Die fünf Ws der Evaluation von E-Learning
Die fünf Ws der Evaluation von E-Learning
Die fünf Ws der Evaluation von E-Learning
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Heike Schaumburg<br />
<strong>Die</strong> <strong>fünf</strong> <strong>Ws</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong><br />
Qualitätskontrolle und Qualitätssicherung sollten zu festen Bestandteilen <strong>der</strong><br />
Entwicklung und Durchführung internetbasierter Lernmaßnahmen zählen – gilt<br />
doch die Qualität einer solchen Maßnahme als wesentliche Voraussetzung für<br />
ihre erfolgreiche Implementierung. Tatsächlich ist in den vergangenen Jahren ein<br />
großer Teil <strong>der</strong> Pilotprojekte und Modellversuche zum E-<strong>Learning</strong> <strong>von</strong> <strong>Evaluation</strong>smaßnahmen<br />
begleitet worden. 1<br />
<strong>Die</strong>se reichen <strong>von</strong> hoch kontrollierten experimentellen<br />
Laborstudien bis zu wenig strukturierten Aufzeichnungen <strong>von</strong> Erfahrungen<br />
und Feldbeobachtungen. Nicht immer jedoch hat man den Eindruck,<br />
dass <strong>Evaluation</strong>en tatsächlich zielführend im Sinne einer Qualitätskontrolle o<strong>der</strong><br />
-verbesserung des Lernangebots sind. Das Anliegen des vorliegenden Artikels ist<br />
es, dem Leser einen Überblick über verschiedene Ansätze und Methoden <strong>der</strong><br />
<strong>Evaluation</strong> internetgestützter Bildungsmaßnahmen zu geben und <strong>der</strong>en spezifische<br />
Vor- und Nachteile herauszuarbeiten. Anhand <strong>von</strong> <strong>fünf</strong> Leitfragen wird<br />
dargestellt, welche Überlegungen bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> internetbasierter Lernmaßnahmen<br />
anzustellen sind, um diejenige Vorgehensweise zu ermitteln, die im<br />
Kontext <strong>der</strong> zu bewertenden Maßnahme aussagekräftige Ergebnisse verspricht.<br />
1 Erste Frage: Warum soll das Bildungsangebot überhaupt evaluiert<br />
werden?<br />
<strong>Evaluation</strong> fängt mit einer Zielsetzung an. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche<br />
Anliegen <strong>von</strong> <strong>Evaluation</strong> unterscheiden, nämlich die entwicklungsbegleitende<br />
Optimierung eines Lernangebots (formative <strong>Evaluation</strong>) und seine im Anschluss<br />
an die Implementierung durchgeführte abschließende Bewertung (summative<br />
<strong>Evaluation</strong>). <strong>Die</strong> Festlegung auf ein formatives o<strong>der</strong> summatives Vorgehen ist<br />
z. B. wesentlich für die Auswahl <strong>der</strong> zu untersuchenden Aspekte und <strong>der</strong>en<br />
Granularität. So bietet es sich an, Einzelheiten zu Schwierigkeiten beim technischen<br />
Umgang mit einer Lernplattform zu ermitteln, solange noch technische<br />
Verbesserungen hieran vorgenommen werden können, während z. B. die Lerneffektivität<br />
und insbeson<strong>der</strong>e <strong>der</strong> Lerntransfer einer Maßnahme sinnvoll erst<br />
nach Abschluss <strong>der</strong>selben beurteilt werden können.<br />
1<br />
Z. B. Daun & Hauske 2003; Glowalla, Glowalla & Kohnert 2000; Kopp, Balk & Mandl 2002; Reinmann-Rothmeier<br />
et al. 2001; Stark & Mandl 2003; Unger 2003.
