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Januar - Anwaltsblatt

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MN Aufsätze<br />

ihr „center of main interest“, hat. Ist dies nicht der Fall,<br />

dann wird nicht etwa das entsprechende Gesellschaftsrecht<br />

des Sitzstaates angewendet, sondern die Existenz der Gesellschaft<br />

wird überhaupt geleugnet 16 . Nach herkömmlichem<br />

Verständnis ist die Wirkung der Sitztheorie also im wesentlichen<br />

negativ; positiv allenfalls insoweit, als auf eine nicht<br />

als rechtsfähig anerkennungsfähige ausländische Kapitalgesellschaft<br />

im Inland die für Personengesellschaften geltenden<br />

Regeln anzuwenden sind, was zur Folge hätte, dass wir<br />

nie zur Anwendung des haftungsrechtlichen Trennungsprinzips<br />

kommen würden.<br />

2. Die „Übersee-Entscheidung“ des EuGH – Kapitalgarantie<br />

und Kapitalschutz, einerseits, sowie Niederlassungsfreiheit,<br />

andererseits<br />

Die im deutschen internationalen Gesellschaftsrecht entwickelte<br />

Sitztheorie sollte also die Grundlage für die Entwicklung<br />

einer Kapitalgesellschaftskonzeption sichern, die<br />

wir, genauer: unser Gesetzgeber und unsere Gerichte, für<br />

die richtige oder jedenfalls vertretbare halten. Dieses nationale<br />

Anliegen wurde durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs<br />

vom 5.11.2002 17 gründlich durcheinandergewirbelt.<br />

Dieser Entscheidung („Überseering“) lag folgender<br />

Sachverhalt zugrunde: Im Jahre 1990 wurde eine niederländische<br />

Kapitalgesellschaft unter der Firma „Überseering<br />

B.V.“ ordnungsmäßig nach niederländischem Recht gegründet<br />

und in das für sie zuständige Handelsregister eingetragen.<br />

Die geschuldeten Einlagen wurden richtig und vollständig<br />

erbracht. Später veräußerten die niederländischen<br />

Gründungsgesellschafter ihre Gesellschaftsanteile wirksam<br />

an zwei deutsche Kaufleute. Diese kauften im Namen der<br />

Überseering B.V. in Düsseldorf ein Geschäftsgrundstück,<br />

von wo aus sie künftig die Geschäfte der Überseering B.V.<br />

betrieben. Nach Errichtung des dafür benötigten Geschäftsgebäudes<br />

kam es zu baumängelbedingten Auseinandersetzungen<br />

mit dem für die Gebäudeerrichtung herangezogenen<br />

Bauunternehmer.<br />

Die Auseinandersetzung mündete in einen Prozeß zwischen<br />

der Überseering B.V. als Klägerin und diesem Bauunternehmer.<br />

Die Instanzgerichte wiesen die Klage als unzulässig<br />

ab, weil sie – in Entsprechung der einleitend<br />

erläuterten Sitztheorie – die Rechts– und Parteifähigkeit der<br />

niederländischen Überseering B.V. in Deutschland verneinten.<br />

Sie wollten in dem Zusammenschluß der beiden Gesellschafter<br />

von Überseering B.V. allenfalls eine Gesellschaft<br />

bürgerlichen Rechts sehen, konnten aber nicht ahnen, dass<br />

der Bundesgerichtshof am 29.1.2001 18 die Rechtsfähigkeit<br />

der BGB-Außengesellschaft und damit ihre Parteifähigkeit<br />

anerkennen würde und damit die Zulässigkeit der von Überseering<br />

B.V. erhobenen Klage hätte bejahen müssen. Er, der<br />

BGH selbst, sah diese gesellschaftsrechtliche Entwicklung<br />

im März 2000 ebensowenig voraus, denn er fragte per Vorlagebeschluß<br />

den Europäischen Gerichtshof, was dieser davon<br />

halte, wenn deutsche Gerichte eine holländische Kapitalgesellschaft<br />

mit Geschäftssitz in Deutschland für ein<br />

rechtliches nullum erklären würden.<br />

Der EuGH war pflichtgemäß empört und schrieb den<br />

Deutschen auf, dass jede in einem Mitgliedsstaat der Europäischen<br />

Union ordnungsmäßig gegründete Kapitalgesellschaft<br />

ihren Geschäftssitz in jedem anderen Mitgliedsstaat<br />

