Vom Joch der Zeit
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<strong>Vom</strong> <strong>Joch</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong><br />
Die Lehre von den 4 Weltzeitaltern – Spuren <strong>der</strong> zyklischen <strong>Zeit</strong>,<br />
Rezeption, Schnittstellen, Geschichtsphilosophie<br />
Claus Dettelbacher<br />
© by Claus Dettelbacher (mail[at]ensatlantic.com)<br />
Wien, Mai 2004<br />
Erweiterte Version Wien, 2006<br />
Zweite erweiterte Version Wien, 2007
Inhalt<br />
EINLEITUNG – ÜBER DIE MÖGLICHKEIT VON GESCHICHTSPHILOSOPHIE 5<br />
ALLGEMEIN 5<br />
GESCHICHTSPHILOSOPHIE, WELTALTER UND ZYKLEN 6<br />
VORREDE ZUR WISSENSCHAFTLICHKEIT 11<br />
JULIUS EVOLA – POLITISCHE BRISANZ 12<br />
EUROPA - GRIECHISCH-RÖMISCHE ANTIKE UND MITTELALTER 15<br />
ZEITALTERLEHREN IN SÜDOSTASIEN 23<br />
INDIEN 23<br />
SRI YUKTESWAR GIRI 31<br />
GIGANTOMANIE IN BUDDHISMUS UND JAINISMUS 37<br />
PERSIEN UND DER WELTENBAUM 40<br />
CHINA – DIE HERRSCHAFT DES HIMMELSPOLS 42<br />
DIE NEUERSCHAFFUNG DER SONNE BEI DEN INDIANISCHEN VÖLKERN 46<br />
PRALAYA - RAGNARÖK 53<br />
KRISTALLISATION DER SYSTEME UND VERGLEICHE 60<br />
DAS GOLDENE ZEITALTER 60<br />
KALI YUGA - DAS DUNKLE ZEITALTER UND RENÉ GUÉNON 64<br />
2
SANDHYAS UND DAS FÜNFTE ELEMENT 71<br />
KASTEN UND STÄNDE 73<br />
EVOLA – GEFANGENSCHAFT UND KONSEQUENZ 76<br />
GEFANGENER DER ENDZEIT 76<br />
DER VERFALL 79<br />
APOLITEIA 80<br />
KULTUR – ZIVILISATION 83<br />
REZEPTION UND REFLEXION DER ZEITALTER LEHRE IN DER MODERNE 86<br />
SCHELLING, HEGEL, EXKURS UND STIRNER 86<br />
SPENGLERS SCHATTEN 89<br />
JASPERS ACHSE 92<br />
THEOSOPHIE 94<br />
ERKLÄRUNGSMODELLE UND WISSENSCHAFTLICHE THEORIEN 102<br />
ASTRONOMISCHE ERKLÄRUNGS-MODELLE FÜR DIE WELTALTERLEHRE 102<br />
VERSUCH EINER EINTEILUNG UNTERSCHIEDLICHER ANSÄTZE 104<br />
DIE PRÄZESSION DER ERDACHSE 108<br />
RELATIVE WELTEN 111<br />
WELTALTERSYSTEME UND QUANTENPHYSIK 114<br />
DIE BEDEUTUNG DER ZEITALTERLEHRE IN DER GEGENWART - ANPASSUNG<br />
DES GESCHICHTSVERSTÄNDNISSES 117<br />
SCHLUßBEMERKUNGEN 125<br />
3
BIBLIOGRAPHIE 126<br />
PRIMÄR 126<br />
SEKUNDÄR (ZU EVOLA) 126<br />
ZU ZEIT, ZYKLEN, ETC. 127<br />
4
Einleitung – Über die Möglichkeit von Geschichtsphilosophie<br />
Allgemein<br />
„Wer das Alter <strong>der</strong> Erde erfahren will, <strong>der</strong> schaue bei Sturm auf<br />
die See. Das Grau <strong>der</strong> ganzen Endlosigkeit, die Windfurchen auf<br />
dem Antlitz <strong>der</strong> Wogen, die großen, schwankenden, wild<br />
geschüttelten Gischtmassen, die wie verwirrte Greisenlocken<br />
fliegen, lassen die Sturmsee so altersgrau, stumpf, blind und<br />
glanzlos aussehen, als wäre sie noch vor <strong>der</strong> Schöpfung des<br />
Lichtes erschaffen worden.“<br />
5<br />
(Joseph Conrad: Der Spiegel <strong>der</strong> See)<br />
Im Folgenden werden wir die indischen Yugas (Satya- bis Kali-) mit den vier antiken<br />
Weltaltern o<strong>der</strong> Geschlechtern (goldenes bis eisernes) synonym gebrauchen, gehen also<br />
von einem Synkretismus bei<strong>der</strong> Lehren aus, und werden je nach Aspekt die einen o<strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Bezeichnungen verwenden, hauptsächlich jedoch die indischen wegen ihrer<br />
größeren Bedeutungsklarheit.<br />
Weltzeitalter wird <strong>der</strong> Kürze halber mit WZA abgekürzt, wo das Wort häufiger auftritt.<br />
Bibliographische Angaben in Fußnoten werden im Allgemeinen nur dann vollständig<br />
ausgeführt, wenn das betreffende Werk nicht in die allgemeine Bibliographie<br />
aufgenommen wurde.<br />
Generell unterteilt sich die Arbeit weiters in zwei - miteinan<strong>der</strong> aber verzahnte – Blöcke:<br />
Einen ersten Fakten sammelnden und darstellenden Teil und einen zweiten, <strong>der</strong> die Mythen<br />
und klassischen Theorien zu diesem Themenkreis einzuordnen und zu deuten versucht;<br />
auch Vergleiche zwischen den Systemen finden sich tendenziell weiter hinten. Kurzum,<br />
Spekulationen, Theorien und sekundäre Ansichten finden sich in <strong>der</strong> hinteren Hälfte, das<br />
Rohmaterial in <strong>der</strong> vorhergehenden.
Dieser Arbeit liegt meine Diplomarbeit für Philosophie zugrunde, die sich auf das selbe<br />
Thema stützte; allerdings war die Rezeption <strong>der</strong> Weltalterlehre in dieser vorigen Arbeit<br />
wesentlich stärker auf den Kulturphilosophen Julius Evola bezogen. Dieser hatte sich im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t – nach René Guenon - mit dieser Lehre beschäftigt und sie zum<br />
offensichtlichen Koordinatenkreuz seines Denkens gemacht wie kein an<strong>der</strong>er<br />
abendländischer Philosoph. Mit allen von Evola gezogenen Konsequenzen dargestellt ist<br />
die Weltalterlehre in seinem Buch Revolta contro il Mondo Mo<strong>der</strong>no 1 . Obwohl politisch<br />
und inhaltlich umstritten, wird ihm auch in dieser Arbeit eine prominente Rolle<br />
eingeräumt; dies nicht etwa wegen meiner ungeteilten Sympathie für seine Philosophien,<br />
son<strong>der</strong>n wegen seinem Wirkungsgrad bezüglich dieses Themas, <strong>der</strong> gerade heute – das<br />
zeigen die Verkaufszahlen seiner Schriften und die Anzahl <strong>der</strong> in Medien auftauchenden<br />
Neuübersetzungen – wie<strong>der</strong> im Steigen begriffen ist.<br />
Geschichtsphilosophie, Weltalter und Zyklen<br />
Absicht dieser Arbeit ist es, einen Überblick über die wesentlichen Momente <strong>der</strong> Lehre<br />
von den vier Weltaltern zu geben, ihrem Auftreten in verschiedenen Kulturen; mögliche<br />
Verbindungspunkte in Mythen, Modellen und Theorien zu finden, die für Evola und seine<br />
Umgebung relevant waren, sowie Gemeinsamkeiten und Entwicklungen aufzuzeigen.<br />
Daran anschließend wird in groben Umrissen versucht, die Weltalterlehre in Evolas<br />
Revolte, sowie im <strong>Zeit</strong>geist des späten 19. und frühen 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, als Instrument zur<br />
Kritik <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne nachzuvollziehen, wie auch <strong>der</strong>en Verwendung zur Konstruktion von<br />
‚Weltanschauungen‘.<br />
Es handelt sich hierbei nicht um ein kontinuierliches Fortschreiben <strong>der</strong><br />
kulturgeschichtlichen Begrifflichkeiten, wie sie von Voltaire bis Her<strong>der</strong> projektiert<br />
wurden; das Modell <strong>der</strong> Weltalter – beson<strong>der</strong>s, wie Evola es rezipiert und verwendet –<br />
1 Wenn nicht an<strong>der</strong>s angegeben, beziehen wir uns immer auf die (Engerda) 1997 vollständig neu ins<br />
Deutsche übersetzte, vom Verfasser vor seinem Tod zuletzt redigierte Ausgabe von (Rom) 1969; daher nur in<br />
Ausnahmefällen auf die in Rom erschienene Erstausgabe von 1934, o<strong>der</strong> die 1935 erschienene deutsche<br />
Erstausgabe.<br />
6
entspringt einer viel größeren und radikaleren Übersicht, die mit Toynbee und Spengler<br />
noch verwandt ist, aber im Wesentlichen im Osten fußt - in <strong>der</strong> Hinduistischen Kosmologie<br />
und den buddhistischen und mongolo-tibetischen Endzeitlehren.<br />
Die Möglichkeit eine Theorie <strong>der</strong> Weltzeitalter zu verfassen o<strong>der</strong> zu vertreten, mag uns<br />
heute entwe<strong>der</strong> titanisch, o<strong>der</strong> von vornherein unmöglich, zu komplex, unüberschaubar<br />
und in allen ihren Aspekten niemals fassbar erscheinen. Wir gestehen dies einem 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t zu, <strong>der</strong> letzten <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Universalgelehrten, einer (noch) in Europa zentrierten<br />
Welt. Im <strong>Zeit</strong>alter <strong>der</strong> Spezialisierung wirken Universalisten wie Spengler und Evola<br />
anachronistisch, und Geschichtsphilosophie als Weiterentwicklung <strong>der</strong> Kulturgeschichte<br />
deutscher Aufklärung und Romantik wurde zu einer esoterischen Randgruppe.<br />
Jedoch ist die (Welt-) Geschichte an sich keineswegs grundlegend vielfältiger geworden,<br />
obwohl eine fortschreitende Globalisierung diesen Eindruck hervorrufen könnte. Die Welt<br />
ist vernetzter als vor 500 Jahren und Spengler’sche Modelle, die von abgeschottet sich<br />
entwickelnden Kulturen ausgehen, haben ihre Gültigkeit verloren. Es sind die Gewichte,<br />
die sich verschoben und vor allem konzentriert haben. Die Möglichkeit an sich, eine<br />
Weltgeschichte zu beschreiben o<strong>der</strong> zu entwerfen, ist unverän<strong>der</strong>t phantastisch.<br />
Man kann die uns so unfassbar groß erscheinende Geschichte <strong>der</strong> Erde und <strong>der</strong> Menschheit<br />
mit dem Studium jedes an<strong>der</strong>en beliebigen Organismus vergleichen. Das Studium eines<br />
menschlichen Organismus durch die Medizin hinkt in seiner Komplexität dem Studium <strong>der</strong><br />
(Welt-) Geschichte nicht hinterher und operiert ebenso an <strong>der</strong> Grenze zum Chaotischen.<br />
Die Fehleranfälligkeit einer inneren Medizin kann durch eine mathematisch definierte<br />
Anzahl von beteiligten Atomen, Molekülen und energetischen Einflüssen nicht wesentlich<br />
geringer sein, als beim Studium <strong>der</strong> Erde, des „Organismus Menschheit“ und ihrer Zyklen.<br />
In beiden Fällen ist die Grenze zum Chaos schon weit überschritten, beziehungsweise die<br />
Grenze von mechanischen Systemen zum Organismus.<br />
Einen Organismus erfassen und bewerten kann aber nur ein ebensolcher; Analogieschlüsse<br />
können nicht von Computern gezogen werden, sind nicht formalisierbar und<br />
schematisierbar. Die Geschichtsphilosophie arbeitet in erster Linie mit Analogien.<br />
Analogien sind an Lebendiges gebunden. Geschichte, <strong>der</strong> Planet Erde, <strong>der</strong> ‚Organismus<br />
Menschheit‘ müssen als lebendige Wesen aufgefaßt und (analog) bewertet werden.<br />
7
Asklepius sagt, daß „alles bei seiner Bewegung von ganz unten nach ganz oben<br />
miteinan<strong>der</strong> verbunden“ sei und „sich aufeinan<strong>der</strong> beziehe“ 2 . Spengler möchte <strong>der</strong> Form<br />
nach trennen, nicht nach <strong>der</strong> Substanz, „... mit vollster Schärfe den organischen vom<br />
mechanischen Welteindruck, den Inbegriff <strong>der</strong> Gestalten von dem <strong>der</strong> Gesetze, das Bild<br />
und Symbol von <strong>der</strong> Formel und dem System“ 3 . Spengler faßt gesellschaftliche Tatsachen<br />
als Symbole auf und verleiht ihnen metaphysischen Charakter um sie einer neuen Kunst<br />
<strong>der</strong> historischen Betrachtung zu unterziehen. Hier ist Evola eindeutig sein Schüler, indem<br />
seine Gedanken von einer heute seltenen Vertikalität durchzogen sind und er alle Empirie<br />
in den Dienst einer „lebendigen Metaphysik“ verweist.<br />
Wenn Spengler schreibt, daß die Mathematik und das Kausalitätsprinzip zu einer<br />
naturhaften, die Chronologie und die Schicksalsidee zu einer historischen Ordnung <strong>der</strong><br />
Erscheinungen führen 4 , dann impliziert das räumliche, kausale Modell ein lineares<br />
Geschichtsverständnis (am ehesten noch) - die Schicksalsidee und die Vergleichbarkeit<br />
(das heißt: Analogieschlüssen unterziehbar) for<strong>der</strong>t ein eher zyklisches<br />
Geschichtsverständnis.<br />
‚Eher‘ meint hier die Betonung und ist nicht ausschließend zu verstehen, insofern als eine<br />
Überlagerung bei<strong>der</strong> Geschichtsbil<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Form einer Spirale o<strong>der</strong> Helix denkbar sind.<br />
In dieser gibt es sowohl die lineare Bewegung nach oben/unten o<strong>der</strong> innen/außen wie auch<br />
die kreisförmige Wie<strong>der</strong>kehr, wenn auch verschoben auf einer an<strong>der</strong>en Ebene.<br />
Jede Geschichtsphilosophie scheint (heute) leichter behauptbar o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legbar als alle<br />
an<strong>der</strong>e Wissenschaft. Es hat den Anschein, als gäbe es nichts Willkürlicheres als dem<br />
chaotischen Taumel <strong>der</strong> Menschen, Völker und Staaten ein System überstülpen zu wollen.<br />
Die Meinung herrscht vor, Geschichte sei auf Historiker beschränkt, die sich wie<strong>der</strong>um auf<br />
das Beschreiben von Ereignissen begrenzen sollten, allerhöchstens ab und zu bestimmte<br />
Figuren und Geschehnisse nebeneinan<strong>der</strong> stellen dürfen um <strong>der</strong> kurzweiligen Unterhaltung<br />
2 Holzhausen, Jens: Das Corpus Hermeticum Deutsch. Bd. I (CH I); Friedrich Frommann Verlag, Stuttgart-<br />
Bad Cannstatt 1997, Ascl. 19<br />
3 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlands – Umrisse einer Morphologie <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />
Braumüller, Wien 1918, p. 7<br />
4 Spengler. p. 10<br />
8
Sinn unterzuschieben; <strong>der</strong> Sinn von geschichtlichen Prozessen o<strong>der</strong> allgemeinere Muster in<br />
diesen werden abseits von Alltags-Psychologien gemieden, sind unpopulär. Zudem ist eine<br />
Tendenz zu beobachten, Geschichte nur mehr als jüngere und jüngste o<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>geschichte<br />
zu verstehen und zu betreiben. Dies hängt nur teilweise mit <strong>der</strong> Zunahme <strong>der</strong><br />
Aufzeichnungs- und Erfassungsdichte zusammen. Die Größe und Tragweite <strong>der</strong> Aufgabe<br />
Geschichtsphilosophie zu betreiben schreckt gleichzeitig ab; durch die heutige Nähe zu<br />
den Ereignissen auf <strong>der</strong> ganzen Welt, wie durch Subjektivität in <strong>Zeit</strong>en des<br />
Objektivierungsdrucks einer wissenschaftsdominierten Welt. An<strong>der</strong>e ‚große‘ Dinge, wie<br />
Galaxien o<strong>der</strong> Sternhaufen erscheinen um vieles leichter objektivierbar und faßbar als das<br />
Nächstliegen<strong>der</strong>e und vielleicht Wichtigere. Deshalb sollte man wohl wegen dieser<br />
gefährlichen Nähe <strong>der</strong> Geschichte viel vorsichtiger mit Absolutismen sein, als in je<strong>der</strong><br />
Naturwissenschaft; und wenn man etwas als „fest“ darstellt, es zumindest nicht absolut<br />
„meinen“. Asclepius: „Wo etwas in <strong>der</strong> Dimension <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en erkannt wird, dort gibt es<br />
Täuschungen. Wo etwas entsteht, dort erlebt man Irrtümer.“ 5<br />
Das gleiche gilt für den umgekehrten Prozess des Rezipierens. Die inzwischen etablierten<br />
Lehren <strong>der</strong> Wahrscheinlichkeitsrechnung und Statistik haben schon viel zur Relativierung<br />
auch <strong>der</strong> Geschichtswissenschaft beigetragen, gehen aber letztendlich am Lebendigen<br />
vorbei, indem sie den ‚Organismus‘ wie<strong>der</strong> auf Zahlen zu reduzieren versuchen. Trotzdem<br />
kommt dem Relativismus in <strong>der</strong> Geschichtsphilosophie eine große Rolle zu, wenn es<br />
(Evola) darum geht, nicht das zyklische Weltbild als einzig geltendes einzuführen, son<strong>der</strong>n<br />
es als Korrektur des jetzigen Geschichtsverständnis zu verwenden und zu überblenden. Der<br />
oben genannte Relativismus darf jedoch nicht über die gravierende An<strong>der</strong>sartigkeit des<br />
zyklischen Geschichtsmodells hinwegtäuschen, das Kultur und Zivilisation nicht primär als<br />
Entwicklungsergebnis, son<strong>der</strong>n vielmehr als Erbe ansieht. Von dieser Vorstellung kann mit<br />
Recht behauptet werden, daß sie den heutigen Historikern, Paläontologen, etc. fremd ist.<br />
Asklepius: „Von all diesen Gattungen haben die beseelten Lebewesen Wurzeln, die von<br />
oben nach unten herab kommen, die <strong>der</strong> unbeseelten aber wachsen aus natürlicher Wurzel<br />
von unten nach oben.“ 6<br />
5 CH I; Ascl. 32<br />
6 CH I; Ascl. 6<br />
9
Neben dem Bewußtmachen des Zyklischen in <strong>der</strong> Kulturgeschichte geht es vor allem um<br />
die Problematik des dunklen <strong>Zeit</strong>alters (Kali Yuga), dessen Konzept einige Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
birgt. <strong>Zeit</strong> ist in <strong>der</strong> mythologischen Sichtweise meist untrennbar mit Qualität 7 verbunden,<br />
im Gegensatz zur technisch-anonymen und neutralen <strong>Zeit</strong> unserer Vorstellungswelt.<br />
Das System <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter erscheint im Grunde aus dem Yin-Yang Prinzip abgeleitet, in<br />
seiner ersten Struktur so simpel - wenn auch in seiner Wirkung, wie in den vielen Neben-<br />
und Unterzyklen kompliziert – daß es nicht verwun<strong>der</strong>t, wenn im Altertum das Thema<br />
zwar angeschnitten wurde, es aber niemals wesentlich zum Thema von Kommentaren o<strong>der</strong><br />
Ausarbeitungen wurde. Das Bild von den <strong>Zeit</strong>altern war integriert. Auch wollte man<br />
später, auf das Kali Yuga zugehend, den Nie<strong>der</strong>gang nicht durch Gedanken und Worte<br />
zusätzlich evozieren. Eine Grundweisheit <strong>der</strong> Philologie lautet – o<strong>der</strong> sollte lauten – was<br />
allen bekannt ist, über den Alltag, darüber spricht und schreibt man nicht o<strong>der</strong> nur wenig.<br />
In Folge dessen liest man über dieses ehemals allen Bekannte auch nicht, o<strong>der</strong> wenig. Das<br />
Thema <strong>der</strong> Weltzeitalter unterliegt einer Kategorie <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>lichkeit, die <strong>Zeit</strong>lichkeit<br />
wie<strong>der</strong>um ist ein Attribut des Kali Yuga. Somit ist es naheliegend, daß letzteres mehr<br />
Gewicht auf eine Beschäftigung mit diesem Thema von den vier Weltzeitalter legt, als das<br />
im Sein verankerte Satya Yuga und eine Ausarbeitung auch erst in diesem vollzogen wird.<br />
Die mo<strong>der</strong>nen Theosophen hingegen vertreten eine genau entgegengesetzte Idee; daß<br />
nämlich die Lehre von den Zyklen, ebenso wie die von den Zahlen, Teil <strong>der</strong> priesterlichen<br />
Mysterien <strong>der</strong> alten Kulturen war, und damit nur Teil <strong>der</strong> mündlichen Tradition. Erst mit<br />
dem Auftauchen <strong>der</strong> apokalyptischen Ideen wird die Lehre von den Weltzeitaltern in<br />
gewisser Weise wie<strong>der</strong> aufgenommen.<br />
Ein grundsätzliches Problem scheint in <strong>der</strong> Vermischung <strong>der</strong> mit den <strong>Zeit</strong>zyklen<br />
verbundenen Begriffe zu liegen. So scheinen in den indischen Zyklenlehren die Begriffe<br />
Yuga und Manvantara jeweils mehr als nur eine Art von Runde zu bezeichnen.<br />
Offensichtlich kommt es bei dieser Terminologie mehr auf die Verhältnisse <strong>der</strong> Zyklen<br />
7 Mit ‚Qualität‘ sind z.B. Kategorien wie gut/schlecht (/böse), oben/unten o<strong>der</strong> schnell fließend/langsam<br />
fließend gemeint.<br />
10
untereinan<strong>der</strong> an. Außerdem sind <strong>der</strong> Mensch und seine <strong>Zeit</strong>begriffe auch nicht immer das<br />
Hauptmaß mit dem gemessen wird und es ist nicht immer eindeutig, ob nun „Menschen-„<br />
o<strong>der</strong> „Götterjahre“ gemeint sind.<br />
Für zusätzliche Verwirrung sorgt obendrein noch <strong>der</strong> Umstand, daß viele Schriften über<br />
die <strong>Zeit</strong>alter im Kali Yuga verfaßt o<strong>der</strong> zumindest nie<strong>der</strong>geschrieben und überliefert<br />
worden sind. Über diese Tatsache, daß wir gegenwärtig nicht im Satya o<strong>der</strong> Trita Yuga<br />
leben, scheinen sich alle Texte verhältnismäßig einig zu sein. Nur beißt sich die Katze in<br />
den eigenen Schwanz, wenn es so ist, daß die Hauptattribute des Kali Yuga in Chaos und<br />
(geistiger) Verwirrung bestehen. Wie kann eine glaubwürdige Aussage über Dauer <strong>der</strong><br />
Zyklen, ihre Grenzen o<strong>der</strong> auch nur ihre Attribute gemacht werden, in einer <strong>Zeit</strong>, die alle<br />
Erkenntnis höherer Dinge schlicht durch ihre <strong>Zeit</strong>qualität - wovon diese auch immer<br />
abhängig sei - unmöglich macht?<br />
Vorrede zur Wissenschaftlichkeit<br />
Bewusst wird auch das Risiko eingegangen, Theorien und Annäherungen an die WZA<br />
einzubeziehen, die <strong>der</strong> orthodoxen Wissenschaft suspekt erscheinen werden; deshalb, da<br />
die Lehre von den WZA schon an sich ein kaum einer speziellen Wissenschaft eindeutig<br />
zuordenbares Exoticum darstellt – we<strong>der</strong> einer klassischen abendländischen Philosophie,<br />
noch <strong>der</strong> Ethnologie o<strong>der</strong> gar Geschichtswissenschaft. Weiters liegt es daran, dass man die<br />
WZA-Lehre als Theorienkomplex verstehen muß, <strong>der</strong> noch nicht völlig von <strong>der</strong><br />
‚Traumwelt’ <strong>der</strong> mythischen <strong>Zeit</strong>en 8 getrennt werden kann. Es bestehen noch nicht die<br />
Werkzeuge und Konditionen um sie in einer von hohlem Rationalismus und Materialismus<br />
geprägten Welt am Leben zu erhalten. Möglicherweise kann dieser Theoriencluster noch in<br />
8 Dabei habe ich Jaspers geschichtliche Definition <strong>der</strong> Welt vor <strong>der</strong> „Achsenzeit“ o<strong>der</strong> die „Traumzeit“ <strong>der</strong><br />
australischen Aborigines im Sinn. Letzterer Begriff wird oft mit „die <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Schöpfung“, „<strong>Zeit</strong> vor <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>“<br />
o<strong>der</strong> „<strong>Zeit</strong> außerhalb <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>“ [sic!] übersetzt – und weist damit auf ein Zen-Koan artiges Konstrukt hin, das<br />
auf den ersten Blick in argem Wi<strong>der</strong>spruch mit mo<strong>der</strong>nem abendländischen <strong>Zeit</strong>- und Geschichtsverständnis<br />
stehen muß, bzw. nicht in dieses übersetzbar zu sein den Anschein hat. Die Traumzeit wird etwa so<br />
‚behandelt’, als wäre sie das, was wir unter ferner Vergangenheit verstehen; jedoch ergibt sich ein<br />
zusätzlicher Bruch, eine „Achse“, wodurch diese sich nicht in Übereinstimmung und Harmonie mit<br />
westlichen Vorstellungen <strong>der</strong> Ur- und Frühgeschichte bringen lässt.<br />
11
einem Zwischenstadium bestehen, ähnlich <strong>der</strong> Alchemie im Übergang zur mo<strong>der</strong>nen<br />
Chemie. Der Theoriencluster über die WZA-Lehre ist gespickt mit Ad-Hoc-Hypothesen.<br />
Beson<strong>der</strong>s das Verständnis von <strong>Zeit</strong> und Gravitation, sowie ihre Auswirkungen auf die<br />
Psychen und Seelen sind noch zu unterentwickelt, um den Versuch wagen zu können, sie<br />
abgegrenzt, klar und eindeutig darzustellen. So muss diese Arbeit notgedrungen eine<br />
vorläufige Sammlung von Ansätzen zu dem Thema <strong>der</strong> WZA bleiben, sowie ein Versuch,<br />
diese zu glie<strong>der</strong>n und miteinan<strong>der</strong> in Beziehung zu setzen. Dabei halte ich mich an<br />
Feyerabend 9 und schrecke nicht davor zurück, eine kritische Bereicherung durch angeblich<br />
überholte Weltbil<strong>der</strong>, o<strong>der</strong> die Ansichten „komischer Käuze“ 10 zuzulassen.<br />
Julius Evola – politische Brisanz<br />
Die politische Brisanz Julius Evolas ist nach wie vor ungebrochen, seine Popularität<br />
wächst seit den Studentenrevolten in den 60-er Jahren kontinuierlich. Wir möchten in<br />
dieser Schrift grundsätzlich nicht auf seine Verstrickung in den europäischen Faschismus<br />
eingehen – dies würde den Rahmen sprengen. Er hat – vor, wie nach <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des<br />
europäischen Faschismus - wie kaum ein an<strong>der</strong>er sein Denken und seine Weltanschauung<br />
einer ständigen Wandlung unterzogen; ansatzweise versuchte er die negativen Seiten des<br />
Faschismus und Nazismus nach dem zweiten Weltkrieg zu erkennen und zu korrigieren,<br />
ohne sich jedoch scharf von <strong>der</strong> Vergangenheit zu distanzieren. Seit dem Heraufkommen<br />
9 Paul Feyerabend, Enfant terrible <strong>der</strong> Wissenschaftstheorie: siehe Bibliographie!<br />
10 Paul Feyerabend in Wi<strong>der</strong> den Methodenzwang p 55f: „Ein Wissenschaftler, <strong>der</strong> an hohem empiristischem<br />
Gehalt interessiert ist und <strong>der</strong> möglichst viele Seiten seiner Theorie verstehen möchte, wird sich also eine<br />
pluralistische Methodologie zu eigen machen, er wird Theorien mit an<strong>der</strong>en Theorien statt mit <strong>der</strong><br />
«Erfahrung», «Daten» o<strong>der</strong> «Tatsachen» vergleichen und er wird versuchen, Auffassungen, die im<br />
Wettbewerb zu unterliegen scheinen, zu verbessern, statt sie fallenzulassen. Denn die Alternativen, die er zur<br />
Aufrechterhaltung des Wettstreites braucht, können ebenso gut <strong>der</strong> Vergangenheit entnommen werden. Man<br />
kann sie aufgreifen, wo immer man sie findet, sei dies nun in <strong>der</strong> antiken Mythologie, in mo<strong>der</strong>nen<br />
Vorurteilen, in den Elaboraten von Fachleuten o<strong>der</strong> den Fantasien komischer Käuze. Die gesamte Geschichte<br />
einer Disziplin wird herangezogen, um ihren neuesten und «fortgeschrittensten» Entwicklungsstand zu<br />
verbessern.“<br />
12
<strong>der</strong> Faschisten in Italien galt er als <strong>der</strong>en größter Kritiker und machte sich einige Feinde<br />
unter ihnen, vor denen ihn oft nur die gute Bekanntschaft mit Mussolini retten konnte.<br />
Desgleichen kritisierte er u. a. den „biologistischen Rassismus“ <strong>der</strong> Nationalsozialisten;<br />
Nichtsdestotrotz ist es eindeutig klar, daß er mit beiden Bewegungen sympathisierte, sie als<br />
‚Chance‘ betrachtete und nach eigenen Ideen und Vorstellungen zu beeinflussen suchte.<br />
Die Beschäftigung mit Evola ist nicht primär wegen <strong>der</strong> Person o<strong>der</strong> Biographie Evolas<br />
vonnöten, son<strong>der</strong>n deswegen, weil er nach Réne Guénon einer <strong>der</strong> wenigen Denker des<br />
westlichen Kulturkreises ist, <strong>der</strong> sich mit <strong>der</strong> Lehre von den vier Weltzeitaltern beschäftigt<br />
hat, diese ernst nahm und in eine Relation zum westlichen Geschichtsbild und westlicher<br />
Weltanschauung zu setzen versuchte. Die indische Lehre von den vier Weltzeitaltern<br />
gehört, seit <strong>der</strong> schrittweisen Übersetzung altindischer Texte in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des britischen<br />
Kolonialismus und danach, einerseits zu den in unserem Sinne klarsten denkerischen<br />
Ausführungen, ist am wenigsten mythologisch, beziehungsweise erscheint nicht unter einer<br />
so komplizierten symbolischen Verpackung, wie viele an<strong>der</strong>e ältere Texte Südostasiens.<br />
An<strong>der</strong>erseits stoßen diese indischen Texte über die vier Weltzeitalter ab. Gerade wegen <strong>der</strong><br />
für unsere Dialektik großen Klarheit <strong>der</strong> Aussage wird <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zum westlichen<br />
Geschichts- und Kulturverständnis so deutlich. Das Thema ist nicht wissenschaftlich<br />
unglaubwürdig o<strong>der</strong> irrelevant, son<strong>der</strong>n birgt einige Risiken. Es anzugehen und zu<br />
bearbeiten würde für die Meisten zu viel in Frage stellen. Somit ist dieses Thema<br />
letztendlich doch wie<strong>der</strong> auch ein auf allen Ebenen politisches.<br />
Im Allgemeinen möchte ich nicht auf die Rezeption Evolas eingehen, die beson<strong>der</strong>s nach<br />
dem Ende des Zweiten Weltkriegs und dann auch 1967 nach den ersten Studentenunruhen<br />
in Rom etc. ungeheuer vielgestaltig ist. Erschwerend kommt hinzu, daß die Beschäftigung<br />
mit Evola vor allem in politischen Gruppierungen geschieht. Vor 1967 hauptsächlich in<br />
kleinem Kreis in rechten und rechtsextremen Lagern, nach 1967 auch, und in größerem<br />
Umfang, in linken Gruppierungen. Selten bis gar nicht findet eine Auseinan<strong>der</strong>setzung im<br />
wissenschaftlichen Bereich statt, was möglicherweise zum Teil damit zusammenhängt, daß<br />
Evola schon zu Lebzeiten nicht wirklich in eine universitäre Welt eingebunden war und<br />
den Nimbus eines außenstehenden Privatgelehrten pflegte, zum an<strong>der</strong>en, seine Lehren sich<br />
nur schwer mit einem in <strong>der</strong> politischen Mitte liegenden Establishment vertragen.<br />
13
Europa - griechisch-römische Antike und Mittelalter<br />
15<br />
„Betrachte mit Verständnis das Abwesende als genauso<br />
zuverlässig anwesend: Denn nicht wird das Verständnis<br />
das Seiende vom Seienden abschneiden ...“<br />
(Parmenides)<br />
Die Vergangenheit des Mythos legt den Schwerpunkt auf das Statische. Wenn etwa<br />
Sokrates vom Überhandnehmen <strong>der</strong> Meinungen (δοξα) spricht, die, von den Sophisten<br />
eingeführt, die Wahrheit verdrängen, wird ein Prozess <strong>der</strong> Wandlung sichtbar. Für<br />
Parmenides war das Seiende noch <strong>der</strong> Hauptbegriff seiner Philosophie, als er etwa sagt,<br />
daß „das Erkennbare [von] an<strong>der</strong>er Art ist [als das Meinbare]; es ist nämlich aus einem<br />
Glied und unbeweglich und nicht entstanden ... mit sich selbst identisch und bleibend im<br />
Sein“ 11 . So läßt er im Proömium die Dike zu ihm sagen, es sei „göttliche Fügung und<br />
Recht“ 12 , daß er alles erfahre; „ ... das unerschütterliche Herz <strong>der</strong> wirklich überzeugenden<br />
Wahrheit ...“ 13 .<br />
Diesem „unerschütterlichen Herz“ gegenübergestellt werden die „... Meinungen <strong>der</strong><br />
Sterblichen, denen keine wahre Verläßlichkeit innewohnt“ 14 und die zunehmend die Statik<br />
<strong>der</strong> alten Welt erschüttern. Neben <strong>der</strong> Ruhe ist auch die Nähe zu den Göttern ein Attribut<br />
<strong>der</strong> frühen Geschlechter 15 , welche so weit geht, daß „... die ersten Geschlechter, die ersten<br />
Schöpfungen <strong>der</strong> Götter zu einer Verwandtschaft mit göttlichen Wesen erhoben werden<br />
konnten“. Und umgekehrt wandeln auch die Götter 16 noch auf <strong>der</strong> Erde, „... <strong>der</strong> sterblichen<br />
11 Mansfeld, Jaap: Die Vorsokratiker - griechisch/deutsch. Phillip Reclam jun., Stuttgart 1983. Parm. 3 –<br />
Plutarch zitiert Parmenides.<br />
12 Mansfeld: Parm. 4 – Sextus Empiricus zitiert Parmenides.<br />
13 Ebenda.<br />
14 Ebenda.<br />
15 „ ... den seligen Göttern befreundet.“; (Hesiod: Erga. 120).<br />
16 Hier steht „δαιµονες“. nach Roth u. a.sind die Bezeichnungen für Götter und Dämonen in früherer <strong>Zeit</strong> oft<br />
austauschbar (Roth: Abhandlung über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern ... p. 15)
Menschen Behüter; diese belauschen das Tun des Gerechten, sowie die Gewalttat,<br />
während, in bergende Luft sie gehüllt, durchschreiten die Lande ...“ 17<br />
Wenn Hesiod die Geschlechter <strong>der</strong> Weltalter auf die gesamte Erde bezieht, denkt man<br />
wohl an seine <strong>der</strong> griechischen Sphäre damals bekannte Welt. Es muß aber nicht<br />
notwendigerweise so sein, daß diese Welt (<strong>der</strong> hesiod‘schen Geschlechter) auf den<br />
Mittelmeerraum und Kleinasien beschränkt war. Arbeiten, wie die de Santillanas/von<br />
Dechends erhärten zunehmend die Möglichkeit einer archetypischen globalen Gesellschaft<br />
und untergraben alte Theorien vom „Kulturexport“, die davon ausgehen, eine Hochkultur<br />
(z.B. die Griechen, die Ur-Indoeuropäer, etc.) hätte auf die umgebende Welt ausgestrahlt;<br />
so läßt sich vielleicht gerade noch die Verbreitung bestimmter Muster und Formen im<br />
Raum <strong>der</strong> indoeuropäischen Völker verteidigen – schwieriger aber etwa das Auftreten des<br />
„Weltenbaums“ auch auf völlig durch das Meer getrennten Kontinenten. Daher sollte man<br />
die Vorstellung, daß die „Erde“ <strong>der</strong> hesiod’schen Geschlechter auch annähernd das sein<br />
könnte, was wir unter ‚Erde‘ verstehen, nicht völlig von sich weisen. 18<br />
Was Hesiod sich nach dem Ablauf des „eiserne 19 Geschlechts“ erwartet, geht nur indirekt<br />
hervor. Anscheinend aber hofft er auf Besserung, wenn er ausruft: „Hätte doch ich nicht<br />
länger zu leben im fünften Geschlecht [im eisernen]! Wär‘ ich eher gestorben nur, o<strong>der</strong><br />
auch später geboren!“ 20<br />
Bei Hesiod ist die Stufenfolge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter noch nicht so eindeutig kristallisiert wie bei<br />
späteren antiken Dichtern. Beson<strong>der</strong>s auffällig ist <strong>der</strong> Gegensatz zwischen dem ersten und<br />
17 Ebenda.<br />
18 Beispiele für eine vorkolumbianische globale Kartographie finden sich u.a. bei Hapgood, Charles H.: Maps<br />
of the Ancient Sea Kings. 1966 (Adventures Unlimited Press, Kempton/Illinois 1996).<br />
19 Wohl ist das Eisen bei weitem nicht das schwerste chemische Element, doch bemerkenswerterweise <strong>der</strong><br />
Eisenkern <strong>der</strong> stabilste mögliche. Fusionieren Sterne beispielsweise von Wasserstoff zu Helium und weiter<br />
zu immer dichteren Kernen, so steht das Element Eisen am Ende dieser Fusionskette und representiert somit<br />
das dichteste Stadium. Darüber hinaus besteht <strong>der</strong> Kern unseres Planeten nach heutigem Stand <strong>der</strong><br />
Wissenschaft ebenfalls aus Eisen.<br />
20 Erga 175; aus <strong>der</strong> Übers. von Roth, Rudolph: Abhandlung über den Mythus von den fünf<br />
Menschengeschlechtern ...<br />
16
dem zweiten Geschlecht; Evola bringt hier die wechselnde Polarität <strong>der</strong> Weltalter ins Spiel,<br />
die eine teilweise Erklärung bieten kann, indem er nämlich die quantitative Schwankung<br />
<strong>der</strong> ‚Vollkommenheit‘ als qualitative deutet und ein männliches <strong>Zeit</strong>alter durch ein<br />
weibliches abgelöst sein läßt. Er - zu sehr von Weininger, Michelstaedter, etc. beeinflußt -<br />
deutet dies aber dahingehend auch quantitativ, indem er dem weiblichen Geschlecht einen<br />
geringeren Wert beimißt. Die Einteilung in abwechselnd männliche und weibliche <strong>Zeit</strong>alter<br />
macht auch wertfrei Sinn, wenn es bei Hesiod über die Muttersöhnchen des zweiten<br />
Geschlechts heißt:<br />
„Ein ganz Jahrhun<strong>der</strong>t hindurch bei <strong>der</strong> sorgenden Mutter<br />
wuchs voll kindischer Lust, unmündig, <strong>der</strong> Knabe im Haus auf.<br />
Aber sobald er erstarkt und <strong>der</strong> Mannheit Reife gewonnen,<br />
Lebt' er nur noch wenige <strong>Zeit</strong>, von Leiden umgeben“ 21<br />
Weiters ist das vierte Yuga naturgemäß weiblich, weil es nach <strong>der</strong> archetypisch<br />
weiblichsten indischen Gottheit (Kali/Durga) benannt ist. Spekulieren könnte man noch<br />
über den sonnenähnlichen (maskulinen) Glanz von Gold und Bronze 22 , welche die <strong>Zeit</strong>alter<br />
eins und drei symbolisieren, sowie über den (passiven, weiblichen) Mondglanz des Silbers<br />
und des Eisen, die wie<strong>der</strong>um für das zweite und vierte Weltalter stehen; weiters über die<br />
nach kabbalistischer, alchemistischer und generell magischer Auffassung herrschende<br />
Verbindung <strong>der</strong> ungeraden Zahlen mit dem männlichen Geschlecht und <strong>der</strong> geraden mit<br />
dem weiblichen. All das erwähnt Evola nicht direkt, man kann aber schließen, daß <strong>der</strong>lei<br />
Zuordnungen ihm nicht fremd gewesen sind.<br />
Das vierte hesiod‘sche Geschlecht, die „Heroen“, wirken eingeschoben; ihnen wird auch<br />
keine Verknüpfung mit einem Metall angedichtet und sie unterbrechen den „Gedanken <strong>der</strong><br />
21 Erga. 130<br />
22 „ehern“: <strong>der</strong> Duden gibt als erste Bedeutung „bronzen“ an, dann im übertragenen Sinn „hart“, „ewig<br />
während“; auch „Kupfer“ fällt in die Etymologie und das lat. Wort „Aera“! (Günther Drosdowski [u. a.]:<br />
Duden – Das Herkunftswörterbuch, Etymologie <strong>der</strong> deutschen Sprache. Bd. 7; 2. Aufl.,<br />
Mannheim/Wien/Zürich 1989.)<br />
17
fortschreitenden Verschlechterung“ 23 . Uns erinnert das Schwanken zwischen vier und fünf<br />
Geschlechtern in <strong>der</strong> Antike auch an die Diskrepanz zwischen den vier Weltzeitaltern <strong>der</strong><br />
Maya und den fünf <strong>der</strong> Azteken 24 . Auch Reitzenstein äußert sein Unbehagen über Hesiods<br />
Geschlechterlehre 25 , findet sie in sich unschlüssig, als hätte jemand etwas schlecht<br />
abgeschrieben ohne zu verstehen; Hesiod scheint sich etwa über die Bedeutung <strong>der</strong> Metalle<br />
nicht klar zu sein, wenn er den Heroen kein Metall zuordnet; im ehernen <strong>Zeit</strong>alter die<br />
Waffen, Geräte und gar Häuser aus Bronze (ehern) sein läßt, aber die Bedeutung des<br />
Goldes und Silbers für die ersten Geschlechter unterschwellig auf einer an<strong>der</strong>en,<br />
metaphorischen Ebene anlegt. Reitzenstein kritisiert, daß Hesiod etwas Eigenes wohl nur<br />
über das Heroenzeitalter und das eiserne (in dem er sich selbst ansiedelte) zu sagen hatte<br />
und sein Horizont nicht wesentlich in den Mythos <strong>der</strong> davorliegenden Weltalter<br />
einzudringen vermochte; sichtbar wird das an <strong>der</strong> „inhaltsleeren“ und „grotesken“<br />
Schil<strong>der</strong>ung des silbernen und ehernen <strong>Zeit</strong>alters, in denen Worthülsen dominieren,und die<br />
ganze Hilflosigkeit Hesiods (diese mit Vorstellung zu füllen) gegenüber dem mythischen<br />
‚Erbe‘ offen da steht. Diese Beurteilung <strong>der</strong> Griechen deckt sich mit den Worten des<br />
ägyptischen Priesters im Timaios, <strong>der</strong> die Griechen als junges Volk bezeichnet, ohne<br />
historischen Horizont. 26<br />
Als Hesiod nahestehend zieht Reitzenstein einen orphischen Text heran, in welchem den<br />
vier Weltaltern in absteigen<strong>der</strong> Folge die Götter Saturn, Jupiter, Neptun und Pluto als<br />
oberste Herrscher zugewiesen werden. Die Herrschaft Neptuns als ersten Gott des dritten<br />
(bronzenen) <strong>Zeit</strong>alters läßt hier möglicherweise eine interessante Schnittstelle zu Platons<br />
Atlantismythos auftauchen 27 . Die Erwähnung des Abbaus von „Goldkupfererz“ 28 , seinem<br />
23 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus... p. 64<br />
24 Letztere werden im allgemeinen als Erben von Astronomie und Kalen<strong>der</strong> <strong>der</strong> Maya gesehen.<br />
25 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus... p. 58ff<br />
26 Tim. 22c<br />
27 Platon: Kritias. – Atlantis stand unter <strong>der</strong> Oberherrschaft Poseidons (Neptuns); da die ungeheure<br />
Ausdehnung und Macht <strong>der</strong> Atlantischen Königreiche bezeugt wird, kann es durchaus pars pro toto für die<br />
ganze Welt stehen.<br />
28 „(ορει−) χαλχος“ ... (Bergerz) Erz; insb. Kupfer, Bronze (Menge-Güthling: Griechisch-Deutsch. Berlin<br />
[1913] 1959); „orichalcum“ ... Messing (Stowasser: Lateinisch-Deutsch. München 1979)<br />
18
hohen Wert nach dem Gold, sowie die eherne Einfassung <strong>der</strong> äußeren Mauer <strong>der</strong><br />