Heike Schaumburg<br />
In <strong>der</strong> Diskussion um die <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> Bildungsmaßnahmen hat die entwicklungsbegleitende<br />
<strong>Evaluation</strong> zunehmend an Stellenwert gewonnen. 2<br />
Grund<br />
dafür ist, dass Erkenntnisse einer <strong>Evaluation</strong> nach Abschluss einer Bildungsmaßnahme<br />
häufig geringen praktischen Nutzen haben. Aufgedeckte Mängel und<br />
Probleme können zu diesem Zeitpunkt nur noch konstatiert, nicht jedoch beseitigt<br />
werden. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, bereits in <strong>der</strong> Entwicklungsphase<br />
evaluative Maßnahmen durchzuführen. Für internetbasierte Lernmaßnahmen<br />
gilt dies in beson<strong>der</strong>em Maße, denn häufig handelt es sich um<br />
Pilotprojekte. Bei Entwicklern/innen, Lehrenden und Lernenden liegen also noch<br />
wenige o<strong>der</strong> keine Erfahrungen zu diesem Format vor. Fehlentwicklungen können<br />
deshalb nur durch frühzeitige Erprobung entdeckt werden.<br />
2 Zweite Frage: Was soll evaluiert werden?<br />
So trivial dies klingt, scheint es doch keine Selbstverständlichkeit zu sein, dass<br />
auf die Festlegung des <strong>Evaluation</strong>sgegenstands beson<strong>der</strong>e Sorgfalt zu verwenden<br />
ist. Mangelt es einer <strong>Evaluation</strong>sstudie an präzisen Formulierungen ihres<br />
Gegenstands, sind entsprechend schwammige und letztlich unbrauchbare Ergebnisse<br />
zu erwarten.<br />
<strong>Die</strong> Festlegung des <strong>Evaluation</strong>sgegenstands sollte zunächst an den Zielen <strong>der</strong><br />
Maßnahme orientiert werden. Besteht das Ziel eines E-<strong>Learning</strong>-Angebots in<br />
einer Verän<strong>der</strong>ung <strong>von</strong> Lernstrategien und <strong>der</strong> För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Selbstständigkeit<br />
<strong>der</strong> Lernenden, reicht es nicht aus, die Akzeptanz <strong>der</strong> Lernenden abzufragen. Ist<br />
das Ziel eine Steigerung <strong>der</strong> Lerneffektivität im Vergleich zu klassischen Unterrichtsformaten,<br />
sollte die Maßnahme auch im Hinblick auf ihren Lernerfolg mit<br />
diesen verglichen werden.<br />
Nun ist es in vielen Projekten lei<strong>der</strong> so, dass die Entwicklungsziele selbst unpräzise<br />
o<strong>der</strong> überhaupt nicht expliziert werden. Den Evaluatoren obliegt es in diesem<br />
Fall, <strong>Evaluation</strong>sgegenstände festzulegen. Dabei kann die Akzeptanz für die<br />
Ergebnisse <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> erheblich gesteigert werden, wenn in diesen Prozess<br />
die an <strong>der</strong> Entwicklung und Durchführung beteiligten Gruppen (z. B. Entschei<strong>der</strong>/innen,<br />
Entwickler/innen, Lehrende, Lernende) einbezogen werden und<br />
gemeinsam vereinbart wird, worauf sich <strong>der</strong> Blick <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> richten sollte.<br />
Ein zentraler <strong>Evaluation</strong>sgegenstand bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> Bildungsmaßnahmen<br />
ist traditionell ihre Lerneffektivität. <strong>Die</strong>s gilt auch für internetbasierte Lernangebote,<br />
da hier häufig <strong>der</strong> Nachweis zu führen ist, dass Lernende in diesem For-<br />
2<br />
Molenda, Pershing & Reigeluth 1996.<br />
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<strong>Die</strong> <strong>fünf</strong> <strong>Ws</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong><br />
mat, wenn nicht bessere, so doch zumindest die gleichen Lernerfolge erzielen<br />
