41.1937
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Oldenburger Jahrbuch<br />
des Vereins für<br />
Landesgeschichte und Altertumskunde<br />
41. Band / 1937<br />
Festgabe für Dr. Dietrich Kohl<br />
zum Goldenen Doktorjubiläum<br />
am 29. Juli 1937<br />
Druck und Kommissionsverlag von Gerhard Stalling,<br />
Oldenburg i. 0. 193 7
Zusendungen werden erbeten an<br />
den Herausgeber:<br />
Archivdirektor Dr. H. Lübbing, Oldenburg i. 0 .<br />
Landesarchiv<br />
LandesÖibii n t h e k<br />
O l d e n b u r g i . O *<br />
Zur Nachricht: Die Zählung der Jahrbücher als „Schriften des Vereins"<br />
usw. wird nicht mehr fortgeführt.
Inhalt. .<br />
1. Dr. Dietrich Kohl. Sein Werdegang und seine Forschungen. Von<br />
Dr. Hermann Lübbing. Mit 1 B ild n is............................................................... V<br />
2. Nachruf für Friedrich Schohusen......................................................................... IX<br />
3. Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens.<br />
Von Kapitän z. See a. D. Hugo v, Waldeyer-Hartz, Hannover . . . 1<br />
4. Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft<br />
(1806). Von Studienrat Dr. Karl Hoyer. Mit 1 A bb............................... ..... 39<br />
5. Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg 1345— 1861. Von Prof. Dr.<br />
Dietrich Kohl, W ie s b a d e n .....................................................................................79<br />
6 . Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit, Von<br />
Studienrat Dr. Karl Sichart, O sn a b rü ck .........................................................98<br />
7. Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811,<br />
verbunden mit einer Liste der städtischen Amtsträger bis 1813. Von<br />
Studienrat Edgar Grundig, D elm en h orst........................................................ 108<br />
8 . Der Münzfund von Friesoythe. Von Dr. Karl Kennepohl, Osnabrück.<br />
Fundbericht von Dr. Heinrich Ottenjann, Cloppenburg. Mit 2 Licht<br />
drucktafeln ....................................................................................................................129<br />
9. Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg von der zweiten Hälite des<br />
15, bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts, Von Konrektor i. R.<br />
Bernhard Riesenbeck, Emsdetten. Mit 1 Kartenskizze . . . . . . 145<br />
Anmerkung: Jeder Verfasser ist für seine Arbeit verantwortlich.<br />
S eile
Dr. Dietrich Kohl<br />
Aufn. K rüger, Oldenburg.
Dr. Dietrich Kohl.<br />
Sein Werdegang und seine Forschungen.<br />
Dietrich Kohl wurde am 12, November 1861 zu Emden in Ostfriesland<br />
als Sohn des Apothekers Joh, Georg Kohl geboren. Die<br />
Namensträger Kohl sind ursprünglich schwäbischen Stammes und seit<br />
1671 als Kauf leute zu Bremen nachweisbar; zu dieser Sippe gehört<br />
auch der berühmte Weltreisende und langjährige Bremer Stadtbibliothekar<br />
J. G. Kohl. Aus Bremen stammte auch D. Kohls Großvater<br />
Joh. G. Kohl, der sich 1800 als Apotheker in Emden niederließ<br />
und dort 1801 den Ehebund mit Sophia Kath. Schlörholz aus altem<br />
ostfriesischem Geschlecht schloß. Mütterlicherseits zählt Dietrich Kohl<br />
durchweg Ahnen ostfriesischer Herkunft. Es überwiegt bei ihm also<br />
durchaus das norddeutsche, friesische Blutserbteil, und diesem verdankt<br />
er auch seine besonderen Veranlagungen. Es ist bekannt, daß dem<br />
friesischen Stamme das sachliche, kritische Denken eigen ist, und daß<br />
Mathematiker, Philosophen und Geschichtsschreiber dort zu Hause sind.<br />
Nach dem Besuch des Gymnasiums zu Oldenburg von 1871— 1882<br />
beschloß Kohl zunächst, Naturwissenschaftler zu werden und bezog<br />
die Universität Marburg. Immer stärker aber erwachten seine historischen<br />
Neigungen, und ihnen wandte er sich in München und Halle zu.<br />
Von seinen akademischen Lehrern wirkten Giesebrecht, Dümmler und<br />
Droysen am stärksten auf ihn, daneben auch Kirchhoff, Zacher und<br />
Gering. Er promovierte am 29. 7. 1887 zu Halle mit der Dissertation:<br />
„Die Politik Kursachsens während des Interregnums und der Kaiserwahl<br />
1612. Nach archivalischen Quellen dargestellt." — Schon diese<br />
Erstlingsarbeit verrät die gründliche Bemühung des Verfassers um<br />
eine quellenmäßige Geschichtsdarstellung.<br />
Nach Abschluß der Universitätsstudien trat der junge Doktor in<br />
den Vorbereitungsdienst für das höhere Lehramt ein und wirkte von<br />
1888— 1889 in Hannover am Lyceum I. Ostern 1890 bot sich ihm eine<br />
Hilfslehrerstelle an der Städt. Oberrealschule zu Oldenburg, in der er<br />
1892 als ordentlicher Lehrer und 1895 als Oberlehrer angestellt wurde.<br />
Mochten auch manche Schüler sich seiner akademischen Vortragsart<br />
gegenüber gleichgültig verhalten, die klugen, weltoffenen Köpfe ließen<br />
sich von ihm fesseln. Ihnen wurde in Kohls Unterricht zum ersten<br />
Male der Unterschied klar zwischen wissenschaftlicher Forschung und<br />
Lehrstoff, da er gleichzeitig Lehrer und Forscher war. Es gereichte<br />
dem Jubilar zur besonderen Freude, daß ein früherer Schüler, heute<br />
angesehener Professor der Chemie, gerade den eigentümlichen wissenschaftlichen<br />
Geschichtsunterricht Kohls rühmt, und daß er erklärt,
V<br />
V I Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
gerade dieser Haltung des Unterrichts wertvolle Anregung als Naturwissenschaftler<br />
zu verdanken.<br />
Zunächst für unterrichtliche Zwecke mit dem Ziele einer Vertiefung<br />
seiner Darbietungen betrieb K. seit 1895 archivalische Studien im damaligen<br />
Haus- und Zentralarchiv. Diese Forschungen verdichteten<br />
sich seit 1900 mehr und mehr auf die Geschichte der Stadt Oldenburg<br />
und führten ihn dazu, auch die bei der Stadt Oldenburg selbst erwachsenen<br />
Archivalien zu Rate zu ziehen. Dabei erwies sich, daß die<br />
meisten derselben ungeordnet und unzugänglich ein Dornröschendasein<br />
auf dem Rathausboden führten, vom Staub der Jahrhunderte bedeckt.<br />
Auf das Drängen von Dr. Kohl entschloß sich der Stadtmagistrat im<br />
Frühjahr 1903, den Übelständen ein Ende zu machen und beauftragte<br />
den erfolgreichen Wiederentdecker wichtiger Stadtarchivalien, ein besonderes<br />
Stadtarchiv mit eigenem Dienstraum neu einzurichten und<br />
zu ordnen. Hierbei machte Dr. Kohl eine Reihe wertvoller Funde. Mit<br />
Sorgfalt und Liebe baute er die städtischen Archivalien nach dem<br />
Herkunftsgrundsatz auf, und zwar nebenamtlich, ohne besondere<br />
Diensterleichterungen im Hauptberuf. Die Frucht seiner eingehenden<br />
Beschäftigung waren verschiedene Aufsätze zur Geschichte der Stadt<br />
Oldenburg. Um die städtische Geschichtsforschung machte er sich<br />
dann besonders verdient durch die Herausgabe des U.B. der Stadt<br />
Oldenburg (Old. U.B. Bd. 1, Oldenburg 1914) im Aufträge des Vereins<br />
für Altertumskunde und Landesgeschichte, dem er als Mitglied<br />
desSchriftleitungsausschusses und des Vorstandesbesonders nahestand.<br />
Seine Bemühungen um die quellenmäßige Geschichtsforschung<br />
von Stadt und Land Oldenburg wurden staatlicherseits dadurch anerkannt,<br />
daß er 1907 zum Mitglied der staatlichen Kommission für die<br />
Bearbeitung der Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Oldenburg<br />
an Stelle von Dr. Hermann Oncken ernannt wurde. In Anerkennung<br />
seiner Verdienste um die Landesgeschichte verlieh ihm Großherzog<br />
Friedrich August 1914 die „Goldene Medaille für Wissenschaft und<br />
Kunst“. Übrigens war Kohl schon früh nach der Gründung der Historischen<br />
Kommission zu Hannover als Mitglied gewählt worden.<br />
Wissenschaftliche Reisen führten ihn u. a. nach Island und nach K openhagen<br />
und brachten seinen handelsgeschichtlichen Forschungen<br />
wertvolle Anregungen. Im Jahre 1923 wurde er auf eigenen Antrag in<br />
den Ruhestand versetzt und konnte seitdem bis zum Jahre 1931 als<br />
Stadtarchivar von Oldenburg seine Gaben ganz entfalten. Zahlreiche<br />
Studien aus seiner Feder beleuchten die verschiedensten Gebiete und<br />
Abschnitte der Geschichte der Stadt Oldenburg; unter ihnen nimmt<br />
seine Oldenburger Stadtgeschichte (Teil I) eine bemerkenswerte
Dr. Dietrich Kohl VII<br />
Stellung ein durch die Art ihres Aufbaues in Längsschnitten.<br />
Selbstverständlich mußte Kohl mit der Landesgeschichte sich zwangsläufig<br />
befassen, darüber hinaus sah er sich im weiteren Raum der<br />
niedersächsischen und deutschen Landesgeschichte um. Eine vortreffliche<br />
kurze Geschichte des Oldenburger Landes ließ er im Friesenverlag<br />
1925 erscheinen; es ist wohl die beste Einführung, die wir<br />
heute besitzen.<br />
Anläßlich einer Übersiedlung nach Wiesbaden 1931 verlieh ihm<br />
der Oldenburger Altertumsverein die Ehrenmitgliedschaft. In seinem<br />
neuen Ruhesitz ließ sich Kohl von nassauischer Landesgeschichte<br />
fesseln, verlor aber keineswegs die niederdeutsche Geschichte aus<br />
den Augen. Durch sehr scharfsinnige Untersuchungen dänisch-isländischer<br />
Urkunden der Hansezeit konnte er die Existenz zweier Seehelden,<br />
Dietrich Pining und Hans Pothorst historisch sichern. Wenngleich<br />
die Annahme oldenburgischer Herkunft des Pining durch Hildesheimer<br />
Funde von anderer Seite entkräftigt wurde, hat Kohl zweifellos<br />
zur Klärung eines wichtigen Kapitels der vorkolumbischen,<br />
hansischen Entdeckungsgeschichte Bedeutendes beigetragen. Ein glänzendes<br />
Zeugnis der historischen Kritik hat sich Kohl mit der Untersuchung<br />
der Cloppenburger Stadtrechtsurkunde von 1435 aufgestellt,<br />
deren Echtheit er gegen die Zweifel und Einwände von Rüthning verteidigte,<br />
Die kritische Untersuchung des in dem Abdruck von Niemann<br />
vorliegenden Diploms veranlaßte ihn, das Vorhandensein eines<br />
Originals zu behaupten. Auf sein Betreiben ließ Ottenjann nach der<br />
Urkunde auf dem Rathausboden forschen, und tatsächlich wurde im<br />
Herbst 1936 die Originalurkunde wiederentdeckt und dadurch Kohls<br />
Beweisführung schlagend als richtig bestätigt.<br />
Möge dem verdienten Geschichtsforscher die Widmung dieses<br />
Jahrbuchheftes mit Beiträgen aus der Geschichte oldenburgischer<br />
Städte ein nachträgliches Geschenk zu seinem 75. Geburtstage und<br />
seinem goldenen Doktorjubiläum sein, nicht minder willkommen als<br />
das Doktordiplom, das die philosophische Fakultät der Universität<br />
Halle-Wittenberg ihm zum 29, Juli 1937 erneuerte. Möge ihm ein<br />
gütiges Geschick vergönnen, noch lange Zeit bei bester Gesundheit<br />
der Muse der Geschichte zu dienen. Hermann Lübbing.<br />
Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen1)<br />
von Dr. Dietrich Kohl.<br />
1887 Die Politik Kursachsens während des Interegnums und der Kaiserwahl<br />
1612 (Halle, Niemeyer).<br />
*) Ein vollständiges V erzeichnis d er Schriften Dr. K ohls einschließlich der Zeitun saufsätze<br />
befin det sich im Stadtarchiv zu O ldenburg i. O. — Jb. = Jahrb. f. d. G eschich te des H erzogtum s<br />
O ldenburg bzw . O lden burger Jb. Ber. = B ericht des O lden burger A ltertum svereins.
VIII<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
1900 Das staatsrechtliche Verhältnis der Grafschaft Oldenburg zum Reich<br />
im 1. Drittel des 16. Jahrhunderts (Jb. 9).<br />
1901 Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt Oldenburg. Tl. I.<br />
Über 25 neuaufgefundene Urkunden von 1411— 1643 (Jb. 10).<br />
1902 Dass. Tl. II. Die Allmende der Stadt Oldenburg (Jb. 11).<br />
1903 Dass. Tl. III. Zur Entstehungsgeschichte der Stadt und ihrer Verfassung<br />
(Jb, 12).<br />
Bericht über die Neuaufstellung und Ordnung des Stadtarchivs zu<br />
Oldenburg (Ebd.).<br />
1905 Der oldenburgisch-isländische Handel im 16. Jahrhundert (Jb. 13).<br />
Das älteste Oldenburger Stadtbuch (Jb. 14).<br />
Der Prozeß des oldenburgischen Bürgermeisters Alf Langwarden (Jb. 14).<br />
Zur Geschichte des alten Oldenburger Rathauses (Jb. 14).<br />
1907 Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogt. Oldenburg. IV, Geschichtl.<br />
Teil (Oldenburg, Stalling).<br />
1908 Materialien zur Geschichte der oldenburgischen Seeschiffahrt (Jb, 16).<br />
1909 Geschichte der St. Gertrudenkapelle zu Oldenburg (Jb, 17).<br />
Die Gemälde i. Chorgewölbe d. St. Gertrudenkapelle zu Oldenburg (Ber.17).<br />
Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogt. Oldenburg. V. Geschichtl.<br />
Teil (Oldenburg, Stalling).<br />
1910 Überseeische Handelsunternehmungen oldenburgischer Grafen im 16.<br />
Jahrhundert (Hans. Geschbll.).<br />
1912 Grundlagen und Ergebnisse in G, Rüthnings Oldenburgischer G eschichte<br />
(Jb. 20).<br />
Das Haus Seefahrt in Bremen (Hans. Geschbll.).<br />
1914 Urkundenbuch der Stadt Oldenburg. Bis 1534 (Old. UB, Bd, 1, Oldenburg,<br />
Stalling).<br />
1919/20 Die Straßen der Stadt Oldenburg (Jb. 26).<br />
Die oldenburgischen (mütterl.) Ahnen des Fürsten Bismarck (Die Tide).<br />
1921 Die Straßen der Stadt Oldenburg. Nachtrag (Jb. 27).<br />
1925 Die ersten Reichswahlen in Oldenburg 1848 (Jb. 29).<br />
Geschichte des Oldenburger Landes (Bremen, Friesenverlag).<br />
Geschichte der Stadt Oldenburg. Tl. I (Oldenburg, Moutoux).<br />
1927 Die Landeshauptstadt Oldenburg. Geschichtl. Teil (Halensee, Dariverlag).<br />
Die Bedeutung des Dänischen Reichsarchivs zu Kopenhagen für die<br />
niedersächsische, bes. oldenburgische Forschung (Nieders. Jb. Hannover).<br />
1929 Das Schulwesen der Stadt Oldenburg von 1575— 1914. (In der Denkschrift<br />
des Schulamtes „Vom Schulwesen der Stadt O .".)<br />
1930 Das Oldenburger Stadtrecht (Jb, 34).<br />
1932 Dietrich Pining und Hans Pothorst (Hans. Geschbll. Bd. 57).<br />
Das ältere Verfassungsrecht der südoldenburgischen Städte (Nieders,<br />
Jb. Hannover).<br />
Der Aufstieg des Hauses Oldenburg zu europäischen Machtstellungen<br />
(Zs. „Niedersachsen“ , Oldenburgheft).<br />
1935 Die Entstehung der Burg Cloppenburg und die Deutung ihres Namens.<br />
Die stadtrechtlichen Anfänge Cloppenburgs (In der Festschrift von<br />
H. Ottenjann, 500 Jahre Stadt Cloppenburg). Auch 2. Aufl. 1936.<br />
1936 Zum Problem der vorkolumbischen Entdeckung Amerikas (Hist. Zs,<br />
Bd. 153),<br />
1937 Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg 1345— 1861 (Jb. 41).
Friedrich Schohusen f.<br />
Am 5. Juli 1937 verschied zu Wilhelmshaven der Amtsgerichts<br />
rat Friedrich Schohusen, langjähriges Vorstandsmitglied<br />
unseres Vereins. Der Verstorbene wurde geboren am 12. März 1882 zu<br />
Neuenhuntorfermoor und entstammt einem altbäuerlichen Geschlecht,<br />
das seit Jahrhunderten auf der Hatter Geest nachweisbar ist. Unter<br />
seinen Ahnen befindet sich auch die Sippe „Bi den Dore“ zu W ildes<br />
hausen (lat. Aportanus), deren Mitglieder in der Reformationszeit<br />
zu Bremen und Emden eine bedeutende Rolle spielten. Zur Auf<br />
deckung der Blutszusammenhänge dieser Sippe hat Schohusen selbst<br />
vieles durch archivalische Forschung beigetragen.<br />
Schon als Junge zeigte er eine reiche Begabung in der Dorfschule<br />
seines Heimatortes, so daß sein Lehrer und sein Pfarrer die Eltern<br />
veranlaßten, ihn nach Oldenburg aufs Gymnasium zu senden. Ohne<br />
Schwierigkeiten fand er dort den wissenschaftlichen Anschluß und<br />
durchlief mit Leichtigkeit alle Klassen. Nach der Reifeprüfung wid<br />
mete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft in Bonn und wurde<br />
1907 zum Referendar ernannt. Nach Ableistung seiner Militärpflicht<br />
bestand er 1912 die Assessorprüfung. Schon seit 1910 betrieb er<br />
wissenschaftliche Forschungen zur Heraldik und Sippenkunde, vor<br />
nehmlich im Hinblick auf seine eigene Sippe. Bald aber fesselten ihn<br />
auch kunstgeschichtliche Altertümer, und mit emsigem Fleiß spürte<br />
er in den Akten des damaligen Oldenburger Zentralarchivs der Ge<br />
schichte des „Oldenburger Wunderhorns“ nach. Die Frucht dieser<br />
Studien war seine gediegene Arbeit über dieses bekannte, jetzt in<br />
Kopenhagen befindliche spätgotische Kunstwerk (Oldenburger Jahr<br />
buch 27/1921 nebst einem Nachtrag im Jahrbuch 31).<br />
Den Weltkrieg machte er von Anfang bis zu Ende mit und wirkte<br />
zuletzt als Kriegsgerichtsrat. Unter dem unglücklichen Ausgang des
X<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Krieges litt er tief und war ein eifriger Verfechter völkischer W ieder<br />
geburt. Im Jahre 1919 wurde er Amtsrichter in Rüstringen und fand<br />
hier ein außerordentlich großes berufliches Arbeitsfeld. Eine glück<br />
liche Ehe erleichterte ihm seinen schweren Beruf, und seinen drei<br />
Kindern war er der sorgsamste Vater. Nachdem sein Amtsgenosse<br />
Frh. v. Gayl aus dem Dienst geschieden war, fiel ihm allein die<br />
schwere Bürde der richterlichen Tätigkeit zu und nahm ihn übermäßig<br />
in Anspruch. Trotzdem pflegte er seine geliebten geschichtlichen Stu<br />
dien und sammelte in kargen Mußestunden umfangreiches Material zu<br />
einem mehrbändigen Urkundenbuch seiner Familie. Bewundernswert<br />
war sein Einsatz für die Ziele unseres Vereins, dem er zahlreiche Mit<br />
glieder zugeführt hat. W ir werden sein Andenken stets in Ehren<br />
halten. Hermann Lübbing.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die<br />
Gründung Wilhelmshavens.}<br />
Von Hugo v. Waldeyer-Hartz.<br />
I. Die Vorgeschichte.<br />
W er die Gründe kennenlernen will, die im Jahre 1852, als die<br />
deutsche Flotte unter der schwarzrotgoldenen Flagge zur Versteigerung<br />
gelangte, Preußen auf die Bahn trieben, sich eine eigene, achtunggebietende<br />
Seemacht zu schaffen, darf sich die Mühe nicht verdrießen<br />
lassen, im Buche der Geschichte um zwei Jahrhunderte<br />
zurückzublättern. Anders wird ihm das rechte Verständnis nicht aufgehen.<br />
Denn auch hier gilt der Satz, daß nichts im Leben aus sich<br />
selbst entsteht und gedeiht, daß alles vielmehr mit der Vergangenheit<br />
mehr oder minder eng verflochten ist.<br />
Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Hanse kam Friedrich<br />
Wilhelm, den schon die Zeitgenossen durch den Beinamen „der Große"<br />
ehrten, auf Kurbrandenburgs Thron (1640). Der Gedanke, auf die See<br />
hinauszustreben, hat ihn von Anbeginn seiner Regierung ab nicht losgelassen.<br />
Er verfolgte hierbei wirtschaftliche, aber auch politische<br />
Ziele. Hamburg war in allen Kolonialprodukten der Großbelieferer<br />
der Mark. Sich hiervon frei zu machen, schien eine lohnende Aufgabe.<br />
Noch härter als das Hamburger M onopol lastete jedoch der politische<br />
Druck. Über W eser und Elbe geboten Dänen und Schweden, in M ecklenburg<br />
und Pommern machten sich die Schweden breit. Die Weichsel<br />
war in polnischer Hand, Preußen wurde bald von Polen, bald von<br />
Schweden als Lehensland beansprucht. Die Ungunst der Verhältnisse<br />
brachte es zuwege, daß dem Großen Kurfürsten erst im Jahre 1657<br />
die Gründung einer Flotte glückte. Sie stand unter dem Befehl des<br />
Reiterobristen v. Hille, der, ein Hildesheimer Kind, in niederländischen<br />
Diensten zur See gefahren war. Pillau wurde zum Stützpunkt<br />
bestimmt. Unter viel Mühen und Sorgen fristete das kleine G eschwader<br />
bis zum Jahre 1670 sein Dasein. Fünf Jahre später wagte<br />
der Kurfürst einen größeren Wurf. Im Kampf gegen Schweden charterte<br />
er niederländische Schiffe, die als Kaper unter Kurbrandenburgs<br />
Flagge fuhren. Aus der Charterflotte bildete sich dann ein eigener<br />
x) Vortrag, gehalten auf der Tagung der „Historischen Kommission zu<br />
Hannover“ in Wilhelmshaven am 9. Mai 1937.<br />
Oldenburger Jahrbuch 1
2<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Flottenstamm heraus von insgesamt zehn Schiffen. 1681 folgte der<br />
Erwerb afrikanischen Kolonialbesitzes und 1684 die Festsetzung in<br />
Emden auf dem W ege eines Handelsvertrages. Das in zäher Beharrlichkeit<br />
und mit großem politischen Mut und W eitblick Erreichte<br />
verfiel jedoch unter den Nachfolgern des Großen Kurfürsten. Friedrich<br />
I. setzte noch seine „Gloire und Point d'Honneur darein, das<br />
Commercienwerk zu kontinuieren“ . Friedrich Wilhelm I. sprach bereits<br />
von einer „Chimäre seines Großvaters, sowie von einem großen<br />
Schaden aus dem Verluste vieler Tonnen Goldes".<br />
Im Jahre 1720 hatten Preußens staatliche Seegeltungsbestrebungen<br />
praktisch aufgehört. Der Hansegeist seiner Bevölkerung lebte aber<br />
fort und rang sich zu steigender Bedeutung empor. 1740 wies Stettin<br />
einen Umsatz über See von 300 000 Talern auf, 1786 waren daraus<br />
4,5 Millionen geworden. Im gleichen Jahre zählte Ostfriesland nicht<br />
weniger als 892 Seeschiffe mit 5400 Mann Besatzung. W er die Regierung<br />
Friedrichs des Großen vom Standpunkt der Belebung der<br />
Seemacht aus verfolgt, wird überhaupt feststellen müssen, daß schwierigsten<br />
Umständen zum Trotz ganze Arbeit geleistet worden ist, die<br />
so manchen Erfolg verzeichnen durfte. 1744 nahm Preußen Besitz von<br />
Emden, nachdem das ostfriesische Herrscherhaus Circsena ausgestorben<br />
war. Damit wurde in feste Form gegossen, was lose bereits<br />
unterm Großen Kurfürsten bestanden hatte. 1750 gründete Preußen<br />
in Emden die Asiatische Compagnie, die Stadt selbst wurde 1751 zum<br />
Freihafen erklärt. A ber nicht nur in der Nordsee, auch von Pommerns<br />
Küste aus belebte sich der Seehandel unter preußischer Flagge. Die<br />
Provinz besaß 1756 222 Seeschiffe. 1782 belief sich der Bestand auf<br />
303. Nach der Schlacht von Kolin (1757) empfand der große König<br />
den Druck des schwedischen Blockadegeschwaders als derart unerträglich,<br />
daß er den militärischen Befehlshaber in Stettin anwies,<br />
auf dem Wasser Maßnahmen zur Verteidigung der Inseln und Flußmündungen<br />
zu treffen. Insgesamt wurden acht größere Kauffahrer<br />
und vier Barkassen als Kriegsfahrzeuge bereitgestellt. 124 Geschütze<br />
kamen an Bord, dazu 616 Mann. Als militärischer Führer bewährte sich<br />
ein Hauptmann von Koller, die seemännische Leitung lag in Händen<br />
eines Handelsschiffskapitäns Schwarz. Dieses erste preußische G eschwader,<br />
„Preußisches Schiffsarmement" genannt, bestand am 10. November<br />
1759 im Stettiner Haff ein hartes Gefecht mit starker schwedischer<br />
Übermacht, wobei es zwar arg zersaust wurde, immerhin aber<br />
den Beweis erbrachte, daß dem Vordringen der feindlichen Seemacht<br />
nur auf dem Wasser, nicht von der Küste aus mit Erfolg Halt zu gebieten<br />
sei.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3<br />
Die letzte maritime Gründung, die der große König sich im Jahre<br />
1772 angelegen sein ließ, war die der Seehandels-Societät. Ihre Aufgabe<br />
sollte es sein, neben den Bankgeschäften Seehandel mit Holz<br />
und Leinen nach Rußland, Skandinavien und dem Mittelmeer zu betreiben.<br />
Wenn auch nicht alle Pläne glückten, so kam man doch<br />
Schritt für Schritt weiter. Von Emden aus lebte bald nach Abschluß<br />
des Hubertusberger Friedens der Handel nach Bengalen, Batavia und<br />
China wieder auf. W ie stark Friedrich II. aber auch mit dem militärischen<br />
Seemachtgedanken vertraut war, geht am klarsten aus dem<br />
1752 niedergeschriebenen politischen Testament hervor, worin sich<br />
folgende Sätze finden: „Ich habe mit allen meinen Kräften dafür<br />
gearbeitet (nämlich für den Seemachtgedanken), ich glaube, daß meine<br />
Zeit vorüber ist, und ich hinterlasse diese Projekte meinen Nachfolgern,<br />
damit sie nicht glauben, daß schon alles in diesem Staate<br />
geschehen sei. Man wird mir einwenden, daß ich immer nur von der<br />
Landarmee spreche, von der Seemacht schweige. Bis jetzt sind die<br />
Hilfsquellen des Staates kaum ausreichend, die Armee zu bezahlen,<br />
es würde ein großer politischer Fehler sein, unsere militärische Kraft<br />
zu zerrütten. Wären wir Herren von Polnisch-Preußen und besonders<br />
von Danzig, so würde die Sache schon anders stehen. Ich würde raten,<br />
dann an 30 Galeeren und einige Fähren mit Batterien zu halten wie<br />
die Schweden. Man könnte außerdem 8 bis 10 Fregatten halten, diese<br />
Galeeren zu eskortieren. Ich würde nicht raten, Linienschiffe zu<br />
bauen, weil man sie in der Ostsee wenig brauchen kann und sie unermeßliche<br />
Kosten verursachen." Trotz diesen resignierenden Betrachtungen<br />
hat Friedrich damals aber Unterhandlungen mit dem<br />
dänischen Marine-Intendanten Grafen von Danneskold-Samsö gepflogen,<br />
der 1746 aus dänischen Marinediensten entlassen war. Zw eck<br />
der Besprechungen war, den Dänen als Berater beim Bau einer preußischen<br />
Flotte zu gewinnen. Die Angelegenheit zerschlug sich, weil<br />
Graf Danneskold seinem Mutterlande keinen seemächtigen Nebenbuhler<br />
schaffen wollte.<br />
Für unsere Betrachtungen ist nun sehr bedeutsam, daß der G edanke<br />
an die Bereitstellung einer preußischen W ehr auf dem Wasser<br />
seitdem immer wieder aufgetaucht ist. Wenn der Faden, den man<br />
spann, auch recht dünn war, so riß er doch nicht ab. In den Jahren<br />
1791— 93 ließ Friedrich Wilhelm II. unter General von Grawert 16<br />
Bombardier-Gallioten und ein Fahrzeug, bestückt mit 20 Kanonen,<br />
erbauen, das den Namen „Friedrich Wilhelm R ex“ erhielt. 1807<br />
werden auf dem Frischen Haff unter dem General von Rüchel<br />
5 Fahrzeuge mit 20 Kanonen und 150 Mann zu Operationen angesetzt.<br />
l*
4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
1811 plant der preußische Kriegsminister von Rauch die Gründung<br />
einer Flottille in Stärke von 3 Korvetten und 16 Fahrzeugen im Frischen<br />
Haff, um die Seeverbindungen zwischen Danzig, Königsberg<br />
und Memel sicherzustellen. Zwei Jahre später werden Zoll- und Kauffahrteischiffe<br />
in Pillau und Königsberg armiert. 1816 wird bei A btretung<br />
Vorpommerns der schwedische Seeoffizier Longé in preußische<br />
Dienste übernommen; mit ihm 6 Kanonenschaluppen, der Bestand<br />
einer schwedischen Flottille, die seit 1781 beim Dars und in<br />
Zingst stationiert war. Gleichzeitig wird der Schuner „Stralsund" gebaut.<br />
Und der Kommandant von Stralsund, ein Major von Engelbrechten,<br />
läßt es sich angelegen sein, die preußische Kriegsflagge zu<br />
entwerfen. Nicht genug damit: er unterbreitet der Regierung einen<br />
weitschauenden Plan zur Verstärkung der Seemacht. Zunächst (1823)<br />
bleibt es jedoch beim Bau von Kanonenschaluppen, von denen eine<br />
zur Belebung des Seemachtgedankens eine Propagandafahrt nach<br />
Berlin unternimmt. 1825 traten die Generale von Rauch und von Müff-<br />
ling mit größeren Flottengründungsplänen hervor, indem sie voller<br />
Zorn darauf verwiesen, daß noch in den Jahren 1816 und 1817 algerische<br />
Piraten die Nord- und Ostseeküste aufgesucht hätten, ohne daß<br />
die Großmacht Preußen in der Lage gewesen wäre, sie auf dem<br />
Wasser bekämpfen zu können. 1825 wurde ein Kanonenboot „Danzig"<br />
gebaut, das zusammen mit dem Schuner „Stralsund“ einer neueröffneten<br />
Navigationsschule zu Übungszwecken zur Verfügung gestellt<br />
wurde. Zwei Jahre später richtete man eine Marinewerft auf dem<br />
Dänholm bei Stralsund ein. Im Jahre 1829 wurde eine Allerhöchste<br />
Willensmeinung veröffentlicht, die endlich eine etwas kraftvollere,<br />
tatfördernde Sprache führte. In ihr hieß es: „W ir dürfen uns nicht auf<br />
Ruderschaluppen beschränken, müssen vielmehr auch an größere seegehende<br />
Fahrzeuge denken." Die Folge war, daß zur Prüfung der<br />
Angelegenheit eine Kommission zusammentrat. Ihr Vorschlag ging dahin,<br />
Preußens Küste in sechs Stationen einzuteilen und jede Station<br />
mit einem Dampfschiff, zwei Segelschiffen und mehreren Ruderkanonenbooten<br />
zu besetzen. Offenbar dachte man für den Kriegsfall<br />
auch schon an die Bereitstellung von Reserven, denn in den Plänen<br />
der Kommission war von einer „stehenden" und von einer „vorbereiteten“<br />
Marine die Rede. Leider blieb es im wesentlichen aber bei der<br />
papiemen Arbeit, die nur insofern im Jahre 1834 einen stärkeren<br />
Auftrieb erfuhr, als der Kronprinz, der spätere König Friedrich W ilhelm<br />
IV., das Kommando über das II. Armeekorps übernahm und sich<br />
in seiner Flottenbegeisterung mit dem Oberpräsidenten von Pommern<br />
Sack fand.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 5<br />
Einer der unermüdlichsten Förderer des Seemachtgedankens war<br />
der Feldmarschall von Gneisenau. Er betrachtete die Frage streng<br />
vom strategischen Standpunkt aus. „Besitzt man die Herrschaft des<br />
M eeres", hat er ausgeführt, „so vermag man einen Angriffskrieg auf<br />
alle Küsten seines Feindes zu führen. Indem man diese Angriffe vervielfältigt,<br />
zwingt man ihn, seine Truppen von einem Ende des Reiches<br />
nach dem anderen laufen zu lassen. Das scheint mir der wahre<br />
Gebrauch des Dreizacks zu sein, das macht die Natur seiner Übermacht<br />
aus.“ W eit bedeutsamer als Gneisenaus theoretische Erörterungen<br />
war aber der Einfluß, den der Feldmarschall auf den jugendlichen<br />
Prinzen Adalbert, den im Jahre 1811 geborenen Neffen König<br />
Friedrich Wilhelm III., ausübte. Man darf Gneisenau geradezu als<br />
den Erzieher Adalberts von Preußen zum Seemachtgedanken bezeichnen.<br />
Erdmannsdorff, Gneisenaus Besitz, lag als Nachbargut neben<br />
Fischbach, w o der jugendliche Prinz sehr häufig mit seinen Eltern<br />
weilte. Und auf dem Schloßteich zu Fischbach wurden mit einer<br />
Flotte von Booten und Modellen seetaktische Studien betrieben, die<br />
von grundlegendem Einfluß und nachhaltiger Wirkung auf die geistige<br />
Entwicklung des Hohenzollernsproß werden sollten.<br />
Doch die Saat reifte nur langsam; wie alles, was auf dem schwer<br />
zu beackernden deutschen Boden gedeiht, um dann um so gesünder<br />
und kräftiger zu sprossen. Im Jahre 1836 hatte sich Prinz Adalbert<br />
an einen Major Encke angeschlossen. Gemeinsam arbeiteten sie eine<br />
recht bedeutsame Denkschrift aus, die durch Vermittlung des Kronprinzen,<br />
der hier abermals sein reges Flotteninteresse bekundete, zur<br />
Vorlage an Allerhöchster Stelle gelangte. Der Denkschrift war das<br />
Gutachten eines mit dem Prinzen Adalbert befreundeten, weitblickenden<br />
englischen Seeoffiziers beigefügt, der empfahl, für eine Million<br />
Taler 3 Dampfer mit je 8 Geschützen zu bauen; und zwar aus der<br />
Erkenntnis, daß dem dampf bewegten Schiff die Zukunft gehöre. W ie<br />
alle gleichgerichteten Denkschriften fand auch diese den Aktentod.<br />
Die Regierung erklärte, Geldmangel verhindere es, auf die Vorschläge<br />
einzugehen. Im übrigen lehne man es aber auch ab, fremde Seemächte<br />
zu reizen. W ir treffen hier zum erstenmal auf eine Spur, w o außenpolitische<br />
Erwägungen mit Rüstungsplänen zur See verquickt werden;<br />
nicht gerade im starkmütigen, selbstbewußten Sinne, sondern in recht<br />
beschämender Art. Trotzdem liefen verantwortungsfreudige Männer<br />
immer wieder Sturm, um dem Flottengedanken zum Siege zu verhelfen.<br />
1837 hatte der Kriegsminister von Schleinitz klar erkannt, daß<br />
die Schaffung eines selbständigen Seeoffizierkorps nötig sei. Im gleichen<br />
Jahr legte der bereits erwähnte General von Rauch eine neue Denk-
6<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
schrift vor, die in dem Satze gipfelte, Preußen dürfe sich auf See<br />
fürderhin nicht mehr passiv verhalten. Das Ergebnis der Flottenrüstungen<br />
blieb trotzdem mager: 1840 wurden zwei Kanonenjollen<br />
als „Muster und Modelle für den Kriegsfall“ gebaut. Drei Jahre später<br />
erfolgte der Stapellauf der Korvette „Am azone". Das Schiff wurde<br />
jedoch — auch ein Ausfluß übertriebener Vorsicht — zunächst dem<br />
Handelsministerium „zur Ausbildung von Navigationsschülern der<br />
Handelsflotte" unterstellt.<br />
Das Jahr 1845 bescherte insofern einen erfreulichen Fortschritt,<br />
als der Finanzminister von der Heydt die Notwendigkeit der Pflege<br />
der Kauffahrtei mit dem Bemerken anerkannte, der Überseehandel<br />
bringe „die für die Armee erforderlichen Mittel auf“ . Zur Entfaltung<br />
und zum Schutz des Überseehandels sei aber eine Marine unbedingt<br />
geboten, und er erkläre sich bereit, die Kostendeckung zu übernehmen.<br />
Damit war viel gewonnen. Denn nicht zum mindesten an der<br />
Kostenfrage waren alle Bemühungen bislang gescheitert, mit der<br />
Flottengründung zur Tat zu schreiten. Wenn wir schließlich noch erfahren,<br />
daß seit dem Jahre 1840 eine ganze Reihe von Schriften erschienen<br />
war, zum Teil scharfblickend, oft auch kindlich übertreibend,<br />
Schriften, die es sich zur Aufgabe setzten, die Notwendigkeit eines<br />
großen deutschen Kolonialbesitzes und, im Zusammenhang hiermit,<br />
die Gründung einer starken deutschen Flotte nachzuweisen, so wird<br />
es offenbar, daß die Zeit erfüllet war. Die Frage drängte zur Lösung.<br />
Im deutschen Volk dämmerte die Erkenntnis, daß es eine Staatsnotwendigkeit<br />
sei, auf See fürderhin nicht mehr ohnmächtig zu bleiben.<br />
Am klarsten und schärfsten war dieser Gedanke ohne jeden<br />
Zweifel von Preußen erfaßt und entwickelt worden. Seit Jahrzehnten<br />
hatte es sich mit ihm auseinandergesetzt. Keiner der anderen Seeufer-<br />
staaten konnte Preußen hierin die Waage halten. Sie hatten sich mit<br />
Ausnahme Hannovers und Bremens völlig passiv verhalten und an<br />
die Gründung einer Wehr auf dem Wasser überhaupt nicht gedacht.<br />
Ja selbst in der Frage der Schaffung einer Kriegsflotte im<br />
Verein mit anderen Bundesstaaten hat Preußen durch seine Maßnahmen<br />
Hannover überholt, indem es bereits während der Jahre<br />
1846/47 mit Bremen Verhandlungen über den Abschluß eines „Deutschen<br />
Schiffsbundes“ pflog, wobei die kriegsmaritime Sicherung nicht<br />
übersehen wurde.<br />
ü . Der Einfluß des Krieges mit Dänemark.<br />
Anfang April 1848 loderte das seit langem glimmende Feuer hoch,<br />
das zum Kriege mit Dänemark führte. Es sei gewiß nicht verkannt,
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 7<br />
daß Wellen echter vaterländischer Begeisterung ganz Deutschland<br />
überrannen. Andrerseits ist aber festzustellen, daß die Einstellung<br />
zum Kriegsvorgang doch recht verschiedenartig, ja seltsam und, an<br />
großpolitischen Maßstäben gemessen, mehr als unreif war. Drei Tatsachen<br />
mögen es beweisen:<br />
1. Dänemark trieb als alte, erfahrene Seemacht unter Verhängung<br />
der Blockade von vornherein Handelskrieg; unter Hamburgs<br />
Führung lehnten die Deutschen diesen „privilegierten Seeraub" zu<br />
ihrem eigenen Schaden voller Entrüstung ab.<br />
2. Hamburg war im Grunde genommen während des ganzen<br />
Krieges bemüht, es mit Dänemark nicht zu verderben.<br />
3. Österreich ging noch weiter, indem es trotz dem Kriegszustände<br />
seinen Gesandten von Kopenhagen nicht abberief.<br />
Bei Kriegsausbruch verfügte Preußen über die zwei im Jahre<br />
1840 gebauten Kanonenjollen und die Korvette „Am azone“ . An berufsmäßig<br />
vorgebildeten Seeoffizieren standen ihm zur Verfügung zwei<br />
Schweden und der ehemals niederländische Kapitänleutnant Schroeder.<br />
Das war gewiß nicht viel. Die anderen Seeuferstaaten hatten aber<br />
überhaupt nichts aufzuweisen, und die Flotte Österreichs lag im,<br />
Mittelmeer.<br />
Mit Kriegsausbruch fühlte Hannover sich berufen, als Vertreter<br />
der Interessen der Nordseestaaten aufzutreten. Es wies darauf<br />
hin, daß seit dem Jahre 1844 seine Stände wiederholt auf die Bedeutung<br />
einer zu schaffenden Bundesflotte hingewiesen und auf Ergreifung<br />
schleuniger Maßnahmen seitens des Deutschen Bundes gedrängt<br />
hätten. Ja man sei sogar bereit gewesen, die Mittel im voraus zu<br />
bewilligen. Am 6. Mai 1848 lud Hannover Oldenburg, Hamburg und<br />
Bremen zu einer Beratung ein über „Ergreifung erweiterter Maßregeln<br />
zur Verteidigung der deutschen Nordseeküsten". Das ganze<br />
Land nahm hieran Anteil. Vom „Vaterländischen Verein zu Osna<br />
brück", von der „ersten ostfriesischen Volksversammlung in Eschen<br />
bei Aurich" und vom „Vorstand des konstitutionellen Bürgervereins<br />
zu Stade“ liefen Anträge auf „Errichtung einer deutschen Flotte" ein.<br />
Großdeutsch gedacht waren alle diese Verlautbarungen nicht, obwohl<br />
man von der „Schmach des Versäumten" sprach. Hannovers Bestreben<br />
war und blieb vielmehr, wenn man den Kerngedanken herausschält,<br />
in der Flottenfrage die erste Geige zu spielen und einen Schutz für<br />
die Gewässer der Nordsee zu schaffen. Preußens Seebelange interessierten<br />
Hannover nicht; noch schlimmer: es machte von vornherein<br />
und geradlinig, wenn man von vorübergehenden Schwankungen absieht,<br />
den Gegensatz zu Preußen zur Richtschnur seines Handelns!
8<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Nicht nur in Hannover, auch in Hamburg regten sich Kräfte,<br />
die Schutz auf dem Wasser verlangten, als der Krieg mit Dänemark<br />
ausbrach. W ir wissen allerdings, daß diese Kräfte in ihrer Gesamtwirkung<br />
alles andere anstrebten, als aufs ganze zu gehen. Am 6. Mai<br />
1848 gründeten Hamburger Bürger einen „Marineverein", Kaufmännische<br />
Kreise legten auf dem W ege der Privatsammlung den Grund<br />
zur Schaffung einer „Nationalflotte". Die Reeder Godefroy und<br />
Sloman stellten je einen alten Dreimaster zur Verfügung. Hannover<br />
half ihnen durch Stiftung zweier 12pfündiger Kanonen, eine mehr als<br />
bescheidene Beisteuer. Am 31. Mai 1848 trat in Hamburg ein „M arinekongreß"<br />
zusammen, der von Vertretern Preußens, Mecklenburg-<br />
Schwerins, Schleswig-Holsteins, Lübecks und Hamburgs beschickt<br />
war. Die Leitung der Verhandlungen lag in Händen des Hamburger<br />
Senators Kirchenpauer. Ein wüster Meinungswirrwarr ohne Größe<br />
und Tiefe machte sich breit. Vom Schutz der Ostsee, die nicht minder<br />
wie die Nordsee unter dem Druck der dänischen Blockade litt, wollten<br />
Hamburgs Vertreter nichts wissen.<br />
Im schroffen, aber wohltuenden Gegensatz zu dieser Kirchturms<br />
Politikasterei stand von Anbeginn des Krieges ab Preußens Verhalten.<br />
Hier spürte man, daß eine reiche Gedankenarbeit vorangegangen war,<br />
die unter dem Sturmatem des Krieges ihre Früchte trug. Preußen<br />
empfand nicht nur den stärksten Impuls, seine eigene Kriegsmarine<br />
nunmehr schnell zu entwickeln, es handelte auch danach. Insonderheit<br />
war es Prinz Adalbert, weit gereist, mit der See und mit fremden<br />
Marinen wie kaum ein anderer vertraut, der von Stund ab seine<br />
Lebensaufgabe darin erblickte, die Ohnmacht auf der See zu bannen.<br />
Unter seinem Vorsitz trat Ende April 1848 auf Geheiß König Friedrich<br />
Wilhelms IV. — ich unterlasse es auch hier nicht, auf dessen bedeutsame<br />
Mitwirkung hinzuweisen — eine „Beratende Preußische Marinekommission“<br />
zusammen. Sie stellte den kraftvollen und gesunden<br />
Grundsatz auf: „Es muß etwas Bleibendes geschaffen werden, keine<br />
Maßnahme nur zur Abwehr einer augenblicklich bestehenden Gefahr.<br />
Es handelt sich nicht um den Schutz preußischer Häfen, sondern vielmehr<br />
um die Ausdehnung dieses Schutzes auf die gesamte deutsche<br />
Küste. Preußen muß sich in dieser Angelegenheit von vornherein an<br />
die Spitze Deutschlands stellen. Der dänischen Blockade ist offensiv<br />
entgegenzutreten, dem deutschen Seehandel gebührt auf offenem<br />
Meere Schutz!" Man wende nicht ein, damit sei erwiesen, daß Preußen<br />
von Anbeginn ab die norddeutschen Bundesstaaten in der Flottenfrage<br />
zu seinen Werkzeugen habe machen wollen. Hiervon kann schon<br />
um dessentwillen keine Rede sein, weil Preußen nichts unterließ, um
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 9<br />
Unterhandlungen mit eben diesen Staaten zum Zwecke eines „gleichmäßigen<br />
Vorgehens beim Bau einer Flotte" zu führen. Prinz Adalbert<br />
war aber außer dem später zu erwähnenden Admiral Brommy tatsächlich<br />
der einzige seemännisch-militärisch durchgebildete Kopf<br />
deutschen Geblüts, über den das Reich verfügte. Er durfte sich zudem<br />
auf einen Stab von Mitarbeitern aus Armeekreisen stützen, die,<br />
wie wir wissen, zumindest theoretisch mit dem Seemachtgedanken<br />
und seiner Bedeutung im Kriegsfälle vertraut waren. Kein anderer<br />
Bundesstaat vermochte hierin mit Preußen in die Schranken zu treten.<br />
Was war natürlicher als die Überzeugung, Preußen fiele die Aufgabe<br />
zu, die Kräfte zum Bau einer Wehr auf dem Wasser frei zu machen<br />
und zu sammeln!<br />
Diese Stellungnahme war ferner um so berechtigter, als Preußen<br />
nicht zögerte, zur Tat zu schreiten. Am 23. Mai 1848, also noch vor<br />
den Parlamentsdebatten in Frankfurt über die Bewilligung von<br />
6 Millionen Talern zum Bau einer Flotte, wurde auf preußischen<br />
Werften der Kiel von 18 Kanonenbooten gestreckt, denen weitere<br />
33 Boote folgten, als die ersten erprobt waren und sich bewährt<br />
hatten. Im gleichen Monat erschien eine umfangreiche und berühmt<br />
gewordene Denkschrift des Prinzen, worin er seine hochfliegenden,<br />
aber durchaus ernst zu bewertenden Gedanken über Bedeutung und<br />
Umfang der vom Reich zu betreibenden Flottenrüstungen verkündete.<br />
Aus dieser Denkschrift sind nachstehende Punkte für unsere Betrachtung<br />
von besonderer Bedeutung:<br />
1. Als Mindestmaß einer selbständigen deutschen Seemacht werden<br />
20 Linienschiffe, 10 Fregatten, 30 Dampfschiffe, 40 Kanonenboote,<br />
80 Kanonenschaluppen, sowie eine Anzahl von Kanonenjollen und<br />
Bugsierdampfern angegeben. Der Prinz warnt ausdrücklich davor, halbe<br />
Maßnahmen zu treffen, und verwirft die Rücksichtnahme auf die Mißgunst<br />
des Auslandes.<br />
2. Der Gedanke, daß eine Kriegsmarine zur offensiven Verteidigung<br />
der heimischen Küsten und zum Schutz des Seehandels notwendig<br />
sei, wird klar herausgearbeitet. W olle man sich nur mit einer<br />
reinen Küstenverteidigung begnügen, dann seien 40 Kanonenboote und<br />
80 Kanonenschaluppen erforderlich.<br />
3. Der W ert dampfgetriebener Schiffe wird abermals in stärkster<br />
Weise betont. Es herrschen also durchaus fortschrittliche Überlegungen<br />
vor.<br />
4. Der Kieler Hafen wird als guter Liegeplatz bezeichnet; nur<br />
sei er leicht zu blockieren, was bei Danzig nicht in gleichem Maße
10<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
der Fall wäre. (Hier ist Prinz Adalbert offenkundig von der herrschenden<br />
strategischen Lage, Gegnerschaft Dänemarks, lebhaft beeinflußt.<br />
Es mag aber auch sein, daß er im Banne des politischen Testaments<br />
seines Ahnherrn Friedrichs des Großen stand, der Danzig, wie<br />
oben erwähnt, besondere strategische Bedeutung beimaß; in erster<br />
Linie wohl als Ausfallhafen gegen Rußland. Im übrigen hatte auch<br />
Napoleon Danzig entsprechend gewürdigt).<br />
5. Daß der Prinz schließlich in seiner Denkschrift auch die Jade<br />
anführt, und zwar als schiffbar bis Heppens, ist für unsere Betrachtung<br />
insofern bedeutsam, als sich hieraus die Tatsache ergibt, daß<br />
Preußen bereits im Mai 1848 die Vorzüge des Jadefahrwassers keineswegs<br />
übersah.<br />
Wenn sich auch das W erben und Wirken des Prinzen zunächst<br />
nicht in dem von ihm angestrebten Umfange erfüllte, so erreichte er<br />
doch durch verständnisvolles und warmherziges Eintreten für den<br />
Flottengedanken viel. Preußen ließ in Frankfurt von vornherein<br />
keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es willens sei, über die<br />
Matrikularbeiträge zur Schaffung einer deutschen Bundesflotte hinaus<br />
auf eigene Rechnung Kriegsfahrzeuge zu bauen und zu bemannen<br />
und diese Schiffe unter der vom Major von Engelbrechten im Jahre<br />
1816 entworfenen Kriegsflagge fahren zu lassen, falls das Bundesflot-<br />
tenwerk nicht von der Stelle käme. Die Überzeugung, daß es an<br />
Preußen sei, die Dinge voranzutreiben, festigte sich überhaupt mehr<br />
und mehr. Trotzdem, die Widerstände, auf die man stieß, ließen es<br />
im Interesse der zu wahrenden Eintracht ratsam scheinen, den Bogen<br />
nicht zu überspannen. Preußens künftige politische Stellung innerhalb<br />
des Deutschen Bundes war noch nicht genügend geklärt. So stellte<br />
man die Absicht, 2 Fregatten, 4 Korvetten, 14 Dampfschiffe und 80<br />
Kanonenboote auf eigene Kosten zu bauen, zunächst zurück.<br />
Bereits am 5. September 1848 kam es in Preußen aber doch zu<br />
einem scharf hervortretenden Staatsakt; so zwar, daß man ihn als den<br />
Gründungsakt der Königlich Preußischen Flotte bezeichnen darf. Eine<br />
Allerhöchste Kabinettsorder überwies die Verwaltung der vorhandenen<br />
Küstenflottille an das Kriegsministerium und setzte gleichzeitig<br />
eine bleibende Marinekommission ein. Innerhalb des Kriegsministeriums<br />
wurde unter dem Major von Wangenheim eine „Marineabteilung"<br />
gebildet. Prinz Adalbert übernahm das Kommando über<br />
sämtliche Schiffe und Fahrzeuge. Zu seinem Stellvertreter wurde der<br />
bereits erwähnte, ehemals niederländische Seeoffizier Schroeder bestellt.<br />
Er nahm seinen Sitz in Stettin und erhielt den Titel Kommodore.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 11<br />
Von Stund ab wurde der Ausbau der Flotte planmäßig gefördert.<br />
Vom 10. April 1849 stammt eine Kabinettsorder über „Disziplinarstrafen<br />
für die Marine", vom 28. April 1849 eine zweite Order über<br />
„Uniformen und Abzeichen” und vom 21. Juni 1849 eine dritte Order<br />
über „Festsetzung der Rangverhältnisse". An Landmarineteilen entstanden:<br />
Das Matrosenkorps, das Seesoldatenkorps (Marinierkorps)<br />
und das Schiffsjungeninstitut, dem 1850 das mit vier 18-Pfündern bestückte<br />
Segelschulschiff „M erkur" zugeteilt wurde. Die Flotte setzte<br />
sich im Winter 1849/50 aus den armierten Postdampfern „Preußischer<br />
A dler" und „Königin Elisabeth“ , aus dem armierten Privatdampfer<br />
„Danzig", aus der Segelkorvette „Am azone", zwei kleinen Dampfern,<br />
36 Kanonenschaluppen, 6 Kanonenjollen, 5 gemieteten Schleppern und<br />
dem Transportschiff „Norma" zusammen. Die Gesamtbestückung betrug<br />
97 Geschütze, die Gesamtzahl der Marinemannschaften 48 Offiziere,<br />
1753 Mann! Keiner der anderen Bundesstaaten an der deutschen<br />
Küste vermochte etwas Ähnliches aufzuweisen. Und so war es ein<br />
nur zu natürlicher Vorgang, wenn Preußen, das in Seemachtfragen<br />
tatkräftig handelte, hierin auch führend blieb. Geschah es zum Teil<br />
auch widerwillig, so begrüßten letzthin doch alle Stämme und Parteien<br />
deutscher Nation das preußische Flottenwerk lebhafter als das<br />
Frankfurter W erk. Insonderheit war es Oldenburg, das von vornherein<br />
und unentwegt treu an Preußens Seite stand. Dabei muß erneut<br />
hervorgehoben werden, daß Preußen dem Ausbau der Bundesflotte<br />
zunächst nicht die geringsten Schwierigkeiten in den W eg gelegt<br />
hatte. Kennzeichnend ist hierfür ein Beschluß des preußischen<br />
Staatsministeriums vom 24. Oktober 1848, worin es heißt: „Die zu<br />
gründende Marine soll eine rein deutsche mit einem deutschen Offizierkorps<br />
sein. Sie soll nur die deutsche Flagge führen, die Schiffe<br />
sollen deutsches Eigentum sein, die Marine soll der Zentralgewalt unmittelbar<br />
unterstellt werden.“ Friedrich Wilhelm IV. genehmigte diese<br />
Grundsätze ausdrücklich. Preußen hatte leider nur immer wieder triftige<br />
Gründe, den Arbeiten im Schöße des Frankfurter Parlaments zu mißtrauen;<br />
einmal, weil die Frage nicht zur Ruhe kommen wollte, baut<br />
man in Wahrheit eine deutsche Flotte, die nicht wieder von der See<br />
verschwinden soll, oder nur eine Eintagswehr als Rüstzeug gegen<br />
dänische Übergriffe; zum anderen, weil das Bestreben, aus der Bundesflotte<br />
eine reine Nordseeflotte zu machen, die an eine Deckung<br />
der Ostseeküste überhaupt nicht dachte, von den interessierten Stellen<br />
kaum verhüllt wurde. Was blieb Preußen unter solchen Umständen<br />
anders übrig, als auf den Schutz der eigenen Handels- und Seefahrtsbelange<br />
selbst bedacht zu sein! Sobald man in Frankfurt warm
12<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
wurde und die Flottenfrage ernsthafter als für gewöhnlich anpackte,<br />
war Preußen allemal zu ehrlicher Mitarbeit bereit. Nach der sattsam<br />
bekannten spitzen Erklärung Lord Palmerstons vom Juli 1849, wonach<br />
die deutsche Flagge nicht anerkannt werden könne — man hatte es<br />
reichsseitig tatsächlich verabsäumt, ihre Einführung den europäischen<br />
Staaten mitzuteilen — , ordnete Preußen allerdings an, daß seine<br />
Schiffe und Fahrzeuge nunmehr ausnahmslos unter der preußischen<br />
Flagge zu fahren hätten. Sie war das Sinnbild einer staatlichen Autorität,<br />
mit der der Deutsche Bund nicht wettzueifern vermochte.<br />
Preußen gab damit gleichzeitig zu erkennen, daß es für den Schutz<br />
der Ostseeküste allein einstehen wolle. Trotzdem zahlte es so pünktlich<br />
wie zuvor seine Beiträge für die Bundesflotte und bewies damit,<br />
daß es am Gedanken einer großen deutschen Flottengründung nach<br />
wie vor festhielt.<br />
Erst im August 1850 erfolgte eine schärfere Abkehr, weil die Verhältnisse<br />
nachgerade unhaltbar geworden waren. Preußen entschloß<br />
sich, die Beiträge für die Bundesflotte erheblich zu kürzen. Die Ersparnisse<br />
wurden dazu verwandt, um in England den Bau zweier<br />
Dampfavisos „Salamander" und „N ixe", bestückt mit je 6 Geschützen,<br />
zu betreiben. Außerdem gab man in Danzig die Kriegsdampfkorvette<br />
„Danzig" in Auftrag und setzte gleichzeitig einen festen Marine-Etat<br />
in Höhe von 282 448 Talern in den Staatshaushalt ein. Damit betonte<br />
Preußen unzweideutig, daß es vom Beschreiten des selbst vorbezeich-<br />
neten W eges nicht mehr ablassen würde. Man kann diesen Entschluß<br />
nur gutheißen. Der Deutsche Bund bestand zu jener Zeit aus 35<br />
Staaten, die sich in zwei Zollvereine gliederten. Es liefen also nicht<br />
nur die politischen, sondern auch die wirtschaftlichen Ziele auseinander.<br />
Die Grundlage für eine einheitlich zu organisierende Flottengründung<br />
war daher von vornherein mehr als brüchig. Schon im Frühjahr<br />
1849 hatte der erste Verfall gedroht. Aus Geldknappheit spielte<br />
man mit dem Auflösungsgedanken. Andrerseits hatte man das Bestreben,<br />
das kaum Begonnene zu erhalten und verfiel daher auf den<br />
anrüchigen Plan, das Flottenwerk der Zentralgewalt zu entziehen und<br />
den Sitz der leitenden Stellen nach Hamburg zu verlegen. Hannover<br />
war lebhaft dafür, Preußen dagegen. Und zwar mit Recht; denn diese<br />
Verlegung hätte nichts anderes bedeutet als die Gründung einer<br />
reinen Nordseeflotte. In Behandlung der Flottenfrage klaffte also damals<br />
schon ein unheilvoller Gegensatz zwischen Preußen und Hannover,<br />
der für Jahre fortdauern sollte. Bremen stellte sich aus eigennützigen<br />
Gründen auf Seiten Hannovers. Der sonst so verdienstvolle<br />
und einsichtige Senator und Reichsminister Duckwitz schrieb: „König
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 13<br />
Ernst August muß die Flotte retten, die ganze Nation würde ihm zujubeln!“<br />
Daß man in Hannover solche Anerkennung erfreuten Ohres<br />
aufnahm, bedarf kaum der Betonung. Leider verbiß man sich auf den<br />
Gedanken, Preußen strebe die Vorherrschaft über Norddeutschland<br />
an, nur aus diesem Grunde entwickele es eine eigene Marine. Ja,<br />
man ging noch weiter, indem man der Ansicht Raum gab, die Erhaltung<br />
der Flotte sei eine Notwendigkeit für die Nordsee-Uferstaaten;<br />
verzichte man auf sie, dann würde Preußen auf friedlichem W ege die<br />
Eroberung Deutschlands vollziehen. Von dem Zweckgedanken der<br />
Flottengründung war man somit erheblich abgerückt: man erblickte<br />
in ihr nicht mehr ein Instrument zur Niederhaltung dänischen Übermuts<br />
und zur Hebung des deutschen Ansehens in der Welt, nein, die<br />
Flotte sollte ein Kampfwerkzeug werden, um das aufstrebende Preußen<br />
in enge Schranken zu verweisen! Wenn man milde urteilt, kann<br />
man solche Anschauungen nur als mittelalterlich bezeichnen.<br />
Es soll ganz gewiß nicht behauptet werden, Preußen habe sich bei<br />
seinem Vorgehen lediglich von idealen, völlig selbstlosen Gründen<br />
leiten lassen. Hätte es so verfahren, dann wäre seine Politik höchst<br />
mangelhaft gewesen. Daß Preußen aber den kleinbürgerlichen Standpunkt<br />
einer engherzigen Bundesstaatenpolitik überwunden hatte, kann<br />
ernstlich nicht bestritten werden. Um die Gegensätze nicht auf die<br />
Spitze zu treiben, war es im Juli 1849 bereit gewesen, den Oberbefehl<br />
und die Verwaltung der Bundesflotte Hannover zu überlassen. Damals<br />
stellte es, streng sachlich und nur zu gerechtfertigt, lediglich die<br />
eine Bedingung, die Flotte müsse auch zum Schutz der Ostsee bereitgehalten<br />
werden. Als im Herbst 1849 die Frage aufgetaucht war, wo<br />
die Bundesflotte ihr Winterquartier beziehen sollte — in dieser Hinsicht<br />
war so gut wie nichts vorbereitet — , lebte der Meinungsstreit<br />
von neuem in unerfreulichster W eise auf. Oldenburg bot Brakersiel<br />
an, Hamburg Krautsand, Hannover Leer, Preußen Swinemünde. Auch<br />
bei diesem Anlaß hatte Preußen zum Nutzen einer friedlichen Regelung<br />
größtes Entgegenkommen bewiesen. Es erklärte seine Bereitwilligkeit,<br />
die Schiffe selbst unter hannoverscher Flagge bei sich aufnehmen<br />
zu wollen. Mit vollem Recht wurde es aber hartköpfig, als<br />
die Absicht laut wurde, vornehmlich von Österreich geschürt, die<br />
Bundesflotte während der Wintermonate ins Ausland zu legen, nach<br />
Antwerpen oder ins Mittelmeer. Für diesen Fall drohte Preußen<br />
mit Zurückziehung seiner Landeskinder und der Vonbordnahme gelieferten<br />
Proviants. Es ließ sogar durchblicken, daß es entschlossen<br />
sei, durch militärisches Einschreiten das Auslaufen der Flotte ins Ausland<br />
zu verhindern. Da Preußen zu jener Zeit den Löwenanteil aller
14<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Matrikularbeiträge entrichtet hatte, nämlich 1 561 000 Gulden, scheint<br />
sein Verhalten, schon vom reinen Rechtsstandpunkt aus, mehr als<br />
gerechtfertigt.<br />
Oldenburg hatte sich auch hier als kluger und bedachtsamer Vermittler<br />
bewährt. Es bot an, die Verwaltung der Flotte völlig uneigennützig<br />
zu übernehmen. Preußen trat auf seine Seite und legte nahe,<br />
Österreich möge sich doch von der Flottenfrage ganz und gar zurückziehen.<br />
Mit der Begründung, man habe seinen Anteil an der Bun<br />
desflotte durch die in der Adria stationierten Schiffe gestellt, hatte<br />
Österreich bislang keine Matrikularbeiträge gezahlt. Gleichzeitig<br />
wehrte es sich aber dagegen, daß die Adriaschiffe Bundeseigentum<br />
seien. Hannover hatte diese mehr als eigenwillige Auslegung der<br />
Bundespflichten nach Kräften unterstützt. Ihm lag daran, sich die<br />
Freundschaft Habsburgs gegen Preußen zu sichern. Um seinem Eigentumsanspruch<br />
an den Schiffen der Bundesflotte einen Mantel des<br />
Rechts umzuhängen, ließ sich Österreich im Jahre 1850 herbei, seine<br />
ersten Matrikularbeiträge zu entrichten. Es ist hinlänglich bekannt,<br />
daß es in jenem kritischen Jahr nicht im Sinne der preußischen Politik<br />
lag, es zu einem offenen Kampf mit Österreich kommen zu lassen.<br />
Immerhin wurde man sich darüber klar, daß es bei einem Abbruch<br />
der Beziehungen mit Österreich unerläßlich sei, nötigenfalls mit G e<br />
walt Hand auf die Bundesflotte zu legen. Bliebe jedoch der Friede<br />
gewahrt — die Olmützer Punktation erreichte es — , dann dürfe<br />
nichts geschehen sein, was der Uneigennützigkeit Preußens in der<br />
Flottenfrage auch nur im geringsten widerspreche. Insgeheim empfand<br />
man aber in Berlin die Machenschaften um die Bundesflotte als einen<br />
feindseligen Akt, mit dem Erfolge, daß die preußische Regierung<br />
Sorge dafür trug, die eigenen Flottenbestrebungen immer festere<br />
Wurzeln schlagen zu lassen. Demgemäß ist festzustellen, daß Preußen<br />
seit dem Mai 1851 in seiner Flottenpolitik selbständig und geradlinig<br />
vorging. Wenn Bismarck zu jener Zeit eine Annäherung an Hannover<br />
suchte, so geschah es, weil er die Freundschaft mit ihm um der Flottenfrage<br />
willen nicht verscherzen wollte. Ferner aber auch, um Österreich<br />
den Dämpfer aufzusetzen, es würde gegebenenfalls kaltgestellt.<br />
Hannover blieb jedoch ablehnend. Es fürchtete mehr denn je eine<br />
Einverleibung durch Preußen und machte für seinen Standpunkt gel<br />
tend, daß eine Nordseeflotte unter Preußens Führung im Grunde ge<br />
nommen nichts anderes wie eine preußische Flotte wäre. W er streng<br />
objektiv urteilt, wird diese Gedankengänge verstehen können. Trotzdem<br />
ist Hannovers Stellungnahme, erwägt man die Förderung des
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 15<br />
großdeutschen Gedankens, als rückständig und in Überlebtem erstarrt<br />
abzulehnen.<br />
Das Jahr 1851 bescherte den Vorschlag zu einer Lösung, die<br />
geradezu grotesk anmutet. Österreich empfahl eine Dreiteilung der<br />
Flottenmacht. Man selbst wollte mit seinen Schiffen die Adria halten,<br />
Preußen solle sich den Schutz der Ostsee angelegen sein lassen, die<br />
Bundesflotte möge unter Hannovers Leitung als eine reine Nordseeflotte<br />
ausgebaut werden. Preußen lehnte offenherzig mit dem Bemerken<br />
ab, ihm gelte es als wichtigstes Ziel, die eigene Flotte auszubauen.<br />
Sie stünde jederzeit bereit, auch den Schutz der Nordseestaaten<br />
auf den Weltmeeren zu übernehmen. Daneben eine besondere<br />
Nordseeflotte zu unterhalten, schiene ein unnötig kostspieliges Unternehmen<br />
zu sein. Für Hannover blieb der Gegensatz zu Preußen nach<br />
wie vor die Richtschnur seines Handelns, obwohl es kalte Füße bekam.<br />
Es erkannte nur zu klar, daß die Nordseestaaten nicht imstande<br />
sein würden, die Lasten der Unterhaltung einer selbständigen Flotte<br />
zu tragen, und trat daher leidenschaftlich für die Beibehaltung einer<br />
Bundesflotte ein. Auf diese W eise glaubte es, Preußen nicht ans<br />
Ruder kommen zu lassen. Der Minister von Wangenheim ging so weit,<br />
zu erklären, die mit Auflösung der Flotte verbundenen Gefahren<br />
könnten nur durch Verbrennen der Schiffe vermieden werden. Ihm<br />
galt es als ausgemacht, daß sich die ganze Streitfrage praktisch dahin<br />
zusammendränge, ob „die Nordseeflotte künftig unter hannoverscher<br />
oder unter preußischer Flagge fahren solle". Daß es um ganz etwas<br />
anderes, um etwas Größeres, in die Zukunft Weisendes ging, war ihm<br />
nicht klar geworden. Bei einer Einstellung, die sich in den Gedanken<br />
verbohrte, Preußen betriebe seine eigene Flottenpolitik, sowie die<br />
Auflösung der Bundesflotte lediglich aus dem selbstsüchtigen Grunde,<br />
um sich mit Oldenburgs Hilfe an der Nordsee festzusetzen, und zwar<br />
mit allen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Folgen, war<br />
ein anderes Ergebnis allerdings kaum zu erwarten.<br />
Bevor es zur Auflösung der Bundesflotte kam, machte Hannover<br />
noch im März 1852 den Versuch, einen „Nordsee-Flottenverein" zu<br />
gründen. Der König mußte jedoch sehr bald die Einsicht gewinnen, daß<br />
man ohne Preußen nicht weiterkam. Mit der selbstgefälligen Betrachtung,<br />
die Verhandlungen hätten wenigstens „zur Stärkung des föderativen<br />
Bandes unter den durch die Solidarität der Interessen eng verknüpften<br />
Staaten Norddeutschlands beigetragen", gab man die von<br />
vornherein zur Fruchtlosigkeit verurteilten Bemühungen auf. Daß in<br />
dieser „Solidarität“ für die Großmacht Preußen offenbar kein Platz<br />
gewesen war, mutet abermals mehr als seltsam an.
