24.08.2013 Aufrufe

Download - ethikzentrum.de

Download - ethikzentrum.de

Download - ethikzentrum.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Bischofskonferenz Evangelischen Kirche in Deutschland<br />

Erzbischof Dr. Robert Zollitsch Bischof Dr. Wolfgang Huber<br />

Zur gesetzlichen Regelung <strong>de</strong>s Umgangs mit Patientenverfügungen<br />

(Anre<strong>de</strong>),<br />

14. Mai 2008<br />

am 06.03.2008 haben wir uns mit Ihnen über Fragen <strong>de</strong>r gesetzlichen Regelung von<br />

Patientenverfügungen ausgetauscht. Bei dieser Gelegenheit haben Sie uns gebeten, Ihnen <strong>de</strong>n<br />

Standpunkt <strong>de</strong>r Kirchen noch einmal schriftlich vorzutragen. Wir sind Ihnen und Ihren<br />

Kollegen dankbar, dass Sie die Position <strong>de</strong>r Kirchen und ihrer Wohlfahrtsverbän<strong>de</strong> wie bereits<br />

im bisherigen Verlauf <strong>de</strong>r Diskussion in Ihre Überlegungen einbeziehen. Ihrer Bitte kommen<br />

wir gerne nach.<br />

Wir konzentrieren uns dabei auf <strong>de</strong>n von <strong>de</strong>n Abgeordneten Joachim Stünker u.a. initiierten<br />

Gesetzentwurf, <strong>de</strong>r bisher als einziger formell in das parlamentarische Verfahren eingebracht<br />

wor<strong>de</strong>n ist und <strong>de</strong>n Abgeordneten <strong>de</strong>s Bun<strong>de</strong>stages unter <strong>de</strong>m Datum <strong>de</strong>s 06. 03. 2008 als<br />

Drucksache 16/8442 vorliegt. Im Fortgang <strong>de</strong>r Beratungen wer<strong>de</strong>n möglicherweise weitere<br />

Gesetzentwürfe hinzukommen. Wir behalten uns vor, die im Folgen<strong>de</strong>n vorgetragenen<br />

Gesichtspunkte im Blick auf an<strong>de</strong>re Gesetzentwürfe gegebenenfalls zu ergänzen und zu<br />

konkretisieren.<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Gesetzentwurf vom 06. 03. verfolgt im wesentlichen drei Ziele:<br />

<strong>de</strong>n Menschen die Gewissheit zu geben, dass sie über die Art und Weise ihrer<br />

medizinischen Behandlung auch dann selbst bestimmen können, wenn sie ihre<br />

Entscheidungsfähigkeit verloren haben,<br />

das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht je<strong>de</strong>s Menschen zu achten<br />

und zu verwirklichen<br />

und für alle Beteiligten mehr Rechtssicherheit zu schaffen.<br />

So sehr diese drei Ziele Respekt und grundsätzliche Zustimmung verdienen – die von uns<br />

geltend gemachten Vorbehalte beziehen sich auch auf die Einseitigkeit, mit <strong>de</strong>r das Selbstbestimmungsrecht<br />

zum Ankerpunkt <strong>de</strong>r gesamten Argumentation gemacht wird, und auf die<br />

problematischen Folgen, die dadurch hervorgerufen wer<strong>de</strong>n:<br />

1. In <strong>de</strong>r Ausübung seines Selbstbestimmungsrechtes ist <strong>de</strong>r Mensch darauf angewiesen, dass<br />

an<strong>de</strong>re Menschen sich seiner annehmen; das gilt gera<strong>de</strong> in Zeiten <strong>de</strong>r Krankheit und<br />

Hinfälligkeit. Selbstbestimmung <strong>de</strong>s Patienten und Fürsorge für ihn sind miteinan<strong>de</strong>r zu<br />

verbin<strong>de</strong>n und aufeinan<strong>de</strong>r zu beziehen. Es ist ein Ausdruck recht verstan<strong>de</strong>ner<br />

Selbstbestimmung und gebotener Fürsorge, Wünsche und Entscheidungen einer Patientenverfügung<br />

nicht einfach als das letzte Wort eines Patienten zu nehmen. Dies wird beson<strong>de</strong>rs<br />

