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Magna Charta des öffentlich-rechtlichen Rundfunks - ARD

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Seit dem Fernsehurteil von 1961 hat das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht<br />

immer wieder in Rundfunkfragen<br />

entscheiden müssen und dabei wesentlich<br />

zur Ausformung der deutschen Rundfunkordnung<br />

beigetragen. 2007 waren <strong>ARD</strong>, ZDF und<br />

Deutschlandradio mit ihrer Verfassungsbeschwerde<br />

gegen das Verfahren der letzten Erhöhung der<br />

Rundfunkgebühren erfolgreich.<br />

W<br />

ar das Bun<strong>des</strong>verfassungsgericht in<br />

seiner bisherigen Rechtsprechung<br />

stets davon ausgegangen, dass lediglich<br />

die Gefahr eines Marktversagens<br />

besteht, und hatte von da aus die Rolle <strong>des</strong><br />

<strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> <strong>Rundfunks</strong> beschrieben,<br />

stellt es in seinem Urteil vom 11. 9. 2007 (vgl.<br />

Dokumente) die vielfaltverengende Wirkung <strong>des</strong><br />

Markts positiv fest. In der Folge beschreibt es<br />

die Rolle <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> <strong>Rundfunks</strong><br />

in der dualen Rundfunkordnung neu. Oder: In<br />

den Worten <strong>des</strong> <strong>ARD</strong>-Prozessbevollmächtigten,<br />

Fritz Ossenbühl: »Der Senat legt eine <strong>Magna</strong><br />

<strong>Charta</strong> <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> <strong>Rundfunks</strong><br />

auf.«<br />

_ Markt allein wirkt vielfaltverengend<br />

Dass die Karlsruher Richter sich derart deutlich<br />

zur Unverzichtbarkeit <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong> in der unaufhaltsam nahenden digitalen<br />

Medienwelt bekannt haben, hat am Tag danach<br />

zu heller Empörung dort geführt, wo man<br />

<strong>ARD</strong> und ZDF gemeinsam mit der analogen<br />

Medienwelt zu Grabe tragen wollte. Soweit ersichtlich<br />

nirgends zitiert wurde der Befund aus<br />

Karlsruhe, dass »Rundfunkprogramme . . . im Vergleich<br />

zu anderen Gütern besondere ökonomische<br />

Eigenschaften [haben].« Diese seien – so das<br />

Gericht weiter – mitursächlich dafür, »dass bei<br />

einer Steuerung <strong>des</strong> Verhaltens der Rundfunkveranstalter<br />

allein über den Markt das für die Funktionsweise<br />

einer Demokratie besonders wichtige Ziel der<br />

inhaltlichen Vielfalt gefährdet ist.« Insbesondere<br />

die Werbefinanzierung stärke den Trend zur<br />

Massenattraktivität und Standardisierung <strong>des</strong><br />

Angebots kommerzieller Rundfunkveranstalter:<br />

<strong>Magna</strong> <strong>Charta</strong> <strong>des</strong><br />

<strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> <strong>Rundfunks</strong><br />

Das Gebührenurteil <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts vom 11. 9. 2007<br />