wie in herkömmlichen Unterrichtsformaten. In <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong>sforschung ist<br />
schon früh darauf hingewiesen worden, dass die Betrachtung des Lernerfolgs<br />
ganzheitlich erfolgen sollte, um informative Ergebnisse zu liefern. So formuliert<br />
Stufflebeam 3<br />
in seinem CIPP-Modell (Context, Input, Process, Product), dass<br />
neben dem eigentlichen Lernergebnis („Product“) drei weitere Fel<strong>der</strong> zu betrachten<br />
sind:<br />
• Der Kontext des Lernangebots, d. h. Rahmenbedingungen <strong>der</strong> Integration<br />
des Angebots in bestehende Bildungsstrukturen, die Abstimmung<br />
<strong>der</strong> Inhalte auf Wünsche und Bedürfnisse <strong>der</strong> Teilnehmer<br />
usw. Bei internetbasierten Lernangeboten interessiert in diesem Bereich<br />
u. a., welchen Stellenwert internetbasierte Angebote im Studium<br />
haben o<strong>der</strong> ob Studienleistungen, die in einem Online-Seminar<br />
erbracht werden, in gleicher Weise anerkannt werden wie die aus<br />
herkömmlichen Seminaren. Eine weitere wichtige Frage im Kontext<br />
des Lernangebots ist, ob das Angebot allein über das Internet vermittelt<br />
wird o<strong>der</strong> E-<strong>Learning</strong> in Kombination mit Präsenzphasen eingesetzt<br />
wird. Bezogen auf die Teilnehmer/innen sind bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong><br />
<strong>von</strong> internetbasierten Lernangeboten beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong>en<br />
computer-technische Vorkenntnisse und Bedürfnisse zu berücksichtigen,<br />
da sich immer wie<strong>der</strong> zeigt, dass technische Probleme eine <strong>der</strong><br />
größten Hürden für das erfolgreiche Lernen in einem Online-Seminar<br />
darstellen. 4<br />
• Der Input, d. h. die Ressourcen, die für die Entwicklung und Implementierung<br />
zur Verfügung stehen. Internetbasierte Lernangebote<br />
stellen hier beson<strong>der</strong>e Anfor<strong>der</strong>ung an die technischen Ressourcen,<br />
da ein ausreichen<strong>der</strong> Zugang zu den internetbasierten Lernmaterialien<br />
die unabdingbare Voraussetzung für das erfolgreiche Lernen in<br />
einem Online-Seminar ist. <strong>Die</strong> technische Ausstattung <strong>der</strong> Teilnehmer/innen,<br />
bzw. die Zugangsmöglichkeiten, die ihnen durch die Universität<br />
(bzw. Bildungsinstitution) gegeben werden, ist also eine<br />
wichtige Input-Variable, die bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> internetbasierten<br />
Lernangeboten erhoben werden sollte. Auch die personellen Ressourcen<br />
sind bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> Online-Seminaren <strong>von</strong> großer<br />
Bedeutung, da <strong>der</strong> Lernerfolg entscheidend <strong>von</strong> <strong>der</strong> Unterstützung<br />
durch entsprechend geschulte Tutoren/innen abhängt.<br />
3<br />
Stufflebeam 1972, 2003.<br />
4<br />
Jonas, Boos & Walther 1999.<br />
77
Heike Schaumburg<br />
• Der Prozess <strong>der</strong> Entwicklung und Implementierung. <strong>Die</strong> Prozessevaluation<br />
ist bei internetbasierten Lernmaßnahmen <strong>von</strong> beson<strong>der</strong>er<br />
Bedeutung, weil bisher noch wenig darüber bekannt ist, wie Lernende<br />
und Lehrende sich in einer virtuellen Lernumgebung verhalten.<br />
Umfangreiche Analysen <strong>der</strong> Interaktions- und Lernprozesse in<br />
einem Online-Seminar können deshalb wichtige Informationen darüber<br />
liefern, warum die Lernergebnisse so ausfallen wie sie ausfallen.<br />
