China und der Süden - INKOTA-netzwerk eV
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CHINA UND DER SÜDEN<br />
Vera Lehmann<br />
Diplomatische Dollarschlacht<br />
<strong>China</strong> <strong>und</strong> Taiwan führen in Mittelamerika einen Kampf<br />
um diplomatische Anerkennung<br />
Die Republik <strong>China</strong> (Taiwan) <strong>und</strong> die<br />
Volksrepublik (VR) <strong>China</strong> führen einen<br />
diplomatischen Wettbewerb um die mittelamerikanischen<br />
Län<strong>der</strong>. Sie greifen<br />
dabei zu allen verfügbaren Mitteln: Entwicklungshilfe,<br />
Handelsabkommen, Besuchsdiplomatie<br />
<strong>und</strong> sogar diplomatische<br />
Erpressung. Für die VR <strong>China</strong> ist die Frage<br />
<strong>der</strong> diplomatischen Anerkennung eine<br />
des Prestiges <strong>und</strong> Nationalstolzes – für<br />
Taiwan letzten Endes eine des politischen<br />
Überlebens.<br />
Taiwan verliert seine Verbündeten: Seit<br />
<strong>der</strong> Übernahme des Sitzes in den Vereinten<br />
Nationen durch die VR <strong>China</strong> im Jahr<br />
1971 ist die Zahl <strong>der</strong> Län<strong>der</strong>, die zu Taiwan<br />
diplomatische Beziehungen unterhalten,<br />
ständig gesunken. Heute sind es<br />
weltweit noch 24, darunter 12 <strong>der</strong> 33<br />
lateinamerikanischen Staaten, hauptsächlich<br />
im mittelamerikanischen Raum. Ende<br />
<strong>der</strong> 1980er Jahre waren es noch 18.<br />
Alleinvertretungsanspruch<br />
<strong>China</strong>s<br />
Im Gegensatz zu Taiwan hält die VR <strong>China</strong><br />
weiterhin den Alleinvertretungsanspruch<br />
für <strong>China</strong> aufrecht. 1996 verhin<strong>der</strong>te<br />
sie zunächst ein Mandat für die Installation<br />
von UNO-Friedenstruppen in<br />
Haiti, dessen Regierung Taiwan anerkennt.<br />
1997 blockierte sie die Entsendung<br />
einer Beobachtermission zur Überwachung<br />
<strong>der</strong> Umsetzung des Friedensabkommens<br />
in Guatemala, bis die dortige<br />
Regierung ihre Unterstützung für die<br />
Wie<strong>der</strong>aufnahme Taiwans in die UNO<br />
aufgab.<br />
Zweifellos erklärt <strong>und</strong> begünstigt vor<br />
allem das wirtschaftliche Potenzial <strong>China</strong>s<br />
seinen zunehmenden Einfluss. Seit<br />
Mitte <strong>der</strong> 1990er übersteigt das chinesische<br />
Handelsvolumen mit Lateinamerika<br />
das taiwanesische. Die VR <strong>China</strong><br />
wird aber auch deshalb zunehmend<br />
wichtiger, weil ihr eigener ökonomischer<br />
Pragmatismus über <strong>der</strong> nationalen Eitelkeit<br />
steht: Handel <strong>und</strong> Abkommen existieren<br />
ebenso mit Län<strong>der</strong>n, zu denen keine<br />
offiziellen politischen Beziehungen bestehen,<br />
zum Beispiel mit Panama <strong>und</strong> Paraguay,<br />
dessen politische Beziehungen mit<br />
<strong>der</strong> VR <strong>China</strong> denkbar schlecht sind, weil<br />
es als einziges südamerikanisches Land<br />
Taiwan anerkennt.<br />
Auch in den kleineren Staaten wird<br />
letztlich wohl eine von ökonomischen Er-<br />
