Januar - Anwaltsblatt
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MN Aufsätze<br />
Reform des<br />
strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens<br />
Gesetzentwurf des Deutschen Anwaltvereins*<br />
Der DAV-Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht des DAV fassen mit der Gesetzesinitiative zur<br />
Reform des strafprozessualen Ermittlungsverfahren die<br />
20 Jahre währende intensive Diskussion zusammen und unterbreiten<br />
dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen Vorschlag.<br />
Der Gesetzentwurf beschränkt sich auf Minimalforderungen,<br />
die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />
der Rechtsprechung der Obergerichte ergeben. Der Entwurf<br />
– als Stellungnahme des Deutschen Anwaltvereins veröffentlicht<br />
– ist der Bundesjustizministerin Brigitte Zypries<br />
auf dem Herbstkolloquium der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />
am 11. November 2005 übergeben worden (siehe Seite<br />
42 in diesem Heft). Das <strong>Anwaltsblatt</strong> dokumentiert den Entwurf.<br />
A. Allgemeine Begründung<br />
Die Regierungskoalition von SPD und Bündnis 90/Die<br />
Grünen hat mit ihren „Eckpunkten für eine Reform des<br />
Strafverfahrens“ vom 6. April 2001 die Diskussion über<br />
eine Reform des Strafverfahrens aufgenommen, die von der<br />
Anwaltschaft und der Wissenschaft schon seit langem gefordert<br />
wird. 1<br />
Das Bundesministerium der Justiz hat diese Diskussion<br />
mit dem „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
fortgesetzt, den es in Zusammenarbeit mit einer<br />
Koalitionsarbeitsgruppe der Bundestagsfraktionen von SPD<br />
und Bündnis 90/Die Grünen nach „intensivem Meinungsaustausch<br />
mit dem Bundesgerichtshof, dem Generalbundesanwalt,<br />
den Landesjustizverwaltungen sowie zahlreichen<br />
Verbänden aus Justiz und Anwaltschaft“ am 18. Februar<br />
2004 vorgelegt hat2 .<br />
Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
hat – neben dem Gutachten von Satzger und den<br />
Thesen der Referenten3 – die Verhandlungen der strafrechtlichen<br />
Abteilung des DJT 2004 beherrscht und hatte maßgeblichen<br />
Einfluss auf die Beschlüsse. 4<br />
Rechtzeitig zum DJT 2004 erschienen – nach langen Vorarbeiten<br />
– die „Thesen zur Reform des Ermittlungsverfahrens“<br />
des Strafrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer5<br />
, die seit langem erhobene Forderungen der<br />
Anwaltschaft für eine Reform des Ermittlungsverfahrens in<br />
einem geschlossenen Zusammenhang darstellen, ergänzen<br />
und mit ausführlicher Begründung versehen.<br />
Entgegen anders lautender Ankündigungen und Erwartungen<br />
folgte dem „Diskussionsentwurf“ weder ein Referenten-<br />
noch gar ein Regierungsentwurf.<br />
Der Strafrechtsausschuss des DAV, der mit seinem Forum<br />
von 1985 bereits den Anstoß zu einer Reform des strafrechtlichen<br />
Ermittlungsverfahrens gegeben hatte und die dadurch<br />
in Gang gekommene Debatte mit Stellungnahmen in zahlreichen<br />
Gesetzgebungsverfahren aktiv begleitet hat6 , hat es<br />
sich zur Aufgabe gemacht, die 20 Jahre währende intensive<br />
Diskussion mit dem nunmehr vorgelegten Gesetzentwurf<br />
zusammenzufassen und dem Gesetzgeber einen entscheidungsreifen<br />
Vorschlag zu unterbreiten.<br />
24 AnwBl 1 / 2006<br />
Der hiermit vorgelegte Gesetzentwurf beschränkt sich auf<br />
Minimalforderungen, die sich im Wesentlichen aus Leitentscheidungen<br />
der maßgeblichen Rechtsprechung der Obergerichte<br />
zu den jeweiligen Fragen und deren Fortschreibung ergeben.<br />
Er nimmt bewusst die umstrittenen Vorschläge des<br />
„Diskussionsentwurfs“ nicht auf, den Verteidiger an Vernehmungen<br />
von Zeugen und Mitbeschuldigten im Ermittlungsverfahren<br />
zu beteiligen und geht damit auch der Debatte um<br />
