheidenden Präsidenten<br />
Bernard Vatiers statt.<br />
Neuer CCBE-Präsident aus Portugal<br />
Wie in jedem Jahr stand diese zweite Vollversammlung<br />
des Jahres im Zeichen der Präsidentschaftswahlen. In einer<br />
spannenden Wahl wurde unter drei Kandidaten der ungarische<br />
Anwalt Peter Köves zum zweiten Vizepräsidenten gekoren.<br />
Der schottische Barrister und ehemalige Delegationsleiter<br />
des Vereinigten Königreichs, Colin Tyre, übernimmt<br />
den Posten des ersten Vize-Präsidenten. Präsident, und damit<br />
Nachfolger von Bernard Vatier, wird ab dem 1. <strong>Januar</strong><br />
2006 der Portugiese Manuel Cavaleiro Brandao. Manuel<br />
Cavaleiro Brand¼o ist seit 1972 Mitglied der portugiesischen<br />
Rechtsanwaltskammer und war lange Jahre im Vorstand<br />
der Kammer von Porto, der portugiesischen Rechtsanwaltskammer<br />
und der portugiesischen CCBE-Delegation.<br />
Sieben Jahre lang, zwischen 1980 und 1987, war Manuel<br />
Cavaleiro Brand¼o Abgeordneter des portugiesischen Parlaments<br />
und ist seit 1990 Mitglied im Europäischen Wirtschafts-<br />
und Sozialausschuss sowie Mitglied des Schiedsgerichtshofs<br />
bei der Internationalen Handelskammer in<br />
Paris.<br />
Als Schwerpunkt seiner Präsidentschaft stellte Cavaleiro<br />
Brandao die Schaffung eines europäischen Rechtsanwalts<br />
dar. Für ihn, als überzeugten Europäer, ist es notwendig,<br />
dass die CCBE-Mitgliedsorganisationen weiterhin eingehend<br />
mit den wichtigen europäischen Entwicklungen befassen<br />
und weiter mitarbeiten bei der Schaffung eines europäischen<br />
Rechtssystems. Eine der Herausforderungen sei es,<br />
die Kluft zwischen dem Einzelanwalt, der auf nationaler<br />
Ebene tätig ist und dem Anwalt mit europäischer Erfahrung<br />
zu schließen. Aus diesem Grund ist es ihm wichtig, dass die<br />
nationalen Präsidenten regelmäßig zumindest an der Vollversammlung<br />
des CCBE teilnehmen.<br />
Terrorismusbekämpfung und Rechtsstaat<br />
Hauptthema der Vollversammlung war das Verhältnis<br />
von Sicherheit und Recht in der Gesetzgebung der Europäischen<br />
Union. Bereits unter der Präsidentschaft von Prof. Dr.<br />
Hans-Jürgen Hellwig (Frankfurt/Main, Mitglied des Vorstands<br />
des Deutschen Anwaltvereins) hatte das Thema eine<br />
große Rolle im CCBE gespielt und es wurde zum Schwerpunkt<br />
der Präsidentschaft Bernhard Vatiers. Wie ist Sicherheit<br />
z. B. im Kampf gegen den internationalen Terrorismus<br />
herzustellen bei gleichzeitiger Wahrung rechtsstaatlicher<br />
Grundsätze? Der CCBE und auch der DAV hatten dieses<br />
Spannungsfeld bei ihren Gesprächen zur dritten Geldwäscherichtlinie<br />
in Brüssel immer wieder problematisiert.<br />
Auch bei der Intervention des CCBE im Verfahren zur zweiten<br />
Geldwäscherichtlinie vor dem belgischen Verfassungs-<br />
46 AnwBl 1 / 2006<br />
gericht und nunmehr<br />
vor dem<br />
EuGH geht es um<br />
dieses Thema.<br />
Gastredner der<br />
Vollversammlung<br />
waren der britischeJustizminister<br />
Lord Goldsmith<br />
sowie für<br />
den zuständigen<br />
Präsident des<br />
Rates der<br />
europäischen<br />
Anwaltschaften<br />
im Jahr 2006 ist<br />
der Portugiese<br />
Manuel Cavaleiro<br />
Brandao.<br />
Kommissar im Bereich Justiz und Inneres Lorenzo Salazar<br />
als Kabinettsmitglied Frattinis. Der CCBE hat einstimmig<br />
eine Erklärung zum Verhältnis zwischen Recht und Sicherheit<br />
bei Antiterror-Maßnahmen verabschiedet. In dieser fordert<br />
der CCBE bei Antiterrorgesetzgebung noch stärker als<br />
in der Vergangenheit darauf zu achten, dass hierbei nicht<br />
einseitig Entscheidungen zu Lasten des Rechts getroffen<br />
werden.<br />
Jüngstes Beispiel für diese Gefahr sei der geplante Rahmenbeschluss<br />
bzw. die Richtlinie der Kommission zur Vorratsdatenspeicherung.<br />
Der CCBE rief die Kommission auf<br />
darauf zu achten, dass das Berufsgeheimnis der Anwälte, das<br />
in vielen Staaten mit Verfassungsrang ausgestattet ist, gewahrt<br />
bleiben muss. Dieses könne nicht nur durch die Preisgabe<br />
des Inhalts der Gespräche, sondern auch durch Weitergabe<br />
von Zeit und Dauer der Gespräche berührt sein. Darüber<br />
hinaus wurde während der Diskussion auch eine verstärkte<br />
Einbeziehung der Generaldirektion Justiz, Freiheit und Recht<br />
bei Gesetzgebungsvorhaben aus dem Bereich Binnenmarkt<br />
und Wettbewerb angesprochen. Salazar sagte zu, die Bedenken<br />
des CCBE an den Kommissar heranzutragen.<br />
Folgebericht Wettbewerb Freie Berufe<br />
Zudem beschäftigte sich die Vollversammlung mit dem<br />
Folgebericht der Kommission zum Thema Wettbewerb der<br />
Freien Berufe von September 2005 (siehe zuletzt AnwBl<br />
2005, 767) und verabschiedete eine Stellungnahme. Der<br />
CCBE betont wie schon in seiner Erklärung zum Monti-Bericht<br />
aus dem Jahr 2004, dass die Regulierung der Freien<br />
Berufe nicht nur auf der Basis wirtschaftlicher Grundsätze<br />
diskutiert werden könne. Überdies greift der CCBE den<br />
ebenfalls vom DAV kritisierten Punkt des Konzepts der unterschiedlichen<br />
Nutzergruppen von Rechtsdienstleistungen<br />
auf. So bestünden die anwaltlichen Regelungen eben nicht<br />
nur zum Nutzen eines mehr oder weniger informierten<br />
Empfängerkreises, sondern vielmehr zum Schutz der Öffentlichkeit<br />
und der Rechtspflege. Skandale, wie im Fall Enron<br />
oder Worldcom hätten gezeigt, dass selbst wenn im konkreten<br />
Fall die Empfänger der freiberuflichen<br />
Dienstleistungen erfahrene Nutzer seien, die Geschädigten<br />
einfache Bürger, das heißt Aktionäre und Angestellte seien.<br />
Für Dezember ist ein Gespräch der neuen CCBE-Präsidentschaft<br />
mit Lawrie Evans, Direktorin im Bereich Wettbewerb,<br />
vorgesehen. Der CCBE hat darüber hinaus angekündigt,<br />
in einem weiteren Dokument aufzuzeigen, dass<br />
weitergehende Deregulierung in vielen Fällen selbst aus<br />
wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive nicht zu positiven<br />
Ergebnissen führt.
MNMeinung & Kritik<br />
Vertrauen zwischen<br />
Mandant und Anwalt –<br />
der Testfall des 1. Juli 2006 *<br />
RVG gibt außergerichtliche Beratung frei:<br />
Wege zur gerechten Vergütungsvereinbarung<br />
Rechtsanwalt Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen,<br />
Köln<br />
Die Anwaltschaft steht 2006 vor einer großen Herausforderung.<br />
Das Vergütungsrecht wird – wie vom Gesetzgeber<br />
2004 angekündigt – teilweise dereguliert. Ab dem 1. Juli<br />
2005 wird es für die außergerichtliche Beratung keinen<br />
gesetzlichen Vergütungstatbestand mehr geben. Anwälte<br />
und Mandanten werden über das Honorar reden müssen.<br />
Der Autor appelliert an die Anwälte, mit dieser neuen<br />
Freiheit verantwortungsbewusst umzugehen.<br />
I.<br />
Testfälle, so lehrt das Leben, sind wie Weggabelungen.<br />
Der jeweils gewählte Weg kann der richtige sein, er kann<br />
aber auch in die Irre führen. Eine solche Weggabelung für<br />
die Anwaltschaft ist mit einiger Sicherheit der 1. Juli 2006,<br />
der Tag, an dem Anwälte bei außergerichtlichen Streitigkeiten<br />
in der Bestimmung des ihnen zustehenden Honorars frei<br />
sind, nicht mehr an die Kette des gesetzlichen Gebührenrechts<br />
gebunden. Die den Testfall kennzeichnende Frage<br />
aber ist unausweichlich: Wird die jeweils getroffene Gebührenabsprache<br />
als gerecht bewertet – nicht nur dann, wenn<br />
sie getroffen wird und der Anwalt die Übernahme des Mandats<br />
bestätigt, sondern vor allem auch dann, wenn das Mandat<br />
beendet und Abrechnung erteilt worden ist.<br />
In diesem Augenblick wird nämlich gleichzeitig über Erfolg<br />
oder Misserfolg der anwaltlichen Beratung entschieden.<br />
An dieser Einstellung des Verbrauchers, des Bürgers<br />
kann der Anwalt kein Deut ändern. In der Regel will der<br />
Mandant den Erfolg, herbeigeführt durch „seinen“ Anwalt<br />
oder<br />
Der Mandant befindet darüber, ob der Preis<br />
für die Leistung angemessen war<br />
– so er denn prominent und hinreichend wohlhabend ist –<br />
durch „seine Anwälte“. Immeraber ist es der Mandant<br />
selbst, kein Dritter, der nach Maßgabe seiner Zufriedenheit<br />
darüber befindet, ob der vom Anwalt für seine Leistung geforderte<br />
Preis gerecht und angemessen war – und dies vor<br />
allem auch dann, wenn der erhoffte Erfolg nicht die anwaltliche<br />
Leistung krönt.<br />
Natürlich, dieser auf den 1. Juli 2006 datierte Testfall<br />
stellt sich nicht für die großen Anwaltskanzleien, auch nicht<br />
für die Anwälte, die seit geraumer Zeit es gewöhnt sind,<br />
ihre Dienstleistung nach vereinbarten Stundensätzen abzurechnen.<br />
Für sie alle ändert sich an diesem Datum wenig bis<br />
gar nichts. Für die überwältigende Mehrzahl der Anwälte<br />
aber besteht die den Testfall kennzeichnende Schwierigkeit<br />
darin, dass von ihnen ganz und gar Ungewohntes, bislang<br />
nicht Eingeübtes bei Vereinbarung und Abrechnung frei verhandelter<br />
Stundensätze verlangt wird. Doch auch der Verbraucher,<br />
der Bürger, aber auch das kleinere oder mittelständische<br />
Unternehmen haben keine Erfahrung, was denn im<br />
Einzelfall der gerechte und angemessene Preis für die anwaltliche<br />
Dienstleistung ist. Auf beiden Seiten des Marktes<br />
besteht weder Erfahrung noch Transparenz. Ungewissheit<br />
und Wagnis beherrschen das Feld. Und die Frage, ob denn<br />
die vom Anwalt zu bewältigende Rechtsfrage viel oder wenig<br />
Zeit beansprucht und welcher Qualitätsmaßstab hier entscheidet,<br />
ist genauso wenig mit einiger Verlässlichkeit durch<br />
die Marktteilnehmer zu beantworten. Für alle Beteiligten ist<br />
also insoweit das Datum des 1. Juli 2006 ein Testfall.<br />
II.<br />
Bei diesen Bedingungen des Marktes regiert – es sind<br />
dies wohl unverrückbare Gesetzmäßigkeiten – entweder der<br />
mehr oder weniger gekonnte Versuch zum nachhaltigen Poker<br />
– nicht nur auf Seiten des Mandanten, sondern nicht weniger<br />
auch auf Seiten des Anwalts. Das ist die eine Möglichkeit,<br />
die andere: Der Mandant öffnet sich in schierem,<br />
fast blindem Vertrauen dem Angebot des Anwalts und argwöhnt<br />
keine Sekunde, es könnte unehrlich, übersetzt oder<br />
gar unangemessen sein. Gleichgültig, welche Alternative<br />
der Mandant im Rahmen des Gebührengesprächs auswählt,<br />
die Würfel sind bereits gefallen. Denn der Mandant, der<br />
Pokern und Feilschen – oder Vertrauen in<br />
die Ehrlichkeit des Anwalts<br />
sich bei Beginn auf das Feilschen verlegt, mit immer neuen<br />
sprachlichen Nuancen den Preis zu drücken versucht, der<br />
wird dies auch bei Beendigung des Mandats nicht minder<br />
nachhaltig und hartnäckig tun. Denn für einen so denkenden<br />
und auch handelnden Mandanten wird der gerechte Preis<br />
nur mit Hilfe der Kategorie Erfolg oder Misserfolg bewertet.<br />
Mehr noch: Der eingetretene Misserfolg oder – bescheidener<br />
gesagt – der fehlende Sieg über den Gegner begründet<br />
sogleich den Zweifel an der Lauterkeit des Anwalts, vor allem<br />
im Blick auf die Zahl der abgerechneten (und auch<br />
nachgewiesenen) Stunden.<br />
Dieser Zweifel entfaltet vor allem dann seine vielleicht<br />
sogar verheerende Sprengkraft, wenn auf der einen Seite<br />
eine hohe Stundenzahl, auf der anderen aber kein hinreichender<br />
Erfolg den Saldo der beiderseits zu erbringenden<br />
Leistungen ausmacht. Denn dann berührt der Zweifel des<br />
Mandanten sogleich die Kernfrage, ob denn der Anwalt hinreichende<br />
Kompetenz besaß, das ihm angetragene Mandat<br />
auch zielführend und in angemessener Frist zu behandeln.<br />
* Herrn Kollegen Dr. Peter Hamacher, dem scheidenden stellvertretenden Hauptgeschäftsführer<br />
des DAV, in Dankbarkeit für viele wichtige Anregungen zugeeignet.<br />
AnwBl 1 / 2006 47
Meinung & Kritik MN<br />
III.<br />
Das führt jedoch unversehens zu der harten Frage, ob<br />
denn nicht schon bei Übernahme des Mandats – und der immer<br />
wieder in diesen Gesprächen eingeforderten Schätzung<br />
der voraussichtlichen Stundenzahl – der Anwalt hätte erklären<br />
können oder gar müssen, dass er streng genommen erst<br />
„am Fall“ selbst sich das erforderliche Know-How besorgt<br />
– auf Kosten des Mandanten, was bei nicht wenigen Großkanzleien<br />
leider zur Tagesordnung geworden ist. Denn die<br />
den Gewinn erst verbürgende Zahl des „leverage“ (Zahl der<br />
Anwälte pro Partner) belegt genau dies: Der Partnerservice<br />
ist oft (freilich gibt es auch hier Ausnahmen) bei weitem der<br />
billigere, aber auch der preiswertere gegenüber der Arbeit<br />
in einem Team, in dem sich die „Associates“ erst die Sporen<br />
auf Kosten des Mandanten verdienen.<br />
Aber nicht nur dieser Punkt kennzeichnet den am 1. Juli<br />
2006 eintretenden Testfall. Vielmehr und ganz entscheidend:<br />
Es wird wohl nur sehr wenige Verbraucher und Bürger geben,<br />
die sogleich das Feilschen um die Höhe des anwaltlichen<br />
Honorars anzetteln. Die überwältigende Mehrzahl<br />
wird den vom Anwalt geforderten Preis – im rückhaltlosen<br />
Vertrauen auf seine Angemessenheit – akzeptieren. Vielleicht<br />
geschieht dies dann, wenn die Rechnung nach einiger<br />
Zeit erst gestellt ist, mit einigem Murren, weil sie unerwartet<br />
hoch ausfällt und der Mandant überhaupt nicht in der<br />
Lage ist, die Angemessenheit der Rechnung von sich zu<br />
überprüfen. Mangels hinreichender Kenntnis des Marktes<br />
hat der Bürger nämlich keinen anderen Advokaten als das<br />
Vertrauen in die Rechtschaffenheit anwaltlichen Handelns<br />
und anwaltlicher Gebührenberechnung.<br />
IV.<br />
So gesehen ist es ein doppeltes Vertrauen: Es ist das Vertrauen<br />
in die anwaltliche Fachkompetenz, nicht minder aber<br />
in die Redlichkeit und Gradlinigkeit des Anwalts, den geforderten<br />
Preis als gerecht zu behandeln und auch zu akzeptieren<br />
– den Fall des Misserfolges anwaltlicher Beratung eingeschlossen.<br />
Hier erweist sich ein ehernes Gesetz wieder einmal als<br />
zutreffend. Solange die Regulierung der anwaltlichen Gebühren<br />
Bestand hatte, war Verlässlichkeit und Redlichkeit<br />
anwaltlichen Handelns kein wirkliches Thema, weil der Gebührentatbestand<br />
nachprüfbar fixiert war. Die nunmehr<br />
Der Anwalt muss seinen Mandanten vor<br />
sich selbst schützen – das ist der Testfall<br />
eingetretene – und von den Wettbewerbsschützern nachhaltig<br />
begrüßte Deregulierung – findet allerdings als Regulativ<br />
nicht mehr die Institution Anwaltschaft, sondern nur noch<br />
das auf dem Markt handelnde Individuum. Damit sind –<br />
mangels gesetzlicher Halterungen und Stützen zugunsten<br />
der Anwaltschaft wie des Verbrauchers – vor allem redliches<br />
kommerzielles Kalkül und nicht zuletzt das Gewissen<br />
des Anwalts eingefordert. Er ist praktisch verpflichtet, dem<br />
arglosen Bürger zu sagen, dass er für die angesprochene<br />
Rechtsfrage nicht hinreichend kompetent ist, dass er daher<br />
48 AnwBl 1 / 2006<br />
nicht in der Lage ist, einen angemessenen Preis für die erbetene<br />
Dienstleistung in Rechnung zu stellen. Ob das wirklich<br />
geschieht, ist Teil des Testfalls nach dem 1. Juli 2006.<br />
Von diesem Tag an steht der Verbraucher mit seiner – ungewohnten<br />
und unerprobten – Freiheit gegenüber dem Anwalt<br />
mutterseelenallein, wenn er auf dem immer noch reichlich<br />
unübersichtlichen Markt der Rechtsdienstleistungen<br />
Rechtsrat begehrt und gehalten ist, dafür einen angemessenen<br />
oder gar gerechten Preis zu entrichten. Niemand ist da,<br />
der ihm dabei hilft. Man mag einwenden, dass über all diese<br />
Fragen letztlich der Markt entscheidet. Das ist sicherlich die<br />
Signatur des liberalen Zeitgeistes.<br />
Doch damit übersieht man bereits im Ansatz, dass der<br />
Verbraucher hilf- und schutzlos ist. Er ist, selbst wenn er<br />
wollte, nicht in der Lage, sich selbst die erforderliche – regulierende<br />
und kontrollierende – Kenntnis des Marktes und<br />
des angemessenen Marktpreises für anwaltliche Dienstleistungen<br />
zu verschaffen. Schon gar nicht ist er in der Lage,<br />
die Qualifikation des Anwalts und die Qualität der erbrachten<br />
Dienstleistung zu beurteilen. Denn die Mehrzahl der<br />
Empfehlungen stammt vom Hörensagen. Und der Verbraucher<br />
weiß auch nicht, ob es ein rechtlich einfach gelagerter<br />
oder ein komplizierte Fall war, zumal es ja der Erfahrung eines<br />
jeden Anwalts entspricht, die tückischsten Fälle sind<br />
mitunter die, die der Alltag beschert. Daher kann der Verbraucher<br />
auch nicht ermessen, ob die Lösung des Falls nur<br />
eine kurze Beschäftigung oder langwierige Recherchen bedingte,<br />
deren Umfang ja immer auch entscheidend von der<br />
Kompetenz des Anwalts abhängen.<br />
V.<br />
Die hinter dieser Unkenntnis des Verbrauchers liegenden<br />
Fragen berühren indessen den Kern des am 1. Juli 2006<br />
Wirklichkeit werdenden Testfalls. An dieser Stelle erweist<br />
sich nämlich, dass Vertrauen zwischen Anwalt und Mandant<br />
– wie stets – nur als ein Akt personaler-dualistischer Beziehung<br />
zwischen zwei handelnden und interagierenden Personen<br />
verstanden werden kann. Immer hat Vertrauen zen-<br />
Das notwendige Vertrauen hat mit<br />
„Kundenorientierung“ nicht sehr viel gemein<br />
trale zwischenmenschliche Bezugspunkte. Vertrauen entsteht<br />
auch erst mit der Zeit, es wächst langsam. Immer ist es<br />
in hohem Maße verletzlich. Es lebt von der Prägekraft der<br />
Verlässlichkeit und der Bindungskraft des gegebenen und<br />
dann auch uneingeschränkt eingelösten Versprechens, setzt<br />
daher auch Klarheit und Transparenz der auszutauschenden<br />
Gedanken ebenso voraus wie das offene Wort und das hinhörende,<br />
geduldige zum Verstehen bereits Ohr.<br />
Wie gegenüber dem Arzt oder gegenüber einem Priester<br />
umschreibt das unübertreffliche Wort des Sich-Kümmerns,<br />
des Sich-Sorgens, des Dienens um und für die Belange des<br />
anderen Menschen das hier Gemeinte, damit aber auch den<br />
Kernbestand des einzufordernden, des notwendigen Vertrauens<br />
in der Beziehung zwischen Anwalt und Mandant.<br />
Unverzichtbar ist dieser Grundbestand zwischenmenschlichen<br />
Vertrauens in der Beziehung zwischen Anwalt und
Meinung & Kritik MN<br />
Mandant. Mit der immer wieder von Seiten des Marketing<br />
den Anwälten empfohlenen und auch eingeforderten „Kundenorientierung“<br />
hat das so verstandene Vertrauen nicht<br />
sehr viel gemein. Dieses ist immer dualistisch, auf die handelnden<br />
Personen bezogen damit nicht austauschbar, während<br />
sich die „Kundenorientierung“ – austauschbar und<br />
menschlich bestenfalls an der Oberfläche einer „connection“<br />
verharrend – an den Bedürfnissen des Kunden als<br />
der Marktgegenseite ausrichtet. Vertrauen entsteht und besteht<br />
immer um seiner selbst willen, die „Kundenorientierung“<br />
hingegen wegen des angestrebten Erfolges auf dem<br />
Markt. Doch sicherlich – das soll nicht unter den Tisch fallen<br />
– haben die Haltungen der Verlässlichkeit, der Pünktlichkeit<br />
und auch der Transparenz sowie der Kompetenz im<br />
Vertrauen wie in der „Kundenorientierung“ eine gemeinsame<br />
Wurzel. Immer aber beginnt Vertrauen – das ist der<br />
Kern – im Kleinen, beim ersten Kontakt der sich begegnenden<br />
Menschen im Alltag. Nie kann es mit welchem Rechtstitel<br />
auch immer eingefordert werden, wenn es nicht zuvor<br />
zwischen den Menschen gewachsen ist.<br />
VI.<br />
Gerade weil der Verbraucher, der Bürger – um den Gedankenfaden<br />
wieder aufzugreifen – nicht in der Lage ist,<br />
ohne fremde Hilfe die Angemessenheit der Gebührenrech-<br />
Nicht das Ziel, sondern der gemeinsame<br />
Weg ist der Grund sich entfaltenden<br />
zwischenmenschlichen Vertrauens<br />
nung des Anwalts nachzuvollziehen oder gar zu überprüfen,<br />
kann nur gewachsenes Vertrauen in die Redlichkeit, Verlässlichkeit<br />
und Wahrhaftigkeit anwaltlichen – von Fachkompetenz<br />
getragenen – Handelns dem Misstrauen – gerade im<br />
Fall eines Misserfolges – den Stachel nehmen. Das vor allem<br />
begründet die Reputation des Anwalts. Gerade dann,<br />
wenn Misstrauen sich einschleicht, ist – wie stets im Leben<br />
– das offene, das klärende Gespräch eingefordert. Es ist als<br />
Gespräch zwischen Anwalt und Mandant in seinem Urgrund<br />
nicht anders als das Gespräch zwischen Arzt und Patienten<br />
oder das (seltener gewordene) Gespräch zwischen<br />
dem Seelsorger und dem sündigen Menschen: Es muss auf<br />
Aufklärung über Chancen und Risiken, über Irrwege und<br />
Ziele, über erlöschende Hoffnungen und neue Wege in verständiger<br />
Sorge geführt werden. Und es darf nicht nur am<br />
Anfang oder am Ende der „Therapie“ stehen, sondern muss<br />
den gemeinsamen Weg begleiten. Nicht das Ziel, sondern<br />
der gemeinsame Weg ist der Grund sich entfaltenden zwischenmenschlichen<br />
Vertrauens.<br />
VII.<br />
Eigennutz des Anwalts in Gebührenfrage, das große<br />
Mandat und die Verheißung erheblichen Nutzens – das ist<br />
freilich die große Versuchung, die es nach dem 1. Juli 2006<br />
zu bestehen gilt. Denn nach dem bislang geltenden Gebührenrecht<br />
war der Anwalt gut beraten, den Eigennutz darin<br />
zu sehen, ein solches Mandat möglichst rasch zu beenden.<br />
Das versprach den wirklichen „return on investment“, den<br />
„profit“. Nach dem 1. Juli 2006 wird es im außergerichtlichen<br />
Bereich genau umgekehrt sein. Hier schneidet die<br />
Schere im Kopf des Anwalts genau anders: Nur das reichlich<br />
lang konservierte Mandat verspricht – entsprechend der<br />
Zahl der immer weiter anfallenden und sorgsam in Rechnung<br />
gestellten<br />
Der Eigennutz des Anwalts in<br />
Gebührenfrage: Was war, was wird?<br />
Stunden – den eigenen Vorteil. Und der Eigennutz des Anwalts<br />
schlägt ein Schnippchen nach dem anderen, indem<br />
immer wieder noch zu klärende Rechtsfragen, Zweifel und<br />
Risiken in den Vordergrund gerückt werden – entweder mit<br />
dem Ziel, gleichwohl ein anschließendes Gerichtsverfahren<br />
zu führen und so das Mandat zu halten oder den schon lange<br />
überfälligen Vergleich eben doch nicht zu empfehlen, jedenfalls<br />
noch nicht.<br />
An dieser Stelle die Interessen des Mandanten radikal in<br />
den Vordergrund zu rücken, die eigenen Interessen hintanzustellen,<br />
den Vergleich gleichwohl nachhaltig zu empfehlen<br />
und das wohl dotierte Mandat zu beenden – das erfordert<br />
Mut und Charakter. Denn am Tag nach dem dann so<br />
abgeschlossenen Vergleich droht mitunter die Leere, die indessen<br />
nur durch neue Acquisitionen, durch das Bemühen<br />
um neues Vertrauen zu neuen Mandanten ausgefüllt werden<br />
kann – ständiger Kreislauf im Kampf des Anwalts um das<br />
Recht, für ein wenig mehr Gerechtigkeit zwischen den<br />
Menschen. Das alles wird nach dem 1. Juli 2006 nicht einfacher,<br />
schon gar nicht leichter, weil eben – wie immer im<br />
zwischenmenschlichen Bereich – die vom Anwalt geforderten<br />
und erst Vertrauen zum Mandanten schaffenden Tugenden<br />
bei einer Anwaltschaft, welche sich über das Massenproblem<br />
beklagt, natürlich nicht in der Masse vorhanden<br />
sind, schon gar nicht ohne tägliches Mühen und Rückschritte<br />
des einzelnen Anwalts selbst entstehen.<br />
Prof. Dr. Friedrich Graf von Westphalen,<br />
Köln<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Vizepräsident des<br />
Deutschen Anwaltvereins.<br />
AnwBl 1 / 2006 49
MNMitteilungen<br />
Soldan Institut<br />
Erfolgshonorare in der<br />
beruflichen Praxis der<br />
Rechtsanwälte<br />
Neue Serie: Ergebnisse der Umfrage zu<br />
Vergütungsvereinbarungen<br />
Mehr als 1.000 Rechtsanwälte haben dem Soldan Institut<br />
für Anwaltmanagement e.V. im März 2005 Auskunft zu ihren<br />
Gewohnheiten beim Abschluss von Vergütungsvereinbarungen<br />
gegeben. Über 50 Fragen wurden beantwortet.<br />
Als Ergebnis liegen nunmehr erstmals umfassende empirische<br />
Daten zu Vergütungsvereinbarungen deutscher<br />
Rechtsanwälte vor*. Einzelne Aspekte der Studie beleuchtet<br />
das Soldan Institut für Anwaltmanagement in einer Serie<br />
von Kurzbeiträgen. In diesem Monat wird das Problem<br />
des Verbots des Erfolgshonorars aus Sicht der Berufspraxis<br />
analysiert.<br />
I. Das Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars<br />
Das Verbot des anwaltlichen Erfolgshonorars ist im deutschen<br />
Recht gleichsam in Stein gemeißelt – seit mehr als<br />
120 Jahren äußern sich die Gerichte ablehnend gegenüber<br />
jeder Form erfolgsbasierter Vergütung für den Rechtsanwalt.<br />
Sie soll mit dem Gebot anwaltlicher Unabhängigkeit,<br />
der Stellung als Organ der Rechtspflege und den Belangen<br />
der Rechtspflege unvereinbar sein. Der Gesetzgeber<br />
hat die ständige Rechtsprechung 1994 aufgegriffen und ein<br />
ausdrückliches Verbot in § 49 b Abs. 2 BRAO kodifiziert1 .<br />
Nur wenige berufsrechtliche Themen werden seitdem so<br />
grundsätzlich diskutiert wie die Frage der erfolgsabhängigen<br />
Anwaltsvergütung. Auf der einen Seite stehen jene, die<br />
ohne ein solches Verbot eine Verrohung der anwaltlichen<br />
Sitten, die Einkehr „amerikanischer Verhältnisse“ in<br />
Deutschland befürchten. Auf der anderen Seite sind jene anzutreffen,<br />
die die durch Verbot bewirkte Einschränkung der<br />
Vertragsfreiheit von Rechtsanwalt und Mandant für verfassungsrechtlich<br />
problematisch halten und darauf hinweisen,<br />
dass Deutschland mit seiner Bewertung anwaltlicher Erfolgshonorare<br />
bei einem Rechtsvergleich isoliert dasteht<br />
und sich von einem internationalen Trend abgekoppelt hat2 .<br />
Vor dem Hintergrund, dass sich das BVerfG demnächst im<br />
Rahmen einer Verfassungsbeschwerde mit der Verfassungsmäßigkeit<br />
des Verbots beschäftigen muss3 , ist es reizvoll,<br />
Erkenntnisse über den gegenwärtigen Umgang mit dem Erfolg<br />
anwaltlicher Vergütung als Bestimmungsfaktor für die<br />
Vergütung und diesbezügliche Wünsche der Anwaltschaften<br />
zu gewinnen.<br />
II.Vereinbarung von Erfolgshonoraren<br />
De lege lata sind Erfolgshonorare nicht zulässig. 83 %<br />
der befragten Rechtsanwälte geben vor diesem Hintergrund<br />
an, dass sie keine entsprechenden Vereinbarungen treffen.<br />
8 % räumen allerdings ein, Erfolgshonorare fallweise zu<br />
vereinbaren, wobei dies in gleichem Maße schriftlich (4 %)<br />
wie auch mündlich (4 %) erfolgt (Mehrfachnennungen waren<br />
möglich).<br />
50 AnwBl 1 / 2006<br />
Abb.1: Aufnahme erfolgsabhängiger Komponenten in eine Vergütungsvereinbarung<br />
Die für die gesamte Anwaltschaft erhobenen Werte weichen<br />
von den Daten ab, die für Großkanzleien bekannt sind:<br />
Von diesen gibt nach einer Befragung des Handelsblatts<br />
eine deutlicher größere Zahl, nämlich rund 1/3, entsprechenden<br />
Wünschen der Mandanten nach 4 .<br />
Im Streitfalle durchsetzbar sind diese Vereinbarungen regelmäßig<br />
nicht 5 , scheitert die Vereinbarung doch nach allgemeiner<br />
Auffassung an § 134 BGB und bei bloß mündlicher<br />
Absprache zusätzlich an § 4 RVG (soweit mit dem<br />
Erfolgshonorar die gesetzlichen Gebühren überschritten<br />
werden). Weitere 10 % der Rechtsanwälte geben an, Erfolgshonorare<br />
„unverbindlich“ zu vereinbaren. Nach der ratio<br />
legis des Verbots sind auch solche „unverbindlichen“<br />
Absprachen unerwünscht, da § 49 b Abs. 2 BRAO besondere<br />
Leistungsanreize für den Rechtsanwalt unterbinden will, die<br />
auch durch unverbindliche Absprachen gesetzt werden können.<br />
Dass sich immerhin 17 % aller Anwälte über das explizite<br />
gesetzliche Verbot des § 49 b Abs.2 BRAO hinwegsetzen,<br />
mag ein Indiz dafür sein, dass ein praktisches<br />
Bedürfnis besteht, in bestimmten Mandaten die Vergütung<br />
erfolgsbasiert zu bestimmen.<br />
III. Nachträgliche Ergebnisorientierung der Vergütung<br />
Dass der Erfolg der anwaltlichen Bemühungen in der<br />
Praxis trotz des Verbots, verbindliche Erfolgshonorarvereinbarungen<br />
zu treffen, gleichwohl eine erhebliche Bedeutung<br />
für die Vergütung hat, erhellt sich aus den Antworten der<br />
Anwaltschaft auf die Frage, ob eine abgerechnete Vergütung<br />
schon einmal an den Erfolg der Tätigkeit angepasst<br />
worden ist. Ein solches Vorgehen ist vom Verbot des § 49 b<br />
Abs. 2 BRAO nicht erfasst, da die Vorschrift lediglich erfolgsdifferenzierende<br />
Vergütungsvereinbarungen im laufen-<br />
* Die Gesamtstudie wird zum Anwaltstag 2006 als Band 3 der Schriftenreihe des<br />
Soldan Instituts für Anwaltmanagement im Anwaltverlag, Bonn, erscheinen<br />
1 Ausführlich hierzu Kilian, Der Erfolg und die Vergütung des Rechtsanwalts,<br />
Bonn 2003.<br />
2 Vgl. die Länderübersicht bei Kilian, aaO, S. 453–487; ferner Krämer/Mauer/Kilian,<br />
Vergütungsvereinbarung und -management, München 2005, Rdnr. 495.<br />
3 Das Verfahren wird unter dem Az. 1 BvR 2576/04 geführt. Vgl. Filges, Kammerreport<br />
Hamburg 2005/4, S. 1 f. KammerForum Köln 2005, 242 ff.<br />
4 Lichter/Tödtmann, Handelsblatt vom 29. April 2005.<br />
5 Zur kautelarjustistischen Gestaltung zulässiger, wirkungsähnlicher Vereinbarungen<br />
Krämer/Mauer/Kilian, aaO, Rdnrn. 488 ff.
