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Universalmuseum Joanneum Presse Dirndl, Jeans und ...

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<strong>Universalmuseum</strong><br />

<strong>Joanneum</strong><br />

<strong>Presse</strong><br />

<strong>Universalmuseum</strong> <strong>Joanneum</strong> presse@museum-joanneum.at<br />

Mariahilferstraße 4, 8020 Graz, Austria Telefon +43-316/8017-9211<br />

www.museum-joanneum.at<br />

<strong>Dirndl</strong>, <strong>Jeans</strong> <strong>und</strong> Seidenstrumpf<br />

Ausstellungsthemen<br />

Textile Erinnerungsspeicher<br />

Manche Kleidungsstücke überleben auf merkwürdige Weise Jahr für Jahr das Ausmisten des<br />

Kleiderschranks. Die Trennung von ihnen fiele zu schwer, denn es sind Erinnerungen in sie<br />

eingewoben: an ein besonderes Ereignis im Leben, eine wichtige Phase oder an Gefühle, die durch sie<br />

immer wieder hervorgerufen werden können. Für einen Rückblick auf das eigene Leben dienen sie<br />

auch in der Zukunft als Repräsentationen der Person, die man einmal war.<br />

Für die Ausstellung stellen prominente Persönlichkeiten der Steiermark ihre Erinnerungsstücke zur<br />

Verfügung <strong>und</strong> erzählen deren Geschichte.<br />

Stoff, Stoff, Stoff<br />

Seit etwa 30.000 Jahren verarbeiten Menschen tierische <strong>und</strong> pflanzliche Fasern. Bereits am Ende der<br />

Altsteinzeit wurden Stoffe aus Leinen hergestellt. Neben Hanf <strong>und</strong> Schafwolle dienten aber auch<br />

Schwämme <strong>und</strong> Wildpflanzen zur Fertigung von Kleidung. Der älteste bis heute erhaltene Stoff aus<br />

Brennnesseln stammt aus der Steiermark <strong>und</strong> ist etwa 2.800 Jahre alt.<br />

Ende des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts startete mit der Kunstseide die industrielle Produktion der ersten<br />

natürlichen Chemiefaser aus Cellulose. Ihr folgten Ende der 1930er-Jahre die synthetischen Stoffe<br />

Nylon <strong>und</strong> Perlon, später Polyacryl, Polyamid, Polyester, Elastan <strong>und</strong> viele, viele andere. Heute<br />

enthalten r<strong>und</strong> 40 Prozent aller Textilien Erdöl. Moderne Funktionskleidung besteht fast nur aus<br />

erdölhaltigen Fasern. Die meist verbreitete Naturfaser ist heute Baumwolle. Schafwolle beträgt nur<br />

noch 1 Prozent der Produktion.<br />

Das Material der zweiten Haut<br />

Jedes Textil besitzt besondere Eigenschaften, die optisch <strong>und</strong> haptisch wahrzunehmen sind. Neben<br />

den praktischen Aspekten, ob man ein Kleidungsstück im Sommer oder Winter, in Freizeit, Beruf oder<br />

im Bett tragen will, wählt man es nach ästhetischen <strong>und</strong> sozialen Kriterien aus. Zum feinen Anlass<br />

gehören feiner Stoff <strong>und</strong> edles Tuch. Drillich ist für Arbeitskleidung ideal, Leinen prägt vornehme<br />

Sommermode <strong>und</strong> schon Plinius bezeichnete Seide als „Mittel, das bekleidete Frauen nackt<br />

erscheinen lässt“.<br />

Die 1950er- <strong>und</strong> frühen 1960er-Jahre waren die Blütezeit der Erfindung synthetischer Fasern. Stoffe<br />

wurden immer leichter <strong>und</strong> duftiger. Zugleich versprachen sie, pflegeleicht zu sein. Doch die<br />

Begeisterung flaute rasch ab. Ihr Anblick wurde durch die Massenfabrikation gewöhnlich, sie passten<br />

nicht zum wachsenden Hygienebewusstsein, da sie nicht heiß gewaschen werden konnten.<br />

Außerdem nahmen sie leicht unliebsame Gerüche an. Jüngere Chemiefasern werden daher häufig mit<br />

Naturfasern gemischt oder mit naturähnlichen Eigenschaften ausgerüstet.<br />

Materialien stellen auch eine Herausforderung in der Designkunst dar. Es wird mit Materialien<br />

experimentiert, die ein Kleidungsstück untragbar machen. Sie hinterfragen die Funktionen der Mode,<br />

die gesellschaftliche Rolle des Bekleidens <strong>und</strong> spielen mit der Wandelbarkeit von Identität.