Von Bernd Radeck<br />

»Der wirtschaftliche Wettbewerbsdruck und das<br />

publizistische Bemühen um die immer schwerer zu<br />

gewinnende Aufmerksamkeit der Zuschauer führen<br />

beispielsweise häufig zu wirklichkeitsverzerrenden<br />

Darstellungsweisen, etwa zu der Bevorzugung <strong>des</strong><br />

Sensationellen und zu dem Bemühen, dem Berichtsgegenstand<br />

nur das Besondere, etwa Skandalöses,<br />

zu entnehmen« (vgl. Dokumente, S. 440).<br />

Nun wenden Kritiker <strong>des</strong> Gerichts ein, diese<br />

Sicht der Dinge beleuchte die kommerzielle<br />

Seite der dualen Rundfunkordnung nicht differenziert<br />

genug. Schließlich gebe es auch bei den<br />

kommerziellen Sendern Qualitätsprogramme.<br />

Gelegentlich ist sogar zu hören gewesen, dass<br />

sich die privatwirtschaftlichen Unternehmen,<br />

die sich heute noch solche Programme leisteten,<br />

die Sinnfrage stellen müssten. In der Tat<br />

wird man einräumen müssen, dass es durchaus<br />

auch in kommerziellen Rundfunkprogrammen<br />

Beiträge gibt, die mehr als Min<strong>des</strong>tstandards<br />

erfüllen. Allerdings stehen diese zur Disposition<br />

der Veranstalter. Der lange für kommerzielle<br />

Fernsehveranstalter tätige Oliver Pocher brachte<br />

das in einem Gastbeitrag für das Magazin der<br />

»Süddeutschen Zeitung« aus Anlass <strong>des</strong> 50.<br />

Geburtstags von Harald Schmidt so auf den<br />

Punkt: »Wenn Karl Lagerfeld auf einmal für<br />

H&M arbeitet oder RTL plötzlich gutes Fernsehen<br />

zeigt, dann sind das diese kleinen, überraschenden<br />

Abweichungen vom Normalen, die<br />

für Aufmerksamkeit sorgen.«<br />

Es sind jedoch nicht nur die dem Wettbewerbsdruck<br />

geschuldeten Defizite, die das Gericht<br />

zu seiner Feststellung, der Markt allein<br />

wirke vielfaltverengend, veranlassen. Aber weil<br />

insoweit nicht redlich zitiert wird, ist es einfach,<br />

Gebührenurteil A R D - J A H R B U C H 0 7 17


18<br />

die Karlsruher Richter als »ewig Gestrige« zu<br />

qualifizieren. Sie sind in<strong>des</strong>sen ganz nah an der<br />

Lebens- und insbesondere an der digitalen Medienwirklichkeit,<br />

wenn sie feststellen: Gefährdungen<br />

<strong>des</strong> »verfassungsrechtlich vorgegebenen<br />

Vielfaltsziels entstehen . . . insbesondere [infolge]<br />

<strong>des</strong> erheblichen Konzentrationsdrucks im Bereich<br />

privatwirtschaftlichen <strong>Rundfunks</strong>. . . . Zunehmend<br />

werden im Rundfunkbereich auch andere Unternehmen,<br />

neuerdings etwa Kapitalgesellschaften<br />

unter maßgeblicher Beteiligung von internationalen<br />

Finanzinvestoren tätig. Auch engagieren sich<br />

Urteilsverkündung in Karlsruhe am 11. 9. 2007:<br />

Gerichtspräsident Hans-Jürgen Papier (l.)<br />

und der Erste Senat (r.)<br />

Telekommunikationsunternehmen als Betreiber von<br />

Plattformen für Rundfunkprogramme. Der Prozess<br />

horizontaler und vertikaler Verflechtung auf den<br />

Medienmärkten schreitet voran. . . . Es bestehen vielfältige<br />

Potentiale der wechselseitigen Verstärkung<br />

von publizistischem Einfluss und ökonomischem<br />

Erfolg und damit der Nutzung von Größen- und Verbundvorteilen<br />

. . . . Die neuen Technologien erlauben<br />

im Übrigen den Einsatz von Navigatoren und elektronischen<br />

Programmführern, deren Software ihrerseits<br />

zur Beeinflussung der Auswahlentscheidung<br />

von Rezipienten genutzt werden kann« (S. 440).<br />

Der Erste Senat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts<br />

hat sich aber nicht nur die kommerzielle<br />

Seite der dualen Rundfunkordnung angeschaut.<br />

Er hat auch die Angebote von <strong>ARD</strong> und ZDF<br />

analysiert und kommt zu dem Ergebnis: »Vergleiche<br />

der Programmprofile der <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

und der privatwirtschaftlichen Veranstalter<br />

ergeben deutliche Unterschiede« (S. 440). Als Beleg<br />

dafür dient nicht nur eigenes Erleben, sondern<br />

insbesondere auch das jüngste Jahrbuch<br />

der Lan<strong>des</strong>medienanstalten.<br />

_ Ohne funktionierende <strong>öffentlich</strong>-rechtliche keine<br />

privatrechtlich organisierten audiovisuellen Medien<br />

Aus diesem Befund schließt das Gericht auf die<br />

Rolle <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> <strong>Rundfunks</strong> in<br />

