24.08.2013 Aufrufe

Vom Joch der Zeit

Vom Joch der Zeit

Vom Joch der Zeit

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Vom</strong> <strong>Joch</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong><br />

Die Lehre von den 4 Weltzeitaltern – Spuren <strong>der</strong> zyklischen <strong>Zeit</strong>,<br />

Rezeption, Schnittstellen, Geschichtsphilosophie<br />

Claus Dettelbacher<br />

© by Claus Dettelbacher (mail[at]ensatlantic.com)<br />

Wien, Mai 2004<br />

Erweiterte Version Wien, 2006<br />

Zweite erweiterte Version Wien, 2007


Inhalt<br />

EINLEITUNG – ÜBER DIE MÖGLICHKEIT VON GESCHICHTSPHILOSOPHIE 5<br />

ALLGEMEIN 5<br />

GESCHICHTSPHILOSOPHIE, WELTALTER UND ZYKLEN 6<br />

VORREDE ZUR WISSENSCHAFTLICHKEIT 11<br />

JULIUS EVOLA – POLITISCHE BRISANZ 12<br />

EUROPA - GRIECHISCH-RÖMISCHE ANTIKE UND MITTELALTER 15<br />

ZEITALTERLEHREN IN SÜDOSTASIEN 23<br />

INDIEN 23<br />

SRI YUKTESWAR GIRI 31<br />

GIGANTOMANIE IN BUDDHISMUS UND JAINISMUS 37<br />

PERSIEN UND DER WELTENBAUM 40<br />

CHINA – DIE HERRSCHAFT DES HIMMELSPOLS 42<br />

DIE NEUERSCHAFFUNG DER SONNE BEI DEN INDIANISCHEN VÖLKERN 46<br />

PRALAYA - RAGNARÖK 53<br />

KRISTALLISATION DER SYSTEME UND VERGLEICHE 60<br />

DAS GOLDENE ZEITALTER 60<br />

KALI YUGA - DAS DUNKLE ZEITALTER UND RENÉ GUÉNON 64<br />

2


SANDHYAS UND DAS FÜNFTE ELEMENT 71<br />

KASTEN UND STÄNDE 73<br />

EVOLA – GEFANGENSCHAFT UND KONSEQUENZ 76<br />

GEFANGENER DER ENDZEIT 76<br />

DER VERFALL 79<br />

APOLITEIA 80<br />

KULTUR – ZIVILISATION 83<br />

REZEPTION UND REFLEXION DER ZEITALTER LEHRE IN DER MODERNE 86<br />

SCHELLING, HEGEL, EXKURS UND STIRNER 86<br />

SPENGLERS SCHATTEN 89<br />

JASPERS ACHSE 92<br />

THEOSOPHIE 94<br />

ERKLÄRUNGSMODELLE UND WISSENSCHAFTLICHE THEORIEN 102<br />

ASTRONOMISCHE ERKLÄRUNGS-MODELLE FÜR DIE WELTALTERLEHRE 102<br />

VERSUCH EINER EINTEILUNG UNTERSCHIEDLICHER ANSÄTZE 104<br />

DIE PRÄZESSION DER ERDACHSE 108<br />

RELATIVE WELTEN 111<br />

WELTALTERSYSTEME UND QUANTENPHYSIK 114<br />

DIE BEDEUTUNG DER ZEITALTERLEHRE IN DER GEGENWART - ANPASSUNG<br />

DES GESCHICHTSVERSTÄNDNISSES 117<br />

SCHLUßBEMERKUNGEN 125<br />

3


BIBLIOGRAPHIE 126<br />

PRIMÄR 126<br />

SEKUNDÄR (ZU EVOLA) 126<br />

ZU ZEIT, ZYKLEN, ETC. 127<br />

4


Einleitung – Über die Möglichkeit von Geschichtsphilosophie<br />

Allgemein<br />

„Wer das Alter <strong>der</strong> Erde erfahren will, <strong>der</strong> schaue bei Sturm auf<br />

die See. Das Grau <strong>der</strong> ganzen Endlosigkeit, die Windfurchen auf<br />

dem Antlitz <strong>der</strong> Wogen, die großen, schwankenden, wild<br />

geschüttelten Gischtmassen, die wie verwirrte Greisenlocken<br />

fliegen, lassen die Sturmsee so altersgrau, stumpf, blind und<br />

glanzlos aussehen, als wäre sie noch vor <strong>der</strong> Schöpfung des<br />

Lichtes erschaffen worden.“<br />

5<br />

(Joseph Conrad: Der Spiegel <strong>der</strong> See)<br />

Im Folgenden werden wir die indischen Yugas (Satya- bis Kali-) mit den vier antiken<br />

Weltaltern o<strong>der</strong> Geschlechtern (goldenes bis eisernes) synonym gebrauchen, gehen also<br />

von einem Synkretismus bei<strong>der</strong> Lehren aus, und werden je nach Aspekt die einen o<strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Bezeichnungen verwenden, hauptsächlich jedoch die indischen wegen ihrer<br />

größeren Bedeutungsklarheit.<br />

Weltzeitalter wird <strong>der</strong> Kürze halber mit WZA abgekürzt, wo das Wort häufiger auftritt.<br />

Bibliographische Angaben in Fußnoten werden im Allgemeinen nur dann vollständig<br />

ausgeführt, wenn das betreffende Werk nicht in die allgemeine Bibliographie<br />

aufgenommen wurde.<br />

Generell unterteilt sich die Arbeit weiters in zwei - miteinan<strong>der</strong> aber verzahnte – Blöcke:<br />

Einen ersten Fakten sammelnden und darstellenden Teil und einen zweiten, <strong>der</strong> die Mythen<br />

und klassischen Theorien zu diesem Themenkreis einzuordnen und zu deuten versucht;<br />

auch Vergleiche zwischen den Systemen finden sich tendenziell weiter hinten. Kurzum,<br />

Spekulationen, Theorien und sekundäre Ansichten finden sich in <strong>der</strong> hinteren Hälfte, das<br />

Rohmaterial in <strong>der</strong> vorhergehenden.


Dieser Arbeit liegt meine Diplomarbeit für Philosophie zugrunde, die sich auf das selbe<br />

Thema stützte; allerdings war die Rezeption <strong>der</strong> Weltalterlehre in dieser vorigen Arbeit<br />

wesentlich stärker auf den Kulturphilosophen Julius Evola bezogen. Dieser hatte sich im<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>t – nach René Guenon - mit dieser Lehre beschäftigt und sie zum<br />

offensichtlichen Koordinatenkreuz seines Denkens gemacht wie kein an<strong>der</strong>er<br />

abendländischer Philosoph. Mit allen von Evola gezogenen Konsequenzen dargestellt ist<br />

die Weltalterlehre in seinem Buch Revolta contro il Mondo Mo<strong>der</strong>no 1 . Obwohl politisch<br />

und inhaltlich umstritten, wird ihm auch in dieser Arbeit eine prominente Rolle<br />

eingeräumt; dies nicht etwa wegen meiner ungeteilten Sympathie für seine Philosophien,<br />

son<strong>der</strong>n wegen seinem Wirkungsgrad bezüglich dieses Themas, <strong>der</strong> gerade heute – das<br />

zeigen die Verkaufszahlen seiner Schriften und die Anzahl <strong>der</strong> in Medien auftauchenden<br />

Neuübersetzungen – wie<strong>der</strong> im Steigen begriffen ist.<br />

Geschichtsphilosophie, Weltalter und Zyklen<br />

Absicht dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die wesentlichen Momente <strong>der</strong> Lehre<br />

von den vier Weltaltern zu geben, ihrem Auftreten in verschiedenen Kulturen; mögliche<br />

Verbindungspunkte in Mythen, Modellen und Theorien zu finden, die für Evola und seine<br />

Umgebung relevant waren, sowie Gemeinsamkeiten und Entwicklungen aufzuzeigen.<br />

Daran anschließend wird in groben Umrissen versucht, die Weltalterlehre in Evolas<br />

Revolte, sowie im <strong>Zeit</strong>geist des späten 19. und frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, als Instrument zur<br />

Kritik <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne nachzuvollziehen, wie auch <strong>der</strong>en Verwendung zur Konstruktion von<br />

‚Weltanschauungen‘.<br />

Es handelt sich hierbei nicht um ein kontinuierliches Fortschreiben <strong>der</strong><br />

kulturgeschichtlichen Begrifflichkeiten, wie sie von Voltaire bis Her<strong>der</strong> projektiert<br />

wurden; das Modell <strong>der</strong> Weltalter – beson<strong>der</strong>s, wie Evola es rezipiert und verwendet –<br />

1 Wenn nicht an<strong>der</strong>s angegeben, beziehen wir uns immer auf die (Engerda) 1997 vollständig neu ins<br />

Deutsche übersetzte, vom Verfasser vor seinem Tod zuletzt redigierte Ausgabe von (Rom) 1969; daher nur in<br />

Ausnahmefällen auf die in Rom erschienene Erstausgabe von 1934, o<strong>der</strong> die 1935 erschienene deutsche<br />

Erstausgabe.<br />

6


entspringt einer viel größeren und radikaleren Übersicht, die mit Toynbee und Spengler<br />

noch verwandt ist, aber im Wesentlichen im Osten fußt - in <strong>der</strong> Hinduistischen Kosmologie<br />

und den buddhistischen und mongolo-tibetischen Endzeitlehren.<br />

Die Möglichkeit eine Theorie <strong>der</strong> Weltzeitalter zu verfassen o<strong>der</strong> zu vertreten, mag uns<br />

heute entwe<strong>der</strong> titanisch, o<strong>der</strong> von vornherein unmöglich, zu komplex, unüberschaubar<br />

und in allen ihren Aspekten niemals fassbar erscheinen. Wir gestehen dies einem 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t zu, <strong>der</strong> letzten <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Universalgelehrten, einer (noch) in Europa zentrierten<br />

Welt. Im <strong>Zeit</strong>alter <strong>der</strong> Spezialisierung wirken Universalisten wie Spengler und Evola<br />

anachronistisch, und Geschichtsphilosophie als Weiterentwicklung <strong>der</strong> Kulturgeschichte<br />

deutscher Aufklärung und Romantik wurde zu einer esoterischen Randgruppe.<br />

Jedoch ist die (Welt-) Geschichte an sich keineswegs grundlegend vielfältiger geworden,<br />

obwohl eine fortschreitende Globalisierung diesen Eindruck hervorrufen könnte. Die Welt<br />

ist vernetzter als vor 500 Jahren und Spengler’sche Modelle, die von abgeschottet sich<br />

entwickelnden Kulturen ausgehen, haben ihre Gültigkeit verloren. Es sind die Gewichte,<br />

die sich verschoben und vor allem konzentriert haben. Die Möglichkeit an sich, eine<br />

Weltgeschichte zu beschreiben o<strong>der</strong> zu entwerfen, ist unverän<strong>der</strong>t phantastisch.<br />

Man kann die uns so unfassbar groß erscheinende Geschichte <strong>der</strong> Erde und <strong>der</strong> Menschheit<br />

mit dem Studium jedes an<strong>der</strong>en beliebigen Organismus vergleichen. Das Studium eines<br />

menschlichen Organismus durch die Medizin hinkt in seiner Komplexität dem Studium <strong>der</strong><br />

(Welt-) Geschichte nicht hinterher und operiert ebenso an <strong>der</strong> Grenze zum Chaotischen.<br />

Die Fehleranfälligkeit einer inneren Medizin kann durch eine mathematisch definierte<br />

Anzahl von beteiligten Atomen, Molekülen und energetischen Einflüssen nicht wesentlich<br />

geringer sein, als beim Studium <strong>der</strong> Erde, des „Organismus Menschheit“ und ihrer Zyklen.<br />

In beiden Fällen ist die Grenze zum Chaos schon weit überschritten, beziehungsweise die<br />

Grenze von mechanischen Systemen zum Organismus.<br />

Einen Organismus erfassen und bewerten kann aber nur ein ebensolcher; Analogieschlüsse<br />

können nicht von Computern gezogen werden, sind nicht formalisierbar und<br />

schematisierbar. Die Geschichtsphilosophie arbeitet in erster Linie mit Analogien.<br />

Analogien sind an Lebendiges gebunden. Geschichte, <strong>der</strong> Planet Erde, <strong>der</strong> ‚Organismus<br />

Menschheit‘ müssen als lebendige Wesen aufgefaßt und (analog) bewertet werden.<br />

7


Asklepius sagt, daß „alles bei seiner Bewegung von ganz unten nach ganz oben<br />

miteinan<strong>der</strong> verbunden“ sei und „sich aufeinan<strong>der</strong> beziehe“ 2 . Spengler möchte <strong>der</strong> Form<br />

nach trennen, nicht nach <strong>der</strong> Substanz, „... mit vollster Schärfe den organischen vom<br />

mechanischen Welteindruck, den Inbegriff <strong>der</strong> Gestalten von dem <strong>der</strong> Gesetze, das Bild<br />

und Symbol von <strong>der</strong> Formel und dem System“ 3 . Spengler faßt gesellschaftliche Tatsachen<br />

als Symbole auf und verleiht ihnen metaphysischen Charakter um sie einer neuen Kunst<br />

<strong>der</strong> historischen Betrachtung zu unterziehen. Hier ist Evola eindeutig sein Schüler, indem<br />

seine Gedanken von einer heute seltenen Vertikalität durchzogen sind und er alle Empirie<br />

in den Dienst einer „lebendigen Metaphysik“ verweist.<br />

Wenn Spengler schreibt, daß die Mathematik und das Kausalitätsprinzip zu einer<br />

naturhaften, die Chronologie und die Schicksalsidee zu einer historischen Ordnung <strong>der</strong><br />

Erscheinungen führen 4 , dann impliziert das räumliche, kausale Modell ein lineares<br />

Geschichtsverständnis (am ehesten noch) - die Schicksalsidee und die Vergleichbarkeit<br />

(das heißt: Analogieschlüssen unterziehbar) for<strong>der</strong>t ein eher zyklisches<br />

Geschichtsverständnis.<br />

‚Eher‘ meint hier die Betonung und ist nicht ausschließend zu verstehen, insofern als eine<br />

Überlagerung bei<strong>der</strong> Geschichtsbil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Form einer Spirale o<strong>der</strong> Helix denkbar sind.<br />

In dieser gibt es sowohl die lineare Bewegung nach oben/unten o<strong>der</strong> innen/außen wie auch<br />

die kreisförmige Wie<strong>der</strong>kehr, wenn auch verschoben auf einer an<strong>der</strong>en Ebene.<br />

Jede Geschichtsphilosophie scheint (heute) leichter behauptbar o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legbar als alle<br />

an<strong>der</strong>e Wissenschaft. Es hat den Anschein, als gäbe es nichts Willkürlicheres als dem<br />

chaotischen Taumel <strong>der</strong> Menschen, Völker und Staaten ein System überstülpen zu wollen.<br />

Die Meinung herrscht vor, Geschichte sei auf Historiker beschränkt, die sich wie<strong>der</strong>um auf<br />

das Beschreiben von Ereignissen begrenzen sollten, allerhöchstens ab und zu bestimmte<br />

Figuren und Geschehnisse nebeneinan<strong>der</strong> stellen dürfen um <strong>der</strong> kurzweiligen Unterhaltung<br />

2 Holzhausen, Jens: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Bd. I (CH I); Friedrich Frommann Verlag, Stuttgart-<br />

Bad Cannstatt 1997, Ascl. 19<br />

3 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlands – Umrisse einer Morphologie <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />

Braumüller, Wien 1918, p. 7<br />

4 Spengler. p. 10<br />

8


Sinn unterzuschieben; <strong>der</strong> Sinn von geschichtlichen Prozessen o<strong>der</strong> allgemeinere Muster in<br />

diesen werden abseits von Alltags-Psychologien gemieden, sind unpopulär. Zudem ist eine<br />

Tendenz zu beobachten, Geschichte nur mehr als jüngere und jüngste o<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>geschichte<br />

zu verstehen und zu betreiben. Dies hängt nur teilweise mit <strong>der</strong> Zunahme <strong>der</strong><br />

Aufzeichnungs- und Erfassungsdichte zusammen. Die Größe und Tragweite <strong>der</strong> Aufgabe<br />

Geschichtsphilosophie zu betreiben schreckt gleichzeitig ab; durch die heutige Nähe zu<br />

den Ereignissen auf <strong>der</strong> ganzen Welt, wie durch Subjektivität in <strong>Zeit</strong>en des<br />

Objektivierungsdrucks einer wissenschaftsdominierten Welt. An<strong>der</strong>e ‚große‘ Dinge, wie<br />

Galaxien o<strong>der</strong> Sternhaufen erscheinen um vieles leichter objektivierbar und faßbar als das<br />

Nächstliegen<strong>der</strong>e und vielleicht Wichtigere. Deshalb sollte man wohl wegen dieser<br />

gefährlichen Nähe <strong>der</strong> Geschichte viel vorsichtiger mit Absolutismen sein, als in je<strong>der</strong><br />

Naturwissenschaft; und wenn man etwas als „fest“ darstellt, es zumindest nicht absolut<br />

„meinen“. Asclepius: „Wo etwas in <strong>der</strong> Dimension <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en erkannt wird, dort gibt es<br />

Täuschungen. Wo etwas entsteht, dort erlebt man Irrtümer.“ 5<br />

Das gleiche gilt für den umgekehrten Prozess des Rezipierens. Die inzwischen etablierten<br />

Lehren <strong>der</strong> Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik haben schon viel zur Relativierung<br />

auch <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft beigetragen, gehen aber letztendlich am Lebendigen<br />

vorbei, indem sie den ‚Organismus‘ wie<strong>der</strong> auf Zahlen zu reduzieren versuchen. Trotzdem<br />

kommt dem Relativismus in <strong>der</strong> Geschichtsphilosophie eine große Rolle zu, wenn es<br />

(Evola) darum geht, nicht das zyklische Weltbild als einzig geltendes einzuführen, son<strong>der</strong>n<br />

es als Korrektur des jetzigen Geschichtsverständnis zu verwenden und zu überblenden. Der<br />

oben genannte Relativismus darf jedoch nicht über die gravierende An<strong>der</strong>sartigkeit des<br />

zyklischen Geschichtsmodells hinwegtäuschen, das Kultur und Zivilisation nicht primär als<br />

Entwicklungsergebnis, son<strong>der</strong>n vielmehr als Erbe ansieht. Von dieser Vorstellung kann mit<br />

Recht behauptet werden, daß sie den heutigen Historikern, Paläontologen, etc. fremd ist.<br />

Asklepius: „Von all diesen Gattungen haben die beseelten Lebewesen Wurzeln, die von<br />

oben nach unten herab kommen, die <strong>der</strong> unbeseelten aber wachsen aus natürlicher Wurzel<br />

von unten nach oben.“ 6<br />

5 CH I; Ascl. 32<br />

6 CH I; Ascl. 6<br />

9


Neben dem Bewußtmachen des Zyklischen in <strong>der</strong> Kulturgeschichte geht es vor allem um<br />

die Problematik des dunklen <strong>Zeit</strong>alters (Kali Yuga), dessen Konzept einige Wi<strong>der</strong>sprüche<br />

birgt. <strong>Zeit</strong> ist in <strong>der</strong> mythologischen Sichtweise meist untrennbar mit Qualität 7 verbunden,<br />

im Gegensatz zur technisch-anonymen und neutralen <strong>Zeit</strong> unserer Vorstellungswelt.<br />

Das System <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter erscheint im Grunde aus dem Yin-Yang Prinzip abgeleitet, in<br />

seiner ersten Struktur so simpel - wenn auch in seiner Wirkung, wie in den vielen Neben-<br />

und Unterzyklen kompliziert – daß es nicht verwun<strong>der</strong>t, wenn im Altertum das Thema<br />

zwar angeschnitten wurde, es aber niemals wesentlich zum Thema von Kommentaren o<strong>der</strong><br />

Ausarbeitungen wurde. Das Bild von den <strong>Zeit</strong>altern war integriert. Auch wollte man<br />

später, auf das Kali Yuga zugehend, den Nie<strong>der</strong>gang nicht durch Gedanken und Worte<br />

zusätzlich evozieren. Eine Grundweisheit <strong>der</strong> Philologie lautet – o<strong>der</strong> sollte lauten – was<br />

allen bekannt ist, über den Alltag, darüber spricht und schreibt man nicht o<strong>der</strong> nur wenig.<br />

In Folge dessen liest man über dieses ehemals allen Bekannte auch nicht, o<strong>der</strong> wenig. Das<br />

Thema <strong>der</strong> Weltzeitalter unterliegt einer Kategorie <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>lichkeit, die <strong>Zeit</strong>lichkeit<br />

wie<strong>der</strong>um ist ein Attribut des Kali Yuga. Somit ist es naheliegend, daß letzteres mehr<br />

Gewicht auf eine Beschäftigung mit diesem Thema von den vier Weltzeitalter legt, als das<br />

im Sein verankerte Satya Yuga und eine Ausarbeitung auch erst in diesem vollzogen wird.<br />

Die mo<strong>der</strong>nen Theosophen hingegen vertreten eine genau entgegengesetzte Idee; daß<br />

nämlich die Lehre von den Zyklen, ebenso wie die von den Zahlen, Teil <strong>der</strong> priesterlichen<br />

Mysterien <strong>der</strong> alten Kulturen war, und damit nur Teil <strong>der</strong> mündlichen Tradition. Erst mit<br />

dem Auftauchen <strong>der</strong> apokalyptischen Ideen wird die Lehre von den Weltzeitaltern in<br />

gewisser Weise wie<strong>der</strong> aufgenommen.<br />

Ein grundsätzliches Problem scheint in <strong>der</strong> Vermischung <strong>der</strong> mit den <strong>Zeit</strong>zyklen<br />

verbundenen Begriffe zu liegen. So scheinen in den indischen Zyklenlehren die Begriffe<br />

Yuga und Manvantara jeweils mehr als nur eine Art von Runde zu bezeichnen.<br />

Offensichtlich kommt es bei dieser Terminologie mehr auf die Verhältnisse <strong>der</strong> Zyklen<br />

7 Mit ‚Qualität‘ sind z.B. Kategorien wie gut/schlecht (/böse), oben/unten o<strong>der</strong> schnell fließend/langsam<br />

fließend gemeint.<br />

10


untereinan<strong>der</strong> an. Außerdem sind <strong>der</strong> Mensch und seine <strong>Zeit</strong>begriffe auch nicht immer das<br />

Hauptmaß mit dem gemessen wird und es ist nicht immer eindeutig, ob nun „Menschen-„<br />

o<strong>der</strong> „Götterjahre“ gemeint sind.<br />

Für zusätzliche Verwirrung sorgt obendrein noch <strong>der</strong> Umstand, daß viele Schriften über<br />

die <strong>Zeit</strong>alter im Kali Yuga verfaßt o<strong>der</strong> zumindest nie<strong>der</strong>geschrieben und überliefert<br />

worden sind. Über diese Tatsache, daß wir gegenwärtig nicht im Satya o<strong>der</strong> Trita Yuga<br />

leben, scheinen sich alle Texte verhältnismäßig einig zu sein. Nur beißt sich die Katze in<br />

den eigenen Schwanz, wenn es so ist, daß die Hauptattribute des Kali Yuga in Chaos und<br />

(geistiger) Verwirrung bestehen. Wie kann eine glaubwürdige Aussage über Dauer <strong>der</strong><br />

Zyklen, ihre Grenzen o<strong>der</strong> auch nur ihre Attribute gemacht werden, in einer <strong>Zeit</strong>, die alle<br />

Erkenntnis höherer Dinge schlicht durch ihre <strong>Zeit</strong>qualität - wovon diese auch immer<br />

abhängig sei - unmöglich macht?<br />

Vorrede zur Wissenschaftlichkeit<br />

Bewusst wird auch das Risiko eingegangen, Theorien und Annäherungen an die WZA<br />

einzubeziehen, die <strong>der</strong> orthodoxen Wissenschaft suspekt erscheinen werden; deshalb, da<br />

die Lehre von den WZA schon an sich ein kaum einer speziellen Wissenschaft eindeutig<br />

zuordenbares Exoticum darstellt – we<strong>der</strong> einer klassischen abendländischen Philosophie,<br />

noch <strong>der</strong> Ethnologie o<strong>der</strong> gar Geschichtswissenschaft. Weiters liegt es daran, dass man die<br />

WZA-Lehre als Theorienkomplex verstehen muß, <strong>der</strong> noch nicht völlig von <strong>der</strong><br />

‚Traumwelt’ <strong>der</strong> mythischen <strong>Zeit</strong>en 8 getrennt werden kann. Es bestehen noch nicht die<br />

Werkzeuge und Konditionen um sie in einer von hohlem Rationalismus und Materialismus<br />

geprägten Welt am Leben zu erhalten. Möglicherweise kann dieser Theoriencluster noch in<br />

8 Dabei habe ich Jaspers geschichtliche Definition <strong>der</strong> Welt vor <strong>der</strong> „Achsenzeit“ o<strong>der</strong> die „Traumzeit“ <strong>der</strong><br />

australischen Aborigines im Sinn. Letzterer Begriff wird oft mit „die <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Schöpfung“, „<strong>Zeit</strong> vor <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>“<br />

o<strong>der</strong> „<strong>Zeit</strong> außerhalb <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>“ [sic!] übersetzt – und weist damit auf ein Zen-Koan artiges Konstrukt hin, das<br />

auf den ersten Blick in argem Wi<strong>der</strong>spruch mit mo<strong>der</strong>nem abendländischen <strong>Zeit</strong>- und Geschichtsverständnis<br />

stehen muß, bzw. nicht in dieses übersetzbar zu sein den Anschein hat. Die Traumzeit wird etwa so<br />

‚behandelt’, als wäre sie das, was wir unter ferner Vergangenheit verstehen; jedoch ergibt sich ein<br />

zusätzlicher Bruch, eine „Achse“, wodurch diese sich nicht in Übereinstimmung und Harmonie mit<br />

westlichen Vorstellungen <strong>der</strong> Ur- und Frühgeschichte bringen lässt.<br />

11


einem Zwischenstadium bestehen, ähnlich <strong>der</strong> Alchemie im Übergang zur mo<strong>der</strong>nen<br />

Chemie. Der Theoriencluster über die WZA-Lehre ist gespickt mit Ad-Hoc-Hypothesen.<br />

Beson<strong>der</strong>s das Verständnis von <strong>Zeit</strong> und Gravitation, sowie ihre Auswirkungen auf die<br />

Psychen und Seelen sind noch zu unterentwickelt, um den Versuch wagen zu können, sie<br />

abgegrenzt, klar und eindeutig darzustellen. So muss diese Arbeit notgedrungen eine<br />

vorläufige Sammlung von Ansätzen zu dem Thema <strong>der</strong> WZA bleiben, sowie ein Versuch,<br />

diese zu glie<strong>der</strong>n und miteinan<strong>der</strong> in Beziehung zu setzen. Dabei halte ich mich an<br />

Feyerabend 9 und schrecke nicht davor zurück, eine kritische Bereicherung durch angeblich<br />

überholte Weltbil<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> die Ansichten „komischer Käuze“ 10 zuzulassen.<br />

Julius Evola – politische Brisanz<br />

Die politische Brisanz Julius Evolas ist nach wie vor ungebrochen, seine Popularität<br />

wächst seit den Studentenrevolten in den 60-er Jahren kontinuierlich. Wir möchten in<br />

dieser Schrift grundsätzlich nicht auf seine Verstrickung in den europäischen Faschismus<br />

eingehen – dies würde den Rahmen sprengen. Er hat – vor, wie nach <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des<br />

europäischen Faschismus - wie kaum ein an<strong>der</strong>er sein Denken und seine Weltanschauung<br />

einer ständigen Wandlung unterzogen; ansatzweise versuchte er die negativen Seiten des<br />

Faschismus und Nazismus nach dem zweiten Weltkrieg zu erkennen und zu korrigieren,<br />

ohne sich jedoch scharf von <strong>der</strong> Vergangenheit zu distanzieren. Seit dem Heraufkommen<br />

9 Paul Feyerabend, Enfant terrible <strong>der</strong> Wissenschaftstheorie: siehe Bibliographie!<br />

10 Paul Feyerabend in Wi<strong>der</strong> den Methodenzwang p 55f: „Ein Wissenschaftler, <strong>der</strong> an hohem empiristischem<br />

Gehalt interessiert ist und <strong>der</strong> möglichst viele Seiten seiner Theorie verstehen möchte, wird sich also eine<br />

pluralistische Methodologie zu eigen machen, er wird Theorien mit an<strong>der</strong>en Theorien statt mit <strong>der</strong><br />

«Erfahrung», «Daten» o<strong>der</strong> «Tatsachen» vergleichen und er wird versuchen, Auffassungen, die im<br />

Wettbewerb zu unterliegen scheinen, zu verbessern, statt sie fallenzulassen. Denn die Alternativen, die er zur<br />

Aufrechterhaltung des Wettstreites braucht, können ebenso gut <strong>der</strong> Vergangenheit entnommen werden. Man<br />

kann sie aufgreifen, wo immer man sie findet, sei dies nun in <strong>der</strong> antiken Mythologie, in mo<strong>der</strong>nen<br />

Vorurteilen, in den Elaboraten von Fachleuten o<strong>der</strong> den Fantasien komischer Käuze. Die gesamte Geschichte<br />

einer Disziplin wird herangezogen, um ihren neuesten und «fortgeschrittensten» Entwicklungsstand zu<br />

verbessern.“<br />

12


<strong>der</strong> Faschisten in Italien galt er als <strong>der</strong>en größter Kritiker und machte sich einige Feinde<br />

unter ihnen, vor denen ihn oft nur die gute Bekanntschaft mit Mussolini retten konnte.<br />

Desgleichen kritisierte er u. a. den „biologistischen Rassismus“ <strong>der</strong> Nationalsozialisten;<br />

Nichtsdestotrotz ist es eindeutig klar, daß er mit beiden Bewegungen sympathisierte, sie als<br />

‚Chance‘ betrachtete und nach eigenen Ideen und Vorstellungen zu beeinflussen suchte.<br />

Die Beschäftigung mit Evola ist nicht primär wegen <strong>der</strong> Person o<strong>der</strong> Biographie Evolas<br />

vonnöten, son<strong>der</strong>n deswegen, weil er nach Réne Guénon einer <strong>der</strong> wenigen Denker des<br />

westlichen Kulturkreises ist, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Lehre von den vier Weltzeitaltern beschäftigt<br />

hat, diese ernst nahm und in eine Relation zum westlichen Geschichtsbild und westlicher<br />

Weltanschauung zu setzen versuchte. Die indische Lehre von den vier Weltzeitaltern<br />

gehört, seit <strong>der</strong> schrittweisen Übersetzung altindischer Texte in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des britischen<br />

Kolonialismus und danach, einerseits zu den in unserem Sinne klarsten denkerischen<br />

Ausführungen, ist am wenigsten mythologisch, beziehungsweise erscheint nicht unter einer<br />

so komplizierten symbolischen Verpackung, wie viele an<strong>der</strong>e ältere Texte Südostasiens.<br />

An<strong>der</strong>erseits stoßen diese indischen Texte über die vier Weltzeitalter ab. Gerade wegen <strong>der</strong><br />

für unsere Dialektik großen Klarheit <strong>der</strong> Aussage wird <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zum westlichen<br />

Geschichts- und Kulturverständnis so deutlich. Das Thema ist nicht wissenschaftlich<br />

unglaubwürdig o<strong>der</strong> irrelevant, son<strong>der</strong>n birgt einige Risiken. Es anzugehen und zu<br />

bearbeiten würde für die Meisten zu viel in Frage stellen. Somit ist dieses Thema<br />

letztendlich doch wie<strong>der</strong> auch ein auf allen Ebenen politisches.<br />

Im Allgemeinen möchte ich nicht auf die Rezeption Evolas eingehen, die beson<strong>der</strong>s nach<br />

dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dann auch 1967 nach den ersten Studentenunruhen<br />

in Rom etc. ungeheuer vielgestaltig ist. Erschwerend kommt hinzu, daß die Beschäftigung<br />

mit Evola vor allem in politischen Gruppierungen geschieht. Vor 1967 hauptsächlich in<br />

kleinem Kreis in rechten und rechtsextremen Lagern, nach 1967 auch, und in größerem<br />

Umfang, in linken Gruppierungen. Selten bis gar nicht findet eine Auseinan<strong>der</strong>setzung im<br />

wissenschaftlichen Bereich statt, was möglicherweise zum Teil damit zusammenhängt, daß<br />

Evola schon zu Lebzeiten nicht wirklich in eine universitäre Welt eingebunden war und<br />

den Nimbus eines außenstehenden Privatgelehrten pflegte, zum an<strong>der</strong>en, seine Lehren sich<br />

nur schwer mit einem in <strong>der</strong> politischen Mitte liegenden Establishment vertragen.<br />

13


Europa - griechisch-römische Antike und Mittelalter<br />

15<br />

„Betrachte mit Verständnis das Abwesende als genauso<br />

zuverlässig anwesend: Denn nicht wird das Verständnis<br />

das Seiende vom Seienden abschneiden ...“<br />

(Parmenides)<br />

Die Vergangenheit des Mythos legt den Schwerpunkt auf das Statische. Wenn etwa<br />

Sokrates vom Überhandnehmen <strong>der</strong> Meinungen (δοξα) spricht, die, von den Sophisten<br />

eingeführt, die Wahrheit verdrängen, wird ein Prozess <strong>der</strong> Wandlung sichtbar. Für<br />

Parmenides war das Seiende noch <strong>der</strong> Hauptbegriff seiner Philosophie, als er etwa sagt,<br />

daß „das Erkennbare [von] an<strong>der</strong>er Art ist [als das Meinbare]; es ist nämlich aus einem<br />

Glied und unbeweglich und nicht entstanden ... mit sich selbst identisch und bleibend im<br />

Sein“ 11 . So läßt er im Proömium die Dike zu ihm sagen, es sei „göttliche Fügung und<br />

Recht“ 12 , daß er alles erfahre; „ ... das unerschütterliche Herz <strong>der</strong> wirklich überzeugenden<br />

Wahrheit ...“ 13 .<br />

Diesem „unerschütterlichen Herz“ gegenübergestellt werden die „... Meinungen <strong>der</strong><br />

Sterblichen, denen keine wahre Verläßlichkeit innewohnt“ 14 und die zunehmend die Statik<br />

<strong>der</strong> alten Welt erschüttern. Neben <strong>der</strong> Ruhe ist auch die Nähe zu den Göttern ein Attribut<br />

<strong>der</strong> frühen Geschlechter 15 , welche so weit geht, daß „... die ersten Geschlechter, die ersten<br />

Schöpfungen <strong>der</strong> Götter zu einer Verwandtschaft mit göttlichen Wesen erhoben werden<br />

konnten“. Und umgekehrt wandeln auch die Götter 16 noch auf <strong>der</strong> Erde, „... <strong>der</strong> sterblichen<br />

11 Mansfeld, Jaap: Die Vorsokratiker - griechisch/deutsch. Phillip Reclam jun., Stuttgart 1983. Parm. 3 –<br />

Plutarch zitiert Parmenides.<br />

12 Mansfeld: Parm. 4 – Sextus Empiricus zitiert Parmenides.<br />

13 Ebenda.<br />

14 Ebenda.<br />

15 „ ... den seligen Göttern befreundet.“; (Hesiod: Erga. 120).<br />

16 Hier steht „δαιµονες“. nach Roth u. a.sind die Bezeichnungen für Götter und Dämonen in früherer <strong>Zeit</strong> oft<br />

austauschbar (Roth: Abhandlung über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern ... p. 15)


Menschen Behüter; diese belauschen das Tun des Gerechten, sowie die Gewalttat,<br />

während, in bergende Luft sie gehüllt, durchschreiten die Lande ...“ 17<br />

Wenn Hesiod die Geschlechter <strong>der</strong> Weltalter auf die gesamte Erde bezieht, denkt man<br />

wohl an seine <strong>der</strong> griechischen Sphäre damals bekannte Welt. Es muß aber nicht<br />

notwendigerweise so sein, daß diese Welt (<strong>der</strong> hesiod‘schen Geschlechter) auf den<br />

Mittelmeerraum und Kleinasien beschränkt war. Arbeiten, wie die de Santillanas/von<br />

Dechends erhärten zunehmend die Möglichkeit einer archetypischen globalen Gesellschaft<br />

und untergraben alte Theorien vom „Kulturexport“, die davon ausgehen, eine Hochkultur<br />

(z.B. die Griechen, die Ur-Indoeuropäer, etc.) hätte auf die umgebende Welt ausgestrahlt;<br />

so läßt sich vielleicht gerade noch die Verbreitung bestimmter Muster und Formen im<br />

Raum <strong>der</strong> indoeuropäischen Völker verteidigen – schwieriger aber etwa das Auftreten des<br />

„Weltenbaums“ auch auf völlig durch das Meer getrennten Kontinenten. Daher sollte man<br />

die Vorstellung, daß die „Erde“ <strong>der</strong> hesiod’schen Geschlechter auch annähernd das sein<br />

könnte, was wir unter ‚Erde‘ verstehen, nicht völlig von sich weisen. 18<br />

Was Hesiod sich nach dem Ablauf des „eiserne 19 Geschlechts“ erwartet, geht nur indirekt<br />

hervor. Anscheinend aber hofft er auf Besserung, wenn er ausruft: „Hätte doch ich nicht<br />

länger zu leben im fünften Geschlecht [im eisernen]! Wär‘ ich eher gestorben nur, o<strong>der</strong><br />

auch später geboren!“ 20<br />

Bei Hesiod ist die Stufenfolge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter noch nicht so eindeutig kristallisiert wie bei<br />

späteren antiken Dichtern. Beson<strong>der</strong>s auffällig ist <strong>der</strong> Gegensatz zwischen dem ersten und<br />

17 Ebenda.<br />

18 Beispiele für eine vorkolumbianische globale Kartographie finden sich u.a. bei Hapgood, Charles H.: Maps<br />

of the Ancient Sea Kings. 1966 (Adventures Unlimited Press, Kempton/Illinois 1996).<br />

19 Wohl ist das Eisen bei weitem nicht das schwerste chemische Element, doch bemerkenswerterweise <strong>der</strong><br />

Eisenkern <strong>der</strong> stabilste mögliche. Fusionieren Sterne beispielsweise von Wasserstoff zu Helium und weiter<br />

zu immer dichteren Kernen, so steht das Element Eisen am Ende dieser Fusionskette und representiert somit<br />

das dichteste Stadium. Darüber hinaus besteht <strong>der</strong> Kern unseres Planeten nach heutigem Stand <strong>der</strong><br />

Wissenschaft ebenfalls aus Eisen.<br />

20 Erga 175; aus <strong>der</strong> Übers. von Roth, Rudolph: Abhandlung über den Mythus von den fünf<br />

Menschengeschlechtern ...<br />

16


dem zweiten Geschlecht; Evola bringt hier die wechselnde Polarität <strong>der</strong> Weltalter ins Spiel,<br />

die eine teilweise Erklärung bieten kann, indem er nämlich die quantitative Schwankung<br />

<strong>der</strong> ‚Vollkommenheit‘ als qualitative deutet und ein männliches <strong>Zeit</strong>alter durch ein<br />

weibliches abgelöst sein läßt. Er - zu sehr von Weininger, Michelstaedter, etc. beeinflußt -<br />

deutet dies aber dahingehend auch quantitativ, indem er dem weiblichen Geschlecht einen<br />

geringeren Wert beimißt. Die Einteilung in abwechselnd männliche und weibliche <strong>Zeit</strong>alter<br />

macht auch wertfrei Sinn, wenn es bei Hesiod über die Muttersöhnchen des zweiten<br />

Geschlechts heißt:<br />

„Ein ganz Jahrhun<strong>der</strong>t hindurch bei <strong>der</strong> sorgenden Mutter<br />

wuchs voll kindischer Lust, unmündig, <strong>der</strong> Knabe im Haus auf.<br />

Aber sobald er erstarkt und <strong>der</strong> Mannheit Reife gewonnen,<br />

Lebt' er nur noch wenige <strong>Zeit</strong>, von Leiden umgeben“ 21<br />

Weiters ist das vierte Yuga naturgemäß weiblich, weil es nach <strong>der</strong> archetypisch<br />

weiblichsten indischen Gottheit (Kali/Durga) benannt ist. Spekulieren könnte man noch<br />

über den sonnenähnlichen (maskulinen) Glanz von Gold und Bronze 22 , welche die <strong>Zeit</strong>alter<br />

eins und drei symbolisieren, sowie über den (passiven, weiblichen) Mondglanz des Silbers<br />

und des Eisen, die wie<strong>der</strong>um für das zweite und vierte Weltalter stehen; weiters über die<br />

nach kabbalistischer, alchemistischer und generell magischer Auffassung herrschende<br />

Verbindung <strong>der</strong> ungeraden Zahlen mit dem männlichen Geschlecht und <strong>der</strong> geraden mit<br />

dem weiblichen. All das erwähnt Evola nicht direkt, man kann aber schließen, daß <strong>der</strong>lei<br />

Zuordnungen ihm nicht fremd gewesen sind.<br />

Das vierte hesiod‘sche Geschlecht, die „Heroen“, wirken eingeschoben; ihnen wird auch<br />

keine Verknüpfung mit einem Metall angedichtet und sie unterbrechen den „Gedanken <strong>der</strong><br />

21 Erga. 130<br />

22 „ehern“: <strong>der</strong> Duden gibt als erste Bedeutung „bronzen“ an, dann im übertragenen Sinn „hart“, „ewig<br />

während“; auch „Kupfer“ fällt in die Etymologie und das lat. Wort „Aera“! (Günther Drosdowski [u. a.]:<br />

Duden – Das Herkunftswörterbuch, Etymologie <strong>der</strong> deutschen Sprache. Bd. 7; 2. Aufl.,<br />

Mannheim/Wien/Zürich 1989.)<br />

17


fortschreitenden Verschlechterung“ 23 . Uns erinnert das Schwanken zwischen vier und fünf<br />

Geschlechtern in <strong>der</strong> Antike auch an die Diskrepanz zwischen den vier Weltzeitaltern <strong>der</strong><br />

Maya und den fünf <strong>der</strong> Azteken 24 . Auch Reitzenstein äußert sein Unbehagen über Hesiods<br />

Geschlechterlehre 25 , findet sie in sich unschlüssig, als hätte jemand etwas schlecht<br />

abgeschrieben ohne zu verstehen; Hesiod scheint sich etwa über die Bedeutung <strong>der</strong> Metalle<br />

nicht klar zu sein, wenn er den Heroen kein Metall zuordnet; im ehernen <strong>Zeit</strong>alter die<br />

Waffen, Geräte und gar Häuser aus Bronze (ehern) sein läßt, aber die Bedeutung des<br />

Goldes und Silbers für die ersten Geschlechter unterschwellig auf einer an<strong>der</strong>en,<br />

metaphorischen Ebene anlegt. Reitzenstein kritisiert, daß Hesiod etwas Eigenes wohl nur<br />

über das Heroenzeitalter und das eiserne (in dem er sich selbst ansiedelte) zu sagen hatte<br />

und sein Horizont nicht wesentlich in den Mythos <strong>der</strong> davorliegenden Weltalter<br />

einzudringen vermochte; sichtbar wird das an <strong>der</strong> „inhaltsleeren“ und „grotesken“<br />

Schil<strong>der</strong>ung des silbernen und ehernen <strong>Zeit</strong>alters, in denen Worthülsen dominieren,und die<br />

ganze Hilflosigkeit Hesiods (diese mit Vorstellung zu füllen) gegenüber dem mythischen<br />

‚Erbe‘ offen da steht. Diese Beurteilung <strong>der</strong> Griechen deckt sich mit den Worten des<br />

ägyptischen Priesters im Timaios, <strong>der</strong> die Griechen als junges Volk bezeichnet, ohne<br />

historischen Horizont. 26<br />

Als Hesiod nahestehend zieht Reitzenstein einen orphischen Text heran, in welchem den<br />

vier Weltaltern in absteigen<strong>der</strong> Folge die Götter Saturn, Jupiter, Neptun und Pluto als<br />

oberste Herrscher zugewiesen werden. Die Herrschaft Neptuns als ersten Gott des dritten<br />

(bronzenen) <strong>Zeit</strong>alters läßt hier möglicherweise eine interessante Schnittstelle zu Platons<br />

Atlantismythos auftauchen 27 . Die Erwähnung des Abbaus von „Goldkupfererz“ 28 , seinem<br />

23 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus... p. 64<br />

24 Letztere werden im allgemeinen als Erben von Astronomie und Kalen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Maya gesehen.<br />

25 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus... p. 58ff<br />

26 Tim. 22c<br />

27 Platon: Kritias. – Atlantis stand unter <strong>der</strong> Oberherrschaft Poseidons (Neptuns); da die ungeheure<br />

Ausdehnung und Macht <strong>der</strong> Atlantischen Königreiche bezeugt wird, kann es durchaus pars pro toto für die<br />

ganze Welt stehen.<br />

28 „(ορει−) χαλχος“ ... (Bergerz) Erz; insb. Kupfer, Bronze (Menge-Güthling: Griechisch-Deutsch. Berlin<br />

[1913] 1959); „orichalcum“ ... Messing (Stowasser: Lateinisch-Deutsch. München 1979)<br />

18


hohen Wert nach dem Gold, sowie die eherne Einfassung <strong>der</strong> äußeren Mauer <strong>der</strong><br />

Hauptstadt <strong>der</strong> atlantischen Reiche, bilden ein weiteres Indiz.<br />