16 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
III. Die Auflösung der Bundesflotte.<br />
Am 16. Februar 1852 war von Österreich und Preußen der Antrag<br />
eingegangen, die Bundesflotte zu verkaufen, falls bis zum 31. März<br />
des Jahres kein „Flottenverein“ zustande gekommen sei. Am 2. April<br />
■wurde daraufhin von der Bundesversammlung der Verkauf beschlossen.<br />
Preußen erhielt hierbei als Deckung für vorgeschossene Matrikular-<br />
beiträge die Schiffe „Barbarossa" und „G efion“ . Es war von verschiedenen<br />
Seiten angegangen worden, die gesamte Flotte zu übernehmen,<br />
damit auf diese W eise die Schmach des öffentlichen Verkaufs,<br />
die in der Tat beispiellos war, vermieden werde. Preußen lehnte<br />
jedoch mit guten Gründen ab. Es wollte unter keinen Umständen in<br />
den Verdacht kommen, die Geldverlegenheit beim Unterhalt der Flotte<br />
gefördert zu haben, um den vorhandenen Schiffspark hinterher wohlfeil<br />
an sich zu bringen.<br />
Daß es zu dem traurigen Ereignis der Versteigerung der Flotte<br />
kam, lag nicht zum mindesten an dem Gegensatz, der zwischen Preußen<br />
einerseits und Hannover und Österreich andrerseits bestand.<br />
Dieser Gegensatz, der die Anforderungen der Zeit in bedauerlicher<br />
W eise völlig übersah und einen Zustand schaffen wollte, der mit<br />
einer gesunden Entwicklung der Dinge nicht das geringste gemein<br />
hatte, wurde dadurch noch verschärft, daß es eine „Reichsgewalt“<br />
tatsächlich nicht gab. Hätte sie bestanden, dann wäre das böswillige<br />
W ort Lord Palmerstons von der Piratenflagge wohl kaum gefallen.<br />
Hannovers Verhalten insonderheit stellte eine Handlung dar, die<br />
uns heute schlechthin unbegreiflich dünkt. Es gedachte für sich zu<br />
gewinnen, was seinen Händen längst entglitten war. Die preußische<br />
Marine des Jahres 1852 war ganz gewiß noch keine militärisch ausgereifte<br />
Leistung. Es steckte aber Impuls in ihr, sie arbeitete an sich<br />
und hatte eine feste Grundlage geschaffen, die einen gesunden Ausbau<br />
versprach. W ie rege man diese Entwicklung betrieb, geht aus<br />
den Tatsachen hervor, daß Preußen noch im Jahre 1852 ein G e<br />
schwader, bestehend aus den Schiffen „Gefion", „Am azone" und<br />
„M erkur", zu einer Auslandsreise in den Atlantischen Ozean schickte;<br />
daß es 1853/54 aktiv in die außenpolitischen Ereignisse eingriff, indem<br />
es einen Teil seiner Schiffe zum Schutz der Deutschen nach Konstantinopel<br />
entsandte, und daß es am 14. November 1853 eine selbständige<br />
Admiralität schuf, dazu ein Marinestationskommando in<br />
Danzig. Von den anderen deutschen Uferstaaten hat sich keiner wäh<br />
rend dieser Zeit geregt. Wenn Beispiele lehren, so war es hier der<br />
Fall. Preußen erbrachte vollgültig den Beweis, daß es auch auf See
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 17<br />
die Führerstelle im Kreise der deutschen Bundesstaaten beanspruchen<br />
durfte. W er ihm in den W eg trat, schaute nicht über seine Grenzpfähle<br />
hinaus und tat dem großdeutschen Gedanken Abbruch.<br />
Im Zusammenhang hiermit bleibt die Frage zu prüfen, ob König<br />
Ernst August von Hannover etwa im Einvernehmen mit England, wenn<br />
nicht gar unter dessen Einfluß, handelte, als er sich einem Erstarken<br />
Preußens zur See widersetzte. Hierfür findet sich nicht der geringste<br />
Anhalt, Im Gegenteil, es spricht alles dafür, daß derartige Beweggründe<br />
völlig auszuschalten sind. Ernst August war Engländer von<br />
Geburt und hat diese seine Abstammung nie verleugnet. Noch im<br />
Jahre 1825 bekannte er sich dazu, daß es sein höchster Stolz sei,<br />
in seinem Heimatlande zu leben. Dabei läßt es sich gar nicht übersehen,<br />
daß die Engländer ihn wenig liebten. Er war ihnen zu schroff<br />
und zu herrisch, vornehmlich in der von ihm besonders geschätzten<br />
Tätigkeit als Parlamentarier. Als er beim Tode König Wilhelms IV.<br />
von England infolge der herrschenden Erbgesetze den Thron von Hannover<br />
bestieg, wodurch sich eine 123jährige Personalunion zwangsläufig<br />
auflöste, war man in London froh, „the most unpopulär prince<br />
of modern times“ mit Anstand loszuwerden. Somit entfällt schon aus<br />
diesem Grunde jede Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen politischen<br />
Vorgehens mit England. Gewiß, der bei seiner Thronbesteigung<br />
67jährige Ernst August gab den Verkehr mit seinem Mutterlande nicht<br />
auf. Man empfand jedoch seine amtlichen Mitteilungen jenseits des<br />
Kanals immer wieder als lästig und dachte nicht daran, die englische<br />
mit der hannoverschen Politik zu verquicken. Sehr stark, wenn<br />
nicht gar ausschlaggebend sprach hierbei mit, daß das freiheitlich<br />
regierte England den in Hannover im absolutistischen Sinne betriebenen<br />
Verfassungssturz Ernst Augusts schroff ablehnte. Wenn der<br />
greise König, der unleugbar viel für sein Volk und sein Land getan<br />
hat, auch im Jahre 1848 sein mehr oder minder selbstherrliches Regiment<br />
zugunsten einer freiheitlicheren Regierungsform aufgab, so verharrte<br />
er dem Frankfurter Parlament gegenüber doch starr auf dem<br />
Standpunkt seiner unantastbaren Souveränität. Vom „Frankfurter<br />
Geschwader" hielt er anfänglich nicht viel. Nach seiner Überzeugung<br />
war das ganze ein „demokratisches Erzeugnis der Paulskirche". Später<br />
stellte er sich freundlicher ein. Der Gedanke, ein „Seekönig“ zu<br />
werden, mag ihm, dem gebürtigen Engländer, schon geschmeichelt<br />
haben. Demgemäß war er stets dafür zu haben, wenn Hannover an<br />
die Schaffung einer Seemacht unter eigener Flagge dachte. Andrerseits<br />
war er aber als glühender Bewunderer der preußischen Heeresorganisation<br />
viel zu gut über die hier aufgespeicherte Kraft unter-<br />
Oldenburger Jahrbuch 2
18<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
richtet, um diesen Machtfaktor zu übersehen. Der Verzicht auf eigene<br />
Seegeltung wird dem tatkräftigen, gegen Ende der Regierung von<br />
seinem Volke verehrten Fürsten schwer gefallen sein. Er hat sich<br />
aber der besseren Einsicht gefügt, was kaum geschehen wäre, wenn<br />
das seegewaltige Albion hinter ihm gestanden hätte.<br />
IV. Die Jade als Kriegshafengebiet.<br />
W ir kommen nunmehr zur Untersuchung der Frage, was Preußen<br />
dazu veranlaßte, bei seinem Bemühen um Festsetzung im Nordseebecken<br />
auf das Jadegebiet zu verfallen. Auch hier scheint es geboten,<br />
zunächst geschichtliche Grundlagen aufzuspüren. Sie vermitteln uns<br />
die Erkenntnis, daß das Jadeproblem schon manche Jahrhunderte<br />
und viele Köpfe beschäftigt hatte, bevor sich die Vertreter von Oldenburg,<br />
Preußen und dem Deutschen Bunde mit ihm abgaben.<br />
1. Die Geschichte der Jade als Flottenstützpunkt.<br />
Im Jahre 1454 legte Graf Gerd von Oldenburg von Varel aus<br />
einen Stützpunkt im Jadebusen an, um seine Kämpfe mit der Hanse<br />
bestehen zu können. Im 16. Jahrhundert machte sich im Seegebiet um<br />
die Jade ein arges Kaperunwesen breit, so daß Maria von Jever<br />
Schiffe zu seiner Vernichtung ausrüstete. 1573 rief Graf Edzard II.<br />
von Ostfriesland Oldenburg, Lübeck, Bremen und Stade dazu auf, in<br />
gemeinsamer Arbeit eine Nordseeflotte von 18 mittelgroßen Kriegsschiffen<br />
und 36 Jagdschiffen aufzustellen, nachdem der Reichstag zu<br />
Speyer (1570) kein Verständnis für dererlei Fragen aufgebracht habe.<br />
Edzards Bemühungen blieben ohne Erfolg. Enno, sein Sohn, setzte sie<br />
fort. Er knüpfte an die Bemühungen eines Caspars von Schönberg an,<br />
der dem Kaiser im Ohr lag, eine „Reichsarmada“ zu schaffen. Emden<br />
sollte Sitz der „Reichsadmiralität", der Graf von Ostfriesland „G eneraladmiral"<br />
werden. Auch Enno blieb der Erfolg versagt. Oldenburg<br />
wies ihm die kalte Schulter, obwohl die Jade zu jener Zeit ein Sammelbecken<br />
für Freibeuter geworden war, die der Kauffahrtei, aber<br />
auch den benachbarten Küstenplätzen durch ihr Treiben schweren<br />
Abbruch taten. Im Jahre 1793 fiel das Jeverland, das 1667 beim Aussterben<br />
des alten Oldenburger Hauses infolge verwandtschaftlicher<br />
Beziehungen Anhalt-Zerbst vermacht worden war, als Frauenlehen an<br />
die Zarin Katharina II., eine Anhalt-Zerbster Prinzessin. Das Ergebnis<br />
war, daß 1800 der russische Marinekapitän von Raebenin angereist<br />
kam, um die Küste des Jeverlandes zwecks Anlage eines Hafens zu<br />
besichtigen. Ein oldenburgischer Regierungsrat Ittig, der Raebenin
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 19<br />
beigeordnet wurde, lenkte die Aufmerksamkeit des fremden Gastes in<br />
erster Linie auf die Gegend von Dauensfeld. Das Projekt scheiterte<br />
jedoch an der Kostenfrage, die eine halbe Million Taler beanspruchte.<br />
1806 kam dann die Franzosenzeit. Napoleon, der geschworene<br />
Feind Englands, hatte die strategische Bedeutung der Jade sehr bald<br />
erkannt. Er ließ Batterien anlegen auf Wangeroog, bei Heppens, bei<br />
Oberahne und bei Großwürden (Eckwarder Hörne). Die Admirale<br />
Lalande, de Winter und Verhuel entwarfen Pläne zur Anlage eines<br />
Kriegshafens großen Stils; und zwar bei der Ahne-Mündung zwischen<br />
Eckwarden und den Oberahneschen Feldern. Lalande galt die Jade<br />
als der beste Hafenplatz der ganzen Nordsee. Der Feldzug nach<br />
Rußland, späterhin der Sturz Napoleons ließen den Bau nicht zur Ausführung<br />
kommen. Als Hinderungsgrund sprachen aber auch die Besorgnisse<br />
mit, England würde die Ausführung eines solchen Hafenbaues<br />
unter allen Umständen mit Waffengewalt stören.<br />
Somit ist festzustellen, daß die Interessenten auf jahrhundertealte<br />
Pläne zurückgriffen, als sie im Jahre 1848 die Aufmerksamkeit auf<br />
das Jadegebiet lenkten.<br />
2. Oldenburgs erstes Eintreten für die Jade.<br />
Die Begeisterung der örtlich interessierten Kreise für Anlage<br />
eines Kriegshafens war im Jahre 1848 aus naheliegenden Gründen<br />
groß. Das Jadegebiet war wirtschaftlich ohne Blüte. Eine Fülle<br />
von Wünschen und Hoffnungen wurde wach. Sie verdichteten sich<br />
zu einer Eingabe von Bewohnern aus allen Teilen Oldenburgs,<br />
man möge dem Plan zum Siege verhelfen. Die Regierung verschloß<br />
sich diesem Vorgehen keineswegs. Das Kabinett setzte sich<br />
einstimmig dafür ein, die Eingabe leitete man nach Frankfurt weiter<br />
und ließ die Bittsteller wissen, daß bereits seit Monaten Untersuchungen<br />
des Jade- und Wesergebietes im Hinblick auf die Schaffung<br />
eines Kriegshafens stattfänden. Die Sachbearbeitung übernahm der<br />
Regierungsrat Erdmann, der im Sommer 1848 in verschiedenen anonymen<br />
Denkschriften, die im „Varelschen Unterhaltungsblatt'', aber auch<br />
in den „Mitteilungen aus Oldenburg" erschienen, auf die Vorzüge der<br />
Jade gegenüber der W eser hinwies. Die militärisch fachmännischen<br />
Untersuchungen wurden im Aufträge des „Großherzoglichen Militär-<br />
Commandos“ von dem Artillerieoberleutnant Rüder und dem Brigadeadjutanten<br />
von Weltzien durchgeführt. Sie fielen ebenfalls positiv<br />
für die Jade aus und wurden von der oldenburgischen Regierung<br />
anerkannt. Die beiden Offiziere wiesen in ihrem eingehenden und sehr<br />
wertvollen Gutachten vornehmlich auf das Gebiet bei Fährhuk hin.<br />
2*
20<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Sie kamen also zu dem gleichen Ergebnis wie der Regierungsrat Ittig,<br />
der den russischen Kapitän von Raebenin beraten hatte. Damit empfahlen<br />
sie den Platz, wo heute Wilhelmshaven liegt, während die<br />
napoleonischen Admirale dem Ostufer den Vorzug gegeben hatten.<br />
Rüders und Weltziens Gutachten wurden von Erdmann in eine Denkschrift<br />
hineingearbeitet, die gleichzeitig einen Bericht der Wasserbaubehörden<br />
und einen Kostenanschlag enthielt.<br />
3. Der Deutsche Bund und die Jade.<br />
Dem Betreiben Oldenburgs war es zuzuschreiben, daß im Februar<br />
1849 eine Kommission des „Reichsmarineministeriums", einer jener<br />
pomphaften organisatorischen Schöpfungen des Deutschen Bundes,<br />
die im Grunde genommen recht wenig zu sagen hatten, im Jadegebiet<br />
eintraf, um sich durch Augenschein von dem W ert oder Unwert des<br />
Fahrwassers und seiner Ufer für die Anlage eines Flottenstützpunktes<br />
zu unterrichten. Die Jade galt den meisten Sachverständigen damals<br />
als aqua incognita. Der Kommission gehörten an der österreichische<br />
Marineartillerie-OberstKoudriaffski, der preußische Major v. Troschke,<br />
der hannoversche Oberstleutnant Glünder und der hamburgische<br />
Wasserbauinspektor Blohm. Oldenburg stellte als beratende Kräfte<br />
den Deichgraf Peters, den Regierungsrat Erdmann, in dessen Händen<br />
alle Flottenfragen zusammenliefen, sowie die Oberleutnants Rüder und<br />
von Weltzien. Man sieht, in der Kommission waren gerechterweise<br />
alle widereinander streitbereiten Elemente vertreten. Das Ergebnis<br />
der Prüfung an Ort und Stelle fiel im wesentlichen günstig aus, nachdem<br />
es den Herren aus Oldenburg gelungen war, die Besorgnis zu zerstreuen,<br />
die Jade könne eines schönen Tages völlig verschlammen, so<br />
daß man seine guten Taler und Gulden im Schlick verbaut sehen würde.<br />
Was den militärischen W ert der Jadestellung anbetraf, so erkannte<br />
man an, daß eine Flankenstellung im Westen zu gewinnen sei, durchaus<br />
geeignet, eine dringend wünschenswerte Verbreiterung der deutschen<br />
Seefront herbeizuführen. Man überzeugte sich auch von der geschützten<br />
Lage der Reede bei Fährhuk, bemängelte nur, daß die Jade<br />
nicht unmittelbar mit der Elbe in Verbindung stünde, wodurch der<br />
strategische W eg nach der Ostsee unter Ausnutzung des Eiderkanals<br />
unliebsam unterbrochen wäre.<br />
Wenn das Projekt der Gründung eines Kriegshafens an der Jade<br />
damals zu Fall kam, so besteht kaum ein Zweifel darüber, daß der<br />
Einspruch des höchsten militärischen Befehlshabers der Bundesflotte,<br />
des Seezeugmeisters Brommy, hierbei entscheidend mitgewirkt hat.<br />
Rudolf Brommy, am 10. September 1804 als Sohn eines Gerichts-
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 21<br />
beamten in Anger bei Leipzig geboren, war eine eigenartige Persönlichkeit;<br />
ein Abenteurer, wenn man so will, alles in allem genommen<br />
aber doch ein weit über den Durchschnitt hinausragender Mensch.<br />
Früh verwaist, war er als Dreizehnjähriger zur See gegangen, um sich<br />
nach längeren wechselvollen Fahrten, vornehmlich an der amerikanischen<br />
Küste, bei Ausbruch des Befreiungskampfes der Griechen<br />
gegen die Türken zum Dienst in der griechischen Marine zu melden.<br />
Als Leutnant angestellt, nahm er an mehreren Gefechten teil, brachte<br />
es auf der Stufenleiter der Beförderung bis zum Fregattenkapitän<br />
und tat sich schriftstellerisch durch ein umfangreiches W erk „Die<br />
Marine” hervor, das erste seiner A rt in deutscher Sprache. Als im<br />
November 1848 der Ruf an ihn erging, bei der Neugründung einer<br />
deutschen Flotte mitzuwirken, leistete er der Aufforderung begeistert<br />
Folge. Und seine Vergangenheit, seine Kriegserfahrungen auf dem<br />
Wasser, vor allem aber seine gründliche seemännische Durchbildung,<br />
sie sorgten dafür, daß sein Ansehen beträchtlich war. Brommy hat<br />
diese Anerkennung ganz gewiß verdient. Gab es doch in ganz Deutschland<br />
keinen Mann, der über die gleichen militärisch-maritimen Kennt<br />
nisse verfügte. Die wissenschaftliche Beherrschung des Stoffes wird<br />
beim Prinzen Adalbert vertiefter gewesen sein. In der praktischen<br />
Erfahrung der Kriegsseefahrt vermochte er jedoch Brommy die Waage<br />
nicht zu halten.<br />
Soll man dem später zum ersten deutschen Admiral ernannten<br />
Manne darum Vorwürfe machen, daß er im Februar 1849 für den<br />
Jadeplan nicht zu haben war? Meines Erachtens trifft ihn kein V orwurf.<br />
Brommy urteilte durchaus gesund, wenn er erklärte, es käme<br />
nicht darauf an, sofort mit einem größeren Hafenbau zu beginnen.<br />
Was man vorerst brauche, sei nichts weiter, als einen für Sommerund<br />
Winterzeit geeigneten Liegeplatz für die mühsam zusammengebrachten<br />
Schiffe. Und solch ein Platz müsse nicht in einer unwirtlichen,<br />
verkehrstechnisch überhaupt nicht erschlossenen Gegend wie<br />
dem Jadegebiet, sondern in einem an Hilfsquellen reichen Küstensaum<br />
gesucht werden. Die Entwicklung hat Brommy durchaus recht<br />
gegeben. Zu Beginn des Jahres 1849 wäre es bei der herrschenden<br />
Ebbe in der Marinekasse völlig verfehlt gewesen, ja es hätte aller<br />
Voraussicht nach zum Zusammenbruch des Flottenwerkes geführt,<br />
wenn man seine kargen Mittel für die Urbarmachung des Landes bei<br />
Fährhuk aufgewandt haben würde, ohne damit die Forderungen der<br />
Zeit zu erfüllen.<br />
Prinz Adalbert verlor trotz Brommys Ablehnung den Jadeplan nicht<br />
aus dem Auge. Als führender Kopf der preußischen Marinebestre-
22<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
bungen blickte er weiter. Sein Berater und Vertrauensmann wurde<br />
der Abgeordnete der Nationalversammlung Gottfried Kerst; seines<br />
Zeichens ein Philologe, der aber als Ingenieurhauptmann sechs Jahre<br />
in Brasilien topographisch und technisch tätig gewesen war. Da Kerst<br />
sich somit Auslandswind um die Nase hatte wehen lassen und überdies<br />
noch darauf hinweisen durfte, daß er im Kriege gegen Argentinien<br />
acht Monate an Bord eines brasilianischen Kriegsschiffes verbracht<br />
habe, galt auch er als ein in Marinefragen besonders bewanderter<br />
Mann. Als Mitglied der „Technischen Marinekommission" des Reiches<br />
hat er sich als ein kluger und tatfroher Kopf, aber auch als ein nicht<br />
immer leicht zu behandelnder Mensch erwiesen. Sein politisches Ideal<br />
war ein deutscher Staatenbund mit preußischer Spitze. Demgemäß<br />
war er Feuer und Flamme für die Schaffung einer preußischen Flotte.<br />
Mit gleicher Zähigkeit wie der oldenburgische Regierungsrat Erdmann<br />
hielt Kerst an dem Jadeprojekt fest. Beide Männer haben sich ohne<br />
Frage um die spätere Verwirklichung große Verdienste erworben.<br />
W obei jedoch nicht übersehen werden darf, daß hinter ihnen noch<br />
stärkere Kräfte wirkten, als sie selbst darstellten und nach Lage der<br />
Verhältnisse darstellen konnten; Kräfte, die von den Regierungen<br />
Preußens und Oldenburgs gespeist wurden. Im übrigen stand Kerst<br />
mit seiner Ansicht auf preußischer Seite nicht allein. Andere Sachverständige<br />
wie der Major Teichert stießen in dasselbe Horn.<br />
Nach dem ersten mißglückten Versuch, die Bundesmarine für die<br />
Jade zu interessieren, wurde es vorübergehend still um die Angelegenheit.<br />
Man kam erst wieder auf sie zurück, als die bereits erwähnte<br />
Überwinterungsfrage der Flotte arges Kopfzerbrechen verursachte.<br />
1850 setzte sich eine neue Kommission der Bundeszentralgewalt<br />
in Marsch, um ein zweites Mal durch Augenschein das Für<br />
und W ider des Jadeprojektes abzuwägen. Der Kommission gehörten<br />
der österreichische Fregattenkapitän von Bourguignon und der Ministerialrat<br />
im Reichsmarinerat Jordan, der Dichter des Epos „Die<br />
Nibelungen", an. Die Herren stellten fest, daß Elbe und Ems aus<br />
„strategischen“ Gründen zur Schaffung eines Flottenstützpunktes ungeeignet<br />
seien. Ob sie sich dieses Urteil ernstlich überlegt haben,<br />
scheint zweifelhaft. Bourguignon hatte offenbar eine gebundene<br />
Marschroute. Sein Besichtigungseifer im Jadegebiet war mehr als<br />
lau. Als die Lotsen erklärten — was im Grunde genommen nichts<br />
Überraschendes an sich hatte — , „die Ansteuerung in die Jade sei bei<br />
trübem Wetter ohne Seezeichen schwierig“, genügte diese Angabe der<br />
Kommission, um auch hier zu einem ablehnenden Schlußergebnis zu<br />
gelangen. Man kann sich nach allem des Eindrucks kaum erwehren,
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 3<br />
daß Bourguignon dahin unterwiesen war, nichts festzustellen, was zu<br />
Preußens Gunsten hätte ausschlagen können.<br />
4. Preußen und die Jade.<br />
Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß sich Prinz Adalbert<br />
und sein Vertrauter Kerst im Laufe der Erwägungen, w o ein<br />
Hafen für die deutsche Bundesflotte anzulegen sei, über die wahre<br />
Bedeutung der Jade völlig klargeworden waren. Dadurch wurde<br />
Preußen zum Erben der Pläne einer vielhundertjährigen Geschichte,<br />
w obei Oldenburg ihm offen und ehrlich die Bruderhand entgegenstreckte.<br />
Auf beiden Seiten war man vom Jahre 1852 ab in aller Stille<br />
ungemein rege, um die Angelegenheit zu fördern. Auf preußischer<br />
Seite drängte neben Prinz Adalbert der König, auf oldenburgischer<br />
Seite der Großherzog Paul Friedrich August, der in der Lösung der<br />
Frage die Verwirklichung einer seiner Lieblingspläne erblickte. Der<br />
hohe Herr verfolgte nicht nur Schiffahrtsinteressen, sondern auch<br />
politische. Er strebte aus der Isolierung heraus, in die sein Land<br />
durch Umklammerung seitens Hannovers geraten war. Vor allem lag<br />
ihm aber daran, das Jadegebiet wirtschaftlich zu erschließen. Und<br />
diese Entwicklung sah er voraus, da die Anlage eines Kriegshafens<br />
auch zum Anschluß an vorhandene Schienenstränge führen mußte.<br />
Bevor der Regierungspräsident Hannibal Fischer sein hartes, aber<br />
trauriges Amt als Versteigerer der deutschen Bundesflotte begann,<br />
handelte Preußen. Prinz Adalbert wandte sich nach vorangegangenen<br />
mündlichen Verhandlungen am 4. Mai 1852 mit einem längeren Schreiben<br />
an den Kriegsminister von Bonin, um dessen Interesse für die<br />
Anlage eines Stützpunktes im Jadegebiet zu wecken. Bonin verschloß<br />
sich der Bedeutung der Frage nicht. W obei allerdings hervorgehoben<br />
werden muß, daß der Prinz damals noch nicht von der Schaffung einer<br />
größeren Anlage sprach. Er empfahl vielmehr lediglich den Bau eines<br />
„Ausrüstungsplatzes" in Gestalt der Errichtung eines hölzernen Bollwerks<br />
auf Fährhuk mit einigen Schuppen zur Lagerung von Schiffs<br />
gerät und Proviant. Ob Prinz Adalbert hiermit sein letztes Ziel enthüllt<br />
hat, muß dahingestellt bleiben. Möglich wäre es, daß er aus<br />
Gründen der Sicherheit des Gelingens nur schrittweise vorging, um<br />
seinen Partner, den Kriegsminister, nicht durch die Größe der Forde<br />
rung von vornherein in eine Abwehrstellung zu drängen. Die Gründe,<br />
die für den Erwerb eines Jadehafens sprachen, wurden Bonin wie<br />
folgt schmackhaft gemacht:<br />
1. Es sei vorteilhaft, sich an der Nordsee einen Stationsort für
24<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
solche Schiffe zu sichern, deren „Lagerung" an der Ostsee nicht<br />
zweckmäßig schiene.<br />
2. Die strategischen Vorteile, die man gewönne, seien sehr erheblich.<br />
Elbe und W eser lägen dem englischen Helgoland zu nahe.<br />
Die Barren im Jadefahrwasser bildeten ein natürliches Hindernis für<br />
jeden Feind.<br />
3. Von allen Strommündungen böte die Jade die größten Vorteile.<br />
Dank Wangeroog gestalte sich die Einsegelung vorteilhafter als in<br />
Elbe und Weser. Außerdem wiese die Jade besonders günstige Eis-<br />
verhältnise auf.<br />
4. In politischer Hinsicht sei hervorzuheben, daß Fährhuk durch<br />
die Küstengebiete Oldenburgs und Ostfrieslands von der holländischen<br />
Grenze hinreichend getrennt wäre. Auch Dänemark drohe nicht unmittelbar.<br />
5. Das Binnenfahrwasser der Jade sei sowohl in militärischer als<br />
auch in seemännischer Hinsicht gut geschützt.<br />
6. Für die freie Bewegung der Schiffe, aber auch für die Aufrechterhaltung<br />
der Manneszucht schiene es sehr wertvoll, daß kein Handelshafen<br />
vorhanden sei.<br />
Auf Grund der Anregungen des Prinzen Adalbert fanden nunmehr<br />
schriftliche und mündliche Auseinandersetzungen zwischen ihm<br />
und dem Kriegsminister statt. Der Prinz verlieh hierbei der Meinung<br />
Ausdruck, mit Oldenburg würde man leicht handelseinig werden, da<br />
das Großherzogtum ja selbst die Jade wiederholt als Flottenstützpunkt<br />
in Vorschlag gebracht habe.<br />
Tatsächlich verhielt es sich auch so, obwohl noch eine längere<br />
Zeit vergehen sollte, bis die Angelegenheit des Vertragswerkes öffentlich<br />
zu einem Abschluß gelangte. Diese Verzögerung lag aber w eder<br />
an Preußen noch an Oldenburg, sondern lediglich an dem Bestreben,<br />
im Rahmen des deutschen Bundes innerpolitische Reibungen und<br />
Schwierigkeiten zu vermeiden. Solcher Schwierigkeiten mußte man<br />
aber gewärtig sein, denn das deutsche Volk und seine Fürsten erschöpften<br />
nur zu gern ihre Kraft an ihnen.<br />
V. Das Vertragswerk.<br />
1. Die ersten Schritte.<br />
Im Juli 1852 erhielt der preußische Gesandte für Oldenburg, Graf<br />
Nostiz, auf Anregung des Kriegsministers von Bonin vom Minister<br />
des auswärtigen Amtes von Manteuffel den Auftrag, wegen der Jadefrage<br />
unauffällig beim Großherzog von Oldenburg auf den Busch zu
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 5<br />
klopfen. Der Bericht des Grafen Nostiz lautete, Oldenburg würde<br />
kaum Schwierigkeiten machen, zur Schonung anderer Staaten scheine<br />
es jedoch ratsam, vorerst keinerlei Schritte zu unternehmen. Insonderheit<br />
wäre die große Abneigung Hannovers zu fürchten. Erst wenn im<br />
Schöße des Zollkongresses ein greifbares Ergebnis vorläge, rücke der<br />
Zeitpunkt näher, mit Oldenburg in Unterhandlungen einzutreten. Herr<br />
von Manteuffel, der gleichzeitig Ministerpräsident in Preußen war,<br />
schloß sich dieser Auffassung an. Er bat darum, „die Sache in einer<br />
Art zu behandeln, daß vorläufig alles vermieden werde, was dazu<br />
führen könne, die öffentliche Aufmerksamkeit schon gegenwärtig<br />
darauf hinzulenken." Da auch der preußische Finanzminister von Bo-<br />
delschwingh, offenbar aus finanziellen Erwägungen, zunächst die Meinung<br />
vertrat — späterhin hat er keine Schwierigkeiten mehr gemacht<br />
— , „dieser Sache keine weiteren Folgen geben zu wollen“ ,<br />
trat allem Anschein nach eine kurze Unterbrechung der Verhandlungen<br />
ein. Mit Sicherheit läßt sich diese Feststellung aber nicht<br />
treffen, da die Frage von Stund ab mit äußerster Vorsicht und unter<br />
Beschränkung auf einen engsten Personenkreis verfolgt wurde; so<br />
eng, daß beispielsweise selbst Bodelschwingh erst am 6. Juni 1853<br />
durch den Ministerpräsidenten von Manteuffel darüber unterrichtet<br />
wurde, daß der Vertragsentwurf seit dem Herbst 1852 fertig vorliege<br />
und in absehbarer Zeit zur Vollziehung gelangen werde.<br />
Wann die Vorverhandlungen über den Vertrag begonnen haben,<br />
ist aus den Akten nicht ersichtlich. Man darf daraus schließen, daß<br />
aus Gründen der Geheimhaltung der mündliche, streng vertrauliche<br />
W eg gewählt und innegehalten wurde. Die Notwendigkeit, einen<br />
Nordseehafen zu erwerben, hat Preußen amtlich nur noch einmal betont;<br />
und zwar im August 1852, als es dazu schritt, den ihm zufallenden<br />
Teil des Materials der deutschen Flotte zu übernehmen.<br />
2. Die Tätigkeit der Unterhändler.<br />
Der Großherzog Nicolaus Friedrich Peter von Oldenburg darf<br />
es als seine erste politische Großtat buchen, daß er den Lieblingsplan<br />
seines verstorbenen Vaters, des Großherzogs August, aus der Taufe<br />
hat heben helfen. W ie beim Vater, so war auch beim Sohn der R egierungsrat<br />
Erdmann Vertrauensmann und Sachberater in allen die<br />
Jade betreffenden Fragen. Erdmann, der Schwiegersohn des ebenfalls<br />
stark beteiligten oldenburgischen Ministers von Berg, hatte 1849 den<br />
Abgeordenten Kerst in dessen Eigenschaft als Generalsekretär des<br />
Reichsmarineministeriums kennen- und schätzengelernt. Beide Herren<br />
blieben seitdem zum Vorteil der Sache freundschaftlich miteinander
26<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
verbunden. Kerst gewann in Berlin das Ohr des Regierungsrats<br />
Gaebler, der dem Ministerpräsidenten von Manteuffel nahestand<br />
und ihm gegenüber wiederholt betonte, es sei das Gebot der Stunde,<br />
etwas Durchgreifendes zur Hebung der Handels- und Seeinteressen<br />
Deutschlands zu tun. Ob die Lesart richtig ist, Gaebler habe Manteuffel<br />
bewogen, den Grafen Nostiz über das Jadeprojekt zu befragen,<br />
will mir wenig glaubhaft scheinen. Das hieße mit anderen Worten,<br />
den Einfluß des Prinzen Adalbert übersehen oder zumindest verkleinern.<br />
Nach meiner Überzeugung spricht vielmehr alles dafür, daß<br />
sich in der Person des Prinzen die stärkste treibende Kraft auf preußischer<br />
Seite verkörperte. Gewiß, er stand nicht allein, Kerst war<br />
an seiner Seite. Ohne den Prinzen jedoch, aber auch ohne den Einfluß<br />
des Kriegsministers von Bonin hätten weder Kerst noch Gaebler<br />
etwas erreichen können. Beide waren Förderer, sicherlich starke<br />
Förderer des Jadeprojekts, aber doch nur Mittelspersonen; nicht<br />
anders wie der Regierungsrat Erdmann, hinter dem der Großherzog<br />
von Oldenburg stand. Erdmann für sich hätte das Vertragswerk von<br />
oldenburgischer Seite aus nie und nimmer unter Dach und Fach gebracht;<br />
müßig, hierüber weitere W orte zu verlieren.<br />
Die erste Auskunft, die Preußens Gesandter am oldenburgischen<br />
Hof, Graf Nostiz, erteilt hatte, traf den Nagel auf den Kopf. Oldenburg<br />
war in der Tat besorgt, Hannover könne aus Anlaß des Aufrollens<br />
der Jadefrage Schwierigkeiten machen bei den zur Zeit schwebenden<br />
Verhandlungen über die Vereinigung der Steuervereinsstaaten<br />
mit dem Zollverein. Es scheint, daß Preußen hierbei unbesorgter war.<br />
Jedenfalls traf Kerst schon am 10. August 1852 in Oldenburg mit<br />
Erdmann zusammen, nachdem der Großherzog seine Bedenken auf<br />
Grund der Haltung Preußens beiseitegestellt hatte. Kerst spielte sich<br />
in Oldenburg als Unterhändler auf, der zum Ankauf von weiterem<br />
Material der Bundesflotte befugt sei. Über alle Verhandlungen legte<br />
man den Schleier tiefster Geheimhaltung, der trotzdem, wie wir später<br />
sehen werden, geübten Spüraugen gewisse Durchblicke gewährte.<br />
In Berlin waren lediglich der König, Prinz Adalbert und der Ministerpräsident<br />
von Manteuffel nebst Regierungsrat Gaebler eingeweiht.<br />
Auf ihn ging späterhin der geschäftsmäßige Teil der Verhandlungen<br />
über, da sich Kerst als nicht geschickt genug, vielleicht als zu hitzköpfig<br />
erwiesen hatte. Gaebler wurde nach Oldenburg unter der<br />
Tarnung entsandt, es handele sich um die Besprechung von Auswanderungsangelegenheiten.<br />
Bevor wir den Fortgang der Verhandlungen verfolgen, wird es<br />
erforderlich, noch einmal auf die treibenden Kräfte einzugehen, die
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 27<br />
Oldenburg auf die Bahn des Jadeprojektes geführt hatten. Hierbei<br />
darf die Tätigkeit eines Herrn Bley nicht übersehen werden1). Bley bekleidete<br />
die Stellung eines niederländischen und belgischen Konsuls<br />
in Varel. Am 5. Juli 1848 überreichte er dem „Staats- und Kabinettsministerium<br />
zu Oldenburg" einen Bericht über die „Vorzüge der<br />
Jade“ , nachdem auf dem „Marinekongreß zu Hamburg die Ems, die<br />
W eser und die Elbe ihre Sonderinteressen geltend gemacht hätten".<br />
Gleichzeitig trat Herr Bley mit drei Aufsätzen in inländischen Zeitungen<br />
für den Jadegedanken ein. Er regte auch schon den Bau einer<br />
Eisenbahnstraße (Brake— Minden) in Verbindung mit dem Kriegs-<br />
hafenprojekt an. Schließlich übersandte er der oldenburgischen R egierung<br />
eine höchst interessante Skizze über Befestigungen an der<br />
Jade, die er aus London von einem Freunde bezogen habe, der während<br />
der Jahre 1836/38 in Paris im Bureau Topographique als attache<br />
volontaire beschäftigt gewesen sei. Bei dieser Skizze handelt es sich<br />
offenbar um eine Kopie der zu Napoleons Zeiten entstandenen Pläne.<br />
Nach alldem ist festzustellen, daß der Konsul Bley nicht ohne Verdienst<br />
um die Bearbeitung der Jade-Auswertung ist. Womit keineswegs<br />
behauptet werden soll, daß der Großherzog Nicolaus Friedrich<br />
Peter und der Regierungsrat Erdmann auf seinen Schultern gestanden<br />
hätten. Immerhin wird eine gewisse Beeinflussung nicht abzuleugnen<br />
sein; was schon daraus hervorgeht, daß die oldenburgische Regierung<br />
in dieser Angelegenheit mit Herrn Bley verschiedentlich korrespondiert<br />
hat.<br />
Im Oldenburg jener Jahre hatte man die napoleonische Zeit nicht<br />
vergessen. Das gewaltige Ansehen, dessen sich der große Korse als<br />
Kriegsmann erfreute, wirkte nach. Demgemäß bereitete es keine<br />
Schwierigkeiten, seine Jadepläne als strategisch bedeutungsvoll aufzugreifen.<br />
In einem Protokoll des oldenburgischen Kabinetts vom 23. Oktober<br />
1849 werden die napoleonischen Vorarbeiten an der Jade sehr<br />
hoch bewertet. Sie seien aufs sorgfältigste durchgeführt worden und<br />
hätten sich auf „ausgezeichnete wissenschaftliche und technische<br />
K räfte" gestützt. Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen,<br />
daß Oldenburg für Stärkung seiner Stellung verschiedene Vertrauenspersonen<br />
anspannte, um aus den Archiven des französischen Marineministeriums<br />
nähere Auskunft über die napoleonischen Pläne und<br />
Ziele zu erhalten. Erfolge scheinen ihm allerdings nicht beschieden<br />
gewesen zu sein. Auf alle Fälle ist Oldenburg aber mit echt deutscher<br />
Gründlichkeit vorgegangen. Es hat seine Bemühungen um die Aner-<br />
*) Akten des Landesarchivs Oldenburg.
28<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
kennung des Jadegebietes nicht auf Sand gebaut, sondern militärisch<br />
und technisch mit einwandfreier Sorgfalt betrieben. Daß der Regierungsrat<br />
Erdmann als Facharbeiter der richtige Mann auf dem<br />
richtigen Posten war, muß vorbehaltlos anerkannt werden. W ie stark<br />
aber auch der Großherzog beteiligt war und wie klar er erkannte,<br />
daß auf seiten Preußens hochgestellte Persönlichkeiten gewonnen<br />
werden müßten, geht aus dem Umstande hervor, daß Nicolaus Peter<br />
bereits am 10. November 1848 den Regierungsassessor von Berg damit<br />
beauftragte, dem Prinzen Adalbert, dessen Auskunft man in Bremen<br />
erwartete, über das Jadeproblem einen Vortrag zu halten. Da der<br />
Prinz auf seiner Reise Bremen wider Erwarten nicht berührte, ist es<br />
zu diesem Vortrage letzthin nicht gekommen1).<br />
W ir kehren nunmehr zum Fortgang der Verhandlungen zurück,<br />
die sich zwischen Erdmann und Gaebler abspielten. Beide scheinen<br />
sich rasch und gut verstanden zu haben, denn ihr Schriftverkehr segelt<br />
unter der Flagge „Liebster Freund" oder auch gar „Mein theurer<br />
Freund"; Anredeformen, die auch zwischen Kerst und Erdmann üblich<br />
gewesen waren und sich zum Teil aus dem Zeitgeist erklären mögen.<br />
Anzuerkennen ist, daß sich die Unterhändler die größte Mühe gaben,<br />
den Geist der Geheimhaltung an ihre Seite zu bannen. Auch hier half<br />
die preußische Regierung in recht geschickter W eise mit, indem sie<br />
durch die Presse Gerüchte ausstreute, man plane, bei Cuxhaven im<br />
Amt Ritzebüttel einen Kriegshafen anzulegen. W ie wertvoll im irreführenden<br />
Sinne dieses Ablenkungsmanöver war, wird im Zusammenhang<br />
mit Hannovers Verhalten zu besprechen sein2).<br />
Ein besonders kluger Schachzug war ferner, daß man die Erwerbsmöglichkeiten<br />
von Land im Jadegebiet nicht unmittelbar behandelte,<br />
sondern für den Besitzwechsel einen Tauschwert suchte<br />
und in der Herrschaft Knyphausen fand. Oldenburg lag viel daran,<br />
sich diese Enklave wieder einzuverleiben. Aus ihr war im Zusammenhang<br />
mit den Bentinckschen Erbfolgeschwierigkeiten insofern ein<br />
Streitobjekt, man kann fast sagen von internationaler Bedeutung geworden,<br />
als englische, aber auch russische Interessen berührt wurden;<br />
englische durch einen britischen Zweig der Bentinckschen Familie,<br />
russische über den Gottorper und Anhalt-Zerbster Einschlag der R omanows.<br />
Preußen hat an Oldenburg zum Ankauf Knyphausens eine<br />
namhafte Summe überwiesen. Als Gegenleistung erhielt es das von<br />
ihm begehrte Jadegebiet. W eder Preußen noch Oldenburg haben ihre<br />
Volksvertretungen über diesen Handel unterrichtet. Sie durften es<br />
1) Akten des Landesarchivs Oldenburg.<br />
2) Akten des Staatsarchivs Hannover.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 9<br />
nicht, darüber kann kein Zweifel bestehen, ohne das gesamte Vertragswerk<br />
von vornherein zum Sturz zu bringen.<br />
In den bisher veröffentlichten Darstellungen tritt sehr stark die<br />
Auffassung hervor, als gebühre Oldenburg in erster Linie das Verdienst,<br />
die Angelegenheit gefördert und zum glücklichen Abschluß<br />
gebracht zu haben. Erdmann geht soweit, zu behaupten, König<br />
Friedrich Wilhelm IV. habe nur insoweit Interesse an der ganzen<br />
Frage genommen, als es ihm darauf angekommen sei, eine Vermittlerrolle<br />
bei dem Gräflich Bentinckschen Erbfolgestreit zu spielen.<br />
Diese Auffassung ist in das Gebiet der Fabel zu verweisen. Wir<br />
wissen, daß der König schon als Kronprinz ein glühender Vorkämpfer<br />
für den Marinegedanken gewesen war. Es ist mit Sicherheit anzu<br />
nehmen, daß das maßgebliche politische Testament seines großen<br />
Ahnen Friedrich II. in ihm verpflichtend fortlebte. Im übrigen ist aus<br />
den Akten des preußischen Staatsarchivs ersichtlich, daß Friedrich<br />
Wilhelm IV. die Angelegenheit nicht nur mit Eifer verfolgte, sondern<br />
sie auch im April 1853 durch ein eigenes Handschreiben an den Großherzog<br />
von Oldenburg förderte. Ihm lag sehr daran, das gesunkene<br />
Ansehen seines Staates zu heben. „Preußen muß aus dem Schlamm<br />
der 48er Jahre heraus", betonte er in einer Randbemerkung zu den<br />
Flottenakten. Die Festsetzung an der Nordsee galt ihm daher schon<br />
aus diesem Grunde als ein Schritt von besonderer Bedeutung. Daß<br />
von seiten Preußens im Laufe der Besprechungen gewisse Bedenken<br />
geäußert wurden, kann nicht verwundern, da es immerhin ein starkes<br />
Stück bedeutete, über den Kopf des Finanzministers hinweg eine<br />
Frage zu behandeln, deren Lösung nicht unerhebliche Anforderungen<br />
an den Staatssäckel stellte. Im übrigen hat Friedrich Wilhelm IV.<br />
bereits am 25. September 1852 gelegentlich eines Besuches in Rastede<br />
erklärt, daß der geplante Vertrag ihm als vortrefflich gelte. Er<br />
müsse nur strenge Geheimhaltung und Zurückstellung des Vertrags<br />
entwurfs bis nach Beendigung der Verhandlungen über die Vereinigung<br />
der Steuervereinsstaaten mit dem Zollverein fordern. W ie recht<br />
Preußens König und sein Ministerpräsident, der Herr von Manteuffel,<br />
der doch allerhand auf seine Kappe nahm, damit hatten, geht aus der<br />
schon erwähnten Tatsache hervor, daß die Großherzogliche Regierung<br />
im Grunde genommen nicht anders dachte. Ferner darf nicht über<br />
sehen werden, daß die befürchtete Spaltung im preußischen Kabinett<br />
vermieden wurde, und daß letzten Endes das gesamte Vertragswerk<br />
bei seiner Veröffentlichung, sieht man von kleinlichen Mißgünsteleien<br />
ab, keinerlei Widerstand fand. Noch immer ist es aber der Erfolg
3 0<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
gewesen, der die angewandten Mittel rechtfertigte. Auch in diesem<br />
Falle findet die alte Weisheit ihre Bestätigung.<br />
Am 20. Juli 1853 wurde der Vertrag unterzeichnet. Die Bevollmächtigten<br />
waren Erdmann und Gaebler. Die Ratifikationsurkunde<br />
wurde vom König von Preußen am 18. August 1853, vom Großherzog<br />
einen Tag später vollzogen. Man kam jedoch abermals überein, das<br />
Ganze noch geheimzuhalten, um die leidige Zollvereinsfrage in<br />
letzter Stunde nicht zu gefährden; abermals ein Beweis dafür, daß<br />
man regierungsseitig behutsamer dachte als die Unterhändler Erdmann<br />
und Gaebler, W obei unentschieden bleiben mag, wer von diesen<br />
beiden Männern stärker vom Ehrgeiz befallen war, das Vertragswerk<br />
im Interesse geschichtlichen Ruhms mit seinem Namen zu verquicken.<br />
Über Gaebler ist bekannt, daß er zagmütig wurde, als die Verhandlungen<br />
sich dem Schlüsse näherten. Gewiß, er war ein ehrlicher und<br />
großer Flottenenthusiast. A ber die Sorge, was werden England und<br />
Österreich zu der Angelegenheit sagen, befiel ihn immer heftiger.<br />
Als dann alles gut gegangen war, erklärte er offenherzig, er sei baß<br />
erstaunt, daß es ihm „bei seiner untergeordneten Stellung möglich<br />
geworden sei, diese nach seiner Überzeugung für ganz Deutschland<br />
heilsam wichtige Sache, welche noch die späte Nachwelt segnen<br />
werde, für Preußen einzuleiten und zustande zu bringen." Mit dieser<br />
W iedergabe soll ganz gewiß die Bedeutung der Gaeblerschen Tätigkeit<br />
nicht verkleinert werden. Die Äußerung legt aber nach meinem Dafürhalten<br />
ein mehr als beredtes Zeugnis dafür ab, daß es andere Kräfte<br />
waren als die der beiden Bevollmächtigten, die die Saat zur Reife<br />
brachten.<br />
Auch über den Zusammenhang des Ankaufs der Herrschaft Knyp-<br />
hausen mit dem Jadevertrag wurde die Geheimhaltung nach Kräften gewahrt.<br />
Es drangen nur vage Gerüchte durch, mehr oder minder Vermutungen.<br />
Trotzdem tauchte aus diesem Grunde die Besorgnis auf,<br />
Hannover könne sich irgendwie in den W eg werfen. Es geschah jedoch<br />
nicht, obwohl Hannover, wie wir sehen werden, gefährlich<br />
wühlte. Die Zollvereinigung trat ohne jeden Zwischenfall am 1. Januar<br />
1854 ins Leben. Nunmehr ließ man den Schleier fallen. Am<br />
7. Januar 1854 wurde die hannoversche Regierung von der großher-<br />
zoglich-oldenburgischen über das Vertragswerk amtlich in Kenntnis<br />
gesetzt. Gleichzeitig erhielten auch die Senate von Bremen und Hamburg<br />
Kenntnis, sowie der russische Gesandte am oldenburgischen Hof,<br />
Geheimrat von Struve. Am 9. Januar 1854 wurde dem preußischen<br />
und oldenburgischen Landtag das Vertragswerk vorgelegt. In Oldenburg<br />
bereitete man ihm eine begeisterte Aufnahme, Erdmann wurde<br />
Laadesfcibltotkeh<br />
O ld e n b u rg 1 *0 .
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 31<br />
hoch geehrt. Auch in Preußen ging alles glatt, so daß der von Erd-<br />
mann gegebenen Darstellung abermals entgegengetreten werden muß.<br />
Das preußische Staatsministerium nahm die Angelegenheit keineswegs<br />
unfreundlich auf. Es prüfte die Vorlage vielmehr streng sachlich<br />
durch und hieß sie am 21. Oktober 1854 unter Zugrundelegung einer<br />
Denkschrift, die von der Admiralität und dem Minister des Innern<br />
von Westphalen ausgearbeitet war, einstimmig gut1) . Ebensowenig<br />
trifft es zu, daß der Kriegsminister von Bonin infolge des Vertragswerkes<br />
eine Schmälerung seines Heeresetats befürchtete und daher<br />
zurücktrat. W ie widersinnig solche Behauptung ist, ergibt sich hinlänglich<br />
aus der uns bekannten Tatsache, daß Bonin dem Prinzen<br />
Adalbert bei seinem Vorgehen zur Lösung der Jadefrage bereitwillig<br />
sekundiert hatte. Bonins Rücktritt erfolgte lediglich aus Gründen<br />
seiner antirussischen Einstellung. Sein Nachfolger im Amt des Kriegsministers,<br />
Generalmajor Graf Waldersee, hat die Vorlage genau so<br />
vorbehaltlos unterzeichnet wie der Finanzminister von Bodelschwingh<br />
und der Handelsminister von der Heydt, von dem Erdmann behauptet,<br />
er sei gekränkt gewesen, weil man ihn nicht zum Bau einer im Vertrage<br />
vorgesehenen Eisenbahnlinie gehört habe.<br />
Auch die Kammer nahm den Vertrag mit äußerstem W ohlwollen<br />
auf und bewies damit, daß man das Hinausstreben Preußens auf die<br />
See nur billige. Die Vorlage wurde ohne Aussprache mit allen gegen<br />
drei Stimmen gutgeheißen. Ja, man brachte sogar ein Hoch auf den<br />
Ministerpräsidenten von Manteuffel aus; wohl ein vollgültiger Beweis<br />
dafür, daß die Abgeordneten in ihrer überwiegenden Mehrheit volles<br />
Verständnis für das Geleistete bewiesen.<br />
Die Veröffentlichung der Verträge erfolgte durch Gesetzblatt in<br />
Oldenburg am 15. Februar 1854, in Berlin am 23. Februar 1854. Kerst<br />
und Gaebler wurden zu Geheimen Regierungsräten ernannt. Kerst<br />
wurde als Vertreter der Admiralität zum Verwalter des von Preußen<br />
erworbenen Gebietes bestellt. Gaebler erhielt den Posten als Ver<br />
waltungsdirektor in der Zentralbehörde der Admiralität. Erdmann<br />
blieb Kommissar für weitere Verhandlungen bei Ausführung des Ver<br />
trages.<br />
Die zeremonielle Übergabe des neuen Gebietes an Preußen er<br />
folgte am 23. November 1854, wobei als Vertreter der preußischen<br />
Flotte die in England gebauten Dampfavisos „N ix" und „Salamander”<br />
zur Stelle waren.<br />
1) Akten des Preußischen Geh. Staatsarchivs in Berlin-Dahlem.
32<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Mit Abschluß des Vertrages stand die Absicht zum Bau eines<br />
großzügigen Hafens fest. Das kleine Projekt, soweit es überhaupt<br />
ernst gemeint war, hatte man zu den Akten gelegt. Zur Ausführung<br />
gelangte im wesentlichen der Entwurf des Geheimen Oberbaurats<br />
Hagen vom preußischen Handelsministerium, während die Entwürfe<br />
des britischen Ingenieurs Rendel und des Hamburger Wasserbaudirektors<br />
Hübbe verworfen wurden.<br />
In der Denkschrift der Admiralität vom 17. September 1854, die,<br />
wie oben bereits erwähnt, dem preußischen Kabinett bei seiner Beschlußfassung<br />
am 21. Oktober 1854 Vorgelegen hatte, war als Zweck<br />
des Vertrages angegeben, die Machtstellung und der politische Einfluß<br />
Preußens sollten durch den Nordseekriegshafen erhalten und erweitert<br />
werden; ferner käme es darauf an, „die Aufrechterhaltung<br />
Preußens und Oldenburgs auf den Meeren, welche die Küste beider<br />
Länder bespülten, zu sichern." Damit war eine Absage an Hannover<br />
erteilt, die schroff erscheinen mag, in dem Augenblick jedoch verständlich<br />
wird, w o man Hannovers Stellungnahme überprüft. Das soll<br />
ohne jede Voreingenommenheit geschehen, nur Tatsachen mögen<br />
sprechen. Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß sich Hannover bei<br />
seinen Maßnahmen lediglich von solchen Erwägungen hat leiten<br />
lassen, die sich ihm als politisch zweckmäßig aufdrängten. Andrerseits<br />
wäre es falsch und würde dem Zweck unserer Betrachtung nicht<br />
entsprechen, wollte man Hannovers Verhalten verschleiern. Gerade<br />
an diesem Beispiel wird klar, bis zu welcher Verbohrtheit sich die<br />
unselige Kleinstaaterei verrannt hatte. Sie verkannte große Ziele<br />
nicht, sah sie aber nur durch die eigene Brille; so zwar, daß man in<br />
diesem Zusammenhang das W ort des seligen Ovid „U t desint vires,<br />
tarnen est laudanda voluntas" mit dem besten Willen nicht mehr gut<br />
heißen kann.<br />
Alle W elt sonst verhielt sich vernünftig, nur Hannover nicht.<br />
Österreich erhob wegen des Jadevertrages keinerlei Schwierigkeiten.<br />
Rußland, dessen Beziehungen über Holstein-Gottorp und Anhalt-<br />
Zerbst schon Erwähnung getan wurde, gebärdete sich anfänglich etwas<br />
verschnupft, lenkte aber ein, als der Großherzog von Oldenburg Auf<br />
klärung gab, warum das Vertragswerk hinter einem dichten Schleier<br />
der Geheimhaltung habe abgeschlossen werden müssen. Hamburg verhielt<br />
sich uninteressiert. Es fühlte sich zu jener Zeit „im Schutze der<br />
Neutralität" geborgener als unter einer Kriegsflagge. Bremen trat<br />
warmherzig für den Jadevertrag ein. Und über Englands Verhalten<br />
wird uns der nächste Abschnitt unterrichten.
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3 3<br />
3. Hannovers Gegenwirken.<br />
In der bisher üblichen Darstellung hieß es, die amtliche Nachricht<br />
vom 7. Januar 1854 über die Verhandlungen mit Preußen habe<br />
in Hannover wie ein Blitz eingeschlagen. Gewiß, die Überraschung<br />
über das abgeschlossene Vertragswerk mag groß gewesen sein; der<br />
Vergleich mit dem Blitz trifft aber insofern nicht zu, als man sich in<br />
Hannover, insgeheim und ohne Unterlaß, sehr eingehend und politisch<br />
weitgreifend mit der Angelegenheit beschäftigt hatte. Am 18. Oktober<br />
1853 war man durch die schon erwähnten Zeitungsnachrichten<br />
hellhörig geworden, wonach Preußen glaubhaft machen wollte, es<br />
beabsichtige, sich bei Cuxhaven im Amt Ritzebüttel festzusetzen.<br />
Eine W oche später, am 25. Oktober, erkundigte sich Hannover unter<br />
der Hand bei seinem Vertrauensmann in Oldenburg, dem Steuerdirektor<br />
Lichtenberg, was es mit den Gerüchten auf sich habe, denen<br />
zufolge Preußen den Besitz eines Nordseehafens anstrebe. Lichtenberg<br />
tappte jedoch zunächst im Dunkeln. Er vermochte lediglich über eine<br />
Reise Erdmanns nach Berlin zu berichten, über der tiefes Geheimnis<br />
walte. Unterm 19. November 1853 meldete der in Hamburg beglaubigte<br />
Ministerresident Hannovers seiner Regierung, „man spreche nicht<br />
von einer Festsetzung Preußens an der Elbe, sondern von einer Festsetzung<br />
an der Weser. Hamburg wünsche keine permanente Kriegsmarine,<br />
es vertraue auf den Schutz der deutschen Küsten durch England.<br />
Er, der Ministerresident, rechne damit, daß England dem Erwerb<br />
eines Kriegshafens durch Preußen kraftvoll entgegenwirken werde.<br />
England habe schon die Flottengründung von 1848 mißfällig bemerkt.<br />
Es hätte jedoch geschwiegen, weil es auf Einwirkung anderer Verhältnisse<br />
gezählt habe. England wünsche kein militärisches Preußen<br />
an der Nordsee, da das Inselreich von Helgoland aus unumschränkten<br />
Einfluß auf die Mündungen der Ströme Deutschlands auszuüben ver<br />
m öge."<br />
Der Steuerdirektor Lichtenberg sah am 21. November 1853 er<br />
heblich klarer über die Entwicklung der Dinge. Trotz der uns be<br />
kannten sorgfältig geübten Geheimhaltung war er in der Lage, von<br />
Heppens (Fährhuk) als Ziel Preußens zu sprechen. Hannover scheint<br />
jedoch dieser Mitteilung kein volles Vertrauen geschenkt zu haben,<br />
denn es wandte sich wenige Tage später, am 26. November, offenbar<br />
unter Einwirkung des Berichtes von Lichtenberg an den Wasserbau<br />
direktor Blohm in Hamburg mit der Bitte um „vertrauliche" Auskunft,<br />
welche Nordseehäfen im Gebiet von Hamburg und Oldenburg ausbau<br />
fähig seien. Cuxhaven und das Amt Ritzebüttel waren insofern von<br />
O ldenburger Jahrbuch<br />
3
3 4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Preußen in seinen Ausstreuungen sehr geschickt gewählt worden, als<br />
auch über diesem Gründungsplan der Geist Napoleons schwebte.<br />
Das hannoversche Kriegsministerium fuhr inzwischen gröberes<br />
Geschütz auf. Es hielt nicht viel von der Einziehung „vertraulicher“<br />
Auskünfte, schlug vielmehr dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten<br />
vor, Wien zum Widerstand gegen Preußen aufzurufen.<br />
Im Lager der Diplomaten bekam man daraufhin kalte Füße, sprach<br />
von dem „mächtigen Nachbarn Preußen" und lehnte das Ansinnen des<br />
Kriegsministers ab. Der Erfolg war, daß die Militärpartei erklärte,<br />
sie wolle nicht nur „konstatieren" wie das Außenministerium, sondern<br />
„handeln". Wenn Preußen sich an der Nordsee festsetze, dann sei es<br />
nicht mehr wie recht und billig, auch Österreich daselbst einen Hafen<br />
einzuräumen!<br />
Inzwischen traf wieder ein Bericht des Herrn Lichtenberg ein,<br />
der die Dinge offenbar am klarsten überschaute. Er erklärte, betreffs<br />
der Jade mißtrauisch bleiben zu müssen. Auch bei der schon erwähnten<br />
Reise Erdmanns nach Berlin sah er durchaus nicht an der<br />
Wahrheit vorbei: er setzte sie bereits in Beziehung zum Bentinck-<br />
schen Erbfolgestreit.<br />
Am 14. Dezember 1853 war das hannoversche Ministerium für<br />
auswärtige Angelegenheiten derart mürbe geworden, daß es dem<br />
Drängen des Kriegsministers nachgab und sich in einem nach dem<br />
Empfinden unserer Tage wenig erfreulichen Schreiben an Wien<br />
wandte. Dem Brief lagen in Abschrift alle bisher als „vertraulich"<br />
abgesandten und eingegangenen Schriftstücke bei. Allem Anschein<br />
nach hat W ien es vernünftigerweise vorgezogen, auf diesen Beschwerde-<br />
und Klageruf überhaupt nicht zu antworten; was daraus<br />
hervorgeht, daß Hannover am 10. Januar 1854 unter Hinweis auf<br />
seinen ersten Brief Mitteilung von der inzwischen vollzogenen Tatsache<br />
des Jadeabkommens machte.<br />
Nach all dem geht es also nicht an, die Dinge so darzustellen,<br />
als habe sich Hannover nach den ersten alarmierenden Nachrichten<br />
über die Festsetzungsabsichten Preußens an der Nordsee wieder beruhigt.<br />
Im Gegenteil, man ist geflissentlich bemüht gewesen, den Din<br />
gen auf die richtige Spur zu kommen, und hat sich sogar noch in<br />
letzter Stunde nach fremder Hilfe umgetan. Damit nicht genug: Hannover<br />
gab sich auch nach Abschluß des Vertrages nicht geschlagen!<br />
Es fürchtete noch im Januar 1854, Preußen suche sich außer an der<br />
Jade auch bei Cuxhaven niederzulassen. Anlaß hierzu gab ein Be<br />
richt des Ministerresidenten in Hamburg, der behauptete, an der
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3 5<br />
Ostseeküste gäbe es überhaupt keinen Hafen, der den Wünschen<br />
Preußens genüge.<br />
Unmittelbar nach der amtlichen Mitteilung Oldenburgs über den<br />
Abschluß des Vertragswerkes legte Hannover durch seinen Gesandten<br />
sowohl in Berlin wie in London Beschwerde ein. Es scheute sich<br />
nicht, Preußen in England zu verdächtigen, es wolle „das Gleichgewicht<br />
Europas stören". Man schrieb zwar dem Gesandten vor,<br />
„eine Intervention Englands solle unter keinen Umständen provoziert<br />
werden, jeder Schein hierzu sei zu vermeiden", und forderte dennoch<br />
die Intervention heraus, indem man die „Bande der Verwandtschaft"<br />
beschwor. Auch Bremen versuchte man durch seinen besonders tat<br />
kräftigen Oberbürgermeister Smidt mobil zu machen. König Georg<br />
spielte sogar mit dem Gedanken, auf die Errichtung einer eigenen<br />
Nordseeflotte zurückzukommen. Das eingeforderte Gutachten fiel<br />
jedoch scharf ablehnend aus, wie nicht anders zu erwarten war. Hannover,<br />
Bremen und allenfalls Braunschweig, so lautete es, seien viel<br />
zu schwach zu solchen Leistungen) Oldenburg stehe unter Preußens<br />
Schutz, Hamburg sei nach wie vor lau, und die Binnenstaaten beteiligten<br />
sich nicht. Trotzdem stand noch in der „Hannoverschen<br />
Morgenzeitung" vom 19. Februar 1854 zu lesen, „man müsse für den<br />
Sieg der deutschen Freiheit über preußische Herrschaftsgelüste<br />
kämpfen".<br />
Preußen tat alles, um auf gütlichem W ege ehestens ins reine zu<br />
kommen. Am 18. Januar trat es durch Graf Nostiz in sehr höflicher<br />
Form an Hannover mit der Bitte heran, die Angelegenheit nunmehr<br />
in Frieden und Einvernehmen zum guten Ende zu führen; Hannover<br />
möge alle Wünsche äußern, die es im Zusammenhang mit der bevorstehenden<br />
Anlage eines Kriegshafens an der Jade hege. Hannover<br />
und sein König blieben vorerst aber unversöhnlich. König Georg V.<br />
sah in seinem Land denjenigen norddeutschen Bundesstaat, dem die<br />
Nordsee allein gehöre. Daß er damit den Spaltpilz des Partikularismus<br />
großzog, mag ihm bei seiner Veranlagung, aber auch auf Grund<br />
alten Familienstolzes nicht klargeworden sein. Ohne Zweifel war<br />
er auch besorgt, Oldenburg sei vor einer Mediatisierung nicht mehr<br />
zu bewahren, was für Hannover ein gleiches Schicksal bedeuten würde.<br />
W ir wissen heute, daß das Urteil König Georgs fehl ging; Oldenburg,<br />
das großdeutsch dachte und handelte, blieb selbständig; Hannover hingegen<br />
mußte sich dem stärkeren Preußen beugen, weil es durch sein<br />
Verhalten einen Hemmschuh auf der Entwicklungsbahn des zusam<br />
menwachsenden Reiches darstellte!<br />
3 *
3 6<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
König Georg soll sich insonderheit durch die Heimlichkeit, die<br />
bei dem Entstehen des Vertragswerkes obwaltete, verletzt gefühlt<br />
haben. Dabei war doch nur der von ihm gepflegte Partikularismus<br />
an diesem Verfahren schuld. Als der englische Botschafter in Berlin<br />
Loftus den preußischen Ministerpräsidenten wegen der umlaufenden<br />
Nachrichten über Cuxhaven befragte, konnte Manteuffel frei und<br />
offen erklären, an dem Gerede über die Elbe sei kein wahres Wort.<br />
Im übrigen hat Manteuffel auch insofern ohne Zweifel recht gehabt,<br />
als er nach vollzogenem Vertragswerk erklärte, man habe schon<br />
um dessentwillen die Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen<br />
dürfen, um keine Möglichkeit zu Preistreibereien aufkommen zu<br />
lassen. W ie dem auch sei, König Georg von Hannover fühlte sich<br />
nicht nur politisch, sondern auch menschlich schwer gekränkt. Er<br />
schickte einen seiner Adjutanten zum Großherzog von Oldenburg,<br />
seinem Schwager, und ließ drohen, er werde den Vertrag beim Bundesrat<br />
anfechten. Der Oldenburger blieb aber fest. Als von seiten<br />
des Adjutanten die W orte fielen, das Großherzogtum solle sich nicht<br />
unter die preußischen Kanonen begeben, erhielt er die sehr eindrucksvolle<br />
Entgegnung: „Die Festung Minden liege näher bei Hannover als<br />
Heppens bei Oldenburg." Später schrieb der Großherzog an König<br />
Georg: „W as nun die großen Besorgnisse anbetrifft, die Dir solch ein<br />
preußischer Kriegshafen einflößt, so kann ich Dir darin nicht beipflichten.<br />
Will Preußen uns schlucken, so sind wir doch verloren,<br />
wenn nicht andere Mächte uns schützen."<br />
Mit den anderen Mächten hat Hannover es gründlich versucht,<br />
ohne etwas zu erreichen. Es mutet fast wie Vorahnungen an, wenn<br />
König Georg immer wieder Gefahren für seine Selbständigkeit witterte<br />
und seine Gedanken nur um den einen Pol kreisen ließ, welche<br />
Hilfe verschaffe ich mir, um das Unheil abzuwenden. Er griff auf<br />
einen verstaubten Lehensvertrag zwischen Braunschweig-Lüneburg<br />
und Oldenburg zurück, der das Butjadinger Land betraf; einerseits,<br />
um Braunschweig aufzureizen, andrerseits, um Oldenburg in seinem<br />
Sinne gegen Preußen zu beeinflussen. Das Bemühen verfing nicht.<br />
Frankreichs, Dänemarks und Rußlands Interessen an der Frage wurden<br />
aufgerührt. Es war ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Alle<br />
Staatsverträge, die man hervorholte, vermochten Hilfe nicht zu bescheren.<br />
Am 27. Januar 1854 wandte sich Hannover erneut an Wien:<br />
es bestünde die Gefahr der Einmischung fremder Mächte. Deutschlands<br />
Sicherheit sei bedroht! Die Hofburg zeigte abermals die kalte<br />
Schulter. Nur in Dänemark fand Hannover schwache Gegenliebe.<br />
Dort regte sich der Gedanke, als Schachzug gegen Preußens Nordsee-
Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 37<br />
plane einen Kriegshafen in List auf Sylt anzulegen. Es blieb aber bei<br />
Papierverschwendung, etwas Praktisches kam nicht zustande. Der<br />
letzte Hoffnungsanker war England, aber auch er erwies sich als<br />
trügerisch. Es ist schmerzlich, berichten zu müssen, daß Hannover<br />
in London dafür warb, man möge territoriale Veränderungen in deutschen<br />
Landen nicht gutheißen. Unterm 7. Februar 1854 konnte jedoch<br />
der hannoversche Gesandte nichts anderes melden, als daß Lord<br />
Clarendon bei der Mitteilung, Preußen wolle eine Seemacht werden<br />
— also auch hier lag eine dem großdeutschen Gedanken feindliche<br />
Anschwärzung vor — , lediglich gelächelt und für die Jadefrage<br />
keinerlei Interesse gezeigt habe. Somit bliebe nur übrig, so riet der<br />
Gesandte, Hamburg aufzufordern, in England vorstellig zu werden;<br />
denn für Hamburgs Wohlergehen habe der Brite von jeher große Anteilnahme<br />
bewiesen!<br />
VI. Schlußwort.<br />
Der Gedanke, daß England es zu jener Zeit um der Jadefrage<br />
willen mit Preußen nicht hat verderben wollen, ist nicht von der<br />
Hand zu weisen. Die Orientsorgen drückten, das Londoner Kabinett<br />
zog mit dem preußischen am selben Strang.<br />
W äre London der preußischen Gebietserweiterung an der Jade<br />
entgegengetreten, wenn der Krimkrieg die britische Politik nicht belastet<br />
hätte? Solche Frage hat rein akademischen Wert, ihre Erörterung<br />
fällt aus dem Rahmen unserer Betrachtungen heraus.<br />
W ir wollen uns daher mit der Feststellung begnügen, daß Preußen<br />
sowohl in der Verfolgung seiner Flottenbestrebungen wie in dem<br />
Erwerb des Jadebusens den gegebenen Zeitpunkt erkannt, eine klar-<br />
linige Entwicklung verfolgt und eine feste Hand bewiesen hat.<br />
Deutschland muß heute noch Preußen dafür dankbar sein, daß es<br />
auch hier seine geschichtliche Mission erfüllte. Nicht zum mindesten<br />
in der Flottenfrage ist Preußen, Seite an Seite mit Oldenburg, zum<br />
W egbereiter der deutschen Einheit geworden. Eine Lösung der Frage<br />
im hannoverschen Sinne hätte nie und nimmer zu diesem Erfolge<br />
geführt.<br />
Literaturangabe.<br />
1. Akten des Preußischen Geh. Staatsarchivs in Berlin-Dahlem.<br />
2. Akten des Staatsarchivs in Hannover.<br />
3. Akten des Landesarchivs in Oldenburg.
38<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
4. F. B a t s c h , Adm iral Prinz Adalbert von Preußen (Kurt Brachvogel,<br />
Berlin. 1890).<br />
5. F. B a t sch, Deutsch' Seegras (Gebrüder Paetel, Berlin. 1892).<br />
6. M. B ä r , Die deutsche Flotte von 1848 bis 1852 (S. Hirzel, Leipzig. 1898).<br />
7. A. v. C r o u s a z , Kurze Geschichte der deutschen Kriegsmarine (F. Riemenschneider,<br />
Berlin).<br />
8. Th. Erdmain, Geschichte des Vertrages vom 20. Juli 1853 über die<br />
Anlegung eines Kriegshafens an der Jade (Jahrbuch für die Geschichte<br />
Oldenburgs, Bd. 9, 1900).<br />
9. W . v. H a s s e 11, Geschichte des Königreichs Hannover (M. Heinsius,<br />
Leipzig— Bremen, 1897— 1901).<br />
10. A . Jordan, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Kriegsmarine<br />
(F. Heinicke, Berlin, 1856).<br />
11. P. K o c h , 50 Jahre Wilhelmshaven (Boll & Pickardt, Berlin, 1904).<br />
12. H. A . Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover von<br />
1832— 1860 (O. Wiegand, Leipzig, 1860— 1862).<br />
13. G. Rüthning, Oldenburgische Geschichte (v. Halem, Bremen, 1911).<br />
14. G. Sello, Oestringen und Rüstringen (Ad. Littmann, Oldenburg, 1928).<br />
15. A. Stenzel, Seekriegsgeschichte in ihren wichtigsten Abschnitten<br />
(Hahnsche Buchhandlung, Hannover).<br />
16. T e s d o r f , Geschichte der kaiserlich-deutschen Kriegsmarine (Lipsius<br />
und Tischer, Kiel).