MN Mitteilungen<br />
Abb. 2: Anpassung der Abrechnung nach Mandatsende an den<br />
Erfolg der Tätigkeit nach Kanzleigröße<br />
den Mandat untersagt6 . Eine nachträgliche Anpassung ist<br />
hingegen berufsrechtlich unbedenklich, sie darf nach allgemeiner<br />
Auffassung sogar vom Rechtsanwalt – unverbindlich<br />
– in Aussicht gestellt werden. 59 % aller Rechtsanwälte<br />
geben an, entsprechende erfolgsbedingte „Korrekturen“ am<br />
eigentlich geschuldeten Honorar schon einmal vorgenommen<br />
zu haben. Die entsprechenden korrigierenden Eingriffe<br />
können mannigfaltig sein und von der Zugrundelegung eines<br />
fiktiv niedrigen Streitwerts über eine Reduzierung der<br />
abgerechneten Stunden bis hin zur Ermäßigung des Stundensatzes<br />
oder einem pauschalen Abschlag reichen.<br />
Häufiger kommen solche erfolgsabhängigen Korrekturen<br />
in Kanzleien vor, die einen hohen Anteil (>30 %) an gewerblichen<br />
Mandaten haben (64 % : 56 %).<br />
In eine ähnliche Richtung zielt die ebenfalls gestellte<br />
Frage, ob in geeigneten Mandaten nach Abschluss des Mandats<br />
nicht einseitige Korrekturen vorgenommen, sondern regelrechte<br />
Vergütungsvereinbarungen getroffen werden, die<br />
sich am Erfolg des Anwalts orientieren. Dies kommt bei<br />
77 % der Rechtsanwälte nie und bei 23% selten bzw. gelegentlich<br />
vor. Bei Anwälten, die einen geringen Anteil gewerblicher<br />
Mandate abrechnen (< 30 %), kommt es deutlich<br />
seltener zu solchen Vereinbarungen („nie“ = 83,4 %) als bei<br />
Kanzleien mit gewerblich geprägter Mandantschaft („nie“ =<br />
69,7 %).<br />
Abb. 3: Treffen von erfolgsorientierten Vergütungsvereinbarungen<br />
bei geeigneten Mandaten nach Abschluss des Mandats<br />
6 Näher Krämer/Mauer/Kilian, aaO, Rdnr. 488.<br />
Zwischenruf<br />
Der transparente<br />
Anwalt – wie handelt er,<br />
was denkt er?<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Können 1.000 Rechtsanwälte für mehr als 130.000<br />
Anwälte sprechen? Sie können. Das versichern uns die<br />
Sozialwissenschaftler. Das Soldan Institut für Anwaltsmanagement<br />
hat 1.000 Anwälte – in einer repräsentativen<br />
Studie – nach ihrer Abrechnungspraxis gefragt.<br />
Nicht zum Umgang mit den Gebühren des RVG, sondern<br />
mit Vergütungsvereinbarungen. Das ist spannend,<br />
spricht doch kaum ein Kollege offen über seine Erfahrungen.<br />
Dabei erfreut sich die Vergütungsvereinbarung<br />
bei Mandanten und Anwälten wachsender Beliebtheit.<br />
Der Mandant will keine Überraschungen erleben und<br />
für den Anwalt ist es ein Weg, das Honorar für das<br />
Mandat möglichst genau zu kalkulieren.<br />
Anwältinnen und Anwälte aus allen Kanzleiformen<br />
und -größen wurden vom Soldan Institut nach den von<br />
ihnen bevorzugten Vergütungsmodellen, Methoden der<br />
Preisfindung, der Höhe der Vergütung und ihrer Meinung<br />
zu aktuellen Entwicklungen wie dem Factoring<br />
von Vergütungsforderungen, Preisvereinbarungen mit<br />
Versicherungsunternehmen oder dem Erfolgshonorar<br />
befragt. Erstmals liegen damit empirische Daten vor.<br />
Die vom Deutschen Anwaltverein und der Bundesrechtsanwaltskammer<br />
unterstützte Studie wird zum 57.<br />
Deutschen Anwaltstag in Köln erscheinen. Im <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
werden wichtige Ergebnisse der Studie ab<br />
diesem Heft Monat für Monat in einer Serie vorgestellt.<br />
Den Beginn macht die Auswertung zum Erfolgshonorar.<br />
Denken Sie daran: Selbst die harten Verweigerer unter<br />
den Anwälten können sich ab dem 1. Juli 2006 der<br />
Vergütungsvereinbarung nicht mehr entziehen. Dann<br />
fallen die gesetzlichen Anwaltsgebühren für die außergerichtliche<br />
Beratung ersatzlos weg. Schließen Mandant<br />
und Anwalt keine Vergütungsvereinbarung, kann<br />
der Anwalt nur die übliche Vergütung verlangen. Ist der<br />
Mandant gar Verbraucher, ist die übliche Vergütung für<br />
die Erstberatung bei 190 Euro und für jede andere Beratung<br />
bei 250 Euro gedeckelt (§ 34 Abs. 1 Satz 3 RVG<br />
n. F.).<br />
Wenn Sie nicht handeln, wird der Mandant sich gelassen<br />
zurücklehnen können.<br />
Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und leitet die Redaktion<br />
des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />
AnwBl 1 / 2006 51
MN Mitteilungen<br />
Die Zahlen belegen nachdrücklich, dass das gesetzgeberische<br />
Anliegen, dass der Erfolg des Anwalts für seine Vergütung<br />
keine Rolle spielen soll, in der Praxis von einem Teil<br />
der Anwaltschaft nicht beachtet bzw. umgangen wird.<br />
IV. Einstellung der Mandanten zu Erfolgshonoraren<br />
10 % der befragten Rechtsanwälte berichten, dass sie<br />
häufig von Mandanten auf die Möglichkeit der Aufnahme<br />
erfolgsabhängiger Komponenten in ihre Vergütung angesprochen<br />
werden. Bei 33 % der Rechtsanwälte ist dies gelegentlich,<br />
bei 36 % selten der Fall. Lediglich 22 % der<br />
Rechtsanwälte berichten, dass eine solche Frage von Seiten<br />
der Mandanten nie aufgebracht wird. Das Handelsblatt ist<br />
bei seiner auf Großkanzleien beschränkten Befragung zu einem<br />
ähnlichen Wert gelangt und hat ermittelt, dass rund<br />
50 % aller Mandanten der Großkanzleien Erfolgshonorare<br />
wünschen7 . Die Erfahrungen der gesamten Anwaltschaft –<br />
vom Einzelanwalt bis zur Großkanzlei – unterscheiden sich<br />
damit nicht grundlegend von jenen der „Law Firms“:<br />
Anwälte werden von Mandanten häufig oder zumindest gelegentlich<br />
auf die Möglichkeit der Vereinbarung eines Erfolgshonorars<br />
angesprochen. Allerdings gibt in der Gesamtanwaltschaft<br />
eine deutlich geringere Zahl von Anwälten<br />
einem solchen Ansinnen nach als dies in den Großkanzleien<br />
der Fall ist.<br />
Abb. 4:Wunsch des Mandanten, ein Erfolgshonorar zu vereinbaren,<br />
nach Mandatsstruktur<br />
Ein Grund hierfür ist, dass gewerbliche Mandanten, eine<br />
Klientel also, die Großkanzleien fast ausschließlich betreuen,<br />
stärker auf Erfolgshonorare drängen: 49 % dieser<br />
Mandanten äußern häufig oder gelegentlich den Wunsch,<br />
Mandate nach Erfolg abzurechnen.<br />
V. Einstellung der Anwaltschaft zu Erfolgshonoraren<br />
Es kann daher nicht verwundern, dass die Hälfte der Anwälte<br />
Veränderungsbedarf sieht. 50 % der Anwälte bejahen<br />
die Frage, ob sie bei Zulässigkeit einer solchen Absprache<br />
in geeigneten Mandaten auf Wunsch des Mandanten vereinbaren<br />
würden, dass ihre Vergütung im Misserfolgsfall nied-<br />
7 Lichter/Tödtmann, Handelsblatt vom 29. April 2005.<br />
52 AnwBl 1 / 2006<br />
Abb. 5: Bereitschaft, zulässiges Erfolgshonorar auf Wunsch<br />
des Mandanten zu vereinbaren<br />
Abb. 6: Bereitschaft, zulässiges Erfolgshonorar zu vereinbaren<br />
nach Mandatsstruktur<br />
riger und im Erfolgsfall höher sein soll als ihre gewöhnliche<br />
Vergütung.<br />
Die in der Anwaltschaft gespaltene Meinung zu Erfolgshonoraren<br />
spiegelt sich in diesen Zahlen wider, wenngleich<br />
sich nur wenig mehr als ein Drittel aller befragten Rechtsanwälte<br />
definitiv ablehnend gegenüber der Möglichkeit der<br />
Erfolgs-Basierung ihrer Vergütung äußert.<br />
Anwälte, die vor allem gewerbliche Mandanten betreuen,<br />
befürworten Erfolgshonorare deutlich häufiger als<br />
solche mit geringerem gewerblichen Mandatsaufkommen.<br />
Dies ist ein deutlicher Hinweis auf einen wachsenden Nachfragedruck,<br />
der Abrechnungssysteme dieser Art verstärkt.<br />
Fazit: Im Ergebnis kann festgestellt werden, dass die<br />
Problematik der Erfolgshonorare in der Zukunft marktgetrieben<br />
einen höheren Stellenwert erhalten wird.<br />
Vorschau: Der nächste Bericht aus dem Soldan Institut<br />
wird sich mit der Einstellung der Anwaltschaft zum Factoring<br />
anwaltlicher Vergütungsforderungen („Verrechnungsstellen“)<br />
befassen.<br />
Projektteam: Prof. Dr. Christoph Hommerich, Rechtsanwalt Dr.<br />
Matthias Kilian, Dipl.-Soz. Heike Jackmuth, Mag. rer. publ., Thomas<br />
Wolf, M.A.<br />
Ansprechpartner: Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, kilian@soldaninstitut.de.
MN Mitteilungen<br />
RVG – Frage des Monats<br />
Terminsgebühr ohne<br />
Termin<br />
Anmerkung zu BGH, Beschluss vom 27.10.05<br />
KG bejaht Terminsgebühr für Vergleich<br />
Das Kammergericht hat am 27.10.05 einen zu begrüßenden<br />
Beschluss gefasst. Der Tenor lautet: Die Mitwirkung<br />
des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines schriftlichen<br />
Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO löst eine Terminsgebühr<br />
nach Nr. 3104 Abs. 1 VV-RVG aus (AZ: 27 W<br />
65/05, veröffentlicht in diesem Heft auf S. 73). Das KG<br />
weist darauf hin, dass die Frage umstritten ist, ob bei Abschluss<br />
eines Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO für den<br />
Rechtsanwalt eine Terminsgebühr anfällt – und schließt sich<br />
erfreulicherweise derjenigen Auffassung an, die für die Mitwirkung<br />
des Anwalts am Zustandekommen eines Vergleichs<br />
in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben<br />
ist, immer auch eine Terminsgebühr zubilligt<br />
(so schon OLG Stuttgart, Beschl. v. 16.6.05 – 8 W 180/05,<br />
zitiert bei juris und Beschl. v. 8.9.05 – 8 W 415/05, AGS<br />
2005, 482). Der schriftliche Vergleich ist nach Ansicht des<br />
KG nach dem Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 die gleichwertige<br />
Alternative zur Gerichtsentscheidung. Damit werde<br />
die Intention des Gesetzgebers berücksichtigt, die Einigung<br />
in einem möglichst frühen Verfahrensstadium zu fördern<br />
und zu honorieren und damit zur Verfahrensbeschleunigung<br />
und zur Justizentlastung beizutragen. Das KG hat die<br />
Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />
BGH beendet OLG-Disput über Terminsgebühr<br />
Das wäre nicht nötig gewesen. Ebenfalls am 27.10.05<br />
entschied der BGH (III ZB 42/05, veröffentlicht in diesem<br />
Heft auf S. 71) ebenso und beendet damit einen Disput verschiedener<br />
Oberlandesgerichte, ob in der erwähnten Konstellation<br />
die Terminsgebühr anfällt oder nicht. Der BGH<br />
hebt mit dem Beschluss die Entscheidung des OLG Nürnberg<br />
vom 24.2.2005 – 2 W 208/05 (vgl. NJW-RR 2005,<br />
655; vgl. auch die ähnlich lautende Entscheidung des OLG<br />
Nürnberg, Beschl. v. 15.12.2004 – 3 W 4006/04 mit kritischer<br />
Anmerkung Henke, AnwBl 2005, 222) auf und begründet<br />
knapp und überzeugend, warum dem Anwalt eine<br />
Terminsgebühr zusteht, wenn in einem in 1. Instanz geführten<br />
Zivilprozess über den rechtshängigen Anspruch (auf<br />
Vorschlag des Gerichts) ein schriftlicher Vergleich nach §<br />
278 Abs. 6 ZPO geschlossen wird. Die Terminsgebühr entsteht<br />
also auch dann, wenn in einem Verfahren, für das<br />
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis<br />
mit den Parteien oder gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a. F.)<br />
oder gemäß § 495 a ZPO ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />
wird oder – und das ist gegenüber der Rechtslage<br />
nach § 35 BRAGO neu – in einem solchen Verfahren ein<br />
schriftlicher Vergleich geschlossen wird.<br />
Grundsätzlich und in Übereinstimmung mit der bisherigen<br />
Rechtslage soll der Prozessbevollmächtigte, der in einem<br />
Zivilprozess im Hinblick auf den Grundsatz der Mündlichkeit<br />
(§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten kann, in der<br />
mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen,<br />
keinen Gebührennachteil erleiden, wenn durch eine andere<br />
Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung ver-<br />
zichtet wird. Dies betrifft zunächst die Fälle, in denen nach<br />
§ 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien oder gemäß<br />
§ 307 Satz 2 ZPO a. F. oder bei einem 600 E nicht übersteigenden<br />
Streitwert (§ 495 a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung<br />
ohne mündliche Verhandlung entschieden werden<br />
kann. Dabei wird die Terminsgebühr erst durch den Erlass der<br />
Entscheidung ausgelöst. Der Erlass einer Entscheidung ist zur<br />
Entstehung der Terminsgebühr nicht erforderlich, wenn in einem<br />
Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben<br />
ist, ein Vergleich schriftlich geschlossen wird.<br />
Allein der Umstand, dass das Gericht nach § 278 Abs. 6<br />
Satz 2 ZPO das Zustandekommen und den Inhalt eines nach<br />
Satz 1 der Bestimmung geschlossenen Vergleichs durch Beschluss<br />
feststellt, der nach § 128 Abs. 4 ZPO ohne mündliche<br />
Verhandlung ergehen kann, ist für die Entstehung der<br />
Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung. Der<br />
BGH stützt seine Auffassung auf den Wortlaut und auf die<br />
überwiegende Meinung in der Literatur.<br />
Damit schiebt der III. Zivilsenat abweichende obiterdictum-Ausführungen<br />
anderer BGH-Senate beiseite (z. B.<br />
vom 30.3.2004, VI ZB 81/03, AnwBl 2004, 593 mit kritischer<br />
Anm. Henke und vom 30.6.2004, VI ZB 81/03 (Bestätigung<br />
auf Gegenvorstellung des Bf. vom 02.06.04), NJOZ<br />
2004, 2004, 4083, 4084), die sich mit den im vorliegenden<br />
Verfahren streiterheblichen Vorschriften nur am Rande -<br />
ohne, dass es auf sie angekommen wäre - beschäftigt haben.<br />
Ein Verfahren nach § 132 GVG vor dem Großen Senat war<br />
daher nicht erforderlich.<br />
Eine Rechtsbeschwerde in der o. g. KG-Entscheidung<br />
dürfte sich damit erledigt haben.<br />
Bleiben noch Fragen offen?<br />
Leider ja. So birgt bereits der Leitzsatz des BGH Anlass<br />
für Missverständnisse: Bestätigt wird die Entstehung einer<br />
Terminsgebühr, wenn der Vergleichsvorschlag vom Gericht<br />
ausgeht. Nach § 278 Abs. 6 1. Alt ZPO kann ein gerichtlicher<br />
Vergleich auch durch schriftlichen Vergleichsvorschlag<br />
der Parteien vor dem Gericht geschlossen werden.<br />
Deshalb ist es hilfreich, dass das KG diese Konstellation definitiv<br />
als terminsgebührauslösend bewertet hat. Der Absicht<br />
des Gesetzgebers, in jeder Verfahrenssituation zu einer<br />
einvernehmlichen Verfahrensbeendigung Anreiz zu geben,<br />
kommt die Auslegung des KG am nächsten.<br />
Eine zweite Frage: Findet die Entscheidung des BGH<br />
auch für Vergleichsabschlüsse in einem einstweiligen Verfügungsverfahren<br />
Anwendung? Dort ist keine mündliche<br />
Verhandlung vorgeschrieben. In der Begründung scheint der<br />
BGH dahin zu tendieren, dass es die Vergleichs-Terminsgebühr<br />
nur für solche Verfahren gibt, für die eine mündliche<br />
Verhandlung vorgeschrieben ist. In Verfügungsverfahren<br />
sollte daher der Anwalt vorsichtshalber vor Abschluss eines<br />
beabsichtigten Vergleichs unmittelbar mit dem Prozessbevollmächtigten<br />
bzw. dem Gegner Kontakt aufnehmen, um<br />
die Sache mit Streitbeilegungsabsicht zuvor zu besprechen.<br />
Schließlich bleibt offen, ob auch bei einem PKH-Bewilligungsverfahren<br />
die Regelung des § 278 Abs. 6 ZPO Anwendung<br />
findet. Hier steht die mündliche Erörterung mit<br />
den Parteien im Ermessen des Gerichts (vgl. Mock in einer<br />
Anm. zu dem BGH-Beschl., AGS 2005, 540, 542).<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
RVG-Fragen können DAV-Mitglieder im Internet-Forum unter<br />
www.anwaltsforum.de diskutieren. Dort haben sich bereits<br />
rund 3.100 Benutzer registrieren lassen.<br />
AnwBl 1 / 2006 53
MN Mitteilungen<br />
Anwaltsvergütung<br />
Gegenstandswertkappung<br />
auf 30 Mio. E durch § 22<br />
Abs. 2 RVG<br />
Rechtsanwalt Udo Henke, Berlin<br />
Das Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) führte erstmals<br />
eine Kappungsgrenze bei 30 Mio. E Gegenstandswert für<br />
die Anwaltsgebühren ein. Die Zahl der Mandate, die von<br />
dieser Kappungsregelung betroffen sind, dürfte zwar überschaubar<br />
sein. Für die Anwaltskanzleien, die solche lukrativen<br />
Mandate führen, ist die Kappungsgrenze aber von<br />
erheblichem Gewicht: Sie verändert die Kulisse der gesetzlichen<br />
Gebührenregelung für die Verhandlung über die<br />
Höhe des Anwaltshonorars ganz erheblich. Bei sehr hohen<br />
Streitwerten reduziert die neue Regelung die gesetzlich<br />
vorgesehenen Anwaltsgebühren auf einen Bruchteil der<br />
früheren Vergütung.<br />
Zum 1. Juli 2004 hat der Gesetzgeber im Kostenrecht<br />
erstmals eine Kappung bei den Gerichtsgebühren (§ 39<br />
Abs. 2 GKG: Streitwert höchstens 30 Mio. E) und auch bei<br />
der Anwaltsvergütung (§ 22 Abs. 2 RVG: Gegenstandswert<br />
Thema Streitwert<br />
30 Mio. E<br />
Streitwert<br />
100 Mio. E<br />
mit<br />
Kappungsgrenze<br />
höchstens 30 Mio E; bei mehreren Auftraggebern in der selben<br />
Angelegenheit 30 Mio. E pro Auftraggeberperson,<br />
max. bis 100 Mio. E) eingeführt. Die Gebührenbegrenzung<br />
wurde im Vorfeld der RVG-Gesetzgebung von Anwälten in<br />
Großkanzleien zwar misstrauisch beäugt und auch kritisiert,<br />
insgesamt in der Anwaltschaft aber bisher wohl wenig zur<br />
Kenntnis genommen – und bei RVG-Seminaren von den<br />
Teilnehmern eher belächelt.<br />
Berechnet man aber die tatsächlichen Veränderungen bei<br />
der Vergütung auf Grund der neu eingeführten Gegenstandswertkappung,<br />
so kommt man zu erstaunlichen Resultaten.<br />
Die nachfolgende Übersicht zeigt die Dimension der Differenzen<br />
auf, die einzig und allein durch die Kappung des Gegenstandwertes<br />
auf 30 Mio. E entsteht und zwar anhand<br />
von drei Fallbeispielen mit 30 Mio. E, mit 100 Mio. E und<br />
mit 500 Mio. E Gegenstandswert.<br />
Fallgestaltung: Gerichtsgebühren und Kosten für den eigenen<br />
Anwalt nach RVG in einem erstinstanzlichen Zivilprozess<br />
am Landgericht; nur ein Auftraggeber, keine<br />
außergerichtliche Mandatierung, Termin, Verhandlung, Urteil,<br />
Streitwert alternativ 30 Mio. E, 100 Mio. E und<br />
500 Mio. E, gerechnet einmal ohne Kappung nach BRAGO<br />
und alternativ mit der RVG-Kappung auf max. 30 Mio. E<br />
für die Wertberechnung aus § 22 Abs. 2 RVG und § 39<br />
Abs. 2 GKG; alle Beträge in E.<br />
Der nach RVG abrechnungsfähige Vergütungsbetrag<br />
liegt also in der genannten Fallgestaltung bei einem Gegen-<br />
Streitwert<br />
100 Mio. E<br />
ohne<br />
Kappungsgrenze<br />
Streitwert<br />
500 Mio. E<br />
mit<br />
Kappungsgrenze<br />
Streitwert<br />
500 Mio. E<br />
ohne<br />
Kappungsgrenze<br />
Gerichtsgebühren:<br />
3,0 Verfahrensgebühr aus<br />
GKG-KV Nr. 1210<br />
Anwaltsvergütung:<br />
274.368,00 274.368,00 904.368,00 274.368,00 4.504.368,00<br />
– 1,3 Verfahrensgebühr aus<br />
RVG-VV Nr. 3100<br />
118.945,00 118.945,00 391.944,80 118.945,00 1.951.944,80<br />
– 1,2 Terminsgebühr aus<br />
RVG-VV Nr. 3104<br />
109.795,00 109.795,00 361.795,20 109.795,00 1.801.792,20<br />
– Auslagenpauschale aus<br />
RVG-VV Nr. 7002<br />
20,00 20,00 20,00 20,00 20,00<br />
Zwischensumme RA-Vergütung<br />
netto<br />
228.760,00 228.760,00 753.760,00 228.760,00 3.753.760,00<br />
– USt. 16 % aus<br />
RVG-VV Nr. 7008<br />
36.601,60 36.601,60 120.601,60 36.601,60 600.601,60<br />
Zwischensumme Anwaltsgebühren<br />
brutto<br />
265.361,60 265.361,60 874.361,60 265.361,60 4.354.361,60<br />
Gesamtbetrag von Gerichtsund<br />
Anwaltsgebühren<br />
539.729,60 539.729,60 1.778.729,60 539.729,60 8.858.729,60<br />
Differenz der Kosten durch<br />
die Streitwertdeckelung:<br />
Gerichts- und<br />
Anwaltsgebühren<br />
nur Gerichtsgebühren<br />
nur Anwaltsvergütung<br />
– bei 30 Mio. E Wert 0,00 0,00 0,00<br />
– bei 100 Mio. E Wert ./. 1.239.000,00 ./. 630.000,00 ./. 609.000,00<br />
– bei 500 Mio. E Wert ./. 8.319.000,00 ./. 4.230.000,00 ./. 4.089.000,00<br />
54 AnwBl 1 / 2006
MN Mitteilungen<br />
standswert von 100 Mio. E Wert um 609.000 E niedriger,<br />
als ein ungekappter Gebührenbetrag nach der BRAGO. Die<br />
RVG-Vergütung beträgt also nur noch ca. 30 % der früheren<br />
BRAGO-Gebühren. Die extreme Reduzierung wird deutlich<br />
bei dem Fallbeispiel mit Gegenstandswert 500 Mio. E. Hier<br />
sinkt die bis zum 30.6.2004 theoretisch mögliche BRAGO-<br />
Gebühr von 4.354.361,60 E auf 265.361,60 E nach RVG<br />
und reduziert sich damit um 4.089.000 E. Die nach RVG<br />
mögliche Vergütung beträgt also nur noch ca. 6 % der nach<br />
BRAGO möglichen Vergütung bei 500 Mio. E Wert. In<br />
etwa gleicher Dimension reduziert sich auch die Höhe der<br />
Gerichtsgebühren. Haben die Bundesländer diese Konsequenz<br />
eigentlich bedacht?<br />
Im Gegenzug zur Vergütungsbegrenzung ist die für eine<br />
Haftpflichtversicherung aufzuwendende Versicherungsprämie<br />
oberhalb der Kappungsgrenze von 30 Mio. E nach<br />
RVG VV Nr. 7007 ohne weitere Vereinbarung als Auslage<br />
gegenüber dem eigenen Mandanten (und bei erfolgreichen<br />
Prozessverfahren natürlich auch im Wege der Kostenfestsetzung<br />
gegenüber der Gegenseite) erstattungsfähig (vgl. dazu<br />
den nachfolgenden Beitrag von Zimmermann ab S. 55). Versicherungsprämien<br />
für Haftpflichtabsicherungen in der Größenordnung<br />
dreistelliger Millionenbeträge sind exorbitant.<br />
Ohne eine wasserdichte Vergütungs- und Haftungsbegrenzungsvereinbarung<br />
mit dem eigenen Mandanten sind solche<br />
Aufträge mit dem RVG als Hintergrund kaum noch zu<br />
handhaben. Die Gebühren-„Kulisse“ der BRAGO machte<br />
dagegen die Honorarverhandlungen erheblich entspannter.<br />
Die hohen Gebührenbeträge der BRAGO verursachten einen<br />
erheblichen Einigungsdruck im Hinblick auf die Anwaltsgebühren<br />
und zwar zu Gunsten der Rechtsanwälte.<br />
Verfassungsbeschwerde gegen Kappungsgrenze anhängig<br />
Seit April 2005 ist eine Verfassungsbeschwerde, eingelegt<br />
durch eine große Baurechtskanzlei, beim Bundesverfassungsgericht<br />
anhängig (1 BvR 910/05). Die Verfassungsbeschwerde<br />
richtet sich direkt gegen § 22 Abs. 2 RVG und<br />
rügt die Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 12<br />
Abs. 1 GG. Die Beschwerdeführer berichten über eine Vielzahl<br />
von baurechtlichen Großprojekten mit Gegenstandswerten<br />
jenseits der 30 Mio. E, bei zwei Projekten sogar jenseits<br />
der Milliardengrenze und schildern die Konsequenzen<br />
bei Verhandlungen über die Höhe des Anwaltshonorars und<br />
die Auswirkungen von § 22 Abs. 2 RVG auf ihre Praxis.<br />
Die Erfolgsaussichten dieser Verfassungsbeschwerde sind<br />
nicht zu unterschätzen. Mit einer Entscheidung ist wohl im<br />
Laufe des Jahres 2006 zu rechnen.<br />
Udo Henke, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt, Geschäftsführer des DAV und<br />
Mitglied der Redaktion des <strong>Anwaltsblatt</strong>s.<br />
Anwaltsvergütung<br />
Kappungsgrenze<br />
im RVG: Haftpflicht- kosten<br />
als Auslage<br />
Kostentragung nach 7007 VV-RVG<br />
Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL), Frechen<br />
Mit Einführung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes<br />
(RVG) wurde ein neuer Gebührentatbestand für die Kosten<br />
einer mandatsbezogenen Haftpflichtversicherung im Einzelfall<br />
geschaffen. Im Folgenden werden die Voraussetzungen<br />
für diese gesetzliche Kostentragung (I) sowie ergänzend<br />
vertragliche Kostentragungsmöglichkeiten (II)<br />
vorgestellt. Die Frage nach den Versicherungskosten<br />
würde sich nicht stellen, wenn die Berufshaftpflichtversicherung<br />
von vornherein vermeidbar oder nur auf ein<br />
Mindestmaß reduzierbar wäre. Dem steht jedoch die<br />
Pflicht<br />
(III).<br />
zu angemessenen Versicherungsschutz entgegen<br />
I. Gesetzliche Kostentragung<br />
Ab einem Gegenstandswert von E 30 Mio. in derselben<br />
Sache partizipieren die Anwaltsgebühren nicht mehr am<br />
Gegenstandswert, § 22 Abs. 2 RVG. Diese Kappungsgrenze<br />
stellt eine Verschlechterung gegenüber der früheren Rechtslage<br />
dar, vgl. § 7 BRAGO. Die Kosten für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung<br />
steigen jedoch entsprechend<br />
der Versicherungssumme ohne Höchstgrenze. Die<br />
Degression der Anwaltsvergütung und besonders die Gebührengrenze<br />
ab einem Auftragswert von E 30 Mio. öffnen<br />
daher eine Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben.<br />
Als Ausgleich wurde ein neuer Gebührentatbestand in<br />
Nr. 7007 VV-RVG geschaffen. Demnach kann der Anwalt<br />
erheben:<br />
1. die gezahlte Prämie für die im Einzelfall abgeschlossene<br />
Haftpflichtversicherung für Vermögensschäden,<br />
2. soweit die Prämie auf Haftungsbeträge von mehr als<br />
E 30 Mio. entfällt.<br />
1. Einzelfallversicherung<br />
Zunächst bedarf es also einer Einzelfallversicherung. Im<br />
Unterschied zur allgemeinen Berufshaftpflichtversicherung,<br />
die sich auf die allgemeine Tätigkeit des Rechtsanwalts<br />
oder der Sozietät bezieht, gilt die Objektversicherung für<br />
das einzelne Mandat. Die konkreten Kosten hängen von einer<br />
individuellen Risikoanalyse ab, die der Versicherer regelmäßig<br />
anhand einer Beschreibung des zu versichernden<br />
Mandats vornimmt.<br />
Bei der Wahl der mandantenbezogenen Versicherungssumme<br />
bestehen zwei Möglichkeiten:<br />
a) als Grundversicherung<br />
Überwiegend wird die Objektversicherung unabhängig<br />
von bestehenden Versicherungen ab dem ersten Euro Versicherungssumme<br />
versichert. Das bedeutet zum Beispiel,<br />
dass ein Mandat mit einem Risiko von E 50 Mio. auch zu<br />
E 50 Mio. versichert wird.<br />
AnwBl 1 / 2006 55
MN Mitteilungen<br />
b) als Anschlussversicherung<br />
Alternativ gibt es die Möglichkeit, das Objekt im Anschluss<br />
an einen bestehenden Grundvertrag zu versichern.<br />
Besteht zum Beispiel eine allgemeine Sozietätsversicherung<br />
mit einer Versicherungssumme von E 30 Mio., kann das<br />
Mandat im Anschluss an diese Versicherung gesondert versichert<br />
werden. Bei einem mandatsbezogenen Risiko von<br />
E 50 Mio. und einer Sozietätsversicherung von E 30 Mio.<br />
bezieht sich die Einzelfallversicherung auf die fehlende Versicherungssumme<br />
von E 20 Mio. im Anschluss an E 30<br />
Mio. Zwar lässt sich über diese Möglichkeit eine gewisse<br />
Prämienersparnis erzielen, da die Grundversicherung bereits<br />
durch die Sozietät versichert ist. Auf der anderen Seite besteht<br />
bei dieser Gestaltung die Gefahr, dass die Versicherungssumme<br />
der Sozietätsversicherung aufgeweicht wird.<br />
Sie stünde bei dieser Variante für eine Vielzahl von Mandaten<br />
im Risiko, so dass ein Schadensfall in einem Mandat<br />
auch den Schutz der übrigen Mandate beeinträchtigen<br />
könnte. Um dies zu vermeiden, sollte vorsorglich auf eine<br />
ausreichende Maximierung der Jahreshöchstleistung der<br />
Grund- oder Sozietätsversicherung geachtet werden.<br />
2. Für den 30 Mio. übersteigenden Teil der Versicherungssumme<br />
Erstattungsfähig sind die Kosten für den E 30 Mio. übersteigenden<br />
Anteil der Versicherungssumme, Nr. 7007 VV-<br />
RVG. Der Gesetzestext geht zunächst von einer gesonderten<br />
Anschlussversicherung nach einer Grundversicherung von<br />
E 30 Mio. aus (vgl. 1b). Die Prämie für diese Versicherungslösung<br />
ist eindeutig bestimmbar.<br />
Können hingegen die anteiligen Kosten nicht ermittelt<br />
werden, weil die E 30 Mio. überschreitende Versicherungssumme<br />
nicht über eine gesonderte Anschlussdeckung dokumentiert<br />
wurde (wie oben zu 1 a), so ist der E 30 Mio. übersteigende<br />
Teil der Versicherungssumme im Verhältnis zu der<br />
Gesamtprämie zu setzen (Nr. 7007 Satz 2 VV-RVG). Wird<br />
zum Beispiel ein Mandat mit E 50 Mio. Versicherungssumme<br />
zu einer Prämie von E 55.000 versichert, gilt folgende Rechnung:<br />
E 55.000 dividiert durch E 50 Mio. Versicherungssumme<br />
ergibt eine anteilige Prämie von E 1.100 je E 1 Mio.<br />
Versicherungssumme multipliziert um den E 30 Mio. übersteigenden<br />
Anteil, nämlich E 20 Mio., also E 22.000.<br />
II.Vertragliche Kostentragung<br />
Wegen der Gebührendegression öffnet sich die Einnahmen-Ausgaben-Schere<br />
im Verhältnis zu den Versicherungskosten<br />
regelmäßig bereits unter der Grenze von E 30 Mio.<br />
Gegenstandswert. Daher empfiehlt sich eine vertragliche<br />
Kostentragungsregel bereits im niedrigen Summenbereich.<br />
In der Praxis stellt ein Rechtsanwalt seinen Mandant bei<br />
Mandatsübernahme vor die Wahl, entweder einer Haftungsbegrenzung<br />
gem. § 51a BRAO zuzustimmen1 , oder aber die<br />
Kosten für eine Einzelfallversicherung zu übernehmen.<br />
1 Zu den Anforderungen des § 51 a BRAO: Zimmermann, NJW 2005, 177 ff.<br />
m. w. N.<br />
2 Vgl. Borgmann//Jungk/Grams, Anwaltshaftung, 4. Aufl. München 2005, S. 302.<br />
3 Entstehungsgeschichte: BT-Drucks. 1249/92, S. 7, 8; Braun, BRAK-Mitt. 2002,<br />
150, 151.<br />
4 Braun, BRAK-Mitt. 2002, 150, 151; so auch die h.M. für Notare: Arndt/Lerch/<br />
Sandkühler, Bundesnotarordnung, § 19 a RN 4; Zimmermann, DNotZ 1982, 4,<br />
29; a. A. Stobbe in Henssler/ Prütting § 51 BRAO RN 89.<br />
56 AnwBl 1 / 2006<br />
III.Wahl der „richtigen“ Versicherungssumme<br />
1. Angemessenheit der Versicherungssumme<br />
Der Abschluss einer angemessenen Berufshaftpflichtversicherung<br />
wurde schon in der Vergangenheit standesrechtlich<br />
gefordert 2 Auch nach Einführung der Pflichtversicherung<br />
durch § 51 BRAO besteht die Verpflichtung, eine<br />
angemessene Versicherungssumme vorzuhalten. Denn § 51<br />
Abs. 1 Satz 1, 2 BRAO begründet die gesetzliche Pflicht für<br />
jeden Rechtsanwalt, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen<br />
zur Deckung der sich aus „seiner“ Berufstätigkeit<br />
ergebenden Haftpflichtgefahren für Vermögensschäden<br />
3 . Aus dem Wortlaut „seiner“ wird die Pflicht einer<br />
individuellen Risikoabsicherung geschlossen 4 . Ob die Mindestversicherungssumme<br />
angemessen und ausreichend ist,<br />
muss daher jeder Rechtsanwalt individuell entscheiden.<br />
Maßgeblich hierfür ist zum einen die Mandatsstruktur, d. h.<br />
die Art der Mandantschaft, sowie die angetragenen Gegenstandswerte.<br />
Es erscheint nachvollziehbar, dass eine international<br />
operierende Kanzlei einen höheren Versicherungsschutz<br />
benötigt als ein örtlicher Einzelanwalt.<br />
2. Risikoabwägung<br />
Die Höhe der Versicherungssumme bemisst sich im<br />
schlimmsten Fall nach der Höhe des Gegenstandswertes zuzüglich<br />
eines eventuellen Zinsschadens. Dennoch ist das Risiko<br />
eines Totalverlustes unwahrscheinlich. Ein Rechtsanwalt<br />
sollte daher eine Abwägung treffen, bis zu welcher<br />
Höhe sich ein Differenzschaden zuzüglich eines etwaigen<br />
Verzögerungsschadens realisieren kann. Daran sollte sich<br />
die Versicherungssumme orientieren.<br />
Da die Einzelfallversicherung zeit- und kostenintensiver<br />
ist als die allgemeine Sozietätsversicherung, ist zu überlegen,<br />
diese auf ein gewisses Maß anzuheben. Schon bei<br />
mehr als 2 Einzelversicherungen im Jahr kann sich eine Erhöhung<br />
der allgemeinen Sozietätsversicherung bzw. Grundversicherung<br />
auf das Niveau dieser Einzelversicherungen<br />
lohnen.<br />
IV. Zusammenfassung<br />
Der neue Auslagentatbestand nach Ziffer 7007 VV-RVG<br />
steht in direktem Zusammenhang mit der Pflicht, eine angemessene<br />
Versicherungssumme vorzuhalten. Einerseits besteht<br />
die Verpflichtung, eine hohe Versicherungssumme mit<br />
entsprechenden Kosten abzuschließen, andererseits entlastet<br />
der neue Auslagentatbestand das Anwaltsbudget ab einem<br />
Gegenstandswert von E 30 Mio.<br />
Dr. Christian Zimmermann, LL. M. (UCL),<br />
Frechen<br />
Der Autor ist Berater bei von Lauff und Bolz, Fachversicherungsmakler<br />
für rechts- und wirtschaftsberatende Berufe.