Hauptstadt <strong>der</strong> atlantischen Reiche, bilden ein weiteres Indiz.<br />
Eine weitere, beinahe banale Parallele bietet <strong>der</strong> Vergleich zu den historischen Kategorien<br />
<strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nene Archäologie, die als Bronzezeit und nachfolgenden Eisenzeit bekannt sind.<br />
Mehr als zwei Jahrtausende nach Hesiod, würden die Ausgrabungen <strong>der</strong> letzen 200 Jahre<br />
dessen historische Einteilung bestätigen – sofern Hesiod in seiner Verwendung <strong>der</strong><br />
Bezeichnungen „Eisen“ und „Bronze“ den selben ‚Materialismus’ zugrundelegt, wie er<br />
heute in <strong>der</strong> Archäologie gebräuchlich ist und seine Klassifikationen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter nicht rein<br />
metaphorisch deuten will.<br />
Ovid schil<strong>der</strong>t das goldene <strong>Zeit</strong>alter als Paradies in dem we<strong>der</strong> gearbeitet noch „fremde<br />
Gestade“ bereist wurden, die Sterblichen in ewigem Frühling lebten und Früchte und<br />
Nahrung ohne Pflege ausreichend wuchsen 29 . Im Gegensatz zu Evolas hesiodisch<br />
anmuten<strong>der</strong> Verteidigung <strong>der</strong> kÛatriyas, des Kriegerstandes als oberster, ursprünglichster<br />
Kaste, spricht Ovid vom goldenen <strong>Zeit</strong>alter als von einem, das keine Krieger kannte, noch<br />
Waffen o<strong>der</strong> Helme. Ist Ovid noch <strong>der</strong> Antike verpflichtet, wirft Vergil in <strong>der</strong> Auslegung<br />
des goldenen <strong>Zeit</strong>alters seinen Schatten voraus in Mittelalter und Neuzeit; hier wird die<br />
goldene <strong>Zeit</strong> von ihrem letzten zeitlichen Element losgelöst und nur mehr als Sinnbild<br />
betrachtet. 30 Das goldene <strong>Zeit</strong>alter wird mit einer gewissen Willkür zum politischen<br />
Instrument als Deckmantel für die augustäische Weltherrschaft, in <strong>der</strong> jenes und damit die<br />
Herrschaft Saturns und <strong>der</strong> Jungfrau 31 wie<strong>der</strong>kehre; Mit Dante, <strong>der</strong> Virgil (Vergil) als<br />
Führer nimmt, wird die goldene <strong>Zeit</strong> zum Paradies, das Paradies zum „Himmel“; eine<br />
Bedeutungsverschiebung tritt ein und <strong>der</strong> ehemals allgemeine Ort zu einer bestimmten <strong>Zeit</strong><br />
wird zu einem bestimmten Ort zu je<strong>der</strong> o<strong>der</strong> sogar keiner <strong>Zeit</strong> (Ewigkeit). Der Mythos lebt<br />
fort, aber Raum und <strong>Zeit</strong> werden vertauscht.<br />
29 Ovid: Metamorphosen. 1:90 ff<br />
30 Vergil: 4. Ekloge<br />
31 Primär als Sternbild; und damit als Teil des Zodiaks, <strong>der</strong> das platonische Jahr unterteilt.<br />
19
Ein weiterer Aspekt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alterlehre <strong>der</strong> Antike ist in <strong>der</strong> „Zucht <strong>der</strong> Menschenherde“<br />
unterschwellig angelegt. Platon läßt den Fremden im Politikos sagen: „... man [darf] von<br />
<strong>der</strong> Welt we<strong>der</strong> behaupten, daß sie immer sich selbst drehe, noch daß sie immer ganz von<br />
Gott gedreht werde ... noch auch, daß etwa irgend zwei Götter 32 von einan<strong>der</strong><br />
entgegengesetzter Gesinnung sie drehen;“ 33 Die Präsenz <strong>der</strong> Götter im goldenen <strong>Zeit</strong>alter<br />
wird hier als Einwirken des Göttlichen auf die Menschenherde gedacht, die dann in den<br />
darauffolgenden in die Selbstständigkeit entlassen wird, wie die Tierherden von den<br />
Winterställen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Koppel in die freie Weide. So auch die Welt (und Menschheit) „...<br />
eine von dem Werkmeister ihr zubereitete Unsterblichkeit empfangend; dann aber, wenn<br />
sie losgelassen ist, von sich selbst geht, so gut sie kann, in einem solchen Zustande sich<br />
selbst überlassen ...“ 34 . Das goldene <strong>Zeit</strong>alter wird im Politikos identifiziert, indem Krieg<br />
und Zwietracht gänzlich fehlen, Früchte von selbst zur Genüge wachsen und nicht<br />
angebaut werden müssen, das Klima warm und freundlich ist und Klei<strong>der</strong> unnotwendig<br />
sind; zudem je<strong>der</strong> denen, die er beherrscht vollauf genügt, „ ... so daß keines wild [ = nicht<br />
unter <strong>der</strong> Obhut eines göttlichen Hüters; C.D.] war noch auch sie einan<strong>der</strong> zur Speise<br />
dienten;“ 35 Die ganze Welt steht zu dieser <strong>Zeit</strong> unter herrschenden Göttern und „ ... die<br />
lebendigen Wesen nach ihren verschiedenen Gattungen und Herden hatten als göttliche<br />
Hüter unter sich verteilt die Dämonen ...“ 36 . Familie o<strong>der</strong> Verfassung (und damit<br />
wesentliche Anlässe zu Streit) gibt es nicht, da je<strong>der</strong> gleichberechtigt und ohne Ahnen aus<br />
<strong>der</strong> Erde geboren wird.<br />
Die Herrschaft des „Steuermanns des Ganzen“ sorgt bei Planton für das Überwiegen des<br />
Guten auf <strong>der</strong> Erde und bei den Menschen. Wenn die Welt von diesem Steuermann (und<br />
seinen Helfern) „losgelassen“ wird und selbstständig ihre Bahnen zieht, erinnert sie sich<br />
<strong>der</strong> „Lehren“ des Demiurgen; diese Erinnerung verblaßt aber mit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> und das <strong>der</strong> Welt<br />
inhärente Schlechte gewinnt die Überhand, bis „<strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> alten Verwirrung ... am<br />
32 Wie etwa Ahura Mazda und Ahriman<br />
33 Platon: Politikos. 270 a<br />
34 Ebenda<br />
35 Ebenda; 271 d-e<br />
36 Ebenda; 271 d – „δαιµονες“ ... (nie<strong>der</strong>e) Gottheiten, Mittelwesen zwischen Göttern und Menschen; die<br />
ausschließlich böse, negative Konnotation war in <strong>der</strong> Antike noch nicht gegeben.<br />
20
Ende <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> vollkommen aufblüht“ 37 . Aus Besorgnis darüber, daß sich die Welt selbst<br />
zerstören und in <strong>der</strong> Indifferenz versinken könnte, ergreift <strong>der</strong> Erschaffer <strong>der</strong> Welt in dieser<br />
kritischen <strong>Zeit</strong> wie<strong>der</strong> selbst die (aktive) Herrschaft; dann stellt er die primordiale<br />
Unsterblichkeit und Alterslosigkeit <strong>der</strong> Welt wie<strong>der</strong> her, also die ‚Statik‘ des Satya Yuga.<br />
In dieser Lehre vom Pulsieren <strong>der</strong> Welt zwischen Geist und Materie muß man von einer<br />
Überschneidung zwischen Symbolik, Analogie und physischen Tatsachen ausgehen. Ein<br />
Schrumpfen <strong>der</strong> Leiber <strong>der</strong> Lebewesen zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> „Herrschaft <strong>der</strong> Welt“ kann mit einer<br />
‚Verdichtung‘ korrelieren. Die anonyme Erdgeburt <strong>der</strong> Menschen zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Herrschaft<br />
des Schöpfers ist als Gleichnis für die primordiale Einheit zu verstehen, eine gleichzeitig<br />
physische Komponente kann aber nicht gänzlich ausgeschlossen werden, insofern<br />
beispielsweise die orphischen Lehren und verschiedene antike Synkretismen von<br />
Metamorphosen alles Lebendigen ausgehen – und somit das, was jetzt ‚Mensch‘ ist,<br />
damals etwas an<strong>der</strong>es gewesen sein o<strong>der</strong> bedeutet haben konnte.<br />
Eine weitere, beson<strong>der</strong>s im Mittelalter bis hin zu Hegel, populäre Entwicklung <strong>der</strong><br />
Weltalteridee ist aus dem Buch Daniel abgeleitet. Darin deutet Daniel im babylonischen<br />
Exil einen Traum Nebukadnezars, in dem dieser ein Standbild schaut. Dieses ist aus vier<br />
(eigentlich fünf) Stoffen gemacht; das Haupt aus Gold, Brust und Arme aus Silber, Bauch<br />
und Lenden aus Erz, die Schenkel aus Eisen und die Füße aus Eisen und Ton. Ein Stein<br />
bricht von einem Berg los, rollt herab und trifft die aus Ton und Eisen bestehenden Füße;<br />
darauf zerfällt das gesamte Standbild und wird wie „Spreu von den Tennen“ vom Wind<br />
davongetragen. Der Stein aber, <strong>der</strong> das Bild zerschlug, füllt die gesamte Erde. 38<br />
Nebukadnezar wird sodann von Daniel als das Haupt des Standbildes bezeichnet, dessen<br />
Reich als das erste und goldene identifiziert. Auf dieses folgen drei weitere, die das<br />
Mittelalter für gewöhnlich mit dem persischen, dem griechischen und dem römischen<br />
(Welt-) Reich gleichsetzt. Das letzte wird später als „germanisches Reich“ bezeichnet, als<br />
das Erbe des römischen, eisernen – es ist also dasjenige, das wie die Füße des Standbildes<br />
teils aus Eisen, teils aus Ton besteht – also teils römisch ist, teils aus einem ‚fünften<br />
Element‘ besteht.<br />
37 Platon: Politikos. 273 d<br />
38 Daniel 2:31-36<br />
21
Gemeinsam mit <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> vier Weltalter hat dieses Modell die Abgeschlossenheit auf<br />
das Ende hin. Der vom Berg rollende Felsen gleicht dem indischen Pralaya, indem er die<br />
Erinnerung an die abgelaufenen Reiche auslöscht und in alle Winde zerstreut.<br />
22
<strong>Zeit</strong>alterlehren in Südostasien<br />
Indien<br />
23<br />
„ 2 Fu|ge, die; ... [lat. fuga = Flucht (da eine Stimme gleichsam vor<br />
<strong>der</strong> folgenden ‚flieht‘)] selbständiges Musikstück od. Teil einer<br />
Komposition in zwei- bis achtstimmiger kontrapunktischer<br />
Satzart mit nacheinan<strong>der</strong> in allen Stimmen durchgeführtem,<br />
festgeprägtem Thema.“ (Duden) „Bei ausgedehntern Fugen<br />
müssen die Episoden interessant gestaltet werden, wenn nicht die<br />
ewige Wie<strong>der</strong>kehr des Themas ermüden soll“ (Meyers Konv.-<br />
Lexikon. 1887)<br />
Es ist schwierig von allgemein-indischen Vorstellungen zu sprechen, da es einen indischen<br />
Common Sense nicht gab und weitgehend heute noch nicht gibt. Glasenapp weist in seiner<br />
Indischen Geisteswelt darauf hin, daß sich Einzelheiten zu den indischen <strong>Zeit</strong>altern und<br />
weitere Variationen verstreut in vielen Texten finden und er nur die „allgemein-indischen<br />
Vorstellungen“ darlegen würde 39 . So schreibt er weiter, daß „die verschiedensten<br />
philosophischen Theorien mit mythologischen Traditionen so vermischt erscheinen, daß es<br />
meist nicht möglich ist, eine logisch voll befriedigende Darstellung zu geben“ 40 . Auch<br />
Erich Frauwallner weist auf die Überlagerungen und Entstellungen <strong>der</strong> Weltalterlehre in<br />
<strong>der</strong> indischen Tradition hin, wenn zum Beispiel das dem VyËsa zugeschriebene<br />
ÉukËnupraÚnaÒ in <strong>der</strong> ManusmÎti wie<strong>der</strong> auftaucht, aber umgearbeitet im Sinne <strong>der</strong><br />
SËmkhya-Lehre.<br />
Die Zustände und Eigenschaften <strong>der</strong> vier Yugas finden sich vornehmlich im MahËbhËrata,<br />
in <strong>der</strong> ManusmÎti und den verschiedenen PurËÙas beschrieben. Das Bhagavata PurËÙa 41<br />
bestimmt vage den Beginn des Kali Yuga durch den Tod KÎÛnas, indem es sagt, daß<br />
39 Glasenapp: Indische Geisteswelt. Bd. I, p.154<br />
40 Ebenda p. 154<br />
41 Bhagavata Purana XI.31.8
Wahrheit, Recht, Zufriedenheit, Ruhm und Glück diese Erde (nicht nur Indien!) 42<br />
verließen. Die meisten In<strong>der</strong> setzen den Tod KÎÛnas und damit auch den Beginn des Kali<br />
Yugas nach purËnischer Lehre auf das Jahr 3102 v. Chr. an.<br />
Evola gibt als hinduistische Quellen in den Fußnoten zur „Revolte ...“ immer wie<strong>der</strong> das<br />
ViÛÙu PurËÙa und die ManusmÎti an; mangels Bibliographien in seinen Büchern können<br />
an<strong>der</strong>e nur schwer nachvollzogen werden, es ist aber relativ sicher, anzunehmen, daß er<br />
zumindest auch die Schriften Mircea Eliades – mit dem er in persönlichem Kontakt stand -<br />
zu dem Thema kannte.<br />
Wie in <strong>der</strong> Geschlechterlehre Hesiods schreiten in <strong>der</strong> indischen Lehre die <strong>Zeit</strong>alter von<br />
einem „goldenen“ hinunter in ein finsteres <strong>Zeit</strong>alter. Dies vollzieht sich in vier Stufen vom<br />
KÎta Yuga o<strong>der</strong> Satya Yuga über das TretË Yuga, das DvËpara Yuga bis hin zum Kali<br />
Yuga, dem dunkelsten. Im ersten <strong>Zeit</strong>alter, dem KÎta Yuga, ist die Lebensdauer <strong>der</strong><br />
Menschen am höchsten (400 Jahre), es gibt keine Krankheit, <strong>der</strong> Tod bedeutet keinen<br />
Schrecken und ist ein freiwilliges Verlassen des Körpers; Kin<strong>der</strong> werden durch bloßes<br />
Wünschen gezeugt; Gesetze, Tugenden und Gerechtigkeit bestehen vollkommen (zu vier<br />
Vierteln), die heiligen Schriften (Veden) sind zur Gänze bekannt und es herrscht keine<br />
Uneinigkeit über ihre Auslegung. Ebenso bestehen die vier Kasten (varna) in vollem<br />
Umfang und die Lebensstufen (ËÚramËÒ) werden eingehalten.<br />
In den folgenden <strong>Zeit</strong>altern findet eine laufende Verschlechterung statt; die Menschen<br />
leben kürzer, die Gesetze werden weniger befolgt, Opferhandlungen nicht mehr so<br />
gewissenhaft vollzogen. Die ersten Barbarenvölker entstehen im TretË Yuga; die Kräfte<br />
von Pflanzen und Tieren, dem Wasser und <strong>der</strong> Erde werden schwächer; Zeugung erfolgt<br />
zuerst noch durch Berührung (TretË Yuga), dann durch die geschlechtliche Vereinigung<br />
(DvËpara Yuga). War Askese (tapaÒ) im Satya Yuga noch die höchste Tugend, ist es nun<br />
im DvËpara Yuga das Opfer. Im letzten <strong>Zeit</strong>alter, dem Kali Yuga greifen Kriege und<br />
Seuchen um sich, die Menschen leben nur mehr 100 Jahre und weniger, Gesetze und<br />
Gerechtigkeit besteht nur mehr zu einem Viertel, dann einem Sechzehntel; Die Kenntnis<br />
42 Glasenapp meint, die vier <strong>Zeit</strong>alter gälten nur für Bharata varÛa, also Indien, während auf den an<strong>der</strong>en<br />
sechs Kontinenten beständig glückliche Verhältnisse bestehen würden.<br />
24
<strong>der</strong> Schriften verfällt ebenso, wie <strong>der</strong> Opferkult, die Kasten und Lebensstufen lösen sich<br />
zunehmend auf, Geben wird nunmehr zur höchsten Aufgabe <strong>der</strong> Menschen. 43<br />
Nach Roth 44 werden die drei letzten <strong>Zeit</strong>alter auch mit <strong>der</strong> TriguÙËÒ-Lehre des SËÑkhya<br />
in Zusammenhang gebracht; Demnach würde das Treta Yuga für die Qualität 45 <strong>der</strong><br />
Ausgeglichenheit (sattvam) stehen, das DvËpara Yuga für die Qualität <strong>der</strong> Tätigkeit,<br />
Bewegtheit, Leidenschaft (rajaÒ) und das Kali Yuga für die Qualität <strong>der</strong> Trägheit und<br />
Finsternis (tamaÒ). Die Übereinstimmung mit <strong>der</strong> TriguÙËÒ-Lehre nimmt Roth zum Anlaß<br />
von dem indischen Chaturyuga-Modell als von einer „Theorie“ zu sprechen, im Gegensatz<br />
zum griechischen „Mythus“ von den fünf Menschengeschlechtern.<br />
Dieser zunehmende Verfall endet schließlich mit einer völligen Restauration <strong>der</strong><br />
inzwischen vergessenen und zerstörten Vedas durch ViÛÙu, <strong>der</strong> sich als Kalki-Avatara in<br />
einem Dorf (?) Éambhala inkarniert und so ein neues Satya Yuga einleitet 46 . Dieser<br />
sprunghafte, revolutionsartige Übergang steht in gewissem Wi<strong>der</strong>spruch zu <strong>der</strong> sonst<br />
dominanten Kreisförmigkeit <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. Eine teilweise Erklärung bietet sich, wenn man die<br />
nicht nur in Indien 47 häufige Metapher von <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> als einen Fluß heranzieht. In diesem<br />
Bild ist einerseits das plötzliche Ende des Fließenden im Meer vorhanden und auch sein<br />
plötzlicher Beginn in einer Quelle, an<strong>der</strong>erseits tritt <strong>der</strong> zyklische Charakter des Fließens<br />
hervor, wenn man die Verdunstung aus dem Meer, den Transport durch Wolken in das<br />
Quellgebiet und die Rückverbindung über den Regen mit in das Modell aufnimmt. Somit<br />
wird <strong>der</strong> beinahe selbe Weg in umgekehrte Richtung zurückgelegt, allerdings auf einer<br />
an<strong>der</strong>en, feineren Ebene (hier im gasförmigen Zustand).<br />
Die zeitliche Länge <strong>der</strong> Yugas steht generell im Verhältnis 4:3:2:1. Das Satya Yuga dauert<br />
4000 Jahre, das TretË Yuga 3000 Jahre, das DvËpara Yuga 2000 Jahre, das Kali Yuga<br />
1000 Jahre. Am Anfang und Ende jedes Yugas steht noch eine verhältnismäßig<br />
43 Nach Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. I, p 114 ff.<br />
44 Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod ...; p.29<br />
45 Ursprünglich Qualitäten <strong>der</strong> Urmaterie.<br />
46 ViÛÙu PurËna 4.24<br />
47 Heraklit, etc.<br />
25
entsprechende Übergangsperiode (SandhyË/SandhyËÑÚa) von zwei mal 400 Jahren im<br />
Satya Yuga – den obigen Verhältnissen entsprechend - bis zwei mal 100 Jahren im Kali<br />
Yuga.<br />
Jahre<br />
(„<strong>der</strong> Devas“ [?])<br />
Zwischen-<br />
summe<br />
(„Menschen-„)<br />
Jahre x 360<br />
Satya-SandhyË 400 144.000<br />
Satya Yuga (=Krita Yuga) 4.000 1.440.000<br />
Zwischen-<br />
summe<br />
Satya-SandhyËÑÚa 400 4.800 144.000 1.728.000<br />
TretË-SandhyË 300 108.000<br />
TretË Yuga 3.000 1.080.000<br />
TretË-SandhyËÑÚa 300 3.600 108.000 1.296.000<br />
DvËpara-SandhyË 200 72.000<br />
DvËpara Yuga 2.000 720.000<br />
DvËpara-SandhyËÑÚa 200 2.400 72.000 864.000<br />
Kali-SandhyË 100 36000<br />
Kali Yuga 1.000 360.000<br />
Kali-SandhyËÑÚa 100 1.200 36.000 432.000<br />
Summe: 12.000 4.320.000<br />
Eine wesentliche Frage ist die nach <strong>der</strong> Bedeutung des verwendeten Wortes „Jahre“. Die<br />
gängigere Lehrmeinung besagt, daß es sich bei den oben angeführten um Jahre <strong>der</strong> Devas 48<br />
(Götter) handle, wobei ein Tag <strong>der</strong> Devas einem menschlichen Jahr von 360 Tagen<br />
entspreche. In <strong>der</strong> ManusmÎti steht ebenso, daß ein Monat <strong>der</strong> Menschen einem Tag <strong>der</strong><br />
48 Die Götter werden u.a. auf dem Berg Meru angesiedelt, <strong>der</strong> mit dem Nordpol zusammenfällt, die obere<br />
Spitze <strong>der</strong> Erdachse darstellt. Ein ‚Tag‘ besteht dort (physisch) aus <strong>der</strong> nördlichen und südlichen Deklination<br />
<strong>der</strong> Sonne und fällt mit unserem (menschlichen) ‚Jahr‘ zusammen. Beachtenswert ist auch, daß die<br />
Hyperboräer als Vorfahren <strong>der</strong> Menschen am Nordpol gelebt haben sollen.<br />
26
pitÎs, <strong>der</strong> Vorväter gleichkomme 49 ; Nachdem diese zwei Entsprechungen dargelegt wurden<br />
folgt unmittelbar <strong>der</strong> Satz:<br />
„The KÎta Yuga consists of four thousand years (of the Devas [?; C.D.]); four hundred<br />
such years form the SandhyË (dawn) of that cycle, and four hundred such years form its<br />
SandhyËÑÚa (eve).“ 50<br />
Das Wort „Devas“ ist in <strong>der</strong> Übersetzung in Klammer ergänzend eingefügt, im Text steht<br />
nur „varÛËÙËÑ 51 “, also „Jahre“. Zwei Verse weiter ist die Begriffszuweisung wie<strong>der</strong><br />
eindeutig und genau, wenn von Deva-Yugas die Rede ist und auch „Yuga of the devas“<br />
geschrieben steht 52 , ebenso an an<strong>der</strong>er Stelle 53 . Es ist daher sehr fraglich, ob bei den in<br />
Éloka 1.69 <strong>der</strong> ManusmÎti abgehandelten Yugas wirklich Götterjahre gemeint sind und<br />
nicht etwa doch Menschenjahre. Wenn in 1.71 54 „Devas“ steht, weist das darauf hin, daß<br />
die ManusmÎti für Menschen geschrieben ist und damit grundsätzlich für menschliche<br />
<strong>Zeit</strong>begriffe. Der <strong>Zeit</strong>begriff Yuga wird hier nur deshalb mehrfach und für verschiedene<br />
<strong>Zeit</strong>einheiten verwendet, weil es sich einmal um Yugas <strong>der</strong> Menschen und einmal um<br />
Yugas <strong>der</strong> Devas handelt. Es wäre unlogisch, die Yugas <strong>der</strong> Menschen aus Jahren <strong>der</strong><br />
Devas aufzubauen. Das steht auch so keineswegs im Text. Hinzu kommt, daß die<br />
ManusmÎti in <strong>der</strong> Sprache <strong>der</strong> Menschen verfasst ist und für Menschen. Warum sollte man<br />
dann stillschweigend in Jahren <strong>der</strong> Devas rechnen und nicht in Menschenjahren. Wäre es<br />
notwendig gewesen die Zahlen vor <strong>der</strong> profanen Masse zu verhüllen und zu verschlüsseln,<br />
hätte man das beispielsweise mit astronomischen Angaben machen können, die eindeutig<br />
sind, aber nur für den Gebildeten zu entschlüsseln. Das Verhüllen von ‚Geheimnissen‘<br />
49 Sharma: ManusmÎti. 1:66 - 67<br />
50 1.69: „catvËryËhuÒ sahasrËÙa varÛËÙËÑ tatkÎtaÑ yugam / tasya tËvacchatÌ saÑÚvyË<br />
saÑÚvyËÑÚaÚca tathËviÚvaÒ“<br />
51 Monier-Williams, M.: A Sanskrit English Dictionary. Delhi 1899 ff. (1995): varÛa - (√ vÎiÛ) raining, a<br />
year, a division of the earth<br />
52 1.71: „ ... devËnËÑ yugamucyate.“<br />
53 1.79: „ ... daivikaÑ yugam.“<br />
54 „Twelve thousands of such four Yugas, as computed before in their or<strong>der</strong> of enumeration, count as one<br />
Yuga of the Devas.“ (Sharma/Dutt)<br />
27
fand sicherlich statt, aber nicht dadurch, daß etwas eindimensional mehrdeutig ausgedrückt<br />
wurde. Mehrdeutigkeit von sakralen Texten bezog sich immer auf mehrere Ebenen;<br />
Innerhalb dieser sollten sie aber eindeutig zu lesen sein. An<strong>der</strong>enfalls wären we<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />
Text noch die Ebenen von Wert - nicht mehr als eine bunte Blumenwiese ohne weiteren<br />
Zusammenhang.<br />
Im Übrigen wirkt <strong>der</strong> umgebende Text auch nicht gestückelt, noch ergeben sich an<strong>der</strong>e<br />
Wi<strong>der</strong>sprüche o<strong>der</strong> grobe Mehrdeutigkeiten, die Weltalter, Schaffung und Auflösung <strong>der</strong><br />
Welt betreffend; Das System wirkt durchwegs in sich geschlossen und nicht, als hätte ein<br />
Kompilator Halb-Verstandenes schlecht zusammengesetzt.<br />
Ebenezer Burgess hält jedenfalls die ManusmÎti für älter, und damit ausschlaggeben<strong>der</strong><br />
als die PurËÙas, wenn er in seinem Kommentar zum SÄrya SiddhËnta schreibt:<br />
„ ... that in the text itself of Manu (i. 68-71) the duration of the Great Age, called by him<br />
Divine Age, is given as twelve thousand years simply, and that it is his commentator who,<br />
by asserting these to be divine years, brings Manu’s cosmogony to an agreement with that<br />
of the PurËÙas. This is a strong indication that the divine year is an afterthought, and that<br />
the period of 4,320,000 years is an expansion of an earlier one of 12,000.“ 55<br />
Burgess begründet diese Erweiterung mit <strong>der</strong> ausufernden Sehnsucht <strong>der</strong> In<strong>der</strong> nach<br />
Unendlichkeit. Letzteres Argument erscheint sinnvoll, wenn man in Betracht zieht, daß die<br />
Ausbreitung in die Vielfalt ein ‚Zeichen‘ des Verfalls hin zum Kali Yuga ist 56 . So teilt sich<br />
beispielsweise auch <strong>der</strong> ursprünglich einzige Veda in vier Vedas 57 auf, etc.<br />
55 Burgess: SÄrya SiddhËnta. p.154; kursiv von mir (C.D.); die selbe Meinung vertreten Roth<br />
(Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod...) und Eliade (Kosmos und<br />
Geschichte), <strong>der</strong> auch mit Evola in Kontakt stand und über Codreanus Guardia di Ferro mit diesem<br />
verbunden war.<br />
56 Obschon das Wort Kali - im Gegensatz zur weiblichen Form mit langen Vokalen KËlÌ die die Gattin Éivas<br />
bezeichnet - für die mit einem Punkt bezeichnete Verliererseite des Spielwürfels steht.<br />
57 In jedem (absteigenden) DvËpara Yuga inkarniert sich ViÛÙu in dem Heiligen Veda-vyËsa und teilt den<br />
Stamm des Veda in vier Äste und unzählige Zweige (ViÛÙu PurËna III.2-3); wahrscheinlich auch um dem<br />
Verfall des Gedächtnisses eine Hilfe zu geben.<br />
28
Auch Shambhu Shastry hält in seinem Aufsatz „Natural Cycles in the Solar System and the<br />
Chaturyuga Cycles“ 58 stellvertretend für viele indische Gelehrte die ManusmÎti für<br />
wichtiger und älter als die exoterischeren purËnischen Schriften und versucht anschließend<br />
mo<strong>der</strong>ne astronomische Modelle für den Caturyuga-Zyklus zu finden.<br />
Mircea Eliade nimmt in Kosmos und Geschichte die 12 000 Jahre des Chaturyuga als<br />
Menschenjahre an und hält sich an das MahabhËrata und die ManusmÎti, ohne auf die<br />
puranische Sicht einzugehen. Allerdings wi<strong>der</strong>spricht er sich, wenn er die gegenwärtige<br />
<strong>Zeit</strong> im Kali Yuga ansiedelt; jedoch mit ziemlicher Sicherheit um die gängige in Indien<br />
vertretene Ansicht gewußt haben muß, daß das Kali Yuga um ca. 3100 v. Chr. beginne –<br />
mit <strong>der</strong> Schlacht von KurukÚetra und unter einer außergewöhnlichen Konjunktion <strong>der</strong><br />
wichtigsten Planeten. Ein Grund für diesen Wi<strong>der</strong>spruch kann sein, daß Eliade die<br />
Meinung vertritt, geschichtliches Denken sei dem Hindu unbekannt und so die Dauer <strong>der</strong><br />
Yugas hauptsächlich symbolisch sieht, als eine in jedem Fall nachträgliche Erfindung; ein<br />
psychologisches Konstrukt, das „... trostreich und kräftigend für den unter dem Terror <strong>der</strong><br />
Geschichte lebenden Menschen [ist]“ 59 .<br />
Nach Roth findet sich die Lehre des Caturyuga grundsätzlich nicht in den vier klassischen<br />
Vedas, jedoch das Wort yuga „am häufigsten ... verbunden mit dem Adjektiv mËnusha für<br />
die menschlichen [!] <strong>Zeit</strong>räume, Menschenalter“ 60 . Für das eigentliche Fehlen <strong>der</strong><br />
Caturyuga-Lehre in den Vedas und Brahmanas kann man entwe<strong>der</strong> Unkenntnis<br />
verantwortlich machen, die Meinung vertreten, diese Lehre habe sich noch nicht<br />
entwickelt; o<strong>der</strong> aber eine gewisse Bekanntheit zur <strong>Zeit</strong> des Veda voraussetzen, die jedoch<br />
gleichzeitig zur damaligen <strong>Zeit</strong> bedeutungslos und irrelevant sein mußte. Es würde in einer<br />
<strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> allgemeinen Blüte nicht viel Sinn gemacht haben nach dem Verfall zu schielen,<br />
während später, in einer <strong>Zeit</strong> des Nie<strong>der</strong>gangs und Elends 61 , eine Rückbesinnung und<br />
Ausrichtung auf ein goldenes <strong>Zeit</strong>alter Hoffnung und Halt gab, an<strong>der</strong>erseits durch<br />
Überhöhung half, die Autorität <strong>der</strong> Überlieferungen (Schriften) aus jener <strong>Zeit</strong> zu bewahren.<br />
58 Shastry, Dr. Shambhu: „Natural Cycles in the Solar System and the Chaturyuga Cycles“.<br />
59 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 131<br />
60 Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod...; p. 24<br />
61 also hier zur <strong>Zeit</strong> des MahËbhËrata, <strong>der</strong> ManusmÎti und <strong>der</strong> PurËnas.<br />
29
Sollte man eine astronomische Begründung <strong>der</strong> vier Weltzeitalter akzeptieren, was<br />
angesichts <strong>der</strong> Bestimmung von Tag und Jahr <strong>der</strong> Menschen, sowie dem Tag <strong>der</strong> Götter<br />
durch die Sonne, dem Monat durch den Mond, etc. naheliegt, so wäre ein Übergehen des<br />
Präzessionszyklus <strong>der</strong> Erde in <strong>der</strong> Auflistung <strong>der</strong> indischen <strong>Zeit</strong>einheiten sehr<br />
unwahrscheinlich. Das Wissen <strong>der</strong> alten Kulturen um die Präzession <strong>der</strong> Erdachse und die<br />
Bedeutung <strong>der</strong>selben haben de Santillana und von Dechend ausführlich nachgewiesen und<br />
dargestellt. 62 Angesicht <strong>der</strong> Tatsache, daß auch heutige Astronomen nicht in <strong>der</strong> Lage sind<br />
den Präzessionszyklus genau zu bestimmen 63 - ja seine Dauer gewissen Schwankungen<br />
unterworfen zu sein den Anschein hat, die verhältnismäßig größer sind, als beispielsweise<br />
die Schwankungen <strong>der</strong> Tageslänge o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Länge des Jahres – muß es zulässig sein, das<br />
Chaturyuga in Zusammenhang mit <strong>der</strong> Präzession <strong>der</strong> Erdachse zu bringen. Je<strong>der</strong> Tag hat<br />
eine zugehörige Nacht; dem Tag Brahmas folgt eine ebensolange Nacht, dem Tag <strong>der</strong><br />
Götter entspricht die Nacht <strong>der</strong> Dämonen, etc. So muß die Ergänzung <strong>der</strong> 12.000<br />
(Menschen-) Jahre <strong>der</strong> ManusmÎti um eine ebensolange <strong>Zeit</strong>spanne in Betracht gezogen<br />
werden. Diese 24.000 Jahre erscheinen dann in sinnvoller Übereinstimmung mit dem<br />
Präzessionszyklus.<br />
Diese Chaturyugas (vier Yugas) laufen solange ab, bis 100 Jahre Brahmas 64 vollendet sind,<br />
sich die Atome im Weltuntergang wie<strong>der</strong> trennen, die sich bei <strong>der</strong> Weltschöpfung zuvor zu<br />
Wesen verbunden haben 65 . Der höchste Gott, MaheÚvaraÒ (Éiva) vernichtet die Welt<br />
(Schöpfung) im MahapralayaÒ 66 , damit sich die zahlreichen Wesen vom langen Wan<strong>der</strong>n<br />
durch die Kreise <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten ausruhen können. Das Unsichtbare, das das<br />
Weltgeschehen antreibt, an den Seelen haftend sie bewegt, stellt sein Wirken ein 67 . Davor<br />
62 Santillana / Dechend: Die Mühle des Hamlet.<br />
63 Je nach Lexikon o<strong>der</strong> astronomischem Atlas wird eine <strong>Zeit</strong>dauer von 25.000 – 28.000 Jahren für das<br />
Torkeln <strong>der</strong> Erdachse um einen (fiktiven) Kegelmantel veranschlagt.<br />
64 Nach dem SËÑkya-System sind 1000 Caturyugas ein Tag Brahmas und ebensoviele eine Nacht Brahmas.<br />
Zusammen bilden sie ein KalpaÒ. (nach Frauwallner)<br />
65 Nach dem System des VaiÚeÛika<br />
66 „PralayaÒ“ bedeutet: Schlaf, Tod, Verdunklung, Auflösung.<br />
67 siehe Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. II, p. 204 f.<br />
30
folgt auf jeden Tag Brahmas eine Nacht Brahmas, in <strong>der</strong> ebenso alle Welten im<br />
KalpapralayaÒ aufgelöst werden, die höchste Welt Brahmas, <strong>der</strong> Satyaloka, jedoch<br />
bestehen bleibt (Schlaf Brahmas). Bemerkenswert ist, daß die <strong>Zeit</strong> (kala) als schon vor <strong>der</strong><br />
Existenz des Schöpfergottes Brahma bestehend angesehen wird – und damit auch ihre<br />
Einteilung nicht Brahma unterliegt, was diese <strong>der</strong> westlicheren Vorstellung vom<br />
Demiurgen verwandt erscheinen läßt.<br />
Das SÄrya SiddhËnta ist eine weitere wichtige Quelle, allerdings schwer zeitlich<br />
einzuordnen und nimmt in <strong>der</strong> indischen Astronomie eine hervorragende Stellung ein. Am<br />
Anfang des Textes ist davon die Rede, daß die folgenden Unterweisungen dem Dämon<br />
(asura) Maya am Ende des KÎta Yuga direkt von <strong>der</strong> Sonne (sÄrya) enthüllt wurden. In<br />
1.15 werden die Yugas sehr eindeutig in ihrem Verhältnis zu Götterjahren bzw.<br />
Menschenjahren definiert. 68 Dann wird die übliche verhältnismäßige Einteilung in die<br />
einzelnen Yugas und ihre Übergänge vorgenommen.<br />
Sri Yukteswar Giri<br />
31<br />
„Diese göttliche Ordnung <strong>der</strong> Dinge ist<br />
identisch mit <strong>der</strong> Aufeinan<strong>der</strong>folge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en.“<br />
(Egon Friedell)<br />
Eine weitere, und jüngere Quelle ist SwËmi Éri YukteÛvar Giris Buch Die Heilige<br />
Wissenschaft, das er Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts verfaßte. Éri YukteÛvar weist weiter<br />
darauf hin, daß die Sternbil<strong>der</strong> einen Einfluß auf die Monate ausüben und die Planeten auf<br />
die Wochentage. Er verdichtet somit seine Theorie vom Einfluß <strong>der</strong> Himmelskörper auf<br />
<strong>Zeit</strong>qualitäten. Je näher ein Himmelskörper <strong>der</strong> Erde, desto kürzer ist sein Einflußbereich.<br />
Das Buch Éri YukteÛvars ist trotz des Titels wohl nicht als wissenschaftliche Abhandlung
zu verstehen, son<strong>der</strong>n eher als Gerüst für weitere Forschung. Es erscheint wie ein<br />
Thesenblatt. Diese Vorgehensweise wird erst aus dem Kontext des Yoga Systems heraus<br />
verständlich, in dem meist nur Ergebnisse mitgeteilt werden, selten Begründungen o<strong>der</strong><br />
Lösungswege. Der Leser, o<strong>der</strong> Schüler muß diese Lösungswege selber finden um die<br />
Thesen – gleichzeitig Anfang und Ergebnis - wirklich durchdrungen zu haben. Ein<br />
nachvollziehen (nachlesen) von Beweisen genügt dort nicht. Was zählt ist die Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Erkenntnis. So werden im System des Yoga auch nur Übungen o<strong>der</strong> Regeln<br />
mitgeteilt 69 , manchmal ihr Ziel o<strong>der</strong> Ergebnis, nie jedoch <strong>der</strong> Weg dazwischen, also die<br />
Wirkungsweise. Es wird immer angenommen, daß diese <strong>der</strong> Sprache nicht zugänglich ist.<br />
Wir nehmen nicht an, daß Evola dieses Buch kannte, es sei hier aber als Kontrast<br />
angeführt; zum einen als Erweiterung des Unbehagens Burgess‘ und Roths gegenüber <strong>der</strong><br />
„Göttlichkeit“ <strong>der</strong> Jahresanzahl in den puranischen Yugas, zum an<strong>der</strong>en als Erweiterung<br />
<strong>der</strong> ManusmÎti. Aber auch deshalb, weil das Buch im Westen eine gewisse Verbreitung<br />
erfahren hat und für die Rezeption des Themas in Betracht gezogen werden sollte; Darüber<br />
hinaus stellt es eine neue Theorie zur Yuga Lehre auf, die nach unserem Wissen im Westen<br />
bisher nicht bekannt war.<br />
68 „Twelve thousand of these divine years are denominated a Quadruple Age (caturyuga); of ten thousand<br />
times four hundred and thirty-two solar years.“ (Burgess: SÄrya-SiddhËnta. p.152)<br />
69 Siehe z.B.: Patanjali: Yoga Sutras; o<strong>der</strong> HaÖha Yoga Pradipika (unbekannter Verfasser)<br />
32
SwËmi YukteÛvar geht darin von einem zwei mal 12.000 menschliche (solare) Jahre<br />
dauernden Zyklus aus 70 , die er als zwei Daiva-Yugas o<strong>der</strong> als „elektrisches Kräftepaar“ 71<br />
bezeichnet. Diese Vorstellung wird von <strong>der</strong> ersten, zweiten und dritten Bedeutung des<br />
Wortes „Yuga“ in Böhtlingks Sanskrit-Wörterbuch unterstützt, wo Yuga als „<strong>Joch</strong>“ 72 ,<br />
70 Auch Dr. Shastry hält in seinem Aufsatz den 12.000 Jahre dauernden Zyklus nur für eine Hälfte und führt<br />
als an<strong>der</strong>e Vertreter dieser Meinung Prof. Bankim Chakravorty sowie die diesbezügliche Tradition <strong>der</strong> Jaina<br />
auf.<br />
71 Sw. YukteÛvar: Die Heilige Wissenschaft. p. 17<br />
72 ... welches ebenso aus zwei Teilen besteht<br />
33
„Paar“ und „Doppel-Éloka 73 “ übersetzt wird, erst danach als „Geschlecht, Lebensperiode,<br />
Weltalter, Cyclus“, etc. Nach dem Abstieg bis zum Kali Yuga tritt dieses nicht unmittelbar<br />
über in ein neues Satya Yuga, son<strong>der</strong>n die Abfolge <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter vollzieht sich erneut in<br />
umgekehrter, aufsteigen<strong>der</strong> Reihenfolge. Das Modell kennt also nicht die Revolution 74 <strong>der</strong><br />
an<strong>der</strong>en Modelle, vielmehr oszillieren die <strong>Zeit</strong>alter hier gleichmäßig.<br />
Auf die Qualitäten <strong>der</strong> einzelnen Yugas geht er nur ein, indem er ihnen Arten des jeweils<br />
möglichen Wissens zuordnet: Dem Satya Yuga „höchstes geistiges Wissen“, dem Treta<br />
Yuga das Wissen um den „göttlichen Magnetismus“, dem DvËpara Yuga das „Wissen um<br />
die Elektrizität und ihre Eigenschaften“ und dem Kali Yuga das Wissen von <strong>der</strong> rein<br />
„grobstofflichen Schöpfung“. Diese Wissensaspekte nehmen nun zu o<strong>der</strong> ab, je nachdem,<br />
ob die <strong>Zeit</strong>alter auf- o<strong>der</strong> absteigen und bedingen sowohl die Erkenntnis, als auch die<br />
Erkenntnisfähigkeit auf <strong>der</strong> Erde qualitativ. Das aufsteigende DvËpara Yuga bezeichnet er<br />
beispielsweise als eines, in dem sich die Wissenschaften rasch entfalten.<br />
SwËmi YukteÛvar setzt den Beginn des Kali Yugas (incl. Sandhi) auf 700 v. Chr. an im<br />
Gegensatz zum sonst gebräuchlichen Datum von ca. 3100 v. Chr.; letzteres Datum<br />
bezeichnet hingegen in seinem System den Beginn des DvËpara Yuga. Diese Verwirrung,<br />
ob <strong>der</strong> Wendepunkt um 3100 v. Chr. nun <strong>der</strong> Beginn des DvËpara o<strong>der</strong> des Kali Yuga sei,<br />
wird indirekt von Roth bestärkt, wenn er die Ansicht vertritt, daß man die ganze (zur<br />
indischen „analoge“) griechische Reihe am richtigsten in die beiden Abteilungen zerlegt,<br />
das goldene und silberne Geschlecht auf die eine Seite stellend, die drei (zwei) übrigen auf<br />
die an<strong>der</strong>e 75 . Das goldene und silberne Geschlecht bezeichnet er weiters als eine Vorstufe,<br />
die wir „die vorgeschichtliche Menschheit“ nennen würden, „dazu berufen ... das<br />
Geisterreich zu füllen, nachdem ihre <strong>Zeit</strong> auf Erden abgelaufen war“ 76 . Die Heroensagen<br />
(des ehernen <strong>Zeit</strong>alters) seien den Griechen die älteste Geschichte gewesen, die vor den<br />
Heroen lebenden aber „namenlose Männer“, was mitunter noch heute so ist.<br />
73 „Yuga ... of a double Éloka or two Éloka so connected that the sense is only complete by the two together“<br />
(Sir Monier Monier-Williams: A Sanskrit-English Dictionary. [Oxford U.P., 1899] Motilal Banarsidass,<br />
Delhi 1963 ff)<br />
74 Im gesellschaftlichen Sinne eines plötzlichen Umsturzes, nicht im astronomischen Sinne einer Umdrehung<br />
75 Nach Roth: Abhandlung über den Mythus von den fünf Menschengeschlechtern bei Hesiod ...; p. 14<br />
76 Ebenda; p. 19<br />
34
Um die Qualität des Dargelegten zu unterstreichen, weist SwËmi YukteÛvar darauf hin,<br />
daß sein Buch 1.) nicht im Kali Yuga geschrieben wurde, 2.) unter <strong>der</strong> Anleitung eines<br />
Avatars 77 und 3.) im aufsteigenden Dvapara Yuga. Die Tatsache, daß das gegenwärtige<br />
Dvapara Yuga ein aufsteigendes ist, läßt es dem absteigenden als höherwertig und<br />
überlegen erscheinen. Dieser Gedanke wird aber nicht weiter verfolgt und ob dies auch so<br />
ist, geht nicht aus dem Text hervor. Das Modell vom schrittweisen Wie<strong>der</strong>aufsteigen <strong>der</strong><br />
<strong>Zeit</strong>alter erinnert an das <strong>der</strong> Jaina, während in <strong>der</strong> gängigeren hinduistischen Vorstellung<br />
das Kali Yuga meist mit einem kleinen Pralaya (etwas unscharf) endet und sofort ein neues<br />
Satya Yuga erscheint.<br />
SwËmi YukteÛvar geht im Gegensatz zu den PurËnas, etc. auch auf Ursachen <strong>der</strong> Yuga-<br />
Lehre ein und bemüht sich diese wissenschaftlich anzupassen, wenn er erklärt, „...daß die<br />
Sonne sich wie<strong>der</strong>um mitsamt ihren Planeten und Monden einen Stern als Pol wählt und<br />
diesen in 24.000 Erdenjahren umkreist und daß diese Himmelserscheinung die rückläufige<br />
