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Oldenburger Jahrbuch<br />

des Vereins für<br />

Landesgeschichte und Altertumskunde<br />

41. Band / 1937<br />

Festgabe für Dr. Dietrich Kohl<br />

zum Goldenen Doktorjubiläum<br />

am 29. Juli 1937<br />

Druck und Kommissionsverlag von Gerhard Stalling,<br />

Oldenburg i. 0. 193 7


Zusendungen werden erbeten an<br />

den Herausgeber:<br />

Archivdirektor Dr. H. Lübbing, Oldenburg i. 0 .<br />

Landesarchiv<br />

LandesÖibii n t h e k<br />

O l d e n b u r g i . O *<br />

Zur Nachricht: Die Zählung der Jahrbücher als „Schriften des Vereins"<br />

usw. wird nicht mehr fortgeführt.


Inhalt. .<br />

1. Dr. Dietrich Kohl. Sein Werdegang und seine Forschungen. Von<br />

Dr. Hermann Lübbing. Mit 1 B ild n is............................................................... V<br />

2. Nachruf für Friedrich Schohusen......................................................................... IX<br />

3. Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens.<br />

Von Kapitän z. See a. D. Hugo v, Waldeyer-Hartz, Hannover . . . 1<br />

4. Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft<br />

(1806). Von Studienrat Dr. Karl Hoyer. Mit 1 A bb............................... ..... 39<br />

5. Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg 1345— 1861. Von Prof. Dr.<br />

Dietrich Kohl, W ie s b a d e n .....................................................................................79<br />

6 . Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit, Von<br />

Studienrat Dr. Karl Sichart, O sn a b rü ck .........................................................98<br />

7. Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811,<br />

verbunden mit einer Liste der städtischen Amtsträger bis 1813. Von<br />

Studienrat Edgar Grundig, D elm en h orst........................................................ 108<br />

8 . Der Münzfund von Friesoythe. Von Dr. Karl Kennepohl, Osnabrück.<br />

Fundbericht von Dr. Heinrich Ottenjann, Cloppenburg. Mit 2 Licht­<br />

drucktafeln ....................................................................................................................129<br />

9. Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg von der zweiten Hälite des<br />

15, bis um die Mitte des 17. Jahrhunderts, Von Konrektor i. R.<br />

Bernhard Riesenbeck, Emsdetten. Mit 1 Kartenskizze . . . . . . 145<br />

Anmerkung: Jeder Verfasser ist für seine Arbeit verantwortlich.<br />

S eile


Dr. Dietrich Kohl<br />

Aufn. K rüger, Oldenburg.


Dr. Dietrich Kohl.<br />

Sein Werdegang und seine Forschungen.<br />

Dietrich Kohl wurde am 12, November 1861 zu Emden in Ostfriesland<br />

als Sohn des Apothekers Joh, Georg Kohl geboren. Die<br />

Namensträger Kohl sind ursprünglich schwäbischen Stammes und seit<br />

1671 als Kauf leute zu Bremen nachweisbar; zu dieser Sippe gehört<br />

auch der berühmte Weltreisende und langjährige Bremer Stadtbibliothekar<br />

J. G. Kohl. Aus Bremen stammte auch D. Kohls Großvater<br />

Joh. G. Kohl, der sich 1800 als Apotheker in Emden niederließ<br />

und dort 1801 den Ehebund mit Sophia Kath. Schlörholz aus altem<br />

ostfriesischem Geschlecht schloß. Mütterlicherseits zählt Dietrich Kohl<br />

durchweg Ahnen ostfriesischer Herkunft. Es überwiegt bei ihm also<br />

durchaus das norddeutsche, friesische Blutserbteil, und diesem verdankt<br />

er auch seine besonderen Veranlagungen. Es ist bekannt, daß dem<br />

friesischen Stamme das sachliche, kritische Denken eigen ist, und daß<br />

Mathematiker, Philosophen und Geschichtsschreiber dort zu Hause sind.<br />

Nach dem Besuch des Gymnasiums zu Oldenburg von 1871— 1882<br />

beschloß Kohl zunächst, Naturwissenschaftler zu werden und bezog<br />

die Universität Marburg. Immer stärker aber erwachten seine historischen<br />

Neigungen, und ihnen wandte er sich in München und Halle zu.<br />

Von seinen akademischen Lehrern wirkten Giesebrecht, Dümmler und<br />

Droysen am stärksten auf ihn, daneben auch Kirchhoff, Zacher und<br />

Gering. Er promovierte am 29. 7. 1887 zu Halle mit der Dissertation:<br />

„Die Politik Kursachsens während des Interregnums und der Kaiserwahl<br />

1612. Nach archivalischen Quellen dargestellt." — Schon diese<br />

Erstlingsarbeit verrät die gründliche Bemühung des Verfassers um<br />

eine quellenmäßige Geschichtsdarstellung.<br />

Nach Abschluß der Universitätsstudien trat der junge Doktor in<br />

den Vorbereitungsdienst für das höhere Lehramt ein und wirkte von<br />

1888— 1889 in Hannover am Lyceum I. Ostern 1890 bot sich ihm eine<br />

Hilfslehrerstelle an der Städt. Oberrealschule zu Oldenburg, in der er<br />

1892 als ordentlicher Lehrer und 1895 als Oberlehrer angestellt wurde.<br />

Mochten auch manche Schüler sich seiner akademischen Vortragsart<br />

gegenüber gleichgültig verhalten, die klugen, weltoffenen Köpfe ließen<br />

sich von ihm fesseln. Ihnen wurde in Kohls Unterricht zum ersten<br />

Male der Unterschied klar zwischen wissenschaftlicher Forschung und<br />

Lehrstoff, da er gleichzeitig Lehrer und Forscher war. Es gereichte<br />

dem Jubilar zur besonderen Freude, daß ein früherer Schüler, heute<br />

angesehener Professor der Chemie, gerade den eigentümlichen wissenschaftlichen<br />

Geschichtsunterricht Kohls rühmt, und daß er erklärt,


V<br />

V I Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

gerade dieser Haltung des Unterrichts wertvolle Anregung als Naturwissenschaftler<br />

zu verdanken.<br />

Zunächst für unterrichtliche Zwecke mit dem Ziele einer Vertiefung<br />

seiner Darbietungen betrieb K. seit 1895 archivalische Studien im damaligen<br />

Haus- und Zentralarchiv. Diese Forschungen verdichteten<br />

sich seit 1900 mehr und mehr auf die Geschichte der Stadt Oldenburg<br />

und führten ihn dazu, auch die bei der Stadt Oldenburg selbst erwachsenen<br />

Archivalien zu Rate zu ziehen. Dabei erwies sich, daß die<br />

meisten derselben ungeordnet und unzugänglich ein Dornröschendasein<br />

auf dem Rathausboden führten, vom Staub der Jahrhunderte bedeckt.<br />

Auf das Drängen von Dr. Kohl entschloß sich der Stadtmagistrat im<br />

Frühjahr 1903, den Übelständen ein Ende zu machen und beauftragte<br />

den erfolgreichen Wiederentdecker wichtiger Stadtarchivalien, ein besonderes<br />

Stadtarchiv mit eigenem Dienstraum neu einzurichten und<br />

zu ordnen. Hierbei machte Dr. Kohl eine Reihe wertvoller Funde. Mit<br />

Sorgfalt und Liebe baute er die städtischen Archivalien nach dem<br />

Herkunftsgrundsatz auf, und zwar nebenamtlich, ohne besondere<br />

Diensterleichterungen im Hauptberuf. Die Frucht seiner eingehenden<br />

Beschäftigung waren verschiedene Aufsätze zur Geschichte der Stadt<br />

Oldenburg. Um die städtische Geschichtsforschung machte er sich<br />

dann besonders verdient durch die Herausgabe des U.B. der Stadt<br />

Oldenburg (Old. U.B. Bd. 1, Oldenburg 1914) im Aufträge des Vereins<br />

für Altertumskunde und Landesgeschichte, dem er als Mitglied<br />

desSchriftleitungsausschusses und des Vorstandesbesonders nahestand.<br />

Seine Bemühungen um die quellenmäßige Geschichtsforschung<br />

von Stadt und Land Oldenburg wurden staatlicherseits dadurch anerkannt,<br />

daß er 1907 zum Mitglied der staatlichen Kommission für die<br />

Bearbeitung der Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Oldenburg<br />

an Stelle von Dr. Hermann Oncken ernannt wurde. In Anerkennung<br />

seiner Verdienste um die Landesgeschichte verlieh ihm Großherzog<br />

Friedrich August 1914 die „Goldene Medaille für Wissenschaft und<br />

Kunst“. Übrigens war Kohl schon früh nach der Gründung der Historischen<br />

Kommission zu Hannover als Mitglied gewählt worden.<br />

Wissenschaftliche Reisen führten ihn u. a. nach Island und nach K openhagen<br />

und brachten seinen handelsgeschichtlichen Forschungen<br />

wertvolle Anregungen. Im Jahre 1923 wurde er auf eigenen Antrag in<br />

den Ruhestand versetzt und konnte seitdem bis zum Jahre 1931 als<br />

Stadtarchivar von Oldenburg seine Gaben ganz entfalten. Zahlreiche<br />

Studien aus seiner Feder beleuchten die verschiedensten Gebiete und<br />

Abschnitte der Geschichte der Stadt Oldenburg; unter ihnen nimmt<br />

seine Oldenburger Stadtgeschichte (Teil I) eine bemerkenswerte


Dr. Dietrich Kohl VII<br />

Stellung ein durch die Art ihres Aufbaues in Längsschnitten.<br />

Selbstverständlich mußte Kohl mit der Landesgeschichte sich zwangsläufig<br />

befassen, darüber hinaus sah er sich im weiteren Raum der<br />

niedersächsischen und deutschen Landesgeschichte um. Eine vortreffliche<br />

kurze Geschichte des Oldenburger Landes ließ er im Friesenverlag<br />

1925 erscheinen; es ist wohl die beste Einführung, die wir<br />

heute besitzen.<br />

Anläßlich einer Übersiedlung nach Wiesbaden 1931 verlieh ihm<br />

der Oldenburger Altertumsverein die Ehrenmitgliedschaft. In seinem<br />

neuen Ruhesitz ließ sich Kohl von nassauischer Landesgeschichte<br />

fesseln, verlor aber keineswegs die niederdeutsche Geschichte aus<br />

den Augen. Durch sehr scharfsinnige Untersuchungen dänisch-isländischer<br />

Urkunden der Hansezeit konnte er die Existenz zweier Seehelden,<br />

Dietrich Pining und Hans Pothorst historisch sichern. Wenngleich<br />

die Annahme oldenburgischer Herkunft des Pining durch Hildesheimer<br />

Funde von anderer Seite entkräftigt wurde, hat Kohl zweifellos<br />

zur Klärung eines wichtigen Kapitels der vorkolumbischen,<br />

hansischen Entdeckungsgeschichte Bedeutendes beigetragen. Ein glänzendes<br />

Zeugnis der historischen Kritik hat sich Kohl mit der Untersuchung<br />

der Cloppenburger Stadtrechtsurkunde von 1435 aufgestellt,<br />

deren Echtheit er gegen die Zweifel und Einwände von Rüthning verteidigte,<br />

Die kritische Untersuchung des in dem Abdruck von Niemann<br />

vorliegenden Diploms veranlaßte ihn, das Vorhandensein eines<br />

Originals zu behaupten. Auf sein Betreiben ließ Ottenjann nach der<br />

Urkunde auf dem Rathausboden forschen, und tatsächlich wurde im<br />

Herbst 1936 die Originalurkunde wiederentdeckt und dadurch Kohls<br />

Beweisführung schlagend als richtig bestätigt.<br />

Möge dem verdienten Geschichtsforscher die Widmung dieses<br />

Jahrbuchheftes mit Beiträgen aus der Geschichte oldenburgischer<br />

Städte ein nachträgliches Geschenk zu seinem 75. Geburtstage und<br />

seinem goldenen Doktorjubiläum sein, nicht minder willkommen als<br />

das Doktordiplom, das die philosophische Fakultät der Universität<br />

Halle-Wittenberg ihm zum 29, Juli 1937 erneuerte. Möge ihm ein<br />

gütiges Geschick vergönnen, noch lange Zeit bei bester Gesundheit<br />

der Muse der Geschichte zu dienen. Hermann Lübbing.<br />

Verzeichnis der wissenschaftlichen Veröffentlichungen1)<br />

von Dr. Dietrich Kohl.<br />

1887 Die Politik Kursachsens während des Interegnums und der Kaiserwahl<br />

1612 (Halle, Niemeyer).<br />

*) Ein vollständiges V erzeichnis d er Schriften Dr. K ohls einschließlich der Zeitun saufsätze<br />

befin det sich im Stadtarchiv zu O ldenburg i. O. — Jb. = Jahrb. f. d. G eschich te des H erzogtum s<br />

O ldenburg bzw . O lden burger Jb. Ber. = B ericht des O lden burger A ltertum svereins.