MN Mitteilungen<br />
Steuerrecht<br />
Steuerliches Gestaltungsrisiko<br />
durch Haltefristen<br />
BFH stellt sich nicht vor die Insolvenzverwalter<br />
Rechtsanwalt Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />
Haltefristen haben in der Gestaltungsberatung eine oft unterschätzte<br />
Bedeutung. Der Beitrag stellt für die Beratungspraxis<br />
wichtige Konstellationen vor und weist auf Risiken hin.<br />
Der Gesetzgeber kennt zweierlei Arten von Haltefristen.<br />
Zum Teil werden Privilegien unter der Voraussetzung gewährt,<br />
dass der begünstigte Vorgang eine gewisse Zeit aufrecht<br />
erhalten bleibt. Wird gegen die Haltefrist verstoßen,<br />
entfällt das Privileg – zum Teil rückwirkend (sog. zukunftsbezogene<br />
Fristen; Beispiel § 18 Abs. 4 UmwStG: Die Umwandlung<br />
einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft<br />
ist unter Buchwertfortführung möglich und löst keine<br />
Gewerbesteuer aus. Wird der Betrieb der Personengesellschaft<br />
innerhalb von fünf Jahren nach der Umwandlung aufgegeben<br />
oder veräußert, unterliegt ein Auflösungs- oder Veräußerungsgewinn<br />
der Gewerbesteuer).<br />
Die andere Art der Haltefrist betrifft Privilegien, die erst<br />
dann gewährt werden, wenn ein Zustand eine bestimmte<br />
Zeit bestanden hat (sog. vergangenheitsbezogene Fristen;<br />
Beispiel § 3 Nr. 40 Satz 4 EStG; § 8 b Abs. 4 Satz 2 KStG:<br />
Der Verkauf von einbringungsgeborenen Anteilen unterliegt<br />
erst dann dem Halbeinkünfteverfahren, wenn seit dem Erwerb<br />
mindestens sieben Jahre vergangen sind).<br />
Der Gesetzgeber macht es nicht leicht<br />
Die Anzahl solcher Haltefristen ist in den letzten Jahren<br />
stark gestiegen (vgl. umfassende Übersicht bei Korn/Fuhrmann,<br />
KÖSDI 2001, 12845, m. w. N.). Je weniger den Steuergesetzen<br />
einheitliche Prinzipien zugrunde liegen und Ausnahmen<br />
gewährt werden, desto mehr muss der Gesetzgeber<br />
dafür Sorge tragen, dass diese Ausnahmen nicht durch kurzfristige<br />
Gestaltungen ausgenutzt werden. Die Haltefristen<br />
werden häufig als Sondervorschriften zu § 42 AO angesehen.<br />
Leider ist hierbei keine Systematik zu erkennen. Die<br />
Fristen gehen von wenigen Monaten (z. B. drei Monate bei<br />
§ 4 Abs. 4 a EStG) bis zu zwölf Jahren (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 b,<br />
Abs. 2 Satz 2 EStG). Die Fristberechnung erfolgt nach unterschiedlichen<br />
Methoden. § 13 a EStG fordert z. B. eine<br />
taggenaue Berechnung, § 15 a UStG knüpft an den Kalendermonat,<br />
§ 6 b Abs. 3 EStG an das Wirtschaftsjahr an.<br />
Prüfung der Historie<br />
Mit der wachsenden Anzahl von Haltefristen steigt deren<br />
Bedeutung in der Gestaltungsberatung. Im Zusammenhang<br />
mit GmbH-Anteilen muss sorgsam deren Historie geprüft<br />
werden, insbesondere ob Haltefristen zu beachten<br />
sind.<br />
Beispiel (Umwandlung): Eine GmbH mit mehreren Anteilseignern<br />
soll in eine Personengesellschaft durch Formwechsel<br />
umgewandelt werden. Bei der Anwendung des<br />
§ 14 i.V. m. § 3 ff. UmwStG darf nicht allein darauf abgestellt<br />
werden, welchen Status die Anteile zum Zeitpunkt der<br />
Umwandlung haben. Gehören die Anteile an der GmbH z. B. zu<br />
einem Betriebsvermögen, ist bei der Ermittlung des Übernahmegewinns<br />
grundsätzlich der Buchwert der Anteile anzusetzen (§ 5<br />
Abs. 3 Satz 1 UmwStG). Es muss aber u. a. geprüft werden, ob<br />
die Anteile in den letzten fünf Jahren vor dem Umwandlungsstichtag<br />
in das Betriebsvermögen eingelegt worden sind. Falls dem so<br />
ist, muss von den Anschaffungskosten ausgegangen werden, wenn<br />
diese geringer als der Buchwert sind (§ 5 Abs. 3 Satz 2 UmwStG).<br />
Zudem ist zu prüfen, ob in den letzten zehn Jahren die Anteile entgeltlich<br />
übertragen wurden. Falls ja, muss ermittelt werden, ob die<br />
damalige Veräußerung steuerpflichtig war (§ 50 c Abs. 11 EStG).<br />
Falls nein, ist der Anteil sperrbetragsbehaftet. Dieser Sperrbetrag<br />
erhöht den Übernahmegewinn nach § 4 Abs. 5 UmwStG und<br />
kann zu einem steuerpflichtigen Scheingewinn führen. Diese Haltefristen<br />
ergeben sich unmittelbar aus dem UmwStG und werden<br />
in der Regel bei der Gestaltung beachtet. Es drohen aber auch Gefahren<br />
aus untypischen Bereichen. So lässt die Umwandlung nach<br />
§ 13 a Abs. 5 Satz 2 ErbStG den Freibetrag und den verminderten<br />
Wertansatz des § 13 a Abs. 2 ErbStG nachträglich entfallen, wenn<br />
seit der begünstigten Übertragung und der Umwandlung nicht<br />
mindestens fünf Jahre vergangen sind.<br />
Die Prüfung, ob Haltefristen zu beachten sind, setzt eine<br />
umfassende Sachverhaltskenntnis voraus. Bei der Veräußerung<br />
von GmbH-Anteilen ist ein Zeitraum von zehn Jahren<br />
(§ 50 c EStG) von Relevanz. Auch einem Berater, der die<br />
beteiligten Personen über den gesamten Zeitraum betreut<br />
hat, dürfte es schwer fallen, eine umfassende Prüfung vorzunehmen.<br />
Besondere Schwierigkeiten treffen den Berater,<br />
der noch nicht so lange tätig ist. Er muss sich alle erforderlichen<br />
Informationen zusammensuchen. Diese Verpflichtung<br />
ist haftungsrelevant.<br />
Ausweg Vertragsgestaltung?<br />
Lässt sich der Sachverhalt nicht restlos aufklären, bleibt<br />
ein Restrisiko bestehen, dass ungewollt gegen Haltefristen<br />
verstoßen wird. Aus Beratersicht ist wichtig, auf dieses Risiko<br />
hinzuweisen. Im Rahmen der Vertragsgestaltung gibt<br />
es kaum Möglichkeiten, die möglichen Steuerfolgen der<br />
Verletzung der Haltefristen zu vermeiden. Insbesondere im<br />
Ertrag- und Umwandlungssteuerrecht gibt es keine dem<br />
§ 29 ErbStG vergleichbare Regelung, wonach die Rückabwicklung<br />
des Rechtsgeschäfts die einmal bewirkte Besteuerung<br />
erlöschen lässt. Nur in Ausnahmefällen wird man<br />
in die Verträge eine Steuerklausel einbauen können, wonach<br />
die Besteuerung durch den Verstoß gegen Haltefristen zwischen<br />
den Parteien auszugleichen ist. Schlussendlich muss<br />
der Mandant die Entscheidung treffen, ob die Gestaltung<br />
trotz des verbleibenden Restrisikos durchgeführt werden<br />
soll.<br />
Sinnvolle Absicherungen sind hingegen bei der ursprünglich<br />
privilegierten Gestaltung möglich, die die Haltefristen<br />
auslöst. Hier können zwischen den Beteiligten Vereinbarungen<br />
getroffen werden, wer die Nachteile zu tragen<br />
hat, wenn gegen die Haltefristen verstoßen wird. Notwendig<br />
sind solche Steuerklauseln, wenn der Nachteil des Verstoßes<br />
nicht den trifft, der die schädliche Handlung durchführt.<br />
Beispiel (Umwandlung mit ungeplantem späteren Verkauf):<br />
A ist zu 10 % an der A-GmbH beteiligt. Die restlichen<br />
Anteile teilen sich B, C und D zu je 30 %. Die<br />
A-GmbH wird zum 1.1.2005 nach dem § 14 i.V. m. § 3 ff.<br />
UmwStG unter Buchwertfortführung in eine GmbH & Co.<br />
KG formgewechselt. Nach § 18 Abs. 1 UmwStG fällt keine<br />
Gewerbesteuer an. Zum 30.10.2005 verkauft A seine An-<br />
AnwBl 1 / 2006 57
MN Mitteilungen<br />
teile an der GmbH & Co. KG vollständig an D. Der Veräußerungsgewinn<br />
beträgt E 500.000,–. Dieser Gewinn löst<br />
nach § 18 Abs. 4 UmwStG bei der GmbH & Co. KG Gewerbesteuer<br />
aus. Belastet sind damit alle Gesellschafter im<br />
Rahmen des Gewinnverteilungsschlüssels, der zum Zeitpunkt<br />
des Ausscheidens gilt. Die h.M. gibt den nicht veräußernden<br />
Gesellschaftern nicht das Recht, eine abweichende<br />
Gewinnverteilung zu verlangen (vgl. Widmann, in<br />
Widmann/Mayer, UmwStG, § 18 Tz. 238 (Juni 2000)).<br />
Eine entsprechende Steuerklausel kann jedoch in den Umwandlungsbeschluss<br />
oder Gesellschaftsvertrag aufgenommen<br />
werden.<br />
Besteuerungsrisiko trotz Haltefrist?<br />
Da die Haltefristen zum Teil damit begründet werden, einen<br />
Gestaltungsmissbrauch zu vermeiden, ist vor dem Hintergrund<br />
der Gesamtplanrechtsprechung des BFH (vgl. dazu aus<br />
der umfangreichen Literatur Söffing, BB 2004, 2777; Spindler,<br />
DStR 2005, 1) fraglich geworden, ob trotz der Beachtung<br />
der gesetzlichen Fristen ein Besteuerungsrisiko besteht.<br />
Beispiel (Umwandlung, um anschließend zu verkaufen):<br />
Die A-GmbH ist alleiniger Kommanditist der B-GmbH<br />
& Co. KG sowie Alleingesellschafter der Komplementär-<br />
GmbH. Die B-GmbH & Co. KG soll verkauft werden. Um<br />
den Veräußerungsgewinn möglichst steuerfrei vereinnahmen<br />
zu können, wird die B-GmbH & Co. KG nach § 20 UmwStG<br />
unter Buchwertfortführung in eine GmbH formgewechselt.<br />
Nach Ablauf der siebenjährigen Haltefrist wird verkauft.<br />
Meines Erachtens ist die Gesamtplanrechtsprechung<br />
nicht einschlägig. Der Gesetzgeber hat durch die Fristen<br />
vorgegeben, welche Zeiträume er als problematisch ansieht.<br />
Es liegt keine kurzfristige, untypische Gestaltung vor. Vielmehr<br />
wird eine dauerhafte neue Struktur geschaffen. Es<br />
werden über einen längeren Zeitraum nicht nur die Vorteile<br />
der Körperschaftsbesteuerung, sondern auch deren Nachteile<br />
übernommen (z. B. § 8 a KStG, verdeckte Gewinnausschüttung).<br />
In der Regel wird es andere – außer steuerliche<br />
– Gründe für die Umgestaltung geben. Dennoch sollte man<br />
in den Arbeitspapieren den unzutreffenden Eindruck vermeiden,<br />
man wandele nur wegen der weitgehenden Steuerfreiheit<br />
des Veräußerungsgewinns um.<br />
Auch wenn die Haltefristen häufig damit begründet werden,<br />
Missbrauchsfälle zu vermeiden, sind die individuellen<br />
Gründe für das „schädliche“ Verhalten in der Regel für die<br />
Besteuerung nach der herrschenden Meinung irrelevant.<br />
Auch durch äußeren Zwang verursachtes schädliches Verhalten<br />
ruft die gesetzlichen Steuernachteile hervor.<br />
Beispiel (erzwungenes Spekulationsgeschäft): Wird ein<br />
Anteil an einer GmbH in Höhe von 0,9 % des Stammkapitals<br />
am 1.1.2005 erworben, löst nicht nur der Verkauf des<br />
Anteils bis zum 31.12.2005 die Spekulationssteuer nach<br />
§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG aus. Gleichgestellt sind (vgl.<br />
Weber-Grellet, in Schmidt, EStG, 24. Aufl., 2005, § 23<br />
Rz. 55, m. w. N.) die Enteignung gegen Entschädigung, die<br />
Einziehung der Anteile, die Zwangsversteigerung, die<br />
Pfandverwertung, die Veräußerung wegen Krankheit, Zahlungsunfähigkeit,<br />
Trennung vom Ehegatten, Versetzung, etc.<br />
Nur vereinzelt wird die Ansicht vertreten, eine Veräußerung<br />
unter Zwang sei unschädlich (z. B. Jülicher, in Troll/Gebel/<br />
Jülicher, ErbStG, § 13 a Rz. 267, 271 [März 2004], der die<br />
Besteuerung bei einer erzwungenen Veräußerung oder Betriebsaufgabe<br />
auf das noch vorhandene Vermögen beschränken<br />
will).<br />
58 AnwBl 1 / 2006<br />
Die Risiken für Insolvenzverwalter<br />
Es gibt kein allgemeines Sanierungs- oder Insolvenzprivileg<br />
(wie z. B. in § 75 AO). Auch die vom Insolvenzverwalter<br />
veranlasste Veräußerung kann ein Spekulationsgeschäft<br />
i. S. d. § 23 EStG sein. Es wird lediglich diskutiert,<br />
ob die dadurch verursachte Einkommensteuer einheitlich<br />
Masseverbindlichkeit i. S. v. § 55 InsO ist, ob zumindest insoweit<br />
eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO besteht und<br />
wie stille Reserven verwirklicht werden, die vor der Insolvenzeröffnung<br />
entstanden sind (vgl. dazu Frotscher, Besteuerung<br />
bei Insolvenz, 5. Aufl., 2000, 120 ff., m. w. N.).<br />
Vor diesem Hintergrund schien sich Mitte 2004 eine bedeutsame<br />
Rechtsprechungsänderung in diesem Bereich abzuzeichnen.<br />
In einem Aussetzungsverfahren hielt es der<br />
BFH für ernstlich zweifelhaft, ob die Steuervergünstigung<br />
des § 13 a ErbStG für den Erwerb eines Anteils an einer<br />
KG nachträglich gemäß § 13 a Abs. 5 Nr. 1 ErbStG wieder<br />
entfällt, wenn der Anteil dadurch untergeht, dass über das<br />
Vermögen der KG das Konkursverfahren eröffnet wird und<br />
der Konkursverwalter den Gewerbebetrieb der KG aufgibt<br />
(II B 32/04 vom 7.7.2004, BStBl. 2004 II, 747). Die durch<br />
diese Entscheidung verursachten Hoffnungen hat der BFH<br />
in seinem Urteil vom 15.2.2005 (II R 39/03, BStBl. 2005 II,<br />
571) wieder zunichte gemacht. Danach tritt der Wegfall der<br />
Steuerbefreiung nach § 13 Abs. 2 a ErbStG a. F. unabhängig<br />
davon ein, aus welchen Gründen das begünstigt erworbene<br />
Betriebsvermögen veräußert oder der Betrieb aufgegeben<br />
wurde; eine teleologische Reduktion des Nachbesteuerungstatbestands<br />
komme nicht in Betracht. Die im Beschluss vom<br />
7.7.2004 (BFH II B 32/04, aaO, 747) vertretene Auffassung<br />
werde nicht mehr aufrecht erhalten. Es bleibt damit bei der<br />
bisherigen herrschenden Meinung. Diese stellt den Sanierer<br />
bzw. den Insolvenzverwalter vor eine schwierige Abwägung,<br />
wenn es um die Einstelllung eines Unternehmens<br />
geht. Auch dadurch kann gegen eine Vielzahl von Haltefristen<br />
verstoßen werden. Folge ist die Nachbesteuerung.<br />
Diese Nachbesteuerung ist für den Verwalter solange<br />
ohne Bedeutung, wie die Insolvenzmasse nicht betroffen<br />
ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Steuer sich nicht gegen<br />
den Schuldner, sondern gegen einen Dritten richtet (z. B. die<br />
Erbschaftsteuer bei B im obigen Beispielsfall) oder als Insolvenzforderung<br />
zu qualifizieren ist. Da die Nachbesteuerung<br />
durch ein Handeln des Verwalters bedingt ist, kann<br />
aber auch eine Qualifizierung der Steuern als Masseverbindlichkeit<br />
nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in Betracht kommen<br />
(z. B. bei der Gewerbesteuer nach § 18 Abs. 4 UmwStG).<br />
Hier muss der Verwalter dafür Sorge tragen, dass die Finanzverwaltung<br />
aus der Insolvenzmasse vollständig befriedigt<br />
wird. Ansonsten droht eine persönliche Schadensersatzpflicht<br />
nach § 61 InsO. Die steuerlichen Haltefristen<br />
müssen daher bei der Entscheidung, ob ein Unternehmen<br />
fortgeführt oder eingestellt wird, berücksichtigt werden.<br />
Dr. Klaus Olbing, Berlin<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für<br />
Steuerrecht. Er ist Partner der Sozietät Streck Mack<br />
Schwedhelm, Köln/Berlin/München.
MNBücherschau<br />
Anwaltsrecht im Ausland<br />
Rechtsanwalt Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
I. Schweizerisches Anwaltsrecht<br />
1. Aufgrund der extrem föderalen Struktur der Eidgenossenschaft<br />
hat es lange an einem gesamtschweizerischen Anwaltsrecht<br />
gemangelt. Das 2002 in Kraft getretene Bundesgesetz<br />
über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte<br />
(BGFA) hat hier in gewissem Umfang Abhilfe geschaffen,<br />
hat es neben der Herstellung der interkantonalen Freizügigkeit<br />
durch die Schaffung kantonaler Anwaltsregister doch<br />
auch Berufsregeln und Disziplinarrecht partiell vereinheitlicht.<br />
Allerdings bleiben die Kantone zuständig, Vorschriften<br />
über den Anwaltsberuf zu erlassen, soweit der Bund seine<br />
Kompetenzen nicht ausgeschöpft hat. In dieser neuen Gemengelage<br />
ist es hilfreich, dass vor kurzem der – nach<br />
Kenntnis des Verfassers – erste schweizerische Kommentar<br />
zum Anwaltsrecht überhaupt erschienen ist. Fellmann und<br />
Zindel als Herausgeber haben gemeinsam mit acht weiteren<br />
Co-Autoren den gut 400seitigen „Kommentar zum Anwaltsgesetz“<br />
1 vorgelegt, um in dem nunmehr entstandenen<br />
Nebeneinander von eidgenössischem Rahmengesetz, 26 kantonalen<br />
Erlassen, Standesregeln der kantonalen Anwaltsverbände<br />
und den Richtlinien für Berufs- und Standesregeln des<br />
Schweizerischen Anwaltsverbandes erste Handreichungen<br />
zur Interpretation zu geben. Das BGFA behandelt drei Komplexe:<br />
Die interkantonale Freizügigkeit, das Berufs- und<br />
Disziplinarrecht sowie die Tätigkeit von EU- und EFTA-Anwälten<br />
in der Schweiz. Diese drei Materien werden von den<br />
Kommentatoren kenntnisreich dargestellt. Herzstück des<br />
Kommentars ist in gewissem Sinne die mehr als 100seitige<br />
Kommentierung des Art. 12 BGFA, der in den Buchstaben<br />
a)–j) die grundlegenden, nunmehr in der gesamten Schweiz<br />
geltenden Berufsregeln der Anwaltschaft statuiert. Diese Berufsregeln<br />
wurden erst spät in der Erkenntnis in das Gesetz<br />
aufgenommen, dass eine grenzüberschreitende und interkantonale<br />
Freizügigkeit ohne eine solche Harmonisierung praktisch<br />
unmöglich wäre. Auf die vielen in der Kommentierung<br />
angesprochenen Einzelaspekte kann hier naturgemäß nicht<br />
eingegangen werden. Ein wesentliches Verdienst der Kommentierung<br />
ist aber, dass die häufig unveröffentlichten Entscheidungen<br />
des Bundesgerichts und der Aufsichtskommissionen<br />
zum Berufsrecht durch den Kommentar zumindest<br />
über eine Sekundärquelle zugänglich werden. Aus deutscher<br />
Sicht ist belebend, dass die einheimische Berufsrechtsdiskussion<br />
durch Kommentare wie das besprochene<br />
Werk Anstöße auch aus Sicht eng verwandter Rechtsordnungen<br />
erhält: So vertritt Dreyer zu dem bei Art. 25 BGFA erörterten<br />
Problem der kollidierenden Berufsrechte bei grenzüberschreitender<br />
Tätigkeit die Auffassung, dass der<br />
Rechtsanwalt in der Schweiz das jeweils strengere Berufsrecht<br />
beachten muss. Fellmann mahnt mit Blick auf die berufsrechtliche<br />
Generalklausel des Art. 12 lit a) BGFA eine<br />
zurückhaltende Anwendung von Generalklauseln im Berufsrecht<br />
der freien Berufe an. Immer wieder enthält auch die<br />
nachgewiesene Rspr. Denkanstöße, wenn etwa über einen<br />
Entscheid der Zürcher Aufsichtskommission berichtet wird,<br />
nach dem die Regeln zum Interessenkonflikt nicht nur sozietätsweit,<br />
sondern sogar in einer anwaltlichen EWIV gelten<br />
sollen. Erfreulich, dass es nun ein Kompendium zum<br />
schweizerischen Anwaltsrecht gibt.<br />
2. Die zweite anzuzeigende Neuerscheinung aus der<br />
Schweiz hat einen gänzlich anderen Zuschnitt: Das von<br />
Bruno Glaus und Karl Lüönd herausgegebene Werk „Läufer,<br />
Mietmaul, König: Anwälte an der Schnittstelle von<br />
Recht und Macht“ 2 stellt 17 bekannte Schweizer Anwaltspersönlichkeiten<br />
vor. Dies geschieht nicht im Stile<br />
nüchterner Biographien, sondern durch das Stilmittel der<br />
biografischen Reportage. Ausgewählt worden sind Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte, die in der Schweiz bei den<br />
unterschiedlichsten Gelegenheiten durch ihr berufliches<br />
Wirken Aufsehen erregt, zum Teil auch Verwunderung oder<br />
Widerspruch herausgefordert haben. Porträtiert wird etwa<br />
der Wirtschaftsanwalt Eugen Auer, in dessen florierender<br />
Sozietät alle Anwälte im Stile einer Genossenschaft einen<br />
Einheitslohn erhalten, der „Tierrechtler“ Antoine Goetschel,<br />
für den die ihm in jungen Jahren gestellte Fleißaufgabe der<br />
Durchforstung des Bundesrechts auf tierschutzrechtliche<br />
Bestimmungen zu einer Berufung wurde, die Zürcher Strafverteidigerin<br />
Barbara Hug, die politisch engagierte Strafverteidigung<br />
betreibt, oder der aus gutbürgerlichen Verhältnissen<br />
stammende Valentin Landsmann, der eine fast<br />
fertiggestellte Habilitation in den Reißwolf steckte, um sich<br />
fürderhin als „Milieuanwalt“ der Verteidigung etwa von<br />
Mitgliedern der Hell’s Angels, von Junkies oder Bordellbetreibern<br />
zu widmen. Ein Wesenselement der Anwaltstätigkeit<br />
beschäftigt die Autoren ersichtlich besonders stark,<br />
die Grenzziehung zwischen angemessenem Einsatz für den<br />
Mandanten und falsch verstandener Identifikation mit diesem.<br />
Ein weiterer Interessenschwerpunkt: Der berufliche<br />
Rollenwechsel des Anwalts vom Vertreter und Berater in<br />
eine neue Funktion als politischer oder wirtschaftlicher Akteur.<br />
Lesenswert ist das gleichsam die Klammer um die Einzelbeiträge<br />
legende Essay des Publizisten und Philosophen<br />
Ludwig Hasler mit dem Titel „Sind Anwälte zu allem fähig?“.<br />
Es wirft anfänglich die provozierende Frage auf, ob<br />
der Titel Rechtsanwalt nur noch ein Kunstbegriff sei, weil<br />
die Anwaltschaft mittlerweile nur noch ein „ausfransendes<br />
Patchwork von Separatrechtshändlern“ sei. Hasler vergleicht<br />
diese Spezialisierung mit der Ärzteschaft, bei welcher<br />
der Trend zur Spezialisierung Ärzte zu Mechanikern<br />
spezieller Körperfunktionen „versimpelt“ habe, die den<br />
„Menschen“ als Ganzen aus dem Auge verloren hätten. In<br />
die gleiche Richtung zielt seine Frage, ob Rechtsanwälte als<br />
normative Elite, als Funktionselite handeln – oder als bloße<br />
Lakaien von Sonderinteressen. Auch die Worte Haslers zur<br />
Kommerzialisierung der Rechtsberatung sind deutlich: Wer<br />
Rechtsanwalt, Freiberufler sein wolle, so Hasler, dürfe nicht<br />
als „Hofschranze neofeudaler Machtzentren“ erscheinen.<br />
Ähnlich provokant seine Überlegungen zur Motivation, den<br />
Anwaltsberuf zu ergreifen – der möglicherweise ein Ersatzberuf<br />
für Leute sei, die ihren Beruf verfehlt haben, ein –<br />
dank der primär auf Bewahrung gerichteten Rechtspflege –<br />
„Retro-Beruf“, gar ein Beruf, den vor allem Personen ergreifen,<br />
die unter einem dominanten Vater aufwachsen? Das<br />
empfehlenswerte Buch ist ein faszinierendes Zeugnis der<br />
Vielschichtigkeit des Anwaltsberufs, exemplifiziert am Beispiel<br />
der Schweiz.<br />
1 Walter Fellmann u. a. (Hrsg.), Kommentar zum Anwaltsgesetz. Bundesgesetz<br />
über die Freizügigkeit der Anwältinnen und Anwälte (Anwaltsgesetz, BGFA),<br />
Schulthess, Zürich 2005, 465 S., ISBN 3-7255-4857-9, 123,– EUR<br />
2 Bruno Glaus/Karl Lüönd (Hrsg.)., Läufer, Mietmaul, König: Anwälte an der<br />
Schnittstelle von Recht und Macht, Orell Füssli, Zürich 2005, 304 S., ISBN<br />
3-280-06056-7, 32,80 EUR<br />
AnwBl 1 / 2006 59
MN Bücherschau<br />
II. Österreichisches Anwaltsrecht<br />
1. Das Standardkompendium zum Anwaltsrecht in Österreich<br />
ist der „Schuppich/Tades“, der zuletzt 2002 erschienen<br />
ist. In der Neuauflage des Jahres 2005 hat Helmut Tades für<br />
das Werk „Rechtsanwaltsordnung“ 3 Unterstützung von<br />
Klaus Hoffmann erhalten, langjähriger Präsident des<br />
ÖRAK. Das Buch „firmiert“ nunmehr als „Tades/Hoffmann“.<br />
Es ist als sog. „erläuterte Textausgabe“ weiterhin<br />
eine Mischung aus Gesetzessammlung und Kurzkommentar.<br />
Die Sammlung geht inhaltlich allerdings weit über die<br />
Rechtsanwaltsordnung hinaus – enthalten sind sämtliche Gesetze,<br />
Verordnungen, Stauten und Richtlinien, welche die<br />
Berufstätigkeit des in Österreich tätigen Rechtsanwalts regulieren.<br />
Die Kommentierung konzentriert sich auf die RAO,<br />
die dem Titel entsprechend das Herzstück des Werkes bildet,<br />
und das Disziplinarstatut. Anlass der Neuauflage waren die<br />
zahlreichen Gesetzgebungsaktivitäten mit anwaltsrechtlichem<br />
Bezug, die seit 2002 in Österreich zu verzeichnen<br />
waren, so etwa das Bundesgesetz zur Umsetzung der EG-<br />
Geldwäsche-Richtlinie, die Neukonstruktion des anwaltlichen<br />
Versorgungswesens, Änderungen des Rechtsanwaltstarifgesetzes,<br />
des Disziplinarstatuts, des Bundesgesetzes<br />
über den freien Dienstleistungsverkehr und die Niederlassung<br />
von ausländischen Rechtsanwälten in Österreich.<br />
2. Erstmals im Jahr 1998 erschienen ist der Kommentar<br />
„Anwaltsrecht“ 4 von Erich Feil und Fritz Wennig. Wie<br />
wohlwollend der Markt die erste umfangreichere Kommentierung<br />
des österreichischen Anwaltsrechts seit den 1950<br />
letztmalig erschienenen Lohsing’schen Kommentaren aufgenommen<br />
hat, belegt die Tatsache, dass das Werk im Jahr<br />
2004 bereits in dritter Auflage vorgelegt worden ist und seinen<br />
Umfang seit der Erstauflage auf rund 950 Seiten fast verdoppelt<br />
hat. Der Zuwachs erklärt sich nicht nur aus der Fülle<br />
an neu zu kommentierenden Normen – der österreichische<br />
Gesetzgeber war in den zurückliegenden Jahren im Bereich<br />
des Anwaltsrechts überaus aktiv –, sondern auch aus dem<br />
Anliegen der Autoren, den Nachweisapparat umfassend um<br />
unveröffentlichte Entscheidungen der Obergerichte zu ergänzen.<br />
Die RAO, die sich anders als die deutsche BRAO<br />
auf die Regelung des Berufszugangs, der Rechte und Pflichten<br />
des Anwalts und des Kammerwesens beschränkt, wird<br />
ebenso wie das Disziplinarstatut, das in fast 70 Paragraphen<br />
Organisation und Verfahren der Berufsgerichtsbarkeit regelt,<br />
auf jeweils annähernd 300 Seiten kommentiert. Weiterer<br />
Schwerpunkt der Erläuterungen sind das Rechtsanwaltstarifgesetz<br />
und die Tarifpost, die vom Regelungsgehalt dem deutschen<br />
RVG entsprechen (120 Seiten). Die Erläuterung des<br />
EuRAG sowie einiger weiterer Normen (etwa zur Ausbildung)<br />
beschränkt sich zumeist auf den Abdruck des Gesetzeswortlauts,<br />
bisweilen angereichert um die Gesetzesbegründung.<br />
Eine Besonderheit, die das Werk sinnvoll abrundet, ist<br />
eine 70seitige lehrbuchartige Darstellung der Anwaltshaftung<br />
nach österreichischem Zivilrecht. Mit diesen Inhalten<br />
sollten keine Fragen zum österreichischen Anwaltsrecht of-<br />
3 Helmut Tades/Klaus Hoffmann, Rechtsanwaltsordnung, Manz’sche Verlagsbuchhandlung,<br />
Wien, 8. Auflage, Wien 2005, 410 S., ISBN 3-214-07767-8, 89,–<br />
EUR.<br />
4 Erich Feil/Fritz Wennig (Hrsg.), Anwaltsrecht: Rechtsanwaltsordnung, Rechtsanwaltstarifgesetz,<br />
Disziplinarstatut: Alle relevanten Gesetze, Verordnungen<br />
und EU-Richtlinien, Linde Verlag, 3. Auflage, Wien 2004, 944 S., ISBN<br />
3-7073-0539-2, 129,– EUR.<br />
5 Werner Thurner, Treuhand- und Fremdgeldverwaltung: unter besonderer Berücksichtigung<br />
der standesrechtlichen Verpflichtungen für RechtsanwältInnen,<br />
NWV-Verlag, Graz 2004, 101 S., ISBN 3-7041-0323-3, 19,80 EUR.<br />
60 AnwBl 1 / 2006<br />
fen bleiben müssen, so dass das Anwaltsrecht von Feil/Wennig<br />
wärmstens empfohlen werden kann.<br />
3. Angezeigt sei schließlich das monothematische Bändchen<br />
„Treuhand- und Fremdgeldverwaltung“ 5 von Werner<br />
Thurner, das auch deshalb erwähnt werden soll, weil es Teil<br />
einer interessanten Reihe ist, die es in vergleichbarer Form<br />
in Deutschland nicht gibt: Die „Arbeitsmaterialien zur<br />
Kanzleiorganisation“ sollen Anwälte und Kanzleimitarbeitern<br />
in knapper Form in die Lage versetzen, berufsrechtliche<br />
Anforderungen an die Kanzleiorganisation mit betriebwirtschaftlichen<br />
Erfordernissen abzugleichen. In dem zuletzt erschienenen,<br />
achten Band der Reihe geht es um die Fremdgeldverwaltung.<br />
Nach einer allgemeinen Erörterung der<br />
Vorgaben für die Übernahme von Treuhandschaft und die<br />
Vereinnahmung von Fremdgeldern werden die aus kompetenzrechtlichen<br />
Gründen in den Bundesländern unterschiedlich<br />
und zum Teil stark voneinander abweichenden<br />
Statuten der jeweiligen Anwaltskammer abgedruckt.<br />
III. Russisches Anwaltsrecht<br />
Russland ist für den deutschen Beobachter bislang anwaltsrechtlich<br />
die sprichwörtliche terra incognita, was auch<br />
darin begründet ist, dass es nach dem Ende der Sowjetunion<br />
1991 bis zum 1.7.2002 dauerte, bevor ein russisches Anwaltsgesetz<br />
verabschiedet wurde (das erstmals auch Regelungen<br />
zur Tätigkeit ausländischer Anwälte in Russland mit<br />
sich bringt). Jan Karraß und Rainer Wedde, beide als<br />
Rechtsanwalt in Moskau tätig, führen in ihrem Werk „Das<br />
Berufsrecht der Anwälte in der Russischen Föderation“ 5<br />
in diese Materie in einer rund 30seitigen Darstellung ein,<br />
die einen kurzen geschichtlichen Abriss die allgemeinen<br />
Bestimmungen zur Anwaltstätigkeit darstellt, Rechte und<br />
Pflichten des Anwalts, das Zulassungsverfahren, die Organisation<br />
der Anwaltschaft und das recht umfassende Sonderprivatrecht<br />
der Anwaltschaft erörtert. In dieser einleitenden<br />
Darstellung sparen die Verfasser nicht mit kritischen Anmerkungen,<br />
etwa zum fehlenden Rechtsdienstleistungsmonopol<br />
der Anwaltschaft oder zur Intensität der staatlichen<br />
Kontrollmöglichkeiten. Hilfreich ist, dass die<br />
Verfasser zu Fragen, die sich nicht unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut<br />
beantworten, Hinweise auf weiterführende<br />
russische Literatur geben, die zum Anwaltsrecht in überraschender<br />
Zahl zu existieren scheint. Der Einleitung schließen<br />
sich auf weiteren 100 Seiten Übersetzungen des Anwaltsgesetzes,<br />
der Satzung der föderalen Anwaltskammer<br />
sowie der von dieser gemäß entsprechender Ermächtigung<br />
verabschiedete Kodex der anwaltlichen Standesregeln an.<br />
2004 durch den Gesetzgeber vorgenommene Änderungen<br />
sind in einer dem Buch beigegebenen Beilage dokumentiert.<br />
Vorschau: Die nächste Bücherschau befasst sich mit<br />
Neuerscheinungen zur Anwaltshaftung.<br />
Dr. Matthias Kilian, Köln<br />
Der Autor ist Rechtsanwalt und Vorstand des<br />
Soldan-Instituts für Anwaltsmanagement e.V. (Essen).<br />
Er ist erreichbar per E-Mail: kilian@anwaltsrecht.org.