Im Rahmen <strong>der</strong> Prozessevaluation kann z. B. betrachtet werden,<br />
welche technischen Funktionen <strong>der</strong> virtuellen Lernumgebung und<br />
welche <strong>der</strong> angebotenen Lernmaterialien und -werkzeuge die Lernenden<br />
nutzen und ob es dabei Probleme gibt; wie die Lernenden<br />
miteinan<strong>der</strong> und mit den Tutoren/innen interagieren, wie sie das<br />
Angebot beurteilen, usw.<br />
Für die <strong>Evaluation</strong> gilt also, dass die Untersuchung dieser unterschiedlichen <strong>Evaluation</strong>sfel<strong>der</strong><br />
sowohl für die entwicklungsbegleitende Verbesserung wie auch<br />
für die abschließende Bewertung wesentlich aussagekräftigere Ergebnisse erwarten<br />
lässt als die einseitige Betrachtung des Lernerfolgs.<br />
<strong>Die</strong> Analyse des Lernerfolgs, bzw. des Produkts <strong>der</strong> Maßnahme kann darüber<br />
hinaus unterschiedlich weit gefasst sein. Kirkpatrick 5<br />
unterscheidet diesbezüglich<br />
vier Ebenen <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong>, die in <strong>der</strong> Form einer Pyramide angeordnet sind<br />
(Abb. 1).<br />
Abb. 1: <strong>Evaluation</strong>smodell <strong>von</strong> Kirkpatrick (1975, 1994).<br />
5<br />
Kirkpatrick 1975, 1994.<br />
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<strong>Die</strong> <strong>fünf</strong> <strong>Ws</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong><br />
Beson<strong>der</strong>s gern und häufig werden <strong>Evaluation</strong>en <strong>von</strong> internetbasierten Lernangeboten<br />
auf <strong>der</strong> Reaktionsebene durchgeführt. <strong>Die</strong>se Ebene erfasst, wie die<br />
Lernenden die Maßnahme, bzw. die Materialien beurteilen. So werden beispielsweise<br />
subjektive Einschätzungen zur Akzeptanz, Lernwirksamkeit, Problemen<br />
usw. erhoben. Zwar haben <strong>Evaluation</strong>en auf dieser Ebene einen gewissen<br />
Informationswert, da die Akzeptanz <strong>der</strong> Lernenden ausschlaggebend dafür ist,<br />
dass sich diese überhaupt mit dem Lernmaterial auseinan<strong>der</strong>setzen und damit<br />
eine Grundlage für erfolgreiches Lernen darstellt. Auch sind subjektive Aussagen<br />
zu Problemen und Schwierigkeiten sicherlich dienlich, um Hinweise für die Optimierung<br />
des Lernangebots zu erhalten. Kirkpatrick weist jedoch darauf hin, dass<br />
<strong>der</strong> Wert <strong>von</strong> <strong>Evaluation</strong>en <strong>der</strong> Lernerreaktion als alleiniger Analyseebene begrenzt<br />
ist, da sie z. B. keine Informationen darüber liefern, was tatsächlich gelernt<br />
wurde o<strong>der</strong> ob es einen Lerntransfer in den Alltagskontext <strong>der</strong> Lernenden<br />
gibt.<br />
<strong>Evaluation</strong>en auf <strong>der</strong> Reaktionsebene sollten deshalb zumindest um Tests ergänzt<br />
werden, mit denen <strong>der</strong> tatsächliche Lernerfolg gemessen wird (Ebene 2).<br />
Auch dies gehört, wenn auch seltener als die <strong>Evaluation</strong> auf <strong>der</strong> Reaktionsebene,<br />
noch zur gängigen Praxis bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> internetbasierter Lernmaßnahmen.<br />
Kirkpatrick zeigt auf, dass über <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> Lernerfolgsmessung noch zwei<br />
weitere Ebenen liegen, die für die Beurteilung des Erfolgs einer Bildungsmaßnahme<br />
eigentlich noch bedeutsamer sind, nämlich zum einen die Frage, ob es zu<br />
einem Transfer des gelernten Wissens in die Anwendungspraxis <strong>der</strong> Lernenden<br />
kommt (Verhaltensebene) und ob sich durch eine verän<strong>der</strong>te Anwendungspraxis<br />