Bewegung <strong>der</strong> Äquinoktialpunkte um die Tierkreiszeichen verursacht“.<br />
Die Wissenschafter des Westens sehen hierfür die Präzessionsbewegung <strong>der</strong> Erdachse als<br />
Ursache an. Eine Schwankung, die im wesentlichen durch die Gravitationseinflüsse von<br />
Sonne und Mond verursacht wird, also innerhalb des Sonnensystems verursacht wird. Die<br />
momentan größt mögliche Annäherung von SwËmi YukteÛvars Über-Sonne an die<br />
abendländische Astronomie wäre die Identifikation mit einem schwarzen Loch in einem<br />
leicht rotierenden „Kugelhaufen“; Unser Sonnensystem wäre dann Teil dieses<br />
Kugelhaufens und könnte so den Abstand zum galaktischen Zentrum oszillierend<br />
variieren. 78<br />
Gegen die westliche Wissenschaft sprechen, trotz ihrer aufwändigen mo<strong>der</strong>nen<br />
Instrumentarien, die geringeren Beobachtungszeiträume in <strong>der</strong> jungen mo<strong>der</strong>nen<br />
Astronomie, während die In<strong>der</strong> weitaus längere Beobachtungszeiträume für sich<br />
77 Also gewissermaßen unter göttlicher Führung.<br />
78 Gegenwärtig würde diese Möglichkeit auf Grund <strong>der</strong> sehr unterschiedlich angenommenen Alter unserer<br />
Sonne (ca. 4 Mrd. Jahre) und <strong>der</strong> Kugelhaufen unserer Galaxie (ca. 10-15 Mrd. Jahre) ausgeschlossen<br />
werden. – nach Falque: Der grosse JRO Atlas <strong>der</strong> Astronomie.<br />
35
eanspruchen. Jedenfalls geht SwËmi YukteÛvar nicht weiter auf diese Über-Sonne ein 79 .<br />
Neben dem 24.000-jährigen Zyklus bringt er noch ein zweites großes Zentrum ins Spiel,<br />
um das sich die Sonne mitsamt ihrem „Pol“ drehe. Dieses bezeichnet er als „Vishnunabhi,<br />
den Sitz <strong>der</strong> schöpferischen Kraft (Brahma), des im ganzen Universum herrschenden<br />
Magnetismus“ 80 . Dieses Brahma lenke „Dharma, die geistigen Tugenden <strong>der</strong> inneren<br />
Welt“ 81 . Das Satya Yuga erklärt er somit durch die Annäherung des Sonnensystems an den<br />
positiven „Vishnunabhi“; <strong>der</strong> diesem naheliegendste Punkt sei erreicht, wenn das<br />
Herbstäquinoktium im Wid<strong>der</strong>punkt stehe, was zuletzt 11.501 v. Chr. <strong>der</strong> Fall gewesen sei;<br />
dabei nimmt er den Fixstern Revati (ζ - Piscium) 82 als Wid<strong>der</strong>punkt an 83 . Das Dharma 84<br />
befinde sich vice versa im ersten Stadium <strong>der</strong> Entwicklung, im Kali Yuga, wenn das<br />
Sonnensystem den fernsten Punkt vom Zentrum des Brahma, dem „Vishnunabhi“ erreicht<br />
habe. 85<br />
Während SwËmi YukteÛvar die <strong>Zeit</strong> des Mittelalters als dunkelsten Punkt <strong>der</strong><br />
Weltgeschichte angibt, preist Evola gerade den mittelalterlichen Geist <strong>der</strong> Ritterorden und<br />
des lebendigen Königtums, - eine Ableitung <strong>der</strong> Spengler’schen „abendländischen Kultur“.<br />
Die positive Bewertung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> nach dem Mittelalter durch Sw. YukteÛvar wird<br />
allerdings Ende des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts (und in Indien) noch nicht durch das Heraufziehen<br />
und Erleben des Weltkrieges eingeschränkt.<br />
79 Er führt nur allgemein die „Astronomie des Orients“ als Quelle an.<br />
80 Pdt.Vamadeva Shastri [Dr. David Frawley] (Astrology of the Seers. Lotus Press, Twin Lakes [WI] 1990)<br />
hat diesen ViÛÙunabhi mit unserem galaktischen Zentrum identifiziert. Dr. Shastry (Natural Cycles in the<br />
Solar System...) glaubt die NityapÄjËmantras als diesbez. Quelle von Vamadeva Shastri und Sw. YukteÛvar<br />
identifiziert zu haben.<br />
81 Somit handelt es sich eigentlich um eine astrologische Theorie nach westlicher mo<strong>der</strong>ner Auffassung.<br />
82 Der Wid<strong>der</strong>punkt <strong>der</strong> indischen astronomisch-astrologischen Tradition liegt am Ende des Mond-Hauses<br />
Revati, das in Arabien Batn al-hut und in China K'uei genannt wird; Dieses wird durch die Sterne Beta<br />
Andromedae, Zeta Piscium und Eta Andromedae bestimmt. Zeta Piscium heißt in Indien Revati und verleiht<br />
pars pro toto dem Mondhaus seinen Namen.<br />
83 Der Westen nimmt für gewöhnlich das Frühlingsäquinokium.<br />
84 Hier im Sinne von „geistiger Tugend“ in positiver Konnotation.<br />
85 Zuletzt 501 n. Chr.<br />
36
Die Unstimmigkeiten zwischen den verschiedenen Berechnungen über Länge und Anfang<br />
<strong>der</strong> Weltalter führt er auf einen politisch motivierten Fehler zur <strong>Zeit</strong> des Raja ParikÛit 86<br />
zurück. Dessen Vater, <strong>der</strong> Maharaja Yudhisthira hätte damals den Thron übergeben und<br />
sich mit den Weisen seines Hofes in den Himalaya zurückgezogen. „Darum wagte es<br />
niemand nach Ablauf <strong>der</strong> 2400 Jahre des damaligen Dwapara-Yugas, die Ankunft des<br />
dunklen Kali-Yugas noch deutlicher zu machen und es vom Jahre 1 an zu berechnen“ 87 ...<br />
und <strong>der</strong> Beginn desselben wurde verschleiert. Astronomen wie Kulluka Bhatta, die schon<br />
im Kali Yuga lebten, hätten sich dadurch irreführen lassen und den fehlerhaften Kalen<strong>der</strong><br />
weiterverbreitet und vertieft. Als dann <strong>der</strong> tiefste Punkt des Kali Yuga vorbei war, wären<br />
die Gelehrten auf Fehler in den Berechnungen aufmerksam geworden, haben diese aber<br />
falsch korrigiert und seien auf die Idee von den „Daiva-Jahren“ verfallen, die in <strong>der</strong><br />
puranischen Literatur so verbreitet sind. Das Wissen um die wirklichen <strong>Zeit</strong>en <strong>der</strong> Yugas<br />
verschwand, laut SwËmi YukteÛvar, am Ende des absteigenden DvËpara Yuga; so ist es<br />
auch schlüssig, wenn dieses Wissen nun symmetrisch entsprechend am Anfang des<br />
aufsteigenden Dwapara Yuga wie<strong>der</strong> erscheint.<br />
Auch das Datum des Kali Yuga-Beginns in den PurËnas, ca. 3100 v. Chr., kommt in Sw.<br />
YukteÛvars Modell vor; als Beginn des absteigenden DvËpara Yugas.<br />
Gigantomanie in Buddhismus und Jainismus<br />
Wir gehen davon aus, daß die <strong>Zeit</strong>alterlehre des Buddhismus, ebenso wie die <strong>der</strong> Jaina eine<br />
Weiterentwicklung <strong>der</strong> hinduistischen darstellt. Nach Eliade 88 geht <strong>der</strong> Buddhismus<br />
generell von <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>einheit des Kalpa aus, das in eine unterschiedlich hohe Anzahl von<br />
„Unberechenbaren“ (asamkhyeya) unterteilt wird. Im PËli-Kanon sind es vier dieser<br />
„Unberechenbaren“, möglicherweise ein Derivat des indischen Chaturyuga-Zyklus; In <strong>der</strong><br />
Literatur des Mahayana findet sich diese Zahl auf drei, sieben und 33 erweitert. Generell<br />
86 Um 700 v. Chr.<br />
87 Sw. YukteÛvar: Die heilige Wissenschaft. p.22<br />
88 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 129<br />
37
ist die Vorliebe für große Zahlen noch ausgeprägter als im Hinduismus und es hat den<br />
Anschein, daß didaktische und rhetorische Überlegungen 89 die ursprüngliche <strong>Zeit</strong>alterlehre<br />
entstellen.<br />
Auch die Vorstellung von <strong>der</strong> fortwährenden Verkürzung <strong>der</strong> menschlichen Lebenszeit ist<br />
vorhanden. So erschien <strong>der</strong> erste Buddha (Vipassi), <strong>der</strong> vor 91 kappa (kalpa) lebte, zu einer<br />
<strong>Zeit</strong>, da die menschliche Lebensspanne 80 000 Jahre betrug; zu Gautamas, des siebenten<br />
Buddhas <strong>Zeit</strong>en war diese dann auf seine äußerste Grenze von 100 Jahren herabgesunken. 90<br />
Der Jainismus übertrifft selbst den Buddhismus noch an Größe und Vielfalt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>-<br />
Einheiten. Es gibt zahlreiche verschiedene Ausdrücke um <strong>Zeit</strong>abschnitte zu bestimmen.<br />
Diese beginnen mit dem „Moment“ (Samaya); das ist die Dauer, während welcher ein<br />
Atom sich bei langsamster Bewegung um seine eigene Länge fortbewegen kann. Die<br />
größte bekannte <strong>Zeit</strong>einheit <strong>der</strong> Jainas umfaßt immerhin eine Jahreszahl von nicht weniger<br />
als 77 Stellen. 91 Da den Jaina die Welt als ewig gilt, gibt es keine Schöpfung und keine<br />
Auflösung, bzw. fallen diese als nicht beachtenswert unter den Tisch. Sie setzen eine<br />
Abfolge von Weltaltern voraus, die ebenso wie in den Puranas, bei Manu, etc. von einem<br />
sehr guten zu einem sehr schlechten absteigen; nur sind es hier sechs Weltalter, vom gut-<br />
guten Weltalter (suÛamasuÛamË) über das gute (suÛamË), das gut-böse<br />
(suÛamaduÒÛamË), das bös-gute (duÒÛamasuÛamË), das böse (duÒÛamË) zum bös-bösen<br />
(duÒÛamaduÒÛamË) 92 . Hier kann nicht ausgeschlossen werden, daß die hinduistischen<br />
SandhyËs zu eigenen Weltaltern gemacht wurden um auf die 2x6 zu kommen. Das Ab-<br />
und Aufsteigen <strong>der</strong> sechs Weltalter entspricht auch sicher nicht zufällig <strong>der</strong> schrittweisen<br />
Atmung durch sechs <strong>der</strong> sieben hauptsächlichen feinstoffliche Zentren, wie sie in <strong>der</strong><br />
89 So wird durch die Verlängerung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>räume und damit verbunden <strong>der</strong> Anzahl <strong>der</strong> Inkarnationen das<br />
Leiden quantitativ ins unermessliche und unerträgliche gesteigert; dies soll den Praktizierenden dazu<br />
anspornen sein ganzes Gewicht auf den Ausstieg aus dem Kreis <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>geburten zu werfen und nicht<br />
etwa auf eine natürliche Dissolution des Kosmos (wie im Hinduismus) zu warten.<br />
90 Nach Eliade<br />
91 Sergius Golowin, Mircea Eliade, Josph Campbell: Die großen Mythen <strong>der</strong> Menschheit. Orbis Verlag,<br />
München 2002, p. 278<br />
92 Nach Frauwallner: Geschichte <strong>der</strong> indischen Philosophie. Bd. II, p 265<br />
38
yogischen Praxis Asiens von taoistischen, buddhistischen und hinduistischen Mystikern<br />
praktiziert wird.<br />
Im Gegensatz zum gängigsten hinduistischen Modell, wo dem dunkelsten <strong>Zeit</strong>alter<br />
unmittelbar ein goldenes folgt, kehren hier also die Weltalter in umgekehrt aufsteigen<strong>der</strong><br />
Weise wie<strong>der</strong>; es gibt keinen Bruch, keine Revolution, son<strong>der</strong>n ein gleichmäßiges Auf-<br />
und Abschwingen. Der Determinismus ist bei den Jainas stärker; eine Ähnlichkeit o<strong>der</strong><br />
sogar Gleichheit, nicht nur <strong>der</strong> Qualitäten <strong>der</strong> einzelnen einan<strong>der</strong> (in Auf- und Abstieg)<br />
entsprechenden <strong>Zeit</strong>alter wie im Hinduismus wird angenommen, son<strong>der</strong>n teilweise auch<br />
eine Wie<strong>der</strong>holung <strong>der</strong> gleichen konkreten Ereignisse, die durch bestimmte immer<br />
wie<strong>der</strong>kehrende Helden-, Propheten- und Herrscherfiguren geschichtlich verankert werden.<br />
39
Persien und <strong>der</strong> Weltenbaum<br />
In <strong>der</strong> mazdaistischen Religion Persiens erhält Zarathustra von Ahura Mazda den „Trank<br />
<strong>der</strong> Allwissenheit und schaut im Traum einen Baum mit vier Zweigen, von Gold, von<br />
Silber, von Stahl und von gemischtem Eisen“. 93 Ahura Mazda teilt ihm darauf mit, daß es<br />
sich hierbei um vier kommende <strong>Zeit</strong>alter handle. Reitzenstein spricht aber auch noch von<br />
einer Parallelfassung im avestischen Vohuman-YaÚt, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Baum sieben Zweige aus<br />
Metallen mit absteigendem Wert hat. 94<br />
Genaue Vergleiche mit an<strong>der</strong>en Systemen sind schwer zu ziehen, da darüber hinaus die<br />
<strong>Zeit</strong>alter in <strong>der</strong> immateriellen Welt - die als Wurzel des (auf dem Kopf stehenden) Baumes<br />
von Ahura Mazda geschaffen wurde – ihren Anfang haben und sich dort zu verlieren<br />
scheinen. Reitzenstein schiebt daher die Lehre von den sieben Weltaltern beiseite, indem er<br />
sie, mit den sieben Planeten korrelierend, als völlig an<strong>der</strong>es System betrachtet und nimmt<br />
die vier mazdaistischen Weltalter als die vier indischen Yugas, als Haupttradition, welche<br />
„die ganze Weltzeit bedeuten müßte“. Weiters läßt er diese persische Weltzeit in vier Teile<br />
von je 3000 Jahren zerfallen, die schon Theopomp bekannt gewesen wären. Schae<strong>der</strong><br />
zitiert aus einer arabischen Übersetzung des Avesta, wie <strong>der</strong> Bestand <strong>der</strong> Welt auf 12.000<br />
Jahre angesetzt ist und diese 3000 Jahre in <strong>der</strong> „Höhe“ verharrt, „ohne Anfechtung und<br />
Leiden“. 95 „Dann senkt sie sich in die Tiefe ... dann [nach weiteren 3000 Jahren; C.D.]<br />
drang Ahriman in sie ein, und nun traten Anfechtungen, Wi<strong>der</strong>streit und Vermischung des<br />
Guten mit dem Bösen ein“ 96 . Es handelt sich hier wohl um das gleiche Chaturyuga von 12<br />
000 Jahren, wie in Indien, mit <strong>der</strong> Ausnahme, daß die absteigenden Abschnitte sich in ihrer<br />
Länge nicht verkürzen.<br />
Der auf dem Kopf stehende Baum symbolisiert entwe<strong>der</strong> die in einem von oben<br />
kommenden Geschlechter in Form von Ästen, wie sie alle aus einem Stamm hervorgehen;<br />
o<strong>der</strong> aber er repräsentiert das, was die In<strong>der</strong> „Skambha“ nennen, den Weltenbaum. Bei<br />
93 Reitzenstein: Studien zum antiken Synkretismus... p. 45<br />
94 Ebenda<br />
95 Reitzenstein/Schae<strong>der</strong>: Studien zum antiken Synkretismus ... p. 234<br />
96 Ebenda<br />
40
diesem handelt es sich um einen weltweit auftretenden Archetyp; sehr dominant ist dieser<br />
etwa in <strong>der</strong> Edda als „Esche Yggdrasil“.<br />
De Santillana / von Dechend haben gezeigt, wie sich dieser Weltenbaum vorwiegend aus<br />
Himmelskoordinaten zusammensetzt 97 und so eine „imaginative Armillarsphäre“ bildet.<br />
Die Polachse und die vier Koluren stellen ein unsichtbares Gerüst dar, dieses wie<strong>der</strong>um<br />
repräsentiert ein Weltalter. Hierbei wird die Erde viereckig durch die in <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong><br />
Ekliptik aufgespannten Solstitien und Äquenoktien dargestellt 98 , <strong>der</strong> Himmel durch die<br />
zwei Pole. Am Ende eines Weltalters bricht nun das himmlische Gestell zusammen, und<br />
damit <strong>der</strong> Himmel, wobei Weltuntergänge in Form von Kataklysmen folgen können. Der<br />
Himmelspol verschiebt sich und ein neuer Polarstern muß gefunden werden.<br />
Das Gestell <strong>der</strong> Erde, welches um die Erdachse aufgespannt ist, schwimmt im Äther des<br />
Weltraums, dem „Urmeer“. Diesen Äther stellte sich die Antike nicht als leer vor, was er<br />
aus heutiger Sicht auch nicht ist, son<strong>der</strong>n als sehr feine Flüssigkeit - eben den Urozean.<br />
Darüber hinaus wurde alles, was sich unter dem Kreis des Äquators befindet, als Meer<br />
dargestellt - alles darüber als festes, bewohntes Land. Es handelt sich hier nicht<br />
notwendigerweise um Unkenntnis <strong>der</strong> Geographie, son<strong>der</strong>n spiegelt vielmehr die alte<br />
Kosmographie wie<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en Orientierung hauptsächlich nach Norden erfolgte. 99<br />
97 De Santillana / von Dechend: Die Mühle des Hamlet.<br />
98 ...als solche aber nicht für eine Scheibe gehalten!<br />
99 Beson<strong>der</strong>s deutlich nachvollziehbar etwa in China durch die Identifikation des Herrschers mit dem<br />
Polarstern und einer an diesem aufgehängte Astronomie.<br />
41
China – die Herrschaft des Himmelspols<br />
42<br />
Wenn das Unerwartete nicht erwartet wird, wird man es nicht<br />
entdecken, da es dann unaufspürbar ist und unzugänglich bleibt.<br />
(Heraklit v. Ephesos; DK 28)<br />
Eine Weltalterlehre eindeutig in China zu diagnostizieren fällt schwer, will man nicht auf<br />
buddhistische Importware und <strong>der</strong>en Mutationen zurückgreifen. Dennoch ist solch eine<br />
Lehre in unterschiedlichen Schichten indirekt vorhanden. Was die chinesische Mutation<br />
interessant und erwähnenswert macht, ist zuerst einmal die Tatsache, daß nicht wie in<br />
Indien bis Griechenland eine zyklische Sicht auf zeitliche Vorgänge dominiert, son<strong>der</strong>n<br />
diese sich oszillierend verhalten.<br />
Dies kann als geometrisch-psychologisches Problem aufgefaßt werden. So handelt es sich<br />
bei <strong>der</strong> chinesischen Vorstellung vom Oszillieren <strong>der</strong> Dinge und Energien zwischen Yin<br />
und Yang, den zwei Polen, um einen Theorienkomplex, <strong>der</strong> eng verbunden ist mit dem,<br />
was wir Okzidentalen unter Regulation verstehen – am Besten in einem<br />
Bewässerungssystem mit Deichen, Kanälen und Schleusen veranschaulicht.<br />
Es entbehrt jeglicher Absolutheit, kennt damit bis auf Ausnahmen keine Zerstörung und<br />
Auflösung in Pralayas; anstatt dessen wird in China generell eine Terminologie <strong>der</strong><br />
Umwandlung und Transformation bevorzugt. Immer wird ein ausgleichen<strong>der</strong> Pol<br />
mitgedacht und –empfunden. Indien und <strong>der</strong> von dort sich ausbreitende Buddhismus steht<br />
zu dieser Haltung in Wi<strong>der</strong>spruch. Hier liegt das Ab-solute schon in <strong>der</strong> geometrischen<br />
Vorstellung des (geschlossenen) Kreises, <strong>der</strong> ja auch als Modell für die Weltalterlehre gilt.<br />
Das (absolute) Zölebat, <strong>der</strong> in China als fremd empfundenen Buddhisten, ist eine<br />
praktische Ausformung dieser Differenz. Ebenso gibt es nicht den Gedanken einer creatio<br />
ex nihilo. Die Vorstellung einer Konjunktion aller Planeten am Beginn und Ende <strong>der</strong> Welt,<br />
die zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Han kurz aufleuchtete wird von Needham als untypisch bezeichnet und<br />
einem babylonischen Einfluß zugeschrieben.
Yü Hsi (4. Jh.), <strong>der</strong> als chinesischer Entdecker <strong>der</strong> Präzession <strong>der</strong> Äquinoktien gilt 100 , die in<br />
<strong>der</strong> Weltalterlehre eine markante Rolle spielen und sonst als Kreiselbewegung vorgestellt<br />
wird, wußte wohl Bescheid um die (scheinbare) kreisförmige Bewegung <strong>der</strong> Sterne um den<br />
Himmelspol, als er schrieb: „The luminaries are distributed, each persuing its own course<br />
like the high and low tides of the sea and its rivers, and like the thousands of living<br />
creatures which sometimes come out and sometimes hide away.“ 101<br />
Eine an<strong>der</strong>e zeitweise verbreitete Theorie erklärte die Jahreszeiten durch ein sich Auf- und<br />
Abbewegen <strong>der</strong> Erde entlang einer Himmelsachse. 102<br />
Eine Eigenständigkeit <strong>der</strong> chinesischen Astronomie und damit in gewisser Weise auch<br />
Kosmogonie gilt in vielen Punkten als erwiesen, wenn auch zeitweise ein Austausch mit<br />
dem Westen über die Seidenstraße gewiß gegeben war. So wußten die Chinesen von<br />
Anfang an zwischen selbsttätig strahlenden Himmelskörpern (yang) und den passiven, das<br />
Licht nur reflektierenden Körpern (Mond und Planeten – yin) zu unterscheiden. Die<br />
„Passivität“ des Mondes wurde in Europa hingegen erstmals durch Parmenides v. Elea<br />
behauptet, die <strong>der</strong> Planeten noch lange nicht wahrgenommen; ist ja auch ein<br />
Hauptindikator – die Ausbildung von ‚Phasen‘, beziehungsweise einer Sichel mit Schatten<br />
– welche mit freiem Auge nicht wahrzunehmen sind. Dies gelang 1609 erst Galilei nach<br />
<strong>der</strong> Erfindung des Fernrohrs. Giordano Bruno formulierte dann - angeregt durch die<br />
copernikanische Kosmologie – im Abendland den Gedanken von <strong>der</strong> Unendlichkeit des<br />
Universums sowie <strong>der</strong> Identität von Sternen und Sonne und schaufelte so wesentlich am<br />
Grab <strong>der</strong> europäischen Begrenzung des Kosmos durch die gewiß nicht wenig<br />
„materialistische“ Sphärentheorie.<br />
Im Kontext einer frühen empirisch und nach heutigen Maßstäben sehr wissenschaftlich<br />
betriebenen Geologie taucht in China sehr früh die Theorie von großen Kataklysmen auf.<br />
Der Neo-Konfuzianist Chu Hsi spricht in diesem Zusammenhang vom „Great Waste-Land<br />
100 Allerdings weist Needham darauf hin, daß diese wohl schon vor 2000 v. Chr. in China bekannt gewesen<br />
sein muß. Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 250<br />
101 Zitiert und übersetzt in Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 220<br />
102 Nach Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 224<br />
43
of the Generations“ 103 . Da in China keine eigentlichen Vulkane bekannt sind, handelt es<br />
sich ausschließlich um Kataklysmen im Zusammenhang mit dem Meer. Verschiedene<br />
versteinerte Muscheln und Fische werden schon Jahrhun<strong>der</strong>te vor je<strong>der</strong> europäischen<br />
Geologie gefunden und richtig gewertet. Die Geschichte eines Herrschers ist weit<br />
verbreitet, <strong>der</strong> um die Überschwemmung, Austrocknung und Erosion des Landes in großen<br />
Perioden wissend, Stelen immer in doppelter Ausfertigung errichten ließ. Eine auf <strong>der</strong><br />
Spitze eines Hügels aufgestellt, die an<strong>der</strong>e am Fuß des darunterliegenden Tales vergraben.<br />
Als Erklärung gab er an, daß <strong>der</strong>en Stellung zueinan<strong>der</strong> einmal vertauscht sein würde.<br />
Weit verbreitet ist auch <strong>der</strong> Terminus „sang thien“, <strong>der</strong> mit „Maulbeer-Hain“ übersetzt<br />
wird und ein Stück Land bezeichnet, das einmal von Meer bedeckt war o<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> sein<br />
wird. Damit im Zusammenhang steht <strong>der</strong> Mythos von den magischen Inseln des östlichen<br />
Meeres, welche man als mit dem platonischen Atlantismythos korrespondierend sehen<br />
kann. Von Bedeutung ist hier eine Ähnlichkeit, wenn die legendäre taoistische Heilige Ma<br />
Ku auf diese Insel zu einer Versammlung von Hsien-Unsterblichen reist, die an die<br />
indischen ‰Ûis o<strong>der</strong> die griechischen Götter <strong>der</strong> Vorzeit erinnern. Die oben erwähnte<br />
Unsterblichkeit ist hier wörtlich zu verstehen, wenn Ma Ku sagt, „Since I was last invited<br />
here I have seen that the Eastern Sea has turned into groves and fields. This change has<br />
occured three times ... It looks as if the sea will again be turned to mountains and dry<br />
land.“ 104<br />
China wußte also vor dem Kontakt mit dem Westen durch die Jesuiten sowohl von <strong>der</strong><br />
Präzession <strong>der</strong> Erdachse und damit dem „platonischen Jahr“ als auch von den großen<br />
geologischen Kataklysmen, die Meeresmuscheln versteinern und auf den Bergspitzen<br />
ablagern. Ob sie jemals beides zueinan<strong>der</strong> in Verbindung gebracht haben, bleibt <strong>der</strong><br />
Spekulation überlassen - also den Philosophen. Grundsätzlich zählen Theorien, wie schon<br />
vorhin erwähnt, generell nicht zu den Vorlieben des chinesischen Charakters; sie sind<br />
Empiristen, so lange es geht. Oft jedoch hat man den Einruck, daß solche (Theorien) aber<br />
sehr wohl implizit vorhanden, o<strong>der</strong> erkennbar sind, sie aber nicht ausgesprochen, nicht<br />
103 Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 598<br />
104 Ebenda p. 600<br />
44
formuliert werden – vielleicht, im taoistischen Sinne des wu wei, um nicht in den<br />
beobachteten Ablauf <strong>der</strong> Natur einzugreifen.<br />
Einen zarten Hinweis auf so etwas wie Weltalter liefern uns die in Zusammenhang mit <strong>der</strong><br />
Herrschaft sehr wichtigen Beobachtungen und Aufzeichnungen über den Himmelspol und<br />
seine Bahn, die durch die torkelnde Erdachse während ca. 26 000 Jahren beschrieben wird.<br />
Der Herrscher wurde mit dem jeweiligen Polarstern identifiziert. Letzterer wurde in <strong>der</strong><br />
langen <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> chinesischen Astronomie, die mindestens bis 3000 v. Chr. zurückreicht,<br />
mehrmals neu definiert. Von beson<strong>der</strong>em Interesse hierbei sind zwei „Barrieren“, die<br />
durch mehrere Sterne definiert, ein bestimmtes Kreissegment dieser Bahn des<br />
Himmelspols auf zwei Seiten begrenzen. 105 Die beiden Sterne am nördlichen Eintritt <strong>der</strong><br />
Bahn des Himmelspols werden „rechter und linker Türpfeiler“ genannt, <strong>der</strong> Raum<br />
dazwischen „Tor des purpurfarbenen Palastes“. Der ganze Kreissektor umfasst hierbei<br />
etwa ein Viertel bis ein Drittel einer vollständigen Kreisbewegung des Himmelspols.<br />
Nun war es durchaus üblich den Himmel in hsiu, in 28 Himmelshäuser einzuteilen, die zur<br />
Orientierung am Himmel verwendet wurden und auch in Beziehung mit den Provinzen des<br />
Reiches standen. Ungewöhnlich ist jedoch die Begrenzung <strong>der</strong> Bewegungs-Bahn des so<br />
bedeutenden Pols; beson<strong>der</strong>s, wenn man bemerkt, daß die <strong>Zeit</strong>, da er an <strong>der</strong> Eintrittsstelle,<br />
im Tor des purpurfarbenen Palastes 106 stand, ein Datum etwa 3000 v. Chr. markiert, das<br />
zumindest schon in Indien als Beginn des Kali Yuga 107 eine zentrale Stelle einnimmt. Der<br />
Austritt des Himmelspoles aus <strong>der</strong> Begrenzung <strong>der</strong> Barrieren erfolgt zu einer <strong>Zeit</strong>, wenn<br />
dieser beinahe genau mit γ - Cepheus 4000 n. Chr. zusammenfällt.<br />
105 Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3, p. 259 ff.<br />
106 Dieses ist <strong>der</strong> Eingang zum „purpurroten verbotenen Raum“ (Tzu wei yuan) und symbolisiert den<br />
Kaiserpalast. Definiert wird das Tor durch ι - Draconis auf <strong>der</strong> östlichen Seite <strong>der</strong> Barriere und α - Draconis<br />
auf <strong>der</strong> westlichen Seite. Es scheint (Needham zitiert E. Zinner: Geschichte d. Sternkunde. Springer, Berlin<br />
1931, p. 22), daß diese es waren, die von den Griechen als „Pflöcke des Poles“ bezeichnet wurden.<br />
107 Bei Éri YukteÛvar ist es <strong>der</strong> Beginn des DvËpara Yuga.<br />
45
Die Neuerschaffung <strong>der</strong> Sonne bei den indianischen Völkern<br />
Von allen alten Kulturen ist die <strong>der</strong> Maya wohl am meisten fasziniert und in Bann<br />
geschlagen von dem Phänomen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. In vielen Hieroglyphentexten <strong>der</strong> Maya begegnet<br />
man Berechnungen tief in die Vergangenheit zurück und auch weniger weiten Vorstößen<br />
in die Zukunft. Auf einer Stele in Quirigua ist ein vermutlich über 90 Millionen Jahre<br />
zurückliegendes Datum errechnet, auf einer weiteren eines, das über 300 Millionen vor<br />
dem Angegebenen liegt 108 . Thompson sagt, dass an diesen Berechnungen nicht zu zweifeln<br />
sei. Sie seien Ermittlungen von Tagen und Monaten und entsprechen Berechnungen aus<br />
unserem Kalen<strong>der</strong>. Nicht nur spielt Prädestination im Leben <strong>der</strong> Maya eine wichtige Rolle,<br />
son<strong>der</strong>n es begegnet einem oftmals das seltsame Unvermögen beziehungsweise die<br />
Weigerung, zwischen Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden, was als ein Merkmal<br />
für ein zyklisches Weltbild gelten mag.<br />
Stelen und Altäre wurden errichtet um den Ablauf <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu markieren und wurden am<br />
Ende einer Periode geweiht. Darüber hinaus wurden die Tage bei den Maya nicht nur von<br />
einem Gott beeinflußt, vielmehr ist er ein Gott o<strong>der</strong> richtiger ein Götterpaar, gebildet aus<br />
einer Zahl und einem Namen. In den <strong>Zeit</strong>abschnitten sahen die Maya Lasten, die von<br />
göttlichen Trägern durch alle Ewigkeit geschleppt wurden 109 . Diese Träger lösten sich<br />
immer wie<strong>der</strong> ab. Sie waren die Zahlen mit denen die verschiedenen Perioden bezeichnet<br />
wurden.<br />
Diese Last-tragenden Götter erinnern in vielen bildlichen Darstellungen durch ihre nach<br />
vorne gebeugte Haltung an Darstellungen des Kreuz-tragenden Christus. Wahrlich Götter<br />
für ein dunkles <strong>Zeit</strong>alter. Götter unter <strong>der</strong> Last <strong>der</strong> Welt-<strong>Zeit</strong>. Dies sind nicht mehr die<br />
Götter Homers, die mit <strong>der</strong> Materie spielen, sich zum Vergnügen in Delphine, Pferde o<strong>der</strong><br />
Wid<strong>der</strong> verwandeln - son<strong>der</strong>n den Menschen, <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> ausgelieferte Götter.<br />
Die Kombination <strong>der</strong> verschiedenen <strong>Zeit</strong>-Götter war es, die das Leben und die<br />
augenblickliche Geschichte bestimmten. Konnte man eine ähnliche Kombination in <strong>der</strong><br />
108 Thompson, J. Eric S.: The Rise and Fall of Maya Civilization. University of Oklahoma Press, Oklahoma<br />
1954; p. 23<br />
109 Thompson, p. 175<br />
46
dokumentierten Vergangenheit finden, so war man sicher, daß wie<strong>der</strong>um <strong>der</strong> gleiche<br />
Einfluß gleiche Ergebnisse zeitigen würde. Die Vorstellung, daß die Geschichte sich bei<br />
gleichen Einflüssen wie<strong>der</strong>holen würde, führte dazu, die Zukunft mit <strong>der</strong> Vergangenheit zu<br />
verwechseln und verstärkte die Vorstellung von einem zyklischen Weltbild. Der wichtigste<br />
Maßstab hierbei war <strong>der</strong> „Katun“, <strong>der</strong> aus 20 „Tun“ (zu 360 Tagen) bestand. Nach<br />
annähernd 257 Jahren (260 Tun) war <strong>der</strong>selbe Katun wie<strong>der</strong> erreicht und damit <strong>der</strong>selbe<br />
Einfluß <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>. Dieser Fatalismus wird von <strong>der</strong> Tatsache unterstrichen, daß weitaus mehr<br />
<strong>Zeit</strong>-Götter ungünstige Einflüsse ausübten, als günstige. Den absoluten Glauben an die<br />
Macht des Kalen<strong>der</strong>s machten sich zum Teil auch die Spanier zu Nutze. So zum Beispiel<br />
Andrés de Avendano, ein Franziskaner und Kenner des Maya-Kalen<strong>der</strong>s. Er konnte die<br />
Häuptlinge von Itza , einem <strong>der</strong> letzten Fürstentümer, das gegen die Spanier standgehalten<br />
hatte, überzeugen, daß nur noch vier Monate fehlten, bis zu dem <strong>Zeit</strong>punkt, da sie nach<br />
ihren Prophezeiungen das Christentum annehmen und sich <strong>der</strong> spanischen Krone<br />
unterwerfen würden.<br />
Das Wissen um die Harmonie des Universums und seine Herrscher war <strong>der</strong> Schlüssel zum<br />
„methodischen Leben“ 110 , einem <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>qualität angemessenen. Dazu wurde das kleinste<br />
gemeinsame Vielfache von zwei o<strong>der</strong> mehr dieser Zyklen ermittelt um voraus zu<br />
bestimmen, wann zwei o<strong>der</strong> mehr <strong>der</strong> göttlichen Träger zusammen den gleichen Rastplatz<br />
erreichen, um ihre Lasten zu übergeben.<br />
Eine Schil<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> vier <strong>Zeit</strong>alter haben wir durch Don Fernando de Alva Ixtlilxochitl<br />
(1568-1648), <strong>der</strong> als ein Nachkomme <strong>der</strong> letzten eingeborenen Herrscher <strong>der</strong>en Chronik<br />
verfaßte. Nach seiner Schil<strong>der</strong>ung entsprechen die vier <strong>Zeit</strong>alter den vier auch in<br />
Mittelamerika bekannten Elementen; so spricht er in chronologischer Reihenfolge von dem<br />
<strong>Zeit</strong>alter <strong>der</strong> Wassersonne, <strong>der</strong> Erdsonne, <strong>der</strong> Windsonne und <strong>der</strong> Feuersonne, wobei den<br />
jeweiligen „Sonnen“ Oberherrschaft über das entsprechende Weltalter zukommt. 111<br />
110 So nennt es Thompson; p. 180<br />
111 Es bleibt allerdings bis heute weitgehend offen, was mit dem Terminus „Sonne“ genau gemeint wurde. Da<br />
den unterschiedlichen Sonnen Qualitäten zugeordnet sind, reicht ein allgemeiner Hinweis auf Sonnenkulte,<br />
Sonnenverehrung, etc. hier nicht aus, bzw. hilft nicht den elementalen Unterschied deutlich zu machen.<br />
47
Beson<strong>der</strong>s dominant werden die zugeordneten Elemente aber immer erst gegen Ende des<br />
jeweiligen Weltalters, wo sie durch Entfaltung ihrer zerstörerischen Eigenschaften das<br />
Ende desselben herbeiführen. Durch sintflutartige Überschwemmungen, Erdbeben, Stürme<br />
und im letzten Weltalter alles verschlingende Flammen. Für die Indianermythen <strong>der</strong> höher<br />
zivilisierten als auch einfacher strukturierten Völker Amerikas folgte darauf immer wie<strong>der</strong><br />
eine Neuerschaffung <strong>der</strong> Welt, die ihre Samen jedes Mal aus in Höhlen o<strong>der</strong> auf Bergen<br />
überlebenden Stammeltern bezog. 112<br />
Wir wissen heute, daß die indianischen Sagen von <strong>der</strong> goldenen <strong>Zeit</strong>, die wie<strong>der</strong> kommt,<br />
und von den göttlichen Helden, die sie wie<strong>der</strong>bringen, nicht nur in den Hochzivilisationen<br />
von Mexiko und in den Anden tradiert wurden. Auch bei den Stämmen Nordamerikas gab<br />
es offensichtlich eine Fülle <strong>der</strong>artiger Sagen. Sie gewannen während <strong>der</strong> blutigen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen mit den weißen Einwan<strong>der</strong>ern an Kraft und wirkten sich bis in die<br />
Gegenwart auch politisch aus. Im Gegensatz zu den Vertretern <strong>der</strong> Europäischen<br />
Zivilisation glaubten viele <strong>der</strong> Häuptlinge, Schamanen und Dichter <strong>der</strong> Indianer nicht an<br />
Fortschritt, zumindest nicht in den grundlegenden Dingen des Lebens.<br />
Die 1890 blutig unterdrückte Geistertanz-Bewegung (Ghost Dance Movement) lehrte, daß<br />
schon vielfach in früheren <strong>Zeit</strong>en die einsamen Weiten durch mächtige Städte beherrscht<br />
und bevölkert wurden. Nichts als Ruinen seien von ihnen geblieben, und die Trümmer<br />
selber wurden nach und nach wie<strong>der</strong> zu Erde, die selber ewig jungfräulich bleibe.<br />
„Die vergänglichen Schöpfungen des Menschen haben keine Bedeutung; <strong>der</strong> große Geist<br />
muß sie nur anblasen, und sie sind nicht mehr! Dann werden die Kin<strong>der</strong> <strong>der</strong> Erde die Welt<br />
wie<strong>der</strong> in ihren Besitz nehmen. Die vergangenen <strong>Zeit</strong>en werden dann zu einer neuen<br />
Gegenwart! Erdbeben werden den Tag dieser Erneuerung verkünden, und die fast<br />
ausgerotteten Wildtiere, ... kommen zurück in unsere Welt, die <strong>der</strong> Große Geist ihnen<br />
ebenso geschenkt hat wie den Menschen.“ 113<br />
112 Parallelen zu Noah und an<strong>der</strong>en Sintflutsagen sind zur Genüge vorhanden, würden hier aber den Rahmen<br />
sprengen.<br />
113 Zitiert in Sergius Golowin, Mircea Eliade, Josph Campbell: Die großen Mythen <strong>der</strong> Menschheit. Orbis<br />
Verlag, München 2002, p. 279<br />
48
Ein wesentliches Element des goldenen <strong>Zeit</strong>alters in den mexikanischen Sagen ist <strong>der</strong> Gott<br />
Quetzalcoatl, was mit „gefie<strong>der</strong>te Schlange“ übersetzt wird. Er sei ein hoher Priester in<br />
Tula gewesen, <strong>der</strong> nach seinem Verschwinden als Verkörperung des gleichnamigen Gottes<br />
<strong>der</strong> Luft angesehen wurde. Seine Gestalt sei groß gewesen, seine Augen beson<strong>der</strong>s<br />
leuchtend, sein Bart lang und voll, die Haut hell (weiß). Zu seinen wesentlichsten<br />
Verdiensten – und denen seiner Gefährten - zählte unter an<strong>der</strong>em die Bekämpfung <strong>der</strong><br />
blutigen (Menschen-) Opferungen und das Lehren von friedlichen Künsten. Dieser Mythos<br />
von den hellhäutigen Zivilatoren war es dann auch, <strong>der</strong> Hernando Cortez half, das riesige<br />
Aztekenreich zu erobern, indem Cortez die Erwartungen bezüglich <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kehr<br />
Quetzalcoatls und seiner Begleiter aus dem Osten erfüllte. Hier zeigt sich <strong>der</strong> Mythos als<br />
so stark, imstande ein riesiges Reich zu lähmen und dem Untergang preiszugeben.<br />
Tatsächlich handelten die spanischen Eroberer im Sinne Quetzalcoatls und erfüllten<br />
gewissermaßen einen Teil des Mythos, als sie bei ihrer Eroberung und im Zuge <strong>der</strong><br />
Christianisierung den wuchernden Kult <strong>der</strong> Menschenopferung bei den Azteken<br />
unterbanden. Nicht erfüllen konnten die christlichen Eroberer jedoch die Erwartung <strong>der</strong><br />
aztekischen Stämme auf Frieden. Kukulkan, wie Quetzalcoatl bei den Maya genannt wurde<br />
hatte ohne Waffengewalt gehandelt.<br />
Vier (aztekische) <strong>Zeit</strong>alter werden im Codex Vatico Latinus folgen<strong>der</strong>maßen erläutert. 114<br />
Hierbei wird jeweils die genaue Dauer <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter mit 4008 Jahren <strong>der</strong> ersten Sonne<br />
(Matlactili), 4010 Jahren <strong>der</strong> zweiten Sonne (Ehecatl), 4081 Jahren <strong>der</strong> dritten Sonne<br />
(Tleyquiyahuillo) angegeben. Die vierte Sonne trat ihre Herrschaft etwa 3000 v. Chr. an.<br />
Wie<strong>der</strong>um sind die Weltalter hier Elementen zugeordnet, wobei aber die mittleren zwei im<br />
Vergleich mit Don Fernando de Alva Ixtlilxochitls Angaben vertauscht aufscheinen. So<br />
entspricht im Dresdner Codex dem ersten <strong>Zeit</strong>alter das Element Wasser, dem zweiten das<br />
Element Wind, dem dritten das Element Feuer und dem fünften, das auf den Namen<br />
Tzontliac, „schwarzes Haar“ getauft wurde, offenbar das Element Erde.<br />
114 Codex vatico latinus (Codex Vaticanus B 1972) – nach Gilbert/Cotterell p. 98<br />
49
Ein an<strong>der</strong>es Kulturdokument <strong>der</strong> Azteken, das die Verwüstung <strong>der</strong> Conquista überlebte, ist<br />
<strong>der</strong> Sonnenstein des Axayacatl. 1497 ließ ihn <strong>der</strong> sechste Herrscher <strong>der</strong> Azteken aus einem<br />
Basaltblock hauen. Er wiegt 24,5 Tonnen und weist eine Reihe von konzentrisch<br />
beschrifteten Kreisen auf. Als die Spanier Tenochtitlán eroberten, warfen sie den<br />
Sonnenstein aus dem Tempel auf den Hauptplatz und ließen ihn vergraben. Er wurde dann<br />
erst 1790 bei einer städtischen Ausgrabung wie<strong>der</strong> entdeckt. 115<br />
Der Text auf dem Sonnenstein läßt darauf schließen, daß die Erde schon vier <strong>Zeit</strong>alter<br />
durchlaufen habe. Hier ist eindeutig von fünf Weltaltern die Rede.<br />
Das Erste und am weitesten zurückliegende <strong>Zeit</strong>alter steht im Zeichen des Jaguargotts<br />
Ocelotonatiuh. Während dieser Sonne lebten von Göttern geschaffe Riesen, die aber<br />
schließlich von Jaguaren angegriffen und verschlungen wurden. Die Zweite Sonne steht im<br />
Zeichen des Schlangenkopfes von Ehecoatl, dem Windgott. Während dieser Sonne wurden<br />
die damals lebenden Menschen von Sturmwinden und Hurrikanen vernichtet und in Affen<br />