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum<br />
Beginn der Fremdherrschaft (1806).<br />
Abgrenzung der Arbeit und Quellen.<br />
3. Abschnitt: Allgemeiner TeiL<br />
Von Karl Hoyer.<br />
1. Besonderheiten des jeverschen Zunftwesens.<br />
2. Die Entstehung der Ämter und das Wesen ihrer Verpflichtungen.<br />
3. Freimeister und Bönhasen.<br />
4. Die Organisation der Ämter.<br />
5. Die Aufnahme der Meister.<br />
6. Die Ausbildung der Lehr jungen und das Gesellenwesen.<br />
2. Abschnitt: Die einzelnen zünftigen Gewerbe.<br />
1. Das Amt der Schuhmacher, Riemer und Sattler,<br />
2. Das Amt der Schlachter.<br />
3. Das Amt der Schneider.<br />
4. Das Amt der Bäcker.<br />
5. Das Amt der Klein- und Grobschmiede wie auch der Kupferschläger.<br />
6. Das Amt der Tischler und Zimmerer (sowie der Glaser).<br />
7. Das Amt der Küper.<br />
3. Abschnitt: Die Hofhandwerker.<br />
I. Abschnitt: Allgemeiner Teil.1)<br />
1. Besonderheiten des jeverschen Zunftwesens.<br />
So ähnlich sich, im großen gesehen, überall in Deutschland die<br />
Entwicklung des Zunftwesens vollzog, so bezeichnend ist im einzelnen<br />
der örtliche Werdegang in den verschiedenen Gebieten. Meist richten<br />
1) Die Darstellung beschränkt sich aus praktischen Gründen auf die<br />
7 Ämter der Schuhmacher (Riemer und Sattler), der Schlachter, der Schneider,<br />
der Bäcker, der Schmiede, der Tischler (Zimmerer und Glaser) und der<br />
Küper. Nicht berücksichtigt sind die Innungen der Barbiere, die mit den<br />
Wundärzten, Ärzten und Apothekern, und die Brauer, die mit den Krügern<br />
zusammen zu behandeln sind. Auch die Kaufleute gehören, wenn sie auch<br />
eine Innung bildeten, nicht in den engeren Zusammenhang; dagegen sind die<br />
Hofhandwerker mit aufgenommen, da sie als Freimeister mannigfache Beziehungen<br />
zu den 7 Ämtern aufweisen. — Als Quellen wurden die Akten des<br />
Oldenburger Landesarchiv, des jeverschen Stadtarchivs und des jeverschen<br />
Heimatmuseums benutzt. Die Akten des Landesarchivs Aa. Jever Abt. A<br />
sind einfach als ,,L A ’ nebst Titel zitiert.
40<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
sich zwar die kleineren Orte in Einrichtungen und Gebräuchen nach<br />
der nächsten größeren Stadt. So war es z. B. in Oldenburg der Fall,<br />
dessen Abhängigkeit von Bremen auch in Zunftsachen in der ältesten<br />
Innungsurkunde, der des Bäckeramts (1362), besonders deutlich zum<br />
Ausdruck kommt1). Für das kleine, abgelegene Jever waren aber Beziehungen<br />
der Gründungsprivilegien zu denen anderer Städte bisher<br />
nicht nachweisbar. Es ging ja auch sonst gerne eigene Wege. In Hinsicht<br />
auf die Entwicklung der gewerblichen Verbände unterscheidet<br />
sich Jever jedoch in zwei Punkten grundsätzlich von seiner Nachbarschaft:<br />
in der Verbindung von Stadt- und Landhandwerk und in bezug<br />
auf die Gründungszeit seiner Ämter. Während jene eine Folge der<br />
örtlichen Verhältnisse ist, hängt diese auf das engste mit der späten<br />
Stadtrechtsbewidmung zusammen. Denn die Erteilung der Stadtgerechtsame<br />
und die Zunftbegründung stehen zumeist in ursächlichem<br />
Zusammenhang. Es ist daher nicht sehr glücklich, wenn man lediglich<br />
aus dem Vergleich der Gründungsjahre der Ämter in den verschiedenen<br />
Städten von einem mehr oder minder verspäteten Aufkommen des<br />
Zunftgedankens gesprochen hat2). Das Streben, sich eine Organisation<br />
zu geben, wohnte den Handwerkern des Mittelalters entsprechend der<br />
Geisteshaltung dieser Zeit überall inne, aber die Möglichkeit, es erfolgreich<br />
in die Tat umzusetzen, bestand erst, wenn eine Rechtsgrundlage<br />
durch das Stadtprivileg geschaffen war. Die Schnelligkeit, mit<br />
der sich die Bildung der Zünfte vollzog, war ebenso abhängig von der<br />
Größe des Auftriebs, den die Stadt durch die neue Rechtsgestaltung<br />
erhielt, wie von der Lebhaftigkeit des örtlichen Wirtschaftslebens<br />
an sich.<br />
In der Regel lassen sich zwei Zeitabschnitte bei den Ämtergründungen<br />
unterscheiden. Die erste W elle, bald nach der Stadtrechts-<br />
verleihung im 13. oder 14. Jahrhundert, erfaßt alle für die betreffende<br />
Stadt bedeutsamen Gewerbe. Hieran schließen sich weiterhin andere,<br />
die inzwischen infolge des wirtschaftlichen Aufblühens der Stadt an<br />
Bedeutung gewannen. In dieser Periode ist die Zunftgründung noch<br />
der reine Ausdruck des Zeitempfindens. Man meint es noch ernst mit<br />
seinen Idealen und trachtet, erfüllt von Pflichtbewußtsein und Handwerkerstolz,<br />
ihrer Verwirklichung nach. 100— 200 Jahre später kommt<br />
eine zweite Welle. Diese Gründungen haben vorwiegend wirtschaftlichen<br />
Charakter. Man nimmt sie vor, weil sie vorteilhaft sind oder<br />
weil man besitzen will, was andere auch haben. Die idealen Gesichts-<br />
•) K. Hoyer, Das Oldenburger Bäckergewerbe. Old. Jahrb. X XIX (1925).<br />
2) H. Hemmen, Die Zünfte der Stadt Oldenburg im Mittelalter. Old.<br />
Jahrb. XVIII (1910).
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 41<br />
punkte stehen meist nur noch auf dem Papier und werden häufig genug<br />
allein als moralische Verbrämungen eigennütziger Bestrebungen<br />
der einzelnen Verbände gebraucht. Schließlich sucht jeder Meister die<br />
Zugehörigkeit zu seiner Zunft zu seinem persönlichen Vorteil auszunutzen.<br />
Man kämpft für die Rechte, die man verbrieft besitzt, und<br />
kümmert sich nicht mehr um die Verpflichtungen gegen die Gemeinschaft.<br />
Auch in Jever lassen sich diese zwei Perioden, wenn sie auch zeitlich<br />
näher aneinander gerückt sind, noch unterscheiden, doch liegen<br />
hier die Verhältnisse insofern anders, als schon der erste Abschnitt in<br />
die Zeit fällt, in der die alten Zunftideale bereits stark verblaßt sind.<br />
Als Jever 1536 Stadtrecht erhält, ist der Ort noch klein, und die politische<br />
Lage bleibt weiter unsicher. Dann kommt Jever an Oldenburg,<br />
noch lange drohen die ostfriesischen Ansprüche. So entsteht erst ljjWT" ■ ¿5<br />
als erste Zunft das Amt der Schuster, Riemer und Sattler. Bezeichnenderweise<br />
sind drei Gewerbe zur Bildung dieser ersten Organisation<br />
nötig. 1604 erhalten die Schlachter ein Amt. Dann dauert es<br />
über 20 Jahre, bis in der Zerbster Zeit die nächsten Ämter gegründet<br />
werden. Dem Geiste nach unterscheiden sich die Abschnitte nicht sehr<br />
stark; immerhin wird bei den Schustern noch der Grundsatz verzeichnet,<br />
daß sie die Pflicht haben, gute Ware zu billigem Preise, d. h. für<br />
so viel, wie recht und billig ist, zu liefern. Bis zum Beginn des<br />
18. Jahrhunderts wird der alte Zunftgedanke noch leidlich gewahrt.<br />
Von da an allerdings werden die Ämter mit großer Schnelligkeit ausschließlich<br />
zu Werkzeugen des nackten Daseinskampfes.<br />
Das zeitlich späte Auftreten der Zünfte (nicht des Zunftgedankens)<br />
ist also eine Folge der rechtlichen und politischen Verhältnisse. Diese<br />
waren auch die Ursachen, daß von einer Blüte der Zunftherrlichkeit<br />
im alten Sinne in Jever nicht die Rede sein kann. Dazu fehlten gerade<br />
die inneren Grundlagen. Die Handwerker konnten nicht den Stolz des<br />
freigewordenen Bürgers, der sich der Verantwortung für seine Stadt<br />
bewußt war, kennen. Denn für bürgerliches Selbstbewußtsein war in<br />
der Zeit des Absolutismus kein Raum mehr. Dazu kam, daß das Blickfeld<br />
der Bürger einer kleinen, abgelegenen Stadt nur gering sein<br />
konnte. Während in Oldenburg die letzten Grafen viele Mühe aufwenden<br />
mußten, um die Selbständigkeitsgelüste ihrer Bürgerschaft zu<br />
zügeln und die Handwerker oft deutliche Zurechtweisungen erfuhren,<br />
hören wir in Jever von alledem nichts. Die Auseinandersetzungen<br />
richteten sich nie gegen den Landesherren, kaum einmal gegen die<br />
Stadt, sondern sie betrafen entweder innere Angelegenheiten oder den<br />
Kampf gegen Unzünftige oder Fremde.
4 2<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Die enge Verbindung von Stadt und Land brachte hier aber eine<br />
beachtenswerte Sondererscheinung hervor. Zunftsache war sonst eine<br />
rein städtische Angelegenheit. Der Bauer hatte seinen Bedarf an Gewerbewaren<br />
in der Stadt zu decken, während der Städter die ländlichen<br />
Erzeugnisse, soweit er sie sich nicht in der Eigenwirtschaft<br />
selbst verschaffte, vom Landmann bezog. Nur wenige Gewerbe waren<br />
auf dem Lande in beschränktem Umfange zugelassen. Diese Grundsätze<br />
galten für Jever nicht. Von Anfang an trachtete man darnach,<br />
die Stadt- und Landmeister derselben Hantierung in einem Amt zusammenzufassen.<br />
Doch war eine befriedigende Lösung der Frage bei<br />
den verschiedenartigen Interessen mit allerhand Schwierigkeiten verbunden.<br />
Diese erkannte man im Anfang nicht gleich mit der genügenden<br />
Deutlichkeit. Es war nicht möglich, die Landmeister, die<br />
unter ganz anderen Bedingungen lebten, rein schematisch in denselben<br />
Rahmen zu spannen, der für die Städter passend war. Gerade die<br />
Vorteile, die dem städtischen Amtsmeister das Gemeinschaftsleben<br />
brachte, waren für den Landmeister bedeutungslos. Sie standen jeder<br />
für sich in ihrem Dorf und mußten oft zum größeren Teil von der<br />
Landwirtschaft leben, während diese bei den Städtern nur eine Ergänzung<br />
darstellte. In den Gründungsprivilegien wurde ganz allgemein<br />
der Beitritt aller Handwerksgenossen in Stadt und Land gefordert.<br />
Obwohl die Regierung allmählich einsah, daß man von den<br />
Meistern auf dem Lande nicht dasselbe fordern könnte wie von denen<br />
in der Stadt, ließ sie zunächst den Dingen ihren Lauf. Erst als der<br />
Streit zwischen beiden Gruppen am Ende des 17. Jahrhunderts zu<br />
einem großen Prozeß zwischen diesen führte, griff sie ein und traf<br />
16991) eine Regelung, die für alle Ämter galt. Die Landmeister, die<br />
bis dahin noch nicht eingetreten waren, sollten ohne weiteres aufgenommen<br />
werden. Für die später sich meldenden wurde ein einfaches<br />
Meisterstück vorgeschrieben. Die Zimmerer hatten den Riß eines<br />
Hauses, die Küper eine Kanne, die Schmiede ein beschlagenes Rad<br />
und ein Hufeisen und die Schuster ein Paar gewöhnliche Stiefel zu<br />
machen. Sie waren von allen Aufnahmebedingungen der Stadtmeister<br />
und auch von der Teilnahme an der Morgensprache befreit. Doch<br />
sollten sie anstelle des Meisteressens 2 Rt. an das Amt bezahlen.<br />
Diese Abgabe bezeichnete man als den Innungsdenar. Wiederholt<br />
mußten unberechtigte Ansprüche des Amtes gegenüber den Landmeistern<br />
zurückgewiesen werden, wie die Erhebung von Beiträgen und<br />
1699, Jan. 24 L.A. X X III B 19; J.St.A. A VIII, 1; bestätigt: 1723 u. 1758<br />
(L.A.).
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 3<br />
von Strafgeldern für Nichterscheinen bei den Amtsversammlungen1).<br />
W er vom Lande in die Stadt ziehen wollte, mußte sich mit den Stadtmeistern<br />
verständigen2). Diese Fälle kamen aber selten vor. Auch die<br />
Rademacher, die in der Stadt kein Amt besaßen, mußten ein Meisterstück<br />
machen, das in einem Rad bestand3). Über die Lehrzeit gab es<br />
ursprünglich keine Bestimmung, erst 1794 wurden 3 Jahre festgesetzt4).<br />
Da die Landmeister ohne weiteres aufgenommen wurden, wenn sie die<br />
Bedingungen von 1699 erfüllten, so war es kein Wunder, daß ihre<br />
Zahl schnell stark wuchs (vgl. die einzelnen Ämter). 1799 erst versprach<br />
die Regierung, jedesmal den Bedarfsfall prüfen zu wollen5).<br />
2. Die Entstehung der Ämter und das W esen ihrer Verpflichtungen.<br />
Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts begannen sich also die Handwerker<br />
in Jever in Ämtern zusammenzuschließen. Von den Schustern<br />
(1590) und Schlachtern (1604) war schon die Rede. Mit dem Beginn<br />
der Zerbster Herrschaft erhielten 1669 die Schneider, Bäcker und<br />
Schmiede (Klein-, Grob- und Kupferschmiede), 1686 die Zimmerer<br />
und Tischler und 1690 die Küper ein Amt. Schon 1674 waren die Barbiere<br />
zünftig geworden; das 18. Jahrhundert sah ferner die Entstehung<br />
der Brauerinnung (1707). Die Glaser, die 1757 ein Anhängsel des<br />
Tischleramts geworden waren, bekamen noch 1798 eine selbständige<br />
Organisation. Die Kramer schlossen sich um 1730 zu einem Verbände<br />
zusammen6). Die eigentliche Zeit der Amtsgründung liegt also in den<br />
100 Jahren zwischen 1590 und 1690. Die ganze erste Periode der alten<br />
Innungen umfaßt reichlich 200 Jahre und endet mit der Zeit der<br />
Fremdherrschaft (1806). Ein neuer Abschnitt beginnt erst 1830 mit<br />
der oldenburgischen Gewerbeverfassung.<br />
Über das Zustandekommen der ersten Amtsartikel wissen wir<br />
nichts; Vorbilder irgendwelcher Art waren sicher bekannt; die Meister<br />
die in ihrer Gesellenzeit gewandert waren, brachten gewiß Kenntnisse<br />
darüber mit. Auffällig ist die Vollständigkeit, mit der die wichtigen<br />
Fragen in dem Schusterprivileg behandelt sind, während dagegen die<br />
Bestimmungen der Schlachter höchst lückenhaft sind. Vielleicht liegt<br />
das gerade daran, daß jene mehr wanderten als diese und so mehr<br />
1) So bei den Küpern 1706 und 1743, bei den Tischlern 1730 und 1744.<br />
2) Die Vorstadt galt seit dem Ende des 17. Jahrhunderts als Stadt. Bei<br />
den Tischlern 1730 u. 1768.<br />
3) L.A. XXIII 28.<br />
4) Jev. Wochenblatt 1794.<br />
6) Tischler L.A. X X III, 28.<br />
®) Artikelbuch Jever St.A.
4 4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
über den üblichen Inhalt der Amtsartikel wußten. Von der Wanderschaft<br />
der Schlachtergesellen schweigt nämlich die Überlieferung<br />
völlig. Aus Oldenburg wissen wir, daß sie nicht wandern wollten,<br />
weil sie draußen doch nichts anderes lernten, daheim dagegen Erfahrungen<br />
im Viehhandel sammeln könnten, für den gerade die Kenntnis<br />
der örtlichen Verhältnisse wichtig war.<br />
Die Amtsmitglieder übernahmen Verpflichtungen gegen die Landesherrschaft,<br />
den Rat der Stadt, die Bürgerschaft und gegen ihre Mitmeister.<br />
Gegen die ersten beiden bestanden sie fast nur in den A bgaben<br />
bei der Meisterwerdung und dem selbstverständlichen Gehorsam<br />
der Obrigkeit gegenüber. Nur bei den Schlachtern findet sich die Bestimmung,<br />
daß sie kostenlos für die Landesherrschaft schlachten und<br />
einsalzen sollten. An die Stelle des Dienstes an der Gemeinschaft, für<br />
den die Zünfte einst, gewissermaßen als Entgelt, ihre Vorrechte verliehen<br />
bekommen hatten, trat bei den Schlachtern und Bäckern die<br />
Schlacht- und Backpflicht als obrigkeitliche Zwangsbestimmung. Unterschiede<br />
zwischen den Kunden zu machen oder seinem Mitmeister durch<br />
Wettbewerb irgendwelcher Art Abbruch zu tun, galt als unehrenhaft.<br />
Die späteren Amtsartikel der Bäcker und Schmiede halten es schon<br />
für notwendig zu betonen, daß der Meister für jeden arbeiten müsse.<br />
Bei den Zimmerern wird hervorgehoben, daß die Meister ihre Arbeitszeit<br />
einhalten und ihren Bauherrn nicht zu viel Lohn für ihre Lehr-<br />
jungen abverlangen sollten. Die Erwerbsverhältnisse, die im Laufe des<br />
18. Jahrhunderts immer schlechter wurden, gaben dem Gemeinsinn<br />
den Rest1).<br />
3. Freimeister und Bönhasen.<br />
Daß in der Monopolstellung der Amtsmeister eine nicht geringe<br />
Gefahr lag, hatte man schon im Mittelalter erkannt und deshalb die<br />
Einrichtung getroffen, der Allmacht der Zünfte durch die Ernennung<br />
von Freimeistern ein Gegengewicht zu geben. Doch blieb die Erlaubnis<br />
an Leute, die nicht dem Amte unterstanden, immerhin selten und auf<br />
besondere Umstände beschränkt.<br />
1) Der Gemeinsinn äußerte sich schließlich nur noch in der engsten Form,<br />
d. h. er fand nur Anwendung auf die Amtsmitglieder selbst. Die alte Bestimmung<br />
blieb stets in Kraft, nach der die Witwe mit Hilfe eines Gesellen,<br />
den sie sich aussuchen durfte, das Handwerk ihres verstorbenen Gatten<br />
weitertreiben durfte, doch konnte kein Geselle zu dieser Tätigkeit gezwungen<br />
werden. Bei Wiederheirat der W itwe waren für den zweiten Mann überall<br />
bedeutende Aufnahmeerleichterungen vorgesehen, vorausgesetzt, daß dieser<br />
zünftig war; sonst ging das Amtsrecht verloren.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 45<br />
In Jever blieb die Bestellung von Freimeistern bis zum Ende des<br />
17. Jahrhunderts noch eine Ausnahme. 1691 finden wir einen bei den<br />
Schmieden. Vor 1693 gab es einen Freischuster, Die Regierung antwortete<br />
auf ein Gesuch, sie würde erst eine neue Ernennung vornehmen,<br />
wenn der bisherige seine Tätigkeit auf gegeben habe oder gestorben<br />
sei. Bei den Schlachtern wird 1697 die Bewilligung von Freimeisterstellen<br />
für nötig erachtet, weil die Amtsmeister das Fleisch zu<br />
teuer verkauften. Noch 17131) zeigt eine Zusammenstellung, daß die<br />
Zahl der Freimeister sehr gering war. Bei den Küpern und Schneidern<br />
gab es überhaupt keinen. Von den beiden Freimeistern der Bäcker<br />
war der eine, der zugleich Hofbäcker (vgl. u. die Hofhandwerker) war,<br />
unter Hinterlassung von Schulden heimlich verschwunden, der andere<br />
am Alten Markt backte nicht mehr. Der Freischlachter (ebendort)<br />
übte seine Tätigkeit nur gelegentlich aus. Ferner waren je zwei Freimeister<br />
der Sattler, Schuster und Schlosser vorhanden. Dazu kamen<br />
noch ein Büchsenschmied und ein Tischler. Die Anschauung, daß<br />
diese Einrichtung geeignet wäre, nur „Neid und Konfusion" zu stiften,<br />
wurde von der Regierung bald aufgegeben2) . Inzwischen wurde ein<br />
anderer Gesichtspunkt maßgebend, nämlich der, Handwerkern, die aus<br />
geldlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht imstande waren,<br />
die Verpflichtungen eines Amtes zu übernehmen, Gelegenheit zu<br />
bieten, sich durchzubringen. So fielen sie wenigstens nicht der Armenkasse<br />
zur Last, und die Regierung hatte den Vorteil einer wenn auch<br />
geringen Einnahme. Nach 1730 nahmen die Bewilligungen erheblich<br />
zu, am meisten bei Schustern, bei denen von 1732— 43 nicht weniger<br />
als 15 Freimeister in Stadt und Land Erlaubnis erhielten. Bei den anderen<br />
Ämtern herrschten ähnliche Verhältnisse3). Da keine oder nur<br />
eine ungenügende Nachprüfung der Fähigkeiten der Antragsteller vorgenommen<br />
wurde, so zeigten sich bald die größten Mißstände. Bereits<br />
1758 hielt es die Regierung für wünschenswert, die Zahl der Freimeister<br />
für jedes Amt auf zwei zu beschränken, doch erst 1788 fand<br />
der Grundsatz wirklich Anwendung. Seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts<br />
ernannte der Landesherr besondere Hofhandwerker, die in<br />
der Regel Freimeister waren, (s. u.). Bei den Bäckern kamen Teilbewilligungen<br />
für Grobbrot und Kuchen, bei den Schmieden für Nagel-,<br />
Huf- und Kleinschmiede vor4). Gelegentlich werden auch Soldaten<br />
‘ ) L.A. XXIII A . 19.<br />
2) L.A. XXIII B 20.<br />
3) Bei den Schneidern 1737— 55: 8, bei den Tischlern 1731— 54: 13, bei<br />
den Schmieden 1731— 59; 11 Bewilligungen.<br />
4) Hufschmied vor 1731, Kleinschmiede 1737, Nagelschmied 1738, Grobbäcker<br />
1758, Kuchenbäcker 1765.
46 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Freimeister; bei den Schneidern sind drei Fälle, bei den Schustern,<br />
Bäckern und Schlachtern je ein Fall bekannt1). Das einzige Gewerbe,<br />
bei dem die Judenfrage eine Rolle spielte, war das der Schlachter.<br />
1697 lehnte die Regierung einen Juden mosaischen Bekenntnisses als<br />
Freimeister ab, nahm aber einen getauften (!) an. Als 1709 ein Freimeister<br />
für die Vorstadt vorgeschlagen wurde, betonte man ausdrücklich,<br />
daß es kein Jude sei2).<br />
Gegen Gewerbetreibende, die keine Berechtigung hatten, vorzugehen,<br />
sahen die Amtsmeister für ihr gutes Recht an, das sie am<br />
liebsten selbst ausübten. Da es bei dieser Jagd auf die sogenannten<br />
Bönhasen oft sehr gewalttätig herging, schritt die Regierung ein. Einzelheiten<br />
solcher Verfolgungen, die sich nicht allein auf die Wegnahme<br />
der Arbeit und des Handwerkszeuges beschränkten, sondern bei denen<br />
oft genug die Hauseinrichtung zerstört und die Opfer halbtot geschlagen<br />
wurden, sind für Jever nicht überliefert, doch zeigen die wiederholten<br />
Verbote, daß schlimme Ausschreitungen dabei vorgekommen<br />
sein müssen. Es wurde deshalb bestimmt, daß das Jagen von Bönhasen<br />
nur mit Hilfe der Obrigkeit unter Begleitung von Pedellen oder<br />
Auskündigern zulässig sei. Bis 1758 kamen die Ämter immer wieder<br />
darum ein, sich selbst Recht verschaffen zu dürfen; sie hatten natürlich<br />
keinen Erfolg damit. Später ist nicht mehr die Rede davon3) .<br />
4, Die Organisation der Ämter.<br />
An der Spitze des Amtes standen zwei Meister, die verschieden<br />
benannt wurden4). Bei den Schustern hießen sie Gildemeister, bei den<br />
Tischlern und Küpern Altmeister, sonst Elterleute. Seit 1669 findet<br />
sich die Bestimmung, daß jedes Jahr der erste Eltermann, nachdem er<br />
Rechenschaft abgelegt hatte, abtrat und der zweite seine Stelle einnahm;<br />
für ihn wurde dann ein neuer bestimmt. Es war Pflicht, das<br />
Amt anzunehmen; Wiederwahl war nicht verboten, sie wurde im 18.<br />
Jahrhundert häufiger, doch stets erst im Abstand von wenigstens<br />
2 Jahren. Ursprünglich sollten die Elter leute vom Rat bestimmt wer-<br />
J) Schneider 1755, 1777; Schuster 1744; Bäcker 1786 (Kommisbäcker);<br />
Schlachter 1768 (Marketender).<br />
2) L.A. X X III B 21.<br />
3) Schneider 1706, 1734, 1744; Tischler 1744, 58; Schuster 1758. Bei den<br />
Küpern galt auch der Geselle, der sich ohne Berechtigung niederließ, als<br />
Bönhase. 1669 behandelten die Oldenburger Bäcker sogar den Hofbäcker<br />
wie einen Bönhasen (vgl. K. Hoyer a. a. 0 . S. 261.)<br />
4) Bei den Schmieden 3 später 4 Elterleute (2 Stadt- u. 2 Landmeister).<br />
Nur die städtischen Elterleute wechselten jährlich. Bei den Tischlern und<br />
Zimmerern von jeder Berufsart ein Eltermann.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 7<br />
den; tatsächlich bestätigte er nur die Vorschläge des Amtes; von Einwendungen<br />
hören wir nichts. Sie hatten die Leitung des Amtes und<br />
führten die Schlüssel zur Lade, die bei dem ersten Eltermann stand1)<br />
und in der das Privileg und die anderen Schriftstücke sowie das Geld<br />
aufbewahrt wurden. Die Amtsversammlungen fanden bei geöffneter<br />
Lade statt. Unterstützt wurden die Elterleute durch den Jungmeister,<br />
auch Bote genannt, der die Versammlungen und die Begräbnisse anzusagen<br />
und bei den Zehrungen aufzuwarten hatte. Er blieb solange in'<br />
seiner Tätigkeit, bis ein neuer Meister eintrat. Auch die Meistersöhne<br />
waren von diesem Amt nicht befreit, das meist recht ungern<br />
ausgeübt wurde. Bei den Schmieden gab es ferner zwei Beisitzer oder<br />
Schaffer, die die Elterleute bei der Rechnungsführung zu unterstützen<br />
hatten. Bei den Tischlern und Küpern waren die Gesellen durch<br />
2 Altgesellen vertreten, die bei der Amtskost am Meistertisch sitzen<br />
durften.<br />
Der Tag der meist einmaligen jährlichen Zusammenkunft des<br />
Amtes war in den Amtsrollen genau festgelegt. Sie fand mit Ausnahme<br />
von den Schlachtern und Schneidern, die im Winter tagten,<br />
im Sommer statt2). Sie war stets mit der Amtszehrung verbunden, zu<br />
der alle pünktlich erscheinen mußten. Jeder hatte Beitrag zu zahlen,<br />
auch wenn er aus irgendeinem Grunde nicht kommen konnte. Zu<br />
diesem Feste wurde auch der Rat eingeladen; es nahm meist der als<br />
Aufsichtsbeamter bestimmte Morgensprachsherr teil3).<br />
Nach der Rechnungsablage und der Einsetzung der Elter leute<br />
wurde das Ein- und Ausschreiben der Lehrjungen vorgenommen. Für<br />
die Amtsmahlzeit wurde bei den Bäckern und Schneidern vom Eltermann<br />
ein Rumormeister bestellt, der für Ordnung zu sorgen und auf<br />
Feuer und Licht zu achten hatte. Er nahm den Meistern nach dem<br />
Essen die Messer ab und gab sie ihnen erst am folgenden Tage wieder.<br />
W er im Zorn mehr Bier verschüttete, als er mit der Hand oder dem<br />
Fuß bedecken konnte, machte sich strafbar. Zank erregen, Fluchen,<br />
Gotteslästern sowie Beleidigungen durch ehrenrührige Reden4) wurden<br />
J) Schneider 1735 C.C.J. fV, 165.<br />
2) Schuster: St. Jacobi Apost. (Juli 25), Bäcker: Montag nach St. Bar-<br />
tholomae, Küper: Mittwoch nach Johanni, Schneider: St. Bartholomae<br />
(Aug. 24), Tischler: Dienstag nach Pfingsten, Schlachter: Stephani (25. Dez.)<br />
seit 1762 am 2. Januar, Schmiede: Montag nach dem 1, Advent, später<br />
Michaelis.<br />
3) Sie werden kaum erwähnt. Einmal bittet ein Amt um einen „tüchtigen"<br />
Morgensprachsherrn. Die Regierung zeigt Verständnis für die Ablehnung des<br />
bisherigen. 1744 Tischler L.A. X X III 28.<br />
4) Bei den Schlachtern machte sich auch der strafbar, der ehrenrührige<br />
Vorwürfe auf sich beruhen ließ.
48 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
streng geahndet. Raufereien wurden besonders schwer bestraft. Bei<br />
den Schneidern durfte der Eltermann sogar mit dem Stock dazwischen<br />
schlagen, wenn die Streitenden sonst nicht zu trennen waren. Wenn<br />
der Schluß verkündet war1), sollte jeder ruhig nach Hause gehen.<br />
Bei den Schneidern wurde 1669 eine viermalige Zusammenkunft festgesetzt2)<br />
; sie sollten auch dazu dienen, Mißhelligkeiten zwischen Meistern<br />
und Gesellen durch Aussprachen zu schlichten. Auch die<br />
Tischler kannten ursprünglich vier „Quartale“3) . Später gab es bei allen<br />
nur noch die eine Zusammenkunft.<br />
Jede Innung besaß ein Amtssiegel, das die Elterleute führten. Bei<br />
den Schustern, Schmieden, Schneidern und Tischlern haben sich die<br />
ältesten Stücke, die noch aus den Gründungsjahren stammen, erhalten.<br />
Bei öffentlichen Aufzügen erschienen die Ämter mit ihrer<br />
Fahne; die der Schneider aus dem Jahre 1669 ist noch vorhanden4)<br />
(vgl. Abbild.).<br />
5. Die Aufnahme der Meister5).<br />
Zur Aufnahme in die Zunft mußten die Vorbedingungen erfüllt<br />
sein, die das Amt hinsichtlich Herkunft und Ausbildung stellte. Ehrliche,<br />
eheliche und freie Geburt waren von den Bewerbern durch den<br />
Geburtsbrief nachzuweisen. W er ihn nicht vorlegen konnte, mußte<br />
sonst glaubwürdige Zeugnisse vorweisen und Bürgen stellen. Ferner<br />
war der Beweis zunftmäßiger Ausbildung durch den Lehrbrief und die<br />
ordnungsmäßige Erfüllung der Wanderpflicht durch die Kundschaften<br />
unerläßlich; später wurde diese durch das Wanderbuch dargetan.<br />
Dazu kam die Mut- oder Sitzzeit von 1— 2 Jahren bei einem jeverschen<br />
Meister. Erst wenn alle diese Bedingungen als erfüllt angesehen oder<br />
Befreiungen durch die Regierung nachgewiesen wurden, durfte der<br />
Geselle sich um die Aufnahme bewerben. In den beiden ältesten<br />
Ariikelrollen der Schuster und Schlachter wird auch die Gewinnung<br />
des Bürgerrechts verlangt. Später hielt man diese Forderung wohl für<br />
überflüssig, da ein Meister, der kein Bürger war, undenkbar war.<br />
Die Bäckerrolle setzt ein sehr umständliches Meldeverfahren fest.<br />
Danach zeigte der Bewerber zuerst den Elterleuten seine Absicht an;<br />
diese berichteten seinen Wunsch an Bürgermeister und Rat, die sich<br />
von den Elterleuten ein Gutachten geben ließen. Dann stellte sich der<br />
*) Bei den Schneidern 9 Uhr.<br />
2) Die Termine sind nicht genannt.<br />
3) Bartholomi, Martini, Fastnacht, Dienstag nach Pfingsten.<br />
4) Jev. Heimatmuseum. Die Fahne der Tischler und Zimmerer ist ohne<br />
Jahreszahl. Vom Schmiedeamt ist noch ein altes Amtszeichen erhalten, das<br />
gekreuzte Schlüssel, Hammer und Hufeisen zeigt.<br />
6) L.A. X X III B 20, 21, 25— 29.
Jever, Heimatmuseum. Aufn. A. Freytag, Jever.<br />
Zunftfahne der Bäcker in Jever aus dem Gründungsjahre des Bäckeramts.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 9<br />
Bewerber selbst auf der Ratsstube vor. Anstelle dieser Weitläufigkeiten<br />
trat bald die einfache Anmeldung des Gesellen auf dem Rathause1).<br />
Die Anfertigung der Meisterstücke fand unter Aufsicht der Meister<br />
statt. Zahl, Art und Ausführung der Stücke waren genau geregelt2)<br />
(vgl. die einzelnen Gewerbe).<br />
War das Meisterstück anerkannt worden, so fand die Aufnahme<br />
statt, für die Gebühren an die Landesherrschaft, die Stadt und das<br />
Amt zu entrichten waren; auch wurde meist noch ein Betrag an die<br />
Armen gegeben. Bei den Schlachtern, Bäckern, Schmieden und<br />
Schneidern war schon die Bewerbung mit Kosten verbunden. Dazu<br />
kamen noch die hohen Ausgaben für die Meisterkost3). Häufig mußte<br />
der junge Meister, wenn er die hohen Kosten nicht aufbringen konnte,<br />
seine Tätigkeit gleich unter Schulden beginnen. Am höchsten waren<br />
die Gebühren bei den Schmieden (29 R t.); sie wurden 1754 (auf<br />
20 Rt.) herabgesetzt. Die Schlachter bezahlten 20 (später 10 Rt.),<br />
während die Kosten bei den Bäckern ständig auf gleicher Höhe (26Rt.)<br />
blieben. Am wenigsten hatten die Meister der zuletzt gegründeten<br />
Ämter zu bezahlen (die Küper 1034, die Glaser 5 R t.)4). Die Abgaben<br />
an die Regierung führten erst die Zerbster ein, die auch hierbei die<br />
Gelegenheit benutzten, ihre Einkünfte zu steigern. Die Ämter selbst<br />
hatten kein Interesse daran, die Aufnahme irgendwie zu erleichtern,<br />
da sie fast alle „übersetzt", d. h. zu voll waren und jede Möglichkeit<br />
festhielten, die sich ihnen bot, um die unerwünschte Vergrößerung<br />
der Meisterzahl zu verhindern.<br />
G ebühren Schuster Schlachter Schneider B ä cker Schm iede Tischler K üper G laser<br />
H errschaft _ ___ 6 Rt. 10 Rt. 10 Rt. 4 Rt. 6 Rt. —<br />
R a t . . . . —<br />
— 2 Rt. 8 Rt. 8 Rt. — — —<br />
A m t . . . 20 Gt. 20 Rt. 8 Rt. 6 Rt. 8 R t 2 Rt. 5 Rt. 3 Rt.<br />
A rm e . . . 1 Gt. — _ 2 Rt. 3 Rt. — */2 RU 2 Rt.<br />
1) Versäumnis der Anmeldung 1721 und 1727 bei den Tischlern, Schneidern,<br />
Schmieden und Küpern gerügt (L.A. XXIII B 19).<br />
2) Im Heimatmuseum in Jever sind einige Arbeiten jeverscher Meister<br />
aus dem 18. Jahrhundert vorhanden, hauptsächlich von den Schmieden. A ls<br />
eine hervorragende Leistung muß die Geldkiste des Kleinschmiedes Dietrich<br />
August Bockelohe (1749— 90) angesprochen werden. Ferner finden sich<br />
Bloodhüdelsroste, ein Schrankschloß mit 4 Riegeln, ein Ofenfuß und Mangel<br />
bretter dort.<br />
3) 1699 soll sich jeder gegen 2 Rt. davon freikaufen können (nur für<br />
Landmeister? L.A. XXIII B 19).<br />
4) Gebühren nach den Privilegien (nach einer Umfrage von 1695<br />
L .A . XXIII B 19).<br />
Oldenburger Jahrbuch<br />
4
5 0<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
6. Die Ausbildung der Lehrjungen und das Gesellenwesen1).<br />
Vorbedingung für die Annahme eines Lehrjungen war ebenso wie<br />
später bei der Aufnahme ins Amt der Nachweis der ehelichen, ehrlichen<br />
und freien Geburt durch den Geburtsbrief (s. o.). Auf die V orlegung<br />
wurde nur verzichtet, wenn der Lehrjunge ein „bekanntes<br />
Kind" war, besonders wenn es sich um den Sohn eines Meisters desselben<br />
oder eines anderen Amtes handelte. Die Ursachen, weshalb man<br />
den größten Wert auf eine makellose Herkunft legte, waren doppelter<br />
Art; hing hiervon doch der Ruf des Amtes im „Auslande" ab und<br />
entstanden doch sonst dem Lehrjungen bei seinem späteren Fortkommen<br />
unüberwindliche Schwierigkeiten. Bei der Aufnahme wurde<br />
in der Regel eine geringe Gebühr für das Einschreiben in das Lehrlingsbuch<br />
erhoben. Über das Lehrgeld haben wir nur bei den Bäckern<br />
(s. diese) nähere Angaben. Die Dauer der Lehrzeit war verschieden;<br />
bei den Schmieden war die Festsetzung sehr willkürlich (vgl. die einzelnen<br />
Ämter). Eine Bevorzugung der Meistersöhne ist nirgends angegeben.<br />
Die Ausbildung der Lehrjungen konnte nur sichergestellt<br />
werden, wenn sie ihre Lehrzeit gut ausnutzten und vor allem die<br />
Meister es nicht an der nötigen Unterweisung fehlen ließen. Immer<br />
aber wurde wieder Klage geführt, daß die Meister ihre Jungen zu<br />
viel im Haushalt beschäftigten, so daß die fachmäßige Ausbildung<br />
darüber zu kurz kam. Nicht minder schädlich wäre es gewesen, wenn<br />
der Meister zu viele Lehrjungen in seinem doch meist kleinen Betriebe<br />
gleichzeitig beschäftigt hätte. Die Bestimmung, nur einen Lehrjungen<br />
zur Zeit zu halten, die sich fast bei allen Ämtern findet, sollte zweifellos<br />
auch im Sinne der gründlichen Unterweisung wirken. Es kam aber<br />
oft genug vor, daß ein Lehrjunge am Schlüsse seiner Lehrzeit doch<br />
nicht über die nötigen Kenntnisse verfügte. Deshalb führte die Regierung<br />
das Gesellenstück ein (vgl. die Schmiede). Die Lehrlinge wurden<br />
meist hart behandelt. Wenn es trotzdem in Jever nur selten vorkam,<br />
daß sie wegliefen, so lag das sicher nicht an der Drohung, daß<br />
sie von niemand wieder angenommen werden sollten. Sie waren vielmehr<br />
von Hause aus meist an eine harte Behandlung gewöhnt. Am<br />
Schluß der Lehrzeit wurden sie aus dem Jungenbuch ausgeschrieben<br />
und erhielten den Lehrbrief ausgehändigt. Viele von ihnen wurden<br />
später in ihrer Heimat Meister. Eine Altersgrenze gab es früher nicht.<br />
Erst 1802 durften Jungen unter 14 Jahren nicht genommen werden.<br />
War der Lehrjunge Geselle geworden, so ging er auf Wanderschaft.<br />
Die Zahl der Wanderjahre war verschieden, meist 2— 3 Jahre<br />
*) L.A. X X III B 20, 21, 25— 29.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 51<br />
(vgl. d. einz. Äm ter). Befreiung von der Wanderschaft wurde bei Einheimischen<br />
gewährt, wenn der Vater des Gesellen gestorben und der<br />
Sohn als Ernährer der Familie zu Hause nötig war. Im 18. Jahrhundert<br />
stieg die Abneigung gegen das Wandern. Manche Gesellen,<br />
vor allem wenn sie Meistersöhne waren, blieben in der unmittelbaren<br />
Umgebung der Stadt. Daher verfügte die Regierung, daß die Wanderzeit<br />
nur gelten sollte, wenn sich der Geselle wenigstens 10— 15 Meilen<br />
von seinem Heimatort entfernt hätte1), ein immerhin bescheidenes Verlangen.<br />
Diese Bestimmung zeigt aber auch, daß man für den eigentlichen<br />
Sinn der Wanderschaft kein Verständnis mehr besaß. Über den<br />
Verlauf seiner Wanderschaft mußte sich der Geselle durch die Kundschaften<br />
ausweisen. Bevor sich die Gesellen zum Eintritt ins Amt<br />
melden durften, mußten sie wenigstens 1— 2 Jahre bei einem jeverschen<br />
Meister gearbeitet haben. Man nannte diese Zeit die Mut- oder Sitzjahre<br />
(vgl, die einz. Ämter). Später kauften sich viele von dieser<br />
Wartezeit frei.<br />
Kam ein fremder Geselle nach Jever, so mußte er auf der Herberge<br />
um Arbeit fragen. Zunächst verpflichtete er sich dem Meister<br />
nur auf 8 Tage; dieser durfte ihn nur nach Vorweisen seines Lehrbriefs<br />
einstellen. Sagte dem Gesellen das Arbeitsverhältnis nicht zu,<br />
so mußte er seinem Meister am Sonntage nach dem Mittagessen Bescheid<br />
geben; meist hatte er dann weiter zu wandern und durfte nicht<br />
zu einem anderen Meister gehen2). Heimliches Abwandern mußte der<br />
Obrigkeit angezeigt werden.<br />
Die Zahl der Gesellen war bei den Schustern, Schmieden und<br />
Schneidern auf 2 beschränkt, bei den übrigen Ämtern beliebig (vgl.<br />
auch das Amt der Tischler und Zimmerer).<br />
Besondere Gesellenverbände finden sich bei den Schustern, Tischlern<br />
und Schneidern3). Zuerst reichten die Schustergesellen wiederholt<br />
Entwürfe ein (1706, 1718, 1722). Auf die letzte Eingabe wurde<br />
ihnen erklärt, sie sei unförmig und dunkel. Darauf reichten sie 1724<br />
eine ähnliche ein und behaupteten, sie hätten sie nach dem Muster von<br />
Hamburg, Wismar und anderen Städten aufgesetzt. Eine Bestätigung<br />
liegt nicht vor. Ähnlich lautete der Entwurf, den die Schneider 1738<br />
vorlegten, Auch hier wissen wir nicht, ob er genehmigt wurde. Dagegen<br />
liegt eine Bewilligung der Tischlergesellen-Brüderschaft von<br />
1758 vor, die noch 1804 bestätigt wurde. Aus diesen Artikeln ergibt<br />
sich über das Wesen dieser Verbände folgendes Bild:<br />
*) J.St.A. Artikelbuch 1805.<br />
2) So bei den Tischlern.<br />
3) L.A. X X III B 20, 26, 28.<br />
< •
5 2<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Die Brüderschaft wählte zwei Vorsteher, die auch den Schlüssel<br />
zur Lade führten. Bei den Tischlergesellen hatte auch ein Amtsmeister<br />
einen Schlüssel; bei den Schneidern sollte von den Elterleuten<br />
ein Beisitzer bestimmt werden, bei den Schustergesellen ist von<br />
einer Teilnahme der Meister nicht die Rede. Die Tätigkeit des Junggesellen<br />
entsprach der des Jungmeisters im Amt. Die Bestimmungen<br />
erstreckten sich auf die Abhaltung der Krugtage, auf das Verhältnis<br />
zu den Meistern, sowie der Mitglieder untereinander und auf Krankenpflege<br />
und Bestattung.<br />
Alle Vierteljahre wurde eine Hauptzusammenkunft gehalten, die<br />
Wanderzeit hieß, weil sie jedesmal vor dem Termin des Abwanderns<br />
lag. Die Tischler nannten sie die „vier guten Montage". Außerdem<br />
gab es alle vier Wochen einen Krugtag. Zu den Veranstaltungen mußte<br />
jeder seinen Beitrag bezahlen, auch die Meister, die bei einem anderen<br />
tätig waren, die beweibten Gesellen und die Soldaten, die ein Handwerk<br />
trieben. Auch Unzünftige sollten zugelassen sein, wenn sie bei<br />
einem Meister arbeiteten. Es wurde aber den Gesellen ausdrücklich<br />
eingeschärft, diese anständig zu behandeln.<br />
Das Benehmen bei den Zusammenkünften war genau geregelt. Vor<br />
der geöffneten Lade hatte jeder mit entblößtem Haupte dazusitzen.<br />
Fluchen, Spielen und Tabakrauchen war bei den Zusammenkünften<br />
untersagt1). Mutwilliges Bierverschütten stand wie bei den Amtsversammlungen<br />
unter Strafe. Auch mußten die Messer abgegeben werden.<br />
Diese Schneiderartikel glaubten sogar das Degenfechten untersagen zu<br />
müssen.<br />
Die Bestimmungen über die Annahme von Gesellen entsprachen<br />
denen der Amtsrollen (s. o.). Ging ein Geselle ohne Bezahlung seiner<br />
Schulden fort, so wurde er auf das schwarze Brett geschrieben. Schickte<br />
er das Geld nicht, so kam er ins schwarze Buch. Die Lehr jungen<br />
wurden nach Ablauf ihrer Lehrzeit feierlich aufgenommen und durften<br />
den Willkomm trinken.<br />
Wurde ein Geselle krank, so versorgte ihn der Krugvater, Bei<br />
mühsamer Pflege konnte er die Unterstützung durch Gesellen verlangen.<br />
Auch hatten diese die Pflicht, den Kranken abends abwechselnd<br />
zu besuchen. Konnte der Genesene nicht bezahlen, so sprang<br />
die Gesellenkasse ein. Starb der Kranke, so wurde er von der Brüderschaft<br />
zu Grabe getragen. Auch an der Beerdigung von Meistern und<br />
Meisterfrauen hatte sie teilzunehmen.<br />
1) Auf der Straße herrschte Rauchverbot. 1792 wurden zwei Schustergesellen,<br />
die dagegen gehandelt hatten, zu einer Geldstrafe von 2 Gt. oder<br />
4 Tagen Haft verurteilt. (Jev. Wbl. 1792).
Das Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 53<br />
II. Abschnitt: Die einzelnen zünftigen GewerbeM.<br />
1. Das Amt der Schuhmacher, Riemer und Sattler2).<br />
Die erste Amtsverleihung in der Stadt Jever erfolgte am 16. April<br />
1590 durch den Grafen Johann von Oldenburg an die Schuhmacher,<br />
Riemer und Sattler3). Die neue Zunft stiftete bei ihrer Gründung der<br />
Kirche einen Leuchter mit 16 Lichtern und verpflichtete sich, ihn auf<br />
eigene Kosten dauernd mit Kerzen für die Beleuchtung bei der Frühkirche<br />
zu versorgen. Der alte christliche Charakter der Ämter, der<br />
bei den mittelalterlichen Zünften stark hervortrat, äußerte sich in<br />
Jever nur noch in dieser Stiftung, die völlig allein steht.<br />
Einigermaßen zuverlässige Angaben über die zahlenmäßige Besetzung<br />
des Amtes besitzen wir erst aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.<br />
Wenn 1720 20 und 1743 35 Meister (von denen nur 5 Gesellen<br />
hielten), erwähnt werden, so bleibt dabei unklar, ob es sich bei den<br />
Zahlen nur um Stadtmeister oder um die Gesamtzahl in Stadt und<br />
Land handelt. 1760 gab es 32 Stadt- und 16 Landmeister; die Zahl<br />
stieg bis 1793 auf 42 bzw. 52 Meister. 1797 waren es zusammen über<br />
100, während 1804 die Zahl der Landmeister auf 70 angewachsen und<br />
die der Stadtmeister auf 38 zurückgegangen war. Jedenfalls war das<br />
Amt im 18. Jahrhundert, wie man es damals zu nennen pflegte, stark<br />
„übersetzt".<br />
Drei Gewerbe waren in dem Amte vereinigt. Ohne Bedeutung<br />
waren wohl von jeher die Riemer; im 18. Jahrhundert entsann man<br />
sich ihrer überhaupt nicht mehr. Der Sattler waren stets nur wenige,<br />
und sie standen nur in sehr losem Zusammenhang mit dem Amte, mit<br />
dem sie lediglich gemeinsame Interessen am Gerberhofe hatten. 1696<br />
hören wir zuerst von ihnen. Damals gab es zwei, die aber nicht mit<br />
Namen genannt werden. Der eine war alt und wohlhabend und arbeitete<br />
selbst nicht mehr, sondern ließ sein Gewerbe durch einen Gesellen<br />
treiben. Vermutlich war es der ein Jahr später erwähnte,<br />
früher aus Oldenburg eingewanderte Andreas Wittmann, dessen Sohn<br />
Conrad zu der Zeit in Wien arbeitete und für den der Vater sich vergeblich<br />
um eine Freimeisterstelle bemühte. 1704 wurde dieser Conrad<br />
*) Für den ganzen 2. Abschnitt: Corp. Const. Jev. Vol. I— VIII (L.A.)<br />
zit. C .C .J. ( = Sammlung gedruckter herrschaftlicher Verordnungen.)<br />
2) Für diesen Teil besonders: Landesarchiv (zit. L.A.) X X III B 20; Jever,<br />
Stadtarchiv (zit. J.S t.A .) C VIII 4.<br />
3) Bestätigt: 1669, Aug. 11; 1674, Nov. 18; 1722, Febr. 16 (mit Zusätzen);<br />
1745, Juni 3 (mit Zusätzen); 1752, Juni 9 (mit Zusätzen); 1758, Ju li 18 (mit<br />
Zusätzen); 1793, Ju li 1; 1798, März 16; 1802, April 4. Ferner Zusätze: 1603,<br />
Jan . 2; 1651, Nov. 18.
5 4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Wittmann Hofsattler1). Der andere der 1696 Erwähnten war allein<br />
und hatte angeblich wenig zu tun. Als dritter meldete sich Christian<br />
Conrad Lesche zur Stelle eines Freimeisters, da er die 40 Rt. Aufnahmekosten<br />
nicht auf bringen könnte; er wurde 1697 Hofsattler. 1723<br />
kommen wieder zwei Sattler vor: Hinrich Frey und Helmerich Helme-<br />
richs. Sie waren in Bremen ins Amt geschrieben; für Jever galten sie<br />
als Freimeister. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts waren jedenfalls<br />
keine Sattler mehr im Amt; 1746 wurde als selbstverständlich angenommen,<br />
daß ihre Aufnahme überhaupt nicht in Frage kam. 1721<br />
wurde Frey Hofsattler. Dem Fürsten Friedrich August paßte es aber<br />
gar nicht, daß eines seiner Landeskinder in einer „ausländischen"<br />
Innung eingeschrieben war; er besorgte „Beschwerlichkeiten". Deshalb<br />
riet er den Sattlern, lieber selbst ein Amt zu bilden. Doch davon<br />
konnte bei zwei Mitgliedern schon wegen der Kosten keine Rede sein.<br />
Deshalb suchten sie sich mit den Glasern, die mit ihren 5 Gewerbegenossen<br />
in einer ähnlichen Lage waren, zusammenzutun. Sie entwarfen<br />
gemeinsame Artikel, aber der Fürst lehnte diese Verbindung<br />
als zu ungleichartig ab. Auch der Hinweis darauf, daß in Magdeburg<br />
die Glaser, Sattler und Maler gemeinsam ein Amt hätten, fruchtete<br />
nichts. Er wünschte vielmehr eine Vereinigung mit den Gerbern, doch<br />
von diesen gab es in Jever nur einen, da die Schuster die Bereitung<br />
ihres Leders selbst besorgten. An die Stelle von Hinrich Frey trat<br />
1732 Tobias Friese, dessen Sohn auch wieder Sattler wurde. Dieser<br />
und der Stiefsohn von dem älteren Tobias Friese Conrad Hinrich<br />
Helmerichs, der ebenfalls Hofsattler wurde, kommen noch 1790 vor.<br />
1793 wurde ein Geselle von Friese Johann Joachim Christoph Poepke<br />
Hofsattler. Schon 1759 war der Sattlergeselle Magnus Brünig nach<br />
Erlassung der Sitzjahre Meister geworden. Ob er länger in Jever<br />
blieb, ist zweifelhaft. Es waren also meist zwei Sattler in Jever, von<br />
denen einer Hofsattler war. Von einer Verbreitung des Gewerbes auf<br />
dem Lande erfahren wir nichts; man muß annehmen, daß die Schuster<br />
diese Tätigkeit dort mit wahrnahmen. So war das Amt nach Lage der<br />
Umstände allmählich zu einem reinen Schusteramt geworden, und die<br />
Bezeichnung nach drei Gewerben entsprach den Verhältnissen sehr<br />
bald nicht mehr.<br />
Die Rolle von 1590 behielt den Schustern den Einkauf von Leder<br />
vor. Es herrschte der Grundsatz der gemeinsamen Beschaffung durch<br />
das Amt. Erst wenn dieses seinen Bedarf gedeckt hatte, durften andere<br />
auf dem Markte kaufen. Jedes „In-den-Kauf-fallen" war verboten.<br />
Das mußte auch der Hofschuster der Gräfin-Witwe von Oldenburg,<br />
J) Vgl. Abschnitt 3: Hofhandwerker.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 55<br />
die in Neuenburg wohnte, erfahren. Die Schuster nahmen ihm das erhandelte<br />
Leder weg. Als sie allerdings erfuhren, wen sie betroffen<br />
hatten, entschuldigten sie sich und erhielten Verzeihung zugesichert.<br />
Dieses Vorrecht mußte auch zu Reibungen mit fremden Händlern und<br />
einheimischen Kauf leuten führen; mit diesen hatten die Schuster deswegen<br />
1699 einen Prozeß. Auch später mußten sie sich öfter gegen<br />
ihren unberechtigten Lederhandel wenden; über die Fremden beklagte<br />
das Amt sich schon 1663. Im 18. Jahrhundert wuchsen die Schwierigkeiten<br />
der Rohstoffbeschaffung. Den Schustern fehlte es an Bargeld,<br />
so boten sie zu wenig und konnten keine Häute bekommen (1743). Da<br />
diese immer mehr nach auswärts verschickt wurden, erließ die Regierung<br />
1752 zuerst ein Ausfuhrverbot, das oft erneuert und 1788 auch<br />
auf Roßleder ausgedehnt wurde1). Die Verwendung von Häuten von<br />
Tieren, die einer Seuche erlegen waren, war ursprünglich verboten. Da<br />
sie anderswo aber überall erlaubt war, hob man das Verbot auch in<br />
Jever auf. Die Regierung suchte diesen Schwierigkeiten, so gut es<br />
ging, abzuhelfen. Schon 1761 wollte sie den Lederpreis regeln. Jeder<br />
sollte seinen Vorrat dem Amt anbieten, und die Ausfuhr nur gegen<br />
einen besonderen Ausweis gestattet sein. Aber die Schuster durchkreuzten<br />
selbst die Absichten und benutzten ihr Handelsvorrecht zur<br />
Erlangung persönlicher Vorteile, indem sie sich von fremden Kaufleuten<br />
als Mittelsmänner bei dem Lederhandel gebrauchen ließen.<br />
Die Lederbereitung geschah auf dem amtseigenen Gerberhof, wo<br />
jeder Meister seine Kufe besaß. Die Aufsicht, die Pflicht der Elterleute<br />
war, ließ im 18. Jahrhundert sehr zu wünschen übrig. 1725 wird<br />
ein Diebstahl erwähnt, der unaufgeklärt blieb. 1700 erlitt ein Meister,<br />
den das Amt ausgestoßen hatte, dadurch erheblichen Schaden, daß<br />
man ihn nicht mehr in den Gerberhof ließ. Er hatte geäußert, daß die<br />
Meister zu Schelmen würden, wenn sie die Verordnungen der Regierung<br />
nicht achteten. Daraufhin hatten ihn seine Mitmeister verprügelt.<br />
Die Kammer erzwang die Zurücknahme des Amtsbeschlusses mit dem<br />
Hinweis, daß es kein Recht habe, einen Meister von sich aus auszustoßen2).<br />
Die Kufen vererbten sich, doch durfte der Mann einer Amtstochter,<br />
wenn er Freimeister war, diese nicht benutzen. Es blieb ihm<br />
nichts anderes übrig, als bei der Regierung um Anlage einer Kufe<br />
außerhalb des Gerberhofes einzukommen (1751). 1706 baute das Amt<br />
dort ein kleines Haus, das von der Kammer abgabefrei gelassen wurde.<br />
*) 1752, 58, 88, 95, 97 L.A.<br />
2) 1706, ferner bei den Tischlern 1774 wegen der Beschuldigung einer<br />
Holzunterschlagung. Auch hier erzwang die Regierung die Wiederaufnahme.
56<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Auch der Verkauf von Schuhwerk war dem Amte Vorbehalten1).<br />
Der Absatz litt im 18. Jahrhundert sehr unter dem Hausierhandel aus<br />
Ostfriesland. Die zahlreichen Schuster in Wittmund und Neustadt-<br />
Gödens2) überschwemmten das Land mit ihren angeblich zwar billigen<br />
aber schlechten Waren, die besonders von den Landleuten gekauft<br />
wurden, die verpflichtet waren, ihrem Gesinde Schuhe zu geben. Die<br />
Einfuhr fremden Schuhwerks war schließlich nicht mehr zu verhindern.<br />
1803 hören wir von einem dreijährigen Prozeß gegen die Kaufleute.<br />
1806 wurde diesen erlaubt, Schuhe zu verkaufen, die die jever-<br />
schen Schuster nicht so gut und billig herstellen könnten. Ihre sonstige<br />
Schuhware müßten sie bis zum Beginn des nächsten Jahres absetzen.<br />
Das bedeutete praktisch die Aufhebung des Schustermonopols.<br />
Jeder Meister durfte zur Zeit nur einen Lehrjungen, der 3 Jahre<br />
lernen mußte, und zwei Gesellen halten. Ein Antrag auf beliebig viele<br />
Gesellen wurde 1748 abgelehnt. 4 Wanderjahre waren vorgeschrieben;<br />
die sogenannten Mutjahre kannte man bei den Schustern nur bei<br />
Fremden, die 2 Jahre in Jever arbeiten mußten. Nur einmal (1794)<br />
wird einem Meisterssohn gestattet, die vier Wanderjahre durch Mutjahre<br />
zu ersetzen. Die Wanderjahre galten für alle, auch für die Freimeister.<br />
Diese erhielten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer<br />
leichter Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes. Erlaubniserteilungen<br />
ohne Aufnahme ins Amt oder ohne Bewilligung einer Freimeisterstelle<br />
waren äußerst selten. Sie kamen nur bei Armut und Kränklichkeit vor<br />
(1699, 1739) und gestatteten nur die Tätigkeit als Altflicker.<br />
Zur Anfertigung des Meisterstücks war jeder verpflichtet, der<br />
Amtsmeister werden wollte. Für die Schuster bestand es in einem<br />
Paar Kniestiefel, einem Paar Home (?) Schuhe, einem Paar Meulen<br />
(Pantoffeln) und einem Paar wittlachenen (?) Schuhen. Die Sattler<br />
sollten einen Baum hauen und beschneiden und einen Sattel und<br />
außerdem Leder schwarz und weiß machen. 1724 schlugen sie vor,<br />
als Meisterstück einen verschlossenen Sattel und ein Paar Reittaschen<br />
anfertigen zu dürfen.<br />
2. Das Amt der Schlachter3).<br />
Am 1. Februar 1604 wurde den Schlachtern durch den Grafen<br />
Anton Günther von Oldenburg der von der Stadt Jever eingereichte<br />
1) 1590, 1696 L.A .; 1603, 1651 C .C .J.<br />
2) Angeblich waren in Wittmund 60, in Neustadt-Gödens 40 Schuster;<br />
das Amt übertrieb wahrscheinlich stark.<br />
3) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 21; J.S t.A . C VIII 7.