Seite 2<br />

Erotische Unschuld<br />

Soziale Kleidungsbedürfnisse orientieren sich in der Regel an der jeweils höheren<br />

Gesellschaftsschicht. Das belegen etwa historische Kleiderordnungen, die den Hang zum Höheren<br />

einzudämmen versuchten <strong>und</strong> vorschrieben, wer welche Materialien <strong>und</strong> Farben tragen durfte. Seit<br />

der Barockzeit verkleideten sich vornehme Menschen gerne in Anlehnung an bäuerliches Gewand, um<br />

unschuldig-erotische Schäferszenen darzustellen.<br />

Doch das erste Kleidungsstück, das von einem niederen Stand in die bürgerliche Kultur übernommen<br />

wurde, war das <strong>Dirndl</strong> zu Beginn des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Wohlhabende Damen ahmten während der<br />

Sommerfrische den Kleidungsstil der arbeitenden Bäuerinnen, Mägde <strong>und</strong> Sennerinnen nach <strong>und</strong><br />

identifizierten sich mit einem Bild von Weiblichkeit, das von Natürlichkeit, Kraft <strong>und</strong> ungekünstelter<br />

Erotik geprägt war.<br />

Die jungen Landfrauen übten ihre Faszination auf die Herren aus der Stadt aus. Die Übernahme des<br />

ländlichen Kleidungsstils durch die städtischen Frauen versprach also Unkompliziertheit in mehrerer<br />

Hinsicht.<br />

Working Class Sex Appeal<br />

<strong>Jeans</strong> gehören zu den erfolgreichsten Schöpfungen der Kleidungsgeschichte. Für harte Männerarbeit<br />

geschaffen, flanieren sie heute über Laufstege <strong>und</strong> werden von Jung <strong>und</strong> Alt, von Mann <strong>und</strong> Frau<br />

getragen. Der in die USA ausgewanderte deutsche Hausierer Levi Strauss belieferte die Arbeiter der<br />

Goldminen im Westen mit strapazierfähigen Hosen, die er ab 1873 zur Verstärkung besonders<br />

belasteter Nähte mit Nieten versah. <strong>Jeans</strong> aus festem, mit Indigo gefärbtem, Denim wurden nach<br />

Ende des Goldrauschs von allen Farmern des Westens getragen.<br />

Während der Großen Depression der 1930er-Jahre zogen bürgerliche Familien des Ostens für wenige<br />

Ferienwochen in den sonnigen Westen, wo sie auf „Dude-Farms“ tatkräftig mit anpacken <strong>und</strong> der<br />

düsteren Stimmung durch den Aufenthalt in der Natur entkommen wollten. Das Tragen von <strong>Jeans</strong><br />

unterstützte den kurzen Traum der Männer vom unbeschwerten Leben <strong>und</strong> ihre Frauen sahen sie mit<br />

ganz neuen Augen. Beide Träume ließen sich verlängern, indem diese Hosen in den Alltag<br />

mitgenommen wurden.<br />

Mit Rock ’n Roll <strong>und</strong> Filmen aus Hollywood wurden <strong>Jeans</strong> im Europa der 1950er-Jahre zur<br />

Repräsentation des modernen amerikanischen Lebensstils schlechthin. Der bürgerliche Widerstand<br />

gegen die Amerikanisierung der Kultur machte sie zum Ausdruck einer rebellischen Haltung der<br />

Jugend. Die Nivellierung politischer Gegensätze hat die <strong>Jeans</strong> überlebt – jedoch als Kleidungsstück<br />

für Jedermann.<br />

Wetterschutz<br />

Die Forschung ist sich uneins darüber seit wann Menschen regelmäßig Kleidung anlegen. Ein<br />

wichtiger Informant ist die Laus. Wann mutierte die Kopflaus zur Körperlaus, jenem kleinen Tierchen,<br />

das sich bevorzugt in Kleidern aufhält? Das Auftreten von „Pediculus humanus humanus“ zeigt an,<br />

wann der Mensch seine Körperbehaarung durch Bekleidung ersetzte: vor 75.000 bis 170.000 Jahren.<br />