VIII<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

1900 Das staatsrechtliche Verhältnis der Grafschaft Oldenburg zum Reich<br />

im 1. Drittel des 16. Jahrhunderts (Jb. 9).<br />

1901 Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt Oldenburg. Tl. I.<br />

Über 25 neuaufgefundene Urkunden von 1411— 1643 (Jb. 10).<br />

1902 Dass. Tl. II. Die Allmende der Stadt Oldenburg (Jb. 11).<br />

1903 Dass. Tl. III. Zur Entstehungsgeschichte der Stadt und ihrer Verfassung<br />

(Jb, 12).<br />

Bericht über die Neuaufstellung und Ordnung des Stadtarchivs zu<br />

Oldenburg (Ebd.).<br />

1905 Der oldenburgisch-isländische Handel im 16. Jahrhundert (Jb. 13).<br />

Das älteste Oldenburger Stadtbuch (Jb. 14).<br />

Der Prozeß des oldenburgischen Bürgermeisters Alf Langwarden (Jb. 14).<br />

Zur Geschichte des alten Oldenburger Rathauses (Jb. 14).<br />

1907 Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogt. Oldenburg. IV, Geschichtl.<br />

Teil (Oldenburg, Stalling).<br />

1908 Materialien zur Geschichte der oldenburgischen Seeschiffahrt (Jb, 16).<br />

1909 Geschichte der St. Gertrudenkapelle zu Oldenburg (Jb, 17).<br />

Die Gemälde i. Chorgewölbe d. St. Gertrudenkapelle zu Oldenburg (Ber.17).<br />

Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogt. Oldenburg. V. Geschichtl.<br />

Teil (Oldenburg, Stalling).<br />

1910 Überseeische Handelsunternehmungen oldenburgischer Grafen im 16.<br />

Jahrhundert (Hans. Geschbll.).<br />

1912 Grundlagen und Ergebnisse in G, Rüthnings Oldenburgischer G eschichte<br />

(Jb. 20).<br />

Das Haus Seefahrt in Bremen (Hans. Geschbll.).<br />

1914 Urkundenbuch der Stadt Oldenburg. Bis 1534 (Old. UB, Bd, 1, Oldenburg,<br />

Stalling).<br />

1919/20 Die Straßen der Stadt Oldenburg (Jb. 26).<br />

Die oldenburgischen (mütterl.) Ahnen des Fürsten Bismarck (Die Tide).<br />

1921 Die Straßen der Stadt Oldenburg. Nachtrag (Jb. 27).<br />

1925 Die ersten Reichswahlen in Oldenburg 1848 (Jb. 29).<br />

Geschichte des Oldenburger Landes (Bremen, Friesenverlag).<br />

Geschichte der Stadt Oldenburg. Tl. I (Oldenburg, Moutoux).<br />

1927 Die Landeshauptstadt Oldenburg. Geschichtl. Teil (Halensee, Dariverlag).<br />

Die Bedeutung des Dänischen Reichsarchivs zu Kopenhagen für die<br />

niedersächsische, bes. oldenburgische Forschung (Nieders. Jb. Hannover).<br />

1929 Das Schulwesen der Stadt Oldenburg von 1575— 1914. (In der Denkschrift<br />

des Schulamtes „Vom Schulwesen der Stadt O .".)<br />

1930 Das Oldenburger Stadtrecht (Jb, 34).<br />

1932 Dietrich Pining und Hans Pothorst (Hans. Geschbll. Bd. 57).<br />

Das ältere Verfassungsrecht der südoldenburgischen Städte (Nieders,<br />

Jb. Hannover).<br />

Der Aufstieg des Hauses Oldenburg zu europäischen Machtstellungen<br />

(Zs. „Niedersachsen“ , Oldenburgheft).<br />

1935 Die Entstehung der Burg Cloppenburg und die Deutung ihres Namens.<br />

Die stadtrechtlichen Anfänge Cloppenburgs (In der Festschrift von<br />

H. Ottenjann, 500 Jahre Stadt Cloppenburg). Auch 2. Aufl. 1936.<br />

1936 Zum Problem der vorkolumbischen Entdeckung Amerikas (Hist. Zs,<br />

Bd. 153),<br />

1937 Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg 1345— 1861 (Jb. 41).


Friedrich Schohusen f.<br />

Am 5. Juli 1937 verschied zu Wilhelmshaven der Amtsgerichts­<br />

rat Friedrich Schohusen, langjähriges Vorstandsmitglied<br />

unseres Vereins. Der Verstorbene wurde geboren am 12. März 1882 zu<br />

Neuenhuntorfermoor und entstammt einem altbäuerlichen Geschlecht,<br />

das seit Jahrhunderten auf der Hatter Geest nachweisbar ist. Unter<br />

seinen Ahnen befindet sich auch die Sippe „Bi den Dore“ zu W ildes­<br />

hausen (lat. Aportanus), deren Mitglieder in der Reformationszeit<br />

zu Bremen und Emden eine bedeutende Rolle spielten. Zur Auf­<br />

deckung der Blutszusammenhänge dieser Sippe hat Schohusen selbst<br />

vieles durch archivalische Forschung beigetragen.<br />

Schon als Junge zeigte er eine reiche Begabung in der Dorfschule<br />

seines Heimatortes, so daß sein Lehrer und sein Pfarrer die Eltern<br />

veranlaßten, ihn nach Oldenburg aufs Gymnasium zu senden. Ohne<br />

Schwierigkeiten fand er dort den wissenschaftlichen Anschluß und<br />

durchlief mit Leichtigkeit alle Klassen. Nach der Reifeprüfung wid­<br />

mete er sich dem Studium der Rechtswissenschaft in Bonn und wurde<br />

1907 zum Referendar ernannt. Nach Ableistung seiner Militärpflicht<br />

bestand er 1912 die Assessorprüfung. Schon seit 1910 betrieb er<br />

wissenschaftliche Forschungen zur Heraldik und Sippenkunde, vor­<br />

nehmlich im Hinblick auf seine eigene Sippe. Bald aber fesselten ihn<br />

auch kunstgeschichtliche Altertümer, und mit emsigem Fleiß spürte<br />

er in den Akten des damaligen Oldenburger Zentralarchivs der Ge­<br />

schichte des „Oldenburger Wunderhorns“ nach. Die Frucht dieser<br />

Studien war seine gediegene Arbeit über dieses bekannte, jetzt in<br />

Kopenhagen befindliche spätgotische Kunstwerk (Oldenburger Jahr­<br />

buch 27/1921 nebst einem Nachtrag im Jahrbuch 31).<br />

Den Weltkrieg machte er von Anfang bis zu Ende mit und wirkte<br />

zuletzt als Kriegsgerichtsrat. Unter dem unglücklichen Ausgang des


X<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Krieges litt er tief und war ein eifriger Verfechter völkischer W ieder­<br />

geburt. Im Jahre 1919 wurde er Amtsrichter in Rüstringen und fand<br />

hier ein außerordentlich großes berufliches Arbeitsfeld. Eine glück­<br />

liche Ehe erleichterte ihm seinen schweren Beruf, und seinen drei<br />

Kindern war er der sorgsamste Vater. Nachdem sein Amtsgenosse<br />

Frh. v. Gayl aus dem Dienst geschieden war, fiel ihm allein die<br />

schwere Bürde der richterlichen Tätigkeit zu und nahm ihn übermäßig<br />

in Anspruch. Trotzdem pflegte er seine geliebten geschichtlichen Stu­<br />

dien und sammelte in kargen Mußestunden umfangreiches Material zu<br />

einem mehrbändigen Urkundenbuch seiner Familie. Bewundernswert<br />

war sein Einsatz für die Ziele unseres Vereins, dem er zahlreiche Mit­<br />

glieder zugeführt hat. W ir werden sein Andenken stets in Ehren<br />

halten. Hermann Lübbing.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die<br />

Gründung Wilhelmshavens.}<br />

Von Hugo v. Waldeyer-Hartz.<br />

I. Die Vorgeschichte.<br />

W er die Gründe kennenlernen will, die im Jahre 1852, als die<br />

deutsche Flotte unter der schwarzrotgoldenen Flagge zur Versteigerung<br />

gelangte, Preußen auf die Bahn trieben, sich eine eigene, achtunggebietende<br />

Seemacht zu schaffen, darf sich die Mühe nicht verdrießen<br />

lassen, im Buche der Geschichte um zwei Jahrhunderte<br />

zurückzublättern. Anders wird ihm das rechte Verständnis nicht aufgehen.<br />

Denn auch hier gilt der Satz, daß nichts im Leben aus sich<br />

selbst entsteht und gedeiht, daß alles vielmehr mit der Vergangenheit<br />

mehr oder minder eng verflochten ist.<br />

Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Hanse kam Friedrich<br />

Wilhelm, den schon die Zeitgenossen durch den Beinamen „der Große"<br />

ehrten, auf Kurbrandenburgs Thron (1640). Der Gedanke, auf die See<br />

hinauszustreben, hat ihn von Anbeginn seiner Regierung ab nicht losgelassen.<br />

Er verfolgte hierbei wirtschaftliche, aber auch politische<br />

Ziele. Hamburg war in allen Kolonialprodukten der Großbelieferer<br />

der Mark. Sich hiervon frei zu machen, schien eine lohnende Aufgabe.<br />

Noch härter als das Hamburger M onopol lastete jedoch der politische<br />

Druck. Über W eser und Elbe geboten Dänen und Schweden, in M ecklenburg<br />

und Pommern machten sich die Schweden breit. Die Weichsel<br />

war in polnischer Hand, Preußen wurde bald von Polen, bald von<br />

Schweden als Lehensland beansprucht. Die Ungunst der Verhältnisse<br />

brachte es zuwege, daß dem Großen Kurfürsten erst im Jahre 1657<br />

die Gründung einer Flotte glückte. Sie stand unter dem Befehl des<br />

Reiterobristen v. Hille, der, ein Hildesheimer Kind, in niederländischen<br />

Diensten zur See gefahren war. Pillau wurde zum Stützpunkt<br />

bestimmt. Unter viel Mühen und Sorgen fristete das kleine G eschwader<br />

bis zum Jahre 1670 sein Dasein. Fünf Jahre später wagte<br />

der Kurfürst einen größeren Wurf. Im Kampf gegen Schweden charterte<br />

er niederländische Schiffe, die als Kaper unter Kurbrandenburgs<br />

Flagge fuhren. Aus der Charterflotte bildete sich dann ein eigener<br />

x) Vortrag, gehalten auf der Tagung der „Historischen Kommission zu<br />

Hannover“ in Wilhelmshaven am 9. Mai 1937.<br />

Oldenburger Jahrbuch 1


2<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Flottenstamm heraus von insgesamt zehn Schiffen. 1681 folgte der<br />

Erwerb afrikanischen Kolonialbesitzes und 1684 die Festsetzung in<br />

Emden auf dem W ege eines Handelsvertrages. Das in zäher Beharrlichkeit<br />

und mit großem politischen Mut und W eitblick Erreichte<br />

verfiel jedoch unter den Nachfolgern des Großen Kurfürsten. Friedrich<br />

I. setzte noch seine „Gloire und Point d'Honneur darein, das<br />

Commercienwerk zu kontinuieren“ . Friedrich Wilhelm I. sprach bereits<br />

von einer „Chimäre seines Großvaters, sowie von einem großen<br />

Schaden aus dem Verluste vieler Tonnen Goldes".<br />

Im Jahre 1720 hatten Preußens staatliche Seegeltungsbestrebungen<br />

praktisch aufgehört. Der Hansegeist seiner Bevölkerung lebte aber<br />

fort und rang sich zu steigender Bedeutung empor. 1740 wies Stettin<br />

einen Umsatz über See von 300 000 Talern auf, 1786 waren daraus<br />

4,5 Millionen geworden. Im gleichen Jahre zählte Ostfriesland nicht<br />

weniger als 892 Seeschiffe mit 5400 Mann Besatzung. W er die Regierung<br />

Friedrichs des Großen vom Standpunkt der Belebung der<br />

Seemacht aus verfolgt, wird überhaupt feststellen müssen, daß schwierigsten<br />