der Europäischen Union nehmen dürfe und von diesem je-<br />

22 AnwBl 1 / 2006<br />

denfalls als rechts– und parteifähig anzuerkennen sei. Alles<br />

andere sei ein Verstoß gegen die im EG-Vertrag verbriefte<br />

Niederlassungsfreiheit 19 .<br />

Die Überseering-Entscheidung des EuGH verwarf die<br />

deutsche Sitztheorie, um zur Anerkennung der Rechts– und<br />

Parteifähigkeit der Überseering B.V. zu kommen. Die von<br />

der deutschen Regierung vorgebrachten Sorgen dahingehend,<br />

dass mit der Anerkennung solcher ausländischer<br />

Kapitalgesellschaften die deutschen Regeln über den Schutz<br />

des Gesellschaftskapitals und den Schutz von Minderheitsgesellschaftern<br />

unterlaufen werden könne und dass es dann<br />

auch möglich sei, die deutschen Regeln über die Mitbestimmung<br />

der Arbeitnehmer auszuhebeln, sah der EuGH als<br />

nicht entscheidungsrelevant für die Frage der Anerkennung<br />

von Rechts– und Parteifähigkeit an. Im Gegenteil: Er orakelte<br />

in Ziff. 92 der Entscheidungsgründe, „es lasse sich<br />

nicht ausschließen, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls,<br />

wie der Schutz der Interessen der Gläubiger, der<br />

Minderheitsgesellschafter, der Arbeitnehmer oder auch des<br />

Fiskus, unter bestimmten Umständen und unter Beachtung<br />

bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit<br />

rechtfertigen können.“<br />

3. Von der „festen Burg“ zum Wettbewerb der Systeme<br />

Der damit verbundene Hoffnungsschimmer entschwand<br />

jedoch endgültig durch die Entscheidung zum Stichwort<br />

„Inspire Art“ des EuGH vom 30.9.2003 20 . Mit diesem Urteil<br />

verbot der EuGH den Niederländern eine gesetzliche Regelung,<br />

deren Zweck darauf gerichtet war, in England gegründete<br />

Briefkasten-Kapitalgesellschaften zu veranlassen, den<br />

in Holland geltenden Vorschriften über die Mindestkapitalausstattung<br />

zu genügen. Danach breitete sich hierzulande<br />

Ratlosigkeit aus. Die Deutschen sahen sich in einem Wettbewerb<br />

der Systeme, denn nun sollten die Kapitalgesellschafts-Konzepte<br />

von immerhin 25 EU-Mitgliedsstaaten in<br />

Deutschland zur Anwendung kommen dürfen.<br />

Zunächst einmal kam jedenfalls die englische Ltd. ohne<br />

gesetzlich festgelegte Mindestkapitalausstattung in Mode.<br />

Die Frage, wie wir darauf reagieren können und sollten, ist<br />

unverändert offen. Priester fragte unlängst öffentlich, ob<br />

wir nach „Inspire Art“ eine „neue“ GmbH brauchen 21 ,was<br />

er verneinte, offensichtlich in der Hoffnung, dass unsere<br />

Gerichte sich wohl Sanktionen gegen den allzu sorglosen<br />

Umgang mit unseriösen ausländischen Kapitalgesellschaften<br />

einfallen lassen würden. Nach seiner Prognose kann<br />

diese Sanktion nur in der Etablierung einer Unterkapitalisierungshaftung<br />

liegen, aber woran gemessen, am Geschäftsumfang<br />

und dem sich daraus ergebenden Eigenkapitalbedarf<br />

oder am Umfang des Ausfalls, den die Gläubiger erleiden<br />

oder an der Mindestkapitalausstattung, die das GmbH-Gesetz<br />

verlangt? – Lauter Ideen, die entweder unser Konzept<br />

für Gesellschafts– und Gesellschafterhaftung im Recht der<br />

Kapitalgesellschaften verwüsten oder nach den Grundsätzen<br />

der EuGH-Entscheidung zu Inspire Art verboten wären.<br />

16 Staudinger/Großfeld, IntGesR, 53 ff.; Behrens, Die Gesellschaft mit beschränkter<br />

Haftung im internationalen und europäischen Recht, RdNr. 4.<br />

17 EuGH-Rs C-208/00 – ZIP 2002, 2037.<br />

18 BGHZ 146, 341.<br />

19 EGV (Nizza-Fassung v. 26.2.2001), Art. 43, 48.<br />

20 EuGH-RsC-167/01 – DB 2003, 2217 ff.<br />

21 DB 2005, 1315.

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