Eine weitere, beinahe banale Parallele bietet <strong>der</strong> Vergleich zu den historischen Kategorien<br />

<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nene Archäologie, die als Bronzezeit und nachfolgenden Eisenzeit bekannt sind.<br />

Mehr als zwei Jahrtausende nach Hesiod, würden die Ausgrabungen <strong>der</strong> letzen 200 Jahre<br />

dessen historische Einteilung bestätigen – sofern Hesiod in seiner Verwendung <strong>der</strong><br />

Bezeichnungen „Eisen“ und „Bronze“ den selben ‚Materialismus’ zugrundelegt, wie er<br />

heute in <strong>der</strong> Archäologie gebräuchlich ist und seine Klassifikationen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter nicht rein<br />

metaphorisch deuten will.<br />

Ovid schil<strong>der</strong>t das goldene <strong>Zeit</strong>alter als Paradies in dem we<strong>der</strong> gearbeitet noch „fremde<br />

Gestade“ bereist wurden, die Sterblichen in ewigem Frühling lebten und Früchte und<br />

Nahrung ohne Pflege ausreichend wuchsen 29 . Im Gegensatz zu Evolas hesiodisch<br />

anmuten<strong>der</strong> Verteidigung <strong>der</strong> kÛatriyas, des Kriegerstandes als oberster, ursprünglichster<br />

Kaste, spricht Ovid vom goldenen <strong>Zeit</strong>alter als von einem, das keine Krieger kannte, noch<br />

Waffen o<strong>der</strong> Helme. Ist Ovid noch <strong>der</strong> Antike verpflichtet, wirft Vergil in <strong>der</strong> Auslegung<br />

des goldenen <strong>Zeit</strong>alters seinen Schatten voraus in Mittelalter und Neuzeit; hier wird die<br />

goldene <strong>Zeit</strong> von ihrem letzten zeitlichen Element losgelöst und nur mehr als Sinnbild<br />

betrachtet. 30 Das goldene <strong>Zeit</strong>alter wird mit einer gewissen Willkür zum politischen<br />

Instrument als Deckmantel für die augustäische Weltherrschaft, in <strong>der</strong> jenes und damit die<br />

Herrschaft Saturns und <strong>der</strong> Jungfrau 31 wie<strong>der</strong>kehre; Mit Dante, <strong>der</strong> Virgil (Vergil) als<br />

Führer nimmt, wird die goldene <strong>Zeit</strong> zum Paradies, das Paradies zum „Himmel“; eine<br />

Bedeutungsverschiebung tritt ein und <strong>der</strong> ehemals allgemeine Ort zu einer bestimmten <strong>Zeit</strong><br />

wird zu einem bestimmten Ort zu je<strong>der</strong> o<strong>der</strong> sogar keiner <strong>Zeit</strong> (Ewigkeit). Der Mythos lebt<br />

fort, aber Raum und <strong>Zeit</strong> werden vertauscht.<br />

29 Ovid: Metamorphosen. 1:90 ff<br />

30 Vergil: 4. Ekloge<br />

31 Primär als Sternbild; und damit als Teil des Zodiaks, <strong>der</strong> das platonische Jahr unterteilt.<br />

19


Ein weiterer Aspekt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alterlehre <strong>der</strong> Antike ist in <strong>der</strong> „Zucht <strong>der</strong> Menschenherde“<br />

unterschwellig angelegt. Platon läßt den Fremden im Politikos sagen: „... man [darf] von<br />

<strong>der</strong> Welt we<strong>der</strong> behaupten, daß sie immer sich selbst drehe, noch daß sie immer ganz von<br />

Gott gedreht werde ... noch auch, daß etwa irgend zwei Götter 32 von einan<strong>der</strong><br />

entgegengesetzter Gesinnung sie drehen;“ 33 Die Präsenz <strong>der</strong> Götter im goldenen <strong>Zeit</strong>alter<br />

wird hier als Einwirken des Göttlichen auf die Menschenherde gedacht, die dann in den<br />

darauffolgenden in die Selbstständigkeit entlassen wird, wie die Tierherden von den<br />

Winterställen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koppel in die freie Weide. So auch die Welt (und Menschheit) „...<br />

eine von dem Werkmeister ihr zubereitete Unsterblichkeit empfangend; dann aber, wenn<br />

sie losgelassen ist, von sich selbst geht, so gut sie kann, in einem solchen Zustande sich<br />

selbst überlassen ...“ 34 . Das goldene <strong>Zeit</strong>alter wird im Politikos identifiziert, indem Krieg<br />

und Zwietracht gänzlich fehlen, Früchte von selbst zur Genüge wachsen und nicht<br />

angebaut werden müssen, das Klima warm und freundlich ist und Klei<strong>der</strong> unnotwendig<br />

sind; zudem je<strong>der</strong> denen, die er beherrscht vollauf genügt, „ ... so daß keines wild [ = nicht<br />

unter <strong>der</strong> Obhut eines göttlichen Hüters; C.D.] war noch auch sie einan<strong>der</strong> zur Speise<br />

dienten;“ 35 Die ganze Welt steht zu dieser <strong>Zeit</strong> unter herrschenden Göttern und „ ... die<br />

lebendigen Wesen nach ihren verschiedenen Gattungen und Herden hatten als göttliche<br />

Hüter unter sich verteilt die Dämonen ...“ 36 . Familie o<strong>der</strong> Verfassung (und damit<br />

wesentliche Anlässe zu Streit) gibt es nicht, da je<strong>der</strong> gleichberechtigt und ohne Ahnen aus<br />

<strong>der</strong> Erde geboren wird.<br />

Die Herrschaft des „Steuermanns des Ganzen“ sorgt bei Planton für das Überwiegen des<br />

Guten auf <strong>der</strong> Erde und bei den Menschen. Wenn die Welt von diesem Steuermann (und<br />

seinen Helfern) „losgelassen“ wird und selbstständig ihre Bahnen zieht, erinnert sie sich<br />

<strong>der</strong> „Lehren“ des Demiurgen; diese Erinnerung verblaßt aber mit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> und das <strong>der</strong> Welt<br />

inhärente Schlechte gewinnt die Überhand, bis „<strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> alten Verwirrung ... am<br />

32 Wie etwa Ahura Mazda und Ahriman<br />

33 Platon: Politikos. 270 a<br />

34 Ebenda<br />

35 Ebenda; 271 d-e<br />

36 Ebenda; 271 d – „δαιµονες“ ... (nie<strong>der</strong>e) Gottheiten, Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen; die<br />

ausschließlich böse, negative Konnotation war in <strong>der</strong> Antike noch nicht gegeben.<br />

20


Ende <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> vollkommen aufblüht“ 37 . Aus Besorgnis darüber, daß sich die Welt selbst<br />

zerstören und in <strong>der</strong> Indifferenz versinken könnte, ergreift <strong>der</strong> Erschaffer <strong>der</strong> Welt in dieser<br />

kritischen <strong>Zeit</strong> wie<strong>der</strong> selbst die (aktive) Herrschaft; dann stellt er die primordiale<br />

Unsterblichkeit und Alterslosigkeit <strong>der</strong> Welt wie<strong>der</strong> her, also die ‚Statik‘ des Satya Yuga.<br />

In dieser Lehre vom Pulsieren <strong>der</strong> Welt zwischen Geist und Materie muß man von einer<br />

Überschneidung zwischen Symbolik, Analogie und physischen Tatsachen ausgehen. Ein<br />

Schrumpfen <strong>der</strong> Leiber <strong>der</strong> Lebewesen zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> „Herrschaft <strong>der</strong> Welt“ kann mit einer<br />

‚Verdichtung‘ korrelieren. Die anonyme Erdgeburt <strong>der</strong> Menschen zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Herrschaft<br />

des Schöpfers ist als Gleichnis für die primordiale Einheit zu verstehen, eine gleichzeitig<br />

physische Komponente kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden, insofern<br />

beispielsweise die orphischen Lehren und verschiedene antike Synkretismen von<br />

Metamorphosen alles Lebendigen ausgehen – und somit das, was jetzt ‚Mensch‘ ist,<br />

damals etwas an<strong>der</strong>es gewesen sein o<strong>der</strong> bedeutet haben konnte.<br />

Eine weitere, beson<strong>der</strong>s im Mittelalter bis hin zu Hegel, populäre Entwicklung <strong>der</strong><br />

Weltalteridee ist aus dem Buch Daniel abgeleitet. Darin deutet Daniel im babylonischen<br />

Exil einen Traum Nebukadnezars, in dem dieser ein Standbild schaut. Dieses ist aus vier<br />

(eigentlich fünf) Stoffen gemacht; das Haupt aus Gold, Brust und Arme aus Silber, Bauch<br />

und Lenden aus Erz, die Schenkel aus Eisen und die Füße aus Eisen und Ton. Ein Stein<br />

bricht von einem Berg los, rollt herab und trifft die aus Ton und Eisen bestehenden Füße;<br />

darauf zerfällt das gesamte Standbild und wird wie „Spreu von den Tennen“ vom Wind<br />

davongetragen. Der Stein aber, <strong>der</strong> das Bild zerschlug, füllt die gesamte Erde. 38<br />

Nebukadnezar wird sodann von Daniel als das Haupt des Standbildes bezeichnet, dessen<br />

Reich als das erste und goldene identifiziert. Auf dieses folgen drei weitere, die das<br />

Mittelalter für gewöhnlich mit dem persischen, dem griechischen und dem römischen<br />

(Welt-) Reich gleichsetzt. Das letzte wird später als „germanisches Reich“ bezeichnet, als<br />

das Erbe des römischen, eisernen – es ist also dasjenige, das wie die Füße des Standbildes<br />

teils aus Eisen, teils aus Ton besteht – also teils römisch ist, teils aus einem ‚fünften<br />

Element‘ besteht.<br />

37 Platon: Politikos. 273 d<br />

38 Daniel 2:31-36<br />

21


Gemeinsam mit <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> vier Weltalter hat dieses Modell die Abgeschlossenheit auf<br />

das Ende hin. Der vom Berg rollende Felsen gleicht dem indischen Pralaya, indem er die<br />

Erinnerung an die abgelaufenen Reiche auslöscht und in alle Winde zerstreut.<br />

22


<strong>Zeit</strong>alterlehren in Südostasien<br />

Indien<br />

23<br />

„ 2 Fu|ge, die; ... [lat. fuga = Flucht (da eine Stimme gleichsam vor<br />

<strong>der</strong> folgenden ‚flieht‘)] selbständiges Musikstück od. Teil einer<br />

Komposition in zwei- bis achtstimmiger kontrapunktischer<br />

Satzart mit nacheinan<strong>der</strong> in allen Stimmen durchgeführtem,<br />

festgeprägtem Thema.“ (Duden) „Bei ausgedehntern Fugen<br />

müssen die Episoden interessant gestaltet werden, wenn nicht die<br />

ewige Wie<strong>der</strong>kehr des Themas ermüden soll“ (Meyers Konv.-<br />

Lexikon. 1887)<br />

Es ist schwierig von allgemein-indischen Vorstellungen zu sprechen, da es einen indischen<br />

Common Sense nicht gab und weitgehend heute noch nicht gibt. Glasenapp weist in seiner<br />

Indischen Geisteswelt darauf hin, daß sich Einzelheiten zu den indischen <strong>Zeit</strong>altern und<br />

weitere Variationen verstreut in vielen Texten finden und er nur die „allgemein-indischen<br />

Vorstellungen“ darlegen würde 39 . So schreibt er weiter, daß „die verschiedensten<br />

philosophischen Theorien mit mythologischen Traditionen so vermischt erscheinen, daß es<br />

meist nicht möglich ist, eine logisch voll befriedigende Darstellung zu geben“ 40 . Auch<br />

Erich Frauwallner weist auf die Überlagerungen und Entstellungen <strong>der</strong> Weltalterlehre in<br />

<strong>der</strong> indischen Tradition hin, wenn zum Beispiel das dem VyËsa zugeschriebene<br />

ÉukËnupraÚnaÒ in <strong>der</strong> ManusmÎti wie<strong>der</strong> auftaucht, aber umgearbeitet im Sinne <strong>der</strong><br />

SËmkhya-Lehre.<br />

Die Zustände und Eigenschaften <strong>der</strong> vier Yugas finden sich vornehmlich im MahËbhËrata,<br />

in <strong>der</strong> ManusmÎti und den verschiedenen PurËÙas beschrieben. Das Bhagavata PurËÙa 41<br />

bestimmt vage den Beginn des Kali Yuga durch den Tod KÎÛnas, indem es sagt, daß<br />

39 Glasenapp: Indische Geisteswelt. Bd. I, p.154<br />

40 Ebenda p. 154<br />

41 Bhagavata Purana XI.31.8


Wahrheit, Recht, Zufriedenheit, Ruhm und Glück diese Erde (nicht nur Indien!) 42<br />

verließen. Die meisten In<strong>der</strong> setzen den Tod KÎÛnas und damit auch den Beginn des Kali<br />

Yugas nach purËnischer Lehre auf das Jahr 3102 v. Chr. an.<br />

Evola gibt als hinduistische Quellen in den Fußnoten zur „Revolte ...“ immer wie<strong>der</strong> das<br />

ViÛÙu PurËÙa und die ManusmÎti an; mangels Bibliographien in seinen Büchern können<br />

an<strong>der</strong>e nur schwer nachvollzogen werden, es ist aber relativ sicher, anzunehmen, daß er<br />

zumindest auch die Schriften Mircea Eliades – mit dem er in persönlichem Kontakt stand -<br />

zu dem Thema kannte.<br />

Wie in <strong>der</strong> Geschlechterlehre Hesiods schreiten in <strong>der</strong> indischen Lehre die <strong>Zeit</strong>alter von<br />

einem „goldenen“ hinunter in ein finsteres <strong>Zeit</strong>alter. Dies vollzieht sich in vier Stufen vom<br />

KÎta Yuga o<strong>der</strong> Satya Yuga über das TretË Yuga, das DvËpara Yuga bis hin zum Kali<br />

Yuga, dem dunkelsten. Im ersten <strong>Zeit</strong>alter, dem KÎta Yuga, ist die Lebensdauer <strong>der</strong><br />

Menschen am höchsten (400 Jahre), es gibt keine Krankheit, <strong>der</strong> Tod bedeutet keinen<br />

Schrecken und ist ein freiwilliges Verlassen des Körpers; Kin<strong>der</strong> werden durch bloßes<br />

Wünschen gezeugt; Gesetze, Tugenden und Gerechtigkeit bestehen vollkommen (zu vier<br />

Vierteln), die heiligen Schriften (Veden) sind zur Gänze bekannt und es herrscht keine<br />

Uneinigkeit über ihre Auslegung. Ebenso bestehen die vier Kasten (varna) in vollem<br />

Umfang und die Lebensstufen (ËÚramËÒ) werden eingehalten.<br />

In den folgenden <strong>Zeit</strong>altern findet eine laufende Verschlechterung statt; die Menschen<br />

leben kürzer, die Gesetze werden weniger befolgt, Opferhandlungen nicht mehr so<br />

gewissenhaft vollzogen. Die ersten Barbarenvölker entstehen im TretË Yuga; die Kräfte<br />

von Pflanzen und Tieren, dem Wasser und <strong>der</strong> Erde werden schwächer; Zeugung erfolgt<br />

zuerst noch durch Berührung (TretË Yuga), dann durch die geschlechtliche Vereinigung<br />

(DvËpara Yuga). War Askese (tapaÒ) im Satya Yuga noch die höchste Tugend, ist es nun<br />

im DvËpara Yuga das Opfer. Im letzten <strong>Zeit</strong>alter, dem Kali Yuga greifen Kriege und<br />

Seuchen um sich, die Menschen leben nur mehr 100 Jahre und weniger, Gesetze und<br />

Gerechtigkeit besteht nur mehr zu einem Viertel, dann einem Sechzehntel; Die Kenntnis<br />

42 Glasenapp meint, die vier <strong>Zeit</strong>alter gälten nur für Bharata varÛa, also Indien, während auf den an<strong>der</strong>en<br />

sechs Kontinenten beständig glückliche Verhältnisse bestehen würden.<br />

24


<strong>der</strong> Schriften verfällt ebenso, wie <strong>der</strong> Opferkult, die Kasten und Lebensstufen lösen sich<br />

zunehmend auf, Geben wird nunmehr zur höchsten Aufgabe <strong>der</strong> Menschen. 43<br />

Nach Roth 44 werden die drei letzten <strong>Zeit</strong>alter auch mit <strong>der</strong> TriguÙËÒ-Lehre des SËÑkhya<br />

in Zusammenhang gebracht; Demnach würde das Treta Yuga für die Qualität 45 <strong>der</strong><br />

Ausgeglichenheit (sattvam) stehen, das DvËpara Yuga für die Qualität <strong>der</strong> Tätigkeit,<br />

Bewegtheit, Leidenschaft (rajaÒ) und das Kali Yuga für die Qualität <strong>der</strong> Trägheit und<br />

Finsternis (tamaÒ). Die Übereinstimmung mit <strong>der</strong> TriguÙËÒ-Lehre nimmt Roth zum Anlaß<br />

von dem indischen Chaturyuga-Modell als von einer „Theorie“ zu sprechen, im Gegensatz<br />

zum griechischen „Mythus“ von den fünf Menschengeschlechtern.<br />

Dieser zunehmende Verfall endet schließlich mit einer völligen Restauration <strong>der</strong><br />

inzwischen vergessenen und zerstörten Vedas durch ViÛÙu, <strong>der</strong> sich als Kalki-Avatara in<br />

einem Dorf (?) Éambhala inkarniert und so ein neues Satya Yuga einleitet 46 . Dieser<br />

sprunghafte, revolutionsartige Übergang steht in gewissem Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> sonst<br />

dominanten Kreisförmigkeit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. Eine teilweise Erklärung bietet sich, wenn man die<br />

nicht nur in Indien 47 häufige Metapher von <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> als einen Fluß heranzieht. In diesem<br />

Bild ist einerseits das plötzliche Ende des Fließenden im Meer vorhanden und auch sein<br />

plötzlicher Beginn in einer Quelle, an<strong>der</strong>erseits tritt <strong>der</strong> zyklische Charakter des Fließens<br />

hervor, wenn man die Verdunstung aus dem Meer, den Transport durch Wolken in das<br />

Quellgebiet und die Rückverbindung über den Regen mit in das Modell aufnimmt. Somit<br />

wird <strong>der</strong> beinahe selbe Weg in umgekehrte Richtung zurückgelegt, allerdings auf einer<br />

an<strong>der</strong>en, feineren Ebene (hier im gasförmigen Zustand).<br />

Die zeitliche Länge <strong>der</strong> Yugas steht generell im Verhältnis 4:3:2:1. Das Satya Yuga dauert<br />

4000 Jahre, das TretË Yuga 3000 Jahre, das DvËpara Yuga 2000 Jahre, das Kali Yuga<br />

1000 Jahre. Am Anfang und Ende jedes Yugas steht noch eine verhältnismäßig<br />

43 Nach Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. I, p 114 ff.<br />

44 Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod ...; p.29<br />

45 Ursprünglich Qualitäten <strong>der</strong> Urmaterie.<br />

46 ViÛÙu PurËna 4.24<br />

47 Heraklit, etc.<br />

25


entsprechende Übergangsperiode (SandhyË/SandhyËÑÚa) von zwei mal 400 Jahren im<br />

Satya Yuga – den obigen Verhältnissen entsprechend - bis zwei mal 100 Jahren im Kali<br />

Yuga.<br />

Jahre<br />

(„<strong>der</strong> Devas“ [?])<br />

Zwischen-<br />

summe<br />

(„Menschen-„)<br />

Jahre x 360<br />

Satya-SandhyË 400 144.000<br />

Satya Yuga (=Krita Yuga) 4.000 1.440.000<br />

Zwischen-<br />

summe<br />

Satya-SandhyËÑÚa 400 4.800 144.000 1.728.000<br />

TretË-SandhyË 300 108.000<br />

TretË Yuga 3.000 1.080.000<br />

TretË-SandhyËÑÚa 300 3.600 108.000 1.296.000<br />

DvËpara-SandhyË 200 72.000<br />

DvËpara Yuga 2.000 720.000<br />

DvËpara-SandhyËÑÚa 200 2.400 72.000 864.000<br />

Kali-SandhyË 100 36000<br />

Kali Yuga 1.000 360.000<br />

Kali-SandhyËÑÚa 100 1.200 36.000 432.000<br />

Summe: 12.000 4.320.000<br />

Eine wesentliche Frage ist die nach <strong>der</strong> Bedeutung des verwendeten Wortes „Jahre“. Die<br />

gängigere Lehrmeinung besagt, daß es sich bei den oben angeführten um Jahre <strong>der</strong> Devas 48<br />

(Götter) handle, wobei ein Tag <strong>der</strong> Devas einem menschlichen Jahr von 360 Tagen<br />

entspreche. In <strong>der</strong> ManusmÎti steht ebenso, daß ein Monat <strong>der</strong> Menschen einem Tag <strong>der</strong><br />

48 Die Götter werden u.a. auf dem Berg Meru angesiedelt, <strong>der</strong> mit dem Nordpol zusammenfällt, die obere<br />

Spitze <strong>der</strong> Erdachse darstellt. Ein ‚Tag‘ besteht dort (physisch) aus <strong>der</strong> nördlichen und südlichen Deklination<br />

<strong>der</strong> Sonne und fällt mit unserem (menschlichen) ‚Jahr‘ zusammen. Beachtenswert ist auch, daß die<br />

Hyperboräer als Vorfahren <strong>der</strong> Menschen am Nordpol gelebt haben sollen.<br />

26


pitÎs, <strong>der</strong> Vorväter gleichkomme 49 ; Nachdem diese zwei Entsprechungen dargelegt wurden<br />

folgt unmittelbar <strong>der</strong> Satz:<br />

„The KÎta Yuga consists of four thousand years (of the Devas [?; C.D.]); four hundred<br />

such years form the SandhyË (dawn) of that cycle, and four hundred such years form its<br />

SandhyËÑÚa (eve).“ 50<br />

Das Wort „Devas“ ist in <strong>der</strong> Übersetzung in Klammer ergänzend eingefügt, im Text steht<br />

nur „varÛËÙËÑ 51 “, also „Jahre“. Zwei Verse weiter ist die Begriffszuweisung wie<strong>der</strong><br />

eindeutig und genau, wenn von Deva-Yugas die Rede ist und auch „Yuga of the devas“<br />

geschrieben steht 52 , ebenso an an<strong>der</strong>er Stelle 53 . Es ist daher sehr fraglich, ob bei den in<br />

Éloka 1.69 <strong>der</strong> ManusmÎti abgehandelten Yugas wirklich Götterjahre gemeint sind und<br />

nicht etwa doch Menschenjahre. Wenn in 1.71 54 „Devas“ steht, weist das darauf hin, daß<br />

die ManusmÎti für Menschen geschrieben ist und damit grundsätzlich für menschliche<br />

<strong>Zeit</strong>begriffe. Der <strong>Zeit</strong>begriff Yuga wird hier nur deshalb mehrfach und für verschiedene<br />

<strong>Zeit</strong>einheiten verwendet, weil es sich einmal um Yugas <strong>der</strong> Menschen und einmal um<br />

Yugas <strong>der</strong> Devas handelt. Es wäre unlogisch, die Yugas <strong>der</strong> Menschen aus Jahren <strong>der</strong><br />

Devas aufzubauen. Das steht auch so keineswegs im Text. Hinzu kommt, daß die<br />

ManusmÎti in <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Menschen verfasst ist und für Menschen. Warum sollte man<br />

dann stillschweigend in Jahren <strong>der</strong> Devas rechnen und nicht in Menschenjahren. Wäre es<br />

notwendig gewesen die Zahlen vor <strong>der</strong> profanen Masse zu verhüllen und zu verschlüsseln,<br />

hätte man das beispielsweise mit astronomischen Angaben machen können, die eindeutig<br />

sind, aber nur für den Gebildeten zu entschlüsseln. Das Verhüllen von ‚Geheimnissen‘<br />

49 Sharma: ManusmÎti. 1:66 - 67<br />

50 1.69: „catvËryËhuÒ sahasrËÙa varÛËÙËÑ tatkÎtaÑ yugam / tasya tËvacchatÌ saÑÚvyË<br />

saÑÚvyËÑÚaÚca tathËviÚvaÒ“<br />

51 Monier-Williams, M.: A Sanskrit English Dictionary. Delhi 1899 ff. (1995): varÛa - (√ vÎiÛ) raining, a<br />

year, a division of the earth<br />

52 1.71: „ ... devËnËÑ yugamucyate.“<br />

53 1.79: „ ... daivikaÑ yugam.“<br />

54 „Twelve thousands of such four Yugas, as computed before in their or<strong>der</strong> of enumeration, count as one<br />

Yuga of the Devas.“ (Sharma/Dutt)<br />

27


fand sicherlich statt, aber nicht dadurch, daß etwas eindimensional mehrdeutig ausgedrückt<br />

wurde. Mehrdeutigkeit von sakralen Texten bezog sich immer auf mehrere Ebenen;<br />

Innerhalb dieser sollten sie aber eindeutig zu lesen sein. An<strong>der</strong>enfalls wären we<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

Text noch die Ebenen von Wert - nicht mehr als eine bunte Blumenwiese ohne weiteren<br />

Zusammenhang.<br />

Im Übrigen wirkt <strong>der</strong> umgebende Text auch nicht gestückelt, noch ergeben sich an<strong>der</strong>e<br />

Wi<strong>der</strong>sprüche o<strong>der</strong> grobe Mehrdeutigkeiten, die Weltalter, Schaffung und Auflösung <strong>der</strong><br />

Welt betreffend; Das System wirkt durchwegs in sich geschlossen und nicht, als hätte ein<br />

Kompilator Halb-Verstandenes schlecht zusammengesetzt.<br />

Ebenezer Burgess hält jedenfalls die ManusmÎti für älter, und damit ausschlaggeben<strong>der</strong><br />

als die PurËÙas, wenn er in seinem Kommentar zum SÄrya SiddhËnta schreibt:<br />

„ ... that in the text itself of Manu (i. 68-71) the duration of the Great Age, called by him<br />

Divine Age, is given as twelve thousand years simply, and that it is his commentator who,<br />

by asserting these to be divine years, brings Manu’s cosmogony to an agreement with that<br />

of the PurËÙas. This is a strong indication that the divine year is an afterthought, and that<br />

the period of 4,320,000 years is an expansion of an earlier one of 12,000.“ 55<br />

Burgess begründet diese Erweiterung mit <strong>der</strong> ausufernden Sehnsucht <strong>der</strong> In<strong>der</strong> nach<br />

Unendlichkeit. Letzteres Argument erscheint sinnvoll, wenn man in Betracht zieht, daß die<br />

Ausbreitung in die Vielfalt ein ‚Zeichen‘ des Verfalls hin zum Kali Yuga ist 56 . So teilt sich<br />

beispielsweise auch <strong>der</strong> ursprünglich einzige Veda in vier Vedas 57 auf, etc.<br />

55 Burgess: SÄrya SiddhËnta. p.154; kursiv von mir (C.D.); die selbe Meinung vertreten Roth<br />

(Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod...) und Eliade (Kosmos und<br />

Geschichte), <strong>der</strong> auch mit Evola in Kontakt stand und über Codreanus Guardia di Ferro mit diesem<br />

verbunden war.<br />

56 Obschon das Wort Kali - im Gegensatz zur weiblichen Form mit langen Vokalen KËlÌ die die Gattin Éivas<br />

bezeichnet - für die mit einem Punkt bezeichnete Verliererseite des Spielwürfels steht.<br />

57 In jedem (absteigenden) DvËpara Yuga inkarniert sich ViÛÙu in dem Heiligen Veda-vyËsa und teilt den<br />

Stamm des Veda in vier Äste und unzählige Zweige (ViÛÙu PurËna III.2-3); wahrscheinlich auch um dem<br />

Verfall des Gedächtnisses eine Hilfe zu geben.<br />

28


Auch Shambhu Shastry hält in seinem Aufsatz „Natural Cycles in the Solar System and the<br />

Chaturyuga Cycles“ 58 stellvertretend für viele indische Gelehrte die ManusmÎti für<br />

wichtiger und älter als die exoterischeren purËnischen Schriften und versucht anschließend<br />

mo<strong>der</strong>ne astronomische Modelle für den Caturyuga-Zyklus zu finden.<br />

Mircea Eliade nimmt in Kosmos und Geschichte die 12 000 Jahre des Chaturyuga als<br />

Menschenjahre an und hält sich an das MahabhËrata und die ManusmÎti, ohne auf die<br />

puranische Sicht einzugehen. Allerdings wi<strong>der</strong>spricht er sich, wenn er die gegenwärtige<br />

<strong>Zeit</strong> im Kali Yuga ansiedelt; jedoch mit ziemlicher Sicherheit um die gängige in Indien<br />

vertretene Ansicht gewußt haben muß, daß das Kali Yuga um ca. 3100 v. Chr. beginne –<br />

mit <strong>der</strong> Schlacht von KurukÚetra und unter einer außergewöhnlichen Konjunktion <strong>der</strong><br />

wichtigsten Planeten. Ein Grund für diesen Wi<strong>der</strong>spruch kann sein, daß Eliade die<br />

Meinung vertritt, geschichtliches Denken sei dem Hindu unbekannt und so die Dauer <strong>der</strong><br />

Yugas hauptsächlich symbolisch sieht, als eine in jedem Fall nachträgliche Erfindung; ein<br />

psychologisches Konstrukt, das „... trostreich und kräftigend für den unter dem Terror <strong>der</strong><br />

Geschichte lebenden Menschen [ist]“ 59 .<br />

Nach Roth findet sich die Lehre des Caturyuga grundsätzlich nicht in den vier klassischen<br />

Vedas, jedoch das Wort yuga „am häufigsten ... verbunden mit dem Adjektiv mËnusha für<br />

die menschlichen [!] <strong>Zeit</strong>räume, Menschenalter“ 60 . Für das eigentliche Fehlen <strong>der</strong><br />

Caturyuga-Lehre in den Vedas und Brahmanas kann man entwe<strong>der</strong> Unkenntnis<br />

verantwortlich machen, die Meinung vertreten, diese Lehre habe sich noch nicht<br />

entwickelt; o<strong>der</strong> aber eine gewisse Bekanntheit zur <strong>Zeit</strong> des Veda voraussetzen, die jedoch<br />

gleichzeitig zur damaligen <strong>Zeit</strong> bedeutungslos und irrelevant sein mußte. Es würde in einer<br />

<strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Blüte nicht viel Sinn gemacht haben nach dem Verfall zu schielen,<br />

während später, in einer <strong>Zeit</strong> des Nie<strong>der</strong>gangs und Elends 61 , eine Rückbesinnung und<br />

Ausrichtung auf ein goldenes <strong>Zeit</strong>alter Hoffnung und Halt gab, an<strong>der</strong>erseits durch<br />

Überhöhung half, die Autorität <strong>der</strong> Überlieferungen (Schriften) aus jener <strong>Zeit</strong> zu bewahren.<br />

58 Shastry, Dr. Shambhu: „Natural Cycles in the Solar System and the Chaturyuga Cycles“.<br />

59 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 131<br />

60 Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod...; p. 24<br />

61 also hier zur <strong>Zeit</strong> des MahËbhËrata, <strong>der</strong> ManusmÎti und <strong>der</strong> PurËnas.<br />

29


Sollte man eine astronomische Begründung <strong>der</strong> vier Weltzeitalter akzeptieren, was<br />

angesichts <strong>der</strong> Bestimmung von Tag und Jahr <strong>der</strong> Menschen, sowie dem Tag <strong>der</strong> Götter<br />

durch die Sonne, dem Monat durch den Mond, etc. naheliegt, so wäre ein Übergehen des<br />

Präzessionszyklus <strong>der</strong> Erde in <strong>der</strong> Auflistung <strong>der</strong> indischen <strong>Zeit</strong>einheiten sehr<br />

unwahrscheinlich. Das Wissen <strong>der</strong> alten Kulturen um die Präzession <strong>der</strong> Erdachse und die<br />

Bedeutung <strong>der</strong>selben haben de Santillana und von Dechend ausführlich nachgewiesen und<br />

dargestellt. 62 Angesicht <strong>der</strong> Tatsache, daß auch heutige Astronomen nicht in <strong>der</strong> Lage sind<br />

den Präzessionszyklus genau zu bestimmen 63 - ja seine Dauer gewissen Schwankungen<br />

unterworfen zu sein den Anschein hat, die verhältnismäßig größer sind, als beispielsweise<br />

die Schwankungen <strong>der</strong> Tageslänge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Länge des Jahres – muß es zulässig sein, das<br />

Chaturyuga in Zusammenhang mit <strong>der</strong> Präzession <strong>der</strong> Erdachse zu bringen. Je<strong>der</strong> Tag hat<br />

eine zugehörige Nacht; dem Tag Brahmas folgt eine ebensolange Nacht, dem Tag <strong>der</strong><br />

Götter entspricht die Nacht <strong>der</strong> Dämonen, etc. So muß die Ergänzung <strong>der</strong> 12.000<br />

(Menschen-) Jahre <strong>der</strong> ManusmÎti um eine ebensolange <strong>Zeit</strong>spanne in Betracht gezogen<br />

werden. Diese 24.000 Jahre erscheinen dann in sinnvoller Übereinstimmung mit dem<br />

Präzessionszyklus.<br />

Diese Chaturyugas (vier Yugas) laufen solange ab, bis 100 Jahre Brahmas 64 vollendet sind,<br />

sich die Atome im Weltuntergang wie<strong>der</strong> trennen, die sich bei <strong>der</strong> Weltschöpfung zuvor zu<br />

Wesen verbunden haben 65 . Der höchste Gott, MaheÚvaraÒ (Éiva) vernichtet die Welt<br />

(Schöpfung) im MahapralayaÒ 66 , damit sich die zahlreichen Wesen vom langen Wan<strong>der</strong>n<br />

durch die Kreise <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten ausruhen können. Das Unsichtbare, das das<br />

Weltgeschehen antreibt, an den Seelen haftend sie bewegt, stellt sein Wirken ein 67 . Davor<br />

62 Santillana / Dechend: Die Mühle des Hamlet.<br />

63 Je nach Lexikon o<strong>der</strong> astronomischem Atlas wird eine <strong>Zeit</strong>dauer von 25.000 – 28.000 Jahren für das<br />

Torkeln <strong>der</strong> Erdachse um einen (fiktiven) Kegelmantel veranschlagt.<br />

64 Nach dem SËÑkya-System sind 1000 Caturyugas ein Tag Brahmas und ebensoviele eine Nacht Brahmas.<br />

Zusammen bilden sie ein KalpaÒ. (nach Frauwallner)<br />

65 Nach dem System des VaiÚeÛika<br />

66 „PralayaÒ“ bedeutet: Schlaf, Tod, Verdunklung, Auflösung.<br />

67 siehe Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. II, p. 204 f.<br />

30


folgt auf jeden Tag Brahmas eine Nacht Brahmas, in <strong>der</strong> ebenso alle Welten im<br />

KalpapralayaÒ aufgelöst werden, die höchste Welt Brahmas, <strong>der</strong> Satyaloka, jedoch<br />

bestehen bleibt (Schlaf Brahmas). Bemerkenswert ist, daß die <strong>Zeit</strong> (kala) als schon vor <strong>der</strong><br />

Existenz des Schöpfergottes Brahma bestehend angesehen wird – und damit auch ihre<br />

Einteilung nicht Brahma unterliegt, was diese <strong>der</strong> westlicheren Vorstellung vom<br />

Demiurgen verwandt erscheinen läßt.<br />

Das SÄrya SiddhËnta ist eine weitere wichtige Quelle, allerdings schwer zeitlich<br />

einzuordnen und nimmt in <strong>der</strong> indischen Astronomie eine hervorragende Stellung ein. Am<br />

Anfang des Textes ist davon die Rede, daß die folgenden Unterweisungen dem Dämon<br />

(asura) Maya am Ende des KÎta Yuga direkt von <strong>der</strong> Sonne (sÄrya) enthüllt wurden. In<br />

1.15 werden die Yugas sehr eindeutig in ihrem Verhältnis zu Götterjahren bzw.<br />

Menschenjahren definiert. 68 Dann wird die übliche verhältnismäßige Einteilung in die<br />

einzelnen Yugas und ihre Übergänge vorgenommen.<br />

Sri Yukteswar Giri<br />

31<br />

„Diese göttliche Ordnung <strong>der</strong> Dinge ist<br />

identisch mit <strong>der</strong> Aufeinan<strong>der</strong>folge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en.“<br />

(Egon Friedell)<br />

Eine weitere, und jüngere Quelle ist SwËmi Éri YukteÛvar Giris Buch Die Heilige<br />

Wissenschaft, das er Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts verfaßte. Éri YukteÛvar weist weiter<br />

darauf hin, daß die Sternbil<strong>der</strong> einen Einfluß auf die Monate ausüben und die Planeten auf<br />

die Wochentage. Er verdichtet somit seine Theorie vom Einfluß <strong>der</strong> Himmelskörper auf<br />

<strong>Zeit</strong>qualitäten. Je näher ein Himmelskörper <strong>der</strong> Erde, desto kürzer ist sein Einflußbereich.<br />

Das Buch Éri YukteÛvars ist trotz des Titels wohl nicht als wissenschaftliche Abhandlung


zu verstehen, son<strong>der</strong>n eher als Gerüst für weitere Forschung. Es erscheint wie ein<br />

Thesenblatt. Diese Vorgehensweise wird erst aus dem Kontext des Yoga Systems heraus<br />

verständlich, in dem meist nur Ergebnisse mitgeteilt werden, selten Begründungen o<strong>der</strong><br />

Lösungswege. Der Leser, o<strong>der</strong> Schüler muß diese Lösungswege selber finden um die<br />

Thesen – gleichzeitig Anfang und Ergebnis - wirklich durchdrungen zu haben. Ein<br />

nachvollziehen (nachlesen) von Beweisen genügt dort nicht. Was zählt ist die Erfahrung<br />

<strong>der</strong> Erkenntnis. So werden im System des Yoga auch nur Übungen o<strong>der</strong> Regeln<br />

mitgeteilt 69 , manchmal ihr Ziel o<strong>der</strong> Ergebnis, nie jedoch <strong>der</strong> Weg dazwischen, also die<br />

Wirkungsweise. Es wird immer angenommen, daß diese <strong>der</strong> Sprache nicht zugänglich ist.<br />

Wir nehmen nicht an, daß Evola dieses Buch kannte, es sei hier aber als Kontrast<br />

angeführt; zum einen als Erweiterung des Unbehagens Burgess‘ und Roths gegenüber <strong>der</strong><br />

„Göttlichkeit“ <strong>der</strong> Jahresanzahl in den puranischen Yugas, zum an<strong>der</strong>en als Erweiterung<br />

<strong>der</strong> ManusmÎti. Aber auch deshalb, weil das Buch im Westen eine gewisse Verbreitung<br />

erfahren hat und für die Rezeption des Themas in Betracht gezogen werden sollte; Darüber<br />

hinaus stellt es eine neue Theorie zur Yuga Lehre auf, die nach unserem Wissen im Westen<br />

bisher nicht bekannt war.<br />

68 „Twelve thousand of these divine years are denominated a Quadruple Age (caturyuga); of ten thousand<br />

times four hundred and thirty-two solar years.“ (Burgess: SÄrya-SiddhËnta. p.152)<br />

69 Siehe z.B.: Patanjali: Yoga Sutras; o<strong>der</strong> HaÖha Yoga Pradipika (unbekannter Verfasser)<br />

32


SwËmi YukteÛvar geht darin von einem zwei mal 12.000 menschliche (solare) Jahre<br />

dauernden Zyklus aus 70 , die er als zwei Daiva-Yugas o<strong>der</strong> als „elektrisches Kräftepaar“ 71<br />

bezeichnet. Diese Vorstellung wird von <strong>der</strong> ersten, zweiten und dritten Bedeutung des<br />

Wortes „Yuga“ in Böhtlingks Sanskrit-Wörterbuch unterstützt, wo Yuga als „<strong>Joch</strong>“ 72 ,<br />

70 Auch Dr. Shastry hält in seinem Aufsatz den 12.000 Jahre dauernden Zyklus nur für eine Hälfte und führt<br />

als an<strong>der</strong>e Vertreter dieser Meinung Prof. Bankim Chakravorty sowie die diesbezügliche Tradition <strong>der</strong> Jaina<br />

auf.<br />

71 Sw. YukteÛvar: Die Heilige Wissenschaft. p. 17<br />

72 ... welches ebenso aus zwei Teilen besteht<br />

33


„Paar“ und „Doppel-Éloka 73 “ übersetzt wird, erst danach als „Geschlecht, Lebensperiode,<br />

Weltalter, Cyclus“, etc. Nach dem Abstieg bis zum Kali Yuga tritt dieses nicht unmittelbar<br />

über in ein neues Satya Yuga, son<strong>der</strong>n die Abfolge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter vollzieht sich erneut in<br />

umgekehrter, aufsteigen<strong>der</strong> Reihenfolge. Das Modell kennt also nicht die Revolution 74 <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en Modelle, vielmehr oszillieren die <strong>Zeit</strong>alter hier gleichmäßig.<br />

Auf die Qualitäten <strong>der</strong> einzelnen Yugas geht er nur ein, indem er ihnen Arten des jeweils<br />

möglichen Wissens zuordnet: Dem Satya Yuga „höchstes geistiges Wissen“, dem Treta<br />

Yuga das Wissen um den „göttlichen Magnetismus“, dem DvËpara Yuga das „Wissen um<br />

die Elektrizität und ihre Eigenschaften“ und dem Kali Yuga das Wissen von <strong>der</strong> rein<br />

„grobstofflichen Schöpfung“. Diese Wissensaspekte nehmen nun zu o<strong>der</strong> ab, je nachdem,<br />

ob die <strong>Zeit</strong>alter auf- o<strong>der</strong> absteigen und bedingen sowohl die Erkenntnis, als auch die<br />

Erkenntnisfähigkeit auf <strong>der</strong> Erde qualitativ. Das aufsteigende DvËpara Yuga bezeichnet er<br />

beispielsweise als eines, in dem sich die Wissenschaften rasch entfalten.<br />

SwËmi YukteÛvar setzt den Beginn des Kali Yugas (incl. Sandhi) auf 700 v. Chr. an im<br />

Gegensatz zum sonst gebräuchlichen Datum von ca. 3100 v. Chr.; letzteres Datum<br />

bezeichnet hingegen in seinem System den Beginn des DvËpara Yuga. Diese Verwirrung,<br />

ob <strong>der</strong> Wendepunkt um 3100 v. Chr. nun <strong>der</strong> Beginn des DvËpara o<strong>der</strong> des Kali Yuga sei,<br />

wird indirekt von Roth bestärkt, wenn er die Ansicht vertritt, daß man die ganze (zur<br />

indischen „analoge“) griechische Reihe am richtigsten in die beiden Abteilungen zerlegt,<br />

das goldene und silberne Geschlecht auf die eine Seite stellend, die drei (zwei) übrigen auf<br />

die an<strong>der</strong>e 75 . Das goldene und silberne Geschlecht bezeichnet er weiters als eine Vorstufe,<br />

die wir „die vorgeschichtliche Menschheit“ nennen würden, „dazu berufen ... das<br />

Geisterreich zu füllen, nachdem ihre <strong>Zeit</strong> auf Erden abgelaufen war“ 76 . Die Heroensagen<br />

(des ehernen <strong>Zeit</strong>alters) seien den Griechen die älteste Geschichte gewesen, die vor den<br />

Heroen lebenden aber „namenlose Männer“, was mitunter noch heute so ist.<br />

73 „Yuga ... of a double Éloka or two Éloka so connected that the sense is only complete by the two together“<br />

(Sir Monier Monier-Williams: A Sanskrit-English Dictionary. [Oxford U.P., 1899] Motilal Banarsidass,<br />

Delhi 1963 ff)<br />

74 Im gesellschaftlichen Sinne eines plötzlichen Umsturzes, nicht im astronomischen Sinne einer Umdrehung<br />

75 Nach Roth: Abhandlung über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern bei Hesiod ...; p. 14<br />

76 Ebenda; p. 19<br />

34


Um die Qualität des Dargelegten zu unterstreichen, weist SwËmi YukteÛvar darauf hin,<br />

daß sein Buch 1.) nicht im Kali Yuga geschrieben wurde, 2.) unter <strong>der</strong> Anleitung eines<br />

Avatars 77 und 3.) im aufsteigenden Dvapara Yuga. Die Tatsache, daß das gegenwärtige<br />

Dvapara Yuga ein aufsteigendes ist, läßt es dem absteigenden als höherwertig und<br />

überlegen erscheinen. Dieser Gedanke wird aber nicht weiter verfolgt und ob dies auch so<br />

ist, geht nicht aus dem Text hervor. Das Modell vom schrittweisen Wie<strong>der</strong>aufsteigen <strong>der</strong><br />

<strong>Zeit</strong>alter erinnert an das <strong>der</strong> Jaina, während in <strong>der</strong> gängigeren hinduistischen Vorstellung<br />

das Kali Yuga meist mit einem kleinen Pralaya (etwas unscharf) endet und sofort ein neues<br />

Satya Yuga erscheint.<br />

SwËmi YukteÛvar geht im Gegensatz zu den PurËnas, etc. auch auf Ursachen <strong>der</strong> Yuga-<br />

Lehre ein und bemüht sich diese wissenschaftlich anzupassen, wenn er erklärt, „...daß die<br />

Sonne sich wie<strong>der</strong>um mitsamt ihren Planeten und Monden einen Stern als Pol wählt und<br />

diesen in 24.000 Erdenjahren umkreist und daß diese Himmelserscheinung die rückläufige<br />