Das Zunftwesen der Stadt Je v er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 5 7<br />
Amtsbrief genehmigt1). Die Bestimmungen sind im Vergleich zu denen<br />
der Schuster sehr lückenhaft. Über die Zahl der Schlachter fehlen<br />
nähere Angaben. Wir wissen nur, daß 1754 12 Schlachter, davon 5 in<br />
der Stadt, bereit waren, das Amt zu erneuern, 1722 war noch die Bestätigung<br />
nachgesucht worden. Die Innung bestand vermutlich weiter,<br />
doch scheint sie sich nicht irgendwie betätigt zu haben, denn von 1722<br />
bis 1754 hören wir nichts von ihr. Die neuen Artikel wiederholen in<br />
der Hauptsache die von 1604 in etwas anderer Reihenfolge. Ein wichtiger<br />
Unterschied besteht jedoch darin, daß die Innung nur das Privileg<br />
für Ochsen- und Kuhfleisch hatte und daß die Amtsmeister verpflichtet<br />
sein sollten, Vieh zu halten, das sie aber nicht mit Kohl<br />
füttern durften.<br />
Da die meisten Bewohner selbst Vieh hielten, so mußte das Einschlachten<br />
im Herbst einen großen Teil der Schlachtertätigkeit ausmachen.<br />
Für das Schlachten eines Beests durften sie 3 Schaf, für ein<br />
Schwein 1 lA Sch. und für ein Lamm 12 Witte nehmen (1604), Es<br />
wurde ihnen eingeschärft, gut einzusalzen. Der Bedarf an frischem<br />
Fleisch war also nur sehr begrenzt. So konnten die Schlachter, wenn<br />
sie alle zugleich schlachteten, unmöglich ihr Fleisch absetzen. Deshalb<br />
war das Reiheschlachten üblich. Entsprechend dem alten Grundsatz<br />
der Versorgungspflicht hatte das Amt darauf zu achten, daß niemals<br />
Mangel herrschte. Neben den Brot- und Biertaxen finden sich<br />
sonst in der Regel schon frühzeitig Fleischtaxen. In Jever stammt die<br />
älteste erst aus dem Jahre 17592). Da im Gegensatz zu diesen Brot-<br />
und Biertaxen für den ganzen Zeitraum in größerer Zahl vorliegen,<br />
ist wohl anzunehmen, daß Fleischtaxen auch früher nicht Brauch<br />
waren3). Für das Jahr 1759 sind 3 Taxen überliefert (für Februar,<br />
Mai und Ju li). Sie bezogen sich nur auf Kalbfleisch, bei dem man<br />
Hinterviertel mit 4 Rippen und Vorderviertel unterschied. Jede Gruppe<br />
war wieder in 5 Unterabteilungen gegliedert, die den Pfundpreis bei<br />
Abnahme von Stücken zu 8—20 (19) Pfund (bei der ersten in Stücken<br />
zu 8, 9— 11, 12— 14, 15— 17, 18—20, bei der zweiten von 7, 8— 10,<br />
11— 13, 14— 16, 17— 19 Pf.) angaben4). Die Taxe von 1784 betraf nur<br />
Rindfleisch, das nach bester und geringerer Art unterschieden wurde<br />
und bei beiden wieder je noch zwei Wertunterschiede gemacht wurden.<br />
*) Bestätigt: 1669, Juli 10 (mit Zusätzen); 1674, Nov. 28; 1722, Jan. 2;<br />
1754, April 2 (mit Zusätzen).<br />
2) C .C .J. V, L.A. X X III A 5.<br />
3) 1697 waren kaum Taxen vorhanden, da sie sicher von der Regierung<br />
bei der Klage über teures Fleisch erwähnt worden wären.<br />
*) L.A. X X III A 5.
5 8<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
Die letzte Taxe von 1794 bestimmte den Preis für Kalbfleisch in der<br />
Art von 1759, ferner umfaßte sie Preissetzungen für Lamm-, Schaf-<br />
und Schweinefleisch, das in bestes und geringeres unterschieden<br />
wurde. Am billigsten waren die Vorderviertel vom Kalb, am teuersten<br />
das Schweinefleisch. 1794 war das Kalbfleisch um ein Drittel<br />
billiger als 1759. Die Preise wurden von der Regierung offenbar gewaltsam<br />
niedrig gehalten. Die Folge war, daß die Landschlachter, die<br />
seit 1762 auch den Wochenmarkt beschicken durften1), kein Fleisch<br />
mehr in die Stadt brachten und die Juden in der Vorstadt das Rindfleisch,<br />
dessen Verkauf ihnen gestattet war, nur heimlich und teuer<br />
verkauften2). Die Not zwang schließlich dazu, den Schlachtern den<br />
Verkauf ohne Rücksicht auf die Taxe zu erlauben. Doch sollte es<br />
ihnen nur von September bis Weihnachten gestattet sein, also in der<br />
Zeit, in der die meisten Bürger infolge des Einschlachtens noch eingedeckt<br />
waren3). Man ging so weit, jeden in dieser Zeit zum Verkauf<br />
von Rindfleisch auf dem Wochenmarkte zuzulassen. 1794 wurde infolge<br />
des Fleischmangels die Schweineausfuhr gesperrt und ein Jahr<br />
später das Verbot auf Speck und Talglichter ausgedehnt4). Diese Bestimmungen<br />
galten noch 18005).<br />
Über die Hilfskräfte erfahren wir so gut wie nichts, die Lehrzeit<br />
dauerte 3 Jahre.<br />
3. Das Amt der Schneider6),<br />
Am 14. Ju li 1669 wurde den Kleidermachern von der Fürstin<br />
Sophia Augusta von Anhalt auf den Antrag von 17 Schneidern ein<br />
Amt verliehen7). Über die zahlenmäßige Besetzung des Amts erfahren<br />
wir nur wenig. 1690 liegen 11 Unterschriften vor; ob alle Amtsmeister<br />
unterzeichnet hatten, ist nicht feststellbar. 1793 gab es über 20 Meister<br />
in der Stadt, 1804 waren sogar 28 Stadt- und 92 Landmeister vorhanden.<br />
Obwohl für die Schneider in ihrem Privileg und auch später<br />
wiederholt der Beitrittszwang8) für alle, die dieses Gewerbe in Stadt<br />
1) C .C .J. V 357.<br />
2) L.A . X X III A 5.<br />
3) C .C .J. V 290, VI 556.<br />
4) C .C .J. VIII 27, 40.<br />
5) C .C .J. VI 118.<br />
•) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 26, J.S t.A . C V III 6.<br />
7) Bestätigt: 1674, Nov. 28; 1720, Aug. 17; 1745, Juni 3 (mit Zusätzen);<br />
1751, Juli 15; 1758, Juni 30 (mit Zusätzen); 1793, Ju li 1 (mit Zusätzen); 1798,<br />
M ärz 16. (mit Zusätzen); 1802, M ärz 31.<br />
8) 1694, 1706, 1708, 1789, L.A .; 1762, 1789 C .C .J.; 1746, 1770, 1783 zitiert<br />
Jev . Wbl. v. 16. März 1796.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 5 9<br />
und Land ausüben wollten, ausgesprochen wurde, kümmerten sich die<br />
Stadtmeister doch im ganzen nicht so viel um ihre Amtsgenossen auf<br />
dem Lande, wie es bei den anderen Ämtern der Fall war. Gelegentlich<br />
suchten aber auch sie über die Grenzen, die durch die Land-<br />
meisterverordnung von 1699 gezogen waren, hinauszugreifen. So sahen<br />
sich die Landmeister deshalb 1710 veranlaßt, sich über die unberechtigte<br />
Erhebung von Bier- und Tabakgeld seitens der Stadtmeister zu<br />
beschweren1). Jene klagten dagegen, daß ihr Verdienst sehr gering<br />
sei und sie durch die Bönhasen in ihrem Erwerb sehr beeinträchtigt<br />
würden2). Als maßgebend wurde bei der Begründung des Amtes für<br />
die Einbeziehung der Landmeister ferner geltend gemacht, daß man<br />
ihre Beiträge zur Errichtung und Erhaltung einer Gesellenherberge<br />
brauche. Wenn der Gegensatz zwischen Stadt- und Landmeistern bei<br />
diesem Gewerbe nicht so stark wie bei anderen in Erscheinung trat,<br />
so mochte das daher kommen, daß die Herstellung von städtischer und<br />
ländlicher Kleidung doch damals eine recht unterschiedliche Sache war.<br />
Schon bei den Verhandlungen, die der Errichtung des Amtes voraufgingen,<br />
traten zwei Fragen hervor, die die Innung später dauernd<br />
beschäftigten: der Wettbewerb durch die Soldaten- und durch die<br />
Hausschneiderei. Weil die Soldaten von ihrem geringen Sold, besonders<br />
wenn sie eine Familie zu ernähren hatten, nicht leben konnten,<br />
trieben sie alle nebenbei eine Hantierung. Die Regierung begünstigte<br />
begreiflicherweise diesen Nebenerwerb, wo sie konnte, da sie sonst<br />
keine Soldaten bekommen hätte oder sie erheblich höher hätte bezahlen<br />
müssen. Häufig betrieben sie das Schneiderhandwerk. Die Artikel<br />
von 1669 bestimmten daher, daß es den Soldaten nur erlaubt sein<br />
sollte, für ihre Familie, für ihre Kameraden und für Offiziere zu arbeiten.<br />
Wollten sie für Zivilpersonen schneidern, so hatten sie zu<br />
einem Amtsmeister zu gehen und sich von diesem in seiner Werkstätte<br />
beschäftigen zu lassen3). Der noch 1745 betonte Grundsatz, Soldaten<br />
nicht zu Freimeistern zu machen, wurde 1755 zuerst durchbrochen,<br />
zu derselben Zeit, als die Regierung ihre Zurückhaltung bei<br />
der Gewährung von Freimeisterkonzessionen aufgab4). Als die Erwerbsverhältnisse<br />
im 18. Jahrhundert immer schlechter wurden, ging<br />
mancher Geselle lieber zu den Soldaten, zumal er dort auch Schneiderarbeit<br />
verrichten konnte und dazu noch seine Löhnung bezog5). 1751<br />
!) 1710, 1744 L.A.<br />
2) 1706 L.A.<br />
3) 1674, 1697, 1720, 1736, 1743, 1746, 1770, 1771, 1783, 1793 L.A.<br />
4) 1755 ferner 1771 L.A.<br />
5) 1745 L.A.
60<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
wurde sogar ein Soldat, der Kompanieschneider war, gegen die geringe<br />
Gebühr von 5 Rt. ins Amt aufgenommen. Die Zunft machte zuerst<br />
Einwendungen, aber sie wurde mit dem Hinweis gefügig gemacht, daß<br />
die Regierung ihm sonst eine Stelle als Freimeister geben würde1). Am<br />
liebsten hätte das Amt es natürlich gesehen, wenn die Kammer auch<br />
die Untertanen bestraft hätte, die sich von Soldaten Kleider machen<br />
ließen. Doch darauf ließ sie sich nicht ein. Zwar erklärte sie es für<br />
strafbar, wenn jemand einen Unzünftigen zum Schneidern ins Haus<br />
nähme, aber sie gab nicht zu, daß der bestraft werden müßte, der von<br />
einem Soldaten außer dem Hause ein Kleid machen lasse, wie es bei<br />
dem Fall des Dr. med. Lümmen vorgekommen war2).<br />
Ungern schickten die Meister Gesellen oder Lehr jungen zur Arbeit<br />
ins Haus, wie es der Billigkeit halber von den Bürgern oft gewünscht<br />
wurde. Vergebens hatten die Schneider versucht, ein Verbot<br />
dieser Art in ihr Privileg zu bringen. Bürgermeister und Rat hatten,<br />
sowie sie davon hörten, sofort lebhaften Einspruch dagegen erhoben3) .<br />
Man wollte damals das Zustandekommen der Innung nicht daran<br />
scheitern lassen, aber man verstand sich immer nur höchst ungern zur<br />
Duldung dieser Tätigkeit4).<br />
Da die Herstellung und besonders das Instandsetzen von Kleidern<br />
eine Arbeit war, die auch von Frauen ausgeführt werden konnte,<br />
so drohte den Schneidern auch von dieser Seite eine Einengung ihrer<br />
Tätigkeit. Bei der Abwehr dieses Wettbewerbs konnten sie aber um<br />
so weniger auf die Hilfe der Regierung hoffen, als diese in der E rteilung<br />
von Erlaubnissen an alleinstehende Frauen, bedürftige Witwen<br />
und gebrechliche Personen ein willkommenes Mittel sah, daß diese<br />
nicht der Armenkasse zur Last fielen5).<br />
Die Lehrzeit, die ursprünglich nur 2 Jahre betrug, wurde 1745 auf<br />
4 erhöht. Statt dreier Wanderjahre verlangte man 1758 vier, dazu<br />
kam noch das Mut- oder Sitz jahr. Als Meisterstücke waren ein „Frauen<br />
tabbes Leib" (Art Umhang), eine spanische Kaputt, ein Mannskleid,<br />
eine unten zugebundene Hose und ein Mantel zu zeichnen. Sie sollten<br />
„nach der Weise und Manier, wie sie die Zeit mit sich bringt" gemacht<br />
werden. 1758 wurden die ersten beiden Gegenstände als ungebräuchlich<br />
abgeschafft. Obwohl in den Artikeln von 1669 keine Befreiung<br />
vom Meisterstück erwähnt wird, scheint sie doch bei Meistersöhnen<br />
*) 1751 L.A.<br />
2) 1761 L.A . Dr. W essel Lümmen bis 1773 (L.A. VII D 6).<br />
3) 1669 L.A.<br />
4) 1734 L.A.<br />
5) 1720, 30, 31, 34, 36, 45, 46, 72 L.A.<br />
L aad n b lb l'atk eh<br />
Oldenburg L Ot
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 61<br />
und Einheiratenden üblich gewesen zu sein, denn 1758 sieht die Regierung<br />
sich veranlaßt, ausdrücklich zu verordnen, daß keine Befreiung<br />
statthaft sei1). Der Meister hatte das Meisterstück zu begutachten,<br />
doch sah man ihre Anwesenheit bei der Herstellung nicht<br />
gerne, da man fürchtete, sie würden nur noch mehr auszusetzen finden.<br />
J e schlechter die wirtschaftliche Lage wurde, um so mehr suchten die<br />
Handwerker nach Gründen, um einen Bewerber ab lehnen zu können.<br />
Aber auch die Tätigkeit der einzelnen Meister engte man nach Möglichkeit<br />
ein. So wollte das Amt 1793 sogar durchsetzen, daß ein<br />
Meister, der Frauenkleider machte, keinen Gesellen zur Anfertigung<br />
von Männerkleidern einem Bürger ins Haus schicken dürfte. Natürlich<br />
entsprach die Regierung diesem Antrag nicht2).<br />
1738 reichten die Gesellen einen Entwurf von Satzungen für eine<br />
Brüderschaft ein. Eine Genehmigung erfolgte nicht3) (vgl. o. Abschnitt<br />
1, 6).<br />
4. Das Amt der Bäcker*).<br />
Am 11. August 1669 verlieh die Fürstin Sophia Augusta von Anhalt<br />
den Bäckern ein Amt5). Im Gegensatz zu den übrigen zunftmäßigen<br />
Gewerben besitzen wir für die Bäcker schon zahlreiche wertvolle<br />
Angaben aus der Zeit vor der Amtsgründung. Bei der großen<br />
Bedeutung der Brotversorgung erfolgte meist schon lange vor der Organisation<br />
der Bäcker eine Regelung des Brotvertriebes durch Taxen,<br />
in denen der Preis des Getreides die Grundlage des Brotgewichts<br />
bildete6). In Jever bestanden solche Taxen sicher seit 16007). Näheren<br />
Aufschluß gibt darüber ein Lederband des Jeverschen Stadtarchivs<br />
mit der Aufschrift „Der Bäcker Ordinantie", der von 1627— 52 reicht<br />
und die Protokolle über die Prüfung des Brotgewichts enthält. Da<br />
sämtliche Personen, die in Jever backten, der städtischen Beaufsichtigung<br />
unterstanden, so bietet diese Quelle ein vollständiges Namenverzeichnis<br />
der Bäcker aus dieser Zeit und überliefert zugleich auch<br />
1) 1758 L.A.<br />
2) 1793 L.A.<br />
3) 1738 L.A.<br />
4) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 25, J.S t.A . C VIII 5, C 1 X 2 — 4.<br />
5) Bestätigt: 1674, Nov. 28; 1721, Dez. 8 (mit Zusätzen); 1744, Mai 15<br />
(mit Zusätzen); 1752, Juni 9; 1758, Juni 10 (mit Zusätzen); 1793, Okt. 23;<br />
1798, April 13; 1802, März 21.<br />
6) Eine eingehende Darstellung des Brottaxenwesens enthält meine A rbeit:<br />
„Das Müller- und Bäckergewerbe in Brem en", Schmoller u. Sering:<br />
Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen Heft 183, Leipzig 1915.<br />
7) Eine T axe ganz allgemeiner A rt schon 1588 C. C. J . I 150 ff., II 137 ff.
62<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
die Brotsorten, die in Jever vor Errichtung der Zunft bereits in Gebrauch<br />
waren.<br />
Zwei interessante Feststellungen ergeben sich ganz allgemein aus<br />
diesen Aufzeichnungen, die etwa 1000 Gewichtsprüfungen umfassen.<br />
Einmal erkennen wir, daß eine scharfe Abgrenzung von Bäckern und<br />
Hökern damals noch fehlte. Noch lange bildete es eine der Hauptaufgaben<br />
des späteren Bäckeramts, die Herstellung und besonders den<br />
Vertrieb von Backwaren durch die Höker zu unterbinden. Die andere<br />
Tatsache, die sich ergibt, ist die Unregelmäßigkeit des Backbetriebs.<br />
Der Bäcker, der noch keiner Zunft angehörte, stellte Brot her, wann<br />
es ihm paßte oder wann er Gelegenheit hatte, während die Amtsbäcker<br />
verpflichtet waren, nicht nur stets mit Brot versehen zu sein,<br />
sondern auch einen gewissen Vorrat an Getreide zu haben.<br />
Die durchschnittliche Zahl der Bäcker der Innenstadt betrug von<br />
1627—39 durchschnittlich 27, von 1739— 52 21 j sie nahm also ab. Mit<br />
Oldenburg und Bremen verglichen scheint die Zahl verhältnismäßig<br />
sehr hoch. Am größten war zweifellos der Verbrauch des Grobbrots<br />
(Schwarzbrots). Während aber die Herstellung zur Zeit Fräulein<br />
Marias in der Hauptsache noch in der Haushaltung selbst für die<br />
eigene Familie erfolgte — jeder Bürger besaß das Recht zu backen — ,<br />
war diese Tätigkeit inzwischen die Aufgabe eines besonderen Berufes<br />
geworden. Tatsächlich stellte etwa die Hälfte der genannten Bäcker<br />
allein Schwarzbrot her, während die anderen sich zumeist außerdem<br />
mit der Herstellung bald dieser, bald jener anderen Brotart befaßten.<br />
Nur bei 3—5 Bäckern finden wir das Backen der sämtlichen damals<br />
üblichen Brotsorten. Jene allein sind als Bäcker im eigentlichen Sinne<br />
anzusprechen. Die Zahl der reinen Weißbrotbäcker war ganz gering.<br />
In das Amt traten 1669 31 Stadt- und 17 Landmeister ein. Man<br />
muß sich besonders in der Stadt wohl große Vorteile von der Aufnahme<br />
ins Amt versprochen haben, da sich, wie die hohe Zahl zeigt,<br />
scheinbar alle meldeten, die früher irgendwie Brot zum Verkauf hergestellt<br />
hatten. Man übersah offenbar, daß jetzt jeder ständig backen<br />
und die erzeugte Brotmenge infolgedessen den Bedarf weit übersteigen<br />
mußte. Schon bald ging die Zahl auf 22 zurück, immer noch<br />
recht viel für die kleine Stadt. Man muß sich wundern, daß diese<br />
Zahl bis 1730 ziemlich gleich blieb. Die Höhe ist wohl daraus zu erklären,<br />
daß das Land die feineren Brotsorten, die allerdings nur bei<br />
festlichen Gelegenheiten verlangt wurden, aus der Stadt bezog. Im<br />
Laufe des 18. Jahrhunderts sank die Zahl auf 13 im Durchschnitt, seit<br />
1780 sogar auf 10 Amtsmeister, die damals ein recht gutes Auskommen<br />
gehabt haben müssen. Die Regierung glaubte ihnen auch ihre beweg
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 3<br />
liehen Klagen nicht, als sie sich über die ungünstigen Taxen beschwerten<br />
und stellte fest, daß sie im allgemeinen doch recht wohlhabende<br />
Leute wären.<br />
Die gebräuchlichste Schwarzbrotgröße der ältesten Zeit war das<br />
Brot zu 3 Schaf, das bei einem Roggenpreis von 9 Talern etwa 8 Pfund<br />
wiegen mußte. Der Preis blieb stets derselbe, dagegen schwankte das<br />
Gewicht. J e teuerer das Getreide war, um so leichter durfte das Brot<br />
sein. Die größten Schwarzbrote zu 6 Schaf waren entsprechend doppelt<br />
so schwer. Kleinere Brote kosteten Schaf und 10 Witte. Das<br />
Schönbrot, das unserem Graubrot entsprach, wurde als lange und<br />
runde Schoneroggen zum Preise von 10 Witten in den Handel gebracht.<br />
Ebenso teuer war das Sauerbrot (gesäuerte Graubrot); es<br />
mußte bei dem erwähnten Roggenpreis 10 Lot wiegen (1 Pfund<br />
24 Lot). An Weißbrotarten gab es Puffer zu 5 W itt und Weggen<br />
(Brötchen), 3 Stück für 5 Witt, sie mußten zusammen etwa 8 Lot<br />
wiegen1). Die Gewichte konnten aus den tabellenartig angelegten Taxen<br />
abgelesen werden, von denen die jedesmal gültigen wöchentlich von<br />
der Kanzel verkündigt oder an den Kirchentüren angeschlagen wurden2).<br />
Am Ende des 13- Jahrhunderts trat dafür die Bekanntgabe im<br />
Jeverschen Wochenblatt. Nach welchen Grundsätzen die älteste Taxe<br />
angelegt wurde, ob sie auf Grund von Probebacken entstand oder aus<br />
einem Muster von anderswo übernommen wurde, wissen wir nicht.<br />
Als später die Taxen wiederholt erweitert werden mußten, tat man<br />
dies mit Hilfe des Probebackens.<br />
Die Kontrolle geschah in der ersten Zeit 2—8mal jährlich, im<br />
Durchschnitt etwa 5mal3). Sie wurde durch die städtischen Organe, zeitweise<br />
sogar unter Mitwirkung der Bäcker selbst ausgeübt (1633).<br />
Später duldete die Regierung diese Betätigung der Bäcker nicht mehr.<br />
Bei den etwa 1000 Gewichtsprüfungen, die von 1627—52 vorgenommen<br />
wurden, wurde in einem Drittel der Fälle das Brot zu leicht, in einem<br />
Dreizehntel zu schwer befunden. Darum darf man aber keineswegs auf<br />
eine besondere Unehrlichkeit der Bäcker schließen. Denn das Untergewicht<br />
des Brotes war meist nur gering und beruhte häufig genug<br />
darauf, daß das Brot alt war. Schwerere Verfehlungen waren selten.<br />
Von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Amt, wie<br />
x) Über die Brotsorten in Oldenburg vgl. K. Hoyer a. a. 0 . S. 263.<br />
2) 1616 C.C.I. I 683 ff., II 734 ff.; 1617 I 747 f., II 868 ff.<br />
3) Jed er Bäcker hatte sein Brot mit seiner Bäckerm arke zu versehen. 1616<br />
C .C .J. I 681 ff., II 729 ff.; 1646 I 850 ff., III 133 ff.; 1661 III 396 ff.; 1669 1 965 ff.,<br />
III 552 ff. Den W rögern (Brotprüfern) sollten die Bäcker anständig begegnen<br />
C .C .J. a. a. O., ferner 1744 C .C .J. 216 ff.
64 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
sie in Bremen und Oldenburg häufiger vorkamen, hören wir in Jever<br />
nichts. An kleineren Reibereien fehlte es aber natürlich auch hier<br />
nicht. Schuld hatten wohl meist beide Teile, die Stadt, weil sie Taxen<br />
oft kleinlich handhabte, die Bäcker, weil sie es oft an der nötigen<br />
Sorgfalt fehlen ließen. Die älteste Taxe von 1600 blieb für das ganze<br />
17. Jahrhundert maßgebend; da sie jedoch nur bis zur Roggenpreisgrenze<br />
von 10 Gt. reichte, mußte sie bereits 1615 zum ersten Male<br />
erweitert werden.<br />
Für die Versorgung der Bürger mit Brot gab es drei Möglichkeiten:<br />
sie konnte geschehen durch die einheimischen oder durch die<br />
auswärtigen Bäcker und durch die Bürger, die ihr Backwerk für den<br />
Hausbedarf selbst herstellten. Die Hausbäckerei, die älteste und ursprünglich<br />
einzige Art der Brotversorgung, ging im Laufe der Zeit<br />
immer mehr zurück und beschränkte sich schon früh auf die Herstellung<br />
der einfachsten Brotsorten, besonders des Grobbrots. Oft<br />
teilten sich auch der Privathaushalt und das Gewerbe in den Herstellungsprozeß,<br />
indem der Bürger dem Bäcker den Teig seines Brotes<br />
zum Garmachen schickte. Nach der Amtsrolle von 1669 hat es den<br />
Anschein, als ob ein großer Teil der Bäcker vorher nur diese Tätigkeit<br />
betrieben hatte. Von sehr geringer Bedeutung war die Brotver-<br />
sorgung der Stadt durch die Einfuhr von außerhalb. Diese Zufuhr<br />
war großen Schwankungen unterworfen. Nur wenn das Getreide billig<br />
war, fand sie in größerem Umfange statt. Sie rief dann sofort die<br />
Bäcker auf den Plan, die sich mit Recht beschwerten, daß ihnen, die<br />
jederzeit für die Bürger backen müßten, in guten Zeiten der bessere<br />
Verdienst entging. Besonders unangenehm wurde es von ihnen empfunden,<br />
wenn Brot aus Ostfriesland hereinkam, da dieses den Ruf genoß,<br />
schwerer und besser zu sein. Die Wittmunder waren bekannt dafür,<br />
daß sie ihr Brot in der Vorstadt absetzten. Gegen diese Einfuhr<br />
eiferten die Bäcker übrigens schon vor der Errichtung des Amtes1). Die<br />
Bäcker strebten immer wieder das Monopol der Brotversorgung an,<br />
aber die Stadt machte stets die Erfahrung, daß das Brot um so<br />
schlechter wurde, je weniger die Bäcker einen Wettbewerb zu fürchten<br />
hatten. Doch besaß sie Mittel genug, die Bäcker in Atem zu halten.<br />
Oft genügte schon die Drohung, die Landbäcker auf den Wochenmärkten<br />
zuzulassen. 1709 machte die Stadt sogar ernst damit. Der<br />
Wettbewerb auf den Jahrmärkten war ohne Bedeutung. Ein weiteres<br />
Mittel war die Bestellung von Freimeistern, die wohl den Taxen, aber<br />
nicht den Zunftgesetzen unterworfen waren. Einige erhielten nur das<br />
ä) 1663 C .C .J. I 945, III 440 f.
D as Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 6 5<br />
Recht auf Herstellung von Schwarzbrot, andere auf Kuchen. Sie saßen<br />
meist in der Vorstadt. Die Amtsmeister hatten in der Stadt selbst zu<br />
wohnen, auch als Stadt und Vorstadt bereits vereinigt waren. Nur<br />
ausnahmsweise bekam 1736 ein Amtsbäcker die Erlaubnis, in der Vorstadt<br />
sein Gewerbe weiter treiben zu dürfen. Auf die Klagen der Vorstädter,<br />
die immer erst zum Brotkauf in die Stadt gehen mußten, verstand<br />
sich 1793 das Amt dazu, dort eine Brotniederlage zu entrichten,<br />
die man abwechselnd beliefern wollte. Der Plan wurde im folgenden<br />
Jahre wirklich ausgeführt. Selbst zu backen, wurde dem Verwalter<br />
der Verkaufsstelle aber streng untersagt.<br />
Um die Brotversorgung dauernd sicherzustellen, schrieben bereits<br />
die ältesten Artikel den Bäckern das Vorrathalten von Roggen und<br />
Weizen vor. Die Höhe der Vorratsmenge wurde zunächst nicht festgesetzt,<br />
später wurden 20— 25 Last im Herbst vorgeschrieben. Eine<br />
gewisse Rücklage war bei den unsicheren Versorgungsverhältnissen<br />
durchaus geboten; Notstände traten nur zu leicht ein1).<br />
Der Verkauf des Backwerks, das jeder Meister mit seiner Marke<br />
zu bezeichnen hatte, geschah auf dem Wochenmarkte in besonderen<br />
Ständen und im Hause. Der besseren Aufsicht wegen war der Verkauf<br />
nur an einer Stelle zur Zeit gestattet. Am Dienstag und Sonnabend<br />
(später auch am Donnerstag) war Wochenmarkt; er begann im<br />
Sommer um 8 Uhr, im Winter um 9 Uhr mit dem Ausstecken der<br />
großen Freifahne. Um 1 Uhr wurde eine kleine Fahne gehißt, dann<br />
durften auch Fremde und einheimische Aufkäufer einhandeln. Nach<br />
Schluß des Marktes war auch der Verkauf im Hause verboten. Nur<br />
an Tagen, an denen nicht auf dem Markte gehandelt wurde, durfte im<br />
Hause des Bäckers verkauft werden. Hausieren war überhaupt verboten,<br />
schon aus dem Grunde, weil dieser Art Handel nicht zu kontrollieren<br />
war. Auch das Zubrotgeben, eine Art Rabatt, den man gerne<br />
bei größeren Aufträgen den Käufern zuwendete, blieb verboten.<br />
Die Lehrjungen, die ein Lehrgeld nicht unter 25 Rt. (die Hälfte<br />
beim Eintritt), bezahlen mußten, hatten 3 Jahre zu lernen, Mehr als<br />
einen Lehrling zur Zeit zu halten, war den Meistern verboten. Die<br />
Gesellenzeit dauerte drei Jahre, Meistersöhne entzogen sich meist<br />
dieser Verpflichtung. Als Meisterstück wurde die Herstellung zweier<br />
Brote verlangt, von denen eines aus gebeuteltem Weizenmehl und<br />
eines aus gebeuteltem Roggenmehl bereitet werden mußte. Das Backen<br />
sollte der Geselle ganz selbständig vornehmen, nur beim Abwiegen<br />
durfte ihm jemand zur Hand gehen. Ursprünglich durften die beiden<br />
1) 1740 sollte infolge der Roggenknappheit auf dem Lande nur noch<br />
Gerstenbrot hergestellt werden. C .C .J. V 175a.<br />
Oldenburger Jahrbuch 5
66 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
aufsichtführenden Meister uneingeschränkt auf Kosten des Prüflings<br />
essen und trinken. Da diese Annehmlichkeit aber allzusehr ausgenutzt<br />
wurde, setzte man 1758 als Höchstbetrag ein Zehrgeld von 2 Rt. fest,<br />
(vgl. die Tischler).<br />
Bei der Aufnahme trieb das Amt eine ausgesprochene Verwandtenpolitik.<br />
Den Erfolg zeigt die Tatsache, daß 1715 von 23 Amtsbäckern<br />
der Stadt 15 als Bäckersöhne bezeichnet wurden. Unter den 7 anderen<br />
werden sich zweifellos noch Männer von Amtstöchtern und -witwen<br />
befunden haben.<br />
5. Das Amt der Klein- und Grobschmiede wie auch der<br />
Kupierschläger1).<br />
Am 12. August 1669 wurde den Klein- und Grobschmieden wie<br />
auch den Kupferschlägern von der Fürstin Sophia Augusta von Anhalt<br />
ein Amt verliehen2). Über die Besetzung des Amtes sind wir infolge<br />
der wohl nahezu vollständig erhaltenen Amtsbücher (s. u.) besonders<br />
gut unterrichtet. Es waren am Ende des 17. Jahrhunderts 10 Stadtmeister<br />
und 26 Landmeister, am Anfang des 18. Jahrhunderts 13 bzw.<br />
24 Meister und am Ende des Jahrhunderts 16 bzw. 40 Meister vorhanden.<br />
Drei naheverwandte Gewerbe waren in einem Amte vereinigt. Die<br />
Mehrzahl bildeten die Grobschmiede, die im Lande sogar ausschließlich<br />
vertreten waren; sie mußten dort zugleich Schlosser-(Kleinschmiede-)<br />
arbeit machen. Es kam öfter vor, daß ein Geselle, der als<br />
Schlosser gelernt hatte, sein Meisterstück als Grobschmied machte,<br />
weil er sich auf dem Lande niederlassen wollte, wo er nur mit dieser<br />
Hantierung sein Auskommen finden konnte. Am geringsten an Zahl<br />
waren natürlich die Kupferschmiede (in der Stadt höchstens 1/B der<br />
beiden anderen Gruppen). Seit 1738 gab es auch einen Nagelschmied<br />
in Jever, der ursprünglich als Freimeister arbeitete, dann aber ins<br />
Amt aufgenommen wurde, 1752 wurde ein besonderes Meisterstück<br />
für Nagelschmiede vorgeschrieben. Die Messerschmiede gehörten nicht<br />
zum Amt; 1728 gab es vier davon in der Vorstadt.<br />
Zu Reibungen führten die Berührungen, die zwischen den Schmieden<br />
und Eisenhändlern bestanden; schon 1699 hören wir davon. Aus<br />
einer späteren Vereinbarung (1768) wissen wir, daß die Schmiede<br />
nur selbstgefertigte Waren verkaufen durften, wie es ja auch allge<br />
M Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 27, J.S t.A . C V III 3.<br />
2) Bestätigt: 1674, Okt. 28; 1722, Febr. 17; 1745, Juni 3 (mit Zusätzen);<br />
1752, Juni 9; 1758, Juli 12; 1793, Juni 20; 1802, März 30.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 7<br />
meiner Zunftgebrauch war, während für die Eisenkrämer eine Liste<br />
von Waren aufgestellt wurde, mit denen sie handeln durften. Eine derartige<br />
Zusammenstellung erschien 1793 im Jeverschen Wochenblatt.<br />
1768 wurde den Tischlern und Zimmerern der Verkauf von Eisenwaren<br />
gänzlich untersagt.<br />
Als unzulässige Wettbewerber wurden schon in den Artikeln von<br />
1669 die „Kesselflicker, Pottlapper und dergleichen Landstreicher“<br />
bekämpft; sie waren nur auf den Jahrmärkten zugelassen1). Einen<br />
eigentümlichen Eingriff in die Rechte der Schmiede leisteten sich einmal<br />
die Totengräber; ihnen mußte 1752 verboten werden, die Beschläge<br />
und Griffe von den Särgen zu entfernen und sie zu verkaufen.<br />
Über die Beschaffung der Rohstoffe und des Betriebsmaterials<br />
wissen wir nur wenig. Eisen und Kohlen kamen aus England. 1669<br />
durften sich die Schmiede, wenn ein Schiff ankam, als erste nach der<br />
Herrschaft versehen. Die Arbeit wurde stückweise bezahlt, nur bei<br />
größeren Gegenständen, wie bei Schiffsankern wurde sie pfundweise<br />
berechnet, das Pfund zul Schaf 15 Witte (1695). Klagen über schlechte<br />
Arbeit sind uns nicht überliefert; daß die Leistungen der Schmiede in<br />
Jever auf einer erfreulich hohen Stufe standen, zeigen auch die Meisterstücke,<br />
die im Museum vorhanden sind2).<br />
Den Schmieden war nur ein Lehrjunge zur Zeit zu halten erlaubt,<br />
ferner durfte jeder Meister einen Lohnjungen und zwei Gesellen haben.<br />
Hinsichtlich der Dauer der Lehrzeit verfuhren die Meister sehr willkürlich;<br />
es kommen 1—6 Lehrjahre nebeneinander vor; im Durchschnitt<br />
waren es 3— 4 Jahre. Besonders wenn ein Meister den Lehrling<br />
eines verstorbenen Amtsmitgliedes übernehmen mußte, pflegte er<br />
sich um frühere Abmachungen nicht zu kümmern. Eine Bevorzugung<br />
der Meistersöhne hinsichtlich der Lehrzeit kannte man nicht. Überhaupt<br />
waren die Sondervorteile der Amtsverwandten hier auf die geringeren<br />
Eintrittsabgaben beschränkt. Um zu verhindern, daß ganz unerfahrene<br />
Lehrjungen zu Gesellen gemacht wurden und damit die<br />
Meister sich mehr bemühten, ihren Schutzbefohlenen die nötigen Fertigkeiten<br />
beizubringen, wurde 1754 nach dem Muster von Zerbst das Gesellenstück<br />
eingeführt, das für Grob- und Kleinschmiede in einem<br />
Schlüssel und für die Kupferschmiede in einem Schenkkessel bestand3) .<br />
Das Meisterstück, an dem nicht mehr als 12 Stunden geschmiedet<br />
J) 1644, 1646, 1679, 1702 L.A. X X III 27.<br />
2) Vgl. Anm. zu Abschnitt 1,5.<br />
3) Von dieser Anordnung, die sicher für alle Ämter Geltung haben<br />
sollte, hören wir sonst nichts. Sie scheint nur kurze Zeit in Übung gewesen<br />
zu sein.<br />
5*
68<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
und nicht länger als 4 Wochen gearbeitet werden durfte, bestand bei<br />
den Grobschmieden aus einer Axt, einer dreizinkigen Forke und einem<br />
Pütter (später einem Pflugeisen), bei den Kleinschmieden aus einem<br />
Schloß und bei den Kupferschmieden aus einem Kessel. Die zahlreichen<br />
in den Artikeln von 1669 für die Kleinschmiede und Kupferschmiede<br />
geforderten Gegenstände werden wohl nur als Auswahl gedacht<br />
gewesen sein. Für die Nagelschmiede war eine Zange und ein<br />
Nageleisen vorgeschrieben.<br />
W ertvolle Aufschlüsse über die Zusammensetzung des Amtes<br />
geben die Innungsbücher, die sich in größerer Zahl erhalten haben und<br />
sich jetzt im Museum befinden1). Das Jungenbuch enthält sogar Eintragungen<br />
von 1669— 1817. Daraus läßt sich erkennen, daß das Einschreiben<br />
vielfach erst nach halb oder ganz beendigter Lehrzeit erfolgte,<br />
häufig auf dem Gildetage, manchmal auch nur vor dem E ltermann.<br />
Auf den Geburtsbrief wurde der größte W ert gelegt: fehlte er,<br />
so wurde nachträgliche Vorlage verlangt, oder ein Meister mußte für<br />
die eheliche Geburt des Lehr jungen bürgen. Das 1755 eingeführte Gesellenstück<br />
wird nur kurze Zeit erwähnt. Die meisten Lehrjungen<br />
stammten aus Jever oder dem Jeverlande; ein großer Teil wurde in<br />
der Heimat Meister. Von 1670— 1815 werden insgesamt 426 Lehrjungen<br />
verzeichnet; von ihnen sind 100 später als Meister in Stadt<br />
oder Land nachzuweisen. In Wirklichkeit war die Zahl natürlich viel<br />
größer. Die Anzahl der Amtsverwandten (Meistersöhne und Männer)<br />
von Amtswitwen und -töchtern war im 18. Jahrhundert sehr bedeutend.<br />
In der Stadt waren z. B. 1715 unter 17 Meistern nachweislich 12 Amts-<br />
verwandte.<br />
6. Das Amt der Tischler und Zimmerer (sowie der Glaser)2).<br />
Am 17. Juli 1686 verlieh Fürst Carl Wilhelm von Anhalt den<br />
Tischlern und Zimmerern ein Amt3). Vorübergehend befanden sich<br />
auch die Glaser mit in diesem Innungsverband (1757—98) (s. u.)4).<br />
1) Im Jeverschen Museum befinden sich; Ein Gildebuch (1736— 1814),<br />
ein Frauenbuch (1751— 86), ein Rechnungsbuch (1777— 91), ein Gesellenbuch<br />
(1669— 1818) und ein Jungenbuch (1669— 1816). Ferner aus dem 19. Ja h rhundert:<br />
Ein Protokollbuch (1839— 50), zwei Rechnungsbücher (1805— 1806,<br />
1839— 1861), ein Meisterbuch (1839— 1861), ein Gesellen- und Lehrlingsbuch<br />
(1839— 1861) und außerdem eine Mappe mit Aktenstücken aus den Jahren<br />
1766— 1860.<br />
2) Fü r den ganzen Teil: L.A. X X III B 28, J.S t.A . C V III 2.<br />
3) Bestätigt: 1724, Dez. 1 (mit Zusätzen); 1744, Sept. 2 1; 1752. Juni 12;<br />
1758, Aug. 2 1; 1793, Juli 19 (mit Zusätzen); 1798, April 13; 1802, April 3.<br />
4) Zusatzartikel: 1757, Nov. 4. Selbständige Am tsartikel: 1798, April 13,<br />
bestätigt 1802, M ärz 28.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 9<br />
Die Zahl der Tischler- und Zimmerermeister betrug im 18. Ja h rhundert<br />
10— 12, 1804 16 Stadtmeister. Auf dem Lande gab es 1720<br />
erst 25 Meister. 1804 war die Zahl auf 57 gestiegen. Glaseramts-<br />
meister waren in der Stadt durchschnittlich 3— 5 vorhanden; für das<br />
Land sollten je einer in Hohenkirchen, in Hooksiel und Neuende sein.<br />
Im Laufe des 18. Jahrhunderts verschlechterten sich die wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse derart, daß die städtischen Tischler und Zimmerermeister<br />
nicht nur gezwungen waren, aufs Land zu gehen, um Arbeit zu<br />
bekommen, sondern daß Amtswitwen und ältere Meister sogar der<br />
Armenkasse zur Last fielen. Da Gesellen schwer zu bekommen waren,<br />
schlossen sich einzelne Meister zu gemeinsamer Arbeit zusammen.<br />
Dieser Mißstand lag nicht daran, daß keine Gesellen vorhanden waren,<br />
sondern hatte darin seine Ursache, weil viele Gesellen selbständig<br />
arbeiteten. Sie durften sich gegen eine geringe Abgabe an das Amt<br />
nach Vorweisung des Geburts- und Lehrbriefes niederlassen, nachdem<br />
sie in das Gesellenbuch eingeschrieben waren. Viele jedoch, die nicht<br />
die nötige Vorbildung aufzuweisen hatten, ließen sich zum Schein bei<br />
einem Amts- oder einem Freimeister einstellen, dem sie ein Schweigegeld<br />
zahlten. Ein besonders krasser Fall wird 1736 berichtet. Ein<br />
Freimeister beschäftigte seine zwei Söhne als Gesellen, und diese<br />
nahmen ihrerseits wieder Gesellen an; sie alle übten ihre Tätigkeit<br />
unberechtigt unter dem Schutze des Freimeisters aus. Vergeblich<br />
baten die Amtsmeister, den Freimeistern nur Gesellen zu erlauben,<br />
wenn das Amt keine beanspruchte. Die Regierung suchte dem Unwesen<br />
dadurch zu steuern, in dem sie verlangte, daß die Meister sich den<br />
Lehrbrief vorlegen lassen und darauf achten sollten, daß sie nur in der<br />
Werkstätte des Meisters arbeiteten. Bei den Tischlern war diese Maßnahme<br />
wohl durchführbar, doch bei den Zimmerern, die meist auf dem<br />
Bau arbeiteten, stieß sie auf große Schwierigkeiten. Dort herrschten,<br />
wie es in der Natur ihrer Tätigkeit lag, überhaupt andere Verhältnisse<br />
wie bei den anderen Ämtern.<br />
Schon die Lehrlinge arbeiteten gegen besondere Bezahlung auf<br />
dem Bau. Da der Meister ihnen dazu Werkzeug anvertrauen mußte,<br />
hatten sie bei der Aufnahme 3 Rt. Bürgschaft zu hinterlegen, die verfiel,<br />
wenn der Lehr junge weglief. Im Laufe der Zeit entwickelten sich<br />
geradezu heillose Zustände. Die Lehrlinge brachen ihre Lehrzeit vorzeitig<br />
ab, verheirateten sich und traten als Gesellen auf. Ohne Wissen<br />
der Meister nahmen sie heimlich Arbeit an. 1739 sah man sich sogar<br />
veranlaßt, die Annahme „beweibter” Lehrjungen zu verbieten.<br />
Über die Zahl der zulässigen Hilfskräfte wurden erst 1730 Bestimmungen<br />
getroffen. Die Zimmerer durften 3— 4 Lehrjungen halten,
70<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
die Tischler zur Zeit nur einen. Die Dauer der Lehrzeit betrug 2 bzw.<br />
3 Jahre, 1793 wurde sie bei den Tischlern auf 4 Jahre erhöht. 1736<br />
wünschten die Meister, daß die Gesellenzahl auf 3— 4 beschränkt<br />
würde, einige nähmen 8— 10 an, wenn sie gerade einen größeren Auftrag<br />
hätten, anstatt auch anderen Meistern Anteil an der Arbeit zu<br />
ermöglichen.<br />
Von Eingriffen in die Amtsgerechtigkeit hören wir fast nur in der<br />
ersten Zeit nach der Amtsgründung. 1690 wurden die Küper und die<br />
Rademacher beschuldigt, Särge sowie Tür- und Fensterrahmen, die<br />
zweifellos Tischlerarbeit waren, herzustellen1). Ein Rademacher war<br />
auf frischer Tat beim Sargmachen ertappt worden. Da er sich widersetzlich<br />
benahm, setzte ihn die Regierung ins Gefängnis und verurteilte<br />
ihn zu 10 Gt.; doch wurde er begnadigt. Er zeigte sich der milden<br />
Behandlung wenig würdig, da er nachher in den Schenken öffentlich<br />
damit herumprahlte, daß man ihn so gut habe wegkommen lassen.<br />
1804 wandte sich das Amt — allerdings ohne Erfolg — gegen einen<br />
Stellmacher, der eine Maschine zum besseren Reinigen des Getreides<br />
herstellte und vertrieb. In einzelnen Fällen wurden auch besondere<br />
Bewilligungen erteilt, ohne daß der Eintritt ins Amt oder die Genehmigung<br />
als Freimeister verlangt wurde. So wurde 1700 der Sohn eines<br />
Fähnrichs, der in Zerbst Schränke, Kasten und Bilderrahmen zu verfertigen<br />
gelernt hatte und 8 Jahre bei dem Landdrosten von Bardeleben<br />
in Dienst gewesen war, in Jever zugelassen. 1720 trat die Regierung<br />
für einen Bewerber ein, der Kleider- und Kontorschränke sowie Teetische,<br />
wie sie in Amsterdam hergestellt wurden, machen konnte. 1730<br />
klagten die Tischler über die heimliche Einfuhr von Kasten, Schränken<br />
und Wagenstühlen aus Wittmund und aus dem Ammerlande. Von<br />
einem allgemeinen Einfuhrverbot wollte die Regierung nichts wissen<br />
(1758).<br />
Die Meisterstücke der Zimmerer bestanden aus Zeichnungen von<br />
einem „schlimm (schräg?) liegenden" Dachstuhl, einem kleinen Häuschen<br />
und einem hohen „Meyhen“ (?) mit Zugbrücke, bei den Tischlern<br />
aus einem Kasten mit halben oder drei freien Pfeilern, einer Tafel, die<br />
ausgezogen werden konnte und einem „durchgestochenen" Gitterwerk.<br />
Die Glaser sollten ein Sternfenster mit Rahmen anfertigen. 1724 wurde<br />
von den Zimmerern statt des Häuschens eine hölzerne Wendeltreppe<br />
und Schnecke mit 6 Ecken, bei den Tischlern ein furnierter Schreibtisch<br />
mit Aufsatz und Auszügen und ein furniertes Brettspiel aufzuzeichnen<br />
und herzustellen gefordert. 1744 verlangte das Amt, daß die<br />
*) C .C .J. III 673— 78.
Das Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 71<br />
Gesellen verpflichtet werden sollten, das Meisterstück nicht nur im<br />
Riß, sondern wirklich anzufertigen. Die Regierung schob die Entscheidung<br />
darüber dem Amt zu. Ein Schaumeister sollte die Herstellung<br />
des Meisterstücks überwachen; es war Brauch, daß der Meister dabei<br />
auf Kosten des Gesellen essen und trinken durfte. Erst 1802 wurde<br />
ein Betrag festgesetzt, der nicht überschritten werden durfte. Auch<br />
wurde damals verfügt, daß die Schaumeistertätigkeit in der Reihenfolge<br />
des Eintritts ins Amt zu erfolgen habe; die Elterleute wurden<br />
während ihres Amtsjahres übersprungen.<br />
Der Arbeitslohn für die Zimmerer war nach langen und kurzen<br />
Tagen verschieden hoch; er betrug für den Meister täglich 7 (6), für<br />
den Gesellen 6 (5) und für den Lehrjungen 5 (3) Grote. Eine 1793<br />
beantragte Erhöhung wurde nicht bewilligt, obwohl nachgewiesen<br />
wurde, daß die Lebenshaltung teuerer geworden war und die Entlohnung<br />
in keinem rechten Verhältnis zu dem Verdienst eines einfachen<br />
Tagelöhners stand.<br />
Dem Kunden war es erlaubt, den Meister zu wechseln, wenn er<br />
mit der Arbeit nicht zufrieden war, jedoch sollte er den ersten Meister<br />
anteilmäßig bezahlen.<br />
Nachdem 1725 die Vereinigung der Glaser mit den Sattlern am<br />
Widerspruch des Fürsten gescheitert war (vgl. das Schusteramt),<br />
erhielten die Glaser 1741 die Bewilligung zur Errichtung eines Amtes.<br />
Da sie aber zu gering an Zahl waren, suchten sie nach einem anderen<br />
Amte, mit dem sie sich verbinden konnten. Dieses fanden sie im Tischleramt.<br />
So reichten sie 1757 5 Artikel ein, die als Ergänzung zu denen<br />
des Tischler- und Zimmereramtes gedacht waren; sie wurden bewilligt.<br />
1758 beantragte das Amt die entsprechenden Änderungen in seinem<br />
Privileg, die aber erst 1793 vorgenommen wurden. Inzwischen erwogen<br />
die Glaser die Trennung. Nach längeren Verhandlungen erhielten sie<br />
1798 ein eigenes Amt. Die Artikel wiesen keine wesentlichen Unterschiede<br />
von denen des Tischleramts auf. Die Lehrzeit wurde auf 4,<br />
die Wanderzeit auf 2 Jahre bemessen.<br />
7. Das Amt der Küper1).<br />
Die Amtsartikel der Küper wurden am 13. September 1690 vom<br />
Fürsten Carl Wilhelm von Anhalt erlassen2). Bei der Gründung der<br />
Zunft gab es in der Stadt 4 Meister; später waren es meist 63). Einer<br />
großen Verbreitung erfreute sich die Tätigkeit der Küper auf dem<br />
*) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 29, jiS t.A . C VIII 8.<br />
2) Bestätigt: 1720, Sept. 7; 1745, Juni 3 (mit Zusatz); 1758, Juni 7; 1793,<br />
Ju n i 20; 1798, Mai 3. Zusätze: 1706, Aug. 25.<br />
3) 1704: 8, 1730: 4, 1733: 5, 1804: 6 Meister.
72<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Lande, wo von 1690— 1714 über 40 Meister erwähnt werden. Da bei<br />
der Gründung für den Eintritt keine Bedingungen gestellt wurden,<br />
traten wohl alle Meister bei, die das Handwerk betrieben. Als später<br />
bestimmte Verpflichtungen vorgeschrieben wurden, mußte schon aus<br />
diesem Grunde die Zahl zurückgehen; 1723 waren nur 231) und 1814<br />
nur noch 14 vorhanden. Auch diese waren allein im Sommer ausreichend<br />
beschäftigt, während sie sich im Winter mit dem Dreschen<br />
Geld verdienen mußten.<br />
Das wichtigste Erzeugnis waren die Butterfässer, von den Biertonnen<br />
hört man nur selten; diese sollten 112 Kannen enthalten2). Ein<br />
Küpermeister war zum Messer3) bestimmt, der gegen festen Tarif das<br />
Anbringen der Inhaltsgröße der Tonnen zu besorgen hatte. Für eine<br />
neue Tonne bekam er 6, für eine alte 2 Stüber. Wurde er aufs Land<br />
gerufen, durfte er sich den Weg vergüten lassen. Da die alten Biertonnen<br />
ohne weiteres immer wieder benutzt werden konnten, war der<br />
Umfang der Herstellung neuer Ware nicht sehr bedeutend. Größere<br />
Sorgfalt erforderte die Behandlung der Butterfässer. Die Artikel von<br />
1690 verlangten die Stempelung mit eigener Marke und dem Jeverschen<br />
Löwen; vierteljährlich sollten die Altmeister die Brandeisen nach-<br />
sehen. Auch schon vor der Amtsgründung war den Küpern wiederholt<br />
die Bezeichnung der Butterfässer eingeschärft worden4). Die alten<br />
Fässer sollten jedesmal gut gereinigt und vor der Neufüllung mit der<br />
neuen Jahreszahl versehen werden5). Die Kramer machten sich ebenso<br />
wie die Fuhrleute und Schiffer strafbar, wenn sie unbezeichnete Gebinde<br />
annahmen6). Da immer wieder gegen diese Bestimmungen verstoßen<br />
wurde, ging man 1753 so weit, zu verlangen, daß die Händler<br />
ein Register führen sollten, von wem sie die einzelnen Fässer bekommen<br />
hätten, wie sie gezeichnet gewesen wären und wo die Lieferanten<br />
wohnten7) . 1804 wurde sogar vorgeschrieben, daß Fässer mit der vorjährigen<br />
Jahreszahl nur von Neujahr bis Mai geduldet werden sollten8).<br />
An eine ernsthafte Durchführung dieser Bestimmungen war unter den<br />
damaligen Verhältnissen natürlich nicht zu denken, zumal eine sicher<br />
arbeitende Aufsichtsorganisation fehlte.<br />
1) 1723 konnten 6 M eister nicht schreiben.<br />
2) 1739, Dez. 18, C .C .J. 149 ff.<br />
3) 1739 Folkert Andreas, später Siefken V ater und Sohn.<br />
4) 1657, Mai 26; 1663, Juni 18, C .C .J. I 917, III 437 ff. u. 343 ff.; 1749,<br />
April 5, C .C .J. VI 265 f.<br />
6) 1743, 53, 54, 92, 1804 L.A.<br />
o) 1694, Juni 28; 1792, April 20; 1794, April 9 C .C .J. III 743 ff., V 311.<br />
7) 1753 C .C .J. V 90— 97, VII 216; 1772 Jev. Wbl., 1792.<br />
8) 1804 L.A. X X III 29.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 7 3<br />
Die Butterausfuhr nach Hamburg scheint anfangs bedeutend gewesen<br />
zu sein, da das jeversche Erzeugnis dort offenbar sehr geschätzt<br />
wurde. Aber die Bauern und Küper verdarben sich selbst das Geschäft,<br />
da sie es an der gründlichen Säuberung der Tonnen fehlen ließen und<br />
die Böden schließlich so dick machten, daß die Fässer bis zu 10 Pfund<br />
zu wenig Butter enthielten1). Die Leistungsfähigkeit des Küperge-<br />
werbes muß im 18. Jahrhundert sehr gering gewesen sein, obwohl das<br />
Amt sich auch weiterhin beklagte, daß die Schiffer alte Butterfässer<br />
aus Hamburg einführten2). Bezeichnend ist es, daß dem Amt, als es<br />
1744 forderte, die Landmeister sollten statt einer Biertonne, die jeder<br />
hersteilen könnte, eine Stockfischtonne machen, ihnen vorgehalten<br />
werden konnte, daß den Küpern erst ihr Meister Folkert Andres hätte<br />
beibringen müssen, wie man eine ordentliche Biertonne mache3). Vergeblich<br />
baten die Kaufleute wiederholt, Hamburger Butterfässer und<br />
Bremer Milchbalgen einführen zu dürfen, da die Küper gar nicht imstande<br />
seien, den an sie gestellten Ansprüchen zu genügen. Erst 1775<br />
wurde die Einfuhr von Bremer Eimern ausdrücklich erlaubt. Aber<br />
eifersüchtig wachte das Amt auch weiter, daß niemand fremde Küper-<br />
ware außer auf Freimärkten verkaufte4).<br />
Die Ausbildungs- und Aufnahmebedingungen unterschieden sich<br />
nicht wesentlich von denen anderer Ämter. 3 Lehrjahre waren vorgeschrieben,<br />
über die Gesellenzeit war ursprünglich nichts bestimmt5),<br />
erst 1728 wurde die Wanderzeit auf 3 Jahre festgesetzt6). Da das Amt<br />
in der Stadt meist schwach besetzt war und sich nur wenige Bewerber<br />
fanden, so machte es meist keine Schwierigkeiten bei der Aufnahme.<br />
Von den drei Meisterstücken (Trichter, Käseschüssel und Handfaß)<br />
brauchte der Meistersohn nur die beiden ersten zu machen, die Einheiratenden<br />
wurden dagegen in dieser Hinsicht wie Fremde behandelt7).<br />
III. Abschnitt: Die Hofhandwerker8)-<br />
Eine besondere Gruppe unter den Gewerbetreibenden der Stadt<br />
Jever bildeten die Hofhandwerker, die in erster Linie die Aufgabe<br />
*) 1720, 1744 L.A .; 1754 C .C .J. VI 355 f.<br />
2) 1690 C .C .J.; 1720 L.A .; 1749 C .C .J. VI 265 f.<br />
3) 1744 L.A.<br />
4) 1775, 1797 L.A.<br />
*) 1690 L.A.<br />
6) 1728 L.A.<br />
7) 1690 L.A.<br />
8) L.A . VII G 3.
74<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
hatten, für die Landesherrschaft zu arbeiten. Unsere Kenntnis beginnt<br />
mit der Zeit Anton Günthers. Damals bekamen die Hofhandwerker<br />
ihre Gerätschaften geliefert und erhielten außer ihrem festen Gehalt<br />
«inen Tagelohn, ja sie wurden sogar aus der Hofküche verpflegt, eine<br />
Vergünstigung, die aber schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch<br />
Geld abgelöst wurde. Auch Naturallieferungen (Roggen und Torf)<br />
sind bezeugt. Privatarbeit war ihnen ursprünglich nur bei besonderer<br />
Bewilligung erlaubt. Die Herrschaft nahm für sich das Recht der<br />
halbjährlichen Kündigung in Anspruch; den Handwerkern stand sie<br />
jedoch nicht zu. Praktisch war dies ohne Bedeutung, denn die Stellung<br />
eines Hofhandwerkers war so begehrt, daß jeder, der sie besaß, sie von<br />
sich aus sicherlich nicht wieder aufgab. Die Höhe der Besoldung war<br />
sehr verschieden. 1653 bekam der Hofzimmermeister 25 Rt. und an<br />
Kostgeld 28 Rt., 1654 der Hofschmied 44 Rt. und 1674 der Hofmaurermeister<br />
sogar 110 Rt. Im 18. Jahrhundert erhielt der Hoftischler nur<br />
noch 12 Rt., der Chirurg und Hofbarbier dagegen 50 Rt. Um einen Begriff<br />
von der Höhe der Bezahlung zu geben, sei angeführt, daß in der<br />
Mitte des 17. Jahrhunderts die Besoldung eines jeverschen Bürgermeisters<br />
von 33 auf 50 Rt. erhöht wurde.<br />
Die besondere Stellung kam dadurch zum Ausdruck, daß sie ihren<br />
Gerichtsstand nicht vor dem Stadtgericht hatten, sondern der Gerichtsbarkeit<br />
des Hofes unterstanden. In der Regel waren sie Freimeister.<br />
Es hat den Anschein, daß sie später, als ihr Verhältnis zur Landesherrschaft<br />
loser wurde, mehr die Aufnahme ins Amt erstrebten. Oft<br />
fanden sich mehrere Bewerber, dann entschied das Können. So wurde<br />
Edo Jories Smidts 1740 Hofglaser, weil er bunte Glas- und Wappenfenster<br />
machen konnte.<br />
Über die einzelnen Personen berichten die vorliegenden Aufzeichnungen<br />
zahlreiche interessante Einzelheiten. Der Hofhufschmied war<br />
zugleich Pferdearzt. 1773 ernährte diese Tätigkeit ihren Mann nicht<br />
mehr, da in Jever keine Kavallerie mehr lag. Er setzte mit Hilfe der<br />
Regierung seine Aufnahme ins Amt durch. Der Fall war bezeichnend;<br />
Privatarbeit war nötig geworden. Um sie erfolgreich betreiben zu<br />
können, mußte er dem Amt angehören. Für den Hofschmied Conrad<br />
Christian Siebrand liegt eine Bestallung vom 10. Mai 1654 vor. Er<br />
stammte aus Aurich; es werden die Gerätschaften aufgeführt, die ihm<br />
geliefert werden. Beschädigungen daran hat er dem Bauschreiber zu<br />
melden. Er muß Pferde beschlagen und „kurieren" und auch Arbeiten<br />
an den herrschaftlichen Mühlen vornehmen. Es wird ihm besonders<br />
eingeschärft, nichts auszuplaudern, wenn er auf der Festung arbeitet.<br />
Privatbeschäftigung darf er nur mit Erlaubnis des Obristen annehmen.
Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 75<br />
1691 findet sich ein Hofschlosser, der zugleich Uhrmacher ist. Er wird<br />
in Arrest gesetzt und seine Wohnung mit Zwangseinquartierung von<br />
Soldaten belegt, weil er die Schloßuhr nicht ordentlich betreut hat.<br />
Der Hofschneider Gottfried Ostmeyer hat Streit mit dem Amte; er genießt<br />
aber den Schutz der Fürstin, die ihm sogar erlaubt, Gesellen zu<br />
halten.<br />
Vielfach kamen die Hofhandwerker von auswärts. Gerne stellte<br />
man Fremde an, wenn unter den Einheimischen eine tüchtige Kraft<br />
fehlte. So nahm man 1697 Christian Conrad Lescher als Hofsattler an<br />
und erließ ihm die Aufnahme ins Amt der Schuster, auf die er keinen<br />
W ert legte. Auch Conrad Wittmann kam 1704 aus Oldenburg. Bei ihm<br />
galt als besondere Empfehlung, daß Vater und Großvater schon denselben<br />
Beruf gehabt hatten. Dem Hofsattler Christoph Poepke kam es<br />
zu statten, daß er früher als Geselle bei dem Hofsattler Tobias Friese<br />
gearbeitet hatte.<br />
Von der besonders hohen Besoldung der Hofmaurermeister war<br />
schon die Rede; er erhielt aber außerdem noch Roggen, Torf und freie<br />
Wohnung, die er zwar selbst instandhalten mußte, für die ihm aber<br />
das Material kostenlos geliefert wurde (1674). Mit den Leistungen der<br />
Handwerker war man nicht immer zufrieden. Dem Hofmaurermeister<br />
Johann Paul Liesten sollten 50 Rt. an seinem Gehalt gekürzt werden,<br />
weil der Kirchengiebel eingesunken war, doch wurde die Durchführung<br />
der Strafe davon abhängig gemacht, wie die Reparatur des Schloßturms<br />
ausfiele (1730). Philipp Kirchmann hatte 1733 eine Zulage von<br />
10 Rt. erhalten. Die Regierung drohte sie ihm wieder zu entziehen, da<br />
ihm häufige Trunkenheit vorgeworfen wurde. Der Hofmaurermeister<br />
Bartholomäus Moser stammte aus Varel; er empfahl sich durch die<br />
Vorlegung sauberer Proberisse. Mit der Bestellung der Hofbäcker<br />
scheint man nicht immer glücklich verfahren zu sein; der erste, der<br />
1691 erwähnt wird, bittet flehentlich seine Entlassung zurückzunehmen,<br />
den Grund kennen wir nicht. 1713 verschwand der Hofbäcker Häuer<br />
aus Norden unter Hinterlassung von Schulden heimlich. 1793 wird<br />
Ulrich Friedrichs Hofbäcker, Aus einer Preistafel erfahren wir,<br />
welche Arten Gebäck er liefern konnte. Außer dem üblichen Brot<br />
hatte er Franz-Prinzen, geraspeltes und Zerbster Brot, ferner große<br />
und kleine Zerbster Kuchen, Semmeln, Kringel (gesalzene, gezuckerte,<br />
Kanel- und Butterkringel), Zucker- und Korinthenzwieback, Eiermann,<br />
Roggenkorinthenstücke und Nürnberger Kuchen.<br />
Der Hoftischler Peter Körninghen aus Zerbst war zugleich<br />
Zimmermann. Als er den Auftrag erhielt, Kirchengestühl zu verfertigen,<br />
bekam er 10 Rt. für Feuerung und für das Trocknen des Holzes
76<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
(1732). Sein Nachfolger Johann Niklas Vogeler stammte aus Arnstadt<br />
in Thüringen. Nach dem Tode des Mühlenmeisters Spannhoff wollte<br />
man ihm die Mühlenarbeit nicht übertragen, weil er keine Erfahrung<br />
darin hätte. Gute Zimmerermeister waren für die Regierung besonders<br />
wichtig, da sie die Mühlen instand zu halten hatten. Durch Tüchtigkeit<br />
zeichnete sich Jürgen Spannhoff aus, der selbst Müller war. Er duldete<br />
keine Durchstechereien bei den Mühlenrechnungen und wurde deshalb<br />
von den Müllern viel angefeindet.<br />
1. Hofbäcker:<br />
Übersicht über die Hofhandwerker1).<br />
1691 Iohann Bruhns, Kl. Rosmarienstr. 5<br />
vor 1713 Häuer (Norden)<br />
1730 Lübbe Stapelstein, Schloßstr. 3<br />
1768 Andreas Lammers<br />
1793 Ulrich Friedrichs, Wangerstr. 3<br />
2. Hofküper:<br />
vor 1616 Balthasar Kuper<br />
vor 1680 Cord von Bergen<br />
1680 Evert Koch Kuper<br />
vor 1733 Hinrich Joachims, Hofböttcher<br />
1733 Gerd Wessels<br />
1742 Folkert Andresen, Hofböttcher<br />
vor 1757 Tobias Toben, Hofküper<br />
1757 Johann Caspar Siefken, Hofböttcher<br />
1793 Christian Wichmann Siefken (Sohn des Vorigen), Amtsmeister<br />
3. Hofbuchbinder:<br />
1750 Christian von Holten, Kl. Burgstr. 3<br />
1760 Johann Friedrich Trendtel (heiratet die Witwe<br />
von Holten)<br />
1793 Johann Friedrich Trendtel (Sohn des Vorigen)<br />
Wangerstr. 1<br />
4. Hofbarbiere:<br />
1697 Johann Schröder, Hofbarbier, St. Annenstr. 3<br />
1747 Anton Heinrich Schröder, Hofchirurg<br />
1793 Bernhard Thümmel, Hofchirurg<br />
1) Die Wohnungen der Hofhandwerker sind nach den Hauslisten von<br />
Jev er festgestellt (Leihgabe des Verfassers im L .A .).