verwandelt.<br />
Im Zeichen von Tlaloc, dem Gott des Regens und des Himmelsfeuers steht die dritte<br />
Sonne. In diesem <strong>Zeit</strong>alter wurde die Welt durch vom Himmel fallenden Feuerregen und<br />
durch Lava vernichtet. Als alle Behausungen verbrannten wurden die Menschen in Vögel<br />
verwandelt um die Katastrophe zu überleben.<br />
Die vierte Sonne steht im Zeichen <strong>der</strong> Wassergöttin Chalchiuhtlicue und die Vernichtung<br />
<strong>der</strong>selben kam in Form von Wolkenbrüchen und Überschwemmungen. Berge versanken<br />
im Wasser, und die Menschen wurden in Fische verwandelt.<br />
Das Zeichen <strong>der</strong> fünften Sonne, unserer gegenwärtigen Epoche, ist das Gesicht Tonatiuhs,<br />
des Sonnengottes. Seine Zunge die als Obsidianmesser dargestellt ist, ragt hungrig aus dem<br />
Mund und signalisiert damit sein Verlangen nach Speisung in Form von Menschenblut und<br />
Herzen. Sein faltiges Gesicht veranschaulicht sein vorgerücktes Alter. Er erscheint im<br />
Symbol Ollin, das Bewegung bedeutet.<br />
In dieser dritten nun angeführten Auflistung findet sich die Ordnung nach Elementen nur<br />
mehr fragmentarisch wie<strong>der</strong>, ist eigentlich nur im zweiten, dritten und vierten Weltalter<br />
115 Zur <strong>Zeit</strong> im Museo Nacional de Antropologia y Historia in Mexico City<br />
50
identifizierbar, wo sie sich mit dem Dresdner Codex deckt, während Don Fernando und <strong>der</strong><br />
Dresdner Codex das unter dem Wasser stehende <strong>Zeit</strong>alter an den Beginn stellen.<br />
Hier ist allerding zum ersten Mal eine fünfte Sonne, ein fünftes <strong>Zeit</strong>alter erwähnt. Auffällig<br />
ist auch die mit dem Dresdner Codex übereinstimmende größere Länge des letzten<br />
<strong>Zeit</strong>alters, in welchem das letzte (dort ist es das vierte <strong>Zeit</strong>alter) schon mehr als 5000 Jahre<br />
währt, während auf dem Sonnenstein das höhere Alter <strong>der</strong> fünften Sonne gegenüber den<br />
vorhergehenden durch das greisenhafte Anlitz seines Gottes dargestellt wird.<br />
Gleich wie die Azteken glaubten die Maya, daß es vor ihrer eigenen Schöpfung noch<br />
an<strong>der</strong>e gegeben hatte, wir besitzen jedoch keine Angaben über die Vorstellung <strong>der</strong> Maya<br />
von <strong>der</strong> Dauer dieser Welten. Jedes mal schufen die Götter ein neues Menschengeschlecht,<br />
zuerst aus Ton und später aus Holz. Diese frühen Geschlechter erwiesen sich offenbar<br />
jedoch als unfähig, ihre Rolle zu erfüllen. Am Ende des zweiten <strong>Zeit</strong>alters wurden sie<br />
daher in Affen verwandelt.<br />
Die Maya hatten mehrere Kalen<strong>der</strong>. Der erste war <strong>der</strong> Tzolkin, <strong>der</strong> einen Zyklus von 260<br />
Tagen umfaßte, bestehend aus 13 Monaten zu je 20 Tagen. 20 Tage unter an<strong>der</strong>em<br />
deswegen, weil die Basis des Maya-Zahlensystems nicht zehn, son<strong>der</strong>n 20 war. Der<br />
Tzolkin hatte magisch-rituelle Bedeutung und wird noch heute von den Nachfahren <strong>der</strong><br />
Maya zu denselben Zwecken verwendet. Der zweite Kalen<strong>der</strong>, Haab entspricht unserem<br />
Sonnenjahr und bestand ebenso wie dieses aus 365 Tagen, aufgeteilt in 18 Monate von<br />
wi<strong>der</strong>um jeweils 20 Tagen, denen dann ein kurzer Monat von fünf Tagen folgte. Ihre<br />
Sonnen-Monate zählten die Maya von Null bis 19, beziehungsweise von Null bis vier. Bei<br />
<strong>der</strong> Beschreibung eines Datums gaben sie ihm zwei Namen; einen aus dem Tzolkin und<br />
einen aus dem Sonnenjahr. Durch die unterschiedliche Länge <strong>der</strong> Zyklen ergaben sich<br />
Kombinationen, die sich nur alle 52 Jahre wie<strong>der</strong>holten. Diese 52 Jahre wurden später von<br />
Historikern „aztekisches Jahrhun<strong>der</strong>t“ o<strong>der</strong> „aztekische Kalen<strong>der</strong>runde“ genannt; das<br />
Anbrechen eines neuen solchen „Jahrhun<strong>der</strong>ts“ war mit bestimmten Erneuerungen<br />
verknüpft. So wurde beispielweise Pyramiden eine neue Schicht hinzugefügt. 116 Zusätzlich<br />
gab es noch den sogenannten Long Count-Kalen<strong>der</strong>, <strong>der</strong> erst relativ spät an Hand des<br />
Dresdners Codex rekonstruiert werden konnte. In ihm bildeten 20 Tun (Jahre) ein Katun<br />
116 Der aztekische Kalen<strong>der</strong> basiert auf dem <strong>der</strong> Maya [C.D.]<br />
51
(7.200 Tage); 20 Katun bilden ein Baktun, welches ca 400 Jahre umfasst (144.000 Tage).<br />
13 Baktun (ca. 5125 Jahre) bildeten in <strong>der</strong> Regel eine „Sonne“, ein <strong>Zeit</strong>alter, das durch<br />
Zerstörung beendet wurde.<br />
In <strong>der</strong> Praxis des Codex Vaticanus, ein weiterer von wenigen vor den Zerstörungen <strong>der</strong><br />
Spanier geretteten Codices, sind die <strong>Zeit</strong>alter von abweichen<strong>der</strong> Länge, welche<br />
schrittweise zunimmt. Welches Muster hinter dieser Zunahme steckt ist nicht klar.<br />
Auffällig ist aber wie schon erwähnt das Ausbrechen <strong>der</strong> zeitlichen Ausdehnung des<br />
vierten <strong>Zeit</strong>alters gegenüber den an<strong>der</strong>en dreien.<br />
Das Vergehen <strong>der</strong> Sonne am Schluß eines <strong>Zeit</strong>alters findet sich ganz markant auch in <strong>der</strong><br />
Völuspá. Dort wird sie von einem Wolf o<strong>der</strong> einem „Ungeheuer“ verschluckt, nachdem sie<br />
noch vorher die neue Sonne, ihre Tochter aus sich erschaffen hat 117 . Der Fimbulwinter tritt<br />
ein, bis die neue Sonne herangewachsen ist und die Erneuerung des irdischen Lebens<br />
beginnen kann. Olrik weist auch darauf hin, daß die Vorstellung von einer Bedrohung <strong>der</strong><br />
Sonne durch vor allem Wölfe - <strong>der</strong> sie schlußendlich erliegen muß - ein nicht nur im<br />
indoeuropäischen Raum vorhandener Mythos ist.<br />
117 Nach Olrik: Ragnarök. p. 36 ff.<br />
52
Pralaya - Ragnarök<br />
Schwarz wird die Sonne, die Erde sinkt ins Meer,<br />
<strong>Vom</strong> Himmel schwinden die heiteren Sterne.<br />
53<br />
Glutwirbel umwühlen den allnährenden Weltenbaum,<br />
Die heiße Lohe beleckt den Himmel.<br />
(Völuspá 56)<br />
Mircea Eliade sieht die Weltuntergangs- und Weltauflösungsmythen Pralaya und Ragnarök<br />
als zusammengehörig an, als zwei Ausprägungen eines indoeuropäischen Mythos. 118 Als<br />
Abschluß von Zyklen sind sie auch für die Erfassung und Beurteilung <strong>der</strong> Weltzeitalter<br />
von Bedeutung, bilden sie doch nicht nur einen Abschluß in Form eines bloßen Übergangs,<br />
wie es beim SandhyË <strong>der</strong> Fall ist, son<strong>der</strong>n verkörpern in noch viel höherem Maße eine<br />
verdichtete Rückschau auf den vorangegangenen Zyklus, ordnen diesen in <strong>der</strong> Art eines<br />
Gerichts, um ihn darauf in einem dem Urteil und <strong>der</strong> Vollstreckung analogen Prozeß<br />
‚aufzulösen‘.<br />
Pralaya bedeutet generell die Auflösung von Formen und Rückführung ihrer Energie (und<br />
Materie) in eine amorphe Masse. So weist Shastry auf eine Bedeutung hin, in <strong>der</strong> „Pralaya“<br />
sehr bildlich als Auflösung (Schmelzen) von Eis und Schnee und den damit<br />
einhergehenden Überflutungen zu verstehen ist – also pars pro toto für die archaische<br />
Vorstellung von <strong>der</strong> Sintflut eingesetzt wird. 119<br />
Nach dem SÄrya SiddhËnta gibt es zwei große Welt-Auflösungen, die sich mit den<br />
puranischen Vorstellungen decken. Die eine am Ende eines Tages Brahmas, am Ende eines<br />
Kalpa, nach 1000 Chaturyugas, wenn alle Formen sich auflösen, nicht jedoch die Substanz<br />
<strong>der</strong> Welt. Dieses Pralaya wird im ViÛÙu PurËna „UpasanhÎti“ genannt. 120 Die zweite Art<br />
<strong>der</strong> Auflösung erfolgt am Ende des Lebens Brahmas 121 , erfaßt zusätzlich die Materie, und<br />
118 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 128 f<br />
119 Shastry: „Natural Cycles in the Solar System and the Chaturyuga Cycles“. p. 5<br />
120 ViÛÙu PurËna VI.1<br />
121 In den PurËnas wird diese <strong>Zeit</strong>spanne „para“ genannt
wird „MahË Pralaya“ o<strong>der</strong> „PrËkÎta Pralaya“ genannt. Dieses Paar kann mit Schlaf und<br />
Tod Brahmas bezeichnet werden. Generell besteht jedoch im Hinduismus die Tendenz,<br />
auch nach an<strong>der</strong>en Zyklen „Pralayas“ anzusetzen; dann erhält das Wort mehr die<br />
Bedeutung von „Dämmerung“ und nähert sich so <strong>der</strong> „Götterdämmerung“ an. Relevant<br />
wird dies, wenn es um die Frage geht, ob dem Kali Yuga ein aufsteigendes DvËpara Yuga<br />
folgen soll, o<strong>der</strong> ein neues Satya Yuga; in letzterem Fall liegt ein energetischer und<br />
qualitativer Sprung vor, <strong>der</strong> eine Überbrückung verlangt. Dies ist etwa dem (kurzen)<br />
Prozeß 122 einer Revolution zwischen zwei gesellschaftlichen o<strong>der</strong> politischen Systeme<br />
vergleichbar, die den Wechsel hervorruft und das Bindeglied im Raum-<strong>Zeit</strong> Kontinuum<br />
unseres Verstandes darstellt. Dieser Übergang muß notwendigerweise mehr sein, als nur<br />
ein SandhyË, wie es zwischen den einzelnen Yugas vorkommt.<br />
Die Theosophen unterscheiden ebenfalls klar zwischen mehreren Pralayas, die sie auch als<br />
„Perioden <strong>der</strong> Ruhe“ umschreiben; damit trennen sie nicht eindeutig zwischen Schlaf und<br />
Tod, da sie im Regelfall davon ausgehen, daß auch in den „Toden“ ein höheres Prinzip<br />
„hinübergeht“, also jeweils nur „nie<strong>der</strong>e Prinzipien“ vom Zerfall betroffen sind.<br />
So kategorisiert die Theosophie die folgenden hauptsächlichen Pralayas, neben denen noch<br />
mehrere kleinere bestehen; in den „individuellen“ Pralaya eines Globus, <strong>der</strong> ein mehr o<strong>der</strong><br />
weniger fein- bzw. grobstofflicher Teil eines Himmelskörpers (Planeten) ist, einen<br />
„planetarischen“ Pralaya, <strong>der</strong> am Ende des Lebens eines Planeten steht, einen „solaren“<br />
Pralaya, wenn das ganze System an sein Ende gekommen ist und schließlich einen<br />
„universalen“ Pralaya am Ende eines <strong>Zeit</strong>alter Brahmas. Auch zwischen <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong><br />
einzelnen „Rassen“, beson<strong>der</strong>s <strong>der</strong> „Wurzelrassen“, und den ihnen untergeordneten Yugas<br />
sind Pralayas vorhanden; sie sind hier aber mehr dem Schlaf vergleichbar, insofern, als das<br />
zelluläre Leben und die Funktionen <strong>der</strong> Organe in einem schlafenden Körper am Leben<br />
und in Tätigkeit bleiben und primär ein übergeordnetes Bewußtsein seinen Zustand<br />
verän<strong>der</strong>t.<br />
122 Hier muß dem ‚oberflächlichen Prozeß‘ <strong>der</strong> Revolution aber sehr wohl eine unterschwellige Dämmerung<br />
(SandhyË) zugestanden werden. Die Revolution beginnt zu Mittag eines neuen Tages. Es ist aber nicht durch<br />
ein plötzliches Emporschnellen <strong>der</strong> Sonne Mittag geworden, son<strong>der</strong>n durch das subjektive Verschlafen<br />
bestimmter maßgeblicher Bevölkerungsgruppen.<br />
54
Eine weitere Abstufungsreihe findet sich in <strong>der</strong> Geheimlehre 123 in dem „gelegentlichen<br />
o<strong>der</strong> zufälligen“ Pralaya (Naimitika), dem „elementalen“ Pralaya (PrËkritika), dem<br />
„absoluten“ Pralaya (Atyantika) und dem beständigen Pralaya (Nitya), die dort jedoch<br />
nicht weiter kommentiert werden.<br />
Jedenfalls wird offenbar zwischen zwei Arten unterschieden: In <strong>der</strong> ersten Kategorie von<br />
Pralayas lösen sich die nie<strong>der</strong>en einer aus mehreren Prinzipien bestehenden Lebensform in<br />
ihre Grundbestandteile auf, was etwa beim Atyantika- o<strong>der</strong> Nitya-Pralaya <strong>der</strong> Fall zu sein<br />
scheint; in <strong>der</strong> zweiten Kategorie handelt es sich um ein eher dem Schlaf vergleichbares<br />
Phänomen, wenn die nie<strong>der</strong>en Prinzipien in Tätigkeit bleiben und – umgekehrt zu ersterem<br />
Fall – die oberen Prinzipien ..., o<strong>der</strong> besser das obere Prinzip ausgetauscht wird, zumindest<br />
aber seine Bewußtseinsebene verlagert. Letzteres ist im Schlaf <strong>der</strong> Fall, ersteres dann,<br />
wenn neue Rassen in Erscheinung treten. So, wenn die neuen Einwan<strong>der</strong>er Amerikas, noch<br />
in den selben Körpern, sich auf dem neuen Kontinent innerlich verwandeln; in einem<br />
solchen Ausmaß, daß Blavatsky von <strong>der</strong> Grundsteinlegung einer neuen Wurzelrasse<br />
spricht. 124<br />
Ungewöhnlich konkret wird die Geheimlehre, wenn sie mit Verweis auf Quellen wie<br />
Seneca 125 und Plutarch 126 einen Pralaya in Form eines Weltenbrandes o<strong>der</strong> einer Sintflut an<br />
den Enden <strong>der</strong> si<strong>der</strong>ischen Jahre – die zugleich das Durchwan<strong>der</strong>n eines ganzen Tierkreises<br />
durch die Sonne darstellen – festsetzt, und sich dabei ausnahmsweise in einem <strong>der</strong><br />
abendländischen Geschichtsschreibung noch vorstellbaren Rahmen bewegt. 127<br />
123 GL II, p. 72<br />
124 GL II, p. 464<br />
125 Seneca: Quaestiones naturales. III, 29:1 ff.<br />
126 „But most important of all, out of a cloudless and clear air there rang out the voice of a trumpet,<br />
prolonging a shrill and dismal note, so that all were amazed and terrified at its loudness. The Tuscan wise<br />
men declared that the prodigy foretokened a change of conditions and the advent of a new age. For according<br />
to them there are eight ages in all, differing from one another in the lives and customs of men, and to each of<br />
these God has appointed a definite number of times and seasons, which is completed by the circuit of a great<br />
year.“ – (Plutarch [transl.: B. Perrin]: Parallel Lives. Loeb Classic Library Vol. IV, 1916; 7:3-4 [kursiv von<br />
mir])<br />
127 GL II, p. 712 f.<br />
55
Im Politikos 128 deutet auch Plato etwas wie ein Pralaya an: Zuerst dreht und bewegt Gott<br />
die Erde in die eine Richtung, dann entläßt er sie nach Ablauf einer bestimmten <strong>Zeit</strong> in die<br />
eigene Verantwortung – und nun wendet die Welt und dreht sich von selbst (metaphorisch<br />
o<strong>der</strong> auch wirklich) in die entgegengesetzte Richtung. Analog dazu herrschen zu Beginn<br />
(im goldenen <strong>Zeit</strong>alter) die Götter und Genien als Erzieher und Hirten <strong>der</strong> Menschen und<br />
Lebewesen - dann, nach <strong>der</strong> ‚Revolution‘, werden Menschen von Menschen beherrscht;<br />
letztere Tatsache setzt den Anfang für die Betrachtungen über den richtigen Staatsmann<br />
und begründet u.a. die Idee <strong>der</strong> Freiheit.<br />
Diese Richtungsän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt erinnert jedoch auch an die Umkehr <strong>der</strong> Werte im<br />
indischen Kali Yuga, wo ehemals schlechte Taten und Eigenschaften nun allgemein<br />
gebräuchlich sind und die untersten Kasten die Herrschaft antreten. In <strong>der</strong> altirischen<br />
Literatur finden sich die gesellschaftliche Umkehrung darin, daß Könige zu Landstreichern<br />
werden, „Edlinge“ erniedrigt und niedrig Geborene erhöht, etc. 129 So verkehren sich die<br />
Naturgesetze, die Jahreszeiten verlieren ihre Regelmäßigkeit. Im Liebeslied Kormaks ist<br />
von schwimmenden Felsen und aufwärtsfließenden Flüssen die Rede; in Nestors<br />
Russischer Chronik von einem Frieden zwischen Wladimir von Kiev und den Bulgaren „...<br />
bis das Gestein zu schwimmen und <strong>der</strong> Hopfen zu sinken anfängt“. 130 Wobei Nestor (bzw.<br />
Wladimir) und Kormak sicher nicht primär das Weltende im Sinn haben, jedoch zeigt die<br />
selbstverständliche Verwendung von Bil<strong>der</strong>n in denen die Naturgesetze auf den Kopf<br />
gestellt scheinen die grundsätzlich tiefe Verwurzelung <strong>der</strong> Vorstellung von einer Umkehr<br />
<strong>der</strong> Welt auch im Alltäglichen.<br />
Das Phänomen <strong>der</strong> Verkehrung wird jedoch auch konkret mit dem Ende <strong>der</strong> Welt in<br />
Verbindung gebracht, so etwa in dem alten nordischen Volkslied Svend i Rosensgaard, wo<br />
es heißt: „wenn <strong>der</strong> Rabe weiß und <strong>der</strong> Schwan schwarz ist, wenn die Fe<strong>der</strong> nie<strong>der</strong>sinkt<br />
und <strong>der</strong> Stein schwimmt, ... wenn wir das Meer brennen sehn, ... wenn wir das Ende <strong>der</strong><br />
Welt sehn.“ 131<br />
128 Politikos. 269a ff.<br />
129 Agallamh en dá Shuadh. ca 1150, zitiert und übersetzt in Olrik: Ragnarök. p. 32<br />
130 Zitiert in Olrik: Ragnarök. p. 46<br />
131 An<strong>der</strong>e Schlußzeilen aus Schweden und Finnland lauten „wenn das Gericht kommt“ o<strong>der</strong> „wenn die Welt<br />
vernichtet wird.“ - zitiert in Olrik: Ragnarök. p. 47<br />
56
Doch damit ist die Vorstellungsgrenze des Ragnarök noch keineswegs erschöpft. Das<br />
wesentliche ist nicht <strong>der</strong> Weltenbrand, das Versinken <strong>der</strong> Erde im Meer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> alles<br />
leben auslöschende Fimbulwinter; son<strong>der</strong>n eine an<strong>der</strong>e, viel ungeheuerliche Umkehrung.<br />
Nämlich das Motiv von <strong>der</strong> Sterblichkeit <strong>der</strong> bisher unsterblichen Götter.<br />
Diese stehen in einer letzten, das <strong>Zeit</strong>alter abschließenden großen Schlacht den Titanen<br />
und <strong>der</strong>en Verbündeten gegenüber. Dieses gewaltige Motiv ist nicht nur im nordischen<br />
Ragnarök zu finden, son<strong>der</strong>n hat auch einen keltischen Zweig, <strong>der</strong> im wesentlichen Punkt –<br />
dem Untergang <strong>der</strong> Götter – übereinstimmt. Die Kontinuuität <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>en und Gesetze wird<br />
teilweise wie<strong>der</strong> hergestellt, indem <strong>der</strong> Sieg <strong>der</strong> Titanen, wenn überhaupt, nur zum<br />
Phyrrussieg wird. Jedoch resultiert aus <strong>der</strong> Vorstellung von einer Endlichkeit <strong>der</strong> (alten) 132<br />
Götter und des (alten) Himmels ein tiefes Unbehagen, wenn <strong>der</strong> losgelassene Fenriswolf,<br />
wie Snorri berichtet, mit weit aufgerissenem Rachen, dessen Unterkiefer die Erde berührt<br />
und dessen Oberkiefer den Himmel, sich auf den einst allmächtigen Odin stürzt und ihn<br />
tötet; wenn in <strong>der</strong> Völuspá berichtet wird, wie Thor die Midgardschlange zwar bezwingen<br />
kann, aber selber nur neun Schritte von ihr entfernt stirbt und darauf die Toten die<br />
Menschenwelt verheeren. 133<br />
René Guénon vertritt die Ansicht, daß das Ende eines Zyklus immer einhergehe mit <strong>der</strong><br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Opposition <strong>der</strong> vorherrschenden Strömungen desselben und dem<br />
Zurückweisen bisheriger Werte. Etwa vergleichbar ist dieser Prozeß mit einem<br />
tiefenpsychologischen Vorgang, <strong>der</strong> Aufarbeitung aller verdrängter, nicht ausgelebter<br />
Energien.<br />
Ein Abglanz von den ‚Verkehrungen‘ findet sich in <strong>der</strong> Erwähnung physikalischer und<br />
geologischer An<strong>der</strong>sartigkeite, die im China <strong>der</strong> frühen Han-<strong>Zeit</strong> thematisiert werden. So<br />
wird von <strong>der</strong> fernen im äußersten Nordwesten gelegenen Reichsgrenze von Phänomenen<br />
wie Treibsand (lin sha) und „schwachem Wasser“ (jo shui) berichtet. Hier handelt es sich<br />
um einen vergleichbaren (psychologischen) Effekt, ein Zusammenbrechen <strong>der</strong> vertrauten<br />
132 Es wird jedoch zugestanden, daß ein neues Geschlecht von Göttern in einer neuen <strong>Zeit</strong> und einer neuen<br />
Welt ersteht. Vidar tötet in <strong>der</strong> Schlacht den schrecklichen Fenriswolf und rächt so seinen Vater Odin. Er<br />
wird <strong>der</strong> neue König <strong>der</strong> Götter.<br />
133 Olrik: Ragnarök. p. 52 ff.<br />
57
Welt und Gesetze, wenn dort – am Ende <strong>der</strong> chinesischen Welt – das Wasser des Westens<br />
zu schwach ist Holz zu tragen. Kuo Pho (300 n. Chr.) spricht gar davon, daß nicht einmal<br />
die Fe<strong>der</strong> einer wilden Gans darauf schwimmen kann, ohne sofort zu versinken.<br />
Daß <strong>der</strong> Treibsand, in dem Pferde, Kamele, ganze Wagen und hun<strong>der</strong>te (!) von Soldaten<br />
verschwanden 134 , wirklich existiert, gleich wie das „schwache Wasser“ vielleicht in Form<br />
von Petroleumseen o.ä. vorhanden war, tut <strong>der</strong> Sache keinen Abbruch, verschwimmen<br />
doch an <strong>der</strong> Grenze Vorstellung und Wirklichkeit ineinan<strong>der</strong>.<br />
Ebenso markierten die Sintflut und <strong>der</strong> Weltenbrand, heute geologische Kataklysmen, den<br />
Übergang zum Pralaya, machen die Grenze wahrnehmbar. Im Dualismus <strong>der</strong><br />
mittelalterlichen Scholastik wird diese Grenze erfahrbar in <strong>der</strong> Vorstellung vom Ende <strong>der</strong><br />
Welt, wo die Wasser des diese umgebenden „Oceanus“ jäh in einen (dunklen) Abgrund<br />
stürzen. Gemeinsam ist den zeitlichen und geographischen Grenzen o<strong>der</strong> Pralayas das<br />
Moment einer subjektiven Verdunklung, die objektiviert wird; indem nämlich das, was<br />
dahinter kommt, nicht schlicht terra incognita sein kann, unbekanntes aber grundsätzlich<br />
erforschbares Land, son<strong>der</strong>n einer an<strong>der</strong>en Ebene angehören muß. In <strong>der</strong> ‚zeitlichen‘<br />
Ausformung des Pralaya ist es keineswegs nur <strong>der</strong> apokalyptische Schleier <strong>der</strong> fernen<br />
Zukunft, <strong>der</strong> uns Okzidentalen zuerst in den Sinn kommen mag, wenn von einer Grenze<br />
<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> die Rede ist; Vielmehr ist ebenso die Möglichkeit eines (beinahe) völligen<br />
Verschwindens von zumindest Teilen <strong>der</strong> Vergangenheit zu denken, wie <strong>der</strong> mytische<br />
Mensch es viel stärker tat, indem er sich die Kataklysmen als Auslöschen aller Spuren<br />
vorstellte. Wir sind heute nicht mehr so besessen von <strong>der</strong> Reinheit einer neuen Welt und<br />
glauben mit immer feineren Mitteln in immer tieferen Erd- und Gesteinsschichten wenn<br />
nicht heute, dann bald schon jegliche ‚Vergangenheit‘ rekonstruieren zu können.<br />
In seinem Buch über den „König <strong>der</strong> Welt“ geht Guénon auch auf die komplexe<br />
Verschachtelung <strong>der</strong> unterschiedlichen Zyklen innerhalb eines Manvantaras ein; diese<br />
Subzyklen sind teilweise regionaler Art, ebenso wie <strong>der</strong>en Übergänge in einan<strong>der</strong>, <strong>der</strong>en<br />
Sandhis und Pralayas.<br />
134 Nach Shen Kun: Mêng Chhi Pi Than. 11. Jh.; zitiert in Needham: Science and Civilisation in China. Bd. 3,<br />
p. 607<br />
58
Als eines dieser Pralayas identifiziert er die biblische Sintflut und macht auf einen<br />
interessanten symbolischen Aspekt aufmerksam:<br />
„Die Arche schwimmt auf dem Meer <strong>der</strong> unteren Wasser, <strong>der</strong> Regenbogen erscheint im<br />
Augenblick <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> Ordnung aller Dinge ‚in <strong>der</strong> Wetterwolke’, das heißt<br />
in den Bereichen <strong>der</strong> oberen Wasser. Es handelt sich also um eine vollkommene<br />
Entsprechung, das heißt beide Erscheinungen ergänzen sich gegenseitig: Die konvexe<br />
Form <strong>der</strong> Arche ist nach unten gewendet, <strong>der</strong> Regenbogen nach oben. Die Verbindung <strong>der</strong><br />
Hälften stellt eine Kreisform o<strong>der</strong> einen vollkommenen Zyklus dar.“ 135<br />
Dieser Beobachtung folgend kann man das „Pralaya“ <strong>der</strong> Sintflut hier auch als<br />
Vollendung, als Schließen des Kreises eines Zyklus o<strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alters sehen; hier die<br />
Synthese <strong>der</strong> Formen <strong>der</strong> „oberen“ und „unteren“ Wasser.<br />
Dabei enthält dieses Bild noch den zusätzlichen Aspekt, dass sowohl die Arche den Keim<br />
zu allem neuen Leben enthält – hinüber gerettet aus <strong>der</strong> alten Welt – als auch <strong>der</strong><br />
Regenbogen alle Farben des weißen Lichtes einschließt. Es entsteht hier ein Bild des<br />
keimhaften Hinübergehens. Im selben Buch weist Guénon auf ein verwandtes Phänomen<br />
des Hinübergehens hin: Es handelt sich um das im Hebräischen und Arabischen<br />
gebräuchliche Wort „Luz“ und die damit verknüpfte Lehre. Die erste Bedeutung von Luz<br />
ist „Mandel“ o<strong>der</strong> „Mandelbaum“. Eine weitere Bedeutungen ist „Kern“, und in einem<br />
spezifischen Sinne ein kleiner Knochen am Ende <strong>der</strong> Wirbelsäule, <strong>der</strong> für unverweslich<br />
gehalten wird und als Verbindung <strong>der</strong> Seele mit <strong>der</strong> physischen Welt bleibt, bis zum Tag<br />
<strong>der</strong> Auferstehung.<br />
In ähnlicher Weise, bildet die Arche den unsterblichen Kern <strong>der</strong> alten Zivilisation. Dieser<br />
Kern ist vergleichbar mit den physischen Resten von Form und Materie, welche die<br />
Pralayas überdauern, und als Keime in neue <strong>Zeit</strong>alter hinüber gehen.<br />
135 p. 86 <strong>der</strong> von Ursula v. Mangoldt revidierten deutschen Übersetzung<br />
59
Kristallisation <strong>der</strong> Systeme und Vergleiche<br />
Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />
60<br />
„O<strong>der</strong> weißt du nicht, Asklepios, daß Ägypten das Abbild des<br />
Himmels ist o<strong>der</strong>, was <strong>der</strong> Wahrheit mehr entspricht, daß hierher<br />
all das, was es im Himmel an Lenkung und Aktivitäten gibt,<br />
übertragen und herabgeführt wurde? Und wenn man es noch<br />
richtiger sagen soll, ist unser Land <strong>der</strong> Tempel <strong>der</strong> ganzen Welt.“<br />
(Corpus Hermeticum)<br />
Im Goldenen <strong>Zeit</strong>alter fährt einem nicht die U-Bahn vor <strong>der</strong> Nase weg . Sie kommt in dem<br />
Moment wo man den Bahnsteig betritt. Alles ist im Fluss, jede Handlung ein<br />
fortwährendes Gleiten. Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter besitzt die bewegte Statik des Surfens.<br />
Das Goldene <strong>Zeit</strong>alter, wie es in seiner Absolutheit im indischen Mythos dargestellt wird,<br />
ist so für die meisten von uns gar nicht vorstellbar o<strong>der</strong> annähernd faßbar. Wenn wir dieses<br />
System gedanklich akzeptieren, können wir das daraus zuordnen, was zu unserer <strong>Zeit</strong> zu<br />
passen den Anschein hat; das sind vornehmlich die Attribute des Kali Yuga, vielleicht die<br />
des Dvapara Yuga. So, wie vielleicht ein Affe ein Automobil das erste mal wahrnimmt<br />
anhand <strong>der</strong> Merkmale, die ihm vertraut sind. Das kann die (schnelle) Fortbewegung sein,<br />
die Begrenzung auf die Erde (kann we<strong>der</strong> fliegen, noch auf Bäume klettern),<br />
möglicherweise eine Zuordnung von Augen, etwas Lenkendem/Denkendem (Fenster und<br />
Gesichter dahinter 136 ). Was <strong>der</strong> Affe ahnt ist ein innerer Antrieb, ein Organismus (Raubtier,<br />
Pflanzenfresser ...), <strong>der</strong> ihm beispielsweise durch das Heben des Motorraumdeckels gezeigt<br />
wird. Er wird aber den Motor und die ihn umgebenden Eingeweide an<strong>der</strong>s ansehen als wir<br />
– eben mit einem an<strong>der</strong>en Bewußtsein.<br />
136 Gesichter und damit Menschen in Fahrzeugen werden von Säugetieren, wie etwa Löwen und Elephanten<br />
‚als mit dem Fahrzeug eins‘ wahrgenommen.
Kurz gesagt, Erkenntnis ist bedingt durch eine erreichte o<strong>der</strong> erreichbare Bewußtseinsstufe.<br />
Das ist die Hypothese, die im System <strong>der</strong> indischen Yugas und im anachronistischen<br />
Denken Evolas impliziert sind. Daher, die Yugas stellen wesentlich<br />
Bewußtseinsunterschiede dar. Es folgt daraus, daß gegenwärtig eine ‚Anbetung‘ des<br />
Goldenen <strong>Zeit</strong>alters möglich sein kann – im Sinne eines ‚sich-Richtens‘, eines ‚sich-<br />
Magnetisierens‘; Man kann den Pol wahrnehmen durch die Nadel, die auf ihn hinweist,<br />
aber es ist (noch) nicht möglich ihn zu erreichen; noch liegt er unter Eis o<strong>der</strong> zu hoch am<br />
Himmel – auf jeden Fall zu fern. Nicht möglich ist im Kali Yuga eine genaue Vorstellung,<br />
ein Wissen (vom Satya Yuga ebensowenig wie ein allgemeines, objektives, los-gelöstes).<br />
Der Umkehrschluß ist – immer noch innerhalb des indischen Systems – möglich, daß wenn<br />
wir uns im Satya Yuga befänden, dies mit Sicherheit wüßten. Polarität: im Satya Yuga<br />
wissen wir alles, erfahren nichts – im Kali Yuga erleiden/erfahren wir alles und wissen<br />
(‚sehen‘) nichts 137 .<br />
Eliade sagt: „The perfect man of the KÎta Yuga incarnates the cosmic and consequently the<br />
moral norm. His existence is exemplary, archetypal.“ 138<br />
Das Satya Yuga repräsentiert die höchste Manifestation <strong>der</strong> irdischen Einheit. „Man hatte<br />
nur ein Streben, eine Sitte, eine Weise des Denkens. (...) einem Gott anhängend, mit<br />
demselben Gebet ... nach einem Veda sich richtend und einer Vorschrift nachlebend ...<br />
erreichten sie ... das höchste Ziel.“ 139<br />
Man muß aber – und das wird meist vernachlässigt – unterscheiden zwischen einem<br />
vergangenen und dem kommenden, neuen goldenen <strong>Zeit</strong>alter. Obschon das Goldene<br />
<strong>Zeit</strong>alter essentiell perfekt ist, ja Perfektion auch verkörpert, innen wie außen – so ist es<br />
immer die Perfektion eines bestimmten Aspekts, die Verkörperung findet; und <strong>der</strong><br />
anschließende Fall ist nicht nur die beklagenswerte Vertreibung aus dem Paradies, son<strong>der</strong>n<br />
137 = ‚nichts sicher‘; das meint, wir glauben etwas zu wissen. Es handelt sich um ein Scheinwissen, das – aus<br />
<strong>der</strong> Sicht des Satya Yuga nicht etwa ein Teilwissen ist, son<strong>der</strong>n im absoluten Sinne gar kein Wissen.<br />
138 Eliade, Mircea: „Time and Eternity in Indian Thought“ in Hari Shankar Prasad: Time in Indian<br />
Philosophy.<br />
139 MahËbhËrata V.11234; (Übers. in Roth: Abhandlung über die fünf Menschengeschlechter bei Hesiod ...)<br />
61
ein notwendiger Übergangsprozeß um in die neue Perfektion eines neuen Goldenen<br />
<strong>Zeit</strong>alters unter <strong>der</strong> Herrschaft eines neuen Aspekts zu gelangen. Das durchdringend zu<br />
verstehen ist wohl nicht möglich. Es zu begreifen wohl auch nicht, solange uns die <strong>Zeit</strong><br />
nicht stillsteht. Aber wir sehen den Ansatz und erfahren den Wechsel, wie wir eine<br />
Landkarte betrachten, in <strong>der</strong> die <strong>Zeit</strong> und ihre Qualität vor uns ausgebreitet darliegen, in<br />
Hügeln, Tälern, Ebenen und dem Meer<br />
Die Reste <strong>der</strong> alten Kulturen dürfen nicht zum Ziel unserer Aufmerksamkeit werden. Die<br />
alte Statik, die Jaspers und an<strong>der</strong>e seiner <strong>Zeit</strong> als das „ewig Asiatische“ charakterisiert<br />
haben, als die „... despotische Form des Daseins, die Geschichtslosigkeit und<br />
Entscheidungslosigkeit, die Stabilisierung des Geistes in Fatalismen“ 140 , darf nicht Ziel<br />
werden, ja nicht einmal Vorbild. Es besteht die Möglichkeit - aus <strong>der</strong> Sicht eines<br />
(vermuteten) Dunklen <strong>Zeit</strong>alters die hohe Wahrscheinlichkeit - daß die metaphysische<br />
Essenz eines Goldenen <strong>Zeit</strong>alters etwas noch ganz an<strong>der</strong>es sein könnte, als wir<br />
gegenwärtig 141 wahrnehmen und annehmen können. Hier müssen wir die Bescheidenheit<br />
aufbringen können, eine Grenze bis zu einem gewissen Grad als gegeben anzunehmen,<br />
wenn wir das System wirklich, das heißt von innen heraus 142 erforschen wollen. Allenfalls<br />
zur groben Orientierung in ein mögliches neues Satya Yuga verwendbar bleiben<br />
Merkmale, die allen Lehren von <strong>der</strong> goldenen <strong>Zeit</strong> eigen zu sein scheinen und damit<br />
möglicherweise auch allen Goldenen <strong>Zeit</strong>altern. Diese mögen etwa generelle<br />
Eigenschaften sein, wie Zuwachs an Wissen, Einheit, ethische Vollkommenheit, „Licht“,<br />
Beständigkeit (Statik), etc. - ein Destillat aus vormals speziellen Qualitäten verschiedener<br />
Quellen.<br />
Der Aspekt <strong>der</strong> Beständigkeit (Statik) scheint uns dabei die größte Versuchung für die<br />
projektierende Vorstellungskraft zu bergen; in <strong>der</strong> Hinsicht nämlich, als es von <strong>der</strong><br />
bewußtseinsmäßig gefaßten Größe eines Systems abhängig ist, ob es statisch o<strong>der</strong><br />
dynamisch erscheint.<br />
140 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p.96<br />
141 ... unter <strong>der</strong> Prämisse, daß wir uns historisch nicht in einem goldenen Weltalter befinden<br />
142 ... also nicht etwa psychologisierend von außen und oben herab, in gewissem Sinne kolonialistisch und mit<br />
spitzen Fingern – uns in das System hinein-denken, hinein-springen.<br />
62
So kann ein Flugzeugkonstrukteur den Flugzeugkörper als statische Einheit betrachten und<br />
„berechnen“, solange er nicht wesentlich über dessen Grenzen hinausgeht. Ein zusätzlich<br />
notwendiger Schritt, <strong>der</strong> ihn vom gewöhnlichen Architekten unterscheidet, liegt im<br />
notwendigen Erweitern des räumlichen Horizonts und damit in <strong>der</strong> Relativierung <strong>der</strong><br />
Grenzen <strong>der</strong> Statik bezüglich des Flug-körpers. Theoretisch bedeutet das ein Überschreiten<br />
einer Bewußtseinsdimension in eine neue, nämlich die Annahme eines zusätzlichen<br />
dynamischen Aspekts in dem vorher als statisch betrachteten Fluggerät. 143 In <strong>der</strong> Praxis<br />
wird auf einer mathematisch höheren Berechnungsebene <strong>der</strong> Flugkörper zusätzlich<br />
aerodynamischen, schwingungsdynamischen, elektromagnetischen, usw. Designkriterien<br />
unterzogen.<br />
Auf ein globales Modell eines goldenen <strong>Zeit</strong>alters bezogen, ist es daher notwendig die<br />
generelle statische Eigenschaft einer näheren Betrachtung bezüglich ihrer Ausdehnung zu<br />
unterziehen. Diese aber kann – unter <strong>der</strong> Prämisse des Aufsteigens o<strong>der</strong> Absteigens eines<br />
gesamten Chaturyugas innerhalb eines noch größeren Zirkels, o<strong>der</strong> einer noch größeren<br />
linearen Entwicklung – von Satya Yuga zu Satya Yuga Schwankungen unterworfen sein<br />
und das Vergleichsbild verzerren, also eine 1:1 Betrachtung verunmöglichen.<br />
Dieser Effekt gilt generell für alle Eigenschaften aller <strong>Zeit</strong>alter, tritt aber in dem Aspekt<br />
des „Statischen“ am deutlichsten hervor. So ist durchaus auch eine Abweichung <strong>der</strong><br />
Bedeutung, ja <strong>der</strong> Essenz selbst des Guten o<strong>der</strong> des Bösen (Schlechten) von Satya Yuga zu<br />
Satya Yuga und Kali Yuga zu Kali Yuga möglicherweise verschieden; abhängig in<br />
welchen und vor allem wie großen Kontext diese Kategorien gebettet sind.<br />
Dieser Gedanke ist natürlich nur dem ‚Opportunisten‘ möglich, <strong>der</strong> gut und böse nicht<br />
absolut setzt, son<strong>der</strong>n fähig ist, sich in den verschiedenen Ebenen – auch <strong>der</strong> Ethik – zu<br />
bewegen und zu gewichten; wie etwa (optisch) „hell“ auf <strong>der</strong> Erde eine an<strong>der</strong>e Bedeutung<br />
haben muß, als auf <strong>der</strong> Sonne selbst, wo unser „hell“ dort „dunkel“ erscheint. 144 Unser<br />
143 Vergleiche hiezu Ouspenskys Beschreibungen ein- und mehrdimensionaler Wesen, bzw seine<br />
Betrachtungen über Dimensionen und ihre Grenzen in Tertium Organum.<br />
144 So beschreibt etwa das Sefer Yetzirah neben den üblichen physikalischen Dimensionen von Raum und<br />
<strong>Zeit</strong> („A depth of beginning / a depth of end ... A depth of above / a depth of below ... etc.“) in <strong>der</strong> selben<br />
Form eine Dimension von gut und böse („A depth of good / a depth of evil“) und läßt dieser moralischen<br />
Dimension ebenfalls eine Ausdehnung, eine Tiefe zukommen. Diese fünfte Dimension besteht aus Ebenen<br />
<strong>der</strong> Moral. Konkreter: Eigenschaftsschichten, die möglicherweise mit einer Zu- o<strong>der</strong> Abnahme <strong>der</strong> Dichte<br />
63
‚Opportunist‘ ist aber nicht als ohne „Wertesystem“ lebend zu verstehen, noch als<br />
Hedonist, son<strong>der</strong>n im evolanischen Sinn als „vertikaler Mensch“. Das besagt nicht viel<br />
mehr, als ein Werkzeug in sich zu tragen (es vielleicht zu sein), das fähig ist, sich auf ein<br />
oben, einen Himmelspol auszurichten, sich zu magnetisieren.<br />
Kali Yuga - Das dunkle <strong>Zeit</strong>alter und René Guénon<br />
„So folgt, so hungerheiß, die Wölfin nicht,<br />
Durch Wäl<strong>der</strong>, die <strong>der</strong> Schnee bedeckt, <strong>der</strong> Beute,<br />
Die sich ihr Auge grimmig auserkor,<br />
Als sie, durch unsre Schlachtreihn, dem Achill.“<br />
64<br />
(Kleist: Penthesilea)<br />
Die dunkle <strong>Zeit</strong> vermag sich selbst nicht zu begreifen. Sie nimmt den fernen Lichtschein<br />
<strong>der</strong> Vergangenheit war und ahnt die hellere Zukunft.<br />
Das wesentlichste Merkmal des Kali Yuga ist das Umhertappen im Dunkeln, die<br />
Verwirrung, Irrlichter und Schatten ehemaliger Wahrheiten und Tugenden, die nicht mehr<br />
o<strong>der</strong> fast nicht von Falschheit und Lastern zu unterscheiden sind. Dies ist das Konzept des<br />
dunklen <strong>Zeit</strong>alters. Es ist heute mehr eine Frage <strong>der</strong> Entscheidung als eine Frage des<br />
Abwägens, ob man sich in dieser dunklen Welt befindet o<strong>der</strong> an einem ihre Übergänge;<br />
klar ist nur, daß es nicht das Goldene <strong>Zeit</strong>alter sein kann, in dem wir uns aufhalten. 145<br />
Kali - eigentlich die mit einem Punkt markierte Verliererseite eines Spielwürfels<br />
bezeichnend - wird auch mit KËlÌ, <strong>der</strong> Gattin Éivas identifiziert. Kali transzendiert die <strong>Zeit</strong><br />
(kËla). Der neue Zyklus nach dem 'verlorenen' <strong>Zeit</strong>alter wird nicht von einer Inkarnation<br />
von Materie in Zusammenhang stehen. (Aryeh Kaplan [Hrsg.]: Sefer Yetzirah, The Book of Creation. [1990]<br />
revised Ed. Samuel Weiser Inc., York Beach/ME 1997)<br />
145 <strong>Zeit</strong>en und (Gedanken-) Formen werden in <strong>der</strong> indischen Philosophie oft als „lokas“, als Orte aufgefasst<br />
und verbildlicht. Das entspricht bis zu einem gewissen Grad <strong>der</strong> Physik des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts und dannach,<br />
die <strong>Zeit</strong> als vierte Dimension auffaßt, zeitliche Ereignisse - zumindestens mathematisch - statisch betrachtet<br />
und dingfest gemacht werden können.
