1.Sexuelle Funktionsstörung
1.Sexuelle Funktionsstörung
1.Sexuelle Funktionsstörung
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<strong>1.Sexuelle</strong> <strong>Funktionsstörung</strong><br />
Unter sexueller <strong>Funktionsstörung</strong> versteht man alle Beeinträchtigungen der Sexualität unabhängig von<br />
deren Ursachen.<br />
Aus wissenschaftshistorischen und fachlich/praktischen Gründen wird eine Aufteilung in körperlich<br />
(sexuelle Dysfunktion) und psychisch bedingte Störungen (funktionelle Sexualstörungen)<br />
vorgenommen, obwohl diese Aufteilung aus psychosomatischer Sicht problematisch ist. Denn die<br />
seelische Befindlichkeit beeinflusst den Körper und körperliche Krankheiten schlagen sich seelisch<br />
nieder.<br />
Kennzeichen sexueller <strong>Funktionsstörung</strong>en sind:<br />
-Beeinträchtigung des sexuellen Verhaltens und Erlebens<br />
-Physiologische Beeinträchtigungen<br />
-Störungen im Ablauf des sexuellen Reaktionszyklus<br />
- Störungen des Verlangens<br />
- Schmerzen beim Sex, oder Behinderung des Geschlechtsverkehrs.<br />
Bei funktionellen Sexualstörungen werden primäre (seit Beginn der Sexualität) und sekundäre<br />
Störungen (tritt erst nach einer gewissen symptomfreien Zeit auf) unterschieden. Kurzfristig oder<br />
einmalig auftretende sexuelle Probleme, welche die meisten Menschen schon erlebt haben, werden<br />
nicht als Störung von Krankheitswert betrachtet.<br />
2.Sexueller Reaktionszyklus und mögliche Symptome<br />
Das gängigste Modell zur sexuellen Reaktion stammt von MASTERS & JOHNSON (1967) welche<br />
die sexuelle Reaktion in vier Phasen einteilten:<br />
1.Erregungsphase<br />
2. Plateauphase – Phase vor dem Orgasmus<br />
3. Orgasmusphase<br />
4. Rückbildungsphase<br />
Sexuelle Probleme/Beschwerden wie “ Ich mag nicht “ , “Ich spüre nichts “, “ Es geht nichts mehr “, “<br />
Ich habe Angst “, “ Ich habe keine Kontrolle “, “ Ich komme nicht “, “ Ich schäme mich “, “ Ich habe<br />
Schmerzen beim Eindringen “, “ Ich verkrampfe mich “können im gesamten Verlauf der sexuellen<br />
Reaktion auftreten.
3. Formen funktioneller Sexualstörungen im Überblick<br />
Zur Unterteilung funktioneller Sexualstörungen werden organisch bedingte Störungen ausgeschlossen.<br />
1. Störungen des sexuellen Verlangens<br />
• Anhaltende und deutliche Verminderung des sexuellen Verlangens<br />
• Sexuelle Aversion, Ekel, Ängste<br />
• Exzess: Nymphomanie bei der Frau, Satyrismus beim Mann<br />
2. Störungen der sexuellen Erregung<br />
• Weibliche Erregungsstörungen: Erregung im Hinblick auf Dauer und Stärke nicht ausreichend<br />
für befriedigenden Geschlechtsverkehr<br />
• Erektionsstörungen beim Mann: Erektion im Hinblick auf Dauer und Stärke nicht ausreichend<br />
für befriedigenden Geschlechtsverkehr<br />
3.Orgasmusstörungen<br />
• Orgasmusschwierigkeiten bei der Frau: Orgasmus nie oder selten<br />
• Vorzeitige Ejakulation beim Mann: Samenerguss schon vor dem Einführen des Penis in die<br />
Scheide beim Einführen oder unmittelbar danach.<br />
• Ausbleibende Ejakulation beim Mann: Trotz voller Erektion und intensiver Reizung kein<br />
Samenerguss, Anorgasmie<br />
• Ejakulation ohne Orgasmus: Samenerguss ohne Lust- und Orgasmusgefühl<br />
4. Störungen mit sexuell bedingten Schmerzen<br />
• Dyspareunie: Wiederkehrende oder anhaltende Schmerzen in Verbindung mit dem<br />
Geschlechtsverkehr<br />
• Vaginismus bei der Frau :Unwillkürliche und reflexartige Verkrampfung der<br />
Beckenbodenmuskulatur und des äusseren Drittels der Vagina. Die Verkrampfung tritt beim<br />
Koitusversuch auf.<br />
5. Andere sexuelle <strong>Funktionsstörung</strong>en, nicht näher bezeichnete sexuelle <strong>Funktionsstörung</strong><br />
z.B. Nachorgastische Verstimmung: Gereiztheit, innere Unruhe, Schlafstörungen, Weinanfälle,<br />
Missempfindungen im Genitalbereich usw.<br />
4. Entstehungsbedingungen
Das lerntheoretische Erklärungsmodell sexueller Störungen geht einerseits von vielfältigen<br />
