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HOFFEN AM MONTAG ° 5. Juli 2004 Dr. Thomas E. Schmidt: Mit der ...

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Durchschnittskunst hat eine klare soziale Funktion, aber keine beson<strong>der</strong>s weiten<br />

Sinnhorizonte. Um darin ein Goldkörnchen Transzendenz aufzufinden, muss man schon<br />

eine Menge Fantasie mitbringen. 90 Prozent <strong>der</strong> Produktion sind flott erzählt, routiniert<br />

gespielt, professionell getüncht und gesampelt. Kunst soll emotionalisieren: Es bleibt<br />

dennoch beim ausgeleierten épater le bourgeois. Sie soll gesellschaftliche (Unrechts-)<br />

Verhältnisse auf den Punkt bringen: Je<strong>der</strong> denkende Mensch weiß, dass die Wirklichkeit<br />

komplexer ist als im Repertoire <strong>der</strong> Schreie und des Flüsterns vorgesehen. Das Ganze hält<br />

sich als ein Zirkus <strong>der</strong> geistigen Unterfor<strong>der</strong>ung in Schwung, egal, ob subventioniert o<strong>der</strong><br />

aus eigener Kraft.<br />

Immer höher schrauben sich währenddessen die Ansprüche, die von <strong>der</strong> Kultur an die Kunst<br />

gerichtet werden. Kunst soll den Stress <strong>der</strong> Globalität lin<strong>der</strong>n, sie soll gesellschaftlichen Sinn<br />

stiften, an rechter Stelle normative Eindeutigkeit herstellen und möglichst auch noch die<br />

Kin<strong>der</strong> zu Friedensengeln erziehen. In einem Land, in dem es um nichts an<strong>der</strong>es mehr geht<br />

als den Erhalt eines kommoden Status quo plus ein kleines bisschen Wachstum, lädt sich<br />

die Kultur notgedrungen mit solchen Erlösungserwartungen auf.<br />

Utopien, Träume, Bil<strong>der</strong> einer an<strong>der</strong>en Welt, Antworten auf die Frage "wozu?": alles Kultur.<br />

Kultur ist das exklusive Spielfeld <strong>der</strong> Experten für die "letzten Fragen", die in den<br />

gesellschaftlichen Subsystemen sinnlos geworden sind. Darüber ist Kultur selbst zu einem<br />

Subsystem geworden. Keine Überraschung, dass es ausgerechnet Gerhard Schrö<strong>der</strong> war,<br />

<strong>der</strong> Kultur einen Platz im Bundeskabinett einräumte - Schrö<strong>der</strong>, <strong>der</strong> den Pragmatismus zum<br />

verpflichtenden politischen Stil erhob, was 1998 Charme hatte, weil es die Traditions-SPD<br />

aufmischte, aber inzwischen sein hässliches, sein sozialtechnokratisches Gesicht zeigt. Nie<br />

war mehr Bedarf an Kompensation durch Kultur. Wo soll Schrö<strong>der</strong>s Innovationsgranate<br />

zünden? Natürlich im Wun<strong>der</strong>reich <strong>der</strong> immateriellen Werte.<br />

Die Kultur soll uns in unserem so durch Sachzwänge eingeengten Leben mittels<br />

grenzüberschreiten<strong>der</strong> Kommunikation vorm klaustrophobischen Überschnappen bewahren.<br />

Sozialtechnisch gesehen, ist die Begründung dieser Hoffnung simpel: Die Kunst liefert<br />

anschlussfähige diskursive Ereignisse in ausreichen<strong>der</strong> Zahl, welche das<br />

Kommunikationsmedium Kultur in Arbeit halten. Künstlerische Provokationen und<br />

ästhetische Kontroversen sind nötig, aber bloß, um gelegentlich die Leitsemantik<br />

auszuwechseln. Darin besteht die "kulturelle" Funktion des Ästhetischen. Solange Kultur<br />

funktioniert - als öffentlich sichtbare Bestätigung, dass überhaupt noch Sinn produziert wird,<br />

dass die Gesellschaft palavert und nicht Blut fließt -, sind auch Politik und Wirtschaft<br />

beruhigt: So schlimm sieht's gar nicht aus.<br />

Ist Beethovens Botschaft die Europahymne?<br />

Wäre es daneben denkbar, dass die Kunst, die ernst gemeinte, die große, richtige, nicht das<br />

Kunstgewerbe und auch nicht die Kulturbetriebskunst, von jedwe<strong>der</strong> sozialer Zuständigkeit<br />

meilenweit entfernt ist? Und dass Kunst überhaupt kein kulturelles Pharmakon ist, welches<br />

den Diskurs erregt und die Gesellschaft gleichzeitig beruhigt? Die Stimmung unter Künstlern<br />

ist nicht gut. Ratlosigkeit ist verbreitet, und das ist ausnahmsweise einmal ein günstiges<br />

Zeichen: Theaterleute setzen sich eindringlich mit <strong>der</strong> Krise des Theaters auseinan<strong>der</strong>, die<br />

Romanschreiber wollen nicht hinnehmen, dass sie nur noch Lebenshilfe für Leserinnen<br />

mittleren Alters leisten sollen, die bildenden Künstler staunen darüber, wie schäbig und<br />

korrupt das Galerien- und Ausstellungswesen geworden ist, während sich das Musiktheater<br />

offenbar ganz fürs Kulinarische und den kulinarischen Skandal entschieden hat.<br />

Die Wahrheit ist: Kunst und Kultur sind zwei vollkommen unterschiedliche Formen des<br />

Lebens. Kultur ist für sich auch wichtig, aber sie ist weiß Gott nicht die Schiene, auf <strong>der</strong> die<br />

Kunst in die Gesellschaft flutscht und mit ihr <strong>der</strong> vermisste Sinn des Ganzen. Außerdem ist

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