Brahmas (des Schöpfergottes), son<strong>der</strong>n von Kalki, einem Avatar ViÛÙus (des Welt-<br />
Erhalters) eingeleitet. Diese Tatsache spricht für das Modell einer Restauration mit<br />
aufsteigenden Yugas und gegen einen völligen Neubeginn am Ende <strong>der</strong> ersten vier Yugas -<br />
zumindest für das Ende des hier konkretisierten Kali Yugas.<br />
Befindet man sich nun völlig in diesem dunklen <strong>Zeit</strong>alter, ist die Verwirrung vollkommen.<br />
Befindet man sich in einem <strong>der</strong> Übergänge - sofern Fall und Aufstieg nicht als plötzlich<br />
eintretend angenommen werden - besteht diese Konfusion immer noch teilweise.<br />
Entscheidend ist, daß nicht nur die Erkenntnisse getrübt sind, son<strong>der</strong>n auch das (die)<br />
Erkenntnisvermögen. Folglich existiert Sicherheit bezüglich Wahrheit, Reinheit, Tugend,<br />
Stellung - also dem Aufenthaltsort in irdischem und metaphysischen Sinne - wenn, nur im<br />
Goldenen <strong>Zeit</strong>alter o<strong>der</strong> Satya Yuga. 146<br />
Somit stellt das Kali Yuga einen Teufelskreis im erkenntnistheoretischen Sinne dar. Wie in<br />
einem schwarzen Loch sind die Dinge, Lehren und Gedanken dazu verdammt um sich<br />
selbst zu kreisen, abgeschnitten von <strong>der</strong> Umwelt - bis <strong>der</strong> Morgen des neuen goldenen<br />
<strong>Zeit</strong>alters sie von <strong>der</strong> Gravitation befreit.<br />
Nanda, <strong>der</strong> MahËpadma genannt werden und von einer Frau aus <strong>der</strong> Kaste <strong>der</strong> Éudra<br />
geboren werden wird, wird <strong>der</strong> Vernichter <strong>der</strong> KÛatriya Rasse sein und die Herrschaft <strong>der</strong><br />
Éudras einleiten. Er wird die ganze Erde unter einem Schirm vereinen. 147<br />
„Then poverty alone will confer rank; wealth will be the only source of devotion; passion<br />
will be the sole bond of union between the sexes; falsehood will be the only means of<br />
success in litigation; and women will be objects merely of sensual gratification. Earth will<br />
be venerated but for its mineral treasures. ... fine clothes will be dignity. ... Thus in the Kali<br />
age shall decay constantly proceed, until the human race approaches its annihilation.“ 148<br />
146 Selbst dieser Satz hebt sich unter Umständen selber auf, wenn er im dunklen <strong>Zeit</strong>alter o<strong>der</strong> einem <strong>der</strong><br />
Übergänge formuliert wurde.<br />
147 ViÛÙu PurËna IV.24<br />
148 Ebenda<br />
65
Im ViÛÙu PurËna wird beschrieben, wie Arjuna nach dem Tod KÎÛÙas umherirrt, seine<br />
göttlichen Waffen ihre Macht verloren haben und er mit seinen Leuten dem Spott und den<br />
Angriffen von habgierigen Hirten ausgeliefert ist, zurückgelassen und „schwach wie<br />
Stroh“ 149 ruft er aus: „Not I alone, but Earth has grown old, miserable, and lustreless, in the<br />
absence of the hol<strong>der</strong> of the discus.“ 150<br />
Die Attribute dieses neuen <strong>Zeit</strong>alters sind die Auflösung <strong>der</strong> Kasten und <strong>der</strong> Ordnung;<br />
Riten werden sinnentleert o<strong>der</strong> nicht mehr vollzogen; die Regeln, die den spirituellen<br />
Lehrer mit seinem Schüler verbinden werden nicht in Kraft sein; Je<strong>der</strong> Text wird zur<br />
„Schrift“; ‚Relative Wahrheit‘ hat die ‚wahre Wesenheit‘ des Satya Yuga ersetzt.<br />
alle Regeln des Lebens werden gleichermaßen gültig für je<strong>der</strong>mann; Gold und Edelsteine<br />
werden verschwunden sein und Haare <strong>der</strong> einzige Schmuck <strong>der</strong> Frauen (!?). Frauen werden<br />
ihre Männer verlassen, wenn diese ihren Wohlstand einbüßen und Geld wird die Welt<br />
regieren; die Herkunft wird nicht mehr ausschlaggebend sein für Überlegenheit und<br />
Herrschaft; die Menschen werden ihre ganze Aufmerksamkeit auf den Erwerb von<br />
Wohlstand richten, auch wenn er unredlich erworben werden muß, und diesen<br />
ausschließlich für selbstsüchtige Zwecke einsetzen; Kühe (Tiere) werden nur mehr zu<br />
Nutzzwecken gehalten und es wird trotzdem nie Überfluß geben; so kann niemand Glück<br />
und Zufriedenheit genießen. Lüge, Unmoral, Ehebruch, Ungehorsam sind alltäglich,<br />
Herrscher plün<strong>der</strong>n anstatt zu beschützen und je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Wagen, Elephanten und Pferde<br />
besitzt nennt sich RËjË; Je<strong>der</strong> Schwache wird Sklave sein; ÉÄdras, die dann<br />
vorherrschende Kaste, werden von Bettelei leben und zu unreinen Anhängern herätischer<br />
Irrlehren; Von Mangel und Besteuerung unterdrückt werden die Menschen ihre Heimat<br />
verlassen und in Län<strong>der</strong> ziehen, die sich nicht zum Anbau feinen Korns eignen; die<br />
Lebensdauer wird sinken, Kin<strong>der</strong> von Kin<strong>der</strong>n geboren werden, Männer mit 12 Jahren<br />
ergrauen und niemand mehr als 20 Jahre erreichen; alles, was Wesen verletzt, unrein und<br />
hinterhältig ist, wird im Kali Yuga vollzogen werden.<br />
149 ViÛÙu PurËna V.38<br />
150 Ebenda<br />
66
Allerdings wird man durch eine kleine Anstrengung im Kali Yuga eine ebenso große<br />
Erhöhung <strong>der</strong> Tugend erfahren, wie durch lange anstrengende Buße im KÎta Yuga, 151<br />
wodurch Veda VyËsa dem Kali Yuga einen vielleicht sehr wesentlichen positiven Aspekt<br />
abgewinnt. Im Sinne eines Energiegleichgewichter – Die „Welt“ und Gesellschaft besteht<br />
ja nach wie vor – könnte man spekulieren, daß dieser Aspekt die vielen Mißstände<br />
wesentlich ausgleichen wird.<br />
Ähnlich klingt es bei Hesiod über das Eiserne Geschlecht: „Wenn das eben geborene Kind<br />
an den Schläfen ergraut ist ...“ 152 ; o<strong>der</strong>:<br />
„Alsdann zu dem Olymp, vom räumigen Boden <strong>der</strong> Erde Werden entflieh’n, die herrlichen<br />
Leiber in weisse Gewän<strong>der</strong> hüllend, empor zu den Schaaren <strong>der</strong> Götter, vom Menschen<br />
gewendet, Scheu und Gewissen; zurück wird bleiben die Noth und <strong>der</strong> Jammer ...“ 153 .<br />
Rudolph Roth meint, daß mit Hesiod nicht die ‚Philosopie‘ beginnt 154 , son<strong>der</strong>n endet und<br />
daß „jene Sänger und Propheten“ sich am Ende <strong>der</strong> Menschheitsgeschichte sahen; im<br />
Gegensatz zu unserer heutigen Interpretation, die wir diese an den Beginn <strong>der</strong> Geschichte<br />
stellen wollen. Roth sagt zwar, <strong>der</strong> griechische Mythos kenne die (indische) „Stufenfolge“<br />
<strong>der</strong> Weltalter nicht, gesteht aber später doch eine Rangordnung durch die Metalle ein;<br />
diese, als Attribute verwendet, fallen in absteigen<strong>der</strong> Form unterschiedlich edel aus und<br />
stellen Zustände o<strong>der</strong> Eigenschaften <strong>der</strong> nach ihnen benannten Geschlechter dar.<br />
Beendet wird das Kali Yuga durch das Erscheinen des Kalki Avatars, einem Brahmanen<br />
aus dem Dorf (?) Éambhala. Er wird die Diebe und Mlechhas (Barbaren) vernichten und<br />
die Gerechtigkeit des Satya Yuga auf Erden wie<strong>der</strong>herstellen. Der einzige Kontakt zur<br />
Göttlichkeit im Kali Yuga waren Mythen und wenige „Wun<strong>der</strong>“. Am Ende des Kali Yuga<br />
151 Nach ViÛÙu PurËna VI.1<br />
152 Erga 180; (aus <strong>der</strong> Übers. von Roth, Rudolph: Abhandlung über den Mythus von den fünf<br />
Menschengeschlechtern ...)<br />
153 Erga 190; (Übers. in Roth)<br />
154 „Nicht zum ersten mal also wird hier unter Griechen von den Geistern gelehrt, son<strong>der</strong>n zum letzten Mal;“<br />
p. 17<br />
67
wird die <strong>Zeit</strong> des Mythos wie<strong>der</strong> hergestellt, die Wun<strong>der</strong> des dunklen <strong>Zeit</strong>alters wie<strong>der</strong> in<br />
die Einheit <strong>der</strong> metaphysischen Ursachen und Wirkungen übergeleitet. „ ... the minds of<br />
those who live at the end of the Kali age shall be awakened, and shall be as pallucid as<br />
crystal.“ 155 erinnert an die Apokalypse des Neuen Testaments, an die Auferstehung <strong>der</strong><br />
Toten.<br />
Eliade bezeichnet in den letzten Sätzen von Kosmos und Geschichte das Christentum als<br />
„die Religion des ‚gefallenen Menschen‘ “; Insofern gibt er <strong>der</strong> Vorstellung von einem<br />
tiefsten Punkt, einem dunklen <strong>Zeit</strong>alter indirekt recht, wenn er den mo<strong>der</strong>nen<br />
geschichtlichen Menschen als Fortentwicklumg aus dem „Paradies <strong>der</strong> Archetypen“<br />
ansieht.<br />
Während René Guénon, ein wesentlicher Lehrmeister Evolas in pessimistischer Weltsicht,<br />
sich ebenso auf die klassische indische Lehre <strong>der</strong> vier Yugas beruft, läßt er doch das Kali<br />
Yuga schon mehr als 6000 Jahre währen, obwohl die meisten indischen Quellen seinen<br />
Anfang auf 3000 v. Chr. setzen. 156 Da im Anschluß von <strong>der</strong> sich zurückziehenden Wahrheit<br />
die Rede ist, hat er sich wohl zur Untermalung zugunsten <strong>der</strong> Theorie um 1000 Jahre<br />
verrechnet. Einen neuen Aspekt findet er im Vergleich vom Fallens des Geistes in die<br />
Materie mit dem eines schweren Körpers. Dessen Geschwindigkeit nimmt durch die<br />
Anziehung <strong>der</strong> Erde zu und veranschaulicht so (analog) die progressiv unterschiedlichen<br />
Längen <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter – bis er (auf <strong>der</strong> Erde) auftrifft und plötzlich abgebremst wie<strong>der</strong> in<br />
den Zustand <strong>der</strong> Ruhe zurückkehrt.<br />
Im Gegensatz zu den vedantischen Thesen weist Guénon auf die komplexere Einbettung<br />
<strong>der</strong> auf- und absteigenden, zentripedalen und zentrifugalen Bewegungen in die<br />
Wirklichkeit hin. Gleich wie die Theosophen unterscheidet er so primäre und sekundäre<br />
Tendenzen, die einan<strong>der</strong> überlagern und somit verstärken o<strong>der</strong> vermin<strong>der</strong>n<br />
beziehungsweise auslöschen können.<br />
Interessanterweise stößt er nach Éri YukteÛvar, den er wohl nicht gekannt hat, und noch<br />
vor Jaspers auf eine magische <strong>Zeit</strong>enbarriere, die er im 6. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. ansiedelt. Bei<br />
Éri YukteÛvar findet sich diese in dem Beginn des Kali Yugas 700 v. Chr., bei Jaspers<br />
155 Ebenda<br />
156 Guénon: The Crisis of the Mo<strong>der</strong>n World. p. 7<br />
68
drückt sie sich etwa zwei Jahrzehnte später in <strong>der</strong> Achsenzeit aus, die dieser um 500 v.<br />
Chr. ansiedelt. Nach Guénon kann man nicht mit gewöhnlichen Forschungsmethoden in<br />
die <strong>Zeit</strong> vor jenem geschichtlichen Punkt eindringen. Alles nach dieser Achse kommende<br />
ist (uns) mehr o<strong>der</strong> weniger präzise datierbar, hat eine Chronologie; davor bricht dieselbe<br />
zusammen und Geschehnisse sind nur mit großen Abweichung zeitlich einordenbar. Selbst<br />
auf China, dessen Geschichtsschreibung schon vor 600 v. Chr. astronomisch eindeutig<br />
nachvollziehbar und zu verifizieren war, bezieht er dieses Phänomen, beziehungsweise<br />
stellt eine nachträgliche „mythologische“ Klassifizierung durch mo<strong>der</strong>ne Historiker fest. In<br />
weiterer Folge wird diese Grenze als Scheidelinie zwischen traditionaler Welt und<br />
Mo<strong>der</strong>ne erklärt und eingeordnet. Am chinesischen Beispiel zeigt er dies anhand einer<br />
Teilung in eine taoistische elitäre Tradition und den mo<strong>der</strong>nen, ‚gegründeten‘ 157<br />
Konfuzianismus, <strong>der</strong> die Massen dominierend die (taoistische) Metaphysik 158 verdrängt. In<br />
Indien wertet Guénon den Buddhismus als Revolte gegen die Tradition, in Persien erkennt<br />
er eine Anpassung des Mazdaismus durch das Erscheinen des letzten Zarathustra; Im<br />
Westen läßt die babylonische Gefangenschaft die Juden sogar ihr Alphabeth vergessen und<br />
zerstört so innerhalb weniger Generationen den Zugang zu wesentlichen<br />
Bedeutungsebenen ihrer Schriften; in Rom ist es die <strong>Zeit</strong> des Heraustretens aus dem<br />
Mythos <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Könige in die „historische Periode“, in Griechenland die Wandlung<br />
von <strong>der</strong> orphischen Tradition, <strong>der</strong> noch Pythagoras angehörte, zur „profanen Philosophie“,<br />
einer vorgetäuschten und „vermenschlichten“ Weisheit, die beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Wende von<br />
Plato zu Aristoteles und dessen Schüler Alexan<strong>der</strong> deutlich wird. 159 Im Christentum und<br />
dem Mittelalter sieht Guénon dann die Abkehr von <strong>der</strong> Tradition 160 , <strong>der</strong> innerlichen<br />
Spiritualität und die Hinwendung zu Rationalismus und äußerlichem (Schein-) Wissen<br />
weiter vollzogen. So wertet er Renaissance und Reformation nicht als Wie<strong>der</strong>belebung,<br />
157 ... im Gegensatz zum Mythos, <strong>der</strong> sich nicht eigentlich zeitlich gründen läßt und sich in <strong>der</strong> Tiefe <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong><br />
verliert.<br />
158 Guénon versteht unter Metaphysik „intellektuelle Intuition“ und das daraus abgeleitete unpersönliche<br />
allgemeingültige Wissen. Dem gegenüber steht <strong>der</strong> begrenzte und relative Verstand, <strong>der</strong> das Ganze nicht<br />
fassen kann und ein niedrigeres Werkzeug darstellt.<br />
159 Nach Guénon: The Crisis of the Mo<strong>der</strong>n World. p. 11 ff.<br />
69
son<strong>der</strong>n als den Tod wesentlicher Werte, eine Wie<strong>der</strong>holung des Prozesses <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> um 600<br />
v. Chr.<br />
Evola stimmt grundsätzlich mit obiger Vorstellung überein, macht in <strong>der</strong> Revolte aber noch<br />
Unterzyklen aus und erarbeitet ein differenzierteres Bild, zum Beispiel des gibbellinischen<br />
Mittelalters 161 , das er als wahre Renaissance (<strong>der</strong> traditionalen Welt) darzustellen sich<br />
bemüht. Auch Oswald Spengler kann in Teilen mit den Theorien von Guénon und Evola in<br />
Deckung gebracht werden, wenn man das auf- und aboszillieren zwischen Kultur und<br />
Zivilisation seiner Staaten, Völker und „Weltkulturen“ sich als Wechselspiel und Kampf<br />
zwischen traditionaler, metaphysischer einerseits und mo<strong>der</strong>ner, rationalistischer Welt<br />
an<strong>der</strong>erseits denkt.<br />
So arbeitet sich Guénon schließlich vor zu <strong>der</strong> Erkenntnis von einer wellenartig<br />
absteigenden Vertiefung des Kali Yugas in mehreren Schritten. Diese Vorstellung<br />
übernimmt Evola. Kann sich Guénon aber noch durch seine „brahmanische“ Losgelöstheit<br />
vor dieser entsetzlichen Erkenntnis retten, wird letztere Evola zum Verhängnis und<br />
begründet durch seine extrovertiertere politische Lebenseinstellung – er bezeichnet sich<br />
immer wie<strong>der</strong> als KÛatrÌya, <strong>der</strong> Herrscher- und Kriegerkaste zugehörig – einen sich<br />
zunehmend vertiefenden Pessimismus.<br />
Trotzdem erfährt auch Guénon die Gegenwart als einen Endpunkt, einen Point of no<br />
Return, an dem jegliche Wie<strong>der</strong>anpassung unmöglich geworden ist und sieht eine<br />
vollständige und cataklysmische Erneuerung <strong>der</strong> Welt als einzigen Ausweg. Zum<br />
Vergleich zieht er die indischen Schil<strong>der</strong>ungen heran und findet alle dort vorhandenen<br />
Symptome mit <strong>der</strong> Gegenwart in Übereinstimmung. Das „Werden“ hat das „Sein“ fast zur<br />
Gänze ersetzt, die Mechanisierung und Mode Kontinuität und Stabilität. Die Wissenschaft<br />
hat sich verselbständigt, und von einem gemeinsamen Sinn losgekoppelt verliert sie sich an<br />
ihrer Oberfläche, unfähig zur Synthese. 162 Die Auflösung des Wissens, an prominenter<br />
Stelle in den indischen Kali Yuga-Theorien, sieht Guénon einhergehen mit <strong>der</strong> Verbreitung<br />
von anti-metaphysischen Theorien, von Philosophien des Werdens, die unter dem Namen<br />
160 Auf p. 60 von The Crisis definiert Guénon „Individualismus als Verneinung <strong>der</strong> Tradition“. Wobei er mit<br />
Tradition eine lebendige und bewußte meint, nicht das abergläubische Nachvollziehen von unverstandenen<br />
Riten, etc.<br />
161 Evola: Revolte ... p. 337 ff.<br />
162 Nach Guénon: The Crisis... p. 38 f.<br />
70
Evolutionismus, Empirismus, etc. firmieren. Auf einer analog an<strong>der</strong>en Ebene sind die<br />
physischen Sinnesorgane und die durch sie erlangten Kenntnisse Attribute des Kali Yuga,<br />
wohingegen das Satya Yuga von syntetischem, intuitiv erlangtem Wissen dominiert wird,<br />
das „Weisheit“ ist. Den Individualismus und das Profane sehen beide, Evola und Guénon,<br />
als Fundament <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne; Das wesentlich Neue daran ist die Existenz dieser Zivilisation<br />
ohne jegliches zugrundeliegendes Prinzip und die Errichtung <strong>der</strong> westlichen Kultur auf<br />
etwas „rein Negativem“ 163 , die nur erklärt und verstanden werden kann, wenn man sie sich<br />
als mit dem Ende einer zyklischen Periode korrespondierend vorzustellen vermag.<br />
Sandhyas und das fünfte Element<br />
Wenn man die Frage <strong>der</strong> SandhyËs betrachtet, macht es Sinn, diese entwe<strong>der</strong> auf<br />
vollständige Zyklen anzuwenden, die durch Rotation eines Himmelskörpers um sich selbst<br />
und um einen an<strong>der</strong>en entstehen. Eine an<strong>der</strong>e Möglichkeit besteht in <strong>der</strong> Erklärung <strong>der</strong><br />
SandhyËs durch bewußte Einführung eines Übergangs durch jene, welche den Zyklus des<br />
Chaturyuga unterteilten. Diese Unterteilung wurde offensichtlich auf in erster Linie<br />
geistiger Ebene gemacht; daher, es liegen keine astronomischen Ereignisse unmittelbar<br />
zugrunde. Mit dieser geistigen Ebene sind vor allem unterschiedliche Bewußtseinszustände<br />
gemeint, die nicht ganz so exakt von einan<strong>der</strong> abzutrennen sind, wie astronomische<br />
Ereignisse. Die Übergänge zwischen diesen Bewußtseinsstufen sind daher zwangsläufig<br />
willkürlicher.<br />
Merkwürdig ist auch die in <strong>der</strong> Weltalterlehre noch häufiger anzutreffende<br />
Unentschlossenheit zwischen vier und fünf Weltaltern o<strong>der</strong> Weltreichen. So beispielsweise<br />
in den vier Sonnen (Schöpfungen) <strong>der</strong> Maya und den fünf Sonnen ihrer Nachfolger, <strong>der</strong><br />
Azteken. 164 Auch die vorher bei Hesiod geschil<strong>der</strong>ten fünf Geschlechter dürften, wie schon<br />
erwähnt, ursprünglich nur vier gewesen sein. Die Weltreiche bei Daniel werden ebenso<br />
163 Guénon: The Crisis... p. 55<br />
164 So wird die fünfte Sonne von den Azteken übermäßig mit Menschenherzen gefüttert um dieses letzte<br />
<strong>Zeit</strong>alter künstlich zu verlängern.<br />
71
durch vier Metalle symbolisiert, wobei ein fünftes hinzukommt, das - halb aus Eisen, halb<br />
aus Ton – nicht wirklich dazugehört; Es ist dem Eisen (den Metallen) verbunden, enthält<br />
aber auch ein fünftes, jenseitiges Element. Dieses fünfte ist niemals eine bloße Erweiterung<br />
o<strong>der</strong> Fortsetzung <strong>der</strong> vier klassischen Elemente, son<strong>der</strong>n fällt bewußt aus dem Rahmen,<br />
gehört einer an<strong>der</strong>en Kategorienklasse an. So ist <strong>der</strong> Ton im Standbild des Nebukadnezar<br />
kein Metall, ebenso wie den Titanen Hesiods keines zugeordnet wird. Selbst in China fällt<br />
das Element „Holz“ als organisch, und eigentlich nicht-elementar auf, im Gegensatz zu<br />
den auch dort bekannten „wirklichen Elementen“ Feuer, Wasser, Erde und Metall 165 .<br />
Dieser organische Charakter, gegenüber den Naturkräften, tritt in Indien gemeinhin als<br />
õkËÚaÒ auf.<br />
Das fünfte <strong>Zeit</strong>alter, Weltreich o<strong>der</strong> Geschlecht scheint sich analog so wie <strong>der</strong> Äther zu<br />
den vier Grundelementen zu verhalten. Er gehört noch dazu, an<strong>der</strong>erseits liegt er schon<br />
darüber und jenseits <strong>der</strong> eigentlichen Schöpfung. Im System des Yoga werden die vier<br />
prinzipiellen Elemente im Rumpf des menschlichen Körpers lokalisiert – zwischen dem<br />
Steißbein und etwa dem Herzen – die Entsprechung des Äthers (õkËÚaÒ) jedoch im Hals,<br />
und <strong>der</strong> PuruÛaÒ (die „Seele“) im Kopf. Hierbei bildet <strong>der</strong> Hals des physischen Körpers,<br />
und in ihm das dem Äther zugeordnete Zentrum, den Übergang, die Engstelle von <strong>der</strong><br />
physischen Welt in die meta-physische, von <strong>der</strong> unbelebten elementalen in die den<br />
eigentlichen Lebenskern bergenden Bereiche (Lokas).<br />
165 ... das wohl am ehesten <strong>der</strong> Luft entspricht.<br />
72
Kasten und Stände<br />
Die Kasten (varna) korrelieren mit den vier <strong>Zeit</strong>altern in Indien. Dieser Teil <strong>der</strong> Yuga-<br />
Lehre wurde beson<strong>der</strong>s für Evola zum Mittelpunkt seiner Analysen, aber auch Spengler<br />
zieht die Vorherrschaft bestimmter Stände zur Bestimmung von kulturellen<br />
Entwicklungsabschnitten einer Gesellschaft heran. Bei ihm beginnt eine Kultur mit dem<br />
sich aus dem Bauernstand heraushebenden Adel, dem später das Priestertum als<br />
Opposition verneinend entgegentritt (Zölebat, etc.). Der dritte Stand ist <strong>der</strong> Rest,<br />
unbedeutend und ungeschichtlich – ja nicht einmal ein eigentlicher Stand. Der wirkliche<br />
Stand in seiner Urform ist bei Spengler <strong>der</strong> Adel, zuerst auch <strong>der</strong> einzige. Diese<br />
Vorstellung hat Evola übernommen, wenn er, wohl auch von Nietzsche beeinflußt, die<br />
Vorherrschaft des Adels vor dem Priestertum predigt. Spengler als evolutionistischer<br />
Materialist kann diesen Gedanken glaubwürdig begründen, indem seine Kulturen von <strong>der</strong><br />
Erde, dem Bauerntum ausgehen; Evola gerät hierbei in ein Dilemma, indem er seine<br />
„Kasten“ von oben her eingesetzt wissen will, im Himmel verankert – an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong><br />
Kriegerkaste (KÚatrÌya) den Vorzug vor <strong>der</strong> priesterlichen verleihen will. Seine<br />
wesentlichste Erklärung besteht darin, daß – ähnlich wie bei Spengler, aber doch<br />
verschieden – ursprünglich keine Priesterkaste bestanden habe; Das „Königtum“ sei <strong>der</strong><br />
Mittler zu Gott gewesen und erst <strong>der</strong> Einbruch von weiblichen Strömungen in das<br />
männliche Königtum hätte den Priesterstand geschaffen. Nun verträgt sich aber die<br />
eindeutig größere ‚Erdferne‘ des Priesterstandes wenig mit dessen zweitem Rang. Evolas<br />
sonst so vertikale Weltanschauung, erweckt hier den Eindruck, ‚hingebogen‘ zu sein; um<br />
so mehr, als biographische Motive – Evola stammt aus dem sizilianischen Landadel –<br />
naheliegen und eine Kränkung über den beinahe völligen Machtverlust des Adels in<br />
Europa in <strong>der</strong> emotionalen und polemischen Argumentation diese Sache betreffend nur<br />
allzu deutlich durchscheint.<br />
Während bei den In<strong>der</strong>n die vier Yugas den vier Kasten zugeordnet werden, führt selbst<br />
Spengler analog den vierten Stand an, <strong>der</strong> sich aus den Zerfallsprodukten <strong>der</strong> zeitlich<br />
vorher bestehenden drei Hauptständen nährt, vornehmlich jedoch aus dem dritten, dem <strong>der</strong><br />
Handwerker, Lohnarbeiter, etc. Ursprünglich gibt es diesen vierten Stand gar nicht; we<strong>der</strong><br />
73
im Abendland, noch in Indien. In beiden Kulturen tritt er anscheinend erst spät auf und<br />
steht für eine amorphe außenstehende anonyme Masse, gleich den Sklaven und Barbaren<br />
<strong>der</strong> Antike. Der vierte Stand bezeichnet, so Spengler,<br />
„ ... alles was Mensch ist, gleichmäßig ein flutendes Etwas [bildet] ..., das mit seinem<br />
Ursprung gänzlich zerfallen ist, seine Vergangenheit nicht anerkennt und eine Zukunft<br />
nicht besitzt. Damit wird <strong>der</strong> vierte Stand zum Ausdruck einer Geschichte, die ins<br />
Geschichtslose übergeht. Die Masse ist das Ende, das radikale Nichts.“ 166<br />
So ist auch für Evola <strong>der</strong> neu herausgebildete Arbeiterstand ein Synonym für das<br />
Fortschreiten und den Höhepunkt, des Kali Yuga, <strong>der</strong> Wolfszeit. Es ist die „Arbeit“<br />
(πονος), die nach Evola zum Sklaven macht, und im Gegensatz dazu die „Tat“, die befreit.<br />
Arbeit, als mechanische routineartige Tätigkeit hat den Zweck, die Bedürfnisse des<br />
materiellen Lebens zu befriedigen und ist damit nach unten gerichtet, erniedrigend und<br />
„eines freien Mannes unwürdig“ 167 . Seiner Meinung nach verachtete die antike Welt die<br />
Arbeit nicht, weil diese an das Sklaventum gekoppelt war, o<strong>der</strong> an die Stellung des<br />
Sklaven fortwährend erinnern würde – son<strong>der</strong>n sie verachtet die Arbeit um ihrer selbst<br />
willen und erst in zweiter Linie den Sklaven. Die Tat ist für Evola <strong>der</strong> geistige Gegenpol<br />
und steht in engem Zusammenhang zu Freiheit, stellt die von <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />
losgelösten menschlichen Möglichkeiten dar. Diese Standpunkte mögen für die Antike<br />
sogar gelten, sie sind aber nicht schlüssig innerhalb eines Systems von Weltaltern unter<br />
einem geistigen Kontext. Seinen kriegerischen Standpunkt baut er zusätzlich aus, indem er<br />
zwischen dem traditionalen Begriff vom „Besiegten“ und dem „hebräischen“ des<br />
„Schuldigen“ eine Übereinstimmung konstatiert und Jason o<strong>der</strong> Herakles als Helden<br />
hervorhebt, die Unsterblichkeit geerntet haben, anstelle von Schuld durch Hybris.<br />
Im Gegensatz zu Evola und Spengler sehen sowohl <strong>der</strong> maßgebliche Teil des Hinduismus,<br />
als auch die mo<strong>der</strong>ne Theosophie den geistigen Stand als primären an und vertreten eine<br />
innere Geschlossenheit ihres zyklischen Weltbildes. Die von Evola angeführten „Helden“<br />
entstammen zu einem Gutteil <strong>der</strong> titanischen Epoche <strong>der</strong> Weltalter und kennzeichnen<br />
166 Spengler, Oswald: Der Untergang des Abendlandes. p. 1004<br />
167 Evola: Revolte ... p. 141 f.<br />
74
vielmehr den Bruch zwischen Götter- und Menschenwelt, <strong>der</strong> zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Herrschaft des<br />
Zeus schon vollzogen worden ist. Natürlich gesteht die Theosophie dem kämpferischen<br />
Element in <strong>der</strong> menschlichen Seele einen wesentlichen Anteil an <strong>der</strong> geistigen und<br />
kulturellen Entwicklung <strong>der</strong> Menschheit zu, dennoch bestehen sie aber auf <strong>der</strong> Vorstellung<br />
von einem Weltgeist und geistigen Wesenheiten, einer geistigen Hierarchie als Lenker und<br />
Lehrer <strong>der</strong> Welt. Die Involution in die Materie ist ihnen <strong>der</strong> erste und primäre Schritt; die<br />
kämpferische Ent-wicklung erst <strong>der</strong> zweite. Analog dazu steht für sie eine geistige Kaste<br />
an <strong>der</strong> Spitze <strong>der</strong> Hierarchie. Aus hinduistischer Sicht ähnelt Evolas Auflehnung gegen den<br />
geistlichen Stand und die eigene Selbstüberhöhung <strong>der</strong> buddhistischen Bewegung, die<br />
oftmals nicht nur als Häresie betrachtet wurde, um später durch die Einglie<strong>der</strong>ung des<br />
Buddha in die Inkarnationsreihe ViÛÙus ansatzweise neutralisiert zu werden, son<strong>der</strong>n auch<br />
als Bewegung <strong>der</strong> zweiten Kaste, <strong>der</strong> KÚatrÌya-Kaste empfunden wurde. Dieser Kreis<br />
wird durch die Trimondis 168 geschlossen, welche die Ansicht vertreten, eine verborgene<br />
Beziehung zwischen Buddhismus, den japanischen Samurai und dem aggressiven<br />
europäischen Faschismus/Nazismus entdeckt zu haben.<br />
168 Victor und Victoria Trimondi (Psdn.): Hitler, Buddha, Krishna – Eine unheilige Allianz vom dritten Reich<br />
bis heute. Ueberreuter, Wien 2002.<br />
75
Evola – Gefangenschaft und Konsequenz<br />
Gefangener <strong>der</strong> Endzeit<br />
Die Negativismen Evolas und Guenons können auch den ausklingenden Pol des<br />
ausklingenden Kali Yugas kennzeichnen. Wie die Kälte <strong>der</strong> Nacht an ihrem Ende am<br />
größten wird, kurz bevor die Sonne aufgeht, so könnten die Attribute des Kali Yuga ihre<br />
stärkste Ausprägung erreichen, in einer <strong>Zeit</strong>, da dieses schon beinahe zu Ende ist.<br />
Ist das, was Evola beklagt nicht vielmehr das Ende des vorhergehenden Goldenen<br />
<strong>Zeit</strong>alters, als die Präsenz des Eisernen. Der Unterschied ist fein, liegt aber darin, daß das<br />
Ende des letzten Goldenen <strong>Zeit</strong>alters nicht mit dem Beginn des Eisernen <strong>Zeit</strong>alters<br />
gekommen ist, son<strong>der</strong>n, daß das Goldene <strong>Zeit</strong>alter bis zum Ende des Eisernen fortwirkt.<br />
Zumindest in <strong>der</strong> Erinnerung <strong>der</strong> Menschheit ist das <strong>der</strong> Fall.<br />
Der Aufstieg zu einem neuen Satya Yuga schafft eine neue Vision und zerstört erst die<br />
rückwärtsgerichteten geisthaften Verbindungen zu <strong>der</strong> alten goldenen Vergangenheit.<br />
Denn das neue Goldene <strong>Zeit</strong>alter kann niemals eine Wie<strong>der</strong>holung des alten sein. Vielmehr<br />
ist es wie um eine Oktave verschoben zur alten Welt; Die Töne werden gleich benannt,<br />
doch nur ein grobes Gitter aus <strong>Zeit</strong> und Qualität hält sie in ihrem Gefüge.<br />
Der aufsteigende Weg zu einem neuen Satya Yuga muß auch nicht zwangsläufig in einem<br />
spiegelbildlichen Verhältnis zu dem absteigenden des vorhergehenden Satya Yuga in das<br />
Kali Yuga sein. Man kann also nicht den Abstieg aus dem Satya in das Kali Yuga zeitlich<br />
und qualitativ umdrehen, um so zu einem Maßstab <strong>der</strong> Zukunft zu gelangen. Das tut Evola<br />
auch keineswegs und er scheint sich <strong>der</strong> Komplexität des Themas bewußt.<br />
Was sich spiegeln läßt, ist maximal die Summe <strong>der</strong> positiven beziehungsweise negativen<br />
(abstrakten) Qualitäten, die das Wesen eines <strong>Zeit</strong>alters ausmachen - <strong>der</strong> Grad <strong>der</strong><br />
Durchgeistigung. Es liegt auf <strong>der</strong> Hand, wie unvorstellbar schwer dieser Grad <strong>der</strong><br />
Durchgeistigung (<strong>der</strong> Erde, <strong>der</strong> Menschheit, etc.) intuitiv o<strong>der</strong> mit dem Verstand<br />
76
auszumachen ist. Was weniger klar zu sein scheint, ist, daß die Art und Weise <strong>der</strong><br />
Offenbarung des Geistes in einer neuen Runde von <strong>Zeit</strong>altern, eine (zumindest äußerlich)<br />
völlig an<strong>der</strong>e sein kann. Damit ist eine Durchgeistigung <strong>der</strong> Erde, Menschheit, etc.,<br />
möglicherweise auch nicht bis sehr schwer aus dem Bewußtsein <strong>der</strong> vergangenen Epoche<br />
heraus zu erkennen und wahrzunehmen. Die Theosophen sprechen an dieser Stelle von den<br />
Ausformungen verschiedener „Strahlen“, unterschiedlichen Aspekten o<strong>der</strong><br />
Manifestationsweisen <strong>der</strong> Gottheit, die sich zeitlich versetzt auswirken.<br />
Auch die Tatsache <strong>der</strong> graduell gesteigerten o<strong>der</strong> sich abschwächenden Qualität in den<br />
<strong>Zeit</strong>altern wird durch <strong>der</strong>en verschiedene Länge angezeigt. Ihre unterschiedliche Länge<br />
streicht ja den qualitativen Unterschied heraus. Welchen an<strong>der</strong>en Grund könnte es geben?<br />
Teilweise kann man sich bei Evolas Ideen und seinem Weltbild dem Eindruck von einer<br />
gewissen Besessenheit seinerseits nicht erwehren. Durch seine Annäherung an den<br />
Faschismus und Nazismus, sowie <strong>der</strong>en Ideologien gerät auch er in den Bann <strong>der</strong> Dämonen<br />
dieser <strong>Zeit</strong>, dunkler Vorurteile und Mythen. Trotz seiner aufrichtig wirkenden Mühe, mehr<br />
Licht in die Kulturgeschichte Europas und <strong>der</strong> Welt zu bringen, trotz <strong>der</strong> zum Teil<br />
entgegengesetzten Wege und Positionen, die er beschreitet, kann er sich <strong>der</strong> Versuchung<br />
„Politik“ nicht entziehen, sieht er doch eine Möglichkeit zur Umsetzung seiner<br />
Weltanschauung in <strong>der</strong> gewaltigen Machtkonzentration <strong>der</strong> totalitären Regime seiner <strong>Zeit</strong>,<br />
<strong>der</strong>en gewaltiges Verän<strong>der</strong>ungs- und Umgestaltungspotential ihm bewußt ist. Sicherlich<br />
nimmt er den Faschismus als ein ‚window of opportunity‘ war, scheitert aber letztendlich<br />
an <strong>der</strong> eigenen Unsicherheit und <strong>der</strong> Unfertigkeit seiner Gedanken davor und<br />
durchschreitet dieses Fenster nie mit ganzem Wesen. Generell scheint Evola auch nie<br />
vollständig davon überzeugt zu sein, was er sagt und tut; Obwohl er mit Vorträgen Einfluß<br />
ausüben will, geht er niemals soweit, eine eindeutige politische Stellung zu beziehen o<strong>der</strong><br />
sich vollständig in ein Lager einzuordnen.<br />
In Cavalcare... beschreibt er den Nie<strong>der</strong>gang <strong>der</strong> Spiritualität in <strong>der</strong> westlichen und teils<br />
auch den östlichen Kulturen 169 . Er geht hier beson<strong>der</strong>s auf den Neospiritismus (New Age-<br />
169 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />
Verlag, Engerda 1997; p. 219 ff. „Die Frage <strong>der</strong> Spiritualität“<br />
77
Bewegung) ein und bezeichnet ihn nicht als Reformation <strong>der</strong> abendländischen Spiritualität,<br />
son<strong>der</strong>n im Gegenteil als Teil des Verwesungsprozesses <strong>der</strong>selben. Kennzeichnend hierfür<br />
sei die Vielfalt <strong>der</strong> sich teilweise wi<strong>der</strong>sprechenden spiritistischen Strömungen, die starke<br />
untrennbare Vermischung mit Aberglauben, <strong>der</strong> „weibliche Charakter“. Letzteres mißt er<br />
sowohl an <strong>der</strong> Prozentzahl <strong>der</strong> Beteiligten, als auch im Mangel an (Selbst-) Disziplin, den<br />
er als weibliche Eigenschaft zu erkennen meint – und an <strong>der</strong> „Pöbelhaftigkeit“ <strong>der</strong><br />
Bewegung. Er vertritt, im Gegensatz zu Guénon, die Meinung, daß in <strong>der</strong> westlichen Welt<br />
so gut wie keine Institutionen mehr vorhanden sind, die eine Initiation in spirituelle Welten<br />
geben könnten. Gleichwohl schätzt er die zunehmende wissenschaftliche Übersetzung von<br />
hochwertigen religiösen Texten <strong>der</strong> „traditionell spirituelleren Kulturen“ <strong>der</strong> Ostens und<br />
empfiehlt sie den wenigen „zuinnerst An<strong>der</strong>sseienden“ in <strong>der</strong> Gesellschaft <strong>der</strong> westlichen<br />
Welt, for<strong>der</strong>t gleichzeitig aber eine Umsetzung <strong>der</strong>selben, die praktische Arbeit an einer<br />
inneren Wandlung.<br />
Gegen den Empirismus und Rationalismus <strong>der</strong> Neuzeit und Mo<strong>der</strong>ne muß für einen<br />
Universalisten, die Ganzheit Denkenden wie Evola das Mittelalter in mehreren Aspekten<br />
heller gewirkt haben, als es tatsächlich war; Jedoch erkennt er nur teilweise, daß dies nicht<br />
die Sonne selbst, son<strong>der</strong>n ein Abendrot war. Der gefangene Geist – eingesperrt in Klöstern.<br />
Ein ‚Klosterzeitalter‘, in dem die (spirituellen) Strukturen ihre höchste Dichte<br />
angenommen hatten. Vermutlich trägt zur Verzerrung <strong>der</strong> Perspektive und damit<br />
Vergrößerung <strong>der</strong> mittelalterlichen Tugenden auch die unbewußt nicht wahrgenommene<br />
unterschiedliche Quantität <strong>der</strong> Zeugnisse - aus dem Mittelalter einerseits und <strong>der</strong> davor<br />
liegenden <strong>Zeit</strong>altern an<strong>der</strong>erseits – bei. Wohl gibt es viel Material um die ‚Antike‘ bis zu<br />
einem gewissen Grad zu rekonstruieren, aber wenig bis gar keines um die mythischen<br />
davor liegenden <strong>Zeit</strong>alter in <strong>der</strong> Vorstellung anschaulich zu machen; damit hatte offenbar<br />
schon Hesiod zu kämpfen. Es ist, wie schon Guénon erkannt hat, als stände eine Schranke<br />
zwischen Antike und <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> davor. Das Mittelalter jedoch bot Anschauung, war<br />
vorstellbar für Evola und kam obendrein durch seine feudale Struktur seiner<br />
biographischen Prägung entgegen. Darüber hinaus sieht ja Spengler das mittelalterlich<br />
fundierte Abendland als eigenen Zyklus. Es ist nun aber Teil zumindest des indischen<br />
Yuga-Systems, daß auch kleinere Zyklen in Aufstieg, Blüte und Nie<strong>der</strong>gang unterteilt<br />
werden können – niemand würde aber den Nie<strong>der</strong>gang eines kleineren Zyklus dem diesen<br />
78
umschließenden größeren zuschreiben. Wenn man nun den Überblick über die Vielfalt <strong>der</strong><br />
Zyklen und Kulturen verliert – sofern eine solche ‚historische‘ Gesamtschau sinnvoll<br />
möglich ist – sind die in kurzen <strong>Zeit</strong>spannen identifizierbaren Vektoren von kulturellem<br />
Aufstieg o<strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>gang den unterschiedlichen <strong>Zeit</strong>-zyklen nicht mehr zuordenbar; - das<br />
ist dann die beschriebene „Verwirrung“ <strong>der</strong> Werte und Lehren im Kali Yuga, o<strong>der</strong> analog<br />
dazu die babylonische Sprachverwirrung des alten Testaments.<br />
Der Verfall<br />
Hüter, ist die Nacht bald hin?<br />
Der Hüter aber sprach:<br />
Wenn <strong>der</strong> Morgen schon kommt,<br />
so wird es doch Nacht sein;<br />
79<br />
(Jes. 21)<br />
In <strong>der</strong> Frage nach dem Bedeutungswandel des Todes in <strong>der</strong> westlichen Kultur stellt Evola<br />
fest, daß diesem zunehmend weniger Gewicht beigemessen werde, da die metaphysischen<br />
Überfrachtungen mehr und mehr wegfallen - ersetzt durch Atheismus und Materialismus.<br />
Der Vermassung des Sterbens folgt eine Bedeutungsmin<strong>der</strong>ung desselben. Für den „an<strong>der</strong>s<br />
seienden Menschen“ sieht er durchaus Positives in <strong>der</strong> Präsenz des Todes, wie er alltäglich<br />
wurde in den zwei großen Kriegen, wenn die äußere, aufgezwungene Beschäftigung zu<br />
einer inneren Auseinan<strong>der</strong>setzung wird, bis zu dem Punkt, wo das „Am-Leben-Bleiben“<br />
seinen Wert verliert, den Tod hinter sich lassend, eine neue, höhere Form zu leben,<br />
einsetzt, die „... von einem hellen, zauberhaften Rausch getragen wird“ 170 . Diese Erfahrung<br />
wird nicht durch den Tod selbst ausgelöst, son<strong>der</strong>n durch seine Nähe; vergleichbar dazu ist<br />
das To<strong>der</strong>lebnis in den verschiedenen Initiationsriten. Es spricht außerdem nichts dagegen,<br />
daß analog zum Individuum dieser Prozeß in großem Maße kollektiv vollzogen wird –<br />
gleichzeitig mit dem „an<strong>der</strong>s seienden Menschen“, aber auf einer niedrigeren Stufe. Somit<br />
ist <strong>der</strong> Verdacht einer überdurchschnittlichen inneren Umwandlung <strong>der</strong> ‚ganzen<br />
170 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />
Verlag, Engerda 1997; p. 229
Menschheit‘ begründbar; hervorgerufen durch die eingrenzende Enge des Raumes und <strong>der</strong><br />
immer schneller werdenden subjektiven <strong>Zeit</strong>empfindung, den Druck und die Kriege dieser<br />
Epoche. Dies führt wie<strong>der</strong> zur Vorstellung von <strong>der</strong> Zuspitzung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>qualitäten am Ende<br />
einer Periode (eines <strong>Zeit</strong>alters), einem Aufbäumen vor dem Abgang – das ein<br />
Überschreiten <strong>der</strong> Grenze erzwingt. Es wird hier nicht das Sterben o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Krieg selbst<br />
glorifiziert, wie einige Evola-Kritiker das auslegen 171 , son<strong>der</strong>n die Begleiterscheinung des<br />
‚An-die-Grenze-Bringens‘ positiv bewertet 172 .<br />
Evola sieht den Verfall <strong>der</strong> westlichen Gesellschaft als unausweichlich und befürwortet<br />
eine „Strategie <strong>der</strong> Spannung“ im Sinne von Nietzsches „ ... was fällt, das soll man auch<br />
noch stoßen“ 173 . Ein wesentlicher Teil seines Pessimismus gründet in <strong>der</strong> Bevorzugung des<br />
ViÛÙu PurËna gegenüber <strong>der</strong> ManusmÎti, <strong>der</strong> Fixierung auf einen <strong>Zeit</strong>vektor in die<br />
Dunkelheit. Weiters trägt die immense zeitliche Ausdehnung des Kali Yuga, wie es im<br />
ViÛÙu PurËna beschrieben wird, zu Evolas hoffnungsloser Sicht <strong>der</strong> Weltentwicklung bei;<br />
Es ist nicht schwer auszumalen, wie die Vorstellung von 432 000 sich verdunkelnden<br />
Jahren jemanden, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Realität <strong>der</strong> Reinkarnation überzeugt ist, in eine tiefe und<br />
ausweglose Krise stürzt.<br />
Apoliteia<br />
171 ‚Hier‘ meint beson<strong>der</strong>s das Spätwerk Cavalcare...; Kritiker: z.B. Trimondi, Victor und Victoria<br />
(Pseudonym): Hitler, Buddha, Krishna – Eine unheilige Allianz vom Dritten Reich bis heute. Carl<br />
Ueberreuter, Wien 2002; p. 227, 230, 233, 244, etc.<br />
172 Im feinen Unterschied zu Tommaso Marinetti (dessen Anhänger Evola vor dem I.WK war), <strong>der</strong> den Krieg<br />
als die „einzige Hygiene <strong>der</strong> Welt“ bezeichnete. – Vergleiche zum Thema Todesnähe, etc. auch Evolas<br />
Gedanken zur Philosophie des Bergsteigens in (Meditazione delle vette. Edizioni del Tridente, La Spezia<br />
1994) Meditations on the Peaks. Inner Traditions, Rochester (Vermont) 1998.<br />
173 Nietzsche, Friedrich: Also sprach Zarathustra. Kritische Studienausgabe, herausgegeben von G. Colli und<br />
M. Montinari; Walter de Gruyter, Berlin-New York 1967 ff.; p. 261<br />
80
„Nach Ihrer Abreise fing in Moskau eine unwahrscheinliche Hitze an. In<br />
Komarowo ist es auch sehr heiß, aber hier ist die Hitze leichter zu<br />
ertragen. An den Abenden und nachts ist es sogar kühl.“<br />
81<br />
(D. Shostakovich an Edison Denissow)<br />
Was Evola als Apoliteia 174 beschreibt, die innere Emigration, den Rückzug aus <strong>der</strong> Welt,<br />
entspricht entfernt dem Konzept des Mönchtums im Mittelalter. Dieses trat,<br />
möglicherweise aus demselben Grund, beson<strong>der</strong>s mit dem beginnenden Christentum und<br />
in Asien auch mit dem Buddhismus auf. Das Motiv ist dasselbe; sich in einer dunklen <strong>Zeit</strong>,<br />
einem <strong>Zeit</strong>alter des geistigen Verfalls aus <strong>der</strong> Welt zurückzuziehen, um einen Rest von<br />
ursprünglicher Reinheit zu bewahren und eventuell zu retten und konzentrieren, hinein in<br />
eine <strong>Zeit</strong>, in <strong>der</strong> das alte Wissen und alte Tugenden wie<strong>der</strong> zur Blüte gebracht werden<br />
können - aufgrund welcher Bedingungen auch immer. Wenn Evola in die innere<br />
Emigration geht und von innerer Emigration spricht, so ist das nichts an<strong>der</strong>es als die innere<br />
Emigration, in <strong>der</strong> sich nun auch die (westlichen) Kirchen befinden und die (westliche)<br />
Geisteswissenschaft, beson<strong>der</strong>s die ursprüngliche Metaphysik.<br />
Die Sprache Evolas und de Santillanas/von Dechends ist die Sprache <strong>der</strong><br />
(Blavatsky’schen) Geheimlehre 175 . Die Qualität <strong>der</strong> Fußnoten nimmt zu und die<br />
(theoretische) wissenschaftliche Akzeptanz. Eine Kontinuität, die alle drei Autoren<br />
miteinan<strong>der</strong> verbindet ist eine wahrnehmbare Wirkung und Rezeption in einem weiten<br />
Leserspektrum, bei gleichzeitigem Totschweigen ihrer Existenz in <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
Welt. Evola erwähnt die Geheimlehre nicht, ebensowenig wie de Santillana/von Dechend –<br />
wobei bei allen dreien stark davon ausgegangen werden kann, daß sie die Geheimlehre<br />
kannten und zumindest als Inspirationsquelle verwendeten. Ich glaube nicht, daß dieses<br />
Verschweigen zu dem Zwecke geschah, die eigene Rechercheleistung in einem besseren<br />
Licht erscheinen zu lassen, son<strong>der</strong>n aus Überlegungen zur Seriosität <strong>der</strong> eigenen Schrift,<br />
dem Druck <strong>der</strong> scientific correctness entsprechend. De Santillana / von Dechend sind in<br />
den wissenschaftlichen Betrieb gut eingebunden, Evola war das nicht und stand dem<br />