<strong>de</strong>utlich, wenn sie erkennbar in Unkenntnis <strong>de</strong>r Möglichkeiten medizinischer Behandlung<br />

o<strong>de</strong>r späterer medizinischer Entwicklungen abgegeben wur<strong>de</strong> und Anhaltspunkte dafür


2<br />

namhaft gemacht wer<strong>de</strong>n können, dass <strong>de</strong>r Betroffene bei <strong>de</strong>ren Kenntnis eine an<strong>de</strong>re<br />

Entscheidung getroffen hätte.<br />

2. Der Gesetzentwurf weist mit § 1901a BGB-E <strong>de</strong>m Betreuer für <strong>de</strong>n Fall, dass eine<br />

Patientenverfügung vorliegt, die Aufgabe zu, zu prüfen, ob die in <strong>de</strong>r Patientenverfügung<br />

getroffenen "Festlegungen auf die aktuelle Lebens- und Behandlungssituation zutreffen" – um<br />

daran folgen<strong>de</strong> Regelung anzuschließen: "Ist dies <strong>de</strong>r Fall, so hat <strong>de</strong>r Betreuer <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s<br />

Betreuten Ausdruck und Geltung zu verschaffen." Mit dieser Rollenbeschreibung wird die<br />

Verantwortung, die von einem Betreuer und von einem Bevollmächtigten (vgl. § 1901a Abs.<br />

4 BGB-E) bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>r Patientenverfügung und ihrer Anwendung wahrzunehmen<br />

ist, nicht ausreichend gewichtet.<br />

Die Kirchen treten für die Stärkung <strong>de</strong>s Instituts <strong>de</strong>r Vorsorgevollmacht ein. Betreuer und<br />

Bevollmächtigtem obliegt es, zu prüfen, ob <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Patientenverfügung beschriebene<br />

Sachverhalt vorliegt und ob es Anzeichen dafür gibt, dass <strong>de</strong>r aktuelle Patientenwille sich von<br />

<strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r Verfügung formulierten unterschei<strong>de</strong>t. Der Entscheidung <strong>de</strong>s Betreuers o<strong>de</strong>r<br />

Bevollmächtigten sollte immer das Gespräch mit Angehörigen, Ärzten und Pflegen<strong>de</strong>n<br />

vorausgehen. In Ausnahmefällen, in <strong>de</strong>nen kein Vertreter vorhan<strong>de</strong>n ist und we<strong>de</strong>r die<br />

Bestellung eines Betreuers noch die Einwilligung durch das Vormundschaftsgericht<br />

abgewartet wer<strong>de</strong>n können, muss <strong>de</strong>r Arzt auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Patientenverfügung über die<br />

Einleitung bzw. Fortführung einer Behandlung entschei<strong>de</strong>n.<br />

3. Es ist unstrittig, dass <strong>de</strong>r in einer Patientenverfügung im Voraus und schriftlich nie<strong>de</strong>rgelegte<br />

Wille nicht notwendigerweise mit <strong>de</strong>m aktuellen Willen übereinstimmt. Entschei<strong>de</strong>nd<br />

ist, <strong>de</strong>n einen Fall vom an<strong>de</strong>ren unterschei<strong>de</strong>n zu können. Die Verfasser <strong>de</strong>s Gesetzentwurfs<br />

bemühen sich in <strong>de</strong>m Begründungsteil zwar erkennbar darum, auf dieses Problem<br />

hinzuweisen und Lösungsschritte aufzuzeigen (vgl. etwa A.2 im Begründungsteil). Ein<br />

"Dialog zwischen <strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Behandlung Beteiligten" sei "erfor<strong>de</strong>rlich, in <strong>de</strong>m über die<br />

Vornahme ärztlicher Maßnahmen entschie<strong>de</strong>n wird". Aber damit ist es nur schwer zu<br />

vereinbaren, dass eine klare und einseitige Ten<strong>de</strong>nz vorgegeben wird: Dieser Prozess habe<br />