Umständen zum Trotz ganze Arbeit geleistet worden ist, die<br />

so manchen Erfolg verzeichnen durfte. 1744 nahm Preußen Besitz von<br />

Emden, nachdem das ostfriesische Herrscherhaus Circsena ausgestorben<br />

war. Damit wurde in feste Form gegossen, was lose bereits<br />

unterm Großen Kurfürsten bestanden hatte. 1750 gründete Preußen<br />

in Emden die Asiatische Compagnie, die Stadt selbst wurde 1751 zum<br />

Freihafen erklärt. A ber nicht nur in der Nordsee, auch von Pommerns<br />

Küste aus belebte sich der Seehandel unter preußischer Flagge. Die<br />

Provinz besaß 1756 222 Seeschiffe. 1782 belief sich der Bestand auf<br />

303. Nach der Schlacht von Kolin (1757) empfand der große König<br />

den Druck des schwedischen Blockadegeschwaders als derart unerträglich,<br />

daß er den militärischen Befehlshaber in Stettin anwies,<br />

auf dem Wasser Maßnahmen zur Verteidigung der Inseln und Flußmündungen<br />

zu treffen. Insgesamt wurden acht größere Kauffahrer<br />

und vier Barkassen als Kriegsfahrzeuge bereitgestellt. 124 Geschütze<br />

kamen an Bord, dazu 616 Mann. Als militärischer Führer bewährte sich<br />

ein Hauptmann von Koller, die seemännische Leitung lag in Händen<br />

eines Handelsschiffskapitäns Schwarz. Dieses erste preußische G eschwader,<br />

„Preußisches Schiffsarmement" genannt, bestand am 10. November<br />

1759 im Stettiner Haff ein hartes Gefecht mit starker schwedischer<br />

Übermacht, wobei es zwar arg zersaust wurde, immerhin aber<br />

den Beweis erbrachte, daß dem Vordringen der feindlichen Seemacht<br />

nur auf dem Wasser, nicht von der Küste aus mit Erfolg Halt zu gebieten<br />

sei.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3<br />

Die letzte maritime Gründung, die der große König sich im Jahre<br />

1772 angelegen sein ließ, war die der Seehandels-Societät. Ihre Aufgabe<br />

sollte es sein, neben den Bankgeschäften Seehandel mit Holz<br />

und Leinen nach Rußland, Skandinavien und dem Mittelmeer zu betreiben.<br />

Wenn auch nicht alle Pläne glückten, so kam man doch<br />

Schritt für Schritt weiter. Von Emden aus lebte bald nach Abschluß<br />

des Hubertusberger Friedens der Handel nach Bengalen, Batavia und<br />

China wieder auf. W ie stark Friedrich II. aber auch mit dem militärischen<br />

Seemachtgedanken vertraut war, geht am klarsten aus dem<br />

1752 niedergeschriebenen politischen Testament hervor, worin sich<br />

folgende Sätze finden: „Ich habe mit allen meinen Kräften dafür<br />

gearbeitet (nämlich für den Seemachtgedanken), ich glaube, daß meine<br />

Zeit vorüber ist, und ich hinterlasse diese Projekte meinen Nachfolgern,<br />

damit sie nicht glauben, daß schon alles in diesem Staate<br />

geschehen sei. Man wird mir einwenden, daß ich immer nur von der<br />

Landarmee spreche, von der Seemacht schweige. Bis jetzt sind die<br />

Hilfsquellen des Staates kaum ausreichend, die Armee zu bezahlen,<br />

es würde ein großer politischer Fehler sein, unsere militärische Kraft<br />

zu zerrütten. Wären wir Herren von Polnisch-Preußen und besonders<br />

von Danzig, so würde die Sache schon anders stehen. Ich würde raten,<br />

dann an 30 Galeeren und einige Fähren mit Batterien zu halten wie<br />

die Schweden. Man könnte außerdem 8 bis 10 Fregatten halten, diese<br />

Galeeren zu eskortieren. Ich würde nicht raten, Linienschiffe zu<br />

bauen, weil man sie in der Ostsee wenig brauchen kann und sie unermeßliche<br />

Kosten verursachen." Trotz diesen resignierenden Betrachtungen<br />

hat Friedrich damals aber Unterhandlungen mit dem<br />

dänischen Marine-Intendanten Grafen von Danneskold-Samsö gepflogen,<br />

der 1746 aus dänischen Marinediensten entlassen war. Zw eck<br />

der Besprechungen war, den Dänen als Berater beim Bau einer preußischen<br />

Flotte zu gewinnen. Die Angelegenheit zerschlug sich, weil<br />

Graf Danneskold seinem Mutterlande keinen seemächtigen Nebenbuhler<br />

schaffen wollte.<br />

Für unsere Betrachtungen ist nun sehr bedeutsam, daß der G edanke<br />

an die Bereitstellung einer preußischen W ehr auf dem Wasser<br />

seitdem immer wieder aufgetaucht ist. Wenn der Faden, den man<br />

spann, auch recht dünn war, so riß er doch nicht ab. In den Jahren<br />

1791— 93 ließ Friedrich Wilhelm II. unter General von Grawert 16<br />

Bombardier-Gallioten und ein Fahrzeug, bestückt mit 20 Kanonen,<br />

erbauen, das den Namen „Friedrich Wilhelm R ex“ erhielt. 1807<br />

werden auf dem Frischen Haff unter dem General von Rüchel<br />

5 Fahrzeuge mit 20 Kanonen und 150 Mann zu Operationen angesetzt.<br />

l*


4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

1811 plant der preußische Kriegsminister von Rauch die Gründung<br />

einer Flottille in Stärke von 3 Korvetten und 16 Fahrzeugen im Frischen<br />

Haff, um die Seeverbindungen zwischen Danzig, Königsberg<br />

und Memel sicherzustellen. Zwei Jahre später werden Zoll- und Kauffahrteischiffe<br />

in Pillau und Königsberg armiert. 1816 wird bei A btretung<br />

Vorpommerns der schwedische Seeoffizier Longé in preußische<br />

Dienste übernommen; mit ihm 6 Kanonenschaluppen, der Bestand<br />

einer schwedischen Flottille, die seit 1781 beim Dars und in<br />

Zingst stationiert war. Gleichzeitig wird der Schuner „Stralsund" gebaut.<br />

Und der Kommandant von Stralsund, ein Major von Engelbrechten,<br />

läßt es sich angelegen sein, die preußische Kriegsflagge zu<br />

entwerfen. Nicht genug damit: er unterbreitet der Regierung einen<br />

weitschauenden Plan zur Verstärkung der Seemacht. Zunächst (1823)<br />

bleibt es jedoch beim Bau von Kanonenschaluppen, von denen eine<br />

zur Belebung des Seemachtgedankens eine Propagandafahrt nach<br />

Berlin unternimmt. 1825 traten die Generale von Rauch und von Müff-<br />

ling mit größeren Flottengründungsplänen hervor, indem sie voller<br />

Zorn darauf verwiesen, daß noch in den Jahren 1816 und 1817 algerische<br />

Piraten die Nord- und Ostseeküste aufgesucht hätten, ohne daß<br />

die Großmacht Preußen in der Lage gewesen wäre, sie auf dem<br />

Wasser bekämpfen zu können. 1825 wurde ein Kanonenboot „Danzig"<br />

gebaut, das zusammen mit dem Schuner „Stralsund“ einer neueröffneten<br />

Navigationsschule zu Übungszwecken zur Verfügung gestellt<br />

wurde. Zwei Jahre später richtete man eine Marinewerft auf dem<br />

Dänholm bei Stralsund ein. Im Jahre 1829 wurde eine Allerhöchste<br />

Willensmeinung veröffentlicht, die endlich eine etwas kraftvollere,<br />

tatfördernde Sprache führte. In ihr hieß es: „W ir dürfen uns nicht auf<br />

Ruderschaluppen beschränken, müssen vielmehr auch an größere seegehende<br />

Fahrzeuge denken." Die Folge war, daß zur Prüfung der<br />

Angelegenheit eine Kommission zusammentrat. Ihr Vorschlag ging dahin,<br />

Preußens Küste in sechs Stationen einzuteilen und jede Station<br />

mit einem Dampfschiff, zwei Segelschiffen und mehreren Ruderkanonenbooten<br />

zu besetzen. Offenbar dachte man für den Kriegsfall<br />

auch schon an die Bereitstellung von Reserven, denn in den Plänen<br />

der Kommission war von einer „stehenden" und von einer „vorbereiteten“<br />

Marine die Rede. Leider blieb es im wesentlichen aber bei der<br />

papiemen Arbeit, die nur insofern im Jahre 1834 einen stärkeren<br />

Auftrieb erfuhr, als der Kronprinz, der spätere König Friedrich W ilhelm<br />

IV., das Kommando über das II. Armeekorps übernahm und sich<br />

in seiner Flottenbegeisterung mit dem Oberpräsidenten von Pommern<br />

Sack fand.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 5<br />

Einer der unermüdlichsten Förderer des Seemachtgedankens war<br />

der Feldmarschall von Gneisenau. Er betrachtete die Frage streng<br />

vom strategischen Standpunkt aus. „Besitzt man die Herrschaft des<br />

M eeres", hat er ausgeführt, „so vermag man einen Angriffskrieg auf<br />

alle Küsten seines Feindes zu führen. Indem man diese Angriffe vervielfältigt,<br />

zwingt man ihn, seine Truppen von einem Ende des Reiches<br />

nach dem anderen laufen zu lassen. Das scheint mir der wahre<br />

Gebrauch des Dreizacks zu sein, das macht die Natur seiner Übermacht<br />

aus.“ W eit bedeutsamer als Gneisenaus theoretische Erörterungen<br />

war aber der Einfluß, den der Feldmarschall auf den jugendlichen<br />

Prinzen Adalbert, den im Jahre 1811 geborenen Neffen König<br />

Friedrich Wilhelm III., ausübte. Man darf Gneisenau geradezu als<br />

den Erzieher Adalberts von Preußen zum Seemachtgedanken bezeichnen.<br />

Erdmannsdorff, Gneisenaus Besitz, lag als Nachbargut neben<br />

Fischbach, w o der jugendliche Prinz sehr häufig mit seinen Eltern<br />

weilte. Und auf dem Schloßteich zu Fischbach wurden mit einer<br />

Flotte von Booten und Modellen seetaktische Studien betrieben, die<br />

von grundlegendem Einfluß und nachhaltiger Wirkung auf die geistige<br />

Entwicklung des Hohenzollernsproß werden sollten.<br />

Doch die Saat reifte nur langsam; wie alles, was auf dem schwer<br />

zu beackernden deutschen Boden gedeiht, um dann um so gesünder<br />

und kräftiger zu sprossen. Im Jahre 1836 hatte sich Prinz Adalbert<br />

an einen Major Encke angeschlossen. Gemeinsam arbeiteten sie eine<br />

recht bedeutsame Denkschrift aus, die durch Vermittlung des Kronprinzen,<br />

der hier abermals sein reges Flotteninteresse bekundete, zur<br />

Vorlage an Allerhöchster Stelle gelangte. Der Denkschrift war das<br />

Gutachten eines mit dem Prinzen Adalbert befreundeten, weitblickenden<br />

englischen Seeoffiziers beigefügt, der empfahl, für eine Million<br />

Taler 3 Dampfer mit je 8 Geschützen zu bauen; und zwar aus der<br />

Erkenntnis, daß dem dampf bewegten Schiff die Zukunft gehöre. W ie<br />

alle gleichgerichteten Denkschriften fand auch diese den Aktentod.<br />

Die Regierung erklärte, Geldmangel verhindere es, auf die Vorschläge<br />

einzugehen. Im übrigen lehne man es aber auch ab, fremde Seemächte<br />

zu reizen. W ir treffen hier zum erstenmal auf eine Spur, w o außenpolitische<br />