174 Evola, Julius: Cavalcare la Tigre – Den Tiger reiten. (Vanni Scheiwiller, Milano 1961); deutsch: Arun<br />
Verlag, Engerda 1997; beson<strong>der</strong>s 187 ff.<br />
175 Blavatsky, Helena P.: Die Geheimlehre.
Außenseitertum einer Blavatsky hinsichtlich des wissenschaftlichen „Establishment“ um<br />
vieles näher. Blavatsky begründete eine bedeutende, wenn auch stille Protestbewegung<br />
gegen die wissenschaftliche Etablierung einer von Anfang an morschen, linearen und<br />
westlichen Geschichtsschreibung indem sie diese immer wie<strong>der</strong> in ihren Texten frontal<br />
angreift, wenn sie etwa schreibt: „Die mo<strong>der</strong>nen Geschichtsschreiber – insbeson<strong>der</strong>e<br />
französische Akademiker wie Renan – haben mehr Anstrengungen gemacht, die Wahrheit<br />
durch Unbeachtetlassen <strong>der</strong> alten Annalen <strong>der</strong> göttlichen Könige zu unterdrücken, als<br />
strenggenommen mit Ehrlichkeit vereinbar ist.“ 176 Diese Blavatsky’schen göttlichen<br />
Herrscher sind es, auf die sich Evola auch immer beruft, wenn er auf die Göttlichkeit hinter<br />
dem Königtum zu sprechen kommt. Daß das Festhalten an <strong>der</strong> Göttlichkeit des Königtums<br />
verkrampft wirkt und er sich windet, selbst im Mittelalter noch Beispiele zu finden, ist eine<br />
an<strong>der</strong>e Sache, und, wie schon erwähnt, teilweise stark biographisch begründet. Im<br />
Hintergrund scheint auch ihm klar geworden zu sein, wie sehr das Königtum degeneriert<br />
ist und wie unmöglich es geworden ist, die Reinheit <strong>der</strong> „göttliche Herkunft“ zu<br />
rechtfertigen – biologistisch, wie geistig. Diese Erkenntnis im Hinterkopf liefert wohl mit<br />
einen Hauptgrund für seine schließliche Resignation; Er findet keine echten Alternativen<br />
zu den „göttlichen Herrschern“, mit denen er sich nun einmal angefreundet hatte. Es ist, als<br />
suche er fortwährend eine Verbindung <strong>der</strong> Welt zu Gott, finde aber keinen Vermittler<br />
mehr. Eine einstweilige Lösung (von <strong>der</strong> Welt) bietet ihm sein Modell <strong>der</strong> inneren<br />
Emigration, das so neu nicht ist, aber in dem materialistisch-aufbauenden Kontext <strong>der</strong><br />
Nachkriegsjahre sowie <strong>der</strong> anschließenden, ebenfalls stark nach außen gerichteten 68-er<br />
Bewegung exotisch wirkt.<br />
176 GL II, p.384<br />
82
Kultur – Zivilisation<br />
Im Zusammenhang mit Evolas und Guénons Theorien vom Nie<strong>der</strong>gang tauchen Fragen<br />
nach Indikatoren kulturellen Fortschritts auf. Markieren ans Tageslicht geför<strong>der</strong>te Keramik<br />
und Werkzeuge den wirklichen Fortschritt und inwieweit ist diese Deutung einem <strong>Zeit</strong>geist<br />
unterworfen? Inwieweit verkörpert die Entwicklung <strong>der</strong> Schrift einen Fortschritt im<br />
Gegensatz zur mündlichen Überlieferung? Ist die Erfindung und Einführung <strong>der</strong> Schrift<br />
nicht ebenso ein Rückschritt für den Menschen, für das lebendige, organische menschliche<br />
Gedächtnis?<br />
Diese und ähnliche Fragen sind auch beson<strong>der</strong>s zu betrachten im Spannungsfeld zwischen<br />
den Begriffen Kultur und Zivilisation. Zwei unvollkommene und in vielem unscharfe<br />
Begriffe, gewiß – aber Indikatoren, Eckpfeiler eines wahrnehmbaren Spannungsfeldes,<br />
dessen Entdeckung und Sichtbarmachung wir beson<strong>der</strong>s Oswald Spengler verdanken.<br />
Nach Spengler kennzeichnet die „Kultur“ das Lebendige, Sinnerfüllte, auf ein Ziel<br />
gerichtete. Ist <strong>der</strong> Lebenszyklus so einer Hochkultur - <strong>der</strong>en er acht in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />
Welt unterscheidet und ihnen jeweils 1000 Jahre Lebensdauer zugesteht - abgelaufen, so<br />
verfällt sie zur „Zivilisation“; das heißt, zu einem sinnentleerten Körper, <strong>der</strong> zwar noch<br />
lebt, in dem sich aber nur noch Altbekanntes wie<strong>der</strong>holt und die Einzelinteressen immer<br />
dominanter werden, bis schließlich <strong>der</strong> ehemalige Kulturkörper sich im Gewimmel <strong>der</strong><br />
Maden auflöst.<br />
Zivilisation, auf dem lateinischen Begriff „civitas“ begründet, ist mit Verstädterung und<br />
generell materiellen Errungenschaften verknüpft, wie Architektur, Straßen- und Kanalbau,<br />
Waffenhandwerk und <strong>der</strong>gleichen. Kultur erscheint auf den ersten Blick Hand in Hand mit<br />
Zivilisation zu gehen, ist bei genauerer Betrachtung jedoch ihr stärkster Wi<strong>der</strong>part, ja stellt<br />
diese permanent in Frage. Lateinisch „cultura“=Landbau induziert die Bearbeitung von<br />
lebendigem Boden. Kultur ist an geistiger, wissenschaftlicher, generell abstrakter<br />
Entwicklung interessiert, tendenziell nicht an materiellen Strukturen.<br />
83
Evola wird als Kulturphilosoph gehandelt und sein Pessimismus ist primär als<br />
Kulturpessimismus zu verstehen – unter Berücksichtigung <strong>der</strong> Spannungsfel<strong>der</strong> zwischen<br />
Kultur und Zivilisation. Diese Tatsache erscheint wie<strong>der</strong> vor<strong>der</strong>gründig banal und auf <strong>der</strong><br />
Hand liegend, dennoch ist es wichtig, sich zutiefst die Immaterialität seines Kulturbegriffs<br />
klar zu machen; sich vor Augen zu führen, wie sehr er sich <strong>der</strong> orthodoxen<br />
Geschichtswissenschaft und Archäologie entzieht.<br />
Dieser Gedanke ist wesentlich für die Behandlung <strong>der</strong> Lehre von den <strong>Zeit</strong>altern, da diese in<br />
erster Linie unter (in evola‘schem Sinne) kulturellen Gesichtspunkten geordnet sind. Es ist<br />
primär von inneren Werten die Rede, wenn in den Schriften Maßstäbe für die<br />
verschiedenen <strong>Zeit</strong>alter gegeben werden, nicht von äußeren Strukturen. Somit befinden<br />
sich die Befürworter eines kulturellen Nie<strong>der</strong>gangs über einen großen <strong>Zeit</strong>raum <strong>der</strong><br />
Geschichte auch nicht zwangsläufig im Wi<strong>der</strong>spruch zum Kanon <strong>der</strong> heutigen<br />
wissenschaftlichen Zivilisationsgeschichte und Archäologie. Ja im Gegenteil<br />
möglicherweise in Übereinstimmung, dann nämlich, wenn – wie es auch Spengler definiert<br />
hat - Kultur als Gegenpol zu Zivilisation verstanden wird. Im Sinne eines<br />
Energiegleichgewichts zwischen den beiden liegt es dann nahe, daß <strong>der</strong> Aufstieg des einen<br />
Pols den Nie<strong>der</strong>gang des an<strong>der</strong>en zur Folge hat.<br />
So kann zum Beispiel <strong>der</strong> hohe künstlerische Wert <strong>der</strong> Zeichnungen in Altamira, Lascaux,<br />
etc., die aus dem Paläolithikum stammen, als Zeichen einer sehr hohen kulturellen Stufe<br />
gewertet werden. Diese hohe Fertigkeit in künstlerischer, daher kultureller Darstellung ist<br />
im Neolithikum bereits verschwunden; G. Hancock vergleicht sie mit einer erst wie<strong>der</strong> in<br />
<strong>der</strong> Renaissance aufgetauchten Qualität zu zeichnen und zu malen 177 . Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite<br />
ist es evident, daß die Werkzeuge, die wahrscheinliche Bekleidung und generelle<br />
zivilisatorische Ausstattung <strong>der</strong> Menschen im Paläolitikum primitiver, gröber war als im<br />
Neolithikum und danach. Diese Strömungen sind natürlich nicht als absolut homogen und<br />
ununterbrochen zu verstehen. Es geht vielmehr darum ein kulturgeschichtliches und<br />
zivilisationsgeschichtliches Muster über das Bild <strong>der</strong> Lehre von den Weltzeitaltern zu<br />
legen und zu vergleichen.<br />
177 Graham Hancock: Un<strong>der</strong>world – Flooded Kingdoms of the Ice Age. Penguin Books, London 2003; p. 364<br />
84
Das Modell von den Polen zwischen Kultur und Zivilisation schließt jedoch nicht die<br />
Möglichkeit aus, daß auch das Gesamtpotential des Feldes Schwankungen unterworfen<br />
sein kann. Es ist nicht nur eine Verschiebung von einer geistig ausgerichteten Kultur in<br />
eine materiell ausgerichtete Zivilisation (und umgekehrt) möglich, son<strong>der</strong>n durchaus ein<br />
gleichzeitiger Qualitätsverlust o<strong>der</strong> eben eine Qualitätssteigerung von Kultur und<br />
Zivilisation gleichzeitig. Somit bilden die Pole von Kultur und Zivilisation zwar ein Feld,<br />
einen in sich stabilen Gedankenkörper, aber kein hermetisch abgeschlossenes System.<br />
85
Rezeption und Reflexion <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter Lehre in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne<br />
Schelling, Hegel, Exkurs und Stirner<br />
86<br />
„»You are all [Greeks] young in mind«, came the reply:<br />
»you have no belief rooted in old tradition and no<br />
knowledge hoary with age«“<br />
(Platon: Timaios)<br />
Die Vollendung <strong>der</strong> Geschichte im goldenen <strong>Zeit</strong>alter sieht Schelling in <strong>der</strong> Vereinigung<br />
<strong>der</strong> beiden Prinzipien, <strong>der</strong> Natur und dem überweltlichen (geistigen) Prinzip. Einen<br />
Aufbruch dahin erkennt er in <strong>der</strong> neuzeitlichen Entwicklung <strong>der</strong> Wissenschaften und <strong>der</strong><br />
sich Bahn brechenden Erkenntnis vom Alter <strong>der</strong> Natur, welche so, im Gegensatz zur<br />
alttestamentarischen Theologie, neu gewichtet wird und (teils durch ihr erst neu erkanntes<br />
hohes Alter) den übersinnlichen Gedanken nun physische Kraft und Lebendigkeit verleiht;<br />
Umgekehrt nähert sich das Geistige von <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite und die Natur wird, durch die<br />
Optik <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wissenschaft betrachtet, immer mehr zum sichtbaren Abdruck von<br />
den höheren Begriffen. Schelling geht weiter von einem Ziel <strong>der</strong> Geschichte aus, einem<br />
„Goldenen <strong>Zeit</strong>alter“, das sich durch Einheit <strong>der</strong> Welt auszeichne; <strong>der</strong> Frieden dieses<br />
goldenen <strong>Zeit</strong>alters werde sich zuerst durch die „einträchtige Verbindung aller<br />
Wissenschaften“ verkünden. 178<br />
Obwohl Evola Schelling, wie auch Hegel gelesen hatte, konnte er ihren, dem 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t so eigenen Optimismus nicht teilen. Hegels Geschichtsoptimismus ist vor<br />
allem auf <strong>der</strong>en (<strong>der</strong> Geschichte) Endzweck bezogen. Er glaubt das Problem <strong>der</strong> Theodizee<br />
zu lösen, indem er das Böse im Affirmativen aufgehen läßt. „Dabei, daß einzelne<br />
Individuen gekränkt [!] worden sind, kann die Vernunft nicht stehenbleiben; beson<strong>der</strong>e<br />
Zwecke verlieren sich in dem Allgemeinen“ 179 . Um den zu jener <strong>Zeit</strong> möglichen<br />
178 F.W.J. Schelling: Die Weltalter (Einleitung). (1811) München 1946 – zitiert in Rossmann: Deutsche<br />
Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.<br />
179 G.W.F. Hegel: Die philosophische Weltgeschichte - Ihr allgemeiner Begriff. (1830) Hamburg 1955 - in<br />
Rossmann: Deutsche Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.
grenzenlosen Positivismus noch deutlicher zu machen, zitieren wir Leon Bloy, wenn er<br />
über Napoleon schreibt: „Ich glaube nicht, daß in seinem ganzen Leben eine Tat o<strong>der</strong> ein<br />
Ereignis stattfand, das nicht auf Gott hin ausgelegt werden kann, nämlich als Vorschattung<br />
[?] des Reiches Gottes auf Erden“ 180 . Man stelle sich diese Aussage hun<strong>der</strong>t Jahre später<br />
und auf Hitler o<strong>der</strong> Stalin bezogen vor! Sie wird da vielleicht nicht für grundsätzlich<br />
falscher gehalten werden, aber mit Sicherheit wi<strong>der</strong>spricht sie in den meisten Kreisen <strong>der</strong><br />
„political correctness“.<br />
Schelling hebt die Annäherung <strong>der</strong> Zivilisation an das Göttliche in <strong>der</strong> Natur hervor, den<br />
Fortschritt <strong>der</strong> Erkenntnis, daß Theologie endlich als in biologischen Vorgängen gespiegelt<br />
erkannt und gefunden wird, etc. Evola hingegen weiß, daß die Revolution <strong>der</strong><br />
Naturwissenschaft über ihr Ziel hinausgeschossen ist, erlebt die erste Dekadenz einer<br />
Wissenschaft, die aus <strong>der</strong> ursprünglichen Phase <strong>der</strong> Befreiungsbewegung zu einem<br />
Machtinstrumentarium geworden ist, die Theologie überholt und ersetzt hat, nicht Balance<br />
und Annäherung, son<strong>der</strong>n Selbstüberhebung und erneute Hybris mit sich brachte. Ein<br />
Machtinstrument, das Mittel wurde zu neuer Knechtung <strong>der</strong> Menschen und <strong>der</strong> Welt durch<br />
von Schelling nie „geahnte“ Tötungsmaschinerien.<br />
Schelling ist Idealist und gewiß, daß die Menschheit sich auf dem aufsteigenden Ast zur<br />
ursprünglichen Einheit befindet, relativiert jedoch zugleich: „Aber noch ist die <strong>Zeit</strong> nicht<br />
gekommen. Wir dürfen unsere <strong>Zeit</strong> nicht verkennen. Verkündiger <strong>der</strong>selben, wollen wir<br />
ihre Frucht nicht brechen, ehe sie reif ist ... noch ist sie eine <strong>Zeit</strong> des Kampfes.“ 181 Somit<br />
geht er nicht von einer sich zunehmend verschlechternden Endzeit aus, <strong>der</strong> dann eine<br />
revolutionsartige Restauration folgt, son<strong>der</strong>n wählt den pragmatischeren protestantischen<br />
Ansatz eines langsamen Aufstiegs und freien Emporarbeitens <strong>der</strong> Menschheit. Letztere<br />
Betrachtung legt auch einen grundsätzlichen Unterschied <strong>der</strong> Eschatologie zwischen<br />
Protestantismus und Katholizismus nahe; denn obschon Evola sich als Heide bezeichnet,<br />
bestätigt sein fortwährendes Ringen um Abstand zur katholischen Tradition seines Landes<br />
180 Léon Bloy (Hrsg.: A. Béguin / H. U. v. Balthasar): Schrei aus <strong>der</strong> Tiefe. Johannes Verlag, Einsiedeln/Trier<br />
1987; p. 178<br />
181 F.W.J. Schelling: Die Weltalter (Einleitung). (1811) München 1946 - in Rossmann: Deutsche<br />
Geschichtsphilosophie von Lessing bis Jaspers. p 191 ff.<br />
87
und <strong>der</strong> seiner darin eingebetteten aristokratischen Vorfahren zugleich seine unentrinnbare<br />
Nähe zu <strong>der</strong>selben.<br />
Ein eher schwacher Abglanz des Konzepts von den vier Weltaltern sind Hegels „vier<br />
welthistorische Reiche“ 182 , in denen sich die Entwicklungsstadien des Weltgeistes<br />
verkörpern sollen. Er greift hierzu den im Buch Daniel geäußerten und im gesamten<br />
Mittelalter populären Gedanken von vier Weltreichen auf, paßt ihn jedoch nationalen<br />
politischen Tendenzen an, indem er das persische und babylonische Reich in ein<br />
schwammig definiertes „orientalisches Reich“ zusammenfaßt und die Weltreiche somit –<br />
günstig für die Gegenwart – zeitlich um die Dauer eines Reiches nach vorne schiebt. Das<br />
„germanische Reich“ wird nun zu einem vollwertigen vierten.<br />
Der Durchbruch dieses Gedankens erfolgte schon daher nie, weil er den seit dem<br />
Mittelalter erweiterten Horizont nicht einbezog; Konnte im Mittelalter die „Welt“ noch<br />
zwischen Babylon/Persien und römischem Reich definiert werden, so war es zu Beginn des<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>ts eigentlich nicht mehr angemessen geographisch-historische Einheiten wie<br />
das chinesische Reich, den indischen Kulturkreis, Persien und Mesopotamien in ein<br />
„orientalisches Reich“, einen Aspekt des Weltgeistes zu fassen.<br />
Max Stirner geht, obwohl Hegelianer, einen an<strong>der</strong>en Weg, indem er in seiner von wirren<br />
Analogien durchsetzten Menschwerdungsgeschichte sich deutlich erkennbar, aber nicht<br />
erwähnt, an Joachim von Fiores Drei-<strong>Zeit</strong>alterlehre orientiert. Diese hatte sich seit dem 12.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>t rasch in Europa verbreitet, war sie doch eine erste originär christliche<br />
Weltalterlehre und konnte als Gegenmodell zu <strong>der</strong> alttestamentarischen aus dem Buch<br />
Daniel gesehen werden. In ihr macht de Fiore Christus zur Achse <strong>der</strong> Weltgeschichte,<br />
indem er diese in das „<strong>Zeit</strong>alter des Vaters“, dem die alttestamentarische, patriarchalische<br />
<strong>Zeit</strong> entspricht, in das „<strong>Zeit</strong>alter des Sohnes“ und das kommende „<strong>Zeit</strong>alter des Heiligen<br />
Geistes“ einteilt. Durch diesen einfachen, aber großen Entwurf einer christlichen<br />
Sinngebung <strong>der</strong> Historie gelang es ihm, dem alten Gedanken vom Abstieg des Geistigen<br />
(das ist nicht <strong>der</strong> Heilige Geist) durch die <strong>Zeit</strong>alter einen positiven neuen Aspekt zu<br />
verleihen; indem er nämlich den Augenmerk nicht wie bisher auf den Verlust des alten<br />
Himmels richtete, son<strong>der</strong>n den christlichen Gedanken von <strong>der</strong> neuen Reinheit <strong>der</strong><br />
182 G.W.F. Hegel: Grundlinien <strong>der</strong> Philosophie des Rechts. Berlin 1821; § 354 ff.<br />
88
(weiblichen) Natur, <strong>der</strong> auch schon im Judentum angelegt war, in den Vor<strong>der</strong>grund<br />
brachte. Die Involution des göttlichen Funkens, das Tragen des Kreuzes <strong>der</strong> Materie wird<br />
als Grundbedingung zu Freiheit und schöpferischer Selbstständigkeit bejaht. Das<br />
kommende <strong>Zeit</strong>alter wird als „geheiligt“ erwartet, ist nicht mehr die dunkle Zukunft eines<br />
Hesiod, son<strong>der</strong>n steht am Ende des monadischen Abstiegs nicht als <strong>der</strong>en Grab und<br />
Gefängnis da, son<strong>der</strong>n als von ihr gesegnete und ganz durchdrungene Natur.<br />
Zurück zu Max Stirner: Dieser griff also, ohne sie zu erwähnen, de Fiores <strong>Zeit</strong>alterlehre<br />
auf, teilte drei Weltalter ein nach drei Entwicklungsstadien des Menschen und nannte sie<br />
Kin<strong>der</strong>stadium, Jünglingsstadium und das Stadium des Mannes. Analog dazu ordnete er<br />
die Weltgeschichte in einem heute grob und chauvinistisch anmutenden Wurf in ein<br />
„negerhaftes“ Weltalter, ein „mongolisches“ und ein „wirklich kaukasisches“ Weltalter,<br />
zumal er davon ausging, die Weltgeschichte sei eigentlich Angelegenheit des<br />
„kaukasischen Stammes“. 183 Das „negerhafte“ repräsentiert das von Ägypten und Afrika<br />
(?) dominierte Altertum, das „mongolische“ die Ära des Christentums, welche er wie<strong>der</strong> in<br />
einer kulturellen Kramlade mit <strong>der</strong> chinesischen Kultur, <strong>der</strong> mongolischen und russischen<br />
zusammenwirft.<br />
So befremdlich Stirners Einteilung und Weltanschauung heute wirkt, zeigt sie doch gut das<br />
durch Hegel wie<strong>der</strong> emporgebrachte Suchen des europäischen Geistes nach einer Ordnung<br />
in <strong>der</strong> rasant beschleunigten (Welt-) Geschichte und enthüllt in ihrer Konfusion und<br />
Wahnwitzigkeit zugleich die bodenlose Orientierungslosigkeit im einsetzenden<br />
Industriezeitalter - offenbart so die Endgültigkeit des Bruches mit <strong>der</strong> alten Ordnung.<br />
Spenglers Schatten<br />
Spengler bezeichnet das, was er gefunden hat als „wahr“. Wahr für ihn, und, wie er glaubt,<br />
„auch für die führenden Geister <strong>der</strong> kommenden <strong>Zeit</strong>, nicht wahr an sich „. 184 Er weist die<br />
Unterstellung des Pessimismus zurück. Seine Erkenntnisse seien nicht für die<br />
183 Stirner: Der Einzige und sein Eigentum. „Die Hierarchie“. p. 71 ff.<br />
184 Spengler, Oswald: Untergang des Abendlandes – Umrisse einer Morphologie <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />
Braumüller, Wien 1918; p. viii<br />
89
Ewiggestrigen bestimmt, son<strong>der</strong>n für die „Pfadfin<strong>der</strong> des Morgen“ 185 . Spenglers Buch war<br />
in <strong>der</strong> ersten Nie<strong>der</strong>schrift vollendet, als <strong>der</strong> Erste Weltkrieg ausbrach. Evola übersetzte<br />
Spengler teilweise, kommentierte ihn, 186 und bezieht sich auf ihn 187 . Julius Evolas hat sein<br />
Schlüsselbuch, die Revolte gegen die mo<strong>der</strong>ne Welt, zum ersten Mal 1934 herausgegeben,<br />
am Vorabend des Zweiten Weltkrieges. Man kann beiden, wohl nicht ohne Berechtigung<br />
unterstellen, daß sie die Katastrophen <strong>der</strong> nahenden großen Kriege geahnt haben müssen.<br />
Trotz <strong>der</strong> gegenteiligen Beteuerungen Spenglers, ist beiden Büchern natürlich eine gewisse<br />
pessimistische Grundhaltung eigen. So schreibt Spengler im Vorwort zum Untergang des<br />
Abendlandes, es sei ihm „trotz des Elends und Ekels dieser Jahre... unter den Händen<br />
entstanden“ 188 . Immer wird die jeweilige <strong>Zeit</strong>qualität einen Einfluß haben auf den Denker,<br />
<strong>der</strong> in ihr lebt und schreibt; um wie viel mehr Dunkelheit aber muß man diesen beiden<br />
abziehen o<strong>der</strong> gutschreiben, die sich mit Kultur- und Menschheitsgeschichte in den Jahren<br />
des radikalen Verfalls <strong>der</strong>selben befaßten, um das von ihnen Geschriebene zu<br />
objektivieren.<br />
Spengler versucht, die linienhafte Vorstellung von Geschichte durch eine zyklische zu<br />
ersetzen und leugnet, daß „die Menschheit“ ein Ziel, eine Idee und einen Plan habe, ja<br />
bezeichnet den Begriff Menschheit selbst als „ein Abstraktum“. Obwohl Evola sicher<br />
einige wesentliche Anregungen von Spengler bezog und ihn auch öfter erwähnt, ist es<br />
wahrscheinlich, daß er den Großteil seiner Ideen und Vorstellungen von den Theosophen<br />
bezog, <strong>der</strong>en wesentlichste Schriften er mit Sicherheit kannte; aus mehreren Gründen<br />
erwähnt er sie nur äußerst selten und dann meist kritisierend. Wahrscheinlich zum einen<br />
weil diese wissenschaftlich nicht anerkannt waren und nach wie vor nicht sind, zum<br />
an<strong>der</strong>en wohl, um sich nicht des Plagiatismus verdächtig zu machen. 189<br />
185 Spengler; p. viii<br />
186 Evola, Julius:“Spengler e il Tramont dell’Occidente.“ in Qua<strong>der</strong>ni di testi evoliani, n: 14; Fondazione<br />
Julius Evola, Roma 1981.<br />
187 Z.B.: Evola, Julius: Cavalcare la Tigre. p. 219 f.<br />
188 Spengler; p. ix<br />
189 Es bleibt eine zukünftige Aufgabe nachzuweisen wie viel nicht nur die New Age-Bewegung <strong>der</strong><br />
Theosophischen Gesellschaft verdankt; auffallend ist die Ähnlichkeit vieler späteren Ideen mit denen <strong>der</strong><br />
Theosophie bei gleichzeitiger Seltenheit <strong>der</strong> Verweise auf diese.<br />
90
Spenglers Zyklen sind Lebenskreise von Individuen – individuellen Kulturen, die wie<br />
Wesen geboren werden, wachsen und vergehen. Evola hingegen geht generell von <strong>der</strong><br />
gesamten Menschheit als Wesen aus, bzw. von <strong>der</strong> Erde als Wesen. Er schließt damit die<br />
Spengler’schen Wesen in Form von Hochkulturen nicht aus, aber gibt ihrem (bei Spengler<br />
naturhaften) Nebeneinan<strong>der</strong> eine metaphysische Ordnung, <strong>der</strong> sie unterstellt werden.<br />
Ähnlich wie in <strong>der</strong> früheren Vorstellung vom Wan<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Hochkulturen durch die vier<br />
<strong>Zeit</strong>alter von Osten nach Westen, vom persischen in das römische Reich, wo jeweils eine<br />
dieser Hochkulturen die Welt dominierte (noch nicht beherrschte). Spengler ist<br />
Theoretiker des Horizontalen, Evola denkt und lebt vertikal, hierarchisch. Ihre Bedeutung<br />
haben beide insofern sie Aspekte von Kulturgeschichte aufzeigen; man kann Tschechows<br />
„das Meer ist groß“ nicht nur mit Tiefe o<strong>der</strong> nur mit Ausdehnung erklären – Tiefe und<br />
Ausdehnung sind untrennbar zu „Größe“ verbunden. Bedeutung kommt dem einen o<strong>der</strong><br />
dem an<strong>der</strong>en insofern zu, als die Tiefe o<strong>der</strong> die Ausdehnung in Vergessenheit gerät und<br />
eine Korrektur <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Wirklichkeit abweichenden momentanen Vorstellung<br />
notwendig wird. Hier ist Spenglers (zeitliche) Nähe zur <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Monarchie zu verstehen,<br />
als zu einer hierarchischen Gesellschaft - und Evola im Kontext <strong>der</strong> Massen (-kultur) und<br />
Auflösung <strong>der</strong> Klassen vor und nach dem zweiten Weltkrieg zu begreifen. Viel<br />
‚Menschliches‘ und nur ein Destillat an Absolutem!<br />
Wo sich Evolas und Spenglers Wege aber eindeutig trennen, ist <strong>der</strong> von ihnen jeweils<br />
behandelte <strong>Zeit</strong>raum. Während Spenglers Geschichte mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
wissenschaftskonform mit den ägyptischen, indischen, persischen und babylonischen<br />
Hochkulturen ansetzt, umfaßt Evolas Vorstellung mindestens Jahrtausende mehr und dehnt<br />
sich in mythologische <strong>Zeit</strong>räume aus, die heute als Ur- und Frühgeschichte von <strong>der</strong><br />
eigentlichen „Geschichte“ streng getrennt werden. Spengler spricht mit großer<br />
Selbstsicherheit, teilweise anmaßend von dem großen Überblick, den er zu haben glaubt,<br />
aber die antike Vorstellung von einem noch viel größeren Zyklus, die ihm bekannt<br />
gewesen sein muß, scheut er sich aufzugreifen. Fürchtet er sich noch einen Schritt weiter<br />
zu gehen? Hat er Angst vor einem noch viel größeren Dunkel in einer noch viel längeren<br />
<strong>Zeit</strong>, an <strong>der</strong> gemessen seine 1000 Jahre zu Bruchteilen verblassen würden? Spengler bindet<br />
die Existenz seiner acht Kulturen nicht metaphysisch in ein kosmisches Sinngefüge ein und<br />
91
vertritt die Meinung, „daß innerhalb <strong>der</strong> Menschengeschichte plötzlich <strong>der</strong> Typus <strong>der</strong><br />
hohen Kultur erscheint, ist ein Zufall [!], dessen Sinn nicht nachzuprüfen ist“ 190 . Vor allem<br />
schließt er hiermit – im Gegensatz zu Evola und den Theosophen - die Existenz und den<br />
Einfluß höherer, über dem Menschen stehen<strong>der</strong> Wesen aus, ausgenommen vielleicht einem<br />
sehr fernen abstrakten Gott. Dies macht ihn zu einem typischen Vertreter <strong>der</strong><br />
wissenschaftlichen Neuzeit und Mo<strong>der</strong>ne und trennt ihn hauptsächlich und tief von <strong>der</strong><br />
Welt Evolas – macht diese beiden Welten letztendlich doch wie<strong>der</strong> unvergleichbar.<br />
Spengler bewegt sich im geschlossenen System einer langsam herangebildeten<br />
abendländischen Wissenschaft.<br />
Evola schwankt zwischen zwei Systemen; dem nicht min<strong>der</strong> geschlossenen <strong>der</strong><br />
Theosophen und dem etabliert-wissenschaftlichen. Seine innere Verbundenheit gehört <strong>der</strong><br />
mehr geistigen und magischen Lehre, die im Wesentlichen theosophisch ist, während er<br />
erkennt, daß er nur mit Hilfe und unter Verwendung des etabliert-wissenschaftlichen<br />
Systems durchdringen, etwas bewirken kann. Diese wesentliche innere Spaltung sollte man<br />
sich an einigen Stellen vor Augen halten, wo er wi<strong>der</strong>sprüchlich wirkt.<br />
Jaspers Achse<br />
Jaspers geht nicht primär von einer Ordnung <strong>der</strong> Geschichte durch Weltalter aus, 191 aber<br />
seine Strukturierung durch eine Achse weist gewisse Parallelen auf. So hat etwa Éri<br />
YukteÛvar die vier Yugas um eine imaginäre Achse gespiegelt, zu <strong>der</strong>en Seiten ein Kali<br />
Yuga ab- und auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite wie<strong>der</strong> aufsteigt. Während Éri YukteÛvar seine Achse,<br />
den tiefsten Punkt <strong>der</strong> Involution des Weltgeistes mit 500 n. Chr. angibt, liegt nach Jaspers<br />
„ ... <strong>der</strong> tiefste Einschnitt <strong>der</strong> [gesamten Menschheits-; C.D.] Geschichte“ 192 um 500 v.<br />
Chr., genauer zwischen 800 und 200 v. Chr.<br />
190 Spengler, Oswald: Untergang des Abendlandes. p. 597<br />
191 ... zitiert diese aber (p. 24) als Geschichtsmodelle <strong>der</strong> Achsenzeit.<br />
192 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p. 19.<br />
92
Jaspers meint mit seiner „Achse“ jedoch nicht so sehr einen globalen kulturell-<br />
zivilisatorischen Tiefstand, wie die indische und antike Weltalterlehre, son<strong>der</strong>n einen<br />
(globalen) Moment des Umbruchs; wenn er auch einräumt, daß die Jahrhun<strong>der</strong>te <strong>der</strong><br />
Achsenzeit „... keine einfach aufsteigende Entwicklung“ waren, son<strong>der</strong>n „... Zerstörung<br />
und Neuhervorbringen zugleich“. Gemein mit einigen Ansichten über das Kali Yuga ist die<br />
Idee von einer <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Re-flexion des (höchsten) Geistes im Materiellen.<br />
Eine Gemeinsamkeit zur „Geschwindigkeit“ und (materiellen) „Dichte“ <strong>der</strong> Kali Yuga-<br />
Achse liegt aber wie<strong>der</strong> in einer ähnlichen Terminologie, wenn Jaspers davon spricht, daß<br />
„in dieser <strong>Zeit</strong> 193 ... sich Außerordentliches zusammen [-drängt]“ 194 und einige Seiten später<br />
dann von „ ... <strong>der</strong> reißend schnellen Bewegung“ 195 . Das was darüber hinaus bleibt, ist die<br />
gemeinsame Idee einer großen Symmetrie <strong>der</strong> Geschichte.<br />
Ein hauptsächlicher Fehler Jaspers in <strong>der</strong> Anlage seiner Achse liegt darin, daß er noch<br />
nicht in <strong>der</strong> Lage war, sich von einem eurozentrischen Geschichtsbild zu befreien. Damit,<br />
daß er die <strong>Zeit</strong> von 500 v. Chr als beson<strong>der</strong>s „dicht“ und entscheidend bewertet, geht er<br />
von einer schriftlichen Dichte dieser <strong>Zeit</strong> aus und legt somit einen schriftlichen Maßstab<br />
an. Wiewohl wir den Entwurf einer Geschichtsachse gutheißen, kommt er nicht auf den<br />
Gedanken, daß, zumindest in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> vor seiner Achse, ebensolche globale Umwälzungen<br />
in sozialer und bewußtseinsmäßiger Hinsicht sich vollzogen haben könnten. Kurzum,<br />
Jaspers „Achsenzeit“ ist immer noch zu eng an ein europäisches Geschichtsverständnis<br />
und damit an einen europäisch 196 festgesetzten Geschichtsbeginn gekoppelt; dieses<br />
europäische Geschichtsverständnis wie<strong>der</strong>um krankt primär an seiner For<strong>der</strong>ung nach<br />
Schriftlichkeit, die zum Maßstab für Kultur wird.<br />
Wie später bei Jaspers und an<strong>der</strong>en findet sich auch in <strong>der</strong> Geheimlehre eine <strong>Zeit</strong>enwende,<br />
die dort als „Periode des höchsten Kampfes“ beschrieben wird, „... <strong>der</strong> damit endete, daß<br />
die alten Religionen zu Gunsten einer neuen, auf ihren eigenen Leibern aufgerichteten,<br />
193 ... <strong>der</strong> Achsenzeit<br />
194 Jaspers: <strong>Vom</strong> Ursprung und Ziel <strong>der</strong> Geschichte. p. 20; kursiv von mir.<br />
195 Ebenda p. 23<br />
196 Mit „europäisch“ sind die maßgeblich in Europa entwickelte Geschichtstheorien und –modelle gemeint; in<br />
weiterer Folge das daraus abgeleitete „westliche“, abendländische Geschichtsverständnis, also z.B. Amerika<br />
miteinschließt.<br />
93
erdrosselt wurden“ und auf die <strong>Zeit</strong> Konstantins angesetzt wird 197 . Der Ausblick in die weit<br />
entfernte Vergangenheit „jenseits <strong>der</strong> Sintflut und dem Garten Eden“ wurde an diesem<br />
Wendepunkt <strong>der</strong> Geschichte „... gewaltsam und unbarmherzig mit allen erlaubten und<br />
unerlaubten Mitteln dem indiskreten Blick <strong>der</strong> Nachwelt verschlossen. ...“ 198<br />
Jaspers ist es jedenfalls zu verdanken, daß die Gleichzeitigkeit wesentlicher<br />
welthistorischer Abläufe klar herausgestrichen wurde, und er hat deutlich machen können,<br />
daß untereinan<strong>der</strong> nicht wesentlich verknüpfte Kulturen o<strong>der</strong> Zivilisationen – wie eben<br />
China, Indien, <strong>der</strong> vor<strong>der</strong>e Orient und Griechenland 199 – zur selben <strong>Zeit</strong> sehr ähnliche<br />
kulturelle Formen entwickeln können. Dieser Gedanke, <strong>der</strong> dann durch C.G. Jungs<br />
„kollektives Unbewußtes“ erweitert wurde, muß auch notwendiger Teil und Prämisse einer<br />
Welt-<strong>Zeit</strong>alterlehre sein, insofern man einen „Weltgeist“ annimmt, <strong>der</strong> die jeweiligen <strong>der</strong><br />
<strong>Zeit</strong> angemessenen inneren Formen auf die Erde überträgt. Ein neuerer Versuch sich von<br />
naturwissenschaftlicher Seite an dieses Phänomen heranzutasten ist von Rupert Sheldrake<br />
unter Prägung <strong>der</strong> Begriffe „morphogenetische Fel<strong>der</strong>“ und „morphische Resonanz“<br />
gemacht worden, die Theosophen sprechen von „Akasha-Chronik“ und beziehen sich so<br />
auf die (antike) Mediumschaft des Äthers, etc.<br />
Theosophie<br />
Von allen Wegen, die die Lehre von den Weltzeitaltern in das gegenwärtige Bewußtsein<br />
<strong>der</strong> Menschen genommen haben, sollte <strong>der</strong> Anteil <strong>der</strong> Theosophie nicht unterschätzt<br />
werden. Eine nicht unbeträchtliche Zahl Intellektueller hat sich mit <strong>der</strong> Geheimlehre<br />
auseinan<strong>der</strong>gesetzt o<strong>der</strong> ist sogar eng mit ihr verbunden gewesen. Die von Olcott und<br />
Blavatsky gegründete Theosophische Gesellschaft gilt als Initiator <strong>der</strong> New Age<br />
Bewegung und bildet nach wie vor eine wesentliche Grundlage <strong>der</strong>selben. René Guénon,<br />
197 ... was sich bis auf zwei Jahrhun<strong>der</strong>te mit Éri YukteÛvars Mitte des Kali Yuga deckt.<br />
198 GL I, p. 27<br />
199 Jaspers geht von einem physisch nicht wesentlich vorhandenen Kontakt zwischen Indien und China vor<br />
<strong>der</strong> Verbreitung des Buddhismus, und Griechenland mit Indien vor <strong>der</strong> Römerzeit aus. (p. 35 f)<br />
94
einer <strong>der</strong> wichtigsten Autoren für Evola, beschäftigte sich ebenso mit <strong>der</strong> Geheimlehre, wie<br />
nach ihm Evola und verfaßte 1921 eine Kritik <strong>der</strong> Theosophie 200 . Beim Lesen <strong>der</strong> Revolte<br />
bemerkt man zweifelsfrei den starken Einfluß <strong>der</strong> Geheimlehre auf Evolas<br />
Weltanschauung, obwohl er sich davor hütet diese in seinen ohnehin schon knappen<br />
Anmerkungen zu erwähnen.<br />
Die Geheimlehre wie<strong>der</strong>um, Fundament <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen von Helena P. Blavatsky<br />
begründeten Theosophie, beruft sich auf drei Quellen für ihre Zyklenlehre: Den Tamil-<br />
Kalen<strong>der</strong> (Tirukkanda PanchËnga) 201 Südindiens, die Zahlen des Arya Samaj 202 und die<br />
Aufzeichnungen in „õkËÚa“, <strong>der</strong> dem „Weltäther“ zugrundeliegenden Substanz, einer Art<br />
universellem Speicher aller Geschehnisse und allen Wissens. Aus dieser „õkËÚachronik“<br />
würden „hoch entwickelte Menschen“ weitere Kenntnisse zu den schon vorhandenen<br />
Schriften gewinnen können.<br />
Die Einteilung <strong>der</strong> Zyklen <strong>der</strong> Erde erfolgt nach „Runden“, Yugas und Mahayugas, die<br />
alle noch einer Einteilung in jeweils sieben Unterstufen unterzogen werden. 203<br />
Grundlage <strong>der</strong> theosophischen <strong>Zeit</strong>einteilung und Zyklen sind – im Gegensatz zu einer<br />
mechanistischen Sichtweise - innere, geistige und das Bewußtsein betreffende Vorgänge<br />
<strong>der</strong> einen Gottheit, <strong>der</strong> „Götter“ und <strong>der</strong> Menschen. In den Lehren <strong>der</strong> Theosophen wird<br />
dargelegt, wie man sich die Hesiod’schen Götter vorzustellen habe. Es wird nicht von<br />
einem Gegensatz zwischen Polytheismus und Monotheismus ausgegangen; „Die Götter“<br />
sind alle „... Wesen, die nach oben hin die Menschheitsstufe überschritten haben“ 204 und<br />
damit in einen Zustand <strong>der</strong> Göttlichkeit eingetreten sind. Diese Definition entspricht vage<br />
dem nietzscheanischen „Übermenschen“, ist jedoch eindeutiger und im Zusammenhang<br />
eines Systems formuliert. Den Göttern gegenüber aber in keinerlei Wi<strong>der</strong>spruch zu ihnen<br />
200 René Guénon: Theosophy: History of a Pseudo-Religion. (?) 1921<br />
201 GL II, p. 71<br />