MNHaftpflichtfragen<br />
Prozesskosten als<br />
Haftungsquelle<br />
Unterschiedliche Pflichten des Anwalts<br />
Assessorin Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG,<br />
München<br />
Die Kosten eines Prozesses sind für die meisten Mandanten<br />
in Zeiten knapper Kassen ein zentrales Thema. Neben Prozesskostenhilfe<br />
(PKH) und Rechtschutzversicherern sind<br />
seit bald acht Jahren Prozesskostenfinanzierer auf dem<br />
Markt (vgl. hierzu auch Bräuer, Rechtsanwalt und Prozessfinanzierer,<br />
AnwBl 2001, 112). Der durchschnittlich informierte<br />
Anwalt weiß wohl um die Existenz dieser Finanzierungsmöglichkeit.<br />
Wer für einen Mandanten schon einmal<br />
um eine Prozessfinanzierung nachgesucht hat, wird möglicherweise<br />
erfahren haben, welch hohe Anforderungen seitens<br />
der Prozesskostenfinanzierer gestellt werden. Nicht<br />
ohne Grund natürlich. Auch PKH und Rechtsschutzdeckung<br />
werden nur unter bestimmten Voraussetzungen gewährt,<br />
wobei allerdings die Maßstäbe jeweils unterschiedlich sind.<br />
Nicht jeder Prozess verläuft so, wie man sich das vorgestellt<br />
hatte. Im Fall des Misserfolges hat der Anwalt mit<br />
unterschiedlichen Konsequenzen zu rechnen, je nachdem,<br />
wie bzw. durch wen der Prozess finanziert worden war.<br />
Auch dies soll im folgenden näher dargestellt werden.<br />
1. Beratung über zu erwartende Prozesskosten<br />
Die Pflichten des Anwalts sind unterschiedlich, wenn es<br />
darum geht, dem Mandanten Finanzierungsmöglichkeiten<br />
für einen (Aktiv-)Prozess aufzuzeigen. Grundsätzlich darf<br />
der Anwalt davon ausgehen, dass der Mandant weiß, dass<br />
es etwas kostet, einen Prozess zu führen. Spricht der Mandant<br />
von sich aus die Höhe der zu erwartenden Prozesskosten<br />
nicht an, braucht es der Anwalt auch nicht zu tun (BGH<br />
NJW 1998, 136 f; BGH NJW 1998, 3486 f; Sieg in Zugehör<br />
Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 677). Er darf dann<br />
grundsätzlich annehmen, dass die Höhe der zu erwartenden<br />
Kosten für den Mandanten keine entscheidende Rolle spielt<br />
und dass der Mandant sich um die Aufbringung der Finanzmittel<br />
selbst kümmern wird. Fragt der Mandant gezielt nach<br />
den voraussichtlichen Kosten, hat der Anwalt sie ihm so gut<br />
als möglich darzulegen (BGH aaO). Schließlich soll der<br />
Mandant dadurch in die Lage versetzt werden, sich zu entscheiden,<br />
ob er angesichts des Kostenrisikos den Prozess<br />
überhaupt führen will.<br />
2. Kostenaufbringung ist Sache des Mandanten<br />
Der Mandant muss sich überlegen, ob und wie er die<br />
Kosten aufbringen kann, egal ob er den Anwalt explizit<br />
nach den zu erwartenden Kosten gefragt hat oder nicht. In<br />
der Regel wird sich der Mandant zunächst nur darüber Gedanken<br />
machen, wie er die Gerichtskosten und den Vorschuss<br />
für den eigenen Anwalt aufbringt, da er von einem<br />
Obsiegen ausgehen und damit auf eine Kostenerstattung<br />
durch die Gegenseite hoffen wird. Wünscht der Mandant<br />
eine Auskunft über die voraussichtlichen Kosten und spricht<br />
er nach Erhalt der Kosteneinschätzung den Anwalt nicht auf<br />
Finanzierungsprobleme an, hat die Kostenseite für den Anwalt<br />
damit grundsätzlich ihr Bewenden. Er braucht sich<br />
keine Gedanken darüber zu machen, ob der Mandant eine<br />
Rechtschutzversicherung hat oder ob dieser PKH beantragen<br />
könnte (Sieg aaO Rn. 687) oder ob vielleicht sogar ein<br />
Prozesskostenfinanzierer einzuschalten wäre.<br />
3. Beratungsbedarf hinsichtlich Finanzierung<br />
a) Beratungspflichten des Anwalts<br />
Äußert der Mandant finanzielle Probleme, hat der Anwalt<br />
ihn über die grundsätzliche Möglichkeit und die Voraussetzungen<br />
eines PKH-Antrags zu informieren. Beratungspflichten<br />
in Richtung PKH kann es auch dann für den<br />
Anwalt geben, wenn er aufgrund des Mandats selbst (z.B.<br />
Unterhalt) Einblick in die finanziellen Verhältnisse des<br />
Mandanten bekommt (OLG Köln NJW 1986, 725 f; OLG<br />
Koblenz VersR 1990, 309). Vielleicht kommt PKH für den<br />
Mandanten aber dennoch nicht in Betracht. Der Anwalt hat<br />
dann nicht etwa von sich aus zu fragen, ob der Mandant<br />
eine Rechtschutzversicherung hat (a. A. OLG Nürnberg<br />
NJW-RR 1989,1370). Es ist vom Mandanten zu erwarten,<br />
dass er weiß, dass er eine Rechtschutzversicherung hat und<br />
dass er von sich aus den Anwalt darauf anspricht (Sieg aaO<br />
Rn. 689). Der Anwalt kann sich dann vom Mandanten gesondert<br />
beauftragen lassen, die Korrespondenz mit der<br />
Rechtschutzversicherung zu führen. Scheitert die Kostenaufbringung<br />
über PKH oder Rechtschutz, bleibt eigentlich<br />
nur noch eine Prozesskostenfinanzierung übrig. Wenn bisher<br />
auch noch keine dahingehende Rechtsprechung erkennbar<br />
ist, wird man den Anwalt unter diesen Umständen in der<br />
Pflicht sehen müssen, den Mandanten auf die Möglichkeit<br />
einer Prozessfinanzierung durch einen professionellen Prozesskostenfinanzierer<br />
hinzuweisen.<br />
b) Vor- und Nachteile der Finanzierungsmöglichkeiten<br />
Aus Sicht des durchschnittlichen Mandanten wird eine<br />
Rangfolge der Finanzierungsmöglichkeiten dahingehen,<br />
dass er es zuerst über die Rechtschutzversicherung versucht,<br />
wenn er denn eine hat, denn diese Möglichkeit löst bei ihm,<br />
abgesehen von einem geringen Selbstbehalt vielleicht, aktuell<br />
keine Kosten aus, die Prämie zahlt er über das Jahr ohnehin.<br />
Greift die Rechtschutzversicherung nicht, könnte er<br />
überlegen, die Kosten aus eigener Tasche aufzubringen.<br />
Scheitert dies, ist an PKH zu denken, wobei allerdings für<br />
manche Mandanten die umfangreichen Offenlegungspflichten<br />
sehr unangenehm sein könnten. Hinzu kommt sozusagen<br />
als Manko, dass die PKH niemals die gegnerischen Kosten<br />
Berichtigung<br />
Haftpflichtfragen 11/2005<br />
Leider hat sich im November-Beitrag ein Schreibfehler<br />
eingeschlichen. So heißt es auf Seite 714 Linke Spalte<br />
Mitte: „Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ...<br />
wird es den Beklagten zur Zahlung von 500.000,– EUR<br />
aufgrund des Hauptantrags verurteilen.“ Richtig muss<br />
es hier, wie sich aus dem Zusammenhang erkennen<br />
lässt, heißen 450.000,– EUR, da in dem Beispiel der<br />
Hauptantrag nur in dieser Höhe lautete. Einer aufmerksamen<br />
Leserin sei Dank.<br />
Jacqueline Bräuer, Allianz Versicherungs-AG, München<br />
AnwBl 1 / 2006 61
MN Haftpflichtfragen<br />
abdeckt. Ist auch der Weg über die PKH nicht gangbar,<br />
dürfte die letzte Alternative eine Prozesskostenfinanzierung<br />
sein. Eine Prozesskostenfinanzierung ist zwar nicht unangenehm<br />
für den Mandanten, aber es ist zu bedenken, dass der<br />
Prozesskostenfinanzierer vertragsgemäß als Gegenleistung<br />
für die Bereitstellung der Prozesskosten einen namhaften<br />
Anteil am Prozessgewinn erhält. Die Vor- und Nachteile der<br />
verschiedenen Finanzierungsarten sind dem Mandanten gegenüber<br />
darzustellen, damit dieser sie gegeneinander abwägen<br />
kann. Die Überlegungen verschiedener Mandanten können<br />
hierbei im Ergebnis ganz unterschiedlich ausfallen. Ein<br />
Geschäftsmann wird vielleicht die Finanzierung mit einem<br />
Prozesskostenfinanzierer in Erwägung ziehen, auch wenn er<br />
die Prozesskosten aus Geschäftsmitteln aufbringen könnte,<br />
um nicht flüssige Mittel unnötig länger in einem Prozessgeschehen<br />
zu binden. Für ihn bedeutet also in diesem Fall<br />
die Einschaltung eines Prozesskostenfinanzierers einen Liquiditätsvorteil.<br />
Ein Privatmann wird sich vielleicht eher gegen<br />
eine Prozessfinanzierung entscheiden, weil er von seinem<br />
Prozessgewinn nichts abgeben möchte. Der Anwalt<br />
muss die Entscheidung des Mandanten akzeptieren, auch<br />
wenn er selbst sie vielleicht anders getroffen hätte. Aus<br />
Sicht des Anwalts ist die Einschaltung eines Prozesskostenfinanzierers<br />
durchaus auch interessant, wird doch im Regelfall<br />
im Finanzierungsvertrag zwischen Mandant und Prozesskostenfinanzierer<br />
zugunsten des Anwalts für die<br />
Abwicklung mit dem Prozesskostenfinanzierer eine gesonderte<br />
Geschäftsgebühr vereinbart.<br />
4. Haftungskonstellationen bei der PKH<br />
a) Unterlassener Hinweis auf PKH-Möglichkeit<br />
Der häufigste Vorwurf geht in diesem Zusammenhang<br />
dahin, dass der Anwalt gar nicht auf die Möglichkeit eines<br />
PKH-Antrags hingewiesen hat, obwohl eine Beratungspflicht<br />
bestanden hätte, mit der Folge, dass der Mandant die<br />
Kosten aus eigenen Mitteln aufgebracht oder von einer<br />
Klage Abstand genommen hat. Hat der Mandant die Kosten<br />
selbst aufgebracht, stellt sich im Nachhinein unter Haftungsgesichtspunkten<br />
die Frage, ob er denn im Sinne des PKH-<br />
Rechts überhaupt bedürftig gewesen wäre.<br />
b) Kosten des Gegners<br />
Grundsätzlich muss der Anwalt den Mandanten über die<br />
Prozessaussichten an sich belehren. Entschließt sich der<br />
Mandant bei geringen Prozessaussichten dennoch zu dem<br />
Prozess angesichts der Überlegung, dass die Kosten der<br />
Staat trage, und hatte der Anwalt den Mandanten nicht zuvor<br />
darauf hingewiesen, dass die gegnerischen Kosten nicht<br />
über die PKH abgedeckt sind, wird der Anwalt grundsätzlich<br />
hinsichtlich der gegnerischen Prozesskosten haften.<br />
5. Haftungsfragen bei Einbeziehung eines Rechtschutzversicherers<br />
Der Rechtschutzversicherer steht zu seinem Kunden –<br />
dem Mandanten – in einem Vertragsverhältnis. Bei der<br />
Rechtschutzanfrage wird die Deckung geprüft, nicht die Erfolgsaussichten<br />
des Begehrens. Übernimmt der Anwalt die<br />
Abwicklung mit der Rechtschutzversicherung, kann er sich<br />
gegenüber dem Mandanten haftpflichtig machen, wenn die<br />
Korrespondenz mit dem Rechtschutzversicherer beispielsweise<br />
stark verzögerlich erfolgt und Verjährung eintritt, bevor<br />
die Klage eingereicht werden kann. Übernimmt der An-<br />
62 AnwBl 1 / 2006<br />
walt aufgrund gesonderten Auftrags die Abwicklung mit<br />
dem Rechtschutzversicherer, wird man ihn als Erfüllungsgehilfen<br />
des Mandanten ansehen müssen, soweit es um dessen<br />
Obliegenheiten gegenüber dem Rechtschutzversicherer<br />
geht (so wohl auch OLG Köln VersR 1994, 813). Wird<br />
Rechtschutz gewährt, führt aber der Anwalt den Prozess<br />
schlecht mit der Folge des Prozessverlusts, wird er sich unter<br />
Umständen zwei Anspruchstellern ausgesetzt sehen:<br />
dem Mandanten hinsichtlich der Hauptsache, dem Rechtschutzversicherer<br />
hinsichtlich der Kosten. Die Schadenersatzforderung<br />
des Mandanten gegen den Rechtsanwalt bezüglich<br />
der Prozesskosten geht nach §§ 67 Abs. 1 VVG, 20<br />
Abs. 2 ARB auf den Rechtschutzversicherer über. Es lässt<br />
sich dem Mandanten, wenn der Rechtschutzversicherer die<br />
Prozesskosten getragen hat, nicht etwa entgegenhalten, er<br />
habe gar keinen Schaden erlitten, da er schließlich nicht<br />
selbst gezahlt habe (vgl. OLG Köln VersR 1994, 813). Vgl.<br />
zu dem Thema Anwalt und Rechtschutzversicherung Chab<br />
AnwBl 2003, 652 ff.<br />
6. Haftung im Fall der Prozesskostenfinanzierung<br />
a) Dreiecksverhältnis<br />
Wird ein Prozesskostenfinanzierer eingeschaltet, nimmt<br />
das Mandat aus Sicht des Anwalts deutlich an Komplexität<br />
zu. Zwar existieren auch zwischen dem Prozesskostenfinanzierer<br />
und dem Anwalt keine eigenen Rechtsbeziehungen,<br />
aber auch hier ist der Anwalt Erfüllungsgehilfe des Mandanten,<br />
und jener übernimmt gegenüber dem Prozessfinanzierer<br />
diverse und weitgehende Verpflichtungen, die zu einem<br />
sehr engen und intensiven Kontakt zwischen Anwalt<br />
und Prozessfinanzierer führen. Mit Anwalt und Prozessfinanzierer<br />
stehen sich Juristen auf gleicher Augenhöhe gegenüber.<br />
Der Prozessfinanzierer wird es grundsätzlich vorziehen,<br />
sich bei Rückfragen an den Anwalt zu wenden statt<br />
an den Mandanten, da der Anwalt schneller wissen wird,<br />
um was es geht, und vielleicht gezielter Antworten geben<br />
kann. Der Abschluss eines Prozessfinanzierungsvertrages<br />
setzt im Regelfall voraus, dass der Anwalt einen Klageentwurf<br />
oder dgl. fertigt und mit sämtlichen Anlagen dem Prozesskostenfinanzierer<br />
zur Prüfung zur Verfügung stellt, wobei<br />
dieser einen wesentlich strengeren Maßstab anlegen<br />
wird als ein Rechtschutzversicherer. So wird auf jeden Fall<br />
die Schlüssigkeit der beabsichtigten Klage geprüft werden,<br />
so wie die Beweisbarkeit der strittigen Punkte. Ferner wird<br />
der Prozesskostenfinanzierer vor seiner Entscheidung noch<br />
mögliche Einreden und Einwendungen der Gegenseite abfragen,<br />
soweit er sie erkennen bzw. vorhersehen kann. Eine<br />
etwaige schon zur Diskussion stehende oder erst noch drohende<br />
Verjährung wird besonders sorgfältig geprüft werden,<br />
würde sie doch möglicherweise den Prozess unerwünscht<br />
schnell zu Fall bringen. Auch die Bonität des Schuldners interessiert<br />
den Prozesskostenfinanzierer. Dieser hat nämlich<br />
kein Interesse, einen an sich aussichtsreichen Prozess zu finanzieren,<br />
wenn das Urteil absehbar nicht erfolgreich vollstreckt<br />
werden könnte. Er verdient grundsätzlich nur im<br />
Falle der Realisierung des Titels seinen vertraglich bestimmten<br />
Anteil. Wird der Prozess zwar rechtskräftig gewonnen,<br />
kann der Titel aber nicht in Geld umgesetzt werden,<br />
hat der Prozessfinanzierer das Risiko und das<br />
Nachsehen. Der Mandant schuldet nicht etwa unabhängig<br />
von der Realisierung des Titels eine Gegenleistung für die<br />
Bereitstellung der Kosten. Erst wenn die Prüfung aller Fak-
MN Haftpflichtfragen<br />
toren positiv ausfällt, wird der mögliche Abschluss eines<br />
Prozesskostenfinanzierungsvertrages ins Detail gehen. Die<br />
Bedingungen gibt in der Regel der Prozesskostenfinanzierer<br />
vor. Insbesondere der Anteil, den der Prozesskostenfinanzierer<br />
vom vollstreckten Titel erhält (in der Regel zwischen 20<br />
und 30 %), wird kaum der Höhe nach verhandelbar sein.<br />
Stimmen Mandant und Prozesskostenfinanzierer hinsichtlich<br />
der Konditionen nicht überein, wird der Prozesskostenfinanzierer<br />
eher auf den Abschluss dieses Vertrages verzichten als<br />
dem Mandanten nachzugeben.<br />
b) Interessenkonflikte vermeiden<br />
Bereits in dieser vorvertraglichen Phase wird ein enger<br />
Kontakt zwischen Anwalt und Prozesskostenfinanzierer entstehen.<br />
Der Anwalt könnte hierbei leicht in Gefahr geraten,<br />
aus den Augen zu verlieren, wer eigentlich sein Mandant ist.<br />
Der Anspruchsinhaber ist und bleibt Mandant für den Anwalt,<br />
der Prozessfinanzierer ist in diesem Dreiecksverhältnis niemals<br />
Mandant sondern sonstiger Geschäftpartner für den Anwalt,<br />
dem gegenüber er allerdings gesteigerte Pflichten hat als<br />
Interessenvertreter des Kunden des Prozesskostenfinanzierers.<br />
Augenscheinlich haben alle Beteiligten gleich gelagerte Interessen,<br />
nämlich die erfolgreiche Führung des Prozesses.<br />
Schaut man aber genauer hin, treten doch wieder unterschiedliche<br />
eigene Interessen der Beteiligten zu Tage. Der Anspruchsinhaber<br />
will seinen Prozess gewinnen. Der Prozesskostenfinanzierer<br />
will sich seinen Anteil verdienen, der<br />
Prozessgewinn ist dabei notwendiges Mittel zum Zweck. Der<br />
Anwalt will sein Honorar verdienen. Dabei ist der Prozessgewinn<br />
für ihn nur eine mögliche Option, er verdient schließlich<br />
seine Gebühren auch bei Verlust des Prozesses.<br />
c) Beratung des Mandanten vor der Finanzierung<br />
Bereits vor Abschluss des Vertrages setzen Beratungspflichten<br />
des Anwalts gegenüber dem Mandanten ein. So<br />
muss er mit diesem die avisierten Vertragsmodalitäten im<br />
Fall von Gewinn und Verlust des Prozesses durchsprechen.<br />
Insbesondere muss dem Mandanten deutlich vor Augen geführt<br />
werden, dass er im Fall des Sieges einen namhaften<br />
Teil seines Erlöses an den Prozesskostenfinanzierer abzuführen<br />
hat, die legitime Gegenleistung für die Bereitstellung<br />
der Finanzierungsmittel. Bei mangelnder Beratung durch<br />
den Anwalt und entsprechendem Haftungsbegehren wird<br />
man dem Mandanten in diesem Fall aber immer entgegenhalten<br />
können, dass er den Prozess sonst gar nicht geführt<br />
und somit auch gar nichts bekommen hätte. Ein Schaden<br />
wäre hier jedenfalls nicht zu erkennen.<br />
d) Haftung im finanzierten Prozess<br />
Wird der Prozess wider Erwarten verloren, kann sich der<br />
Anwalt Haftungsvorwürfen gegenüber sehen. Diese werden<br />
grundsätzlich ernst zu nehmen sein, muss man doch davon ausgehen,<br />
dass die Prozessaussichten doppelt, nämlich auch durch<br />
den Prozessfinanzierer geprüft worden waren. Vertraglich sind<br />
Schadenersatzansprüche des Mandanten gegen den Anwalt<br />
meist schon von vornherein an den Prozesskostenfinanzierer<br />
abgetreten. Findet sich tatsächlich ein Anwaltsfehler, ist<br />
grundsätzlich nach Art des Fehlers zu differenzieren.<br />
Wurde zum Beispiel ein verjährter Anspruch eingeklagt,<br />
wird man dem Prozesskostenfinanzierer, wenn er im eigenen<br />
Namen Regressansprüche geltend macht, entgegenhalten<br />
können, dass er die Verjährung bei gehörig sorgfältiger<br />
Prüfung vorher selbst hätte erkennen können. Dann hätte er<br />
die Finanzierungszusage verweigern können. Hatte er keine<br />
genügenden Informationen, um eine mögliche Verjährungsproblematik<br />
abzuklären, wird man ihm entgegenhalten, dass<br />
er sich diese vor der Finanzierungszusage hätte beschaffen<br />
können und müssen. Schließlich erhebt er vertraglich Anspruch<br />
auf umfassende Informationen. Hier liegt ein wesentlicher<br />
Unterschied zur Rechtschutz-Deckung. Der Rechtschutzversicherer<br />
prüft die Erfolgsaussichten der<br />
beabsichtigten Klage bestenfalls kursorisch und oberflächlich.<br />
Folglich kann man ihm bei Verlust des Prozesses kaum<br />
eigene Pflichtverletzungen entgegenhalten. Anders beim<br />
Prozessfinanzierer. Er ist nicht verpflichtet, sich auf das Geschäft<br />
einzulassen. Er hat bei jedem Geschäft ein eigenes Risiko,<br />
welches der Anwalt ihm nicht abzunehmen verpflichtet<br />
ist. Der Anwalt ist primär seinem Mandanten verpflichtet.<br />
Ist dem Anwalt schlechte Prozessführung vorzuwerfen,<br />
könnte man überlegen, ob der Finanzierer nicht rechtzeitig<br />
hätte helfend eingreifen können, schließlich begleitet er das<br />
Verfahren sehr eng. Hier darf man aber nicht auf die Idee verfallen,<br />
der Finanzierer sei Erfüllungsgehilfe des Anwalts.<br />
Wenn der Prozessfinanzierer in den Lauf des Prozesses eingreift,<br />
dann allein aus seinem eigenen Geschäftsinteresse heraus,<br />
nicht, um den Anwalt vor einer Haftung zu bewahren.<br />
Mögliche Einwände gegenüber dem Prozesskostenfinanzierer<br />
werden allerdings dann nicht weiterhelfen, wenn<br />
nicht der Prozesskostenfinanzierer selbst, sondern der Mandant<br />
Regressansprüche erhebt. Der Mandant ist gegenüber<br />
dem Anwalt naturgemäß nicht selbst zur Rechtsprüfung verpflichtet<br />
– was schließlich auch absurd wäre – folglich kann<br />
auch der Prozesskostenfinanzierer nicht als Erfüllungsgehilfe<br />
im Verhältnis Anwalt-Mandant gelten.<br />
Liegt tatsächlich ein Haftungsfall vor, wird sich der Anwalt<br />
zwei Anspruchstellern gegenüber sehen: dem Prozesskostenfinanzierer<br />
wegen der nutzlos aufgewendeten Kosten und wegen<br />
des entgangenen Gewinns hinsichtlich des Anteils an der<br />
Hauptsache und dem Mandanten bezüglich der Hauptsache<br />
abzüglich des auf den Prozesskostenfinanzierer entfallenden<br />
Anteils. Rechtlich betrachtet ist dies kein anderer Haftungsfall,<br />
als wenn der Anwalt dem Mandanten allein gegenübersteht,<br />
der Schaden ist nicht größer, er ist nur auf zwei Geschädigte<br />
verteilt. Allerdings wird der Prozesskostenfinanzierer seine Interessen<br />
möglicherweise mit größerer Vehemenz verfolgen als<br />
der Mandant und auch einen Regressprozess nicht scheuen. In<br />
der Praxis ist zu beobachten, dass Prozessfinanzierer eigene<br />
Regressansprüche in der Regel doch nicht im eigenen Namen<br />
geltend machen, wie man aufgrund der vertraglichen Vorwegabtretung<br />
der Regressansprüche vermuten könnte, sondern<br />
hier eine Rückabtretung an ihren Kunden vornehmen und<br />
dann diesem auf der zweiten Ebene den Regressprozess gegen<br />
seine Anwalt finanzieren. Über die dafür sprechenden Gründe<br />
kann man wohl nur Mutmaßungen anstellen. Möglicherweise<br />
soll negative Publicity in der Anwaltschaft vermieden werden.<br />
Jacqueline Bräuer, München<br />
Die Autorin ist Assessorin und bei der Allianz<br />
Versicherungs-AG tätig.<br />
AnwBl 1 / 2006 63
MNRechtsprechung<br />
Anwaltsrecht<br />
Rechtsschutz und Mehrkosten des Vergleichs<br />
ARB 94 § 5 (3) b<br />
Endet ein mit Rechtsschutz geführter Rechtsstreit durch Vergleich,<br />
hat der Versicherer dessen Kosten in Höhe der Misserfolgsquote<br />
des Versicherungsnehmers auch insoweit zu tragen,<br />
als in den Vergleich weitere, bisher nicht streitige Gegenstände<br />
einbezogen worden sind, wenn der Versicherer auch für sie<br />
Rechtsschutz zu gewähren hat und sie rechtlich mit dem Gegenstand<br />
des Ausgangsrechtsstreits zusammenhängen.<br />
BGH, Urt. v. 14.9.2005 – IV ZR 145/04<br />
Sachverhalt: Auf der Grundlage der Allgemeinen Bedingungen<br />
für die Rechtsschutzversicherung (ARB 94/2000, vgl. VerBAV<br />
1994, 97 ff., im folgenden: ARB 94) hat der Kläger mit dem beklagten<br />
Rechtsschutzversicherer Arbeits-Rechtsschutz vereinbart<br />
(§ 2 b ARB 94). Er verlangt Erstattung der Kosten seines Prozessbevollmächtigten<br />
in einem Kündigungsschutzprozess. Mit der dortigen<br />
Klage wurde die Feststellung begehrt, das Anstellungsverhältnis<br />
sei nicht durch eine fristlose, hilfsweise fristgemäße<br />
Kündigung der Arbeitgeberin beendet worden, sondern bestehe unbefristet<br />
zu den vertragsgemäßen Konditionen auf unbestimmte<br />
Zeit fort. Die Parteien jenes Rechtsstreits einigten sich in einem<br />
Vergleich vor dem Arbeitsgericht, dass das Arbeitsverhältnis infolge<br />
ordentlicher, betriebsbedingter Kündigung sein Ende finde.<br />
Außerdem verpflichtete sich die Arbeitgeberseite u. a., dem Kläger<br />
bis zum vorgesehenen Ende des Arbeitsverhältnisses ungeachtet<br />
seiner Freistellung von der Arbeitsleistung Lohn sowie eine Abfindung<br />
für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen und ein wohlwollendes<br />
Zeugnis mit der Note „gut“ zu erteilen; der Kläger verpflichtete<br />
sich seinerseits, den Generalschlüssel des<br />
Firmengeländes herauszugeben. Im Vergleich wurden die Kosten<br />
des Rechtsstreits gegeneinander aufgehoben. Das Arbeitsgericht<br />
setzte den Gegenstandswert der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfahren<br />
auf 14.340 E und für den Vergleich auf 30.150 E fest. Der<br />
Anwalt des Klägers berechnete danach seine Gebühren auf insgesamt<br />
2.299,12 E. Die Beklagte erstattete 1.992,88 E, verweigert<br />
aber die Zahlung von Mehrkosten bezüglich der Vergleichsgebühr,<br />
soweit sie durch den höheren Streitwert des Vergleichs entstanden<br />
sind.<br />
Die hier maßgeblichen Bestimmungen der ARB 94 lauten:<br />
§ 4 Voraussetzungen für den Anspruch auf Rechtsschutz<br />
Soweit nichts anderes vereinbart ist, gilt:<br />
(1) Anspruch auf Rechtsschutz besteht nach Eintritt eines<br />
Rechtsschutzfalles<br />
a)...<br />
b)...<br />
c) in allen anderen Fällen von dem Zeitpunkt an, in dem der<br />
Versicherungsnehmer oder ein anderer einen Verstoß gegen<br />
Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften begangen hat oder<br />
begangen haben soll.<br />
§ 5 Leistungsumfang<br />
Soweit nicht etwas anderes vereinbart ist, gilt:<br />
(1) Der Versicherer trägt<br />
a) bei Eintritt des Rechtsschutzfalles im Inland die Vergütung<br />
eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts<br />
bis zur Höhe der gesetzlichen Vergütung eines am Ort des<br />
zuständigen Gerichtes ansässigen Rechtsanwaltes. ...<br />
b) ...<br />
(2)...<br />
(3) Der Versicherer trägt nicht<br />
a)...<br />
b) Kosten, die im Zusammenhang mit einer einverständlichen<br />
Erledigung entstanden sind, soweit sie nicht dem Verhältnis<br />
des vom Versicherungsnehmer angestrebten Ergebnisses<br />
zum erzielten Ergebnis entsprechen, ...<br />
Das Amtsgericht hat der Klage auf Zahlung von 306,24 E stattgegeben;<br />
das Landgericht hat sie abgewiesen. Mit der Revision<br />
verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.<br />
64 AnwBl 1 / 2006<br />
Aus den Gründen: Die Revision hat Erfolg und führt zur Zurückweisung<br />
der Berufung der Beklagten gegen das Urteil des<br />
Amtsgerichts.<br />
1. Das Berufungsgericht hebt darauf ab, dass den streitigen Vergleichsmehrkosten<br />
kein Versicherungsfall im Sinne des § 4 (1) c<br />
ARB 94 zugrunde liege. Deckungsschutz habe die Beklagte nur für<br />
die Kündigungsschutzklage als solche gewährt. Im Vergleich vor<br />
dem Arbeitsgericht seien darüber hinaus weitere Punkte geregelt<br />
worden wie insbesondere die Zeugniserteilung und die Herausgabe<br />
eines Schlüssels. Es sei nicht ersichtlich, dass über diese weiteren<br />
Punkte überhaupt Streit zwischen dem Kläger und seiner Arbeitgeberin<br />
bestanden habe. Dass insoweit vorsorglich ein künftig etwa<br />
möglicher Streit habe ausgeschlossen werden sollen, rechtfertige<br />
die Annahme eines Versicherungsfalles nicht (in diesem Sinne<br />
auch LG Hannover r+s 1993, 466 f.).<br />
2. Dieser Auffassung folgt der Senat nicht. Die Auslegung der<br />
hier vereinbarten Versicherungsbedingungen ergibt vielmehr, dass<br />
bei Beendigung eines unter den Versicherungsschutz fallenden<br />
Rechtsstreits durch gerichtlichen Vergleich dessen Kosten – soweit<br />
der Versicherungsnehmer keinen Erfolg hatte – vom Versicherer<br />
grundsätzlich auch insoweit zu tragen sind, als in den Vergleich<br />
weitere, den Gebührenstreitwert erhöhende, nicht wegen eines bestimmten<br />
Rechtsverstoßes streitige Gegenstände einbezogen worden<br />
sind, wenn für sie grundsätzlich ebenfalls Versicherungsschutz<br />
besteht und sie mit dem eigentlichen Gegenstand des verglichenen<br />
Rechtsstreits in rechtlichem Zusammenhang stehen.<br />
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind Allgemeine<br />
Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher<br />
Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer<br />
Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren<br />
Sinnzusammenhangs verstehen muss; dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten<br />
eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche<br />
Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen<br />
an. Bei Klauseln, die den Versicherungsschutz<br />
ausschließen oder einschränken, geht das Interesse des Versicherungsnehmers<br />
regelmäßig dahin, dass der Versicherungsschutz<br />
nicht weiter verkürzt wird, als der erkennbare Zweck der Klausel<br />
dies gebietet. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass sein Versicherungsschutz<br />
Lücken hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht<br />
werden (vgl. BGHZ 123, 83, 85; Urteil vom 29. September<br />
2004 – IV ZR 170/03 –VersR 2004, 1596 unter II 1).<br />
b) Im vorliegenden Fall ist nicht streitig, dass die Beklagte für<br />
den Kündigungsschutzprozess, den der Kläger gegen seine Arbeitgeberin<br />
geführt hat, gemäß § 4 (1) c ARB 94 Versicherungsschutz<br />
zu leisten hatte. Das hat sie dem Kläger in einer Deckungszusage<br />
„zunächst für die 1. Instanz“ bestätigt, auch soweit bei einem Erfolg<br />
des Kündigungsschutzantrages zusätzlich ein Weiterbeschäftigungsanspruch<br />
geltend gemacht wurde. Versicherungsschutz hatte<br />
die Beklagte nach § 4 (1) c ARB 94 deshalb zu leisten, weil es bei<br />
dem Rechtsstreit um die Wirksamkeit der von der Arbeitgeberin<br />
des Klägers ausgesprochenen Kündigung und damit um einen vom<br />
Kläger behaupteten Verstoß der Arbeitgeberin gegen Rechtspflichten<br />
oder Rechtsvorschriften ging. Im Übrigen lassen sich § 4 (1) c<br />
ARB 94 zwar zeitliche Grenzen des Versicherungsschutzes entnehmen,<br />
nicht aber eine nähere Begrenzung des Leistungsumfangs.<br />
c) Zum Leistungsumfang ist § 5 (1) a ARB 94 zu entnehmen,<br />
dass der Versicherer bei einem Rechtsschutzfall im Inland die Vergütung<br />
eines für den Versicherungsnehmer tätigen Rechtsanwalts<br />
trägt. Diese Zusage wird der Höhe nach nur insofern eingeschränkt,<br />
als der Versicherer nur die gesetzliche Vergütung eines<br />
am Ort des zuständigen Gerichts ansässigen Rechtsanwalts trägt<br />
(sowie unter zusätzlichen Voraussetzungen die Kosten eines Verkehrsanwalts).<br />
Zur gesetzlichen Vergütung gehörte im Zeitpunkt<br />
der Beendigung des Kündigungsschutzprozesses auch die Vergleichsgebühr<br />
nach § 23 BRAGO (vgl. heute VV Nr. 1000 zum<br />
RVG). Dabei handelt es sich um Kosten einer einverständlichen Erledigung<br />
des Rechtsstreits, die in § 5 (3) b ARB 94 ausdrücklich<br />
angesprochen werden. Mit dieser Vorschrift schließt der Versicherer<br />
zwar seine Leistungspflicht hinsichtlich solcher Kosten einer<br />
einverständlichen Erledigung aus, die nicht der Misserfolgsquote<br />