Änderungen des Klimas stellten unsere Vorfahren vor existentielle Fragen: Zugr<strong>und</strong>egehen, den<br />

Standort wechseln oder sich etwas einfallen lassen, was andere Lebewesen nicht tun – nämlich sich<br />

kleiden.<br />

Vor temporärer Hitze <strong>und</strong> Nässe kann sich der Mensch auch schützen, indem er Schatten oder einen<br />

Unterstand aufsucht – wenn es ihn überhaupt stört <strong>und</strong> er sich nicht daran gewöhnt. Doch<br />

andauernder Kälte durch eine Eiszeit kann nur trotzen, wer ein dickeres Fell als das eigene hat. Der<br />

zivilisatorische Sprung externe Mittel zu verwenden, um der Umwelt zu widerstehen, gehört zu den<br />

Meilensteinen der Evolution. Weitere Schutzfunktionen der Bekleidung, wie Umhänge gegen den<br />

Regen, Schuhe oder künstlicher Schatten durch Hüte, sind weit jüngeren Datums.


Seite 3<br />

Material <strong>und</strong> Arbeit<br />

Zur hohen Kunst des Schneiderhandwerks gehört das Wenden. Wenn ein Kleidungsstück aus gutem,<br />

robustem Material nach langem Gebrauch bereits deutliche Spuren von Abnutzung zeigte, wurde es<br />

in all seine Einzelteile zerlegt <strong>und</strong> die weniger strapazierte Innenseite spiegelverkehrt nach außen<br />

gewendet. Ziel war, dass die Spuren der Vergangenheit <strong>und</strong> die Prozedur des Wendens nicht zu<br />

sehen sind. Mit moderner Konfektionskleidung wäre das nicht mehr möglich.<br />

Not <strong>und</strong> Tugend<br />

Noch vor wenigen Jahrzehnten gehörten die Fertigkeiten des Stopfens <strong>und</strong> Flickens<br />

selbstverständlich zum Schulunterricht – jedoch nur für Mädchen. Geflickte Kleidung war ein<br />

öffentlicher Ausweis von Sparsamkeit <strong>und</strong> geringem Einkommen. Sie ordnete sozial ein, galt aber<br />

nicht als anstößig, solange sie sauber war. Abgestoßene Kleidung, Risse <strong>und</strong> Löcher hingegen waren<br />

Zeugnisse von einem Mangel an Tugend.<br />

Die heutige Mode hat die moralischen Codes in ihr Gegenteil verkehrt. Designerjeans werden mit<br />

künstlichen Rissen angeboten. Die großen <strong>Jeans</strong>marken übertrumpfen einander, an den Hosen<br />

künstliche Gebrauchsspuren <strong>und</strong> Verschmutzungen anzubringen – unter erheblicher Belastung der<br />

Umwelt <strong>und</strong> Gefahren für die Ges<strong>und</strong>heit der Arbeiter/innen. Sie produzieren für Büro <strong>und</strong><br />

Flaniermeilen einen Flair von Arbeit in einer Gesellschaft, der die körperliche Arbeit ausgeht.<br />

Fleiß <strong>und</strong> Kunst<br />

Stoffreste können zu Abfall werden oder zu einem Reservoire für Schaffensfreude. Es waren vor<br />

allem britische Hausfrauen, die seit Beginn des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts, beeinflusst von importierten<br />

Stoffmosaiken aus Indien <strong>und</strong> China, Stoffreste zu kunstvollen Kreationen verarbeiteten. Diese Kunst<br />

verbreitete sich im gesamten europäischen Raum, vor allem aber in den puritanischen Regionen der<br />

Vereinigten Staaten. So erhielt sie eine nationale, moralisch unterlegte Note, die von Sparsamkeit<br />

<strong>und</strong> Fleiß selbst jener Hausfrauen kündete, die eigentlich nicht hätten sparen müssen.<br />

Man unterscheidet zwischen dem „Quilt“, bei dem Stoffreste in kunstvollen Mustern auf eine<br />

wattierte Unterlage appliziert werden, <strong>und</strong> dem „Patchwork“, bei dem die Stoffstücke auch in<br />

unregelmäßiger Anordnung aneinander genäht werden können. In der Hippie-Kultur erlebten diese<br />

