Indigene Kultur und Religion in Australien - Dr. Corinna Erckenbrecht
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(Exogamie). Ist das Totem e<strong>in</strong>e Pflanze oder e<strong>in</strong> Tier, so können damit auch Tabuvorschriften<br />
<strong>in</strong>sofern e<strong>in</strong>hergehen, als daß dieses Tier oder diese Pflanze nicht gegessen werden darf. Auch<br />
e<strong>in</strong> ökologischer bzw. Artenschutz-orientierter Gedanke kann so mit dem Totemismus<br />
verb<strong>und</strong>en se<strong>in</strong>. Zudem existieren <strong>in</strong> <strong>Australien</strong> örtlich fixierte Bezugszentren, die unmittelbar<br />
mit dem Totem verknüpft s<strong>in</strong>d. Hier werden regelrechte Kulte um das Totem durchgeführt.<br />
Diese Totemzentren geben dem australischen Totemismus auch e<strong>in</strong>e wichtige lokale<br />
Bedeutungsebene. Totemismus kann also e<strong>in</strong>e komplexe, <strong>in</strong> viele religiöse <strong>und</strong> profane<br />
Gesellschaftsbereiche h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>wirkende Funktion annehmen.<br />
Für den e<strong>in</strong>zelnen ergeben sich vielerlei totemistische Bezüge zu se<strong>in</strong>er natürlichen<br />
Umwelt <strong>und</strong> se<strong>in</strong>em sozialen <strong>und</strong> lokalen Beziehungsgeflecht. Durch Geburt ist der Mensch<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong> bestimmtes Totemverhältnis h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>gegeben: das Totem se<strong>in</strong>es Clans, se<strong>in</strong>es Stammes<br />
oder se<strong>in</strong>er Stammeshälfte (Moiety); das Totem, das er von se<strong>in</strong>er Mutter oder se<strong>in</strong>em Vater<br />
übernommen hat; das Totem, dem er aufgr<strong>und</strong> se<strong>in</strong>er Geschlechtszugehörigkeit angehört.<br />
H<strong>in</strong>zu kommen das Totem, das er im Laufe se<strong>in</strong>es Lebens als Individuum erwirbt; das Totem,<br />
das er durch Aufnahme <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Kultgeme<strong>in</strong>schaft erworben hat usw. Durch diese Vielzahl von<br />
Bezügen spricht man hier auch von Polytotemismus. E<strong>in</strong>e kenntnisreiche <strong>und</strong> detaillierte<br />
Studie heißt z.B. „Personal Monototemism <strong>in</strong> a Polytotemic Community.“ 27<br />
Der starke persönliche <strong>und</strong> soziale Bezug zu e<strong>in</strong>em Totem hat für den entsprechenden<br />
Menschen ganz konkrete Auswirkungen. Das Totem begleitet <strong>und</strong> beschützt durch das ganze<br />
Leben h<strong>in</strong>durch <strong>und</strong> bietet e<strong>in</strong>e ganz persönliche E<strong>in</strong>bettung <strong>in</strong> natürliche <strong>und</strong> soziale<br />
Strukturen. Die <strong>in</strong>nere, ganz persönliche Verb<strong>in</strong>dung bspw. zu e<strong>in</strong>em Känguruh oder e<strong>in</strong>em<br />
Emu führt dazu, daß man sich selbst als „Känguruh-Mann“ oder „Emu-Frau“ empf<strong>in</strong>det.<br />
Dieses Tier ist dann wie das eigene Fleisch <strong>und</strong> Blut, weswegen es unter den Aborig<strong>in</strong>es im<br />
englischen Sprachgebrauch auch als „meat“, „flesh“ oder „sk<strong>in</strong>“ bezeichnet wird. Mit den<br />
Mitgliedern desselben Totems, mögen sie aus e<strong>in</strong>er anderen Gegend stammen oder e<strong>in</strong>em<br />
anderen Clan angehören, empf<strong>in</strong>det man e<strong>in</strong>e große Verb<strong>und</strong>enheit. Alle Mitglieder des<br />
Känguruh- oder Emu-Totems beziehen sich auf dieselbe Herkunftslegende <strong>und</strong> betrachten<br />
sich untere<strong>in</strong>ander als verwandt, wie bspw. Schwestern oder Brüder, die aufe<strong>in</strong>ander achten<br />
<strong>und</strong> füre<strong>in</strong>ander sorgen müssen. Dieser starke, vielfach auch ganz praktische soziale<br />
Charakter des Totems mag dafür verantwortlich se<strong>in</strong>, daß der Gedanke der totemistischen<br />
Verb<strong>und</strong>enheit <strong>in</strong> der Aborig<strong>in</strong>es-<strong>Kultur</strong> bis heute vielfach noch lebendig geblieben ist. Auch<br />
wenn er heute nicht mehr so e<strong>in</strong>e tiefe <strong>und</strong> komplexe Bedeutungsvielfalt entwickeln kann,<br />
weil viele Elemente der traditionellen Gesellschaft verschw<strong>und</strong>en oder nicht mehr praktikabel<br />
s<strong>in</strong>d, so kann er doch noch e<strong>in</strong> wesentliches Bezugs- <strong>und</strong> Identitätskriterium darstellen.<br />
In der Wissenschaft wurden der Begriff <strong>und</strong> das Gedankengebäude, das sich um die<br />
Vorstellung des Totemismus rankt, immer wieder kritisiert. Zahlreiche Publikationen haben<br />
sich mit diesem Phänomen beschäftigt. E<strong>in</strong>stmals sah man dadurch sogar e<strong>in</strong>e eigene<br />
<strong>Religion</strong>sstufe <strong>in</strong> der Entwicklungsgeschichte der Menschheit gegeben oder e<strong>in</strong>en Beleg für<br />
die besondere Primitivität bestimmter Gesellschaften. Zu viele verschiedene kulturelle <strong>und</strong><br />
religiöse Praktiken seien unter diesem Begriff zusammengefaßt worden, so die Kritik. Deren<br />
Auftreten <strong>in</strong> den verschiedenen Gesellschaften sei mehr oder weniger zufällig, die<br />
Herauskristallisierung – <strong>und</strong> Stilisierung - e<strong>in</strong>es Totemismus basiere auf den Vorurteilen <strong>und</strong><br />
vore<strong>in</strong>genommenen Betrachtungsweisen von Forschern usw. Dies gipfelte sogar <strong>in</strong> der<br />
Behauptung, der Totemismus sei lediglich e<strong>in</strong>e Illusion gewesen, <strong>und</strong> habe überhaupt nicht<br />
existiert. 28 Es ist wichtig, daß man um diese Kritik an dem Phänomen <strong>und</strong> Begriff<br />
27 Theodor Strehlow 1964<br />
28 Lévi-Strauss 1962<br />
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