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Grundbegriffe des Haushaltsrechts* - Ja-Aktuell

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AUFSATZ Öffentliches Recht Staatsrecht<br />

einem Mitgliedstaat ein übermäßiges Defizit besteht oder sich<br />

ergeben könnte, so legt sie dem Rat in einem nächsten Schritt<br />

eine Stellungnahme vor (Art 104 V EG). Der Rat entscheidet dann,<br />

ob ein solches Defizit vorliegt (Art 104 VI EG), und richtet ggf<br />

Empfehlungen an den Mitgliedstaat mit dem Ziel, dieser Lage<br />

innerhalb einer bestimmten Frist abzuhelfen (Art 104 VII EG). Eine<br />

solche Empfehlung hat der ECOFIN-Rat zB am 21. 1. 2003 an<br />

Deutschland gerichtet. Die Empfehlungen sind zunächst nicht<br />

öffentlich, können aber vom Rat veröffentlicht werden, wenn<br />

er feststellt, dass sie keine wirksamen Maßnahmen ausgelöst<br />

haben (Art 104 VIII EG), oder wenn der Mitgliedstaat einverstanden<br />

ist. Leistet ein Mitgliedstaat den Empfehlungen <strong>des</strong> Rates<br />

weiterhin nicht Folge, kann der Rat beschließen, den Mitgliedstaat<br />

mit der Maßgabe in Verzug zu setzen, innerhalb einer bestimmten<br />

Frist Maßnahmen für den nach Auffassung <strong>des</strong> Rates<br />

zur Sanierung erforderlichen Defizitabbau zu treffen (Art 104<br />

IX EG). Über die Auslegung dieser Vorschrift herrscht Streit:<br />

Am 25. 11. 2003 hatte der ECOFIN-Rat zwar beschlossen, dass<br />

Deutschland und Frankreich 2005 ua die 3-Prozent-Grenze wieder<br />

unterschreiten müssten. Die beiden Länder wurden aber<br />

nicht »in Verzug gesetzt«. Dieses ist gem Art 104 XI EG jedoch<br />

Voraussetzung dafür, dass der Rat Sanktionen (ua Geldbuße)<br />

gegen einen Mitgliedstaat beschließen kann, der den Beschluss<br />

nicht befolgt. Es wurde <strong>des</strong>halb davon gesprochen, dass der Rat<br />

das Defizitverfahren oder gar den Stabilitäts- und Wachstumspakt<br />

»ausgesetzt« habe. Der EuGH erklärte einen solchen Aussetzungsbeschluss<br />

für unzulässig (Urteil vom 13. 7. 2004,<br />

C-27/04).<br />

D. STAATSVERSCHULDUNG<br />

Mit dem Begriff »Staatsverschuldung« werden die Schulden aller<br />

öffentlichen Haushalte in Deutschland zusammengefasst, die zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt bestehen. 40 Um ein Gefühl für die<br />