des Versicherungsnehmers entsprechen. Davon abgesehen geht<br />
aber auch die Vorschrift des § 5 (3) b ARB 94 davon aus, dass der
MN Rechtsprechung<br />
Versicherer die im Zusammenhang mit einer einverständlichen Erledigung<br />
des Rechtsstreits entstandenen Kosten zu tragen hat.<br />
d) Bei der einverständlichen Erledigung eines Rechtsstreits<br />
durch einen Vergleich ist aber dessen Ausdehnung auf nicht rechtshängige<br />
Streitgegenstände häufig sachdienlich und allgemein üblich<br />
(vgl. BGH, Urteil vom 16. Juni 1977 – IV ZR 97/76 – VersR<br />
1977, 809 unter I 2 b). Die Miterledigung anderer Streitpunkte<br />
schafft vielfach gerade erst die Grundlage für die Einigung über<br />
den bereits streitbefangenen Anspruch.<br />
Das wird auch der verständige Versicherungsnehmer in Betracht<br />
ziehen. Deshalb bedingt der Umstand, dass ihm gemäß §4 (1) ARB<br />
94 ein Rechtsschutzanspruch für einen bestimmten – hier durch einen<br />
Verstoß im Sinne des § 4 (1) c ARB 94 konkretisierten –<br />
Rechtsschutzfall zusteht, nicht notwendig und zugleich ein Verständnis<br />
des § 5 (3) b ARB 94 dahin, dass nur solche Kosten vom Versicherer<br />
zu tragen sind, die durch die vergleichsweise Erledigung<br />
des konkreten Rechtsschutzfalles unmittelbar entstanden sind. Der<br />
Versicherungsnehmer kann nicht davon ausgehen, dass der Versicherer<br />
die Kosten der vergleichsweisen Erledigung anderer Streitpunkte<br />
zwischen den Parteien selbst dann nicht (im Rahmen der Misserfolgsquote)<br />
tragen will, wenn solche Streitpunkte mit dem unmittelbaren<br />
Gegenstand des Rechtsstreits in rechtlichem Zusammenhang<br />
stehen und für die der Versicherer im Streitfalle gegebenenfalls<br />
deckungspflichtig wäre. Das gilt schon deshalb, weil die Miterledigung<br />
anderer Streitpunkte in solchen Fällen zumindest geeignet sein<br />
kann, den Eintritt eines weiteren Rechtsschutzfalles zu verhindern<br />
und wertere Kosten zu vermeiden. Der Versicherungsnehmer wird<br />
deshalb die Wendung „Kosten, die im Zusammenhang mit einer einverständlichen<br />
Erledigung entstanden sind“ dahin verstehen, dass sie<br />
auch solche Kosten einschließt, die durch die Einbeziehung weiterer<br />
Streitgegenstände entstanden sind, soweit diese mit dem eigentlichen<br />
Gegenstand des Streites in rechtlichem Zusammenhang stehen<br />
und der Versicherer auch für diese grundsätzlich Rechtsschutz zu gewähren<br />
hätte. Dass zudem hinsichtlich der weiteren in die Erledigung<br />
einbezogenen Gegenstände bereits ein Verstoß im Sinne des<br />
§ 4 (1) c ARB 94 vorliegen, also bereits ein konkreter Rechtsschutzanspruch<br />
gegeben sein müsste, erschließt sich dem Versicherungsnehmer<br />
dagegen aus § 5 (3) b ARB 94 nicht. Denn aus seiner Sicht<br />
zielt die einverständliche Regelung weiterer, im Zusammenhang mit<br />
dem unmittelbaren Streitgegenstand stehender Punkte gerade auch<br />
darauf, einen weiteren Verstoß und damit einen weiteren Rechtsschutzfall<br />
nicht eintreten zu lassen.<br />
e) Im vorliegenden Fall hätte die Beklagte für die im Vergleich<br />
mit erledigten Fragen, wenn sie streitig geworden wären, im Rahmen<br />
des vereinbarten Arbeits-Rechtsschutzes Deckung zu gewähren.<br />
Die getroffenen Vereinbarungen betreffen Rechtsfragen in engem<br />
Zusammenhang mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses,<br />
um die es im Ausgangsrechtsstreit ging, auch soweit der Vergleich<br />
die Erteilung eines wohlwollenden Zeugnisses für den Kläger oder<br />
die Rückgabe seines Generalschlüssels vorsieht. Von einer unnötigen<br />
Erhöhung der Kosten (vgl. § 17 (5) c cc ARB 94) kann hier<br />
nicht die Rede sein.<br />
Kostenübernahme durch Rechtsschutzversicherung<br />
ARB 94 §§ 4 (1) Satz 1 c), 3 (1) d) dd)<br />
1. Für den einen Rechtsschutzfall auslösenden Verstoß gemäß<br />
§ 4 (1) Satz 1 c) ARB 94 genügt jeder tatsächliche, objektiv<br />
feststellbare Vorgang, der den Keim eines Rechtskonflikts in<br />
sich trägt.<br />
2. Der Streit um den Neuwertanteil in einer Feuerversicherung<br />
unterliegt nicht dem Risikoausschluss der so genannten Baufinanzierungsklausel<br />
in § 3 (1) d) dd) ARB 94.<br />
BGH, Urt. vom 28.9.2005 – IV ZR 106/04<br />
Anmerkung der Redaktion: Der Volltext der Entscheidung ist im<br />
Internet abrufbar unter www.anwaltsblatt.de.<br />
Anmerkung zu der Entscheidung<br />
I. Der Sachverhalt in knappen Worten<br />
Ende <strong>Januar</strong> 2001 brannte ein denkmalgeschütztes feuerversichertes<br />
Gebäude einer Schlossanlage ab. Der damalige Eigentümer<br />
erhielt von der Feuerversicherung die sogenannte Zeitwertentschädigung.<br />
Im Dezember 2001 erwarb die Klägerin die Schlossanlage und<br />
damit auch gem. § 69 VVG die Rechte und Pflichten aus dem Feuerversicherungsvertrag.<br />
Die Klägerin beabsichtigte, das Gebäude wiederherzustellen<br />
und verlangte von dem Feuerversicherer den Neuwertanteil<br />
(Differenz zwischen Zeitwertentschädigung und<br />
Wiederherstellungskosten). Dieser lehnte die Zahlung ab.<br />
Die Klägerin war von Anfang <strong>Januar</strong> 2000 bis Ende März 2002<br />
bei der Beklagten rechtsschutzversichert; vereinbart waren die<br />
ARB 96 der Beklagten (entspr. in den entscheidenden Klauseln<br />
den ARB 94). Die Parteien streiten darüber, ob der Feuerversicherer<br />
den Deckungsschutz während der Laufzeit der Rechtsschutzversicherung<br />
abgelehnt hat.<br />
II. Die Streitfragen<br />
1. Behauptete Nachvertraglichkeit<br />
Der Feuerversicherer hatte im Februar 2002 der Versicherungsmaklerfirma<br />
mitgeteilt, es würden über die Zeitwertentschädigung<br />
hinaus keine Leistungen erbracht. Diese Mitteilung wurde noch<br />
während der Laufzeit der Rechtsschutzversicherung an den Sohn<br />
der Klägerin weitergegeben. Der Rechtsschutzversicherer war der<br />
Ansicht, dies sei keine endgültige Ablehnung gewesen. Der Feuerversicherer<br />
habe erst nach Ende des Rechtsschutzversicherungsvertrages<br />
endgültig über die Deckungsablehnung entschieden. Die<br />
Mitteilung an den Makler sei weder als endgültige Leistungsablehnung<br />
zu sehen, noch sei die Weitergabe nach außen dem Feuerversicherer<br />
zuzurechnen.<br />
Gemäß § 4 (1) c) ARB 96/94 ist der Versicherungsfall eingetreten,<br />
wenn einer der Beteiligten gegen Rechtspflichten oder Rechtsvorschriften<br />
verstoßen hat oder verstoßen haben soll. Versicherungsschutz<br />
besteht für Fälle, die nach Beginn des<br />
Versicherungsschutzes und vor dessen Ende eingetreten sind.<br />
Der BGH trifft hier eine fein austarierte Entscheidung, indem<br />
er die drei unterschiedlichen Stadien Vorvertraglichkeit/innerhalb<br />
des versicherten Zeitraums/Nachvertraglichkeit betrachtet. Im Ergebnis<br />
muss der Rechtsschutzversicherer die Kriterien der Vorvertraglichkeit<br />
(„latent schwelender Rechtsstreit vor Vertragsschluss“)<br />
auch gegen sich gelten lassen. Wenn bereits während des Versicherungszeitraums<br />
ein solch latent schwelender Rechtsstreit besteht,<br />
dann ist dieser vom Versicherungsschutz umfasst.<br />
2. Behaupteter Risikoausschluss: Baurisiko<br />
Seit den ARB 94 ist jedes Risiko ausgeschlossen, dass in ursächlichem<br />
Zusammenhang mit der Baufinanzierung steht § 3 (1)<br />
d) dd) ARB 94. Der Rechtsschutzversicherer hatte nun behauptet,<br />
der Rechtsstreit mit dem Feuerversicherer betreffe die Baufinanzierung,<br />
da der begehrte Neuwertanteil ein entscheidendes Instrument<br />
der vorsorglichen Finanzierung sei. Vereinfacht ausgedrückt<br />
habe die Klägerin beim Erwerb des abgebrannten Gebäudes die begehrte<br />
Versicherungszahlung bereits in ihre Finanzierung eingeplant.<br />
Dem tritt der BGH entgegen. Die Klägerin beabsichtige, einen<br />
Rechtsstreit aus dem (Feuer)versicherungsvertrag und nicht über<br />
die Baufinanzierung zu führen. Dabei stellt er wie stets auf die Betrachtungsweise<br />
des durchschnittlichen, vernünftigen Versicherungsnehmers<br />
ab. Nicht nur aus dessen Sicht handele es sich um<br />
einen Schadensersatzanspruch<br />
III. Bedeutung für die Praxis<br />
1. „Keim des Rechtsstreits“<br />
Anzeige<br />
AnwBl 1 / 2006 65
MN Rechtsprechung<br />
Die Frage, wann der erste behauptete Verstoß der Gegenseite –<br />
und somit der Eintritt des Rechtsschutzfalls in zeitlicher Hinsicht –<br />
vorliegt, war bereits bisher streitig. Den Ausdruck vom „Keim des<br />
Rechtskonflikts“ verwendete man bislang zur Abgrenzung eines<br />
vorvertraglich bestehenden Rechtsstreits, der damit nicht versichert<br />
ist (so bereits Maier, in: Harbauer, 7. Aufl. § 14 ARB 75<br />
Rdnr. 39 ff).<br />
Neu ist, dass diese Argumentation nun auch zur Bestimmung<br />
dient, ob ein Rechtskonflikt noch innerhalb des versicherten Zeitraums<br />
liegt. Der anwaltliche Berater, der für seinen Mandanten<br />
Deckungsschutz aus einer bereits gekündigten Rechtsschutzversicherung<br />
begehrt, sollte also mit Hilfe der besprochenen Entscheidung<br />
stets nach dem tatsächlich, objektiv feststellbaren Vorgang,<br />
der den Keim des Rechtskonflikts in sich trägt, suchen.<br />
2. Baufinanzierungsklausel<br />
Aus anwaltlicher Sicht ist es zunächst zu begrüßen, dass der<br />
BGH eine uferlose Ausweitung der Baufinanzierungsklausel seit<br />
ARB 94 ff. verhindert hat. Vergleicht man die Entscheidung allerdings<br />
mit seinen neueren Urteilen zu Streitigkeiten über die Finanzierung<br />
von Immobilienfondsanteilen, so hat der Bundesgerichtshof<br />
(noch) nicht deutlich gemacht, wo die Trennlinie des<br />
ursächlichen Zusammenhangs genau verläuft.<br />
Rechtsanwalt Axel Pabst, Frankfurt am Main<br />
Rechtsberatungsgesetz<br />
Unfallregulierung durch Autovermieter<br />
RBerG Art. 1 § 1<br />
Geht es dem Mietwagenunternehmen im Wesentlichen darum,<br />
die ihm durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen,<br />
so besorgt es keine Rechtsangelegenheit des geschädigten<br />
Kunden, sondern eine eigene Angelegenheit (Anschluss<br />
an Senatsurteile vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 –<br />
VersR 2005, 241 und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 –<br />
VersR 2005, 1256).<br />
BGH, Urteil vom 20.9.2005 – VI ZR 251/04<br />
Sachverhalt: Die Klägerin, eine Autovermietung, macht gegen<br />
den Beklagten als Verursacher eines Verkehrsunfalls Ansprüche<br />
auf Ersatz restlicher Mietwagenkosten geltend, die die Unfallgeschädigte<br />
an sie zur Sicherheit abgetreten hat. Die Alleinhaftung<br />
der Beklagten ist dem Grunde nach außer Streit.<br />
Die Geschädigte mietete am 20. September 2000 einen PKW<br />
zu einem Unfallersatztarif an und trat gleichzeitig ihre Ansprüche<br />
gegen den Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer ab. In der<br />
Sicherungsabtretung und der auf der Rückseite niedergelegten<br />
„Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“ heißt es:<br />
9 „Über die Alternative der Privatanmietung mit Vorauszahlung<br />
wurde ich informiert. Ich werde – unabhängig von der Sicherungsabtretung<br />
– den Schaden beim Haftpflichtversicherer des<br />
Schädigers anmelden und mich um die Verfolgung und Durchsetzung<br />
meines Schadensersatzanspruches selber kümmern.“<br />
9 „Wegen der Anmietung eines Ersatzfahrzeuges bei der obigen<br />
Autovermietung und aus Anlass des vorstehenden Unfalles trete<br />
ich hiermit nur meinen Schadensersatzanspruch auf Erstattung<br />
der Mietwagenkosten an die obige Autovermietung zur Sicherheit<br />
ab ... . Die obige Autovermietung ist nicht berechtigt, die<br />
abgetretenen Schadensersatzansprüche gegen den Schädiger oder<br />
dessen Haftpflichtversicherung geltend zu machen, bevor sie<br />
mich erfolglos zur Zahlung aufgefordert hat ... . Um die Schadensregulierung<br />
werde ich mich selbst kümmern und beim leistungsverpflichteten<br />
Versicherer den Schaden anmelden.“<br />
Am 7. Oktober 2000 berechnete die Klägerin der Geschädigten<br />
die Miete des Fahrzeugs mit 6.097,66 DM und gab folgenden Hinweis:<br />
„Absprachegemäß haben wir eine Kopie der Rechnung mit<br />
unserer Sicherungsabtretungsvereinbarung der gegnerischen Versicherung<br />
zugesandt. Sofern diese den Rechnungsbetrag nicht binnen<br />
drei Wochen zahlt, müssen wir Sie in Anspruch nehmen ... .“<br />
66 AnwBl 1 / 2006<br />
Da der Haftpflichtversicherer des Beklagten auf den Gesamtbetrag<br />
nur 3.700 DM zahlte, setzte die Geschädigte ihm mit<br />
Schreiben vom 12. Dezember 2000 eine Frist bis zum 20. Dezember<br />
2000 zur Zahlung des Restbetrages an die Klägerin mit der Erklärung,<br />
dass sie danach die Angelegenheit ihrem Anwalt übergeben<br />
werde. Am 5. Februar 2001 forderte die Klägerin die<br />
Geschädigte auf, den Restbetrag von 2.397,66 DM binnen 14 Tagen<br />
zu bezahlen. Sie wies diese auf die Pflicht hin, selbst für die<br />
Durchsetzung der Forderung zu sorgen und erklärte, bei fruchtlosem<br />
Fristablauf blieben weitere Schritte vorbehalten.<br />
Hierauf antwortete die Geschädigte mit Schreiben vom<br />
12. März 2001: „Sie sicherten mir zu, dass Ihre Forderung ... im<br />
Rahmen der erstattungsfähigen Aufwendungen ist ...“. Gleichzeitig<br />
trat sie den Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer in Höhe<br />
der Restforderung an die Klägerin ab. Diese forderte sodann mit<br />
anwaltlichem Schriftsatz vom 2. April 2001 vom Beklagten den<br />
Restbetrag unter Hinweis auf die Sicherungsabtretung und die<br />
„Weigerung“ der Geschädigten, den Betrag zu zahlen.<br />
Das Amtsgericht hat den Beklagten zur Zahlung von 826,98 E verurteilt<br />
und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung des<br />
Beklagten hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht<br />
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das Ziel<br />
weiter, die Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil zurückzuweisen.<br />
Aus den Gründen: I. Das Berufungsgericht vertritt in seiner –<br />
in VersR 2004, 1470 abgedruckten – Entscheidung die Auffassung,<br />
die „Sicherungsabtretung“ und die weitere Abtretung vom<br />
12. März 2001 seien wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 RBerG<br />
nichtig (§ 134 BGB).<br />
Zwar führten allein die Sicherungsabtretung der Ansprüche auf<br />
Ersatz der Mietwagenkosten und die Abfassung eines Unfallberichtes<br />
seitens der Geschädigten, der zusammen mit der Abrechnung<br />
der gegnerischen Haftpflichtversicherung durch die Klägerin übersandt<br />
worden sei, nicht zur Nichtigkeit der Sicherungsabtretung, da<br />
durch die gewählten Formulierungen klargestellt sei, dass primär<br />
die Geschädigte für die Regulierung des Schadens und die Durchsetzung<br />
ihrer Schadensersatzansprüche zuständig sei. Unter Berücksichtigung<br />
der sonstigen Umstände seien diese Erklärungen<br />
aber nur als Scheinerklärungen zu werten. Die Gesamtschau des<br />
Geschehensablaufs habe das Gericht zu der Überzeugung kommen<br />
lassen, dass die Klägerin selbst keine ernsthaften Bemühungen vorgenommen<br />
habe, ihre berechtigte Forderung gegenüber der Geschädigten<br />
durchzusetzen. Vielmehr habe sie mit der Zession den<br />
Zweck verfolgt, die Geschädigte von der Durchsetzung der Mietwagenrechnung<br />
zu entlasten.<br />
Die Klägerin habe ihre Mietwagenrechnung zunächst lediglich<br />
an den Beklagten bzw. die hinter diesem stehende Haftpflichtversicherung<br />
übersandt. Erst nachdem diese nur einen Teilbetrag erstattet<br />
habe, habe sie sich an die Geschädigte gewandt. Auch deren<br />
Reaktion mit Schreiben vom 12. März 2001 deute darauf hin, dass<br />
ihr zumindest mündlich zugesagt worden sei, dass sie mit den<br />
Mietwagenkosten nicht belastet werde, sondern diese durch die<br />
Klägerin bei der gegnerischen Versicherung geltend gemacht und<br />
von dieser in vollem Umfang erstattet würden.<br />
II. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung<br />
nicht stand. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts<br />
verstößt die Abtretung der Forderung gegen den Schädiger<br />
unter den Umständen des vorliegenden Falles nach den getroffenen<br />
Feststellungen nicht gegen Art. 1 § 1 RBerG.<br />
1. Nach ständiger Rechtsprechung bedarf der Inhaber eines<br />
Mietwagenunternehmens, das es geschäftsmäßig übernimmt, für<br />
unfallgeschädigte Kunden die Schadensregulierung durchzuführen,<br />
der Erlaubnis nach Art. 1 § 1 Abs. 1 RBerG, und zwar auch dann,<br />
wenn er sich die Schadensersatzforderung erfüllungshalber abtreten<br />
lässt und die eingezogenen Beträge auf seine Forderungen an die<br />
Kunden verrechnet. Die Ausnahmevorschrift des Art. 1 § 5 Nr. 1<br />
RBerG kommt ihm nicht zugute. Bei der Beurteilung, ob die Abtretung<br />
den Weg zu einer erlaubnispflichtigen Besorgung von<br />
Rechtsangelegenheiten eröffnen sollte, ist nicht allein auf den<br />
Wortlaut der getroffenen vertraglichen Vereinbarung, sondern auf<br />
die gesamten diesen zugrunde liegenden Umstände und ihren wirtschaftlichen<br />
Zusammenhang abzustellen, also auf eine wirtschaftliche<br />
Betrachtung, die es vermeidet, dass Art. 1 § 1 RBerG durch
MN Rechtsprechung<br />
formale Anpassung der geschäftsmäßigen Rechtsbesorgung an den<br />
Gesetzeswortlaut und die hierzu entwickelten Rechtsgrundsätze<br />
umgangen wird (vgl. Senatsurteile vom 18. März 2003 –<br />
VI ZR 152/02 – VersR 2003, 656; vom 22. Juni 2004 –<br />
VI ZR 272/03 – VersR 2004, 1062, 1063; vom 26. Oktober 2004 –<br />
VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241 und vom 5. Juli 2005 –<br />
VI ZR 173/04 – VersR 2005, 1256, jeweils m. w. N.).<br />
Geht es dem Mietwagenunternehmen im Wesentlichen darum,<br />
die durch die Abtretung eingeräumte Sicherheit zu verwirklichen,<br />
so besorgt es keine Rechtsangelegenheit des geschädigten Kunden,<br />
sondern eine eigene Angelegenheit. Ein solcher Fall liegt aber<br />
nicht vor, wenn nach der Geschäftspraxis des Mietwagenunternehmens<br />
die Schadensersatzforderungen der unfallgeschädigten Kunden<br />
eingezogen werden, bevor diese selbst auf Zahlung in Anspruch<br />
genommen werden. Denn damit werden den Geschädigten<br />
Rechtsangelegenheiten abgenommen, um die sie sich eigentlich<br />
selbst zu kümmern hätten (vgl. Senatsurteile BGHZ 47, 364,<br />
366 f.; vom 18. März 2003 – VI ZR 152/02 – aaO, 656 f.; vom<br />
26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – VersR 2005, 241 f. und vom<br />
5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO).<br />
2. Diesen Grundsätzen wird die Beurteilung des Berufungsgerichts,<br />
dessen Urteil vor den ähnliche Sachverhalte betreffende<br />
Senatsentscheidungen vom 26. Oktober 2004 und 5. Juli 2005 ergangen<br />
ist, nicht gerecht.<br />
Die in erster Linie dem Tatrichter obliegende Würdigung der<br />
den vertraglichen Vereinbarungen zugrunde liegenden Umstände<br />
ist einer revisionsrechtlichen Nachprüfung allerdings nur beschränkt<br />
zugänglich (vgl. Senatsurteile vom 18. März 2003 –<br />
VI ZR 152/02 – aaO und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 –<br />
aaO). Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter die<br />
gesetzlichen Auslegungsregeln beachtet hat, seine Auslegung nicht<br />
gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und Verfahrensvorschriften<br />
nicht verletzt worden sind. Ein im Revisionsverfahren<br />
beachtlicher Rechtsfehler liegt vor, wenn die Auslegung des Tatrichters<br />
von den festgestellten Tatsachen nicht getragen wird (vgl.<br />
Senatsurteil vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO, 1256 f.<br />
m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall.<br />
a) Bei der Auslegung des zwischen der Klägerin und der Geschädigten<br />
geschlossenen Sicherungsvertrages ist zunächst von dessen<br />
Wortlaut auszugehen. Insoweit ergibt sich sowohl aus der Sicherungsabtretung<br />
als auch der „Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“,<br />
dass sich nicht die Klägerin, sondern die Geschädigte selbst um die<br />
Schadensregulierung kümmern musste. Der Wortlaut spricht demnach<br />
nicht für die Besorgung einer fremden Rechtsangelegenheit durch die<br />
Klägerin. Das wird vom Berufungsgericht auch nicht verkannt. Es hat<br />
auch gesehen, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats<br />
eine Mitwirkung des KFZ-Vermieters an der Geltendmachung der<br />
Schadensersatzansprüche des Geschädigten gegenüber dem Haftpflichtversicherer<br />
des Schädigers in gewissem Umfang zulässig ist. So stellt<br />
es keine unerlaubte Rechtsberatung dar, wenn ein Mietwagenunternehmen<br />
von seinen unfallgeschädigten Kunden, die ihm ihre Ansprüche<br />
auf Ersatz der Mietwagenkosten sicherheitshalber abgetreten haben, einen<br />
Unfallbericht fertigen lässt und diesen zusammen mit der Aufforderung,<br />
die Mietwagenkosten zu begleichen, an die Haftpflichtversicherung<br />
des Schädigers weiterleitet, sofern zweifelsfrei klargestellt ist, dass<br />
die Kunden für die Verfolgung und Durchsetzung ihrer Schadensersatzansprüche<br />
selbst tätig werden müssen (vgl. Senatsurteile vom 26. April<br />
1994 – VI ZR 305/93 – VersR 1994, 950, 952; vom 18. März 2003 –<br />
VI ZR 152/02 – aaO, 657; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 –<br />
aaO, 242 und vom 5. Juli 2005 – VI ZR 173/04 – aaO, 1257).<br />
b) Von daher steht die Auffassung des Berufungsgerichts, unter<br />
Berücksichtigung der sonstigen Umstände seien die Erklärungen<br />
der Vertragspartner nur als Scheinerklärungen zu werten, mit den<br />
getroffenen Feststellungen nicht in Einklang.<br />
Die Erwägungen des Berufungsgerichts lassen zunächst außer Acht,<br />
dass sich die Klägerin nach der „Vereinbarung zur Sicherungsabtretung“<br />
anders als in den den Senatsurteilen vom 18. April 1967 (BGHZ 47, 364)<br />
und 6. November 1973 (BGHZ 61, 317) zugrunde liegenden Fällen nicht<br />
sämtliche Ansprüche des Geschädigten gegen den Schädiger hat abtreten<br />
lassen; die Abtretung ist vielmehr auf die Ersatzansprüche hinsichtlich der<br />
Mietwagenkosten beschränkt. Schon dies spricht gegen eine umfassende<br />
Besorgung fremder Angelegenheiten im Sinne des Art. 1 § 1 RBerG (vgl.<br />
Senatsurteil vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – aaO).<br />
Zudem widerspricht die Begründung des Berufungsurteils, die<br />
Klägerin habe ihre Mietwagenrechnung zunächst lediglich an den<br />
Beklagten bzw. die hinter diesem stehende Haftpflichtversicherung<br />
übersandt, den Feststellungen im Tatbestand, nach denen die Kosten<br />
am 7. Oktober 2000 der Klägerin in Rechnung gestellt und nur eine<br />
Kopie der Rechnung mit der Sicherungsabtretungsvereinbarung der<br />
gegnerischen Versicherung zugesandt worden ist. Nach der Rechtsprechung<br />
des Senats muss jedoch nicht schon darin eine unerlaubte<br />
Rechtsberatung gesehen werden, dass das Mietwagenunternehmen<br />
dem Haftpflichtversicherer des Geschädigten durch Übersendung einer<br />
Kopie der Rechnung Gelegenheit gibt, die Verbindlichkeiten des<br />
Geschädigten direkt durch Zahlung an es zu tilgen. Ein solches Vorgehen<br />
dient nämlich regelmäßig nur einer Vereinfachung der Schadensabwicklung,<br />
erfordert keine besonderen Rechtskenntnisse und<br />
nimmt dem Geschädigten auch seine Verpflichtung zur eigenen<br />
Rechtsbesorgung nicht ab (vgl. Senatsurteil vom 26. Oktober 2004 –<br />
VI ZR 300/03 – aaO, m. w. N.). Auch hat das Berufungsgericht entgegen<br />
§ 286 ZPO nicht berücksichtigt, dass sich die Geschädigte<br />
mit Schreiben vom 12. Dezember 2000 selbst an den hinter dem Beklagten<br />
stehenden Haftpflichtversicherer gewandt und ihm zur Zahlung<br />
des Restbetrages an die Klägerin eine Frist bis zum 20. Dezember<br />
2000 gesetzt hat. Zudem hat die Klägerin mit Schriftsatz vom<br />
5. Februar 2001 von der Geschädigten den Restbetrag eingefordert<br />
und auf deren Pflicht hingewiesen, selbst für die Durchsetzung der<br />
Forderung zu sorgen, nachdem vom Haftpflichtversicherer lediglich<br />
ein Teilbetrag der Mietwagenkosten erstattet worden sei. All dies steht<br />
in Einklang mit dem Wortlaut der Vereinbarungen, wonach es dem Geschädigten<br />
weiterhin oblag, seine Schadensersatzansprüche – auch<br />
hinsichtlich der Mietwagenkosten – gegenüber dem Schädiger bzw.<br />
der Beklagten geltend zu machen.<br />
In Anbetracht dessen ist den Gesamtumständen nicht zu entnehmen,<br />
dass es sich nur um Scheinerklärungen handelte. Dies ergibt<br />
sich auch nicht aus der Reaktion der Geschädigten gegenüber<br />
der Klägerin auf deren Schreiben vom 5. Februar 2001, welche das<br />
Berufungsgericht als maßgeblich für seine Überzeugungsbildung<br />
angesehen hat. Soweit das Berufungsgericht meint, das Schreiben<br />
der Geschädigten vom 12. März 2001 deute darauf hin, dass ihr<br />
bei Abschluss des Mietwagenvertrages bzw. der Sicherungsabtretung<br />
zumindest mündlich zugesagt worden sei, sie nicht mit den<br />
Mietwagenkosten zu belasten, sondern diese vielmehr durch die<br />
Klägerin bei der gegnerischen Versicherung geltend zu machen,<br />
lässt sich dies dem Schreiben nicht entnehmen. Aus dem Schreiben<br />
ergibt sich nur, dass die Klägerin gegenüber der Geschädigten äußerte,<br />
der Unfallersatztarif sei angemessen und vom Schädiger<br />
bzw. dessen Haftpflichtversicherer zu ersetzen. Dies sagt nichts darüber<br />
aus, wer verpflichtet ist, diesen Anspruch anzumelden und<br />
ggf. durchzusetzen. Deshalb trägt der Inhalt des Schreibens nicht<br />
die vom Berufungsgericht gezogene Folgerung, dass entgegen dem<br />
Wortlaut der Vereinbarungen und den anderen vorstehend dargelegten<br />
Umständen eine Umgehung des Art. 1 § 1 RBerG vorliege.<br />
III. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben und die Sache zur<br />
neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.<br />
Dieses wird im weiteren Verfahren zu prüfen haben, inwieweit<br />
der geltend gemachte Mietzins bei einem Unfallersatztarif als „erforderlich“<br />
im Sinne des § 249 Satz 2 BGB a. F. (Art. 229 § 8 Abs. 1<br />
EGBGB) anzusehen ist (vgl. Senatsurteile vom 12. Oktober 2004 –<br />
VI ZR 151/03 – VersR 2005, 239, zur Veröffentlichung in BGHZ 160,<br />
377 vorgesehen; vom 26. Oktober 2004 – VI ZR 300/03 – aaO, 242 f.;<br />
vom 15. Februar 2005 – VI ZR 160/04 – VersR 2005, 569 und –<br />
VI ZR 74/04 – VersR 2005, 568 sowie vom 19. April 2005 –<br />
VI ZR 37/04 – VersR 2005, 850 f.).<br />
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AnwBl 1 / 2006 67
MN Rechtsprechung<br />
Anwaltshaftung<br />
Sachverhaltserforschung und Rechtskenntnis<br />
BGB § 675<br />
a) Liefert der von dem Mandanten mitgeteilte Sachverhalt<br />
keine tatsächlichen Anhaltspunkte für rechtshindernde Einwendungen,<br />
welche die Rechtslage zugunsten des Mandanten<br />
beeinflussen könnten, ist der Rechtsanwalt, der erst in der<br />
Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, insoweit<br />
zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts nicht<br />
verpflichtet.<br />
b) Eine Pflichtverletzung des Anwalts, der eine einschlägige<br />
Rechtsnorm übersehen hat, kann grundsätzlich nicht deshalb<br />
verneint werden, weil es sich dabei um eine entlegene Rechtsmaterie<br />
handelt.<br />
BGH, Urt. v. 22.9.2005 – IX ZR 23/04<br />
Sachverhalt: Die Klägerin, die zu den Zentralorganisationen<br />
der R.-Handelsgruppe gehört, bestellte unter dem 20. <strong>Januar</strong> 1998<br />
anlässlich eines Jubiläums der P.-Kette 5 Millionen Einkaufswagen-<br />
Chips nebst Schlüsselring und Karabinerhaken, die während der<br />
Jubiläumsfeiern an Kunden verschenkt werden sollten. 985.000<br />
Stück der bestellten Ware wurden fristgerecht ausgeliefert und bezahlt.<br />
4,015 Millionen Stück konnten wegen Havarie des zum Warentransport<br />
eingesetzten Frachtschiffes nicht fristgerecht geliefert<br />
werden. Die Klägerin trat daraufhin von dem Vertrag, den sie als<br />
Fixgeschäft ansah, zurück. Auf Zahlung des Kaufpreises gerichtlich<br />
in Anspruch genommen beauftragte sie im Herbst 1998 die<br />
Beklagten mit ihrer Rechtsverteidigung. Diese wandten ein, es<br />
liege ein Fixgeschäft vor. Die Klägerin unterlag in beiden Tatsacheninstanzen.<br />
Ihre Revision wurde nicht angenommen. In der<br />
Folgezeit nahm sie die Einkaufswagen-Chips, die sie bis auf eine<br />
Restmenge von 15.000 Stück auch bezahlte, ab. Die Restmenge<br />
war nicht Gegenstand der Kaufpreisklage gewesen.<br />
In einem zweiten Vorprozess nahm die Verkäuferin die Klägerin<br />
auf Bezahlung dieser Restmenge sowie auf Ausgleich von<br />
Wechselkursdifferenzen in Anspruch. Die durch andere Rechtsanwälte<br />
vertretene Klägerin, die inzwischen eine Abmahnung eines<br />
Automatenaufstellers erhalten hatte, verteidigte sich nunmehr damit,<br />
dass der Kaufvertrag nichtig sei, weil er gegen die Verordnung<br />
über die Herstellung und den Vertrieb von Medaillen und Marken<br />
vom 13. Dezember 1974 (BGBI. l S. 3520; fortan: MedVO) verstoße.<br />
Auch mit dieser Verteidigung drang sie nicht durch. Der<br />
Bundesgerichtshof wies in letzter Instanz die zugelassene Revision<br />
der Klägerin zurück, wobei er die Frage nach dem Anwendungsbereich<br />
der MedVO offen ließ (BGH, Urt v. 11. Februar 2004 –<br />
VIII ZR 85/03, nicht veröffentlicht).<br />
Die Klägerin nimmt die Beklagten auf Ausgleich der durch den<br />
Verlust des ersten Vorprozesses begründeten Zahlungspflichten von<br />