der digitalen Medienwelt:<br />

Er muss seine Funktion auch und gerade in<br />

der heraufziehenden digitalen Medienwelt wahrnehmen<br />

können. Sein Auftrag bleibt – wie das<br />

Gericht feststellt – auch im Übergang zum digitalen<br />

Medienzeitalter dynamisch (S. 440). Das<br />

ist wichtig, weil in der digitalen Medienwelt dem<br />

Ausstrahlungszeitpunkt nicht mehr die Bedeu-<br />

tung zukommt, die er in der analogen – weitgehend<br />

auf lineare Dienste beschränkten – Welt<br />

noch hat. Im Gegenteil, die Seh- und Hörgewohnheiten<br />

verändern sich hin zu einer zeit-<br />

und ortssouveränen Nutzung. Die Angebote der<br />

Rundfunkanstalten davon auszuschließen ist unzulässig.<br />

Vielmehr muss der Gesetzgeber der vielfaltverengenden<br />

Wirkung <strong>des</strong> Markts wirksam<br />

begegnen. Er muss dafür sorgen, dass der <strong>öffentlich</strong>-rechtliche<br />

Rundfunk seinen Funktionsauftrag<br />

erfüllen kann, also nicht von der non-linearen<br />

Verbreitung seiner Inhalte ausgeschlossen<br />

wird. Mit anderen Worten: Er darf auch für die<br />

Zukunft »nicht auf den gegenwärtigen Entwicklungsstand<br />

in programmlicher, finanzieller und<br />

technischer Hinsicht beschränkt werden« (S. 440).<br />

Nur wenn der Gesetzgeber vorsorgt, »dass<br />

die dafür erforderlichen technischen, organisatorischen,<br />

personellen und finanziellen Vorbedingungen<br />

bestehen«, kann gerechtfertigt werden,<br />

dass in der dualen Rundfunkordnung an den<br />

kommerziellen Rundfunk ungleich geringere<br />

Anforderungen gestellt werden als an den <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

Rundfunk.<br />

»Die Entscheidung über die zur Erfüllung <strong>des</strong><br />

Funktionsauftrags als nötig angesehenen Inhalte<br />

und Formen <strong>des</strong> Programms steht den Rundfunkanstalten<br />

zu. Eingeschlossen ist grundsätzlich auch die<br />

Artikel A R D - J A H R B U C H 0 7


Entscheidung über . . . Anzahl und Umfang der erforderlichen<br />

Programme« – darauf weist das Gericht<br />

unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung<br />

hin (S. 441). Der Rundfunk ist insoweit<br />

aber nicht völlig frei (S. 441). Es ist vielmehr am<br />

Gesetzgeber, »die Funktion <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong> in abstrakter Weise fest[zu]legen.<br />

Der Genauigkeit dieser gesetzgeberischen Vorgaben<br />

sind allerdings durch die Programmfreiheit . . . Grenzen<br />

gesetzt. In der Art und Weise, wie die Rundfunkanstalten<br />

ihren gesetzlichen Funktionsauftrag<br />

erfüllen, sind sie frei« (S. 441).<br />

Wo bleibt da der an anderer Stelle <strong>des</strong><br />

Urteils konzedierte medienpolitische Gestaltungsspielraum<br />

der Länder (S. 439)? Das fragen<br />

Urteilskritiker, die dem Ersten Senat <strong>des</strong> Bun<strong>des</strong>verfassungsgerichts<br />