28 <strong>INKOTA</strong>-Brief 137 • September 2006<br />
wägungen geprägte Realpolitik entscheiden.<br />
Die VR <strong>China</strong> hat hier in jüngerer<br />
Zeit aufgeholt: Dominica <strong>und</strong> Grenada<br />
haben die Beziehungen zu Taiwan 2004<br />
<strong>und</strong> 2005 abgebrochen, nachdem ihnen<br />
großzügige Entwicklungshilfe zugesagt<br />
worden war (für Dominica 112 Millionen<br />
US-Dollar in fünf Jahren, was einer jährlichen<br />
Steigerung des Bruttoinlandsprodukts<br />
von etwa neun Prozent entspricht).<br />
Weitere Län<strong>der</strong> scheinen umzudenken.<br />
Taiwan an<strong>der</strong>erseits profitiert zum einen<br />
von <strong>der</strong> geostrategischen Nähe zu<br />
den USA. Zum an<strong>der</strong>en ist es aufgr<strong>und</strong><br />
seiner Wirtschaftskraft in <strong>der</strong> Lage, bei<br />
<strong>der</strong> Vergabe von Entwicklungshilfegel<strong>der</strong>n<br />
an die zumeist kleinen Staaten mit<br />
<strong>der</strong> VR <strong>China</strong> zu konkurrieren. Taiwan<br />
verfolgt mithin die gleiche „Dollardiplomatie“,<br />
<strong>der</strong>en Anwendung es beim Rivalen<br />
kritisiert. So wird seit Jahren ein soziales<br />
Wohnungsbauprojekt des paraguayischen<br />
Präsidenten Nicanor Duarte<br />
Frutos in dessen Heimatstadt finanziert.<br />
Schlechte Aussichten für<br />
Taiwan<br />
Seit 2003 setzt Taiwan außerdem auf<br />
den Abschluss von Freihandelsabkommen.<br />
Der bilaterale Handel ist dabei allerdings<br />
zweitrangig. Primäres Ziel ist<br />
vielmehr – in Kombination mit dem 2006<br />
in Kraft getretenen zentralamerikanischen<br />
Freihandelsabkommen CAFTA – ein verbesserter<br />
Zugang zum US-amerikanischen<br />
Markt. Panama, Taiwans engster <strong>und</strong><br />
wichtigster Verbündeter in <strong>der</strong> Region,<br />
Guatemala <strong>und</strong> Nicaragua haben schon<br />
Freihandelsabkommen unterschrieben.<br />
Unterstützend hat die Regierung in Taipeh<br />
das „Co-Prosperity“-Programm ins Leben<br />
gerufen, das mit einer Summe von 250<br />
Millionen US-Dollar taiwanesische Investoren<br />
in Zentralamerika <strong>und</strong> <strong>der</strong> Dominikanischen<br />
Republik unterstützen soll.<br />
Allerdings: Das Wachstum <strong>der</strong> VR<br />
<strong>China</strong> <strong>und</strong> die Zahl <strong>der</strong> innerhalb <strong>der</strong><br />
letzten Jahre „übergetretenen“ Staaten<br />
lassen keine hohen Erwartungen an einen<br />
Erfolg des taiwanesischen Kampfes<br />
zu. Der Ausgang des Wettstreits wird<br />
aber auch davon abhängen, welche Position<br />
die internationale Gemeinschaft<br />
einnimmt.<br />
Vera Lehmann hat Regionalwissenschaften/<strong>China</strong><br />
studiert <strong>und</strong> ihre Diplomarbeit zur Politik <strong>der</strong> VR<br />
<strong>China</strong> gegenüber Lateinamerika verfasst.<br />
zunehmend fehlen. Insgesamt will <strong>China</strong> in<br />
den kommenden Jahren 100 Milliarden US-<br />
Dollar in die Region investieren, wie Hu<br />
Jintao bei seiner Lateinamerika-Reise, die<br />