Techniken eine Hochblüte, galten danach wieder als altmodisch <strong>und</strong> wurden durch die jüngste Do-ityourself-Bewegung<br />

neu inspiriert.<br />

Der Frauen-Unterrock, nach der m<strong>und</strong>artlichen Aussprache von „Wind“ auch „Wumm-Kittel“ genannt,<br />

läßt den kunsthandwerklichen Einfluß des Patchworks erkennen. Seine Verarbeitung läßt jedoch auf<br />

eine Näherin <strong>und</strong> eine Trägerin aus einem einfachen Milieu schließen.<br />

Die Hobby-Schneiderin des <strong>Dirndl</strong>kleids in Patchwork-Manier berichtete hingegen, dass sie dieses<br />

<strong>und</strong> viele andere ähnlich zusammengestellte Kleider aus Überzeugung hergestellt habe, um<br />

Stoffreste zu verwerten.<br />

Schutz <strong>und</strong> Zier<br />

Zu den ältesten Kleidungsstücken, die Menschen um ihren Körper legten, gehört ein Vorläufer der<br />

Schürze: Der Schurz. Er verbirgt die Genitalien vor den Blicken anderer. Es ist eine ungeklärte Frage,<br />

ob der Schurz die Scham in unser Leben brachte oder ob die Scham den Schurz erfand. Die Bibel sieht<br />

das Erwachen der Scham als Folge des Sündenfalls <strong>und</strong> Beginn der Erkenntnis: „…<strong>und</strong> sie erkannten,<br />

dass sie nackt waren: Deshalb flochten sie Feigenblätter zusammen <strong>und</strong> machten sich Schurze.“<br />

(Gen 3,7)


Seite 4<br />

Schurz bezeichnete ursprünglich nur etwas Kurzes, doch mit der weiblichen Form des Begriffs bekam<br />

dieser auch eine Zuständigkeit für Frauen. Zwar tragen Männer, die körperliche Arbeit verrichten,<br />

auch derbe Arbeitsschürzen, doch ohne den Verweis auf ihren Praxisbezug wurde die Schürze seit<br />

dem 17. Jahrh<strong>und</strong>ert zum Synonym für Weiblichkeit. Schürzenjäger stellen Frauen nach, um ihnen an<br />

die Schürze zu gehen. Und wer am Schürzenzipfel hängt, gilt nicht als erwachsener, vollwertiger<br />

Mensch. Nach getaner Hausarbeit entledigen Mann <strong>und</strong> Frau sich rasch der Schürze, denn heute<br />

wäre es eher peinlich, in Gesellschaft mit Schürze gesehen zu werden.<br />

Die Tracht hingegen legt großen Wert auf Geschlechtsunterschiede <strong>und</strong> orientiert sich an den Sitten<br />

der unteren Sozialschichten. Männlichen Trachten, vor allem in Weinbaugebieten, verweisen mit dem<br />

männlichen Schurz auf die Arbeit, während die Trachtenschürze bei Frauen vom ehemaligen Schutz<br />

der Kleidung zu deren wahren Zier wurde.<br />

Verhüllen - Enthüllen<br />

Zu den ältesten Formen der Unterwäsche gehört der Büstenhalter, der in der Antike ein Stoffband<br />

war, das Frauen um ihre Brust wickelten. Im Mittelalter ähnelte der Büstenhalter (die Tuttenseck)<br />

bereits sehr den heutigen Modellen. Unterhemden, Unterröcke <strong>und</strong> Unterhosen waren bis zur Mitte<br />

des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts jedoch nur eine Sitte für gehobene Kreise.<br />

Der Umgang mit Unterwäsche ist ein Spiegel des Wandels von Intimität. Ein inszenierter Einblick auf<br />

prachtvolle Unterwäsche kann auf Wohlstand hindeuten, aber auch als Frivolität gelten. Die offizielle<br />

Prüderie des bürgerlichen Zeitalters tabuisierte die Sichtbarkeit von Unterwäsche <strong>und</strong> erzeugte<br />

dadurch ihren erotischen Reiz.<br />

Verzierte Unterwäsche <strong>und</strong> Strümpfe vermittelt ihrer Trägerin das Gefühl von Weiblichkeit <strong>und</strong><br />