Entstehungsbedingungen aus, andererseits beinhaltet es die konkreten aufrechterhaltenden<br />
Bedingungen, die sich aus den Lerngesetzen ableiten lassen.<br />
Auslösende oder aufrechterhaltende Faktoren können sein: Stress, Beziehungsprobleme, fehlende<br />
Aufklärung, Sexuelle Traumatisierung, sexuelle Ängste, körperliche Beeinträchtigung,<br />
Leistungsängste, Selbstunsicherheit, Idealvorstellungen, sexuell ungünstige Lerngeschichte.<br />
Das erste vielleicht zufällige Auftreten einer sexuellen <strong>Funktionsstörung</strong> kann bei entsprechender<br />
Disposition (z.B. Selbstunsicherheit, Idealvorstellungen, etc.) zur Angst führen, sexuell zu versagen.<br />
(Erwartungs)angst und überkritische Selbstbeobachtung stört Erregung und Lust, unangenehme<br />
Erfahrungen können sich wiederholen, denn die psychisch /seelische Befindlichkeit wirkt auf die<br />
körperliche Funktion und umgekehrt. Die bestehende(n) Angst/Ängste werden aufrechterhalten.<br />
Somit ist Angst eine aufrechterhaltende und auslösende Bedingung für sexuelle Störungen. Völlige<br />
Vermeidung von Sexualität oder Rückzug auf eine Zuschauerrolle (inneres Vermeiden) chronifiziert<br />
die Störung. Eine negative Reaktion des Partners kann das Vermeideverhalten verfestigen.<br />
5. Behandlungsmöglichkeiten<br />
Der erste Behandlungsschritt bei sexuellen <strong>Funktionsstörung</strong>en ist Beratung und Wissensvermittlung<br />
- weiterführend empfiehlt sich eine Sexualtherapie.<br />
Sexualtherapien sind Psychotherapien mit edukativen, übenden und kommunikativen Komponenten<br />
(WENDT 1979). Ziel ist einen positiven Zugang zur Sexualität zu vermitteln, respektive bestehende<br />
Blockaden aufzulösen. Auch bei Störungen mit körperlichen Ursachen ist unter Akzeptanz nicht<br />
veränderbarer Gegebenheiten ein befriedigendes Liebesleben möglich<br />
Bei Sexualtherapien wird zuerst mit dem Patienten/der Patientin, oder dem Paar - ein persönliches<br />
Problemverständnis erarbeitet, in welches über das sexuelle Symptom hinausgehende<br />
Probleme/Beschwerden einfliessen. Besteht eine Liebesbeziehung, wird die Arbeit mit dem Paar<br />
gegenüber der Einzeltherapie bevorzugt. Man nimmt an, dass es in einer intimen Beziehung keinen<br />
unbeteiligten Partner gibt, und beide an der Aufrechterhaltung des Problems beteiligt sind. Die<br />
individuellen Behandlungsziele werden gemeinsam formuliert und im Behandlungsplan umgesetzt.<br />
Alle Interventionen werden ausführlich mit dem Therapeut/ der Therapeutin besprochen, um einerseits<br />
Schwierigkeiten auszuräumen und andererseits neue sexuelle Erfahrungen gedanklich und<br />
gefühlsmässig durchzuarbeiten.<br />
Eine erfolgreiche Basistechnik der Sexualtherapie ist das Sensualitätstraining nach (MASTERS &<br />
JOHNSON 1973), welches je nach Störung variiert wird. Das Sensualitätstraining ist ein gestuftes<br />
Sinnestraining ohne Geschlechtsverkehr bei dem Paare gegenseitig Zärtlichkeiten austauschen,<br />
anfangs ohne Einbezug des Genitalbereiches. In der zweiten Stufe werden – wenn auch nicht zu<br />
intensiv - Genitalien einbezogen.<br />
Bei der Behandlung von psychogener Anorgasmie haben sich zudem verhaltenstherapeutisch/<br />
sexualtherapeutischen Methoden wie Selbsterforschung/Selbstbefriedigung und auch<br />
körpertherapeutische Methoden ( z.B. Beckenbodenmuskeltraining) bewährt.<br />
Selbstwahrnehmungsübungen sind der Selbstkontrolle und dem Lustgefühl dienlich, was einen<br />
positiven Zugang zur Sexualität fördert und in die partnerschaftliche Sexualität übernommen werden<br />
kann.<br />
Masturbationsübungen sind deswegen auch ein Bestandteil bei der Behandlung von vorzeitiger<br />
Ejakulation, insbesondere die Stop- Start Technik (SEMANS 1965). Dabei lernt der Patient, bei der<br />
Masturbation auf sein Erregungsniveau zu achten, und seine Empfindungen richtig zu interpretieren.<br />
Durch Unterbrechung der Selbstmasturbation und Fokussieren lernt der Mann den Punkt ohne<br />
Wiederkehr als kritische Schwelle zu erkennen und kann den Punkt immer länger hinausschieben.
