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HOFFEN AM MONTAG ° 5. Juli 2004 Dr. Thomas E. Schmidt: Mit der ...

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Kunst etwas, das nur selten vorkommt, viel seltener, als die meisten vermuten. Und sie<br />

macht das Leben auch nicht leichter für den, <strong>der</strong> sich auf sie einlässt, son<strong>der</strong>n eher<br />

schwieriger.<br />

Sie verkompliziert das Dasein. Auf schmerzliche Weise konfrontiert sie mit den Gebresten<br />

des eigenen Ich. Sie sorgt nicht für soziale Gleichheit und stiftet keine Gemeinschaften im<br />

Zeichen irgendeines weltanschaulichen Konsenses. War Malewitsch' Schwarzes Quadrat<br />

<strong>der</strong> Ausdruck einer innovationsfreudigen Gesellschaft? Ist die Botschaft des späten<br />

Beethoven die Europahymne? Hat einer, <strong>der</strong> gerade Philip Roths Sabbath's Theater gelesen<br />

hat, noch Lust, etwas zur Stärkung <strong>der</strong> deutschen Gebärgemeinschaft beizutragen?<br />

Bedeutende Kunst steht in einem Verhältnis misstrauischer, wenn nicht aggressiver<br />

Gleichgültigkeit zur heutigen Gesellschaft. Die Welt soll ja gar nicht mehr ästhetisiert<br />

werden, die Träume <strong>der</strong> Avantgarden sind ausgeträumt.<br />

Jede politisch geschürte Kampfeslust <strong>der</strong> Künste hat sich verbraucht, sie wich einem<br />

sublimen Distanzbedürfnis. Wo ein Künstler über einen langen Zeitraum hinweg seine<br />

private Mythologie entfaltet, wo er sich als Talkshow-Gast, als Kritiker und als Kommentator<br />

Zurückhaltung auferlegt, da gibt es ein gewisses Indiz für das Vorkommen von Kunst, vor<br />

allem dann, wenn dieser Künstler sein gesamtes Leben für das Werk in die Waagschale zu<br />

werfen bereit ist. Das muss nicht Unverständlichkeit o<strong>der</strong> näselnde Hermetik nach sich<br />

ziehen, aber es bedarf einer gewissen kalkulierten Sturheit, um an einem starken<br />

alternativen Verständnismuster <strong>der</strong> Wirklichkeit zu arbeiten. Den meisten bleibt eine solche<br />

Anstrengung unbegreiflich.<br />

Bestenfalls geht es in <strong>der</strong> Kunst ums geistige Überleben, um eine an<strong>der</strong>e Weise<br />

wahrzunehmen, zu fühlen, vielleicht auch zu denken. Man kann nicht einmal benennen,<br />

worin die "Belohnung" des Ästhetischen für denjenigen besteht, <strong>der</strong> sich ihm ausliefert - in<br />

einer Freiheit womöglich -, aber wozu genau?, in einer Leere o<strong>der</strong> in einem Ungesehenen,<br />

Ungefühlten, in einer Verstörung o<strong>der</strong> in etwas "Inkommensurablen", wie es bei Goethe<br />

hieß?<br />

Große Kunst bleibt für den gegensäkularen Zeitgeist eine schlechte Verbündete, und zwar<br />

nicht nur, weil sie vollkommen weltlich, son<strong>der</strong>n auch, weil sie radikal individualistisch ist.<br />

Man möchte in ihr einen Vorschein von Transzendenz erspähen, gemeint ist aber eine<br />

harmlose und sozial verträgliche, im besten Fall sogar: mehrheitsfähige Transzendenz. Aber<br />

we<strong>der</strong> verspricht noch beansprucht Kunst gesellschaftliches Glück. Kulturwerte, ob sie nun<br />

"kommunikative Gesellschaft" o<strong>der</strong> "sinnstiftende Religiosität" heißen, bleiben ihr fremd. Ihr<br />

Vorbehalt gegenüber <strong>der</strong> Gegenwart - genauso wie gegenüber <strong>der</strong> Zeitkritik - ist unbegrenzt.<br />

Kunst redet von Flucht, nicht von Utopie. Für die gute Gesellschaft bleibt Nietzsches Satz<br />

ein Skandal: "Lieber sterben, als hier leben."

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