Attraktivität.<br />

Wer körperliche Arbeit verrichtete, musste sich für den öffentlichen Anblick seiner Wäsche nicht<br />

schämen – wenn man überhaupt eine besaß. Die <strong>Dirndl</strong>bluse war ursprünglich das Unterhemd unter<br />

dem Leibkittel.<br />

Verstecken - Inszenieren<br />

Hosenträger sind ein Indikator für den sozialen Habitus <strong>und</strong> den Wandel von Sitten. Sie gehörten zur<br />

Zierde eines Mannes im bäuerlichen Milieu. In der bürgerlichen Kultur sollten sie unsichtbar unter<br />

dem Anzug verschwinden, während Männer aus der Arbeiterschaft sie dort nur sonntags versteckten.<br />

Der mediale Einblick in privates Leben durch Filme <strong>und</strong> Theater machte sichtbare Hosenträger erst<br />

salonfähig <strong>und</strong> später für neue Botschaften nutzbar. Seit den 1980er-Jahren wurden sie als<br />

Ausdruck einer legeren Haltung erfolgreicher Juppies immer wieder modisch neu gestaltet oder<br />

transportieren gesellschaftspolitische Botschaften von Punks, aber auch rechtsradikalen<br />

Gruppierungen.<br />

Die Unterhose unter Baggy Pants hervor blitzen zu lassen, ist Bestandteil der afroamerikanischen<br />

Hip-Hop-Kultur. Dieser Szene-Habitus soll ein Hinweis auf das Gefängnisleben sein, wo das<br />

Gürteltragen nicht erlaubt war. Auf jeden Fall galt er in den amerikanischen Gangs als Zeichen,<br />

besonders draufgängerisch zu sein <strong>und</strong> wird noch heute von manchen Jugendlichen übernommen.<br />

Die langen Unterhosen unter einer Lederhose hervorschauen zu lassen, war um 1890 ein Zeichen<br />

männlicher Urigkeit. Diese Sitte, die Viktor Geramb als „blühweiße Bauschknie“ rügte, entstand auf<br />

städtischen Trachtenfesten zur Hervorkehrung ländlicher Ursprünglichkeit <strong>und</strong> wurde später erst am<br />

Land übernommen.


Seite 5<br />

Gezauberte Strümpfe<br />

Feinstrümpfe waren zunächst aus Kunstseide. Erst 1937 wurde in den USA der weit teurere<br />

Nylonstrumpf erf<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wurde zum begehrten Objekt vieler Frauen, ebenso wie der in<br />

Deutschland zur gleichen Zeit entwickelte Perlonstrumpf. Im Krieg wurde beides zur Mangelware <strong>und</strong><br />

in den Jahren danach stiegen Nylons zu einer der Ersatzwährungen amerikanischer Soldaten auf. Sie<br />

hatten eine verstärkte Ferse mit einer Naht, die kerzengerade über die Waden gezogen werden<br />

musste <strong>und</strong> waren sehr teuer <strong>und</strong> empfindlich. Hatten sie eine Laufmasche, mussten sie in eine<br />

Repassierwerkstätte gebracht werden.<br />

Doch für Frauen war es <strong>und</strong>enkbar das Haus ohne Strümpfe zu verlassen – selbst an heißen Tagen.<br />

Durch die Kleiderrationierung während des Krieges wurden Feinstrümpfe zum unerschwinglichen<br />

Luxus. 1942 hatte die Firma Palmers die rettende Idee für tausende Frauen: Palmers‘ Strumpfzauber.<br />

Eine Färbelotion für die Beine, die durch Polieren einen seidigen Glanz erhielt. Wer in der Lage war<br />

zusätzlich mit dem Augenbrauenstift eine vollkommen gerade Naht auf die Beine zu zeichnen, oder<br />

zeichnen zu lassen, konnte sich mit Beinen in die Öffentlichkeit wagen, die aussahen als steckten sie<br />

in echten Nylons.<br />

Die Ikone<br />

Die schwarze Lederjacke wurde seit den 1950er-Jahren zum Symbol rebellischer Jugendkultur <strong>und</strong><br />

viriler Freiheit. Amerikanische Jugendliche <strong>und</strong> Biker-Clubs bevorzugten bereits kurz nach der<br />