D as Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 7 7<br />
5. Hofglaser:<br />
vor 1728 Eylt Eylts<br />
1740 Edo Jories Smidts, Amtsmeister<br />
1758 Dirk Bleecker, Amtsmeister<br />
1793 Jürgen Jansen Blecker (Sohn des Vorig.), Amtsmeister,<br />
Wangerstr. 8.<br />
6. Hofgold -und Silberarbeiter:<br />
1669 Georg Große<br />
1706 Johann Christian Arpsen, Hofgoldschmied<br />
1742 Eduard Bleecker, Hofgoldschmied, Hopfenzaun 7<br />
7. Hofkupferschläger:<br />
------ Theis Schneider<br />
8. Hofmaurermeister:<br />
1674 Cornelius Peters Vorbrücke<br />
1706 Otto Kimmen<br />
1727 Johann Paul Liesten<br />
1730 Philipp Kirchmann<br />
1734 Johann Georg Zeilinger, Drostenstr. 3<br />
1755 Bartholomäus Moser<br />
1760 Ernst Ludwig Zeilinger, Drostenstr. 12<br />
9. Hofsattler:<br />
1697 Christian Conrad Leschen (Löscher)<br />
1704 Conrad Wittmann, Wangerstr. 10<br />
1721 Henrich Frey, Gr. Wasserpfortstr. 15<br />
1745 Tobias Friese, Gr. Wasserpfortstr. 21<br />
1762 Conrad Hinrich Helmerichs (Stiefsohn des Vorigen)<br />
1790 Bonn<br />
1793 Johann Joachim Christoph Poepke, Amtsmeister<br />
10. Hofschlosser:<br />
1691 Balzer Klenau, Kleinschmied und Uhrmacher, Krumme<br />
Ellbogenstr.<br />
1693 Tönnies Günther Dresche<br />
1696 Hans Heinrich Clasen<br />
1715 Christian Borchert Clasen (Sohn des Vorigen)<br />
1731 Conrad Bockelohe, Steinstr. 2 (s. u.)<br />
1749 Dietrich August Bockelohe (Sohn des Vorigen),<br />
Steinstr. 2<br />
1787 Johann Conrad Krieg, Amtsmeister<br />
1793 Wilhelm Conrad Hemken
78<br />
11. Hofschmiede:<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
1654 Conrad Christian Siebrand, Hofschmied, Pferdearzt<br />
vor 1721 Gerd Gerdes, Amtsmeister<br />
1731 Conrad Bockelohe, Grob- und Kleinschmied,<br />
Steinstr. 2 (s. o.)<br />
1731 Hans Joachim Baumeister, Hufschmied, Pferdearzt<br />
1769 Friedrich Wilhelm Bohlmann, Kur- und Hufschmied<br />
vor 1790 Garlich Popken<br />
1790 Johann August Leberecht Westphal, Fahnenschmied,<br />
St. Annenstr. 3<br />
1793 Dietrich August Popken<br />
12. Hofschneider1):<br />
1669 Gottfried Ostmeyer<br />
1791 Johann Georg Christian Funck<br />
13. Hoftischler:<br />
1732 Peter Körninghen (Zerbst)<br />
1733 Johann Niklas Vogeler, St. Annenstr. 13<br />
1794 Ernst Lichtenberg<br />
14. Hofzimmer-undMühlenmeister:<br />
------ Gerd Eylts (Quathamer)<br />
1653 Hans Kamper<br />
vor 1664 Franz Harmens<br />
1664 Dietrich Hinrichs (Emden)<br />
1667 Matthias Lübben (Dornum)<br />
vor 1722 Berend Essenius<br />
vor 1723 Jürgen Spannhoff, Am Wall 1, Amtsmeister<br />
vor 1798 Johann Hinrichs<br />
1798 Johann Gribbe, Drostenstr. 5<br />
15. Hofzinngießer:<br />
1745 Albrecht Tiarks, Wangerstr. 11.<br />
*) Fü r Hofschneider war zur Zeit Anton Günthers in Jever kein Bedarf,<br />
da einer von seinen Oldenburger Hofschneidern ihn bei seinen Reisen nach<br />
Jev er begleitete. (Vgl. Hofmeistertagebuch L.A. V 6, Vol. 1).
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg,<br />
1345— 1861.<br />
Von Dietrich Kohl.<br />
Der Schutz, den eine mit Mauern und Wällen befestigte Siedlung,<br />
mit eigenem Recht und Gericht, der Person, dem Eigentum und der<br />
Arbeit ihrer Bewohner gewährte, die Möglichkeit, innerhalb einer<br />
freien Genossenschaft durch Tüchtigkeit, Klugheit, Redegabe und<br />
Mut zu Wohlstand und führender Stellung in Zunft, Gemeinde und<br />
Rat aufzusteigen, ließen das Bürgerrecht einer mittelalterlichen Stadt<br />
als etwas sehr Erstrebenswertes erscheinen. Daher der dauernde Zustrom<br />
überschüssiger Kräfte des flachen Landes in die Städte, um der<br />
Hörigkeit, der Niedrigkeit und der endlosen vergeblichen Arbeit zu<br />
entrinnen.<br />
Die älteste niederdeutsche Bezeichnung für das städtische Bürgerrecht<br />
ist burscap (burschup). Ein neu Einkommender gewinnt<br />
die burscap, er wird „to borger unde to bure" angenommen, wie es in<br />
einer der ältesten Oldenburger Urkunden (1347) heißt1). Jünger ist<br />
borgerschap, borgerschup, während borgerrecht ursprünglich im Sinne<br />
von Bürgerpflicht oder von städtischen Satzungen überhaupt gebraucht<br />
wird. Wenn der Bürger als bur, d. h. Bauer, Ansiedler bezeichnet<br />
wird, so wird damit gesagt, daß für das Bürgerrecht die Ansässigkeit<br />
am Orte Vorbedingung ist. In Städten, die sich aus der mittelalterlichen<br />
Landgemeinde entwickelt haben, aus der Bauerschaft, sind"<br />
nach F. Philippi die ältesten Bürger die Vollerben der Bauerschaft<br />
gewesen2). Auch in Oldenburg dürfen wir die ältesten Bürger als<br />
Besitzer von Hausmannsstellen vermuten, spätere Einwanderer mußten<br />
sich dann von diesen oder von dem Grafen Hausplätze und anderen<br />
Grundbesitz in den damals üblichen Formen (Weichbildrecht, städtische<br />
Erbzinsleihe) abtreten lassen3). Gerade durch diese Zugewanderten,<br />
die wie noch heute oft die Köter auf dem Lande zur Vervoll<br />
1) Old. UB. (Oldenburgisches Urkundenbuch) I, 39.<br />
2) F. Philippi, Hans. Geschichtsblätter, Jahrg. 1889, S. 174— 177, desgl.<br />
Zur Verfassungsgeschichte der westf. Bischofsstädte, Osnabrück, Rackhorstsche<br />
Buchh. 1894, S. 40 ff.<br />
3) Vgl. meine Forschungen zur Verfassungsgesch. d. Stadt 0 . III, Jahrb.<br />
XII, namentl. S. 58 f., auch Philippi, Weichbild, Hans. Geschbl. Jahrg. 1895
80<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
ständigung ihrer Einkünfte eine gewerbliche Tätigkeit betrieben, ist<br />
dann die Entwicklung der Siedlung in städtischem Sinne gefördert<br />
worden. Aber noch im 18. Jahrhundert war selbst der reichste Kaufmann<br />
ohne ländlichen Besitz vor den Toren nicht denkbar. Noch<br />
immer war damals der Stadtbürger in gewissem Sinne auch Bauer.<br />
Der Sohn eines Bürgers wurde vollberechtigter Bürger, sobald er<br />
das Erbe seines Vaters antrat oder sich sonst einen eigenen Hausstand<br />
gründete. Die Tochter eines Bürgers wurde Bürgerin durch die<br />
Verheiratung mit einem Bürger der Stadt. Bürgerkinder erbten das<br />
Anrecht auf das Bürgerrecht, sie brauchten es, großjährig geworden,<br />
nicht zu kaufen, aber sie gelangten erst durch wirtschaftliche Selbständigkeit<br />
in den Vollbesitz aller bürgerlichen Rechte, freilich auch<br />
aller bürgerlichen Pflichten. Diese Bürger, die das Bürgerrecht von<br />
ihren Eltern ererbt hatten, wollen wir Altbürger nennen, selbst<br />
wenn der Vater das Bürgerrecht noch hatte durch Kauf gewinnen<br />
müssen. J e länger das Bürgerrecht in der Familie eines Altbürgers<br />
erblich war, desto angesehener war sie, zumal wenn sie mit kaufmännischer<br />
Tätigkeit größeren altererbten Grundbesitz verband. Aus<br />
diesen Kreisen gingen in der Regel die Ratsverwandten (Ratsmitglieder)<br />
hervor, doch ist es in Oldenburg — wie anscheinend in den<br />
meisten kleineren Städten — zur Bildung eines streng abgeschlossenen<br />
Patriziats nicht gekommen. Jedenfalls erhielten die alten Familien<br />
immer wieder frisches Blut durch die Neubürge r1).<br />
Dies waren Zugewanderte, die das Bürgerrecht „gewinnen“, d. h.<br />
kaufen mußten. Bei der Aufnahme als Bürger, die durch den Rat erfolgte,<br />
hatten sie ein Bürgergeld zu zahlen. Das Bremer Stadtrecht<br />
verlangte im Mittelalter 2 Mark ( = 1 Pf. Feinsilber) dafür, außerdem<br />
den Nachweis persönlicher Freiheit und im Zweifelsfalle die Stellung<br />
eines einheimischen Bürgers (später zweier Bürger) als Bürgen. Hatte<br />
der Neue jedoch schon Jahr und Tag (1 Jahr und 6 Wochen) unangefochten<br />
in der Stadt gewohnt, so galt seine Freiheit als erwiesen<br />
■und wurde gegen später erhobene Ansprüche von der Stadt geschützt2).<br />
1) Ein Bürger, der wenige Jahrzehnte nach der Erhebung Oldenburgs<br />
zur Stadt mit dem regierenden Bürgermeister des Jahres beim Biere in<br />
Streit geriet, bemerkte stolz, seine Vorfahren hätten Oldenburg mit gegründet,<br />
während ihm die Herkunft und die Verwandtschaft des Bürgermeisters<br />
unbekannt sei. Der Stolz des Alteingesessenen dem Zugewanderten<br />
gegenüber, obwohl dieser es doch schon zum Bürgermeister gebracht hatte,<br />
tritt hier offen zu Tage. Den kleinen bezeichnenden Vorfall überliefert eine<br />
Rechtsbelehrung des Brem er Rates. Old. UB. I, 199.<br />
2) Der Abt von Rastede fordert einen Oldenburger Bürger als seinen<br />
Leibeigenen zurück. Old. UB. I, 69, 2. Bl.
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 81<br />
In Oldenburg mußte der Rat auf Anordnung des Grafen seit<br />
15921) auch ein von der Obrigkeit des bisherigen Wohnsitzes ausgestelltes<br />
Herkunfts- und Leumundszeugnis mit einer<br />
Äußerung über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zuzüglers verlangen2).<br />
Man sollte wissen, ob er sich selbst ernähren könne und<br />
nicht alsbald der Armenpflege zur Last fallen werde, wie es vordem<br />
öfter vorgekommen war. Zugleich wurde damals dem Rate erlaubt,<br />
als Bürgergeld 10 Reichstaler zu erheben, früher waren es 2 bis 3<br />
Gulden gewesen. Die späteren Aufnahmeakten zeigen aber, daß man<br />
sich dabei doch sehr nach den Umständen richtete. Minderbemittelte<br />
zahlten weniger, Dienstboten und Frauen erhielten das Bürgerrecht<br />
oft geschenkt. Im Mittelalter nahm man gern jeden Tüchtigen auf,<br />
auch wenn er kein Vermögen mitbrachte. Im 17. und 18. Jahrhundert<br />
brachte es die unter dem Einflüsse der Zunftmonopole stehende Gewerbepolitik<br />
mit sich, daß man engherziger verfuhr. Nur gegen Vertreter<br />
von Gewerben, die in der Stadt noch nicht vorhanden waren,<br />
s o bei einem Strumpfwirker, Essigbrauer, Gerber, einem Holz- und<br />
Steinbildhauer, war man entgegenkommender, gewährte ein geringes<br />
Bürgergeld und befreite den neuen Bürger auf ein oder zwei Jah rzehnte<br />
von allen bürgerlichen Lasten. Aber noch 1802 wurde einem<br />
Einwanderer aus Hüllstede das Bürgerrecht nur gegen eine Bescheinigung,<br />
daß er in seiner Heimat keine Unterstützung aus Armenmitteln<br />
bezogen und sich wohlverhalten habe, gewährt und ein Kaufmann<br />
aus Esenshamm, der sich in Konkurs befand, abgewiesen. Die möglichste<br />
Fernhaltung Unbemittelter von der Einbürgerung hat noch<br />
lange einen hervorstechenden Zug des Niederlassungsrechtes gebildet.<br />
Der Neubürger mußte natürlich auch seine Ansässigkeit nach-<br />
weisen oder als Eingesessener bekannt sein. In der Regel hatte er<br />
ein Bürgerhaus ererbt oder gekauft. Ungern ließ man Leute zu, die zur<br />
Heuer wohnten, aber vom Bürgerrecht ausgeschlossen waren sie nicht.<br />
Seine volle Wirkung erhielt das Bürgerrecht — sowohl bei Alt-<br />
wie bei Neubürgern — erst durch die Leistung des Bürger eides,<br />
der in die Hand des sitzenden Bürgermeisters geschworen wurde.<br />
D er Bürgereid wurde in Oldenburg gleich nach Erteilung des Stadtrechts<br />
1345 eingeführt3). In einer etwas späteren Urkunde4) heißt es:<br />
*) M achtspruch des Grafen Johann, A rt. 13. Stadtarchiv, M agistrat,<br />
Urkunden.<br />
2) Das geschah in Bremen erst seit dem 17. Jahrhundert.<br />
3) Nach K. Reineke, Das bremische Bürgerrecht, Brem. Jahrb. 1929,<br />
S. 206, wurde der Bürgereid in Bremen erst 1365 nach bürgerlichen Unruhen<br />
eingeführt und lautete anders.<br />
4) Old. UB. 1,46.<br />
Oldenburger Jahrbuch 6
82<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
„Do unse heren uns ene eweghe vrygheyt gheven, der wi bruken<br />
scolen na der stat van Bremen, also unse breve hebben, dat was na<br />
Godes borth dusent jar drehundert jar an deme vyf unde vertyghesten<br />
jare, do wurden de ratman mit den wysesten borgheren des to rade,<br />
dat se nemende to borghere entfan wolden, he nesculde<br />
1 o v e n unde s v e r e n , dat he nudes unde nodes (in Nutz und Not)<br />
bi den ratmannen unde der menen (gemeinen) stath bliven sculde, dar<br />
malk (jegliches) reght wolde nemen unde gheven unde unse heren mit<br />
gansen truwen menen (lieben), alse wi an unsen breven hebben to<br />
um gheplyght (wie wir uns urkundlich ihnen gegenüber verpflichtet<br />
haben)." Gehorsam gegen den Rat, Unterwerfung unter die städtische<br />
Gerichtsbarkeit und Treue gegen den Landesherrn sind die nach<br />
diesem Eid übernommenen Verpflichtungen. In der Eidesformel des.<br />
18. Jahrhunderts wird besonders die Treue gegen den Landesherrn,<br />
daneben gegen Bürgermeister und Rat betont und das Gelöbnis ausgesprochen,<br />
sich an keinem Aufruhr zu beteiligen, von Umtrieben<br />
gegen die Obrigkeit, die zur Kenntnis des Schwörenden kommen, sofort<br />
Mitteilung zu machen und sich bescheiden und fromm zu verhalten.<br />
Der städtischen Gerichtsbarkeit wird darin keine besondere<br />
Erwähnung getan.<br />
Besondere Bürgerbriefe wurden anfangs nicht ausgestellt. Im<br />
18. Jahrhundert dienten dazu die vom Syndikus mit einem Vermerk<br />
versehenen gedruckten Eidesformeln. Bei Aufgabe des Bürgerrechts<br />
mußten sie an die Stadt zurückgegeben werden. Eigentliche Bürgerbriefe,<br />
aber nur für die gewerblich tätigen Bürger, wurden erst 1833<br />
eingeführt. Dagegen wurden die neu aufgenommenen Bürger im Mittelalter<br />
in das älteste Stadtbuch, das außer dem bremischen Stadtrecht<br />
auch Oldenburger Statuten, Eidesformeln und dergleichen enthielt,<br />
eingetragen. Lückenlos sind diese Verzeichnisse nicht. Aus dem<br />
16. Jahrhundert sind nur zwei vorhanden. Im 17. Jahrhundert erscheinen<br />
die Neubürger zunächst in einzelnen Kämmererbüchern, von<br />
1648 an aber regelmäßig bis 1786 in den Gerichtsprotokollbüchern des<br />
Magistrats. Daneben beginnt 1740 ein Bürgerbuch, das alle vom<br />
Magistrat vereidigten Bürger, auch die in den anderen Listen<br />
nicht verzeichneten Bürgersöhne, nach dem Datum ihrer Vereidigung<br />
aufführt, um danach die Reihenfolge der ein halbes Jah r<br />
lang zur wöchentlichen Armensammlung verpflichteten jüngsten Bürger<br />
bestimmen zu können. Dieses Bürger e i d buch, das für die heutige<br />
Familienforschung großen Wert besitzt, reicht bis 18531).<br />
l) Um 1828— 61 wurde ein besonderes Aufnahme-Protokollbuch durch-<br />
geführt
Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 83<br />
Ohne Bürgerrecht konnte man in der Stadt nicht zu Wohlstand<br />
und Ansehen gelangen. In Bremen wurde im 18. Jahrhundert das<br />
Bürgerrecht sogar nach den Erwerbsmöglichkeiten abgestuft. Das<br />
höchste Bürgergeld zahlte die Kaufmannschaft.<br />
Es war möglich in der Stadt zu wohnen, ohne Bürger zu sein.<br />
So gab es in Oldenburg, wie wir später sehen werden, viele Personen<br />
adeligen oder kirchlichen, später auch militärischen Standes, die nicht<br />
Bürger waren. Auch Knechte, Gesellen, Tagelöhner, Dienstmägde<br />
wurden ohne Bürgerrecht zugelassen. In gewissen Fällen aber trat<br />
ein Zwang ein, das Bürgerrecht zu erwerben. Vor allem war der<br />
Betrieb eines bürgerlichen Gewerbes — Handwerk<br />
oder Kaufmannschaft — davon abhängig. In den Satzungen der Zünfte<br />
war das Bürgerrecht eine der Vorbedingungen für die Aufnahme in<br />
die Zunft, aber auch die sogenannten Freimeister und die nicht zünf-<br />
tisch zusammengeschlossenen Handwerker und Kaufleute mußten es<br />
nach Stadtrecht gewonnen haben, bevor sie „bürgerliche Nahrung“<br />
treiben durften. Darauf wurde von den beteiligten Gewerbegenossen<br />
am strengsten geachtet, falls die Obrigkeit sich etwa darin lässig<br />
zeigte, um das Entstehen einer Konkurrenz, die ohne bürgerliche<br />
Lasten, also mit geringeren Kosten arbeitete, zu verhüten. Dahin gehören<br />
die im 17. und 18. Jahrhundert sehr häufigen Beschwerden über<br />
frühere landesherrliche Militärpersonen, die ohne Bürgergeld gezahlt<br />
zu haben und bürgerliche Beschwerden zu tragen, als Schuster, Schneider<br />
usw. sich ihr Brot zu verdienen suchten. Konnte man die „Schwarzarbeit"<br />
aktiver Soldaten nicht ganz hindern, so durfte man bei den<br />
entlassenen nach Stadtrecht verfahren: sie wurden angewiesen, das<br />
Bürgerrecht zu erwerben oder, falls sie ihre gewerbliche Tätigkeit<br />
nicht einstellten, die Stadt zu räumen.<br />
Auch das in der Stadt durch die Bürger erworbene Vermögen<br />
suchte man durch gesetzliche Bestimmungen vor dem Anfall an Nichtbürger<br />
zu schützen. Eins der ältesten Oldenburger Statuten verbietet<br />
um 1350 Auswärtigen, ein ihnen durch Erbschaft zugefallenes olden-<br />
burgisches Bürgererbe ohne Erwerb des Bürgerrechts anzutreten,<br />
falls sie es nicht vorziehen, das Erbe in Bürgerhand zu verkaufen.<br />
Auch sollen fremde Männer und Frauen, die Oldenburger Bürgerinnen<br />
bzw. Bürger mit Bürgererbe heiraten, das oldenburgische Bürgerrecht<br />
gewinnen1). Noch im 18. Jahrhundert hielt man streng auf diese<br />
Bestimmungen. Als 1724 der Ältermann Robbers und sein Sohn, die<br />
beide auswärtige Frauen genommen hatten, sich weigerten, für diese<br />
i) Old. UB. 1,45.<br />
6*
8 4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
das verlangte Bürgergeld (10 Rtl.) zu zahlen, setzte der Magistrat es<br />
durch, daß ihre Beschwerde von der Oberbehörde abgewiesen wurde<br />
und er sie durch Pfändung eines silbernen Bechers zur Zahlung zwingen<br />
durfte, wobei er sich allerdings nicht auf das alte Oldenburger Statut,<br />
sondern auf das Bremer Stadtrecht von 1433 berufen hatte, das mit<br />
der Krefftingschen Bearbeitung des Bremer Stadtrechts seinen Einzug<br />
auch in Oldenburg gehalten. W ar er sonst geneigt, zuziehenden Frauen<br />
das Bürgerrecht zu schenken, so hatte er es diesmal bei „dem stadtkundigen<br />
Reichtum" der beiden Robbers nicht für angebracht gehalten1) .<br />
W ar im allgemeinen die Ansässigkeit in der Stadt Oldenburg<br />
selbst, im Amtsbezirk des städtischen Ratskollegiums und Gerichts,<br />
Vorschrift für die Zulassung zum Bürgerrecht, so fanden doch davon<br />
manche Ausnahmen statt. Auch hier gab es die Einrichtung des<br />
Ausbürger - oder Pfahlbürgertums.<br />
Eine ganz allgemeine Erscheinung ist es im Mittelalter, daß die<br />
Städte mit benachbarten Edelleuten Ausbürgerverträge schließen.<br />
Ein solcher Fall ist von Oldenburg nur einmal bekannt, wird aber in<br />
einer sehr ausführlichen Urkunde behandelt und stammt gerade aus<br />
der Zeit, als Oldenburg soeben erst sein Stadtrecht erhalten hatte.<br />
Die beiden Knappen H i n r i c h von Bardenfleth und sein Sohn<br />
Arnold, ritterliche Dienstleute der Grafen von Oldenburg, auch<br />
aus anderen Urkunden der Zeit bekannt2), geloben am 18. März<br />
13473), der Stadt Oldenburg, weil sie von ihr „to borger und to bure“<br />
aufgenommen seien, in all ihren Streitigkeiten beizustehen. Ausgenommen<br />
sind Streitigkeiten mit den Grafen; gegen diese können<br />
sie ihr höchstens als Fürbitter helfen. Verbrechen aber ihre eigenen<br />
Geschlechtsgenossen (mage unde vrund) etwas gegen die Stadt, so<br />
halten sie diesen nicht etwa, wie es sonst die Pflicht der Sippengenossen<br />
ist, die Stange, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen,<br />
sondern versuchen in den nächsten 14 Tagen vereint mit den Ratmannen<br />
den Streit schiedsgerichtlich durch Vergleich oder<br />
nach Stadtrecht zu schlichten. Erkennen die Verwandten den Schiedsspruch<br />
nicht an, so tritt eine weitere Frist von 4 Wochen ein, innerhalb<br />
derer die Sache vor den Grafen zu verhandeln ist. Unterwerfen<br />
sich jene auch dem gräflichen Spruche nicht, sosagensich<br />
die Herren von Bardenfleth von ihrer Sippe los<br />
und helfen der Stadt gegen diese, bis die Bürger volle<br />
Genugtuung erhalten haben. Begehen die Sippenleute einen Tot<br />
*) Vgl. auch Corp. Const. Oldenb., Suppl. I, 6, Nr. 15.<br />
2) Z .B . Old. UB. IV, 680 (1345), 708 (1352).<br />
3) Old. UB. 1 ,39.
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 8 5<br />
schlag auf der Straße, so verfallen sie dem Stadtgericht. Kommt es<br />
nur zu einer Verwundung und gelingt es den Adeligen, in ihre Wohnung<br />
zu flüchten, so dürfen sie innerhalb der sechswöchigen Gesamtfrist<br />
für die Schlichtung die Straße nur mit Erlaubnis des Rates betreten1),<br />
erhalten also Hausarrest.<br />
Welche Vorteile beiden Bardenfleths aus ihrem Bürgerrecht erwachsen<br />
konnten, ist nicht recht ersichtlich, falls sie nicht eine Geldsumme<br />
erhalten haben. Ein bürgerliches Gewerbe konnten sie als<br />
Ritter nicht treiben. Aber auch der Stadt boten solche Verträge nicht<br />
viel, wenn die Grafen als Gegner ausgenommen wurden, und gegen<br />
die gräflichen Burgmannen fand sie bei den gemeinsamen Herren<br />
immer noch den besten Schutz. Wurde ihr aber dieser versagt, so<br />
konnten ihr einzelne Ritter auch nicht viel nützen. So waren denn<br />
bei den Gewalttaten des Grafen Konrad II. und seiner Dienstleute2)<br />
auch mehrere Bardenfleths beteiligt, obwohl Hinrich und Arnold 1347<br />
auch für ihre Nachkommen gutgesagt hatten.<br />
In sehr großem Umfange wurde das Ausbürgerrecht dagegen von<br />
bürgerlichen Personen im Laufe der Jahrhunderte in Anspruch<br />
genommen. Außerhalb des städtischen Jurisdiktionsbezirks bildeten<br />
sich nach und nach zwei vorstädtische Ansiedlungen: 1, auf dem<br />
Stau am Hafen, 2. südlich von der Haaren (heute Hausbäke) an der<br />
Mühlenstraße und am Damm. Zwar unterstanden diese beide dem<br />
gräflichen Hausvogt, aber schon früh scheinen auch Stadtbürger sich<br />
dort niedergelassen zu haben. Am Stau wird schon 1383 ein der Stadt<br />
gehöriger Hausplatz erwähnt, den die Ratmannen gegen einen Wurt-<br />
zins dem Knappen Klauenbeck überlassen, der aber bei einem W eiterverkauf<br />
nur in Bürgerhände kommen darf. 1502 standen hier bereits<br />
21 Häuser, die wegen des Hafenbetriebs wohl meist in bürgerlicher<br />
Hand waren (nur 3 zahlten Wurtzins an den Grafen). An der Mühlenstraße<br />
und auf den Dämmen (innerer Damm, heute Schloßplatz, mittlerer<br />
und äußerer Damm, heute Damm) in der Nähe des Schlosses<br />
siedelten sich die Grafenleute an. Schon 1360 werden Häuser am<br />
mittleren Damm genannt, aber erst um 1500 wurde der innere Damm<br />
erst recht ausgebaut (in 2 Häuserreihen), von 1502 bis 1513 vermehrte<br />
1) Auch in der Stadtrechtsurkunde von 1345 (Old. UB. I, 34) wird in<br />
A rt. 8 das persönliche Gericht der Grafen als Instanz für Streitigkeiten zwischen<br />
den Burgmannen und der Stadt bezeichnet. Es soll innerhalb 6 Wochen<br />
einen Vergleich versuchen; gelingt dieses nicht, so soll das Stadtrecht gelten.<br />
Bei Totschlag und Verwundungen innerhalb des Bezirks, in dem der Stadtfrieden<br />
gilt, darf der Rat die T äter sogar bis in die sonst immunen W ohnungen<br />
der Ritter verfolgen.<br />
2) Old. UB. I, 69 (das richtige Jah r ist doch 1373, nicht 1383).
86<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
sich die Häuserzahl um 48. Obwohl Graf Johann V. hier eine privilegierte<br />
Handwerkerinnung gründete, gibt es zur Zeit des Grafen<br />
Anton Günther auch Stadtbürger, die aus der Stadt auf den Damm<br />
gezogen sind und zur Erhaltung ihres Bürgerrechts eine Abgabe an<br />
die Stadt zahlen (3, später 6 Grote). Der große Brand von 1676 hatte<br />
zur Folge, daß sehr viele Bürger ihre Wohnstätten aus der Stadt vor<br />
die Tore verlegten, um sich den bürgerlichen Lasten zu entziehen.<br />
Dies führte zwar 1680 zur Vereinigung des inneren Dammes und der<br />
Mühlenstraße mit der Stadt, so daß das dortige Ausbürgertum aufhörte,<br />
aber von den übrigen Toren kehrten die Ausgewanderten trotz<br />
zahlreicher Verordnungen meist nicht wieder zurück.<br />
Ausgewanderte Oldenburger Bürger, die zur Erhaltung ihres<br />
Bürgerrechts ein Jahrgeld zahlten, finden sich im 17. Jahrhundert vielfach<br />
auch in anderen oldenburgischen oder auswärtigen Orten. Das<br />
geschah namentlich aus erbrechtlichen Gründen. Näheres wird später<br />
beim Abzugsrecht darüber zu sagen sein.<br />
Eine neue Art von Ausbürgern bildete sich dadurch, das auswärtige<br />
Schiffer und Hausierer das Bürgerrecht der Stadt<br />
Oldenburg erwarben, um unter seinem Schutze ihrem Gewerbe nachzugehen.<br />
In Zeiten großer Kriege, in denen die Grafschaft Oldenburg zu<br />
den neutralen Ländern gehörte, suchten fremde Schiffer um das<br />
Bürgerrecht der Stadt Oldenburg nach, um, mit einem oldenburgischen<br />
Seepaß ausgestattet, unter neutraler Flagge fahren zu können.<br />
Dies geschah schon unter Graf Anton Günther während des Dreißigjährigen<br />
Krieges, ferner wiederholt unter der Herrschaft der dänischen<br />
Krone, die als größere Seemacht ihrer Flagge Schutz zu verleihen<br />
imstande war, während der Raubkriege Ludwigs XIV., des Siebenjährigen<br />
Krieges und unter den Gottorper Herzögen noch während der<br />
Koalitionskriege1). Diese Schiffer, in Emden, Vegesack oder sonstwo<br />
wohnhaft, versprachen bei der Zahlung des Bürgergeldes und<br />
dem Empfang des Bürgerbriefes, mit ihrer Familie nach Oldenburg<br />
zu ziehen, und verpflichteten sich einstweilen zur jährlichen Zahlung<br />
einer festen Summe als Entgelt für die von ihnen nicht geleisteten<br />
bürgerlichen Abgaben und Dienste, wofür sie einen Oldenburger als<br />
Bürgen stellen mußten. Die Begründung eines eigenen Hausstandes<br />
durch den Schiffer in Oldenburg unterblieb, aber indem das Bürgergeld<br />
in die Ratskasse, das Ablösungsgeld in die Serviskasse floß,<br />
diente dieser Handel mit dem Bürgerrecht der Befruchtung der städti-<br />
Kohl, M aterialien z u r Geschichte d e r O ld en burg. Seeschiffahrt. 0 1 4<br />
Jahrb. XVI (1908).
Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 87<br />
sehen Finanzen und wurde nicht bemängelt, zumal die einheimischen<br />
Schiffer nicht schlechter gestellt wurden als die fremden. Ein Widerspruch<br />
aus der Bürgerschaft erfolgte erst, als sich auch auswärtige<br />
Geschäftsleute dieses Vorteils zu bemächtigen suchten. So erwarb<br />
1753 ein Weißgerber in Elsfleth das Oldenburger Bürgerrecht auf dem<br />
Fuß der „Schifferbürger", allerdings unter gleichzeitiger Aufnahme<br />
ins Weißgerberamt. Dasselbe taten 6 Handelsleute aus der Grafschaft<br />
Lingen, sog. Packenträger, die mit „Ellenwaren" auf dem<br />
Lande von Haus zu Haus zogen. Als 1755 ein Woll- und Honighändler<br />
in Dingstede um das Bürgerrecht nachsuchte, mit der Erlaubnis, in<br />
Dingstede bleiben zu dürfen, erklärten sich bereits die Älterleute in<br />
einem Gutachten unter Berufung auf die Privilegierung der Städte<br />
Oldenburg und Delmenhorst durch königliche Verordnungen von<br />
1699, 1700 und 1705 dagegen, weil der Dingsteder im sogen, verbotenen<br />
Distrikt (Bannmeile, 3 Meilen nach der Geest-, 2 Meilen nach der<br />
Marschseite) wohne, auch der Landhandel den Stadthandel schon<br />
empfindlich schädige und die Einnahme des Bürgergeldes und des<br />
Ablösungsgeldes nur ein scheinbarer Vorteil sei. Wirksamer war das<br />
Vorgehen der privilegierten Kramersozietät im Jahre 1758 gegen die<br />
Landhandelsleute. Ihre Beschwerde gelangte sogar nach Kopenhagen<br />
und bewirkte dort beim Minister Bernstorff ein scharfes Rückschreiben,<br />
worin bemerkt wurde, daß zwar der Erteilung des Bürgerrechts an<br />
Fremde nichts im Wege stehe, daß es sich aber dabei nicht um solche<br />
handeln dürfe, die ihren Hauptwohnsitz anderswo hätten und in Oldenburg<br />
nur der Form nach Feuer und Herd hielten, um dadurch der<br />
Vorrechte der dortigen Bürger teilhaftig zu werden, ohne an deren<br />
Steuern und Lasten teilzunehmen. Auf Erfordern legte der Magistrat<br />
eine Liste der augenblicklich mit solchem Bürgerrecht beliehenen<br />
Personen vor: es waren 7 Handelsleute und 9 Schiffer. Darauf wurde<br />
1759 zunächst die weitere Verleihung des Bürgerrechts an Fremde,<br />
die sich nicht häuslich in der Stadt niederließen, gänzlich verboten<br />
und dem Magistrat aufgegeben, den genannten 16 Personen das Bürgerrecht<br />
sofort zu kündigen. Auf weitere Vorstellungen wurde das<br />
Verbot auf die Hausierer beschränkt, die Aufnahme von Schiffern<br />
aber, die in königlichen Gebieten Handel und Schiffahrt auf Rechnung<br />
königlicher Untertanen trieben, auch fernerhin zugelassen. In<br />
einer landesherrlichen Verordnung von 1782 wegen des von den nordischen<br />
Seemächten der oldenburgischen Flagge verliehenen Schutzes<br />
wurde diese Bedingung von neuem eingeschärft und in den neunziger<br />
Jahren weisen die Schiffer bei Entnahme des Bürgerrechts den Besitz<br />
oder Ankauf eines Hauses in der Stadt nach. Die Akten enthalten
88<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
denn auch weiterhin zahlreiche Verleihungen des Bürgerrechts an<br />
Schiffer. Aber auch die westfälischen Hausierer wußten sich zu behaupten.<br />
Zwar wurde ihnen vom Magistrat eröffnet, daß sie ihre<br />
Bürgerbriefe zurückgeben müßten und nicht mehr in den Grafschaften<br />
hausieren dürften, auch erhielten sie von der oldenburgischen Kammer<br />
auf eine Eingabe denselben Bescheid, aber zugleich wurde bemerkt,<br />
wenn der eine oder andere irgendwo im hiesigen Territorium<br />
eine Wohnung nehmen würde und darüber eine Bescheinigung des<br />
örtlichen Beamten beibringen könne, so solle weiterer Bescheid erfolgen.<br />
Vier von ihnen haben sich dann in Ovelgönne eingeheuert<br />
und der Kammer ihre Verträge vorgelegt. Neben den Kurzwaren-<br />
händlern aus der Grafschaft Lingen traten späterhin in Oldenburg<br />
zeitweise Steinguthändler aus Westfalen und Uhrenhändler aus dem<br />
Schwarzwalde auf, aber die Kammer, die ihnen die Pässe ausstellt,<br />
achtet jetzt darauf, daß diese Händler in der Stadt wenigstens eine<br />
Wohnung mieten.<br />
Als eine Auswirkung der Kontinentalsperre, die den Landhandel<br />
begünstigte und einen Teil des Handels zwischen Bremen und Holland<br />
über Oldenburg lenkte, ist es wohl anzusehen, wenn gegen Ende des<br />
ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert Fuhrleute und Speditionshändler<br />
zu erleichterten Bedingungen das Bürgerrecht erhielten.<br />
Im übrigen wurden aber noch oft in der Bürgerrechtsfrage die<br />
alten Vorschriften in alter Schärfe zur Anwendung gebracht. Ein<br />
Einwanderer aus Lesum mußte 1805 ein Zeugnis vorlegen, daß er sich<br />
dort zur Zufriedenheit betragen, daß keine Schuldklage gegen ihn<br />
erhoben und nichts von seinen Sachen gerichtlich gepfändet worden<br />
sei. Ein entlassener Musketier, der ein Bürgerhaus besaß, aber sich<br />
weigerte, das Bürgerrecht zu erwerben, wurde 1807 aufgefordert, sein<br />
Haus zu verkaufen und die Stadt zu räumen oder sich nur als Tagelöhner<br />
zu ernähren. Hier zeigt sich noch der mittelalterliche Standpunkt:<br />
wer sich durch ein geachtetes bürgerliches Gewerbe — als<br />
selbständiger Kaufmann oder Handwerker — ernähren wollte, mußte<br />
das Bürgerrecht erwerben u n d ein Haus besitzen. Eins allein reichte<br />
nicht aus.<br />
W ar die Aufnahme als Bürger an gewisse Bedingungen gebunden,<br />
so war auch das Ausscheiden aus dem Bürgerverbande mit Umständen,<br />
teilweise auch mit großen Nachteilen verknüpft. Wenn eia<br />
Bürger seinen dauernden Wohnsitz nach einem anderen Orte verlegen<br />
wollte und dies dem Rate anzeigte, brauchte er nur Haus- und<br />
Grundbesitz in Oldenburg an einen anderen Bürger oder an die Stadt
Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 89<br />
zu verkaufen. Damit waren dann die gegenseitigen Verpflichtungen<br />
zwischen ihm und der Stadt erloschen. Zog er aber ohne Kündigung<br />
fort, so verfiel der dritte Teil seines Vermögens der Stadt. „Wo eyner<br />
borger is unde uth unsser stadt an anderen ordere tho wonnende tucht<br />
unde syne sulvest wonninge unde rauche buthen upsleith unde syne<br />
gudere, ede unde burgerschup tovoren nicht upensacht,<br />
deme syne gude nicht u n s a 1 z o dhan vorkopet, szo is de d r u d d e<br />
parthe des gudes an unsser stadt vorfallen na<br />
unsser stadt rech t“, heißt es in einem Briefe, womit der Rat im<br />
Anfänge des 16. Jahrhunderts einen auswärtigen Einspruch beantwortete1).<br />
Dies ist das stadtoldenburgische Abzugsrecht, das<br />
vor der Auffindung jenes Briefes nur aus späteren Quellen bekannt<br />
war. In dem ältesten Oldenburger Stadtbuch, das neben dem bremischen<br />
Stadtrecht auch viele Oldenburger Statuten aus dem 14. und<br />
15. Jahrhundert enthält, findet es sich nirgends, selbst da nicht, wohin<br />
es gehört hätte, in einer Oldenburger Satzung über den Verlust des<br />
Bürgerrechts durch Wegzug: „Wellich borghere, dede ys buthen der<br />
stadt yar unde dach ane orlef des rades unde vulbort unde heft eghe-<br />
nen rok, den scholen de radmanne nicht vor enen borghere vor-<br />
deghinghen (schützen, eintreten für). Were ok, dat en borghere de bur-<br />
schup upzeghede, den schal men ok nicht vordeghedinghen vor enen<br />
borghere.2)" Hier hätte man die Erwähnung des Abzugsrechtes hinter<br />
dem ersten Satze erwarten dürfen. Auch in den von Oelrichs mitgeteilten<br />
Bremer Gesetzbüchern von 1428, 1450 und 1489 ist keine<br />
derartige Bestimmung kodifiziert.<br />
Aus den angeführten Sätzen des Stadtrechts ist aber zu erkennen,<br />
daß dem ausgewanderten Bürger, falls er das Bürgerrecht nicht gekündigt<br />
hatte, noch eine Frist von Jahr und Tag (1 Jah r und 6 Wochen)<br />
verblieb, bevor ihm das Bürgerrecht entzogen wurde. Erst<br />
dann konnte auch das Abzugsrecht in Kraft treten.<br />
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird das Abzugsrecht bei Verhandlungen<br />
zwischen dem Grafen und der Stadt Oldenburg (1591/92)<br />
als „alter Gebrauch" erwähnt. 1574 haben Bürgermeister und Rat<br />
in einem Erbfall auch den dritten Teil eingezogen, weil „der Erbe<br />
kein Bürger gewest". Wir erfahren aus Eintragungen in zwei<br />
„Bücher des Bürgergeldes" (1607— 1646), daß es außerhalb der Stadt<br />
wohnende Bürger gibt, die durch Zahlung eines geringen Jahrgeldes<br />
1) Old. UB. I, 385. Das Schreiben ist von mir 1903 bei der Ordnung des<br />
Stadtarchivs aufgefunden.<br />
2) Oldenb. Stadtbuch, Pergamenthandschr., S. 19, Sp. 1/2, Oelrichs, Gesetzbücher<br />
der Stadt Bremen 1771, S. 824.
90<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
sich vor den Folgen des Abzugsrechtes schützen dürfen und deswegen<br />
in diese Bücher nebst den von ihnen geleisteten Zahlungen eingetragen<br />
sind. Wenn Mann u n d Frau zahlen, behalten sogar ihre Erben<br />
das Bürgerrecht, nur müssen sie, sobald sie selbst haushalten, auch<br />
ihrerseits das Jahrgeld (einen Doppelschilling, von 1625 an 12 Grote)<br />
entrichten. Hier handelt es sich um Bürger, die „mit Urlaub" des<br />
Rates auswärts wohnen und die in Oldenburg nicht geleisteten bürgerlichen<br />
Dienste und Abgaben mit einem Jahresbeitrag abgelten. Der<br />
Hauptzweck dieser „Konservierung“ des Bürgerrechts für die meist<br />
durch Verheiratung nach auswärts gekommenen Bürger war, bei Anfall<br />
von Erbgut aus der Stadt den Abzug des dritten Teils, der in<br />
diesem Falle eine empfindliche Erbschaftssteuer darstellte, zu vermeiden.<br />
Einnahmen aus solchen Erbschaftsfällen, bei denen die B ewahrung<br />
des Bürgerrechts der Erbberechtigten versäumt worden war,<br />
sind in den Stadtrechnungen des 17. Jahrhunderts vorkommenden-<br />
falls verzeichnet. So heißt es in der Stadtrechnung von 1670, S. 17:<br />
„Säligen Alcke Mühlen Erben, weiln sie das Bürgerrecht<br />
nicht gehabt, geben an stadt des 3ten pfennings zue abzugsgeld<br />
40 Rth.“ Noch 1693 entrichten des verstorbenen Oltmann Berne Kinder<br />
8 Rt., der Pastor Ummius in Jeverland wegen seiner verstorbenen<br />
Ehefrau, Tochter Diedrich Schröders, 50 Rt. — Beträge die, wie der<br />
erstgenannte, an Stelle des ziemlich hohen Drittels „veraccordirt“<br />
waren.<br />
Auf dem Lande in der engeren Grafschaft Oldenburg wurde<br />
noch unter Graf Anton Günther kein solches Abzugsgeld vom Gesamtvermögen<br />
erhoben, wohl aber in der bis 1667 selbständigen H errschaft<br />
Delmenhorst, im Stedingerlande und Land Würden, z. B. in<br />
Delmenhorst 1640 von einer Erbschaft von 1050 Rt. der dritte Teil<br />
mit 350 R t.1) Nur der Abzug von Heergewetten und Geraden war<br />
überall bekannt.<br />
Im Jahre 1694 trat nun in der Stadt Oldenburg eine wesentliche<br />
Änderung ein. Die dänische Regierung, die wie die Akten erweisen,<br />
über den Sinn des Abzugsrechts ziemlich im unklaren war, schaffte<br />
die Sitte, d a ß nach auswärts gezogene Bürger sich<br />
das Bürgerrecht durch Zahlung weniger Grote Vorbehalten<br />
könnten, nur um sich in Erbschaftsfällen das Abzugsgeld<br />
zu ersparen, als Mißbrauch ab und verordhete, daß das Ab<br />
M L.A. A a. Grafsch. O. Tit. X X X III, Aa. betr. die in den Grafsch. Oldenburg<br />
und Delmenhorst zu erhebenden Abzugsgelder 1612— 1761. Vgl. auch Aa.<br />
generalia wegen der Abzugsgelder in d. Grafsch. Oldenburg und Delmenhorst<br />
1655— 1776. S. Berichte von 1655 und 1695.<br />
U «3c*1b!1*tfceh<br />
Oldenburg i. O.
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 91<br />
zugsgeld fortan sofort bei der Übersiedelung eines Bürgers<br />
nach auswärts und sonst bei jedem Anfall städtischen<br />
Erbguts an Fremde erhoben werden solle1). Merkwürdigerweise<br />
wurde dabei als bisher einbehaltener Betrag nicht der 3.,<br />
sondern der 10. Pfennig genannt, der denn auch weiterhin erhoben<br />
werden sollte. Tatsächlich wird denn auch von 1695 an in den<br />
Stadtrechnungen nicht mehr Vs, sondern ’/to als Abzugsgeld gebucht,<br />
und zwar wird es nun nicht mehr nur in Fällen versessenen<br />
Bürgerrechts, sondern bei jedem Fortzug, bei jeder an einen Nicht-<br />
bürger der Stadt fallenden Erbschaft erhoben.<br />
Da die Abzugsgelder sich nun nicht mehr auf seltene Fälle beschränken,<br />
sondern häufiger auf treten und im Laufe des Jahres mehr<br />
einbringen als früher, so ist es erklärlich, daß die Stadt weder gegen<br />
die Abschaffung des jährlichen Bürgergeldes Auswärtiger, noch gegen<br />
die Herabsetzung des Abzugsanteils Einspruch erhoben hat.<br />
Die neue Bestimmung traf den einzelnen aber insofern strenger,<br />
als er dem Vermögensabzug, falls er aus der Stadt auszog, nun nicht<br />
mehr durch Zahlung eines geringen jährlichen „Bürgergeldes" entgehen<br />
konnte. Die Akten über die Behandlung der Einzelfälle lassen<br />
erkennen, welche Umstände den auswandernden Bürgern oder den<br />
auswärtigen Erben verstorbener Bürger dabei erwuchsen. Dem Stadtmagistrat<br />
mußten beeidigte ausführliche Sachverzeichnisse vorgelegt<br />
werden, aber bei der Art der damaligen Kapitalsanlage (Ausleihen<br />
in kleinen Posten an zahllose, oft unsichere Schuldner) waren Meinungsverschiedenheiten<br />
über die Einschätzung der Vermögensteile<br />
unvermeidlich und eine „Veraccordirung" der Abzugsbeträge daher<br />
häufig. Auch wurde das bewegliche Vermögen sofort, das unbewegliche<br />
aber erst beim Verkaufe besteuert, was zu vielen Verschleppungen<br />
Anlaß gab. Endlich mußte der Abzug vom Heergewette und<br />
der Weibergerade (Erbstücken, die vorweg an die nächsten männlichen,<br />
bzw. weiblichen Personen fielen) besonders behandelt werden.<br />
Die dänische Regierung, die in der Eröffnung neuer Einnahmequellen<br />
sehr geschickt war, hat übrigens den 10. Pfennig Abzugsgeld<br />
damals auch für die ganze Grafschaft Oldenburg eingeführt. Als 1715<br />
ein oldenburgischer Kammerrat wegen der „Decimation oder Abzugsgelder“<br />
bei der Königlichen Kammer in Kopenhagen anfragte, erhielt<br />
er zur Antwort, daß sich eine besondere Verordnung im Kammerarchiv<br />
zwar nicht finde, daß aber solches eine v o n alters her<br />
1) Verordnung weg. Übertragung der Kriminaljurisdiktion an die Stadt<br />
Oldenburg v. 14. Ju li 1694. C.C.O. 6. 41. 83.
92<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
gebrachte Hoheit und Gerechtigkeit sei, die jederzeit<br />
von den hohen Herrschaften exercieret worden, auch in den<br />
gemeinen Rechten (dem Römischen Recht), gegründet sei und<br />
sich auf alle aus dem Lande gehende Güter: Aussteuern, Brautwagen,<br />
dotale Gelder (Vermächtnisse) sowohl von adeligen als bürgerlichen<br />
und Bauernstandspersonen, so außerhalb des Landes verheiratet würden,<br />
oder bei anderer Gelegenheit von Erbschaften usw. erstrecke.<br />
In der Grafschaft Oldenburg sei der 10., in Delmenhorst und Land<br />
Würden der 5. Pfennig zu berechnen, wie die bisherigen Rechnungen<br />
ergäben1). 1746 wurde der Abzugspfennig in den königlichen deutschen<br />
Provinzen durch eine allgemeine Verordnung „reguliert". Die<br />
Städte durften den Abzug nur von Gütern, die unter ihrer Jurisdiktion<br />
lagen, erheben und die Einnahmen daraus nur zum Besten<br />
der ganzen Stadt, nicht mehr wie bisher, für den Magistrat allein<br />
verwenden. Von anderen Gütern fiel er der königlichen Kasse zu.<br />
Im 18. Jahrhundert begannen bereits Versuche, das lästige und<br />
verhaßte Abzugsrecht durch Staatsverträge zu beseitigen, indem man<br />
wechselseitig darauf verzichtete. Herzog Friedrich August schloß<br />
1776 entsprechende Verträge mit Mecklenburg und Dänemark, Herzog<br />
Peter 1792 mit der Herrschaft Jev er ab, wobei aber das Abzugsrecht<br />
der Stadt Oldenburg als Separatrecht ausgenommen wurde. Damals<br />
erklärten Älterleute und Geschworene, daß die Stadt die Einnahme<br />
vom Abzug nicht entbehren könne, da sie ein beträchtliches Einkommen<br />
darstelle. Die völlige Aufhebung des Abzugsrechtes erfolgte<br />
stufenweise erst seit den Freiheitskriegen; für das Gebiet der zum<br />
Deutschen Bunde gehörigen Staaten in ihrem gegenseitigen Verhältnis<br />
durch die Bundesakte von 1815.<br />
Die Ansicht der Königlichen Kammer (1715), daß das Abzugsrecht<br />
zu den von alters her gegebenen landesherrlichen Hoheitsrechten<br />
gehöre, ist nicht haltbar. Freilich hat man auch neuerdings<br />
das ius detractus (gabella hereditaria oder emigrationis) aus dem<br />
Recht des Kaisers herleiten wollen, den Nachlaß verstorbener Fremden<br />
ganz oder teilweise einzuziehen, daß dann von der Reichsregierung<br />
auf die Landesfürsten und weiterhin auf Städte, Gerichts- und<br />
Gutsherrschaften übergegangen sei2). Aber schon 1791 hat ein kur-<br />
mainzischer Jurist das Umgekehrte behauptet: das städtische Abzugsrecht<br />
sei weit älter als das landesherrliche, dieses letztere als<br />
*) C.C.O. 4. 66. 100. (handschriftl. im Stadtarchiv, Mag. A a. Verw. A.<br />
X IX 5, 6).<br />
2) Holtzendorff, Rechtslexikon unter „Abschoss“. 19. Jahrh,
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 93<br />
eine Kopie des ersteren, eine allerdings in neueren Zeiten mit Ver-<br />
lassung aller Grundprinzipien ganz umgemodelte, äußerst ausgedehnte<br />
und andersartige Nachahmung anzusehen1). Diese Auffassung findet in<br />
den oldenburgischen Verhältnissen eine Stütze. Das Abzugsrecht von<br />
dem gesamten Vermögen war ursprünglich ein der Stadt Oldenburg<br />
eigentümliches Recht. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ist es<br />
von der dänischen Regierung auch auf dem Lande allgemein eingeführt<br />
worden. In der Stadt bildete es mit anderen Bestimmungen zusammen<br />
nur ein Mittel gegen die heimliche Abwanderung und Kapitalsflucht;<br />
wer sich ordnungsmäßig abmeldete und eine kleine jährliche Gebühr<br />
für Aufrechterhaltung des Bürgerrechts zahlte, wurde von dem Vermögens-<br />
und Erbschaftsabzug nicht betroffen. In der Zeit des städtischen<br />
Verfalls, im 17. Jahrhundert, wird es freilich auch hier schon<br />
mehr von der finanzpolitischen Seite aus betrachtet. In den Händen<br />
der dänischen Regierung gestaltete es sich aber zu einer reinen<br />
steuerlichen Ausbeutungsmaßregel, die mehr als alles andere die Freizügigkeit<br />
belastet hat.<br />
Freiwillig wurde im 18. Jahrhundert auf das Bürgerrecht Verzicht<br />
geleistet von Personen, die als Beamte oder Soldaten in den<br />
landesherrlichen Dienst traten, ohne daß sie ihren Wohnsitz veränderten,<br />
und nun die bürgerlichen Lasten und Abgaben nicht mehr<br />
tragen wollten. Dasselbe geschah wegen Verarmung oder hohen<br />
Alters. Auch die auswärtigen Schiffer und Händler sandten die vom<br />
Magistrat erhaltenen Bürgerbriefe zurück, wenn sie ihrer nicht mehr<br />
bedurften, um der weiteren Zahlung der Jahrgelder enthoben zu sein.<br />
Zu einer zwangsweisen Entziehung des Bürgerrechts konnte<br />
die dauernde Versäumung der bürgerlichen Dienste und Abgaben<br />
führen. Sogar einem Ratmann konnte sie als Strafe auferlegt werden.<br />
Wenn der Bürgermeister einem solchen in einer wider ihn erhobenen<br />
Klage zuerst bei seinem Eide, dann bei einer Geldstrafe gebot, seinen<br />
Sitz und das Rathaus zu räumen, und der Ratmann befolgte dies Gebot<br />
nicht, so sollte man ihn fortan nicht mehr für einen Bürger halten,<br />
und sein Name sollte aus dem Stadtbuche getilgt werden2). Das war<br />
das Ausschlußrecht, das jede freie Genossenschaft gegen ihre Genossen<br />
hat. Selbstverständlich war auch der Verlust des Bürgerrechts bei<br />
der Verhängung entehrender Strafen. Wenn aber eine Ausstoßung aus<br />
politischen Gründen erfolgte, wie bei den Unruhen von 1425 und in<br />
x) Bodmann, Inneres Territorialverhältnis des Abzugs- und Nachsteuerrechts<br />
in Deutschland. 1791, S. 21,<br />
2) Oldenburger Statut aus dem M ittelalter. Oelrichs a. a. O., S. 841.
9 4<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
dem Falle des Bürgermeisters Alf Langswarden 1445— 1448, so war<br />
eine Wiederaufnahme in die Bürgerschaft möglich1).<br />
Der wirtschaftlichen und politischen Vorzugsstellung, die das<br />
städtische Bürgerrecht seinen Inhabern gewährte, stand eine ganze<br />
Reihe von Leistungen gegenüber, zu denen ebendasselbe Recht verpflichtete.<br />
In späteren Zeiten, als der Gemeinsinn den Bürgern verlorengegangen<br />
war, nannte man die Dienste, zu denen der Bürger verpflichtet<br />
war, meist bürgerliche Lasten oder Beschwerden und beneidete die<br />
davon Befreiten. Im Mittelalter, wo die Bürger sich noch als eine<br />
bevorrechtete Genossenschaft fühlten und in deren Dienste gern ihre<br />
Kraft betätigten, sprach man von burwerk (bur = Ansiedler), borgerwerk,<br />
borgerrecht, stadesdensten oder stadesrechtigheit. Denn es<br />
waren nicht Dienste, wie sie der Grundherr von seinen Hörigen zu<br />
fordern hatte, sondern wie auch der Freie sie der Allgemeinheit<br />
schuldete.<br />
Dahin gehörte in erster Linie der Kriegsdienst: W achdienst<br />
(waken) und auch Dienste im Felde (reisen) nebst Ausrüstung,<br />
die nicht nur die eigentlichen Waffen (Eisenhaube, Platten- oder<br />
Kettenpanzer, Beinschienen, Eisenhandschuhe, Schild, Schwert, Speer<br />
und Armbrust — je nach der Vermögenslage —), sondern auch Kleider,<br />
Mäntel, Bettkissen, Decken, Koch- und Bratgeschirr fürs Feld<br />
umfaßte. Auch das Planken oder Staken (Pallisaden setzen) hatte<br />
einen militärischen Zweck, ebenso das Aufhauen des Eises auf der<br />
Haaren oder den Stadtgräben zur Winterzeit (isen). Dazu traten Erdarbeiten:<br />
die Bedeichung der Haaren und Hunte, die Unterhaltung<br />
des von Osternburg herführenden Dammes (diken und dämmen), gemeinschaftliche<br />
Löscharbeiten bei Feuersgefahr, der Dienst an den<br />
städtischen Befestigungswerken. Auch schoten (steuern) wird urkundlich<br />
erwähnt, doch wurden Umlagen von der Stadt nur in besonderen<br />
Fällen erhoben.<br />
Alle diese Dienste, ursprünglich Personallasten, gingen schon<br />
früh auch auf die von den Bürgern bewohnten Hausstellen über und<br />
wurden mit diesen als Reallasten vererbt oder sonstwie veräußert<br />
Der Möglichkeit, daß sie nicht mehr geleistet wurden, wenn Bürgergut<br />
in adeligen, kirchlichen oder landesherrlichen Besitz kam, trat<br />
das oldenburgisch-bremische Stadtrecht mit der Bestimmung entgegen,<br />
„wikbelde" dürften nicht in tote Hand gelangen. Daher gab der Rat<br />
zu solchen Besitzveränderungen seine Erlaubnis in der Regel nur<br />
!) Old. UB. I, 120— 124, 187, 190.
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 95<br />
unter dem Vorbehalt, daß auch fernerhin von dem Grundstück —<br />
vollständig oder teilweise — Bürgerwerk zu verrichten sei, oder daß<br />
es später wieder in bürgerliche Hand zurückkehren müsse. So mußte<br />
sich der Knappe Hermann Klauenbeck 1383 verpflichten, den<br />
von ihm bewohnten städtischen Hausplatz (Wurt) am Stau bei einem<br />
etwaigen Weiterverkauf nur einem Bürger oder einer Bürgerin zu<br />
überlassen. Einem Geistlichen an der St. Lambertikirche wurde 1441<br />
der Ankauf eines Hauses für seine Tochter Grete, die das Bürgerrecht<br />
erworben hatte, nur unter der Bedingung gestattet, daß er zur<br />
Zeit der Minderjährigkeit der Tochter davon leiste, was seine „nabure<br />
boven unde benedden, borgere unde borgersche to Oldenborch“ täten,<br />
ausgenommen das Eisen und Reisen. Falls Grete sich später verheiratete,<br />
solle der Mann auch zum Reisen (Kriegsdienst) verpflichtet<br />
sein, was dem Käufer mit Rücksicht auf seinen geistlichen Stand erlassen<br />
war. Wenn aber Grete vor ihrem Vater stürbe, solle das Haus<br />
nach dessen Tode von seinen Erben wieder an einen Bürger oder, wenn<br />
kein Kauf zustande komme, an die Stadt verkauft werden. Dieser Fall<br />
ist besonders bezeichnend für die Vorsicht, mit der man die Verminderung<br />
der bürgerlichen Hausstellen zu verhüten suchte.<br />
Trotzdem gab es aber in der Stadt eine Anzahl befreiter Häuser.<br />
Im Stadtrechtsprivileg von 1345 wurden die Wohnungen der gräflichen<br />
Ritter und Knappen ganz allgemein vom Stadtrecht ausgenommen.<br />
Diese alten Burgmannswehren (von were — Besitzrecht,<br />
dann Besitzung), später adelig freie Häuser genannt, waren von jedem<br />
Bürgerwerk befreit, die nach 1345 erworbenen aber nur mit gewissen<br />
Einschränkungen. Dank den Maßnahmen der Stadt gegen ein<br />
Umsichgreifen des adeligen Besitzes betrug die Zahl der adeligen<br />
Häuser 1502 unter 350 Häusern nur 11. Diese lagen durchaus nicht,<br />
wie immer behauptet wird, vorzugsweise in der Mühlen- und Ritterstraße,<br />
sondern in der ganzen Stadt verstreut: in der Langen-, der<br />
Haarenstraße, am Markt, auf dem Damm; in der Mühlen- und Ritterstraße<br />
damals nur zwei. Größer war die Zahl der kirchlichen Häuser,<br />
deren Vermehrung durch Ankauf und fromme Schenkungen weniger<br />
leicht hatte verhindert werden können. 1502 waren es einschließlich<br />
des Kapitelhauses neben der Lambertikirche 17. Die meisten wurden<br />
indes von Erbzinsleuten der Kirche bewohnt, die für sich von den<br />
bürgerlichen Lasten nicht befreit waren.<br />
Manche Personen geistlichen oder sogar bürgerlichen Standes<br />
erhielten Befreiung für gewisse Gegenleistungen, so der Abt Olt-<br />
m a n n s von Rastede 1388 für das von ihm gegründete Armengasthaus<br />
in der Gaststraße, der Kanonikus Robert S c h u w e 1439 für
96<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
sein Haus in der Engen Straße (Bergstraße) gegen ein Darlehen von<br />
10 Gulden, ebenso sein Besitz- und wahrscheinlich auch Amtsnachfolger,<br />
der Stadtschreiber Kanonikus Bernd von Lunne 1460,<br />
endlich der Bürger Wale (Westerloy) 1498 auf 10 Jahre, für welche<br />
Zeit er die Unterhaltung des Hagens und Grabens in der Vahlenhorst<br />
(Gelände in Bürgerfelde) übernommen hatte. Auch das amtierende<br />
Ratsdrittel war während seines Amtsjahres und ebenso der durch<br />
Alter oder Krankheit dienstunfähig gewordene Ratsherr für die Folgezeit<br />
befreit.<br />
Im 17. und 18. Jahrhundert sind an die Stelle der persönlichen<br />
Dienste bei den bemittelteren Bürgern vielfach Geldleistungen<br />
getreten, indem sie jene entweder durch bezahlte Vertreter wahrnehmen<br />
ließen oder die Stadt auf Kosten der Pflichtigen für die Ausführung<br />
der Dienste sorgte. Das geschah namentlich bei dem unbequemen<br />
Torwachdienst, der nächtlichen Wache in den Straßen und<br />
den Arbeiten an den Wällen. Zur Verteidigung der Stadt wurden die<br />
Bürger damals kaum mehr herangezogen, dafür war ihnen aber als<br />
neue schwere Last die Quartier- und Servispflicht für das landesherrliche<br />
Militär aufgebürdet.<br />
Im 19. Jahrhundert blieb von den alten Bürgerpflichten noch<br />
lange die persönliche Beteiligung an der Bürgerfeuerwehr<br />
erhalten1).<br />
Das mittelalterliche Bürger- und Einwohnerrecht zeigte im Anfänge<br />
des 19. Jahrunderts starke Entartungen, aber theoretisch änderte<br />
es sich nicht, bis 1811 durch die Einverleibung Oldenburgs in<br />
das französische Kaiserreich mit dem Code Napoléon die in der Revolution<br />
geprägten französischen Gesetze Eingang fanden. Die Unterschiede<br />
zwischen Stadt- und Landgemeinden fielen weg, jeder Einwohner<br />
einer Mairie war zugleich citoyen und konnte ein beliebiges<br />
bürgerliches Gewerbe treiben, wenn er nur von der Behörde die Konzession<br />
erhielt und die darauf gelegte „Patentsteuer" zahlte. Nach<br />
der Rückkehr des Herzogs Peter wurden zwar am 1. Oktober 1814<br />
die französischen Gesetze außer Kraft gesetzt und ein Neubau der<br />
Staatsverwaltung und des Städtewesens begonnen, aber erst unter<br />
Großherzog Paul Friedrich August kam es zu einer durchgreifenden<br />
Regelung der Verhältnisse in der Stadt Oldenburg: am 12. August 1833<br />
unterschrieb der Fürst die landesherrliche Verordnung über ihre Verfassung<br />
und Verwaltung. Die allgemeine Gleichheit der französischen<br />
*} Die vorstehenden 7 Absätze bereits veröffentlicht in der „Oldenbur-<br />
gischen Landeszeitung'1 1927, Nr. 91 unter dem Titel „Pflichten eines Bürgers<br />
im M ittelalter. Von Prof. Dr. Kohl."
Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 97<br />
Zeit wurde nicht wieder aufgenommen, die Bewohner der Stadt und<br />
des Stadtgebiets zwar für Gemeindegenossen erklärt, aber das Bürgerrecht<br />
mit seinen politischen und wirtschaftlichen Vorrechten nur den<br />
in der Stadt Ansässigen zugesprochen. Der Erwerb des Bürgerrechts<br />
wurde erleichtert, es konnte stillschweigend nicht nur durch<br />
Erbgang vom Vater, sondern auch durch zweijährige mit dem Tragen<br />
aller bürgerlichen Lasten verbundene Ansässigkeit oder durch Anstellung<br />
im öffentlichen Dienst erworben werden, und demgemäß<br />
wurden gleichzeitig alle damaligen Hof- und Staatsbeamten, Geistlichen,<br />
Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte als Bürger aufgenommen und<br />
erhielten — unter Befreiung nur von allen persönlichen Diensten —<br />
das aktive und passive Wahlrecht zu den städtischen Ämtern (das<br />
passive mit Ausnahme von Nichtchristen1)). Nur das Recht zum Betreiben<br />
einer bürgerlichen Nahrung wurde von einer förmlichen Aufnahme<br />
als Bürger durch den Stadtmagistrat abhängig gemacht, wobei<br />
der Antragsteller ein Bürgergeld (für Oldenburger Landeskinder 20<br />
Taler Gold, für „Ausländer" 40 T. G.) zu zahlen hatte und nach Eintragung<br />
in das Bürgerbuch einen Bürgerbrief erhielt. Dieses „gewerbliche<br />
Bürgerrecht" ging auch noch in die Gemeindeordnung für das<br />
Herzogtum Oldenburg von 1855 über, bis ein Landesgesetz 1861 hier<br />
die volle Gewerbefreiheit einführte und damit auch die letzte Spur<br />
der mittelalterlichen Bürgeraufnahme beseitigte“).<br />
J) D. h. Juden. Diese, im MA. vom Bürgerrecht gänzlich ausgeschlossen,<br />
seit 1692 mit einer Familie in der Stadt als „Schutzjuden" geduldet, hatten<br />
sich seit der Franzosenzeit erheblich vermehrt, erhielten erst 1849 volle<br />
bürgerliche Gleichstellung mit den übrigen Einwohnern. Vgl, Kohl, Juden in<br />
Oldenburg und Bremen. Weserzeitung 1925, Nr. 32.<br />
a) Für die neuere Zeit sind benutzt: Stadtarchiv Oldenburg, M agistrat<br />
A a, Verwaltung A III 2, 2 u. 3 („Akten betr. das Bürgerrecht Einheimischer"<br />
u. „Akten betr. das Bürgerrecht der Frem den").<br />
Oldenburger Jahrbuch<br />
T
Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege<br />
in alter und neuerer Zeit.<br />
Von Karl Sichart<br />
Was Delmenhorst in seinem Gast- und Armenhause für die Hilfsbedürftigen<br />
tat, war recht beachtlich, seine Fürsorgetätigkeit aber<br />
noch größer. Auch in der älteren Zeit war ihre Bedeutung viel größer,,<br />
als Schauenburg1) annimmt, wenn sie auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit<br />
beruhte. Zwar fehlte die Organisation, aber die Fürsorge<br />
war darum doch nicht weniger wirkungsvoll. Aus der Not erwuchs<br />
unmittelbar die Hilfe. Man wußte, wer gab, und man bekam das, was<br />
man gerade brauchte. Daneben flössen die öffentlichen Mittel fast<br />
ausschließlich aus den Klingbeutelsammlungen. Die erste Oldenburger<br />
Kirchenordnung vom Jah r 1573 gibt uns in dem Kapitel „Von dem<br />
almus Seckel“ darüber Aufklärung. Sie verlangte, daß während des<br />
Gottesdienstes der Klingbeutel herumgetragen und das eingesammelte<br />
Geld in den Gotteskasten gelegt würde, um alle Vierteljahr herausgenommen<br />
und an arme Schüler oder hausarme Leute und Kranke<br />
verteilt zu werden. Bald darauf kamen der Armenpflege noch die<br />
Einnahmen aus den sog. Krügerbüchsen zugute.<br />
Erst seit etwa 1600 wurde das gesamte Armenwesen in geordnetere<br />
Bahnen geleitet. Den ersten tieferen Einblick in das Delmenhorster<br />
Armenwesen gibt uns der Bericht über eine Revision, die am 29. März<br />
1664 durch Witzenhausen, den Pastor Mildehaupt und den Burggrafen<br />
Johann Pfretzschner stattfand. In dem Bericht, der zu Beginn ausdrücklich<br />
hervorhebt, daß es bei der alten Einteilung der Armen, wie<br />
es die alten Landesherren bestimmt hatten, auch in Zukunft bleiben<br />
solle, werden drei Arten von Armen unterschieden: 1. die Fattarmen,<br />
2. die Hausarmen, 3. die kleinen Armen. Fattarme gab es 1664 nur<br />
zwei: der eine war gräflicher Hofknecht, der andere Hofküfer. Jeder<br />
von ihnen erhielt allwöchentlich zwei große Brote, jedes sieben Pfund<br />
schwer, einen Schinken von fünf Pfund oder statt dessen die gleiche<br />
Menge Speck.<br />
1) Schauenburg, L., Hundert Jah re oldenburgischer Kirchengeschichte,<br />
III 182. Tendenziös. Sichart, K., Das Delmenhorster G ast- und Armenhaus<br />
(Old. Jahrb. 1938).