insgesamt 626.030,89 E in Anspruch und begehrt die Feststellung<br />
der Einstandspflicht der Beklagten für den weiteren Schaden, welcher<br />
der Klägerin dadurch entstanden sei oder künftig noch entstehen<br />
werde, dass die Beklagten in dem ersten Vorprozess nicht Tatsachen<br />
und rechtliche Erwägungen eingeführt hätten, aus denen<br />
sich die Nichtigkeit des Kaufvertrags über die Einkaufswagen-<br />
Chips wegen Verstoßes gegen die MedVO ergebe, Die Vorinstanzen<br />
haben die Anwendbarkeit der Verordnung verneint und die<br />
Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die zugelassene Revision<br />
der Klägerin, mit der sie ihre Anträge weiterverfolgt.<br />
Aus den Gründen: Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.<br />
I. Das Berufungsgericht hat gemeint, die Einkaufswagen-Chips<br />
würden von der MedVO nach deren Sinn und Zweck nicht erfasst.<br />
Die Ermächtigungsnorm (§ 12 a MünzG a. F.) lasse erkennen, dass<br />
die MedVO dazu diene, solche Marken und Medaillen vom allgemeinen<br />
Verkehr fernzuhalten, die mit Münzen verwechselt werden<br />
könnten. Zur Verwechslung fähig sei nur der Mensch mit seinen<br />
geistigen und sinnlichen Wahrnehmungsmöglichkeiten. Die<br />
Aufsteller von Automaten gehörten hingegen nicht zu dem durch<br />
die MedVO geschützten Personenkreis. Der Einkaufswagen-Chip<br />
sei durch sein sinnlich wahrnehmbares Erscheinungsbild ohne weiteres<br />
von den zum Zahlungsverkehr zugelassenen Münzen zu unterscheiden.<br />
Jedenfalls treffe die Beklagten kein Verschulden. Bei<br />
68 AnwBl 1 / 2006<br />
dem Münzgesetz und der MedVO handele es sich um eine weitgehend<br />
unbekannte Materie, welche die Beklagten nicht hätten<br />
kennen müssen.<br />
II. Diese Ausführungen halten im Ergebnis einer rechtlichen<br />
Überprüfung stand.<br />
1. Nicht zutreffend ist allerdings der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts,<br />
dass die Anwendbarkeit der MedVO auf den gelieferten<br />
Chip zu verneinen sei und eine schuldhafte Pflichtverletzung<br />
der Beklagten schon deshalb ausscheide, weil es sich bei der<br />
MedVO um eine entlegene Rechtsmaterie handele.<br />
a) Der Bundesgerichtshof hat – allerdings erst nach Erlass des<br />
angefochtenen Urteils – entschieden, die MedVO schütze als<br />
Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB auch das Vermögen<br />
des einzelnen Automatenaufstellers. Er könne den Vertreiber von<br />
Einkaufswagen-Chips im Falle eines Verstoßes gegen die Norm auf<br />
Ersatz des Schadens in Anspruch nehmen, der dadurch entstehe,<br />
dass sich Automatenbenutzer die angebotene Leistung unrechtmäßig<br />
verschafften, indem sie in ihrer Größe den einzuwerfenden<br />
Geldmünzen entsprechende und deshalb nach der Verordnung nicht<br />
erlaubte Chips verwendeten (BGH, Urt. v. 16. März 2004 – VI ZR<br />
105/03, NJW 2004, 1949 ff). Der Bundesgerichtshof leitet dies aus<br />
dem der Entstehungsgeschichte zu entnehmenden Schutzzweck der<br />
Vorgängerregelung her, von dem sich die späteren Verordnungsgeber<br />
ersichtlich nicht gelöst haben (vgl. BGH, aaO S. 1950).<br />
In dem damals zu entscheidenden Fall hatte der auf Schadensersatz<br />
in Anspruch genommene Beklagte sogenannte „Eikachips“<br />
aus Kunststoff, die in ihren Abmessungen dem Markstück entsprachen,<br />
vertrieben. Die dort zum Anwendungsbereich der MedVO<br />
getroffenen Erwägungen treffen erst recht auf die im Streitfall gelieferten<br />
goldfarbigen Marken aus Eisen zu, deren Vertrieb wegen<br />
ihres Durchmessers und ihrer Stärke gegen § 3 MedVO verstößt<br />
und die von der Ausnahmevorschrift des § 4 Abs. 1 MedVO nicht<br />
erfasst werden, weil sie in ihrem Zentrum kein Loch von mindestens<br />
6,0 mm aufweisen.<br />
b) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist<br />
der um eine Beratung ersuchte Rechtsanwalt zu einer umfassenden<br />
und erschöpfenden Belehrung seines Auftraggebers verpflichtet,<br />
sofern dieser nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rats nur<br />
in einer bestimmten Richtung bedarf. Der Anwalt muss den ihm<br />
vorgetragenen Sachverhalt daraufhin prüfen, ob er geeignet ist, den<br />
vom Auftraggeber erstrebten Erfolg herbeizuführen (BGH, Urt.v.<br />
6. Februar 1992 – IX ZR 95/91, WM 1992, 742, 743; v. 13. März<br />
1997 – IX ZR81/96, WM 1997, 1392, 1393). Rechtsprüfung und<br />
Rechtsberatung setzen zwingend die Kenntnis der einschlägigen<br />
Rechtsnormen voraus, zu denen auch die auf der Grundlage von<br />
Bundesgesetzen erlassenen Rechtsverordnungen gehören (vgl. Zugehör,<br />
Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 556). Notfalls muss sich<br />
der anwaltliche Berater die mandatsbezogenen Rechtskenntnisse,<br />
soweit sie nicht zu seinem präsenten Wissen gehören, ungesäumt<br />
verschaffen (BGH, Urt. v. 15. Juli 2004 – IX ZR 472/00, WM<br />
2005, 896) und sich auch in eine Spezialmaterie einarbeiten (vgl.<br />
BGH, Urt. v. 8. November 2001 – IX ZR 64/01, WM 2001, 2455,<br />
2457).<br />
Mit diesen Grundsätzen ist die Auffassung des Berufungsgerichts,<br />
die hier einschlägige Verordnungsermächtigung in § 12 a<br />
MünzG a. F. stelle ebenso wie die auf dieser Grundlage erlassene<br />
Verordnung eine entlegene Rechtsmaterie dar, welche den Beklagten<br />
nicht hätte bekannt sein müssen und nach der sie generell nicht<br />
hätten zu forschen brauchen, nicht zu vereinbaren.<br />
2. Auf diesen Fehlern des Berufungsgerichts beruht das Urteil<br />
jedoch nicht. Die Beklagten waren nach den gegebenen Umständen<br />
nicht verpflichtet, die Wirksamkeit des Kaufvertrages unter<br />
münzrechtlichen Gesichtspunkten in Zweifel zu ziehen.<br />
a) Die Beklagten waren von der Klägerin in die Vertragsverhandlungen,<br />
die schließlich zum Abschluss des Kaufvertrages über<br />
5 Mio. Einkaufswagen-Chips geführt hatten, nicht eingeschaltet<br />
worden. Ihr anwaltlicher Auftrag bezog sich auf die weitere Vertragsabwicklung,<br />
nachdem bereits eine erste Teillieferung abgenommen<br />
und vorbehaltlos bezahlt worden war. Der vereinbarte<br />
Kaufgegenstand war ihnen von der Klägerin weder in tatsächlicher<br />
noch in rechtlicher Hinsicht als problematisch geschildert worden.<br />
Gleiches gilt für den von der Verkäuferin zur Abnahme bereit-
MN Rechtsprechung<br />
gehaltenen Teil der Ware, die in ihrer Ausführung unstreitig der<br />
ersten Teillieferung entsprach.<br />
aa) Der anwaltliche Berater wäre überfordert, wenn von ihm<br />
allgemein verlangt würde, dass er über eine im Wesentlichen lückenlose<br />
Gesetzeskenntnis verfügen und sie in das Beratungsgeschehen<br />
einbringen müsste. Erwartet wird von ihm nur eine<br />
mandatsbezogene Rechtskenntnis, die zudem mit der Informationspflicht<br />
des Mandanten in Wechselwirkung steht: Grundsätzlich darf<br />
der Rechtsanwalt auf die Richtigkeit und die Vollständigkeit der<br />
tatsächlichen Angaben seines Auftraggebers vertrauen, ohne eigene<br />
Nachforschungen anstellen zu müssen (vgl. BGH, Urt v. 13.<br />
März 1997 – IX ZR 81/96, WM 1997, 1392, 1394). Dies gilt insbesondere<br />
für die Informationserteilung, welche die berufliche Tätigkeit<br />
des Auftraggebers betrifft (vgl. BGH, Urt. v. 8. Oktober<br />
1981 – III ZR 190/79, NJW 1982, 437). Der Rechtsanwalt muss<br />
sich allerdings um zusätzliche Aufklärung bemühen, wenn den<br />
Umständen nach für eine zutreffende rechtliche Einordnung die<br />
Kenntnis weiterer Tatsachen erforderlich und deren Bedeutung für<br />
den Mandanten nicht ohne weiteres ersichtlich ist (vgl. BGH, IM.<br />
v. 20. Juni 1996 – IX ZR 106/95, WM 1996, 1832, 1835; v. 2. April<br />
1998 – IX ZR 107/97, WM 1998, 1542, 1544; v. 18. November<br />
1999 – IX ZR 420/97, WM 2000, 189, 190; v. 7. Februar 2002 –<br />
IX ZR 209/00, WM 2002, 1077).<br />
bb) Richtet sich der Auftrag des Mandanten – wie im Streitfall<br />
– darauf, Ansprüche aus einem Vertrag abzuwehren, hat der<br />
Rechtsanwalt auf der Grundlage des ihm mitgeteilten Sachverhalts<br />
in jeder Richtung zu prüfen, was der Inanspruchnahme seines<br />
Mandanten entgegenstehen kann.<br />
(1) Er hat dabei rechtshindernde Einwendungen, für die der<br />
mitgeteilte Sachverhalt Anlass gibt, selbst dann in Erwägung zu<br />
ziehen, wenn der Mandant die Wirksamkeit des Vertrages nicht anzweifelt<br />
und sich nur auf rechtsvernichtende Einwendungen oder<br />
auf Einreden bezieht. Dies gilt nicht nur für die Beachtung etwaiger<br />
Formvorschriften oder Genehmigungserfordernisse des bürgerlichen<br />
Rechts. Die Möglichkeit einer Unwirksamkeit des Vertrages<br />
ist nach Lage des Falles auch unter dem Gesichtspunkt zu prüfen,<br />
ob die Vereinbarung, aus welcher der Gegner des Mandanten Ansprüche<br />
herleitet, unter Verstoß gegen Bestimmungen des öffentlichen<br />
Rechts zustande gekommen ist und ob die verletzten Bestimmungen<br />
zu den Verbotsgesetzen im Sinne des § 134 BGB<br />
zählen. Hat der Rechtsanwalt in dem Bereich, der aufgrund des<br />
von dem Mandanten mitgeteilten Sachverhalts in rechtlicher Hinsicht<br />
zu prüfen und gegebenenfalls in tatsächlicher Hinsicht weiter<br />
aufzuklären ist, kein hinreichend präsentes Wissen, hat er sich,<br />
wenn er das Mandant weiterführen will, in die Rechtsmaterie in<br />
dem Maße einzuarbeiten, das für ihn erkennbar zur Wahrung des<br />
Interesses des Auftraggebers notwendig ist. Unterlässt er dies und<br />
übersieht er trotz gegebener tatsächlicher Anhaltspunkte Unwirksamkeitsgründe,<br />
kann er sich in einem nachfolgenden Regressprozess<br />
nicht darauf berufen, dass diese in einer weitgehend unbekannten<br />
Rechtsmaterie anzusiedeln seien.<br />
(2) Liefert der von dem Mandanten mitgeteilte Sachverhalt dem<br />
Rechtsanwalt dagegen keine tatsächlichen Anhaltspunkte für<br />
rechtshindernde Einwendungen, welche die Rechtslage zugunsten<br />
des Mandanten beeinflussen könnten, ist der Rechtsanwalt, der erst<br />
in der Phase der Vertragsabwicklung beauftragt worden ist, von<br />
sich aus zu einer weiteren Erforschung des Sachverhalts insoweit<br />
nicht verpflichtet. Ohne entsprechende Anhaltspunkte hat er zum<br />
Beispiel keine Suche nach Tatsachen anzustellen, aus denen sich<br />
die Geschäftsunfähigkeit eines der Vertragspartner oder die Einordnung<br />
des Vertrages als Scheingeschäft ergeben könnte. Er hat auch<br />
nicht von sich aus danach zu forschen, ob der geschlossene Vertrag<br />
wegen eines Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung<br />
den Wuchertatbestand erfüllt, wenn die von dem Mandanten<br />
mitgeteilten tatsächlichen Umstände hierfür keine Anhaltspunkte<br />
bieten. Entsprechendes gilt für mögliche Verstöße gegen Verbotsgesetze<br />
im Sinne des § 134 BGB.<br />
b) Auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten,<br />
von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen Sachverhalts<br />
bestand in dem Ausgangsrechtsstreit um die Bezahlung und<br />
Abnahme des zweiten Chipkontingents über rund 4 Mio. Stück für<br />
die Beklagten keine Veranlassung, der münzrechtlichen Gesetzmäßigkeit<br />
des Vertrages weiter nachzugehen.<br />
aa) Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass die Beklagten<br />
die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen mit der Verkäuferin<br />
nicht anwaltlich beraten haben und sie auch kein Mandat hatten,<br />
die erste Lieferung von 985.000 Einkaufswagen-Chips auf ihre<br />
Mangelfreiheit zu prüfen. In der Auftragsbestätigung vom 20. <strong>Januar</strong><br />
1998, die auf das Angebot vom 16. <strong>Januar</strong> 1998 Bezug<br />
nimmt, wird der gekaufte Artikel als „Ek-Wagen-Chips mit Schlüsselanhänger“<br />
bezeichnet. Allein die Bezeichnung des Kaufgegenstandes<br />
als Einkaufswagen-Chip musste bei der Beklagten noch<br />
nicht den Verdacht auf eine Verletzung öffentlich-rechtlicher Bestimmungen<br />
auslösen, zumal der Zusatz „mit Schlüsselanhänger“<br />
einen möglichen Verstoß gegen Normen des Münzrechts noch unwahrscheinlicher<br />
erscheinen ließ. Die Klägerin hat in den Tatsacheninstanzen<br />
nicht angezweifelt, dass die Verkäuferin nach dem<br />
Schriftwechsel zwischen den damaligen Vertragsparteien, der<br />
schließlich zum Vertragsschluss führte und der den Beklagten möglicherweise<br />
mit Mandatserteilung übermittelt worden ist, berechtigt<br />
und in der Lage war, funktionsfähige Einkaufswagen-Chips zu liefern,<br />
die den Anforderungen des Münzrechts genügten. Der im <strong>Januar</strong><br />
1998 geschlossene Vertrag hatte somit nach den von der Klägerin<br />
erteilten Informationen keinen Kaufgegenstand zum Inhalt,<br />
der bei einem Rechtsanwalt geeignet war, den Verdacht zu erregen,<br />
seine Beschaffenheit könne die Unwirksamkeit des Vertrags nach<br />
§ 134 BGB in Verbindung mit den Vorschriften des Münzrechts<br />
nach sich ziehen. Allein der Umstand, dass nach der Vereinbarung<br />
auch die Lieferung gesetzwidriger Ware möglich war, verpflichtet<br />
den Anwalt nicht, im Streit um eine verspätete Lieferung den<br />
Kaufgegenstand einer näheren Untersuchung zu unterziehen, solange<br />
ihm keine Umstände mitgeteilt werden, die einen entsprechenden<br />
Verdacht begründen können. Deshalb kann den Beklagten<br />
nicht als Pflichtverletzung angelastet werden, dass sie die Verteidigung<br />
auf den Fixgeschäftcharakter des Vertrages konzentriert und<br />
Verteidigungsalternativen, die an der möglichen Unwirksamkeit<br />
des Vertrages anknüpften, außer Betracht gelassen haben.<br />
bb) Soweit nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Kaufpreisanspruch,<br />
den die Beklagten abzuwehren hatten, an Gewährleistungsrechten<br />
der Klägerin aus §§ 459, 462, 467 BGB a. F. gescheitert<br />
wäre, gilt das Entsprechende. Ohne auf einen Mangel<br />
hindeutende Informationen durch die Klägerin brauchten die Beklagten<br />
nicht von sich aus in Erwägung zu ziehen, dass hinsichtlich<br />
der zweiten Teillieferung das Gewährleistungsrecht möglicherweise<br />
erfolgversprechende Ansatzpunkte bot, den gegen die Klägenn gerichteten<br />
Kaufpreisanspruch abzuwenden.<br />
Anmerkung der Redaktion<br />
Die Entscheidung empfiehlt sich – trotz des auf den ersten<br />
Blick unübersichtlichen Sachverhalts – zur genauen Lektüre.<br />
Der BGH bekräftigt erneut, dass der Rechtsanwalt über umfassende<br />
Rechtskenntnisse zur Bearbeitung eines von ihm angenommenen<br />
Mandats verfügen muss. Notfalls muss er sich die mandatsbezogenen<br />
Rechtskenntnisse „ungesäumt“ – wie es im Urteil heißt<br />
– beschaffen. In diesem Fall hätte das bedeutet: Auch ein nichtspezialisierter<br />
bzw. branchenfremder Anwalt hätte das Münzrecht<br />
berücksichtigen müssen, wenn er einen Vertrag über den Kauf von<br />
Einkaufswagen-Chips entwirft oder verhandelt. Einkaufswagen-<br />
Chips können nämlich – wenn sie wie Münzen einzusetzen sind –<br />
gegen die Verordnung über die Herstellung und den Vertrieb von<br />
Medaillen und Marken verstoßen.<br />
Allerdings gibt der BGH den Anwälte am Ende doch ein wenig<br />
Marscherleichterung mit auf dem Weg: Sie müssen nicht jeden<br />
Sachverhalt im Hinblick auf jede auch nur denkbar anwendbare<br />
Norm aufklären. Das gilt zumindest, solange sie auf die Richtigkeit<br />
Anzeige<br />
AnwBl 1 / 2006 69
MN Rechtsprechung<br />
und Vollständigkeit der Informationen des Mandanten vertrauen<br />
dürfen und sie keine Anhaltspunkte für die Anwendbarkeit entlegener<br />
Rechtsvorschriften haben.<br />
In dem entschiedenen Fall hafteten die beklagten Anwälte im<br />
Ergebnis nicht. Sie hatten mit dem Abschluss des Kaufvertrags<br />
über die Einkaufswagen-Chips nichts zu tun. Als sie für ihren<br />
Mandanten die Verkäuferansprüche dann später abwehrten, konnten<br />
sie nach Auffassung des BGH die mögliche Nichtigkeit des Kaufvertrags<br />
aus Münzrecht nicht mehr erkennen.<br />
Rechtsanwalt Dr. Nicolas Lührig, Berlin<br />
Honorarfreie Fehlerbeseitigung<br />
BGB § 675, § 254 Abs. 2 Satz 1<br />
Hat der Auftraggeber einen Prozess in erster Instanz aufgrund<br />
unzureichenden Vertrags seines Prozessbevollmächtigten verloren,<br />
darf er, ohne sich dem Einwand des Mitverschuldens auszusetzen,<br />
die Einlegung der Berufung von dessen Erklärung abhängig<br />
machen, dass er den Auftraggeber von den Kosten der<br />
zweiten Instanz freistelle, falls ergänzender Vortrag im Hinblick<br />
auf die Verspätungsvorschriften nicht zugelassen und deshalb<br />
die Berufung zurückgewiesen werde.<br />
BGH, Urt. v. 6.10.2005 – IX ZR 111/02<br />
Sachverhalt: Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihrer<br />
Mutter, einer Handelsvertreterin, einen Schadensersatzanspruch gegen<br />
den verklagten Rechtsanwalt geltend. Dieser habe in einem vorausgegangenen<br />
Rechtsstreit vor dem Landgericht Düsseldorf den<br />
Anspruch der Zedentin gegen deren Geschäftsherrin auf Zahlung<br />
eines Handelsvertreterausgleichs (§ 89 b HGB) nicht schlüssig dargelegt<br />
und damit seine anwaltlichen Pflichten schuldhaft verletzt.<br />
Gegen das die Klage abweisende Urteil erster Instanz hat die Zedentin<br />
kein Rechtsmittel eingelegt. Die auf Zahlung von<br />
232.500,00 DM gerichtete Klage hatte in den Vorinstanzen keinen<br />
Erfolg. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Senat zugelassenen<br />
Revision.<br />
Aus den Gründen: Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung und<br />
Zurückverweisung.<br />
I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Beklagte habe seine<br />
anwaltlichen Pflichten als Prozessbevollmächtigter der Zedentin<br />
im Vorprozess schuldhaft verletzt. Er habe die Voraussetzungen<br />
des geltend gemachten Ausgleichsanspruchs aus § 89 b HGB nicht<br />
schlüssig dargelegt. Darauf habe die damalige Prozessgegnerin bereits<br />
in ihrer Klageerwiderung hingewiesen. Auch habe der Vorsitzende<br />
des Gerichts in der mündlichen Verhandlung entsprechende<br />
Bedenken geäußert. Der Beklagte habe jedoch nicht auf eine Ergänzung<br />
des Vertrags durch die – im Termin anwesende – Zedentin<br />
hingewirkt und auch sonst keine prozessualen Maßnahmen ergriffen,<br />
die eine Substantiierung des Vorbringens noch ermöglicht hätten.<br />
Es entlaste ihn auch nicht, dass er über einen Verkehrsanwalt,<br />
seinen nunmehrigen Streithelfer, mit der Zedentin korrespondiert<br />
habe. Zugunsten der Klägerin könne weiter unterstellt werden,<br />
dass der Zedentin durch die Pflichtverletzung des Beklagten der<br />
geltend gemachte Schaden entstanden sei. Der Zedentin wäre es<br />
nach entsprechendem Hinweis des Beklagten gelungen, ihren Ausgleichsanspruch<br />
nach Grund und Höhe schlüssig darzulegen und<br />
zu beweisen; die verklagte schlüssig darzulegen und zu beweisen;<br />
die verklagte Geschäftsherrin hätte nicht beweisen können, dass sie<br />
das Vertragsverhältnis berechtigt aus wichtigem Grund gekündigt<br />
habe und der Ausgleichsanspruch somit ausgeschlossen sei.<br />
Gleichwohl sei die Regressklage abzuweisen, weil die Zedentin<br />
den für sie negativen Ausgang des Vorprozesses durch Einlegung<br />
der Berufung hätte abwenden können und müssen (§ 254 Abs. 2<br />
BGB). Es lasse sich nicht feststellen, dass das Rechtsmittel keinen<br />
Erfolg gehabt hatte, weil das ergänzende, den Ausgleichsanspruch<br />
schlüssig begründende Vorbringen gemäß § 528 ZPO in der bis<br />
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung als verspätet zurückgewiesen<br />
worden wäre. Vielmehr sei es ständige, dem Gesetz entsprechende<br />
Praxis des Regresssenats, der zugleich für Handelsvertretersachen<br />
zuständig sei, selbst dann, wenn die Ausgleichsklage<br />
in der Berufungsinstanz noch nicht schlüssig begründet sei, den<br />
klagenden Handelsvertreter darauf hinzuweisen und ihm noch Ge-<br />
70 AnwBl 1 / 2006<br />
legenheit zur Nachbesserung zu geben. Es entlaste die Zedentin<br />
nicht, dass ihre neuen, nach Zustellung des im Vorprozessergangenen<br />
Urteils beauftragten Rechtsanwälte ihr dazu geraten hätten,<br />
kein Rechtsmittel einzulegen. Diese fehlerhafte Einschätzung<br />
müsse sich die Zedentin als eigenes Verschulden entgegenhalten<br />
lassen. Es sei ihr zuzumuten gewesen, das keineswegs aussichtslos<br />
erscheinende Rechtsmittel einzulegen. Zwar habe der Beklagte es<br />
abgelehnt, das damit verbundene Kostenrisiko für den Fall zuübernehmen,<br />
dass die Berufung wegen Verspätung des neuen Vorbringensgemäß<br />
§ 528 ZPO a. F. zurückgewiesen werde. Den Beklagten<br />
habe jedoch keine Vorschusspflicht hinsichtlich der Kosten des Berufungsrechtszuges<br />
getroffen.<br />
II. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in<br />
wesentlichen Punkten nicht stand.<br />
1. Allerdings hat das Berufungsgericht – entgegen der Ansicht<br />
der Revision – nicht angenommen, der Zurechnungszusammenhang<br />
zwischen dem Anwaltsfehler des Beklagten und dem der Zedentin<br />
entstandenen Schaden sei unterbrochen, weil die Zedentin<br />
es unterlassen habe, die ihr drohenden Nachteile durch Einlegung<br />
der Berufung abzuwenden. Eine derartige Unterbrechung kommt<br />
nach der Rechtsprechung des Senats nur in Betracht, wenn der Eingriff<br />
des Geschädigten in den Geschehensablauf unvertretbar und<br />
völlig unsachgemäß ist (BGH, Urt. v. 14. Juli 1994 – IX ZR<br />
204/93, WM 1994, 2162; v. 29. November 2001 – IX ZR 278/00,<br />
WM 2002, 505, 508), Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht<br />
den Zurechnungszusammenhang ausdrücklich bejaht.<br />
2. Zutreffend (vgl. BGHZ 133, 110, 111; BGH, Urt. v. 9. Dezember<br />
1999 – IX ZR 129/99, WM 2000, 959, 962; v. 27. <strong>Januar</strong><br />
2000 – IX ZR 45/98, WM 2000, 966, 968) ist auch die Ansicht des<br />
Berufungsgerichts, für die hypothetische Betrachtung, wie der Vorprozess<br />
ausgegangen wäre, wenn die Klägerin gegen das klageabweisende<br />
erstinstanzliche Urteil Berufung eingelegt hätte,<br />
komme es ausschließlich auf die Sicht des Regressrichters an.<br />
Diese Ansicht wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass das Berufungsgericht<br />
an anderer Stelle darauf hingewiesen hat, es hätte –<br />
falls in dem früheren Verfahren die Berufung eingelegt worden<br />
wäre – nach der internen Zuständigkeitsverteilung beim Oberlandesgericht<br />
Düsseldorf selbst darüber entscheiden müssen und nach<br />
seiner ständigen Praxis sei es zulässig, dass Ausgleichsktagen von<br />
Handelsvertretern erst in der Berufungsinstanz schlüssig begründet<br />
würden. Denn das Berufungsgericht hat weiter bemerkt, diese Praxis<br />
sei eine „dem Gesetz entsprechende“, womit es die maßgebliche<br />
Sicht des Regressrichters zum Ausdruck gebracht hat.<br />
3. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann jedoch<br />
der Beklagte der Klägerin nicht als Mitverschulden (§ 254 Abs. 2<br />
BGB) entgegenhalten, sie hätte Berufung einlegen müssen. Denn er<br />
hat sich geweigert, die von der Zedentin verlangte eingeschränkte<br />
Kostenfreistellungserklärung abzugeben. Ohne eine solche durfte<br />
die Zedentin von der Einlegung des Rechtsmittels absehen.<br />
Die Ansicht des Berufungsgerichts, es sei die alleinige Obliegenheit<br />
der Zedentin gewesen, ihren Anspruch durchzusetzen und<br />
Rechtsmittel gegen das abweisende erstinstanzliche Urteil einzulegen,<br />
steht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.<br />
Danach hat ein Rechtsanwalt, dem ein Fehler unterlaufen<br />
ist, aus dem seinem Auftraggeber ein Schaden droht,<br />
zusätzliche honorarfreie Leistungen zu erbringen, sofern sich der<br />
Schadenseintritt nur noch auf diese Weise verhindern lässt (BGH,<br />
Urt. v. 10. Februar 1994 – IX ZR 109/93, WM 1994, 1114). Ist der<br />
Schaden aus von dem Rechtsanwalt zu verantwortenden Gründen<br />
bereits eingetreten, besteht jedoch berechtigte Aussicht, ihn durch<br />
einen zweiten Prozess zu beseitigen oder zu verringern, hat der<br />
Anwalt aufgrund der ihn nach § 249 BGB treffenden Ersatzpflichten<br />
seinem Mandanten die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung<br />
zu stellen, sofern er ihn nicht auf andere Weise entschädigt<br />
(BGH, Urt. v. 21. September 2000 – IX ZR 439/99, WM 2000,<br />
2437, 2439). Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein Schaden<br />
bereits dann eingetreten, wenn eine ansonsten begründete Klage<br />
wegen eines Anwaltsfehlers abgewiesen wird (BGH, Urt. v. 12. Februar<br />
1998 – IX ZR 190/97, WM 1998, 786, 787 f). Rechtskräftig<br />
braucht die Abweisung nicht zu sein (BGH, Urt, v. 11. Februar<br />
1998 aaO S. 788; v. 8. Dezember 1999 – IX ZR 129/99, WM 2000,<br />
959, 960; v. 27. <strong>Januar</strong> 2000 – IX ZR 354/98, WM 2000, 969, 970;<br />
anders noch Urt. v. 9. Juli 1992 – IX ZR 50/91, WM 1992, 2023,
MN Rechtsprechung<br />
2024 f). Wenn nach Schadenseintritt der Rechtsanwalt für den<br />
Mandanten sogar einen Zweitprozess auf eigenes Risiko und eigene<br />
Kosten führen muss, hat er, falls der Mandant wegen der anwaltlichen<br />
Pflichtverletzung in erster Instanz unterlegen und der<br />
Schaden somit bereits vor Beendigung eines Prozesses eingetreten<br />
ist, auch das Kostenrisiko für eine weitere Instanz zu tragen.<br />
Das Berufungsgericht hat gemeint, der Beklagte wäre „allenfalls“<br />
nach einer Zurückweisung der Berufung – soweit auch dieser<br />
Misserfolg auf die von dem Beklagten zu vertretende Pflichtverletzung<br />
zurückzuführen gewesen wäre – zur Übernahme der Kosten<br />
des zweiten Rechtszuges verpflichtet gewesen; eine Vorschusspflicht<br />
habe ihn nicht getroffen. Ob dem zuzustimmen ist, braucht<br />
nicht entschieden zu werden. Denn einen „Vorschuss“ hatte die Zedentin<br />
nicht verlangt. Sie hatte mit Anwaltsschreiben vom 19. August<br />
1997 dem Beklagten lediglich angesonnen, sie von den Kosten<br />
des Berufungsverfahrens für den Fall freizustellen, dass diese Instanz<br />
aus den von dem Beklagten zu verantwortenden Gründen<br />
ebenfalls verloren gehen sollte. Soweit das Berufungsgericht diese<br />
Freistellungspflicht verneint hat, ist dies mit der Rechtsprechung<br />
des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 21. September 2000 aaO) nicht zu<br />
vereinbaren, Die Zedentin hat von dem Beklagten nur verlangt,<br />
wozu er ohnehin verpflichtet war. Denn die Kostenlast, von der die<br />
Klägerin Freistellung begehrt hat, wäre gegebenenfalls nur eine<br />
weitere Folge der haftungsbegründenden Pflichtverletzung des Beklagten<br />
gewesen.<br />
Es kann nicht danach unterschieden werden, ob die Einlegung<br />
des Rechtsmittels aussichtslos ist oder nicht. Wer ein aussichtsloses<br />
Rechtsmittel nicht einlegt, handelt seinen eigenen Interessen niemals<br />
zuwider. Ist das Rechtsmittel nicht aussichtslos, der Erfolg<br />
aber auch nicht gewiss, ist es in einem Fall wie dem vorliegenden<br />
kein „Verschulden gegen sich selbst“, entspricht es vielmehr einem<br />
vernünftigen Prozessverhalten, wenn die Partei die Einlegung eines<br />
Rechtsmittels von einer eingeschränkten Kostenfreistellungserklärung<br />
des Schädigers abhängig macht.<br />
Ein Mitverschulden kann dem Mandanten allenfalls dann vorgeworfen<br />
werden, wenn für diesen klar zutage liegt, dass das<br />
Rechtsmittel Erfolg haben würde, und er gleichwohl davon keinen<br />
Gebrauch macht, weil der für den Misserfolg der Klage in erster<br />
Instanz verantwortliche Rechtsanwalt die von ihm verlangte Kostenfreistellungserklärung<br />
nicht abgibt. Ob ein derartiges Verhalten<br />
des Mandanten als „rechtsmissbräuchlich“ anzusehen wäre,<br />
braucht der Senat nicht zu entscheiden. Denn einen solchen Fall<br />
hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat sich nicht einmal<br />
davon überzeugen können, dass die Berufung hätte Erfolg haben<br />
müssen. Vielmehr hat es lediglich nicht ausschließen können, dass<br />
die Berufung Erfolg gehabt hätte („Dass eine Berufung ... keinen<br />
Erfolg gehabt hätte, ... lässt sich nicht feststellen“).<br />
In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat der Revisionsbeklagte<br />
darauf hingewiesen, dass die Zedentin Berufung hätte<br />
einlegen und ihm – dem Revisionsbeklagten – den Streit hätte verkünden<br />
können. Dies ist zutreffend, begründet jedoch kein Mitverschulden.<br />
Im Verhältnis zu dem Schädiger steht es dem Geschädigten<br />
frei, ob er sich die Nebeninterventionswirkung einer<br />
Streitverkündung zunutze machen oder ohne diese den Regressprozess<br />
durchführen will. Zwar hätte der Beklagte im Falle einer Streitverkündung<br />
dem Rechtsstreit beitreten und sodann seinen Rechtsstandpunkt<br />
zur Geltung bringen können. Den Weg hierzu hätte ihm<br />
jedoch auch die Abgabe der eingeschränkten Kostenfreistellungserklärung<br />
geebnet, welche die Zedentin von ihm verlangt hat.<br />
III. Das Berufungsurteil ist somit aufzuheben (§ 562 Abs. 1<br />
ZPO). Die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen<br />
(§ 563 Abs. 1 ZPO). Dieses wird nunmehr prüfen müssen, ob –<br />
was bisher lediglich unterstellt worden ist – durch die Pflichtverletzung<br />
des Beklagten der geltend gemachte Schaden entstanden ist.<br />
In diesem Zusammenhang weist der Senat auf Folgendes hin:<br />
Ob einer im Vorprozess eingelegten Berufung unter Anwendung<br />
der Verspätungsvorschriften der Erfolg hätte versagt werden müssen,<br />