Kriegszeit die Jacken der Firma Schott in New York, die auch für die Ausstattung der US Air Force<br />

gesorgt hatte. Mit der kulturellen Amerikanisierung in der Zeit der Besatzung wurden diese Jacken<br />

auch in Österreich immer beliebter.<br />

1955 lief in den österreichischen Kinos der Film Der Wilde (The Wild One) von Laslo Benedek mit<br />

Marlon Brando in der Hauptrolle an. Er trug darin eine „Schott perfecto“, die so zum Kultobjekt für<br />

mehrere Generationen wurde. Die schwarze Lederjacke repräsentierte Protesthaltung <strong>und</strong><br />

männliches Machtgefühl zugleich <strong>und</strong> stärkte das Selbstwertgefühl ihres Trägers.<br />

In Österreich war die begehrte „Schott perfecto“ nicht erhältlich <strong>und</strong> musste aus Deutschland,<br />

Großbritannien oder den USA importiert werden. Dadurch kam es zu zahlreichen Nachahmungen, die<br />

kaum vom Original zu unterscheiden waren. Heute sieht man die schweren Lederjacken eher an<br />

Frauen. Madonna ist eine typische Vertreterin der Umkehrung dieses Machismo-Symbols.<br />

Inszenierung des Selbst<br />

Kleider machen Leute – aber keine Menschen. Kleidung hilft, die eigene Erscheinung gestaltend zu<br />

beeinflussen. Vor allem aber ist Kleidung ein Ausdrucksmittel der eigenen Persönlichkeit – egal ob<br />

sich jemand bewusst in Szene setzen möchte oder einfach nur etwas anzieht. So wie man nicht nicht<br />

kommunizieren kann, sagt auch Kleidung immer etwas aus. Erst die Wahrnehmung anderer schafft<br />

das Image einer Person <strong>und</strong> ist nie frei von deren subjektiven Interpretationen. Die Divergenz<br />

zwischen Selbst- <strong>und</strong> Fremdwahrnehmung ist nicht auflösbar. Doch die Wünsche <strong>und</strong> Ansprüche an<br />

das Selbstbild sind deutlich lesbar.


Seite 6<br />

Tracht als Strategie der Anpassung<br />

In Nachahmung der adeligen Sitte, eine Sommerresidenz zu führen, etablierte sich seit der<br />

industriellen Revolution die bürgerliche Sommerfrische als mehrwöchentliche Flucht aus den<br />

überfüllten, stickigen Städten in die wohltuende frische Luft auf dem Lande. Vor allem in den Bergen<br />

ließ sich das Durchatmen in einem unbeschwerten Aufenthalt in ländlicher Muße mit dem<br />

aufkommenden sportlichen Bergsteigertourismus verbinden.<br />

Zahlreiche dieser Besucher stammten aus dem jüdischen Bürgertum. In die Alpen, dem zentralen<br />

Austragungsort von „Heimat“, projizierten sie ihr Bedürfnis nach kultureller Teilhabe. Ihr sozialer<br />

Blick entdeckte in der Tracht ein Symbol für Ursprünglichkeit <strong>und</strong> Freiheit von Zwängen. Ihr<br />

ethnischer Blick aber sah im Alpinismus <strong>und</strong> in der Übernahme <strong>und</strong> Förderung der Tracht darüber<br />

hinaus einen Weg der Assimilation <strong>und</strong> einen Ausdruck ihrer immer gefährdeten <strong>und</strong> nie<br />

selbstverständlichen Liebe zu Österreich <strong>und</strong> den Alpen.<br />

Bereits 1921 schloss der Alpenverein alle jüdischen Mitglieder aus. 1938 wurde generell allen Juden<br />

das Tragen von Tracht verboten. Das größte österreichische Kaufhaus für Trachtenmode, Kastner &<br />

Öhler, musste von seinen jüdischen Besitzern vor ihrer Flucht im Jahre 1939 verkauft werden. Franz<br />

Öhler starb 1945 im Konzentrationslager Buchenwald.<br />

Die Sehnsucht nach dem Echten<br />

Konrad Mautner (1880-1924) war der musisch begabte Sohn einer großbürgerlichen, jüdischen<br />