"soweit wie möglich die Durchsetzung <strong>de</strong>s zu einem früheren Zeitpunkt geäußerten<br />

Patientenwillens zu sichern".<br />

4. Damit verbin<strong>de</strong>t sich ein generelles Problem: Der Begründungsteil enthält an vielen Stellen<br />

differenzierte Töne und zeigt so Sensibilität für die Schwierigkeit <strong>de</strong>r zu treffen<strong>de</strong>n<br />

Abwägungen. Im vorliegen<strong>de</strong>n Gesetzentwurf sind aber die Gewichte zwischen <strong>de</strong>r<br />

Behutsamkeit im Begründungsteil auf <strong>de</strong>r einen und <strong>de</strong>n ohne Wenn und Aber formulierten<br />

Rechtssätzen auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite zuungunsten eines behutsamen Vorgehens verschoben.<br />

Die Rechtssätze wer<strong>de</strong>n am En<strong>de</strong> für <strong>de</strong>n Umgang mit Patientenverfügungen die Messlatte<br />

bil<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Gesichtspunkten fehlt die Dauerhaftigkeit und institutionelle Festigkeit.<br />

5. Beson<strong>de</strong>rs heikel ist die Frage <strong>de</strong>r Reichweite von Patientenverfügungen. Ein in je<strong>de</strong>r Hinsicht<br />

überzeugen<strong>de</strong>r Regelungsvorschlag liegt bisher nicht vor. In keinem Fall ist es<br />

akzeptabel, wenn die in einer Patientenverfügung getroffenen Festlegungen "unabhängig von<br />

Art und Stadium einer Erkrankung <strong>de</strong>s Betreuten (gelten)" sollen. Dies hätte schwerwiegen<strong>de</strong><br />

Konsequenzen, wie man sich exemplarisch an <strong>de</strong>r Gruppe <strong>de</strong>r Wachkomapatienten und <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>mentiell Erkrankten klar machen kann.<br />

Die Kirchen haben mit <strong>de</strong>r "Christlichen Patientenverfügung", die seit ihrer Veröffentlichung<br />

im Jahr 1999 an über 2,9 Millionen Menschen abgegeben wur<strong>de</strong>, viel dafür getan, das Instru-


3<br />

ment <strong>de</strong>r Patientenverfügung bekannt zu machen und zu stärken. Auch daher rührt das<br />

beson<strong>de</strong>re Interesse <strong>de</strong>r Kirchen an <strong>de</strong>m Gesetzgebungsverfahren.<br />

Im Übrigen liegt uns daran, dass die Debatte über Patientenverfügungen nicht losgelöst<br />

geführt wird von <strong>de</strong>r Sorge um eine wür<strong>de</strong>volle und angemessene Sterbebegleitung.<br />

Letztendlich geht es darum, <strong>de</strong>n Bedürfnissen sterben<strong>de</strong>r Menschen möglichst umfassend<br />

gerecht zu wer<strong>de</strong>n, damit je<strong>de</strong>r Einzelne frei von Schmerzen, Angst und Unruhe seinen<br />

persönlichen Tod sterben kann. Dazu leisten Patientenverfügungen einen wichtigen Beitrag.<br />

Menschenwürdige Sterbebegleitung muss aber insbeson<strong>de</strong>re palliativmedizinische<br />

Versorgung, fürsorgen<strong>de</strong> Betreuung und seelsorgerliche Begleitung bis zum En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Lebens<br />

beinhalten. Deshalb bleiben die Verbesserung <strong>de</strong>r palliativmedizinischen Versorgung und <strong>de</strong>r<br />

Ausbau <strong>de</strong>s Hospizwesens dringend notwendig.<br />

Wir bitten sie herzlich darum, unsere Überlegungen bei <strong>de</strong>r weiteren Beratung einer<br />

gesetzlichen Regelung <strong>de</strong>s Umgangs mit Patientenverfügungen zu berücksichtigen.<br />

Mit freundlichen Grüßen<br />

Der Vorsitzen<strong>de</strong> Der Vorsitzen<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r Deutschen Bischofskonferenz Evangelischen Kirche in Deutschland

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!