angesichts dieser Grenzziehung<br />

mangelnde Konsequenz unterstellen.<br />

Die Antwort gibt das Gericht selbst: »Selbstverpflichtungen<br />

der Rundfunkanstalten stellen ein<br />

mit der Rundfunkfreiheit grundsätzlich zu vereinbaren<strong>des</strong><br />

Mittel der kooperativen Konkretisierung<br />

<strong>des</strong>sen dar, was nach Auffassung der Rundfunkanstalten<br />

zur Erfüllung <strong>des</strong> Funktionsauftrags im Einzelnen<br />

erforderlich ist« (S. 445).<br />

Auch wenn damit nicht ausdrücklich auf die<br />

notwendige Zustimmung der Aufsichtsgremien<br />

im Falle neuer oder wesentlich veränderter digitaler<br />

Angebote der Rundfunkanstalten Bezug<br />

genommen wird, zeichnet sich in dieser Rollenverteilung<br />

zwischen Gesetzgeber (abstrakte<br />

Aufgabenbeschreibung) und Rundfunkanstalt<br />

(Konkretisierung <strong>des</strong> Auftrags) ein Verfahren<br />

ab, das vor der Rundfunkfreiheit Bestand hat.<br />

Auf der Ebene der Konkretisierung <strong>des</strong> Auftrags<br />

werden die Rundfunkräte als Sachwalter<br />

der Allgemeinheit eine wichtige Funktion zu<br />

übernehmen haben. Was der Gesetzgeber nicht<br />

kann, das obliegt diesen Sachwaltern. Ein Fingerzeig<br />

nicht nur an die Parlamente der Länder,<br />

sondern auch in Richtung Brüssel.<br />

_ Funktionsgerechte Finanzierung, Unabhängigkeit<br />

durch Verteilung von Abhängigkeiten<br />

Angesichts der vielfaltverengenden Wirkung<br />

<strong>des</strong> Markts dürfen die Rundfunkanstalten nicht<br />

genau den Gefahren ausgesetzt werden, die den<br />

Mangel an Vielfalt bewirken. Für <strong>ARD</strong> und<br />

ZDF kann das nur bedeuten, dass eine alleinige<br />

oder überwiegende Finanzierung aus Werbeeinnahmen<br />

oder Sponsoringerlösen ausscheidet.<br />

Folgerichtig stellt das Gericht in seinem Urteil<br />

vom 11. 9. 2007 fest: »Die Finanzierung <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong> auf der Grundlage <strong>des</strong><br />

Gebührenaufkommens soll eine weitgehende Abkoppelung<br />

vom ökonomischen Markt bewirken und<br />

dadurch sichern, dass sich das Programm an publizistischen<br />

Zielen, insbesondere an dem der Vielfalt,<br />

orientiert, und zwar unabhängig von Einschaltquoten<br />

und Werbeaufträgen« (S. 441). Dem wäre<br />

nichts hinzuzufügen, würde daraus nicht von<br />

interessierter Seite geschlussfolgert, dass andere<br />

Finanzierungsarten – insbesondere der Verkauf<br />

von Werbezeiten – dem <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

Rundfunk vorenthalten werden sollten.<br />

Dies ist aber mitnichten so. Damit <strong>ARD</strong> und<br />

ZDF ihre publizistische Funktion erfüllen können,<br />

bedarf es ihrer »vorrangige[n] Finanzierung<br />

über <strong>öffentlich</strong>-rechtliche Gebühren« (S. 441). Daneben<br />

seien andere Finanzierungsquellen nicht<br />

ausgeschlossen. Das Gericht stellt ausdrücklich<br />

fest, dass das auch für Einnahmen aus Werbung<br />

und Sponsoring gilt. Aber: Diese »dürfen . . .<br />

wegen der mit ihnen verbundenen vielfaltverengenden<br />

Wirkung die Gebührenfinanzierung nicht in<br />

den Hintergrund drängen« (S. 441).<br />

Die Mischfinanzierung <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong><strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong>, namentlich die aus<br />

Gebühren und Werbeeinnahmen, vermittelt<br />

dem Rundfunk selbst ein Stück Unabhängigkeit.<br />

Die im Gebührenfestsetzungsverfahren<br />

verbleibenden Abhängigkeiten vom Gebührengesetzgeber<br />

werden durch die Möglichkeit <strong>des</strong><br />

regulierten Werbezeitenverkaufs relativiert, umgekehrt<br />

werden die negativen Wirkungen einer<br />

– wenn auch untergeordneten – Finanzierung<br />

aus Werbeeinnahmen durch die überwiegende<br />

Gebührenfinanzierung ausgeglichen.<br />

Das Gericht bleibt in<strong>des</strong>sen auch gegenüber<br />

den Rundfunkanstalten kritisch, was ihre Teil-<br />

Finanzierung aus Werbeeinnahmen angeht. Es<br />

fordert von ihnen eine regelmäßige »Überprü-<br />

Gebührenurteil A R D - J A H R B U C H 0 7 19


20<br />

fung, wie weit die mit der teilweisen Finanzierung<br />

über Werbung und Sponsoring verbundene Erwartung,<br />

sie könne die Unabhängigkeit <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong> gegenüber dem Staat<br />