Erwägungen mit Rüstungsplänen zur See verquickt werden;<br />

nicht gerade im starkmütigen, selbstbewußten Sinne, sondern in recht<br />

beschämender Art. Trotzdem liefen verantwortungsfreudige Männer<br />

immer wieder Sturm, um dem Flottengedanken zum Siege zu verhelfen.<br />

1837 hatte der Kriegsminister von Schleinitz klar erkannt, daß<br />

die Schaffung eines selbständigen Seeoffizierkorps nötig sei. Im gleichen<br />

Jahr legte der bereits erwähnte General von Rauch eine neue Denk-


6<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

schrift vor, die in dem Satze gipfelte, Preußen dürfe sich auf See<br />

fürderhin nicht mehr passiv verhalten. Das Ergebnis der Flottenrüstungen<br />

blieb trotzdem mager: 1840 wurden zwei Kanonenjollen<br />

als „Muster und Modelle für den Kriegsfall“ gebaut. Drei Jahre später<br />

erfolgte der Stapellauf der Korvette „Am azone". Das Schiff wurde<br />

jedoch — auch ein Ausfluß übertriebener Vorsicht — zunächst dem<br />

Handelsministerium „zur Ausbildung von Navigationsschülern der<br />

Handelsflotte" unterstellt.<br />

Das Jahr 1845 bescherte insofern einen erfreulichen Fortschritt,<br />

als der Finanzminister von der Heydt die Notwendigkeit der Pflege<br />

der Kauffahrtei mit dem Bemerken anerkannte, der Überseehandel<br />

bringe „die für die Armee erforderlichen Mittel auf“ . Zur Entfaltung<br />

und zum Schutz des Überseehandels sei aber eine Marine unbedingt<br />

geboten, und er erkläre sich bereit, die Kostendeckung zu übernehmen.<br />

Damit war viel gewonnen. Denn nicht zum mindesten an der<br />

Kostenfrage waren alle Bemühungen bislang gescheitert, mit der<br />

Flottengründung zur Tat zu schreiten. Wenn wir schließlich noch erfahren,<br />

daß seit dem Jahre 1840 eine ganze Reihe von Schriften erschienen<br />

war, zum Teil scharfblickend, oft auch kindlich übertreibend,<br />

Schriften, die es sich zur Aufgabe setzten, die Notwendigkeit eines<br />

großen deutschen Kolonialbesitzes und, im Zusammenhang hiermit,<br />

die Gründung einer starken deutschen Flotte nachzuweisen, so wird<br />

es offenbar, daß die Zeit erfüllet war. Die Frage drängte zur Lösung.<br />

Im deutschen Volk dämmerte die Erkenntnis, daß es eine Staatsnotwendigkeit<br />

sei, auf See fürderhin nicht mehr ohnmächtig zu bleiben.<br />

Am klarsten und schärfsten war dieser Gedanke ohne jeden<br />

Zweifel von Preußen erfaßt und entwickelt worden. Seit Jahrzehnten<br />

hatte es sich mit ihm auseinandergesetzt. Keiner der anderen Seeufer-<br />

staaten konnte Preußen hierin die Waage halten. Sie hatten sich mit<br />

Ausnahme Hannovers und Bremens völlig passiv verhalten und an<br />

die Gründung einer Wehr auf dem Wasser überhaupt nicht gedacht.<br />

Ja selbst in der Frage der Schaffung einer Kriegsflotte im<br />

Verein mit anderen Bundesstaaten hat Preußen durch seine Maßnahmen<br />

Hannover überholt, indem es bereits während der Jahre<br />

1846/47 mit Bremen Verhandlungen über den Abschluß eines „Deutschen<br />

Schiffsbundes“ pflog, wobei die kriegsmaritime Sicherung nicht<br />

übersehen wurde.<br />

ü . Der Einfluß des Krieges mit Dänemark.<br />

Anfang April 1848 loderte das seit langem glimmende Feuer hoch,<br />

das zum Kriege mit Dänemark führte. Es sei gewiß nicht verkannt,


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 7<br />

daß Wellen echter vaterländischer Begeisterung ganz Deutschland<br />

überrannen. Andrerseits ist aber festzustellen, daß die Einstellung<br />

zum Kriegsvorgang doch recht verschiedenartig, ja seltsam und, an<br />

großpolitischen Maßstäben gemessen, mehr als unreif war. Drei Tatsachen<br />

mögen es beweisen:<br />

1. Dänemark trieb als alte, erfahrene Seemacht unter Verhängung<br />

der Blockade von vornherein Handelskrieg; unter Hamburgs<br />

Führung lehnten die Deutschen diesen „privilegierten Seeraub" zu<br />

ihrem eigenen Schaden voller Entrüstung ab.<br />

2. Hamburg war im Grunde genommen während des ganzen<br />

Krieges bemüht, es mit Dänemark nicht zu verderben.<br />

3. Österreich ging noch weiter, indem es trotz dem Kriegszustände<br />

seinen Gesandten von Kopenhagen nicht abberief.<br />

Bei Kriegsausbruch verfügte Preußen über die zwei im Jahre<br />

1840 gebauten Kanonenjollen und die Korvette „Am azone“ . An berufsmäßig<br />

vorgebildeten Seeoffizieren standen ihm zur Verfügung zwei<br />

Schweden und der ehemals niederländische Kapitänleutnant Schroeder.<br />

Das war gewiß nicht viel. Die anderen Seeuferstaaten hatten aber<br />

überhaupt nichts aufzuweisen, und die Flotte Österreichs lag im,<br />

Mittelmeer.<br />

Mit Kriegsausbruch fühlte Hannover sich berufen, als Vertreter<br />

der Interessen der Nordseestaaten aufzutreten. Es wies darauf<br />

hin, daß seit dem Jahre 1844 seine Stände wiederholt auf die Bedeutung<br />

einer zu schaffenden Bundesflotte hingewiesen und auf Ergreifung<br />

schleuniger Maßnahmen seitens des Deutschen Bundes gedrängt<br />

hätten. Ja man sei sogar bereit gewesen, die Mittel im voraus zu<br />

bewilligen. Am 6. Mai 1848 lud Hannover Oldenburg, Hamburg und<br />

Bremen zu einer Beratung ein über „Ergreifung erweiterter Maßregeln<br />

zur Verteidigung der deutschen Nordseeküsten". Das ganze<br />

Land nahm hieran Anteil. Vom „Vaterländischen Verein zu Osna­<br />

brück", von der „ersten ostfriesischen Volksversammlung in Eschen<br />

bei Aurich" und vom „Vorstand des konstitutionellen Bürgervereins<br />

zu Stade“ liefen Anträge auf „Errichtung einer deutschen Flotte" ein.<br />

Großdeutsch gedacht waren alle diese Verlautbarungen nicht, obwohl<br />

man von der „Schmach des Versäumten" sprach. Hannovers Bestreben<br />

war und blieb vielmehr, wenn man den Kerngedanken herausschält,<br />

in der Flottenfrage die erste Geige zu spielen und einen Schutz für<br />

die Gewässer der Nordsee zu schaffen. Preußens Seebelange interessierten<br />

Hannover nicht; noch schlimmer: es machte von vornherein<br />

und geradlinig, wenn man von vorübergehenden Schwankungen absieht,<br />

den Gegensatz zu Preußen zur Richtschnur seines Handelns!


8<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Nicht nur in Hannover, auch in Hamburg regten sich Kräfte,<br />

die Schutz auf dem Wasser verlangten, als der Krieg mit Dänemark<br />

ausbrach. W ir wissen allerdings, daß diese Kräfte in ihrer Gesamtwirkung<br />

alles andere anstrebten, als aufs ganze zu gehen. Am 6. Mai<br />

1848 gründeten Hamburger Bürger einen „Marineverein", Kaufmännische<br />

Kreise legten auf dem W ege der Privatsammlung den Grund<br />

zur Schaffung einer „Nationalflotte". Die Reeder Godefroy und<br />

Sloman stellten je einen alten Dreimaster zur Verfügung. Hannover<br />

half ihnen durch Stiftung zweier 12pfündiger Kanonen, eine mehr als<br />

bescheidene Beisteuer. Am 31. Mai 1848 trat in Hamburg ein „M arinekongreß"<br />

zusammen, der von Vertretern Preußens, Mecklenburg-<br />

Schwerins, Schleswig-Holsteins, Lübecks und Hamburgs beschickt<br />

war. Die Leitung der Verhandlungen lag in Händen des Hamburger<br />

Senators Kirchenpauer. Ein wüster Meinungswirrwarr ohne Größe<br />

und Tiefe machte sich breit. Vom Schutz der Ostsee, die nicht minder<br />

wie die Nordsee unter dem Druck der dänischen Blockade litt, wollten<br />

Hamburgs Vertreter nichts wissen.<br />

Im schroffen, aber wohltuenden Gegensatz zu dieser Kirchturms­<br />

Politikasterei stand von Anbeginn des Krieges ab Preußens Verhalten.<br />

Hier spürte man, daß eine reiche Gedankenarbeit vorangegangen war,<br />

die unter dem Sturmatem des Krieges ihre Früchte trug. Preußen<br />

empfand nicht nur den stärksten Impuls, seine eigene Kriegsmarine<br />

nunmehr schnell zu entwickeln, es handelte auch danach. Insonderheit<br />

war es Prinz Adalbert, weit gereist, mit der See und mit fremden<br />

Marinen wie kaum ein anderer vertraut, der von Stund ab seine<br />

Lebensaufgabe darin erblickte, die Ohnmacht auf der See zu bannen.<br />

Unter seinem Vorsitz trat Ende April 1848 auf Geheiß König Friedrich<br />

Wilhelms IV. — ich unterlasse es auch hier nicht, auf dessen bedeutsame<br />

Mitwirkung hinzuweisen — eine „Beratende Preußische Marinekommission“<br />

zusammen. Sie stellte den kraftvollen und gesunden<br />

Grundsatz auf: „Es muß etwas Bleibendes geschaffen werden, keine<br />

Maßnahme nur zur Abwehr einer augenblicklich bestehenden Gefahr.<br />

Es handelt sich nicht um den Schutz preußischer Häfen, sondern vielmehr<br />

um die Ausdehnung dieses Schutzes auf die gesamte deutsche<br />

Küste. Preußen muß sich in dieser Angelegenheit von vornherein an<br />

die Spitze Deutschlands stellen. Der dänischen Blockade ist offensiv<br />

entgegenzutreten, dem deutschen Seehandel gebührt auf offenem<br />

Meere Schutz!" Man wende nicht ein, damit sei erwiesen, daß Preußen<br />

von Anbeginn ab die norddeutschen Bundesstaaten in der Flottenfrage<br />

zu seinen Werkzeugen habe machen wollen. Hiervon kann schon<br />

um dessentwillen keine Rede sein, weil Preußen nichts unterließ, um


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 9<br />

Unterhandlungen mit eben diesen Staaten zum Zwecke eines „gleichmäßigen<br />

Vorgehens beim Bau einer Flotte" zu führen. Prinz Adalbert<br />

war aber außer dem später zu erwähnenden Admiral Brommy tatsächlich<br />

der einzige seemännisch-militärisch durchgebildete Kopf<br />

deutschen Geblüts, über den das Reich verfügte. Er durfte sich zudem<br />

auf einen Stab von Mitarbeitern aus Armeekreisen stützen, die,<br />

wie wir wissen, zumindest theoretisch mit dem Seemachtgedanken<br />

und seiner Bedeutung im Kriegsfälle vertraut waren. Kein anderer<br />

Bundesstaat vermochte hierin mit Preußen in die Schranken zu treten.<br />

Was war natürlicher als die Überzeugung, Preußen fiele die Aufgabe<br />

zu, die Kräfte zum Bau einer Wehr auf dem Wasser frei zu machen<br />

und zu sammeln!<br />

Diese Stellungnahme war ferner um so berechtigter, als Preußen<br />

nicht zögerte, zur Tat zu schreiten. Am 23. Mai 1848, also noch vor<br />

den Parlamentsdebatten in Frankfurt über die Bewilligung von<br />

6 Millionen Talern zum Bau einer Flotte, wurde auf preußischen<br />

Werften der Kiel von 18 Kanonenbooten gestreckt, denen weitere<br />

33 Boote folgten, als die ersten erprobt waren und sich bewährt<br />

hatten. Im gleichen Monat erschien eine umfangreiche und berühmt<br />

gewordene Denkschrift des Prinzen, worin er seine hochfliegenden,<br />

aber durchaus ernst zu bewertenden Gedanken über Bedeutung und<br />

Umfang der vom Reich zu betreibenden Flottenrüstungen verkündete.<br />

Aus dieser Denkschrift sind nachstehende Punkte für unsere Betrachtung<br />

von besonderer Bedeutung:<br />

1. Als Mindestmaß einer selbständigen deutschen Seemacht werden<br />

20 Linienschiffe, 10 Fregatten, 30 Dampfschiffe, 40 Kanonenboote,<br />

80 Kanonenschaluppen, sowie eine Anzahl von Kanonenjollen und<br />

Bugsierdampfern angegeben. Der Prinz warnt ausdrücklich davor, halbe<br />

Maßnahmen zu treffen, und verwirft die Rücksichtnahme auf die Mißgunst<br />

des Auslandes.<br />

2. Der Gedanke, daß eine Kriegsmarine zur offensiven Verteidigung<br />

der heimischen Küsten und zum Schutz des Seehandels notwendig<br />

sei, wird klar herausgearbeitet. W olle man sich nur mit einer<br />

reinen Küstenverteidigung begnügen, dann seien 40 Kanonenboote und<br />

80 Kanonenschaluppen erforderlich.<br />

3. Der W ert dampfgetriebener Schiffe wird abermals in stärkster<br />

Weise betont. Es herrschen also durchaus fortschrittliche Überlegungen<br />

vor.<br />

4. Der Kieler Hafen wird als guter Liegeplatz bezeichnet; nur<br />

sei er leicht zu blockieren, was bei Danzig nicht in gleichem Maße


10<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

der Fall wäre. (Hier ist Prinz Adalbert offenkundig von der herrschenden<br />

strategischen Lage, Gegnerschaft Dänemarks, lebhaft beeinflußt.<br />

Es mag aber auch sein, daß er im Banne des politischen Testaments<br />

seines Ahnherrn Friedrichs des Großen stand, der Danzig, wie<br />

oben erwähnt, besondere strategische Bedeutung beimaß; in erster<br />

Linie wohl als Ausfallhafen gegen Rußland. Im übrigen hatte auch<br />

Napoleon Danzig entsprechend gewürdigt).<br />

5. Daß der Prinz schließlich in seiner Denkschrift auch die Jade<br />

anführt, und zwar als schiffbar bis Heppens, ist für unsere Betrachtung<br />

insofern bedeutsam, als sich hieraus die Tatsache ergibt, daß<br />

Preußen bereits im Mai 1848 die Vorzüge des Jadefahrwassers keineswegs<br />

übersah.<br />

Wenn sich auch das W erben und Wirken des Prinzen zunächst<br />

nicht in dem von ihm angestrebten Umfange erfüllte, so erreichte er<br />

doch durch verständnisvolles und warmherziges Eintreten für den<br />

Flottengedanken viel. Preußen ließ in Frankfurt von vornherein<br />

keinen Zweifel darüber aufkommen, daß es willens sei, über die<br />

Matrikularbeiträge zur Schaffung einer deutschen Bundesflotte hinaus<br />

auf eigene Rechnung Kriegsfahrzeuge zu bauen und zu bemannen<br />

und diese Schiffe unter der vom Major von Engelbrechten im Jahre<br />

1816 entworfenen Kriegsflagge fahren zu lassen, falls das Bundesflot-<br />

tenwerk nicht von der Stelle käme. Die Überzeugung, daß es an<br />

Preußen sei, die Dinge voranzutreiben, festigte sich überhaupt mehr<br />

und mehr. Trotzdem, die Widerstände, auf die man stieß, ließen es<br />

im Interesse der zu wahrenden Eintracht ratsam scheinen, den Bogen<br />

nicht zu überspannen. Preußens künftige politische Stellung innerhalb<br />

des Deutschen Bundes war noch nicht genügend geklärt. So stellte<br />

man die Absicht, 2 Fregatten, 4 Korvetten, 14 Dampfschiffe und 80<br />

Kanonenboote auf eigene Kosten zu bauen, zunächst zurück.<br />

Bereits am 5. September 1848 kam es in Preußen aber doch zu<br />

einem scharf hervortretenden Staatsakt; so zwar, daß man ihn als den<br />

Gründungsakt der Königlich Preußischen Flotte bezeichnen darf. Eine<br />

Allerhöchste Kabinettsorder überwies die Verwaltung der vorhandenen<br />

Küstenflottille an das Kriegsministerium und setzte gleichzeitig<br />

eine bleibende Marinekommission ein. Innerhalb des Kriegsministeriums<br />

wurde unter dem Major von Wangenheim eine „Marineabteilung"<br />

gebildet. Prinz Adalbert übernahm das Kommando über<br />

sämtliche Schiffe und Fahrzeuge. Zu seinem Stellvertreter wurde der<br />

bereits erwähnte, ehemals niederländische Seeoffizier Schroeder bestellt.<br />

Er nahm seinen Sitz in Stettin und erhielt den Titel Kommodore.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 11<br />