Bewegung <strong>der</strong> Äquinoktialpunkte um die Tierkreiszeichen verursacht“.<br />

Die Wissenschafter des Westens sehen hierfür die Präzessionsbewegung <strong>der</strong> Erdachse als<br />

Ursache an. Eine Schwankung, die im wesentlichen durch die Gravitationseinflüsse von<br />

Sonne und Mond verursacht wird, also innerhalb des Sonnensystems verursacht wird. Die<br />

momentan größt mögliche Annäherung von SwËmi YukteÛvars Über-Sonne an die<br />

abendländische Astronomie wäre die Identifikation mit einem schwarzen Loch in einem<br />

leicht rotierenden „Kugelhaufen“; Unser Sonnensystem wäre dann Teil dieses<br />

Kugelhaufens und könnte so den Abstand zum galaktischen Zentrum oszillierend<br />

variieren. 78<br />

Gegen die westliche Wissenschaft sprechen, trotz ihrer aufwändigen mo<strong>der</strong>nen<br />

Instrumentarien, die geringeren Beobachtungszeiträume in <strong>der</strong> jungen mo<strong>der</strong>nen<br />

Astronomie, während die In<strong>der</strong> weitaus längere Beobachtungszeiträume für sich<br />

77 Also gewissermaßen unter göttlicher Führung.<br />

78 Gegenwärtig würde diese Möglichkeit auf Grund <strong>der</strong> sehr unterschiedlich angenommenen Alter unserer<br />

Sonne (ca. 4 Mrd. Jahre) und <strong>der</strong> Kugelhaufen unserer Galaxie (ca. 10-15 Mrd. Jahre) ausgeschlossen<br />

werden. – nach Falque: Der grosse JRO Atlas <strong>der</strong> Astronomie.<br />

35


eanspruchen. Jedenfalls geht SwËmi YukteÛvar nicht weiter auf diese Über-Sonne ein 79 .<br />

Neben dem 24.000-jährigen Zyklus bringt er noch ein zweites großes Zentrum ins Spiel,<br />

um das sich die Sonne mitsamt ihrem „Pol“ drehe. Dieses bezeichnet er als „Vishnunabhi,<br />

den Sitz <strong>der</strong> schöpferischen Kraft (Brahma), des im ganzen Universum herrschenden<br />

Magnetismus“ 80 . Dieses Brahma lenke „Dharma, die geistigen Tugenden <strong>der</strong> inneren<br />

Welt“ 81 . Das Satya Yuga erklärt er somit durch die Annäherung des Sonnensystems an den<br />

positiven „Vishnunabhi“; <strong>der</strong> diesem naheliegendste Punkt sei erreicht, wenn das<br />

Herbstäquinoktium im Wid<strong>der</strong>punkt stehe, was zuletzt 11.501 v. Chr. <strong>der</strong> Fall gewesen sei;<br />

dabei nimmt er den Fixstern Revati (ζ - Piscium) 82 als Wid<strong>der</strong>punkt an 83 . Das Dharma 84<br />

befinde sich vice versa im ersten Stadium <strong>der</strong> Entwicklung, im Kali Yuga, wenn das<br />

Sonnensystem den fernsten Punkt vom Zentrum des Brahma, dem „Vishnunabhi“ erreicht<br />

habe. 85<br />

Während SwËmi YukteÛvar die <strong>Zeit</strong> des Mittelalters als dunkelsten Punkt <strong>der</strong><br />

Weltgeschichte angibt, preist Evola gerade den mittelalterlichen Geist <strong>der</strong> Ritterorden und<br />

des lebendigen Königtums, - eine Ableitung <strong>der</strong> Spengler’schen „abendländischen Kultur“.<br />

Die positive Bewertung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> nach dem Mittelalter durch Sw. YukteÛvar wird<br />

allerdings Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts (und in Indien) noch nicht durch das Heraufziehen<br />

und Erleben des Weltkrieges eingeschränkt.<br />

79 Er führt nur allgemein die „Astronomie des Orients“ als Quelle an.<br />

80 Pdt.Vamadeva Shastri [Dr. David Frawley] (Astrology of the Seers. Lotus Press, Twin Lakes [WI] 1990)<br />

hat diesen ViÛÙunabhi mit unserem galaktischen Zentrum identifiziert. Dr. Shastry (Natural Cycles in the<br />

Solar System...) glaubt die NityapÄjËmantras als diesbez. Quelle von Vamadeva Shastri und Sw. YukteÛvar<br />

identifiziert zu haben.<br />

81 Somit handelt es sich eigentlich um eine astrologische Theorie nach westlicher mo<strong>der</strong>ner Auffassung.<br />

82 Der Wid<strong>der</strong>punkt <strong>der</strong> indischen astronomisch-astrologischen Tradition liegt am Ende des Mond-Hauses<br />

Revati, das in Arabien Batn al-hut und in China K'uei genannt wird; Dieses wird durch die Sterne Beta<br />

Andromedae, Zeta Piscium und Eta Andromedae bestimmt. Zeta Piscium heißt in Indien Revati und verleiht<br />

pars pro toto dem Mondhaus seinen Namen.<br />

83 Der Westen nimmt für gewöhnlich das Frühlingsäquinokium.<br />

84 Hier im Sinne von „geistiger Tugend“ in positiver Konnotation.<br />

85 Zuletzt 501 n. Chr.<br />

36


Die Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Berechnungen über Länge und Anfang<br />

<strong>der</strong> Weltalter führt er auf einen politisch motivierten Fehler zur <strong>Zeit</strong> des Raja ParikÛit 86<br />

zurück. Dessen Vater, <strong>der</strong> Maharaja Yudhisthira hätte damals den Thron übergeben und<br />

sich mit den Weisen seines Hofes in den Himalaya zurückgezogen. „Darum wagte es<br />

niemand nach Ablauf <strong>der</strong> 2400 Jahre des damaligen Dwapara-Yugas, die Ankunft des<br />

dunklen Kali-Yugas noch deutlicher zu machen und es vom Jahre 1 an zu berechnen“ 87 ...<br />

und <strong>der</strong> Beginn desselben wurde verschleiert. Astronomen wie Kulluka Bhatta, die schon<br />

im Kali Yuga lebten, hätten sich dadurch irreführen lassen und den fehlerhaften Kalen<strong>der</strong><br />

weiterverbreitet und vertieft. Als dann <strong>der</strong> tiefste Punkt des Kali Yuga vorbei war, wären<br />

die Gelehrten auf Fehler in den Berechnungen aufmerksam geworden, haben diese aber<br />

falsch korrigiert und seien auf die Idee von den „Daiva-Jahren“ verfallen, die in <strong>der</strong><br />

puranischen Literatur so verbreitet sind. Das Wissen um die wirklichen <strong>Zeit</strong>en <strong>der</strong> Yugas<br />

verschwand, laut SwËmi YukteÛvar, am Ende des absteigenden DvËpara Yuga; so ist es<br />

auch schlüssig, wenn dieses Wissen nun symmetrisch entsprechend am Anfang des<br />

aufsteigenden Dwapara Yuga wie<strong>der</strong> erscheint.<br />

Auch das Datum des Kali Yuga-Beginns in den PurËnas, ca. 3100 v. Chr., kommt in Sw.<br />

YukteÛvars Modell vor; als Beginn des absteigenden DvËpara Yugas.<br />

Gigantomanie in Buddhismus und Jainismus<br />

Wir gehen davon aus, daß die <strong>Zeit</strong>alterlehre des Buddhismus, ebenso wie die <strong>der</strong> Jaina eine<br />

Weiterentwicklung <strong>der</strong> hinduistischen darstellt. Nach Eliade 88 geht <strong>der</strong> Buddhismus<br />

generell von <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>einheit des Kalpa aus, das in eine unterschiedlich hohe Anzahl von<br />

„Unberechenbaren“ (asamkhyeya) unterteilt wird. Im PËli-Kanon sind es vier dieser<br />

„Unberechenbaren“, möglicherweise ein Derivat des indischen Chaturyuga-Zyklus; In <strong>der</strong><br />

Literatur des Mahayana findet sich diese Zahl auf drei, sieben und 33 erweitert. Generell<br />

86 Um 700 v. Chr.<br />

87 Sw. YukteÛvar: Die heilige Wissenschaft. p.22<br />

88 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 129<br />

37


ist die Vorliebe für große Zahlen noch ausgeprägter als im Hinduismus und es hat den<br />

Anschein, daß didaktische und rhetorische Überlegungen 89 die ursprüngliche <strong>Zeit</strong>alterlehre<br />

entstellen.<br />

Auch die Vorstellung von <strong>der</strong> fortwährenden Verkürzung <strong>der</strong> menschlichen Lebenszeit ist<br />

vorhanden. So erschien <strong>der</strong> erste Buddha (Vipassi), <strong>der</strong> vor 91 kappa (kalpa) lebte, zu einer<br />

<strong>Zeit</strong>, da die menschliche Lebensspanne 80 000 Jahre betrug; zu Gautamas, des siebenten<br />

Buddhas <strong>Zeit</strong>en war diese dann auf seine äußerste Grenze von 100 Jahren herabgesunken. 90<br />

Der Jainismus übertrifft selbst den Buddhismus noch an Größe und Vielfalt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>-<br />

Einheiten. Es gibt zahlreiche verschiedene Ausdrücke um <strong>Zeit</strong>abschnitte zu bestimmen.<br />

Diese beginnen mit dem „Moment“ (Samaya); das ist die Dauer, während welcher ein<br />

Atom sich bei langsamster Bewegung um seine eigene Länge fortbewegen kann. Die<br />

größte bekannte <strong>Zeit</strong>einheit <strong>der</strong> Jainas umfaßt immerhin eine Jahreszahl von nicht weniger<br />

als 77 Stellen. 91 Da den Jaina die Welt als ewig gilt, gibt es keine Schöpfung und keine<br />

Auflösung, bzw. fallen diese als nicht beachtenswert unter den Tisch. Sie setzen eine<br />

Abfolge von Weltaltern voraus, die ebenso wie in den Puranas, bei Manu, etc. von einem<br />

sehr guten zu einem sehr schlechten absteigen; nur sind es hier sechs Weltalter, vom gut-<br />

guten Weltalter (suÛamasuÛamË) über das gute (suÛamË), das gut-böse<br />

(suÛamaduÒÛamË), das bös-gute (duÒÛamasuÛamË), das böse (duÒÛamË) zum bös-bösen<br />

(duÒÛamaduÒÛamË) 92 . Hier kann nicht ausgeschlossen werden, daß die hinduistischen<br />

SandhyËs zu eigenen Weltaltern gemacht wurden um auf die 2x6 zu kommen. Das Ab-<br />

und Aufsteigen <strong>der</strong> sechs Weltalter entspricht auch sicher nicht zufällig <strong>der</strong> schrittweisen<br />

Atmung durch sechs <strong>der</strong> sieben hauptsächlichen feinstoffliche Zentren, wie sie in <strong>der</strong><br />

89 So wird durch die Verlängerung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>räume und damit verbunden <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Inkarnationen das<br />

Leiden quantitativ ins unermessliche und unerträgliche gesteigert; dies soll den Praktizierenden dazu<br />

anspornen sein ganzes Gewicht auf den Ausstieg aus dem Kreis <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten zu werfen und nicht<br />

etwa auf eine natürliche Dissolution des Kosmos (wie im Hinduismus) zu warten.<br />

90 Nach Eliade<br />

91 Sergius Golowin, Mircea Eliade, Josph Campbell: Die großen Mythen <strong>der</strong> Menschheit. Orbis Verlag,<br />

München 2002, p. 278<br />

92 Nach Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. II, p 265<br />

38


yogischen Praxis Asiens von taoistischen, buddhistischen und hinduistischen Mystikern<br />

praktiziert wird.<br />

Im Gegensatz zum gängigsten hinduistischen Modell, wo dem dunkelsten <strong>Zeit</strong>alter<br />

unmittelbar ein goldenes folgt, kehren hier also die Weltalter in umgekehrt aufsteigen<strong>der</strong><br />

Weise wie<strong>der</strong>; es gibt keinen Bruch, keine Revolution, son<strong>der</strong>n ein gleichmäßiges Auf-<br />

und Abschwingen. Der Determinismus ist bei den Jainas stärker; eine Ähnlichkeit o<strong>der</strong><br />

sogar Gleichheit, nicht nur <strong>der</strong> Qualitäten <strong>der</strong> einzelnen einan<strong>der</strong> (in Auf- und Abstieg)<br />

entsprechenden <strong>Zeit</strong>alter wie im Hinduismus wird angenommen, son<strong>der</strong>n teilweise auch<br />

eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> gleichen konkreten Ereignisse, die durch bestimmte immer<br />

wie<strong>der</strong>kehrende Helden-, Propheten- und Herrscherfiguren geschichtlich verankert werden.<br />

39


Persien und <strong>der</strong> Weltenbaum<br />

In <strong>der</strong> mazdaistischen Religion Persiens erhält Zarathustra von Ahura Mazda den „Trank<br />

<strong>der</strong> Allwissenheit und schaut im Traum einen Baum mit vier Zweigen, von Gold, von<br />

Silber, von Stahl und von gemischtem Eisen“. 93 Ahura Mazda teilt ihm darauf mit, daß es<br />

sich hierbei um vier kommende <strong>Zeit</strong>alter handle. Reitzenstein spricht aber auch noch von<br />

einer Parallelfassung im avestischen Vohuman-YaÚt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Baum sieben Zweige aus<br />

Metallen mit absteigendem Wert hat. 94<br />

Genaue Vergleiche mit an<strong>der</strong>en Systemen sind schwer zu ziehen, da darüber hinaus die<br />

<strong>Zeit</strong>alter in <strong>der</strong> immateriellen Welt - die als Wurzel des (auf dem Kopf stehenden) Baumes<br />

von Ahura Mazda geschaffen wurde – ihren Anfang haben und sich dort zu verlieren<br />

scheinen. Reitzenstein schiebt daher die Lehre von den sieben Weltaltern beiseite, indem er<br />

sie, mit den sieben Planeten korrelierend, als völlig an<strong>der</strong>es System betrachtet und nimmt<br />

die vier mazdaistischen Weltalter als die vier indischen Yugas, als Haupttradition, welche<br />

„die ganze Weltzeit bedeuten müßte“. Weiters läßt er diese persische Weltzeit in vier Teile<br />

von je 3000 Jahren zerfallen, die schon Theopomp bekannt gewesen wären. Schae<strong>der</strong><br />

zitiert aus einer arabischen Übersetzung des Avesta, wie <strong>der</strong> Bestand <strong>der</strong> Welt auf 12.000<br />

Jahre angesetzt ist und diese 3000 Jahre in <strong>der</strong> „Höhe“ verharrt, „ohne Anfechtung und<br />

Leiden“. 95 „Dann senkt sie sich in die Tiefe ... dann [nach weiteren 3000 Jahren; C.D.]<br />

drang Ahriman in sie ein, und nun traten Anfechtungen, Wi<strong>der</strong>streit und Vermischung des<br />

Guten mit dem Bösen ein“ 96 . Es handelt sich hier wohl um das gleiche Chaturyuga von 12<br />

000 Jahren, wie in Indien, mit <strong>der</strong> Ausnahme, daß die absteigenden Abschnitte sich in ihrer<br />

Länge nicht verkürzen.<br />

Der auf dem Kopf stehende Baum symbolisiert entwe<strong>der</strong> die in einem von oben<br />

kommenden Geschlechter in Form von Ästen, wie sie alle aus einem Stamm hervorgehen;<br />

o<strong>der</strong> aber er repräsentiert das, was die In<strong>der</strong> „Skambha“ nennen, den Weltenbaum. Bei<br />

93 Reitzenstein: Studien zum antiken Synkretismus... p. 45<br />

94 Ebenda<br />

95 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus ... p. 234<br />

96 Ebenda<br />

40


diesem handelt es sich um einen weltweit auftretenden Archetyp; sehr dominant ist dieser<br />

etwa in <strong>der</strong> Edda als „Esche Yggdrasil“.<br />

De Santillana / von Dechend haben gezeigt, wie sich dieser Weltenbaum vorwiegend aus<br />

Himmelskoordinaten zusammensetzt 97 und so eine „imaginative Armillarsphäre“ bildet.<br />

Die Polachse und die vier Koluren stellen ein unsichtbares Gerüst dar, dieses wie<strong>der</strong>um<br />

repräsentiert ein Weltalter. Hierbei wird die Erde viereckig durch die in <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong><br />

Ekliptik aufgespannten Solstitien und Äquenoktien dargestellt 98 , <strong>der</strong> Himmel durch die<br />

zwei Pole. Am Ende eines Weltalters bricht nun das himmlische Gestell zusammen, und<br />

damit <strong>der</strong> Himmel, wobei Weltuntergänge in Form von Kataklysmen folgen können. Der<br />

Himmelspol verschiebt sich und ein neuer Polarstern muß gefunden werden.<br />

Das Gestell <strong>der</strong> Erde, welches um die Erdachse aufgespannt ist, schwimmt im Äther des<br />

Weltraums, dem „Urmeer“. Diesen Äther stellte sich die Antike nicht als leer vor, was er<br />

aus heutiger Sicht auch nicht ist, son<strong>der</strong>n als sehr feine Flüssigkeit - eben den Urozean.<br />

Darüber hinaus wurde alles, was sich unter dem Kreis des Äquators befindet, als Meer<br />

dargestellt - alles darüber als festes, bewohntes Land. Es handelt sich hier nicht<br />

notwendigerweise um Unkenntnis <strong>der</strong> Geographie, son<strong>der</strong>n spiegelt vielmehr die alte<br />

Kosmographie wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Orientierung hauptsächlich nach Norden erfolgte. 99<br />

97 De Santillana / von Dechend: Die Mühle des Hamlet.<br />

98 ...als solche aber nicht für eine Scheibe gehalten!<br />

99 Beson<strong>der</strong>s deutlich nachvollziehbar etwa in China durch die Identifikation des Herrschers mit dem<br />

Polarstern und einer an diesem aufgehängte Astronomie.<br />

41


China – die Herrschaft des Himmelspols<br />

42<br />

Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht<br />

entdecken, da es dann unaufspürbar ist und unzugänglich bleibt.<br />

(Heraklit v. Ephesos; DK 28)<br />

Eine Weltalterlehre eindeutig in China zu diagnostizieren fällt schwer, will man nicht auf<br />

buddhistische Importware und <strong>der</strong>en Mutationen zurückgreifen. Dennoch ist solch eine<br />

Lehre in unterschiedlichen Schichten indirekt vorhanden. Was die chinesische Mutation<br />

interessant und erwähnenswert macht, ist zuerst einmal die Tatsache, daß nicht wie in<br />

Indien bis Griechenland eine zyklische Sicht auf zeitliche Vorgänge dominiert, son<strong>der</strong>n<br />

diese sich oszillierend verhalten.<br />

Dies kann als geometrisch-psychologisches Problem aufgefaßt werden. So handelt es sich<br />

bei <strong>der</strong> chinesischen Vorstellung vom Oszillieren <strong>der</strong> Dinge und Energien zwischen Yin<br />

und Yang, den zwei Polen, um einen Theorienkomplex, <strong>der</strong> eng verbunden ist mit dem,<br />

was wir Okzidentalen unter Regulation verstehen – am Besten in einem<br />

Bewässerungssystem mit Deichen, Kanälen und Schleusen veranschaulicht.<br />

Es entbehrt jeglicher Absolutheit, kennt damit bis auf Ausnahmen keine Zerstörung und<br />

Auflösung in Pralayas; anstatt dessen wird in China generell eine Terminologie <strong>der</strong><br />

Umwandlung und Transformation bevorzugt. Immer wird ein ausgleichen<strong>der</strong> Pol<br />

mitgedacht und –empfunden. Indien und <strong>der</strong> von dort sich ausbreitende Buddhismus steht<br />

zu dieser Haltung in Wi<strong>der</strong>spruch. Hier liegt das Ab-solute schon in <strong>der</strong> geometrischen<br />

Vorstellung des (geschlossenen) Kreises, <strong>der</strong> ja auch als Modell für die Weltalterlehre gilt.<br />

Das (absolute) Zölebat, <strong>der</strong> in China als fremd empfundenen Buddhisten, ist eine<br />

praktische Ausformung dieser Differenz. Ebenso gibt es nicht den Gedanken einer creatio<br />

ex nihilo. Die Vorstellung einer Konjunktion aller Planeten am Beginn und Ende <strong>der</strong> Welt,<br />

die zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Han kurz aufleuchtete wird von Needham als untypisch bezeichnet und<br />

einem babylonischen Einfluß zugeschrieben.


Yü Hsi (4. Jh.), <strong>der</strong> als chinesischer Entdecker <strong>der</strong> Präzession <strong>der</strong> Äquinoktien gilt 100 , die in<br />

<strong>der</strong> Weltalterlehre eine markante Rolle spielen und sonst als Kreiselbewegung vorgestellt<br />

wird, wußte wohl Bescheid um die (scheinbare) kreisförmige Bewegung <strong>der</strong> Sterne um den<br />

Himmelspol, als er schrieb: „The luminaries are distributed, each persuing its own course<br />

like the high and low tides of the sea and its rivers, and like the thousands of living<br />

creatures which sometimes come out and sometimes hide away.“ 101<br />

Eine an<strong>der</strong>e zeitweise verbreitete Theorie erklärte die Jahreszeiten durch ein sich Auf- und<br />

Abbewegen <strong>der</strong> Erde entlang einer Himmelsachse. 102<br />

Eine Eigenständigkeit <strong>der</strong> chinesischen Astronomie und damit in gewisser Weise auch<br />

Kosmogonie gilt in vielen Punkten als erwiesen, wenn auch zeitweise ein Austausch mit<br />

dem Westen über die Seidenstraße gewiß gegeben war. So wußten die Chinesen von<br />

Anfang an zwischen selbsttätig strahlenden Himmelskörpern (yang) und den passiven, das<br />

Licht nur reflektierenden Körpern (Mond und Planeten – yin) zu unterscheiden. Die<br />

„Passivität“ des Mondes wurde in Europa hingegen erstmals durch Parmenides v. Elea<br />

behauptet, die <strong>der</strong> Planeten noch lange nicht wahrgenommen; ist ja auch ein<br />

Hauptindikator – die Ausbildung von ‚Phasen‘, beziehungsweise einer Sichel mit Schatten<br />

– welche mit freiem Auge nicht wahrzunehmen sind. Dies gelang 1609 erst Galilei nach<br />

<strong>der</strong> Erfindung des Fernrohrs. Giordano Bruno formulierte dann - angeregt durch die<br />

copernikanische Kosmologie – im Abendland den Gedanken von <strong>der</strong> Unendlichkeit des<br />

Universums sowie <strong>der</strong> Identität von Sternen und Sonne und schaufelte so wesentlich am<br />

Grab <strong>der</strong> europäischen Begrenzung des Kosmos durch die gewiß nicht wenig<br />

„materialistische“ Sphärentheorie.<br />

Im Kontext einer frühen empirisch und nach heutigen Maßstäben sehr wissenschaftlich<br />

betriebenen Geologie taucht in China sehr früh die Theorie von großen Kataklysmen auf.<br />

Der Neo-Konfuzianist Chu Hsi spricht in diesem Zusammenhang vom „Great Waste-Land<br />

100 Allerdings weist Needham darauf hin, daß diese wohl schon vor 2000 v. Chr. in China bekannt gewesen<br />

sein muß. Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 250<br />

101 Zitiert und übersetzt in Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 220<br />

102 Nach Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 224<br />

43


of the Generations“ 103 . Da in China keine eigentlichen Vulkane bekannt sind, handelt es<br />

sich ausschließlich um Kataklysmen im Zusammenhang mit dem Meer. Verschiedene<br />

versteinerte Muscheln und Fische werden schon Jahrhun<strong>der</strong>te vor je<strong>der</strong> europäischen<br />

Geologie gefunden und richtig gewertet. Die Geschichte eines Herrschers ist weit<br />

verbreitet, <strong>der</strong> um die Überschwemmung, Austrocknung und Erosion des Landes in großen<br />

Perioden wissend, Stelen immer in doppelter Ausfertigung errichten ließ. Eine auf <strong>der</strong><br />

Spitze eines Hügels aufgestellt, die an<strong>der</strong>e am Fuß des darunterliegenden Tales vergraben.<br />

Als Erklärung gab er an, daß <strong>der</strong>en Stellung zueinan<strong>der</strong> einmal vertauscht sein würde.<br />

Weit verbreitet ist auch <strong>der</strong> Terminus „sang thien“, <strong>der</strong> mit „Maulbeer-Hain“ übersetzt<br />

wird und ein Stück Land bezeichnet, das einmal von Meer bedeckt war o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> sein<br />

wird. Damit im Zusammenhang steht <strong>der</strong> Mythos von den magischen Inseln des östlichen<br />

Meeres, welche man als mit dem platonischen Atlantismythos korrespondierend sehen<br />

kann. Von Bedeutung ist hier eine Ähnlichkeit, wenn die legendäre taoistische Heilige Ma<br />

Ku auf diese Insel zu einer Versammlung von Hsien-Unsterblichen reist, die an die<br />

indischen ‰Ûis o<strong>der</strong> die griechischen Götter <strong>der</strong> Vorzeit erinnern. Die oben erwähnte<br />

Unsterblichkeit ist hier wörtlich zu verstehen, wenn Ma Ku sagt, „Since I was last invited<br />

here I have seen that the Eastern Sea has turned into groves and fields. This change has<br />

occured three times ... It looks as if the sea will again be turned to mountains and dry<br />

land.“ 104<br />

China wußte also vor dem Kontakt mit dem Westen durch die Jesuiten sowohl von <strong>der</strong><br />

Präzession <strong>der</strong> Erdachse und damit dem „platonischen Jahr“ als auch von den großen<br />

geologischen Kataklysmen, die Meeresmuscheln versteinern und auf den Bergspitzen<br />

ablagern. Ob sie jemals beides zueinan<strong>der</strong> in Verbindung gebracht haben, bleibt <strong>der</strong><br />

Spekulation überlassen - also den Philosophen. Grundsätzlich zählen Theorien, wie schon<br />

vorhin erwähnt, generell nicht zu den Vorlieben des chinesischen Charakters; sie sind<br />

Empiristen, so lange es geht. Oft jedoch hat man den Einruck, daß solche (Theorien) aber<br />

sehr wohl implizit vorhanden, o<strong>der</strong> erkennbar sind, sie aber nicht ausgesprochen, nicht<br />

103 Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 598<br />

104 Ebenda p. 600<br />

44


formuliert werden – vielleicht, im taoistischen Sinne des wu wei, um nicht in den<br />

beobachteten Ablauf <strong>der</strong> Natur einzugreifen.<br />

Einen zarten Hinweis auf so etwas wie Weltalter liefern uns die in Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />

Herrschaft sehr wichtigen Beobachtungen und Aufzeichnungen über den Himmelspol und<br />

seine Bahn, die durch die torkelnde Erdachse während ca. 26 000 Jahren beschrieben wird.<br />

Der Herrscher wurde mit dem jeweiligen Polarstern identifiziert. Letzterer wurde in <strong>der</strong><br />

langen <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> chinesischen Astronomie, die mindestens bis 3000 v. Chr. zurückreicht,<br />

mehrmals neu definiert. Von beson<strong>der</strong>em Interesse hierbei sind zwei „Barrieren“, die<br />

durch mehrere Sterne definiert, ein bestimmtes Kreissegment dieser Bahn des<br />

Himmelspols auf zwei Seiten begrenzen. 105 Die beiden Sterne am nördlichen Eintritt <strong>der</strong><br />

Bahn des Himmelspols werden „rechter und linker Türpfeiler“ genannt, <strong>der</strong> Raum<br />

dazwischen „Tor des purpurfarbenen Palastes“. Der ganze Kreissektor umfasst hierbei<br />

etwa ein Viertel bis ein Drittel einer vollständigen Kreisbewegung des Himmelspols.<br />

Nun war es durchaus üblich den Himmel in hsiu, in 28 Himmelshäuser einzuteilen, die zur<br />

Orientierung am Himmel verwendet wurden und auch in Beziehung mit den Provinzen des<br />

Reiches standen. Ungewöhnlich ist jedoch die Begrenzung <strong>der</strong> Bewegungs-Bahn des so<br />

bedeutenden Pols; beson<strong>der</strong>s, wenn man bemerkt, daß die <strong>Zeit</strong>, da er an <strong>der</strong> Eintrittsstelle,<br />

im Tor des purpurfarbenen Palastes 106 stand, ein Datum etwa 3000 v. Chr. markiert, das<br />

zumindest schon in Indien als Beginn des Kali Yuga 107 eine zentrale Stelle einnimmt. Der<br />

Austritt des Himmelspoles aus <strong>der</strong> Begrenzung <strong>der</strong> Barrieren erfolgt zu einer <strong>Zeit</strong>, wenn<br />

dieser beinahe genau mit γ - Cepheus 4000 n. Chr. zusammenfällt.<br />

105 Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 259 ff.<br />

106 Dieses ist <strong>der</strong> Eingang zum „purpurroten verbotenen Raum“ (Tzu wei yuan) und symbolisiert den<br />

Kaiserpalast. Definiert wird das Tor durch ι - Draconis auf <strong>der</strong> östlichen Seite <strong>der</strong> Barriere und α - Draconis<br />

auf <strong>der</strong> westlichen Seite. Es scheint (Needham zitiert E. Zinner: Geschichte d. Sternkunde. Springer, Berlin<br />

1931, p. 22), daß diese es waren, die von den Griechen als „Pflöcke des Poles“ bezeichnet wurden.<br />

107 Bei Éri YukteÛvar ist es <strong>der</strong> Beginn des DvËpara Yuga.<br />

45


Die Neuerschaffung <strong>der</strong> Sonne bei den indianischen Völkern<br />

Von allen alten Kulturen ist die <strong>der</strong> Maya wohl am meisten fasziniert und in Bann<br />

geschlagen von dem Phänomen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. In vielen Hieroglyphentexten <strong>der</strong> Maya begegnet<br />

man Berechnungen tief in die Vergangenheit zurück und auch weniger weiten Vorstößen<br />

in die Zukunft. Auf einer Stele in Quirigua ist ein vermutlich über 90 Millionen Jahre<br />

zurückliegendes Datum errechnet, auf einer weiteren eines, das über 300 Millionen vor<br />

dem Angegebenen liegt 108 . Thompson sagt, dass an diesen Berechnungen nicht zu zweifeln<br />

sei. Sie seien Ermittlungen von Tagen und Monaten und entsprechen Berechnungen aus<br />

unserem Kalen<strong>der</strong>. Nicht nur spielt Prädestination im Leben <strong>der</strong> Maya eine wichtige Rolle,<br />

son<strong>der</strong>n es begegnet einem oftmals das seltsame Unvermögen beziehungsweise die<br />

Weigerung, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden, was als ein Merkmal<br />

für ein zyklisches Weltbild gelten mag.<br />

Stelen und Altäre wurden errichtet um den Ablauf <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu markieren und wurden am<br />

Ende einer Periode geweiht. Darüber hinaus wurden die Tage bei den Maya nicht nur von<br />

einem Gott beeinflußt, vielmehr ist er ein Gott o<strong>der</strong> richtiger ein Götterpaar, gebildet aus<br />

einer Zahl und einem Namen. In den <strong>Zeit</strong>abschnitten sahen die Maya Lasten, die von<br />

göttlichen Trägern durch alle Ewigkeit geschleppt wurden 109 . Diese Träger lösten sich<br />

immer wie<strong>der</strong> ab. Sie waren die Zahlen mit denen die verschiedenen Perioden bezeichnet<br />

wurden.<br />

Diese Last-tragenden Götter erinnern in vielen bildlichen Darstellungen durch ihre nach<br />

vorne gebeugte Haltung an Darstellungen des Kreuz-tragenden Christus. Wahrlich Götter<br />

für ein dunkles <strong>Zeit</strong>alter. Götter unter <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> Welt-<strong>Zeit</strong>. Dies sind nicht mehr die<br />

Götter Homers, die mit <strong>der</strong> Materie spielen, sich zum Vergnügen in Delphine, Pferde o<strong>der</strong><br />

Wid<strong>der</strong> verwandeln - son<strong>der</strong>n den Menschen, <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> ausgelieferte Götter.<br />

Die Kombination <strong>der</strong> verschiedenen <strong>Zeit</strong>-Götter war es, die das Leben und die<br />

augenblickliche Geschichte bestimmten. Konnte man eine ähnliche Kombination in <strong>der</strong><br />

108 Thompson, J. Eric S.: The Rise and Fall of Maya Civilization. University of Oklahoma Press, Oklahoma<br />

1954; p. 23<br />

109 Thompson, p. 175<br />

46


dokumentierten Vergangenheit finden, so war man sicher, daß wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> gleiche<br />

Einfluß gleiche Ergebnisse zeitigen würde. Die Vorstellung, daß die Geschichte sich bei<br />

gleichen Einflüssen wie<strong>der</strong>holen würde, führte dazu, die Zukunft mit <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />

verwechseln und verstärkte die Vorstellung von einem zyklischen Weltbild. Der wichtigste<br />

Maßstab hierbei war <strong>der</strong> „Katun“, <strong>der</strong> aus 20 „Tun“ (zu 360 Tagen) bestand. Nach<br />

annähernd 257 Jahren (260 Tun) war <strong>der</strong>selbe Katun wie<strong>der</strong> erreicht und damit <strong>der</strong>selbe<br />

Einfluß <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. Dieser Fatalismus wird von <strong>der</strong> Tatsache unterstrichen, daß weitaus mehr<br />

<strong>Zeit</strong>-Götter ungünstige Einflüsse ausübten, als günstige. Den absoluten Glauben an die<br />

Macht des Kalen<strong>der</strong>s machten sich zum Teil auch die Spanier zu Nutze. So zum Beispiel<br />

Andrés de Avendano, ein Franziskaner und Kenner des Maya-Kalen<strong>der</strong>s. Er konnte die<br />

Häuptlinge von Itza , einem <strong>der</strong> letzten Fürstentümer, das gegen die Spanier standgehalten<br />

hatte, überzeugen, daß nur noch vier Monate fehlten, bis zu dem <strong>Zeit</strong>punkt, da sie nach<br />

ihren Prophezeiungen das Christentum annehmen und sich <strong>der</strong> spanischen Krone<br />

unterwerfen würden.<br />

Das Wissen um die Harmonie des Universums und seine Herrscher war <strong>der</strong> Schlüssel zum<br />

„methodischen Leben“ 110 , einem <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>qualität angemessenen. Dazu wurde das kleinste<br />

gemeinsame Vielfache von zwei o<strong>der</strong> mehr dieser Zyklen ermittelt um voraus zu<br />

bestimmen, wann zwei o<strong>der</strong> mehr <strong>der</strong> göttlichen Träger zusammen den gleichen Rastplatz<br />

erreichen, um ihre Lasten zu übergeben.<br />

Eine Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> vier <strong>Zeit</strong>alter haben wir durch Don Fernando de Alva Ixtlilxochitl<br />

(1568-1648), <strong>der</strong> als ein Nachkomme <strong>der</strong> letzten eingeborenen Herrscher <strong>der</strong>en Chronik<br />

verfaßte. Nach seiner Schil<strong>der</strong>ung entsprechen die vier <strong>Zeit</strong>alter den vier auch in<br />

Mittelamerika bekannten Elementen; so spricht er in chronologischer Reihenfolge von dem<br />

<strong>Zeit</strong>alter <strong>der</strong> Wassersonne, <strong>der</strong> Erdsonne, <strong>der</strong> Windsonne und <strong>der</strong> Feuersonne, wobei den<br />

jeweiligen „Sonnen“ Oberherrschaft über das entsprechende Weltalter zukommt. 111<br />

110 So nennt es Thompson; p. 180<br />

111 Es bleibt allerdings bis heute weitgehend offen, was mit dem Terminus „Sonne“ genau gemeint wurde. Da<br />

den unterschiedlichen Sonnen Qualitäten zugeordnet sind, reicht ein allgemeiner Hinweis auf Sonnenkulte,<br />

Sonnenverehrung, etc. hier nicht aus, bzw. hilft nicht den elementalen Unterschied deutlich zu machen.<br />

47


Beson<strong>der</strong>s dominant werden die zugeordneten Elemente aber immer erst gegen Ende des<br />

jeweiligen Weltalters, wo sie durch Entfaltung ihrer zerstörerischen Eigenschaften das<br />

Ende desselben herbeiführen. Durch sintflutartige Überschwemmungen, Erdbeben, Stürme<br />

und im letzten Weltalter alles verschlingende Flammen. Für die Indianermythen <strong>der</strong> höher<br />

zivilisierten als auch einfacher strukturierten Völker Amerikas folgte darauf immer wie<strong>der</strong><br />

eine Neuerschaffung <strong>der</strong> Welt, die ihre Samen jedes Mal aus in Höhlen o<strong>der</strong> auf Bergen<br />

überlebenden Stammeltern bezog. 112<br />

Wir wissen heute, daß die indianischen Sagen von <strong>der</strong> goldenen <strong>Zeit</strong>, die wie<strong>der</strong> kommt,<br />

und von den göttlichen Helden, die sie wie<strong>der</strong>bringen, nicht nur in den Hochzivilisationen<br />

von Mexiko und in den Anden tradiert wurden. Auch bei den Stämmen Nordamerikas gab<br />

es offensichtlich eine Fülle <strong>der</strong>artiger Sagen. Sie gewannen während <strong>der</strong> blutigen<br />

Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit den weißen Einwan<strong>der</strong>ern an Kraft und wirkten sich bis in die<br />

Gegenwart auch politisch aus. Im Gegensatz zu den Vertretern <strong>der</strong> Europäischen<br />

Zivilisation glaubten viele <strong>der</strong> Häuptlinge, Schamanen und Dichter <strong>der</strong> Indianer nicht an<br />

Fortschritt, zumindest nicht in den grundlegenden Dingen des Lebens.<br />

Die 1890 blutig unterdrückte Geistertanz-Bewegung (Ghost Dance Movement) lehrte, daß<br />

schon vielfach in früheren <strong>Zeit</strong>en die einsamen Weiten durch mächtige Städte beherrscht<br />

und bevölkert wurden. Nichts als Ruinen seien von ihnen geblieben, und die Trümmer<br />

selber wurden nach und nach wie<strong>der</strong> zu Erde, die selber ewig jungfräulich bleibe.<br />

„Die vergänglichen Schöpfungen des Menschen haben keine Bedeutung; <strong>der</strong> große Geist<br />

muß sie nur anblasen, und sie sind nicht mehr! Dann werden die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde die Welt<br />

wie<strong>der</strong> in ihren Besitz nehmen. Die vergangenen <strong>Zeit</strong>en werden dann zu einer neuen<br />

Gegenwart! Erdbeben werden den Tag dieser Erneuerung verkünden, und die fast<br />

ausgerotteten Wildtiere, ... kommen zurück in unsere Welt, die <strong>der</strong> Große Geist ihnen<br />

ebenso geschenkt hat wie den Menschen.“ 113<br />

112 Parallelen zu Noah und an<strong>der</strong>en Sintflutsagen sind zur Genüge vorhanden, würden hier aber den Rahmen<br />

sprengen.<br />

113 Zitiert in Sergius Golowin, Mircea Eliade, Josph Campbell: Die großen Mythen <strong>der</strong> Menschheit. Orbis<br />

Verlag, München 2002, p. 279<br />

48


Ein wesentliches Element des goldenen <strong>Zeit</strong>alters in den mexikanischen Sagen ist <strong>der</strong> Gott<br />

Quetzalcoatl, was mit „gefie<strong>der</strong>te Schlange“ übersetzt wird. Er sei ein hoher Priester in<br />

Tula gewesen, <strong>der</strong> nach seinem Verschwinden als Verkörperung des gleichnamigen Gottes<br />

<strong>der</strong> Luft angesehen wurde. Seine Gestalt sei groß gewesen, seine Augen beson<strong>der</strong>s<br />

leuchtend, sein Bart lang und voll, die Haut hell (weiß). Zu seinen wesentlichsten<br />

Verdiensten – und denen seiner Gefährten - zählte unter an<strong>der</strong>em die Bekämpfung <strong>der</strong><br />

blutigen (Menschen-) Opferungen und das Lehren von friedlichen Künsten. Dieser Mythos<br />

von den hellhäutigen Zivilatoren war es dann auch, <strong>der</strong> Hernando Cortez half, das riesige<br />

Aztekenreich zu erobern, indem Cortez die Erwartungen bezüglich <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr<br />

Quetzalcoatls und seiner Begleiter aus dem Osten erfüllte. Hier zeigt sich <strong>der</strong> Mythos als<br />

so stark, imstande ein riesiges Reich zu lähmen und dem Untergang preiszugeben.<br />

Tatsächlich handelten die spanischen Eroberer im Sinne Quetzalcoatls und erfüllten<br />

gewissermaßen einen Teil des Mythos, als sie bei ihrer Eroberung und im Zuge <strong>der</strong><br />

Christianisierung den wuchernden Kult <strong>der</strong> Menschenopferung bei den Azteken<br />

unterbanden. Nicht erfüllen konnten die christlichen Eroberer jedoch die Erwartung <strong>der</strong><br />

aztekischen Stämme auf Frieden. Kukulkan, wie Quetzalcoatl bei den Maya genannt wurde<br />

hatte ohne Waffengewalt gehandelt.<br />

Vier (aztekische) <strong>Zeit</strong>alter werden im Codex Vatico Latinus folgen<strong>der</strong>maßen erläutert. 114<br />

Hierbei wird jeweils die genaue Dauer <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter mit 4008 Jahren <strong>der</strong> ersten Sonne<br />

(Matlactili), 4010 Jahren <strong>der</strong> zweiten Sonne (Ehecatl), 4081 Jahren <strong>der</strong> dritten Sonne<br />

(Tleyquiyahuillo) angegeben. Die vierte Sonne trat ihre Herrschaft etwa 3000 v. Chr. an.<br />

Wie<strong>der</strong>um sind die Weltalter hier Elementen zugeordnet, wobei aber die mittleren zwei im<br />

Vergleich mit Don Fernando de Alva Ixtlilxochitls Angaben vertauscht aufscheinen. So<br />

entspricht im Dresdner Codex dem ersten <strong>Zeit</strong>alter das Element Wasser, dem zweiten das<br />

Element Wind, dem dritten das Element Feuer und dem fünften, das auf den Namen<br />

Tzontliac, „schwarzes Haar“ getauft wurde, offenbar das Element Erde.<br />

114 Codex vatico latinus (Codex Vaticanus B 1972) – nach Gilbert/Cotterell p. 98<br />

49


Ein an<strong>der</strong>es Kulturdokument <strong>der</strong> Azteken, das die Verwüstung <strong>der</strong> Conquista überlebte, ist<br />

<strong>der</strong> Sonnenstein des Axayacatl. 1497 ließ ihn <strong>der</strong> sechste Herrscher <strong>der</strong> Azteken aus einem<br />

Basaltblock hauen. Er wiegt 24,5 Tonnen und weist eine Reihe von konzentrisch<br />

beschrifteten Kreisen auf. Als die Spanier Tenochtitlán eroberten, warfen sie den<br />

Sonnenstein aus dem Tempel auf den Hauptplatz und ließen ihn vergraben. Er wurde dann<br />

erst 1790 bei einer städtischen Ausgrabung wie<strong>der</strong> entdeckt. 115<br />

Der Text auf dem Sonnenstein läßt darauf schließen, daß die Erde schon vier <strong>Zeit</strong>alter<br />

durchlaufen habe. Hier ist eindeutig von fünf Weltaltern die Rede.<br />

Das Erste und am weitesten zurückliegende <strong>Zeit</strong>alter steht im Zeichen des Jaguargotts<br />

Ocelotonatiuh. Während dieser Sonne lebten von Göttern geschaffe Riesen, die aber<br />

schließlich von Jaguaren angegriffen und verschlungen wurden. Die Zweite Sonne steht im<br />

Zeichen des Schlangenkopfes von Ehecoatl, dem Windgott. Während dieser Sonne wurden<br />

die damals lebenden Menschen von Sturmwinden und Hurrikanen vernichtet und in Affen<br />

verwandelt.<br />

Im Zeichen von Tlaloc, dem Gott des Regens und des Himmelsfeuers steht die dritte<br />

Sonne. In diesem <strong>Zeit</strong>alter wurde die Welt durch vom Himmel fallenden Feuerregen und<br />

durch Lava vernichtet. Als alle Behausungen verbrannten wurden die Menschen in Vögel<br />

verwandelt um die Katastrophe zu überleben.<br />

Die vierte Sonne steht im Zeichen <strong>der</strong> Wassergöttin Chalchiuhtlicue und die Vernichtung<br />

<strong>der</strong>selben kam in Form von Wolkenbrüchen und Überschwemmungen. Berge versanken<br />

im Wasser, und die Menschen wurden in Fische verwandelt.<br />

Das Zeichen <strong>der</strong> fünften Sonne, unserer gegenwärtigen Epoche, ist das Gesicht Tonatiuhs,<br />

des Sonnengottes. Seine Zunge die als Obsidianmesser dargestellt ist, ragt hungrig aus dem<br />

Mund und signalisiert damit sein Verlangen nach Speisung in Form von Menschenblut und<br />

Herzen. Sein faltiges Gesicht veranschaulicht sein vorgerücktes Alter. Er erscheint im<br />

Symbol Ollin, das Bewegung bedeutet.<br />

In dieser dritten nun angeführten Auflistung findet sich die Ordnung nach Elementen nur<br />

mehr fragmentarisch wie<strong>der</strong>, ist eigentlich nur im zweiten, dritten und vierten Weltalter<br />