D ie Delm enhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 9 9<br />
Zu den Hausarmen, deren es bisher vierzehn, 1664 aber zwanzig<br />
gab, gehörten u. a. ein Hofsattler, ein Hofschneider, ein Hofglaser<br />
und ein alter Knecht des Waisenhauses. Sie bekamen jeder wöchentlich<br />
ein siebenpfündiges Brot und zwei Heringe, außerdem an den<br />
vier hohen Festen vier Pfund Speck. Der Hauskoch erhielt jedesmal<br />
für seine Mühe einen Schinken von fünf Pfund1).<br />
Die sogenannten kleinen Armen, deren Zahl schwankte, erhielten<br />
wöchentlich vier Scheffel Roggen, die ihnen als Wecken gebacken<br />
gereicht wurden. Als dabei aber Unrichtigkeiten vorgekommen und es<br />
den Leuten mühsam war, wegen solcher Kleinigkeiten wöchentlich<br />
hereinzukommen, löste man die Brotlieferung in eine Geldzahlung ab<br />
und gab statt jedes Weckens einen Groten.<br />
Besonders schwierig war für Delmenhorst der Umstand, daß es<br />
an einer bedeutenden Verkehrsstraße lag und deshalb oft von Auswärtigen<br />
aufgesucht wurde. Namentlich das 17. Jahrhundert mit seinen<br />
ununterbrochenen Kriegen in allen Winkeln Deutschlands hatte manchen<br />
Bürger von seiner Scholle vertrieben, und mancher von ihnen<br />
war auch nach Delmenhorst gekommen. Was uns die Archivalien<br />
darüber sagen, sind nur kümmerliche Reste, werfen aber, auch wenn<br />
wir zugeben, daß „viele ausländische Arme mit erdichteten falschen<br />
Attestatis umherzogen", grelle Schlaglichter auf die Not der Zeit und<br />
ihre Bemühungen, sie zu lindern. Um sie zu verstehen, genügen einige<br />
Mitteilungen in chronikalischer Kürze. Armengeld wurde u. a. gegeben:<br />
1611 „einem, so unter den Türken gefangen gelegen", „einem<br />
Pastoren, dem Haus und Hof abgebrannt", und „einem vom adel, so<br />
vom Türken gefangen gehalten", 1622 einem armen Rechtsgelehrten, zwei<br />
Frauen und einem Knaben aus Magdeburg, 1633 einem alten Pastor<br />
aus Einbeck, zwei alten Frauen aus Colberg, einem abgebrannten<br />
Mann aus Mecklenburg, einem Manne, der aus dem Braunschweigischen,<br />
einem Schulmeister, der aus Böhmen, drei Frauen, zwei Pastoren,<br />
einem Küster und einem Kantor, die aus Magdeburg ver<br />
trieben waren.<br />
Als aber der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen war und die<br />
Zahl derer, die Unterstützung suchten, nicht wesentlich geringer wurde,<br />
ergriff man seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Maßnahmen<br />
zu einer Besserung. Die fremden Armen, von denen ein großer<br />
Teil die Arbeit scheute und sich aufs Betteln verlegt hatte, sollten<br />
nicht mehr unterstützt werden, weil „dadurch den dürftigen und<br />
J) General-Kirchenarchiv Oldenburg, Visitationsprotokolle. (Im Landesarchiv.)
100<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
kranken Armen das Brot von dem Munde genommen, die Bettler<br />
verkämen und die Almosen von ihnen undankbarer und ärgerlicher<br />
Maßen verschwendet würden."<br />
Wollte man aber der Bettelei energisch zu Leibe gehen, so<br />
brauchte man Aufsichtsorgane. Deshalb wurden im Jahr 1702 von den<br />
Kirchenjuraten Vorschläge zur Annahme eines Armenvogtes gemacht<br />
und vom König bestätigt. Aber erst, als für dessen Besoldung ausreichend<br />
gesorgt war, meldete sich jemand und konnte am 10. Juli<br />
1709 vereidigt werden1). Er schwur, in den Straßen der Stadt auf<br />
fremde und einheimische Bettler gute Aufsicht zu haben und jeden,<br />
der betroffen wurde, „den Deputierten des Magistrats" vorzustellen,<br />
auch in der Kirche und auf dem Kirchhofe des Sonntags und bei anderen<br />
Predigten allem Mutwillen und jeder Unordnung zu steuern,<br />
auch die Delinquenten, „so nach Ordre des Konsistoriums auf dem<br />
Kirchhofe an den Pfahl gestellt werden sollen, ohnweigerlich anschließen<br />
zu wollen. Ferner lag ihm ob, das wöchentlich an die Armen<br />
auszuteilende Brot zu zerschneiden, das 1785 allerdings in eine Geldspende<br />
umgewandelt wurde.<br />
Trotzdem nahm die Bettelplage kein Ende, sodaß die Älterleute<br />
im Jahr 1705 beim Konsistorium vorstellig wurden und eine eigene<br />
Armenordnung einzuführen baten. Aber erst in der hannoverschen<br />
Zeit (1711— 1731) kam man auf die Angelegenheit zurück. Der Spezial<br />
Armendirektion in Delmenhorst wurde 1718 ein gedrucktes Exemplar<br />
der hannoverschen Armenordnung mit der Aufforderung zugestellt,<br />
unter Zuziehung des Magistrats ihre Brauchbarkeit für Delmenhorst<br />
zu prüfen. In ihren wesentlichsten Punkten fand sie die Zustimmung<br />
der Kommission. Nach dieser neuen Armenordnung sollte der Armenvogt<br />
in einer verschlossenen Büchse die Almosen an den Türen sammeln,<br />
ebenso das Brot, das von zwei oder drei Armen getragen würde.<br />
Wenn die Sammlungen beendet seien, sollte alles an einen der Administratoren<br />
— die Pastoren, die beiden Bürgermeister oder den<br />
Sekretär — , deren jeder das Amt eine Woche versah, eingeliefert<br />
werden. Wer von diesen Spenden zu erhalten wünschte, hatte sich<br />
am 11. April 1719 in der Kirche einzufinden und in die Liste eintragen<br />
zu lassen. Nicht weniger als 41 Einwohner erschienen, darunter verschiedene<br />
abgedankte dänische Musketiere, gebürtig aus Heisingborg<br />
und Schonen. Und „da dieser ohrt mit Armen zum Überfluß angefüllt"<br />
war, wurde noch einmal eingeschärft, fremden Bettlern nichts<br />
zu reichen, es sei denn, daß sie durch ein Attest ausweisen könnten,<br />
*) Delm enhorster Stadtarchiv: X V II A 2b.
Die Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 101<br />
wegen Kriegsverheerungen ihr Besitztum verloren zu haben oder der<br />
Religion wegen vertrieben worden zu sein.<br />
Die Regelung des Armenwesens scheint der hannoverschen Regierung<br />
nicht rasch genug erfolgt zu sein. Denn 1720 sah sich der<br />
Superintendent in Wildeshausen, dem die Herrschaft Delmenhorst<br />
in kirchlicher Hinsicht während der hannoverschen Pfandzeit unterstand,<br />
an den vor Jahresfrist von der hannoverschen Regierung gegebenen<br />
Befehl zu erinnern gezwungen, die Hoyaische Armenordnung<br />
endlich in Stadt und Land Delmenhorst einzuführen.<br />
Und da 1721 außerdem auch die Münstersche Regierung scharfe<br />
Maßnahmen gegen die Bettler und Landstreicher erlassen hatte, gab<br />
Hannover wegen der Nachbarschaft grelle Warnungssignale nach<br />
Delmenhorst. Man solle auf die Heerstraßen gut achten, die W irtshäuser<br />
und Krüge gut visitieren und jeden über die Grenze abschieben,<br />
der keinen Paß habe.<br />
Eine gründliche Regelung des Armenwesens erfolgte erst in den<br />
achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Am 14. September 1784 wurde<br />
in Oldenburg eine Kommission zur Untersuchung und Verbesserung<br />
des Armenwesens im Herzogtum niedergesetzt und Delmenhorst aufgefordert,<br />
die ihm überreichten Listen gewissenhaft auszufüllen. Am<br />
11. April des folgenden Jahres war sich die Kommission darüber klar,<br />
daß jeder Arme in seinem Kirchspiel bleiben, jedes Kirchspiel seine<br />
Armen ernähren und für sie Arbeitsgelegenheit schaffen müsse, daß<br />
ferner alle Irrsinnigen und Blinden zu denen zu rechnen seien, die<br />
nichts verdienten. Die neue Verordnung trat am 1. August 1786 in<br />
Kraft. Die bisher dem Magistrat unter der Oberaufsicht des Konsistoriums<br />
anvertraute Verwaltung des Armenfonds stand von nun an<br />
unter dem Generaldirektorium in Oldenburg. Das Kirchspiel Delmenhorst<br />
wurde in vier städtische und einen ländlichen Bezirk eingeteilt,<br />
die von fünf Armenvätern betreut wurden und der Spezial-Armen-<br />
direktion, bestehend aus dem Bürgermeister, den beiden Predigern,<br />
einem Mitgliede des Rates, dem Armenjuraten als Rechnungsführer<br />
und vier Armenvätern, untergeordent waren. Was sie in gemeinsamer<br />
Sitzung jeden Montag nachmittag auf dem Rathause in der Gerichtsstube<br />
beschlossen, unterlag der Genehmigung der Generaldirektion<br />
in Oldenburg.<br />
Statt der früheren drei Gruppen der Fattarmen, Hausarmen und<br />
kleinen Armen kannte man jetzt nur noch Total- und Partialarme.<br />
Jen e waren ohne alle Existenzmittel und wurden bei anderen Bürgern<br />
gegen Zahlung eines Kostgeldes in Pflege gegeben; 1813 waren es<br />
23 Personen, die 453 Rtl. beanspruchten, diese, selbst noch, wenn
102<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
auch beschränkt, erwerbsfähig und meistens Witwen, waren in drei<br />
Klassen geteilt und erhielten je nach der Bedürftigkeit aus den Armensammlungen<br />
wöchentlich 16, 14 oder 12 Groten. Außerdem wurden<br />
für sie von den Armenvätern Bekleidungsstücke aller A rt gekauft,<br />
bei vorkommenden Krankheiten die Kosten für den A rzt und die<br />
Arzneien, bei eingetretenem Tode die Auslagen für das Begräbnis<br />
getragen. Für das Jah r 1712 enthält die Armenliste vierzig Namen,<br />
für die Jah re 1784 und 1833 wird die Zahl der Partialarmen gleichmäßig<br />
mit 25, für 1813 mit 29 angegeben und durchschnittlich für<br />
jeden 16 Rtl. verausgabt. 1858 waren insgesamt 82 Arme zu unterstützen.<br />
Vor allem mußte es darauf ankommen, sämtliche Mittel, die für<br />
die Armenunterstützung zur Verfügung standen, in die Hand der<br />
Spezial-Armendirektion, die Kirchspielarmenkasse, zu leiten. So<br />
wurden zunächst die bei sämtlichen Untergerichten vorhandenen<br />
Armenbüchsen beibehalten und die in diese fließenden Gelder zum<br />
Besten der Armut verwendet, auch nahegelegt, bei vorkommenden<br />
Fällen wie bisher auf die Erkennung einer Geldbuße zur Armenbüchse<br />
Bedacht zu nehmen.<br />
Außer dem Kapital des sog. Gasthaus-Fundus mit 6116 Rtln. stand<br />
der Direktion der vom Armenjuraten verwaltete sog. Kircharmen-<br />
fundus — um 1800: 4854 Rtl. betragend — zur Verfügung, der aus den<br />
Ersparnissen der Armenbeiträge angewachsen war, die die Delmen-<br />
horster Bürger zu entrichten hatten, für das Jah r 1787 und 232 beitragspflichtige<br />
Bürger mit 718 Rtl. angegeben. 1850 war es Grundsatz,<br />
daß jeder Bürger von seinem Vermögen ^% o und von seinem Einkommen<br />
l°/o als Armenbeitrag an die Kasse abzuführen habe. Dazu<br />
kam der Ertrag aus den Ländereien des früheren Gasthauses, aus verschiedenen<br />
Legaten und aus den wöchentlichen Sammlungen in der<br />
Stadt und den monatlichen auf dem Lande. Diese jährlichen Einnahmen<br />
schwankten nicht wesentlich. Als Bilanz mag das Jah r 1811<br />
gelten, weil es uns einen Einblick gewährt in die um diese Zeit herrschende<br />
finanzielle Notlage der Armenkasse. In diesem Jahr hatte die<br />
Kirchspielarmenkasse<br />
I. an Einnahmen aus: Rtl.G r.<br />
a) dem K ircharm enfundus...............................................213,14<br />
b) dem Gasthausfundus................................................. 577,54<br />
c) dem Klingbeutel, Becken und Krügerbüchsen 112,56<br />
d) den Sammlungen in der Stadt und auf dem Lande 995,54<br />
Sa. 1899,34
Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 1 0 3<br />
II. an Ausgaben für: Rtl.G r.<br />
a) Beköstigung der A rm en........................................... 1688,11<br />
b) B e k le id u n g ................................................................. 305,15<br />
c) Schulgeld und Schreibm aterialien......................124,09<br />
d) Sch u lbüch er................................................................. 5,62<br />
e) Arztkosten und A rz n e ie n ......................................23,04<br />
f) B e g rä b n isk o ste n ...................................................... 2,54<br />
g) V erw altu n g sk o sten .................................................33,44<br />
h) Insgem ein...................................................................... 83,00<br />
i) An Zinsen für geliehene Kapitalien (1375 Rtl.) 76,00<br />
Sa. 2341,55<br />
An Schulden hatte die Kasse in diesem Jahr: Rtl.Gr.<br />
1. geliehene K a p ita lien ...................................................... 1375,00<br />
2. für Arzneien an die A potheke...................................... 400,00<br />
3. für Bekleidungsstücke......................................................145,00<br />
Sa. 1920,00<br />
Die Abbürdung dieser großen Schuldenlast1), die sich bald darauf<br />
auf etwa 3000 Rtl. erhöhte und aus der allzu großen Freigebigkeit<br />
der Armenväter erklärte, sollte durch eine über vier Jahre sich erstreckende<br />
Kontribution erfolgen. Sie war so drückend, 4%o vom<br />
Grundvermögen und Kapital, 2% vom Einkommen, daß schon nach<br />
einem Jahr eine große Opposition aus allen Kreisen der Bevölkerung<br />
einsetzte. Von 235 Steuerpflichtigen waren 105 mit der Zahlung der<br />
Armenbeiträge im Rückstände, und ebenso groß war die Zahl derer,<br />
die ihre Veranlagung beanstandeten. So sah denn die Behörde keinen<br />
anderen Weg, als durch größte Sparsamkeit die Schuld allmählich zu<br />
tilgen.<br />
Nach der kurzen Episode der französischen Zeit, während der die<br />
alten Wohltätigkeitseinrichtungen zunächst beibehalten2), seit 1812<br />
aber eine sog. Hospizen-Kommission unter Ausschluß des Bürgermeisters<br />
eingesetzt wurde, die dem Präfekten des Departements der<br />
Wesermündungen unterstand, stellte der Herzog nach seiner Rückkehr<br />
am 15. April 1814 die alte Verordnung vom 1. August 1786<br />
wieder her.<br />
Unrentabel war für die Armenkasse auch der Besitz der acht<br />
Tagewerke ( = 4 Went) Brookdeichländereien in der Altenescher<br />
Vogtei, die aus dem Gasthausbesitz stammten. Weil sie in zwei<br />
1) Delmenhorster Stadtarchiv: XVI A 5c.<br />
2) Kaiserliches Dekret vom 4. Juli 1811.
104<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Stücken — das eine 1, das andere 3 Went1) — und zwischen anderem<br />
Heuland lagen, dazu nur mit Erlaubnis der benachbarten Bauern zu<br />
erreichen waren, da es an Wegen fehlte, brachten sie nur eine geringe<br />
Heuer ein. Um diese zu erhöhen, hatte man 1787 den Herzog gebeten,<br />
einen Tausch mit dem Nachbarn zu gestatten, so daß dann alles zusammenläge.<br />
Aber auch dieser Versuch, die Einkünfte zu erhöhen,<br />
fand erst 1845 seine Erfüllung.<br />
Zur Zeit der großen Reform des Armenwesens war vom Delmen-<br />
horster Stadtmagistrat auch wieder vorgeschlagen worden, daß der<br />
Armenvogt die Bettler unnachsichtig zur Anzeige bringe, und wenn<br />
sie schon öfter betroffen seien, „mit einigen mäßigen Peitschenhieben<br />
von der Straße jage". Wenn außerdem damals der Magistrat wünschte,<br />
daß sämtliche Armengeld-Empfänger unter Führung des Armenvogtes<br />
ein Lied singend durch die Straßen der Stadt zögen, um sich ihren<br />
Wohltätern zu zeigen, so haben wir heute für diese Gefühlshärte kein<br />
Verständnis mehr.<br />
W er 1801 keinen Grund für seine Reise angeben konnte, sollte<br />
durch die Polizeidragoner über die Grenze abgeschoben werden. 1820<br />
dachte man milder. Den durchreisenden Handwerksburschen wurde<br />
von den Armenvätern ein Zehrpfennig mit auf den Weg gegeben. W er<br />
von ihnen außerstande war, weiterzugehen, wurde zu Wagen seinem<br />
Ziele um eine Station nähergeführt. 1824 wurde bestimmt, daß Handwerksburschen,<br />
die zu einer der in der Stadt vorhandenen Zünfte<br />
gehörten, auch von ihr mit dem nötigen Zehrgeld versehen wurden.<br />
1832 verlangte das Generaldirektorium des Armenwesens, daß schwerkranke<br />
arme Reisende nicht, wie das oft geschehen sei, unbarmherzig<br />
weitertransportiert, sondern in ärztliche Behandlung und Verpflegung<br />
gegeben würden.<br />
Um dem Armenvogt, der seit 1787 ausschließlich im Dienste der<br />
Spezialdirektion des Armenwesens stand, das nötige Ansehen zu verschaffen,<br />
erhielt er 1826 einen blauen Überrock mit einem silbernen<br />
Schilde, auf der Brust getragen, mit der Aufschrift: Spezialdirektion<br />
des Armenwesens zu Delmenhorst.<br />
Wenn die Bettelei durch die Landstreicher nun auch nicht ganz<br />
ausgerottet war, so wurde sie doch durch die Aufsicht des Armenvogtes<br />
erheblich eingeschränkt. Für die ersten Jahrzehnte des 19.<br />
Jahrhunderts werden uns darüber einige statistische Angaben gemacht.<br />
Durchschnittlich sind von ihm jährlich fünfzig Bettler um diese Zeit<br />
*) 1839 werden die Gasthausländereien im Brookdeich mit 17 + 57 =<br />
74 Scheffelsaat = 3 Morgen angegeben.
Die Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 105<br />
ermittelt und entweder abgeschoben oder zur Bestrafung vorgeführt<br />
worden.<br />
Die in der Verordnung vom 1. August 1786 als notwendig ausgesprochene<br />
Beschaffung der Arbeitsgelegenheit bestand meistens<br />
darin, daß denen, die vergeblich Arbeit gesucht hatten, Flachs und<br />
Schafwolle zum Spinnen, auch wohl Garn zum Strümpfestricken gegeben<br />
wurde, wofür sie bei der Ablieferung den üblichen Arbeitslohn<br />
erhielten. Um die Armen besser mit Arbeiten versorgen zu können,<br />
war von der Spezialdirektion die Anregung ausgegangen, unter dem<br />
Einflüsse und im Sinne der Pestalozzischen Sozial-Pädagogik mit einem<br />
Kostenaufwande von 80— 90 Rtln. ein sog. Arbeitshaus zu schaffen.<br />
Es empfehle sich, zunächst nur Kinder aufzunehmen; die erwachsenen<br />
Armen würden von selbst bald nachfolgen. Zu diesem Zwecke sei<br />
ein geeignetes Haus zu mieten, ein Hausvater anzustellen und eine<br />
Frau mit dem Unterricht im Spinnen, Stricken und Nähen zu beauftragen.<br />
Leider lehnte der Kirchspielsausschuß diesen wertvollen Vorschlag<br />
der Spezialdirektion ab. Da ihr aber an der Erziehung der<br />
armen Kinder zu produktiver Arbeit lag, kam sie bald darauf mit dem<br />
Plane einer sog. Industrieschule für Armenkinder, und dieser fand die<br />
Billigung des Ausschusses1). 1832 erhielt die Witwe Hasselmann für<br />
den Unterricht halbjährlich 25 Rtl. aus der Armenkasse. 1834 kam die<br />
Spezialdirektion abermals auf die Frage eines Arbeits- und Armenhauses<br />
zurück. Das frühere Schumachersche, jetzt Eckhoffsche Haus<br />
„um den Ohrt" stand zum Verkauf und wäre nach einem Umbau<br />
geeignet gewesen, etlichen Armen eine Wohnung, allen Einwohnern<br />
und anderen Armen eine Arbeitsstube und Armenkrankenstube zu<br />
gewähren. Der Ausschuß willigte zwar ein, kam aber mit seinem Angebot<br />
zu spät.<br />
Wieder gingen mehrere Jahre ins Land. Am 12. März 1850 erklärte<br />
die Spezialdirektion, unterstützt von den Armenvätern, daß der<br />
Ankauf eines Gebäudes zu einem Armenhause nötig sei, um die<br />
Armen unterzubringen. Die Mitglieder des Kirchspielsausschusses<br />
waren nur bereit, das Lankenausche Haus im Knick für etliche Jahre<br />
zu mieten. 1852 waren sie abermals von der Spezialdirektion geladen<br />
worden, lehnten aber auch jetzt die Einrichtung eines Armenhauses<br />
ab, ohne Gründe dafür anzugeben.<br />
So fand denn alljährlich im März die Unterbringung armer Kinder<br />
und Erwachsener in einem von der Armenkommission angesetzten<br />
J) Delm enhorster Stadtarchiv: Armenwesen.
106<br />
Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />
und vorher öffentlich bekanntgemachten Termin statt. Hier wurde die<br />
Ausverdingung der Armen mindestfordernd vorgenommen, wenn die<br />
Kommission überzeugt war, daß sie eine gute Unterkunft haben<br />
würden. Das Unterbringen war im wesentlichen in die Hände der<br />
einzelnen Armenväter gelegt.<br />
Erst im Mai des Jahres 1886 ging der Wunsch vieler in Erfüllung,<br />
als auf dem Rocksnest das Armenarbeitshaus eröffnet wurde, dessen<br />
Name erst kürzlich in „Altenheim“ abgeändert worden ist. Ihre Insassen,<br />
durchschnittlich 25 und zu etwa einem Drittel aus Kindern<br />
bestehend, sind verpflichtet, in und außer dem Hause alle ihnen vom<br />
Hausvater aufgetragenen Arbeiten zu leisten. Die jährlichen Kosten,<br />
die die Ökonomie verursacht, schwanken nicht erheblich, für das Jahr<br />
1905/06 betrugen sie 7764 M. Da die Kinder grundsätzlich nur vorübergehend<br />
im Armenhause untergebracht werden sollen, werden für<br />
sie bald private Pflegestellen in der Stadt oder auf dem Lande beschafft.<br />
Im Jahre 1905 waren es 66. In diesem Jah r betrug die gesamte<br />
Einnahme der Armenkasse 79 735 M., ihre Ausgabe 73 076<br />
Mark. Sie verteilte sich auf verschiedene Positionen, von denen<br />
die für fünfzehn Geisteskranke in Wehnen und Blankenburg, für vier<br />
Schwachsinnige und vier Taubstumme mit insgesamt 10 423 M.<br />
besonders hervorgehoben zu werden verdient. Im Jahr 1905 betrug<br />
die Gesamtzahl der unterstützten Personen ohne die Obdachlosen 592<br />
Personen (326 Erwachsene und 266 Kinder), wovon 105 landarme,<br />
404 hiesige und 87 in fremden Gemeinden Unterstützungsberechtigte<br />
waren. Als obdachlos wurden 2806 Personen in der Herberge untergebracht<br />
und im Kleinkinderheim siebzehn Kinder verpflegt. Nach<br />
der gesamten Einwohnerzahl haben 1905: 17% mit Einschluß der Obdachlosen<br />
und 2,95% ohne sie Unterstützung bekommen. Um den<br />
Bedürfnissen der Armenkasse die nötigen Mittel zu gewähren, wurden<br />
an Umlagen 27% der Einkommensteuer erhoben, die in den späteren<br />
Jahren schwankten und 1913/14 auf 18% ermäßigt worden sind.<br />
Ein besonderer Zweig der Armenpflege war die Unterstützung<br />
der Bedürftigen mit Schulgeld und Schulbüchern. Die Zahl der Unterstützten<br />
war in den einzelnen Jahren nicht wesentlich verschieden.<br />
Im Jahre 1812 erhielten neun Kinder in des Kantors, vierzehn in des<br />
Küsters und sechzehn in des Nebenschulhalters Schule das Schulgeld.<br />
Dazu kamen je vier Kinder in der Klingermannschen Strick- und<br />
Claußenschen Nähschule. Die Geldmittel zur Anschaffung der Schulbücher<br />
kamen zum größten Teil aus einem Legat von 150 Rtln., das<br />
der Kriegssekretär Friedrich Arnold von Einem in Kopenhagen, vermutlich<br />
ein Sohn des Schneidermeisters Statius Heinrich von Einem
D ie Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 107<br />
in seinem am 6. Mai 1737 errichteten Testamente mit der Bestimmung<br />
vermachte, daß der Magistrat die jährlichen Zinsen zur Anschaffung<br />
notwendiger Schulbücher, zur Kleidung armer Schüler oder<br />
als Beihilfe für einen seine Studia fortsetzenden armen Schulknaben<br />
verwende. 1739 wurden zum ersten Male elf Bibeln, drei Gesangbücher,<br />
fünf große Katechismen, sechs „evangelische Bücher" und eine<br />
Fibel an vier Schüler in des Konrektors, neun in des Küsters, elf in<br />
des Nebenschulhalters und zwei in des Schreib- und Rechenmeisters<br />
Schule verteilt.<br />
Von den anderen Armen-Vermächtnissen, deren Gesamtsumme<br />
mit 2481 Rtln. angegeben wurde, verdienen folgende Erwähnung. Es<br />
vermachten:<br />
1609 Ludolf Riemenschneider zu Stickhausen ein Kapital von<br />
200 Rtln., „auf daß von den Zinsen (12 Rtl.) für die Armen schwarzes<br />
Tuch zum Gewände und Brot gekauft werde",<br />
1722 Ilsabe Strube, Witwe des Assessors Nöttelmann, 50 Rtl.,<br />
1742 Frau Amtsvogt Spilker, 200 Rtl.,<br />
1745 Frau Amtmann Rupertshoff, M argareta Elisabeth geb. Homor<br />
zu Arbergen (Tochter des Hermann Homor), 100 Rtl.,<br />
der kurz vorher in Frankfurt a. M. verstorbene Hermann Homor,<br />
100 Rtl.,<br />
1748 die Frau Etatsrat von Hövell den Erlös aus ihren Mobilien<br />
und Kornfrüchten, insgesamt 785 Rtl.,<br />
1755 Frau Assessor Bruns 25 Rtl.,<br />
1758 H. J . Brandt als Erbe der Witwe Rotermundt nach einem<br />
Vergleich mit den Gebrüdern Kloppenburg, die das Testament an-<br />
gefochten hatten, 50 Rtl.,<br />
1764 die Pundtschen Erben zwei Scheffelsaat Land „außer der<br />
Elmeloher Furt",<br />
1765 Georg Gottlieb Nacke 22 Rtl.,<br />
1769 die Gebrüder Neuhaus 100 Rtl., weil sie einen Erbprozeß<br />
mit den Verwandten des Karsten Meyer, dessen Witwe Meta in ihrem<br />
Testament 100 Rtl. an die Armen gelobt, gewonnen hatten,<br />
1855 Christian Cordes zu Neuenburg 100 Rtl.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt<br />
Delmenhorst bis 1811,<br />
verbunden mit einer Liste der städtischen Amtsträger<br />
bis 1813.<br />
Von Edgar Grundig.<br />
I. Verfassung und Verwaltung von Delmenhorst.<br />
Der Ort Delmenhorst1) war schon über 100 Jahre alt, als er 1371<br />
in die Reihe der Städte einrückte. Der F r e i h e i t s b r i e f2) ist ausgestellt<br />
von den damaligen Herren der Herrschaft Delmenhorst, den<br />
Brüdern Grafen Otto und Junker Kersten (Probst zu St. Willehad in<br />
Bremen und Wildeshausen) und der Mutter und Vormünderin ihres<br />
Neffen Otto, Heilwich, geborenen Gräfin von Hoya. Er ist zum großen<br />
Teil wörtlich dem Oldenburger Stadtbrief von 1345 nachgebildet und<br />
beruht also wie dieser auf dem Bremer Stadtrecht, das damit auch für<br />
Delmenhorst verbindlich war. Die Freiheit der neuen Stadt ist eng<br />
begrenzt. Außer der Gerichtspflege stehen der Herrschaft auch die<br />
wichtigsten Geldeinkünfte zu: Brüche und Mühle, Strom und Zoll.<br />
Gelangen sie durch Kauf oder Pfand in städtischen Besitz, so fallen<br />
sie nach fünf Jahren ohne Entschädigung an die Herrschaft zurück.<br />
Sache der Grafen ist auch die Aufnahme von Juden, sie dürfen sich<br />
nur von „Wucher", aber nicht von „Kaufmannschaft" nähren. Bündnisse<br />
mit anderen Städten, mit Landesherren und dem „Nedderland“,<br />
d. h. den Friesen, dürfen die Bürger nicht eingehen, ebensowenig sich<br />
der gräflichen Mannen gegen ihren Herrn annehmen. Der Landesherr<br />
übernimmt den Schutz der Straßen des Kaufmanns, die Bürger müssen<br />
ihm im Kriege Beistand leisten, aber nur im Bereich der Herrschaft.<br />
Sie dürfen die herrschaftliche Gemeinheit im bisherigen Umfang weiter<br />
nutzen (Trift, Weide, Feuerung) und bekommen das Holz für die Gemeindebauten<br />
umsonst. Die Einsetzung eines zwölfköpfigen Rates —<br />
die vorgesehene Erweiterung auf 18 Mitglieder ist nie erfolgt — be<br />
1) Über die allgemeinen Verhältnisse vgl. die Arbeit von K. Sichart, Die<br />
H errschaft Delmenhorst im W andel der Zeiten. Nieders. Jahrb. 13 (1936),<br />
S. 1— 59. — Die vorliegende Arbeit stützt sich hauptsächlich auf Quellen des<br />
Oldenb. Landesarchivs (O.L.) und des Delmenhorster Stadtarchivs (D.St.).<br />
2) Oldenb. UB. Bd. 2, Nr. 442.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 109<br />
gründet die städtische Selbstverwaltung. 1422 erweiterte der zur<br />
Delmenhorster Nebenlinie des oldenburgischen Grafenhauses gehörende<br />
Erzbischof Nikolaus von Bremen in einer gemeinsam für Bürger und<br />
Dienstmannen geltenden Urkunde1) diese Rechte noch unwesentlich,<br />
namentlich durch die Zusicherung von Ersatz für im Dienste des Landesherrn<br />
erlittene Schäden, Nur einmal noch, 1699, sind die städtischen<br />
Freiheiten ausgedehnt worden durch die Übertragung der Niedergerichtsbarkeit<br />
an die Stadt2).<br />
Nur zwischen Rat und Gemeinde wurde 1591 ein Gemeindestatut3)<br />
vereinbart, unabhängig vom Landesherrn, Es enthält in schwerfälligem<br />
Hochdeutsch ein buntes Durcheinander der allerverschieden-<br />
sten Bestimmungen: Strafen für Unpünktlichkeit bei Ratssitzungen und<br />
Gemeindeversammlungen, Anordnungen über die Nutzung der Gemeinheit,<br />
Verbot des Heueinkaufs auf dem Lande zu gewissen Zeiten,<br />
Hebung der Bieraccise von den Fuhrleuten, Verbot der Aufnahme von<br />
Heuerleuten ohne Ratserlaubnis, Maßnahmen gegen falsche Maße und<br />
Gewichte, Verbot des unlauteren Wettbewerbs unter den Fuhrleuten,<br />
Regelung der Tätigkeit der Feuergeschworenen, Verfahren bei den<br />
Bürgerwerken und beim Eisen (wohl des Stadtgrabens), Strafandrohungen<br />
für die Zerstörung von Umzäunungen und die Bebauung und<br />
Umfriedigung von Straßenteilen und schließlich zwei das Gerichtswesen<br />
betreffende Bestimmungen (s. unten).<br />
Jeder Wechsel des Landesherrn machte eine Bestätigung der Freiheiten<br />
nötig, seit der dänischen Zeit behielten sie sich dabei ihre Abänderung<br />
vor, Anton Günther hat sie überhaupt nicht bestätigt. Der<br />
Bestätigung ging die Huldigung der Bürgerschaft zur Seite, 1670 wurde<br />
in sie ausdrücklich die Verpflichtung aufgenommen, im Notfälle die<br />
Burg verteidigen zu helfen4). Innerhalb des durch die städtischen<br />
Freiheiten und den Gehorsam gegen den Landesherrn und seine Gesetze<br />
abgegrenzten Bezirks, der nicht zu allen Zeiten den gleichen<br />
Umfang hatte, lag das Feld der Tätigkeit von Bürgermeister und Rat.<br />
Die Ratmannen bekleideten ihr Amt lebenslänglich, schon<br />
1423 werden drei von ihnen als Bürgermeister bezeichnet5). Die Bürgermeister<br />
schworen beim Amtsantritt dem Grafen Treue und verpflichteten<br />
sich zu gewissenhafter Amtsführung6). Dagegen ist die im<br />
*) Oldenb. UB. Bd. 2, Nr. 671.<br />
2) D.St. III A lb.<br />
3) O.L. Doc. Gft. Oldbg. Stadt Dhst.<br />
4) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.).<br />
6) O.L. a. a. O.<br />
6) Erste erhaltene Eidesformel 1637: O.L. Aa Justizsachen, Dhst. Kanzleiprotokolle.
110<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Stadtbrief von 1371 vorgesehene Vereidigung der Ratsherren nicht<br />
nachweisbar, sie mag außer Gebrauch gekommen sein, jedenfalls heißt<br />
es 1718 in einem Bericht des Delmenhorster Landgerichts an die Regierung<br />
in Hannover, die Delmenhorster machten ihre Ratsstellen<br />
unter sich aus und beeidigten die Ratsherren selber1). Der Rat ergänzte<br />
sich selbst, die Zuwahl geschah im Beisein der ganzen Gemeinde,<br />
sie wurde dabei um ihre Meinung gefragt2). Später bildete<br />
sich ein anderes Verfahren3) heraus, zunächst für die Bestellung des<br />
Bürgermeisters. Es wurde endgültig geregelt durch eine königliche<br />
Verfügung4) von 1708. Danach schlug der Rat drei Bewerber<br />
aus seiner Mitte oder auch andere (sie brauchten nicht einmal Bürger<br />
zu sein), zunächst der Bürgerschaft oder einem „großen" Ausschuß<br />
vor und nach deren Zustimmung der Regierung. Diese wählte dann<br />
einen aus. Anfangs ist diese Ordnung nicht immer befolgt worden, so<br />
wurde z. B. 1725 von Hannover aus der Salzfaktor Appun zum Bürgermeister<br />
bestimmt, trotz des Einspruchs des ganzen Rats mit Ausnahme<br />
des Bürgermeisters Bruns. Bei der Wahl der Ratsverwandten<br />
wurde schließlich ebenso verfahren. Handwerker waren vom Rate<br />
ausgeschlossen, er bestand also vorwiegend aus Kaufleuten und Ackerbürgern.<br />
Unter den Bürgermeistern ist hie und da ein Jurist (s. die<br />
Nr. 28, 30, 40, 41 der folgenden Liste). Solange es mehr als einen<br />
Bürgermeister gab, wechselten sie und je drei Ratsherren im Dienste<br />
miteinander ab, soweit überliefert, jährlich. Die Diensttuenden bildeten<br />
das „regierende Quartier". Es sind keine Unterlagen dafür vorhanden,<br />
daß dem Wechsel eine räumliche Gliederung zugrundeliegt.<br />
Der Ausdruck „Quartier" bezieht sich also auf die Vierzahl, wenn man<br />
ihn überhaupt wörtlich verstehen will. Seit 1719 geschah der Wechsel<br />
am Tage Epiphanias mittags um 12 Uhr. 1680 ging die eine Bürgermeisterstelle<br />
ein, 1780 auch die zweite wegen der schlechten Geldlage<br />
der Stadt. Die Ratsstellen wurden 1680 auf 5, etwas später auf 4<br />
vermindert, 1786 auf 3. Damit hörte der Unterschied zwischen sitzendem<br />
und ruhendem Rat von selbst auf. Seit 1699 gab es einen rechtskundigen<br />
Stadtsekretär, eine Folge der Verleihung der Niedergerichtsbarkeit5).<br />
Schon einige Jahre vorher bediente sich der Rat eines Prokurators<br />
beim Landgericht als Berater, man wählte ihn zum Ratsherrn.<br />
J) O.L. Ält. Verwbeh. 26.<br />
2) D.St. X X III 142, S. 455, 697 ff., 705.<br />
3) Zuerst 1654 nachweisbar, s. O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X IV , B 5.<br />
4) Corpus Constit. Oldbg. VI, S. 372.<br />
5) „Instruktion" in Abschrift D.St. X X IA , Beilage zur Stadtrechnung<br />
1726.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. H l<br />
Über den Umfang der städtischen Selbstverwaltung kam<br />
es oft zu Streitigkeiten mit den staatlichen Beamten. Im 18. Jahrhundert<br />
zog die Kammer die Zügel immer straffer an, jede nur einigermaßen<br />
wichtige Angelegenheit mußte ihr zur Entscheidung vorgelegt<br />
werden. Die laufenden Geschäfte erledigte das „regierende Quartier",<br />
bei wesentlichen Sachen hat man aber sicher den gesamten Rat befragt.<br />
Im 18. Jahrhundert besorgte der Bürgermeister allein bestimmte<br />
Angelegenheiten, so nach einer Mitteilung an die Kammer vom 25. 5.<br />
1780 die einfachen Polizeisachen und geringen Parteisachen bis zu<br />
12 Rt. Bei Einsprüchen mußte sich dann der ganze Rat damit beschäftigen1),<br />
Eine Geschäftsordnung des Rats ist uns nicht überliefert.<br />
Die Mitwirkung der Bürgerschaft in städtischen Angelegenheiten<br />
erscheint in den älteren Urkunden bei Verkäufen von Gemeineigentum<br />
in der formelhaften Wendung: „Bürgermeister, Rat und ganze<br />
Gemeinde.“ Sicher wurde sie bei wichtigen Dingen befragt, und die<br />
Satzung von 1591 sieht ihre Berufung vor. Beispiele solcher Bürgerversammlungen<br />
finden sich 16732) (Bevollmächtigung des Rates zur<br />
Durchführung eines Rechtsstreites gegen Landrichter Michaelsen),<br />
16853) (Deckung der Kosten der Privilegienbestätigung), 1696‘ ) (Mitteilung<br />
einer kgl. Entschließung wegen Wiedereinsetzung eines zweiten<br />
Predigers und wegen eines Rechtsstreits gegen Pastor Hagen), Es handelte<br />
sich also immer um Geldfragen. Einzelne Bürger wurden ferner<br />
zur Mitunterzeichnung von Schuldurkunden herangezogen, mit dem<br />
Zusatz: „aus der Gemeinde", „im Namen der Gemeinde“5), auch zur<br />
Prüfung der städtischen Rechnungen6) , Allein es gab auch eine G e <br />
meindevertretung, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet<br />
haben muß und in der Handfeste von 1371 noch nicht erwähnt<br />
ist. Ihre Spuren sind bei dem geringen Bestand an alten Akten<br />
sehr spärlich, und erst Pfingsten 1592 ist bei einem Hausverkauf aus<br />
städtischem Besitz von der „Bewilligung der olderliuden und gantzen<br />
Gemeine" die Rede7), und in einer anderen Urkunde von 1653 wird<br />
von der „Zuziehunge und Bewilligung unser 12 Menner Ausschuß<br />
unser Bürgereye" gesprochen8). Festen Boden betreten wir erst mit<br />
*) O.L. Ält. Verwbeh. 26.<br />
2) D.St. XXIII 137.<br />
3) D.St. III A lb.<br />
4) Beides D.St. III A 2a und wegen der geplanten Pachtung der Accise<br />
D.St. XVIII 1.<br />
5) Beispiele D.St. X V III 1 z. J. 1660, 1670.<br />
6) D.St. X X I B 4 a : Servicegeldrechnung 1647/1650.<br />
7) O.L. Knauer, UB. z. Gesch. v. Dhst. II.<br />
8) D.St. XXII 2.
112<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
den Stadtrechnungen von 1684 und 16941). In ihnen treten uns d i e<br />
„Sechzehner" entgegen, die „für die hiesige Bürgerschaft sprechenden<br />
Männer"2). Die Vermehrung des Ausschusses von 12 auf<br />
16 Köpfe muß also zwischen 1653 und 1684 eingetreten sein. Die ohne<br />
Zeitangabe überlieferte Eidesformel stammt aus dem ausgehenden<br />
17, Jahrhundert3), Nach ihr wurden die Sechzehner vom Rate eingesetzt<br />
und waren nur ihm verantwortlich, während der Eid ihrer Nachfolger,<br />
der Älterleute, mit dem Treugelöbnis auf den König beginnt4),<br />
Ihre Aufgabe beschränkte sich nach dem Wortlaut auf die<br />
Mitwirkung beim Umlegen der Steuern. Aber sie war größer, als es<br />
danach den Anschein hat, denn als 1702 der Rat mit der Bürgerschaft<br />
über allerlei Geldfragen in einem heftigen Streite lag, ordnete die Regierung<br />
an, daß sie zusammen mit der Bürgerschaft — also ohne den<br />
Rat — 6 Bevollmächtigte zur Untersuchung der Sache auslesen sollten5).<br />
An ihrer Stelle wurden am 4. 2. 1716 von der hannoverschen<br />
Regierung auf Bitten der Bürgerschaft 7 Älterleute eingesetzt6). Deren<br />
Amt ist wesentlich gesicherter und umfassender als das ihrer Vorgänger,<br />
wenn es auch erst nach vielen Auseinandersetzungen mit dem<br />
Rate, der ihnen bis in Kleinigkeiten hinein Schwierigkeiten machte,<br />
1732 durch eine kgl. Verordnung fest umgrenzt wurde7). Sie ist eine<br />
fast wörtliche Nachbildung der entsprechenden Oldenburger Satzung<br />
von 1706, aber es fehlt allerlei, so vor allem die Vorsteher der Zünfte,<br />
die „Geschworenen oder Fünfzehner". In Delmenhorst sind vielmehr<br />
die Handwerker ausdrücklich von dem neuen Amte ausgeschlossen.<br />
Als ihre Vertreter galten die den Zünften aus dem Rate Vorgesetzten<br />
,,M o rgensprachsherre n“. Diese Zurücksetzung war um so<br />
kränkender, als die Handwerker zu Zeiten in Delmenhorst — man<br />
denke an die Tuchmacher — keine ganz geringe Rolle gespielt haben.<br />
Übrigens mußte man aus Mangel an Bewerbern doch gelegentlich auf<br />
sie zurückgreifen. Man half sich dadurch, daß man nur die „Zünftigen"<br />
ausschloß, andere dagegen zuließ, z. B. Bäcker, Seiler, Drechsler,<br />
Goldschmiede. Die Älterleute wurden auf 6 Jahre gewählt, viele<br />
bekleideten das Amt immer wieder von neuem. Für einen ausscheidenden<br />
Ältermann schlugen die übrigen drei Ersatzleute vor, die<br />
1) D.St. X X I A .<br />
2) D.St. III A 2b.<br />
3) D.St. III A 2b.<br />
4) D.St. III A 2b, zwischen 1732 und 1735.<br />
5) D.St. III A 2b.<br />
9) D.St. III A 2b.<br />
7) D.St. III A 2b.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. H 3<br />
Kammer traf die Wahl nach dem Ratsgutachten, war aber an die Vorschläge<br />
nicht gebunden. Die Älterleute sollten sich besonders für das<br />
wirtschaftliche Gedeihen der Stadt einsetzen und waren bei allen<br />
Geldangelegenheiten heranzuziehen. Sie traten in der Regel einmal<br />
im Monat zusammen. Waren sie in einer Sache anderer Meinung als<br />
der Rat, so konnten sie sich unmittelbar an die Kammer wenden.<br />
Die Bürgerschaft — ihr gehörten die sog. „Freien", in der<br />
Hauptsache staatliche Diener im Amte und im Ruhestande, Ärzte,<br />
Geistliche usw., nicht an — bestand aus einigen reinen Ackerbürgern<br />
und denen, die „bürgerliche Nahrung", Handwerk und Gewerbe,<br />
meist auf ackerbürgerlicher Grundlage, trieben. Alle, die das taten,<br />
mußten Bürger sein, auch die 1695 zuerst auftauchenden Juden, die<br />
selbstverständlich für irgendwelche bürgerliche Würden nicht in Frage<br />
kamen. Vereinzelt nahmen im 16. und 17. Jahrhundert auch auswärtige<br />
und einheimische Beamte das Bürgerrecht, z. B. 1576 Jakob<br />
CI am er, Drost zu Apen und Borchvorde, Vogt zu Hatten, 1579<br />
Franz von Leer, Pastor zu Delmenhorst, „nebst anderen vielen<br />
Beamten des damaligen regierenden Herrn“, in der ersten Hälfte des<br />
17. Jahrhunderts Arndt Wulf, Hausvogt zu Delmenhorst, 1632<br />
Hofprediger Henricus Schlutterus und Hans Georg<br />
M o 1 d e r , Hauptmann der Festung Delmenhorst, 1657 Kornschreiber<br />
Arnold Stüme1). Was sie dazu bewog, wissen wir nicht. Umgekehrt<br />
wollte die Gemeindesatzung von 1591 von Heuerlingen als<br />
Bürgern nichts wissen. Der Neuaufgenommene zahlte das Bürgergeld,<br />
seit dem 17. Jahrhundert 2 %—6 Rt. (es floß dem Rate zu) und<br />
lieferte einen Feuereimer oder das Geld dafür. Einen höheren Satz<br />
entrichteten die ungern, zunächst nur auf oberlichen Druck und nicht<br />
zu umgehende Empfehlungen großer Herren aufgenommenen Juden2).<br />
Den nicht zur Bürgerschaft gehörenden Freien entsprachen die nicht<br />
der Stadtobrigkeit unterstehenden „freien“ Grundstücke: außer dem<br />
ehemaligen und noch vorhandenen herrschaftlichen Besitz an Gebäuden<br />
und Ländereien die alten Wohnsitze der Burgmannen. Wieviele<br />
von den späteren „freien" Häusern auf sie zurückgehen, läßt sich<br />
nicht sicher ausmachen, nur zwei werden 1678 noch als adlig-freie und<br />
roßdienstpflichtige Rittergüter genannt3). Die meisten anderen „freien"<br />
Häuser hatten einst die Grafen ihren Dienern zu mehr oder minder<br />
mit herrschaftlichen Renten belastetem Eigentum verliehen. Zuweilen<br />
erließ die Stadt einzelnen Bürgern statt der Zinsen für geliehene Gel<br />
*) D.St. XXII 1.<br />
2) D.St. XIV C 2.<br />
3) D.St. XXII 1 zum 1. 2.1677 und O.L. A» Gft. Oldbg., Tit. XII 2.<br />
Oldenburger Jahrbuch<br />
8
114 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
der auf Zeit sämtliche oder einzelne Umlagen, mit Vorliebe die Einquartierung.<br />
Das begründete natürlich keine dauernde Freiheit, aber<br />
sie wurde dann oft beansprucht, und die Folge waren Rechtshändel.<br />
Verwickelt wurde die Sache, wenn ein „Freier“ Eigentümer oder<br />
Mieter eines „bürgerlichen“ Hauses war oder umgekehrt. Auch die<br />
Kammer hat hier nicht immer dieselbe Haltung eingenommen, 1683<br />
wurde z. B. dem Rat gestattet, die „Freien" mit Einquartierung zu belegen1).<br />
1703 dagegen sollten die königlichen Bedienten ohne „bürgerliche<br />
Nahrung” bis auf ganz dringende Fälle von ihr verschont<br />
bleiben2). Dann wieder wollten Apotheker und Anwälte ihren Beruf<br />
— allerdings vergeblich — nicht als „bürgerliche Nahrung" angesehen<br />
wissen. Schließlich drang der Grundsatz durch: wer „bürgerliche<br />
Nahrung" hat, auch der Eigentümer eines „freien" Hauses, trägt die<br />
Bürgerlasten, ist er daneben noch Staatsdiener, so untersteht er in<br />
seiner amtlichen Tätigkeit dem Obergericht in Oldenburg, als Kirchen-<br />
und Schulbedienter dem Konsistorium, in seiner bürgerlichen dem<br />
Stadtgericht. Die „freien" Eigentümer „bürgerlicher" Häuser aber<br />
haben alle dinglichen, doch keine persönlichen Stadtlasten zu tragen,<br />
„freie” Mietsleute können die ihnen daraus erwachsenden Kosten vom<br />
Mietzins abziehen. Die Zahl der „freien" Häuser wird nicht<br />
immer gleichmäßig angegeben, denn die beiden Pfarrhäuser, die Kantorei,<br />
Küsterei, Renterei, die beiden Stadtdienerwohnungen sind entweder<br />
ganz, teilweise oder gar nicht eingerechnet. Um 1675 werden<br />
19, in der Hausbeschreibung 1681: 16, 1766: 14, 1798: 22, 1801: 18<br />
genannt. Eine Angabe um 1648 nennt 57 Häuser, „so theils erbliche,<br />
theils speziell Befreyung von unser hohen Obrigkeit und theils wegen<br />
ihrer Herrendienste Befreiung haben und genießen”3). Hier handelt<br />
es sich aber ausschließlich um Freiheit von der Einquartierung.<br />
Die Pflichten der Bürger zerfielen in dingliche und persönliche.<br />
Zu diesen gehörten namentlich die mit der Festung zusammenhängenden:<br />
Dienst auf ihr in Notzeiten, Lieferung von verschiedenem<br />
Bedarf, Auf eisen der Gräben, Bürgerwachten, Teilnahme<br />
an der Bürgerwehr, und das Aufgebot zu Wolfsjagden. Am meisten<br />
umstritten war die Pflicht, die Schloßgräben aufzueisen, die Bürger<br />
behaupteten, nur zum Aufeisen des alten Stadtgrabens verpflichtet gewesen<br />
zu sein4). Der Streit nahm erst mit dem Schleifen der Festung<br />
sein Ende. Die Bürgerwachten an den beiden Stadttoren wurden 1646<br />
") D.St. X X I I 1.<br />
2) O.L. Ält. Vwbeh. 29.<br />
3) D.St. X X I B 4a.<br />
4) S. die Gemeindesatzung von 1591.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 115<br />
auf Befehl des Grafen anstelle der militärischen wieder eingerichtet,<br />
sogar die in der Stadt wohnenden Soldaten, soweit sie Bürger waren,<br />
mußten sie leisten1). Erst später wurde bestimmt, daß kein diensttuender<br />
Soldat mehr Bürger sein dürfe2). Natürlich konnte man sich<br />
beim Wachtdienst vertreten lassen. Die Bürgerwehr wurde zuweilen<br />
vom Kommandanten gemustert3). 1693 wurden 4 Unteroffiziere zur<br />
„Instruktion" eingesetzt4). Mit dem Eingehen der Festung wurden<br />
solche Exerziermeister überflüssig, doch zogen noch 1773 die beiden<br />
Kompanien beim Einzug des Landesherrn auf. Mit der Bürgerwehr<br />
hing das alte Vogelschießen zusammen. Die noch im Besitze der<br />
Schützengilde befindliche „Papagoye" trägt das Wappen Heinrichs<br />
von Schwarzburg, Erzbischofs von Bremen und Bischofs von Münster,<br />
unter dem 1482 Delmenhorst erobert wurde. Danach muß das Schießen<br />
also sehr alt sein. Vor 1680 wurde es unter Hinweis auf sein früheres<br />
Vorhandensein („vor unvordenklichen Zeiten") auf Betreiben des späteren<br />
Bürgermeister Homor erneuert5). Es schlief aber im Laufe der<br />
Jahre wieder ein. Über das Aufgebot zur Wolfsjagd hören wir namentlich<br />
um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, aber auch in der Satzung<br />
von 1591°). Noch 1683 forderte der Jägermeister die Bürger<br />
zum Treiben nach dem Lüneburgischen zu auf, aber sie lehnten ab,<br />
weil Graf Anton Günther sie vor 36 Jahren dieser Pflicht entbunden<br />
habe7).<br />
Zu den dinglichen Pflichten gehörten die Einquartierungslast, die<br />
zu Zeiten sehr stark war und von der sich auch der „ruhende" Rat<br />
gern zu drücken versuchte8), die Hand- und Spanndienste bei den<br />
Bürgerwerken: Wegebesserungen und ähnliche Arbeiten, und die Zahlung<br />
der städtischen Umlagen.<br />
Das Rechnungsj ahr lief bis 1718 vom 1. 2.—31. 1., seitdem<br />
fiel es mit dem Kalenderjahr zusammen. Die Stadtrechnung führte ein<br />
vom Rate aus der Bürgerschaft bestellter Stadtrezeptor, im 17. Jahrhundert<br />
(z. B. 1662) tritt gelegentlich ein Kämmerer auf, in der Regel<br />
ein wohlhabender Mann, denn er mußte bei dem häufigen Geldmangel<br />
") O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X IV B 24b.<br />
2) D.St. III A 3d: Gesuch des Unteroffiziers Georg Asmus 1765.<br />
3) S. die Mannzahlregister 1658, 1659 O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X V , 5,<br />
die Angaben von Knauer, O.L., UB. II S. 441.<br />
4) D.St. V A la.<br />
5) Zu 1676 s. O.L. A a Gft. Oldbg. Tit. XXXIV B 24a; D.St. II D 1; D.St.<br />
XXI A , Stadtrchng. 1682, Beil. 25.<br />
o) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1847, Nr. 14; D.St. XXI B 4 z. J. 1651/52.<br />
7) D.St. XI, 1.<br />
8) Z. B. 1676 O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. XXXII B 24a.<br />
8*
116 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
in der Kasse nicht selten aus eigenen Mitteln vorschießen. Eine Vergütung<br />
erhielt er nicht. Seit 1703, als der König der Stadt die in<br />
ihrem Gerichte anfallenden fiskalischen Brüche geschenkt hatte1), war<br />
bei der Rechnungslegung (zwischen Neujahr und Epiphanias) ein Vertreter<br />
der Kammer zugegen, nur in der hannoverschen Zeit (1711 bis<br />
1731) nicht, sicher wegen der großen Entfernung. Voranschläge gibt<br />
es erst in der französischen Zeit. Die Ausgaben bestanden in der<br />
Hauptsache aus den sehr bescheidenen Gehältern und Vergütungen,<br />
aus Bau- und Wegekosten, den Militärlasten („Servicegeld", in älterer<br />
Zeit „Bürgerzulage" genannt) und den „extraordinairen" Ausgaben für<br />
verschiedene Zwecke: kirchliche Aufwendungen, Gerichtskosten, Bestätigungen<br />
der städtischen Freiheiten, Besuche des Landesherrn, Geschenke,<br />
d. h. nicht selten Schmiergelder.<br />
An Einnahmen verfügte die Stadt zunächst einmal über die<br />
bescheidenen Erträge des städtischen Grundbesitzes. Von den Steuern<br />
ist die älteste das sog. „Kantor- und Organistengeld", eine nach der<br />
Häusergröße gestaffelte Gebäudesteuer, deren Bezeichnung auf die Reformationszeit<br />
verweist. Sie wuchs schließlich über ihren ursprünglichen<br />
Zweck hinaus. Seit 1694 gab es das Hilfegeld. Es wurde von<br />
den „bürgerliche Nahrung treibenden" Heuerlingen nach dem Vermögen<br />
gehoben, weil sie von anderen Stadtlasten, wie Kantor- und<br />
Organistengeld, Wachen, Bürgerwerken, Eisen frei waren. (Demnach<br />
hat man also damals die Heuerlinge zu einem Teile der persönlichen<br />
Dienstleistungen nicht herangezogen, ein Beweis, daß sich die Begriffe<br />
Bürger und Eigentümer um diese Zeit noch überwiegend deckten.) Die<br />
Zahl der Heuerleute schwankt stark, ist aber im allgemeinen natürlich<br />
nicht hoch, z. B. um 1640: 45, 1712: 23, 1714: 63, 1753: 38, 1780:<br />
49, 1800: 66 (darunter 30 Arme, die nichts zahlten). Zwischen 1717<br />
und 1740 stiegen sie zeitweise auf über 100 Köpfe, damals lag Garnison<br />
in der Stadt. Die Steuerbeträge gingen allmählich stark zurück,<br />
von anfangs 12 Gr. bis 1 lA Rt. auf zuletzt 6— 36 Gr. Jünger sind die<br />
Nahrungsgelder (zuerst mit nur 1)4 Rt. in der Stadtrechnung von<br />
1730). Sie sollten von denen aufgebracht werden, die ein Gewerbe<br />
betrieben, ohne zu einer Zunft zu gehören. Das ist aber nicht genau<br />
durchgeführt worden. 1801 z. B. zahlten wohl die Bäcker und Weißgerber,<br />
aber nicht Zinngießer, Knopfmacher, Färber, Glaser und Goldschmiede2).<br />
Immer scheinen dagegen Kauf leute und Krüger gesteuert<br />
zu haben. Anscheinend war man sich anfangs über den Kreis der<br />
Heranzuziehenden nicht recht klar, nach und nach erweiterte er sich,<br />
M Corpus Constit. Oldbg. VI, Nr. 122.<br />
2) D.St. III A 2c, 18.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 117<br />
und es bildete sich eine geregelte Einteilung in Steuerklassen heraus,<br />
1810 von 6 Gr. bis 5 Rt.<br />
Von altersher besaß die Stadt eine A c c i s e auf Bremer Bier<br />
neben der landesherrlichen, 6 Gr. auf die Tonne, wovon zwei Bürgermeister<br />
und Rat bekamen. Diese sehr alte, vielleicht aus den städtischen<br />
Anfängen stammende Abgabe wird urkundlich zuerst für 1620<br />
erwähnt1). Sie sank, noch zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges sehr<br />
beträchtlich, schließlich zur Bedeutungslosigkeit herab. Das gleiche<br />
gilt von dem Wege- und Brückengeld vom Lüneburger Salz, seit 1700,<br />
einer Abgabe der gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Delmenhorst<br />
eingerichteten Faktorei des Lüneburger Salzkontors. Als dieser Salzhandel<br />
etwa seit 1760 immer rascher zurückging, schwand sie zuletzt<br />
fast ganz. Zum letzten Male ist sie in der Stadtrechnung von 1802 erwähnt.<br />
Unregelmäßige Einnahmen waren die Abzugsgelder, 20 v. H.<br />
des Vermögens auswandernder Bürger. In dieser Höhe wurden sie<br />
1706 durch eine königliche Entschließung festgelegt2). Dazu kamen<br />
dann noch die polizeilichen und die Unzuchtsbrüche. Langten die<br />
ordentlichen Einnahmen nicht, so wurde eine „Kollekte" gehoben,<br />
manchmal durch Verdoppelung des Kantor- und Organistengelds oder<br />
auch eine Anleihe aufgenommen. Dies benutzte man später zu einer<br />
Art Geldgeschäft, man lieh Gelder zu einem niedrigeren Zinssatz — die<br />
Gläubiger gaben sie der größeren Sicherheit wegen lieber einer Stadt<br />
als einem einzelnen — und verlieh sie in kleineren Beträgen zu höheren<br />
Zinsen weiter. Dadurch erwarb sich die Stadt nach und nach ein<br />
kleines Barvermögen, das in der Franzosenzeit zum größeren Teile<br />
wieder draufging. Um 1670 bis mindestens 1682 hatte Delmenhorst<br />
auch die staatliche Bieraccise gepachtet3) und von 1692— 1713 die<br />
herrschaftliche Mühle.<br />
Bei den staatlichen Abgaben führte der Versuch, die<br />
Stadt zu der von Anton Günther eingeführten Kontribution heranzuziehen,<br />
erst 1711 zum Ziele. Die Regierung begründete ihre den Rechten<br />
der Stadt widersprechende Handlungsweise mit der Erleichterung,<br />
die den Bürgern aus der Aufhebung der Festung erwüchse. Das war<br />
ein fadenscheiniger Vorwand, der Hauptgrund war, daß der König<br />
durch ihre Ausdehnung auf Delmenhorst die Pfandsumme für den an<br />
Hannover überlassenen Teil Oldenburgs um 10 000 Rt. hinaufschrauben<br />
konnte. Nach geradezu dramatischen Auftritten mußte die Stadt sich<br />
fügen. Den in der dänischen Zeit häufigen außerordentlichen Steuern<br />
1) D.St. XVIII 1 z. 3. 3.1622.<br />
2) D.St. III A lb.<br />
3) D.St. II D 1.
118<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
suchte sich die Stadt regelmäßig — wenn auch stets erfolglos —<br />
unter Hinweis auf ihre schlechte wirtschaftliche Lage zu entziehen.<br />
Auch zu den Zwangsanleihen mußte sie beitragen: 1709, 1759, 1762<br />
(damals brachte Delmenhorst 15 000 Rt. auf, Oldenburg 143 250).<br />
Von den einzelnen Zweigen der städtischen Verwaltung sei nur<br />
noch die G erichtsbarkeit kurz betrachtet. Schon die Handfeste<br />
von 1371 machte das Bremer Recht für Delmenhorst verbindlich, die<br />
Gerichtspflege aber übte der gräfliche Vogt. Er hielt zweimal wöchentlich<br />
Gericht mit zwei Schöffen, den „Kornoten" und in Anwesenheit<br />
der „gemeinen Dingpflichtigen"1). Als Kornoten und Zeugen traten<br />
öfters Delmenhorster Bürgermeister und Ratsherren auf. Schon von<br />
altersher haben natürlich Bürger auch Verkäufe, Verträge, Ehestiftungen<br />
vor dem Rate vollzogen, wie die erhaltenen Urkunden bezeugen.<br />
Über eine Schlichtung von Rechtshändeln durch den Rat ist<br />
dagegen aus der älteren Zeit nichts überliefert. Erst seitdem in Delmenhorst<br />
wieder eine Nebenlinie des Grafenhauses ihren Sitz hatte, also<br />
seit 1577, stoßen wir auf sichere Zeugnisse einer städtischen Niedergerichtsbarkeit,<br />
zuerst in der Satzung von 1591 mit ihren Bestimmungen<br />
über die Klagegebühren und über das Verfahren bei verfallenen<br />
Pfändern. Um eine pfandrechtliche Angelegenheit handelt es sich<br />
auch in einem Rechtsfall von 16112) . Dann ist noch ein weiterer Fall<br />
1647 überliefert (a. a. O.), er wird der gräflichen Justizkanzlei überwiesen,<br />
weil der Sachverhalt nicht ganz klar war und auch „auß anderen<br />
Uhrsachen". Ich vermute, daß die Entwicklung der städtischen<br />
Niedergerichtsbarkeit mit der Einsetzung des aus Juristen bestehenden<br />
Delmenhorster Obergerichts nach 1577 zusammenhängt. Damit<br />
verschwand der alte Laienrichter, der Vogt, und ein Teil der einst von<br />
ihm erledigten leichteren Rechtsfälle, soweit bei ihnen nur Bürger beteiligt<br />
waren, wird dem Rate zugefallen sein. In Strafsachen besaß<br />
dieser nur eine Art Polizeistrafgewalt und konnte auf Geldstrafen,<br />
Haft, Ausstellen am Schandpfahl erkennen. Ab und zu beauftragte die<br />
Kanzlei den Bürgermeister mit Ermittlungen bei Untersuchungen3).<br />
Als Delmenhorst an Anton Günther fiel, wurde sein Obergericht in<br />
seiner Stellung gemindert und in seinen Befugnissen eingeschränkt,<br />
weil es Oldenburg unterstellt war. Damit sank natürlich auch die<br />
städtische Gerichtsbarkeit um eine Stufe. Dazu bemühte sich das Del-<br />
1) S. z. B. O.L. Doc. Gft. Oldbg., Kopiar d. Rentmeisters Lange; z. 25. 8.<br />
1538.<br />
2) D.St. X X III, 4.<br />
3) Beisp. s. O.L. A » Justizsachen, Dhst. Kanzleiprot.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 119<br />
menhorster Landgericht, sie noch weiter einzuengen, weil sie keine fest<br />
umschriebene Zuständigkeit hatte, und es kam zu unaufhörlichen Zwistigkeiten.<br />
Als schließlich der Landrichter Michaelsen sogar die<br />
Schlüssel zu den Toren und Schlagbäumen in Verwahrung nehmen<br />
wollte, klagte die Stadt gegen ihn. Als letzte Spruchbehörde entschied<br />
die Leipziger Juristenfakultät zu ihren Gunsten und sprach ihr nicht<br />
nur die Schlüssel, sondern auch die „Gerichtsbarkeit in klaren bürgerlichen<br />
Sachen über ihre Bürger" zu1). Dabei blieb freilich die Frage<br />
offen, was denn eigentlich „klare bürgerliche Sachen" seien — das<br />
Landgericht rechnete z. B. Vergantungen nicht dazu — und der Hader<br />
hörte nicht auf, es kam vor, daß vom Stadtgericht erledigte Sachen<br />
noch einmal vom Landgericht abgeurteilt wurden. Endlich setzte sich<br />
die Stadt doch durch. In die Bestätigung des Stadtbriefes durch König<br />
Christian V. vom 14. 7. 1699 wurde das Leipziger Urteil ausdrücklich<br />
aufgenommen, und am 18. 11. 1699 erhielt Delmenhorst die Gerichtsbarkeit<br />
erster Instanz über alle die gemeine Bürgerschaft angehenden<br />
bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, und das Stadtgericht wurde unmittelbar<br />
dem Obergericht in Oldenburg unterstellt2). Versuche der Stadt<br />
aber, ihre Gerichtsbarkeit nach dem Oldenburger Vorbild über die<br />
bürgerlichen Äcker, Gärten und Weiden außerhalb der Stadt und über<br />
die in bürgerlichen Häusern und auf bürgerlichen Gründen sich aufhaltenden<br />
Fremden auszudehnen, scheiterten ausnahmslos. Über die<br />
Erledigung der Geschäfte durch das Stadtgericht klagten die Bürger<br />
allerdings oft, denn die schlecht bezahlten Stadtsekretäre waren im<br />
Neben-, vielmehr im Hauptamte Anwälte und Assessoren beim Landgericht<br />
und vernachlässigten dabei leicht ihre Stadtgeschäfte. Das<br />
Ende vom Liede war schließlich, daß durch herzoglichen Erlaß vom<br />
11. 3. 1793 die gerichtlichen Geschäfte oder sog. gelehrten Arbeiten<br />
dem Rate bis zu anderweitiger Verfügung entzogen und dem Landgericht<br />
zur Verwaltung übertragen wurden und der Stadt nur das<br />
Polizei- und Industriefach blieben. Da das ihren Rechten widersprach,<br />
war ihr zunächst aufgegeben worden, zu erwägen, ob sie das nötige<br />
Geld zur ordnungsmäßigen Verwaltung der Rechtspflege aufbringen<br />
könne. Das war unmöglich, und so war es mit der einst so heiß erkämpften<br />
gerichtlichen Selbständigkeit aus3).<br />
Im übrigen bestanden die alten Verhältnisse weiter, bis 1811 die<br />
französische Besetzung die ganze alte Ordnung beseitigte.<br />
1) 1675, D.St. III A lb.<br />
2) D.St. III A lb.<br />
3) D.St. III B 2.