Von Stund ab wurde der Ausbau der Flotte planmäßig gefördert.<br />

Vom 10. April 1849 stammt eine Kabinettsorder über „Disziplinarstrafen<br />

für die Marine", vom 28. April 1849 eine zweite Order über<br />

„Uniformen und Abzeichen” und vom 21. Juni 1849 eine dritte Order<br />

über „Festsetzung der Rangverhältnisse". An Landmarineteilen entstanden:<br />

Das Matrosenkorps, das Seesoldatenkorps (Marinierkorps)<br />

und das Schiffsjungeninstitut, dem 1850 das mit vier 18-Pfündern bestückte<br />

Segelschulschiff „M erkur" zugeteilt wurde. Die Flotte setzte<br />

sich im Winter 1849/50 aus den armierten Postdampfern „Preußischer<br />

A dler" und „Königin Elisabeth“ , aus dem armierten Privatdampfer<br />

„Danzig", aus der Segelkorvette „Am azone", zwei kleinen Dampfern,<br />

36 Kanonenschaluppen, 6 Kanonenjollen, 5 gemieteten Schleppern und<br />

dem Transportschiff „Norma" zusammen. Die Gesamtbestückung betrug<br />

97 Geschütze, die Gesamtzahl der Marinemannschaften 48 Offiziere,<br />

1753 Mann! Keiner der anderen Bundesstaaten an der deutschen<br />

Küste vermochte etwas Ähnliches aufzuweisen. Und so war es ein<br />

nur zu natürlicher Vorgang, wenn Preußen, das in Seemachtfragen<br />

tatkräftig handelte, hierin auch führend blieb. Geschah es zum Teil<br />

auch widerwillig, so begrüßten letzthin doch alle Stämme und Parteien<br />

deutscher Nation das preußische Flottenwerk lebhafter als das<br />

Frankfurter W erk. Insonderheit war es Oldenburg, das von vornherein<br />

und unentwegt treu an Preußens Seite stand. Dabei muß erneut<br />

hervorgehoben werden, daß Preußen dem Ausbau der Bundesflotte<br />

zunächst nicht die geringsten Schwierigkeiten in den W eg gelegt<br />

hatte. Kennzeichnend ist hierfür ein Beschluß des preußischen<br />

Staatsministeriums vom 24. Oktober 1848, worin es heißt: „Die zu<br />

gründende Marine soll eine rein deutsche mit einem deutschen Offizierkorps<br />

sein. Sie soll nur die deutsche Flagge führen, die Schiffe<br />

sollen deutsches Eigentum sein, die Marine soll der Zentralgewalt unmittelbar<br />

unterstellt werden.“ Friedrich Wilhelm IV. genehmigte diese<br />

Grundsätze ausdrücklich. Preußen hatte leider nur immer wieder triftige<br />

Gründe, den Arbeiten im Schöße des Frankfurter Parlaments zu mißtrauen;<br />

einmal, weil die Frage nicht zur Ruhe kommen wollte, baut<br />

man in Wahrheit eine deutsche Flotte, die nicht wieder von der See<br />

verschwinden soll, oder nur eine Eintagswehr als Rüstzeug gegen<br />

dänische Übergriffe; zum anderen, weil das Bestreben, aus der Bundesflotte<br />

eine reine Nordseeflotte zu machen, die an eine Deckung<br />

der Ostseeküste überhaupt nicht dachte, von den interessierten Stellen<br />

kaum verhüllt wurde. Was blieb Preußen unter solchen Umständen<br />

anders übrig, als auf den Schutz der eigenen Handels- und Seefahrtsbelange<br />

selbst bedacht zu sein! Sobald man in Frankfurt warm


12<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

wurde und die Flottenfrage ernsthafter als für gewöhnlich anpackte,<br />

war Preußen allemal zu ehrlicher Mitarbeit bereit. Nach der sattsam<br />

bekannten spitzen Erklärung Lord Palmerstons vom Juli 1849, wonach<br />

die deutsche Flagge nicht anerkannt werden könne — man hatte es<br />

reichsseitig tatsächlich verabsäumt, ihre Einführung den europäischen<br />

Staaten mitzuteilen — , ordnete Preußen allerdings an, daß seine<br />

Schiffe und Fahrzeuge nunmehr ausnahmslos unter der preußischen<br />

Flagge zu fahren hätten. Sie war das Sinnbild einer staatlichen Autorität,<br />

mit der der Deutsche Bund nicht wettzueifern vermochte.<br />

Preußen gab damit gleichzeitig zu erkennen, daß es für den Schutz<br />

der Ostseeküste allein einstehen wolle. Trotzdem zahlte es so pünktlich<br />

wie zuvor seine Beiträge für die Bundesflotte und bewies damit,<br />

daß es am Gedanken einer großen deutschen Flottengründung nach<br />

wie vor festhielt.<br />

Erst im August 1850 erfolgte eine schärfere Abkehr, weil die Verhältnisse<br />

nachgerade unhaltbar geworden waren. Preußen entschloß<br />

sich, die Beiträge für die Bundesflotte erheblich zu kürzen. Die Ersparnisse<br />

wurden dazu verwandt, um in England den Bau zweier<br />

Dampfavisos „Salamander" und „N ixe", bestückt mit je 6 Geschützen,<br />

zu betreiben. Außerdem gab man in Danzig die Kriegsdampfkorvette<br />

„Danzig" in Auftrag und setzte gleichzeitig einen festen Marine-Etat<br />

in Höhe von 282 448 Talern in den Staatshaushalt ein. Damit betonte<br />

Preußen unzweideutig, daß es vom Beschreiten des selbst vorbezeich-<br />

neten W eges nicht mehr ablassen würde. Man kann diesen Entschluß<br />

nur gutheißen. Der Deutsche Bund bestand zu jener Zeit aus 35<br />

Staaten, die sich in zwei Zollvereine gliederten. Es liefen also nicht<br />

nur die politischen, sondern auch die wirtschaftlichen Ziele auseinander.<br />

Die Grundlage für eine einheitlich zu organisierende Flottengründung<br />

war daher von vornherein mehr als brüchig. Schon im Frühjahr<br />

1849 hatte der erste Verfall gedroht. Aus Geldknappheit spielte<br />

man mit dem Auflösungsgedanken. Andrerseits hatte man das Bestreben,<br />

das kaum Begonnene zu erhalten und verfiel daher auf den<br />

anrüchigen Plan, das Flottenwerk der Zentralgewalt zu entziehen und<br />

den Sitz der leitenden Stellen nach Hamburg zu verlegen. Hannover<br />

war lebhaft dafür, Preußen dagegen. Und zwar mit Recht; denn diese<br />

Verlegung hätte nichts anderes bedeutet als die Gründung einer<br />

reinen Nordseeflotte. In Behandlung der Flottenfrage klaffte also damals<br />

schon ein unheilvoller Gegensatz zwischen Preußen und Hannover,<br />

der für Jahre fortdauern sollte. Bremen stellte sich aus eigennützigen<br />

Gründen auf Seiten Hannovers. Der sonst so verdienstvolle<br />

und einsichtige Senator und Reichsminister Duckwitz schrieb: „König


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 13<br />

Ernst August muß die Flotte retten, die ganze Nation würde ihm zujubeln!“<br />

Daß man in Hannover solche Anerkennung erfreuten Ohres<br />

aufnahm, bedarf kaum der Betonung. Leider verbiß man sich auf den<br />

Gedanken, Preußen strebe die Vorherrschaft über Norddeutschland<br />

an, nur aus diesem Grunde entwickele es eine eigene Marine. Ja,<br />

man ging noch weiter, indem man der Ansicht Raum gab, die Erhaltung<br />

der Flotte sei eine Notwendigkeit für die Nordsee-Uferstaaten;<br />

verzichte man auf sie, dann würde Preußen auf friedlichem W ege die<br />

Eroberung Deutschlands vollziehen. Von dem Zweckgedanken der<br />

Flottengründung war man somit erheblich abgerückt: man erblickte<br />

in ihr nicht mehr ein Instrument zur Niederhaltung dänischen Übermuts<br />

und zur Hebung des deutschen Ansehens in der Welt, nein, die<br />

Flotte sollte ein Kampfwerkzeug werden, um das aufstrebende Preußen<br />

in enge Schranken zu verweisen! Wenn man milde urteilt, kann<br />

man solche Anschauungen nur als mittelalterlich bezeichnen.<br />

Es soll ganz gewiß nicht behauptet werden, Preußen habe sich bei<br />

seinem Vorgehen lediglich von idealen, völlig selbstlosen Gründen<br />

leiten lassen. Hätte es so verfahren, dann wäre seine Politik höchst<br />

mangelhaft gewesen. Daß Preußen aber den kleinbürgerlichen Standpunkt<br />

einer engherzigen Bundesstaatenpolitik überwunden hatte, kann<br />

ernstlich nicht bestritten werden. Um die Gegensätze nicht auf die<br />

Spitze zu treiben, war es im Juli 1849 bereit gewesen, den Oberbefehl<br />

und die Verwaltung der Bundesflotte Hannover zu überlassen. Damals<br />

stellte es, streng sachlich und nur zu gerechtfertigt, lediglich die<br />

eine Bedingung, die Flotte müsse auch zum Schutz der Ostsee bereitgehalten<br />

werden. Als im Herbst 1849 die Frage aufgetaucht war, wo<br />

die Bundesflotte ihr Winterquartier beziehen sollte — in dieser Hinsicht<br />

war so gut wie nichts vorbereitet — , lebte der Meinungsstreit<br />

von neuem in unerfreulichster W eise auf. Oldenburg bot Brakersiel<br />

an, Hamburg Krautsand, Hannover Leer, Preußen Swinemünde. Auch<br />

bei diesem Anlaß hatte Preußen zum Nutzen einer friedlichen Regelung<br />

größtes Entgegenkommen bewiesen. Es erklärte seine Bereitwilligkeit,<br />

die Schiffe selbst unter hannoverscher Flagge bei sich aufnehmen<br />

zu wollen. Mit vollem Recht wurde es aber hartköpfig, als<br />

die Absicht laut wurde, vornehmlich von Österreich geschürt, die<br />

Bundesflotte während der Wintermonate ins Ausland zu legen, nach<br />

Antwerpen oder ins Mittelmeer. Für diesen Fall drohte Preußen<br />

mit Zurückziehung seiner Landeskinder und der Vonbordnahme gelieferten<br />

Proviants. Es ließ sogar durchblicken, daß es entschlossen<br />

sei, durch militärisches Einschreiten das Auslaufen der Flotte ins Ausland<br />

zu verhindern. Da Preußen zu jener Zeit den Löwenanteil aller


14<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Matrikularbeiträge entrichtet hatte, nämlich 1 561 000 Gulden, scheint<br />

sein Verhalten, schon vom reinen Rechtsstandpunkt aus, mehr als<br />

gerechtfertigt.<br />

Oldenburg hatte sich auch hier als kluger und bedachtsamer Vermittler<br />

bewährt. Es bot an, die Verwaltung der Flotte völlig uneigennützig<br />

zu übernehmen. Preußen trat auf seine Seite und legte nahe,<br />

Österreich möge sich doch von der Flottenfrage ganz und gar zurückziehen.<br />

Mit der Begründung, man habe seinen Anteil an der Bun­<br />

desflotte durch die in der Adria stationierten Schiffe gestellt, hatte<br />

Österreich bislang keine Matrikularbeiträge gezahlt. Gleichzeitig<br />

wehrte es sich aber dagegen, daß die Adriaschiffe Bundeseigentum<br />

seien. Hannover hatte diese mehr als eigenwillige Auslegung der<br />

Bundespflichten nach Kräften unterstützt. Ihm lag daran, sich die<br />

Freundschaft Habsburgs gegen Preußen zu sichern. Um seinem Eigentumsanspruch<br />

an den Schiffen der Bundesflotte einen Mantel des<br />

Rechts umzuhängen, ließ sich Österreich im Jahre 1850 herbei, seine<br />

ersten Matrikularbeiträge zu entrichten. Es ist hinlänglich bekannt,<br />

daß es in jenem kritischen Jahr nicht im Sinne der preußischen Politik<br />

lag, es zu einem offenen Kampf mit Österreich kommen zu lassen.<br />

Immerhin wurde man sich darüber klar, daß es bei einem Abbruch<br />

der Beziehungen mit Österreich unerläßlich sei, nötigenfalls mit G e­<br />

walt Hand auf die Bundesflotte zu legen. Bliebe jedoch der Friede<br />

gewahrt — die Olmützer Punktation erreichte es — , dann dürfe<br />

nichts geschehen sein, was der Uneigennützigkeit Preußens in der<br />

Flottenfrage auch nur im geringsten widerspreche. Insgeheim empfand<br />

man aber in Berlin die Machenschaften um die Bundesflotte als einen<br />

feindseligen Akt, mit dem Erfolge, daß die preußische Regierung<br />

Sorge dafür trug, die eigenen Flottenbestrebungen immer festere<br />

Wurzeln schlagen zu lassen. Demgemäß ist festzustellen, daß Preußen<br />

seit dem Mai 1851 in seiner Flottenpolitik selbständig und geradlinig<br />

vorging. Wenn Bismarck zu jener Zeit eine Annäherung an Hannover<br />

suchte, so geschah es, weil er die Freundschaft mit ihm um der Flottenfrage<br />

willen nicht verscherzen wollte. Ferner aber auch, um Österreich<br />

den Dämpfer aufzusetzen, es würde gegebenenfalls kaltgestellt.<br />

Hannover blieb jedoch ablehnend. Es fürchtete mehr denn je eine<br />

Einverleibung durch Preußen und machte für seinen Standpunkt gel­<br />

tend, daß eine Nordseeflotte unter Preußens Führung im Grunde ge­<br />

nommen nichts anderes wie eine preußische Flotte wäre. W er streng<br />

objektiv urteilt, wird diese Gedankengänge verstehen können. Trotzdem<br />

ist Hannovers Stellungnahme, erwägt man die Förderung des


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 15<br />

großdeutschen Gedankens, als rückständig und in Überlebtem erstarrt<br />

abzulehnen.<br />

Das Jahr 1851 bescherte den Vorschlag zu einer Lösung, die<br />

geradezu grotesk anmutet. Österreich empfahl eine Dreiteilung der<br />

Flottenmacht. Man selbst wollte mit seinen Schiffen die Adria halten,<br />

Preußen solle sich den Schutz der Ostsee angelegen sein lassen, die<br />

Bundesflotte möge unter Hannovers Leitung als eine reine Nordseeflotte<br />

ausgebaut werden. Preußen lehnte offenherzig mit dem Bemerken<br />

ab, ihm gelte es als wichtigstes Ziel, die eigene Flotte auszubauen.<br />

Sie stünde jederzeit bereit, auch den Schutz der Nordseestaaten<br />

auf den Weltmeeren zu übernehmen. Daneben eine besondere<br />

Nordseeflotte zu unterhalten, schiene ein unnötig kostspieliges Unternehmen<br />

