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Indigene Kultur und Religion in Australien - Dr. Corinna Erckenbrecht

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von e<strong>in</strong>er Seele erblickt werden können, die ihre menschliche Hülle vorübergehend h<strong>in</strong>ter<br />

sich gelassen hat.“ 20<br />

Strehlow junior sprach also nur von e<strong>in</strong>er „Seele, die ihre menschliche Hülle“<br />

vorübergehend verlassen hätte, um D<strong>in</strong>ge jenseits der alltäglichen Wahrnehmung oder der<br />

Wahrnehmungskraft menschlicher Augen erfahren zu können – nicht notwendigerweise von<br />

e<strong>in</strong>em Traum oder dem Vorgang des Träumens. Spencer <strong>und</strong> Gillen hatten da aber schon<br />

längst für sich <strong>in</strong> Anspruch genommen, den Begriff „dream time“ geprägt zu haben. Ihr Credo<br />

lautete: „Als Bezeichnung für e<strong>in</strong>e vergangene Epoche von sehr vagem <strong>und</strong>, wie es uns<br />

sche<strong>in</strong>t, "traumhaftem" Charakter, übernahmen wir, um uns der Bedeutung des Wortes<br />

‚alcher<strong>in</strong>ga‘ so gut wie möglich anzunähern, den Begriff ‚Traumzeit‘".“ 21<br />

Wohlgemerkt: der „sehr vage, traumhafte Charakter“ von Schilderungen der vergangenen<br />

Schöpfungsperiode war nur e<strong>in</strong>e von den Forschern ganz subjektiv empf<strong>und</strong>ene<br />

Interpretation. Im Laufe der Jahre <strong>und</strong> Jahrzehnte verbreitete sich der Begriff „dream time“<br />

oder „dream<strong>in</strong>g“ jedoch sehr schnell über weite Teile <strong>Australien</strong>s, ungeachtet der Stammes-<br />

<strong>und</strong> Sprachgrenzen der Aborig<strong>in</strong>es. 1917, als A. P. Elk<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Feldforschungen begann, hatte<br />

sich der Begriff schon sehr weit ausgebreitet. Der Ethnologe stellte später fest: Was auch<br />

immer der e<strong>in</strong>heimische Begriff <strong>in</strong> den südlichen, zentralen, nordwestlichen <strong>und</strong>/oder<br />

nördlichen Regionen <strong>Australien</strong>s gewesen se<strong>in</strong> mochte – auf Englisch war es „the<br />

<strong>Dr</strong>eam<strong>in</strong>g“. 22<br />

Nüchtern betrachtet muß man sich also darüber im klaren se<strong>in</strong>, daß der englische Begriff<br />

„dream time“ oder „dream<strong>in</strong>g“ sowie die deutsche Bezeichnung „Traumzeit“ ke<strong>in</strong>e besonders<br />

gefühlvolle <strong>und</strong> poetische Umschreibung der religiösen Vorstellungswelt von Aborig<strong>in</strong>es ist,<br />

sondern auf e<strong>in</strong>er r<strong>und</strong> 100 Jahre alten, umstrittenen Übersetzung durch europäische<br />

Wissenschaftler aus der Sprache der Aranda beruht. In allen anderen Sprachen (<strong>und</strong> deren gab<br />

es viele; siehe Leitner <strong>in</strong> diesem Band) existierten eigene Ausdrücke. E<strong>in</strong>ige von ihnen, wie z.<br />

B. Tjukurrpa, haben sich erhalten <strong>und</strong> s<strong>in</strong>d ebenfalls bis zu e<strong>in</strong>em gewissen Grad <strong>in</strong> den<br />

allgeme<strong>in</strong>en Sprachgebrauch e<strong>in</strong>gegangen. Durch das bestimmende Auftreten von Spencer<br />

<strong>und</strong> Gillen trat jedoch das Aranda-Wort „Alcher<strong>in</strong>ga“ <strong>und</strong> die Übersetzung der beiden<br />

Wissenschaftler als „Traumzeit“ den Siegeszug durch <strong>Australien</strong> <strong>und</strong> heute fast um die ganze<br />

Welt an.<br />

<strong>Kultur</strong>heroen – Zwei Beispiele<br />

Im Mittelpunkt der Traumzeitgeschehnisse stehen immer wieder die mächtigen Traumzeitahnen<br />

bzw. <strong>Kultur</strong>heroen. Im folgenden sollen zwei Beispiele aus dem Süden <strong>und</strong> Südosten<br />

<strong>Australien</strong>s <strong>in</strong> gekürzter Form nacherzählt werden.<br />

E<strong>in</strong>e ausführliche, auch heute noch tradierte Überlieferung e<strong>in</strong>es großen Traumzeithelden<br />

ist <strong>in</strong> Südaustralien entlang des Murray River angesiedelt. Hier wirkte Ngur<strong>und</strong>eri (sprich:<br />

Naranderi, mit starker Betonung auf der zweiten Silbe), der große Held der Ngarr<strong>in</strong>djeri, die<br />

an der Mündung des Murray River leb(t)en. Ngur<strong>und</strong>eri war e<strong>in</strong> mächtiges Wesen, das durch<br />

Zeit <strong>und</strong> Raum reisen konnte <strong>und</strong> <strong>in</strong> Gestalt e<strong>in</strong>es Mannes auftrat. Se<strong>in</strong>e zwei Frauen hatten<br />

ihn verlassen, <strong>und</strong> auf der Suche nach ihnen kam er <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em R<strong>in</strong>denkanu den Murray River<br />

20 ebd.: 732. Übersetzung C.E.<br />

21 Spencer & Gillen 1927: 592<br />

22 Elk<strong>in</strong> 1964: 201<br />

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