120<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
II. Liste der städtischen Amtsträger bis 1813.<br />
1. Bürgermeister.<br />
1. 14231) Hinrik de Wullenwever<br />
2. 14231) Alveke de Meygere.<br />
3. 14231) Hinrik W olders.<br />
4. 14832) Gerdt Holcke.<br />
5. 15043)— 15054) Hermann Lulle-<br />
man (vorher Ratmann, s. 63).<br />
6. 1505T 8) Johan Telder.<br />
7. 15195) Hinrick Meynhardes.<br />
8. 1527®) Diederich Grashorn.<br />
9. 1527“)— 15387) Hinrick Vagedes<br />
(Vagdts).<br />
10. 1527°)— 15658) Johan (Hensken)<br />
Remensnyder (Reymen-<br />
schneider).<br />
11. 15309)— 153110) Johan Kantz<br />
(Cantze).<br />
12. 153411)— 156012) Hinrick Grashorn.<br />
13. 154113) Cort Lullemann (vorher<br />
Ratmann, s. 75).<br />
14. 15501*)— 15751B) Steenken Lulle-<br />
man (Lüllenham, Lolleman).<br />
15. 1565®) Eilert Stöver.<br />
16. 156916)— 159317) Wilm von Gesseln<br />
(Gesselmann) (vorher Ratmann,<br />
s. 79).<br />
17. 157018)— 160010) Hinrich Bart-<br />
scheer (Bartscher, Barscher)<br />
vorher Ratmann, s. 84).<br />
18. 158420)— 1621«) Egbert (Egbart)<br />
von Langen.<br />
19. 159021) Albert Stroschnider<br />
20. 160922)— 1623*23) Gerdt Bärens-<br />
veldt (Barnesfeld, Barnsfeldt).<br />
21. 161624)— 1626»)25) Arend Meisol<br />
(Meysoll, Meysahl).<br />
22. 16232®)— 162525) Hinrich Hesse.<br />
23. 1627*27)— 1643*8) Johann Grashorn<br />
(vorher Ratmann, s. 100).<br />
24. 1627*27)— 163028) Arend Schmidt<br />
(Arnold Schmiet) oder von Ey-<br />
nem (Einem) (vorher Ratmann,<br />
s. 101).<br />
25. 1632*23)— 1664*29) Heinrich<br />
Meysohl.<br />
26. 163330)— 163531) Theodosius<br />
Hoyer.<br />
27. 1635*32)— 1654*») Johannes<br />
Bödeker.<br />
28. 1646*33)— 1654*8) Anthon<br />
Gras(s)horn (Jurist).<br />
29. 1655*°)— 1668*®) Hermann M est-<br />
macher (Harmen Mestmaker)<br />
(vorher Rv., s. 107).<br />
30. 1655*34)— 1666*35) Bernhard (Be-<br />
rend) Bödeker (Jurist) (vorher<br />
Rv., s. 123).<br />
31. 166523)— 1669*3«) Anthon (Tön-<br />
jes) Griepenkerl (vorher Rv.,<br />
s. 129).<br />
32. 1667*»)— 1673*») Hinrich M en-<br />
cken (Menkens, Mengke* Mencke)<br />
(vorher Rv., s. 128).<br />
33. 1669*»)— 1679*37) Hinrich Hege-<br />
ler (vorher Rv., s. 122),<br />
34. 1670*38)— 1679*») Hermann Niemeyer<br />
(Nymeyer, Neumeyer).<br />
35. 1674*39)— 1706*40) Diederich<br />
Osterloh (Lüneburgischer Salzfaktor).<br />
36. 1680*41)— 1702*42) Hermann Ho-<br />
mohr (Humor, Humohr, Homor)<br />
vorher Rv., s. 134).<br />
37. 1702*43)— 1707*44) Johann Friedrich<br />
Probst (Propst), Rent-<br />
schreiber).<br />
38. 1706*— 1718* Gerd (Gerdt)<br />
Meyer (vorher Rv., s. 138) und<br />
Sechz., s. 174).<br />
39. 1708*45)— 1724* Heinke Sten-<br />
feldt (Steinfeld) (vorher Rv.,<br />
s. 142 und Sechz., s. 165).<br />
40. 1719*— 1761* Johann Dietrich<br />
Bruns (Kanzleiassessor) (vorher<br />
Rv., s. 145).<br />
41. 1725*— 1735* Johann Andreas<br />
Appun (Salzfaktor, Jurist,<br />
Schwiegersohn von 35).<br />
42. 1736*— 1769* Gerhard Voigt<br />
(vorher Rv., s. 151).<br />
43. 1761*— 1765* Dietrich Martin<br />
Klaener (vorher Rv., s. 152 und<br />
Äm., s. 209),<br />
44. 1766*— 1792* Joachim Engel,<br />
1761*— 1765* Vizebürgermeister.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 121<br />
45. 1770*— 1780* Heinke Dietrich<br />
Osterloh (vorher Rv,, s. 157<br />
und Äm., s. 225),<br />
1792— 1793 war der Bürgermeisterposten<br />
nicht besetzt.<br />
46. 1794*— 1811* Johann Groninger<br />
(vorher Rv., s. 161 und Äm.,<br />
s. 233).<br />
2. Stadtsekretäre.<br />
47. Um 169546) Johannes Meyer<br />
(Prokurator beim Landgericht),<br />
Vorläufer des Stadtsekretärs.<br />
48. 1 6 9 9 *")— 1717* Johann Gerhard<br />
Hellman (vorher Advokat und<br />
Prokurator beim Landgericht).<br />
49. 1718*— 1725* Johann Arnold<br />
Hoyer.<br />
50. 1725*— 1762* Caspar Siegfried<br />
Hansen (Landgerichtsassessor),<br />
51. 1763*— 1771* Arnold Bruns<br />
(Landgerichtsassessor, Kanzleirat).<br />
52. 1772*— 1793* Johann Friedrich<br />
Voigt (Landgerichtsassessor,<br />
Kanzleirat).<br />
53. 1794*— 1811* Hermann Jakob<br />
Anthony (Landgerichtsassessor).<br />
3. Ratmannen, Ratsverwandte,<br />
Ratsherren.<br />
54. 14231) Hinrik Godeken.<br />
55. 14231) Beneke Alves.<br />
56. 14231) Hinric Cok.<br />
57. 14231) Diderik Holleken.<br />
58. 14231) Herman Mathias.<br />
59. 14231) Abele Tuteken.<br />
60. 14231) Godschalk Schomaker.<br />
61. 14231) Hinrik Werneken.<br />
62. 14832) Berendt Lubberdes.<br />
63. 14832) Harmen Lulleman (später<br />
Bm., s. 5).<br />
64. 14832) Johan Smidt.<br />
65. 150548) Johan Meiger.<br />
66. 150548) Borghert Ryckberen.<br />
67. 150548) Herman Segebade.<br />
68. 15195) Dirick Smydt.<br />
69. 15195) Hennynck Becker.<br />
70. 15195) Clawes Smedes.<br />
71. 153110)— 15658) Clawes Meiger.<br />
72. 153110)— 153249) Martinus Bartscherer.<br />
73. 153110)— 153650) Reyner Holcken<br />
de Junger.<br />
74. 153411)— 153751) W olter Hartman<br />
(s).<br />
75. 153411)— 153751) Kordt Lulleman<br />
Lunnemann) (später Bm., s. 13).<br />
76. 153411)— 157018)52) Joh ai Lulleman<br />
(Lunneman, Lolleman).<br />
77. 153650) Johan Hokenbarch.<br />
78. 15365®)— 153751) Herman Porte-<br />
ner, „offt van Hatten genanet"50).<br />
79. 156153) Wilhelm Gesselmann<br />
(später Bm., s. 16).<br />
80. 156164)— 157018) Hinrich Hokenbarch<br />
(Hakenbargh).<br />
81. 15658)— 159355) Johann Kock.<br />
82. 1565s) Johann Alfes.<br />
83. 15658)— 158420) Johan Smit<br />
(Smyth).<br />
84. 156910) Hinrich Bartscherer<br />
(Barscher) (sp. Bm., s. 17).<br />
85. 156916) Hinrik Kruese.<br />
86. 157018) Jürgen Becker.<br />
87. 157018) Hinrik Graßhorn.<br />
88. 157756) Johann Alhartz.<br />
89. 157756)— 160019) Jürgen Wynter.<br />
90. 158420) Harmen Hockenberch.<br />
91. 158420) Albert Ketingk.<br />
92. 15842“)— 1593“ ) Clawes Bernsfeld.<br />
93. 159355) Harmen Wöltcken.<br />
94. 160019) Hinrich Appyn.<br />
95. 160019) Johann Wächter.<br />
96. 160157) Johan Smidt.<br />
97. 160157) Dirich Brunkhorst.<br />
98. 160157) Hinrich Hensgen.<br />
99. 160157) Hinrich Meyer.<br />
100. 160922)— 162558) Johan Graßhorn<br />
(später Bm., s. 23).<br />
101. 160922) Arendt Schmidt (später<br />
Bm., s. 24).<br />
102. 160922) Henrich Bathoff.<br />
103. 161624)— 162558)58») Anthon<br />
Schliemann (Tonnies Schleye-<br />
mann).<br />
104. 162558) Gerd Bücking.
122<br />
105. 1625“ ) Henrich Hoyer.<br />
106. Um 163059)— 163560) Tönnies<br />
Hutfilter.<br />
107. 1631“ )— 1654*62) Hermann Mest-<br />
macher (später Bm., s. 29).<br />
108. 163161)— 165283) W ilcken von<br />
Henstede.<br />
109. 163223) Curdt Barnsfeldt.<br />
110. 1635®°) Dirich Gesselmann.<br />
111. 1635°°) Dirich von Seggern.<br />
112. 164264) Lübbe Oeken.<br />
113. 164259)— 1674’’9) Hartwich<br />
Schmidt (von Eynem, von Einem)<br />
(Sohn von 24).<br />
114. 1644«5)— 1659“ ) Diederich<br />
Brunkhorst.<br />
115. 164465)— 1654“2a) Heinrich Ballehr.<br />
116. 164487)— 165088) Hinrich Fischer.<br />
117. 164485)— 166169) Carsten Helmers.<br />
118. 164870) Ahlert Menkens.<br />
119. 165171)— 166172) Dirick (Diederich)<br />
Haucke,<br />
120. 165273) Henrich Cordes.<br />
121. 165274) Henrich Satteier.<br />
122. 1652®3) Heinrich Hegeler (später<br />
Bm., s. 33).<br />
123. 1654*82) Berend Bödeker (später<br />
Bm., s. 30).<br />
124. 165623)— 1680*75) Johan Dreß<br />
(Dreas).<br />
125. 165966)— 1666*76) Tönnies Coch.<br />
126. 165977)— 167078) Hinrich Hartken<br />
(Herttgen).<br />
127. 166079— 167078) Johann W übbenhorst.<br />
128. 166080)— 166523) Heinrich Mengke<br />
(Menkenß) (später Bm., s. 32).<br />
129. 166281)— 1664*82) Tönjes Grie-<br />
penkerl (Camerary) (später Bm„<br />
s. 31).<br />
130. 166523)— 1694 Cordt Henningß<br />
(Hengen).<br />
131. 167078)— 167583) Härmen von<br />
Geßeln.<br />
132. 167078)— 1694 Heinrich Bödeker<br />
(Bötticher).<br />
133. 167078)— 1696 Diederich (Dirich,<br />
Dirk) Helmerß.<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
134. 1672s1)— 1679*85) Hermann<br />
Homohr (später Bm., s. 36).<br />
135. Zwischen 1673/7688)— 1681 Christian<br />
Heinrich Meyerholtz.<br />
136. Zwischen 1673/7688)— 1698*87)<br />
Gerhard (Gerd) Berenß.<br />
137. Zwischen 1673/7686) ««)— 1696<br />
Ahlert Menkens.<br />
138. 169980)— 1706* Gerdt Meyer<br />
(später Bm., s. 38, vorh. Sechz.<br />
s. 177).<br />
139. 170090)— 1719*90) Jacob Boldt<br />
(Bolte).<br />
140. 170123)— 1705*01) Heinrich<br />
Hegeler (vorh. Sechz.? s. 174).<br />
141. 170223)— 1705 Cordt Kruse (vorh.<br />
Sechz., s. 176).<br />
142. 1706— 1708*) Heinke Steinfeld<br />
(Stenfeldt) (später Bm., s. 39,<br />
vorher Sechz., s. 168).<br />
143. 1707— 1718*) Johann Anton<br />
(Tönnies) Bödeker.<br />
144. 1707— 1733*) Gerdt Vosteen<br />
(Fosteen, Fostein).<br />
145. 170892)— 1718*) Johann Dietrich<br />
Brunß (später Bm., s. 40).<br />
146. 1719*)— 1733*) Dietrich Osterloh.<br />
147. 1719*)— 1730*) Friedrich Jacob<br />
Edeler (vorher Äm., s. 195).<br />
148. 1719*)— 1732*) Georg Lotz (vorher<br />
Äm., s. 196).<br />
149. 1733*)— 1741*) Johann Mengers<br />
(Mengerßen) (vorher Äm., s. 207).<br />
150. 1733*)— 1743*) Diederich<br />
Hegeler.<br />
151. 1734*)— 1735*) Gerhard Voigt<br />
(später Bm„ s. 42).<br />
152. 1734*)— 1761*) Dietrich Martin<br />
Klaener (Kloener) später Bm.,<br />
s. 43, vorher Äm., s. 209).<br />
153. 1736*)— 1769*) Peter Dubravius.<br />
154. 1741*)— 1744*) Johann Dietrich<br />
Pundt.<br />
155. 1754*)— 1775*) Hermann Meyer<br />
(vorher Äm., s. 216).<br />
156. 1745*)— 1770*) Johann Eberhardt<br />
Bödeker.<br />
157. 1762*)— 1769*) Heinke Dieterich<br />
Osterloh (später Bm., s. 45, vorher<br />
Äm., s. 225).
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 123<br />
158. 1770*)— 1776*) Heinrich Hegeler<br />
(vorher Äm., s. 227).<br />
159. 1770*)— 1783*) Dietrich Martin<br />
Klaener ((vorher Äm., s. 230).<br />
160. 1771*)— 1787*) Theobald Hoff-<br />
mann (Apotheker).<br />
161. 1776*)— 1793*) Johann Gronin-<br />
ger (später Bm-, s. 46, vorher<br />
Äm., s. 237).<br />
162. 1777*)— 1785*) Stephanus<br />
Epping.<br />
163. 1783*)— 1811*) Johann Arnold<br />
Schumann.<br />
164. 1788*)— 1800*) Hermann Conrad<br />
Mestwerdt.<br />
165. 1794*)— 1811*) Hermann Liborius<br />
Alfken (späterMaire, s, 257).<br />
166. 1801*)— 1811*) Albert W eyhausen<br />
(später Munizipalrat, s.<br />
260, vorher Äm., s. 251).<br />
4. Sechzehner.<br />
167. 167803) Paul Grave.<br />
168. 169604)— 170295) Heinke Steinfeld<br />
(Stenfeld) (später Bm., s.<br />
39 und Rv., s. 142).<br />
169. 1696°'*)— 170295) Dierich Jakub<br />
Rogge (später Äm. ?, s. 200).<br />
170. 169694) Hans Berend Deterß.<br />
171. 169694) Hinrich Kruse.<br />
172. 169694) Johann Deterß.<br />
173. 169604) Hinrich Sommers.<br />
174. 169694) Hinrich Hegeler (später<br />
Rv.? s. 140).<br />
175. 169694) Johan von Halen.<br />
176. 169694)— 170296) Kordt Kruse,<br />
(Fuhrmann) (später Rv., s. 141).<br />
177. 169604) Gerdt Meyer (später Bm.,<br />
s. 38 u. Rv., s. 138).<br />
178. 169694) Christian Berenß.<br />
179. 169694) Hermann Lange.<br />
180. 169694)— 170295) Harmen Freudenberg.<br />
181. 169694) Heinke Klattenhoff.<br />
182. 169694) Johan Witte (später Äm .?,<br />
s. 204).<br />
183. 169694) Statz (Statius) von Einem.<br />
184. 169796)— 170295) Wohler Müller.<br />
185. 170197)— 170295) Johan Mestmacher.<br />
186. 170107)— 170205) Henrich Witte.<br />
187. 1701®7)— 1702°“) Johan Windeis.<br />
188. 170295) Hermann (?) Dunker.<br />
189. 170296) Hinrich von Dorsten.<br />
190. 170295) Harmen Deterß (später<br />
Äm. ?, s. 205).<br />
191. 17028!i) . . . Hartcken.<br />
192. 170205) Eggerdt Pundt.<br />
193. 170295) Christian Stembßhorn.<br />
5. Älterleute"s).<br />
194. 1716*)— 1729*) Johann Friedrich<br />
Stolting.<br />
195. 1716*)— 1719*) Friedrich Jacob<br />
Edeler (später Rv., s. 147).<br />
196. 1716*)— 1719*) Georg Lotz (später<br />
Rv., s. 148).<br />
197. 1716*)— 1718*) Hinrich Bödeker.<br />
198. 1716*)— 1738*) Hermann<br />
Drieling.<br />
199. 1716*)— 1731*) Johan Pundt.<br />
200. 1716*)— 1718*) Dirck Rogge<br />
(vorher Sechz. ?, s. 169).<br />
201. 1718*)— 1732*) Friedrich<br />
Christian Brunß.<br />
202. 1718*)— 1720 Hinrich Hegeler<br />
Sohn v. 174?<br />
203. 1719*)— 1732*) Harmen Frese.<br />
204. 1727*)— 1731*) Johan Witte<br />
(vorher Sechz. ?, s. 182).<br />
205. 1720— 1733*) Hermann Deters<br />
vorher Sechz. ?, s. 190).<br />
206. 1732*)— 1734*) Behrend Lübbers.<br />
207. 1732*) Johann Mengers (Men-<br />
gerßen), später Rv., s. 149).<br />
208. 1732*)— 1734*) Gerd Bischoff.<br />
209. 1732*)— 1734*) Dietrich Martin<br />
Klaener (später Bm., s. 43 und<br />
Rv., s. 152).<br />
210. 1732*)— 1739*) Conrad Backenköhler.<br />
211. 1732*)— 1741 Johann Mencke.<br />
212. 1732*)— 1733*) Gerd Rover.<br />
213. 1734*)— 1748*) Christoph<br />
Wächter.<br />
214. 1735*)— 1749*) Cord Voigt<br />
(Vagt).<br />
215. 1735*)— 1753*) Harm Christoph<br />
Meyerholtz.
124<br />
216. 1735*)— 1745*) Harmen M eyer<br />
(später Rv., s. 155).<br />
217. 1738*)— 1740*) Peter Meyer.<br />
218. 1741*)— 1751*) Herman Frese.<br />
219. 1741*)— 1751*) Johann Deters.<br />
220. 1745*) Hinrich Ordemann.<br />
221. 1746*)— 1753*) Carl Körner.<br />
222. 1748*)— 1762*) Hinrich Plate.<br />
223. 1750*)— 1765*) Tönnies Claus<br />
Ficke (Bruder von 226).<br />
224. 1750*)— 1783*) Cord Voigt.<br />
225. 1751*)— 1762*) Heinke Diederich<br />
Osterloh (später Bm., s. 45 und<br />
Rv., s. 157).<br />
226. 1751*)— 1765*) Johann Hillmann<br />
Ficke (Bruder von 223).<br />
227. 1753*— 1767*) Hinrich Hegeler<br />
(später Rv., s. 158).<br />
228. 1753*)— 1783*) Gideon Lückens<br />
(Lütken).<br />
229. 1762*)— 1807*) Peter Gerkens.<br />
230. 1762*)— 1770*) Dietrich Martin<br />
Klaener (später Rv., s. 159).<br />
231. 1765*)— 1771*) Gerhard Hinrich<br />
Körner.<br />
232. 1765*)— 1774*) Johann Berend<br />
Freudenberg.<br />
233. 1767*)— 1773*) Hinrich Lückens.<br />
234. 1770*)— 1800*) Hinrich Ordemann.<br />
235. 1771*)— 1784*) Johann Christoph<br />
Köcker.<br />
236. 1773*)— 1790*) Johann Wilhelm<br />
Körner.<br />
237. 1774*)— 1776*) Johann Grönin-<br />
ger (später Bm., s. 46 und Rv.,<br />
s. 161).<br />
238. 1776*)— 1790*) Johann Müller<br />
(Brauer).<br />
239. 1780*)— 1790*) Diedrich Fortmann<br />
(Vortmann).<br />
240. 1783*)— 1804*) Friedrich Alfs.<br />
241. 1783*)— 1794*) Heinrich von<br />
Gesseln (Bäcker).<br />
242. 1784*)— 1791*) Berend Meiners.<br />
243. 1790*)— 1798*) Dietrich Jacob<br />
v. d. Lippe.<br />
244. 1790*)— 1797*) Anton Conrad<br />
Ficke.<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
245. 1790*)— 1800*) Johann Melchior<br />
von Gesseln.<br />
246. 1791*)— 1794*) Lüder Ficke.<br />
247. 1794*)— 1800*) Hermann<br />
Christoph Schröder.<br />
248. 1796*)— 1811*) Conrad Dietrich<br />
Voigt (Bäcker).<br />
249. 1799*1— 1800*) Hermann Stolle<br />
(Branntweinbrenner).<br />
250. 1799*)— 1811*) Johann Heinrich<br />
Haake (Krämer) (später Maire<br />
adjoint, s. 259).<br />
251. 1800*)— 1801*) Albert W eyhausen<br />
(Kaufmann) (später Rv.,<br />
s. 166 und Munizipalrat, s. 260).<br />
252. 1800*)— 1811*) Johann Hinrich<br />
Meyer (Knopfmacher).<br />
253. 1801*)— 1811*) PaulOehr (Goldschmied).<br />
254. 1801*)— 1811*) August Wilhelm<br />
Wiesemann.<br />
255. 1804*)— 1811*) Hermann Heinrich<br />
Kruse (Kaufmann).<br />
256. 1810*1— 1811*) Johann Heinrich<br />
Büsing (später Munizipalrat, s.<br />
264).<br />
6. Gemeindevertreter<br />
in der Franzosenzeit90).<br />
257. 1811*) Hermann Liborius Alfken<br />
(Kaufmann), Maire (vorher Rv.,<br />
s. 165).<br />
258. 1812*)— 1813*) Johann Friedrich<br />
Barmstedt (Kammerassessor),<br />
Maire (später Bürgermeister bis<br />
1826).<br />
259. 1811*)— 1813*) Johann Hinrich<br />
Haake, Maire adjoint (vorher<br />
Äm., s. 250).<br />
260. 1811*)— 1813*100) Albert W e y <br />
hausen (vorher Rv., s. 166 und<br />
Äm., s. 251).<br />
261. 1811*)— 1813*) Dr. med. Otto<br />
Ernst Oppermann (Arzt).<br />
262. 1811*)— 1813) Friedrich Ludwig<br />
Wilhelm Oldenburg (Apotheker).<br />
263. 1811*)— 1813*) Heinrich Fitger<br />
(Gastwirt).<br />
264. 1811*)— 1813*) Johann Heinrich<br />
Büsing (vorher Äm., s. 256).
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 125<br />
265. 1813*) Johann Wilhelm Anton<br />
Wittenberg.<br />
266. 1813*) Heinrich Schwarting.<br />
267. 1813*) Gideon Lütkens.<br />
268. 1813*) Christian Friedrich Meis-<br />
ner (Notar, später Amtmann in<br />
Delmenhorst).<br />
269. 1813*) Klaus Windeis, Hasbergen.<br />
270. 1813*) Heinrich Lehmkuhl,<br />
Hasbergen.<br />
271. 1813*) Johann Lürßen,<br />
Hasbergen.<br />
272. 1813*) Lüdeke Schierenbeck,<br />
Hasbergen.<br />
B elege und Anmerkungen.<br />
273. 1813*) Heinrich Schierenbeck,<br />
Hasbergen.<br />
274. 1813*) Heinrich Dietrich Plate,<br />
Schohasbergen.<br />
275. 1813*) Johann Meyer, Stickgras.<br />
276. 1813*) Johann Gerhard Zange,<br />
Dwoberg.<br />
277. 1813*) Cord Hinrich Kruse,<br />
Dwoberg.<br />
278. 1813*) Johann Berend Hegeler,<br />
Deichhorst.<br />
279. 1813*) Bernhard Kruse, Deichhorst.<br />
Es ist immer nur eine Belegstelle angegeben für das erste und letzte nachweisbare<br />
Amtsjahr. Dazwischen liegende Jahre sind nicht belegt. W o keine<br />
Belegstelle genannt ist, entstammt die Angabe den Stadtrechnungen, sie sind<br />
von 1682 ab erhalten. Gesicherte Anfangs- und Endjahre sind durch einen*<br />
gekennzeichnet. D.St. = Delmenhorster Stadtarchiv.<br />
*) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 7. 6. 1423.<br />
2) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 5. 2. 1483.<br />
3) O.L. Kollegiatstift Dhst. (Rüthn. IV, 900); 26. 12. 1504.<br />
*) O.L. Doc. Herrsch. Dhst. im Münsterschen Bes.; 31. 12. 1505.<br />
5) O.L. Doc. Kirchen des Hzts. III (Rüthn. VII, 210); 13. 12. 1519.<br />
6) Wochenbl. f. d. Kreis Dhst. 1846, Nr. 9. (Von Pupillenschreiber Knauer<br />
nach heute verlorenen Akten. Ks. Angaben sind, wo Nachprüfung möglich,<br />
nicht immer richtig). D.G. kann höchstens bis 1530 Bm. gewesen sein, vgl.<br />
Liste 9, 10, 11.<br />
7) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 28. 8. 1538. V. kann nur bis 1541 Bm.<br />
gewesen sein, vgl. Liste 10, 12, 13. 13 ist sein Nachfolger.<br />
8) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1845, Nr. 41. R. war 1568 tot, vgl. O.L. Doc.<br />
Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 30. 12. 1568. R. ist in Dhst. geb., 1561 etwa 65 Jahre<br />
alt, lebt „vom Pflügen und Herbergen, 300 rhein. Gulden Vermögen", Zeuge<br />
im Münsterschen Prozeß; 18. 8. 1561; s. O.L. A a. Gft. Oldbg., Tit XLVI, 20b.<br />
8) O.L. Stadt Wildeshausen (Rüthn. V, 976); 12. 10. 1530.<br />
10) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 31. 12. 1531.<br />
u ) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 3. 6. 1534.<br />
12) O.L. A a. Gft. Oldbg., Tit. XLVI, 20b; 20. 5. 1560. Zeuge im Münsterschen<br />
Prozeß, geb. in Grashorn, Gft. Dhst., Hausmann, lebt vom Ackerbau,<br />
hat ein „ziemlich Einkommen", 68 Jahre alt.<br />
13) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 4. 5. 1541.<br />
“ ) O.L. Knauer, Urk. z. Gesch. v. Dhst. II, Nr. 42; am Tage Cathedra<br />
Petri 1550.
126<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
15) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 28. 4. 1575. L. ist Zeuge im<br />
Münsterschen Prozeß, 18. 8. 1561 (s. Anm. 12), geb. zu Dhst., 400 Taler<br />
Vermögen, 50 Jahre alt, Er wird „consularius“ genannt, gehörte also damals<br />
nicht zum „regierenden“ Quartier.<br />
“ ) D.St. X X III, 3; am Abend Mich. 1569.<br />
17) D.St. XV III, 1; Fastelabend 1593.<br />
181 D.St. X X III, 3; 3. 10. 1570.<br />
10) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Seite 196; 20. 4. 1600.<br />
*°) O.L. Doc. Kirchen d. Hzts. III; 31. 5. 1584.<br />
21) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 4. 2. 1590 (Einziger Beleg). St.<br />
kann 1590 zum mindesten nicht mehr als Bm. im Amte gewesen sein, s. Liste<br />
16, 17, 18. Vielleicht war er kein Dhst. Bm.<br />
” ) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Seite 194; die conversionis<br />
Pauli 1609.<br />
23) Gildebuch d. Dher. Polykarpusgilde. Fastnacht 1632. Spätere A n <br />
gaben unter 23) sind meist von Johanni des betr. Jahres.<br />
24) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 26. 3. 1616.<br />
” ) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 4. 3. 1625. M. ist 16.4. 1630<br />
tot (a .a .O .), er muß 1626 oder 1627 gest. sein, s. Liste 20, 23, 24.<br />
2e) O.L. Aa. Gft. Oldbg., Tit. VIII A , 4; 15. 2. 1623.<br />
” ) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 21, 3. 1627.<br />
28) D.St. X X III, 142; vgl. unterm 25. 6. 1675. S. ist 1632 tot: Gildebuch<br />
d. Dher. Polykarpusgilde.<br />
M) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 19. 4. 1664.<br />
“ ) DSt. X V III, 1; Fastelabend 1634 als „regierender" Bm. abgetreten.<br />
31) D.St. X X III, 1; 10. 12. 1635. Nach O.L. A a. Gft. Oldbg. Tit. X X X IV ,<br />
B 32. 1635 ins Braunschweigische gezogen, aber die Angabe ist von 1702!<br />
32) D.St. XV III, 1; 16. 11. 1635 (zu 1654 s. auch O.L. A a. Gft. Oldbg.,<br />
Tit. X X X IV B 5)<br />
331 O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 27. 4. 1646 unter „Formula<br />
des Brms. zu Dhst. aidts“ 1637. Sohn von 23, s. D.St. IV, 1 ohne Zeitang. (Zu<br />
1654 s. auch Anm. 32.)<br />
M) wie 33, aber 10. 3. 1655.<br />
38) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 24. 8. 1666.<br />
39) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 4. 6. 1669.<br />
37) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 17. 8. 1679.<br />
38) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 17. 9. 1670.<br />
“ 1 D.St. X X III, 142; 23. 11. 1674.<br />
“ 1 Ev. Kirchenbuch Dhst.; gest. 26. 10. 1706.<br />
u ) D.St. X V III, 1; 23. 8. 1680.<br />
42) Ev. Kirchenbuch Dhst. gest. 9. 6. 1702. H. hat 1664 den Bürgereid<br />
geleistet (D.St. X X III, 142), er ist um 1630 geb. und stammt aus dem Flecken<br />
Essen im Amte Kloppenburg. Sehr wohlhabend.<br />
43) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 6. 9. 1702. Die Frau des Bm. P. als Patin.<br />
44) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 25. 10. 1707.<br />
45) Ev. Kirchenbuch Dhst., 5. 9. 1708 Pate.
Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 127<br />
46) D.St. X IV A lc. — Nach D.St. III B 1 (1697) war M. auch zum<br />
Ratsverwandten gewählt worden, 1698 ist er es nicht mehr.<br />
47) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v, Dhst. II, S. 200; 2. 12. 1699. Abschrift<br />
der „Instruktion" auch D.St. XXI A , Stadtrechnung 1726, Beilage.<br />
4S) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 31. 5. 1505.<br />
40) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 18. 11. 1532.<br />
so) O.L. Copiar d. Rentm. Lange (Rüthn. III, 578); 14. 8. 1536.<br />
61) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 30. 11. 1537.<br />
52) 18. 8. 1561 Zeuge im Münsterschen Prozeß (s. Anm. 12), geb. 1501 zu<br />
Schlüttervort, Ackerbürger, mehr als 100 Joachimstaler Vermögen.<br />
83) W ie Anm. 12, aber zum 18. 8. 1561. Geb. um 1520 in Dhst., Ackerbauer,<br />
200 Taler Vermögen.<br />
B4) W ie Anm. 12, zum 18. 8. 1561. Geb. um 1510 in Dhst., Ackerbauer,<br />
300 Gulden Vermögen.<br />
mit 83?<br />
55) Beleg ist mir abhanden gekommen.<br />
M) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 20. 4. 1577.<br />
57) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 26. 5. 1601. Ist S. personengleich<br />
B8) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Nr. 21; 1625 Sonntag nach<br />
Trinitatis.<br />
58a) Ein A . Schl, noch 1640 genannt, aber nicht als Ratsherr bezeichnet;<br />
D.St. X X I B 4a.<br />
50) D.St. X X III, 142, vgl. unterm 2. 12. 1675. Dort wird H. als „alter<br />
Bürger" bezeichnet, ist aber anscheinend vor kurzem gest.<br />
o») D.St. XV III, 1; 16. 11. 1635.<br />
al) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 27. 10. 1631.<br />
62) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Nr. 12; 20. 5. 1654.<br />
«2a.) W ie Anm. 62, doch ist nicht sicher, ob B. damals noch Ratsherr ist.<br />
63) D.St. X X I B 4b; 25. 7. 1652.<br />
°4) D.St. III B 8 ; am Tage Jacobi 1642.<br />
•*) D.St. X X III, 4; 24. 6. 1644 (beigelegt zum 27. 2. 1647).<br />
M) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 6. 3. 1659.<br />
»7) D.St. X V III, 1; 31. 5. 1644.<br />
“ ) D.St. X X I B 4a; 17. 6. 1650 (1654 anscheinend nicht mehr Ratsherr,<br />
vgl. Beleg 62).<br />
60) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 11. 5, 1661.<br />
70) D.St. XV III, 1; Oculi 1648 (1654 anscheinend nicht mehr Ratsherr,<br />
vgl. Beleg 62),<br />
71) D.St. X X I B 4b; 27-/28. 8. 1651.<br />
ra) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 11. 5. 1661.<br />
73) D.St. X X I B 4b; 10. 8. 1652. D. St. X X III, 142 (2. 12. 1675) ist ein<br />
Heinrich Kords Zeuge. 80 Jahre alt, aus dem Amte Vlotho, Gft. Ravensberg,<br />
gebürtig. Er ist mit dem kaiserl. Cap. (?) Schmidtsberg nach Dhst. gekommen.<br />
A ls der nach Magdeburg gezogen, sei er schon 21 Jahre in Dhst. gewesen. Ist<br />
das der Ratsherr?<br />
74) D.St. X X I B 4b; 24. 7. 1652.
128<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
75) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 14. 9. 1680.<br />
76) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 13. 8. 1666.<br />
77) Ev. Kirchenbuch Dhst., 8. 2. 1659 Heirat.<br />
78) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 2. 5. 1670.<br />
7») D.St. X X I B 4e; 18. 10. 1660.<br />
80) W ie Anm. 79.<br />
81) D.St. XXII, 1.<br />
“ ) D.St. X X I B 4e; 8. 6. 1664.<br />
83) W ie Anm. 59, doch nicht als Ratsherr bezeichnet. Geb. Dhst., damals<br />
50 Jahre, 35— 36 Jahre Bürger.<br />
84) D.St. X X I B 4b; 5. 2. 1672.<br />
M) D.St. II A 4; 16. 4. 1679.<br />
8*) D.St. X X II, 1; ohne Zeitangabe. Bestimmt 1679 Ratsherr, s. Beleg 85.<br />
Erwähnt Beleg 59, doch nicht als Ratsherr bezeichnet, aus Dhst., 40 Jahre alt.<br />
87) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 22. 12. 1698.<br />
88) 1674 bestimmt Ratsherr, s. Gildebuch d. Dher. Polykarpusgilde; Jo<br />
hanni 1674.<br />
8#) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 15. 8. 1699 Sohn geb.<br />
90) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 8. 10. 1700 Pate; gest. 9. 3. 1719.<br />
91) Ev. Kirchenbuch Dhst.; gest. 26. 11. 1705.<br />
“ ) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 24. 11. 1708 Pate.<br />
°3) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1845, Nr. 39. Aus Bremen gebürtig.<br />
M) D.St. III A 2a; 22. 1. 1696.<br />
“ ) D.St. III A 2b; 13. 4. 1702.<br />
" ) D.St. III A 2b; 9. 2. 1697.<br />
97) D.St. III A 2b; 6. 1701.<br />
98) Belege D.St. III A 2b.<br />
Be) Liste 260— 279 sind die Munizipalräte. Die Angaben s. D.St. III B 14.<br />
Nach der Erweiterung der Kommune Dhst. durch benachbarte Ortschaften<br />
wurde die Zahl der Munizipalräte erhöht. Dieser zweiten Vertretung (er<br />
nannt 8. 7. 1813) gehörten Liste 264— 279 an.<br />
io°) verzog nach der Kommune Ganderkesee (D.St. III B 14).
Der Münzfund von Friesoythe.<br />
Von Karl Kcnnepohl.<br />
Mit Fundbericht von Heinrich Ottenjann.<br />
I.<br />
Fundbericht.<br />
Anfang des Jahres 1935 erwarb Herr Josef Hillen aus Friesoythe<br />
am Ausgange dieser Stadt, und zwar an der Cloppenburger<br />
Straße (Art. 1311) ein Grundstück, um hier ein Gebäude zu errichten.<br />
Da das Gelände, das ehemals von einem zweiten Arm des<br />
Soesteflusses durchschnitten wurde, morastig war, ließ er es zunächst<br />
auffahren. Die hierfür benötigten Erdmassen erhielt er zu einem<br />
großen Teil (ca. 500 cbm!) aus der Stadt Friesoythe selbst, und zwar<br />
von einem Grundstück, auf dem ehemals die Wirtschaft Dumstorff<br />
gestanden. Auf diesem unmittelbar neben dem Rathaus gelegenen<br />
Grundstück steht heute das Gamersche Kaufhaus. Hillen versichert,<br />
daß er sein an der Cloppenburger Straße belegenes Grundstück durch<br />
die aufgefahrenen Erdmassen insgesamt um ca. 1 Meter erhöht habe.<br />
Als das Haus bereits errichtet war, fand er in dem anliegenden<br />
Gartengelände, und zwar in dem Augenblick als er hier einen Obstbaum<br />
pflanzen wollte, in einer Tiefe von ca. 40 bis 50 cm eine<br />
Menge Silbermünzen, und zwar kamen diese zu Tage, als er einen<br />
feucht-klebrigen Lehmklumpen durchstach. Hillen versichert, daß die<br />
Münzen von einer fauligen Stoff hülle, die aber sofort zerfiel, umgeben<br />
gewesen seien. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht die Tatsache,<br />
daß an einer dieser Münzen noch ein winziger Stoff- bzw.<br />
Lederrest klebt. Hillen ist nun der Meinung, daß die Münzen in<br />
dem genannten Lehmklumpen von dem mitten in der Stadt Friesoythe<br />
gelegenen Grundstück, von dem er die Erde und zwar 3 Meter<br />
tief, abfahren ließ, zu der Fundstelle gelangten. An sich klingt dies<br />
kaum glaublich, da die Erde, bis Hillen darin die Münzen fand, drei-<br />
oder viermal verarbeitet wurde. Dennoch müßte man es annehmen,<br />
wenn wirklich das Hillensche Grundstück 1 Meter hoch übersandet<br />
wurde und die Münzen nur 40 bis 50 cm tief lagen. Nach einer<br />
früheren Mitteilung Hillens aber lagen die Münzen tiefer, und zwar<br />
1 Meter tief. Hillen versichert jedoch heute auf das bestimmteste,<br />
O ldenburger Jahrbuch<br />
9
130<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
daß er die Münzen nicht in dem sumpfigen, sondern in dem erst von<br />
ihm aufgetragenen Boden gefunden habe.<br />
Insgesamt umfaßt der Fund 307 Stücke, die vollständig unversehrt<br />
sind. Ein weiteres Stück wurde von Herrn Hillen erst<br />
später gefunden, so daß die Gesamtzahl der guterhaltenen Münzen,<br />
die sämtlich im Cloppenburger Heimatmuseum aufbewahrt werden,<br />
auf 308 gestiegen ist. Des weiteren aber liegt noch eine Anzahl<br />
Bruchstücke von Münzen vor, die z. T. wenigstens wohl daher rühren,<br />
daß der Finder, wie er selbst sagte, einige Münzen zerbrach, um<br />
festzustellen, aus welchem Metall sie hergestellt seien.<br />
II.<br />
Beschreibung des Fundinhaltes.<br />
Abkürzungen: St. = Stück(e); Mzst. = Münzstätte; Hess. = Fund<br />
Hesseln; Lecht. = Fund Lechtingen; Vs. = Vorderseite; Rs. = Rückseite;<br />
Dw. = Durchschnittsgewicht; W . = Winkel; R. = Rechte; L. = Linke.<br />
Der Fund enthielt 303 ganze und einige zerbrochene Stücke.<br />
Alle Münzen weisen auf beiden Seiten einen äußeren und inneren<br />
Perlkreis auf, ihr Durchmesser beträgt etwa 18— 19 mm. Es handelt<br />
sich um Sterlinge und Denare, die nach Münzstätten bzw. Münzherren<br />
geordnet im folgenden beschrieben werden. Vgl. dazu die<br />
Abbildungen auf den beiden Tafeln.<br />
Königreich England.<br />
Heinrich III., 1216— 1272.<br />
1. Sterling.<br />
Vs. K opf von vorn, darüber Kugelkreuz, rechts (heraldisch)<br />
Hand mit Szepter.<br />
Ii8NRiavSR — 0 X<br />
Rs. Zwillingsfadenkreuz („Sterlingskurzkreuz“ ), i. d. W . Kugelkreuzdien.<br />
*s?rL///NONa?r<br />
1 St.; 1,35 g (Abb. 1).<br />
Erzbistum Köln.<br />
Heinrich I. von Molenark, 1225— 1238.<br />
Mzst. Köln.<br />
2. Denar. I. Typ.<br />
Vs. Erzbischof mit zweispitziger Mitra, i. d. R. einen Krummstab,<br />
i. d. L. ein Buch, auf einem Faltstuhl sitzend.<br />
(HQ)NR(la - 1GVS)
Der Münzfund von Friesoythe 131<br />
Rs. Eine Mauer, über der sich ein Turm erhebt, an beiden Seiten<br />
je eine flatternde Fahne.<br />
(SKNöT(ÄaO(L)ONIK<br />
3 St.; bestes Stück: 1,32 g Häv., Mz. Köln I, 6421) (Abb. 2).<br />
Die Prägung dieser Denare ist stets recht nachlässig.<br />
Bistum Münster.<br />
Ludolf von Holte, 1226— 1248.<br />
Die folgenden Sterlinge von Münster mit Pauluskopf und<br />
Rosenkreuz können auf Grund des übrigen Inhaltes des vorliegenden<br />
Fundes, aber auch derjenigen von Hesseln2) und Lechtingen3) nur dem<br />
obigen Bischof zugewiesen werden.<br />
3. Sterling. ZweitesGeprägeum 1230— 1235; „Rosenkreuz“ -Gruppe.<br />
Freie Weiterbildung der Sterlinge König Heinrichs 111. von<br />
England, 1216— 1272.<br />
A. Die Umschrift der Rs. endet mit einem M<br />
Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />
a) -j-SÄNQTQ PKVLV9<br />
b) V<br />
c ) I<br />
d) /////T 0 R Ä V //<br />
e) OTÖIOT/ PÄVLV<br />
Rs. Zwillingsfadenkreuz, i. d. W . je @, „Rosenkreuz“ 4)<br />
-j-MONÄSTQRIVM<br />
B. Die Umschrift endet mit einem Ol<br />
Vs. w. v.<br />
a) +sflN
132 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
a) 76 St.; b) 103 St.; Umschriftende der Rs. nicht mehr feststellbar: 39 St.;<br />
zus.: 218 St. — Dw. von 200 St.: 1,28 g — Lecht. 8; Hess. 7; Grote1) 17<br />
(Abb. 3 B).<br />
Bistum Osnabrück.<br />
Konrad von Lauenrode-Velber, 1227— 1238.<br />
A. Mzst. Osnabrück.<br />
4. Denar. Zweites Gepräge um 1230.<br />
Nachahmung von Köln, Heinrich /., 1225— 38, 2. T y p (H äv.,<br />
Köln I, 647).<br />
Vs. Der Bischof, auf einem Faltstuhl sitzend, mit Mitra, die<br />
hinten noch eine Spitze zeigt, Krummstab i. d. R. und Buch<br />
i. d. L.<br />
*aO N R — ÄDVS<br />
Rs. Der hl. Petrus mit Nimbus umfaßt die Pfosten eines Gebäudes<br />
mit zweispitzigem Dach, seitwärts noch je ein kleiner<br />
Turm.<br />
NO(SGN)DRV60<br />
Das N am Anfang der Umschrift ist vom Schluß herübergezogen;<br />
das D ist aus B verdorben.<br />
1 St.; 1,15 g; Grote2) 13; Lecht. 15 (Abb. 4).<br />
5. Sterling. Drittes Gepräge um 1231— 35.<br />
Die Vs. ist den Sterlingen König Heinrichs III. von England,<br />
1216— 72, die Rs. den irischen Sterlingen (Mzst. Dublin) König<br />
Johanns ohne Land von England, 1199— 1216, nachgeahmt.<br />
Vs. Der bärtige K opf des hl. Petrus mit Nimbus und angedeutetem<br />
Halsgewand, i. d. R. einen Kreuzstab.<br />
a) SÄNGTI P0TR — I<br />
b ) ö PQT — RI<br />
Rs. In einem geperlten Dreieck ein achtspeichiges Rad; in den<br />
Winkeln des Dreiecks je drei Punkte.<br />
OSÖ NBR - V 6Q<br />
Der hl. Petrus ist der Osnabrücker Stiftsheilige. Bistum<br />
und Stadt führen ein sechs- (urspr. acht-)speichiges Rad im<br />
Wappen.<br />
22 St.; Dw. von 20 St.: 1,25 g. — Grote 16; Lecht. 17; Hess. 14 (Abb. 5).<br />
') Grote, Münst. Mz. des M A., Mzst. I, Leipzig 1857.<br />
2) Grote, Osnabrücksche Geld- und Münzgesch., Mzst. IV, Leipzig 1865.
Der Münzfund von Friesoythe 133<br />
B. Mzst. Wiedenbrück.<br />
6. Sterling. Erstes Gepräge um 1230.<br />
Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge (s. Nr. 3).<br />
Vs. Langbärtiger K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />
-{-Sä NOTG PÄVLV 9<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
+Wl(Dä)NBRVGe<br />
1 St.; 1,24 g. Lccht. 19 (Abb. 6).<br />
Vorstehende Münze bildet bis jetzt den frühesten Beleg für die<br />
Tätigkeit der osnabrückisdien Mzst. Wiedenbrück, obwohl Kaiser<br />
Otto d. G. i. J. 952 bereits der Osnabrücker Kirche das Münzrecht<br />
für diesen Ort verliehen hatte. Die Mzst. Wiedenbrück zeigt sich<br />
hier in starker Abhängigkeit von Münster, eine Tatsache, die übrigens<br />
auch in dem Geldumlauf der Wiedenbrücker Gegend in jener Zeit<br />
ihre Bestätigung findet.<br />
7. Sterling. Drittes Gepräge um 1232— 33.<br />
Weiterbildung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. Kurzbärtiger K opf des hl. Petrus mit geperltem Stirnband<br />
und Nimbus.<br />
+aoNRÄDV(sep)a<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
+W (I)DÖN bRV6Q<br />
2 St.; 1,39 g; 1,33 g. Vs. Lccht. 20; Rs. Lccht. 19; Vs. Hess. 15 (Abb. 7).<br />
8. Sterling. Viertes Gepräge um 1233— 35.<br />
Weiterbildung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. w. v. Nr. 7.<br />
-j-aONRÄD(V)SQPG<br />
Rs. Rosenkreuz, aber auf der Mitte des Kreuzes noch ein acht-<br />
speichiges Rad.<br />
+W IDeNBRV60NaiV 9<br />
2 St.; 1,27 g; 1,20 g. Lecht. 21 (Abb. 8).<br />
Grafschaft Ravensberg.<br />
Otto II., 1221— 1244.<br />
In einer Urkunde aus den Jahren 1216— 12201) verbietet König<br />
Friedrich II. dem Bischof A dolf von Osnabrück, den Grafen von<br />
Ravensberg in seinen Zöllen und den Münzen zu Vechta und Haselünne<br />
zu beeinträchtigen. Die Urkunde hebt ausdrücklich hervor,<br />
!) Osnabr. UB. II, 65.
134<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
daß der Graf diese Rechte bereits von den Vorgängern des Königs<br />
erhalten hat. Dieselbe Bemerkung findet sich in der bekannten Herforder<br />
Urkunde v. J. 12241), in der König Heinrich (V II.) die Gräfin<br />
Sophie von Ravensberg mit den Reichslehen ihres Mannes, des Grafen<br />
Otto, belehnt, darunter mit der Münze zu Emden, dem Zoll auf der<br />
Ems, mit Münze und Zoll zu Haselünne, Vechta, Bielefeld und<br />
Vlotho. Andererseits verspricht König Heinrich (V II.) in einer<br />
Frankfurter Urkunde v. J. 12322) dem Bischof Konrad von Osnabrück,<br />
ihn in dem Besitz der seiner Kirche von seinen Vorfahren<br />
verliehenen Münzen, Zöllen und Gerichten nicht zu engen oder zu<br />
schädigen, sondern bestätigt ihm dieselben ungeachtet einiger von ihm<br />
und seinem Vater, dem Kaiser, dagegen erlassenen Urkunden.<br />
Philippi, der Herausgeber des Osnabrücker ÜB., läßt die Frage offen,<br />
ob die betr. Urkunden verloren oder die beiden eingangs erwähnten<br />
Urkunden gemeint sind. Das letztere wäre nicht unmöglich. Jedenfalls<br />
scheinen die beiden Münz- und Zollstätten in Haselünne und<br />
Vechta den Osnabrücker Bischöfen recht unbequem gewesen zu sein.<br />
Beide Orte lagen an Verkehrswegen, die für den Osnabrücker Handel<br />
sehr wichtig waren, an den Straßen nach Emden bzw. nach Bremen,<br />
außerdem lag es im Wesen eines jeden größeren Münzherrn, zum<br />
Schaden der Öffentlichkeit unterhältig prägende „Heckenmünzstätten“<br />
möglichst auszumerzen. Daß die Osnabrücker Bischöfe mit<br />
ihren Bestrebungen bez. Vechtas in münzpolitischer Hinsicht keinen<br />
Erfolg gehabt haben, beweisen die aus dem 13. und 14. Jh. tatsächlich<br />
vorkommenden Vechtaer Münzen. W ie die Dinge hinsichtlich<br />
der Mzst. Haselünne liegen, bleibt ungewiß. Dahin gehörende<br />
Münzen haben bis heute nicht nachgewiesen werden können, wobei<br />
es sehr auffällig erscheinen muß, daß weder die Funde von Brümmerlohe,<br />
Grafsch. Hoya, v. J. 1842 und Lechtingen b. Osnabrück v. J.<br />
1923, noch vor allem der vorliegende Friesoyther Fund Haselünner<br />
Münzen enthalten haben. Daß im Funde von Hesseln b. Halle i. W .<br />
v. J. 1869 Haselünne nicht vertreten war, übrigens auch nicht Vechta<br />
und Wildeshausen, ist wegen der örtlichen Entfernung nicht weiter<br />
auffällig. Nach Lage der Dinge ist m. E. wenig Hoffnung vorhanden,<br />
daß neue Funde Haselünner Münzen noch zum Vorschein<br />
bringen werden. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß in Haselünne<br />
die Erzeugnisse benachbarter Münzstätten so getreu kopiert<br />
wurden, daß dieselben für uns heute nicht mehr erkennbar sind.<br />
J) Ebd. II, 187.<br />
2) Ebd. II, 294.
Der Münzfund von Friesoythe 135<br />
Mzst. Vechta.<br />
9. Sterling. Erstes Gepräge um 1230.<br />
Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus, darüber, die Umschrift<br />
trennend, ein Schildchen mit zwei Sparren.<br />
MON0T7C O T(O N I)<br />
Rs. Rosenkreuz, aber im zweiten Winkel statt der Rose ein<br />
Kugelkreuz.<br />
-HMONlKSTflRIVOl<br />
1 St.; 1,20 g (Abb. 9).<br />
Der Sparrenschild auf der Vs. deutet das Ravensberger Wappen<br />
an, das entsprechend dem Schildsiegel des Grafen Otto v. J. 12211)<br />
zwei Sparren aufweist, während ein gleichzeitiges Stück aus der<br />
Ravensberger Mzst. Vlotho (Lecht. 38) drei Sparren auf weist. Diese<br />
letztere Form ist später die übliche geworden.<br />
10. Sterling. Zweites Gepräge um 1231— 35.<br />
Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. w. v. Nr. 9.<br />
MONÖTÄ OTONI<br />
Rs. w. v. Nr. 9.<br />
a) H -M O N eraD avaT Q<br />
b ) V 0 T<br />
c ) v e<br />
21 St.; Dw. von 20 St.: 1,20 g. Lecht. 32 (Abb. 10 b).<br />
Propstei Wildeshausen.<br />
Propst Otto von der Lippe, 1231— 48. Vögte Heinrich<br />
III., 1199— 1234, und sein Bruder Burkhard, 1199 bis<br />
1233, v o n Oldenburg-Wildeshausen, bzw. Burkhards<br />
Sohn Heinrich IV. der Bogener, 1234— 1270.<br />
Auf den um 1235— 38 entstandenen jüngeren Sterlingen von<br />
Wildeshausen mit Sterlingskurzkreuz werden sowohl Propst Otto<br />
(Lecht. 29) als auch Heinrich IV. der Bogener2) als Münzherren genannt.<br />
Die im vorliegenden Funde auftretende ältere Gruppe mit<br />
Rosenkreuz auf der Rs. verschweigt den Namen des Münzherrn. Die<br />
sechsblätterige Rose auf der Vs. von Nr. 11— 13 vermag ebensowenig<br />
eine Aufklärung über den Münzherrn zu geben wie das<br />
*) Buchenau, a. a. O.<br />
2) Erbstein, J. u. A., Die Schellhaß’sdie Münzsammlung, Dresden 1870.<br />
Nr. 728.
136<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Schildchen mit einer fünf bl. Rose auf der Rs. von Nr. 11, da sowohl<br />
der Propst Otto als auch die Vögte Heinrich III. und Burkhard eine<br />
Rose im Wappen führten, diese die hallermundische von ihrer Mutter<br />
Beatrix her, jener die lippische1).<br />
Die Zuweisung der nachstehenden Sterlinge zu Wildeshausen<br />
könnte auf den ersten Blick überhaupt zweifelhaft erscheinen. An<br />
eine Prägung der Grafen von Hallermund selbst ist allerdings nicht<br />
zu denken, da dieses außerhalb des Sterlingsgebietes im Bereiche der<br />
sog. hohlen Niederweserpfennige lag. W ohl aber ließe sich wegen<br />
der Rosenbeizeichen bzw. -wappen an eine gräflich lippisdie Mzst.<br />
(Lemgo, Lippstadt) denken, auch an Herford (Äbtissin Gertrud von<br />
der Lippe, 1217— 1233). Für Herford würde an sich der hl. Petrus<br />
(s. Nr. 11 und 12) gut passen, der in diesem Falle dann den kölnischen<br />
Stiftsheiligen verkörpern würde, während der Stiftspatron<br />
von Wildeshausen der hl. Alexander ist. Entscheidend für Wildeshausen<br />
ist ein Sterling des Fundes von Lechtingen (Nr. 26): Vs»<br />
Langbärtiger K opf im Nimbus & SK N 0T0 P0TRI Rs. Rosenkreuz,<br />
-f* W ILD 0SH VS0, der aber auf der Rs. im ersten Kreuzwinkel statt<br />
der Rose das Beizeichen aufweist. Dieses Beizeichen findet sich<br />
auch auf anderen Stücken des Lechtinger Fundes in Verbindung mit<br />
der Rs.-Umschrift MONK ST0R1VM (Lecht. 24 u. 25) gekoppelt mit<br />
dem Vs.-Stempel: Pauluskopf, darüber sechsbl. Rose in Perlrundung<br />
und SÄNOT0 PÄVLV 9 (s. a. u. Nr. 13). Im vorliegenden Funde<br />
wird das Beizeichen noch durch drei weitere feine Punkte vermehrt<br />
(.v.). Die Vorderseiten der betr. Münzen nennen sowohl den hl.<br />
Paulus wie den hl. Petrus, darüber jeweils eine Rose. Da die letztere<br />
Vs. wiederum gekoppelt ist mit Rs. Rosenkreuz, darüber Rosenschild,<br />
und MON7TST0RIVM, ist die ganze Reihe für die Propstei Wildeshausen<br />
einwandfrei gesichert.<br />
11. Sterling. Erstes Gepräge um 1230— 35.<br />
Vs. Nachahmung der Osnahrücker Sterlinge (s. o. N r. 5).<br />
Rs. Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. K opf des hl. Petrus im Nimbus.<br />
& SÄ N 0T0 P0TRI<br />
Rs. Rosenkreuz, oben ein Schildchen mit einer fünfbl. Rose.<br />
a) +MONÄST0RIVÖI<br />
b ) M<br />
c )<br />
7 St. a)b) zus. 6 St.; Dw. 1,17 g; c) 1 St.; 1,30 g. b) Lecht 23. (Abb. 11 b).<br />
*) Über die mittelalterl. Gesch. und das Mzrecht der Propstei Wildeshausen<br />
unterrichtet im übrigen sehr gut Buchenau in der Z. f. Num. X V , Berlin 1888,<br />
S. 262 f.
Der Münzfund von Friesoythe 137<br />
12. Sterling. Zweites Gepräge um 1230— 35.<br />
Nachahmung w. v. N r. 11.<br />
Vs. w. v. Nr. 11.<br />
Rs. Rosenkreuz, aber im zweiten Winkel statt der Rose<br />
(H-MONiÄST0RI(VM)<br />
1 St.; 1,35 g (Abb. 12).<br />
13. Sterling. Viertes Gepräge um 1230— 35.<br />
Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />
Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus, darüber, die Umschrift<br />
trennend, eine sedisbl. Rose in Perlrundung.<br />
SKNGTQ PKVLV 9<br />
Rs. Rosenkreuz, aber im dritten Kreuzwinkel statt der Rose<br />
H-MONÄSTQRIVM<br />
1 St.; 1,30 g. Lecht. zu 25 a (Abb. 13).<br />
Abtei Herford.<br />
Erzbischof Heinrich I. von Köln, 1225— 1238, und<br />
Äbtissin Gertrud von der Lippe, — 1217— 1233 — .<br />
Gegen das Recht, die Altstadt von Herford zu befestigen und<br />
die Neustadt anzulegen, mußte i. J. 1224 die Äbtissin Gertrud dem<br />
Erzbischof von Köln als dem Herzog von Westfalen die Hälfte<br />
von Zoll und Münze in Herford abtreten1) Infolgedessen übten in<br />
der Folgezeit Erzbischof und Äbtissin das Münzrecht gemeinsam aus,<br />
wobei die letztere in der Umschrift und im Prägebild im 13. Jh.<br />
meistens stark zurücktritt. A uf den Sterlingen des vorliegenden<br />
Fundes macht sie sich nur durch die sechsbl. Rose über dem K opf des<br />
Heiligen auf der Vs. bemerkbar.<br />
Sämtliche Stücke sind Nachahmungen der münsterischen Rosenkreuz<br />
sterlinge.<br />
14. Sterling. Erstes Gepräge um 1230— 35.<br />
K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />
@H0N(RIGVS)KRGI8RI<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
(MON)ÄSTeRI(Vül)<br />
1 St.; 1,26 g. Lecht. 39; Häv., Köln I, 1046 (Abb. 14).<br />
*) Näheres s. Hävernick, Köln I, S. 258.
138<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
15. Sterling. Zweites Gepräge um 1230— 35.<br />
Vs. w. v. Nr. 14.<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
•H Q RQVOl+TöaiVIT<br />
2 St.; 1,16 g; 1,13 g. Lecht. 40 a; Häv., Köln I, 1047 (Abb. 15).<br />
16. Sterling. Drittes Gepräge um 1230— 35.<br />
Vs. K opf eines Heiligen im Nimbus.<br />
¡giSKNaTI PVSINI<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
a) -i-MONKSTeRIVM<br />
b) Ol<br />
3 St.; 1,30 g; 1,21 g; 1,17 g (Abb. 16 a).<br />
17. Sterling. Viertes Gepräge um 1230— 35.<br />
Vs. w. v. Nr. 16.<br />
Rs. Rosenkreuz.<br />
a) -j-h0R V O R -D 0aiV I<br />
b) -H i8 R V 0 -R D 6 a i<br />
c) -¡-HORVIR-DeCIIV<br />
11 St.; Dw. von 10 St.: 1,27. a) Lecht. 41a; Häv. Köln I, 104S; b) Lecht.<br />
41b; Häv., Köln I, 1048; c) Lecht. 40b (nur Rs.) (Abb. 17 a).<br />
Im Lechtinger Funde kamen einige unvollständige Stücke mit<br />
® S Ä N G T I P V S IN vor. Buchenau vermutete in der Umschrift<br />
eine Abkürzung, die er auflöste: SA N C TI P(etr)VS IN — (Rs.)<br />
H E R V O R D E ClVI(tas). Die besser erhaltenen Stücke des vorliegenden<br />
Fundes stützen durchaus die Ansicht Kohls1), der in der Umschrift<br />
den einzigen Beleg auf Münzen für die hl. Pusinna sieht, deren<br />
Reliquien der höchste Schatz der Herforder Münsterkirche waren,<br />
und die noch heute im Kirchensiegel zu sehen ist. Daß der Stempelschneider<br />
in gedankenloser Nachahmung der münsterischen Paulusumschrift<br />
aus der hl. Jungfrau einen Mann gemacht hat, ist bei den<br />
vielfach verdorbenen Umschriften der Zeit, die nur die wenigsten<br />
lesen konnten, nicht weiter verwunderlich.<br />
18. Sterling.<br />
Abtei Corvey.<br />
Hermann I. von Holte, 1223— 54.<br />
Nachahmung der Sterlinge König Heinrichs III. von England,<br />
1216— 1272.<br />
*) Kohl, Herfords metallene Chronik, Ravensberger Blätter Nr. 5, Bielefeld<br />
1932, S. 38 f.
Der Münzfund von Friesoythe 139
140<br />
21. Sterling.<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Grafschaft Pyrmont.<br />
Godschalk II., — 1243 — .<br />
Nachahmung der Sterlinge König Heinrichs III. von England,<br />
1216— 72.<br />
Vs. Bärtiger K opf von vorn, vor der Stirn ein Anker (I );<br />
rechts (heraldisch) Hand mit Kreuzszepter.<br />
#G O SaÄ L((IV )S - D ö - 1<br />
Rs. Sterlingskurzkreuz, i. d. W . -|------}— I — H*<br />
+DO(MI)NNVS DG PIR<br />
1 St.; 1,22 g (Abb. 21).<br />
Das Wappen Pyrmonts ist das Ankerkreuz (% ), das in dieser<br />
Form bereits auf einem Denar vorkommt, der auf der Vs. den —<br />
entlehnten — Namen des Paderborner Bischofs Bernhard III., 1203<br />
bis 1223, auf der Rs. das sog. S. Colonia-Monogramm zeigt (Häv.,<br />
Köln I, 985). Die gleiche Form findet sich auf den Lügder Denaren<br />
des Kölner Erzbischofs Wikbold, 1297— 1304 (ebd. 1074). Der auf<br />
vorliegendem Stück in ganz auffälliger Weise vor der Stirn des<br />
Grafen und auf der Rs. in einem Kreuzwinkel angebrachte Anker<br />
ist wohl als frühere Entwicklungsform des Ankerkreuzes aufzufassen.<br />
Dieser Anker ist als Beizeichen auf Nachahmungen von Soester Geprägen<br />
bereits bekannt: Häv., Köln I, 935, Erzb. Dietrich von Köln,<br />
1208— 12; ebd. 965, Sedisvakanz 1212— 16; ebd. 998, Erzb. Engelbert<br />
I., 1216— 25. Die Pyrmonter Herkunft dieser Stücke, die Hävernick<br />
bereits vermutet, wird durch den obigen Sterling gesichert.<br />
III.<br />
Kulturgeschichtliche Ergebnisse des Fundes.<br />
Abgesehen von vier Denaren (3 von Köln und 1 von Osnabrück)<br />
handelt es sich bei dem Friesoyther Funde ausschließlich um sog.<br />
Sterlinge, die wiederum bis auf ein englisches Original Nachahmungen<br />
englischer bzw. irischer Vorbilder aus Münzstätten des westfälischen<br />
Raumes sind. Dieser Typ stellt für die westfälischen Münzverhältnisse<br />
der ersten Hälfte des 13. Jh. etwas Neues dar. Denn seit<br />
der Zeit der Karolinger und bes. der Sachsenkaiser war der Einfluß<br />
der Kölner Münze in bezug auf Währung und Prägebild richtunggebend<br />
für Westfalen gewesen. Diese Entwicklung wird um das
Der Münzfund von Friesoythe 141<br />
Jahr 1200 dadurch unterbrochen, daß seit dieser Zeit englisches Geld<br />
in größerem Maße in Westfalen in Umlauf kam. Schatz und Einzelfunde<br />
beweisen das. Abgesehen von den lippischen Münzschmieden<br />
ist jedoch die westfälische Sterlingsperiode bereits um 1240 im<br />
wesentlichen abgeschlossen.<br />
Diese Tatsache mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen.<br />
Die politischen Spannungen jener Zeit in Deutschland, vor<br />
allem aber die Handelsverhältnisse, die sich in ihrer Lagerung von<br />
den heutigen durchaus unterschieden, sind jedoch geeignet, die Verbreitung<br />
englischen Geldes so fern vom Ursprungslande aufzuklären1).<br />
Die scharfe Betonung des Devolutionsrechtes bei der zwiespältigen<br />
Lütticher Bischofswahl von 1192 von seiten Kaiser Heinrichs<br />
V I. und die damit in Verbindung stehende Ermordung des<br />
päpstlichen Kandidaten Albert von Löwen machte den schon vom<br />
Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg vorbereiteten Abfall des<br />
Niederrheins von den Staufern zur Tatsache. Und nun schlossen<br />
sich jene beiden norddeutschen Kreise, deren Rivalität der Kaisermacht<br />
Barbarossas lange zugute gekommen war, der niederrheinischkölnische<br />
und der sächsisch-welfische, zu einer gefährlichen Verbindung<br />
zusammen, aus der bald genug das Gegenkönigtum Ottos IV. erwachsen<br />
sollte. Hinter beiden stand England, das mit Köln durch<br />
wirtschaftliche, mit den Welfen durch verwandtschaftliche Bande<br />
verknüpft war2).<br />
Es ist nicht anzunehmen, daß die Lösegelder, die Ottos IV.<br />
Oheim Richard Löwenherz an Heinrich V I. zahlen mußte, in<br />
Deutschland in Umlauf gekommen sind. Diese werden vielmehr zur<br />
Finanzierung des sizilischen Unternehmens gleich nach Italien gegangen<br />
sein. Aber die englischen Hilfsgelder, die 1198— 99 und<br />
1202— 03 zur Unterstützung Otto IV. besonders reich flössen, werden<br />
Deutschland mit den Sterlingen genugsam bekannt haben. Ungleich<br />
intensiver und andauernder mußte aber "Westfalen mit englischem<br />
Gelde durch die zahlreichen Handelsbeziehungen bekannt werden,<br />
die schon damals seit langer Zeit bestanden haben müssen. Der<br />
Mangel an Urkunden läßt diese Verbindungen zwischen den westfälischen<br />
Städten und England vor 1200 zwar nur ahnen, aber das<br />
von dieser Zeit an immer zahlreicher werdende Auftreten von<br />
Bürgern von Dortmund, Soest, Münster und Osnabrück in Urkunden<br />
über Verkäufe u. dgl., die direkt oder unter Vermittlung flan<br />
*) Kennepohl, Sterlingsgeld in Westf., Berl. Mbl. 1924, S. 150 f.<br />
2) Hampe, Dtsche Kaisergesch., 6. Aufl. 1923 S. 187. — 7. Aufl. 1937 S. 214.