gar die Organisationen und Systeme, in denen die Lernenden ihr neues Wissen<br />
anwenden, insgesamt verän<strong>der</strong>n (Ergebnisebene). <strong>Evaluation</strong>en auf den Ebenen<br />
3 und 4 sind meist nur im Zusammenhang einer summativen <strong>Evaluation</strong> sinnvoll,<br />
da Informationen über Lerntransfer und Ergebnisse auf organisationaler Ebene<br />
erst gewonnen werden können, nachdem die Maßnahme im Feld implementiert<br />
wurde. Der <strong>Evaluation</strong>sprozess wird <strong>von</strong> Ebene 1 bis 4 zunehmend schwieriger<br />
und zeitaufwändiger. Gleichzeitig liefert die <strong>Evaluation</strong> jedoch auf den höheren<br />
Ebenen häufig bedeutsamere Information, um den Erfolg einer Bildungsmaßnahme<br />
zu beurteilen. Kirkpatrick empfiehlt, alle Ebenen in die <strong>Evaluation</strong> einzubeziehen,<br />
um ein vollständiges Bild des Erfolgs einer Bildungsmaßnahme zu<br />
erhalten.<br />
3 Dritte Frage: Wann soll evaluiert werden?<br />
Schon bei <strong>der</strong> Frage nach dem Warum <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> wurde darauf hingewiesen,<br />
dass zunächst die Entscheidung zu treffen ist, ob formativ o<strong>der</strong> summativ<br />
zu evaluieren ist und dass bei <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> internetbasierter Lernangebote die<br />
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Heike Schaumburg<br />
noch sehr lückenhaften Erfahrungen mit diesem Format für ein formatives Vorgehen<br />
sprechen. Innerhalb eines formativen Ansatzes muss nun noch entschieden<br />
werden, zu welchen Zeitpunkten <strong>Evaluation</strong>sdurchgänge durchgeführt<br />
werden. Von Vertretern des Instruktionsdesigns wird dabei zunehmend die<br />
Auffassung vertreten, mit <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> eines Lernangebots möglichst frühzeitig<br />
im Entwicklungsprozess zu beginnen. 6<br />
Aus <strong>der</strong> Software-Entwicklung wurde<br />
<strong>der</strong> Ansatz des „Rapid Prototyping“ übernommen, bei dem zunächst mit möglichst<br />
geringem Aufwand ein erster Entwurf des Lernmaterials gestaltet wird,<br />
<strong>der</strong> dann einigen Testlernern o<strong>der</strong> Evaluatoren vorgelegt und auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
<strong>von</strong> <strong>der</strong>en Feedback weiterentwickelt wird. <strong>Die</strong> Lernmaßnahme durchläuft zahlreiche<br />
Feedbackschleifen, <strong>von</strong> denen man sich verspricht, eine optimale Passung<br />
<strong>der</strong> Bildungsmaßnahme mit den Bedürfnissen <strong>der</strong> Zielgruppe zu erreichen. 7<br />
Auch während <strong>der</strong> Implementierungsphase sind <strong>Evaluation</strong>en sinnvoll, um<br />
Rückmeldungen über aktuelle Probleme und Bedürfnisse <strong>der</strong> Lernenden zu erhalten.<br />
Durch entsprechende Anpassungen und Verän<strong>der</strong>ungen kann mitunter<br />
verhin<strong>der</strong>t werden, dass Teilnehmer/innen den Kurs abbrechen. 8<br />
Auch hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> Validität <strong>der</strong> Ergebnisse sind <strong>Evaluation</strong>en in <strong>der</strong> Durchführungsphase<br />
sinnvoll, denn wartet man damit bis zum Abschluss eines Kurses, können häufig<br />
nur noch die Teilnehmer befragt werden, die den Kurs erfolgreich zu Ende geführt<br />
haben. Den Evaluatoren entgeht damit die Perspektive <strong>der</strong> Abbrecher, die<br />
in Hinblick auf Probleme und Optimierungspotenzial beson<strong>der</strong>s wertvoll ist.<br />