115 Zur <strong>Zeit</strong> im Museo Nacional de Antropologia y Historia in Mexico City<br />

50


identifizierbar, wo sie sich mit dem Dresdner Codex deckt, während Don Fernando und <strong>der</strong><br />

Dresdner Codex das unter dem Wasser stehende <strong>Zeit</strong>alter an den Beginn stellen.<br />

Hier ist allerding zum ersten Mal eine fünfte Sonne, ein fünftes <strong>Zeit</strong>alter erwähnt. Auffällig<br />

ist auch die mit dem Dresdner Codex übereinstimmende größere Länge des letzten<br />

<strong>Zeit</strong>alters, in welchem das letzte (dort ist es das vierte <strong>Zeit</strong>alter) schon mehr als 5000 Jahre<br />

währt, während auf dem Sonnenstein das höhere Alter <strong>der</strong> fünften Sonne gegenüber den<br />

vorhergehenden durch das greisenhafte Anlitz seines Gottes dargestellt wird.<br />

Gleich wie die Azteken glaubten die Maya, daß es vor ihrer eigenen Schöpfung noch<br />

an<strong>der</strong>e gegeben hatte, wir besitzen jedoch keine Angaben über die Vorstellung <strong>der</strong> Maya<br />

von <strong>der</strong> Dauer dieser Welten. Jedes mal schufen die Götter ein neues Menschengeschlecht,<br />

zuerst aus Ton und später aus Holz. Diese frühen Geschlechter erwiesen sich offenbar<br />

jedoch als unfähig, ihre Rolle zu erfüllen. Am Ende des zweiten <strong>Zeit</strong>alters wurden sie<br />

daher in Affen verwandelt.<br />

Die Maya hatten mehrere Kalen<strong>der</strong>. Der erste war <strong>der</strong> Tzolkin, <strong>der</strong> einen Zyklus von 260<br />

Tagen umfaßte, bestehend aus 13 Monaten zu je 20 Tagen. 20 Tage unter an<strong>der</strong>em<br />

deswegen, weil die Basis des Maya-Zahlensystems nicht zehn, son<strong>der</strong>n 20 war. Der<br />

Tzolkin hatte magisch-rituelle Bedeutung und wird noch heute von den Nachfahren <strong>der</strong><br />

Maya zu denselben Zwecken verwendet. Der zweite Kalen<strong>der</strong>, Haab entspricht unserem<br />

Sonnenjahr und bestand ebenso wie dieses aus 365 Tagen, aufgeteilt in 18 Monate von<br />

wi<strong>der</strong>um jeweils 20 Tagen, denen dann ein kurzer Monat von fünf Tagen folgte. Ihre<br />

Sonnen-Monate zählten die Maya von Null bis 19, beziehungsweise von Null bis vier. Bei<br />

<strong>der</strong> Beschreibung eines Datums gaben sie ihm zwei Namen; einen aus dem Tzolkin und<br />

einen aus dem Sonnenjahr. Durch die unterschiedliche Länge <strong>der</strong> Zyklen ergaben sich<br />

Kombinationen, die sich nur alle 52 Jahre wie<strong>der</strong>holten. Diese 52 Jahre wurden später von<br />

Historikern „aztekisches Jahrhun<strong>der</strong>t“ o<strong>der</strong> „aztekische Kalen<strong>der</strong>runde“ genannt; das<br />

Anbrechen eines neuen solchen „Jahrhun<strong>der</strong>ts“ war mit bestimmten Erneuerungen<br />

verknüpft. So wurde beispielweise Pyramiden eine neue Schicht hinzugefügt. 116 Zusätzlich<br />

gab es noch den sogenannten Long Count-Kalen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> erst relativ spät an Hand des<br />

Dresdners Codex rekonstruiert werden konnte. In ihm bildeten 20 Tun (Jahre) ein Katun<br />

116 Der aztekische Kalen<strong>der</strong> basiert auf dem <strong>der</strong> Maya [C.D.]<br />

51


(7.200 Tage); 20 Katun bilden ein Baktun, welches ca 400 Jahre umfasst (144.000 Tage).<br />

13 Baktun (ca. 5125 Jahre) bildeten in <strong>der</strong> Regel eine „Sonne“, ein <strong>Zeit</strong>alter, das durch<br />

Zerstörung beendet wurde.<br />

In <strong>der</strong> Praxis des Codex Vaticanus, ein weiterer von wenigen vor den Zerstörungen <strong>der</strong><br />

Spanier geretteten Codices, sind die <strong>Zeit</strong>alter von abweichen<strong>der</strong> Länge, welche<br />

schrittweise zunimmt. Welches Muster hinter dieser Zunahme steckt ist nicht klar.<br />

Auffällig ist aber wie schon erwähnt das Ausbrechen <strong>der</strong> zeitlichen Ausdehnung des<br />

vierten <strong>Zeit</strong>alters gegenüber den an<strong>der</strong>en dreien.<br />

Das Vergehen <strong>der</strong> Sonne am Schluß eines <strong>Zeit</strong>alters findet sich ganz markant auch in <strong>der</strong><br />

Völuspá. Dort wird sie von einem Wolf o<strong>der</strong> einem „Ungeheuer“ verschluckt, nachdem sie<br />

noch vorher die neue Sonne, ihre Tochter aus sich erschaffen hat 117 . Der Fimbulwinter tritt<br />

ein, bis die neue Sonne herangewachsen ist und die Erneuerung des irdischen Lebens<br />

beginnen kann. Olrik weist auch darauf hin, daß die Vorstellung von einer Bedrohung <strong>der</strong><br />

Sonne durch vor allem Wölfe - <strong>der</strong> sie schlußendlich erliegen muß - ein nicht nur im<br />

indoeuropäischen Raum vorhandener Mythos ist.<br />

117 Nach Olrik: Ragnarök. p. 36 ff.<br />

52


Pralaya - Ragnarök<br />

Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,<br />

<strong>Vom</strong> Himmel schwinden die heiteren Sterne.<br />

53<br />

Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltenbaum,<br />

Die heiße Lohe beleckt den Himmel.<br />

(Völuspá 56)<br />

Mircea Eliade sieht die Weltuntergangs- und Weltauflösungsmythen Pralaya und Ragnarök<br />

als zusammengehörig an, als zwei Ausprägungen eines indoeuropäischen Mythos. 118 Als<br />

Abschluß von Zyklen sind sie auch für die Erfassung und Beurteilung <strong>der</strong> Weltzeitalter<br />

von Bedeutung, bilden sie doch nicht nur einen Abschluß in Form eines bloßen Übergangs,<br />

wie es beim SandhyË <strong>der</strong> Fall ist, son<strong>der</strong>n verkörpern in noch viel höherem Maße eine<br />

verdichtete Rückschau auf den vorangegangenen Zyklus, ordnen diesen in <strong>der</strong> Art eines<br />

Gerichts, um ihn darauf in einem dem Urteil und <strong>der</strong> Vollstreckung analogen Prozeß<br />

‚aufzulösen‘.<br />

Pralaya bedeutet generell die Auflösung von Formen und Rückführung ihrer Energie (und<br />

Materie) in eine amorphe Masse. So weist Shastry auf eine Bedeutung hin, in <strong>der</strong> „Pralaya“<br />

sehr bildlich als Auflösung (Schmelzen) von Eis und Schnee und den damit<br />

einhergehenden Überflutungen zu verstehen ist – also pars pro toto für die archaische<br />

Vorstellung von <strong>der</strong> Sintflut eingesetzt wird. 119<br />

Nach dem SÄrya SiddhËnta gibt es zwei große Welt-Auflösungen, die sich mit den<br />

puranischen Vorstellungen decken. Die eine am Ende eines Tages Brahmas, am Ende eines<br />

Kalpa, nach 1000 Chaturyugas, wenn alle Formen sich auflösen, nicht jedoch die Substanz<br />

<strong>der</strong> Welt. Dieses Pralaya wird im ViÛÙu PurËna „UpasanhÎti“ genannt. 120 Die zweite Art<br />

<strong>der</strong> Auflösung erfolgt am Ende des Lebens Brahmas 121 , erfaßt zusätzlich die Materie, und<br />

118 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 128 f<br />

119 Shastry: „Natural Cycles in the Solar System and the Chaturyuga Cycles“. p. 5<br />

120 ViÛÙu PurËna VI.1<br />

121 In den PurËnas wird diese <strong>Zeit</strong>spanne „para“ genannt


wird „MahË Pralaya“ o<strong>der</strong> „PrËkÎta Pralaya“ genannt. Dieses Paar kann mit Schlaf und<br />

Tod Brahmas bezeichnet werden. Generell besteht jedoch im Hinduismus die Tendenz,<br />

auch nach an<strong>der</strong>en Zyklen „Pralayas“ anzusetzen; dann erhält das Wort mehr die<br />

Bedeutung von „Dämmerung“ und nähert sich so <strong>der</strong> „Götterdämmerung“ an. Relevant<br />

wird dies, wenn es um die Frage geht, ob dem Kali Yuga ein aufsteigendes DvËpara Yuga<br />

folgen soll, o<strong>der</strong> ein neues Satya Yuga; in letzterem Fall liegt ein energetischer und<br />

qualitativer Sprung vor, <strong>der</strong> eine Überbrückung verlangt. Dies ist etwa dem (kurzen)<br />

Prozeß 122 einer Revolution zwischen zwei gesellschaftlichen o<strong>der</strong> politischen Systeme<br />

vergleichbar, die den Wechsel hervorruft und das Bindeglied im Raum-<strong>Zeit</strong> Kontinuum<br />

unseres Verstandes darstellt. Dieser Übergang muß notwendigerweise mehr sein, als nur<br />

ein SandhyË, wie es zwischen den einzelnen Yugas vorkommt.<br />

Die Theosophen unterscheiden ebenfalls klar zwischen mehreren Pralayas, die sie auch als<br />

„Perioden <strong>der</strong> Ruhe“ umschreiben; damit trennen sie nicht eindeutig zwischen Schlaf und<br />

Tod, da sie im Regelfall davon ausgehen, daß auch in den „Toden“ ein höheres Prinzip<br />

„hinübergeht“, also jeweils nur „nie<strong>der</strong>e Prinzipien“ vom Zerfall betroffen sind.<br />

So kategorisiert die Theosophie die folgenden hauptsächlichen Pralayas, neben denen noch<br />

mehrere kleinere bestehen; in den „individuellen“ Pralaya eines Globus, <strong>der</strong> ein mehr o<strong>der</strong><br />

weniger fein- bzw. grobstofflicher Teil eines Himmelskörpers (Planeten) ist, einen<br />

„planetarischen“ Pralaya, <strong>der</strong> am Ende des Lebens eines Planeten steht, einen „solaren“<br />

Pralaya, wenn das ganze System an sein Ende gekommen ist und schließlich einen<br />

„universalen“ Pralaya am Ende eines <strong>Zeit</strong>alter Brahmas. Auch zwischen <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong><br />

einzelnen „Rassen“, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> „Wurzelrassen“, und den ihnen untergeordneten Yugas<br />

sind Pralayas vorhanden; sie sind hier aber mehr dem Schlaf vergleichbar, insofern, als das<br />

zelluläre Leben und die Funktionen <strong>der</strong> Organe in einem schlafenden Körper am Leben<br />

und in Tätigkeit bleiben und primär ein übergeordnetes Bewußtsein seinen Zustand<br />

verän<strong>der</strong>t.<br />

122 Hier muß dem ‚oberflächlichen Prozeß‘ <strong>der</strong> Revolution aber sehr wohl eine unterschwellige Dämmerung<br />

(SandhyË) zugestanden werden. Die Revolution beginnt zu Mittag eines neuen Tages. Es ist aber nicht durch<br />

ein plötzliches Emporschnellen <strong>der</strong> Sonne Mittag geworden, son<strong>der</strong>n durch das subjektive Verschlafen<br />

bestimmter maßgeblicher Bevölkerungsgruppen.<br />

54


Eine weitere Abstufungsreihe findet sich in <strong>der</strong> Geheimlehre 123 in dem „gelegentlichen<br />

o<strong>der</strong> zufälligen“ Pralaya (Naimitika), dem „elementalen“ Pralaya (PrËkritika), dem<br />

„absoluten“ Pralaya (Atyantika) und dem beständigen Pralaya (Nitya), die dort jedoch<br />

nicht weiter kommentiert werden.<br />

Jedenfalls wird offenbar zwischen zwei Arten unterschieden: In <strong>der</strong> ersten Kategorie von<br />

Pralayas lösen sich die nie<strong>der</strong>en einer aus mehreren Prinzipien bestehenden Lebensform in<br />

ihre Grundbestandteile auf, was etwa beim Atyantika- o<strong>der</strong> Nitya-Pralaya <strong>der</strong> Fall zu sein<br />

scheint; in <strong>der</strong> zweiten Kategorie handelt es sich um ein eher dem Schlaf vergleichbares<br />

Phänomen, wenn die nie<strong>der</strong>en Prinzipien in Tätigkeit bleiben und – umgekehrt zu ersterem<br />

Fall – die oberen Prinzipien ..., o<strong>der</strong> besser das obere Prinzip ausgetauscht wird, zumindest<br />

aber seine Bewußtseinsebene verlagert. Letzteres ist im Schlaf <strong>der</strong> Fall, ersteres dann,<br />

wenn neue Rassen in Erscheinung treten. So, wenn die neuen Einwan<strong>der</strong>er Amerikas, noch<br />

in den selben Körpern, sich auf dem neuen Kontinent innerlich verwandeln; in einem<br />

solchen Ausmaß, daß Blavatsky von <strong>der</strong> Grundsteinlegung einer neuen Wurzelrasse<br />

spricht. 124<br />

Ungewöhnlich konkret wird die Geheimlehre, wenn sie mit Verweis auf Quellen wie<br />

Seneca 125 und Plutarch 126 einen Pralaya in Form eines Weltenbrandes o<strong>der</strong> einer Sintflut an<br />

den Enden <strong>der</strong> si<strong>der</strong>ischen Jahre – die zugleich das Durchwan<strong>der</strong>n eines ganzen Tierkreises<br />

durch die Sonne darstellen – festsetzt, und sich dabei ausnahmsweise in einem <strong>der</strong><br />

abendländischen Geschichtsschreibung noch vorstellbaren Rahmen bewegt. 127<br />

123 GL II, p. 72<br />

124 GL II, p. 464<br />

125 Seneca: Quaestiones naturales. III, 29:1 ff.<br />

126 „But most important of all, out of a cloudless and clear air there rang out the voice of a trumpet,<br />

prolonging a shrill and dismal note, so that all were amazed and terrified at its loudness. The Tuscan wise<br />

men declared that the prodigy foretokened a change of conditions and the advent of a new age. For according<br />

to them there are eight ages in all, differing from one another in the lives and customs of men, and to each of<br />

these God has appointed a definite number of times and seasons, which is completed by the circuit of a great<br />

year.“ – (Plutarch [transl.: B. Perrin]: Parallel Lives. Loeb Classic Library Vol. IV, 1916; 7:3-4 [kursiv von<br />

mir])<br />

127 GL II, p. 712 f.<br />

55


Im Politikos 128 deutet auch Plato etwas wie ein Pralaya an: Zuerst dreht und bewegt Gott<br />

die Erde in die eine Richtung, dann entläßt er sie nach Ablauf einer bestimmten <strong>Zeit</strong> in die<br />

eigene Verantwortung – und nun wendet die Welt und dreht sich von selbst (metaphorisch<br />

o<strong>der</strong> auch wirklich) in die entgegengesetzte Richtung. Analog dazu herrschen zu Beginn<br />

(im goldenen <strong>Zeit</strong>alter) die Götter und Genien als Erzieher und Hirten <strong>der</strong> Menschen und<br />

Lebewesen - dann, nach <strong>der</strong> ‚Revolution‘, werden Menschen von Menschen beherrscht;<br />

letztere Tatsache setzt den Anfang für die Betrachtungen über den richtigen Staatsmann<br />

und begründet u.a. die Idee <strong>der</strong> Freiheit.<br />

Diese Richtungsän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt erinnert jedoch auch an die Umkehr <strong>der</strong> Werte im<br />

indischen Kali Yuga, wo ehemals schlechte Taten und Eigenschaften nun allgemein<br />

gebräuchlich sind und die untersten Kasten die Herrschaft antreten. In <strong>der</strong> altirischen<br />

Literatur finden sich die gesellschaftliche Umkehrung darin, daß Könige zu Landstreichern<br />

werden, „Edlinge“ erniedrigt und niedrig Geborene erhöht, etc. 129 So verkehren sich die<br />

Naturgesetze, die Jahreszeiten verlieren ihre Regelmäßigkeit. Im Liebeslied Kormaks ist<br />

von schwimmenden Felsen und aufwärtsfließenden Flüssen die Rede; in Nestors<br />

Russischer Chronik von einem Frieden zwischen Wladimir von Kiev und den Bulgaren „...<br />

bis das Gestein zu schwimmen und <strong>der</strong> Hopfen zu sinken anfängt“. 130 Wobei Nestor (bzw.<br />

Wladimir) und Kormak sicher nicht primär das Weltende im Sinn haben, jedoch zeigt die<br />

selbstverständliche Verwendung von Bil<strong>der</strong>n in denen die Naturgesetze auf den Kopf<br />

gestellt scheinen die grundsätzlich tiefe Verwurzelung <strong>der</strong> Vorstellung von einer Umkehr<br />

<strong>der</strong> Welt auch im Alltäglichen.<br />

Das Phänomen <strong>der</strong> Verkehrung wird jedoch auch konkret mit dem Ende <strong>der</strong> Welt in<br />

Verbindung gebracht, so etwa in dem alten nordischen Volkslied Svend i Rosensgaard, wo<br />

es heißt: „wenn <strong>der</strong> Rabe weiß und <strong>der</strong> Schwan schwarz ist, wenn die Fe<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sinkt<br />

und <strong>der</strong> Stein schwimmt, ... wenn wir das Meer brennen sehn, ... wenn wir das Ende <strong>der</strong><br />

Welt sehn.“ 131<br />

128 Politikos. 269a ff.<br />

129 Agallamh en dá Shuadh. ca 1150, zitiert und übersetzt in Olrik: Ragnarök. p. 32<br />

130 Zitiert in Olrik: Ragnarök. p. 46<br />

131 An<strong>der</strong>e Schlußzeilen aus Schweden und Finnland lauten „wenn das Gericht kommt“ o<strong>der</strong> „wenn die Welt<br />

vernichtet wird.“ - zitiert in Olrik: Ragnarök. p. 47<br />

56


Doch damit ist die Vorstellungsgrenze des Ragnarök noch keineswegs erschöpft. Das<br />

wesentliche ist nicht <strong>der</strong> Weltenbrand, das Versinken <strong>der</strong> Erde im Meer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> alles<br />

leben auslöschende Fimbulwinter; son<strong>der</strong>n eine an<strong>der</strong>e, viel ungeheuerliche Umkehrung.<br />

Nämlich das Motiv von <strong>der</strong> Sterblichkeit <strong>der</strong> bisher unsterblichen Götter.<br />

Diese stehen in einer letzten, das <strong>Zeit</strong>alter abschließenden großen Schlacht den Titanen<br />

und <strong>der</strong>en Verbündeten gegenüber. Dieses gewaltige Motiv ist nicht nur im nordischen<br />

Ragnarök zu finden, son<strong>der</strong>n hat auch einen keltischen Zweig, <strong>der</strong> im wesentlichen Punkt –<br />

dem Untergang <strong>der</strong> Götter – übereinstimmt. Die Kontinuuität <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en und Gesetze wird<br />

teilweise wie<strong>der</strong> hergestellt, indem <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Titanen, wenn überhaupt, nur zum<br />

Phyrrussieg wird. Jedoch resultiert aus <strong>der</strong> Vorstellung von einer Endlichkeit <strong>der</strong> (alten) 132<br />

Götter und des (alten) Himmels ein tiefes Unbehagen, wenn <strong>der</strong> losgelassene Fenriswolf,<br />

wie Snorri berichtet, mit weit aufgerissenem Rachen, dessen Unterkiefer die Erde berührt<br />

und dessen Oberkiefer den Himmel, sich auf den einst allmächtigen Odin stürzt und ihn<br />

tötet; wenn in <strong>der</strong> Völuspá berichtet wird, wie Thor die Midgardschlange zwar bezwingen<br />

kann, aber selber nur neun Schritte von ihr entfernt stirbt und darauf die Toten die<br />

Menschenwelt verheeren. 133<br />

René Guénon vertritt die Ansicht, daß das Ende eines Zyklus immer einhergehe mit <strong>der</strong><br />

Verwirklichung <strong>der</strong> Opposition <strong>der</strong> vorherrschenden Strömungen desselben und dem<br />

Zurückweisen bisheriger Werte. Etwa vergleichbar ist dieser Prozeß mit einem<br />

tiefenpsychologischen Vorgang, <strong>der</strong> Aufarbeitung aller verdrängter, nicht ausgelebter<br />

Energien.<br />

Ein Abglanz von den ‚Verkehrungen‘ findet sich in <strong>der</strong> Erwähnung physikalischer und<br />

geologischer An<strong>der</strong>sartigkeite, die im China <strong>der</strong> frühen Han-<strong>Zeit</strong> thematisiert werden. So<br />

wird von <strong>der</strong> fernen im äußersten Nordwesten gelegenen Reichsgrenze von Phänomenen<br />

wie Treibsand (lin sha) und „schwachem Wasser“ (jo shui) berichtet. Hier handelt es sich<br />

um einen vergleichbaren (psychologischen) Effekt, ein Zusammenbrechen <strong>der</strong> vertrauten<br />

132 Es wird jedoch zugestanden, daß ein neues Geschlecht von Göttern in einer neuen <strong>Zeit</strong> und einer neuen<br />

Welt ersteht. Vidar tötet in <strong>der</strong> Schlacht den schrecklichen Fenriswolf und rächt so seinen Vater Odin. Er<br />

wird <strong>der</strong> neue König <strong>der</strong> Götter.<br />

133 Olrik: Ragnarök. p. 52 ff.<br />

57


Welt und Gesetze, wenn dort – am Ende <strong>der</strong> chinesischen Welt – das Wasser des Westens<br />

zu schwach ist Holz zu tragen. Kuo Pho (300 n. Chr.) spricht gar davon, daß nicht einmal<br />

die Fe<strong>der</strong> einer wilden Gans darauf schwimmen kann, ohne sofort zu versinken.<br />

Daß <strong>der</strong> Treibsand, in dem Pferde, Kamele, ganze Wagen und hun<strong>der</strong>te (!) von Soldaten<br />

verschwanden 134 , wirklich existiert, gleich wie das „schwache Wasser“ vielleicht in Form<br />

von Petroleumseen o.ä. vorhanden war, tut <strong>der</strong> Sache keinen Abbruch, verschwimmen<br />

doch an <strong>der</strong> Grenze Vorstellung und Wirklichkeit ineinan<strong>der</strong>.<br />

Ebenso markierten die Sintflut und <strong>der</strong> Weltenbrand, heute geologische Kataklysmen, den<br />

Übergang zum Pralaya, machen die Grenze wahrnehmbar. Im Dualismus <strong>der</strong><br />

mittelalterlichen Scholastik wird diese Grenze erfahrbar in <strong>der</strong> Vorstellung vom Ende <strong>der</strong><br />

Welt, wo die Wasser des diese umgebenden „Oceanus“ jäh in einen (dunklen) Abgrund<br />

stürzen. Gemeinsam ist den zeitlichen und geographischen Grenzen o<strong>der</strong> Pralayas das<br />

Moment einer subjektiven Verdunklung, die objektiviert wird; indem nämlich das, was<br />

dahinter kommt, nicht schlicht terra incognita sein kann, unbekanntes aber grundsätzlich<br />

erforschbares Land, son<strong>der</strong>n einer an<strong>der</strong>en Ebene angehören muß. In <strong>der</strong> ‚zeitlichen‘<br />

Ausformung des Pralaya ist es keineswegs nur <strong>der</strong> apokalyptische Schleier <strong>der</strong> fernen<br />

Zukunft, <strong>der</strong> uns Okzidentalen zuerst in den Sinn kommen mag, wenn von einer Grenze<br />

<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> die Rede ist; Vielmehr ist ebenso die Möglichkeit eines (beinahe) völligen<br />

Verschwindens von zumindest Teilen <strong>der</strong> Vergangenheit zu denken, wie <strong>der</strong> mytische<br />

Mensch es viel stärker tat, indem er sich die Kataklysmen als Auslöschen aller Spuren<br />

vorstellte. Wir sind heute nicht mehr so besessen von <strong>der</strong> Reinheit einer neuen Welt und<br />

glauben mit immer feineren Mitteln in immer tieferen Erd- und Gesteinsschichten wenn<br />

nicht heute, dann bald schon jegliche ‚Vergangenheit‘ rekonstruieren zu können.<br />

In seinem Buch über den „König <strong>der</strong> Welt“ geht Guénon auch auf die komplexe<br />

Verschachtelung <strong>der</strong> unterschiedlichen Zyklen innerhalb eines Manvantaras ein; diese<br />

Subzyklen sind teilweise regionaler Art, ebenso wie <strong>der</strong>en Übergänge in einan<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en<br />

Sandhis und Pralayas.<br />

134 Nach Shen Kun: Mêng Chhi Pi Than. 11. Jh.; zitiert in Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3,<br />

p. 607<br />

58


Als eines dieser Pralayas identifiziert er die biblische Sintflut und macht auf einen<br />

interessanten symbolischen Aspekt aufmerksam:<br />

„Die Arche schwimmt auf dem Meer <strong>der</strong> unteren Wasser, <strong>der</strong> Regenbogen erscheint im<br />

Augenblick <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Ordnung aller Dinge ‚in <strong>der</strong> Wetterwolke’, das heißt<br />

in den Bereichen <strong>der</strong> oberen Wasser. Es handelt sich also um eine vollkommene<br />

Entsprechung, das heißt beide Erscheinungen ergänzen sich gegenseitig: Die konvexe<br />

Form <strong>der</strong> Arche ist nach unten gewendet, <strong>der</strong> Regenbogen nach oben. Die Verbindung <strong>der</strong><br />

Hälften stellt eine Kreisform o<strong>der</strong> einen vollkommenen Zyklus dar.“ 135<br />

Dieser Beobachtung folgend kann man das „Pralaya“ <strong>der</strong> Sintflut hier auch als<br />

Vollendung, als Schließen des Kreises eines Zyklus o<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alters sehen; hier die<br />

Synthese <strong>der</strong> Formen <strong>der</strong> „oberen“ und „unteren“ Wasser.<br />

Dabei enthält dieses Bild noch den zusätzlichen Aspekt, dass sowohl die Arche den Keim<br />

zu allem neuen Leben enthält – hinüber gerettet aus <strong>der</strong> alten Welt – als auch <strong>der</strong><br />

Regenbogen alle Farben des weißen Lichtes einschließt. Es entsteht hier ein Bild des<br />

keimhaften Hinübergehens. Im selben Buch weist Guénon auf ein verwandtes Phänomen<br />

des Hinübergehens hin: Es handelt sich um das im Hebräischen und Arabischen<br />

gebräuchliche Wort „Luz“ und die damit verknüpfte Lehre. Die erste Bedeutung von Luz<br />

ist „Mandel“ o<strong>der</strong> „Mandelbaum“. Eine weitere Bedeutungen ist „Kern“, und in einem<br />

spezifischen Sinne ein kleiner Knochen am Ende <strong>der</strong> Wirbelsäule, <strong>der</strong> für unverweslich<br />

gehalten wird und als Verbindung <strong>der</strong> Seele mit <strong>der</strong> physischen Welt bleibt, bis zum Tag<br />

<strong>der</strong> Auferstehung.<br />

In ähnlicher Weise, bildet die Arche den unsterblichen Kern <strong>der</strong> alten Zivilisation. Dieser<br />

Kern ist vergleichbar mit den physischen Resten von Form und Materie, welche die<br />

Pralayas überdauern, und als Keime in neue <strong>Zeit</strong>alter hinüber gehen.<br />

135 p. 86 <strong>der</strong> von Ursula v. Mangoldt revidierten deutschen Übersetzung<br />

59


Kristallisation <strong>der</strong> Systeme und Vergleiche<br />

Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />

60<br />

„O<strong>der</strong> weißt du nicht, Asklepios, daß Ägypten das Abbild des<br />

Himmels ist o<strong>der</strong>, was <strong>der</strong> Wahrheit mehr entspricht, daß hierher<br />

all das, was es im Himmel an Lenkung und Aktivitäten gibt,<br />

übertragen und herabgeführt wurde? Und wenn man es noch<br />

richtiger sagen soll, ist unser Land <strong>der</strong> Tempel <strong>der</strong> ganzen Welt.“<br />

(Corpus Hermeticum)<br />

Im Goldenen <strong>Zeit</strong>alter fährt einem nicht die U-Bahn vor <strong>der</strong> Nase weg . Sie kommt in dem<br />

Moment wo man den Bahnsteig betritt. Alles ist im Fluss, jede Handlung ein<br />

fortwährendes Gleiten. Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter besitzt die bewegte Statik des Surfens.<br />

Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter, wie es in seiner Absolutheit im indischen Mythos dargestellt wird,<br />

ist so für die meisten von uns gar nicht vorstellbar o<strong>der</strong> annähernd faßbar. Wenn wir dieses<br />

System gedanklich akzeptieren, können wir das daraus zuordnen, was zu unserer <strong>Zeit</strong> zu<br />

passen den Anschein hat; das sind vornehmlich die Attribute des Kali Yuga, vielleicht die<br />

des Dvapara Yuga. So, wie vielleicht ein Affe ein Automobil das erste mal wahrnimmt<br />

anhand <strong>der</strong> Merkmale, die ihm vertraut sind. Das kann die (schnelle) Fortbewegung sein,<br />

die Begrenzung auf die Erde (kann we<strong>der</strong> fliegen, noch auf Bäume klettern),<br />

möglicherweise eine Zuordnung von Augen, etwas Lenkendem/Denkendem (Fenster und<br />

Gesichter dahinter 136 ). Was <strong>der</strong> Affe ahnt ist ein innerer Antrieb, ein Organismus (Raubtier,<br />

Pflanzenfresser ...), <strong>der</strong> ihm beispielsweise durch das Heben des Motorraumdeckels gezeigt<br />

wird. Er wird aber den Motor und die ihn umgebenden Eingeweide an<strong>der</strong>s ansehen als wir<br />

– eben mit einem an<strong>der</strong>en Bewußtsein.<br />

136 Gesichter und damit Menschen in Fahrzeugen werden von Säugetieren, wie etwa Löwen und Elephanten<br />

‚als mit dem Fahrzeug eins‘ wahrgenommen.


Kurz gesagt, Erkenntnis ist bedingt durch eine erreichte o<strong>der</strong> erreichbare Bewußtseinsstufe.<br />

Das ist die Hypothese, die im System <strong>der</strong> indischen Yugas und im anachronistischen<br />

Denken Evolas impliziert sind. Daher, die Yugas stellen wesentlich<br />

Bewußtseinsunterschiede dar. Es folgt daraus, daß gegenwärtig eine ‚Anbetung‘ des<br />

Goldenen <strong>Zeit</strong>alters möglich sein kann – im Sinne eines ‚sich-Richtens‘, eines ‚sich-<br />

Magnetisierens‘; Man kann den Pol wahrnehmen durch die Nadel, die auf ihn hinweist,<br />

aber es ist (noch) nicht möglich ihn zu erreichen; noch liegt er unter Eis o<strong>der</strong> zu hoch am<br />

Himmel – auf jeden Fall zu fern. Nicht möglich ist im Kali Yuga eine genaue Vorstellung,<br />

ein Wissen (vom Satya Yuga ebensowenig wie ein allgemeines, objektives, los-gelöstes).<br />

Der Umkehrschluß ist – immer noch innerhalb des indischen Systems – möglich, daß wenn<br />

wir uns im Satya Yuga befänden, dies mit Sicherheit wüßten. Polarität: im Satya Yuga<br />

wissen wir alles, erfahren nichts – im Kali Yuga erleiden/erfahren wir alles und wissen<br />

(‚sehen‘) nichts 137 .<br />

Eliade sagt: „The perfect man of the KÎta Yuga incarnates the cosmic and consequently the<br />

moral norm. His existence is exemplary, archetypal.“ 138<br />

Das Satya Yuga repräsentiert die höchste Manifestation <strong>der</strong> irdischen Einheit. „Man hatte<br />

nur ein Streben, eine Sitte, eine Weise des Denkens. (...) einem Gott anhängend, mit<br />

demselben Gebet ... nach einem Veda sich richtend und einer Vorschrift nachlebend ...<br />

erreichten sie ... das höchste Ziel.“ 139<br />

Man muß aber – und das wird meist vernachlässigt – unterscheiden zwischen einem<br />

vergangenen und dem kommenden, neuen goldenen <strong>Zeit</strong>alter. Obschon das Goldene<br />

<strong>Zeit</strong>alter essentiell perfekt ist, ja Perfektion auch verkörpert, innen wie außen – so ist es<br />

immer die Perfektion eines bestimmten Aspekts, die Verkörperung findet; und <strong>der</strong><br />

anschließende Fall ist nicht nur die beklagenswerte Vertreibung aus dem Paradies, son<strong>der</strong>n<br />

137 = ‚nichts sicher‘; das meint, wir glauben etwas zu wissen. Es handelt sich um ein Scheinwissen, das – aus<br />

<strong>der</strong> Sicht des Satya Yuga nicht etwa ein Teilwissen ist, son<strong>der</strong>n im absoluten Sinne gar kein Wissen.<br />

138 Eliade, Mircea: „Time and Eternity in Indian Thought“ in Hari Shankar Prasad: Time in Indian<br />

Philosophy.<br />

139 MahËbhËrata V.11234; (Übers. in Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod ...)<br />

61


ein notwendiger Übergangsprozeß um in die neue Perfektion eines neuen Goldenen<br />

<strong>Zeit</strong>alters unter <strong>der</strong> Herrschaft eines neuen Aspekts zu gelangen. Das durchdringend zu<br />

verstehen ist wohl nicht möglich. Es zu begreifen wohl auch nicht, solange uns die <strong>Zeit</strong><br />

nicht stillsteht. Aber wir sehen den Ansatz und erfahren den Wechsel, wie wir eine<br />

Landkarte betrachten, in <strong>der</strong> die <strong>Zeit</strong> und ihre Qualität vor uns ausgebreitet darliegen, in<br />

Hügeln, Tälern, Ebenen und dem Meer<br />

Die Reste <strong>der</strong> alten Kulturen dürfen nicht zum Ziel unserer Aufmerksamkeit werden. Die<br />

alte Statik, die Jaspers und an<strong>der</strong>e seiner <strong>Zeit</strong> als das „ewig Asiatische“ charakterisiert<br />

haben, als die „... despotische Form des Daseins, die Geschichtslosigkeit und<br />

Entscheidungslosigkeit, die Stabilisierung des Geistes in Fatalismen“ 140 , darf nicht Ziel<br />

werden, ja nicht einmal Vorbild. Es besteht die Möglichkeit - aus <strong>der</strong> Sicht eines<br />

(vermuteten) Dunklen <strong>Zeit</strong>alters die hohe Wahrscheinlichkeit - daß die metaphysische<br />

Essenz eines Goldenen <strong>Zeit</strong>alters etwas noch ganz an<strong>der</strong>es sein könnte, als wir<br />

gegenwärtig 141 wahrnehmen und annehmen können. Hier müssen wir die Bescheidenheit<br />

aufbringen können, eine Grenze bis zu einem gewissen Grad als gegeben anzunehmen,<br />

wenn wir das System wirklich, das heißt von innen heraus 142 erforschen wollen. Allenfalls<br />

zur groben Orientierung in ein mögliches neues Satya Yuga verwendbar bleiben<br />

Merkmale, die allen Lehren von <strong>der</strong> goldenen <strong>Zeit</strong> eigen zu sein scheinen und damit<br />

möglicherweise auch allen Goldenen <strong>Zeit</strong>altern. Diese mögen etwa generelle<br />

Eigenschaften sein, wie Zuwachs an Wissen, Einheit, ethische Vollkommenheit, „Licht“,<br />

Beständigkeit (Statik), etc. - ein Destillat aus vormals speziellen Qualitäten verschiedener<br />

Quellen.<br />

Der Aspekt <strong>der</strong> Beständigkeit (Statik) scheint uns dabei die größte Versuchung für die<br />

projektierende Vorstellungskraft zu bergen; in <strong>der</strong> Hinsicht nämlich, als es von <strong>der</strong><br />

bewußtseinsmäßig gefaßten Größe eines Systems abhängig ist, ob es statisch o<strong>der</strong><br />

dynamisch erscheint.<br />

140 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p.96<br />

141 ... unter <strong>der</strong> Prämisse, daß wir uns historisch nicht in einem goldenen Weltalter befinden<br />

142 ... also nicht etwa psychologisierend von außen und oben herab, in gewissem Sinne kolonialistisch und mit<br />

spitzen Fingern – uns in das System hinein-denken, hinein-springen.<br />

62


So kann ein Flugzeugkonstrukteur den Flugzeugkörper als statische Einheit betrachten und<br />

„berechnen“, solange er nicht wesentlich über dessen Grenzen hinausgeht. Ein zusätzlich<br />

notwendiger Schritt, <strong>der</strong> ihn vom gewöhnlichen Architekten unterscheidet, liegt im<br />

notwendigen Erweitern des räumlichen Horizonts und damit in <strong>der</strong> Relativierung <strong>der</strong><br />

Grenzen <strong>der</strong> Statik bezüglich des Flug-körpers. Theoretisch bedeutet das ein Überschreiten<br />

einer Bewußtseinsdimension in eine neue, nämlich die Annahme eines zusätzlichen<br />

dynamischen Aspekts in dem vorher als statisch betrachteten Fluggerät. 143 In <strong>der</strong> Praxis<br />

wird auf einer mathematisch höheren Berechnungsebene <strong>der</strong> Flugkörper zusätzlich<br />

aerodynamischen, schwingungsdynamischen, elektromagnetischen, usw. Designkriterien<br />

unterzogen.<br />

Auf ein globales Modell eines goldenen <strong>Zeit</strong>alters bezogen, ist es daher notwendig die<br />

generelle statische Eigenschaft einer näheren Betrachtung bezüglich ihrer Ausdehnung zu<br />

unterziehen. Diese aber kann – unter <strong>der</strong> Prämisse des Aufsteigens o<strong>der</strong> Absteigens eines<br />

gesamten Chaturyugas innerhalb eines noch größeren Zirkels, o<strong>der</strong> einer noch größeren<br />

linearen Entwicklung – von Satya Yuga zu Satya Yuga Schwankungen unterworfen sein<br />

und das Vergleichsbild verzerren, also eine 1:1 Betrachtung verunmöglichen.<br />

Dieser Effekt gilt generell für alle Eigenschaften aller <strong>Zeit</strong>alter, tritt aber in dem Aspekt<br />

des „Statischen“ am deutlichsten hervor. So ist durchaus auch eine Abweichung <strong>der</strong><br />

Bedeutung, ja <strong>der</strong> Essenz selbst des Guten o<strong>der</strong> des Bösen (Schlechten) von Satya Yuga zu<br />

Satya Yuga und Kali Yuga zu Kali Yuga möglicherweise verschieden; abhängig in<br />

welchen und vor allem wie großen Kontext diese Kategorien gebettet sind.<br />

Dieser Gedanke ist natürlich nur dem ‚Opportunisten‘ möglich, <strong>der</strong> gut und böse nicht<br />

absolut setzt, son<strong>der</strong>n fähig ist, sich in den verschiedenen Ebenen – auch <strong>der</strong> Ethik – zu<br />

bewegen und zu gewichten; wie etwa (optisch) „hell“ auf <strong>der</strong> Erde eine an<strong>der</strong>e Bedeutung<br />

haben muß, als auf <strong>der</strong> Sonne selbst, wo unser „hell“ dort „dunkel“ erscheint. 144 Unser<br />

143 Vergleiche hiezu Ouspenskys Beschreibungen ein- und mehrdimensionaler Wesen, bzw seine<br />

Betrachtungen über Dimensionen und ihre Grenzen in Tertium Organum.<br />

144 So beschreibt etwa das Sefer Yetzirah neben den üblichen physikalischen Dimensionen von Raum und<br />

<strong>Zeit</strong> („A depth of beginning / a depth of end ... A depth of above / a depth of below ... etc.“) in <strong>der</strong> selben<br />

Form eine Dimension von gut und böse („A depth of good / a depth of evil“) und läßt dieser moralischen<br />

Dimension ebenfalls eine Ausdehnung, eine Tiefe zukommen. Diese fünfte Dimension besteht aus Ebenen<br />

<strong>der</strong> Moral. Konkreter: Eigenschaftsschichten, die möglicherweise mit einer Zu- o<strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> Dichte<br />

63


‚Opportunist‘ ist aber nicht als ohne „Wertesystem“ lebend zu verstehen, noch als<br />

Hedonist, son<strong>der</strong>n im evolanischen Sinn als „vertikaler Mensch“. Das besagt nicht viel<br />

mehr, als ein Werkzeug in sich zu tragen (es vielleicht zu sein), das fähig ist, sich auf ein<br />

oben, einen Himmelspol auszurichten, sich zu magnetisieren.<br />

Kali Yuga - Das dunkle <strong>Zeit</strong>alter und René Guénon<br />

„So folgt, so hungerheiß, die Wölfin nicht,<br />

Durch Wäl<strong>der</strong>, die <strong>der</strong> Schnee bedeckt, <strong>der</strong> Beute,<br />

Die sich ihr Auge grimmig auserkor,<br />

Als sie, durch unsre Schlachtreihn, dem Achill.“<br />

64<br />

(Kleist: Penthesilea)<br />

Die dunkle <strong>Zeit</strong> vermag sich selbst nicht zu begreifen. Sie nimmt den fernen Lichtschein<br />

<strong>der</strong> Vergangenheit war und ahnt die hellere Zukunft.<br />

Das wesentlichste Merkmal des Kali Yuga ist das Umhertappen im Dunkeln, die<br />

Verwirrung, Irrlichter und Schatten ehemaliger Wahrheiten und Tugenden, die nicht mehr<br />

o<strong>der</strong> fast nicht von Falschheit und Lastern zu unterscheiden sind. Dies ist das Konzept des<br />

dunklen <strong>Zeit</strong>alters. Es ist heute mehr eine Frage <strong>der</strong> Entscheidung als eine Frage des<br />

Abwägens, ob man sich in dieser dunklen Welt befindet o<strong>der</strong> an einem ihre Übergänge;<br />

klar ist nur, daß es nicht das Goldene <strong>Zeit</strong>alter sein kann, in dem wir uns aufhalten. 145<br />

Kali - eigentlich die mit einem Punkt markierte Verliererseite eines Spielwürfels<br />

bezeichnend - wird auch mit KËlÌ, <strong>der</strong> Gattin Éivas identifiziert. Kali transzendiert die <strong>Zeit</strong><br />

(kËla). Der neue Zyklus nach dem 'verlorenen' <strong>Zeit</strong>alter wird nicht von einer Inkarnation<br />

von Materie in Zusammenhang stehen. (Aryeh Kaplan [Hrsg.]: Sefer Yetzirah, The Book of Creation. [1990]<br />

revised Ed. Samuel Weiser Inc., York Beach/ME 1997)<br />

145 <strong>Zeit</strong>en und (Gedanken-) Formen werden in <strong>der</strong> indischen Philosophie oft als „lokas“, als Orte aufgefasst<br />

und verbildlicht. Das entspricht bis zu einem gewissen Grad <strong>der</strong> Physik des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts und dannach,<br />

die <strong>Zeit</strong> als vierte Dimension auffaßt, zeitliche Ereignisse - zumindestens mathematisch - statisch betrachtet<br />

und dingfest gemacht werden können.