142<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
drischer oder friesischer Plätze mit England abgeschlossen wurden,<br />
lassen doch manche Rückschlüsse auf frühere Zeiten zu1).<br />
Nach alter Überlieferung sollen englische Kaufleute das Geld<br />
zum Bau der Marienkirche in Osnabrück gegeben haben. Diese<br />
Nachricht wird natürlich so zu verstehen sein, daß die Osnabrücker<br />
Handelswaren in England Absatz fanden, und daß daher englisches<br />
Geld in gewissen Mengen für den Kirchenbau zufloß2). Der wichtigste<br />
Ausfuhrartikel der westfälischen Städte nach England waren die<br />
hochwertigen Eisen- und Stahlwaren, denen gegenüber England nur<br />
W olle als billiges Rohprodukt liefern konnte3). Die Handelsbilanz<br />
war daher passiv, so daß beständig die englischen Sterlinge nach<br />
Westfalen strömten. Dieses massenweise Auftreten englischer Münze<br />
in Westfalen hat nun zu einer ausgedehnten Nachprägung Veranlassung<br />
gegeben. Die Einführung einer neuen Währung war nicht<br />
damit verbunden, da zufällig der englische Sterlingsfuß und der<br />
westfälische Denarfuß zueinander paßten. In Westfalen rechnete<br />
man nach der kölnischen Mark, die zu 160 Denaren ausgebracht<br />
werden sollte. In England war noch das karolingische Pfund in<br />
Gebrauch, das damals wie heute in 240 Sterlinge eingeteilt wurde.<br />
Das theoretische Gewicht der Denare betrug 1,46 g, das der Sterlinge<br />
1,458 g, ein im praktischen Verkehr unmerkbarer Gewichtsunterschied.<br />
Freilich bleiben die uns erhaltenen Stücke fast stets hinter den<br />
Normalgewichten zurück; sie wiegen durchschnittlich nur 1,2— 1,4 g,<br />
so daß Buchenau in seiner Beschreibung des Lechtinger Münzfundes<br />
vielleicht nicht mit Unrecht einen 10% leichteren Münzfuß vermutet.<br />
Außerdem mußte man sich wegen der unvollkommenen Technik<br />
damit begnügen, daß die einzelnen Schrötlinge nur al marco gewogen<br />
wurden, wodurch natürlich unsauberen Machenschaften Tür und<br />
T or geöffnet war.<br />
Der Feingehalt beider Münzsorten, der Denare und Sterlinge,<br />
war derselbe, nämlich feines Silber, d. h. so fein, als man es damals<br />
zu brennen verstand, etwa 13— 14lötig. Eine absichtliche Beschickung<br />
*) Erstmalig ist 1224 eine Emder Kogge urkundlich in London nachweisbar.<br />
Vgl. Lübbing im Oldenb. Jahrb. 31 (1927), 141. — Der Englandhandel von Soest<br />
ist seit 1231 urkundlich belegt. Vgl. H . J. Seeger, Westfalens Handel u. Gewerbe<br />
vom 9.— 14. Jahrhundert (Berlin 1926), S. 5.<br />
2) Vgl. Hist. Mitt. Osn. X I, 145; auch BuKdm. v. Osn., S. 118. — Der<br />
Englandhandel Osnabrücks ist urkundlich freilich erst 1303 nachweisbar. Vgl.<br />
Seeger a. a. O.<br />
s) Vgl. Seeger a. a. O. 5, 25, 66, 85.
Der Münzfund von Friesoythe 143<br />
des Silbers mit unedlem Metall kann nicht nachgewiesen werden,<br />
war damals auch wohl noch nicht üblich. Erst nach 1300 kann man<br />
ein langsames Schlechterwerden des Münzsilbers beobachten.<br />
Die große Zahl der durch die Funde von Brümmerlohe, Hesseln,<br />
Lechtingen und Friesoythe bekanntgewordenen westfälischen Sterlingsmünzstätten<br />
gibt einen guten Überblick, wie die kleineren<br />
Münzschmieden durch die größeren, die natürlich mit den Handelszentren<br />
zusammenfielen, beeinflußt worden sind. Erklärlicherweise<br />
wurden die Typen der englischen Urstücke in Westfalen z. T. selbständig<br />
weitergebildet. Den Anstoß dazu haben die drei führenden<br />
Sterlingsmünzen gegeben: Dortmund, Münster und Osnabrück. Nach<br />
den von diesen ausgebildeten Typen haben sich die kleineren Münzstätten<br />
gerichtet. Auch sind die drei genannten Hauptmünzstätten<br />
nicht voneinander unabhängig. Ebenso wie durch die Nachahmung<br />
der Sterlinge überhaupt lassen sich durch die Kopierung der Dortmunder,<br />
Osnabrücker und münstrischen Typen durch die kleineren<br />
Münzstände wieder wertvolle handelspolitische Rückschlüsse für den<br />
innerwestfälischen Verkehr ziehen. So wird der starke wirtschaftliche<br />
Einfluß Münsters auf die Gebiete Mittel- und Nordwestfalens<br />
durch den überragenden Anteil der münsterischen Sterlinge an dem<br />
Inhalt des Friesoyther Fundes (71% !) klar zum Ausdruck gebracht.<br />
Der kleine Münzherr ließ natürlich dasjenige Geld nachschlagen, das<br />
in seinem Ländchen am meisten umlief, also das Geld der betr. Stadt,<br />
in dessen Wirtschaftsbereich sein Gebiet lag. Daß solche Interessengebiete<br />
Veränderungen erfahren, mit anderen Worten, daß Nachahmungen<br />
verschiedener Typen in derselben Münzstätte Vorkommen,<br />
ist verständlich.<br />
Die Vergrabungszeit des Friesoyther Fundes ist auf Grund<br />
unserer Kenntnisse der westfälischen Sterlingsperiode verhältnismäßig<br />
einfach festzustellen. In der Fundmasse fehlen die Herforder<br />
Sterlinge des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden, 1238 bis<br />
1261, ferner die Denare des Osnabrücker Bischofs Engelbert I. von<br />
Isenburg (zum zweiten Male), 1239— 50. Es fehlen aber auch die<br />
jüngeren Ludolf Sterlinge von Münster: Vs. Bisdiof mit Stab und<br />
Buch, Rs. Sterlingskurzkreuz. Diese Gruppe bildet eine Nachahmung<br />
der letzten Dortmunder Kaisersterlinge, deren Prägung von Buchenau<br />
(a. a. O.) scharfsichtig mit dem Zuge Kaiser Friedrichs II. nach.<br />
Deutschland i. J. 1235 in Zusammenhang gebracht wird. Diese Vermutung<br />
wird durch den vorliegenden Fund gestützt, da er das jüngste<br />
Sterlingsgepräge Konrads I. von Osnabrück: Vs. Petruskopf, Rs.<br />
Sterlingskurzkreuz, ebenfalls nicht enthielt. Alle die genannten
144<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Münzen von Osnabrück, Münster und Herford, ferner deren Nachahmungen<br />
von Bentheim, Wildeshausen, Vechta u. a. hätten normalerweise<br />
im Funde auftreten müssen, falls die Vergrabungszeit<br />
nach dem Jahre 1235 läge. Es steht jedoch nichts dagegen, diese noch<br />
etwa ein Jahr hinaufzurücken. Die Möglichkeit, daß der Friesoyther<br />
Schatz in der für jene Gegend unruhigen Zeit des Kreuzzuges gegen<br />
die Stedinger') i. J. 1234 der Erde anvertraut wurde, ist nicht von der<br />
Hand zu weisen.<br />
*) Vgl. dazu H . A. Schumacher, Die Stedinger, Bremen 1865.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg<br />
von der zweiten Hälfte des 15. bis um die<br />
Mitte des 17, Jahrhunderts.1’<br />
Von Bernhard Riesenbeck.<br />
Die Bevölkerung der kleinen Städte in früheren Jahrhunderten<br />
ist selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden. Die<br />
Ortsgeschichten behandeln die Bevölkerungsfrage meistens nur im<br />
Vorübergehen oder ganz unzureichend, aber auch in der heimatgeschichtlichen<br />
Literatur findet man darüber verhältnismäßig wenige<br />
Arbeiten. Wenn sich nur vereinzelte Lokalhistoriker dieser Frage zuwandten,<br />
so lag das gewiß wohl mehr an der Mangelhaftigkeit des<br />
Quellenmaterials, das keine lohnenswerte Ausbeute zu versprechen<br />
schien, als an einer Unterschätzung des Wertes solcher Untersuchungen<br />
überhaupt.<br />
Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Bevölkerungskunde<br />
der Stadt Cloppenburg von 1473 bis 1662 mit einem kurzen Rückblick<br />
auf die Zeit vorher liefern, nicht allein im Sinne der statistischen Erfassung,<br />
sondern auch vom Gesichtspunkt der Familienforschung aus,<br />
auf deren Pflege sich unsere Zeit in erfreulicher Weise wieder besonnen<br />
hat. Die Untersuchung schließt mit der Zeit ab, wo die Kirchenregister<br />
der Pfarrgemeinde Krapendorf, der die Stadt Cloppenburg<br />
kirchlich angehörte, zu weiteren Nachforschungen herangezogen<br />
werden können.<br />
Quellen. Die Grundlage dieser Untersuchung bilden hauptsächlich<br />
Schatzungsregister. Aus dem oldenburgischen Landesarchiv<br />
sind benutzt worden (Münst. Akten, Abtlg. I B IX E lb): 1. Das Clop-<br />
penburger Amtsregister des Amtmanns Hinrick Hackvord, das Sello<br />
dem Jahre 1473 zuschreibt. 2. Das Personenregister des Kirchspiels<br />
Krapendorf vom Jahre 1498, angefertigt vom Pastor Herman Half-<br />
1) Fortsetzung und Abschluß der Arbeit werden für ein späteres Heft<br />
Vorbehalten.<br />
O ldenburger Jahrbuch 10
146<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
wassen zu Krapendorf1) . 3. Das Landschatzungsregister des Amtes<br />
Cloppenburg vom 1. Oktober 1535. 4. Das Feuerstättenregister des<br />
Amtes Cloppenburg, das fast denselben Namensbestand aufweist wie<br />
das Register des Jahres 1535, also um dieses Jahr aufgestellt sein<br />
muß. 5. Ein Personenregister des Amtes Cloppenburg, undatiert. Da<br />
in ihm der Rentmeister Ludolf Kottinck verzeichnet steht, der für<br />
1548—50 bezeugt ist, und auch der Droste Wilke Steding, der 1548<br />
das Drostenamt niederlegte, so wird es aus dem Jahre 1548 stammen.<br />
Das Cloppenburger Stadtarchiv lieferte folgende Unterlagen:<br />
Bruchstück eines Ausgabenverzeichnisses aus dem Jahre 1416; Abgabenverzeichnis,<br />
geschrieben 1498 von Pastor Halfwassen3) ; Tynsschat<br />
anno 1559; Schatzungsregister 1575, Personenschatzung 1609; Hausschatzung<br />
1659; Haus- und Personenschatzungsregister des Jahres<br />
1662; Auszüge aus dem Stadtbuch 1535, 1569, 1575 und 1593; Ausgabenbücher<br />
der Bürgermeister aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts.<br />
Einführend dürften einige ortsgeschichtliche Hinweise notwendig<br />
sein. Der siedlungsgeschichtliche Ausgangspunkt der Stadt Cloppenburg<br />
ist die um 1296 von den Tecklenburgern von neuem gebaute<br />
Burg am Übergang der vlämischen Handels- und Heeresstraße über<br />
die Soeste. Im Anschluß an das ihr vorgelagerte Vorwerk am linken<br />
Flußufer entstanden die ersten Siedlungen. Im Jahre 1400 gelangte<br />
Cloppenburg in den Besitz des Fürstbischofs von Münster, der dem<br />
Ort 1411 das Wikboldrecht verlieh3). Nachdem Cloppenburg im Jahre<br />
1435 mit dem Haselünner Stadtrecht bewidmet worden war, setzte<br />
vermutlich ein starker Bevölkerungszustrom vom Lande ein, so daß<br />
sich die Stadt im Zuge der alten Verkehrsstraße auf das rechte Soeste-<br />
ufer ausdehnte. Nach Befestigung der „olden stad" wurde nun auch<br />
die „nye stad“ mit Wall und Graben umgeben. Als Feste hat Cloppenburg<br />
nur etwa 120 Jahre bestanden, da 1562 mit der Entfestigung<br />
begonnen wurde. Wegen der eigenartigen Besitzverhältnisse war auch<br />
‘ ) Es handelt sich, wie ich nachträglich feststellen konnte, um die sog.<br />
Kommunikantenschatzung des Jahres 1498. Sie wurde ausgeschrieben bei<br />
dem Regierungsantritte des Bischofs Konrad von Rietberg und besteuerte<br />
jede zur hl. Kommunion zugelassene Person mit 2 Schilling 6 Denaren.<br />
2) Bezüglich des Pastors Herman Halfwassen können also die Angaben<br />
von L. Niemann (Geschichte des Münst. Amtes Cloppenburg, S. 89) zeitlich<br />
ergänzt und die von K. Willoh (Geschichte der kath. Pfarreien, 4. Bd., S. 220 f)<br />
sachlich berichtigt werden. Pastor Herrn. Halfwassen ist im Cloppenburger<br />
Stadtarchiv außerdem für 1492 und 1506 bezeugt.<br />
3) Vgl. die grundlegenden Untersuchungen von D. Kohl in der von<br />
H. Ottenjann herausgegebenen Festschrift „500 Jahre Stadt Cloppenburg".<br />
1935. 2. Aufl. 1936.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 147<br />
nach der Beseitigung der Befestigungsanlagen die Möglichkeit der<br />
Vergrößerung der Stadt ausgeschlossen. So blieb Cloppenburg bis<br />
gegen Ende des 18. Jahrhunderts in seiner räumlichen Ausdehnung<br />
auf das Gebiet beschränkt, das es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts<br />
inne hatte1) . Nur eine durchgehende Straße vom Krapendorfer bis<br />
zum Bremer Tor mit einer Zweigstraße zum Friesoyther Tor in einer<br />
Gesamtlänge von rund 750 Meter stand der Bürgerschaft für ihre<br />
Hausstätten zur Verfügung. In dieser Feststellung liegt der Schlüssel<br />
zum Verständnis und zur Beurteilung gewisser Fragen der Bevölkerungsstatistik<br />
in dem zu behandelnden Zeitraum.<br />
Über die zahlenmäßige Bevölkerung Cloppenburgs liegen bis 1473<br />
keine Nachrichten vor. In der Ermittelung von Personennamen ist<br />
man angewiesen auf einige Urkunden und Bruchstücke von Abgabenlisten<br />
des ehemaligen Stadtarchivs, dessen kaum zu entwirrendes<br />
Durcheinander zur Zeit einer ersten Sichtung unterliegt, und auf das<br />
Urkundenmaterial, das im Oldenburgischen U.B. Bd. V und VIII geboten<br />
wird, das aber der Vollständigkeit entbehrt, da insbesondere<br />
das Staatsarchiv Münster mit seinen Beständen aus der Tecklenburger<br />
und dem ersten Jahrhundert der Münsterischen Zeit kaum benutzt ist.<br />
Lediglich der Namen wegen seien aus der Zeit um 1300 erwähnt“) :<br />
Bele, Bramsche, Budde, Keselinck, Lone, Mettingen, Monnich, Stricket,<br />
Scoltbroke, Swartewold, Ungenathe und Voß. Bis auf den Familiennamen<br />
Budde, den man somit als den ältesten der bis in die Neuzeit<br />
gebliebenen bezeichnen kann, kommen sie später nicht wieder vor.<br />
Von den aus dem Jahre 1329 urkundlich bezeugten Familiennamen<br />
Albero de Brema, Herbordus de Scaghen, Andreas de Smerten,<br />
Bertram Tapprian und Johannes Amburen hat allein der letztere die<br />
Jahrhunderte bis zur Gegenwart durchlaufen. Aus den bis um die<br />
Mitte des 15. Jahrhunderts überlieferten Namen sollen nur die genannt<br />
werden, die nachher nicht wiederkehren: Cloppeman, van Nuttelen,<br />
Hummelinck, Bredenbecke, van Dortmunde, van Visbeke. (Vgl. S. 151.)<br />
In Ermangelung von Einwohnerlisten, die erst vom 18. Jahrhundert<br />
an vorliegen, ermöglichen die Schatzregister eine fast sichere Be-<br />
1) Ähnlich Meppen. — K. Wenker, Das Weichbild M. und seine Bürger,<br />
(Meppen 1908) schreibt: Solange M. Festung war, änderte sich die Zahl der<br />
Wohnhäuser wenig. Die erste Anlage der Befestigungswerke hatte die vorhandenen<br />
Wohnhäuser eng eingeschlossen. Im Jahre 1435 betrug die Zahl<br />
der Wohnhäuser etwa 170; ebensoviel noch im Jahre 1550, Im Jahre 1626<br />
wurden 201 Feuerstätten gezählt, 19 Häuser waren aber unbewohnt.<br />
2) A . v. Düring, Geschichte des Stiftes Börstel. Mittig, des Vereins für<br />
Gesch. und Landeskunde von Osnabrück, 18. Bd,, Jahrg. 1893, Seite 174.<br />
10"
148<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Stimmung der Bevölkerungszahl, der Gliederung nach dem Geschlecht,<br />
der Größe der Familien- und Haushaltungen und einen Blick in den<br />
ständig fließenden Strom der Bevölkerungsbewegung. An der Vollständigkeit<br />
und Zuverlässigkeit dieser Register ist nicht zu zweifeln. Schon<br />
ihr Äußeres verrät Sorgfalt und Genauigkeit. Das älteste Register von<br />
1473 umfaßt die Städte Cloppenburg und Friesoythe und sämtliche<br />
Parochien des Amtes Cloppenburg, einschließlich Saterland. Es beginnt:<br />
Houetschat in der Stad Cloppenborch, betrifft also die Hauptoder<br />
Kopfsteuer (houet ist hier im eigentlichen Sinne zu verstehen),<br />
die von allen über 12 Jahre alten Personen geleistet werden mußte.<br />
Ausgenommen davon waren die Geistlichkeit, die in Cloppenburg<br />
nicht vertreten war, und die landesherrlichen Beamten. Im folgenden<br />
Verzeichnis sind die Schatzungspflichtigen nach Haushaltungen aufgezählt.<br />
Hovetschat-Register 1473.<br />
1. Tebbeke uppen orde, sin Hus- 16. Gerd van Kappelen, sin Husfrouwe,<br />
frouwe, sin Knecht.<br />
2. Dyrick Kemper, sin Husfrouwe,<br />
sin zone.<br />
3. Abel Teylman, sin Husfrouwe,<br />
er Moder.<br />
4. Herman Scryver, sin Husfrouwe,<br />
sin Knecht.<br />
5. Mester Cordt, sin Husfrouwe, sin<br />
Knecht.<br />
6 . Tebbeke Schomaker, sin Husfrouwe,<br />
7. Mester W olters Husfrouwe, sin<br />
Knecht, sin Dochter.<br />
8. de Pipersche, ere Dochter.<br />
9. Herman Cronenborch, sin Husfrouwe.<br />
10. Hinrik Cronenborch, sin Husfrouwe,<br />
sin Moder, sin Maget.<br />
11. dessVogedes Husfrouwe, sin<br />
Knecht, sin Maget, sin Junge.<br />
12. Hinrik Rekerman, sin Husfrouwe,<br />
sin zone.<br />
13. W ilke Bodeker, sin Husfrouwe,<br />
sin zone.<br />
14. Dyrick van Ginck, sin Husfrouwe,<br />
sin Knecht.<br />
15. Herman W empe, sin Husfrouwe,<br />
sin Moder,<br />
17. Albert de Rike, sin Husfrouwe,<br />
sin Moder.<br />
18. Dyrick Sluter, sin Husfrouwe.<br />
19. Herman Meiger, sin Husfrouwe.<br />
20. Abel, sin Hussel1),<br />
21. Herman Rekerman, sin Husfrouwe.<br />
22. Grete Hues, sin Husfrouwe,<br />
23. Gerd Brinckman, sin Husfrouwe,<br />
sin Moder,<br />
24. Engelbert Schroder, sin Husfrouwe.<br />
25. Johan A m eken, sin Dochter,<br />
26. Johan van Knehem, sin Husfrouwe,<br />
sin Hussel.<br />
27. Johan Veneman, sin Husfrouwe,<br />
sin zone.<br />
28. D yrick Bodeker, sin Husfrouwe,<br />
sin Dochter,<br />
29. Johan Overwater, sin Husfrouwe,<br />
sin Moder.<br />
30. Oltman, sin Husfrouwe,<br />
31. Bertolt.<br />
32. Lubbeke, sin Hussel.<br />
33. Reyneke Molner, sin Husfrouwe.<br />
34. Hermans Overwater, sin Husfrouwe,<br />
sin Maget.<br />
35. Pelke,<br />
Hussel ist wohl dasselbe wie Häusling, also ein Untermieter, der im<br />
Gadem (Anbau) oder im Spieker (Backhaus) wohnt.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 149<br />
36. Hinrich Menkinck, sin Hus-<br />
frouwe.<br />
37. Tebbeke Schomaker, sin Hus-<br />
frouwe, sin Knecht.<br />
38. Bernd van Ambueren, sin Hus-<br />
frouwe.<br />
39. Tole, sin Husfrouwe, sin Moder.<br />
40. W essel Witte, sin Husfrouwe.<br />
41. Hinrich van Sage, sin Husfrouwe.<br />
42. W essel up der nyen stad, sin<br />
Husfrouwe.<br />
43. Nyge Nabur, sin Husfrouwe, sin<br />
Dochter.<br />
44. Hinrich Dünker.<br />
45. de Wismansche, ere zone, ere<br />
Dochter.<br />
46. Mette Sluters, ere zone, ere<br />
Dochter.<br />
47. Lambert Bleyg, sin Husfrouwe,<br />
48. M eyneken Beke, ere zone, ere<br />
Dochter,<br />
49. Johan Sintener,<br />
50. Grete Möller,<br />
51. Nabers Hille, ere Dochter.<br />
52. Hinrich Wisman,<br />
53. de Rape, sin Husfrouwe, sin zone.<br />
54. Herbord van Drebber, sin<br />
Suster (Schwester),<br />
55. dess Meigers Suster.<br />
56. Dyrick uppen Lo, sin Husfrouwe,<br />
sin Maget.<br />
57. Langen Albert Husfrouwe, sin<br />
Dochter.<br />
58. Hinrich Brunstede, sin Husfrouwe.<br />
59. Sluter Ludeke, sin Husfrouwe,<br />
sin zone,<br />
60. Merlemans Hempe,<br />
61. dess Kikes Husfrouwe,<br />
62. Wibbeke Sluters.<br />
63. Haseke ere Hussel,<br />
64. Hinrich Schroder, sin Broder.<br />
65. Kerspel Hermans Husfrouwe,<br />
66. Johan Bleyg, sin Dochter,<br />
67. Albert Wynter, sin Husfrouwe,<br />
68. Johan Kock, sin Husfrouwe,<br />
69. Johan de Witte, sin Husfrouwe,<br />
70. Gerlich, sin Husfrouwe,<br />
71. de Richtersche, en Knecht, noch<br />
en Knecht, en Maget, noch en<br />
Maget1).<br />
Bei der Auszählung dieses Schatzungsregisters ergibt sich eine<br />
bürgerliche Bevölkerung von 161 Seelen. Die Zahl der Minderjährigen<br />
unter 12 Jahren kann in etwa berechnet werden. Hermann Oncken<br />
schätzt sie auf rund 30 Prozent der Gesamteinwohnerzahl2), bemerkt<br />
jedoch dazu: „Dieser Ansatz ist etwas reichlich genommen, läßt sich<br />
aber aus praktischen Erwägungen rechtfertigen.“ Welche Erwägungen<br />
O. zu diesem ohne Frage weit überschätzten Anteil veranlaßt haben,<br />
erfährt man nicht. Nach Stadt Cloppenburger Einwohnerlisten aus<br />
dem 18. Jahrhundert, also einer Zeit, die schon eine höhere Kinderzahl<br />
aufwies, entfallen auf die Kinder unter 12 Jahren 15— 18 Prozent<br />
der Einwohner. Rechnet man für die Minderjährigen und die<br />
Steuerbefreiten zusammen 20 Prozent, so dürfte das der Wirklichkeit<br />
näherkommen. Die Stadtbevölkerung wird also um das Jahr 1473<br />
rund 200 betragen haben. Über die Höhe der Besatzung der Burg und<br />
des Vorwerkes fehlen zuverlässige Nachrichten. Wahrscheinlich wird<br />
sie zu dieser Zeit nicht geringer gewesen sein als einige Jahrzehnte<br />
*) Für 1473 ist Johann Budde als Richter bezeugt.<br />
2) Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Oldenburg, Heft 3 (Oldenburg<br />
1903), S. 50.
150<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
später, wo sie 40— 50 betrug. Man darf deshalb die gesamte Bevölkerung<br />
von Stadt und Burg mit 250 ansetzen. Diese gewiß geringe Einwohnerzahl<br />
besagt an sich für die Bedeutung der Stadt wenig. „Es<br />
kommt nicht", wie Dietrich Kohl1) schreibt, „auf die absolute Bevölkerungsziffer<br />
einer Stadt, sondern auf deren Verhältnis zu der Bevölkerungsdichte<br />
der betreffenden Landschaft an.“ Nach demselben<br />
Schatzungsregister wohnten im benachbarten Krapendorf (einschl.<br />
Lankum und Hemmelsbühren) 43 Steuerpflichtige, in Essen 75, in<br />
Löningen 164 und in der viel älteren Stadt Friesoythe mit den umliegenden<br />
Ortschaften unter Ausschluß von Altenoythe 357. Die Bevölkerungsziffer<br />
der Stadt Oldenburg setzt Kohl (a. a. 0.) für das<br />
15. Jahrhundert mit 1000—2000 an.<br />
Von den 161 Steuerpflichtigen der Stadt sind 78 männlichen und<br />
83 weiblichen Geschlechts. Auffallend gering ist die Zahl der Kinder<br />
über 12 Jahre, die zu Hause sind: 9 Söhne und 11 Töchter. Nur ein<br />
Viertel der Familien zählt Kinder in diesem Alter. An Hausgesinde<br />
sind 10 Knechte und 6 Mägde verzeichnet.<br />
Überblickt man das Namenmaterial des Schatzungsregisters,<br />
so erkennt man, daß (mit wenigen Ausnahmen) die Zeit, wo jeder nur<br />
einen Namen trug und es keine festen Familiennamen gab, vorbei ist.<br />
Folgende Namen enthalten die Herkunftsangabe: van Ginck (Gemeinde<br />
Lindern), van Kappelen (bei Cloppenburg), van Knehem (Kneheim),<br />
van Ambueren (Ambühren bei Cloppenburg), van Sage (Gemeinde<br />
Großenkneten), van Drebber (Diepholz2 )). Unter den Vornamen<br />
sind Johan und Hinrich am häufigsten vertreten. Die bekannte Redensart:<br />
„Hinnerk und Jan — hett de meiste Mann" hatte demnach auch<br />
schon vor etwa 500 Jahren Gültigkeit. Eine Anzahl Vornamen ist<br />
germanischen Ursprungs, wie Wessel, Wibbeke, Hempe, Beke, Lub-<br />
beke, Reyneke, Pelke, Mette, Hille.<br />
Im Jahre 1498 verzeichnet Pastor Halfwassen für die Stadt Cloppenburg<br />
194 steuerpflichtige Personen; das sind 33 mehr als 25 Jahre<br />
vorher — 20 Prozent Zunahme.<br />
Das Landschatzungsregister des Jahres 1535 führt 69 Haushaltungen<br />
mit 201 Steuerpflichtigen auf, also nur 7 Personen mehr als im<br />
Jahre 1498. Mit 98 bzw. 103 Personen halten sich die Geschlechter<br />
ungefähr das Gleichgewicht. Die Zahl der in den Familien befindlichen<br />
‘ ) Dietrich Kohl, Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt<br />
Oldenburg, Old. Jahrbuch XII, S. 34.<br />
2) Wahrscheinlich auch Cronenborch (Kronsberg b. Friesoythe?), Reker-<br />
mann (aus Reckum b. Wildeshausen?): im weiteren Sinne gehören zu dieser<br />
Gruppe auch Nr. 1, 23, 27, 29, 42, 56. Vgl. die Kartenskizze S. 151.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw, 151<br />
Kinder über 12 Jahre beträgt 47, 23 Söhne und 24 Töchter, die der<br />
Verwandten 5. Knechte (servus, famulus, als Bezeichnung für alle in<br />
einem dienstlichen Abhängigkeitsverhältnis stehenden männlichen Personen)<br />
sind 11 vorhanden, Mägde (famula) 9, Es muß um diese Zeit<br />
in der Bürgerschaft ein gewisser Wohlstand geherrscht haben, denn<br />
bei 18 Familien wird ausdrücklich bemerkt: van syn sulvest renten.<br />
Seit 1473 — das Register 1498 ist teilweise unleserlich — treten<br />
folgende Familiennamen neu auf: Volmelage, Orthman, Scharpekans,<br />
Stalman, Helman, Heydenrick, Kupeken, Greve, Knemerman, van<br />
Bassen, Vaget, Arneke, Smyt, Brathorst, Rodde (Rode), Hogeherts,<br />
van Kneten, Wever, Cappelman, van Wardenstede (Warnstedt), Barch-<br />
man, Vagedes, Kremer, Wolters, Raepe, van Matrum, van Stalvorden<br />
(Stalförden), Heppert, Valke, Blann und Marckehusen (Markhausen).<br />
Besonders aufschlußreich ist das Register vom Jahre 1548, da es<br />
sämtliche Einwohner — einschl. der Kinder unter 12 Jahren —<br />
namentlich aufzählt und auch die landesherrlichen Beamten und Bediensteten<br />
verzeichnet. Die Zunamen des Gesindes sind nicht angegeben,<br />
wie es noch bis zum Anfänge des vorigen Jahrhunderts üblich
152<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
war. Seine Entstehung verdankt es anscheinend einer Personenstandsaufnahme,<br />
die im selben Jahre auch für das Oberstift Münster angeordnet<br />
war. Es widerlegt auch die bisher in der Literatur vertretene<br />
Ansicht, daß es vor dem 30j ähr. Kriege keine Zählung gegeben hätte, die<br />
ausschließlich zur Feststellung der Bevölkerungsziffer bestimmt war.<br />
Register der Stadt<br />
1. Dirickus Heppert<br />
Gebbecke uxor<br />
Herman filius<br />
Geske und Anna filiae<br />
2. M ester Berndt Sinderkemp(?)<br />
Swaneke uxor<br />
Berthe filia<br />
Herman filius<br />
Roleff famulus<br />
3. Dirick Meiger van Knehem<br />
Grete uxor<br />
Tale famula<br />
Johann famulus<br />
4. Maria van BaBen<br />
Elske soror<br />
Hinrick famulus<br />
Geske famula<br />
5. Frederich Smidt<br />
Tobe uxor<br />
Hempe filia<br />
Johann filius<br />
6. Johan Helleman<br />
Metta uxor<br />
Dirich filius<br />
Johan filius<br />
Geske filia<br />
Talcke filia<br />
7. Johan Marckehuisen<br />
Tale uxor<br />
Anna filia<br />
Johan filius<br />
8. Johan up dem Orde<br />
Engell uxor<br />
Tebbe filius<br />
Johann filius<br />
Beke filia<br />
9. Ludeke van Ginck<br />
Greta uxor<br />
Hempe filia<br />
10. Hinrick Schomaker<br />
Tale uxor<br />
Modeke mater<br />
Cloppenborch 1548.<br />
11. Johan Hogehart<br />
Metta uxor<br />
Gertrudt filia<br />
12. Tiden Hermen<br />
Greta uxor<br />
Ricke mater<br />
Tobe famulus<br />
Anna famula<br />
13. Geske van Essen<br />
W essell filius<br />
Albert filius<br />
Hermen filius<br />
Greta filia<br />
14. Tebbe Averwater<br />
Gesche uxor<br />
Gerdt famulus<br />
15. Ruter Bernth<br />
Greta uxor<br />
Reinste cohabitatrix (Mitbewohnerin)<br />
Hermen filius<br />
16. Borchart Meinartz<br />
Ursula uxor<br />
17. Karsten Smidt<br />
Metta uxor<br />
Dirick filius<br />
18. Frerick Meier<br />
Stina uxor<br />
Hempe mater<br />
19. W ilcke Scharpkanß<br />
Gebbeke uxor<br />
20. Gerdt van Pem<br />
Anna uxor<br />
Dirick famulus<br />
Thale famula<br />
21. Dirich Hillegeloy<br />
Tale uxor<br />
Hille filia<br />
22. Helmerich Molman<br />
Tabeke uxor<br />
Greta filia
23.Cordt Portener<br />
Kunneke uxor<br />
Fenneke filia<br />
24. Anna Kakes<br />
Cathrina filia<br />
25. Geßke de Molmansche<br />
Dirich filius<br />
W obbeke filia<br />
26. Hennen van Stenforde<br />
Thrina uxor<br />
Greta filia<br />
Wolter filius<br />
27. Anna Bodekers vidua<br />
Engelberth filius<br />
Dirich filius<br />
Greta filia<br />
28. Gerdt van Matrem<br />
Hempe uxor<br />
Dirik filius<br />
29. Gerdt van Cappelen<br />
Leneke uxor<br />
Tale mater<br />
30. Elsa Scharpkanß<br />
Hermen filius<br />
Anna cohabitatrix<br />
31. Hilla Kakeß<br />
W obbeke filia<br />
Lambert filius<br />
Hermen Arneke<br />
32. Gertrudt Kakes<br />
Heileke soror<br />
33. W ilke Bodeker<br />
Haßke uxor<br />
34. Carsten van Cappelen<br />
Tale uxor<br />
Ludeke filius<br />
Johan filius<br />
Hempe filia<br />
Wübbeke famula<br />
35. Johann van Amburen<br />
Hempe uxor<br />
Berndt filius<br />
Hermen filius<br />
Johan filius<br />
Hilla filia<br />
36. Berndt Rode<br />
Gebbeke uxor<br />
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 153<br />
37. Johan Krampe<br />
Geske uxor<br />
Johan filius<br />
Oltman filius<br />
Anna famula<br />
38. Hermen K ock<br />
Greta uxor<br />
Johan filius<br />
Greta filia<br />
39. Hinrick Bleyg<br />
Hempe uxor<br />
Metta filia<br />
Elisabet filia<br />
40. Hinrick Portener<br />
Greta uxor<br />
41. Rode Johan<br />
Hilla uxor<br />
Wobbeke soror<br />
Wobbeke filia<br />
Tale filia<br />
Johan filius<br />
42. Dírích van Smerten<br />
Fenne uxor<br />
43. Johan Kuper<br />
Geske uxor<br />
Tale filia<br />
Hinrick ovium pastor1)<br />
44. Maria Tollnersche<br />
Heileke filia<br />
Geske filia<br />
Else soror<br />
Hinrick famulus<br />
45. Greta Borchgrevesche<br />
Alheidt filia<br />
46. Johan Rekerman<br />
Wendel uxor<br />
Hinrich filius<br />
Anna filia<br />
47. Hinrick Simer<br />
Hilla uxor<br />
48. Dirick W ever<br />
Tale uxor<br />
49. Alberth Averwater<br />
Tale uxor<br />
Rike filia<br />
Johan filius<br />
Greta famula<br />
Hinrick famulus<br />
!) Stadthirt, der im Bürgermoor oder im Soestenbrook die Schafe der<br />
Bürger hütete. S. auch unter 75: Menke pastor.
154<br />
50. Abell Kremer<br />
Geske uxor<br />
Dirick famulus<br />
Dirick famulus<br />
Geske<br />
Wubbeke famula<br />
Wessel frater<br />
51. Jürgen Wyßman<br />
52. Gerdt Kremer<br />
Cathrina uxor<br />
Metta mater<br />
Johan frater<br />
53. Johan W yckbertz<br />
Heilike uxor<br />
Johan filius<br />
54. Hinrick Menkinck<br />
Hille uxor<br />
Everth filius<br />
55. Cordt Scharpekanß<br />
Lubbe uxor<br />
Everth filius<br />
56. Knehmer T ole (Tole van Knehem)<br />
Taleke uxor<br />
Geske mater<br />
57. Hinrick Rape<br />
W obbeke uxor<br />
58. Johan Berchman<br />
Tale uxor<br />
Hermen filius<br />
59. Dirick Rape<br />
Rense uxor<br />
Johan filius<br />
Tale filia<br />
60. T ole Smidt<br />
Greta uxor<br />
Fenne filia<br />
61. Tebbe Rekerman<br />
Hermen filius<br />
Geske filia<br />
Greta famula<br />
62. Johan Bleig<br />
Trina uxor<br />
Stina filia<br />
63. W essell van Cappelen<br />
Gertrudt uxor<br />
Lammert famulus<br />
64. Beke Vagedes<br />
Dirick filius<br />
65. Lammert M öller<br />
Greta uxor<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
66. Lampen Dirick<br />
Geske soror<br />
W endel filia<br />
67. Johan tor Marie<br />
Lißa uxor<br />
Abell filius<br />
68. Ties van Gronem<br />
Trina uxor<br />
Hinrich famulus<br />
Oltman filius<br />
69. Johan Bertelt<br />
Remmeke uxor<br />
Hilla filia<br />
70. W essel W itte<br />
Thrina uxor<br />
Lambert filius<br />
Tobe uxor<br />
71. W essel Bodeker<br />
Dirick frater<br />
72. Hinrich van Sage<br />
Lubbe mater<br />
Gerdt frater<br />
Hempe soror<br />
73. Dirich Titerman (7)<br />
Geske uxor<br />
74. Fenneke Fogetdinne<br />
Thobe famula<br />
W essel famulus<br />
75. Fenneke uxor judicis (Frau des<br />
Richters Jürgen Blann)<br />
Liseke filia<br />
Johan famulus<br />
Menke pastor ovium<br />
Anneke famula<br />
76. Albert de Ryke<br />
77. Hermen Düvell<br />
Ricke mater<br />
Geske uxor<br />
Gerdt famulus<br />
Cathrina famula<br />
Gerdt famulus<br />
78. G ebbeke uxor molitoris (Frau des<br />
Hermen de Möller)<br />
79. Johan Helleman<br />
Dirick pater<br />
Tobe mater<br />
Memeke famula<br />
80. Anna uxor famuli Albert Folme-<br />
lage<br />
Greta famula
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 155<br />
81. Teleke uxor Eilardi (Frau des<br />
Eilerth Dolía)<br />
82. Anna, Concubina Wessel Bode-<br />
kers<br />
83. Anna uxor<br />
Tobe mater<br />
84. Tale de Slutersche<br />
85. Fredeke uxor piscatoris (Frau<br />
des Hinrick Fissker)<br />
86. Elske Meigers (Frau des FuBknechtes<br />
Johan Meiger)<br />
87. Hilla Tholen Diricks uxor<br />
88. Stina Winthuis<br />
Dat Huißgesynne des Huises Cloppenborch<br />
de Erber Droste Stedinck<br />
Antonies schriver<br />
Jurgen famulus<br />
Hermen famulus<br />
Cordt famulus<br />
Robbeke famulus<br />
der Jungen twe<br />
noch eyn knecht<br />
Mester Johan de snider<br />
Johan famulus<br />
Ludolphus Kottinck, Rentemester<br />
PeuB famulus<br />
eyn Junge<br />
Jürgen Blann, Richter<br />
Hermen Valke, tholner<br />
Cordt Rave, Vogt<br />
Hermen van Halen, Borchgrave<br />
Hanß v. Franckwerth, Bussenschiitte<br />
Mester Matias, Bussenschiitte<br />
Hinrick, FiBker<br />
Hermen, Jeger<br />
Johan Meiger, Foethknecht<br />
Albert Felmelage, Foethknecht<br />
Hinrick Siiseker, Foethknecht<br />
Eilerth Dolla, Foethknecht<br />
M ester Lammert, Kock<br />
Hermen, Underkock<br />
Johan de Junge<br />
Jürgen Sluter<br />
Hermen Sluter<br />
Hermen de Möller<br />
Hermen Rump, Wechter<br />
Hermen Smidt, Wechter<br />
Johan Cruse, Wechter<br />
Hinrick, Portener<br />
Bernth, Portener<br />
W essell, Bouwschulte<br />
Hilla de Meigersche<br />
Geska famula<br />
Cathrina famula<br />
Armen, den de kost umb gotz willen gevenn werth<br />
Claws de eine wechter eyn Junge in dem Vorwerck<br />
Die Auszählung dieses Registers ergibt 326 Personen, von denen<br />
43 auf das „Haus Cloppenburg" entfallen. Den 171 männlichen Personen<br />
stehen 155 weibliche gegenüber; ohne die 43 des Hauses Cloppenburg<br />
ändert sich das Verhältnis in 131 : 152. Kinder sind 81 verzeichnet,<br />
42 männlichen und 39 weiblichen Geschlechts. Sie machen<br />
28 Prozent der Stadtbevölkerung aus, während in anderen bevölkerungsstatistisch<br />
erfaßten Orten ihr Anteil damals mit 35— 40 Prozent<br />
berechnet ist. Auf geführt werden 3 Familien mit je 4 Kindern, 5 Familien<br />
mit je 3 Kindern, 15 Familien mit je 2 Kindern und 24 Familien<br />
mit je 1 Kind. In 47 Familien mit Kindern sind 81 Kinder vorhanden,<br />
d. h. auf eine Familie kommen 1,72 Kinder1) . Die dienende Klasse der<br />
Zu den Kindern zählen hier alle im Elternhause lebenden unverheirateten<br />
Söhne und Töchter ohne Altersunterschied. Die Schatzregister<br />
zählen dagegen nur die über 12 Jahre alten Kinder auf. Obschon die Zahl
156<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
Bevölkerung ist in 19 Haushaltungen, ausschließlich „Haus Cloppenburg",<br />
mit 16 Knechten und 14 Mägden vertreten. Sie macht also<br />
etwa 10 Prozent der Bewohner aus. Außerdem zählt das Register<br />
22 Verwandte auf (pater, mater, fr ater, soror).<br />
An neuen Familiennamen sind gegenüber 1535 zu verzeichnen:<br />
Tide, van Essen, Berndt, Meinartz, van Pemen (Peheim),<br />
Hillegeloy, Molman, Portener, van Stenforde (Steinfeld oder Stein-<br />
furt?), van Ginck (Großen- und Kleinenging), van Smerten (Schmertheim),<br />
Kuper, Simer, Wyckberts, tor Marie, van Gronem (Grönheim),<br />
Düvell und Winthuis. In 13 Jahren sind demnach 18 Familien zugewandert<br />
oder durch Heirat gegründet worden. Mindestens 6 Herkunftsnamen<br />
bezeugen den Zugang aus benachbarten Orten. Vgl. Karte S. 151.<br />
Das Tyns Schat-(Grundzins oder Hauszins)-Register vom Jahre<br />
1559 weist einschl. der Schatzfreien 79 Hausbesitzer auf. Während<br />
darin die Namen van Baßen, Hogehart, Tide, van Essen, Meinartz,<br />
Portener, Kakes, Molman, van Stenforde, Wever, Wyssman nicht mehr<br />
Vorkommen, treten neu auf: van Bueren, Sommer, Peltser, Fullebeer,<br />
Tole, Büttel, Metten und van Halen,<br />
Nach dem Schatzregister von 1575 hat sich die Zahl der Haushaltungen,<br />
die sich in diesem Fall mit der Zahl der Häuser deckt, auf<br />
90 erhöht. An bisher nicht bezeugten Zunamen kommen vor: Abraham<br />
Huesvaget1), van Beten, Clene, Rensen, Visscher2), Jeger2), Boker,<br />
Hillen, Bring (k) man, van Riste, van Senden, Brunemunt, Hoiger,<br />
Helmerich. Vgl. Karte S. 151.<br />
Das folgende Schatzungsregister stammt aus einer Zeit, die sich<br />
der Segnungen des Friedens erfreuen konnte, und in der das Wirtschaftsleben<br />
infolge des steigenden holländischen Außenhandels einen<br />
starken Auftrieb erhielt. Die aus diesem Register ersichtliche Entwicklung<br />
der Stadt Cloppenburg darf man wohl mit diesen beiden<br />
Faktoren in Zusammenhang bringen.<br />
der verstorbenen oder abgewanderten Kinder nicht bekannt ist, darf man auf<br />
Grund dieses Registers wohl behaupten, daß im Vergleich zu heute die<br />
Kinderzahl damals nur gering war.<br />
‘ ) Hier liegt ein bezeichnendes Beispiel für die Willkür der Namengebung<br />
vor, Nach einem Auszuge aus dem Stadtbuch hieß der Bürger<br />
Abraham Lindener, vermutlich, weil er aus Lindem stammte. Hinzugefügt<br />
ist: den de lude Abraham van Oldenborgh hetet; er war nämlich 1569 aus<br />
Oldenburg zugewandert. Im Schatzregister 1575 heißt er Abraham Huesvaget,<br />
weil er mittlerweile Hausvogt geworden war.<br />
2) Sie waren Fischer bzw. Jäger des Amtshauses und stehen im Schatzregister<br />
1559 noch als „de Visscher" und „de Jeger“ , Bereits 1569 nennt<br />
sie ein Stadtbuchauszug nach ihrem Beruf Dirich Visscher und Herman Jeger.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 157<br />
Persoenschaetzunge Anno 1609 d e n 18. d e s Mantes<br />
g b ris (Oktober).<br />
Das Register umfaßt 14 Seiten,<br />
gäbe der ersten Seite zeigen. (1—6.)<br />
1. Otto Stedinck 28 ß (Schilling)<br />
sein Huesfrouwe 14 „<br />
sein Knecht 7 „<br />
seine Maegett 4 ,,<br />
2. Johann Kromer<br />
pauper1) 3 „<br />
sein Huesfrouwe 2 „<br />
dre Kinder 3 „<br />
3. Johan van Bueren 3 ,,<br />
sein Huesfrouwe 2 „<br />
zwe Kinder 2 „<br />
4. Berendt Düvell 28 „ Boergemeister<br />
sein Huesfrouwe 14 „<br />
een Kindt 7 „<br />
een Knecht 7 „<br />
zwe Megede 8 „<br />
enen Jungen 4 „<br />
5. Dirich Molman \<br />
pauper 3 „<br />
sein Huesfrouwe 2 „<br />
6. Gerdt Moeleman 3 1,<br />
sein Huesfrouwe 2 „<br />
7. Dirich Helmans —• 2 Kinder<br />
'8. Toebe Smedes — 2 Kinder<br />
9. Cersten van Kappelen — Frau<br />
10. Mencke de Voetknecht — Frau<br />
— 2 Kinder<br />
*11. Gerdt Lammers pauper — Frau<br />
12. Tebbe Schoemacker — Frau —<br />
1 Kind<br />
13. Hinrich Schoemaker — Frau —<br />
— 2 Kinder<br />
14. Laedewech van Kappelen —<br />
Frau — 1 Kind<br />
15. Johan van Knemen — Frau<br />
16. Gesche Volmelage — 1 Kind<br />
17. Johan Hopper — Frau<br />
*18. de W rede, Rentmeister<br />
*19, Hinrich Graßhorn — Frau —<br />
1 Kind<br />
Seine Anlage möge die Wieder-<br />
20. Berendt Düvell, Zöllner — Frau<br />
— 1 Magd<br />
*21, de Becker pauper — Frau<br />
*22. Hermen van Varelbusche pauper<br />
— Frau<br />
*23. Elisabeth Holtruppes — 1 Magd<br />
*24. Roedolphes Abhoevell — Frau<br />
— 1 Magd<br />
25. Olde Meyersche van Knemen<br />
*26. Johan Snelle — Frau<br />
27. Gesche Blei — 1 Kind<br />
*28. Gerdt Witterock — Frau —<br />
2 Kinder<br />
29. Hillen Taele pauper<br />
30. Hinrich van Dincklage, Soldat<br />
vom Amtshaus — Frau — 1 Kind<br />
31. W oltke Roede — Frau —<br />
3 Kinder<br />
*32. Johan Lueken — Frau — 1 Kind<br />
33. Fenneke Hilligeloe — 1 Kind<br />
*34. W essell Morekampf, Soldat vom<br />
Amtshaus — Frau<br />
35. Johan Schulte pauper — Frau<br />
36. Gerdt van Timmerloe — Frau —<br />
1 Kind<br />
37. Berendt van Groenem — Frau<br />
— 3 Kinder — 1 Magd<br />
*38, Wichman van Stapelvelde —<br />
Frau — 1 Kind<br />
39, Hinrich Blei — Frau<br />
*40. Johan van Anckum — Frau —<br />
1 Kind<br />
*41, Gerdt van Vestrupp — Frau<br />
42, Frerich Helman — Frau<br />
43. W illeke van Beten — Frau<br />
*44. Joest Lange — Frau<br />
45. Dirich Vischer — Frau — 1 Kind<br />
46. Roleff Groenouw — Frau —<br />
1 Kind<br />
47. Hermen Marckehusen — Frau<br />
'48. Wendell van Garell — 2 Kinder<br />
* bedeutet neuer Name seit 1575.<br />
*) Gebräuchliche Bezeichnung für die Armen im Schatzregister, die<br />
keine Steuer oder nur den niedrigsten Satz zu entrichten brauchten.
158<br />
'49. Hinrich Büssinck — Frau —<br />
3 Kinder<br />
50. Koep M eier — Frau — 1 Kind<br />
51. Gesche M eier — 1 Kind<br />
52. Johan B oecker — Frau —<br />
2 Kinder — 1 Jungen<br />
*53. Folkert Kroeßen<br />
'54. Hermen Müller — Frau— 1 Kind<br />
55. Fenneke Averwater — 2 Kinder<br />
'56. W illeke Tasche — Frau<br />
*57. W essell Halerman — Frau —<br />
3 Kinder<br />
58. W essel Molman<br />
*59. Arendt Unkrudt — Frau<br />
60. Hennen van Ammeren — Frau<br />
— 3 Kinder<br />
61. Johan Smit — Frau — 1 Kind<br />
*62. A lbert Holt, Soldat vom Am tshaus<br />
— Frau<br />
*63. Johan van Sevelten — Frau<br />
*64. Catarine Brunes<br />
65. Berent W evers wiff<br />
66. Kordt Kremer — Frau— 1 Junge<br />
*67. G oetleff Hundebecke — Frau<br />
68. Hermen Scherpkant — Frau<br />
69. Johan M eier — Frau — 1 Magd<br />
Borgemeister<br />
70. Tebbe van Smerten — Frau —<br />
1 Kind<br />
*71. Johan M eierwerdt — Frau —<br />
1 Kind<br />
'72. W illeke Tamelinck sin Hurman<br />
— Frau<br />
73. Albert Brinckman — Frau —<br />
1 Kind<br />
74, Dirich van Stapelvelde — Frau<br />
'75. Dirich van Restehusen — Frau<br />
— 2 Kinder<br />
76. Hinrich Hoegehert — 2 Kinder<br />
77. Johan Hoegehert — Frau<br />
78. Gerdt Stedinck — Frau, Borch-<br />
grave (Schließer) vom Amtshaus<br />
'79. Johan Raven, Richter<br />
'80. Lambertus Westerman, Richt-<br />
schriever (Gerichtsschreiber)<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
'81. W essell van Adderup — Frau<br />
82. Dirich van Sevelten — Frau —<br />
1 Kind<br />
83. Johan van Senden — Frau<br />
84. Bele Smedes — 3 Kinder<br />
85. Johann Brunemundt — 2 Kinder<br />
86. Hinrich Kemper — Frau<br />
87. Jürgen zuer M oell — Frau —<br />
1 Kind<br />
88. Abell Kümper — Frau<br />
89. Johan Naber — Frau<br />
90. Arendt W itte — Frau— 3Kinder<br />
91. Hinrich Helman — Frau, Voerer<br />
(Führer) under de Soldaten<br />
92. Johan Averw ater — Frau —<br />
3 Kinder<br />
*93. Hinrich Frese, Wachtmeister<br />
*94. Berndt W eldige, Soldat vom<br />
Amtshaus — Frau<br />
95. Oltman Swerten dre Kinder<br />
96. Diterich Schulte, Hueßvagett<br />
(Hausvogt)<br />
97. Johan Simer — 1 Kind<br />
98. Anneke Simer pauper<br />
99. W illeke Reckerman — Frau<br />
100. Johan W ever — Frau<br />
101. Gerdt Bley<br />
102. Johan Helman — Frau<br />
103. Fenneke Rapen<br />
*104. Johan Lukas — Frau<br />
105. Dirich Vaegeth — Frau<br />
*106. Elsche van Suereshusen<br />
107. Kordt Smidt — Frau<br />
108. Hinrich van Cappelen — Frau<br />
— 2 Kinder<br />
109. Busse Kromer — Frau<br />
*110. W evers W ineken — Frau<br />
*111. Hermen van Haegestede — Frau<br />
*112. Dirich in den W alle — Frau —<br />
3 Kinder<br />
113. Unse Koeherde Lucke pauper<br />
Frau (Hüter der Bürgerkühe im<br />
Moor)<br />
H u erlu ed e soe mit anderen eine liggen sint idelwiers (irgendwelche)<br />
Personen, soe ehre K oest verdenen mit spinnen:<br />
Anneke mit Johan Kromer Trine mit Hillen Talen<br />
Grete mit Brunes Catrinen pauper Trine M eyers mit Moelman
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 159<br />
Fenneke Vagedes mit Moelman 'Fenneke van Holtingehusen mit ?<br />
#Trine W encken mit Hinrich Bley sam pterer Docht er<br />
auocr Grete K ocks mit Jonan Simer<br />
pa Boeckers ? mit der Schulten pauper<br />
Fenneke mit Dirich Molman Schuer Talcke pauper<br />
Das Register führt in 113 Haushaltungen 303 Einwohner über<br />
12 Jahre auf, die sog. Heuerleute eingeschlossen. Ob alle dem Amtshause<br />
zugehörenden Personen verzeichnet sind, ist nicht ersichtlich.<br />
Die Auszählung ergibt 97 Haushaltungsvorstände, 109 Frauen, 84<br />
steuerpflichtige Kinder, 5 Knechte und 8 Mägde. 12 werden als arm<br />
bezeichnet. Rechnet man für die Kinder unter 12 Jahren 20 Prozent,<br />
so betrug die Bevölkerung 375. Das Auftreten von 42 neuen Familiennamen<br />
beweist, daß seit 1575 ein erheblicher Zugang von auswärts<br />
erfolgt ist. Die Verzweigung vieler Familien zeugt von einer bemerkenswerten<br />
Seßhaftigkeit. Der Name Helman ist viermal vertreten,<br />
van Cappelen, Blei und Meier je dreimal, Düvell, Steding, Kromer,<br />
Schoemaker, Hoegehart, Simer und Smidt je zweimal. Von 94 verschiedenen<br />
Familiennamen sind 25 Herkunftsnamen, unter ihnen 11<br />
neue, die fast ausschließlich auf Orte der Umgebung hinweisen1) , Unter<br />
den Vornamen behaupten Johan (23mal) und Hinrich (lOmal) immer<br />
noch den Vorrang. Während bei den männlichen Vornamen ein Rückgang<br />
der germanischen festzustellen ist, trifft das für die weiblichen<br />
Vornamen germanischen Ursprungs nicht zu.<br />
Aus der Zeit des 30jährigen Krieges liegt kein Material vor, das<br />
für eine bevölkerungsstatistische Untersuchung in der bisherigen Weise<br />
ausreicht. Man ist allein auf ein Verzeichnis der Bürgerschaft angewiesen,<br />
das sich in einem alten Protokollbuch befindet: Status undt<br />
ordnungs ietziger Burgerey2). Der Vergleich mit anderen Quellen ergibt,<br />
daß es höchstwahrscheinlich aus dem Jahre 1639 stammt. Es<br />
zählt 103 Familien auf. Hinter 26 Namen steht „vorbrandt“ vermerkt,<br />
hinter 12 „vorbrandt und woeste“ und hinter 6 „woeste". Diese Zusätze<br />
deuten wohl weniger auf die Zerstörungen durch den Krieg als<br />
vielmehr auf den großen Brand wenige Jahre vorher hin, der 61 Häuser<br />
vernichtet hatte. Auffallend ist es, daß unter den Namen dieses<br />
Verzeichnisses die Herkunftsnamen, die 1609 aufgeführt werden, bis<br />
auf 4 nicht m e h r V o r k o m m e n . Man darf das wohl auf eine Rückwanderung<br />
auf das Land zurückführen, veranlaßt durch die Unsicherheit<br />
und die Lasten der von Belagerungen, Einquartierungen und Kontributionen<br />
so schwer heimgesuchten Stadt.<br />
1) Über Herkunftsnamen vgl. Kohl a. a. O. S. 36 ff. u. unsere Karte oben.<br />
2) C. L. Niemann, Geschichte des Münsterschen Amtes Cloppenburg,<br />
Münster 1878, S. 153 u. 262.
160<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
In welchem Maße die Bevölkerung der Stadt unter dem Kriege<br />
und weiteren Feuersbrünsten gelitten hat, zeigen Register aus dem<br />
Jahre 1662. Im folgenden sind die noch vorhandenen Wohnhäuser<br />
mit sämtlichen steuerpflichtigen Einwohnern aufgezählt.<br />
Haus- und Personenschatzungsreg i s t er<br />
vom Februar 1662.<br />
*1. Dirich von Kempen1) — Frau<br />
*2. Dirich von Elsten — Frau<br />
3. dessen Heurman — Frau<br />
*4. Joest Teckenborgh<br />
*5. W em pe Osterkampf — Frau<br />
6. W essel von Cappelen — Frau —<br />
1 Knecht — 1 Magd — hat die<br />
reitende Post<br />
7. Focke von Gronheimb — 1 Kind<br />
— alter verarmbter Man pauper<br />
8. W ilcke Berendts — Frau —<br />
militat principi (in landesfürstlichen<br />
Diensten)<br />
9. W ittib Tießes (Matthias) von<br />
Gronheimb — 1 Kind<br />
*10. Tonnies (Antonius) Osterlo —<br />
Frau — pauper<br />
11. Johan Schulte — Frau<br />
12. Herman M öller — Frau<br />
*13. Tebbe in der Straten (nachher<br />
Stratman) — Frau<br />
*14. W ernecke Bauman — Frau<br />
*15. Berendt Velthues — Frau — des<br />
Drosten Diener<br />
16. in dessen Hause zur Heuer W ittib<br />
Freyesche — 1 Kind<br />
*17. Wittib Merten von Hambstrupf<br />
— pauper<br />
18. Johan W ittrock — Frau<br />
19. Johan Helman — Frau — 1 Kind<br />
20. Hinrich Rode — Frau<br />
*21. Dirich Juichman — Frau — ein<br />
verkranckter bettlegriger Man —<br />
pauper<br />
*22. Arendt von Suhlingen — Frau —<br />
des Drosten Diener<br />
*23. Johan M acke — Frau<br />
*24. W ittib Herman ufm Hoften2) —<br />
1 Kind<br />
*25. Berndt von Schnelten — 1 Kind<br />
26. Johan Boeker — Frau — 1 Kind<br />
27. Berendt von Gronheimb — Frau<br />
— 1 Jungen<br />
28. Johan M eyer — Frau<br />
29. W ilcke Hullman — Frau<br />
30. Johan von Elsten — Frau —<br />
1 Kind<br />
31. Hinrich M öller — Frau<br />
*32. Johan Klumper — Frau— 1 Kind<br />
33. Lambert Velthues — Frau<br />
34. W ittib Hogehardts<br />
35. Frerich Hoyer — Frau<br />
*36. Johan Wilhelm Evers — Frau —<br />
1 Magd<br />
37, Johan Kramer, Fußknecht —<br />
Frau<br />
38, Hinrich Bussinckh — Frau —<br />
1 Kind — 1 Knecht<br />
39, Johan W ever — Frau<br />
"40. Christopher Henßman — Frau<br />
*41. Berendt Broder — Frau— lKind<br />
42. Johan Vagett — Frau<br />
*43. Valentin Rauch — Frau — militat<br />
principi<br />
44. Gerdt Merleman — Frau<br />
*45. Johan Engelen — Frau — ein<br />
alter gebrochener Man — pauper<br />
46. Herman Naber — Frau<br />
*47. Lubbert Schwafferman3) — Frau<br />
— 1 Kind<br />
48, W ittib Annecke Otten — 1 Kind<br />
*49, W olter Hobingh — Frau<br />
50. Johan W igbergs — Frau — zwo<br />
alte unvormogen Leute — pauper<br />
J) Das von jeher zur Bezeichnung der H e r k u n ft dienende niederdeutsche<br />
„van“ ist nach dem 30jähr. Kriege durch das hochdeutsche „von“ verdrängt.<br />
2) Die Familie ufm Hofte oder uppen Hoffte stammte aus Essen.<br />
3) Die Familie Schwaffermann war aus Werlte zugewandert.
Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 161<br />
*51. Wittib Barbara Olthaus — Man *62. W essel Luthman — Frau — hat<br />
im fürstl. Dienst gestorben — viel kleine Kinder und durch<br />
pauper Brandt vorarmet — pauper<br />
52. Dirich Vaget — Frau 63. Wittib Helmans — pauper<br />
53. Gerdt Bley — Frau — wegen 64. deren Heuerman — Frau<br />
Brandt vorarmet — pauper 65. Cordt Schmidt — Frau<br />
54. Johan Lukes — Frau 66. Hinrich Bruns — Frau — 1 Kind<br />
*55. W essel Baneman — Frau — ein — so dreymahl vorbrandt<br />
alter hardthoriger Man und 67. Gerdt Hueslage — Frau — eine<br />
kranke Frau — pauper kranke Frau<br />
56. Hinrich von Cappelen — Frau — 68. Gerdt Vaget — Frau — 1 Kind<br />
1 Kind — 1 Magd — eine bettlägerige Frau<br />
*57. Gerdt Schillemoller — Frau 69. Mencke Morkampi — Frau<br />
58. Bitter Flerlage — Frau — ein 70. Johan Brunemundt — Frau<br />
armer Dachloner (Tagelöhner) *71. Wittib Dirich Bunte — 2 Kinder<br />
mit vielen Kindern — pauper *72. Hinrich Grunnecke — Frau —<br />
59. Johan Frielingh — 1 Kind zwo alte Leute und keine Mittel<br />
60. Wittib Steding — 3 Kinder — — pauper<br />
1 Knecht — 1 Magd *73. Herman Bothe— Frau— 1 Magd<br />
61. Adolpl Düvell — Frau — 74. Albert Brinckman — Frau —<br />
1 Knecht — 1 Magd 1 Kind<br />
75. Ludwig von Cappelen — Frau<br />
* bedeutet neuer Name seit 1609. 76. Jacob Meyer — Frau<br />
In einem Hausschatzregister des Jahres 1659 werden 106 Wohn-<br />
plätze genannt, wovon 16 als „woeste" bezeichnet sind. Zieht man<br />
von den verbleibenden 90 Häusern die 1660 verbrannten 24 ab und<br />
vergleicht damit die 76 des Registers vom Jahre 1662, so ergibt sich<br />
für die Jahre 1659—62 die Wiedererrichtung von 10 Häusern. Die<br />
Zahl der über 12 Jahre alten Einwohner beträgt 172. Unter ihnen<br />
sind 66 Männer, 71 Frauen (9 Witwen), 24 Kinder, 5 Knechte und<br />
6 Mägde. In der Feststellung, daß sich die Zahl der steuerpflichtigen<br />
Bewohner in 53 Jahren um 111 vermindert hat, kommt allein schon<br />
zum Ausdruck, welch harten Schicksalsschlägen die Stadt innerhalb<br />
40 Jahren unterworfen war1). Fast ein Viertel der Bürgerfamilien ist<br />
wegen Armut steuerfrei.<br />
Unter Annahme einer 20prozentigen Quote für Kinder bis zu<br />
12 Jahren ist die Gesamteinwohnerzahl auf 210—220 anzusetzen. Seit<br />
1609 sind 29 neue Namen nachzuweisen.<br />
In bezug auf die Namenschreibung ist zu beachten, daß darin<br />
früher ziemlich willkürlich und unbekümmert verfahren wurde. Nicht<br />
nur die nachlässige und mundartliche Aussprache, sondern auch der<br />
') W ie K. Willoh berichtet (Die Verschuldung und Not im Amte Vechta<br />
nach dem 30jährigen Kriege, Odbg. Jahrbuch X ), hatte die Stadt Vechta<br />
1669 noch 122 Häuser ohne die geistl., armen und adeligen Wohnungen.<br />
Nach den alten Steuerregistern waren 142 Häuser verschwunden.<br />
Oldenburger Jahrbuch 11
162<br />
Oldenburger Jahrbuch 1937<br />
allmähliche Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen haben<br />
die Schreibweise stark beeinflußt und machen es oft schwierig, auf die<br />
rechte Spur zu kommen oder in ihr zu bleiben» Einige der vorgekommenen<br />
Namen sollen auf ihre Identität aufmerksam machen: van Gro-<br />
nem — van Gronum — von Gronheim (b); Rodde — Roede, heute<br />
Rohde; Hogeherte = Hogehardt, heute Hochgartz; Scherpkant — Schar-<br />
pekans, heute Scharpekant; Grunicke = Grunneken, heute Gründgen.<br />
Die Gliederung der Bevölkerung nach Berufen oder Ständen ist<br />
nicht durchzuführen, weil das Quellenmaterial außer den Angaben<br />
über die Berufsstellung der landesherrlichen Beamten und der Bediensteten<br />
des Amtshauses keine Berufsvermerke enthält. Sie würde<br />
auch wohl kaum zu einem nennenswerten Ergebnis gelangen; denn<br />
die Bürger waren, wie aus verschiedenen Viehschatzungsregistern zu<br />
entnehmen ist, fast ausnahmslos Ackerbürger, die die Bedürfnisse des<br />
Haushalts durch Eigenwirtschaft deckten, und auch die Wohlhabenden,<br />
die sich den Durchgangsverkehr und den Handel zunutze gemacht<br />
hatten, trieben selbständige Ackerwirtschaft. Das Handwerk<br />
war nur schwach vertreten; eine Gilde oder Zunft ist in dem behandelten<br />
Zeitraum wie auch später nirgendwo bezeugt.<br />
Die wichtigsten bevölkerungsstatistischen Ergebnisse der Untersuchung<br />
sind im folgenden noch einmal tabellarisch zusammengestellt.<br />
Die Kursivzahlen sind errechnet auf Grund von Verhältniszahlen, die<br />
aus mannigfachen Vergleichen ermittelt wurden, und unter Zuhilfenahme<br />
der Personenstandsaufnahme vom Jahre 1548, die manche wertvollen<br />
Anhaltspunkte bietet.<br />
Gesamtzahl der Einwohner<br />
..................<br />
(einschl. A m tspersonalj<br />
Zahl der Steuerpflichtigen<br />
. . . .<br />
(über 12 Jahre alt)<br />
1473 1498 1535 1548 1609 1662<br />
250 290 305 326 375 215<br />
161 194 201 — 303 172<br />
Haushaltungen . . . 71 — 69 88 113 76<br />
Kinder<br />
über 12 Jahre . .<br />
20<br />
9 Söhne<br />
11 T ö ch te r<br />
Knechte und Mägde 16<br />
10 Knechte<br />
6 M ägde<br />
*) K inder überhaupt, ohne Altersunterschied.<br />
— 47<br />
23 Söhne<br />
24 T öch ter<br />
— 20<br />
11 K nechte<br />
9 M ägde<br />
811)<br />
42 Söhne<br />
39 T öchter<br />
30<br />
16 K nechte<br />
14 M ägde<br />
84 24<br />
13<br />
5 K nechte<br />
8 M ägde<br />
11<br />
5 K nechte<br />
6 M ägde