zu sein. Für Hannover blieb der Gegensatz zu Preußen nach<br />

wie vor die Richtschnur seines Handelns, obwohl es kalte Füße bekam.<br />

Es erkannte nur zu klar, daß die Nordseestaaten nicht imstande<br />

sein würden, die Lasten der Unterhaltung einer selbständigen Flotte<br />

zu tragen, und trat daher leidenschaftlich für die Beibehaltung einer<br />

Bundesflotte ein. Auf diese W eise glaubte es, Preußen nicht ans<br />

Ruder kommen zu lassen. Der Minister von Wangenheim ging so weit,<br />

zu erklären, die mit Auflösung der Flotte verbundenen Gefahren<br />

könnten nur durch Verbrennen der Schiffe vermieden werden. Ihm<br />

galt es als ausgemacht, daß sich die ganze Streitfrage praktisch dahin<br />

zusammendränge, ob „die Nordseeflotte künftig unter hannoverscher<br />

oder unter preußischer Flagge fahren solle". Daß es um ganz etwas<br />

anderes, um etwas Größeres, in die Zukunft Weisendes ging, war ihm<br />

nicht klar geworden. Bei einer Einstellung, die sich in den Gedanken<br />

verbohrte, Preußen betriebe seine eigene Flottenpolitik, sowie die<br />

Auflösung der Bundesflotte lediglich aus dem selbstsüchtigen Grunde,<br />

um sich mit Oldenburgs Hilfe an der Nordsee festzusetzen, und zwar<br />

mit allen politischen, militärischen und wirtschaftlichen Folgen, war<br />

ein anderes Ergebnis allerdings kaum zu erwarten.<br />

Bevor es zur Auflösung der Bundesflotte kam, machte Hannover<br />

noch im März 1852 den Versuch, einen „Nordsee-Flottenverein" zu<br />

gründen. Der König mußte jedoch sehr bald die Einsicht gewinnen, daß<br />

man ohne Preußen nicht weiterkam. Mit der selbstgefälligen Betrachtung,<br />

die Verhandlungen hätten wenigstens „zur Stärkung des föderativen<br />

Bandes unter den durch die Solidarität der Interessen eng verknüpften<br />

Staaten Norddeutschlands beigetragen", gab man die von<br />

vornherein zur Fruchtlosigkeit verurteilten Bemühungen auf. Daß in<br />

dieser „Solidarität“ für die Großmacht Preußen offenbar kein Platz<br />

gewesen war, mutet abermals mehr als seltsam an.


16 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

III. Die Auflösung der Bundesflotte.<br />

Am 16. Februar 1852 war von Österreich und Preußen der Antrag<br />

eingegangen, die Bundesflotte zu verkaufen, falls bis zum 31. März<br />

des Jahres kein „Flottenverein“ zustande gekommen sei. Am 2. April<br />

■wurde daraufhin von der Bundesversammlung der Verkauf beschlossen.<br />

Preußen erhielt hierbei als Deckung für vorgeschossene Matrikular-<br />

beiträge die Schiffe „Barbarossa" und „G efion“ . Es war von verschiedenen<br />

Seiten angegangen worden, die gesamte Flotte zu übernehmen,<br />

damit auf diese W eise die Schmach des öffentlichen Verkaufs,<br />

die in der Tat beispiellos war, vermieden werde. Preußen lehnte<br />

jedoch mit guten Gründen ab. Es wollte unter keinen Umständen in<br />

den Verdacht kommen, die Geldverlegenheit beim Unterhalt der Flotte<br />

gefördert zu haben, um den vorhandenen Schiffspark hinterher wohlfeil<br />

an sich zu bringen.<br />

Daß es zu dem traurigen Ereignis der Versteigerung der Flotte<br />

kam, lag nicht zum mindesten an dem Gegensatz, der zwischen Preußen<br />

einerseits und Hannover und Österreich andrerseits bestand.<br />

Dieser Gegensatz, der die Anforderungen der Zeit in bedauerlicher<br />

W eise völlig übersah und einen Zustand schaffen wollte, der mit<br />

einer gesunden Entwicklung der Dinge nicht das geringste gemein<br />

hatte, wurde dadurch noch verschärft, daß es eine „Reichsgewalt“<br />

tatsächlich nicht gab. Hätte sie bestanden, dann wäre das böswillige<br />

W ort Lord Palmerstons von der Piratenflagge wohl kaum gefallen.<br />

Hannovers Verhalten insonderheit stellte eine Handlung dar, die<br />

uns heute schlechthin unbegreiflich dünkt. Es gedachte für sich zu<br />

gewinnen, was seinen Händen längst entglitten war. Die preußische<br />

Marine des Jahres 1852 war ganz gewiß noch keine militärisch ausgereifte<br />

Leistung. Es steckte aber Impuls in ihr, sie arbeitete an sich<br />

und hatte eine feste Grundlage geschaffen, die einen gesunden Ausbau<br />

versprach. W ie rege man diese Entwicklung betrieb, geht aus<br />

den Tatsachen hervor, daß Preußen noch im Jahre 1852 ein G e­<br />

schwader, bestehend aus den Schiffen „Gefion", „Am azone" und<br />

„M erkur", zu einer Auslandsreise in den Atlantischen Ozean schickte;<br />

daß es 1853/54 aktiv in die außenpolitischen Ereignisse eingriff, indem<br />

es einen Teil seiner Schiffe zum Schutz der Deutschen nach Konstantinopel<br />

entsandte, und daß es am 14. November 1853 eine selbständige<br />

Admiralität schuf, dazu ein Marinestationskommando in<br />

Danzig. Von den anderen deutschen Uferstaaten hat sich keiner wäh­<br />

rend dieser Zeit geregt. Wenn Beispiele lehren, so war es hier der<br />

Fall. Preußen erbrachte vollgültig den Beweis, daß es auch auf See


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 17<br />

die Führerstelle im Kreise der deutschen Bundesstaaten beanspruchen<br />

durfte. W er ihm in den W eg trat, schaute nicht über seine Grenzpfähle<br />

hinaus und tat dem großdeutschen Gedanken Abbruch.<br />

Im Zusammenhang hiermit bleibt die Frage zu prüfen, ob König<br />

Ernst August von Hannover etwa im Einvernehmen mit England, wenn<br />

nicht gar unter dessen Einfluß, handelte, als er sich einem Erstarken<br />

Preußens zur See widersetzte. Hierfür findet sich nicht der geringste<br />

Anhalt, Im Gegenteil, es spricht alles dafür, daß derartige Beweggründe<br />

völlig auszuschalten sind. Ernst August war Engländer von<br />

Geburt und hat diese seine Abstammung nie verleugnet. Noch im<br />

Jahre 1825 bekannte er sich dazu, daß es sein höchster Stolz sei,<br />

in seinem Heimatlande zu leben. Dabei läßt es sich gar nicht übersehen,<br />

daß die Engländer ihn wenig liebten. Er war ihnen zu schroff<br />

und zu herrisch, vornehmlich in der von ihm besonders geschätzten<br />

Tätigkeit als Parlamentarier. Als er beim Tode König Wilhelms IV.<br />

von England infolge der herrschenden Erbgesetze den Thron von Hannover<br />

bestieg, wodurch sich eine 123jährige Personalunion zwangsläufig<br />

auflöste, war man in London froh, „the most unpopulär prince<br />

of modern times“ mit Anstand loszuwerden. Somit entfällt schon aus<br />

diesem Grunde jede Wahrscheinlichkeit eines gemeinsamen politischen<br />

Vorgehens mit England. Gewiß, der bei seiner Thronbesteigung<br />

67jährige Ernst August gab den Verkehr mit seinem Mutterlande nicht<br />

auf. Man empfand jedoch seine amtlichen Mitteilungen jenseits des<br />

Kanals immer wieder als lästig und dachte nicht daran, die englische<br />

mit der hannoverschen Politik zu verquicken. Sehr stark, wenn<br />

nicht gar ausschlaggebend sprach hierbei mit, daß das freiheitlich<br />

regierte England den in Hannover im absolutistischen Sinne betriebenen<br />

Verfassungssturz Ernst Augusts schroff ablehnte. Wenn der<br />

greise König, der unleugbar viel für sein Volk und sein Land getan<br />

hat, auch im Jahre 1848 sein mehr oder minder selbstherrliches Regiment<br />

zugunsten einer freiheitlicheren Regierungsform aufgab, so verharrte<br />

er dem Frankfurter Parlament gegenüber doch starr auf dem<br />

Standpunkt seiner unantastbaren Souveränität. Vom „Frankfurter<br />

Geschwader" hielt er anfänglich nicht viel. Nach seiner Überzeugung<br />

war das ganze ein „demokratisches Erzeugnis der Paulskirche". Später<br />

stellte er sich freundlicher ein. Der Gedanke, ein „Seekönig“ zu<br />

werden, mag ihm, dem gebürtigen Engländer, schon geschmeichelt<br />

haben. Demgemäß war er stets dafür zu haben, wenn Hannover an<br />

die Schaffung einer Seemacht unter eigener Flagge dachte. Andrerseits<br />

war er aber als glühender Bewunderer der preußischen Heeresorganisation<br />

viel zu gut über die hier aufgespeicherte Kraft unter-<br />

Oldenburger Jahrbuch 2


18<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

richtet, um diesen Machtfaktor zu übersehen. Der Verzicht auf eigene<br />

Seegeltung wird dem tatkräftigen, gegen Ende der Regierung von<br />

seinem Volke verehrten Fürsten schwer gefallen sein. Er hat sich<br />

aber der besseren Einsicht gefügt, was kaum geschehen wäre, wenn<br />

das seegewaltige Albion hinter ihm gestanden hätte.<br />

IV. Die Jade als Kriegshafengebiet.<br />

W ir kommen nunmehr zur Untersuchung der Frage, was Preußen<br />

dazu veranlaßte, bei seinem Bemühen um Festsetzung im Nordseebecken<br />

auf das Jadegebiet zu verfallen. Auch hier scheint es geboten,<br />

zunächst geschichtliche Grundlagen aufzuspüren. Sie vermitteln uns<br />

die Erkenntnis, daß das Jadeproblem schon manche Jahrhunderte<br />

und viele Köpfe beschäftigt hatte, bevor sich die Vertreter von Oldenburg,<br />

Preußen und dem Deutschen Bunde mit ihm abgaben.<br />

1. Die Geschichte der Jade als Flottenstützpunkt.<br />

Im Jahre 1454 legte Graf Gerd von Oldenburg von Varel aus<br />

einen Stützpunkt im Jadebusen an, um seine Kämpfe mit der Hanse<br />

bestehen zu können. Im 16. Jahrhundert machte sich im Seegebiet um<br />

die Jade ein arges Kaperunwesen breit, so daß Maria von Jever<br />

Schiffe zu seiner Vernichtung ausrüstete. 1573 rief Graf Edzard II.<br />

von Ostfriesland Oldenburg, Lübeck, Bremen und Stade dazu auf, in<br />

gemeinsamer Arbeit eine Nordseeflotte von 18 mittelgroßen Kriegsschiffen<br />

und 36 Jagdschiffen aufzustellen, nachdem der Reichstag zu<br />

Speyer (1570) kein Verständnis für dererlei Fragen aufgebracht habe.<br />

Edzards Bemühungen blieben ohne Erfolg. Enno, sein Sohn, setzte sie<br />

fort. Er knüpfte an die Bemühungen eines Caspars von Schönberg an,<br />

der dem Kaiser im Ohr lag, eine „Reichsarmada“ zu schaffen. Emden<br />

sollte Sitz der „Reichsadmiralität", der Graf von Ostfriesland „G eneraladmiral"<br />

werden. Auch Enno blieb der Erfolg versagt. Oldenburg<br />

wies ihm die kalte Schulter, obwohl die Jade zu jener Zeit ein Sammelbecken<br />