Brahmas (des Schöpfergottes), son<strong>der</strong>n von Kalki, einem Avatar ViÛÙus (des Welt-<br />

Erhalters) eingeleitet. Diese Tatsache spricht für das Modell einer Restauration mit<br />

aufsteigenden Yugas und gegen einen völligen Neubeginn am Ende <strong>der</strong> ersten vier Yugas -<br />

zumindest für das Ende des hier konkretisierten Kali Yugas.<br />

Befindet man sich nun völlig in diesem dunklen <strong>Zeit</strong>alter, ist die Verwirrung vollkommen.<br />

Befindet man sich in einem <strong>der</strong> Übergänge - sofern Fall und Aufstieg nicht als plötzlich<br />

eintretend angenommen werden - besteht diese Konfusion immer noch teilweise.<br />

Entscheidend ist, daß nicht nur die Erkenntnisse getrübt sind, son<strong>der</strong>n auch das (die)<br />

Erkenntnisvermögen. Folglich existiert Sicherheit bezüglich Wahrheit, Reinheit, Tugend,<br />

Stellung - also dem Aufenthaltsort in irdischem und metaphysischen Sinne - wenn, nur im<br />

Goldenen <strong>Zeit</strong>alter o<strong>der</strong> Satya Yuga. 146<br />

Somit stellt das Kali Yuga einen Teufelskreis im erkenntnistheoretischen Sinne dar. Wie in<br />

einem schwarzen Loch sind die Dinge, Lehren und Gedanken dazu verdammt um sich<br />

selbst zu kreisen, abgeschnitten von <strong>der</strong> Umwelt - bis <strong>der</strong> Morgen des neuen goldenen<br />

<strong>Zeit</strong>alters sie von <strong>der</strong> Gravitation befreit.<br />

Nanda, <strong>der</strong> MahËpadma genannt werden und von einer Frau aus <strong>der</strong> Kaste <strong>der</strong> Éudra<br />

geboren werden wird, wird <strong>der</strong> Vernichter <strong>der</strong> KÛatriya Rasse sein und die Herrschaft <strong>der</strong><br />

Éudras einleiten. Er wird die ganze Erde unter einem Schirm vereinen. 147<br />

„Then poverty alone will confer rank; wealth will be the only source of devotion; passion<br />

will be the sole bond of union between the sexes; falsehood will be the only means of<br />

success in litigation; and women will be objects merely of sensual gratification. Earth will<br />

be venerated but for its mineral treasures. ... fine clothes will be dignity. ... Thus in the Kali<br />

age shall decay constantly proceed, until the human race approaches its annihilation.“ 148<br />

146 Selbst dieser Satz hebt sich unter Umständen selber auf, wenn er im dunklen <strong>Zeit</strong>alter o<strong>der</strong> einem <strong>der</strong><br />

Übergänge formuliert wurde.<br />

147 ViÛÙu PurËna IV.24<br />

148 Ebenda<br />

65


Im ViÛÙu PurËna wird beschrieben, wie Arjuna nach dem Tod KÎÛÙas umherirrt, seine<br />

göttlichen Waffen ihre Macht verloren haben und er mit seinen Leuten dem Spott und den<br />

Angriffen von habgierigen Hirten ausgeliefert ist, zurückgelassen und „schwach wie<br />

Stroh“ 149 ruft er aus: „Not I alone, but Earth has grown old, miserable, and lustreless, in the<br />

absence of the hol<strong>der</strong> of the discus.“ 150<br />

Die Attribute dieses neuen <strong>Zeit</strong>alters sind die Auflösung <strong>der</strong> Kasten und <strong>der</strong> Ordnung;<br />

Riten werden sinnentleert o<strong>der</strong> nicht mehr vollzogen; die Regeln, die den spirituellen<br />

Lehrer mit seinem Schüler verbinden werden nicht in Kraft sein; Je<strong>der</strong> Text wird zur<br />

„Schrift“; ‚Relative Wahrheit‘ hat die ‚wahre Wesenheit‘ des Satya Yuga ersetzt.<br />

alle Regeln des Lebens werden gleichermaßen gültig für je<strong>der</strong>mann; Gold und Edelsteine<br />

werden verschwunden sein und Haare <strong>der</strong> einzige Schmuck <strong>der</strong> Frauen (!?). Frauen werden<br />

ihre Männer verlassen, wenn diese ihren Wohlstand einbüßen und Geld wird die Welt<br />

regieren; die Herkunft wird nicht mehr ausschlaggebend sein für Überlegenheit und<br />

Herrschaft; die Menschen werden ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Erwerb von<br />

Wohlstand richten, auch wenn er unredlich erworben werden muß, und diesen<br />

ausschließlich für selbstsüchtige Zwecke einsetzen; Kühe (Tiere) werden nur mehr zu<br />

Nutzzwecken gehalten und es wird trotzdem nie Überfluß geben; so kann niemand Glück<br />

und Zufriedenheit genießen. Lüge, Unmoral, Ehebruch, Ungehorsam sind alltäglich,<br />

Herrscher plün<strong>der</strong>n anstatt zu beschützen und je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wagen, Elephanten und Pferde<br />

besitzt nennt sich RËjË; Je<strong>der</strong> Schwache wird Sklave sein; ÉÄdras, die dann<br />

vorherrschende Kaste, werden von Bettelei leben und zu unreinen Anhängern herätischer<br />

Irrlehren; Von Mangel und Besteuerung unterdrückt werden die Menschen ihre Heimat<br />

verlassen und in Län<strong>der</strong> ziehen, die sich nicht zum Anbau feinen Korns eignen; die<br />

Lebensdauer wird sinken, Kin<strong>der</strong> von Kin<strong>der</strong>n geboren werden, Männer mit 12 Jahren<br />

ergrauen und niemand mehr als 20 Jahre erreichen; alles, was Wesen verletzt, unrein und<br />

hinterhältig ist, wird im Kali Yuga vollzogen werden.<br />

149 ViÛÙu PurËna V.38<br />

150 Ebenda<br />

66


Allerdings wird man durch eine kleine Anstrengung im Kali Yuga eine ebenso große<br />

Erhöhung <strong>der</strong> Tugend erfahren, wie durch lange anstrengende Buße im KÎta Yuga, 151<br />

wodurch Veda VyËsa dem Kali Yuga einen vielleicht sehr wesentlichen positiven Aspekt<br />

abgewinnt. Im Sinne eines Energiegleichgewichter – Die „Welt“ und Gesellschaft besteht<br />

ja nach wie vor – könnte man spekulieren, daß dieser Aspekt die vielen Mißstände<br />

wesentlich ausgleichen wird.<br />

Ähnlich klingt es bei Hesiod über das Eiserne Geschlecht: „Wenn das eben geborene Kind<br />

an den Schläfen ergraut ist ...“ 152 ; o<strong>der</strong>:<br />

„Alsdann zu dem Olymp, vom räumigen Boden <strong>der</strong> Erde Werden entflieh’n, die herrlichen<br />

Leiber in weisse Gewän<strong>der</strong> hüllend, empor zu den Schaaren <strong>der</strong> Götter, vom Menschen<br />

gewendet, Scheu und Gewissen; zurück wird bleiben die Noth und <strong>der</strong> Jammer ...“ 153 .<br />

Rudolph Roth meint, daß mit Hesiod nicht die ‚Philosopie‘ beginnt 154 , son<strong>der</strong>n endet und<br />

daß „jene Sänger und Propheten“ sich am Ende <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte sahen; im<br />

Gegensatz zu unserer heutigen Interpretation, die wir diese an den Beginn <strong>der</strong> Geschichte<br />

stellen wollen. Roth sagt zwar, <strong>der</strong> griechische Mythos kenne die (indische) „Stufenfolge“<br />

<strong>der</strong> Weltalter nicht, gesteht aber später doch eine Rangordnung durch die Metalle ein;<br />

diese, als Attribute verwendet, fallen in absteigen<strong>der</strong> Form unterschiedlich edel aus und<br />

stellen Zustände o<strong>der</strong> Eigenschaften <strong>der</strong> nach ihnen benannten Geschlechter dar.<br />

Beendet wird das Kali Yuga durch das Erscheinen des Kalki Avatars, einem Brahmanen<br />

aus dem Dorf (?) Éambhala. Er wird die Diebe und Mlechhas (Barbaren) vernichten und<br />

die Gerechtigkeit des Satya Yuga auf Erden wie<strong>der</strong>herstellen. Der einzige Kontakt zur<br />

Göttlichkeit im Kali Yuga waren Mythen und wenige „Wun<strong>der</strong>“. Am Ende des Kali Yuga<br />

151 Nach ViÛÙu PurËna VI.1<br />

152 Erga 180; (aus <strong>der</strong> Übers. von Roth, Rudolph: Abhandlung über den Mythus von den fünf<br />

Menschengeschlechtern ...)<br />

153 Erga 190; (Übers. in Roth)<br />

154 „Nicht zum ersten mal also wird hier unter Griechen von den Geistern gelehrt, son<strong>der</strong>n zum letzten Mal;“<br />

p. 17<br />

67


wird die <strong>Zeit</strong> des Mythos wie<strong>der</strong> hergestellt, die Wun<strong>der</strong> des dunklen <strong>Zeit</strong>alters wie<strong>der</strong> in<br />

die Einheit <strong>der</strong> metaphysischen Ursachen und Wirkungen übergeleitet. „ ... the minds of<br />

those who live at the end of the Kali age shall be awakened, and shall be as pallucid as<br />

crystal.“ 155 erinnert an die Apokalypse des Neuen Testaments, an die Auferstehung <strong>der</strong><br />

Toten.<br />

Eliade bezeichnet in den letzten Sätzen von Kosmos und Geschichte das Christentum als<br />

„die Religion des ‚gefallenen Menschen‘ “; Insofern gibt er <strong>der</strong> Vorstellung von einem<br />

tiefsten Punkt, einem dunklen <strong>Zeit</strong>alter indirekt recht, wenn er den mo<strong>der</strong>nen<br />

geschichtlichen Menschen als Fortentwicklumg aus dem „Paradies <strong>der</strong> Archetypen“<br />

ansieht.<br />

Während René Guénon, ein wesentlicher Lehrmeister Evolas in pessimistischer Weltsicht,<br />

sich ebenso auf die klassische indische Lehre <strong>der</strong> vier Yugas beruft, läßt er doch das Kali<br />

Yuga schon mehr als 6000 Jahre währen, obwohl die meisten indischen Quellen seinen<br />

Anfang auf 3000 v. Chr. setzen. 156 Da im Anschluß von <strong>der</strong> sich zurückziehenden Wahrheit<br />

die Rede ist, hat er sich wohl zur Untermalung zugunsten <strong>der</strong> Theorie um 1000 Jahre<br />

verrechnet. Einen neuen Aspekt findet er im Vergleich vom Fallens des Geistes in die<br />

Materie mit dem eines schweren Körpers. Dessen Geschwindigkeit nimmt durch die<br />

Anziehung <strong>der</strong> Erde zu und veranschaulicht so (analog) die progressiv unterschiedlichen<br />

Längen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter – bis er (auf <strong>der</strong> Erde) auftrifft und plötzlich abgebremst wie<strong>der</strong> in<br />

den Zustand <strong>der</strong> Ruhe zurückkehrt.<br />

Im Gegensatz zu den vedantischen Thesen weist Guénon auf die komplexere Einbettung<br />

<strong>der</strong> auf- und absteigenden, zentripedalen und zentrifugalen Bewegungen in die<br />

Wirklichkeit hin. Gleich wie die Theosophen unterscheidet er so primäre und sekundäre<br />

Tendenzen, die einan<strong>der</strong> überlagern und somit verstärken o<strong>der</strong> vermin<strong>der</strong>n<br />

beziehungsweise auslöschen können.<br />

Interessanterweise stößt er nach Éri YukteÛvar, den er wohl nicht gekannt hat, und noch<br />

vor Jaspers auf eine magische <strong>Zeit</strong>enbarriere, die er im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. ansiedelt. Bei<br />

Éri YukteÛvar findet sich diese in dem Beginn des Kali Yugas 700 v. Chr., bei Jaspers<br />

155 Ebenda<br />

156 Guénon: The Crisis of the Mo<strong>der</strong>n World. p. 7<br />

68


drückt sie sich etwa zwei Jahrzehnte später in <strong>der</strong> Achsenzeit aus, die dieser um 500 v.<br />

Chr. ansiedelt. Nach Guénon kann man nicht mit gewöhnlichen Forschungsmethoden in<br />

die <strong>Zeit</strong> vor jenem geschichtlichen Punkt eindringen. Alles nach dieser Achse kommende<br />

ist (uns) mehr o<strong>der</strong> weniger präzise datierbar, hat eine Chronologie; davor bricht dieselbe<br />

zusammen und Geschehnisse sind nur mit großen Abweichung zeitlich einordenbar. Selbst<br />

auf China, dessen Geschichtsschreibung schon vor 600 v. Chr. astronomisch eindeutig<br />

nachvollziehbar und zu verifizieren war, bezieht er dieses Phänomen, beziehungsweise<br />

stellt eine nachträgliche „mythologische“ Klassifizierung durch mo<strong>der</strong>ne Historiker fest. In<br />

weiterer Folge wird diese Grenze als Scheidelinie zwischen traditionaler Welt und<br />

Mo<strong>der</strong>ne erklärt und eingeordnet. Am chinesischen Beispiel zeigt er dies anhand einer<br />

Teilung in eine taoistische elitäre Tradition und den mo<strong>der</strong>nen, ‚gegründeten‘ 157<br />

Konfuzianismus, <strong>der</strong> die Massen dominierend die (taoistische) Metaphysik 158 verdrängt. In<br />

Indien wertet Guénon den Buddhismus als Revolte gegen die Tradition, in Persien erkennt<br />

er eine Anpassung des Mazdaismus durch das Erscheinen des letzten Zarathustra; Im<br />

Westen läßt die babylonische Gefangenschaft die Juden sogar ihr Alphabeth vergessen und<br />

zerstört so innerhalb weniger Generationen den Zugang zu wesentlichen<br />

Bedeutungsebenen ihrer Schriften; in Rom ist es die <strong>Zeit</strong> des Heraustretens aus dem<br />

Mythos <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Könige in die „historische Periode“, in Griechenland die Wandlung<br />

von <strong>der</strong> orphischen Tradition, <strong>der</strong> noch Pythagoras angehörte, zur „profanen Philosophie“,<br />

einer vorgetäuschten und „vermenschlichten“ Weisheit, die beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Wende von<br />

Plato zu Aristoteles und dessen Schüler Alexan<strong>der</strong> deutlich wird. 159 Im Christentum und<br />

dem Mittelalter sieht Guénon dann die Abkehr von <strong>der</strong> Tradition 160 , <strong>der</strong> innerlichen<br />

Spiritualität und die Hinwendung zu Rationalismus und äußerlichem (Schein-) Wissen<br />

weiter vollzogen. So wertet er Renaissance und Reformation nicht als Wie<strong>der</strong>belebung,<br />

157 ... im Gegensatz zum Mythos, <strong>der</strong> sich nicht eigentlich zeitlich gründen läßt und sich in <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong><br />

verliert.<br />

158 Guénon versteht unter Metaphysik „intellektuelle Intuition“ und das daraus abgeleitete unpersönliche<br />

allgemeingültige Wissen. Dem gegenüber steht <strong>der</strong> begrenzte und relative Verstand, <strong>der</strong> das Ganze nicht<br />

fassen kann und ein niedrigeres Werkzeug darstellt.<br />

159 Nach Guénon: The Crisis of the Mo<strong>der</strong>n World. p. 11 ff.<br />

69


son<strong>der</strong>n als den Tod wesentlicher Werte, eine Wie<strong>der</strong>holung des Prozesses <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> um 600<br />

v. Chr.<br />

Evola stimmt grundsätzlich mit obiger Vorstellung überein, macht in <strong>der</strong> Revolte aber noch<br />

Unterzyklen aus und erarbeitet ein differenzierteres Bild, zum Beispiel des gibbellinischen<br />

Mittelalters 161 , das er als wahre Renaissance (<strong>der</strong> traditionalen Welt) darzustellen sich<br />

bemüht. Auch Oswald Spengler kann in Teilen mit den Theorien von Guénon und Evola in<br />

Deckung gebracht werden, wenn man das auf- und aboszillieren zwischen Kultur und<br />

Zivilisation seiner Staaten, Völker und „Weltkulturen“ sich als Wechselspiel und Kampf<br />

zwischen traditionaler, metaphysischer einerseits und mo<strong>der</strong>ner, rationalistischer Welt<br />

an<strong>der</strong>erseits denkt.<br />

So arbeitet sich Guénon schließlich vor zu <strong>der</strong> Erkenntnis von einer wellenartig<br />

absteigenden Vertiefung des Kali Yugas in mehreren Schritten. Diese Vorstellung<br />

übernimmt Evola. Kann sich Guénon aber noch durch seine „brahmanische“ Losgelöstheit<br />

vor dieser entsetzlichen Erkenntnis retten, wird letztere Evola zum Verhängnis und<br />

begründet durch seine extrovertiertere politische Lebenseinstellung – er bezeichnet sich<br />

immer wie<strong>der</strong> als KÛatrÌya, <strong>der</strong> Herrscher- und Kriegerkaste zugehörig – einen sich<br />

zunehmend vertiefenden Pessimismus.<br />

Trotzdem erfährt auch Guénon die Gegenwart als einen Endpunkt, einen Point of no<br />

Return, an dem jegliche Wie<strong>der</strong>anpassung unmöglich geworden ist und sieht eine<br />

vollständige und cataklysmische Erneuerung <strong>der</strong> Welt als einzigen Ausweg. Zum<br />

Vergleich zieht er die indischen Schil<strong>der</strong>ungen heran und findet alle dort vorhandenen<br />

Symptome mit <strong>der</strong> Gegenwart in Übereinstimmung. Das „Werden“ hat das „Sein“ fast zur<br />

Gänze ersetzt, die Mechanisierung und Mode Kontinuität und Stabilität. Die Wissenschaft<br />

hat sich verselbständigt, und von einem gemeinsamen Sinn losgekoppelt verliert sie sich an<br />

ihrer Oberfläche, unfähig zur Synthese. 162 Die Auflösung des Wissens, an prominenter<br />

Stelle in den indischen Kali Yuga-Theorien, sieht Guénon einhergehen mit <strong>der</strong> Verbreitung<br />

von anti-metaphysischen Theorien, von Philosophien des Werdens, die unter dem Namen<br />

160 Auf p. 60 von The Crisis definiert Guénon „Individualismus als Verneinung <strong>der</strong> Tradition“. Wobei er mit<br />

Tradition eine lebendige und bewußte meint, nicht das abergläubische Nachvollziehen von unverstandenen<br />

Riten, etc.<br />

161 Evola: Revolte ... p. 337 ff.<br />

162 Nach Guénon: The Crisis... p. 38 f.<br />

70


Evolutionismus, Empirismus, etc. firmieren. Auf einer analog an<strong>der</strong>en Ebene sind die<br />

physischen Sinnesorgane und die durch sie erlangten Kenntnisse Attribute des Kali Yuga,<br />

wohingegen das Satya Yuga von syntetischem, intuitiv erlangtem Wissen dominiert wird,<br />

das „Weisheit“ ist. Den Individualismus und das Profane sehen beide, Evola und Guénon,<br />

als Fundament <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne; Das wesentlich Neue daran ist die Existenz dieser Zivilisation<br />

ohne jegliches zugrundeliegendes Prinzip und die Errichtung <strong>der</strong> westlichen Kultur auf<br />

etwas „rein Negativem“ 163 , die nur erklärt und verstanden werden kann, wenn man sie sich<br />

als mit dem Ende einer zyklischen Periode korrespondierend vorzustellen vermag.<br />

Sandhyas und das fünfte Element<br />

Wenn man die Frage <strong>der</strong> SandhyËs betrachtet, macht es Sinn, diese entwe<strong>der</strong> auf<br />

vollständige Zyklen anzuwenden, die durch Rotation eines Himmelskörpers um sich selbst<br />

und um einen an<strong>der</strong>en entstehen. Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit besteht in <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong><br />

SandhyËs durch bewußte Einführung eines Übergangs durch jene, welche den Zyklus des<br />

Chaturyuga unterteilten. Diese Unterteilung wurde offensichtlich auf in erster Linie<br />

geistiger Ebene gemacht; daher, es liegen keine astronomischen Ereignisse unmittelbar<br />

zugrunde. Mit dieser geistigen Ebene sind vor allem unterschiedliche Bewußtseinszustände<br />

gemeint, die nicht ganz so exakt von einan<strong>der</strong> abzutrennen sind, wie astronomische<br />

Ereignisse. Die Übergänge zwischen diesen Bewußtseinsstufen sind daher zwangsläufig<br />

willkürlicher.<br />

Merkwürdig ist auch die in <strong>der</strong> Weltalterlehre noch häufiger anzutreffende<br />

Unentschlossenheit zwischen vier und fünf Weltaltern o<strong>der</strong> Weltreichen. So beispielsweise<br />

in den vier Sonnen (Schöpfungen) <strong>der</strong> Maya und den fünf Sonnen ihrer Nachfolger, <strong>der</strong><br />

Azteken. 164 Auch die vorher bei Hesiod geschil<strong>der</strong>ten fünf Geschlechter dürften, wie schon<br />

erwähnt, ursprünglich nur vier gewesen sein. Die Weltreiche bei Daniel werden ebenso<br />

163 Guénon: The Crisis... p. 55<br />

164 So wird die fünfte Sonne von den Azteken übermäßig mit Menschenherzen gefüttert um dieses letzte<br />

<strong>Zeit</strong>alter künstlich zu verlängern.<br />

71


durch vier Metalle symbolisiert, wobei ein fünftes hinzukommt, das - halb aus Eisen, halb<br />

aus Ton – nicht wirklich dazugehört; Es ist dem Eisen (den Metallen) verbunden, enthält<br />

aber auch ein fünftes, jenseitiges Element. Dieses fünfte ist niemals eine bloße Erweiterung<br />

o<strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> vier klassischen Elemente, son<strong>der</strong>n fällt bewußt aus dem Rahmen,<br />

gehört einer an<strong>der</strong>en Kategorienklasse an. So ist <strong>der</strong> Ton im Standbild des Nebukadnezar<br />

kein Metall, ebenso wie den Titanen Hesiods keines zugeordnet wird. Selbst in China fällt<br />

das Element „Holz“ als organisch, und eigentlich nicht-elementar auf, im Gegensatz zu<br />

den auch dort bekannten „wirklichen Elementen“ Feuer, Wasser, Erde und Metall 165 .<br />

Dieser organische Charakter, gegenüber den Naturkräften, tritt in Indien gemeinhin als<br />

õkËÚaÒ auf.<br />

Das fünfte <strong>Zeit</strong>alter, Weltreich o<strong>der</strong> Geschlecht scheint sich analog so wie <strong>der</strong> Äther zu<br />

den vier Grundelementen zu verhalten. Er gehört noch dazu, an<strong>der</strong>erseits liegt er schon<br />

darüber und jenseits <strong>der</strong> eigentlichen Schöpfung. Im System des Yoga werden die vier<br />

prinzipiellen Elemente im Rumpf des menschlichen Körpers lokalisiert – zwischen dem<br />

Steißbein und etwa dem Herzen – die Entsprechung des Äthers (õkËÚaÒ) jedoch im Hals,<br />

und <strong>der</strong> PuruÛaÒ (die „Seele“) im Kopf. Hierbei bildet <strong>der</strong> Hals des physischen Körpers,<br />

und in ihm das dem Äther zugeordnete Zentrum, den Übergang, die Engstelle von <strong>der</strong><br />

physischen Welt in die meta-physische, von <strong>der</strong> unbelebten elementalen in die den<br />

eigentlichen Lebenskern bergenden Bereiche (Lokas).<br />

165 ... das wohl am ehesten <strong>der</strong> Luft entspricht.<br />

72


Kasten und Stände<br />

Die Kasten (varna) korrelieren mit den vier <strong>Zeit</strong>altern in Indien. Dieser Teil <strong>der</strong> Yuga-<br />

Lehre wurde beson<strong>der</strong>s für Evola zum Mittelpunkt seiner Analysen, aber auch Spengler<br />

zieht die Vorherrschaft bestimmter Stände zur Bestimmung von kulturellen<br />

Entwicklungsabschnitten einer Gesellschaft heran. Bei ihm beginnt eine Kultur mit dem<br />

sich aus dem Bauernstand heraushebenden Adel, dem später das Priestertum als<br />

Opposition verneinend entgegentritt (Zölebat, etc.). Der dritte Stand ist <strong>der</strong> Rest,<br />

unbedeutend und ungeschichtlich – ja nicht einmal ein eigentlicher Stand. Der wirkliche<br />

Stand in seiner Urform ist bei Spengler <strong>der</strong> Adel, zuerst auch <strong>der</strong> einzige. Diese<br />

Vorstellung hat Evola übernommen, wenn er, wohl auch von Nietzsche beeinflußt, die<br />

Vorherrschaft des Adels vor dem Priestertum predigt. Spengler als evolutionistischer<br />

Materialist kann diesen Gedanken glaubwürdig begründen, indem seine Kulturen von <strong>der</strong><br />

Erde, dem Bauerntum ausgehen; Evola gerät hierbei in ein Dilemma, indem er seine<br />

„Kasten“ von oben her eingesetzt wissen will, im Himmel verankert – an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong><br />

Kriegerkaste (KÚatrÌya) den Vorzug vor <strong>der</strong> priesterlichen verleihen will. Seine<br />

wesentlichste Erklärung besteht darin, daß – ähnlich wie bei Spengler, aber doch<br />

verschieden – ursprünglich keine Priesterkaste bestanden habe; Das „Königtum“ sei <strong>der</strong><br />

Mittler zu Gott gewesen und erst <strong>der</strong> Einbruch von weiblichen Strömungen in das<br />

männliche Königtum hätte den Priesterstand geschaffen. Nun verträgt sich aber die<br />

eindeutig größere ‚Erdferne‘ des Priesterstandes wenig mit dessen zweitem Rang. Evolas<br />

sonst so vertikale Weltanschauung, erweckt hier den Eindruck, ‚hingebogen‘ zu sein; um<br />

so mehr, als biographische Motive – Evola stammt aus dem sizilianischen Landadel –<br />

naheliegen und eine Kränkung über den beinahe völligen Machtverlust des Adels in<br />

Europa in <strong>der</strong> emotionalen und polemischen Argumentation diese Sache betreffend nur<br />

allzu deutlich durchscheint.<br />

Während bei den In<strong>der</strong>n die vier Yugas den vier Kasten zugeordnet werden, führt selbst<br />

Spengler analog den vierten Stand an, <strong>der</strong> sich aus den Zerfallsprodukten <strong>der</strong> zeitlich<br />

vorher bestehenden drei Hauptständen nährt, vornehmlich jedoch aus dem dritten, dem <strong>der</strong><br />

Handwerker, Lohnarbeiter, etc. Ursprünglich gibt es diesen vierten Stand gar nicht; we<strong>der</strong><br />

73


im Abendland, noch in Indien. In beiden Kulturen tritt er anscheinend erst spät auf und<br />

steht für eine amorphe außenstehende anonyme Masse, gleich den Sklaven und Barbaren<br />

<strong>der</strong> Antike. Der vierte Stand bezeichnet, so Spengler,<br />

„ ... alles was Mensch ist, gleichmäßig ein flutendes Etwas [bildet] ..., das mit seinem<br />

Ursprung gänzlich zerfallen ist, seine Vergangenheit nicht anerkennt und eine Zukunft<br />

nicht besitzt. Damit wird <strong>der</strong> vierte Stand zum Ausdruck einer Geschichte, die ins<br />

Geschichtslose übergeht. Die Masse ist das Ende, das radikale Nichts.“ 166<br />

So ist auch für Evola <strong>der</strong> neu herausgebildete Arbeiterstand ein Synonym für das<br />

Fortschreiten und den Höhepunkt, des Kali Yuga, <strong>der</strong> Wolfszeit. Es ist die „Arbeit“<br />

(πονος), die nach Evola zum Sklaven macht, und im Gegensatz dazu die „Tat“, die befreit.<br />

Arbeit, als mechanische routineartige Tätigkeit hat den Zweck, die Bedürfnisse des<br />

materiellen Lebens zu befriedigen und ist damit nach unten gerichtet, erniedrigend und<br />

„eines freien Mannes unwürdig“ 167 . Seiner Meinung nach verachtete die antike Welt die<br />

Arbeit nicht, weil diese an das Sklaventum gekoppelt war, o<strong>der</strong> an die Stellung des<br />

Sklaven fortwährend erinnern würde – son<strong>der</strong>n sie verachtet die Arbeit um ihrer selbst<br />

willen und erst in zweiter Linie den Sklaven. Die Tat ist für Evola <strong>der</strong> geistige Gegenpol<br />

und steht in engem Zusammenhang zu Freiheit, stellt die von <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

losgelösten menschlichen Möglichkeiten dar. Diese Standpunkte mögen für die Antike<br />

sogar gelten, sie sind aber nicht schlüssig innerhalb eines Systems von Weltaltern unter<br />

einem geistigen Kontext. Seinen kriegerischen Standpunkt baut er zusätzlich aus, indem er<br />

zwischen dem traditionalen Begriff vom „Besiegten“ und dem „hebräischen“ des<br />

„Schuldigen“ eine Übereinstimmung konstatiert und Jason o<strong>der</strong> Herakles als Helden<br />

hervorhebt, die Unsterblichkeit geerntet haben, anstelle von Schuld durch Hybris.<br />

Im Gegensatz zu Evola und Spengler sehen sowohl <strong>der</strong> maßgebliche Teil des Hinduismus,<br />

als auch die mo<strong>der</strong>ne Theosophie den geistigen Stand als primären an und vertreten eine<br />

innere Geschlossenheit ihres zyklischen Weltbildes. Die von Evola angeführten „Helden“<br />

entstammen zu einem Gutteil <strong>der</strong> titanischen Epoche <strong>der</strong> Weltalter und kennzeichnen<br />

166 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. p. 1004<br />

167 Evola: Revolte ... p. 141 f.<br />

74


vielmehr den Bruch zwischen Götter- und Menschenwelt, <strong>der</strong> zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Herrschaft des<br />

Zeus schon vollzogen worden ist. Natürlich gesteht die Theosophie dem kämpferischen<br />

Element in <strong>der</strong> menschlichen Seele einen wesentlichen Anteil an <strong>der</strong> geistigen und<br />

kulturellen Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit zu, dennoch bestehen sie aber auf <strong>der</strong> Vorstellung<br />

von einem Weltgeist und geistigen Wesenheiten, einer geistigen Hierarchie als Lenker und<br />

Lehrer <strong>der</strong> Welt. Die Involution in die Materie ist ihnen <strong>der</strong> erste und primäre Schritt; die<br />

kämpferische Ent-wicklung erst <strong>der</strong> zweite. Analog dazu steht für sie eine geistige Kaste<br />

an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Hierarchie. Aus hinduistischer Sicht ähnelt Evolas Auflehnung gegen den<br />

geistlichen Stand und die eigene Selbstüberhöhung <strong>der</strong> buddhistischen Bewegung, die<br />

oftmals nicht nur als Häresie betrachtet wurde, um später durch die Einglie<strong>der</strong>ung des<br />

Buddha in die Inkarnationsreihe ViÛÙus ansatzweise neutralisiert zu werden, son<strong>der</strong>n auch<br />

als Bewegung <strong>der</strong> zweiten Kaste, <strong>der</strong> KÚatrÌya-Kaste empfunden wurde. Dieser Kreis<br />

wird durch die Trimondis 168 geschlossen, welche die Ansicht vertreten, eine verborgene<br />

Beziehung zwischen Buddhismus, den japanischen Samurai und dem aggressiven<br />

europäischen Faschismus/Nazismus entdeckt zu haben.<br />

168 Victor und Victoria Trimondi (Psdn.): Hitler, Buddha, Krishna – Eine unheilige Allianz vom dritten Reich<br />

bis heute. Ueberreuter, Wien 2002.<br />

75


Evola – Gefangenschaft und Konsequenz<br />

Gefangener <strong>der</strong> Endzeit<br />

Die Negativismen Evolas und Guenons können auch den ausklingenden Pol des<br />

ausklingenden Kali Yugas kennzeichnen. Wie die Kälte <strong>der</strong> Nacht an ihrem Ende am<br />

größten wird, kurz bevor die Sonne aufgeht, so könnten die Attribute des Kali Yuga ihre<br />

stärkste Ausprägung erreichen, in einer <strong>Zeit</strong>, da dieses schon beinahe zu Ende ist.<br />

Ist das, was Evola beklagt nicht vielmehr das Ende des vorhergehenden Goldenen<br />

<strong>Zeit</strong>alters, als die Präsenz des Eisernen. Der Unterschied ist fein, liegt aber darin, daß das<br />

Ende des letzten Goldenen <strong>Zeit</strong>alters nicht mit dem Beginn des Eisernen <strong>Zeit</strong>alters<br />

gekommen ist, son<strong>der</strong>n, daß das Goldene <strong>Zeit</strong>alter bis zum Ende des Eisernen fortwirkt.<br />

Zumindest in <strong>der</strong> Erinnerung <strong>der</strong> Menschheit ist das <strong>der</strong> Fall.<br />

Der Aufstieg zu einem neuen Satya Yuga schafft eine neue Vision und zerstört erst die<br />

rückwärtsgerichteten geisthaften Verbindungen zu <strong>der</strong> alten goldenen Vergangenheit.<br />

Denn das neue Goldene <strong>Zeit</strong>alter kann niemals eine Wie<strong>der</strong>holung des alten sein. Vielmehr<br />

ist es wie um eine Oktave verschoben zur alten Welt; Die Töne werden gleich benannt,<br />

doch nur ein grobes Gitter aus <strong>Zeit</strong> und Qualität hält sie in ihrem Gefüge.<br />

Der aufsteigende Weg zu einem neuen Satya Yuga muß auch nicht zwangsläufig in einem<br />

spiegelbildlichen Verhältnis zu dem absteigenden des vorhergehenden Satya Yuga in das<br />

Kali Yuga sein. Man kann also nicht den Abstieg aus dem Satya in das Kali Yuga zeitlich<br />

und qualitativ umdrehen, um so zu einem Maßstab <strong>der</strong> Zukunft zu gelangen. Das tut Evola<br />

auch keineswegs und er scheint sich <strong>der</strong> Komplexität des Themas bewußt.<br />

Was sich spiegeln läßt, ist maximal die Summe <strong>der</strong> positiven beziehungsweise negativen<br />

(abstrakten) Qualitäten, die das Wesen eines <strong>Zeit</strong>alters ausmachen - <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />

Durchgeistigung. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, wie unvorstellbar schwer dieser Grad <strong>der</strong><br />

Durchgeistigung (<strong>der</strong> Erde, <strong>der</strong> Menschheit, etc.) intuitiv o<strong>der</strong> mit dem Verstand<br />

76


auszumachen ist. Was weniger klar zu sein scheint, ist, daß die Art und Weise <strong>der</strong><br />

Offenbarung des Geistes in einer neuen Runde von <strong>Zeit</strong>altern, eine (zumindest äußerlich)<br />

völlig an<strong>der</strong>e sein kann. Damit ist eine Durchgeistigung <strong>der</strong> Erde, Menschheit, etc.,<br />

möglicherweise auch nicht bis sehr schwer aus dem Bewußtsein <strong>der</strong> vergangenen Epoche<br />

heraus zu erkennen und wahrzunehmen. Die Theosophen sprechen an dieser Stelle von den<br />

Ausformungen verschiedener „Strahlen“, unterschiedlichen Aspekten o<strong>der</strong><br />

Manifestationsweisen <strong>der</strong> Gottheit, die sich zeitlich versetzt auswirken.<br />

Auch die Tatsache <strong>der</strong> graduell gesteigerten o<strong>der</strong> sich abschwächenden Qualität in den<br />

<strong>Zeit</strong>altern wird durch <strong>der</strong>en verschiedene Länge angezeigt. Ihre unterschiedliche Länge<br />

streicht ja den qualitativen Unterschied heraus. Welchen an<strong>der</strong>en Grund könnte es geben?<br />

Teilweise kann man sich bei Evolas Ideen und seinem Weltbild dem Eindruck von einer<br />

gewissen Besessenheit seinerseits nicht erwehren. Durch seine Annäherung an den<br />

Faschismus und Nazismus, sowie <strong>der</strong>en Ideologien gerät auch er in den Bann <strong>der</strong> Dämonen<br />

dieser <strong>Zeit</strong>, dunkler Vorurteile und Mythen. Trotz seiner aufrichtig wirkenden Mühe, mehr<br />

Licht in die Kulturgeschichte Europas und <strong>der</strong> Welt zu bringen, trotz <strong>der</strong> zum Teil<br />

entgegengesetzten Wege und Positionen, die er beschreitet, kann er sich <strong>der</strong> Versuchung<br />

„Politik“ nicht entziehen, sieht er doch eine Möglichkeit zur Umsetzung seiner<br />

Weltanschauung in <strong>der</strong> gewaltigen Machtkonzentration <strong>der</strong> totalitären Regime seiner <strong>Zeit</strong>,<br />

<strong>der</strong>en gewaltiges Verän<strong>der</strong>ungs- und Umgestaltungspotential ihm bewußt ist. Sicherlich<br />

nimmt er den Faschismus als ein ‚window of opportunity‘ war, scheitert aber letztendlich<br />

an <strong>der</strong> eigenen Unsicherheit und <strong>der</strong> Unfertigkeit seiner Gedanken davor und<br />

durchschreitet dieses Fenster nie mit ganzem Wesen. Generell scheint Evola auch nie<br />

vollständig davon überzeugt zu sein, was er sagt und tut; Obwohl er mit Vorträgen Einfluß<br />

ausüben will, geht er niemals soweit, eine eindeutige politische Stellung zu beziehen o<strong>der</strong><br />

sich vollständig in ein Lager einzuordnen.<br />

In Cavalcare... beschreibt er den Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Spiritualität in <strong>der</strong> westlichen und teils<br />

auch den östlichen Kulturen 169 . Er geht hier beson<strong>der</strong>s auf den Neospiritismus (New Age-<br />

169 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />

Verlag, Engerda 1997; p. 219 ff. „Die Frage <strong>der</strong> Spiritualität“<br />

77


Bewegung) ein und bezeichnet ihn nicht als Reformation <strong>der</strong> abendländischen Spiritualität,<br />

son<strong>der</strong>n im Gegenteil als Teil des Verwesungsprozesses <strong>der</strong>selben. Kennzeichnend hierfür<br />

sei die Vielfalt <strong>der</strong> sich teilweise wi<strong>der</strong>sprechenden spiritistischen Strömungen, die starke<br />

untrennbare Vermischung mit Aberglauben, <strong>der</strong> „weibliche Charakter“. Letzteres mißt er<br />

sowohl an <strong>der</strong> Prozentzahl <strong>der</strong> Beteiligten, als auch im Mangel an (Selbst-) Disziplin, den<br />

er als weibliche Eigenschaft zu erkennen meint – und an <strong>der</strong> „Pöbelhaftigkeit“ <strong>der</strong><br />

Bewegung. Er vertritt, im Gegensatz zu Guénon, die Meinung, daß in <strong>der</strong> westlichen Welt<br />

so gut wie keine Institutionen mehr vorhanden sind, die eine Initiation in spirituelle Welten<br />

geben könnten. Gleichwohl schätzt er die zunehmende wissenschaftliche Übersetzung von<br />

hochwertigen religiösen Texten <strong>der</strong> „traditionell spirituelleren Kulturen“ <strong>der</strong> Ostens und<br />

empfiehlt sie den wenigen „zuinnerst An<strong>der</strong>sseienden“ in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> westlichen<br />

Welt, for<strong>der</strong>t gleichzeitig aber eine Umsetzung <strong>der</strong>selben, die praktische Arbeit an einer<br />

inneren Wandlung.<br />

Gegen den Empirismus und Rationalismus <strong>der</strong> Neuzeit und Mo<strong>der</strong>ne muß für einen<br />

Universalisten, die Ganzheit Denkenden wie Evola das Mittelalter in mehreren Aspekten<br />

heller gewirkt haben, als es tatsächlich war; Jedoch erkennt er nur teilweise, daß dies nicht<br />

die Sonne selbst, son<strong>der</strong>n ein Abendrot war. Der gefangene Geist – eingesperrt in Klöstern.<br />

Ein ‚Klosterzeitalter‘, in dem die (spirituellen) Strukturen ihre höchste Dichte<br />

angenommen hatten. Vermutlich trägt zur Verzerrung <strong>der</strong> Perspektive und damit<br />

Vergrößerung <strong>der</strong> mittelalterlichen Tugenden auch die unbewußt nicht wahrgenommene<br />

unterschiedliche Quantität <strong>der</strong> Zeugnisse - aus dem Mittelalter einerseits und <strong>der</strong> davor<br />

liegenden <strong>Zeit</strong>altern an<strong>der</strong>erseits – bei. Wohl gibt es viel Material um die ‚Antike‘ bis zu<br />

einem gewissen Grad zu rekonstruieren, aber wenig bis gar keines um die mythischen<br />

davor liegenden <strong>Zeit</strong>alter in <strong>der</strong> Vorstellung anschaulich zu machen; damit hatte offenbar<br />

schon Hesiod zu kämpfen. Es ist, wie schon Guénon erkannt hat, als stände eine Schranke<br />

zwischen Antike und <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> davor. Das Mittelalter jedoch bot Anschauung, war<br />

vorstellbar für Evola und kam obendrein durch seine feudale Struktur seiner<br />

biographischen Prägung entgegen. Darüber hinaus sieht ja Spengler das mittelalterlich<br />

fundierte Abendland als eigenen Zyklus. Es ist nun aber Teil zumindest des indischen<br />

Yuga-Systems, daß auch kleinere Zyklen in Aufstieg, Blüte und Nie<strong>der</strong>gang unterteilt<br />

werden können – niemand würde aber den Nie<strong>der</strong>gang eines kleineren Zyklus dem diesen<br />

78


umschließenden größeren zuschreiben. Wenn man nun den Überblick über die Vielfalt <strong>der</strong><br />

Zyklen und Kulturen verliert – sofern eine solche ‚historische‘ Gesamtschau sinnvoll<br />

möglich ist – sind die in kurzen <strong>Zeit</strong>spannen identifizierbaren Vektoren von kulturellem<br />

Aufstieg o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang den unterschiedlichen <strong>Zeit</strong>-zyklen nicht mehr zuordenbar; - das<br />

ist dann die beschriebene „Verwirrung“ <strong>der</strong> Werte und Lehren im Kali Yuga, o<strong>der</strong> analog<br />

dazu die babylonische Sprachverwirrung des alten Testaments.<br />

Der Verfall<br />

Hüter, ist die Nacht bald hin?<br />

Der Hüter aber sprach:<br />

Wenn <strong>der</strong> Morgen schon kommt,<br />

so wird es doch Nacht sein;<br />

79<br />

(Jes. 21)<br />

In <strong>der</strong> Frage nach dem Bedeutungswandel des Todes in <strong>der</strong> westlichen Kultur stellt Evola<br />

fest, daß diesem zunehmend weniger Gewicht beigemessen werde, da die metaphysischen<br />

Überfrachtungen mehr und mehr wegfallen - ersetzt durch Atheismus und Materialismus.<br />

Der Vermassung des Sterbens folgt eine Bedeutungsmin<strong>der</strong>ung desselben. Für den „an<strong>der</strong>s<br />

seienden Menschen“ sieht er durchaus Positives in <strong>der</strong> Präsenz des Todes, wie er alltäglich<br />

wurde in den zwei großen Kriegen, wenn die äußere, aufgezwungene Beschäftigung zu<br />

einer inneren Auseinan<strong>der</strong>setzung wird, bis zu dem Punkt, wo das „Am-Leben-Bleiben“<br />

seinen Wert verliert, den Tod hinter sich lassend, eine neue, höhere Form zu leben,<br />

einsetzt, die „... von einem hellen, zauberhaften Rausch getragen wird“ 170 . Diese Erfahrung<br />

wird nicht durch den Tod selbst ausgelöst, son<strong>der</strong>n durch seine Nähe; vergleichbar dazu ist<br />

das To<strong>der</strong>lebnis in den verschiedenen Initiationsriten. Es spricht außerdem nichts dagegen,<br />

daß analog zum Individuum dieser Prozeß in großem Maße kollektiv vollzogen wird –<br />

gleichzeitig mit dem „an<strong>der</strong>s seienden Menschen“, aber auf einer niedrigeren Stufe. Somit<br />

ist <strong>der</strong> Verdacht einer überdurchschnittlichen inneren Umwandlung <strong>der</strong> ‚ganzen<br />

170 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />

Verlag, Engerda 1997; p. 229


Menschheit‘ begründbar; hervorgerufen durch die eingrenzende Enge des Raumes und <strong>der</strong><br />

immer schneller werdenden subjektiven <strong>Zeit</strong>empfindung, den Druck und die Kriege dieser<br />

Epoche. Dies führt wie<strong>der</strong> zur Vorstellung von <strong>der</strong> Zuspitzung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>qualitäten am Ende<br />

einer Periode (eines <strong>Zeit</strong>alters), einem Aufbäumen vor dem Abgang – das ein<br />

Überschreiten <strong>der</strong> Grenze erzwingt. Es wird hier nicht das Sterben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krieg selbst<br />

glorifiziert, wie einige Evola-Kritiker das auslegen 171 , son<strong>der</strong>n die Begleiterscheinung des<br />

‚An-die-Grenze-Bringens‘ positiv bewertet 172 .<br />

Evola sieht den Verfall <strong>der</strong> westlichen Gesellschaft als unausweichlich und befürwortet<br />

eine „Strategie <strong>der</strong> Spannung“ im Sinne von Nietzsches „ ... was fällt, das soll man auch<br />

noch stoßen“ 173 . Ein wesentlicher Teil seines Pessimismus gründet in <strong>der</strong> Bevorzugung des<br />

ViÛÙu PurËna gegenüber <strong>der</strong> ManusmÎti, <strong>der</strong> Fixierung auf einen <strong>Zeit</strong>vektor in die<br />

Dunkelheit. Weiters trägt die immense zeitliche Ausdehnung des Kali Yuga, wie es im<br />

ViÛÙu PurËna beschrieben wird, zu Evolas hoffnungsloser Sicht <strong>der</strong> Weltentwicklung bei;<br />

Es ist nicht schwer auszumalen, wie die Vorstellung von 432 000 sich verdunkelnden<br />

Jahren jemanden, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Reinkarnation überzeugt ist, in eine tiefe und<br />

ausweglose Krise stürzt.<br />

Apoliteia<br />

171 ‚Hier‘ meint beson<strong>der</strong>s das Spätwerk Cavalcare...; Kritiker: z.B. Trimondi, Victor und Victoria<br />

(Pseudonym): Hitler, Buddha, Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. Carl<br />

Ueberreuter, Wien 2002; p. 227, 230, 233, 244, etc.<br />

172 Im feinen Unterschied zu Tommaso Marinetti (dessen Anhänger Evola vor dem I.WK war), <strong>der</strong> den Krieg<br />

als die „einzige Hygiene <strong>der</strong> Welt“ bezeichnete. – Vergleiche zum Thema Todesnähe, etc. auch Evolas<br />