den sog. „Zwangstransfer“ von Ermittlungsergebnissen in die<br />
Hauptverhandlung aus dem Weg. Eine maßgebliche Veränderung<br />
des Ermittlungsverfahrens insgesamt oder auch nur eine<br />
Verlagerung von Gewichten der am Verfahren Beteiligten ergibt<br />
sich aus diesem Entwurf nicht.<br />
Der Strafrechtsausschuss des DAV verbindet mit diesem<br />
Entwurf die Erwartung, dass die drängendsten Fragen einer<br />
Reform des Ermittlungsverfahrens nach langer und ausführlicher<br />
Diskussion in der laufenden Legislaturperiode einem<br />
Ergebnis zugeführt werden können.<br />
Der „Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens<br />
hat die Grundlinien für seinen nach wie vor gültigen<br />
Ansatz wie folgt umschrieben:<br />
„Die Gesetzgebung zum Strafverfahrensrecht war in<br />
den letzten Jahrzehnten häufig von anlassbezogenen<br />
und isolierten Änderungen in Teilbereichen geprägt.<br />
Wie bei der sog. Terrorismusgesetzgebung in den siebziger<br />
Jahren oder den Gesetzen zur Bekämpfung der Organisierten<br />
Kriminalität aus den neunziger Jahren handelte<br />
es sich, vor allem beim Ausbau des<br />
Ermittlungsinstrumentariums, um die Reaktion auf neue<br />
Formen von Kriminalität. ... Eine weitere Motivation der<br />
Gesetzgebung waren die Justizentlastung einschließlich<br />
der Verfahrensbeschleunigung.<br />
... hat die Bundesregierung mit dem Standpunkt verbunden,<br />
dass sich das Ziel einer Modernisierung und Vereinfachung<br />
des Strafverfahrens nicht mit weiteren, nur<br />
punktuellen Änderungen erreichen lasse.<br />
Die Reform des Strafverfahrens verfolgt das Ziel einer<br />
zukunftssicheren Weiterorientierung des Strafverfahrens<br />
als Gesamtkonzept, das die Rechte aller am Strafverfahren<br />
Beteiligter unter grundsätzlicher Beibehaltung der<br />
insgesamt bewährten Strukturen verstärkt und zueinander<br />
in gerechten Ausgleich bringt.“<br />
Hieran orientiert sich der vorliegende Entwurf.<br />
* Herausgegeben durch den Strafrechtsausschuss und die Arbeitsgemeinschaft<br />
Strafrecht des DAV. Mitglieder des Strafrechtsausschusses sind die Rechtsanwältinnen<br />
und Rechtsanwälte: Eberhard Kempf, Frankfurt a. M. (Vorsitz und Berichterstatter);<br />
Dr. h.c. Rüdiger Deckers, Düsseldorf (Berichterstatter); Dr. Gina<br />
Greeve, Frankfurt a. M.; Prof. Dr. Rainer Hamm, Frankfurt a. M.; Gabriele Jansen,<br />
Köln; Dr. Stefan König, Berlin; Georg Prasser, Stuttgart; Michael Rosenthal,<br />
Karlsruhe; Dr. Heide Sandkuhl, Potsdam; Dr. Rainer Spatscheck, München.<br />
Mitglieder des Geschäftsführenden Ausschusses der Arbeitsgemeinschaft Strafrecht<br />
des DAV sind die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte: Werner Leitner,<br />
München (Vorsitz); Martin Amelung, München; Dr. Ferdinand Gillmeister, Freiburg<br />
i. Br.; Dr. Gina Greeve, Frankfurt; Dr. Daniel Krause, Berlin; Dr. Wilhelm<br />
Krekeler, Dortmund; Dr. Dirk Lammer, Berlin; Dr. Klaus Leipold, München;<br />
Annette Marberth-Kubicki, Kiel; Dr. Manfred Parigger, Hannover; Dr. Ulrich<br />
Sommer, Köln. Zutändig in der DAV-Geschäftsführung: Rechtsanwältin Tanja<br />
Brexl, Berlin .<br />
1 Vgl. nur: Reform des Ermittlungsverfahrens, Forum des Strafrechtsausschusses<br />
des DAV, 1985, AnwBl 1986, 50 ff; Die Verteidigung, Gesetzentwurf mit Begründung,<br />
Arbeitskreis Strafprozessreform, 1979; Alternativ-Entwurf Reform<br />
des Ermittlungsverfahrens (AE-EV), 2001.<br />
2 www.sirius.soldan.de/anwaltverein/01/depesche/texte04/Disk-entw.pdf<br />
3 65. DJT 2004.<br />
4 www.djt.files/djt/65/beschluesse.pdf<br />
5 Reform der Verteidigung im Ermittlungsverfahren, Thesen mit Begründung, vorgelegt<br />
vom Strafrechtsausschuss der Bundesrechtsanwaltskammer, 2004.<br />
6 Vgl. zuletzt „Stellungnahme zum Diskussionsentwurf für eine Reform des Strafverfahrens“<br />
vom September 2004.