4 Vierte Frage: Wer soll evaluieren?<br />
Schließlich stellt sich die Frage nach den Protagonisten <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong>. Zu unterscheiden<br />
ist hier die externe <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> internen <strong>Evaluation</strong>. Bei <strong>der</strong><br />
externen Vorgehensweise führen Personen die <strong>Evaluation</strong> durch, die we<strong>der</strong> an<br />
<strong>der</strong> Entwicklung noch an <strong>der</strong> Implementierung <strong>der</strong> Maßnahme beteiligt sind.<br />
Externen Evaluatoren wird eine größere Neutralität bei <strong>der</strong> Bewertung <strong>der</strong> Maßnahme<br />
zugesprochen. Bei <strong>der</strong> Befragung <strong>der</strong> Beteiligten erhalten sie mitunter<br />
offenere Antworten insbeson<strong>der</strong>e, wenn es um kritische Aspekte <strong>der</strong> Maßnahme<br />
geht. <strong>Die</strong> interne <strong>Evaluation</strong> wird dagegen <strong>von</strong> den Beteiligten selbst durchgeführt.<br />
Sie hat den Vorteil, dass die Beteiligten häufig ein besseres Verständnis<br />
des gesamten Entwicklungs- und Implementierungsprozesses haben, so dass sie<br />
Ergebnisse, Potenziale und Probleme <strong>der</strong> Maßnahme besser bewerten können.<br />
6<br />
Molenda, Pershing & Reigeluth 1996; Tripp & Bichelmeyer 1990.<br />
7<br />
Tripp & Bichelmeyer 1990.<br />
8<br />
Jonas, Boos & Walther 1999.<br />
80
<strong>Die</strong> <strong>fünf</strong> <strong>Ws</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong><br />
Weiterhin wird zwischen experten- und nutzerbasierten <strong>Evaluation</strong>sansätzen<br />
unterschieden. Experten beurteilen die Maßnahme auf <strong>der</strong> Basis ihres Fachwissens<br />
im Bereich des dargebotenen Lerninhalts, bzw. auf <strong>der</strong> Grundlage medieno<strong>der</strong><br />
fachdidaktischer Expertisen. Sie versetzen sich in die Situation <strong>der</strong> Lernenden<br />
und prüfen die Qualität des Lernangebots auf unterschiedlichen Ebenen<br />
(inhaltliche, technische, didaktische Aspekte). Dabei fallen die Ergebnisse genauer<br />
aus, wenn die Experten/innen gleichzeitig auf verschiedenen Ebenen über<br />
Erfahrung und Wissen verfügen (sowohl auf inhaltlicher als auch auf fach- und<br />
mediendidaktischer Ebene). 9<br />
<strong>Die</strong> Bewertung ist dabei in <strong>der</strong> Regel durch Heuristiken,<br />
Checklisten, Bewertungsleitfäden o<strong>der</strong> Kriterienkataloge strukturiert.<br />
Nielsen nennt im Kontext <strong>der</strong> <strong>von</strong> ihm entwickelten heuristischen <strong>Evaluation</strong>smethode<br />
eine Zahl <strong>von</strong> drei bis <strong>fünf</strong> Experten als ausreichend, um zu aussagekräftigen<br />
<strong>Evaluation</strong>sergebnissen zu gelangen. Expertenevaluationen gelten als<br />
vergleichsweise wenig aufwändig und damit als eine kostengünstige Form <strong>der</strong><br />
<strong>Evaluation</strong>. Sie werden in frühen Phasen des Entwicklungsprozesses beson<strong>der</strong>s<br />
empfohlen, da sie auch an sehr einfachen Prototypen durchgeführt werden<br />
können und schnell Ergebnisse liefern. 10<br />
Grundsätzlich können sie jedoch in allen<br />
Phasen des Entwicklungsprozesses und auch summativ eingesetzt werden.<br />
Unter nutzerbasierten <strong>Evaluation</strong>sansätzen werden dagegen Verfahren zusammengefasst,<br />
bei denen die Ergebnisse in irgendeiner Form durch die Befragung<br />
bzw. Beobachtung <strong>der</strong> Lernenden gewonnen werden (z. B. Nutzertest, Nutzerbefragung,<br />
