Januar - Anwaltsblatt
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MNThema<br />
Brauchen wir den Einheitsjuristen –<br />
oder kommt die Spartenausbildung?<br />
Justiz und Anwaltschaft haben unterschiedliche Bedürfnisse – Streitgespräch<br />
über die Juristenausbildung<br />
Die „Befähigung zum Richteramt“ eint die Juristen. Der<br />
Einheitsjurist gilt als Garant dafür, dass die Juristenausbildung<br />
anderen Ausbildungen überlegen ist – so sehen<br />
das noch immer Richter, Verwaltungsbeamte und viele Anwälte.<br />
Doch ist dem noch so? Von den jährlich rund<br />
10.000 Juristen mit der „Befähigung zum Richteramt“<br />
werden an die 7.500 Rechtsanwälte. Ist der Einheitsjurist<br />
noch zeitgemäß? Das <strong>Anwaltsblatt</strong> bat eine Vertreterin der<br />
Justiz und einen Anwaltsvertreter zum Streitgespräch. In<br />
Berlin diskutierten die Präsidentin des rheinland-pfälzischen<br />
Landesprüfungsamtes für Juristen, Marliese Dicke,<br />
und der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins,<br />
Dr. Dierk Mattik.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Angehende Volljuristen orientieren sich in<br />
ihrer jahrelangen Ausbildung am Leitbild des habilitierfähigen<br />
Oberlandesgerichtsrats, obwohl fast alle so nie arbeiten<br />
werden. Der DAV schlägt eine eigenständige Anwaltsausbildung<br />
vor. Anwalt soll nur werden, wer Anwalt gelernt<br />
hat. Brauchen wir den Einheitsjuristen noch?<br />
Dicke: Ja. Es gibt gute Gründe, die Ausbildung – so wie<br />
sie heute ausgestaltet ist – aufrecht zu erhalten. Im Übrigen:<br />
Der Einheitsjurist hat – obwohl viele an ihm schon herumgedoktert<br />
haben – immer überlebt. Der Begriff „Befähigung<br />
zum Richteramt“ gibt sicherlich Anlass zu Missverständnissen.<br />
Er besagt, dass jeder Absolvent der Ausbildung Richter<br />
werden kann. Die Ausbildung war früher in der Tat mehr<br />
auf die Justizberufe ausgerichtet. Heute streiten wir eher um<br />
den Begriff. Die Ausbildung ist schon längst nicht mehr die<br />
alte. Der Gesetzgeber hat ja erst kürzlich die Ausbildung<br />
wesentlich stärker am Anwaltsberuf ausgerichtet, als es früher<br />
der Fall war.<br />
Dr. Mattik: Ich widerspreche. Wir machen es uns zu einfach,<br />
wenn wir sagen, Einheitsjusrist ist ein überholter Begriff<br />
– und die Inhalte sehen eigentlich ganz anders aus. Es<br />
ist schon ein wenig Überheblichkeit der Justizjuristen im<br />
Spiel, wenn sie sagen, auch der Anwalt braucht die Befähigung<br />
zum Richteramt. Wer Richter kann, muss nicht auch<br />
Stritten im DAV-Haus in Berlin über die Zukunft des Einheitsjuristen:<br />
Marliese Dicke und Dr. Dierk Mattik.<br />
30 AnwBl 1 / 2006<br />
Anwalt können. Als Anwalt reicht es nicht, ein guter Jurist<br />
zu sein. Sie müssen Managementfähigkeiten haben, sie<br />
müssen Personal führen, sie brauchen steuerrechtliche<br />
Kenntnisse – sie sind Unternehmer. Es reicht heute nicht<br />
mehr aus, jemand mit der Befähigung zum Richteramt auszubilden<br />
– und dann zu glauben, dass er hinterher als Unternehmer<br />
auf dem Anwaltsmarkt bestehen kann.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Ist der Einheitsjurist ein Mythos?<br />
Dr. Mattik: Es mag einmal Zeiten gegeben haben, wo<br />
das Idealbild Einheitsjurist der Maßstab gewesen ist. Diese<br />
Zeiten sind längst vorbei. Wir müssen feststellen: Justiz und<br />
Verwaltung kommen mit dem Einheitsjuristen und mit der<br />
Juristenausbildung bestens aus. Es wird ausgebildet, was<br />
die Justiz hinterher auch abfordert. Es werden sowieso nur<br />
fünf Prozent der Absolventen Richter, die sowieso die Besten<br />
sind – und für die Verwaltungsbeamten gibt es in der<br />
Regel eine postassessorale Ausbildung. Aber wir bilden<br />
eben auch eine große Masse von durchschnittlichen und unterdurchschnittlichen<br />
Juristen aus. Sie werden alle Anwalt.<br />
Früher war das kein großes Problem. Die anwaltliche Karriere<br />
begann als angestellter Anwalt – da wurde der junge<br />
Anwalt von den erfahrenen Kollegen in den Beruf eingeführt.<br />
Doch das funktioniert seit langem nicht mehr. Viele<br />
juristische Karrieren als Anwalt beginnen als Einzelanwalt.<br />
Die kommen aus dem 2. Staatsexamen und werden ins Wasser<br />
geschmissen.<br />
Dicke: Dass dieses Massenproblem existiert, leugne ich<br />
nicht. Eine breite Masse schlecht benoteter – nicht unbedingt<br />
schlecht ausgebildeter – Juristen steht auf dem Arbeitsmarkt.<br />
Dieses Massenproblem sorgt uns alle. Darüber<br />
sind wir uns sicher einig.<br />
<strong>Anwaltsblatt</strong>: Der Einheitsjurist ist ein Idealtypus, der alles<br />
weiß, aber am Ende nichts kann. Wer Anwalt oder Notar<br />
werden will, braucht eine Zusatzausbildung – und selbst in<br />
der Justiz wird nach dem zweiten Examen weiter ausgebildet.<br />
Ignoriert die Juristenausbildung einfach den aktuellen<br />
Trend?<br />
Dicke: Der Einheitsjurist kann sehr viel. Wir sollten die<br />
Vorzüge der Ausbildung nicht übersehen. Der Anwalt soll<br />
mit dem Richter, Staatsanwalt oder Verwaltungsjuristen auf<br />
Augenhöhe sein. Das ist ein wichtiges Argument. Wenn wir<br />
wirklich in Sparten ausbilden – wie es der DAV forciert -,<br />
würden die Vertreter der einzelnen Berufe eben nicht mehr<br />
auf Augenhöhe sein. Wir hätten Anwälte, wenige Richter,<br />
einige Verwaltungsjuristen – und wir hätten einen Anteil<br />
von mindestens 15 Prozent Studienabgänger, die gar keine<br />
Ausbildung durchlaufen hätten. Sie müssten in der freien<br />
Wirtschaft ihren Markt suchen – ohne irgendwo ausgebildet<br />
worden zu sein. Das ist auch ein Problem, über das wir sicher<br />
reden müssen. Dagegen steht derzeit beispielsweise der<br />
universell ausgebildete Richter, der auch gesehen hat, wie<br />
Anwälte arbeiten – und umgekehrt. Und nach der letzten<br />
Reform aus dem Jahre 2003 dauert die Anwaltsstation im<br />
Referendariat jetzt immerhin 9 Monate lang – und kann um