202 Eine (nordindische) Schule, die 1875 als Gegenmodell zur kolonialen Bildungsoffensive <strong>der</strong> britischen<br />
Verwaltung gegründet wurde, sich eine vedische Renaissance zum Ziel gesetzt hat und auch heute noch<br />
Einfluß – z.B. auf die indische Regierungspartei BJP - ausübt.<br />
203 Fährmann: Die Lehre von <strong>der</strong> periodischen Wie<strong>der</strong>kehr im Kosmos. p. 32<br />
204 Fährmann: Die Lehre von <strong>der</strong> periodischen Wie<strong>der</strong>kehr im Kosmos. p. 34<br />
95
steht Gott als Prinzip, das absolut gesetzt, unpersönlich und ewig wirkt, ähnlich dem<br />
indischen õtman o<strong>der</strong> dem griechischen Logos. Der theosophische Kosmos wird in<br />
mehreren Ebenen belebt vorgestellt, wobei die übermenschlichen Wesen (Götter) nach<br />
jedem kleinen und größeren Pralaya, nach je<strong>der</strong> Weltzerstörung, die Welt neu erschaffen,<br />
wie in <strong>der</strong> Torah die Elohim. Sie treten in weiterer Folge als „Erzieher“ <strong>der</strong> unter ihnen<br />
liegenden Reiche auf. Dies geschieht in aktiver und passiver Form; aktiv, wenn sie den<br />
unteren Reichen (z.B. dem Menschenreich) bewußt wahrnehmbar erscheinen und direkt<br />
auch auf die physischen Ebene einwirken – passiv, wenn sie in dunkleren <strong>Zeit</strong>en wie den<br />
Kali Yugas unsichtbar, entrückt auf feineren Ebenen, wie <strong>der</strong> „mentalen“ o<strong>der</strong> „kausalen“,<br />
wirken.<br />
Die Lehre von den Weltaltern ist nicht vollständig denkbar, ohne die Idee von <strong>der</strong><br />
Involution und Evolution des Geistes. Wenn sie von „Menschen“ reden, sprechen die<br />
96
Theosophen von sehr unterschiedlichen Wesen und meinen primär eine selbstständige über<br />
das Tierreich hinausentwickelte Monade. Form und Aggregatzustand dieses Wesens, dem<br />
sie mangels einer metaphysischen Terminologie hierfür in den europäischen Sprachen<br />
keine an<strong>der</strong>e Bezeichnung geben, kann aber sehr unterschiedlich ausfallen. Für weitere<br />
Verwirrung sorgt die theosophische Theorie, daß <strong>der</strong> „Mensch“ nicht nur einmal<br />
erschaffen o<strong>der</strong> sich entwickelt hat, son<strong>der</strong>n immer wie<strong>der</strong> neu in verschiedenen solaren,<br />
planetarischen und „Globenrunden“ in Erscheinung tritt, somit uranfänglich als „Bild<br />
Gottes“ schon vorhanden war. Begrifflich verbindend bleiben nur die „menschlichen<br />
Monaden“ übrig, eine bestimmte Entwicklungsstufe repräsentierend, <strong>der</strong>en Komplexität<br />
das heutige wissenschaftliche Menschenbild gedanklich weit übersteigt.<br />
So sieht man auch im ersten Buch Mose unmittelbar hintereinan<strong>der</strong> angeordnet zwei<br />
unterschiedliche Schöpfungsgeschichten aufeinan<strong>der</strong>prallen. Zuerst wird dort eine<br />
Schöpfung geschil<strong>der</strong>t, die den Menschen als Abschluß erhält, dann eine<br />
Schöpfungsgeschichte, die den Menschen an den Anfang allen Lebens stellt und erst in<br />
Folge Pflanzen und Tiere erscheinen läßt. Es ist ohne weiteres möglich, und auch<br />
geschehen, diese Wi<strong>der</strong>sprüche mit dem Verweis auf symbolische Interpretation o<strong>der</strong><br />
unterschiedliche Textschichtungen und –fragmente zu beseitigen. Sollte die metaphysische<br />
Prämisse von einem mehrfach erschaffenen Menschen aber auch in an<strong>der</strong>en mythologisch-<br />
religiösen Systemen (als <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Theosophie) gelten können, und würde man<br />
versuchen, zumindest einen metaphysischen Menschen-Begriff weiter zu fassen, wären<br />
auch bisher wi<strong>der</strong>sprüchlich erscheinende Schöpfungs- und Weltuntergangsmythen besser<br />
interpretierbar und in Übereinstimmung zu bringen.<br />
Für kosmische Verankerung <strong>der</strong> Vormachtstellung des Menschen in <strong>der</strong> Schöpfung sorgt<br />
in <strong>der</strong> Theosophie die These, daß <strong>der</strong> (theosophisch definierte) Mensch bereits in einem<br />
sehr frühen Stadium <strong>der</strong> Entwicklung irdischen Lebens vorhanden war – und zwar in<br />
seiner ersten Wurzelrasse 205 und in ausschließlich geistiger Form. <strong>Zeit</strong>alter auf <strong>Zeit</strong>alter<br />
verdichtet sich nun sein Körper, wie auch die Formen <strong>der</strong> Pflanzen und Tiere, ähnlich dem<br />
205 Der theosophische Begriff „Rasse“ hat nur wenig gemeinsam mit den herkömmlichen biologischen<br />
Vorstellungen, die allgemein daran geknüpft werden. Er ist geistig zuverstehen. Physisch ist es beinahe<br />
unmöglich Individuuen verschiedener Rassen voneinan<strong>der</strong> abzugrenzen. Diesen Rassebegriff hat auch Evola<br />
vertreten und bemühte sich, ihn im nationalsozialistischen Deutschland zu verbreiten.<br />
97
platonischen System, sich Schritt für Schritt aus einer idealen Welt materialisieren und in<br />
<strong>der</strong> sinnlich wahrnehmbaren Welt erscheinen.<br />
Das gesamte System nur zu umreißen würde schon den Rahmen sprengen; Obige These<br />
vom relativ zu den abendländischen Wissenschaften viel höheren Alter <strong>der</strong><br />
„Menschheit“ 206 , verringert den Abstand <strong>der</strong>selben zu kosmischen Größen, wie etwa dem<br />
„si<strong>der</strong>ische Jahr“ 207 .<br />
Die Theosophen gehen – ebenso wie an<strong>der</strong>e mystische Schulen – von einer siebenfachen<br />
Schichtung <strong>der</strong> Schöpfung aus und unterteilen daher auch alle Zyklen in jeweils sieben<br />
Einheiten. Diese sieben (<strong>Zeit</strong>-) Einheiten sind grundsätzlich auf vier Ebenen verteilt, die<br />
den klassischen vier Pfeilern <strong>der</strong> Welt entsprechen, den vier Tieren, etc. Die Ebenen sind<br />
nach dem Grad ihrer Geistigkeit angeordnet und entsprechen „Bewußtseinsgraden“ <strong>der</strong><br />
Schöpfung; Die jeweilige erste <strong>Zeit</strong>einheit befindet sich in <strong>der</strong> obersten Ebene, die zweite<br />
in <strong>der</strong> nächsten darunterliegenden, usw – bis zur vierten Ebene, <strong>der</strong> materiell dichtesten.<br />
Dann erfolgt ein erneuter Aufstieg durch die oberen drei Ebenen. Diese sieben<br />
<strong>Zeit</strong>einheiten und Bewußtseinsgrade, durch die sich alles Leben vom „Ätherischen“ zum<br />
„Geistigen“ entwickelt, sind im allgemeinen durch Pralayas voneinan<strong>der</strong> getrennt 208 .<br />
Jede <strong>der</strong> sieben „Wurzelrassen“ <strong>der</strong> physischen Erde wird in vier <strong>Zeit</strong>alter eingeteilt; diese<br />
werden explizit auch als goldenes, silbernes, ehernes und eisernes <strong>Zeit</strong>alter bezeichnet und<br />
damit <strong>der</strong> klassischen <strong>Zeit</strong>alterlehre vergleichbar gemacht. Erschwert wird dies durch die<br />
konsequente Systematisierung <strong>der</strong> Theosophen - die immer von einer oberen Ordnung und<br />
damit von einer idealen Ordnung ausgehen – indem sie sich beeilen hinzuzufügen, auch<br />
alle an<strong>der</strong>en Unter- und Familienrassen hätten ihr goldenes, usw. <strong>Zeit</strong>alter. Damit werden<br />
206 Die Stellung des Menschen wird in <strong>der</strong> Geheimlehre durch eine systematische ideale und „notwendige“<br />
Einbindung desselben in den Kosmos noch weiter erhöht.<br />
207 Das „si<strong>der</strong>ische Jahr“ entspricht hier <strong>der</strong> Dauer des Präzessionszyklus und wird in <strong>der</strong> Geheimlehre genau<br />
mit 25 868 Erdenjahren angegeben. (GL I, p. 334, 469; GL II, p. 345 ff, 372, etc.) – In <strong>der</strong> heutigen<br />
Astronomie wird jedoch <strong>der</strong> absolute Umlauf <strong>der</strong> Erde um die Sonne als „si<strong>der</strong>isches Jahr“ bezeichnet, also<br />
nur etwa 365 Tage.<br />
208 Pralayas, die je nach Größe des Zyklus eine unterschiedliche Tiefe besitzen, daher unterschiedliche<br />
Ebenen erfassen.<br />
98
Überlagerungen eingeräumt, die angesichts <strong>der</strong> schwierigen physischen Unterscheidbarkeit<br />
<strong>der</strong> „Rassen“ einen Nachvollzug auf empirischer Basis gewaltig erschweren. So erlebte<br />
etwa die vierte „Wurzelrasse“ ihr Kali Yuga zu <strong>der</strong>selben <strong>Zeit</strong>, als die fünfte sich in ihrem<br />
Goldenen <strong>Zeit</strong>alter, in ihrer „ursprünglichen Reinheit“ befand. Auf Hesiod angewandt<br />
würde dieses System dessen Verwirrung bezüglich des Heroengeschlechts nachvollziehbar<br />
machen. Dennoch gibt es globale <strong>Zeit</strong>alter, indem nämlich jeweils weltweit<br />
vorherrschende Rassen bezeichnet werden; Somit bekommt die Welt einen menschlichen<br />
(geistigen) ‚Schwerpunkt‘ zugewiesen, <strong>der</strong> sich langsam von dem Siedlungsgebiet <strong>der</strong><br />
einen Rasse in dasjenige einer an<strong>der</strong>en bewegt, begleitet von geologischen Kataklysmen.<br />
Innerhalb dieses großen Siedlungsraumes 209 einer „Wurzelrasse“ wan<strong>der</strong>t <strong>der</strong><br />
‚Schwerpunkt‘ wie<strong>der</strong> zwischen den auf- und absteigenden „Unterrassen“ hin und her, die<br />
noch einmal in „Familienrassen“ geteilt, aus Körperschaften von Völkern und Nationen<br />
bestehen.<br />
Daher besteht auch im Rahmen <strong>der</strong> Theosophie grundsätzlich die Möglichkeit von<br />
‚globalen <strong>Zeit</strong>altern‘ zu sprechen, um so mehr natürlich, als sich <strong>der</strong> Einflußbereich <strong>der</strong><br />
gerade vorherrschenden Rasse auf den Rest <strong>der</strong> Welt auszudehnen vermag.<br />
Die Dauer des (theosophischen) „si<strong>der</strong>ischen Jahres“, das als „platonisches Jahr“ mehrfach<br />
auch mit den vier Weltaltern in Verbindung gebracht wurde, wird in <strong>der</strong> Geheimlehre mit<br />
<strong>der</strong> Lebensdauer einer „Familienrasse“ gleichgesetzt. 210 Diese bestehen ungefähr 25 000<br />
bis 30 000 Jahre und überschneiden sich in ihren Übergängen. Der Unterschied zu den<br />
„SandhyËs“ <strong>der</strong> hinduistischen Lehre liegt in <strong>der</strong> Unschärfe <strong>der</strong> theosophischen<br />
Übergänge, wo es durchaus denkbar erscheint, daß das SandhyËÑÚa <strong>der</strong> einen Rasse mit<br />
<strong>der</strong> Morgendämmerung, dem SandhyË, <strong>der</strong> folgenden Rasse zusammenfällt.<br />
Auch die Vorstellung von den aus dem Osten in den Westen wan<strong>der</strong>nden Zivilisationen,<br />
die zugleich <strong>Zeit</strong>alter verkörpern – die sich ausgehend vom Buch Daniel über das gesamte<br />
Mittelalter ausbreiten konnte - findet sich in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Theosophie wie<strong>der</strong>. Hier<br />
werden sie allerdings auf fünf „Unterrassen“ <strong>der</strong> gegenwärtigen fünften Wurzelrasse<br />
209 ... auch in meta-physischer Hinsicht zu verstehen.<br />
210 GL II, p. 453 f.<br />
99
ezogen und reflektieren erneut ungewohnt lange <strong>Zeit</strong>abschnitte. 211 Diese „Unterrassen“<br />
sind die von Norden kommenden In<strong>der</strong>, die Iranier (Perser), die chaldäisch-babylonische<br />
Kultur und die Kelten, welche sich wie<strong>der</strong>um aus <strong>der</strong> griechischen und römischen Kultur,<br />
sowie <strong>der</strong>en Erben, <strong>der</strong> französischen und englischen Nationen zusammensetzen; als fünfte<br />
Unterrasse werden die Germanen genannt 212 , von denen die „Deutschen“ allerdings nur<br />
eine Familienrasse bilden. In verwirrendem Wi<strong>der</strong>spruch zu den genannten 210 000 Jahren<br />
Lebensdauer einer Unterrasse steht unter an<strong>der</strong>em die prophezeite Bildung einer sechsten<br />
amerikanischen Unterrrasse, <strong>der</strong>en Keime schon gelegt seien. Die einzige Lösung für das<br />
Dilemma findet sich in dem Ausweg einer nur um wenige Jahrtausende – vielleicht das<br />
Spengler’sche Jahrtausend - verschobene Gleichzeitigkeit <strong>der</strong> Kulturen. Dann kann aber<br />
nicht mehr von <strong>Zeit</strong>altern die Rede sein, da SandhyËs und SandhyËÑÚas gegenüber dem<br />
eigentlichen <strong>Zeit</strong>alter unverhältnismäßig groß werden.<br />
Wenn die Geheimlehre auf Yugas o<strong>der</strong> ein MahË Yuga zu sprechen kommt, sind in <strong>der</strong><br />
Regel die puranischen <strong>Zeit</strong>räume gemeint. Ein MahË Yuga mißt demnach 4 320 000 Jahre,<br />
ein Kali Yuga 432 000 Jahre (inklusive SandhyË und SandhyËÑÚa) und <strong>der</strong> Beginn des<br />
Letztgenannten wird mit dem 16. Februar 3102 v. Chr. 02:27:30 h 213 angegeben - zur <strong>Zeit</strong><br />
einer Konjunktion <strong>der</strong> Planeten Saturn, Mars, Jupiter und Merkur mit <strong>der</strong> Sonne.<br />
Jedenfalls kann in <strong>der</strong> Geheimlehre entwe<strong>der</strong> je<strong>der</strong> Mythos an irgendeiner Stelle gefunden<br />
und in Beziehung gesetzt werden, was einen wesentlichen Teil ihrer Attraktivität<br />
ausmacht, – an<strong>der</strong>erseits fällt es schwer eindeutige und systematisch angeordnete<br />
Aussagen zu finden, die nicht in einem gewissen Wi<strong>der</strong>spruch zu an<strong>der</strong>en Stellen im<br />
selben Buch stehen, was die Wissenschaft letztendlich davon abhielt auf dieses monströse<br />
Werks zu reagieren, und Evola wohl davon abhielt aus ihm zu zitieren. Daher wird die<br />
Geheimlehre wohl weiterhin Inspirationsquelle bleiben und nicht als Grundlage<br />
wissenschaftlicher Auseinan<strong>der</strong>setzung dienen können.<br />
211 Eine „Unterrasse“ wird mit 210 000 Jahren Lebensdauer angegeben. (GL II, p. 454)<br />
212 Dieser Gedanke tritt schon in <strong>der</strong> Daniel-Reception des Mittelalters auf, wo die „Germanen“ als Erben des<br />
römischen Imperiums gesehen wurden.<br />
213 GL I, p. 725<br />
100
101
Erklärungsmodelle und wissenschaftliche Theorien<br />
Astronomische Erklärungs-Modelle für die Weltalterlehre<br />
Vorausschickend muß gesagt werden, daß, um das Thema <strong>der</strong> Weltalter astronomisch<br />
betrachten zu können, hochgradig von einem astrologischen Verständnis <strong>der</strong><br />
Himmelskörper auszugehen ist. Das heißt, daß diese entwe<strong>der</strong> im Sinne des Lehrsatzes des<br />
Hermes Trismegistos in Analogie zu den Vorgängen auf <strong>der</strong> Erde stehen. In diesem Fall ist<br />
ein ursächlicher Zusammenhang nicht unbedingt notwendig. „Wie oben, so unten“ meint<br />
nur, daß ein Zusammenhang in Mustern o<strong>der</strong> Strukturen besteht, nicht, daß etwa Größeres<br />
das Kleinere ver-ursacht.<br />
Im an<strong>der</strong>en Falle, <strong>der</strong> auch eine Erweiterung <strong>der</strong> Analogie sein kann, werden die Planeten<br />
als (intelligente) Lebewesen gedacht, die aktiv wie Götter in das Leben auf <strong>der</strong> Erde<br />
eingreifen. Ihr Einfluß ist in diesem Fall auch graduell abhängig vom physischen Abstand<br />
zur Erde, was beson<strong>der</strong>s bei <strong>der</strong> Zentralsonnentheorie eine Rolle spielen wird.<br />
Die nächstliegende Wahl zur Erklärung des Caturyuga Zyklus fällt meist auf die<br />
Präzession <strong>der</strong> Erdachse. Das Heranziehen von astronomischen Zyklen zur Erklärung von<br />
Manvataras, Kalpas, etc. ist zunächst ohne große Wi<strong>der</strong>sprüche zu bewältigen; <strong>der</strong><br />
Caturyuga-Zyklus birgt jedoch einen Son<strong>der</strong>fall insofern, als es hierbei ganz dezidiert um<br />
qualitative Abstufungen geht, die man nur mit Einschränkung als „große Jahreszeiten“<br />
deuten kann. Vielmehr wird in den Mythen und Modellen Griechenlands und <strong>der</strong><br />
indoiranischen Literatur immer auf metaphysische Abstufungen hingewiesen und es ist<br />
definitiv nicht möglich diese klimatologisch o<strong>der</strong> wirtschaftlich (im Sinne von mehr o<strong>der</strong><br />
weniger Güterüberschuß) zu interpretieren. Folglich ist die Theorie <strong>der</strong> absteigenden<br />
Weltalter ohne ein Eingehen auf ‚astrologisches‘ Denken nur schwer und mit großen<br />
Verzerrungen zu bewältigen. Wenn Shastry versucht Schwankungen im Gravitationsfeld<br />
<strong>der</strong> Erde und des Sonnensystems, die durch astronomische Zyklen hervorgerufen werden,<br />
als Ursache für die unterschiedlichen Ausprägungen des Dharma zu deuten, so bewegt er<br />
sich hierin, nach westlichen Maßstäben, schon in einem ‚astrologischen‘ Erklärungsmuster.<br />
102
Wir behaupten, daß dies bei Dr. Shastry unbewußt geschieht, da er sich bemüht, im System<br />
<strong>der</strong> ‚westlichen‘ Wissenschaft zu schreiben. Dennoch erscheint die Theorie, daß ein<br />
Variieren des Gravitationsfeldes Bewußtseinsän<strong>der</strong>ungen bewirken könnten als wertvoll,<br />
und es wäre <strong>der</strong> Ansatz zu einer guten Schnittstelle zwischen <strong>der</strong> ‚metaphysischen‘ Lehre<br />
von den Weltaltern und unserem mo<strong>der</strong>nen Naturverständnis.<br />
Endzeit- und Katastrophenszenarien stehen hoch im Kurs und ständig erscheint eine<br />
Vielzahl neuer Theorien hiezu auf dem Büchermarkt und in naturwissenschaftlichen<br />
<strong>Zeit</strong>schriften. Das Spektrum <strong>der</strong> in Betracht gezogenen Einflüsse ist ungeheuer weit und<br />
reicht von Gammablitzen, Kometen, Asteroiden, Doppelsonnen, Sonnenwinden über den<br />
zivilisationsverursachten Treibhauseffekt bis zum Atomkrieg. Nicht nur wächst die Liste<br />
<strong>der</strong> potentiellen Bedrohungen mit <strong>der</strong> rasanten Zunahme astronomischer und<br />
geodynamischer Kenntnisse, son<strong>der</strong>n auch mit <strong>der</strong> für Modellrechnungen herangezogenen<br />
Rechenleistung <strong>der</strong> Computer. Während das Gebiet <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> und Zyklen in<br />
geisteswissenschaftlicher Behandlung mit den vorhandenen Texten und ethnologischen<br />
Studien stark begrenzt bleibt, explodieren die astronomischen und geodynamischen<br />
Fachbereiche. Kaum einer wagt den Versuch diese sich so rasant än<strong>der</strong>nde Masse von<br />
Daten und Theorien zu gewichten. Das letzte Bollwerk gegen Kataklysmentheorien, eine<br />
geologische Konstante in <strong>der</strong> Erdgeschichte, erscheint immer schwerer zu halten,<br />
gleichzeitig aber notwendiger denn je. Nur ein außenstehen<strong>der</strong> ordnen<strong>der</strong> Faktor und die<br />
Verbindung mit den human- und geisteswissenschaftlichen Erkenntnissen kann, unserer<br />
Meinung nach, eine solche Konstante bilden und schaffen.<br />
103
Versuch einer Einteilung unterschiedlicher Ansätze<br />
104<br />
„Jenseits des Tores war es tief dunkel. Der Nebel<br />
drückte nicht mehr auf die Brust, laue Luft wehte. ...<br />
Der Mann mit <strong>der</strong> Laterne erklärte: «Das ist die<br />
Bahnstation, es ist höchste <strong>Zeit</strong>!»“<br />
(A. Kubin: Die an<strong>der</strong>e Seite)<br />
Die Auflösung des Rätsels von den Weltaltern und ihrer Ursache gleicht <strong>der</strong> Quadratur des<br />
Kreises. Die erhobenen Arme des Mannes auf <strong>der</strong> berühmten Zeichnung Leonardo da<br />
Vincis, die in ähnlicher Darstellung sich bei Fra Giovanni Giocondo, Bartolommeo<br />
Caporali, Cäsare Cäsariano, Francesco di Giorgio über Albrecht Dürer bis hin zu le<br />
Corbusier als “vitruvischer Mensch” verfolgen läßt, deuten das Reich des Geistes an, wie<br />
die zwei mal vier zehntel einer geschlossenen <strong>Zeit</strong>runde im System <strong>der</strong> Yugas. Wie <strong>der</strong><br />
tanzende Éiva <strong>der</strong> weit verbreiteten Hindu-Ikonographie steht er in einem Kreis und zwei<br />
Paar Arme ragen ihm aus dem Oberkörper.<br />
1.) Einfachster und nächstliegen<strong>der</strong> Ansatz ist nach Lektüre etwa <strong>der</strong> indischen PurËnas,<br />
als auch des jüdisch-christlichen Kanons, die Erschaffung <strong>der</strong> perfekten Welt (besten aller<br />
Welten) durch „Gott“. Darauf folgen Abstieg und Verfall in Materie und Sünde, sowie
anschließende Auflösung in Gott, o<strong>der</strong> dem <strong>der</strong> Materie entgegengesetzten Geist, in einem,<br />
wie immer gearteten, apokalyptischen Weltenbrand. Dann wie<strong>der</strong>holt sich das Ganze in<br />
<strong>der</strong> völligen Neuschaffung <strong>der</strong> Welt und einem Geworfenwerden <strong>der</strong> Seelen/Monaden in<br />
diese. Dazwischen (zwischen Auflösung und Schöpfung) liegt das „Wun<strong>der</strong>bare“ o<strong>der</strong><br />
„Unbekannte“ – eine unverständliche Ursachenlosigkeit über die bequemerweise nicht<br />
geredet werden kann, über die man mit Wittgenstein besser schweigt.<br />
2.) Die naturwissenschaftliche, mechanistisch-biologische, darwinistische und westlich-<br />
evolutionäre Vorstellung geht von einer Welt <strong>der</strong> Schöpfung aus dem Chaos <strong>der</strong> Natur aus,<br />
die sich bis zur Zivilisation des Computerzeitalters entwickelt, um dann durch einen<br />
Atomkrieg, Massekollaps des Universums, etc. wie<strong>der</strong>um in <strong>der</strong> großen Dissolution zu<br />
verschwinden.<br />
105
Es spielt im Wesentlichen keine große Rolle, ob das Modell dann verfeinert so aussieht:<br />
... O<strong>der</strong> so:<br />
106
Von Bedeutung ist das Momentum <strong>der</strong> Apokalypse, beziehungsweise <strong>der</strong> ungelösten<br />
„an<strong>der</strong>en Seite“. Also eine sprunghafte Geburt und ein sprunghafter Tod - o<strong>der</strong> zumindest<br />
die Vorstellung davon. Diese Art Weltanschauungen stehen in engem Zusammenhang mit<br />
den jeweiligen Vorstellungen über Geburt und Tod <strong>der</strong> Menschen. Die <strong>Zeit</strong>achse (t) wirkt<br />
immer als Trennlinie/Grenze zwischen Sein und Nicht-Sein o<strong>der</strong> Existenz und Chaos.<br />
Evolas Kritik <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Welt bezieht sich nun in erweitertem Sinne auch darauf, daß<br />
dort diese Grenze als mathematische Linie gesehen wird, die sprunghaft überschritten<br />
werden kann, während sie in <strong>der</strong> traditionalen Welt eher einer Fläche, einem Gebiet<br />
gleichkommt, in dem man sich auch bewegen kann; nicht im Sinne eines Grenzstreifens<br />
von ‚Niemandsland‘ zwischen Staaten, son<strong>der</strong>n im Sinne etwa einer Grenz-region<br />
zwischen traditionalen Stammesverbänden.<br />
3.) Menschlicher Zyklus:<br />
Obige Darstellung entspricht <strong>der</strong> Vorstellung eines menschlichen Lebenszyklus und in<br />
prinzipieller Form dem Zyklus je<strong>der</strong> Lebenserscheinung, also auch <strong>der</strong> Welt in <strong>der</strong> von<br />
Evola konstatierten „traditionalen“ Sichtweise – die sich im Mythos von <strong>der</strong> ewigen<br />
Wie<strong>der</strong>kehr wie<strong>der</strong>findet. Der hauptsächliche Unterschied besteht, nach <strong>der</strong> Anschauung<br />
107
des Mythos, im Verständnis von „Dissolution“. Tod und Geburt wird dort so gut wie nie<br />
absolut gesehen, son<strong>der</strong>n ist immer ein Hinübergehen. Natürlich kein Vollständiges (es<br />
gibt ja keine Absolutismen!), son<strong>der</strong>n das Hinübergehen eines o<strong>der</strong> mehrerer Prinzipien.<br />
Was einmal „Seiend“ ist, geht nicht mehr verloren, könnte man sehr banal sagen. Aufstieg<br />
und Abstieg, Evolution und Involution sind immer gleichzeitig vorhanden und bilden ein<br />
energetisches Gleichgewicht – ein „Ganzes“, das nicht aus den Augen verloren wird.<br />
In <strong>der</strong> zyklischen Welt gibt es daher zwangsläufig Ebenen, die zwischen Sein und Nicht-<br />
Sein Grenzen bilden, wobei „Nicht-Sein“ meist nur nicht-sichtbar meint. Diese<br />
Manifestationsebenen, im Sanskrit auch „lokas“ genannt, unterstehen eigenen (geistigen)<br />
Gesetzen – einer Hierarchie. Diese stellt, zusätzlich zur Dimension <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>, eine weitere<br />
Dimension dar. Der Raum ist somit in die <strong>Zeit</strong> getaucht, wie die <strong>Zeit</strong> in die Hierarchie von<br />
„Geist“ und „Materie“, welche letztere, im Vergleich mit dem Raum, das Oben und Unten<br />
dieser neuen, fünften Dimension markieren. 214<br />
Die Präzession <strong>der</strong> Erdachse<br />
Die Präzession <strong>der</strong> Erdachse steht immer wie<strong>der</strong> im Verdacht von alten Kulturvölkern für<br />
die Berechnung von langen <strong>Zeit</strong>abschnitten herangezogen worden zu sein. Obwohl die<br />
Entdeckung <strong>der</strong> Präzession im allgemeinen Hipparchos (2. Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr)<br />
zugeschrieben wird, gibt es einige Anzeichen dafür, daß diese auch schon in den<br />
Megalithbauwerken des Paläolithikums Verwendung fand und in astronomischen Kulten<br />
eine große Rolle spielte. Die sich um die eigene Achse drehende Erde wird durch das<br />
Zusammenspiel <strong>der</strong> Gravitationskräfte von vor allem Sonne und Mond in ihrer<br />
Eigenrotation abgelenkt. Ursache dafür sind <strong>der</strong> Äquatorwulst, sowie <strong>der</strong> Winkel zwischen<br />
Äquatorebene und Bahnebene <strong>der</strong> Erde. Diese Torkelbewegung <strong>der</strong> Erdachse beschreibt<br />
einen Kreis vor dem Hintergrund des Fixsternhimmels. Auf Grund <strong>der</strong> Komplexität <strong>der</strong><br />
Gravitationseinflüsse von Sonne, Mond, Planeten und an<strong>der</strong>en Himmelskörpern – aber<br />
auch aufgrund des relativ kurzen Beobachtungszeitraumes <strong>der</strong> ‚wissenschaftlichen‘<br />
214 Diese Dimension wird als „Sein“ und „Nicht-Sein“ in den obigen Graphen dargestellt.<br />
108
westlichen Astronomie - ist es schwierig die exakte Länge dieses Präzessionszyklus<br />
anzugeben. Allein das Zusammenspiel von Erde, Sonne und Mond ergibt schon das in <strong>der</strong><br />
Astrophysik berüchtigte Drei-Körper-Problem 215 . Man nimmt daher gegenwärtig eine<br />
Zyklusdauer zwischen 25.800 und 26.000 Jahren an. 216<br />
Eine an<strong>der</strong>e Subkategorie folgt aus geologischen Modellen, die man aus einem instinktiven<br />
Ordnungstrieb immer wie<strong>der</strong> auch versuchte zu rythmisieren, daher in sich wie<strong>der</strong>holende<br />
Muster einzufügen. Eigentlich ist es eher die Geologie als Paläonthologie und Archäologie,<br />
die kompetent sein müßte für den wissenschaftlichen Beweis von Weltzeitaltern, also jene<br />
<strong>Zeit</strong>spannen, die mo<strong>der</strong>ne Historiker als so unzugänglich empfinden und als "mythische<br />
<strong>Zeit</strong>" zusammenfassen.<br />
Geologen kann man unterteilen in solche, die die Erdgeschichte als mehr o<strong>der</strong> weniger<br />
gleichmäßigen langsamen Entwicklungsprozeß sehen, und jene, die große globale<br />
Umwälzungen in - für Menschen relevante - kurzen <strong>Zeit</strong>räumen favorisieren. Es erscheint<br />
als seltsamer Antropomorphismus, daß parallel zur Beschleunigung in Technik und vielen<br />
Lebensbereichen <strong>der</strong> (westlichen) Welt ab dem 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, zugleich das geologische<br />
Weltbild sich 'entschleunigt' hat. Der Geologe Eduard Suess tematisierte diesen<br />
weltbildlichen Einfluß und gesellschaftlichen Prozeß schon 1904, wenn er schreibt:<br />
"The enthusiasm with which the little polyp building up the coral reef, and the raindrop<br />
hollowing out the stone, have been contemplated, has, I fear, introduced into the<br />
consi<strong>der</strong>ation of important questions concerning the history of the earth a certain element<br />
of geological quietism - <strong>der</strong>ived from the peaceable commonplaceness of everyday life - an<br />
element which by no means contributes to a just conception of those phenomena which<br />
have been and still are of the first consequence in fashioning the face of the earth." 217<br />
215 Vor allem bezüglich Erde und Mond, den kleineren von den drei Körpern. Die an<strong>der</strong>en Planeten unseres<br />
Sonnensystems haben durchwegs kleinere Monde, die in ihrem Gravitationseinfluß vernachlässigbar sind;<br />
somit ist dort das Verhältnis Planet–Sonne auf die einfacher und eindeutiger zu rechnende Zweikörper-<br />
Problematik zurückzuführen.<br />
216 Milne: „25.780 Jahre“; Wilson, C.: „ca. 26.000 Jahre“; Falque: „25.800 Jahre“<br />
217 Suess, Eduard: Das Anlitz <strong>der</strong> Erde. I, F. Tempsky (etc.), Prag 1885-1909; p. 17f<br />
109
Die Vorstellung vom Wesen <strong>der</strong> Erde hat einen tiefen Einfluß auf das Denken je<strong>der</strong> Kultur<br />
und wirkt als vorzüglicher Spiegel <strong>der</strong> jeweiligen Epoche. Metaphysisch vorbelastete<br />
Begriffe wie "Horizont" fallen darunter. Das viel strapazierte Erdbeben von Lissabon<br />
wurde von vielen im nachhinein als gesellschaftliche Erschütterung gesehen; <strong>der</strong> Umbruch<br />
von geozentrischem zu heliozentrischem Weltbild läutete ein mächtiges neues Paradigma<br />
ein.<br />
Charles Hapgood ist einer von jenen, die einer kataklysmische Entwicklung den Vorzug<br />
geben. In The Path of the Pole hat er versucht nachzuweisen und zu beschreiben, wie ein<br />
Verschieben des Erdmantels in geologisch kurzen Abständen die Eiszeiten hervorbrachte<br />
und dieser "Sprung" <strong>der</strong> Polarregionen Richtung Äquator und zugleich gemäßigten<br />
Regionen zu den Polen, die neuen Eckpfeiler einer jeweils immer wie<strong>der</strong> neuen Welt<br />
bildeten.<br />
Der Kataklysmus als Kategorie ist dann in <strong>der</strong> Lage mit dem Mythos verknüpft zu werden<br />
und dient als Überordner für Sintflut, Ragnarök, etc. Unter diesen Voraussetzungen<br />
gewinnt das von Dechend und de Santillana in <strong>der</strong> Mühle des Hamlet dargestellte Weltbild<br />
an Plastizität und wissenschaftlicher Deutlichkeit. Durch eine für menschliches <strong>Zeit</strong>maße<br />
wahrnehmbare Verschiebung <strong>der</strong> Kontinentalplatten und den damit zweifellos<br />
verbundenen Naturkatastrophen erhalten mythologische Beschreibungen von aus <strong>der</strong> Bahn<br />
gelaufenen Sonnenwagen und im Meer versinkenden Sternen ein neues Fundament und<br />
sollten unter an<strong>der</strong>en Gesichtspunkten kritisch neu beleuchtet werden. Denn wenn die<br />
Kontinente sich verschieben, än<strong>der</strong>t umgekehrt (geozentrisch) gesehen, auch <strong>der</strong> Himmel<br />
seinen Ort.<br />
Gewaltige neue Probleme ergeben sich für alle geschichtsverwandten Wissenschaften<br />
durch eine solche Anschauung insofern, als es durch die postulierten gewaltigen<br />
geologischen Umwälzungen ungleich schwieriger wird zwischen den alten und neuen<br />
Welten zu 'kommunizieren', ein geschichtliches Kontinuum aufzubauen. Es sind wirkliche<br />
Pralayas, die hier die <strong>Zeit</strong>en vonein<strong>der</strong> trennen und einen dichten Schleier über die onehin<br />
schon spärlichen Spuren <strong>der</strong> Vorzeit breiten.<br />
110
Relative Welten<br />
In einer mo<strong>der</strong>nen Betrachtung <strong>der</strong> Weltalterlehre drängt sich eine Gegenüberstellung mit<br />
den Ergebnissen von Einsteins Relativitätstheorien auf. Wie wirkt sich nun das Spiel von<br />
Gravitation und Geschwindigkeit – den zwei <strong>Zeit</strong>-relativierenden Faktoren – auf die<br />
Theorie <strong>der</strong> Yugas aus?<br />
Für eine Betrachtung im Licht <strong>der</strong> Relativitätstheorien ist es vorab erfor<strong>der</strong>lich zu klären,<br />
von wo aus die Yugas eigentlich betrachtet und beschrieben wurden. 1.) Entwe<strong>der</strong> von <strong>der</strong><br />
Erdoberfläche aus (auf <strong>der</strong> wir uns heute noch meistens befinden, solange wir nicht 9000<br />
Meter darüber hinwegbrausen); dann sind die Phänomene <strong>der</strong> Weltalterlehre Funktionen<br />
<strong>der</strong> Erd-<strong>Zeit</strong>. – O<strong>der</strong> aber 2.) man nimmt die Aussage vieler Mythen für bare Münze, die<br />
ein Diktieren <strong>der</strong>selben durch Götter und Gott-ähnliche Wesen als Quelle angeben; in<br />
diesem Fall wäre die Weltalterlehre eventuell das Produkt einer externen Beobachtung;<br />
daher, die jeweils subjektiv ablaufende <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> Beobachter und <strong>der</strong> Erdlinge würden<br />
differieren 218 – weil die Beobachter entwe<strong>der</strong> weniger o<strong>der</strong> mehr Gravitation unterworfen<br />
wären, beziehungsweise sich im Verhältnis zur Erde schneller bewegen würden, was eine<br />
<strong>Zeit</strong>-Verschiebung zur Folge hätte. Möglichkeiten für den zweiten Fall gibt es zahllose;<br />
allen gemeinsam, ist ein hauch von Science Fiction o<strong>der</strong> Theologie. Da beides heute nicht<br />
gar so ernst genommen wird, werden wir von Beispielen absehen und ihre Erfindung hier<br />
dem Geschmack und <strong>der</strong> Phantasie des Lesers überlassen.<br />
Gemeinsame Ur-Eigenschaft des Kali Yuga erscheint uns, die im Verhältnis zum goldenen<br />
<strong>Zeit</strong>alter größere Macht <strong>der</strong> Materie zu sein. Von <strong>der</strong> Terminologie <strong>der</strong> Metaphysik in die<br />
<strong>der</strong> Physik übertragen bedeutet das eine höhere Gravitation.<br />
218 Nach <strong>der</strong> Relativitätstheorie wurde <strong>Zeit</strong> zur Privatsache. Newton glaubte noch an eine absolute <strong>Zeit</strong> – die<br />
sich heute jedoch nur mehr im absoluten Alter des Universums nach dem Urknall erhalten hat. Seit Einstein<br />
ist man <strong>der</strong> Ansicht, daß <strong>Zeit</strong> durch Gravitation und Geschwindigkeit gedehnt bzw. gestaucht werden kann,<br />
somit für unterschiedliche Wesen auch unterschiedlich schnell fließt – abhängig von den auf sie<br />
einwirkenden Gravitationsfel<strong>der</strong>n und ihrer Geschwindigkeit relativ zueinan<strong>der</strong>.<br />
111
Ein langsameres Vergehen <strong>der</strong> subjektiven <strong>Zeit</strong> – verursacht durch ein stärkeres<br />
Gravitationsfeld 219 im Kali Yuga – läßt aber die umgebenden Geschehnisse, die diesem<br />
nicht in solchem Ausmaß unterworfen sind, schneller ablaufen. Hierbei ist uns natürlich<br />
schon bewußt um wieviel höher <strong>der</strong> Gravitationseffekt <strong>der</strong> Erde nach heutigem Wissen<br />
sein müßte, um eine für das menschliche Bewußtsein fühlbare Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Raumzeit<br />
hervorzurufen; bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Weltzeitalter im Licht <strong>der</strong> speziellen und<br />
allgemeinen Relativitätstheorie geht es aber nicht darum Ergebnisse zu präsentieren o<strong>der</strong><br />
Berechnungen anzustellen, son<strong>der</strong>n auf die Tatsache hinzuweisen, daß auch in<br />
mythologischen <strong>Zeit</strong>en die Menschen von <strong>der</strong> Relativität <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu wissen den Anschein<br />
hatten. Es gibt in den Lehren von den Weltzeitaltern Elemente, die auf die Idee vom<br />
Dehnen und Stauchen <strong>der</strong> Raumzeit hinweisen. Diese Idee hat seit erst hun<strong>der</strong>t Jahren den<br />
Glauben <strong>der</strong> naturwissenschaftlich geprägten westlichen Menschen an eine absolute,<br />
gleichmäßig dahinlaufende <strong>Zeit</strong> erschüttert und gilt uns heute als neu.<br />
Auf psychologischer Ebene nachvollziehbar wird dieser schnellere Ablauf <strong>der</strong><br />
umgebenden Phänomene in den Beschreibungen von unsicheren sozialen Verhältnissen,<br />
<strong>der</strong> geringen Stabilität des Himmels und <strong>der</strong> irdischen Dinge, <strong>der</strong> Ehe, <strong>der</strong> Wahrheit, etc. 220<br />
Das Kali Yuga wird als <strong>Zeit</strong> des Werdens empfunden, das Satya Yuga als eine <strong>Zeit</strong> des<br />
Seins.<br />
Obige Überlegungen können <strong>der</strong>zeit nur als Ansatz und Anregung verstanden werden, da<br />
je<strong>der</strong> detailliertere Versuch einer Annäherung von traditionalem und<br />
naturwissenschaftlichem Begreifen <strong>der</strong>zeit – da eine Anäherung dieser Gegenpole des<br />
Denkens sich erst abzuzeichnen beginnt - in wilden Spekulationen enden müßte.<br />
Von den Betrachtungen über Kali und Satya Yuga kommen wir nun zu <strong>der</strong> über den<br />