Logfile-Analyse). Sie haben den Vorteil, dass sie auf <strong>der</strong> tatsächlichen<br />
Interaktion <strong>der</strong> Lernenden mit dem Material beruhen. Deshalb wird ihren Ergebnissen<br />
eine größere Validität zugeschrieben als denen expertenbasierter Verfahren,<br />
wo sich die Evaluatoren lediglich vorstellen, wie sich die Lernenden vermutlich<br />
verhalten werden. 11<br />
<strong>Die</strong> meisten nutzerbasierten Verfahren sind jedoch aufwändiger<br />
in <strong>der</strong> Durchführung als Expertenbeurteilungen, beson<strong>der</strong>s, wenn<br />
Lernende bei <strong>der</strong> Interaktion mit dem Lernmaterial beobachtet werden sollen.<br />
Auch erfor<strong>der</strong>n nutzerbasierte Verfahren das Vorliegen eines zumindest in Teilen<br />
funktionsfähigen Prototypen, so dass sie im Entwicklungsprozess weniger gut<br />
unmittelbar zu Beginn eingesetzt werden können als expertenbasierte Verfahren.<br />
9<br />
Nielsen 1993.<br />
10<br />
Sweeney, Maguire & Shackel 1993.<br />
11<br />
Tergan 2001.<br />
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Heike Schaumburg<br />
5 Fünfte Frage: Wie soll evaluiert werden?<br />
Kommen wir zur letzten Frage nach <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong>. Hier steht ein<br />
breites Repertoire <strong>von</strong> Untersuchungsmethoden <strong>der</strong> empirischen Sozialwissenschaften<br />
zur Verfügung. Am häufigsten angewandt wird sicherlich die Befragung<br />
<strong>von</strong> Lernenden und Lehrenden. Bei Online-Lernangeboten wird diese häufig<br />
internetgestützt mithilfe <strong>von</strong> HTML-Formularen durchgeführt, wodurch <strong>der</strong><br />
Auswertungsaufwand reduziert werden kann. Befragungen sind geeignet, um<br />
die subjektiven Eindrücke <strong>der</strong> Teilnehmer/innen einer internetbasierten Bildungsmaßnahme<br />
zu erheben. Für die Erfassung objektiver Daten, z. B. des Lernerfolgs<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Nutzungshäufigkeit bestimmter Systemfunktionen empfiehlt<br />
sich jedoch die Kombination mit objektiveren Verfahren, z. B. Tests o<strong>der</strong> Logfile-<br />
Analysen. Auch sollte man sich darüber im Klaren sein, dass Befragungen durch<br />
Antworttendenzen verzerrt sein können, so z. B. durch sozial erwünschtes Antwortverhalten.<br />
Aus <strong>der</strong> Software-<strong>Evaluation</strong> übernommen werden kann das Verfahren des<br />
Nutzertests, bei dem vorab einige typische Aufgaben und Interaktionen mit dem<br />
System festgelegt werden und einige Testnutzer o<strong>der</strong> Testlerner bei <strong>der</strong>en Ausführung<br />
beobachtet werden. In einem Beobachtungslabor kann die Interaktion<br />
zusätzlich auf Video für die Analyse aufgezeichnet werden. Solche Nutzertests<br />
können interessante Einsichten in die Bedienungsfreundlichkeit des Systems<br />
geben und sind deshalb beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Entwicklungsphase sinnvoll. 12<br />
Ein weiteres Verfahren, das sich speziell für die <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong>-<br />
Angeboten eignet, ist die Analyse <strong>von</strong> System-Logfiles. 13<br />
Damit können echte<br />
Verhaltensdaten <strong>der</strong> Nutzer <strong>von</strong> diesen unbemerkt erhoben werden. Der Vorteil<br />
<strong>von</strong> Logfile-Analysen ist, dass die Interaktion <strong>der</strong> Nutzer mit dem System nicht<br />
durch eine künstliche Beobachtungssituation verzerrt wird. Allerdings ist es zur<br />
angemessenen Interpretation <strong>von</strong> System-Logfiles hilfreich, zusätzlich qualitative<br />