Gedanken zur Philosophie des Bergsteigens in (Meditazione delle vette. Edizioni del Tridente, La Spezia<br />

1994) Meditations on the Peaks. Inner Traditions, Rochester (Vermont) 1998.<br />

173 Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Kritische Studienausgabe, herausgegeben von G. Colli und<br />

M. Montinari; Walter de Gruyter, Berlin-New York 1967 ff.; p. 261<br />

80


„Nach Ihrer Abreise fing in Moskau eine unwahrscheinliche Hitze an. In<br />

Komarowo ist es auch sehr heiß, aber hier ist die Hitze leichter zu<br />

ertragen. An den Abenden und nachts ist es sogar kühl.“<br />

81<br />

(D. Shostakovich an Edison Denissow)<br />

Was Evola als Apoliteia 174 beschreibt, die innere Emigration, den Rückzug aus <strong>der</strong> Welt,<br />

entspricht entfernt dem Konzept des Mönchtums im Mittelalter. Dieses trat,<br />

möglicherweise aus demselben Grund, beson<strong>der</strong>s mit dem beginnenden Christentum und<br />

in Asien auch mit dem Buddhismus auf. Das Motiv ist dasselbe; sich in einer dunklen <strong>Zeit</strong>,<br />

einem <strong>Zeit</strong>alter des geistigen Verfalls aus <strong>der</strong> Welt zurückzuziehen, um einen Rest von<br />

ursprünglicher Reinheit zu bewahren und eventuell zu retten und konzentrieren, hinein in<br />

eine <strong>Zeit</strong>, in <strong>der</strong> das alte Wissen und alte Tugenden wie<strong>der</strong> zur Blüte gebracht werden<br />

können - aufgrund welcher Bedingungen auch immer. Wenn Evola in die innere<br />

Emigration geht und von innerer Emigration spricht, so ist das nichts an<strong>der</strong>es als die innere<br />

Emigration, in <strong>der</strong> sich nun auch die (westlichen) Kirchen befinden und die (westliche)<br />

Geisteswissenschaft, beson<strong>der</strong>s die ursprüngliche Metaphysik.<br />

Die Sprache Evolas und de Santillanas/von Dechends ist die Sprache <strong>der</strong><br />

(Blavatsky’schen) Geheimlehre 175 . Die Qualität <strong>der</strong> Fußnoten nimmt zu und die<br />

(theoretische) wissenschaftliche Akzeptanz. Eine Kontinuität, die alle drei Autoren<br />

miteinan<strong>der</strong> verbindet ist eine wahrnehmbare Wirkung und Rezeption in einem weiten<br />

Leserspektrum, bei gleichzeitigem Totschweigen ihrer Existenz in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />

Welt. Evola erwähnt die Geheimlehre nicht, ebensowenig wie de Santillana/von Dechend –<br />

wobei bei allen dreien stark davon ausgegangen werden kann, daß sie die Geheimlehre<br />

kannten und zumindest als Inspirationsquelle verwendeten. Ich glaube nicht, daß dieses<br />

Verschweigen zu dem Zwecke geschah, die eigene Rechercheleistung in einem besseren<br />

Licht erscheinen zu lassen, son<strong>der</strong>n aus Überlegungen zur Seriosität <strong>der</strong> eigenen Schrift,<br />

dem Druck <strong>der</strong> scientific correctness entsprechend. De Santillana / von Dechend sind in<br />

den wissenschaftlichen Betrieb gut eingebunden, Evola war das nicht und stand dem<br />

174 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />

Verlag, Engerda 1997; beson<strong>der</strong>s 187 ff.<br />

175 Blavatsky, Helena P.: Die Geheimlehre.


Außenseitertum einer Blavatsky hinsichtlich des wissenschaftlichen „Establishment“ um<br />

vieles näher. Blavatsky begründete eine bedeutende, wenn auch stille Protestbewegung<br />

gegen die wissenschaftliche Etablierung einer von Anfang an morschen, linearen und<br />

westlichen Geschichtsschreibung indem sie diese immer wie<strong>der</strong> in ihren Texten frontal<br />

angreift, wenn sie etwa schreibt: „Die mo<strong>der</strong>nen Geschichtsschreiber – insbeson<strong>der</strong>e<br />

französische Akademiker wie Renan – haben mehr Anstrengungen gemacht, die Wahrheit<br />

durch Unbeachtetlassen <strong>der</strong> alten Annalen <strong>der</strong> göttlichen Könige zu unterdrücken, als<br />

strenggenommen mit Ehrlichkeit vereinbar ist.“ 176 Diese Blavatsky’schen göttlichen<br />

Herrscher sind es, auf die sich Evola auch immer beruft, wenn er auf die Göttlichkeit hinter<br />

dem Königtum zu sprechen kommt. Daß das Festhalten an <strong>der</strong> Göttlichkeit des Königtums<br />

verkrampft wirkt und er sich windet, selbst im Mittelalter noch Beispiele zu finden, ist eine<br />

an<strong>der</strong>e Sache, und, wie schon erwähnt, teilweise stark biographisch begründet. Im<br />

Hintergrund scheint auch ihm klar geworden zu sein, wie sehr das Königtum degeneriert<br />

ist und wie unmöglich es geworden ist, die Reinheit <strong>der</strong> „göttliche Herkunft“ zu<br />

rechtfertigen – biologistisch, wie geistig. Diese Erkenntnis im Hinterkopf liefert wohl mit<br />

einen Hauptgrund für seine schließliche Resignation; Er findet keine echten Alternativen<br />

zu den „göttlichen Herrschern“, mit denen er sich nun einmal angefreundet hatte. Es ist, als<br />

suche er fortwährend eine Verbindung <strong>der</strong> Welt zu Gott, finde aber keinen Vermittler<br />

mehr. Eine einstweilige Lösung (von <strong>der</strong> Welt) bietet ihm sein Modell <strong>der</strong> inneren<br />

Emigration, das so neu nicht ist, aber in dem materialistisch-aufbauenden Kontext <strong>der</strong><br />

Nachkriegsjahre sowie <strong>der</strong> anschließenden, ebenfalls stark nach außen gerichteten 68-er<br />

Bewegung exotisch wirkt.<br />

176 GL II, p.384<br />

82


Kultur – Zivilisation<br />

Im Zusammenhang mit Evolas und Guénons Theorien vom Nie<strong>der</strong>gang tauchen Fragen<br />

nach Indikatoren kulturellen Fortschritts auf. Markieren ans Tageslicht geför<strong>der</strong>te Keramik<br />

und Werkzeuge den wirklichen Fortschritt und inwieweit ist diese Deutung einem <strong>Zeit</strong>geist<br />

unterworfen? Inwieweit verkörpert die Entwicklung <strong>der</strong> Schrift einen Fortschritt im<br />

Gegensatz zur mündlichen Überlieferung? Ist die Erfindung und Einführung <strong>der</strong> Schrift<br />

nicht ebenso ein Rückschritt für den Menschen, für das lebendige, organische menschliche<br />

Gedächtnis?<br />

Diese und ähnliche Fragen sind auch beson<strong>der</strong>s zu betrachten im Spannungsfeld zwischen<br />

den Begriffen Kultur und Zivilisation. Zwei unvollkommene und in vielem unscharfe<br />

Begriffe, gewiß – aber Indikatoren, Eckpfeiler eines wahrnehmbaren Spannungsfeldes,<br />

dessen Entdeckung und Sichtbarmachung wir beson<strong>der</strong>s Oswald Spengler verdanken.<br />

Nach Spengler kennzeichnet die „Kultur“ das Lebendige, Sinnerfüllte, auf ein Ziel<br />

gerichtete. Ist <strong>der</strong> Lebenszyklus so einer Hochkultur - <strong>der</strong>en er acht in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />

Welt unterscheidet und ihnen jeweils 1000 Jahre Lebensdauer zugesteht - abgelaufen, so<br />

verfällt sie zur „Zivilisation“; das heißt, zu einem sinnentleerten Körper, <strong>der</strong> zwar noch<br />

lebt, in dem sich aber nur noch Altbekanntes wie<strong>der</strong>holt und die Einzelinteressen immer<br />

dominanter werden, bis schließlich <strong>der</strong> ehemalige Kulturkörper sich im Gewimmel <strong>der</strong><br />

Maden auflöst.<br />

Zivilisation, auf dem lateinischen Begriff „civitas“ begründet, ist mit Verstädterung und<br />

generell materiellen Errungenschaften verknüpft, wie Architektur, Straßen- und Kanalbau,<br />

Waffenhandwerk und <strong>der</strong>gleichen. Kultur erscheint auf den ersten Blick Hand in Hand mit<br />

Zivilisation zu gehen, ist bei genauerer Betrachtung jedoch ihr stärkster Wi<strong>der</strong>part, ja stellt<br />

diese permanent in Frage. Lateinisch „cultura“=Landbau induziert die Bearbeitung von<br />

lebendigem Boden. Kultur ist an geistiger, wissenschaftlicher, generell abstrakter<br />

Entwicklung interessiert, tendenziell nicht an materiellen Strukturen.<br />

83


Evola wird als Kulturphilosoph gehandelt und sein Pessimismus ist primär als<br />

Kulturpessimismus zu verstehen – unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Spannungsfel<strong>der</strong> zwischen<br />

Kultur und Zivilisation. Diese Tatsache erscheint wie<strong>der</strong> vor<strong>der</strong>gründig banal und auf <strong>der</strong><br />

Hand liegend, dennoch ist es wichtig, sich zutiefst die Immaterialität seines Kulturbegriffs<br />

klar zu machen; sich vor Augen zu führen, wie sehr er sich <strong>der</strong> orthodoxen<br />

Geschichtswissenschaft und Archäologie entzieht.<br />

Dieser Gedanke ist wesentlich für die Behandlung <strong>der</strong> Lehre von den <strong>Zeit</strong>altern, da diese in<br />

erster Linie unter (in evola‘schem Sinne) kulturellen Gesichtspunkten geordnet sind. Es ist<br />

primär von inneren Werten die Rede, wenn in den Schriften Maßstäbe für die<br />

verschiedenen <strong>Zeit</strong>alter gegeben werden, nicht von äußeren Strukturen. Somit befinden<br />

sich die Befürworter eines kulturellen Nie<strong>der</strong>gangs über einen großen <strong>Zeit</strong>raum <strong>der</strong><br />

Geschichte auch nicht zwangsläufig im Wi<strong>der</strong>spruch zum Kanon <strong>der</strong> heutigen<br />

wissenschaftlichen Zivilisationsgeschichte und Archäologie. Ja im Gegenteil<br />

möglicherweise in Übereinstimmung, dann nämlich, wenn – wie es auch Spengler definiert<br />

hat - Kultur als Gegenpol zu Zivilisation verstanden wird. Im Sinne eines<br />

Energiegleichgewichts zwischen den beiden liegt es dann nahe, daß <strong>der</strong> Aufstieg des einen<br />

Pols den Nie<strong>der</strong>gang des an<strong>der</strong>en zur Folge hat.<br />

So kann zum Beispiel <strong>der</strong> hohe künstlerische Wert <strong>der</strong> Zeichnungen in Altamira, Lascaux,<br />

etc., die aus dem Paläolithikum stammen, als Zeichen einer sehr hohen kulturellen Stufe<br />

gewertet werden. Diese hohe Fertigkeit in künstlerischer, daher kultureller Darstellung ist<br />

im Neolithikum bereits verschwunden; G. Hancock vergleicht sie mit einer erst wie<strong>der</strong> in<br />

<strong>der</strong> Renaissance aufgetauchten Qualität zu zeichnen und zu malen 177 . Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />

ist es evident, daß die Werkzeuge, die wahrscheinliche Bekleidung und generelle<br />

zivilisatorische Ausstattung <strong>der</strong> Menschen im Paläolitikum primitiver, gröber war als im<br />

Neolithikum und danach. Diese Strömungen sind natürlich nicht als absolut homogen und<br />

ununterbrochen zu verstehen. Es geht vielmehr darum ein kulturgeschichtliches und<br />

zivilisationsgeschichtliches Muster über das Bild <strong>der</strong> Lehre von den Weltzeitaltern zu<br />

legen und zu vergleichen.<br />

177 Graham Hancock: Un<strong>der</strong>world – Flooded Kingdoms of the Ice Age. Penguin Books, London 2003; p. 364<br />

84


Das Modell von den Polen zwischen Kultur und Zivilisation schließt jedoch nicht die<br />

Möglichkeit aus, daß auch das Gesamtpotential des Feldes Schwankungen unterworfen<br />

sein kann. Es ist nicht nur eine Verschiebung von einer geistig ausgerichteten Kultur in<br />

eine materiell ausgerichtete Zivilisation (und umgekehrt) möglich, son<strong>der</strong>n durchaus ein<br />

gleichzeitiger Qualitätsverlust o<strong>der</strong> eben eine Qualitätssteigerung von Kultur und<br />

Zivilisation gleichzeitig. Somit bilden die Pole von Kultur und Zivilisation zwar ein Feld,<br />

einen in sich stabilen Gedankenkörper, aber kein hermetisch abgeschlossenes System.<br />

85


Rezeption und Reflexion <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter Lehre in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />

Schelling, Hegel, Exkurs und Stirner<br />

86<br />

„»You are all [Greeks] young in mind«, came the reply:<br />

»you have no belief rooted in old tradition and no<br />

knowledge hoary with age«“<br />

(Platon: Timaios)<br />

Die Vollendung <strong>der</strong> Geschichte im goldenen <strong>Zeit</strong>alter sieht Schelling in <strong>der</strong> Vereinigung<br />

<strong>der</strong> beiden Prinzipien, <strong>der</strong> Natur und dem überweltlichen (geistigen) Prinzip. Einen<br />

Aufbruch dahin erkennt er in <strong>der</strong> neuzeitlichen Entwicklung <strong>der</strong> Wissenschaften und <strong>der</strong><br />

sich Bahn brechenden Erkenntnis vom Alter <strong>der</strong> Natur, welche so, im Gegensatz zur<br />

alttestamentarischen Theologie, neu gewichtet wird und (teils durch ihr erst neu erkanntes<br />

hohes Alter) den übersinnlichen Gedanken nun physische Kraft und Lebendigkeit verleiht;<br />

Umgekehrt nähert sich das Geistige von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite und die Natur wird, durch die<br />

Optik <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wissenschaft betrachtet, immer mehr zum sichtbaren Abdruck von<br />

den höheren Begriffen. Schelling geht weiter von einem Ziel <strong>der</strong> Geschichte aus, einem<br />

„Goldenen <strong>Zeit</strong>alter“, das sich durch Einheit <strong>der</strong> Welt auszeichne; <strong>der</strong> Frieden dieses<br />

goldenen <strong>Zeit</strong>alters werde sich zuerst durch die „einträchtige Verbindung aller<br />

Wissenschaften“ verkünden. 178<br />

Obwohl Evola Schelling, wie auch Hegel gelesen hatte, konnte er ihren, dem 19.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t so eigenen Optimismus nicht teilen. Hegels Geschichtsoptimismus ist vor<br />

allem auf <strong>der</strong>en (<strong>der</strong> Geschichte) Endzweck bezogen. Er glaubt das Problem <strong>der</strong> Theodizee<br />

zu lösen, indem er das Böse im Affirmativen aufgehen läßt. „Dabei, daß einzelne<br />

Individuen gekränkt [!] worden sind, kann die Vernunft nicht stehenbleiben; beson<strong>der</strong>e<br />

Zwecke verlieren sich in dem Allgemeinen“ 179 . Um den zu jener <strong>Zeit</strong> möglichen<br />

178 F.W.J. Schelling: Die Weltalter (Einleitung). (1811) München 1946 – zitiert in Rossmann: Deutsche<br />

Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.<br />

179 G.W.F. Hegel: Die philosophische Weltgeschichte - Ihr allgemeiner Begriff. (1830) Hamburg 1955 - in<br />

Rossmann: Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.


grenzenlosen Positivismus noch deutlicher zu machen, zitieren wir Leon Bloy, wenn er<br />

über Napoleon schreibt: „Ich glaube nicht, daß in seinem ganzen Leben eine Tat o<strong>der</strong> ein<br />

Ereignis stattfand, das nicht auf Gott hin ausgelegt werden kann, nämlich als Vorschattung<br />

[?] des Reiches Gottes auf Erden“ 180 . Man stelle sich diese Aussage hun<strong>der</strong>t Jahre später<br />

und auf Hitler o<strong>der</strong> Stalin bezogen vor! Sie wird da vielleicht nicht für grundsätzlich<br />

falscher gehalten werden, aber mit Sicherheit wi<strong>der</strong>spricht sie in den meisten Kreisen <strong>der</strong><br />

„political correctness“.<br />

Schelling hebt die Annäherung <strong>der</strong> Zivilisation an das Göttliche in <strong>der</strong> Natur hervor, den<br />

Fortschritt <strong>der</strong> Erkenntnis, daß Theologie endlich als in biologischen Vorgängen gespiegelt<br />

erkannt und gefunden wird, etc. Evola hingegen weiß, daß die Revolution <strong>der</strong><br />

Naturwissenschaft über ihr Ziel hinausgeschossen ist, erlebt die erste Dekadenz einer<br />

Wissenschaft, die aus <strong>der</strong> ursprünglichen Phase <strong>der</strong> Befreiungsbewegung zu einem<br />

Machtinstrumentarium geworden ist, die Theologie überholt und ersetzt hat, nicht Balance<br />

und Annäherung, son<strong>der</strong>n Selbstüberhebung und erneute Hybris mit sich brachte. Ein<br />

Machtinstrument, das Mittel wurde zu neuer Knechtung <strong>der</strong> Menschen und <strong>der</strong> Welt durch<br />

von Schelling nie „geahnte“ Tötungsmaschinerien.<br />

Schelling ist Idealist und gewiß, daß die Menschheit sich auf dem aufsteigenden Ast zur<br />

ursprünglichen Einheit befindet, relativiert jedoch zugleich: „Aber noch ist die <strong>Zeit</strong> nicht<br />

gekommen. Wir dürfen unsere <strong>Zeit</strong> nicht verkennen. Verkündiger <strong>der</strong>selben, wollen wir<br />

ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist ... noch ist sie eine <strong>Zeit</strong> des Kampfes.“ 181 Somit<br />

geht er nicht von einer sich zunehmend verschlechternden Endzeit aus, <strong>der</strong> dann eine<br />

revolutionsartige Restauration folgt, son<strong>der</strong>n wählt den pragmatischeren protestantischen<br />

Ansatz eines langsamen Aufstiegs und freien Emporarbeitens <strong>der</strong> Menschheit. Letztere<br />

Betrachtung legt auch einen grundsätzlichen Unterschied <strong>der</strong> Eschatologie zwischen<br />

Protestantismus und Katholizismus nahe; denn obschon Evola sich als Heide bezeichnet,<br />

bestätigt sein fortwährendes Ringen um Abstand zur katholischen Tradition seines Landes<br />

180 Léon Bloy (Hrsg.: A. Béguin / H. U. v. Balthasar): Schrei aus <strong>der</strong> Tiefe. Johannes Verlag, Einsiedeln/Trier<br />

1987; p. 178<br />

181 F.W.J. Schelling: Die Weltalter (Einleitung). (1811) München 1946 - in Rossmann: Deutsche<br />

Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.<br />

87


und <strong>der</strong> seiner darin eingebetteten aristokratischen Vorfahren zugleich seine unentrinnbare<br />

Nähe zu <strong>der</strong>selben.<br />

Ein eher schwacher Abglanz des Konzepts von den vier Weltaltern sind Hegels „vier<br />

welthistorische Reiche“ 182 , in denen sich die Entwicklungsstadien des Weltgeistes<br />

verkörpern sollen. Er greift hierzu den im Buch Daniel geäußerten und im gesamten<br />

Mittelalter populären Gedanken von vier Weltreichen auf, paßt ihn jedoch nationalen<br />

politischen Tendenzen an, indem er das persische und babylonische Reich in ein<br />

schwammig definiertes „orientalisches Reich“ zusammenfaßt und die Weltreiche somit –<br />

günstig für die Gegenwart – zeitlich um die Dauer eines Reiches nach vorne schiebt. Das<br />

„germanische Reich“ wird nun zu einem vollwertigen vierten.<br />

Der Durchbruch dieses Gedankens erfolgte schon daher nie, weil er den seit dem<br />

Mittelalter erweiterten Horizont nicht einbezog; Konnte im Mittelalter die „Welt“ noch<br />

zwischen Babylon/Persien und römischem Reich definiert werden, so war es zu Beginn des<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>ts eigentlich nicht mehr angemessen geographisch-historische Einheiten wie<br />

das chinesische Reich, den indischen Kulturkreis, Persien und Mesopotamien in ein<br />

„orientalisches Reich“, einen Aspekt des Weltgeistes zu fassen.<br />

Max Stirner geht, obwohl Hegelianer, einen an<strong>der</strong>en Weg, indem er in seiner von wirren<br />

Analogien durchsetzten Menschwerdungsgeschichte sich deutlich erkennbar, aber nicht<br />

erwähnt, an Joachim von Fiores Drei-<strong>Zeit</strong>alterlehre orientiert. Diese hatte sich seit dem 12.<br />

Jahrhun<strong>der</strong>t rasch in Europa verbreitet, war sie doch eine erste originär christliche<br />

Weltalterlehre und konnte als Gegenmodell zu <strong>der</strong> alttestamentarischen aus dem Buch<br />

Daniel gesehen werden. In ihr macht de Fiore Christus zur Achse <strong>der</strong> Weltgeschichte,<br />

indem er diese in das „<strong>Zeit</strong>alter des Vaters“, dem die alttestamentarische, patriarchalische<br />

<strong>Zeit</strong> entspricht, in das „<strong>Zeit</strong>alter des Sohnes“ und das kommende „<strong>Zeit</strong>alter des Heiligen<br />

Geistes“ einteilt. Durch diesen einfachen, aber großen Entwurf einer christlichen<br />

Sinngebung <strong>der</strong> Historie gelang es ihm, dem alten Gedanken vom Abstieg des Geistigen<br />

(das ist nicht <strong>der</strong> Heilige Geist) durch die <strong>Zeit</strong>alter einen positiven neuen Aspekt zu<br />

verleihen; indem er nämlich den Augenmerk nicht wie bisher auf den Verlust des alten<br />

Himmels richtete, son<strong>der</strong>n den christlichen Gedanken von <strong>der</strong> neuen Reinheit <strong>der</strong><br />

182 G.W.F. Hegel: Grundlinien <strong>der</strong> Philosophie des Rechts. Berlin 1821; § 354 ff.<br />

88


(weiblichen) Natur, <strong>der</strong> auch schon im Judentum angelegt war, in den Vor<strong>der</strong>grund<br />

brachte. Die Involution des göttlichen Funkens, das Tragen des Kreuzes <strong>der</strong> Materie wird<br />

als Grundbedingung zu Freiheit und schöpferischer Selbstständigkeit bejaht. Das<br />

kommende <strong>Zeit</strong>alter wird als „geheiligt“ erwartet, ist nicht mehr die dunkle Zukunft eines<br />

Hesiod, son<strong>der</strong>n steht am Ende des monadischen Abstiegs nicht als <strong>der</strong>en Grab und<br />

Gefängnis da, son<strong>der</strong>n als von ihr gesegnete und ganz durchdrungene Natur.<br />

Zurück zu Max Stirner: Dieser griff also, ohne sie zu erwähnen, de Fiores <strong>Zeit</strong>alterlehre<br />

auf, teilte drei Weltalter ein nach drei Entwicklungsstadien des Menschen und nannte sie<br />

Kin<strong>der</strong>stadium, Jünglingsstadium und das Stadium des Mannes. Analog dazu ordnete er<br />

die Weltgeschichte in einem heute grob und chauvinistisch anmutenden Wurf in ein<br />

„negerhaftes“ Weltalter, ein „mongolisches“ und ein „wirklich kaukasisches“ Weltalter,<br />

zumal er davon ausging, die Weltgeschichte sei eigentlich Angelegenheit des<br />

„kaukasischen Stammes“. 183 Das „negerhafte“ repräsentiert das von Ägypten und Afrika<br />

(?) dominierte Altertum, das „mongolische“ die Ära des Christentums, welche er wie<strong>der</strong> in<br />

einer kulturellen Kramlade mit <strong>der</strong> chinesischen Kultur, <strong>der</strong> mongolischen und russischen<br />

zusammenwirft.<br />

So befremdlich Stirners Einteilung und Weltanschauung heute wirkt, zeigt sie doch gut das<br />

durch Hegel wie<strong>der</strong> emporgebrachte Suchen des europäischen Geistes nach einer Ordnung<br />

in <strong>der</strong> rasant beschleunigten (Welt-) Geschichte und enthüllt in ihrer Konfusion und<br />

Wahnwitzigkeit zugleich die bodenlose Orientierungslosigkeit im einsetzenden<br />

Industriezeitalter - offenbart so die Endgültigkeit des Bruches mit <strong>der</strong> alten Ordnung.<br />

Spenglers Schatten<br />

Spengler bezeichnet das, was er gefunden hat als „wahr“. Wahr für ihn, und, wie er glaubt,<br />

„auch für die führenden Geister <strong>der</strong> kommenden <strong>Zeit</strong>, nicht wahr an sich „. 184 Er weist die<br />

Unterstellung des Pessimismus zurück. Seine Erkenntnisse seien nicht für die<br />

183 Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. „Die Hierarchie“. p. 71 ff.<br />

184 Spengler, Oswald: Untergang des Abendlandes – Umrisse einer Morphologie <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />

Braumüller, Wien 1918; p. viii<br />

89


Ewiggestrigen bestimmt, son<strong>der</strong>n für die „Pfadfin<strong>der</strong> des Morgen“ 185 . Spenglers Buch war<br />

in <strong>der</strong> ersten Nie<strong>der</strong>schrift vollendet, als <strong>der</strong> Erste Weltkrieg ausbrach. Evola übersetzte<br />

Spengler teilweise, kommentierte ihn, 186 und bezieht sich auf ihn 187 . Julius Evolas hat sein<br />

Schlüsselbuch, die Revolte gegen die mo<strong>der</strong>ne Welt, zum ersten Mal 1934 herausgegeben,<br />

am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Man kann beiden, wohl nicht ohne Berechtigung<br />

unterstellen, daß sie die Katastrophen <strong>der</strong> nahenden großen Kriege geahnt haben müssen.<br />

Trotz <strong>der</strong> gegenteiligen Beteuerungen Spenglers, ist beiden Büchern natürlich eine gewisse<br />

pessimistische Grundhaltung eigen. So schreibt Spengler im Vorwort zum Untergang des<br />

Abendlandes, es sei ihm „trotz des Elends und Ekels dieser Jahre... unter den Händen<br />

entstanden“ 188 . Immer wird die jeweilige <strong>Zeit</strong>qualität einen Einfluß haben auf den Denker,<br />

<strong>der</strong> in ihr lebt und schreibt; um wie viel mehr Dunkelheit aber muß man diesen beiden<br />

abziehen o<strong>der</strong> gutschreiben, die sich mit Kultur- und Menschheitsgeschichte in den Jahren<br />

des radikalen Verfalls <strong>der</strong>selben befaßten, um das von ihnen Geschriebene zu<br />

objektivieren.<br />

Spengler versucht, die linienhafte Vorstellung von Geschichte durch eine zyklische zu<br />

ersetzen und leugnet, daß „die Menschheit“ ein Ziel, eine Idee und einen Plan habe, ja<br />

bezeichnet den Begriff Menschheit selbst als „ein Abstraktum“. Obwohl Evola sicher<br />

einige wesentliche Anregungen von Spengler bezog und ihn auch öfter erwähnt, ist es<br />

wahrscheinlich, daß er den Großteil seiner Ideen und Vorstellungen von den Theosophen<br />

bezog, <strong>der</strong>en wesentlichste Schriften er mit Sicherheit kannte; aus mehreren Gründen<br />

erwähnt er sie nur äußerst selten und dann meist kritisierend. Wahrscheinlich zum einen<br />

weil diese wissenschaftlich nicht anerkannt waren und nach wie vor nicht sind, zum<br />

an<strong>der</strong>en wohl, um sich nicht des Plagiatismus verdächtig zu machen. 189<br />

185 Spengler; p. viii<br />

186 Evola, Julius:“Spengler e il Tramont dell’Occidente.“ in Qua<strong>der</strong>ni di testi evoliani, n: 14; Fondazione<br />

Julius Evola, Roma 1981.<br />

187 Z.B.: Evola, Julius: Cavalcare la Tigre. p. 219 f.<br />

188 Spengler; p. ix<br />

189 Es bleibt eine zukünftige Aufgabe nachzuweisen wie viel nicht nur die New Age-Bewegung <strong>der</strong><br />

Theosophischen Gesellschaft verdankt; auffallend ist die Ähnlichkeit vieler späteren Ideen mit denen <strong>der</strong><br />

Theosophie bei gleichzeitiger Seltenheit <strong>der</strong> Verweise auf diese.<br />

90


Spenglers Zyklen sind Lebenskreise von Individuen – individuellen Kulturen, die wie<br />

Wesen geboren werden, wachsen und vergehen. Evola hingegen geht generell von <strong>der</strong><br />

gesamten Menschheit als Wesen aus, bzw. von <strong>der</strong> Erde als Wesen. Er schließt damit die<br />

Spengler’schen Wesen in Form von Hochkulturen nicht aus, aber gibt ihrem (bei Spengler<br />

naturhaften) Nebeneinan<strong>der</strong> eine metaphysische Ordnung, <strong>der</strong> sie unterstellt werden.<br />

Ähnlich wie in <strong>der</strong> früheren Vorstellung vom Wan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Hochkulturen durch die vier<br />

<strong>Zeit</strong>alter von Osten nach Westen, vom persischen in das römische Reich, wo jeweils eine<br />

dieser Hochkulturen die Welt dominierte (noch nicht beherrschte). Spengler ist<br />

Theoretiker des Horizontalen, Evola denkt und lebt vertikal, hierarchisch. Ihre Bedeutung<br />

haben beide insofern sie Aspekte von Kulturgeschichte aufzeigen; man kann Tschechows<br />

„das Meer ist groß“ nicht nur mit Tiefe o<strong>der</strong> nur mit Ausdehnung erklären – Tiefe und<br />

Ausdehnung sind untrennbar zu „Größe“ verbunden. Bedeutung kommt dem einen o<strong>der</strong><br />

dem an<strong>der</strong>en insofern zu, als die Tiefe o<strong>der</strong> die Ausdehnung in Vergessenheit gerät und<br />

eine Korrektur <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wirklichkeit abweichenden momentanen Vorstellung<br />

notwendig wird. Hier ist Spenglers (zeitliche) Nähe zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Monarchie zu verstehen,<br />

als zu einer hierarchischen Gesellschaft - und Evola im Kontext <strong>der</strong> Massen (-kultur) und<br />

Auflösung <strong>der</strong> Klassen vor und nach dem zweiten Weltkrieg zu begreifen. Viel<br />

‚Menschliches‘ und nur ein Destillat an Absolutem!<br />

Wo sich Evolas und Spenglers Wege aber eindeutig trennen, ist <strong>der</strong> von ihnen jeweils<br />

behandelte <strong>Zeit</strong>raum. Während Spenglers Geschichte mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

wissenschaftskonform mit den ägyptischen, indischen, persischen und babylonischen<br />

Hochkulturen ansetzt, umfaßt Evolas Vorstellung mindestens Jahrtausende mehr und dehnt<br />

sich in mythologische <strong>Zeit</strong>räume aus, die heute als Ur- und Frühgeschichte von <strong>der</strong><br />

eigentlichen „Geschichte“ streng getrennt werden. Spengler spricht mit großer<br />

Selbstsicherheit, teilweise anmaßend von dem großen Überblick, den er zu haben glaubt,<br />

aber die antike Vorstellung von einem noch viel größeren Zyklus, die ihm bekannt<br />

gewesen sein muß, scheut er sich aufzugreifen. Fürchtet er sich noch einen Schritt weiter<br />

zu gehen? Hat er Angst vor einem noch viel größeren Dunkel in einer noch viel längeren<br />

<strong>Zeit</strong>, an <strong>der</strong> gemessen seine 1000 Jahre zu Bruchteilen verblassen würden? Spengler bindet<br />

die Existenz seiner acht Kulturen nicht metaphysisch in ein kosmisches Sinngefüge ein und<br />

91


vertritt die Meinung, „daß innerhalb <strong>der</strong> Menschengeschichte plötzlich <strong>der</strong> Typus <strong>der</strong><br />

hohen Kultur erscheint, ist ein Zufall [!], dessen Sinn nicht nachzuprüfen ist“ 190 . Vor allem<br />

schließt er hiermit – im Gegensatz zu Evola und den Theosophen - die Existenz und den<br />

Einfluß höherer, über dem Menschen stehen<strong>der</strong> Wesen aus, ausgenommen vielleicht einem<br />

sehr fernen abstrakten Gott. Dies macht ihn zu einem typischen Vertreter <strong>der</strong><br />

wissenschaftlichen Neuzeit und Mo<strong>der</strong>ne und trennt ihn hauptsächlich und tief von <strong>der</strong><br />

Welt Evolas – macht diese beiden Welten letztendlich doch wie<strong>der</strong> unvergleichbar.<br />

Spengler bewegt sich im geschlossenen System einer langsam herangebildeten<br />

abendländischen Wissenschaft.<br />

Evola schwankt zwischen zwei Systemen; dem nicht min<strong>der</strong> geschlossenen <strong>der</strong><br />

Theosophen und dem etabliert-wissenschaftlichen. Seine innere Verbundenheit gehört <strong>der</strong><br />

mehr geistigen und magischen Lehre, die im Wesentlichen theosophisch ist, während er<br />

erkennt, daß er nur mit Hilfe und unter Verwendung des etabliert-wissenschaftlichen<br />

Systems durchdringen, etwas bewirken kann. Diese wesentliche innere Spaltung sollte man<br />

sich an einigen Stellen vor Augen halten, wo er wi<strong>der</strong>sprüchlich wirkt.<br />

Jaspers Achse<br />

Jaspers geht nicht primär von einer Ordnung <strong>der</strong> Geschichte durch Weltalter aus, 191 aber<br />

seine Strukturierung durch eine Achse weist gewisse Parallelen auf. So hat etwa Éri<br />

YukteÛvar die vier Yugas um eine imaginäre Achse gespiegelt, zu <strong>der</strong>en Seiten ein Kali<br />

Yuga ab- und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wie<strong>der</strong> aufsteigt. Während Éri YukteÛvar seine Achse,<br />

den tiefsten Punkt <strong>der</strong> Involution des Weltgeistes mit 500 n. Chr. angibt, liegt nach Jaspers<br />

„ ... <strong>der</strong> tiefste Einschnitt <strong>der</strong> [gesamten Menschheits-; C.D.] Geschichte“ 192 um 500 v.<br />

Chr., genauer zwischen 800 und 200 v. Chr.<br />

190 Spengler, Oswald: Untergang des Abendlandes. p. 597<br />

191 ... zitiert diese aber (p. 24) als Geschichtsmodelle <strong>der</strong> Achsenzeit.<br />

192 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p. 19.<br />

92


Jaspers meint mit seiner „Achse“ jedoch nicht so sehr einen globalen kulturell-<br />

zivilisatorischen Tiefstand, wie die indische und antike Weltalterlehre, son<strong>der</strong>n einen<br />

(globalen) Moment des Umbruchs; wenn er auch einräumt, daß die Jahrhun<strong>der</strong>te <strong>der</strong><br />

Achsenzeit „... keine einfach aufsteigende Entwicklung“ waren, son<strong>der</strong>n „... Zerstörung<br />

und Neuhervorbringen zugleich“. Gemein mit einigen Ansichten über das Kali Yuga ist die<br />

Idee von einer <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Re-flexion des (höchsten) Geistes im Materiellen.<br />

Eine Gemeinsamkeit zur „Geschwindigkeit“ und (materiellen) „Dichte“ <strong>der</strong> Kali Yuga-<br />

Achse liegt aber wie<strong>der</strong> in einer ähnlichen Terminologie, wenn Jaspers davon spricht, daß<br />

„in dieser <strong>Zeit</strong> 193 ... sich Außerordentliches zusammen [-drängt]“ 194 und einige Seiten später<br />

dann von „ ... <strong>der</strong> reißend schnellen Bewegung“ 195 . Das was darüber hinaus bleibt, ist die<br />

gemeinsame Idee einer großen Symmetrie <strong>der</strong> Geschichte.<br />

Ein hauptsächlicher Fehler Jaspers in <strong>der</strong> Anlage seiner Achse liegt darin, daß er noch<br />

nicht in <strong>der</strong> Lage war, sich von einem eurozentrischen Geschichtsbild zu befreien. Damit,<br />

daß er die <strong>Zeit</strong> von 500 v. Chr als beson<strong>der</strong>s „dicht“ und entscheidend bewertet, geht er<br />

von einer schriftlichen Dichte dieser <strong>Zeit</strong> aus und legt somit einen schriftlichen Maßstab<br />

an. Wiewohl wir den Entwurf einer Geschichtsachse gutheißen, kommt er nicht auf den<br />

Gedanken, daß, zumindest in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> vor seiner Achse, ebensolche globale Umwälzungen<br />

in sozialer und bewußtseinsmäßiger Hinsicht sich vollzogen haben könnten. Kurzum,<br />

Jaspers „Achsenzeit“ ist immer noch zu eng an ein europäisches Geschichtsverständnis<br />

und damit an einen europäisch 196 festgesetzten Geschichtsbeginn gekoppelt; dieses<br />

europäische Geschichtsverständnis wie<strong>der</strong>um krankt primär an seiner For<strong>der</strong>ung nach<br />

Schriftlichkeit, die zum Maßstab für Kultur wird.<br />

Wie später bei Jaspers und an<strong>der</strong>en findet sich auch in <strong>der</strong> Geheimlehre eine <strong>Zeit</strong>enwende,<br />

die dort als „Periode des höchsten Kampfes“ beschrieben wird, „... <strong>der</strong> damit endete, daß<br />

die alten Religionen zu Gunsten einer neuen, auf ihren eigenen Leibern aufgerichteten,<br />

193 ... <strong>der</strong> Achsenzeit<br />

194 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p. 20; kursiv von mir.<br />

195 Ebenda p. 23<br />

196 Mit „europäisch“ sind die maßgeblich in Europa entwickelte Geschichtstheorien und –modelle gemeint; in<br />

weiterer Folge das daraus abgeleitete „westliche“, abendländische Geschichtsverständnis, also z.B. Amerika<br />

miteinschließt.<br />

93


erdrosselt wurden“ und auf die <strong>Zeit</strong> Konstantins angesetzt wird 197 . Der Ausblick in die weit<br />

entfernte Vergangenheit „jenseits <strong>der</strong> Sintflut und dem Garten Eden“ wurde an diesem<br />

Wendepunkt <strong>der</strong> Geschichte „... gewaltsam und unbarmherzig mit allen erlaubten und<br />

unerlaubten Mitteln dem indiskreten Blick <strong>der</strong> Nachwelt verschlossen. ...“ 198<br />

Jaspers ist es jedenfalls zu verdanken, daß die Gleichzeitigkeit wesentlicher<br />

welthistorischer Abläufe klar herausgestrichen wurde, und er hat deutlich machen können,<br />

daß untereinan<strong>der</strong> nicht wesentlich verknüpfte Kulturen o<strong>der</strong> Zivilisationen – wie eben<br />

China, Indien, <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>e Orient und Griechenland 199 – zur selben <strong>Zeit</strong> sehr ähnliche<br />

kulturelle Formen entwickeln können. Dieser Gedanke, <strong>der</strong> dann durch C.G. Jungs<br />

„kollektives Unbewußtes“ erweitert wurde, muß auch notwendiger Teil und Prämisse einer<br />

Welt-<strong>Zeit</strong>alterlehre sein, insofern man einen „Weltgeist“ annimmt, <strong>der</strong> die jeweiligen <strong>der</strong><br />

<strong>Zeit</strong> angemessenen inneren Formen auf die Erde überträgt. Ein neuerer Versuch sich von<br />

naturwissenschaftlicher Seite an dieses Phänomen heranzutasten ist von Rupert Sheldrake<br />

unter Prägung <strong>der</strong> Begriffe „morphogenetische Fel<strong>der</strong>“ und „morphische Resonanz“<br />

gemacht worden, die Theosophen sprechen von „Akasha-Chronik“ und beziehen sich so<br />

auf die (antike) Mediumschaft des Äthers, etc.<br />

Theosophie<br />

Von allen Wegen, die die Lehre von den Weltzeitaltern in das gegenwärtige Bewußtsein<br />

<strong>der</strong> Menschen genommen haben, sollte <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Theosophie nicht unterschätzt<br />

werden. Eine nicht unbeträchtliche Zahl Intellektueller hat sich mit <strong>der</strong> Geheimlehre<br />

auseinan<strong>der</strong>gesetzt o<strong>der</strong> ist sogar eng mit ihr verbunden gewesen. Die von Olcott und<br />

Blavatsky gegründete Theosophische Gesellschaft gilt als Initiator <strong>der</strong> New Age<br />

Bewegung und bildet nach wie vor eine wesentliche Grundlage <strong>der</strong>selben. René Guénon,<br />

197 ... was sich bis auf zwei Jahrhun<strong>der</strong>te mit Éri YukteÛvars Mitte des Kali Yuga deckt.<br />

198 GL I, p. 27<br />

199 Jaspers geht von einem physisch nicht wesentlich vorhandenen Kontakt zwischen Indien und China vor<br />

<strong>der</strong> Verbreitung des Buddhismus, und Griechenland mit Indien vor <strong>der</strong> Römerzeit aus. (p. 35 f)<br />

94


einer <strong>der</strong> wichtigsten Autoren für Evola, beschäftigte sich ebenso mit <strong>der</strong> Geheimlehre, wie<br />

nach ihm Evola und verfaßte 1921 eine Kritik <strong>der</strong> Theosophie 200 . Beim Lesen <strong>der</strong> Revolte<br />

bemerkt man zweifelsfrei den starken Einfluß <strong>der</strong> Geheimlehre auf Evolas<br />

Weltanschauung, obwohl er sich davor hütet diese in seinen ohnehin schon knappen<br />

Anmerkungen zu erwähnen.<br />

Die Geheimlehre wie<strong>der</strong>um, Fundament <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen von Helena P. Blavatsky<br />

begründeten Theosophie, beruft sich auf drei Quellen für ihre Zyklenlehre: Den Tamil-<br />

Kalen<strong>der</strong> (Tirukkanda PanchËnga) 201 Südindiens, die Zahlen des Arya Samaj 202 und die<br />

Aufzeichnungen in „õkËÚa“, <strong>der</strong> dem „Weltäther“ zugrundeliegenden Substanz, einer Art<br />

universellem Speicher aller Geschehnisse und allen Wissens. Aus dieser „õkËÚachronik“<br />

würden „hoch entwickelte Menschen“ weitere Kenntnisse zu den schon vorhandenen<br />

Schriften gewinnen können.<br />

Die Einteilung <strong>der</strong> Zyklen <strong>der</strong> Erde erfolgt nach „Runden“, Yugas und Mahayugas, die<br />

alle noch einer Einteilung in jeweils sieben Unterstufen unterzogen werden. 203<br />

Grundlage <strong>der</strong> theosophischen <strong>Zeit</strong>einteilung und Zyklen sind – im Gegensatz zu einer<br />

mechanistischen Sichtweise - innere, geistige und das Bewußtsein betreffende Vorgänge<br />

<strong>der</strong> einen Gottheit, <strong>der</strong> „Götter“ und <strong>der</strong> Menschen. In den Lehren <strong>der</strong> Theosophen wird<br />

dargelegt, wie man sich die Hesiod’schen Götter vorzustellen habe. Es wird nicht von<br />

einem Gegensatz zwischen Polytheismus und Monotheismus ausgegangen; „Die Götter“<br />

sind alle „... Wesen, die nach oben hin die Menschheitsstufe überschritten haben“ 204 und<br />

damit in einen Zustand <strong>der</strong> Göttlichkeit eingetreten sind. Diese Definition entspricht vage<br />

dem nietzscheanischen „Übermenschen“, ist jedoch eindeutiger und im Zusammenhang<br />

eines Systems formuliert. Den Göttern gegenüber aber in keinerlei Wi<strong>der</strong>spruch zu ihnen<br />

200 René Guénon: Theosophy: History of a Pseudo-Religion. (?) 1921<br />

201 GL II, p. 71<br />

202 Eine (nordindische) Schule, die 1875 als Gegenmodell zur kolonialen Bildungsoffensive <strong>der</strong> britischen<br />

Verwaltung gegründet wurde, sich eine vedische Renaissance zum Ziel gesetzt hat und auch heute noch<br />

Einfluß – z.B. auf die indische Regierungspartei BJP - ausübt.<br />

203 Fährmann: Die Lehre von <strong>der</strong> periodischen Wie<strong>der</strong>kehr im Kosmos. p. 32<br />

204 Fährmann: Die Lehre von <strong>der</strong> periodischen Wie<strong>der</strong>kehr im Kosmos. p. 34<br />

95


steht Gott als Prinzip, das absolut gesetzt, unpersönlich und ewig wirkt, ähnlich dem<br />

indischen õtman o<strong>der</strong> dem griechischen Logos. Der theosophische Kosmos wird in<br />

mehreren Ebenen belebt vorgestellt, wobei die übermenschlichen Wesen (Götter) nach<br />

jedem kleinen und größeren Pralaya, nach je<strong>der</strong> Weltzerstörung, die Welt neu erschaffen,<br />

wie in <strong>der</strong> Torah die Elohim. Sie treten in weiterer Folge als „Erzieher“ <strong>der</strong> unter ihnen<br />

liegenden Reiche auf. Dies geschieht in aktiver und passiver Form; aktiv, wenn sie den<br />

unteren Reichen (z.B. dem Menschenreich) bewußt wahrnehmbar erscheinen und direkt<br />

auch auf die physischen Ebene einwirken – passiv, wenn sie in dunkleren <strong>Zeit</strong>en wie den<br />