ihn nach Argentinien, Brasilien, Chile <strong>und</strong><br />
Kuba führte, ankündigte. Damit soll <strong>der</strong><br />
Kontinent langfristig erschlossen werden.<br />
Denn obwohl das Handelsvolumen zwischen<br />
<strong>China</strong> <strong>und</strong> Lateinamerika von 200<br />
Millionen US-Dollar im Jahr 1975 auf 40<br />
Milliarden im Jahr 2004 explodierte, macht<br />
diese Summe erst 3,9 Prozent des Außenhandels<br />
<strong>der</strong> lateinamerikanischen Staaten<br />
aus. Zum Vergleich: 2003 betrug das Handelsvolumen<br />
mit den USA 48 Prozent.<br />
Das chinesische Interesse am Öl<br />
Neben Argentinien stehen vor allem Brasilien,<br />
wo ebenfalls Investitionen in die Infrastruktur<br />
(etwa Hafenanlagen <strong>und</strong> Eisenbahnstrecken)<br />
sowie eine Intensivierung <strong>der</strong> Zusammenarbeit<br />
im Erdölsektor geplant sind,<br />
<strong>und</strong> Venezuela im Fokus des Interesses. Allein<br />
mit Venezuela wurden seit 1998 25<br />
Abkommen geschlossen. So besitzt <strong>China</strong>s<br />
Ölgesellschaft CNPC heute Ölbohrlizenzen<br />
entlang des Orinoco-Flusses im <strong>Süden</strong> Venezuelas,<br />
<strong>und</strong> die Öllieferungen des OPEC-<br />
Gründungsmitgliedes an <strong>China</strong> sollen von<br />
160.000 Barrel (Mitte 2006) auf 1,6 Millionen<br />
Barrel täglich im Jahr 2007 steigen.<br />
Und das zu einem weit unter dem Weltmarktniveau<br />
liegenden Preis. Die Volksrepublik<br />
ist auch an einer Pipeline von Venezuela<br />
über Kolumbien zur Pazifikküste interessiert.<br />
<strong>China</strong> wie<strong>der</strong>um versorgt Venezuela mit<br />
mo<strong>der</strong>nster Technik wie einem Kommunikationssatelliten<br />
sowie neuen Radarsystemen<br />
zur Grenzüberwachung <strong>und</strong> mo<strong>der</strong>nisiert<br />
die venezolanische Luftwaffe. Ein weiteres<br />
pikantes Detail: Venezolaner werden in <strong>China</strong><br />
zur Überwachung des Internets ausgebildet.<br />
Zudem verstummen nicht die Gerüchte,<br />
Venezuela plane den Verkauf von CITGO,<br />
einer Tochter <strong>der</strong> mehrheitlich staatlichen<br />
Erdölgesellschaft PDVSA, an <strong>China</strong>. CITGO<br />
ist ausschließlich in den USA tätig. Dieser<br />
Schachzug würde den Chinesen erlauben,<br />
aus Venezuela importiertes Rohöl in den<br />
USA zu verarbeiten <strong>und</strong> nach <strong>China</strong> zu<br />
verschiffen. Allerdings schrecken bislang<br />
sowohl Venezuela als auch <strong>China</strong> wegen<br />
<strong>der</strong> zu erwartenden heftigen Proteste <strong>der</strong><br />
USA vor diesem Deal zurück. In Chile hat<br />
das chinesische Metallunternehmen Minmetal<br />
mit dem staatlichen Bergbaukonzern<br />
Codelco ein Joint Venture abgeschlossen.<br />
Für die nächsten 20 Jahre soll <strong>China</strong> mit<br />
Kupfer versorgt werden. Die „Großen Drei“<br />
<strong>der</strong> chinesischen Energieunternehmen (CN-<br />
PC, Sinopec <strong>und</strong> CNOOC) sind aber auch<br />
in Peru, Ecuador <strong>und</strong> Bolivien aktiv.