Daten zu erheben, indem die Nutzer z. B. in einem Interview o<strong>der</strong> Fragebogen<br />
gebeten werden, zu erläutern, warum und wann sie welche Systemfunktionen<br />
genutzt, bzw. nicht genutzt haben. Außerdem ist es unter versuchsethischen<br />
Gesichtspunkten erfor<strong>der</strong>lich, die Lernenden, bevor sie an einer E-<strong>Learning</strong>-<br />
Maßnahme teilnehmen, darüber aufzuklären, dass die Logfiles zu Forschungszwecken<br />
analysiert werden sollen.<br />
12<br />
Reeves & Hedberg 2003.<br />
13<br />
Z. B. Shuyler & Maddox 2002.<br />
82
<strong>Die</strong> <strong>fünf</strong> <strong>Ws</strong> <strong>der</strong> <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong><br />
Speziell auf die <strong>Evaluation</strong> <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong>-Angeboten zugeschnitten sind schließlich<br />
Kriterienkataloge, mit denen die Bildungsmaßnahme anhand allgemein gültiger<br />
Gütekriterien für gutes Instruktionsdesign bewertet wird. Solche Kataloge<br />
umfassen zumeist Dimensionen wie technische, fachliche und mediendidaktische<br />
Aspekte. Kriterienkataloge sind beliebt, weil sie als <strong>Evaluation</strong>swerkzeuge „<strong>von</strong> <strong>der</strong><br />
Stange“ kaum Entwicklungsaufwand bedeuten. Genau darin liegt jedoch auch ein<br />
entscheiden<strong>der</strong> Mangel: Sie lassen sich nur unzureichend auf die Beson<strong>der</strong>heiten<br />
<strong>der</strong> jeweils evaluierten Maßnahme anpassen. Oft treffen ganze Teile des Katalogs<br />
auf die vorliegende Maßnahme nicht zu, dafür werden an<strong>der</strong>e, eventuell entscheidende<br />
Gestaltungs- o<strong>der</strong> Durchführungsaspekte nicht durch den Kriterienkatalog<br />
abgefragt. Ein weiterer Kritikpunkt an Kriterienkatalogen ist ihre Unhandlichkeit,<br />
da im Bestreben, eine möglichst umfassende Beurteilung des Angebots zu<br />
ermöglichen, in einigen Katalogen Hun<strong>der</strong>te <strong>von</strong> Bewertungsaspekten zu beurteilen<br />
sind. Auch wird Kriterienkatalogen zum Teil Techniklastigkeit vorgeworfen. Es<br />
wird deshalb empfohlen, Kriterienkataloge ebenfalls nur in Verbindung mit an<strong>der</strong>en,<br />
nutzerorientierten Verfahren einzusetzen. 14<br />
6 Resümee<br />
Fassen wir zusammen: Der Gehalt einer <strong>Evaluation</strong> kann erheblich gesteigert<br />
werden, wenn sie<br />
• bereits früh im Entwicklungsprozess einsetzt, um Fehlentwicklungen<br />
vorzubeugen,<br />
• klare, an den Entwicklungszielen <strong>der</strong> Maßnahme orientierte Fragen<br />
stellt,<br />
• den Erfolg <strong>der</strong> betrachteten Maßnahme ganzheitlich auf verschiedenen<br />
Ebenen und in ihrem Kontext beurteilt,<br />
• verschiedene Perspektiven berücksichtigt: die <strong>von</strong> Entschei<strong>der</strong>n und<br />
Entwicklern, <strong>von</strong> Lehrenden und Lernenden, <strong>von</strong> direkt Beteiligten<br />
und externen Experten,<br />
• verschiedene Methoden miteinan<strong>der</strong> trianguliert.<br />
<strong>Evaluation</strong>en können so entscheidend zur Qualität <strong>von</strong> E-<strong>Learning</strong>-Maßnahmen<br />
beitragen. Doch müssen sich die Evaluatoren darüber im Klaren sind, dass ihr<br />
Erfolg <strong>von</strong> einem komplexen Bedingungsgefüge <strong>von</strong> Faktoren abhängt, die in<br />
einer gelungenen <strong>Evaluation</strong> angemessene Berücksichtigung finden müssen.<br />
14<br />
Vgl. zusammenfassende Diskussionen bei Fricke 2000 o<strong>der</strong> Tergan 2001.<br />
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