hat das Berufungsgericht offen gelassen. Statt dessen hat es<br />
ausgeführt, es könne nicht feststellen, dass die Berufung keinen Erfolg<br />
gehabt hätte. Der Umstand, dass die Zedentin im Vorprozess<br />
keine Berufung eingelegt hat, ist für das Unterliegen im Vorprozess<br />
jedoch nur ursächlich geworden, wenn positiv festgestellt werden<br />
kann, dass die Berufung Erfolg hätte haben müssen.<br />
Anwaltsvergütung<br />
Terminsgebühr ohne Termin<br />
RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 278 Abs. 6<br />
Wird in einem in erster Instanz geführten Zivilprozess über den<br />
rechtshängigen Anspruch (auf Vorschlag des Gerichts) ein<br />
schriftlicher Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO geschlossen, entsteht<br />
für den beauftragten Prozessbevollmächtigten – neben einer<br />
1,3 Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV und einer 1,0 Einigungsgebühr<br />
nach Nr. 1003 VV – eine 1,2 Terminsgebühr nach<br />
Nr. 3104 VV.<br />
BGH, Beschl. v. 27.10.2005 – III ZB 42/05<br />
Aus den Gründen: I. Mit seiner im Juli 2004 eingegangenen<br />
Vollstreckungsabwehrklage begehrte der Kläger die Unterlassung<br />
der Zwangsvollstreckung aus einem von der Beklagten erwirkten<br />
Vollstreckungsbescheid über eine Hauptforderung von 5.412,02 E<br />
nebst weiterer Kosten und Zinsen. Das Landgericht führte ein<br />
schriftliches Vorverfahren durch und machte nach einem entsprechenden<br />
vorangegangenen Schriftsatz des Klägers vom 14. September<br />
2004 durch Verfügung vom 16. September 2004 gemäß<br />
§ 278 Abs. 6 ZPO einen Vergleichsvorschlag, den die Parteien annahmen.<br />
Durch Beschluss vom 24. September 2004 stellte das<br />
Landgericht das Zustandekommen und den Inhalt des Vergleichs<br />
nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO fest. Hiernach haben der Kläger 14<br />
v. H. und die Beklagte 86 v. H. der Kosten des Rechtsstreits und des<br />
Vergleichs zu tragen.<br />
In seinem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 10. November<br />
2004 berücksichtigte das Landgericht die von den Parteien zum<br />
Ausgleich angemeldete 1,3-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3100 des<br />
Vergütungsverzeichnisses (im Folgenden: VV) in Anlage 1 zu § 2<br />
Abs. 2 RVG und die 1,0-Einigungsgebühr gemäß Nr. 1003 VV, sah<br />
aber von der Ausgleichung der vom Kläger beanspruchten 1,2-Terminsgebühr<br />
gemäß Nr. 3104 VV ab, weil die mündliche Verhandlung<br />
für die in § 278 Abs. 6 ZPO vorgesehene Möglichkeit, in einem<br />
schriftlichen Verfahren einen Vergleich abzuschließen, nicht<br />
vorgeschrieben sei. Das Oberlandesgericht hat die sofortige Beschwerde<br />
des Klägers gegen die Nichtberücksichtigung der Terminsgebühr<br />
zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen.<br />
II. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.<br />
1. Das Beschwerdegericht (vgl. auch OLG Nürnberg NJW-RR<br />
2005, 655 mit kritischen Anmerkungen Henke AnwBl 2005, 222;<br />
Enders JurBüro 2005, 250; Schons AGS 2005, 145) nimmt auf den<br />
zur Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ergangenen Beschluss<br />
des Bundesgerichtshofs vom 30. März 2004 (VI ZB 81/03<br />
-NJW 2004, 2311) Bezug. Danach lösten die außerhalb eines gerichtlichen<br />
Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung<br />
der Parteien oder ihrer Vertreter vor einem Vergleichsabschluss<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO keine Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1<br />
Nr. 4 BRAGO aus, sondern sie wurden durch die Prozessgebühr<br />
abgegolten. Des weiteren äußerte der VI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs<br />
außerhalb der tragenden Gründe die Auffassung, auch<br />
nach dem inzwischen verabschiedeten Gesetz zur Neuordnung des<br />
Rechtsanwaltsvergütungsrechts solle beim Abschluss eines schriftlichen<br />
Vergleichs nach § 278 Abs. 6 ZPO, der die Einigungsgebühr<br />
und Verfahrensgebühr auslöse, keine Terminsgebühr entstehen. Das<br />
Beschwerdegericht nimmt ferner auf den auf Gegenvorstellung ergangenen<br />
Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 30. Juni 2004<br />
(NJOZ 2004, 4083, 4084) in dieser Sache Bezug, in dem darauf<br />
hingewiesen wird, der Wortlaut von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV lege<br />
die Annahme nahe, dass mit dem Verfahren, in dem im Einverständnis<br />
mit den Parteien ohne mündliche Verhandlung entschieden<br />
oder in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen<br />
werde, das Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO gemeint sei. Das Beschwerdegericht folgt<br />
dieser zum neuen Recht angedeuteten Auffassung des Bundesgerichtshofs<br />
und meint, für die hier vorliegende Fallkonstellation<br />
komme allein die Alternative in Betracht, dass für das Verfahren<br />
die mündliche Verhandlung vorgeschrieben sei. Für einen Vergleichsabschluss<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO sei jedoch eine mündliche<br />
Verhandlung nicht erforderlich.<br />
AnwBl 1 / 2006 71
MN Rechtsprechung<br />
2. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung nicht<br />
stand.<br />
a) Die Neuordnung des anwaltlichen Gebührenrechts durch das<br />
am 1. Juli 2004 in Kraft getretene, vorliegend anwendbare Rechtsanwaltsvergütungsgesetz<br />
hat für den hier betroffenen Anwendungsbereich<br />
der Terminsgebühr – ungeachtet der inhaltlichen<br />
Übernahme einiger Bestimmungen der Bundesgebührenordnung<br />
für Rechtsanwälte – zu Änderungen der Rechtslage gegenüber der<br />
Verhandlungs- und Erörterungsgebühr nach § 31 Abs. 1 Nr. 1, 4<br />
BRAGO geführt. Die Terminsgebühr entsteht nach Absatz 3 der<br />
Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses für die Vertretung<br />
in einem Verhandlungs-, Erörterungs- oder Beweisaufnahmetermin<br />
oder die Wahrnehmung eines von einem gerichtlich bestellten<br />
Sachverständigen anberaumten Termins. Es kommt damit nicht<br />
mehr – wie bei der Verhandlungs- und Erörterungsgebühr darauf<br />
an, ob in dem Termin Anträge gestellt werden oder ob die Sache<br />
erörtert wird (vgl. Gesetzentwurf BT-Drucks. 15/1971, S. 209). Anders<br />
als nach früherem Recht ist ihr Anwendungsbereich auch auf<br />
die Mitwirkung an Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts<br />
erstreckt worden, die auf die Vermeidung oder Erledigung des Verfahrens<br />
gerichtet sind, wobei dies allerdings für Besprechungen<br />
(nur) mit dem Auftraggeber nicht gilt. Der Gesetzgeber hat mit<br />
dieser Ausweitung des Anwendungsbereichs fördern und honorieren<br />
wollen, dass der Anwalt nach seiner Bestellung zum Verfahrens-<br />
oder Prozessbevollmächtigten in jeder Phase des Verfahrens<br />
zu einer möglichst frühen, der Sach- und Rechtslage entsprechenden<br />
Beendigung des Verfahrens beitragen soll.<br />
Ihm soll nach neuem Recht eine nach früherem Recht geübte<br />
Praxis, einen gerichtlichen Verhandlungstermin anzustreben, in<br />
dem ein ausgehandelter Vergleich nach „Erörterung der Sach- und<br />
Rechtslage“ protokolliert wird, um eine Verhandlungs- bzw. Erörterungsgebühr<br />
auszulösen, erspart bleiben (vgl. BT-Drucks. aaO).<br />
Konnte daher nach früherem Recht eine außerhalb eines gerichtlichen<br />
Termins geführte Auseinandersetzung und Verhandlung der<br />
Parteien vor einem Vergleichsabschluss eine Erörterungsgebühr<br />
nicht auslösen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2004 aaO), ist<br />
dies durch Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />
bewusst abweichend geregelt worden. Allerdings ist vorliegend<br />
nach dieser Bestimmung keine Terminsgebühr ausgelöst worden,<br />
weil der Inhalt des später geschlossenen Vergleichs nicht, wie<br />
im Beschwerdeverfahren berichtigend vorgetragen worden ist, Anfang<br />
September 2004 in einem Gespräch zwischen den Prozessbevollmächtigten<br />
der Parteien abgestimmt worden ist.<br />
b) Auch wenn es an einer Terminswahrnehmung im vorgenannten<br />
Sinn fehlt, eröffnet Nr. 3104 VV für bestimmte Verfahrenskonstellationen<br />
die Entstehung einer Terminsgebühr für einen tatsächlich<br />
nicht wahrgenommenen Termin. Nach Abs. 1 Nr. 1 dieser<br />
Bestimmung, mit der – allerdings nur zum Teil die Regelung des<br />
§ 35 BRAGO übernommen wird, entsteht eine Terminsgebühr alternativ<br />
auch dann, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung<br />
vorgeschrieben ist,<br />
(1) im Einverständnis mit den Parteien,<br />
(2) gemäß § 307 Abs. 2 ZPO (a. F.),<br />
(3) gemäß § 495 a ZPO<br />
ohne mündliche Verhandlung entschieden wird oder – und das ist<br />
gegenüber der Rechtslage nach § 35 BRAGO neu –<br />
(4) in einem solchen Verfahren ein schriftlicher Vergleich geschlossen<br />
wird.<br />
In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage soll der<br />
Prozessbevollmächtigte, der in einem Zivilprozess im Hinblick auf<br />
den Grundsatz der Mündlichkeit (§ 128 Abs. 1 ZPO) erwarten<br />
kann, in der mündlichen Verhandlung seine Terminsgebühr zu verdienen,<br />
keinen Gebührennachteil erleiden, wenn durch eine andere<br />
Verfahrensgestaltung auf eine mündliche Verhandlung verzichtet<br />
wird (vgl. Keller, in: Riedel/Sußbauer, RVG, 9. Aufl. 2005, VV<br />
Teil 3 Abschnitt 1 Rn. 45). Dies betrifft die Fälle, in denen nach<br />
§ 128 Abs. 2 ZPO mit Zustimmung der Parteien oder gemäß § 307<br />
Satz 2 ZPO oder bei einem 600 E nicht übersteigenden Streitwert<br />
(§ 495 a Satz 1 ZPO) auch ohne deren Zustimmung ohne mündliche<br />
Verhandlung entschieden werden kann. Dabei wird die Terminsgebühr<br />
erst durch den Erlass der Entscheidung ausgelöst (vgl.<br />
72 AnwBl 1 / 2006<br />
Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt/v. Eicken/Madert/Müller-Rabe,<br />
RVG, 16. Aufl. 2004, Nr. 3104 VV Rn. 17; Keller aaO Rn. 46, 50).<br />
Der Erlass einer Entscheidung ist jedoch zur Entstehung der<br />
Terminsgebühr nicht erforderlich, wenn nach der Variante (4) in einem<br />
Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist,<br />
ein schriftlicher Vergleich geschlossen wird. Der Umstand, dass<br />
das Gericht nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO das Zustandekommen<br />
und den Inhalt eines nach Satz 1 der Bestimmung geschlossenen<br />
Vergleichs durch Beschluss feststellt, der nach § 128 Abs. 4 ZPO<br />
ohne mündliche Verhandlung ergehen kann, ist daher für die Entstehung<br />
der Terminsgebühr in dieser Variante ohne Bedeutung.<br />
Deshalb schöpft auch die Überlegung des Beschwerdegerichts, für<br />
ein Verfahren nach § 278 Abs. 6 ZPO sei die mündliche Verhandlung<br />
nicht vorgeschrieben, den Bedeutungsgehalt der Variante (4)<br />
der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV nicht aus. Zwar stünde der Wortlaut<br />
dieser Bestimmung einer Auslegung nicht entgegen, nach der der<br />
Abschluss eines schriftlichen Vergleichs nur dann eine Terminsgebühr<br />
auslöst, wenn er in einem schriftlichen Verfahren nach<br />
§ 128 Abs. 2 ZPO oder nach § 495 a ZPO geschlossen wird (so im<br />
Bewusstsein des einengenden Charakters dieser Auslegung OLG<br />
Nürnberg NJW-RR 2005, 655, 656; vgl. auch Hartmann, Kostengesetze,<br />
35. Aufl. 2005, VV 3104 Rn. 30). Der Wortlaut legt jedoch<br />
in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in der Literatur<br />
die Auslegung näher, dass der in Variante (4) geregelte Abschluss<br />
eines schriftlichen Vergleichs für alle Verfahren gilt, für die<br />
mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist (vgl. Zöller/Greger,<br />
ZPO, 25. Aufl. 2005, § 278 Rn. 27; Müller-Rabe aaO Rn. 58, 60;<br />
Keller aaO Rn. 51; Mayer, in: Mayer/Kroiß, RVG, 2004, VV 3104<br />
Rn. 22; Bischof, in: Bischof/Jungbauer/Podlech-Trappmann, RVG,<br />
2004, Vergütungsverzeichnis Teil 3 Anm. 2.6.1.1; Vorwerk/Schneider,<br />
Prozessformularbuch, 8. Aufl. 2005, Kap. 42 Rn. 88; Hansens,<br />
in: Hansens/Braun/Schneider, Praxis des Vergütungsrechts, 2004,<br />
Teil 7 Rn. 347 f; Scherer, Grundlagen des Kostenrechts – RVG, 10.<br />
Aufl. 2005, Ziffer 6.1.1.2, S. 277 f; Goebel RVG-B 2004, 105, 106<br />
und RVG-B 2005, 8, 9 f; Schneider AGS 2004, 232, 233; wohl<br />
auch Jungbauer/Mock, Rechtsanwaltsvergütung, 3. Aufl. 2004,<br />
Rn. 1239), also auch für den hier vorliegenden Fall, dass die Sache<br />
durch einen Haupttermin (§ 272 ZPO) erledigt werden soll und dieser<br />
Haupttermin nach dem Ermessen des Vorsitzenden durch ein<br />
schriftliches Vorverfahren (§ 276 ZPO) vorbereitet wird, während<br />
dessen Verlauf es zum Abschluss des schriftlichen Vergleichs nach<br />
§ 278 Abs. 6 ZPO kommt. Insoweit kann es im Hinblick auf das<br />
Erfordernis, dass für das Verfahren die mündliche Verhandlung<br />
vorgeschrieben ist, nicht darauf ankommen, ob der Haupttermin<br />
durch einen frühen ersten Termin (§ 275 ZPO) oder ein schriftliches<br />
Vorverfahren vorbereitet wird. Wollte man der einengenden<br />
Auffassung folgen, nach der lediglich ein im schriftlichen Verfahren<br />
(§ 128 Abs. 2 ZPO) oder im Verfahren nach § 495 a Satz 1<br />
ZPO geschlossener schriftlicher Vergleich die Terminsgebühr nach<br />
Nr. 3104 VV auslöst, ergäben sich Wertungswidersprüche, die<br />
durch das Argument einer günstigen kostenmäßigen Erledigung für<br />
die Parteien nicht ausgeräumt werden könnten. Aus der Sicht der<br />
anwaltlichen Tätigkeit macht es keinen Unterschied, ob eine Sache<br />
mit einem 600 E nicht übersteigenden Wert im Verfahren nach<br />
§ 495 a Satz 1 ZPO oder mit einem höheren Wert vor der mündlichen<br />
Verhandlung schriftlich verglichen wird. Es ließe sich wohl<br />
kaum ernsthaft vertreten, im letzteren Fall habe der Rechtsanwalt<br />
für seine Tätigkeit weniger Zeit und Mühe aufgewendet, weil er<br />
noch die mündliche Verhandlung vor Augen gehabt habe. Es will<br />
auch nicht einleuchten, dass der Rechtsanwalt in dem letzteren Fall<br />
nur deshalb die Terminsgebühr erhalten sollte, weil das Gericht im<br />
Einverständnis der Parteien das schriftliche Verfahren (§ 128<br />
Abs. 2 ZPO) angeordnet hat. Die einengende Auslegung wird<br />
schließlich den allgemeinen Vorstellungen des Gesetzgebers nicht<br />
gerecht, mit denen er die Ausweitung des Anwendungsbereichs<br />
der Terminsgebühr (s. oben a) begründet hat, um im Interesse auch<br />
der Gerichte zu vermeiden, dass die früher geübte Praxis, einen gerichtlichen<br />
Verhandlungstermin nur um einer anwaltlichen Gebühr<br />
willen anzustreben, fortgesetzt wird. Solche allgemeinen Überlegungen<br />
im Gesetzgebungsverfahren können zwar nicht dazu führen,<br />
davon abzusehen, wie die Entstehung einer Gebühr im Vergütungsverzeichnis<br />
im Einzelnen umschrieben und wie der jeweils<br />
zu beurteilende Sachverhalt hierunter einzuordnen ist. Legt der<br />
Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV jedoch – wie hier – die Ent-
MN Rechtsprechung<br />
stehung einer Terminsgebühr nahe und stimmt dieses Ergebnis mit<br />
den in Absatz 3 der Vorbemerkung 3 des Vergütungsverzeichnisses<br />
zu entnehmenden Wertungen überein, verdient eine entsprechende,<br />
den Wortlaut der Bestimmung ausschöpfende Auslegung den Vorzug.<br />
Daran ist der Senat durch die Beschlüsse des Bundesgerichtshofs<br />
vom 30. März und 30. Juni 2004 (aaO), die sich mit den im<br />
jetzigen Verfahren streiterheblichen Vorschriften nur am Rande –<br />
ohne dass es auf sie angekommen wäre – beschäftigt haben, nicht<br />
gehindert. Es ist daher auch ein Verfahren nach § 132 GVG nicht<br />
erforderlich.<br />
3. Bei der Kostenausgleichung ist daher eine 1,2-Terminsgebühr<br />
zusätzlich zu berücksichtigen, und zwar auch ohne einen besonderen<br />
Antrag auf Seiten der Beschwerdegegnerin, da die Gebühr auf<br />
beiden Seiten entstanden ist (vgl. OLG Oldenburg MDR 1993,<br />
390; OLG Köln JurBüro 1994, 601, 602; Zöller/ Herget, § 106<br />
Rn. 6). Hiernach belaufen sich die außergerichtlichen Kosten des<br />
Klägers unter Einschluss der Mehrwertsteuer gegenüber der landgerichtlichen<br />
Festsetzung auf (924,98 E + 470,50 E =) 1.395,48 E<br />
(vgl. Bl. 66, 57) und diejenigen der Beklagten ohne Mehrwertsteuer<br />
auf (797,40 E + 405,60 E =) 1.203 E (vgl. Bl. 66, 59, 57),<br />
das sind zusammen 2.598,48 E. Nach dem Vergleich hat der Kläger<br />
hiervon 14 v. H., das sind 363,79 E, zu tragen, denen eigene<br />
Kosten von 1.395,48 E gegenüberstehen. Aus der Differenz ergibt<br />
sich ein Erstattungsbetrag von 1.031,69 E. Hinzu kommt hinsichtlich<br />
der Gerichtskosten nach dem insoweit unbeanstandet gebliebenen<br />
Kostenfestsetzungsbeschluss des Landgerichts ein Erstattungsbetrag<br />
von 116,96 E, so dass die Beklagte insgesamt 1.148,65 E<br />
nebst Zinsen an den Kläger zu erstatten hat.<br />
Der Wert der Beschwerdeverfahren entspricht der Höhe des<br />
bisher nicht ausgeglichenen Differenzbetrags auf der Grundlage<br />
der Terminsgebühr und der Kostenquote des Vergleichs.<br />
Anmerkung der Redaktion: Siehe zu der Entscheidung auch die<br />
Besprechung in der RVG-Frage des Monats von Rechtsanwalt Udo<br />
Henke in diesem Heft auf Seite 53.<br />
Terminsgebühr ohne Termin<br />
RVG-VV Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1; ZPO § 278 Abs. 6<br />
Die Mitwirkung des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines<br />
schriftlichen Vergleichsabschlusses nach § 278 Abs. 6 ZPO löst<br />
eine Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 VV-RVG aus.<br />
KG, Beschl. v. 27.10.2005 – 27 W 65/05<br />
Aus den Gründen: I. Die Klägerin hat mit ihrer Klage ursprünglich<br />
Zahlung in Höhe von 35.058,91 EUR wegen erbrachter<br />
Dienstleistungen geltend gemacht. Nach Anordnung des schriftlichen<br />
Vorverfahrens haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />
dem Gericht u. a. schriftsätzlich mitgeteilt, dass die Beklagten<br />
anbieten, den Rechtsstreit vergleichsweise durch Zahlung eines Betrages<br />
in Höhe von 25.000,– EUR zu erledigen. Die Klägerin hat<br />
durch ihre Prozessbevollmächtigten dem Gericht gegenüber die<br />
Bereitschaft zur Annahme des Vergleichsangebots bekundet. Den<br />
daraufhin seitens des Gerichts gemäß § 278 Abs. 6 ZPO unterbreiteten<br />
Vergleichsvorschlag haben beide Parteien angenommen. Das<br />
Gericht hat das Zustandekommen des Vergleichs durch Beschluss<br />
festgestellt.<br />
Mit Kostenausgleichsantrag vom 31. <strong>Januar</strong> 2005 hatten die Beklagten<br />
u. a. die Festsetzung einer Terminsgebühr nach Nr. 3104<br />
Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG beantragt. Das Landgericht Berlin hat die<br />
Festsetzung dieser Gebühr mit Beschluss vorn 9. Februar 2005 abgelehnt.<br />
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.<br />
Sie sind der Auffassung, dass eine Terminsgebühr auch<br />
bei einem schriftlichen Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6<br />
ZPO anfalle, ohne dass es auf die Anordnung eines schriftlichen<br />
Verfahrens nach § 128 Abs. 2 ZPO ankomme.<br />
II. Die frist- und formgerecht eingelegte sofortige Beschwerde<br />
der Beklagten ist begründet.<br />
Die Frage, ob bei Abschluss eines Vergleiches nach § 278<br />
Abs. 6 ZPO für den Rechtsanwalt eine Terminsgebühr gemäß<br />
Nr. 3104 VV-RVG anfällt, ist umstritten.<br />
Zum Teil wird die Auffassung vertreten, dass für die Mitwirkung<br />
des Rechtsanwalts am Zustandekommen eines Vergleiches<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung<br />
vorgeschrieben ist, immer auch eine Terminsgebühr anfalle<br />
(OLG Stuttgart, 8. Zivilsenat, Beschluss vom 16.6.05 – 8 W<br />
180/05 – zitiert bei Juris; Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 278<br />
Rdn 27; Gerald/Schmidt, RVG, 16. Aufl. Nr. 3104 VV/Rdn 58/69;<br />
Schons AGS 2005, 145; Henke, AnwBl 2004, 594).<br />
Nach anderer Meinung löst ein schriftlicher Vergleichsabschluss<br />
nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr nicht aus<br />
(vgl. BGH NJW 2004, 2311; OLG Nürnberg AnwBl 2005, 222 sowie<br />
NJW-RR 2005, 655; OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom<br />
1.8.2005 – 12 W 78/05 – zitiert bei Juris) bzw. nur dann, wenn er<br />
in einem Verfahren ohne vorgeschriebene mündliche Verhandlung<br />
zustande kommt (Hartmann, Kostengesetze, 35, Aufl. Nr. 3104 VV-<br />
RVG Rdn 30).<br />
Der Senat schließt sich der erstgenannten Auffassung an. Für<br />
sie spricht bereits der Wortlaut der hier maßgeblichen Vorschrift<br />
Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG, nach der „in einem Verfahren, für<br />
das (an sich) mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“ (z. B.<br />
§ 128 Abs. 1 ZPO), die Terminsgebühr ausnahmsweise auch dann<br />
entsteht, wenn eine mündliche Verhandlung tatsächlich nicht stattgefunden<br />
hat. Die hierzu zählenden Ausnahmefälle sind in der Vorschrift<br />
im einzelnen alternativ aufgeführt. Es handelt sich zum einen<br />
um drei Fälle, in denen abweichend von der Regel ohne<br />
mündliche Verhandlung entschieden wurde (§§ 128 Abs. 2, 307<br />
Abs. 2, 495 a ZPO) zum anderen um den Fall, in dem ohne mündliche<br />
Verhandlung ein schriftlicher Vergleich (z. B. nach § 278<br />
Abs. 6 ZPO) zustandegekommen ist („entschieden oder ... Vergleich<br />
geschlossen“). Der schriftliche Vergleich ist nach dem Wortlaut der<br />
Vorschrift die gleichwertige Alternative zur Entscheidung. Er<br />
bringt also – ebenso wie bei der Entscheidung des Gerichts – die<br />
Terminsgebühr zum Entstehen in all den Verfahren („in einem solchen<br />
Verfahren“), in denen bei einer Entscheidung die Terminsgebühr<br />
nach Vorbemerkung 3 Abs. 3 VV-RVG oder nach Nr. 3104<br />
Abs. 1 Nr. 1., 1. bis 3. Altern. VV-RVG anfällt.<br />
Die hier vertretene Auffassung trägt überdies der Intention des<br />
Gesetzgebers Rechnung, die vergleichsweise Einigung in einem<br />
möglichst frühen Verfahrensstadium zu fördern und zu honorieren<br />
und damit zur Beschleunigung der Gerichtsverfahren beizutragen<br />
und die Justiz zu entlasten (vgl. OLG Stuttgart aaO). Der Anwalt<br />
soll nach seiner Bestellung zum Verfahrens- oder Prozessbevollmächtigten<br />
in jeder Phase des Verfahrens zu einer möglichst frühen,<br />
der Sach- und Rechtslage entsprechenden Beendigung des<br />
Verfahrens beitragen. Deshalb soll die Gebühr auch schon verdient<br />
sein, wenn der Rechtsanwalt an auf die Erledigung des Verfahrens<br />
gerichteten Besprechungen ohne Beteiligung des Gerichts mitwirkt,<br />
insbesondere wenn diese auf den Abschluss des Verfahrens<br />
durch eine gütliche Regelung zielen (BT-Drucksache 15/1971 vom<br />
11.11.2003, Seite 209). Dementsprechend hat der Gesetzgeber in<br />
Vorbemerkung 3 Abs, 3 VV-RVG das Entstehen einer Terminsgebühr<br />
bereits für die Mitwirkung an solchen Besprechungen festgeschrieben.<br />
Dies soll für die Anwälte ein Anreiz sein, jederzeit<br />
auf eine gütliche Einigung hinzuwirken (Gerald/Schmidt, aaO<br />
Rdn 57). Der in der Gesetzesbegründung artikulierte Willen des<br />
Gesetzgebers kommt aber noch weit stärker zum Tragen, wenn der<br />
Rechtsanwalt nicht nur den Versuch einer möglichst frühen Beendigung<br />
des Rechtsstreits unternimmt sondern vielmehr dazu beiträgt,<br />
dass eine vergleichsweise Einigung z. B. durch einen schriftlichen<br />
Vergleichsabschluss nach § 278 Abs. 6 ZPO tatsächlich<br />
auch zustande kommt. Deshalb erscheint es nur folgerichtig, wenn<br />
die ergänzende Regelung in Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1, 4. Altern. VV-<br />
RVG für diesen Fall ebenfalls das Entstehen einer Terminsgebühr<br />
vorsieht.<br />
Danach ist auch kein vernünftiger Grund ersichtlich, warum bei<br />
einem schriftlichen Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO eine Terminsgebühr<br />
nur entstehen soll, wenn dieser im schriftlichen Verfahren<br />
nach § 128 Abs. 2 ZPO oder § 495 a ZPO geschlossen wird<br />
(so: Hartmann, aaO Rdn 30), in denen ohnehin keine mündliche<br />
Verhandlung stattfindet, nicht aber in den Verfahren, die ohne den<br />
VergleichsabschSuss eine mündliche Verhandlung erfordert hätten.<br />
Der hier vertretenen Auffassung kann schließlich auch nicht<br />
mit Erfolg entgegengehalten werden, der Wortlaut der Nr. 3104<br />
AnwBl 1 / 2006 73
MN Rechtsprechung<br />
Nr. 1 Abs. 1 VV-RVG beziehe sich in der 1. Altern. auf das Verfahren<br />
nach § 128 Abs. 2 ZPO und nicht auf das Verfahren nach § 278<br />
Abs. 6 ZPO. Auch wenn dem so ist, wofür einiges spricht, schließt<br />
das gleichwohl nicht aus, dass auch im Verfahren nach § 128<br />
Abs. 2 ZPO ein Vergleich nach § 278 Abs. 6 ZPO zustande kommt,<br />
der dann gemäß der 4. Altern. von Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV-RVG<br />
die Terminsgebühr auslöst.<br />
Mitgeteilt von den Mitgliedern des 27. Zivilsenats am KG<br />
Anmerkung der Redaktion: Zu diesem Thema vgl. auch in diesem<br />
Heft auf S. 71 die Entscheidung des BGH, Beschl. v.<br />
27.10.2005 – III ZB 42/05 und die Anmerkung Henke zu beiden<br />
Entscheidungen in der „RVG-Frage des Monats“ auf S. 53.<br />
Erhöhungsgebühr bei Abwehr einer Räumungsklage<br />
BRAGO § 6 Abs. 1<br />
Vertritt ein Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage auf<br />
Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung, ist der Gegenstand<br />
der anwaltlichen Tätigkeit derselbe im Sinne des § 6<br />
Abs. 1 Satz 2 BRAGO. In diesem Fall erhöht sich die Prozessgebühr<br />
des Rechtsanwalts für jeden Mitmieter um 3/10.<br />
BGH, Beschl. v. 5.10.2005 – VIII ZB 52/04<br />
Sachverhalt: I. Der Beklagte zu 1 und seine Ehefrau, die Beklagte<br />
zu 2, mieteten mit schriftlichem Mietvertrag vom 15. Juli<br />
1976 eine Wohnung in H. Die Klägerin erwarb das Hausgrundstück<br />
und kündigte das Mietverhältnis mit den Beklagten. Ihre auf<br />
Räumung und Herausgabe gerichtete Klage hat das Amtsgericht<br />
Hagen abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht<br />
Hagen die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils<br />
mangels Nachweises der Prozessfähigkeit des Beklagten zu 1<br />
insgesamt als unzulässig abgewiesen und der Klägerin die Kosten<br />
des Rechtsstreits auferlegt.<br />
Das Amtsgericht Hagen hat durch Kostenfestsetzungsbeschluss<br />
die von der Klägerin der Beklagten zu 2 zu erstattenden Kosten auf<br />
3.314,69 E nebst Zinsen festgesetzt und dabei die für beide Instanzen<br />
nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beantragte Erhöhung der Prozessgebühr<br />
um 3/10 (160,70 E und 123,48 E nebst Umsatzsteuer,<br />
insgesamt 329,65 E) unberücksichtigt gelassen. Hiergegen hat der<br />
Beklagte zu 1 sofortige Beschwerde eingelegt, die das Landgericht<br />
zurückgewiesen hat. Gegen diese Entscheidung hat sich der Beklagte<br />
zu 1 mit der vom Beschwerdegericht als „weitere Beschwerde“<br />
zugelassenen Rechtsbeschwerde gewandt. Während des<br />
Rechtsbeschwerdeverfahrens ist der Beklagte zu 1 verstorben und<br />
von seiner Ehefrau, der Beklagten zu 2, beerbt worden.<br />
Aus den Gründen: II. 1. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574<br />
Abs. 1 Nr. 2 ZPO statthaft und im Übrigen nach § 575 ZPO zulässig.<br />
Soweit das Landgericht in dem angefochtenen Beschluss die<br />
„weitere“ Beschwerde zugelassen hat, meint es ersichtlich die<br />
Rechtsbeschwerde nach § 574 ZPO, die an die Stelle der weiteren<br />
Beschwerde nach § 568 ZPO in der bis zum 31. Dezember 2001<br />
geltenden Fassung der Zivilprozessordnung getreten ist.<br />
2, Die Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg.<br />
a) Das Landgericht hat ausgeführt, eine Mehrvertretungsgebühr<br />
nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO sei weder in erster noch in zweiter<br />
Instanz entstanden. Zwar stehe auch einem Rechtsanwalt, der einen<br />
geschäftsunfähigen Beklagten vertrete, nach den Grundsätzen<br />
der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigten Bereicherung<br />
die übliche Vergütung nach der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung<br />
zu, wenn die Vertretung wie hier dem wirklichen<br />
oder mutmaßlichen Willen des Beklagten entsprochen habe. Die<br />
zur Abwehr der Räumungs- und Herausgabeklage entfaltete Tätigkeit<br />
des Prozessbevollmächtigten beider Beklagten habe sich jedoch<br />
nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1<br />
Satz 2 BRAGO bezogen. Daran fehle es, wenn ein gegen mehrere<br />
Personen gerichtetes Rechtsschutzbegehren jeden Streitgenossen<br />
selbständig betreffende – wenn auch inhaltsgleiche – Leistungen<br />
zum Gegenstand habe, die jeder der in Anspruch genommenen<br />
Streitgenossen nur für sich selbst erbringen könne. So verhalte es<br />
sich auch bei der den Gegenstand der Klage bildenden Räumungsund<br />
Herausgabeverpflichtung. Träfe diese Verpflichtung jeden Mit-<br />
74 AnwBl 1 / 2006<br />
mieter als von der des anderen unabhängige, eigenständige Verpflichtung,<br />
sei der Gegenstand der Tätigkeit des Anwalts für mehrere<br />
Beklagte eines Räumungsprozesses nicht „derselbe“ im Sinne<br />
des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO.<br />
b) Diese Ausführungen halten in dem entscheidenden Punkt einer<br />
rechtlichen Überprüfung nicht stand. Entgegen der Ansicht des<br />
Landgerichts steht dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten<br />