für Freibeuter geworden war, die der Kauffahrtei, aber<br />

auch den benachbarten Küstenplätzen durch ihr Treiben schweren<br />

Abbruch taten. Im Jahre 1793 fiel das Jeverland, das 1667 beim Aussterben<br />

des alten Oldenburger Hauses infolge verwandtschaftlicher<br />

Beziehungen Anhalt-Zerbst vermacht worden war, als Frauenlehen an<br />

die Zarin Katharina II., eine Anhalt-Zerbster Prinzessin. Das Ergebnis<br />

war, daß 1800 der russische Marinekapitän von Raebenin angereist<br />

kam, um die Küste des Jeverlandes zwecks Anlage eines Hafens zu<br />

besichtigen. Ein oldenburgischer Regierungsrat Ittig, der Raebenin


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 19<br />

beigeordnet wurde, lenkte die Aufmerksamkeit des fremden Gastes in<br />

erster Linie auf die Gegend von Dauensfeld. Das Projekt scheiterte<br />

jedoch an der Kostenfrage, die eine halbe Million Taler beanspruchte.<br />

1806 kam dann die Franzosenzeit. Napoleon, der geschworene<br />

Feind Englands, hatte die strategische Bedeutung der Jade sehr bald<br />

erkannt. Er ließ Batterien anlegen auf Wangeroog, bei Heppens, bei<br />

Oberahne und bei Großwürden (Eckwarder Hörne). Die Admirale<br />

Lalande, de Winter und Verhuel entwarfen Pläne zur Anlage eines<br />

Kriegshafens großen Stils; und zwar bei der Ahne-Mündung zwischen<br />

Eckwarden und den Oberahneschen Feldern. Lalande galt die Jade<br />

als der beste Hafenplatz der ganzen Nordsee. Der Feldzug nach<br />

Rußland, späterhin der Sturz Napoleons ließen den Bau nicht zur Ausführung<br />

kommen. Als Hinderungsgrund sprachen aber auch die Besorgnisse<br />

mit, England würde die Ausführung eines solchen Hafenbaues<br />

unter allen Umständen mit Waffengewalt stören.<br />

Somit ist festzustellen, daß die Interessenten auf jahrhundertealte<br />

Pläne zurückgriffen, als sie im Jahre 1848 die Aufmerksamkeit auf<br />

das Jadegebiet lenkten.<br />

2. Oldenburgs erstes Eintreten für die Jade.<br />

Die Begeisterung der örtlich interessierten Kreise für Anlage<br />

eines Kriegshafens war im Jahre 1848 aus naheliegenden Gründen<br />

groß. Das Jadegebiet war wirtschaftlich ohne Blüte. Eine Fülle<br />

von Wünschen und Hoffnungen wurde wach. Sie verdichteten sich<br />

zu einer Eingabe von Bewohnern aus allen Teilen Oldenburgs,<br />

man möge dem Plan zum Siege verhelfen. Die Regierung verschloß<br />

sich diesem Vorgehen keineswegs. Das Kabinett setzte sich<br />

einstimmig dafür ein, die Eingabe leitete man nach Frankfurt weiter<br />

und ließ die Bittsteller wissen, daß bereits seit Monaten Untersuchungen<br />

des Jade- und Wesergebietes im Hinblick auf die Schaffung<br />

eines Kriegshafens stattfänden. Die Sachbearbeitung übernahm der<br />

Regierungsrat Erdmann, der im Sommer 1848 in verschiedenen anonymen<br />

Denkschriften, die im „Varelschen Unterhaltungsblatt'', aber auch<br />

in den „Mitteilungen aus Oldenburg" erschienen, auf die Vorzüge der<br />

Jade gegenüber der W eser hinwies. Die militärisch fachmännischen<br />

Untersuchungen wurden im Aufträge des „Großherzoglichen Militär-<br />

Commandos“ von dem Artillerieoberleutnant Rüder und dem Brigadeadjutanten<br />

von Weltzien durchgeführt. Sie fielen ebenfalls positiv<br />

für die Jade aus und wurden von der oldenburgischen Regierung<br />

anerkannt. Die beiden Offiziere wiesen in ihrem eingehenden und sehr<br />

wertvollen Gutachten vornehmlich auf das Gebiet bei Fährhuk hin.<br />

2*


20<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Sie kamen also zu dem gleichen Ergebnis wie der Regierungsrat Ittig,<br />

der den russischen Kapitän von Raebenin beraten hatte. Damit empfahlen<br />

sie den Platz, wo heute Wilhelmshaven liegt, während die<br />

napoleonischen Admirale dem Ostufer den Vorzug gegeben hatten.<br />

Rüders und Weltziens Gutachten wurden von Erdmann in eine Denkschrift<br />

hineingearbeitet, die gleichzeitig einen Bericht der Wasserbaubehörden<br />

und einen Kostenanschlag enthielt.<br />

3. Der Deutsche Bund und die Jade.<br />

Dem Betreiben Oldenburgs war es zuzuschreiben, daß im Februar<br />

1849 eine Kommission des „Reichsmarineministeriums", einer jener<br />

pomphaften organisatorischen Schöpfungen des Deutschen Bundes,<br />

die im Grunde genommen recht wenig zu sagen hatten, im Jadegebiet<br />

eintraf, um sich durch Augenschein von dem W ert oder Unwert des<br />

Fahrwassers und seiner Ufer für die Anlage eines Flottenstützpunktes<br />

zu unterrichten. Die Jade galt den meisten Sachverständigen damals<br />

als aqua incognita. Der Kommission gehörten an der österreichische<br />

Marineartillerie-OberstKoudriaffski, der preußische Major v. Troschke,<br />

der hannoversche Oberstleutnant Glünder und der hamburgische<br />

Wasserbauinspektor Blohm. Oldenburg stellte als beratende Kräfte<br />

den Deichgraf Peters, den Regierungsrat Erdmann, in dessen Händen<br />

alle Flottenfragen zusammenliefen, sowie die Oberleutnants Rüder und<br />

von Weltzien. Man sieht, in der Kommission waren gerechterweise<br />

alle widereinander streitbereiten Elemente vertreten. Das Ergebnis<br />

der Prüfung an Ort und Stelle fiel im wesentlichen günstig aus, nachdem<br />

es den Herren aus Oldenburg gelungen war, die Besorgnis zu zerstreuen,<br />

die Jade könne eines schönen Tages völlig verschlammen, so<br />

daß man seine guten Taler und Gulden im Schlick verbaut sehen würde.<br />

Was den militärischen W ert der Jadestellung anbetraf, so erkannte<br />

man an, daß eine Flankenstellung im Westen zu gewinnen sei, durchaus<br />

geeignet, eine dringend wünschenswerte Verbreiterung der deutschen<br />

Seefront herbeizuführen. Man überzeugte sich auch von der geschützten<br />

Lage der Reede bei Fährhuk, bemängelte nur, daß die Jade<br />

nicht unmittelbar mit der Elbe in Verbindung stünde, wodurch der<br />

strategische W eg nach der Ostsee unter Ausnutzung des Eiderkanals<br />

unliebsam unterbrochen wäre.<br />

Wenn das Projekt der Gründung eines Kriegshafens an der Jade<br />

damals zu Fall kam, so besteht kaum ein Zweifel darüber, daß der<br />

Einspruch des höchsten militärischen Befehlshabers der Bundesflotte,<br />

des Seezeugmeisters Brommy, hierbei entscheidend mitgewirkt hat.<br />

Rudolf Brommy, am 10. September 1804 als Sohn eines Gerichts-


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 21<br />

beamten in Anger bei Leipzig geboren, war eine eigenartige Persönlichkeit;<br />

ein Abenteurer, wenn man so will, alles in allem genommen<br />

aber doch ein weit über den Durchschnitt hinausragender Mensch.<br />

Früh verwaist, war er als Dreizehnjähriger zur See gegangen, um sich<br />

nach längeren wechselvollen Fahrten, vornehmlich an der amerikanischen<br />

Küste, bei Ausbruch des Befreiungskampfes der Griechen<br />

gegen die Türken zum Dienst in der griechischen Marine zu melden.<br />

Als Leutnant angestellt, nahm er an mehreren Gefechten teil, brachte<br />

es auf der Stufenleiter der Beförderung bis zum Fregattenkapitän<br />

und tat sich schriftstellerisch durch ein umfangreiches W erk „Die<br />

Marine” hervor, das erste seiner A rt in deutscher Sprache. Als im<br />

November 1848 der Ruf an ihn erging, bei der Neugründung einer<br />

deutschen Flotte mitzuwirken, leistete er der Aufforderung begeistert<br />

Folge. Und seine Vergangenheit, seine Kriegserfahrungen auf dem<br />

Wasser, vor allem aber seine gründliche seemännische Durchbildung,<br />

sie sorgten dafür, daß sein Ansehen beträchtlich war. Brommy hat<br />

diese Anerkennung ganz gewiß verdient. Gab es doch in ganz Deutschland<br />

keinen Mann, der über die gleichen militärisch-maritimen Kennt­<br />

nisse verfügte. Die wissenschaftliche Beherrschung des Stoffes wird<br />

beim Prinzen Adalbert vertiefter gewesen sein. In der praktischen<br />

Erfahrung der Kriegsseefahrt vermochte er jedoch Brommy die Waage<br />

nicht zu halten.<br />

Soll man dem später zum ersten deutschen Admiral ernannten<br />

Manne darum Vorwürfe machen, daß er im Februar 1849 für den<br />

Jadeplan nicht zu haben war? Meines Erachtens trifft ihn kein V orwurf.<br />

Brommy urteilte durchaus gesund, wenn er erklärte, es käme<br />

nicht darauf an, sofort mit einem größeren Hafenbau zu beginnen.<br />

Was man vorerst brauche, sei nichts weiter, als einen für Sommerund<br />

Winterzeit geeigneten Liegeplatz für die mühsam zusammengebrachten<br />

Schiffe. Und solch ein Platz müsse nicht in einer unwirtlichen,<br />

verkehrstechnisch überhaupt nicht erschlossenen Gegend wie<br />

dem Jadegebiet, sondern in einem an Hilfsquellen reichen Küstensaum<br />

gesucht werden. Die Entwicklung hat Brommy durchaus recht<br />

gegeben. Zu Beginn des Jahres 1849 wäre es bei der herrschenden<br />

Ebbe in der Marinekasse völlig verfehlt gewesen, ja es hätte aller<br />

Voraussicht nach zum Zusammenbruch des Flottenwerkes geführt,<br />

wenn man seine kargen Mittel für die Urbarmachung des Landes bei<br />

Fährhuk aufgewandt haben würde, ohne damit die Forderungen der<br />

Zeit zu erfüllen.<br />

Prinz Adalbert verlor trotz Brommys Ablehnung den Jadeplan nicht<br />

aus dem Auge. Als führender Kopf der preußischen Marinebestre-


22<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

bungen blickte er weiter. Sein Berater und Vertrauensmann wurde<br />

der Abgeordnete der Nationalversammlung Gottfried Kerst; seines<br />

Zeichens ein Philologe, der aber als Ingenieurhauptmann sechs Jahre<br />

in Brasilien topographisch und technisch tätig gewesen war. Da Kerst<br />

sich somit Auslandswind um die Nase hatte wehen lassen und überdies<br />

noch darauf hinweisen durfte, daß er im Kriege gegen Argentinien<br />

acht Monate an Bord eines brasilianischen Kriegsschiffes verbracht<br />

habe, galt auch er als ein in Marinefragen besonders bewanderter<br />

Mann. Als Mitglied der „Technischen Marinekommission" des Reiches<br />

hat er sich als ein kluger und tatfroher Kopf, aber auch als ein nicht<br />

immer leicht zu behandelnder Mensch erwiesen. Sein politisches Ideal<br />

war ein deutscher Staatenbund mit preußischer Spitze. Demgemäß<br />

war er Feuer und Flamme für die Schaffung einer preußischen Flotte.<br />

Mit gleicher Zähigkeit wie der oldenburgische Regierungsrat Erdmann<br />

hielt Kerst an dem Jadeprojekt fest. Beide Männer haben sich ohne<br />

Frage um die spätere Verwirklichung große Verdienste erworben.<br />

W obei jedoch nicht übersehen werden darf, daß hinter ihnen noch<br />

stärkere Kräfte wirkten, als sie selbst darstellten und nach Lage der<br />

Verhältnisse darstellen konnten; Kräfte, die von den Regierungen<br />

Preußens und Oldenburgs gespeist wurden. Im übrigen stand Kerst<br />

mit seiner Ansicht auf preußischer Seite nicht allein. Andere Sachverständige<br />

wie der Major Teichert stießen in dasselbe Horn.<br />

Nach dem ersten mißglückten Versuch, die Bundesmarine für die<br />

Jade zu interessieren, wurde es vorübergehend still um die Angelegenheit.<br />

Man kam erst wieder auf sie zurück, als die bereits erwähnte<br />

Überwinterungsfrage der Flotte arges Kopfzerbrechen verursachte.<br />

1850 setzte sich eine neue Kommission der Bundeszentralgewalt<br />

in Marsch, um ein zweites Mal durch Augenschein das Für<br />

und W ider des Jadeprojektes abzuwägen. Der Kommission gehörten<br />

der österreichische Fregattenkapitän von Bourguignon und der Ministerialrat<br />