stärken«, tatsächlich erfüllt wird (S. 441). Diese<br />

Prüfung vorzunehmen, kann nicht Sache <strong>des</strong><br />

Staates – also <strong>des</strong> Gesetzgebers – sein, da es<br />

darum geht zu prüfen, ob diese Art der Finanzierung<br />

die Unabhängigkeit <strong>des</strong> <strong>Rundfunks</strong> gegenüber<br />

dem Staat stärkt. Es ist eine Daueraufgabe<br />

für die Rundfunkanstalten, und es ist das<br />

Gebot an diese, eben keine Rückwirkungen auf<br />

das Programm zuzulassen, wenn aus dem Verkauf<br />

von Werbezeiten oder durch Sponsoring<br />

Einnahmen generiert werden.<br />

_ Rechtssicherheit bei der dreistufigen<br />

Feststellung <strong>des</strong> Finanzbedarfs<br />

Die Funktionsfähigkeit <strong>des</strong> <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong><br />

<strong>Rundfunks</strong> ist daher nur gesichert, wenn<br />

bereits die Festsetzung der Rundfunkgebühr<br />

weitestgehend unabhängig von medienpolitischen<br />

Erwägungen stattfindet. Das hat Rückwirkungen<br />

auf das Verfahren der Gebührenfestsetzung.<br />

»Für die Gebührenfestsetzung sind die<br />

Grundsätze der Programmneutralität und der Programmakzessorietät<br />

maßgeblich. . . . Insbesondere<br />

darf eine Entscheidung über Zeitpunkt, Umfang<br />

oder Geltungsdauer der Gebührenfestsetzung nicht<br />

zu Zwecken der Programmlenkung oder der Medienpolitik<br />

. . . benutzt werden« (S. 441).<br />

Wie schon 1994 stellt das Gericht dazu fest:<br />

»Dem wird ein gestuftes und kooperatives Verfahren<br />

der Bedarfsfeststellung am ehesten gerecht,<br />

das die Möglichkeiten politischer Einflussnahme<br />

begrenzt« (S. 442).<br />

1. Auch hinsichtlich der aktiven Rolle der Rundfunkanstalten<br />

auf der ersten Verfahrensstufe bestätigt<br />

der Senat die Rechtsprechung seiner Vorgänger.<br />

Diese Stufe bildet die Anmeldung <strong>des</strong><br />

Bedarfs durch die Rundfunkanstalten selbst, da<br />

»die Bestimmung <strong>des</strong>sen, was der Rundfunkauftrag<br />

in programmlicher Hinsicht im Einzelnen erfordert,<br />

grundsätzlich deren Sache ist« (S. 442).<br />

2. Auf der zweiten Stufe ist im Interesse der<br />

mit der Gebühr belasteten Rundfunkteilnehmer<br />

– weil »bei der Rundfunkgebühr das Korrektiv<br />

<strong>des</strong> Marktpreises ausfällt« – eine externe<br />

Kontrolle der Bedarfsanmeldung notwendig<br />

(S. 442). Diese der Sachverständigen-Kommission<br />

zur Ermittlung <strong>des</strong> Finanzbedarfs (KEF)<br />

überantwortete Prüfung darf sich, das stellt das<br />

Gericht klar, »nicht auf die Vernünftigkeit oder<br />

Zweckmäßigkeit der jeweiligen Programmentschei-<br />

dungen der Rundfunkanstalten beziehen« (S. 442).<br />

Vielmehr ist der »aus den Programmentscheidungen<br />

abgeleitete Finanzbedarf« (S. 442) allein<br />

daraufhin zu prüfen, ob sich die Entscheidung<br />

im Rahmen <strong>des</strong> im Zuständigkeitsbereich der<br />

Rundfunkanstalten konkretisierten Auftrags<br />

hält. Er ist also nicht daraufhin zu prüfen, ob<br />

etwa der vorgesehene Verbreitungsweg durch einen<br />

anderen substituiert werden könnte.<br />

3. »Die abschließende Gebührenentscheidung als<br />

dritte Stufe <strong>des</strong> Verfahrens ist auf der Grundlage<br />

der überprüften und gegebenenfalls korrigierten<br />

Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten zu<br />

treffen« (S. 442).<br />

Entschließt sich der Gesetzgeber – wie bis-<br />

her – dazu, diese Entscheidung selbst zu treffen,<br />

unterliegt er bestimmten Verfahrens- und Begründungsanforderungen,<br />

wenn er von dem<br />

Vorschlag der KEF zur Anpassung der Höhe der<br />

Rundfunkgebühr abweichen will.<br />

a) Wenn es sich »um die Korrektur eines offensichtlichen<br />

Fehlers bei der Feststellung <strong>des</strong> Bedarfs handelt<br />

oder wenn sich seit dem Gebührenvorschlag<br />

die der Bedarfsberechnung zugrunde gelegten<br />

Verhältnisse wesentlich verändert haben« (S. 443),<br />

ist zwingend ein Prozedere einzuhalten, das<br />

sicherstellt, dass nicht – gewissermaßen im<br />

Gewand eines dieser bedarfsbedingten Abweichungsgründe<br />

– doch sachfremde Erwägungen<br />

angestellt werden. Deshalb muss der Staatsvertragsgeber<br />

Rundfunkanstalten und KEF »ermöglichen,<br />

Kenntnis von dem Abweichungsanlass<br />

zu erlangen und die Bedarfsberechnung sowie die<br />

Artikel A R D - J A H R B U C H 0 7<br />

Die Vertreter der <strong>ARD</strong>, darunter der <strong>ARD</strong>-Vorsitzende<br />

Fritz Raff (l.), SWR-Intendant Peter<br />

Boudgoust (M.) und SR-Justiziar Bernd Radeck


ihr zugrunde gelegten Annahmen zu überprüfen<br />

und gegebenenfalls unter Vermeidung der Fehler<br />

beziehungsweise unter Beachtung zwischenzeitlicher<br />

Änderungen selbst zu korrigieren« (S. 443).<br />

b) Bedarfsunabhängige – gegebenenfalls auch<br />

rundfunkfremde – Abweichungsgründe sind<br />

nicht per se ausgeschlossen. Sie müssen aber<br />

vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben. In<br />

diesem Zusammenhang interpretiert das Gericht<br />

die Vorgängerentscheidung von 1994: »Die<br />

im Gebührenurteil genannten Abweichungsgründe<br />

der Sicherung <strong>des</strong> Informationszugangs und der<br />

Angemessenheit der Belastung der Gebührenzahler<br />

beschränken sich . . . nicht auf eine bloße<br />

Missbrauchskontrolle, sondern ermöglichen eine<br />

Korrektur mit dem Ziel der Berücksichtigung der<br />

erwähnten Belange der Gebührenzahler. Sie sind<br />

zudem nicht abschließend gemeint, wenn sie sich<br />

auch mit Rücksicht auf die vom Gesetzgeber bei<br />

der Gebührenentscheidung zu beachtenden Grund-<br />

Die Vertreter der KEF, darunter der Vorsitzende<br />

Horst Bachmann (l.), sein Vorgänger Rainer<br />

Conrad (hinten M.) und Wolfgang Knies (r.)<br />

sätze der Programmneutralität und Programmakzessorietät<br />

regelmäßig darin erschöpfen werden«<br />

(S. 443).<br />

Damit bricht das Gericht die 1994 noch als<br />

»gebunden« bezeichnete Gebührenentscheidung<br />

auf, um sie sogleich wieder an die beiden<br />

seit 1994 bekannten Abweichungsgründe der<br />

Sicherung <strong>des</strong> Informationszugangs und der<br />

Angemessenheit der Belastung der Gebührenzahler<br />

zu koppeln. Es betont: »Durch die Korrekturmöglichkeit<br />

darf die Gebührenentscheidung<br />

. . . nicht zu einer rein politischen Entscheidung . . .<br />

werden. . . . Die Abweichungsbefugnis . . . ermächtigt<br />

. . . zur abwägenden Berücksichtigung gerade auch<br />

der wirtschaftlichen Interessen der Gebührenzahler.<br />

Außerhalb <strong>des</strong> <strong>Rundfunks</strong> liegende Faktoren wie<br />