Dimension zu bekommen, seien auch die Juristen einmal mit<br />

Zahlen gequält: 1973 betrugen die Staatsschulden etwa 85 Mrd<br />

Euro, 1982 über 314 Mrd Euro, 1992 über 686 Mrd Euro und 2002<br />

dann mehr als 1.277 Mrd Euro. 41<br />

Anders als die Kreditaufnahme wird die Staatsverschuldung<br />

durch nationales Recht nicht begrenzt. 42 Dies liegt möglicherweise<br />

daran, dass lange umstritten war, ob die Staatsverschuldung<br />

nachteilig für nachfolgende Generationen ist. 43 Es hat sich<br />

aber die Auffassung durchgesetzt, dass sie zu einer ungerechten<br />

intertemporalen Lastenverteilung führt. 44 Dies mag der Grund<br />

936 JA 2004 · Heft 12<br />

dafür sein, dass die Maastricht-Kriterien nicht nur die Kreditaufnahme<br />

begrenzen, sondern auch den öffentlichen Schuldenstand.<br />

Er darf 60% <strong>des</strong> BIP nicht übersteigen. 45 Hierbei handelt<br />

es sich nicht um einen wirtschafts- oder finanzwissenschaftlich<br />

begründeten Wert, sondern um einen, den man europaweit für<br />

realisierbar hielt. 46<br />

Die Überschreitung <strong>des</strong> Schuldenstand-Kriteriums hat gem<br />

Art 104 III EG nur einen Bericht der Kommission zur Konsequenz.<br />

Ein bis hin zu Sanktionen abgestuftes System von Reaktionsmöglichkeiten<br />

wie bei der Überschreitung <strong>des</strong> Defizit-Kriteriums<br />

ist nicht vorgesehen. Dies mag der Grund dafür sein, dass die<br />

Höhe <strong>des</strong> Schuldenstands in der öffentlichen Diskussion eher<br />

eine nachrangige Rolle spielt. Dennoch sind die Mitgliedstaaten<br />

auch zur Einhaltung dieses Kriteriums verpflichtet. Auf Grund<br />

eines Verstoßes kann jedoch gem Art 104 X EG kein Vertragsverletzungsverfahren<br />

nach den Art 226 und 227 EG angestrengt<br />

werden.<br />

Unabhängig von den Maastricht-Kriterien wird in vielen Lan<strong>des</strong>-<br />

und Kommunalverwaltungen überlegt, wie man das Problem<br />

der Verschuldung den jeweiligen Entscheidungsträgern<br />

und auch der Öffentlichkeit transparenter machen kann. Das<br />

bisherige Haushaltsrecht, die sog Kameralistik, ist – wie gesehen<br />

– einnahmen- und ausgabenorientiert. Es kommt damit nur darauf<br />

an, was zB ein neues Dienstfahrzeug für die Polizei kostet<br />

und in welchem Haushaltsjahr es bezahlt wird. Nicht berücksichtigt<br />

wird, wie lange das Fahrzeug hält, ob es möglicherweise<br />

schneller unbrauchbar ist und damit seinen Wert verliert, als die<br />

Schulden bezahlt sind. 47 In einem Wirtschaftsunternehmen wird<br />

der Ausgleich zwischen Schulden und Vermögensgegenständen<br />

über die Bilanz hergestellt: Vermögensgegenstände werden in<br />

Ihrem Wert nach und nach abgeschrieben. Dieses System der<br />

sog doppelten Buchführung, die auch Doppik genannt wird,<br />

wollen nun auch viele Gebietskörperschaften übernehmen. 48<br />

40 Henneke (Fn 15) Rn 531<br />

41 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung <strong>Ja</strong>hresbericht<br />

2003/2004, S 573 (bis 1990 früheres Bun<strong>des</strong>gebiet)<br />

42 Heintzen in von Münch/Kunig, GG, 5. Aufl, 2003, Art 115 Rn 5; Henneke (Fn 15)<br />

Rn 570<br />

43 Vgl die Darstellung bei Bröcker Grenzen staatlicher Verschuldung im System <strong>des</strong><br />

Verfassungsstaats, 1997, S 53 ff, oder bei von Arnim/Weinberg, Staatsverschuldung<br />

in der Bun<strong>des</strong>republik Deutschland, 1986, S 35 ff<br />

44 Von Arnim/Weinberg (Fn 43) S 39 ff mwN<br />

45 Vgl Fn 35<br />

46 Halstenberg DVBl 2001, 1405, 1407 f<br />

47 Zur langen Laufzeit von öffentlichen Schulden vgl Halstenberg DVBl 2001, 1405, 1406<br />

48 Vgl zum Sach- und Diskussionsstand den Überblick im Internet unter http://fhh.hamburg.de/stadt/<strong>Aktuell</strong>/behoerden/finanzbehoerde/haushalt/doppik/start.html

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