Indigene Kultur und Religion in Australien - Dr. Corinna Erckenbrecht
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außen. Moonee Burrabean war aber bei allen Inititationszeremonien – ebenso wie Turramulan<br />
<strong>und</strong> Baiame – als weibliche Ahnherr<strong>in</strong> vertreten. 25<br />
Als E<strong>in</strong>weisung der Jugendlichen <strong>in</strong> die religiösen Geheimnisse hatte Baiame die<br />
speziellen Initiationszeremonien der Kamilaroi, die Bora-Zeremonien geschaffen. In<br />
Befolgung se<strong>in</strong>er Anweisungen aus der Traumzeit mußten diese periodisch immer wieder neu<br />
ausgeführt werden. Dabei war Baiame sowohl als unsichtbarer „Präsident“ als auch als<br />
künstlerisch gestaltete Erdfigur allgegenwärtig. Die Bora-Zeremonien stellten glanzvolle<br />
Ereignisse dar, zu denen sich viele Aborig<strong>in</strong>es-Gruppen der Umgebung versammelten.<br />
Aufwändige Festplätze wurden präpariert, die <strong>in</strong> der Regel aus zwei ungleich großen Erd-<br />
R<strong>in</strong>gen, den „bora gro<strong>und</strong>s“ bestanden, <strong>in</strong> denen die konkrete E<strong>in</strong>weisung der zu <strong>in</strong>itiierenden<br />
Jugendlichen stattfanden. Erdskulpturen, Sandmalereien sowie Baumgravuren<br />
(Dendroglyphen) markierten darüber h<strong>in</strong>aus diese Bora-Plätze. Vor etwa h<strong>und</strong>ert Jahren, beim<br />
endgültigen Zusammenbruch e<strong>in</strong>er funktionierenden <strong>Religion</strong>stradierung im Südosten<br />
<strong>Australien</strong>s, kamen auch die Bora-Zeremonien zum Erliegen. Sie s<strong>in</strong>d jedoch durch zahlreiche<br />
ethnohistorische Quellen noch sehr gut zu rekonstruieren. Auch e<strong>in</strong> Verzeichnis der Bora-<br />
R<strong>in</strong>ge, von denen heute noch e<strong>in</strong>ige wenige andeutungsweise im Gelände zu erkennen s<strong>in</strong>d,<br />
existiert. 26<br />
Totemismus<br />
Der Totemismus ist e<strong>in</strong> religiöses <strong>und</strong> soziales Phänomen, das nicht nur <strong>in</strong> <strong>Australien</strong> auftritt.<br />
Vielmehr ist es auch <strong>in</strong> anderen Erdteilen <strong>und</strong> bei anderen Völkern, so z. B. <strong>in</strong> Nordamerika<br />
verbreitet. Ursprünglich stammt das Wort Totem (oder oteteman, dodaim, ododam) sogar aus<br />
dem Algonk<strong>in</strong>, e<strong>in</strong>er nordamerikanischen Indianersprache. Dort bedeutet „ototeman“ soviel<br />
wie „er ist aus me<strong>in</strong>er Verwandtschaft“. Erstmals wurde das Wort 1790 <strong>in</strong> dem Reisebericht<br />
„Voyages and Travels of an Indian Interpreter and Trader“ von J. Long belegt. Die<br />
totemistische Gr<strong>und</strong>e<strong>in</strong>stellung zum naturräumlichen <strong>und</strong> sozialen Umfeld hat allerd<strong>in</strong>gs <strong>in</strong><br />
<strong>Australien</strong> e<strong>in</strong>e ganz besondere Tiefe <strong>und</strong> Bedeutung erlangt. Es umfaßt hier neben der<br />
spirituellen, religiösen <strong>und</strong> sozialen auch e<strong>in</strong>e lokale Bedeutungsebene.<br />
Doch was ist Totemismus? In erster L<strong>in</strong>ie läßt sich sagen, daß der Totemismus e<strong>in</strong> ganz<br />
spezifisches Beziehungssystem zwischen den Menschen – e<strong>in</strong>zeln oder als Gruppe – <strong>und</strong><br />
e<strong>in</strong>em Tier, e<strong>in</strong>er Pflanze oder e<strong>in</strong>em Naturelement darstellt. Man fühlt sich als abstammend,<br />
verwandt, familiär zugehörig zu diesem Tier, dieser Pflanze oder dem Naturphänomen, das<br />
man als se<strong>in</strong> Totem bezeichnet. E<strong>in</strong> Totem kann alles se<strong>in</strong>, e<strong>in</strong> Känguruh, e<strong>in</strong> Emu, e<strong>in</strong>e<br />
Schlange, e<strong>in</strong>e Sternenformation am Himmel. Auch die mächtigen Ahnen aus der Traumzeit<br />
können e<strong>in</strong>e totemistische Funktion annehmen, weshalb sie im Englischen auch als „totemic<br />
ancestors“ bezeichnet werden.<br />
Die tiefe <strong>in</strong>nere Verb<strong>und</strong>enheit zu diesem Totem hat e<strong>in</strong>e übergeordnete, religiöse<br />
Funktion <strong>und</strong> Bedeutung. Sie wirkt aber auch nach <strong>in</strong>nen, <strong>in</strong>dem sie den<br />
Gruppenzusammenhalt stärkt, Heiratsklassen def<strong>in</strong>iert oder E<strong>in</strong>zelpersonen zu Totemgruppen<br />
zusammenfaßt. In ersterem Fall wird je e<strong>in</strong>e Gruppe mit e<strong>in</strong>em „Emblem“ (Tier, Pflanze oder<br />
Naturphänomen) versehen, um sich so von anderen Gruppen, die andere Totems haben,<br />
abzugrenzen. Handelt es sich um durch Totems def<strong>in</strong>ierte Heiratsklassen, so darf – <strong>in</strong> der<br />
Regel – immer nur e<strong>in</strong> Heiratspartner aus e<strong>in</strong>er anderen Totemgruppe genommen werden<br />
25 Alle Angaben zur Kamilaroi-<strong>Religion</strong> siehe <strong>Erckenbrecht</strong> 1993a: 250 – 263.<br />
26 <strong>Erckenbrecht</strong> 1993a: 263<br />
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