die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkommensentwicklung<br />

oder sonstige Abgabenbelastungen<br />

der Bürger darf der Gebührengesetzgeber . . .<br />

berücksichtigen, soweit sie sich auf die finanzielle<br />

Belastung der Gebührenzahler auswirken oder deren<br />

Zugang zur Information durch Rundfunk gefährden«<br />

(S. 443).<br />

Damit liegt die Latte für ein Abweichen vom<br />

KEF-Vorschlag unverändert hoch, zumal sich<br />

der Rundfunkgesetzgeber seiner – wie der Senat<br />

feststellt – »grundrechtlich verankerten<br />

Begründungspflicht nicht unter Berufung auf die<br />

Schwierigkeiten entziehen [kann], über den Inhalt<br />

einer solchen Begründung im Vorfeld zwischen<br />

allen Lan<strong>des</strong>regierungen eine staatsvertragliche Einigung<br />

herbeiführen zu müssen.« Die Richter weisen<br />

den Regierungschefs der Länder allerdings<br />

zwei Auswege.<br />

Der erste, wonach es den Lan<strong>des</strong>gesetzgebern<br />

freistehe, »die Gebührenentscheidung durch<br />

Die Vertreter der Länder, darunter die<br />

Ministerpräsidenten Günther Oettinger (r.)<br />

und Kurt Beck (3. v. r.)<br />

Rechtsverordnung treffen zu lassen oder eine Mehrheitsentscheidung<br />

zu ermöglichen« (S. 444) findet<br />

sich schon in der 1994er-Entscheidung (BVerf<br />

GE 90, 60 [104]). Er wird kaum geeignet sein,<br />

die Akzeptanz der Rundfunkgebühr als Finanzierungsinstrument<br />

zu heben.<br />

Interessanter ist daher der zweite Hinweis<br />

<strong>des</strong> Gerichts, wonach »aus verfassungsrechtlicher<br />

Sicht nichts gegen die Verwendung indexgestützter<br />

Berechnungsmethoden zur Berücksichtigung<br />

der allgemeinen und der rundfunkspezifischen<br />

Kostenentwicklung« spricht. Auch das war 1994<br />

schon partiell angelegt, in der Entscheidung<br />

vom 11. 9. 2007 geht das Gericht aber weiter und<br />

führt aus: »Auch einer weiterreichenden Umstruk-<br />

Gebührenurteil A R D - J A H R B U C H 0 7 21


22<br />

turierung <strong>des</strong> Verfahrens im Sinne einer Vollindexierung<br />

. . . grundsätzlich keine Hindernisse entgegen,<br />

zumal ein derartiges Vorgehen in besonderem<br />

Maße geeignet ist, das Gebührenfestsetzungsverfahren<br />

gegen sachfremde Einflüsse abzuschirmen«<br />

(S. 442). In diesem Falle trügen die Lan<strong>des</strong>gesetzgeber<br />

als Ländergesamtheit weiterhin die<br />

politische Verantwortung für die Festsetzung<br />

und könnten zur Sicherung der Akzeptanz der<br />

Rundfunkgebühr beitragen.<br />

_ Folgen für die aktuelle Gebührenrunde<br />

Die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde von<br />

<strong>ARD</strong>, ZDF und Deutschlandradio führt nicht<br />

dazu, dass sich an der gegenwärtigen Finanzsituation<br />

der <strong>öffentlich</strong>-<strong>rechtlichen</strong> Rundfunkanstalten<br />