Kali Yugas unsichtbar, entrückt auf feineren Ebenen, wie <strong>der</strong> „mentalen“ o<strong>der</strong> „kausalen“,<br />

wirken.<br />

Die Lehre von den Weltaltern ist nicht vollständig denkbar, ohne die Idee von <strong>der</strong><br />

Involution und Evolution des Geistes. Wenn sie von „Menschen“ reden, sprechen die<br />

96


Theosophen von sehr unterschiedlichen Wesen und meinen primär eine selbstständige über<br />

das Tierreich hinausentwickelte Monade. Form und Aggregatzustand dieses Wesens, dem<br />

sie mangels einer metaphysischen Terminologie hierfür in den europäischen Sprachen<br />

keine an<strong>der</strong>e Bezeichnung geben, kann aber sehr unterschiedlich ausfallen. Für weitere<br />

Verwirrung sorgt die theosophische Theorie, daß <strong>der</strong> „Mensch“ nicht nur einmal<br />

erschaffen o<strong>der</strong> sich entwickelt hat, son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> neu in verschiedenen solaren,<br />

planetarischen und „Globenrunden“ in Erscheinung tritt, somit uranfänglich als „Bild<br />

Gottes“ schon vorhanden war. Begrifflich verbindend bleiben nur die „menschlichen<br />

Monaden“ übrig, eine bestimmte Entwicklungsstufe repräsentierend, <strong>der</strong>en Komplexität<br />

das heutige wissenschaftliche Menschenbild gedanklich weit übersteigt.<br />

So sieht man auch im ersten Buch Mose unmittelbar hintereinan<strong>der</strong> angeordnet zwei<br />

unterschiedliche Schöpfungsgeschichten aufeinan<strong>der</strong>prallen. Zuerst wird dort eine<br />

Schöpfung geschil<strong>der</strong>t, die den Menschen als Abschluß erhält, dann eine<br />

Schöpfungsgeschichte, die den Menschen an den Anfang allen Lebens stellt und erst in<br />

Folge Pflanzen und Tiere erscheinen läßt. Es ist ohne weiteres möglich, und auch<br />

geschehen, diese Wi<strong>der</strong>sprüche mit dem Verweis auf symbolische Interpretation o<strong>der</strong><br />

unterschiedliche Textschichtungen und –fragmente zu beseitigen. Sollte die metaphysische<br />

Prämisse von einem mehrfach erschaffenen Menschen aber auch in an<strong>der</strong>en mythologisch-<br />

religiösen Systemen (als <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Theosophie) gelten können, und würde man<br />

versuchen, zumindest einen metaphysischen Menschen-Begriff weiter zu fassen, wären<br />

auch bisher wi<strong>der</strong>sprüchlich erscheinende Schöpfungs- und Weltuntergangsmythen besser<br />

interpretierbar und in Übereinstimmung zu bringen.<br />

Für kosmische Verankerung <strong>der</strong> Vormachtstellung des Menschen in <strong>der</strong> Schöpfung sorgt<br />

in <strong>der</strong> Theosophie die These, daß <strong>der</strong> (theosophisch definierte) Mensch bereits in einem<br />

sehr frühen Stadium <strong>der</strong> Entwicklung irdischen Lebens vorhanden war – und zwar in<br />

seiner ersten Wurzelrasse 205 und in ausschließlich geistiger Form. <strong>Zeit</strong>alter auf <strong>Zeit</strong>alter<br />

verdichtet sich nun sein Körper, wie auch die Formen <strong>der</strong> Pflanzen und Tiere, ähnlich dem<br />

205 Der theosophische Begriff „Rasse“ hat nur wenig gemeinsam mit den herkömmlichen biologischen<br />

Vorstellungen, die allgemein daran geknüpft werden. Er ist geistig zuverstehen. Physisch ist es beinahe<br />

unmöglich Individuuen verschiedener Rassen voneinan<strong>der</strong> abzugrenzen. Diesen Rassebegriff hat auch Evola<br />

vertreten und bemühte sich, ihn im nationalsozialistischen Deutschland zu verbreiten.<br />

97


platonischen System, sich Schritt für Schritt aus einer idealen Welt materialisieren und in<br />

<strong>der</strong> sinnlich wahrnehmbaren Welt erscheinen.<br />

Das gesamte System nur zu umreißen würde schon den Rahmen sprengen; Obige These<br />

vom relativ zu den abendländischen Wissenschaften viel höheren Alter <strong>der</strong><br />

„Menschheit“ 206 , verringert den Abstand <strong>der</strong>selben zu kosmischen Größen, wie etwa dem<br />

„si<strong>der</strong>ische Jahr“ 207 .<br />

Die Theosophen gehen – ebenso wie an<strong>der</strong>e mystische Schulen – von einer siebenfachen<br />

Schichtung <strong>der</strong> Schöpfung aus und unterteilen daher auch alle Zyklen in jeweils sieben<br />

Einheiten. Diese sieben (<strong>Zeit</strong>-) Einheiten sind grundsätzlich auf vier Ebenen verteilt, die<br />

den klassischen vier Pfeilern <strong>der</strong> Welt entsprechen, den vier Tieren, etc. Die Ebenen sind<br />

nach dem Grad ihrer Geistigkeit angeordnet und entsprechen „Bewußtseinsgraden“ <strong>der</strong><br />

Schöpfung; Die jeweilige erste <strong>Zeit</strong>einheit befindet sich in <strong>der</strong> obersten Ebene, die zweite<br />

in <strong>der</strong> nächsten darunterliegenden, usw – bis zur vierten Ebene, <strong>der</strong> materiell dichtesten.<br />

Dann erfolgt ein erneuter Aufstieg durch die oberen drei Ebenen. Diese sieben<br />

<strong>Zeit</strong>einheiten und Bewußtseinsgrade, durch die sich alles Leben vom „Ätherischen“ zum<br />

„Geistigen“ entwickelt, sind im allgemeinen durch Pralayas voneinan<strong>der</strong> getrennt 208 .<br />

Jede <strong>der</strong> sieben „Wurzelrassen“ <strong>der</strong> physischen Erde wird in vier <strong>Zeit</strong>alter eingeteilt; diese<br />

werden explizit auch als goldenes, silbernes, ehernes und eisernes <strong>Zeit</strong>alter bezeichnet und<br />

damit <strong>der</strong> klassischen <strong>Zeit</strong>alterlehre vergleichbar gemacht. Erschwert wird dies durch die<br />

konsequente Systematisierung <strong>der</strong> Theosophen - die immer von einer oberen Ordnung und<br />

damit von einer idealen Ordnung ausgehen – indem sie sich beeilen hinzuzufügen, auch<br />

alle an<strong>der</strong>en Unter- und Familienrassen hätten ihr goldenes, usw. <strong>Zeit</strong>alter. Damit werden<br />

206 Die Stellung des Menschen wird in <strong>der</strong> Geheimlehre durch eine systematische ideale und „notwendige“<br />

Einbindung desselben in den Kosmos noch weiter erhöht.<br />

207 Das „si<strong>der</strong>ische Jahr“ entspricht hier <strong>der</strong> Dauer des Präzessionszyklus und wird in <strong>der</strong> Geheimlehre genau<br />

mit 25 868 Erdenjahren angegeben. (GL I, p. 334, 469; GL II, p. 345 ff, 372, etc.) – In <strong>der</strong> heutigen<br />

Astronomie wird jedoch <strong>der</strong> absolute Umlauf <strong>der</strong> Erde um die Sonne als „si<strong>der</strong>isches Jahr“ bezeichnet, also<br />

nur etwa 365 Tage.<br />

208 Pralayas, die je nach Größe des Zyklus eine unterschiedliche Tiefe besitzen, daher unterschiedliche<br />

Ebenen erfassen.<br />

98


Überlagerungen eingeräumt, die angesichts <strong>der</strong> schwierigen physischen Unterscheidbarkeit<br />

<strong>der</strong> „Rassen“ einen Nachvollzug auf empirischer Basis gewaltig erschweren. So erlebte<br />

etwa die vierte „Wurzelrasse“ ihr Kali Yuga zu <strong>der</strong>selben <strong>Zeit</strong>, als die fünfte sich in ihrem<br />

Goldenen <strong>Zeit</strong>alter, in ihrer „ursprünglichen Reinheit“ befand. Auf Hesiod angewandt<br />

würde dieses System dessen Verwirrung bezüglich des Heroengeschlechts nachvollziehbar<br />

machen. Dennoch gibt es globale <strong>Zeit</strong>alter, indem nämlich jeweils weltweit<br />

vorherrschende Rassen bezeichnet werden; Somit bekommt die Welt einen menschlichen<br />

(geistigen) ‚Schwerpunkt‘ zugewiesen, <strong>der</strong> sich langsam von dem Siedlungsgebiet <strong>der</strong><br />

einen Rasse in dasjenige einer an<strong>der</strong>en bewegt, begleitet von geologischen Kataklysmen.<br />

Innerhalb dieses großen Siedlungsraumes 209 einer „Wurzelrasse“ wan<strong>der</strong>t <strong>der</strong><br />

‚Schwerpunkt‘ wie<strong>der</strong> zwischen den auf- und absteigenden „Unterrassen“ hin und her, die<br />

noch einmal in „Familienrassen“ geteilt, aus Körperschaften von Völkern und Nationen<br />

bestehen.<br />

Daher besteht auch im Rahmen <strong>der</strong> Theosophie grundsätzlich die Möglichkeit von<br />

‚globalen <strong>Zeit</strong>altern‘ zu sprechen, um so mehr natürlich, als sich <strong>der</strong> Einflußbereich <strong>der</strong><br />

gerade vorherrschenden Rasse auf den Rest <strong>der</strong> Welt auszudehnen vermag.<br />

Die Dauer des (theosophischen) „si<strong>der</strong>ischen Jahres“, das als „platonisches Jahr“ mehrfach<br />

auch mit den vier Weltaltern in Verbindung gebracht wurde, wird in <strong>der</strong> Geheimlehre mit<br />

<strong>der</strong> Lebensdauer einer „Familienrasse“ gleichgesetzt. 210 Diese bestehen ungefähr 25 000<br />

bis 30 000 Jahre und überschneiden sich in ihren Übergängen. Der Unterschied zu den<br />

„SandhyËs“ <strong>der</strong> hinduistischen Lehre liegt in <strong>der</strong> Unschärfe <strong>der</strong> theosophischen<br />

Übergänge, wo es durchaus denkbar erscheint, daß das SandhyËÑÚa <strong>der</strong> einen Rasse mit<br />

<strong>der</strong> Morgendämmerung, dem SandhyË, <strong>der</strong> folgenden Rasse zusammenfällt.<br />

Auch die Vorstellung von den aus dem Osten in den Westen wan<strong>der</strong>nden Zivilisationen,<br />

die zugleich <strong>Zeit</strong>alter verkörpern – die sich ausgehend vom Buch Daniel über das gesamte<br />

Mittelalter ausbreiten konnte - findet sich in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Theosophie wie<strong>der</strong>. Hier<br />

werden sie allerdings auf fünf „Unterrassen“ <strong>der</strong> gegenwärtigen fünften Wurzelrasse<br />

209 ... auch in meta-physischer Hinsicht zu verstehen.<br />

210 GL II, p. 453 f.<br />

99


ezogen und reflektieren erneut ungewohnt lange <strong>Zeit</strong>abschnitte. 211 Diese „Unterrassen“<br />

sind die von Norden kommenden In<strong>der</strong>, die Iranier (Perser), die chaldäisch-babylonische<br />

Kultur und die Kelten, welche sich wie<strong>der</strong>um aus <strong>der</strong> griechischen und römischen Kultur,<br />

sowie <strong>der</strong>en Erben, <strong>der</strong> französischen und englischen Nationen zusammensetzen; als fünfte<br />

Unterrasse werden die Germanen genannt 212 , von denen die „Deutschen“ allerdings nur<br />

eine Familienrasse bilden. In verwirrendem Wi<strong>der</strong>spruch zu den genannten 210 000 Jahren<br />

Lebensdauer einer Unterrasse steht unter an<strong>der</strong>em die prophezeite Bildung einer sechsten<br />

amerikanischen Unterrrasse, <strong>der</strong>en Keime schon gelegt seien. Die einzige Lösung für das<br />

Dilemma findet sich in dem Ausweg einer nur um wenige Jahrtausende – vielleicht das<br />

Spengler’sche Jahrtausend - verschobene Gleichzeitigkeit <strong>der</strong> Kulturen. Dann kann aber<br />

nicht mehr von <strong>Zeit</strong>altern die Rede sein, da SandhyËs und SandhyËÑÚas gegenüber dem<br />

eigentlichen <strong>Zeit</strong>alter unverhältnismäßig groß werden.<br />

Wenn die Geheimlehre auf Yugas o<strong>der</strong> ein MahË Yuga zu sprechen kommt, sind in <strong>der</strong><br />

Regel die puranischen <strong>Zeit</strong>räume gemeint. Ein MahË Yuga mißt demnach 4 320 000 Jahre,<br />

ein Kali Yuga 432 000 Jahre (inklusive SandhyË und SandhyËÑÚa) und <strong>der</strong> Beginn des<br />

Letztgenannten wird mit dem 16. Februar 3102 v. Chr. 02:27:30 h 213 angegeben - zur <strong>Zeit</strong><br />

einer Konjunktion <strong>der</strong> Planeten Saturn, Mars, Jupiter und Merkur mit <strong>der</strong> Sonne.<br />

Jedenfalls kann in <strong>der</strong> Geheimlehre entwe<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Mythos an irgendeiner Stelle gefunden<br />

und in Beziehung gesetzt werden, was einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität<br />

ausmacht, – an<strong>der</strong>erseits fällt es schwer eindeutige und systematisch angeordnete<br />

Aussagen zu finden, die nicht in einem gewissen Wi<strong>der</strong>spruch zu an<strong>der</strong>en Stellen im<br />

selben Buch stehen, was die Wissenschaft letztendlich davon abhielt auf dieses monströse<br />

Werks zu reagieren, und Evola wohl davon abhielt aus ihm zu zitieren. Daher wird die<br />

Geheimlehre wohl weiterhin Inspirationsquelle bleiben und nicht als Grundlage<br />

wissenschaftlicher Auseinan<strong>der</strong>setzung dienen können.<br />

211 Eine „Unterrasse“ wird mit 210 000 Jahren Lebensdauer angegeben. (GL II, p. 454)<br />

212 Dieser Gedanke tritt schon in <strong>der</strong> Daniel-Reception des Mittelalters auf, wo die „Germanen“ als Erben des<br />

römischen Imperiums gesehen wurden.<br />

213 GL I, p. 725<br />

100


101


Erklärungsmodelle und wissenschaftliche Theorien<br />

Astronomische Erklärungs-Modelle für die Weltalterlehre<br />

Vorausschickend muß gesagt werden, daß, um das Thema <strong>der</strong> Weltalter astronomisch<br />

betrachten zu können, hochgradig von einem astrologischen Verständnis <strong>der</strong><br />

Himmelskörper auszugehen ist. Das heißt, daß diese entwe<strong>der</strong> im Sinne des Lehrsatzes des<br />

Hermes Trismegistos in Analogie zu den Vorgängen auf <strong>der</strong> Erde stehen. In diesem Fall ist<br />

ein ursächlicher Zusammenhang nicht unbedingt notwendig. „Wie oben, so unten“ meint<br />

nur, daß ein Zusammenhang in Mustern o<strong>der</strong> Strukturen besteht, nicht, daß etwa Größeres<br />

das Kleinere ver-ursacht.<br />

Im an<strong>der</strong>en Falle, <strong>der</strong> auch eine Erweiterung <strong>der</strong> Analogie sein kann, werden die Planeten<br />

als (intelligente) Lebewesen gedacht, die aktiv wie Götter in das Leben auf <strong>der</strong> Erde<br />

eingreifen. Ihr Einfluß ist in diesem Fall auch graduell abhängig vom physischen Abstand<br />

zur Erde, was beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Zentralsonnentheorie eine Rolle spielen wird.<br />

Die nächstliegende Wahl zur Erklärung des Caturyuga Zyklus fällt meist auf die<br />

Präzession <strong>der</strong> Erdachse. Das Heranziehen von astronomischen Zyklen zur Erklärung von<br />

Manvataras, Kalpas, etc. ist zunächst ohne große Wi<strong>der</strong>sprüche zu bewältigen; <strong>der</strong><br />

Caturyuga-Zyklus birgt jedoch einen Son<strong>der</strong>fall insofern, als es hierbei ganz dezidiert um<br />

qualitative Abstufungen geht, die man nur mit Einschränkung als „große Jahreszeiten“<br />

deuten kann. Vielmehr wird in den Mythen und Modellen Griechenlands und <strong>der</strong><br />

indoiranischen Literatur immer auf metaphysische Abstufungen hingewiesen und es ist<br />

definitiv nicht möglich diese klimatologisch o<strong>der</strong> wirtschaftlich (im Sinne von mehr o<strong>der</strong><br />

weniger Güterüberschuß) zu interpretieren. Folglich ist die Theorie <strong>der</strong> absteigenden<br />

Weltalter ohne ein Eingehen auf ‚astrologisches‘ Denken nur schwer und mit großen<br />

Verzerrungen zu bewältigen. Wenn Shastry versucht Schwankungen im Gravitationsfeld<br />

<strong>der</strong> Erde und des Sonnensystems, die durch astronomische Zyklen hervorgerufen werden,<br />

als Ursache für die unterschiedlichen Ausprägungen des Dharma zu deuten, so bewegt er<br />

sich hierin, nach westlichen Maßstäben, schon in einem ‚astrologischen‘ Erklärungsmuster.<br />

102


Wir behaupten, daß dies bei Dr. Shastry unbewußt geschieht, da er sich bemüht, im System<br />

<strong>der</strong> ‚westlichen‘ Wissenschaft zu schreiben. Dennoch erscheint die Theorie, daß ein<br />

Variieren des Gravitationsfeldes Bewußtseinsän<strong>der</strong>ungen bewirken könnten als wertvoll,<br />

und es wäre <strong>der</strong> Ansatz zu einer guten Schnittstelle zwischen <strong>der</strong> ‚metaphysischen‘ Lehre<br />

von den Weltaltern und unserem mo<strong>der</strong>nen Naturverständnis.<br />

Endzeit- und Katastrophenszenarien stehen hoch im Kurs und ständig erscheint eine<br />

Vielzahl neuer Theorien hiezu auf dem Büchermarkt und in naturwissenschaftlichen<br />

<strong>Zeit</strong>schriften. Das Spektrum <strong>der</strong> in Betracht gezogenen Einflüsse ist ungeheuer weit und<br />

reicht von Gammablitzen, Kometen, Asteroiden, Doppelsonnen, Sonnenwinden über den<br />

zivilisationsverursachten Treibhauseffekt bis zum Atomkrieg. Nicht nur wächst die Liste<br />

<strong>der</strong> potentiellen Bedrohungen mit <strong>der</strong> rasanten Zunahme astronomischer und<br />

geodynamischer Kenntnisse, son<strong>der</strong>n auch mit <strong>der</strong> für Modellrechnungen herangezogenen<br />

Rechenleistung <strong>der</strong> Computer. Während das Gebiet <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> und Zyklen in<br />

geisteswissenschaftlicher Behandlung mit den vorhandenen Texten und ethnologischen<br />

Studien stark begrenzt bleibt, explodieren die astronomischen und geodynamischen<br />

Fachbereiche. Kaum einer wagt den Versuch diese sich so rasant än<strong>der</strong>nde Masse von<br />

Daten und Theorien zu gewichten. Das letzte Bollwerk gegen Kataklysmentheorien, eine<br />

geologische Konstante in <strong>der</strong> Erdgeschichte, erscheint immer schwerer zu halten,<br />

gleichzeitig aber notwendiger denn je. Nur ein außenstehen<strong>der</strong> ordnen<strong>der</strong> Faktor und die<br />

Verbindung mit den human- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen kann, unserer<br />

Meinung nach, eine solche Konstante bilden und schaffen.<br />

103


Versuch einer Einteilung unterschiedlicher Ansätze<br />

104<br />

„Jenseits des Tores war es tief dunkel. Der Nebel<br />

drückte nicht mehr auf die Brust, laue Luft wehte. ...<br />

Der Mann mit <strong>der</strong> Laterne erklärte: «Das ist die<br />

Bahnstation, es ist höchste <strong>Zeit</strong>!»“<br />

(A. Kubin: Die an<strong>der</strong>e Seite)<br />

Die Auflösung des Rätsels von den Weltaltern und ihrer Ursache gleicht <strong>der</strong> Quadratur des<br />

Kreises. Die erhobenen Arme des Mannes auf <strong>der</strong> berühmten Zeichnung Leonardo da<br />

Vincis, die in ähnlicher Darstellung sich bei Fra Giovanni Giocondo, Bartolommeo<br />

Caporali, Cäsare Cäsariano, Francesco di Giorgio über Albrecht Dürer bis hin zu le<br />

Corbusier als “vitruvischer Mensch” verfolgen läßt, deuten das Reich des Geistes an, wie<br />

die zwei mal vier zehntel einer geschlossenen <strong>Zeit</strong>runde im System <strong>der</strong> Yugas. Wie <strong>der</strong><br />

tanzende Éiva <strong>der</strong> weit verbreiteten Hindu-Ikonographie steht er in einem Kreis und zwei<br />

Paar Arme ragen ihm aus dem Oberkörper.<br />

1.) Einfachster und nächstliegen<strong>der</strong> Ansatz ist nach Lektüre etwa <strong>der</strong> indischen PurËnas,<br />

als auch des jüdisch-christlichen Kanons, die Erschaffung <strong>der</strong> perfekten Welt (besten aller<br />

Welten) durch „Gott“. Darauf folgen Abstieg und Verfall in Materie und Sünde, sowie


anschließende Auflösung in Gott, o<strong>der</strong> dem <strong>der</strong> Materie entgegengesetzten Geist, in einem,<br />

wie immer gearteten, apokalyptischen Weltenbrand. Dann wie<strong>der</strong>holt sich das Ganze in<br />

<strong>der</strong> völligen Neuschaffung <strong>der</strong> Welt und einem Geworfenwerden <strong>der</strong> Seelen/Monaden in<br />

diese. Dazwischen (zwischen Auflösung und Schöpfung) liegt das „Wun<strong>der</strong>bare“ o<strong>der</strong><br />

„Unbekannte“ – eine unverständliche Ursachenlosigkeit über die bequemerweise nicht<br />

geredet werden kann, über die man mit Wittgenstein besser schweigt.<br />

2.) Die naturwissenschaftliche, mechanistisch-biologische, darwinistische und westlich-<br />

evolutionäre Vorstellung geht von einer Welt <strong>der</strong> Schöpfung aus dem Chaos <strong>der</strong> Natur aus,<br />

die sich bis zur Zivilisation des Computerzeitalters entwickelt, um dann durch einen<br />

Atomkrieg, Massekollaps des Universums, etc. wie<strong>der</strong>um in <strong>der</strong> großen Dissolution zu<br />

verschwinden.<br />

105


Es spielt im Wesentlichen keine große Rolle, ob das Modell dann verfeinert so aussieht:<br />

... O<strong>der</strong> so:<br />

106


Von Bedeutung ist das Momentum <strong>der</strong> Apokalypse, beziehungsweise <strong>der</strong> ungelösten<br />

„an<strong>der</strong>en Seite“. Also eine sprunghafte Geburt und ein sprunghafter Tod - o<strong>der</strong> zumindest<br />

die Vorstellung davon. Diese Art Weltanschauungen stehen in engem Zusammenhang mit<br />

den jeweiligen Vorstellungen über Geburt und Tod <strong>der</strong> Menschen. Die <strong>Zeit</strong>achse (t) wirkt<br />

immer als Trennlinie/Grenze zwischen Sein und Nicht-Sein o<strong>der</strong> Existenz und Chaos.<br />

Evolas Kritik <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt bezieht sich nun in erweitertem Sinne auch darauf, daß<br />

dort diese Grenze als mathematische Linie gesehen wird, die sprunghaft überschritten<br />

werden kann, während sie in <strong>der</strong> traditionalen Welt eher einer Fläche, einem Gebiet<br />

gleichkommt, in dem man sich auch bewegen kann; nicht im Sinne eines Grenzstreifens<br />

von ‚Niemandsland‘ zwischen Staaten, son<strong>der</strong>n im Sinne etwa einer Grenz-region<br />

zwischen traditionalen Stammesverbänden.<br />

3.) Menschlicher Zyklus:<br />

Obige Darstellung entspricht <strong>der</strong> Vorstellung eines menschlichen Lebenszyklus und in<br />

prinzipieller Form dem Zyklus je<strong>der</strong> Lebenserscheinung, also auch <strong>der</strong> Welt in <strong>der</strong> von<br />

Evola konstatierten „traditionalen“ Sichtweise – die sich im Mythos von <strong>der</strong> ewigen<br />

Wie<strong>der</strong>kehr wie<strong>der</strong>findet. Der hauptsächliche Unterschied besteht, nach <strong>der</strong> Anschauung<br />

107


des Mythos, im Verständnis von „Dissolution“. Tod und Geburt wird dort so gut wie nie<br />

absolut gesehen, son<strong>der</strong>n ist immer ein Hinübergehen. Natürlich kein Vollständiges (es<br />

gibt ja keine Absolutismen!), son<strong>der</strong>n das Hinübergehen eines o<strong>der</strong> mehrerer Prinzipien.<br />

Was einmal „Seiend“ ist, geht nicht mehr verloren, könnte man sehr banal sagen. Aufstieg<br />

und Abstieg, Evolution und Involution sind immer gleichzeitig vorhanden und bilden ein<br />

energetisches Gleichgewicht – ein „Ganzes“, das nicht aus den Augen verloren wird.<br />

In <strong>der</strong> zyklischen Welt gibt es daher zwangsläufig Ebenen, die zwischen Sein und Nicht-<br />

Sein Grenzen bilden, wobei „Nicht-Sein“ meist nur nicht-sichtbar meint. Diese<br />

Manifestationsebenen, im Sanskrit auch „lokas“ genannt, unterstehen eigenen (geistigen)<br />

Gesetzen – einer Hierarchie. Diese stellt, zusätzlich zur Dimension <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>, eine weitere<br />

Dimension dar. Der Raum ist somit in die <strong>Zeit</strong> getaucht, wie die <strong>Zeit</strong> in die Hierarchie von<br />

„Geist“ und „Materie“, welche letztere, im Vergleich mit dem Raum, das Oben und Unten<br />

dieser neuen, fünften Dimension markieren. 214<br />

Die Präzession <strong>der</strong> Erdachse<br />

Die Präzession <strong>der</strong> Erdachse steht immer wie<strong>der</strong> im Verdacht von alten Kulturvölkern für<br />

die Berechnung von langen <strong>Zeit</strong>abschnitten herangezogen worden zu sein. Obwohl die<br />

Entdeckung <strong>der</strong> Präzession im allgemeinen Hipparchos (2. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr)<br />

zugeschrieben wird, gibt es einige Anzeichen dafür, daß diese auch schon in den<br />

Megalithbauwerken des Paläolithikums Verwendung fand und in astronomischen Kulten<br />

eine große Rolle spielte. Die sich um die eigene Achse drehende Erde wird durch das<br />

Zusammenspiel <strong>der</strong> Gravitationskräfte von vor allem Sonne und Mond in ihrer<br />

Eigenrotation abgelenkt. Ursache dafür sind <strong>der</strong> Äquatorwulst, sowie <strong>der</strong> Winkel zwischen<br />

Äquatorebene und Bahnebene <strong>der</strong> Erde. Diese Torkelbewegung <strong>der</strong> Erdachse beschreibt<br />

einen Kreis vor dem Hintergrund des Fixsternhimmels. Auf Grund <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong><br />

Gravitationseinflüsse von Sonne, Mond, Planeten und an<strong>der</strong>en Himmelskörpern – aber<br />

auch aufgrund des relativ kurzen Beobachtungszeitraumes <strong>der</strong> ‚wissenschaftlichen‘<br />

214 Diese Dimension wird als „Sein“ und „Nicht-Sein“ in den obigen Graphen dargestellt.<br />

108


westlichen Astronomie - ist es schwierig die exakte Länge dieses Präzessionszyklus<br />

anzugeben. Allein das Zusammenspiel von Erde, Sonne und Mond ergibt schon das in <strong>der</strong><br />

Astrophysik berüchtigte Drei-Körper-Problem 215 . Man nimmt daher gegenwärtig eine<br />

Zyklusdauer zwischen 25.800 und 26.000 Jahren an. 216<br />

Eine an<strong>der</strong>e Subkategorie folgt aus geologischen Modellen, die man aus einem instinktiven<br />

Ordnungstrieb immer wie<strong>der</strong> auch versuchte zu rythmisieren, daher in sich wie<strong>der</strong>holende<br />

Muster einzufügen. Eigentlich ist es eher die Geologie als Paläonthologie und Archäologie,<br />

die kompetent sein müßte für den wissenschaftlichen Beweis von Weltzeitaltern, also jene<br />

<strong>Zeit</strong>spannen, die mo<strong>der</strong>ne Historiker als so unzugänglich empfinden und als "mythische<br />

<strong>Zeit</strong>" zusammenfassen.<br />

Geologen kann man unterteilen in solche, die die Erdgeschichte als mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

gleichmäßigen langsamen Entwicklungsprozeß sehen, und jene, die große globale<br />

Umwälzungen in - für Menschen relevante - kurzen <strong>Zeit</strong>räumen favorisieren. Es erscheint<br />

als seltsamer Antropomorphismus, daß parallel zur Beschleunigung in Technik und vielen<br />

Lebensbereichen <strong>der</strong> (westlichen) Welt ab dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, zugleich das geologische<br />

Weltbild sich 'entschleunigt' hat. Der Geologe Eduard Suess tematisierte diesen<br />

weltbildlichen Einfluß und gesellschaftlichen Prozeß schon 1904, wenn er schreibt:<br />

"The enthusiasm with which the little polyp building up the coral reef, and the raindrop<br />

hollowing out the stone, have been contemplated, has, I fear, introduced into the<br />

consi<strong>der</strong>ation of important questions concerning the history of the earth a certain element<br />

of geological quietism - <strong>der</strong>ived from the peaceable commonplaceness of everyday life - an<br />

element which by no means contributes to a just conception of those phenomena which<br />

have been and still are of the first consequence in fashioning the face of the earth." 217<br />

215 Vor allem bezüglich Erde und Mond, den kleineren von den drei Körpern. Die an<strong>der</strong>en Planeten unseres<br />

Sonnensystems haben durchwegs kleinere Monde, die in ihrem Gravitationseinfluß vernachlässigbar sind;<br />

somit ist dort das Verhältnis Planet–Sonne auf die einfacher und eindeutiger zu rechnende Zweikörper-<br />

Problematik zurückzuführen.<br />

216 Milne: „25.780 Jahre“; Wilson, C.: „ca. 26.000 Jahre“; Falque: „25.800 Jahre“<br />

217 Suess, Eduard: Das Anlitz <strong>der</strong> Erde. I, F. Tempsky (etc.), Prag 1885-1909; p. 17f<br />

109


Die Vorstellung vom Wesen <strong>der</strong> Erde hat einen tiefen Einfluß auf das Denken je<strong>der</strong> Kultur<br />

und wirkt als vorzüglicher Spiegel <strong>der</strong> jeweiligen Epoche. Metaphysisch vorbelastete<br />

Begriffe wie "Horizont" fallen darunter. Das viel strapazierte Erdbeben von Lissabon<br />

wurde von vielen im nachhinein als gesellschaftliche Erschütterung gesehen; <strong>der</strong> Umbruch<br />

von geozentrischem zu heliozentrischem Weltbild läutete ein mächtiges neues Paradigma<br />

ein.<br />

Charles Hapgood ist einer von jenen, die einer kataklysmische Entwicklung den Vorzug<br />

geben. In The Path of the Pole hat er versucht nachzuweisen und zu beschreiben, wie ein<br />

Verschieben des Erdmantels in geologisch kurzen Abständen die Eiszeiten hervorbrachte<br />

und dieser "Sprung" <strong>der</strong> Polarregionen Richtung Äquator und zugleich gemäßigten<br />

Regionen zu den Polen, die neuen Eckpfeiler einer jeweils immer wie<strong>der</strong> neuen Welt<br />

bildeten.<br />

Der Kataklysmus als Kategorie ist dann in <strong>der</strong> Lage mit dem Mythos verknüpft zu werden<br />

und dient als Überordner für Sintflut, Ragnarök, etc. Unter diesen Voraussetzungen<br />

gewinnt das von Dechend und de Santillana in <strong>der</strong> Mühle des Hamlet dargestellte Weltbild<br />

an Plastizität und wissenschaftlicher Deutlichkeit. Durch eine für menschliches <strong>Zeit</strong>maße<br />

wahrnehmbare Verschiebung <strong>der</strong> Kontinentalplatten und den damit zweifellos<br />

verbundenen Naturkatastrophen erhalten mythologische Beschreibungen von aus <strong>der</strong> Bahn<br />

gelaufenen Sonnenwagen und im Meer versinkenden Sternen ein neues Fundament und<br />

sollten unter an<strong>der</strong>en Gesichtspunkten kritisch neu beleuchtet werden. Denn wenn die<br />

Kontinente sich verschieben, än<strong>der</strong>t umgekehrt (geozentrisch) gesehen, auch <strong>der</strong> Himmel<br />

seinen Ort.<br />

Gewaltige neue Probleme ergeben sich für alle geschichtsverwandten Wissenschaften<br />

durch eine solche Anschauung insofern, als es durch die postulierten gewaltigen<br />

geologischen Umwälzungen ungleich schwieriger wird zwischen den alten und neuen<br />

Welten zu 'kommunizieren', ein geschichtliches Kontinuum aufzubauen. Es sind wirkliche<br />

Pralayas, die hier die <strong>Zeit</strong>en vonein<strong>der</strong> trennen und einen dichten Schleier über die onehin<br />

schon spärlichen Spuren <strong>der</strong> Vorzeit breiten.<br />

110


Relative Welten<br />

In einer mo<strong>der</strong>nen Betrachtung <strong>der</strong> Weltalterlehre drängt sich eine Gegenüberstellung mit<br />

den Ergebnissen von Einsteins Relativitätstheorien auf. Wie wirkt sich nun das Spiel von<br />

Gravitation und Geschwindigkeit – den zwei <strong>Zeit</strong>-relativierenden Faktoren – auf die<br />

Theorie <strong>der</strong> Yugas aus?<br />

Für eine Betrachtung im Licht <strong>der</strong> Relativitätstheorien ist es vorab erfor<strong>der</strong>lich zu klären,<br />

von wo aus die Yugas eigentlich betrachtet und beschrieben wurden. 1.) Entwe<strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />

Erdoberfläche aus (auf <strong>der</strong> wir uns heute noch meistens befinden, solange wir nicht 9000<br />

Meter darüber hinwegbrausen); dann sind die Phänomene <strong>der</strong> Weltalterlehre Funktionen<br />

<strong>der</strong> Erd-<strong>Zeit</strong>. – O<strong>der</strong> aber 2.) man nimmt die Aussage vieler Mythen für bare Münze, die<br />

ein Diktieren <strong>der</strong>selben durch Götter und Gott-ähnliche Wesen als Quelle angeben; in<br />

diesem Fall wäre die Weltalterlehre eventuell das Produkt einer externen Beobachtung;<br />

daher, die jeweils subjektiv ablaufende <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Beobachter und <strong>der</strong> Erdlinge würden<br />

differieren 218 – weil die Beobachter entwe<strong>der</strong> weniger o<strong>der</strong> mehr Gravitation unterworfen<br />

wären, beziehungsweise sich im Verhältnis zur Erde schneller bewegen würden, was eine<br />

<strong>Zeit</strong>-Verschiebung zur Folge hätte. Möglichkeiten für den zweiten Fall gibt es zahllose;<br />

allen gemeinsam, ist ein hauch von Science Fiction o<strong>der</strong> Theologie. Da beides heute nicht<br />

gar so ernst genommen wird, werden wir von Beispielen absehen und ihre Erfindung hier<br />

dem Geschmack und <strong>der</strong> Phantasie des Lesers überlassen.<br />

Gemeinsame Ur-Eigenschaft des Kali Yuga erscheint uns, die im Verhältnis zum goldenen<br />

<strong>Zeit</strong>alter größere Macht <strong>der</strong> Materie zu sein. Von <strong>der</strong> Terminologie <strong>der</strong> Metaphysik in die<br />

<strong>der</strong> Physik übertragen bedeutet das eine höhere Gravitation.<br />

218 Nach <strong>der</strong> Relativitätstheorie wurde <strong>Zeit</strong> zur Privatsache. Newton glaubte noch an eine absolute <strong>Zeit</strong> – die<br />

sich heute jedoch nur mehr im absoluten Alter des Universums nach dem Urknall erhalten hat. Seit Einstein<br />

ist man <strong>der</strong> Ansicht, daß <strong>Zeit</strong> durch Gravitation und Geschwindigkeit gedehnt bzw. gestaucht werden kann,<br />

somit für unterschiedliche Wesen auch unterschiedlich schnell fließt – abhängig von den auf sie<br />

einwirkenden Gravitationsfel<strong>der</strong>n und ihrer Geschwindigkeit relativ zueinan<strong>der</strong>.<br />

111


Ein langsameres Vergehen <strong>der</strong> subjektiven <strong>Zeit</strong> – verursacht durch ein stärkeres<br />

Gravitationsfeld 219 im Kali Yuga – läßt aber die umgebenden Geschehnisse, die diesem<br />

nicht in solchem Ausmaß unterworfen sind, schneller ablaufen. Hierbei ist uns natürlich<br />

schon bewußt um wieviel höher <strong>der</strong> Gravitationseffekt <strong>der</strong> Erde nach heutigem Wissen<br />

sein müßte, um eine für das menschliche Bewußtsein fühlbare Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Raumzeit<br />

hervorzurufen; bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Weltzeitalter im Licht <strong>der</strong> speziellen und<br />

allgemeinen Relativitätstheorie geht es aber nicht darum Ergebnisse zu präsentieren o<strong>der</strong><br />

Berechnungen anzustellen, son<strong>der</strong>n auf die Tatsache hinzuweisen, daß auch in<br />

mythologischen <strong>Zeit</strong>en die Menschen von <strong>der</strong> Relativität <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu wissen den Anschein<br />

hatten. Es gibt in den Lehren von den Weltzeitaltern Elemente, die auf die Idee vom<br />

Dehnen und Stauchen <strong>der</strong> Raumzeit hinweisen. Diese Idee hat seit erst hun<strong>der</strong>t Jahren den<br />

Glauben <strong>der</strong> naturwissenschaftlich geprägten westlichen Menschen an eine absolute,<br />

gleichmäßig dahinlaufende <strong>Zeit</strong> erschüttert und gilt uns heute als neu.<br />

Auf psychologischer Ebene nachvollziehbar wird dieser schnellere Ablauf <strong>der</strong><br />

umgebenden Phänomene in den Beschreibungen von unsicheren sozialen Verhältnissen,<br />

<strong>der</strong> geringen Stabilität des Himmels und <strong>der</strong> irdischen Dinge, <strong>der</strong> Ehe, <strong>der</strong> Wahrheit, etc. 220<br />

Das Kali Yuga wird als <strong>Zeit</strong> des Werdens empfunden, das Satya Yuga als eine <strong>Zeit</strong> des<br />

Seins.<br />

Obige Überlegungen können <strong>der</strong>zeit nur als Ansatz und Anregung verstanden werden, da<br />

je<strong>der</strong> detailliertere Versuch einer Annäherung von traditionalem und<br />

naturwissenschaftlichem Begreifen <strong>der</strong>zeit – da eine Anäherung dieser Gegenpole des<br />

Denkens sich erst abzuzeichnen beginnt - in wilden Spekulationen enden müßte.<br />

Von den Betrachtungen über Kali und Satya Yuga kommen wir nun zu <strong>der</strong> über den<br />

Unterschied zwischen zeitlichem Geschehen und den beschriebenen Phänomenen des<br />

Pralaya.<br />

219 Dieses stärkere Gravitationsfeld ergibt sich aus <strong>der</strong> Annahme des vorhergehenden Absatzes, wo <strong>der</strong><br />

Einfluß des “Materiellen” in eine naturwissenschaftliche Sprache übertragen wurde.<br />

220 Siehe ViÛÙu PurËna IV und V.<br />

112


In den Pralayas (o<strong>der</strong> Dissolutionen) unterschiedlicher Klasse 221 werden zuerst die<br />

Dimensionen des Raumes, dann die <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> aufgelöst – je nach Schwere und Ausmaß <strong>der</strong><br />

‘Zerstörung’. In dieser Auffassung verbirgt sich ein den heutigen Begriffen vom “Raum-<br />

<strong>Zeit</strong>-Kontinuum” o<strong>der</strong> <strong>der</strong> “Raumzeit” sehr verwandter Gedanke. Im traditional-<br />

metaphysischen <strong>Zeit</strong>-Verständnis gibt es somit (zumindest theoretisch) die Idee von<br />

unterschiedlicher <strong>Zeit</strong>-Dichte. Diese relative <strong>Zeit</strong>-Dichte ist heute am bekanntesten durch<br />

das aus <strong>der</strong> Physik stammende Beispiel eines Astronauten, <strong>der</strong> den Ereignishorizont eines<br />

schwarzen Loches erreicht, indem seine <strong>Zeit</strong>, im Verhältnis zu <strong>der</strong> seiner Umgebung 222<br />

immer langsamer vergeht, - bis sie beim Überschreiten des Ereignishorizontes unendlich<br />

gedehnt wird. Dieser Astronaut befände sich, im System <strong>der</strong> Weltalterlehre gesehen, in<br />

einem grenzenlos tiefen Kali Yuga 223 - das Universum um ihn beginnt sich rasend schnell<br />

zu bewegen und ein dem Ragnarök wohl sehr ähnliches Feuerwerk würde den Himmel<br />

über ihm zum ‘Einsturz’ bringen.<br />

Ein Metaphysiker, <strong>der</strong> in Analogien zu sehen gewohnt ist, könnte sich als zweiten Pol zu<br />

einem “schwarzen Loch” eine diesem entgegengesetzte weiße Singularität vorstellen,<br />

vielleicht einen weißen absoluten Raum, in dem die <strong>Zeit</strong> unendlich schnell vergeht – so<br />

daß rundum alle Erscheinungen stehen bleiben, er somit die <strong>Zeit</strong> um ihn herum anhält.<br />

Dies ist etwa so zu denken, wie wenn man morgens aufwacht, auf die Uhr (<strong>der</strong> äußeren<br />

Welt) sieht, den Wecker zehn Minuten weiterstellt, um dann beim neuerlichen Erwachen<br />

zu bemerken, wie viel mehr man in <strong>der</strong> inneren Traum-<strong>Zeit</strong> erlebt hat, als es je in <strong>der</strong><br />

kurzen äußeren <strong>Zeit</strong> möglich gewesen wäre. 224<br />

Dieses Modell eines weißen absoluten Raumes entspräche dann dem Pralaya, wie das<br />

schwarze Loch dem Kali Yuga.<br />

221 Mit “Klasse” ist gemeint, ob sie also zu einem gewöhnlichen Yuga, einem Mahayuga, o<strong>der</strong> gar zu einem<br />

Jahr Brahmas gehören und im Verhältnis stehen.<br />

222 Mit Umgebung ist <strong>der</strong> Raum und sind die Sterne rund um jenes schwarze Loch gemeint.<br />

223 Wir erinnern uns, daß in <strong>der</strong> vedischen Tradition Ort, Bewußtseinszustand und bedingt auch <strong>Zeit</strong> durch<br />

den Begriff “loka” synonym gemacht werden.<br />

224 Dieses Phänomen existiert auch im Schamanismus, wenn Trancemedien von langen inneren Reisen<br />

berichten, wenn sie nach vergleichsweise kurzen Séancen wie<strong>der</strong> in den ‘Normalzustand’ ihres Körpers<br />

zurückkehren.<br />

113


Neben <strong>der</strong> Erfahrung des beschleunigten Ablaufens <strong>der</strong> umgebenden Welt, gibt es eine<br />

zweite Eigenschaft des Kali Yuga, die für eine Gegenüberstellung mit <strong>der</strong> allgemeinen<br />

Relativitätstheorie tauglich ist; nämlich die Tatsache <strong>der</strong> unterschiedlichen Länge <strong>der</strong><br />

<strong>Zeit</strong>alter, wie sie zumindest in <strong>der</strong> indischen Tradition existiert. Hier dauert ja das<br />

‘dunkelste’ von vier Yugas nur ein viertel so lange wie das ‘hellste’, das Satya Yuga. Ein<br />

viertel so lang wie das hellste – aber gemessen woran?<br />

Wenn man, wie anzunehmen ist und es offenbar immer geschah 225 , die Erd-<strong>Zeit</strong> mit Hilfe<br />

<strong>der</strong> umgebenden Himmelskörper bestimmte, so muß die höhere ‘Gravitation’ des Kali<br />