Unterschied zwischen zeitlichem Geschehen und den beschriebenen Phänomenen des<br />
Pralaya.<br />
219 Dieses stärkere Gravitationsfeld ergibt sich aus <strong>der</strong> Annahme des vorhergehenden Absatzes, wo <strong>der</strong><br />
Einfluß des “Materiellen” in eine naturwissenschaftliche Sprache übertragen wurde.<br />
220 Siehe ViÛÙu PurËna IV und V.<br />
112
In den Pralayas (o<strong>der</strong> Dissolutionen) unterschiedlicher Klasse 221 werden zuerst die<br />
Dimensionen des Raumes, dann die <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> aufgelöst – je nach Schwere und Ausmaß <strong>der</strong><br />
‘Zerstörung’. In dieser Auffassung verbirgt sich ein den heutigen Begriffen vom “Raum-<br />
<strong>Zeit</strong>-Kontinuum” o<strong>der</strong> <strong>der</strong> “Raumzeit” sehr verwandter Gedanke. Im traditional-<br />
metaphysischen <strong>Zeit</strong>-Verständnis gibt es somit (zumindest theoretisch) die Idee von<br />
unterschiedlicher <strong>Zeit</strong>-Dichte. Diese relative <strong>Zeit</strong>-Dichte ist heute am bekanntesten durch<br />
das aus <strong>der</strong> Physik stammende Beispiel eines Astronauten, <strong>der</strong> den Ereignishorizont eines<br />
schwarzen Loches erreicht, indem seine <strong>Zeit</strong>, im Verhältnis zu <strong>der</strong> seiner Umgebung 222<br />
immer langsamer vergeht, - bis sie beim Überschreiten des Ereignishorizontes unendlich<br />
gedehnt wird. Dieser Astronaut befände sich, im System <strong>der</strong> Weltalterlehre gesehen, in<br />
einem grenzenlos tiefen Kali Yuga 223 - das Universum um ihn beginnt sich rasend schnell<br />
zu bewegen und ein dem Ragnarök wohl sehr ähnliches Feuerwerk würde den Himmel<br />
über ihm zum ‘Einsturz’ bringen.<br />
Ein Metaphysiker, <strong>der</strong> in Analogien zu sehen gewohnt ist, könnte sich als zweiten Pol zu<br />
einem “schwarzen Loch” eine diesem entgegengesetzte weiße Singularität vorstellen,<br />
vielleicht einen weißen absoluten Raum, in dem die <strong>Zeit</strong> unendlich schnell vergeht – so<br />
daß rundum alle Erscheinungen stehen bleiben, er somit die <strong>Zeit</strong> um ihn herum anhält.<br />
Dies ist etwa so zu denken, wie wenn man morgens aufwacht, auf die Uhr (<strong>der</strong> äußeren<br />
Welt) sieht, den Wecker zehn Minuten weiterstellt, um dann beim neuerlichen Erwachen<br />
zu bemerken, wie viel mehr man in <strong>der</strong> inneren Traum-<strong>Zeit</strong> erlebt hat, als es je in <strong>der</strong><br />
kurzen äußeren <strong>Zeit</strong> möglich gewesen wäre. 224<br />
Dieses Modell eines weißen absoluten Raumes entspräche dann dem Pralaya, wie das<br />
schwarze Loch dem Kali Yuga.<br />
221 Mit “Klasse” ist gemeint, ob sie also zu einem gewöhnlichen Yuga, einem Mahayuga, o<strong>der</strong> gar zu einem<br />
Jahr Brahmas gehören und im Verhältnis stehen.<br />
222 Mit Umgebung ist <strong>der</strong> Raum und sind die Sterne rund um jenes schwarze Loch gemeint.<br />
223 Wir erinnern uns, daß in <strong>der</strong> vedischen Tradition Ort, Bewußtseinszustand und bedingt auch <strong>Zeit</strong> durch<br />
den Begriff “loka” synonym gemacht werden.<br />
224 Dieses Phänomen existiert auch im Schamanismus, wenn Trancemedien von langen inneren Reisen<br />
berichten, wenn sie nach vergleichsweise kurzen Séancen wie<strong>der</strong> in den ‘Normalzustand’ ihres Körpers<br />
zurückkehren.<br />
113
Neben <strong>der</strong> Erfahrung des beschleunigten Ablaufens <strong>der</strong> umgebenden Welt, gibt es eine<br />
zweite Eigenschaft des Kali Yuga, die für eine Gegenüberstellung mit <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Relativitätstheorie tauglich ist; nämlich die Tatsache <strong>der</strong> unterschiedlichen Länge <strong>der</strong><br />
<strong>Zeit</strong>alter, wie sie zumindest in <strong>der</strong> indischen Tradition existiert. Hier dauert ja das<br />
‘dunkelste’ von vier Yugas nur ein viertel so lange wie das ‘hellste’, das Satya Yuga. Ein<br />
viertel so lang wie das hellste – aber gemessen woran?<br />
Wenn man, wie anzunehmen ist und es offenbar immer geschah 225 , die Erd-<strong>Zeit</strong> mit Hilfe<br />
<strong>der</strong> umgebenden Himmelskörper bestimmte, so muß die höhere ‘Gravitation’ des Kali<br />
Yugas zu einer schnelleren relativen Bewegung <strong>der</strong> die Erde umgebenden Himmelskörper<br />
geführt haben.<br />
Wenn die umgebenden Himmelskörper weiters als Maßstab für einen Gesamt-Umlauf aller<br />
zwei mal vier Weltzeitalter gelten, und man beispielsweise die Präzessionsbewegung <strong>der</strong><br />
Erdachse als so einen Gesamt-Umlauf anzunehmen bereit ist, so wird man feststellen, daß<br />
durch eine langsamere Erd-<strong>Zeit</strong> im Kali Yuga, <strong>der</strong> durch die Erdachse am Fixsternhimmel<br />
beschriebene Sektor zwar gleich groß sein wird wie in an<strong>der</strong>en Yugas, - jedoch weniger<br />
Erdenjahre dazu nötig sind, diesen Sektor zu durchlaufen. Wenn das Erdenjahr durch den<br />
Umlauf um die Sonne definiert wird, was meist geschah, da <strong>der</strong> Mond so gut wie immer<br />
einen untergeordneten Faktor bildete, so ist die höhere Gravitation des Kali Yuga von <strong>der</strong><br />
Erde auch auf des Sonnensystem auszudehnen. Dieses, Erde und Sonne als Einheit, steht<br />
dann, wie im obigen Beispiel <strong>der</strong> Astronaut und sein schwarzes Loch (als Einheit), <strong>der</strong><br />
Umgebung in Form des Fixsternhimmels gegenüber.<br />
Weltaltersysteme und Quantenphysik<br />
Wie uns auch bei an<strong>der</strong>en ‚metaphysischen’ Systemen <strong>der</strong> Verdacht kam, dass diese nicht<br />
unmittelbar zu überlagern sind, so könnte es auch im Fall <strong>der</strong> Weltalterlehre zu einem <strong>der</strong><br />
Quantenphysik ähnlichen Effekt einer Unschärferelation kommen.<br />
225 Erst die Erfindung <strong>der</strong> mechanischen Uhr, dann <strong>der</strong> Atomuhr hat erst eine wirkliche Erd-<strong>Zeit</strong> im Sinne <strong>der</strong><br />
Relativitätstheorie eingeführt<br />
114
Um ein einfaches Beispiel zu geben, haben wir vor einiger <strong>Zeit</strong> versucht die chinesische<br />
Fünf-Elementen-Lehre mit <strong>der</strong> europäischen und <strong>der</strong> indischen zu überlagern – zuerst unter<br />
<strong>der</strong> naiven Annahme, dass die chinesischen Elemente Holz und Metall den griechisch-<br />
europäischen Elementen Äther und Luft eins zu eins entsprechen müssten; Hierbei wäre<br />
einzig zu klären gewesen, ob nun Holz dem Äther o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Luft entspricht und vice versa<br />
bezüglich des Metall-Elements.<br />
In ähnlicher Weise wäre zu überprüfen gewesen, ob <strong>der</strong> griechisch-europäische Äther dem<br />
indischen AkaÛa gleichgestellt ist.<br />
In beiden Fällen, beson<strong>der</strong>s jedoch in dem Vergleich <strong>der</strong> europäischen mit <strong>der</strong><br />
chinesischen Tradition, sind wir zu dem Schluß gekommen, dass man die Systeme nicht<br />
eins zu eins gleichsetzen o<strong>der</strong> über-setzen kann. Man ‚arbeitet’ entwe<strong>der</strong> mit dem einen<br />
o<strong>der</strong> mit dem an<strong>der</strong>en – auch wenn es sinnvoll möglich scheint, gewisse Adaptionen zu<br />
machen.<br />
In noch viel stärkerem Maße gilt dieser Effekt für die Weltalterlehre. Hier hat man es nicht<br />
nur mit an<strong>der</strong>en Bezeichnungen zu tun, son<strong>der</strong>n es variieren auch die Zahl <strong>der</strong> Weltalter,<br />
<strong>der</strong>en zeitliche Längenverhältnisse zueinan<strong>der</strong>, sowie ihre spezifischen und<br />
charakteristischen Eigenschaften.<br />
Gemeinsam ist ihnen nur, dass ihnen meist – aber nicht immer – eine zyklische<br />
Komponente zukommt, und dass sie aus menschlicher Sicht sehr große <strong>Zeit</strong>räume<br />
umfassen, wobei letzteres ebenfalls schwammig definiert bleibt.<br />
Mindestens zwei Schlüsse lassen sich aus diesem Problem ableiten: Entwe<strong>der</strong> sind die<br />
Weltalter-Theorien im Verhältnis zu den Fünf-Elementen-Theorien weitaus älter und<br />
deswegen stärker regional diversifiziert, o<strong>der</strong> aber es existieren von einan<strong>der</strong> getrennte<br />
Systeme, die alle im analog wissenschaftlichen Sinne per se richtig sind. Das kann nun<br />
bedeuten, dass die Süd- und Meso-Amerikanischen Weltalterlehren regional mit<br />
kosmischen und terrestrischen Ereignissen wissenschaftlich übereinstimmen, global aber<br />
keine konkrete Gültigkeit besitzen. Es kann aber ebenso heißen, dass sie eine zusätzliche<br />
115
Sinn-Ebene im globalen Kontext haben, beispielsweise durch ihre allgemeinen Aspekte <strong>der</strong><br />
Sintflut und Weltvernichtung. 226<br />
Einem ähnlichen Phänomen begegnet man, wenn man die in Südostasien, dem<br />
Buddhismus und im Taoismus und <strong>der</strong> TCM vertretenen Chakren-Lehre mit den Sefirot<br />
<strong>der</strong> mittelalterlichen Kabbalah zu überlagern versucht. Es ist grundsätzlich nicht ohne<br />
Nutzen die zehn o<strong>der</strong> elf Sefirot in sieben o<strong>der</strong> acht Ebenen zu unterteilen und den sieben,<br />
acht o<strong>der</strong> mehr Chakren o<strong>der</strong> Energiezentren analog gegenüber zu stellen.<br />
Analog als Schlüsselwort impliziert hier schon eine ‚Unschärfe’, die <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen<br />
Verwendung des Wortes in <strong>der</strong> Quantenphysik durchaus nahe kommt. So wie man in <strong>der</strong><br />
Quantenphysik Realität nur entwe<strong>der</strong> aus Teilchen o<strong>der</strong> aus Schwingung bestehend<br />
sichtbar machen kann, so können in obigen metaphysischen Systemen offenbar nur jeweils<br />
bestimmte Aspekte <strong>der</strong> Wirklichkeit abgebildet werden. Es ist, als hätte jedes<br />
Weltaltersystem einen bestimmten Aspekt <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> zu beschreiben. Manchmal überlagern<br />
sich diese Aspekte, manchmal decken sie sich vielleicht fast – nie jedoch ganz. Einzig<br />
gemeinsam ist ihnen, die Qualität von <strong>Zeit</strong> aufzuzeigen und darzustellen.<br />
226 Grundsätzlich sind wir <strong>der</strong> Meinung, dass in sogenannten ‚alten Schriften’ das Wort Welt o<strong>der</strong> Erde<br />
immer zuerst einmal mit unserem Planeten Erde gleichgesetzt werden sollte. Man sollte die eurozentrisch-<br />
mittelalterliche Vorstellung von einem stark begrenzten geographischen Raum, <strong>der</strong> üblicherweise an<br />
Ozeanen aufhört und an<strong>der</strong>e Kontinente krampfhaft ignoriert nicht grundsätzlich auf alle älteren Kulturen<br />
und Zivilisationen ausweiten.<br />
Als gängiges Negativ-Beispiel kann die westliche Deutung <strong>der</strong> biblischen Sintflut als regionale<br />
Überschwemmung <strong>der</strong> von Euphrat und Tigris betroffenen Gebiete gelten. Als unserem Ansatz näher<br />
kommende Herangehensweise die Ausführungen hierzu in Graham Hancock’s Un<strong>der</strong>world.<br />
116
Die Bedeutung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alterlehre in <strong>der</strong> Gegenwart - Anpassung<br />
des Geschichtsverständnisses<br />
117<br />
„Das Monstrum ist ja ganz damit einverstanden, daß man sich<br />
beeilt ... es hilft uns, uns zu sputen ... die <strong>Zeit</strong> drängt ... fast hat<br />
man keine <strong>Zeit</strong> mehr zu verlieren ... ‚Lauft! lauft! (...) lauft dem<br />
Schicksal entgegen, das ich euch vorgezeichnet habe (...) und<br />
schreit alle zusammen: »Gerechtigkeit-Vaterland-Fortschritt-<br />
Intelligenz-Würde-Zivilisation!«“<br />
(B. Moitessier: Der verschenkte Sieg.)<br />
Ob sich <strong>der</strong> Fixsternhimmel und die Planeten um die Erde bewegen, o<strong>der</strong> die Erde sich vor<br />
einem feststehenden Fixsternhimmel dreht - die kopernikanische versus die geozentrische<br />
Anschauung - sind Fragen <strong>der</strong> mathematischen Beschreibung. Beide Modelle lassen sich<br />
mathematisch beweisen. Die Bahn <strong>der</strong> Fixsterne um eine feststehen Erde ist ebenso eine<br />
Realität, wenn auch das astronomisch-mathematische Modell zur Darstellung dieser<br />
Anschauung um ein Vielfaches komplexer ist 227 . Den meisten ist heute nicht bewußt, daß<br />
im mittelalterlichen geozentrischen Weltbild auch eine Wahrheit und Wirklichkeit<br />
verborgen liegt, und es sich nicht ausschließlich so verhält, daß die mo<strong>der</strong>ne, neuzeitliche<br />
Wissenschaft eine Illusion durch höhere Wahrheit (Vernunft) ersetzt hat. Es sollte einem<br />
nicht entgehen, daß es sich auch hierbei um ein Modell handelt, um eine Umkehr <strong>der</strong><br />
Werte - nicht um das Finden eines in irgendeiner Form absoluten Naturgesetzes. Paul<br />
Feyerabend beschreibt diesen Prozeß als das Ersetzen des Dogmas <strong>der</strong> Kirche durch eine<br />
neues Dogma <strong>der</strong> Naturwissenschaften. 228<br />
Eine Deutung dieser umgewandelt Werte im Rahmen eines Abwägens erscheint allerdings<br />
sinnvoll. Wenn es etwa um einen erweiterten Horizont des europäischen Bewußtseins geht,<br />
<strong>der</strong> an diese kopernikanische Wende gekoppelt ist, o<strong>der</strong> um ein Verschieben des<br />
227 Vergleiche auch de Santillana / von Dechend: Die Mühle des Hamlet. p. 324 f.
weltanschaulichen Koordinatenzentrums von innen nach außen; dem Verlagern des<br />
Bewegers, vom eigenen Herzen - dem das Herz <strong>der</strong> Erde nahe steht, mit ihm zusammen<br />
fällt - in einen außen gesehenen Beweger (Sonne). Evola würde diese Wende vermutlich in<br />
dem Sinne negativ auslegen, als er sie als wesentlichen Schritt in den Materialismus, als<br />
Entfremdung bewerten würde - die völlige Aufgabe eines geozentrischen Weltbildes, als<br />
Verlust des Bodens unter den Füßen, als Entwurzelung empfände. Er müßte die<br />
kopernikanische Wende so sehen, wenn sie schlüssig in das Bild vom Kali Yuga passen<br />
sollte. Ein an<strong>der</strong>er Aspekt wäre das (positive) Verlagern des europäischen Bewußtseins in<br />
einen größeren Kontext (etwa einen solaren). Ein Vorgang, <strong>der</strong> automatisch auch<br />
Identifikation mit sich bringt. - Identifikation mit einem größeren Zentrum; hier das solare,<br />
welches das tellurische ablöst.<br />
Auf gleiche Weise kann man - stark vereinfachend - das primordiale mythische Weltbild<br />
als ein am Ganzen orientiertes bezeichnen; das zyklische Weltbild, das oft mit dem des<br />
Mythos gleichgesetzt werden kann, beziehungsweise diesem inhäriert o<strong>der</strong> zu Grunde<br />
liegt, sieht die <strong>Zeit</strong> als eine dem Raum ähnliche Dimension an, sieht sie als etwas<br />
Geschlossenes, Ruhendes, im eigentlichen so unbewegt wie einen im Raum<br />
wahrgenommenen Gegenstand. Das bedeutet, daß <strong>der</strong> mythisch denkende Mensch bis zu<br />
einem gewissen Grad in <strong>der</strong> Lage gewesen ist - o<strong>der</strong> es ihm zumindest Ziel war - ein<br />
Wesen (einen Menschen) gleichzeitig in seiner Geburt, Jugend, Blüte, seinem Alter und<br />
seinem Tod (und eventuell noch darüber hinaus) zu sehen und zu erkennen. 229<br />
Der Mensch nach <strong>der</strong> Achsenzeit, in o<strong>der</strong> nach dem Kali Yuga hat dieses Vertrauen in die<br />
Möglichkeit einer ganzen Sicht größtenteils verloren und damit auch die Fähigkeit dazu.<br />
Für ihn ist die Geschichte so linear, wie eine kürzere Strecke auf <strong>der</strong> Oberfläche des<br />
Erdkreises zur ab-strahiert Linie wird.<br />
Die meisten Menschen glauben heute an eine Konstanz und Linearität <strong>der</strong> Geschichte -<br />
trotz zweier Weltkriege und dem atomaren Damoklesschwert, o<strong>der</strong> gerade deswegen - weil<br />
die Menschheit die Katastrophen zweier Weltkriege überlebt hat und die schleichenden<br />
228 Paul Feyerabend: Wi<strong>der</strong> den Methodenzwang. Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1976; Erkenntnis für freie<br />
Menschen. Frankfurt a. M. 1980<br />
229 Diese Betrachtungsweise <strong>der</strong> vierten Dimension (<strong>Zeit</strong>) als ruhend wird sehr anschaulich in P.D.<br />
Ouspensky's Tertium Organum vermittelt und vorstellbar gemacht.<br />
118
Katastrophen <strong>der</strong> Gegenwart offenbar nicht ausreichen, das Bewußtsein von Revolution<br />
aufkommen zu lassen. Das Bewußtsein von erlebten globalen klimatischen Katastrophen,<br />
Umwälzungen (Revolutionen) ist spätestens mit <strong>der</strong> Antike verloren gegangen, wo es sich<br />
in Platons Atlantismythos als dem Untergang einer globalen Zivilisation zum letzten mal<br />
zeigt.<br />
Mircea Eliade beschreibt die indische Vorstellung von <strong>der</strong> zyklischen <strong>Zeit</strong> als Gegenpol zu<br />
einer „geschichtlichen“ Auffassung von <strong>Zeit</strong>. Jedoch sind durchaus auch in Indien<br />
Ereignisse in geschichtlicher Weise eingeordnet. So findet das Mahabharata beispielsweise<br />
am Ende des DvËpara Yuga statt, lebte dieser o<strong>der</strong> jener Verfasser im Treta o<strong>der</strong> im Satya<br />
Yuga; wobei dann üblicherweise das konkret letzte Satya Yuga gemeint ist, hingegen eines<br />
aus einem an<strong>der</strong>en Großzyklus auch als solches bezeichnet wird.<br />
Natürlich resultiert diese Polarisierung in zyklisch und historisch auch aus <strong>der</strong> Wahl <strong>der</strong><br />
Bezugspunkte. In Europa und <strong>der</strong> westlichen Welt ergibt sich ein lineares Bild durch die<br />
Geburt Christi und die alttestamentarische Erschaffung <strong>der</strong> Welt; Jedoch übersehen wir in<br />
unserem zeitlich begrenzten Vorstellungsvermögen, daß auch in Indien das Chaturyuga<br />
beginnt und endet, und zeitweise von den vorhergehenden und nachfolgenden Zyklen<br />
abgetrennt gedacht wird. Es finden sich sehr wohl auch hier lineare Momente und eine<br />
dynastische Geschichtsschreibung. Vielmehr muß man also wie<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Frage nach<br />
Werteverschiebung und Gewichtung ausgehen; und dann feststellen, inwiefern uns<br />
westlichen Menschen eine zyklische Weltsicht helfen und nützen könnte, beispielsweise<br />
bei einer Überwindung des Materialismus, dem immer enger anstatt weiter werdenden<br />
historischen Horizont 230 , o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schaffung eines neuen wissenschaftlich-historischen<br />
Koordinatensystems. Kurz, es geht um das Problem <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>einordnung <strong>der</strong><br />
menschlichen Gesellschaft in den Kosmos, in ein neues ‚primordiales System‘, das den<br />
religiös und metaphysisch verlorenen Menschen <strong>der</strong> Gegenwart fundiert und antizipiert.<br />
Diese primordiale 231 Einheit darf nicht im rousseau’schen Sinne verstanden werden, als<br />
eine Rückkehr zu Altem; son<strong>der</strong>n nur in <strong>der</strong> neuen Ausarbeitung eines neuen Aspekts <strong>der</strong><br />
230 Gemeint ist hier das Beziehen <strong>der</strong> Gegenwart auf eine zunehmend nähere Vergangenheit; so etwa nicht<br />
mehr auf Griechenland, Rom, etc., son<strong>der</strong>n das Amerika <strong>der</strong> 1960-er Jahre, usw.<br />
231 Der Terminus „primordial“ entstammt Eliades Kosmos und Geschichte und ist hier ähnlich, als von <strong>der</strong><br />
Ordnungsmacht <strong>der</strong> fließenden <strong>Zeit</strong> unabhänig zu verstehen - als statischer Anteil im parmenideischen Sinn.<br />
119
alten, weil ewigen primordialen Einheit. Dieser neue Aspekt einer ewigen (alten) Einheit<br />
könnte die Fusion von linearer Geschichtsvorstellung und zyklischem Weltbild verkörpern;<br />
dies, im Sinne einer zyklischen Evolution, eines Helixvektors, dessen Form in <strong>der</strong> unsere<br />
<strong>Zeit</strong> so prägenden Genforschung schon zum Symbol geworden ist.<br />
Entgegengesetzt zu Evolas Auffassung, <strong>der</strong> von einer historischen Wirklichkeit <strong>der</strong><br />
Weltzeitalter ausgeht, vertritt Eliade die wissenschaftlich gängige Ansicht <strong>der</strong> letzten<br />
Jahrzehnte, wenn er sagt: „Ohne Frage wegen ihres ‚Erfolges‘ und nicht eigentlich wegen<br />
ihres inneren Verdienstes interessieren uns alle diese griechisch-orientalischen Lehren, die<br />
auf dem Mythos von den kosmischen Zyklen basieren.“ 232 – Das ist polemisch, spätestens<br />
durch die Arbeit de Santillanas / von Dechends hinlänglich wi<strong>der</strong>legt, und zeugt von einer<br />
kulturellen Arroganz, die zum Teil damit zu erklären ist, daß viele ‚spezialisierte‘<br />
Wissenschafter noch nicht begriffen haben, wie viel alte Kulturen von Astronomie und<br />
astronomischen Zyklen verstanden; mehr jedenfalls, als nur die Perioden des Mondes 233<br />
mit Staunen zu betrachten. Um so mehr befremdet uns diese Sicherheit in <strong>der</strong> Beurteilung<br />
bei jemandem, <strong>der</strong> nicht nur von Europa aus Indologie betrieben hat, son<strong>der</strong>n selbst lange<br />
<strong>Zeit</strong> dort gelebt und sich bemüht hat, tief und persönlich in eine fremde Kulturen<br />
einzudringen. Dabei ist es nicht ausschlaggebend, ob die 12 000 Jahre des Chaturyuga<br />
richtig berechnet sind, son<strong>der</strong>n vielmehr, daß sich die In<strong>der</strong> und an<strong>der</strong>e alte Kulturen<br />
(Chinesen, Ägypter, Babylonier, Araber) nachweislich mit astronomischen Großzyklen<br />
wissenschaftlich auseinan<strong>der</strong>gesetzt haben. Eliade spricht daher den alten Kulturen in<br />
weiterer Folge nicht nur Wissen (im Gegensatz zur Erfindung, Dichtung) ab, son<strong>der</strong>n auch<br />
ein wissenschaftliches Vorgehen 234 ; Pars pro toto für die Tendenz in <strong>der</strong> westlichen<br />
Wissenschaft, das Wissen alter Kulturen zu marginalisieren, in dem es psychologisiert<br />
wird. Dies ist ein probates neokolonialistisches Mittel, dem Wissen alter und damit<br />
frem<strong>der</strong>, an<strong>der</strong>er Kulturen jegliche Objektivität abzusprechen und ihr Gewicht zu<br />
schmälern. Diese Herangehensweise stellt eine noch immer vorhandene und zu<br />
232 Eliade: Mythos und Geschichte. p. 133<br />
233 Auf diese beruft sich Eliade als Modell für die kosmischen Zyklen. Eine so bestimmt urteilende Aussage<br />
steht in krassem Wi<strong>der</strong>spruch zur umfassenden indischen Astronomiegeschichte.<br />
234 Diese wissenschaftliche Herangehensweise ist beson<strong>der</strong>s gut von Joseph Needham anhand <strong>der</strong><br />
chinesischen Kultur gezeigt worden.<br />
120
korrigierende Form des Kolonialismus dar; einen Kolonialismus - nicht des Raumes, <strong>der</strong><br />
geographischen Welt – son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>, <strong>der</strong> Vergangenheit (und Zukunft).<br />
Eliade sieht in <strong>der</strong> Zurückweisung <strong>der</strong> geschichtlichen Periodizität den Wi<strong>der</strong>stand, den <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>ne Mensche <strong>der</strong> Natur „entgegensetzt“ 235 , als Befreiung von einem Teufelskreis aus<br />
Schuld und immer gleichen archetypischen Mustern; Die fortwährend neue Setzung des<br />
mo<strong>der</strong>nen Menschen erschafft eine Geschichte des Immer Neuen. Evola – und mit ihm<br />
Nietzsche, Spengler und an<strong>der</strong>e – markieren ein gesellschaftliches Unbehagen gegenüber<br />
dieser ‚jungen‘ Geschichte, das sich nicht nur aus Rest-Einflüssen eines abgestorbenen<br />
Systems erklären läßt; vielmehr sehen sie die Setzung des Menschen als Hybris – nicht im<br />
Sinne einer Befreiung von <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong> Natur, son<strong>der</strong>n auch als Verwerfen <strong>der</strong> Macht <strong>der</strong><br />
Götter, des Geistigen. Beides geht Hand in Hand mit <strong>der</strong> einseitigen Entwicklung und<br />
Betonung des Verstandes, <strong>der</strong>en Konsequenz Dualismus und Verlust von prinzipieller Ein-<br />
heit ist. Evola weist die Sichtweise, das System <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>alter und Stände sei<br />
entwicklungsgeschichtlich überholt und Fortschritt nur außerhalb <strong>der</strong>selben möglich,<br />
zurück und besteht auf <strong>der</strong> über-geschichtlichen Einheit von <strong>Zeit</strong>altern und Ständen. Er<br />
wehrt sich gegen einen Bruch mit <strong>der</strong> alten Geschichte und vertritt tendenziell die<br />
Meinung, die Geschichte als Gesamtheit müsse in sich schlüssig sein, in Einheit und<br />
Einklang mit <strong>der</strong> ‚alten Geschichte‘ stehen. Letzteres muß als For<strong>der</strong>ung stehen gelassen<br />
werden, ist aber insofern zu begrüßen, als es konsequent nach einem zeitlich erweiterten<br />
Geschichtshorizont verlangt. Mit diesem Horizont ist wesentlich ein Bewußtseinsprozeß<br />
gemeint. Hier steht die Revolte gegen einen europäischen Geschichtschauvinismus. Evola<br />
kritisiert nicht in erster Linie den Fortschritt, son<strong>der</strong>n eben die Kolonisation <strong>der</strong><br />
Vergangenheit, <strong>der</strong> Welt-geschichte.<br />
Evola geht es nicht um ein Sammeln von Knochen und Artefakten vergangener Kulturen,<br />
um lineare ‚Faktengeschichte‘ – son<strong>der</strong>n um ein Fortschreiben des Mythos. Erst die<br />
geistige 236 Einordnung verleiht <strong>der</strong> Geschichte Bedeutung und in Folge dem Menschen.<br />
Der mo<strong>der</strong>ne Mensch hat sich nicht nur aus den Zyklen <strong>der</strong> Natur „befreit“, son<strong>der</strong>n hat<br />
235 Eliade: Kosmos und Geschichte. p. 167<br />
236 ‚Religiös‘ wäre zu eng gedacht.<br />
121
das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, sich auch von seiner ‚Bedeutung‘ getrennt. Beides<br />
Gott/Bedeutung und Natur ist aber nicht schlüssig voneinan<strong>der</strong> zu separieren. Was möglich<br />
erscheint, ist eine Verstärkung des einen Aspekts, wie es etwa als Reaktion auf die<br />
unerträgliche Machtausübung <strong>der</strong> Kirche zu Beginn <strong>der</strong> Neuzeit geschah – als <strong>der</strong> ‚geistige<br />
Aspekt‘ durch ein Forcieren <strong>der</strong> Naturbeobachtung und Beschäftigen mit <strong>der</strong> Natur in seine<br />
Schranken gewiesen wurde; Der Verdacht liegt nahe, daß diese Fixierung auf die Natur<br />
eigendynamisch über ein gesundes Maß hinausgewachsen ist, zu einem fast gänzlichen<br />
Verlust des Geistigen, einem Verlust <strong>der</strong> ‚Bedeutungs-Ordnung‘ des Menschen geführt<br />
hat; zu einem Verlust <strong>der</strong> „Kultur“, wie es Spengler beschreibt, hin zur „Zivilisation“, einer<br />
von <strong>der</strong> lebendigen Einheit aus Natur und Geist losgelösten Gesellschaft.<br />
Evola vertritt eine zu Eliade diametral entgegengesetzte Haltung, indem er nicht das In-<br />
die-Schranken-Weisen <strong>der</strong> Natur als hauptsächliches Moment <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne ansieht,<br />
son<strong>der</strong>n durch die übermäßige Beschäftigung des Menschen mit <strong>der</strong> Natur dieselbe in den<br />
Vor<strong>der</strong>grund gerückt sieht. Als Reaktion darauf nahm er eine zunehmend „vertikale“<br />
Haltung ein, war, gerade weil er sich im Chaos <strong>der</strong> Natur verloren fühlte, besessen von<br />
„Reinheit“ und „Geist“, und fasziniert von den Ideen des Faschismus und Nazismus.<br />
Wie sollte man sagen, die alten noch lebenden Kulte, Lehren und Mythen – wie etwa die<br />
jüdischen, hinduistischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Schamanismus - seien besser o<strong>der</strong> ‚wahrer‘? Auf jeden<br />
Fall muß man ihnen jedoch zugestehen, daß sie das Rückgrat unserer Welt bilden – den<br />
Stamm aus fast toten, langsamen, trägen Zellen, ohne den das Leben und die mo<strong>der</strong>ne<br />
Bewegtheit kein Gerüst hätten, keine Dimensionen. Ebenso bildet das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />
das Koordinatenkreuz, das diese Welt auf subtile Weise zusammenhält. Zuletzt erschafft es<br />
einen Fluchtpunkt für die Imaginationen des rastlos beschleunigten Verstandes und kippt<br />
von <strong>der</strong> Erinnerung zur Pro-jektion ; schöpft sich als Gegenpol zu Diversifikation und<br />
Geschwindigkeit.<br />
Evola ist in die Irre gelaufen, als er dem Ideal vom Mittelalter aufgesessen ist und es zu<br />
einer „Renaissance“ des Goldenen <strong>Zeit</strong>alters erkoren hat. Nicht <strong>der</strong> klösterliche Rückzug<br />
und die geistige o<strong>der</strong> geographische Beschränkung bringen die Erlösung für die<br />
Menschheit – sie sind allenfalls Vorbereitung o<strong>der</strong> Setzung (Schweretrennung). Die<br />
Einheit des Goldenen <strong>Zeit</strong>alters erwacht nicht in <strong>der</strong> begrenzten Einheit einer Burg,<br />
son<strong>der</strong>n wird dann erreicht, wenn <strong>der</strong> ganze Kosmos zur Burg, zur letzten Grenze<br />
122
geworden ist 237 - alle an<strong>der</strong>en Grenzen, innen und außen, aber gefallen sind. Die<br />
Wie<strong>der</strong>herstellung o<strong>der</strong> vielmehr Neuschöpfung eines wirklichen Goldenen <strong>Zeit</strong>alters ist,<br />
wenn, nur unter menschenmöglichster Auflösung aller menschen-denkbaren Grenzen<br />
erreichbar. Keine äußere Ordnung o<strong>der</strong> Grenze vermag innere Unordnung dauerhaft in<br />
Schach halten. Ent-grenzung ist hier deshalb strikt innerlich gemeint und bedeutet nicht<br />
äußere Maßlosigkeit.<br />
Die parmenideische Statik (Bewegungslosigkeit) jener <strong>Zeit</strong> darf nicht mit <strong>der</strong><br />
mittelalterlichen Statik einer begrenzten Gesellschaft gefunden werden. Eine Analogie<br />
liefert <strong>der</strong> auch Evola vertraute Yoga, wo gelehrt wird, das Bewußtsein, die<br />
Aufmerksamkeit zu konzentrieren; Dies aber nur als Vorstufe, als Initialzündung für den zu<br />
erreichenden Zustand <strong>der</strong> Meditation, <strong>der</strong> Entgrenzung in einen höheren Zustand.<br />
Der mythische Mensch kannte und praktizierte diese Entgrenzung, indem er sich ständig<br />
mit dem gesamten Kosmos identifizierte und – wie unter an<strong>der</strong>em Eliade 238 gezeigt hat –<br />
lebte die (erkannte) Ordnung des Kosmos nach und mit. Für den archetypischen Menschen<br />
war die (absolute) Entgrenztheit Realität; das Weltbild, vielmehr das Welt-Sein jener <strong>Zeit</strong><br />
war in sich schlüssig, holistisch. Die Weltanschauung des mo<strong>der</strong>nen Menschen ist – wenn<br />
überhaupt organisch vorhanden – nicht mehr irgendeine alte und schon gar keine in sich<br />
schlüssige neue.<br />
Wenn man Éri YukteÛvars These Glauben schenkt und das Mittelalter als dunkelste <strong>Zeit</strong><br />
<strong>der</strong> vier abgelaufenen Weltalter identifiziert 239 . kann man errechnen und verstehen, daß für<br />
einen rückwärtsblickenden Menschen, wie es Evola teilweise war, das Goldene <strong>Zeit</strong>alter<br />
unendlich fern liegen muß. Neben den einfacheren psychologischen Faktoren, die darin<br />
bestehen, daß ein Aristokrat des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts mit gesellschaftlichem<br />
Bedeutungsverlust konfrontiert wurde, tritt eine simple ‚optische‘ Verzerrung hinzu; indem<br />
nämlich <strong>der</strong> Focus auf einem alten Goldenen <strong>Zeit</strong>alter liegt, dieses noch zusätzlich durch<br />
die ‚Gravitationslinse‘ des Kali Yuga verzerrt wird. Auch Jaspers spricht von einem<br />
„Schleier“, <strong>der</strong> für uns über den ältesten Kulturen liegt, wenn er es auch in an<strong>der</strong>em Sinne<br />
237 Durchaus auch im Sinne Luthers „ ... ein feste Burg ist unser Gott ...“<br />
238 Eliade: Kosmos und Geschichte.<br />
239 Das Wort „Mittelalter“ kann dahingehend gedeutet werden, daß es selbst schon eine Wende impliziert,<br />
sofern es im Kontext von „<strong>Zeit</strong>“ verwendet wird.<br />
123
meint, indem er jene Menschen als „... noch nicht eigentlich zu sich gekommen ...“<br />
empfindet. Jaspers Beobachtung stimmt grundsätzlich auch, wenn man nur die Erklärung<br />
umdreht und den Gedanken ermöglicht, daß auch wir es sein könnten, die ‚nicht eigentlich<br />
zu jenen (frühen Hochkulturen) kommen können‘ – weil eben jene Achsenzeit alles was<br />
davor lag so radikal umgewandelt hat, daß darum alles für uns Dahinterliegende verzerrt<br />
und verzogen sich darstellen muß; - und leblos („unbewußt“) erscheint, weil es unsere<br />
Vorstellungskraft nicht mehr vermag, den wenigen Zeugnissen Leben und Bewußtsein<br />
einzuhauchen. So empfanden Hesiod und Platon in ihren Lehren von den Geschlechtern<br />
und Weltaltern die Achsenzeit nicht als „helles Menschsein“, wie sie Jaspers im Vergleich<br />
zu den davorliegenden mythischen <strong>Zeit</strong>en beschreibt, son<strong>der</strong>n sie nahmen ihre Gegenwart<br />
als absteigend, weniger bedeutungsvoll und dunkler wahr, als noch das davorliegende<br />
Heroenalter. Hesiod ruft gar aus: „Daß ich wäre gestorben zuvor ... denn jetzt hauset ein<br />
eisern Geschlecht, das we<strong>der</strong> am Tage ausruhn wird von Mühen und Leid, noch während<br />
<strong>der</strong> Nachtzeit, völlig ver<strong>der</strong>bt ...“ 240<br />
Zusätzlich kann aber eine Debatte, Projektion, etc bezüglich eines neuen Goldenen<br />
<strong>Zeit</strong>alters nur geführt werden, wenn wir zwar einerseits die Existenz und Realität eines<br />
alten Satya Yuga voraussetzen, uns aber zugleich nicht von dessen alten Eigenschaften und<br />
Attributen fesseln und zurückhalten lassen. Das Erreichen einer befriedeten (statischen)<br />
Welt vollzieht sich über eine umgewandelte und in etwas Neues hineingestorbene Welt.<br />
Läge in <strong>der</strong> Weltalterlehre kein evolutionärer Aspekt – wären die Weltalter zu einem Kreis<br />
geschlossen und nicht zu einer (gerichteten) Spirale offen – dann wäre zumindest die Lehre<br />
von den Kalpas unnotwendig, wäre jede Lehre von noch größeren Zyklen redundant, gäbe<br />
es kein Fortschreiten <strong>der</strong> Chaturyuga-Zyklen durch die Stunden des Tages Brahmas, gäbe<br />
es nichts ‚Größeres‘ zu erreichen, zumindest nichts Größeres zu vollenden und<br />
abzuschließen.<br />
240 Erga 175<br />
124
Schlußbemerkungen<br />
Um Geschichte, Evolution und die Stellung des Menschen in dieser Welt richtig zu<br />
verstehen, ist es daher unbedingt notwendig, den historischen Horizont um ein Vielfaches<br />
hinauszuschieben. Das System <strong>der</strong> Weltzeitalter ist ein globales. Es setzt die gesamte Erde<br />
als Einheit und lebendes Wesen voraus und unterstellt diese und die auf ihr lebende<br />
Menschheit einer geistigen Entwicklung. Diese Entwicklung ist aber nicht linear, son<strong>der</strong>n<br />
wellenförmig o<strong>der</strong> spiralförmig aufsteigend zu denken. Diese Entwicklungswellen<br />
überlagern sich oft in Einzelbereichen und verschiedenen Kulturen; und die<br />
Überlagerungen und Verschiebungen sorgen oftmals für Verwirrung, wie das in den letzten<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ten geschehen ist, wo <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Weltzeitalter in Vergessenheit geraten ist.<br />
Der Blick für das Größere ging immer wie<strong>der</strong> verloren, um dann erneut aufzutauchen. Es<br />
ist deswegen nun notwendig – vielleicht zum ersten Mal in dieser Form – kulturelle und<br />
menschliche Entwicklungen global zu sehen. Die Wahrnehmung und aufgespaltene<br />
Einteilung dieser Entwicklung durch das Prisma <strong>der</strong> Weltzeitalter, das die große anonyme<br />
<strong>Zeit</strong> einer nachvollziehbaren Ordnung unterzieht, kann dabei helfen, das geographisch<br />
vergrößerte Bewußtsein von <strong>der</strong> Welt auch zeitlich historisch auszudehnen. Diese<br />
Einteilung kann es erleichtern, Markierungen zu setzen, die ein Einordnen und Verstehen<br />
von Geschichte ermöglichen; nicht zuletzt, Geschichte zu globalisieren und die<br />
Einzelgeschichten <strong>der</strong> verschiedenen Völker und Nationen zu einer Menschheitsgeschichte<br />
zusammenzuführen.<br />
125
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