Industriellenfamilie. Seit 1894 verbrachte die Familie jeden Sommer in Gössl am Gr<strong>und</strong>lsee.<br />

Als Erwachsener verbrachte Konrad Mautner die meiste Zeit in Gössl <strong>und</strong> widmete sich der Suche<br />

nach erhaltenswürdigen Volksliedern <strong>und</strong> Trachten. Ihm ist nicht nur das Steyerische Raspelwerk,<br />

eine bedeutende <strong>und</strong> von ihm stimmungsvoll illustrierte Volksliedsammlung, zu verdanken. Er sorgte<br />

auch für die umfassende Gr<strong>und</strong>lagenarbeit zum Steirischen Trachtenbuch, das Viktor Geramb nach<br />

Mautners Tod wissenschaftlich vervollständigte <strong>und</strong> publizierte.<br />

Mautner versuchte durch seine Sammeltätigkeit das „Authentische“ einer Welt zu rekonstruieren, in<br />

der er als zugehörig gelten wollte. Doch die Gebirgstrachtenzeitung schrieb 1921: „In steirischen<br />

Trachtlerkreisen hat auch der Umstand unangenehm berührt, dass … Konrad Mautner ein Jude ist.<br />

Bekanntlich wird in alpinen Kreisen der Arierparagraph heilig gehalten. Warum nicht auch in<br />

Trachtlerkreisen?“ Konrads Bruder Stephan kam in Auschwitz ums Leben.<br />

Abschied von der Tracht<br />

Trachten erleben zurzeit einen unerwarteten Boom. Seit ihrer Entdeckung im 19. Jahrh<strong>und</strong>erts als<br />

Zitat einer Lebensform, die bereits im Verschwinden war, erlebte sie immer wieder Aufschwünge <strong>und</strong><br />

Flauten. Sie wurde periodisch zur Ideenlieferantin für die Mode, fiel in kulturellen Misskredit, wurde<br />

vergessen, wiederbelebt <strong>und</strong> wissenschaftlich erforscht.<br />

Bevor Trachtenk<strong>und</strong>ler ihre Wurzeln rekonstruierten <strong>und</strong> ihre Erscheinungsformen festschrieben,<br />

unterlag sie selbst unhinterfragt über Jahrh<strong>und</strong>erte hinweg modischen Strömungen oder war<br />

abhängig von einem Textilmarkt, der auch in früheren Jahrh<strong>und</strong>erten überregional ausgerichtet war.<br />

Als Tracht jedoch mehr repräsentieren sollte <strong>und</strong> nicht nur einfach Kleidung sein durfte, wurde sie<br />

zum Spielball von Ideologien.<br />

Heute haben politische Systeme ihre Oberhand gegenüber wirtschaftlichen Zwecken verloren <strong>und</strong> die<br />

alten Konfrontationen zum Thema Tracht lösen sich auf. Nun wird sie nicht mehr von Ideologien<br />

vereinnahmt, sondern vom Kommerz instrumentalisiert. Geschickter als politische Propaganda setzt<br />

dieser bei den Bedürfnissen der Menschen an, die sich in Krisenzeiten immer am Bewährten<br />

orientieren <strong>und</strong> zu Nostalgien neigen.


Seite 7<br />

Textile Tarnungen<br />

Dienstkleidung macht aus einer Privatperson einen Funktionsträger. Nach außen signalisiert sie die<br />

Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder die Zuständigkeit für eine bestimmte Tätigkeit. Als<br />

identifizierbare Symbole verleihen Uniformen, Roben <strong>und</strong> Ornate gesellschaftliche Macht <strong>und</strong> werten<br />

die Stellung des Menschen auf, der sie trägt. Einheitliche Arbeitskleidung dokumentiert formale<br />

Gleichheit. Sie schützt die Individualität durch Vereinheitlichung.<br />

Herlinde Koelbl hat Menschen in ihrer Arbeitskleidung fotografiert – <strong>und</strong> ohne sie. Zwischen beiden<br />

Stadien hat sich eine Verwandlung abgespielt. Die dargestellten Personen sehen nicht nur anders<br />

aus, sie schauen auch anders. Das legt nahe, dass sie sich auch anders fühlen. Ihre beiden Seiten<br />

tauschen einander nicht aus: Individuum <strong>und</strong> Funktion verschmelzen zu einer neuen Persönlichkeit.

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