eine Erhöhungsgebühr gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu.<br />
aa) Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 BRAGO, der nach § 61 Abs. 1<br />
Satz 1 RVG hier noch anzuwenden ist, erhält der Rechtsanwalt,<br />
der in derselben Angelegenheit für mehrere Auftraggeber tätig ist,<br />
die Gebühren nur einmal. Ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit<br />
derselbe, so erhöht sich nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO die<br />
Prozessgebühr durch jeden weiteren Auftraggeber um 3/10. So verhält<br />
es sich hier.<br />
bb) Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass<br />
Eheleute – wie hier der verstorbene Beklagte zu 1 und die Beklagte<br />
zu 2 – als mehrere Auftraggeber im Sinne des § 6 Abs. 1<br />
Satz 1 BRAGO anzusehen sind (BVerwG, Urteil vom 10. April<br />
2000 – 6 C 3/99, NJW 2000, 2288 unter II; OLG Gelle, JurBüro<br />
1979, 1005). Ohne Bedeutung für den Gebührenanspruch des Prozessbevollmächtigten<br />
ist, wie das Beschwerdegericht zu Recht ausgeführt<br />
hat, femer der Umstand, dass der Beklagte zu 1 bei der Erteilung<br />
des Auftrags an seinen Rechtsanwalt möglicherweise schon<br />
geschäftsunfähig gewesen ist. In diesem Fall stehen dem Prozessbevollmächtigten<br />
die üblichen Gebühren aus dem Gesichtspunkt<br />
der Geschäftsführung ohne Auftrag und der ungerechtfertigen Bereicherung<br />
zu (HansOLG Hamburg, MDR 1998, 1123; Zöller/Herget,<br />
ZPO, 25. Aufl„ §§103, 104 Rdnr 21 „Prozessfähigkeit“; Gerold/Schmidt/Madert,<br />
BRAGO, 15. Aufl., § 1 Rdnrn. 13, 14).<br />
cc) Das Landgericht hat jedoch zu Unrecht die beantragte Erhöhung<br />
der Prozessgebühr um 3/10 mit der Begründung abgelehnt,<br />
die zur Abwehr des Räumungs- und Herausgabeverlangens entfaltete<br />
Tätigkeit des Prozessbevollmächtigten der Beklagten habe sich<br />
nicht auf denselben Gegenstand im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2<br />
BRAGO bezogen.<br />
Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur<br />
ist der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit derselbe, wenn der<br />
Rechtsanwalt mehrere Mieter gegen eine Klage des Vermieters auf<br />
Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung vertritt. Danach<br />
steht dem Rechtsanwalt ein Mehrvertretungszuschlag nach § 6<br />
Abs. 1 Satz 2 BRAGO zu (OLG Hamm, Rpfleger 2000, 40; OLG<br />
Düsseldorf, Rpfleger 1998, 372; Schnapp in Gebauer/Schneider,<br />
BRAGO, § 6 Rdnr. 33). Das Oberlandesgericht Köln lehnt dagegen<br />
eine Erhöhung der Prozessgebühr mit der Begründung ab, in einem<br />
solchen Fall sei der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit nicht<br />
derselbe (AnwBl 2000, 375; Jur-Büro 1992, 318). Die erstgenannte<br />
Ansicht ist richtig.<br />
Der Gegenstand der anwaltlichen Tätigkeit ist dann derselbe im<br />
Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO, wenn der Rechtsanwalt für<br />
mehrere Auftraggeber wegen desselben Rechts oder Rechtsverhältnisses<br />
tätig wird (Gerald/ Schmidt/von Eicken, BRAGO, 15. Aufl.,<br />
§ 6 Rdnr. 25). Ob dasselbe Recht oder Rechtsverhältnis betroffen<br />
ist, bestimmt sich auch dann nach dem klägerischen Begehren,<br />
wenn der Rechtsanwalt für die Beklagten tätig wird (Gerold/<br />
Schmidt/Madert aaO). In dem hier zugrunde liegenden Rechtsstreit<br />
hatte die Klägerin beantragt, die Beklagten zur Räumung und Herausgabe<br />
der Mietsache nach § 546 Abs. 1 BGB zu verurteilen.<br />
Dieser Anspruch auf Rückgabe der Mietsache ist auf Einräumung<br />
des unmittelbaren Besitzes an den Vermieter gerichtet. Mehrere<br />
Mieter schulden die Rückgabe als gleiche unteilbare Leistung und<br />
haften dafür gemäß § 431 BGB als Gesamtschuldner (Senat,<br />
BGH2 131, 176, 183; 65, 226, 227). Durch bloße Besitzaufgabe eines<br />
der Mieter tritt keine Erfüllung des Rückgabeanspruchs im<br />
Sinne von § 362 Abs. 1 BGB ein (Senat, BGHZ 131, aaO). Vielmehr<br />
müssen alle Mieter diese Leistung erbringen. Deshalb hat jeder<br />
Mitmieter im Innenverhältnis einen Anspruch aus § 426 Abs. 1<br />
Satz 1 BGB darauf, dass seine Mitschuldner ihrem Anteil entsprechend<br />
zur Befriedigung des Gläubigers mitwirken (Senat, BGHZ<br />
131, aaO). Die enge Verknüpfung dieser zwar selbständigen, aber<br />
unteilbaren und inhaltsgleichen Verpflichtungen eines jeden Mitmieters<br />
gegenüber dem Vermieter zeigt sich ferner daran, dass<br />
sämtliche Mitmieter bereits dann nach § 574 Abs. 1 Satz 1 BGB
MN Rechtsprechung<br />
der Kündigung des Vermieters widersprechen und von ihm die<br />
Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangen können, wenn die Beendigung<br />
des Mietverhältnisses lediglich für einen der Mitmieter<br />
eine nicht zu rechtfertigende Härte bedeuten würde (Schmidt-Futterer/Blank,<br />
Mietrecht, 8. Aufl., § 574 Rdnr. 19). Diese unmittelbare<br />
Verbindung der Haftung mehrerer Mitmieter für die Rückgabe<br />
der Mietsache rechtfertigt es, denselben Gegenstand der anwaltlichen<br />
Tätigkeit im Sinne des § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO anzunehmen,<br />
wenn der Anwalt mehrere Mitmieter in einem gegen sie gerichteten<br />
Prozess auf Räumung und Herausgabe der Mietwohnung<br />
vertritt.<br />
Soweit das Berufungsgericht seine abweichende Auffassung in<br />
Anlehnung an das Oberlandesgericht Köln (aaO) damit begründet<br />
hat, es handele sich bei den Verpflichtungen der Mitmieter um eigenständige,<br />
wenn auch inhaltsgleiche Leistungen, kann dies nicht<br />
zu einer Versagung des Mehrvertretungszuschlags nach § 6 Abs. 1<br />
Satz 2 BRAGO führen. Die oben aufgezeigten engen Zusammenhänge<br />
im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung mehrerer<br />
Mitmieter für die Erfüllung der Rückgabeverpflichtung aus § 546<br />
Abs. 1 BGB prägen deren Verpflichtung ungleich stärker als der<br />
Umstand, dass jeder Mieter eine ihn selbständig betreffende Leistung<br />
zu erbringen hat.<br />
Anmerkung der Redaktion: Mit dem Beschluss des BGH ist die<br />
Rechtsprechung des OLG Köln (AnwBl 2000, 373) überholt, worauf<br />
Rechtsanwalt Klaus Brensing (Düsseldorf) die Redaktion hingewiesen<br />
hat.<br />
Prozesskostenhilfe<br />
Nachträgliche Klageänderung<br />
ZPO § 114 Abs. 1<br />
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gilt nicht für eine nachträgliche<br />
Klageänderung.<br />
BGH, Beschl. v. 22.9.2005 – IX ZB 163/04<br />
Aus den Gründen: I. Das Landgericht hat der Antragstellerin<br />
Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Vollstreckungsabwehrklage<br />
bewilligt. Nunmehr beabsichtigt die Antragstellerin, eine<br />
Drittwiderspruchsklage zu erheben. Das Landgericht hat den Antrag<br />
auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den neuen Antrag<br />
wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen; die sofortige Beschwerde<br />
der Antragstellerin blieb erfolglos. Mit ihrer vom Beschwerdegericht<br />
zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt die Antragstellerin<br />
weiterhin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für<br />
den geänderten Klageantrag.<br />
II. Die Rechtsbeschwerde ist nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO<br />
statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie führt zur Aufhebung<br />
der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der<br />
Sache an das Oberlandesgericht.<br />
1. Im Grundsatz zutreffend hat das Oberlandesgericht für den<br />
Fall einer Klageänderung eine Prüfung der Erfolgsaussichten des<br />
neuen Antrags für erforderlich gehalten.<br />
a) Gemäß § 114 ZPO ist Prozesskostenhilfe zu bewilligen,<br />
wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg hat.<br />
Hinreichende Erfolgsaussicht hat eine Klage, wenn das Gericht<br />
den Rechtsstandpunkt des Antragstellers auf Grund seiner Sachverhaltsdarstellung<br />
und der vorhandenen Unterlagen für zutreffend<br />
oder jedenfalls für vertretbar und in tatsächlicher Hinsicht eine Beweisführung<br />
mindestens für möglich hält (BGH, Beschl. v. 14. Dezember<br />
1993 – VI ZR 235/92, NJW 1994, 1160, 1161) Um eine<br />
Prüfung der Erfolgsaussichten durch das Gericht zu ermöglichen,<br />
hat der Antragsteller das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel<br />
darzustellen (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO; vgl. etwa Zöller/Philippi,<br />
ZPO 25. Aufl. § 117 Rn. 12). Insbesondere der Sachantrag,<br />
der gestellt werden soll, ist bestimmt zu bezeichnen (Stein/Jonas/<br />
Bork, ZPO 22. Aufl. § 117 Rn. 16; Wieczorek/Schütze/Steiner,<br />
ZPO 3. Aufl. § 117 Rn. 11). Der Streitgegenstand, um den es ge-<br />
hen soll, muss nach Art und Umfang bestimmbar sein (Baumbach/<br />
Lauterbach/Hartmann, ZPO 63. Aufl. § 117 Rn. 17).<br />
b) Die in § 114 ZPO vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten<br />
wäre sinnlos, wenn der Antragsteller nach der Bewilligungsentscheidung<br />
beliebig einen anderen Lebenssachverhalt oder einen<br />
anderen Antrag „nachschieben“ könnte. Nach nahezu einhelliger<br />
Ansicht bezieht sich die Bewilligung der Prozesskostenhilfe daher<br />
nur auf den im Antrag dargelegten prozessualen Anspruch (Münch-<br />
Komm-ZPO/Wax, 2. Aufl. § 119 Rn. 56; Stein/Jonas/Bork aaO § 119<br />
Rn. 7; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO 26. Aufl. § 119 Rn. 11;<br />
Wieczorek/ Schütze/Steiner aaO § 119 Rn. 10). Im Falle einer Klageänderung<br />
umfasst die bisherige Bewilligungsentscheidung den<br />
neuen Antrag nicht (Musielak/Fischer, ZPO 4. Aufl. § 119 Rn. 9).<br />
c) Eine andere Meinung vertreten – soweit ersichtlich – nur<br />
Zöl-ler/Philippi, aaO § 119 Rn. 14. Das Gericht hat danach lediglich<br />
zu prüfen, ob der geänderte Antrag einen höheren Streitwert<br />
hat; erhöht der Streitwert sich nicht, soll sich die Bewilligung der<br />
Prozesskostenhilfe auch auf den geänderten Antrag erstrecken, soweit<br />
keine zusätzlichen Kosten ausgelöst werden. Hintergrund dieser<br />
Ansicht sind wohl folgende Überlegungen: Die Vorschriften<br />
der §§ 263, 264 ZPO ersparen dem Kläger die Kosten eines weiteren<br />
Prozesses. Die Klageänderung zieht – wenn der Wert des<br />
neuen Antrags denjenigen des früheren Antrags nicht übersteigt –<br />
keine kostenrechtlichen Folgen nach sich. Hinsichtlich der Gerichtsgebühren<br />
gilt der neue Antrag als von Anfang an anhängig.<br />
Auch der Anwalt kann seine Gebühren nur einmal fordern, weil es<br />
sich um ein und dieselbe Angelegenheit handelt (Gerold/Schmidt/<br />
Madert, RVG 16. Aufl. § 15 Rn. 102; Riedel/Sußbauer/Fraunholz,<br />
RVG 9. Aufl, § 15 Rn. 10; Zöller/Greger, aaO § 263 Rn. 32; vgl.<br />
zur BRAGO auch KG JurBüro 1968, 610, 611; OLG Hamburg Jur-<br />
Büro 1978, 1807).<br />
Kostenrechtliche Überlegungen vermögen die in § 114 ZPO<br />
vorgeschriebene Prüfung der Erfolgsaussichten der beabsichtigten<br />
Rechtsverfolgung jedoch nicht zu ersetzen. Dem Antragsteller können<br />
aus der erneuten Sachprüfung zudem keine rechtlich relevanten<br />
Nachteile entstehen. Hat der geänderte Antrag keine Aussicht<br />
auf Erfolg, ordnet § 114 ZPO an, dass insoweit kein Anspruch auf<br />
Bewilligung von Prozesskostenhilfe besteht.<br />
d) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde folgt auch aus<br />
den Besonderheiten des vorliegenden Falles kein Anspruch der<br />
Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen<br />
Antrag, der keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Frage, ob das Landgericht<br />
die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den ursprünglich<br />
gestellten Antrag widerrufen durfte, stellt sich nicht, weil kein<br />
Widerruf erfolgt ist. Dass der neue Antrag auf eine geänderte<br />
Rechtsauffassung des Gerichts zurückzuführen sein soll, begründet<br />
ebenfalls keinen Anspruch auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe;<br />
denn das Gericht ist an die im Bewilligungsbeschluss vertretene<br />
Rechtsansicht nicht gebunden (vgl. § 318 ZPO). Welche Kosten<br />
der zunächst beigeordnete Rechtsanwalt abrechnen kann, ist<br />
nicht Gegenstand der angefochtenen Entscheidung.<br />
2. Ob eine Klageänderung vorliegt, kann der Senat jedoch nicht<br />
beurteilen, weil der angefochtene Beschlüss keine hinreichenden<br />
Angaben zum Sachverhalt enthält.<br />
a) Beschlüsse, welche der Rechtsbeschwerde unterliegen, müssen<br />
den maßgeblichen Sachverhalt wiedergeben, über den entschieden<br />
wird; denn die Feststellungen des Beschwerdegerichts sind<br />
Grundlage der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 577<br />
Abs. 2 Satz 4, § 559 ZPO; vgl. BGH, Beschl. v. 5. Februar 2004 –<br />
IX ZB 29/03, WM 2004, 1686 f; v, 7. April 2005 – IX ZB 63/03,<br />
WM 2005, 1246). Fehlen tatsächliche Feststellungen, so kann eine<br />
Rechtsprüfung nicht erfolgen. Ausführungen des Beschwerdegerichts,<br />
die eine solche Überprüfung nicht ermöglichen, sind<br />
keine Gründe im zivilprozessualen Sinne.<br />
b) Nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses hat die<br />
Klägerin zunächst eine Vollstreckungsgegenklage erhoben, während<br />
sie nunmehr Prozesskostenhilfe für eine Drittwiderspruchsklage<br />
begehrt. Ob den beiden Anträhgen derselbe oder ein jeweils<br />
anderer Lebenssachverhalt zugrunde liegt, lässt sich den Ausführungen<br />
des Beschwerdegerichts jedoch nicht entnehmen. Eine<br />
Rechtsprüfung ist nicht möglich. Nach § 576 Abs. 3, § 547 Nr. 6<br />
ZPO beruht der angefochtene Beschluss auf diesem Mangel. Er<br />
muss aufgehoben werden; die Sache muss zur erneuten Entschei-<br />
AnwBl 1 / 2006 75
MN Rechtsprechung<br />
dung an das Beschwerdegericht zurückverwiesen werden (§ 577<br />
Abs. 4 Satz 1 ZPO).<br />
Prozessrecht<br />
Abgrenzung Unterschrift/Paraphe<br />
ZPO §§ 519 Abs. 4, 520 Abs. 5, 130 Nr. 6<br />
Zu den Anforderungen an die Unterschriftleistung eines Rechtsanwalts<br />
unter die Berufungs- und die Berufungsbegründungsschrift.<br />
BGH, Beschl. v. 27.9.2005 – VIII ZB 105/04<br />
Aus den Gründen: I. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574<br />
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und genügt<br />
den formellen Anforderungen des § 575 ZPO. Eine Entscheidung<br />
des Rechtsbeschwerdegerichts ist zur Sicherung einer einheitlichen<br />
Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO), weil die angefochtene<br />
Entscheidung das Verfahrensgrundrecht des Beklagten<br />
auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG<br />
in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt, das es den<br />
Gerichten verbietet, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung<br />
eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen<br />
nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BGH,<br />
Beschluss vom 23. Oktober 2003 – V ZB 28/03, NJW 2004, 367,<br />
unter II 1 bb m. w. Nachw.). Dies ist hier geschehen, weil das Berufungsgericht<br />
bei seinen Anforderungen an die gemäß §§ 519<br />
Abs. 4, 520 Abs. 5, 130 Nr. 6 ZPO erforderliche Unterschrift des<br />
Rechtsanwalts unter der Berufungsschrift und der Berufungsbegründungsschrift<br />
eine mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung<br />
unvereinbare Strenge an den Tag gelegt hat (s. unter 2).<br />
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.<br />
a) Als Unterschrift im Sinne von § 130 Nr. 6 ZPO ist nach der<br />
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein aus Buchstaben einer<br />
üblichen Schrift bestehendes Gebilde zu fordern, das nicht lesbar<br />
zu sein braucht. Erforderlich, aber auch genügend ist das Vorliegen<br />
eines die Identität des Unterschreibenden ausreichend kennzeichnenden<br />
Schriftzuges, der individuelle und entsprechend charakteristische<br />
Merkmale aufweist, die die Nachahmung erschweren, der<br />
sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und der die Absicht einer<br />
vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt, selbst wenn er nur<br />
flüchtig niedergelegt und von einem starken Abschleifungsprozess<br />
gekennzeichnet ist. Unter diesen Voraussetzungen kann selbst ein<br />
vereinfachter und nicht lesbarer Namenszug als Unterschrift anzuerkennen<br />
sein, wobei insbesondere von Bedeutung ist, ob der Unterzeichner<br />
auch sonst in gleicher oder ähnlicher Weise unterschreibt<br />
(BGH, Beschluss vom 26. Februar 1997 – XII ZB 17/97,<br />
FamRZ 1997, 737, unter II m. w. Nachw.). In Anbetracht der Variationsbreite,<br />
die selbst Unterschriften ein und derselben Person aufweisen,<br />
ist jedenfalls dann, wenn die Autorenschaft gesichert ist,<br />
bei den an eine Unterschrift zu stellenden Anforderungen ein großzügiger<br />
Maßstab anzulegen (BGH, Urteil vom 10. Juli 1997 – IX<br />
ZR 24/97, NJW 1997, 3380 unter II 2 a; Beschluss vom 29. Oktober<br />
1986 – IVa ZB 13/86, NJW 1987, 1333). Denn Sinn und<br />
Zweck des Unterschriftserfordernisses ist die äußere Dokumentation<br />
der vom Gesetz geforderten eigenverantwortlichen Prüfung<br />
des Inhalts der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift durch<br />
den Anwalt (BGH, Beschluss vom 23. Juni 2005 – V ZB 45/04,<br />
NJW 2005, 2709, unter III 2 a bb), die gewährleistet ist, wenn feststeht,<br />
dass die Unterschrift von dem Anwalt stammt.<br />
b) An der Autorenschaft des Rechtsanwalts G. S. bestanden<br />
hier auch beim Berufungsgericht zu keiner Zeit Zweifel. Sie wird<br />
zum einen dadurch bestätigt, dass der Schriftzug in beiden Schriftsätzen<br />
über den maschinenschriftlichen Zusatz „G. S., Rechtsanwalt“<br />
gesetzt ist, und ergibt sich zum andern daraus, dass die<br />
Unterschrift, anders als das Berufungsgericht meint, keine wesentlichen<br />
Abweichungen von den Schriftgebilden aufweist, mit denen<br />
Rechtsanwalt S. die unstreitig von ihm stammenden erstinstanzlichen<br />
Schriftsätze in diesem Verfahren unterzeichnet hat. Bei Anlegung<br />
eines großzügigen Maßstabs ist hier das Erfordernis einer<br />
Unterschrift noch erfüllt. Der Senat kann die Prüfung der dafür er-<br />
76 AnwBl 1 / 2006<br />
forderlichen Merkmale selbständig und ohne Bindung an die Ausführungen<br />
des Berufungsgerichts vornehmen (Senatsurteil vom 24.<br />
Juli 2001 – VIII ZR 58/01, NJW 2001, 2888, unter II 1; Beschluss<br />
vom 26. Februar 1997, aaO; Beschluss vom 29. Oktober 1986,<br />
aaO). Der Schriftzug auf der Berufungs- und der Berufungsbegründungsschrift<br />
lässt die Absicht erkennen, eine volle Unterschrift zu<br />
leisten und die Schriftstücke nicht lediglich mit einer Paraphe oder<br />
Abkürzung abzuzeichnen. Er ist zwar einfach strukturiert und einem<br />
starken Abschleifungsprozess unterlegen, aber dennoch so individuell<br />
ausgeführt, dass ihm insgesamt der Charakter einer Unterschrift<br />
nicht abgesprochen werden kann.<br />
c) Wenn man dies anders sehen wollte, wäre das Berufungsgericht<br />
jedenfalls gehalten gewesen, dem Beklagten auf dessen den<br />
Anforderungen der §§ 234, 236 ZPO genügenden Antrag hin gemäß<br />
§ 233 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die<br />
Versäumung der Berufungs- und der Berufungsbegründungsfrist zu<br />
gewähren. Da der Prozessbevollmächtigte des Beklagten glaubhaft<br />
gemacht hat, dass seine Unterschrift von den Gerichten jahrelang<br />
unbeanstandet geblieben ist, durfte er ohne Verschulden annehmen,<br />
dass sie den allgemein in der Rechtsprechung anerkannten Anforderungen<br />
entsprach, und hatte er unter Berücksichtigung des Anspruchs<br />
auf faire Verfahrensgestaltung vor dem Hinweisbeschluss<br />
vom 26. Juli 2004 keinen Anlass zu der Besorgnis, sie werde von<br />
der entscheidenden Kammer als unzureichend angesehen werden<br />
(vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. November 1997 – 1 BvR<br />
1023/96, NJW 1998, 1853, unter II 2 b; BGH, Beschluss vom 28.<br />
September 1999 – II ZB 19/98, NJW 1999, 60, unter II 2).<br />
Fotonachweis<br />
Seiten IV, XXVIII, 4, 9, 12, 23, 46, 49, 51, 56, 58, 60, 63 :alle<br />
privat; Seiten I, XXXVI, 29, 30, 31, 32, 37, 39, 40, 41, 42, 43, 45:<br />
alle Burkhardt/Berlin; Seite 35, 55: DAV; Seite 33: Bonn-Sequenz.<br />
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bereit. Damit soll nahezu das gesamte<br />
Bundesrecht online verfügbar<br />
sein. Der Zugang zu den Gesetzen erfolgt<br />
am schnellsten über die alphabetische<br />
Liste, die unter „Gesetze /<br />
Verordnungen“ zu finden ist. Der<br />
Nutzer wählt einen Anfangsbuchsta-<br />
ben von A – Z aus und gelangt zu der<br />
entsprechenden Liste. Hier sind die<br />
Gesetze nach ihrer offiziellen Abkürzung<br />
sortiert – die Liste beginnt mit<br />
dem AABG, dem Gesetz zur Begrenzung<br />
der Arzneimittelausgaben der<br />
gesetzlichen Krankenversicherung,<br />
und endet mit der ZZV, der Verordnung<br />
über die Zuzahlung bei der Abgabe<br />
von Arzei- und Verbandmitteln<br />
in der vertragsärztlichen Versorgung.<br />
Die Listen sind durch die Masse der<br />
Bundesgesetze immer noch sehr<br />
lang. Wer nicht durch die Verordnungsflut<br />
scrollen möchte, dem sei<br />
die Suchfunktion der gängigen Internetbrowser<br />
strg-f empfohlen, um<br />
schnell zum Ziel zu kommen. Ist das<br />
gewünschte Gesetz gefunden, gibt es<br />
die Auswahl zwischen der PDF-Version,<br />
in der das Gesetz als Ganzes herunter<br />
geladen und ausgedruckt werden<br />
kann, und der Internet-Version,<br />
in der die einzelnen Kapitel oder Paragraphen<br />
des Gesetzes ausgewählt<br />
und angeklickt werden können.<br />
Diese Wahl zwischen den verschiedenen<br />
Dateiformaten besteht nicht,<br />
wenn die Volltextsuche genutzt wird.<br />
Das gesamte Gesetz als PDF-Datei<br />
wird hier nicht angeboten. Dafür gibt<br />
es hier die Möglichkeit, nach bestimmten<br />
Begriffen gezielt zu suchen<br />
und diese Suche durch die Suchparameter<br />
„und“ bzw. „oder“ zu verknüpfen.<br />
Die Trefferliste führt sowohl<br />
zu Gesetzen und deren<br />
XXIV AnwBl 1 / 2006<br />
Für das <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
im Internet:<br />
Rechtsanwältin<br />
Isa von Koeller,<br />
Online-Redakteurin<br />
von Marktplatz-Recht.de.<br />
Inhaltsverzeichnissen, als auch zu<br />
einzelnen Paragraphen, was mit der<br />
Überschrift „Einzelnorm“ angekündigt<br />
wird. Einziger – aber großer –<br />
Nachteil des direkten Anklickens des<br />
Paragraphen ist, dass dort nicht der<br />
Name des Gesetzes erscheint. In welchem<br />
Gesetz der angezeigte Paragraph<br />
steht, ist nur aus der Internetadresse<br />
herauszulesen, bei BGB und<br />
StGB ist das eindeutig zu erkennen,<br />
aber wofür mag „baf_g-teilerla_v“<br />
stehen, das in der URL nach bundesrecht.juris.de<br />
angezeigt wird? In welcher<br />
Verordnung steht der gefundene<br />
Paragraph? Auf der Suche nach unbekannten<br />
Normen kann dies lästig<br />
sein und gehört hoffentlich zu den<br />
bald behobenen Kinderkrankheiten<br />
dieses sinnvollen Projektes. Eine<br />
wichtige Ergänzung zu den Gesetzestexten<br />
ist der „Aktualitätendienst“.<br />
Hier sind die neu im Bundesgesetzblatt<br />
verkündeten und noch nicht in<br />
die einzelnen Gesetzestexte eingearbeiteten<br />
Verordnungen veröffentlicht.<br />
Erfreulicherweise erfolgt die<br />
oben beschriebene Volltextsuche<br />
auch über diesen Aktualitätendienst,<br />
so dass bei der Suche nach einem entsprechenden<br />
Begriff sowohl der Gesetzestext<br />
als auch eine ggf. ergangene<br />
Änderungsverordnung zu dem<br />
Bereich in der Trefferliste erscheint.<br />
9 Justiz.de<br />
Einen Überblick über vorhandene<br />
Internetangebote des Bundes und der<br />
Länder bietet dieses Justizportal, das<br />
vom Land Nordrhein-Westfalen verantwortet<br />
wird. Unter der Überschrift<br />
„Bund / Länder“ gibt es<br />
weiterführende Informationen zur<br />
Justizministerkonferenz, zur Bund-<br />
Länder-Kommission und zum elektronischen<br />
Rechtsverkehr. Außerdem<br />
sind hier die jeweiligen Justizministerien<br />
des Bundes und der Länder<br />
verlinkt. Folgt man der Navigation<br />
zu den Onlinediensten, finden sich<br />
Links zu den Ländern mit ihren Veröffentlichungen<br />
von Landesgesetzen.<br />
Im Orts-/Gerichtsverzeichnis, ebenfalls<br />
kein eigenes Angebot von Justiz.de,<br />
sondern ein weiterführender<br />
Link, lassen sich regionale Zuständigkeiten<br />
von Gerichten und Staatsanwaltschaften<br />
ermitteln. Der Menüpunkt<br />
„Formulare“ birgt eine Reihe<br />
von Formularen, die herunter geladen<br />
werden können.<br />
Anwaltsvergütung<br />
9 Streitwerttabelle<br />
von Fritz Finke. 5.<br />
Aufl.; Bonn, Deutscher<br />
Anwaltverlag,<br />
2005; 53 S., Ringbdg.;<br />
3-8240-0819-X; 26,– E.<br />
Orientiert an der anwaltlichen<br />
Praxis liefert<br />
die übersichtlich gestaltete<br />
Tabelle Auskunft<br />
über die aktuellen<br />
Streitwerte, insbesondere<br />
die Gegenstandswerte<br />
der Anwaltsgebühren.<br />
9 Vergütungstipps<br />
nach dem RVG von<br />
Frank Lautwein;<br />
München, C. H. Beck,<br />
2005; XV, 176 S.,<br />
brosch.; (Berufspraxis<br />
Rechtsanwälte);<br />
3-406-51859-1;18.–E.<br />
Der Band enthält Vergütungstipps<br />
für Anwälte,<br />
Bürovorsteher,<br />
Kanzleimanager sowie ReNo-Gehilfen und eignet<br />
sich somit für die tägliche Abrechnungspraxis.<br />
Anwaltshaftung<br />
9 Anwaltshaftung<br />
von Brigitte Borgmann,<br />
Antje Jungk<br />
und Holger Grams;<br />
4., völlig neu bearb.<br />
Aufl.; München, C. H.<br />
Beck, 2005; XXI, 520<br />
S., geb.; 3-406-47273-7;<br />
70,– E.<br />
Das Handbuch informiert<br />
umfassend über<br />
das anwaltliche Haftungsrisiko und bietet wertvolle<br />
Hinweise für ein optimales Risikomanagement<br />
in der Anwaltskanzlei.<br />
Prozesskostenhilfe<br />
9 Prozesskostenhilfe<br />
und Beratungshilfe<br />
von Elmar Kalthoener,<br />
Helmut Büttner<br />
und Hildegard Wrobel-Sachs;<br />
4., völlig<br />
neu bearb. Aufl.;<br />
München, C. H.<br />
Beck, 2005; XXXII,<br />
469 S., geb.; 3-406-<br />
53385-X; 48,– E.<br />
Im Mittelpunkt dieser<br />
Auflage stehen die<br />
zahlreichen Änderungen des GKG und die<br />
Auswirkungen der Einführung des RVG.<br />
Aufgenommen wurde auch die grenzüberschreitende<br />
Prozesskostenhilfe in der EU.
MN Schlussplädoyer<br />
Stellt sich den Fragen des <strong>Anwaltsblatt</strong>s:<br />
Rechtsanwalt Henrich J. Potthast<br />
aus Köln ist Mitglied des Vorstandes<br />
des Deutschen Anwaltvereins. Er ist<br />
seit 1978 Rechtsanwalt und arbeitet in<br />
einer Sozietät mit drei Anwälten. Sein<br />
Schwerpunkt liegt auf dem Gebiet des<br />
Familienrechts. Er ist Mitglied im<br />
Deutschen Anwaltverein, weil eine<br />
starke Interessenvertretung nur bei einem<br />
hohen Repräsentationsgrad glaubwürdig<br />
ist und die Mitarbeit für die Interessen<br />
der Anwälte Freude macht.<br />
XXVIII AnwBl 1 / 2006<br />
Warum sind Sie Anwalt geworden?<br />
Ich bin seit 15 Generationen juristisch<br />
vorbelastet, da blieb keine andere<br />
Wahl.<br />
Schon einmal überlegt, die Zulassung<br />
zurückzugeben?<br />
Wenn sich die Ferien in Griechenland<br />
dem Ende zuneigen, dann ...<br />
Ihr größter Erfolg als Anwalt?<br />
Dass ich die Zulassung trotzdem nie<br />
zurückgegeben haben und nicht zurückgeben<br />
werde.<br />
Ihr Stundensatz?<br />
Guter Rat ist teuer, aber er macht<br />
sich bezahlt.<br />
Ihr Traummandat?<br />
Das einerseits zur Zufriedenheit des<br />
Mandanten abgeschlossene und andererseits<br />
gut honorierte Mandat.<br />
Was sollen Ihnen Ihre Kollegen einmal<br />
nicht nachsagen?<br />
Dass ich nicht konstruktiv und gesprächsbereit<br />
gewesen wäre.<br />
Welches Lob wünschen Sie sich von<br />
einem Mandanten?<br />
Ich lasse mich bei Ihnen gerne noch<br />
einmal scheiden.<br />
Mitglieder Service<br />
DAV-Haus<br />
Littenstr. 11, 10179 Berlin<br />
Deutscher Anwaltverein<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 1 90<br />
dav@anwaltverein.de,<br />
www.anwaltverein.de<br />
Redaktion <strong>Anwaltsblatt</strong><br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 41, Fax: - 1 91<br />
anwaltsblatt@anwaltverein.de<br />
www.anwaltsblatt.de<br />
Deutsche Anwaltakademie<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 0, Fax: - 1 11<br />
daa@anwaltakademie.de<br />
www.anwaltakademie.de<br />
Deutsche Anwaltadresse<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 53 - 1 70, - 1 71, Fax: - 1 77<br />
adresse@anwaltverein.de<br />
DAV-Anwaltausbildung<br />
Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 1 88, Fax: - 1 63<br />
anwaltausbildung@anwaltverein.de<br />
www.dav-anwaltausbildung.de<br />
Arbeitsgemeinschaften im DAV<br />
Infos unter Tel.: 0 30/ 72 61 52 - 0, Fax: - 190<br />
DAV Büro Brüssel<br />
Tel.: + 32 (2) 2 80 28 - 12, Fax: - 13<br />
bruessel@anwaltverein.de,<br />
www.anwaltverein.de/bruessel<br />
Deutscher Anwaltverlag<br />
Wachsbleiche 7, 53111 Bonn<br />
Tel.: 02 28/ 9 19 11 - 0, Fax: - 23<br />
kontakt@anwaltverlag.de,<br />
www.anwaltverlag.de<br />
Sonderleistungen für Mitglieder<br />
Bei Hertz profitieren die Mitglieder von besonders<br />
günstigen Mietwagentarifen im Vergleich zu den<br />
Regeltarifen. Ob in Deutschland oder im Ausland,<br />
ob PKW oder LKW. Informationen über kostenfreie<br />
Hotline oder Onlinereservierung:<br />
http://www.anwaltverein.de/vorteile/index.html