etwas ändert. Auch wird der Rundfunkgebührenzahler<br />

nicht (zusätzlich) belastet. Das<br />

hat gute Gründe:<br />

1. Die verfassungs<strong>rechtlichen</strong> Mängel führen<br />

<strong>des</strong>halb nicht zur Nichtigkeit der verfassungswidrigen<br />

Vorschrift, weil bei einer Nichtigkeit<br />

die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr<br />

entfiele, was im Ergebnis zu einem<br />

Zustand führen würde, der dem Grundgesetz<br />

noch ferner stünde als der bisherige.<br />

2. »Soweit Beeinträchtigungen für die Rundfunkfreiheit<br />

dadurch eingetreten sind, dass der Gesetzgeber<br />

ohne eine verfassungsrechtlich tragfähige Begründung<br />

von der Bedarfsfeststellung abgewichen<br />

ist, lassen sie sich weder durch eine rückwirkende<br />

Anhebung der Rundfunkgebühr noch durch eine<br />

Verpflichtung zum künftigen Ersatz der bisher entgangenen<br />

Gebühren ausgleichen. Denn eine möglicherweise<br />

durch das Fehlen hinreichender Mittel<br />

ausgelöste Verschlechterung <strong>des</strong> Programmangebots<br />

ließe sich angesichts der Zeitgebundenheit der<br />

Wirkungen <strong>des</strong> <strong>Rundfunks</strong> nicht schlicht durch eine<br />

entsprechende finanzielle Mehrausstattung in späteren<br />

Zeiträumen kompensieren« (S. 447).<br />

3. <strong>ARD</strong> und ZDF haben ihren Finanzbedarf<br />

für die nächste Gebührenperiode, die im Januar<br />

2009 beginnt, im Mai 2007 angemeldet. Da die<br />

neue Periode also unmittelbar bevorsteht, erscheint<br />

es dem Gericht als »verfassungsrechtlich<br />

hinnehmbar, bis dahin von einer Neufestsetzung<br />

der Gebühr abzusehen« (S. 447 f.).<br />

Es liegt in der Logik der Finanzbedarfsanmeldung<br />

für die kommende Gebührenperiode,<br />

dass der nicht berücksichtigte Bedarf – soweit<br />

er fortbestanden hat – gewissermaßen neuerlich<br />

angemeldet worden sein muss. Es gibt aber Korrekturnotwendigkeiten<br />

im Detail. So führt das<br />

Gericht aus, dass »bei der neu festzusetzenden<br />

Gebühr gewährleistet werden [muss], dass den<br />

Anstalten ein Ausgleich gewährt wird, falls ihnen<br />

auf der Grundlage der verfassungswidrigen Festsetzung<br />

der Gebühr für die laufende Periode Mittel<br />

. . . entgangen sein sollten, deren Bezug . . . bereits in<br />

dem verstrichenen Gebührenzeitraum erforderlich<br />

war, um die künftige Erfüllung <strong>des</strong> Rundfunkauftrags<br />

sicherzustellen« (S. 448).<br />

Im Interview nach der Urteilsverkündung:<br />

<strong>ARD</strong>-Vorsitzender Fritz Raff<br />

In diesem Zusammenhang kommt in<strong>des</strong>sen<br />

nicht den Rundfunkanstalten, sondern der KEF<br />

eine aktive Rolle zu. Sie muss »überprüfen, ob<br />

und gegebenenfalls in welchem Umfang ein solcher<br />

Bedarf fortbesteht« (S. 448).<br />

_ Gewinner und Verlierer?<br />

Die Rundfunkanstalten haben erfolgreich Verfassungsbeschwerde<br />

geführt. Gewonnen haben<br />

die Rundfunkfreiheit und die Rundfunkteilnehmer.<br />

Alle Bürger werden sich auch in der<br />

digitalen Medienwelt auf zeit- und mediengerechte<br />

Angebote ihrer Lan<strong>des</strong>rundfunkanstalten<br />

verlassen können. Gewonnen haben damit die<br />

Gesellschaft und die demokratisch verfassten<br />

Gemeinwesen. Verlierer gibt es – auch wenn<br />

sich das unmittelbar nach dem Urteil vom<br />

11. 9. 2007 gelegentlich anders las – nicht. Auch<br />

die vermeintlichen Verlierer, die privatrechtlich<br />

organisierten audiovisuellen Medien, haben gewonnen.<br />

Sie dürfen mit qualitativ hochwertigen<br />

Angeboten zur publizistischen Konkurrenz<br />

beitragen, müssen es aber nicht.<br />

Artikel A R D - J A H R B U C H 0 7<br />

Bernd Radeck<br />

Justiziar <strong>des</strong> SR und Vorsitzender der<br />

Juristischen Kommission der <strong>ARD</strong>

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