Masturbation kombiniert mit Sexualphantasien ist eine weitere Übungsmöglichkeit. Wird mit einem<br />
Paar sexualtherapeutisch gearbeitet, kann die Frau den Mann mit der Stop- Start Methode stimulieren<br />
und/oder die “ Squeeze “ Technik anwenden. Dabei übt die Frau mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger<br />
Druck auf die Eichel des Mannes aus, worauf der Ejakulationsdrang nachlässt. Weitere gestufte<br />
Methoden werden eingesetzt.<br />
Gegebenenfalls wird bei relevanten Beziehungsproblemen eine Paar- , Kommunikationstherapie<br />
ergänzt. In Rahmen der Paartherapie werden Beziehungsprobleme bearbeitet, die sich hinderlich auf<br />
die gemeinsame Sexualität auswirken. Durch Verbesserung der Kommunikation wird insgesamt der<br />
partnerschaftliche Austausch gefördert, insbesondere wird auch gelernt, sexuelle Bedürfnisse<br />
anzusprechen.<br />
5.Aktuelle Daten<br />
Studien an der Allgemeinbevölkerung (Spector & Carey 1990) zeigen, dass 4 bis 9 % der Männer<br />
Erektionsstörungen, 4 bis 10 % ausbleibende oder vorzeitige Ejakulationen erleben. Klinische Studien<br />
ergeben im Gegensatz dazu höhere Zahlen bei Ejakulationsstörungen. Demographisch repräsentative<br />
Daten aus den USA (1999) ergeben ein relativ häufiges Auftreten von sexuellen Störungen (31%).<br />
Dabei ist aber nicht klar, ob es sich um Störungen von Krankheitswert handelt.<br />
Die Prävalenz sexueller <strong>Funktionsstörung</strong>en bei Frauen ist hoch, sie schwankt aber zwischen 25 und<br />
63 % (Laumann et. Al. 1999, Spector & Carey, 1990 ). Frauen klagen vor allem über fehlendes oder<br />
mangelndes Interesse an Sex und Orgasmusstörungen.<br />
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sie Auftretenshäufigkeit sexueller Störungen in der<br />
Gesamtbevölkerung als hoch angenommen werden muss.<br />
6. Literaturhinweise<br />
Selbsthilfeliteratur:<br />
Barbach, L.: For yourself. Die Erfüllung weiblicher Sexualität. (1977). Berlin. Ullstein Verlag<br />
Barbach, L., Levine, L.: Fühlst Du mich ? (1994) Berlin. Ullstein Verlag<br />
Friday, N.: Die sexuellen Phantasien der Frauen. (1988) Rororo<br />
Haeberle, E.J.: Die Sexualität des Menschen. Handbuch und Atlas, (1983) Berlin<br />
Hinsch, R., Wittman, S.: Auf andere zugehen. Kommunikationstraining (1997). Berlin, Urania.<br />
Nuber, U. (Hrsg.) Frauen und Sexualität, (1993) Heyne, München<br />
Zettl,S., Hartlapp, J.: Krebs und Sexualität.(2002) Berlin, Weingärtner Verlag<br />
Zilbergeld, B.: Männliche Sexualität. (1983) Tübingen, DGVT-Verlag<br />
Zilbergeld, B.: Die neue Sexualität der Männer (1994) Tübingen, DGVT-Verlag
Romane zum Thema Sexualforschung und Liebesleben:<br />
Boyle, T.C.: Dr. Sex. (2005). München. Carl Hanser Verlag<br />
Shalev, Z.: Liebesleben (2000). Berlin. Berlin Verlag<br />
Autorin:<br />
Diplom Psychologin Sonja Sterchi – Birzle<br />
Psychotherapeutin FSP/SGVT, Sexualtherapeutin KLVT<br />
Schaffhauserstrasse 24<br />
8006 Zürich<br />
Tel:044 350 45 44<br />
www.sterchi.org