Yugas zu einer schnelleren relativen Bewegung <strong>der</strong> die Erde umgebenden Himmelskörper<br />

geführt haben.<br />

Wenn die umgebenden Himmelskörper weiters als Maßstab für einen Gesamt-Umlauf aller<br />

zwei mal vier Weltzeitalter gelten, und man beispielsweise die Präzessionsbewegung <strong>der</strong><br />

Erdachse als so einen Gesamt-Umlauf anzunehmen bereit ist, so wird man feststellen, daß<br />

durch eine langsamere Erd-<strong>Zeit</strong> im Kali Yuga, <strong>der</strong> durch die Erdachse am Fixsternhimmel<br />

beschriebene Sektor zwar gleich groß sein wird wie in an<strong>der</strong>en Yugas, - jedoch weniger<br />

Erdenjahre dazu nötig sind, diesen Sektor zu durchlaufen. Wenn das Erdenjahr durch den<br />

Umlauf um die Sonne definiert wird, was meist geschah, da <strong>der</strong> Mond so gut wie immer<br />

einen untergeordneten Faktor bildete, so ist die höhere Gravitation des Kali Yuga von <strong>der</strong><br />

Erde auch auf des Sonnensystem auszudehnen. Dieses, Erde und Sonne als Einheit, steht<br />

dann, wie im obigen Beispiel <strong>der</strong> Astronaut und sein schwarzes Loch (als Einheit), <strong>der</strong><br />

Umgebung in Form des Fixsternhimmels gegenüber.<br />

Weltaltersysteme und Quantenphysik<br />

Wie uns auch bei an<strong>der</strong>en ‚metaphysischen’ Systemen <strong>der</strong> Verdacht kam, dass diese nicht<br />

unmittelbar zu überlagern sind, so könnte es auch im Fall <strong>der</strong> Weltalterlehre zu einem <strong>der</strong><br />

Quantenphysik ähnlichen Effekt einer Unschärferelation kommen.<br />

225 Erst die Erfindung <strong>der</strong> mechanischen Uhr, dann <strong>der</strong> Atomuhr hat erst eine wirkliche Erd-<strong>Zeit</strong> im Sinne <strong>der</strong><br />

Relativitätstheorie eingeführt<br />

114


Um ein einfaches Beispiel zu geben, haben wir vor einiger <strong>Zeit</strong> versucht die chinesische<br />

Fünf-Elementen-Lehre mit <strong>der</strong> europäischen und <strong>der</strong> indischen zu überlagern – zuerst unter<br />

<strong>der</strong> naiven Annahme, dass die chinesischen Elemente Holz und Metall den griechisch-<br />

europäischen Elementen Äther und Luft eins zu eins entsprechen müssten; Hierbei wäre<br />

einzig zu klären gewesen, ob nun Holz dem Äther o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Luft entspricht und vice versa<br />

bezüglich des Metall-Elements.<br />

In ähnlicher Weise wäre zu überprüfen gewesen, ob <strong>der</strong> griechisch-europäische Äther dem<br />

indischen AkaÛa gleichgestellt ist.<br />

In beiden Fällen, beson<strong>der</strong>s jedoch in dem Vergleich <strong>der</strong> europäischen mit <strong>der</strong><br />

chinesischen Tradition, sind wir zu dem Schluß gekommen, dass man die Systeme nicht<br />

eins zu eins gleichsetzen o<strong>der</strong> über-setzen kann. Man ‚arbeitet’ entwe<strong>der</strong> mit dem einen<br />

o<strong>der</strong> mit dem an<strong>der</strong>en – auch wenn es sinnvoll möglich scheint, gewisse Adaptionen zu<br />

machen.<br />

In noch viel stärkerem Maße gilt dieser Effekt für die Weltalterlehre. Hier hat man es nicht<br />

nur mit an<strong>der</strong>en Bezeichnungen zu tun, son<strong>der</strong>n es variieren auch die Zahl <strong>der</strong> Weltalter,<br />

<strong>der</strong>en zeitliche Längenverhältnisse zueinan<strong>der</strong>, sowie ihre spezifischen und<br />

charakteristischen Eigenschaften.<br />

Gemeinsam ist ihnen nur, dass ihnen meist – aber nicht immer – eine zyklische<br />

Komponente zukommt, und dass sie aus menschlicher Sicht sehr große <strong>Zeit</strong>räume<br />

umfassen, wobei letzteres ebenfalls schwammig definiert bleibt.<br />

Mindestens zwei Schlüsse lassen sich aus diesem Problem ableiten: Entwe<strong>der</strong> sind die<br />

Weltalter-Theorien im Verhältnis zu den Fünf-Elementen-Theorien weitaus älter und<br />

deswegen stärker regional diversifiziert, o<strong>der</strong> aber es existieren von einan<strong>der</strong> getrennte<br />

Systeme, die alle im analog wissenschaftlichen Sinne per se richtig sind. Das kann nun<br />

bedeuten, dass die Süd- und Meso-Amerikanischen Weltalterlehren regional mit<br />

kosmischen und terrestrischen Ereignissen wissenschaftlich übereinstimmen, global aber<br />

keine konkrete Gültigkeit besitzen. Es kann aber ebenso heißen, dass sie eine zusätzliche<br />

115


Sinn-Ebene im globalen Kontext haben, beispielsweise durch ihre allgemeinen Aspekte <strong>der</strong><br />

Sintflut und Weltvernichtung. 226<br />

Einem ähnlichen Phänomen begegnet man, wenn man die in Südostasien, dem<br />

Buddhismus und im Taoismus und <strong>der</strong> TCM vertretenen Chakren-Lehre mit den Sefirot<br />

<strong>der</strong> mittelalterlichen Kabbalah zu überlagern versucht. Es ist grundsätzlich nicht ohne<br />

Nutzen die zehn o<strong>der</strong> elf Sefirot in sieben o<strong>der</strong> acht Ebenen zu unterteilen und den sieben,<br />

acht o<strong>der</strong> mehr Chakren o<strong>der</strong> Energiezentren analog gegenüber zu stellen.<br />

Analog als Schlüsselwort impliziert hier schon eine ‚Unschärfe’, die <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />

Verwendung des Wortes in <strong>der</strong> Quantenphysik durchaus nahe kommt. So wie man in <strong>der</strong><br />

Quantenphysik Realität nur entwe<strong>der</strong> aus Teilchen o<strong>der</strong> aus Schwingung bestehend<br />

sichtbar machen kann, so können in obigen metaphysischen Systemen offenbar nur jeweils<br />

bestimmte Aspekte <strong>der</strong> Wirklichkeit abgebildet werden. Es ist, als hätte jedes<br />

Weltaltersystem einen bestimmten Aspekt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu beschreiben. Manchmal überlagern<br />

sich diese Aspekte, manchmal decken sie sich vielleicht fast – nie jedoch ganz. Einzig<br />

gemeinsam ist ihnen, die Qualität von <strong>Zeit</strong> aufzuzeigen und darzustellen.<br />

226 Grundsätzlich sind wir <strong>der</strong> Meinung, dass in sogenannten ‚alten Schriften’ das Wort Welt o<strong>der</strong> Erde<br />

immer zuerst einmal mit unserem Planeten Erde gleichgesetzt werden sollte. Man sollte die eurozentrisch-<br />

mittelalterliche Vorstellung von einem stark begrenzten geographischen Raum, <strong>der</strong> üblicherweise an<br />

Ozeanen aufhört und an<strong>der</strong>e Kontinente krampfhaft ignoriert nicht grundsätzlich auf alle älteren Kulturen<br />

und Zivilisationen ausweiten.<br />

Als gängiges Negativ-Beispiel kann die westliche Deutung <strong>der</strong> biblischen Sintflut als regionale<br />

Überschwemmung <strong>der</strong> von Euphrat und Tigris betroffenen Gebiete gelten. Als unserem Ansatz näher<br />

kommende Herangehensweise die Ausführungen hierzu in Graham Hancock’s Un<strong>der</strong>world.<br />

116


Die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alterlehre in <strong>der</strong> Gegenwart - Anpassung<br />

des Geschichtsverständnisses<br />

117<br />

„Das Monstrum ist ja ganz damit einverstanden, daß man sich<br />

beeilt ... es hilft uns, uns zu sputen ... die <strong>Zeit</strong> drängt ... fast hat<br />

man keine <strong>Zeit</strong> mehr zu verlieren ... ‚Lauft! lauft! (...) lauft dem<br />

Schicksal entgegen, das ich euch vorgezeichnet habe (...) und<br />

schreit alle zusammen: »Gerechtigkeit-Vaterland-Fortschritt-<br />

Intelligenz-Würde-Zivilisation!«“<br />

(B. Moitessier: Der verschenkte Sieg.)<br />

Ob sich <strong>der</strong> Fixsternhimmel und die Planeten um die Erde bewegen, o<strong>der</strong> die Erde sich vor<br />

einem feststehenden Fixsternhimmel dreht - die kopernikanische versus die geozentrische<br />

Anschauung - sind Fragen <strong>der</strong> mathematischen Beschreibung. Beide Modelle lassen sich<br />

mathematisch beweisen. Die Bahn <strong>der</strong> Fixsterne um eine feststehen Erde ist ebenso eine<br />

Realität, wenn auch das astronomisch-mathematische Modell zur Darstellung dieser<br />

Anschauung um ein Vielfaches komplexer ist 227 . Den meisten ist heute nicht bewußt, daß<br />

im mittelalterlichen geozentrischen Weltbild auch eine Wahrheit und Wirklichkeit<br />

verborgen liegt, und es sich nicht ausschließlich so verhält, daß die mo<strong>der</strong>ne, neuzeitliche<br />

Wissenschaft eine Illusion durch höhere Wahrheit (Vernunft) ersetzt hat. Es sollte einem<br />

nicht entgehen, daß es sich auch hierbei um ein Modell handelt, um eine Umkehr <strong>der</strong><br />

Werte - nicht um das Finden eines in irgendeiner Form absoluten Naturgesetzes. Paul<br />

Feyerabend beschreibt diesen Prozeß als das Ersetzen des Dogmas <strong>der</strong> Kirche durch eine<br />

neues Dogma <strong>der</strong> Naturwissenschaften. 228<br />

Eine Deutung dieser umgewandelt Werte im Rahmen eines Abwägens erscheint allerdings<br />

sinnvoll. Wenn es etwa um einen erweiterten Horizont des europäischen Bewußtseins geht,<br />

<strong>der</strong> an diese kopernikanische Wende gekoppelt ist, o<strong>der</strong> um ein Verschieben des<br />

227 Vergleiche auch de Santillana / von Dechend: Die Mühle des Hamlet. p. 324 f.


weltanschaulichen Koordinatenzentrums von innen nach außen; dem Verlagern des<br />

Bewegers, vom eigenen Herzen - dem das Herz <strong>der</strong> Erde nahe steht, mit ihm zusammen<br />

fällt - in einen außen gesehenen Beweger (Sonne). Evola würde diese Wende vermutlich in<br />

dem Sinne negativ auslegen, als er sie als wesentlichen Schritt in den Materialismus, als<br />

Entfremdung bewerten würde - die völlige Aufgabe eines geozentrischen Weltbildes, als<br />

Verlust des Bodens unter den Füßen, als Entwurzelung empfände. Er müßte die<br />

kopernikanische Wende so sehen, wenn sie schlüssig in das Bild vom Kali Yuga passen<br />

sollte. Ein an<strong>der</strong>er Aspekt wäre das (positive) Verlagern des europäischen Bewußtseins in<br />

einen größeren Kontext (etwa einen solaren). Ein Vorgang, <strong>der</strong> automatisch auch<br />

Identifikation mit sich bringt. - Identifikation mit einem größeren Zentrum; hier das solare,<br />

welches das tellurische ablöst.<br />

Auf gleiche Weise kann man - stark vereinfachend - das primordiale mythische Weltbild<br />

als ein am Ganzen orientiertes bezeichnen; das zyklische Weltbild, das oft mit dem des<br />

Mythos gleichgesetzt werden kann, beziehungsweise diesem inhäriert o<strong>der</strong> zu Grunde<br />

liegt, sieht die <strong>Zeit</strong> als eine dem Raum ähnliche Dimension an, sieht sie als etwas<br />

Geschlossenes, Ruhendes, im eigentlichen so unbewegt wie einen im Raum<br />

wahrgenommenen Gegenstand. Das bedeutet, daß <strong>der</strong> mythisch denkende Mensch bis zu<br />

einem gewissen Grad in <strong>der</strong> Lage gewesen ist - o<strong>der</strong> es ihm zumindest Ziel war - ein<br />

Wesen (einen Menschen) gleichzeitig in seiner Geburt, Jugend, Blüte, seinem Alter und<br />

seinem Tod (und eventuell noch darüber hinaus) zu sehen und zu erkennen. 229<br />

Der Mensch nach <strong>der</strong> Achsenzeit, in o<strong>der</strong> nach dem Kali Yuga hat dieses Vertrauen in die<br />

Möglichkeit einer ganzen Sicht größtenteils verloren und damit auch die Fähigkeit dazu.<br />

Für ihn ist die Geschichte so linear, wie eine kürzere Strecke auf <strong>der</strong> Oberfläche des<br />

Erdkreises zur ab-strahiert Linie wird.<br />

Die meisten Menschen glauben heute an eine Konstanz und Linearität <strong>der</strong> Geschichte -<br />

trotz zweier Weltkriege und dem atomaren Damoklesschwert, o<strong>der</strong> gerade deswegen - weil<br />

die Menschheit die Katastrophen zweier Weltkriege überlebt hat und die schleichenden<br />

228 Paul Feyerabend: Wi<strong>der</strong> den Methodenzwang. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1976; Erkenntnis für freie<br />

Menschen. Frankfurt a. M. 1980<br />

229 Diese Betrachtungsweise <strong>der</strong> vierten Dimension (<strong>Zeit</strong>) als ruhend wird sehr anschaulich in P.D.<br />

Ouspensky's Tertium Organum vermittelt und vorstellbar gemacht.<br />

118


Katastrophen <strong>der</strong> Gegenwart offenbar nicht ausreichen, das Bewußtsein von Revolution<br />

aufkommen zu lassen. Das Bewußtsein von erlebten globalen klimatischen Katastrophen,<br />

Umwälzungen (Revolutionen) ist spätestens mit <strong>der</strong> Antike verloren gegangen, wo es sich<br />

in Platons Atlantismythos als dem Untergang einer globalen Zivilisation zum letzten mal<br />

zeigt.<br />

Mircea Eliade beschreibt die indische Vorstellung von <strong>der</strong> zyklischen <strong>Zeit</strong> als Gegenpol zu<br />

einer „geschichtlichen“ Auffassung von <strong>Zeit</strong>. Jedoch sind durchaus auch in Indien<br />

Ereignisse in geschichtlicher Weise eingeordnet. So findet das Mahabharata beispielsweise<br />

am Ende des DvËpara Yuga statt, lebte dieser o<strong>der</strong> jener Verfasser im Treta o<strong>der</strong> im Satya<br />

Yuga; wobei dann üblicherweise das konkret letzte Satya Yuga gemeint ist, hingegen eines<br />

aus einem an<strong>der</strong>en Großzyklus auch als solches bezeichnet wird.<br />

Natürlich resultiert diese Polarisierung in zyklisch und historisch auch aus <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong><br />

Bezugspunkte. In Europa und <strong>der</strong> westlichen Welt ergibt sich ein lineares Bild durch die<br />

Geburt Christi und die alttestamentarische Erschaffung <strong>der</strong> Welt; Jedoch übersehen wir in<br />

unserem zeitlich begrenzten Vorstellungsvermögen, daß auch in Indien das Chaturyuga<br />

beginnt und endet, und zeitweise von den vorhergehenden und nachfolgenden Zyklen<br />

abgetrennt gedacht wird. Es finden sich sehr wohl auch hier lineare Momente und eine<br />

dynastische Geschichtsschreibung. Vielmehr muß man also wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Frage nach<br />

Werteverschiebung und Gewichtung ausgehen; und dann feststellen, inwiefern uns<br />

westlichen Menschen eine zyklische Weltsicht helfen und nützen könnte, beispielsweise<br />

bei einer Überwindung des Materialismus, dem immer enger anstatt weiter werdenden<br />

historischen Horizont 230 , o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schaffung eines neuen wissenschaftlich-historischen<br />

Koordinatensystems. Kurz, es geht um das Problem <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einordnung <strong>der</strong><br />

menschlichen Gesellschaft in den Kosmos, in ein neues ‚primordiales System‘, das den<br />

religiös und metaphysisch verlorenen Menschen <strong>der</strong> Gegenwart fundiert und antizipiert.<br />

Diese primordiale 231 Einheit darf nicht im rousseau’schen Sinne verstanden werden, als<br />

eine Rückkehr zu Altem; son<strong>der</strong>n nur in <strong>der</strong> neuen Ausarbeitung eines neuen Aspekts <strong>der</strong><br />

230 Gemeint ist hier das Beziehen <strong>der</strong> Gegenwart auf eine zunehmend nähere Vergangenheit; so etwa nicht<br />

mehr auf Griechenland, Rom, etc., son<strong>der</strong>n das Amerika <strong>der</strong> 1960-er Jahre, usw.<br />

231 Der Terminus „primordial“ entstammt Eliades Kosmos und Geschichte und ist hier ähnlich, als von <strong>der</strong><br />

Ordnungsmacht <strong>der</strong> fließenden <strong>Zeit</strong> unabhänig zu verstehen - als statischer Anteil im parmenideischen Sinn.<br />

119


alten, weil ewigen primordialen Einheit. Dieser neue Aspekt einer ewigen (alten) Einheit<br />

könnte die Fusion von linearer Geschichtsvorstellung und zyklischem Weltbild verkörpern;<br />

dies, im Sinne einer zyklischen Evolution, eines Helixvektors, dessen Form in <strong>der</strong> unsere<br />

<strong>Zeit</strong> so prägenden Genforschung schon zum Symbol geworden ist.<br />

Entgegengesetzt zu Evolas Auffassung, <strong>der</strong> von einer historischen Wirklichkeit <strong>der</strong><br />

Weltzeitalter ausgeht, vertritt Eliade die wissenschaftlich gängige Ansicht <strong>der</strong> letzten<br />

Jahrzehnte, wenn er sagt: „Ohne Frage wegen ihres ‚Erfolges‘ und nicht eigentlich wegen<br />

ihres inneren Verdienstes interessieren uns alle diese griechisch-orientalischen Lehren, die<br />

auf dem Mythos von den kosmischen Zyklen basieren.“ 232 – Das ist polemisch, spätestens<br />

durch die Arbeit de Santillanas / von Dechends hinlänglich wi<strong>der</strong>legt, und zeugt von einer<br />

kulturellen Arroganz, die zum Teil damit zu erklären ist, daß viele ‚spezialisierte‘<br />

Wissenschafter noch nicht begriffen haben, wie viel alte Kulturen von Astronomie und<br />

astronomischen Zyklen verstanden; mehr jedenfalls, als nur die Perioden des Mondes 233<br />

mit Staunen zu betrachten. Um so mehr befremdet uns diese Sicherheit in <strong>der</strong> Beurteilung<br />

bei jemandem, <strong>der</strong> nicht nur von Europa aus Indologie betrieben hat, son<strong>der</strong>n selbst lange<br />

<strong>Zeit</strong> dort gelebt und sich bemüht hat, tief und persönlich in eine fremde Kulturen<br />

einzudringen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, ob die 12 000 Jahre des Chaturyuga<br />

richtig berechnet sind, son<strong>der</strong>n vielmehr, daß sich die In<strong>der</strong> und an<strong>der</strong>e alte Kulturen<br />

(Chinesen, Ägypter, Babylonier, Araber) nachweislich mit astronomischen Großzyklen<br />

wissenschaftlich auseinan<strong>der</strong>gesetzt haben. Eliade spricht daher den alten Kulturen in<br />

weiterer Folge nicht nur Wissen (im Gegensatz zur Erfindung, Dichtung) ab, son<strong>der</strong>n auch<br />

ein wissenschaftliches Vorgehen 234 ; Pars pro toto für die Tendenz in <strong>der</strong> westlichen<br />

Wissenschaft, das Wissen alter Kulturen zu marginalisieren, in dem es psychologisiert<br />

wird. Dies ist ein probates neokolonialistisches Mittel, dem Wissen alter und damit<br />

frem<strong>der</strong>, an<strong>der</strong>er Kulturen jegliche Objektivität abzusprechen und ihr Gewicht zu<br />

schmälern. Diese Herangehensweise stellt eine noch immer vorhandene und zu<br />

232 Eliade: Mythos und Geschichte. p. 133<br />

233 Auf diese beruft sich Eliade als Modell für die kosmischen Zyklen. Eine so bestimmt urteilende Aussage<br />

steht in krassem Wi<strong>der</strong>spruch zur umfassenden indischen Astronomiegeschichte.<br />

234 Diese wissenschaftliche Herangehensweise ist beson<strong>der</strong>s gut von Joseph Needham anhand <strong>der</strong><br />

chinesischen Kultur gezeigt worden.<br />

120


korrigierende Form des Kolonialismus dar; einen Kolonialismus - nicht des Raumes, <strong>der</strong><br />

geographischen Welt – son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>, <strong>der</strong> Vergangenheit (und Zukunft).<br />

Eliade sieht in <strong>der</strong> Zurückweisung <strong>der</strong> geschichtlichen Periodizität den Wi<strong>der</strong>stand, den <strong>der</strong><br />

mo<strong>der</strong>ne Mensche <strong>der</strong> Natur „entgegensetzt“ 235 , als Befreiung von einem Teufelskreis aus<br />

Schuld und immer gleichen archetypischen Mustern; Die fortwährend neue Setzung des<br />

mo<strong>der</strong>nen Menschen erschafft eine Geschichte des Immer Neuen. Evola – und mit ihm<br />

Nietzsche, Spengler und an<strong>der</strong>e – markieren ein gesellschaftliches Unbehagen gegenüber<br />

dieser ‚jungen‘ Geschichte, das sich nicht nur aus Rest-Einflüssen eines abgestorbenen<br />

Systems erklären läßt; vielmehr sehen sie die Setzung des Menschen als Hybris – nicht im<br />

Sinne einer Befreiung von <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> Natur, son<strong>der</strong>n auch als Verwerfen <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong><br />

Götter, des Geistigen. Beides geht Hand in Hand mit <strong>der</strong> einseitigen Entwicklung und<br />

Betonung des Verstandes, <strong>der</strong>en Konsequenz Dualismus und Verlust von prinzipieller Ein-<br />

heit ist. Evola weist die Sichtweise, das System <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter und Stände sei<br />

entwicklungsgeschichtlich überholt und Fortschritt nur außerhalb <strong>der</strong>selben möglich,<br />

zurück und besteht auf <strong>der</strong> über-geschichtlichen Einheit von <strong>Zeit</strong>altern und Ständen. Er<br />

wehrt sich gegen einen Bruch mit <strong>der</strong> alten Geschichte und vertritt tendenziell die<br />

Meinung, die Geschichte als Gesamtheit müsse in sich schlüssig sein, in Einheit und<br />

Einklang mit <strong>der</strong> ‚alten Geschichte‘ stehen. Letzteres muß als For<strong>der</strong>ung stehen gelassen<br />

werden, ist aber insofern zu begrüßen, als es konsequent nach einem zeitlich erweiterten<br />

Geschichtshorizont verlangt. Mit diesem Horizont ist wesentlich ein Bewußtseinsprozeß<br />

gemeint. Hier steht die Revolte gegen einen europäischen Geschichtschauvinismus. Evola<br />

kritisiert nicht in erster Linie den Fortschritt, son<strong>der</strong>n eben die Kolonisation <strong>der</strong><br />

Vergangenheit, <strong>der</strong> Welt-geschichte.<br />

Evola geht es nicht um ein Sammeln von Knochen und Artefakten vergangener Kulturen,<br />

um lineare ‚Faktengeschichte‘ – son<strong>der</strong>n um ein Fortschreiben des Mythos. Erst die<br />

geistige 236 Einordnung verleiht <strong>der</strong> Geschichte Bedeutung und in Folge dem Menschen.<br />

Der mo<strong>der</strong>ne Mensch hat sich nicht nur aus den Zyklen <strong>der</strong> Natur „befreit“, son<strong>der</strong>n hat<br />

235 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 167<br />

236 ‚Religiös‘ wäre zu eng gedacht.<br />

121


das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, sich auch von seiner ‚Bedeutung‘ getrennt. Beides<br />

Gott/Bedeutung und Natur ist aber nicht schlüssig voneinan<strong>der</strong> zu separieren. Was möglich<br />

erscheint, ist eine Verstärkung des einen Aspekts, wie es etwa als Reaktion auf die<br />

unerträgliche Machtausübung <strong>der</strong> Kirche zu Beginn <strong>der</strong> Neuzeit geschah – als <strong>der</strong> ‚geistige<br />

Aspekt‘ durch ein Forcieren <strong>der</strong> Naturbeobachtung und Beschäftigen mit <strong>der</strong> Natur in seine<br />

Schranken gewiesen wurde; Der Verdacht liegt nahe, daß diese Fixierung auf die Natur<br />

eigendynamisch über ein gesundes Maß hinausgewachsen ist, zu einem fast gänzlichen<br />

Verlust des Geistigen, einem Verlust <strong>der</strong> ‚Bedeutungs-Ordnung‘ des Menschen geführt<br />

hat; zu einem Verlust <strong>der</strong> „Kultur“, wie es Spengler beschreibt, hin zur „Zivilisation“, einer<br />

von <strong>der</strong> lebendigen Einheit aus Natur und Geist losgelösten Gesellschaft.<br />

Evola vertritt eine zu Eliade diametral entgegengesetzte Haltung, indem er nicht das In-<br />

die-Schranken-Weisen <strong>der</strong> Natur als hauptsächliches Moment <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ansieht,<br />

son<strong>der</strong>n durch die übermäßige Beschäftigung des Menschen mit <strong>der</strong> Natur dieselbe in den<br />

Vor<strong>der</strong>grund gerückt sieht. Als Reaktion darauf nahm er eine zunehmend „vertikale“<br />

Haltung ein, war, gerade weil er sich im Chaos <strong>der</strong> Natur verloren fühlte, besessen von<br />

„Reinheit“ und „Geist“, und fasziniert von den Ideen des Faschismus und Nazismus.<br />

Wie sollte man sagen, die alten noch lebenden Kulte, Lehren und Mythen – wie etwa die<br />

jüdischen, hinduistischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schamanismus - seien besser o<strong>der</strong> ‚wahrer‘? Auf jeden<br />

Fall muß man ihnen jedoch zugestehen, daß sie das Rückgrat unserer Welt bilden – den<br />

Stamm aus fast toten, langsamen, trägen Zellen, ohne den das Leben und die mo<strong>der</strong>ne<br />

Bewegtheit kein Gerüst hätten, keine Dimensionen. Ebenso bildet das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />

das Koordinatenkreuz, das diese Welt auf subtile Weise zusammenhält. Zuletzt erschafft es<br />

einen Fluchtpunkt für die Imaginationen des rastlos beschleunigten Verstandes und kippt<br />

von <strong>der</strong> Erinnerung zur Pro-jektion ; schöpft sich als Gegenpol zu Diversifikation und<br />

Geschwindigkeit.<br />

Evola ist in die Irre gelaufen, als er dem Ideal vom Mittelalter aufgesessen ist und es zu<br />

einer „Renaissance“ des Goldenen <strong>Zeit</strong>alters erkoren hat. Nicht <strong>der</strong> klösterliche Rückzug<br />

und die geistige o<strong>der</strong> geographische Beschränkung bringen die Erlösung für die<br />

Menschheit – sie sind allenfalls Vorbereitung o<strong>der</strong> Setzung (Schweretrennung). Die<br />

Einheit des Goldenen <strong>Zeit</strong>alters erwacht nicht in <strong>der</strong> begrenzten Einheit einer Burg,<br />

son<strong>der</strong>n wird dann erreicht, wenn <strong>der</strong> ganze Kosmos zur Burg, zur letzten Grenze<br />

122


geworden ist 237 - alle an<strong>der</strong>en Grenzen, innen und außen, aber gefallen sind. Die<br />

Wie<strong>der</strong>herstellung o<strong>der</strong> vielmehr Neuschöpfung eines wirklichen Goldenen <strong>Zeit</strong>alters ist,<br />

wenn, nur unter menschenmöglichster Auflösung aller menschen-denkbaren Grenzen<br />

erreichbar. Keine äußere Ordnung o<strong>der</strong> Grenze vermag innere Unordnung dauerhaft in<br />

Schach halten. Ent-grenzung ist hier deshalb strikt innerlich gemeint und bedeutet nicht<br />

äußere Maßlosigkeit.<br />

Die parmenideische Statik (Bewegungslosigkeit) jener <strong>Zeit</strong> darf nicht mit <strong>der</strong><br />

mittelalterlichen Statik einer begrenzten Gesellschaft gefunden werden. Eine Analogie<br />

liefert <strong>der</strong> auch Evola vertraute Yoga, wo gelehrt wird, das Bewußtsein, die<br />

Aufmerksamkeit zu konzentrieren; Dies aber nur als Vorstufe, als Initialzündung für den zu<br />

erreichenden Zustand <strong>der</strong> Meditation, <strong>der</strong> Entgrenzung in einen höheren Zustand.<br />

Der mythische Mensch kannte und praktizierte diese Entgrenzung, indem er sich ständig<br />

mit dem gesamten Kosmos identifizierte und – wie unter an<strong>der</strong>em Eliade 238 gezeigt hat –<br />

lebte die (erkannte) Ordnung des Kosmos nach und mit. Für den archetypischen Menschen<br />

war die (absolute) Entgrenztheit Realität; das Weltbild, vielmehr das Welt-Sein jener <strong>Zeit</strong><br />

war in sich schlüssig, holistisch. Die Weltanschauung des mo<strong>der</strong>nen Menschen ist – wenn<br />

überhaupt organisch vorhanden – nicht mehr irgendeine alte und schon gar keine in sich<br />

schlüssige neue.<br />

Wenn man Éri YukteÛvars These Glauben schenkt und das Mittelalter als dunkelste <strong>Zeit</strong><br />

<strong>der</strong> vier abgelaufenen Weltalter identifiziert 239 . kann man errechnen und verstehen, daß für<br />

einen rückwärtsblickenden Menschen, wie es Evola teilweise war, das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />

unendlich fern liegen muß. Neben den einfacheren psychologischen Faktoren, die darin<br />

bestehen, daß ein Aristokrat des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts mit gesellschaftlichem<br />

Bedeutungsverlust konfrontiert wurde, tritt eine simple ‚optische‘ Verzerrung hinzu; indem<br />

nämlich <strong>der</strong> Focus auf einem alten Goldenen <strong>Zeit</strong>alter liegt, dieses noch zusätzlich durch<br />

die ‚Gravitationslinse‘ des Kali Yuga verzerrt wird. Auch Jaspers spricht von einem<br />

„Schleier“, <strong>der</strong> für uns über den ältesten Kulturen liegt, wenn er es auch in an<strong>der</strong>em Sinne<br />

237 Durchaus auch im Sinne Luthers „ ... ein feste Burg ist unser Gott ...“<br />

238 Eliade: Kosmos und Geschichte.<br />

239 Das Wort „Mittelalter“ kann dahingehend gedeutet werden, daß es selbst schon eine Wende impliziert,<br />

sofern es im Kontext von „<strong>Zeit</strong>“ verwendet wird.<br />

123


meint, indem er jene Menschen als „... noch nicht eigentlich zu sich gekommen ...“<br />

empfindet. Jaspers Beobachtung stimmt grundsätzlich auch, wenn man nur die Erklärung<br />

umdreht und den Gedanken ermöglicht, daß auch wir es sein könnten, die ‚nicht eigentlich<br />

zu jenen (frühen Hochkulturen) kommen können‘ – weil eben jene Achsenzeit alles was<br />

davor lag so radikal umgewandelt hat, daß darum alles für uns Dahinterliegende verzerrt<br />

und verzogen sich darstellen muß; - und leblos („unbewußt“) erscheint, weil es unsere<br />

Vorstellungskraft nicht mehr vermag, den wenigen Zeugnissen Leben und Bewußtsein<br />

einzuhauchen. So empfanden Hesiod und Platon in ihren Lehren von den Geschlechtern<br />

und Weltaltern die Achsenzeit nicht als „helles Menschsein“, wie sie Jaspers im Vergleich<br />

zu den davorliegenden mythischen <strong>Zeit</strong>en beschreibt, son<strong>der</strong>n sie nahmen ihre Gegenwart<br />

als absteigend, weniger bedeutungsvoll und dunkler wahr, als noch das davorliegende<br />

Heroenalter. Hesiod ruft gar aus: „Daß ich wäre gestorben zuvor ... denn jetzt hauset ein<br />

eisern Geschlecht, das we<strong>der</strong> am Tage ausruhn wird von Mühen und Leid, noch während<br />

<strong>der</strong> Nachtzeit, völlig ver<strong>der</strong>bt ...“ 240<br />

Zusätzlich kann aber eine Debatte, Projektion, etc bezüglich eines neuen Goldenen<br />

<strong>Zeit</strong>alters nur geführt werden, wenn wir zwar einerseits die Existenz und Realität eines<br />

alten Satya Yuga voraussetzen, uns aber zugleich nicht von dessen alten Eigenschaften und<br />

Attributen fesseln und zurückhalten lassen. Das Erreichen einer befriedeten (statischen)<br />

Welt vollzieht sich über eine umgewandelte und in etwas Neues hineingestorbene Welt.<br />

Läge in <strong>der</strong> Weltalterlehre kein evolutionärer Aspekt – wären die Weltalter zu einem Kreis<br />

geschlossen und nicht zu einer (gerichteten) Spirale offen – dann wäre zumindest die Lehre<br />

von den Kalpas unnotwendig, wäre jede Lehre von noch größeren Zyklen redundant, gäbe<br />

es kein Fortschreiten <strong>der</strong> Chaturyuga-Zyklen durch die Stunden des Tages Brahmas, gäbe<br />

es nichts ‚Größeres‘ zu erreichen, zumindest nichts Größeres zu vollenden und<br />

abzuschließen.<br />

240 Erga 175<br />

124


Schlußbemerkungen<br />

Um Geschichte, Evolution und die Stellung des Menschen in dieser Welt richtig zu<br />

verstehen, ist es daher unbedingt notwendig, den historischen Horizont um ein Vielfaches<br />

hinauszuschieben. Das System <strong>der</strong> Weltzeitalter ist ein globales. Es setzt die gesamte Erde<br />

als Einheit und lebendes Wesen voraus und unterstellt diese und die auf ihr lebende<br />

Menschheit einer geistigen Entwicklung. Diese Entwicklung ist aber nicht linear, son<strong>der</strong>n<br />

wellenförmig o<strong>der</strong> spiralförmig aufsteigend zu denken. Diese Entwicklungswellen<br />

überlagern sich oft in Einzelbereichen und verschiedenen Kulturen; und die<br />

Überlagerungen und Verschiebungen sorgen oftmals für Verwirrung, wie das in den letzten<br />

Jahrhun<strong>der</strong>ten geschehen ist, wo <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Weltzeitalter in Vergessenheit geraten ist.<br />

Der Blick für das Größere ging immer wie<strong>der</strong> verloren, um dann erneut aufzutauchen. Es<br />

ist deswegen nun notwendig – vielleicht zum ersten Mal in dieser Form – kulturelle und<br />

menschliche Entwicklungen global zu sehen. Die Wahrnehmung und aufgespaltene<br />

Einteilung dieser Entwicklung durch das Prisma <strong>der</strong> Weltzeitalter, das die große anonyme<br />

<strong>Zeit</strong> einer nachvollziehbaren Ordnung unterzieht, kann dabei helfen, das geographisch<br />

vergrößerte Bewußtsein von <strong>der</strong> Welt auch zeitlich historisch auszudehnen. Diese<br />

Einteilung kann es erleichtern, Markierungen zu setzen, die ein Einordnen und Verstehen<br />

von Geschichte ermöglichen; nicht zuletzt, Geschichte zu globalisieren und die<br />

Einzelgeschichten <strong>der</strong> verschiedenen Völker und Nationen zu einer Menschheitsgeschichte<br />

zusammenzuführen.<br />

125


Bibliographie<br />

Primär<br />

Evola, Julius:<br />

> Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Milano 1961); deutsch von Vanni<br />

Scheiwiller; Arun Verlag, Engerda 1997<br />

> „Das Problem <strong>der</strong> Dekadenz“ in Junges Forum. 5-6/2000; p. 21 ff.; Verlag<br />

Deutsch-Europäischer Studien, Hamburg 2000<br />

> Die hermetische Tradition. (Rom 1971); Ansata, Interlaken 1989<br />

> Erhebung wi<strong>der</strong> die mo<strong>der</strong>ne Welt. Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1935<br />

> Revolte gegen die mo<strong>der</strong>ne Welt. Arun, Engerda 1997<br />

> The Doctrine of Awakening: The Attainment of Self-Mastery According to the<br />

Earliest Buddhist Texts. (La dottrina del risveglio. Bari 1943) Inner Traditions,<br />

Rochester (Vermont) 1996<br />

Sekundär (zu Evola)<br />

Eco, Umberto: Vier moralische Schriften.<br />

O-yo-mei: „Julius Evola - Einführung in Leben und Werk“ in Junges Forum. 3-4/2000;<br />

Verlag Deutsch-Europäischer Studien, Hamburg 2000<br />

Barti, Alexan<strong>der</strong>: „Die Evola-Rezeption in Ungarn“ in Junges Forum. 5-6/2000; p. 15<br />

ff.; Verlag Deutsch-Europäischer Studien, Hamburg 2000<br />

Schwarzbauer, Robert (Pseudon.: Schwarz, Martin A.): „Wege und Irrwege <strong>der</strong> Evola-<br />

Rezeption in Deutschland“ in Junges Forum. 5-6/2000; p. 3 ff.; Verlag Deutsch-<br />

Europäischer Studien, Hamburg 2000<br />

126


Trimondi, Victor und Victoria (Pseudonym): Hitler, Buddha, Krishna – Eine unheilige<br />

Allianz vom dritten Reich bis heute. Carl Ueberreuter, Wien 2002; beson<strong>der</strong>s p. 227-<br />

257: „Julius Evola: <strong>der</strong> intellektuelle «Guru» des Faschismus“<br />

Zu <strong>Zeit</strong>, Zyklen, etc.<br />

Blavatsky, Helena P.: Geheimlehre. (1888) 3 Bd. Kosmogenesis; Anthropogenesis;<br />

Indexband. Reprint: Übers. R. Froebe; J.J. Couvreur, Den Haag 1970<br />

Burgess, Rev. Ebenezer: Surya-Siddhanta, A Text Book of Hindu Astronomy. Transl.<br />

with notes; American Oriental Society, New Haven 1858<br />

Cranston, Silvia / Williams, Carey: Leben und Werk <strong>der</strong> Helena Blavatsky,<br />

Begrün<strong>der</strong>in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Theosophie. Edition Adyar, Grafing 1995<br />

Donnelly, Ignatius: „Legends of the Age of Darkness“ in Ragnarok: The Age of Fire<br />

and Gravel. D. Appleton and Company, New York 1883<br />

Eliade, Mircea: Kosmos und Geschichte. Der Mythos <strong>der</strong> ewigen Wie<strong>der</strong>kehr. (Le<br />

mythe de l’eternel retour: Archétypes et répetition. Gallimard, Paris 1949) Eugen<br />

Die<strong>der</strong>ichs Verl., Düsseldorf 1953<br />

Fährmann, Johannes: Die Lehre von <strong>der</strong> Periodischen Wie<strong>der</strong>kehr im Kosmos.<br />

Planetenketten, Globen, Runden, Rassen und Weltzeitalter. Schatzkammerverlag,<br />

Calw-Wimberg/Württ. ca. 1960<br />

Falque, Jean Claude (Hrsg.): Der Grosse JRO Atlas <strong>der</strong> Astronomie. JRO<br />

Kartographische Verlagsanstalt mbH, München 1987<br />

Freyer, H.: Theorie des gegenwärtigen <strong>Zeit</strong>alters. Stuttgart 1955<br />

Gatz, Bodo: Weltalter, goldene <strong>Zeit</strong> und sinnverwandte Vorstellungen. Hildesheim<br />

1967<br />

Gebhardt, Heinrich (Hrsg. u. Übers.): Hesiods Werke. Stuttgart 1861<br />

Gilbert, Adrian / Cotterell, Maurice: The Mayan Prophecies. Element Books Ltd,<br />

Dorset (GB) 1995<br />

Guénon, René:<br />

> Die Symbolik des Kreuzes. (?) 1931<br />

127


Der König <strong>der</strong> Welt. (Le Roi du Monde. Les Editiones Traditionelles 1927 [?])<br />

deutsch: Aurum Verlag, Freiburg im Breisgau 1987<br />

> Die Krise <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt. (?) 1927<br />

Hapgood, Charles H.: The Path of the Pole. [Rev. ed.] Chilton Book Co., Philadelphia<br />

1970<br />

Holzhausen, Jens: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Übersetzung, Darstellung und<br />

Kommentar in 3 Bd.; übersetzt und eingeleitet von Jens Holzhausen. Friedrich<br />

Frommann Verlag, Stuttgart-Bad Cannstatt 1997<br />

Jaspers, Karl: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. R. Piper & Co., München 1949<br />

Jens, Hermann: Mythologisches Lexikon. Wilhelm Goldmann Verlag, München 1958<br />

MahËbhËrata<br />

Mansfeld, Jaap: Die Vorsokratiker - griechisch/deutsch. Phillip Reclam jun., Stuttgart<br />

1983<br />

Michelstaedter, Carlo: Überzeugung und Rhetorik. (La persuasione e la rettorica.<br />

Genova 1913) Verlag Neue Kritik, Frankfurt 1999<br />

Needham, Josph: Science and Civilization in China.<br />

> Bd. III: Mathematics and the Science of the Heavens and the Earth. Cambridge<br />

University Press 1959<br />

> Bd. II: History of Scientific Thought. Cambridge UP 1956<br />

Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. KSA, herausgegeben von G. Colli und<br />

M. Montinari; Walter de Gruyter, Berlin-New York 1967 ff.<br />

Olrik, Axel: Ragnarök – Die Sagen vom Weltuntergang. Übers. von W. Ranisch;<br />

Walter de Gruyter & Co, Berlin-Leipzig 1922<br />

Ouspensky, P. D.: Tertium Organum. Routledge and Kegan Paul Ltd., London 1921 (?)<br />

Platon:<br />

> Politikos. Übers. Friedrich Schleiermacher; (Werke Bd. VII) Insel Verlag Frankfurt<br />

a. M./Leipzig 1991<br />

> Timaios – Kritias. Übers. F. Susemihl; (Werke Bd. VIII) Insel Verlag Frankfurt a.<br />

M./Leipzig 1991<br />

Prasad, Hari Shankar (Hrsg.): Time in Indian Philosophy. Sri Satguru Publications<br />

Delhi 1992<br />

128


Reitzenstein, Richard/Schae<strong>der</strong>, H.H.: Studien zum antiken Synkretismus aus Iran und<br />

Griechenland. Studien <strong>der</strong> Bibliothek Warburg Bd. VII, Leipzig 1926<br />

Rossmann, Kurt (Hrsg.): Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers.<br />

Karl Ed. Schünemann, Bremen 1959 (?)<br />

Roth, Dr. Rudolph: Abhandlung über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern<br />

bei Hesiod und die indische Lehre von den vier Weltaltern. L. Fr. Fues, Tübingen 1960<br />

Santillana, Giorgo de / Dechend, Hertha von: Die Mühle des Hamlet. (Hamlet’s Mill.<br />

Gambit, Boston 1969) Computerkultur GmbH, Berlin 1993<br />

Seler, Eduard: Codex Vaticanus Nr. 3773 (Codex Vaticanus B). Berlin 1902 (zitiert in<br />

Thompson, 1954 und Gilbert/Cotterell, 1995)<br />

Sharma, Dr. R. N. (Hsg.): ManusmÎti. Sskrt.-Text with engl. transl. by M.N. Dutt;<br />

Chaukhamba Sanskrit Pratisthan, Delhi 1998<br />

Shastry, Dr. Shambhu: „Natural Cycles in the Solar System and the Chaturyuga<br />

Cycles“. Franklin (CA) 2003, auf<br />

http://www.hindunet.org/saraswati/colloquium/yuga01.doc (am 20.2.2004)<br />

Diodorus Siculus: The Library of History. Loeb Classical Library, gr.-engl. übersetzt<br />

von C. H. Oldfather, 12 Bde., Cambridge/Mass. 1933 ff.<br />

Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlands – Umrisse einer Morphologie <strong>der</strong><br />

Weltgeschichte. Braumüller, Wien 1918<br />

Stirner, Max: Der Einzige und sein Eigentum . Leipzig 1844<br />

Thompson, J. Eric S.: The Rise and Fall of Maya Civilization. University of Oklahoma<br />

Press, Oklahoma 1954<br />

Weininger, Otto: Geschlecht und Charakter - Eine principielle Untersuchung.<br />

Braumüller, Wien 1903<br />

Wikipedia.de: „<strong>Zeit</strong>alter“ [http://de.wikipedia.org/wiki/<strong>Zeit</strong>alter] 27.9.2006<br />

Wilson, H. H. (Hsg.): TheVishnu Purana. (London 1840) Punthi Pustak, Calcutta 1972<br />

YukteÛvar Giri, SwËmi Éri: Die heilige Wissenschaft. (urspr. wahrscheinlich in<br />

Bengali/Sskrt. ca. 1894; engl.: The Holy Science. SRF, Kalifornien 1963) O.W.Barth,<br />

Frankfurt a. M.(?) 1997 (11. Aufl.)<br />

129

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!