im Reichsmarinerat Jordan, der Dichter des Epos „Die<br />

Nibelungen", an. Die Herren stellten fest, daß Elbe und Ems aus<br />

„strategischen“ Gründen zur Schaffung eines Flottenstützpunktes ungeeignet<br />

seien. Ob sie sich dieses Urteil ernstlich überlegt haben,<br />

scheint zweifelhaft. Bourguignon hatte offenbar eine gebundene<br />

Marschroute. Sein Besichtigungseifer im Jadegebiet war mehr als<br />

lau. Als die Lotsen erklärten — was im Grunde genommen nichts<br />

Überraschendes an sich hatte — , „die Ansteuerung in die Jade sei bei<br />

trübem Wetter ohne Seezeichen schwierig“, genügte diese Angabe der<br />

Kommission, um auch hier zu einem ablehnenden Schlußergebnis zu<br />

gelangen. Man kann sich nach allem des Eindrucks kaum erwehren,


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 3<br />

daß Bourguignon dahin unterwiesen war, nichts festzustellen, was zu<br />

Preußens Gunsten hätte ausschlagen können.<br />

4. Preußen und die Jade.<br />

Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß sich Prinz Adalbert<br />

und sein Vertrauter Kerst im Laufe der Erwägungen, w o ein<br />

Hafen für die deutsche Bundesflotte anzulegen sei, über die wahre<br />

Bedeutung der Jade völlig klargeworden waren. Dadurch wurde<br />

Preußen zum Erben der Pläne einer vielhundertjährigen Geschichte,<br />

w obei Oldenburg ihm offen und ehrlich die Bruderhand entgegenstreckte.<br />

Auf beiden Seiten war man vom Jahre 1852 ab in aller Stille<br />

ungemein rege, um die Angelegenheit zu fördern. Auf preußischer<br />

Seite drängte neben Prinz Adalbert der König, auf oldenburgischer<br />

Seite der Großherzog Paul Friedrich August, der in der Lösung der<br />

Frage die Verwirklichung einer seiner Lieblingspläne erblickte. Der<br />

hohe Herr verfolgte nicht nur Schiffahrtsinteressen, sondern auch<br />

politische. Er strebte aus der Isolierung heraus, in die sein Land<br />

durch Umklammerung seitens Hannovers geraten war. Vor allem lag<br />

ihm aber daran, das Jadegebiet wirtschaftlich zu erschließen. Und<br />

diese Entwicklung sah er voraus, da die Anlage eines Kriegshafens<br />

auch zum Anschluß an vorhandene Schienenstränge führen mußte.<br />

Bevor der Regierungspräsident Hannibal Fischer sein hartes, aber<br />

trauriges Amt als Versteigerer der deutschen Bundesflotte begann,<br />

handelte Preußen. Prinz Adalbert wandte sich nach vorangegangenen<br />

mündlichen Verhandlungen am 4. Mai 1852 mit einem längeren Schreiben<br />

an den Kriegsminister von Bonin, um dessen Interesse für die<br />

Anlage eines Stützpunktes im Jadegebiet zu wecken. Bonin verschloß<br />

sich der Bedeutung der Frage nicht. W obei allerdings hervorgehoben<br />

werden muß, daß der Prinz damals noch nicht von der Schaffung einer<br />

größeren Anlage sprach. Er empfahl vielmehr lediglich den Bau eines<br />

„Ausrüstungsplatzes" in Gestalt der Errichtung eines hölzernen Bollwerks<br />

auf Fährhuk mit einigen Schuppen zur Lagerung von Schiffs­<br />

gerät und Proviant. Ob Prinz Adalbert hiermit sein letztes Ziel enthüllt<br />

hat, muß dahingestellt bleiben. Möglich wäre es, daß er aus<br />

Gründen der Sicherheit des Gelingens nur schrittweise vorging, um<br />

seinen Partner, den Kriegsminister, nicht durch die Größe der Forde­<br />

rung von vornherein in eine Abwehrstellung zu drängen. Die Gründe,<br />

die für den Erwerb eines Jadehafens sprachen, wurden Bonin wie<br />

folgt schmackhaft gemacht:<br />

1. Es sei vorteilhaft, sich an der Nordsee einen Stationsort für


24<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

solche Schiffe zu sichern, deren „Lagerung" an der Ostsee nicht<br />

zweckmäßig schiene.<br />

2. Die strategischen Vorteile, die man gewönne, seien sehr erheblich.<br />

Elbe und W eser lägen dem englischen Helgoland zu nahe.<br />

Die Barren im Jadefahrwasser bildeten ein natürliches Hindernis für<br />

jeden Feind.<br />

3. Von allen Strommündungen böte die Jade die größten Vorteile.<br />

Dank Wangeroog gestalte sich die Einsegelung vorteilhafter als in<br />

Elbe und Weser. Außerdem wiese die Jade besonders günstige Eis-<br />

verhältnise auf.<br />

4. In politischer Hinsicht sei hervorzuheben, daß Fährhuk durch<br />

die Küstengebiete Oldenburgs und Ostfrieslands von der holländischen<br />

Grenze hinreichend getrennt wäre. Auch Dänemark drohe nicht unmittelbar.<br />

5. Das Binnenfahrwasser der Jade sei sowohl in militärischer als<br />

auch in seemännischer Hinsicht gut geschützt.<br />

6. Für die freie Bewegung der Schiffe, aber auch für die Aufrechterhaltung<br />

der Manneszucht schiene es sehr wertvoll, daß kein Handelshafen<br />

vorhanden sei.<br />

Auf Grund der Anregungen des Prinzen Adalbert fanden nunmehr<br />

schriftliche und mündliche Auseinandersetzungen zwischen ihm<br />

und dem Kriegsminister statt. Der Prinz verlieh hierbei der Meinung<br />

Ausdruck, mit Oldenburg würde man leicht handelseinig werden, da<br />

das Großherzogtum ja selbst die Jade wiederholt als Flottenstützpunkt<br />

in Vorschlag gebracht habe.<br />

Tatsächlich verhielt es sich auch so, obwohl noch eine längere<br />

Zeit vergehen sollte, bis die Angelegenheit des Vertragswerkes öffentlich<br />

zu einem Abschluß gelangte. Diese Verzögerung lag aber w eder<br />

an Preußen noch an Oldenburg, sondern lediglich an dem Bestreben,<br />

im Rahmen des deutschen Bundes innerpolitische Reibungen und<br />

Schwierigkeiten zu vermeiden. Solcher Schwierigkeiten mußte man<br />

aber gewärtig sein, denn das deutsche Volk und seine Fürsten erschöpften<br />

nur zu gern ihre Kraft an ihnen.<br />

V. Das Vertragswerk.<br />

1. Die ersten Schritte.<br />

Im Juli 1852 erhielt der preußische Gesandte für Oldenburg, Graf<br />

Nostiz, auf Anregung des Kriegsministers von Bonin vom Minister<br />

des auswärtigen Amtes von Manteuffel den Auftrag, wegen der Jadefrage<br />

unauffällig beim Großherzog von Oldenburg auf den Busch zu


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 5<br />

klopfen. Der Bericht des Grafen Nostiz lautete, Oldenburg würde<br />

kaum Schwierigkeiten machen, zur Schonung anderer Staaten scheine<br />

es jedoch ratsam, vorerst keinerlei Schritte zu unternehmen. Insonderheit<br />

wäre die große Abneigung Hannovers zu fürchten. Erst wenn im<br />

Schöße des Zollkongresses ein greifbares Ergebnis vorläge, rücke der<br />

Zeitpunkt näher, mit Oldenburg in Unterhandlungen einzutreten. Herr<br />

von Manteuffel, der gleichzeitig Ministerpräsident in Preußen war,<br />

schloß sich dieser Auffassung an. Er bat darum, „die Sache in einer<br />

Art zu behandeln, daß vorläufig alles vermieden werde, was dazu<br />

führen könne, die öffentliche Aufmerksamkeit schon gegenwärtig<br />

darauf hinzulenken." Da auch der preußische Finanzminister von Bo-<br />

delschwingh, offenbar aus finanziellen Erwägungen, zunächst die Meinung<br />

vertrat — späterhin hat er keine Schwierigkeiten mehr gemacht<br />

— , „dieser Sache keine weiteren Folgen geben zu wollen“ ,<br />

trat allem Anschein nach eine kurze Unterbrechung der Verhandlungen<br />

ein. Mit Sicherheit läßt sich diese Feststellung aber nicht<br />

treffen, da die Frage von Stund ab mit äußerster Vorsicht und unter<br />

Beschränkung auf einen engsten Personenkreis verfolgt wurde; so<br />

eng, daß beispielsweise selbst Bodelschwingh erst am 6. Juni 1853<br />

durch den Ministerpräsidenten von Manteuffel darüber unterrichtet<br />

wurde, daß der Vertragsentwurf seit dem Herbst 1852 fertig vorliege<br />

und in absehbarer Zeit zur Vollziehung gelangen werde.<br />

Wann die Vorverhandlungen über den Vertrag begonnen haben,<br />

ist aus den Akten nicht ersichtlich. Man darf daraus schließen, daß<br />

aus Gründen der Geheimhaltung der mündliche, streng vertrauliche<br />

W eg gewählt und innegehalten wurde. Die Notwendigkeit, einen<br />

Nordseehafen zu erwerben, hat Preußen amtlich nur noch einmal betont;<br />

und zwar im August 1852, als es dazu schritt, den ihm zufallenden<br />

Teil des Materials der deutschen Flotte zu übernehmen.<br />

2. Die Tätigkeit der Unterhändler.<br />

Der Großherzog Nicolaus Friedrich Peter von Oldenburg darf<br />

es als seine erste politische Großtat buchen, daß er den Lieblingsplan<br />

seines verstorbenen Vaters, des Großherzogs August, aus der Taufe<br />

hat heben helfen. W ie beim Vater, so war auch beim Sohn der R egierungsrat<br />

Erdmann Vertrauensmann und Sachberater in allen die<br />

Jade betreffenden Fragen. Erdmann, der Schwiegersohn des ebenfalls<br />

stark beteiligten oldenburgischen Ministers von Berg, hatte 1849 den<br />

Abgeordenten Kerst in dessen Eigenschaft als Generalsekretär des<br />

Reichsmarineministeriums kennen- und schätzengelernt. Beide Herren<br />

blieben seitdem zum Vorteil der Sache freundschaftlich miteinander


26<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

verbunden. Kerst gewann in Berlin das Ohr des Regierungsrats<br />

Gaebler, der dem Ministerpräsidenten von Manteuffel nahestand<br />

und ihm gegenüber wiederholt betonte, es sei das Gebot der Stunde,<br />

etwas Durchgreifendes zur Hebung der Handels- und Seeinteressen<br />

Deutschlands zu tun. Ob die Lesart richtig ist, Gaebler habe Manteuffel<br />

bewogen, den Grafen Nostiz über das Jadeprojekt zu befragen,<br />

will mir wenig glaubhaft scheinen. Das hieße mit anderen Worten,<br />

den Einfluß des Prinzen Adalbert übersehen oder zumindest verkleinern.<br />

Nach meiner Überzeugung spricht vielmehr alles dafür, daß<br />

sich in der Person des Prinzen die stärkste treibende Kraft auf preußischer<br />

Seite verkörperte. Gewiß, er stand nicht allein, Kerst war<br />

an seiner Seite. Ohne den Prinzen jedoch, aber auch ohne den Einfluß<br />

des Kriegsministers von Bonin hätten weder Kerst noch Gaebler<br />

etwas erreichen können. Beide waren Förderer, sicherlich starke<br />

Förderer des Jadeprojekts, aber doch nur Mittelspersonen; nicht<br />

anders wie der Regierungsrat Erdmann, hinter dem der Großherzog<br />

von Oldenburg stand. Erdmann für sich hätte das Vertragswerk von<br />

oldenburgischer Seite aus nie und nimmer unter Dach und Fach gebracht;<br />

müßig, hierüber weitere W orte zu verlieren.<br />

Die erste Auskunft, die Preußens Gesandter am oldenburgischen<br />

Hof, Graf Nostiz, erteilt hatte, traf den Nagel auf den Kopf. Oldenburg<br />

war in der Tat besorgt, Hannover könne aus Anlaß des Aufrollens<br />

der Jadefrage Schwierigkeiten machen bei den zur Zeit schwebenden<br />

Verhandlungen über die Vereinigung der Steuervereinsstaaten<br />

mit dem Zollverein. Es scheint, daß Preußen hierbei unbesorgter war.<br />

Jedenfalls traf Kerst schon am 10. August 1852 in Oldenburg mit<br />

Erdmann zusammen, nachdem der Großherzog seine Bedenken auf<br />

Grund der Haltung Preußens beiseitegestellt hatte. Kerst spielte sich<br />

in Oldenburg als Unterhändler auf, der zum Ankauf von weiterem<br />

Material der Bundesflotte befugt sei. Über alle Verhandlungen legte<br />

man den Schleier tiefster Geheimhaltung, der trotzdem, wie wir später<br />

sehen werden, geübten Spüraugen gewisse Durchblicke gewährte.<br />

In Berlin waren lediglich der König, Prinz Adalbert und der Ministerpräsident<br />

von Manteuffel nebst Regierungsrat Gaebler eingeweiht.<br />

Auf ihn ging späterhin der geschäftsmäßige Teil der Verhandlungen<br />

über, da sich Kerst als nicht geschickt genug, vielleicht als zu hitzköpfig<br />

erwiesen hatte. Gaebler wurde nach Oldenburg unter der<br />

Tarnung entsandt, es handele sich um die Besprechung von Auswanderungsangelegenheiten.<br />

Bevor wir den Fortgang der Verhandlungen verfolgen, wird es<br />

erforderlich, noch einmal auf die treibenden Kräfte einzugehen, die


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 27<br />

Oldenburg auf die Bahn des Jadeprojektes geführt hatten. Hierbei<br />

darf die Tätigkeit eines Herrn Bley nicht übersehen werden1). Bley bekleidete<br />

die Stellung eines niederländischen und belgischen Konsuls<br />

in Varel. Am 5. Juli 1848 überreichte er dem „Staats- und Kabinettsministerium<br />

zu Oldenburg" einen Bericht über die „Vorzüge der<br />

Jade“ , nachdem auf dem „Marinekongreß zu Hamburg die Ems, die<br />

W eser und die Elbe ihre Sonderinteressen geltend gemacht hätten".<br />

Gleichzeitig trat Herr Bley mit drei Aufsätzen in inländischen Zeitungen<br />

für den Jadegedanken ein. Er regte auch schon den Bau einer<br />

Eisenbahnstraße (Brake— Minden) in Verbindung mit dem Kriegs-<br />

hafenprojekt an. Schließlich übersandte er der oldenburgischen R egierung<br />

eine höchst interessante Skizze über Befestigungen an der<br />

Jade, die er aus London von einem Freunde bezogen habe, der während<br />

der Jahre 1836/38 in Paris im Bureau Topographique als attache<br />

volontaire beschäftigt gewesen sei. Bei dieser Skizze handelt es sich<br />

offenbar um eine Kopie der zu Napoleons Zeiten entstandenen Pläne.<br />

Nach alldem ist festzustellen, daß der Konsul Bley nicht ohne Verdienst<br />

um die Bearbeitung der Jade-Auswertung ist. Womit keineswegs<br />

behauptet werden soll, daß der Großherzog Nicolaus Friedrich<br />

Peter und der Regierungsrat Erdmann auf seinen Schultern gestanden<br />

hätten. Immerhin wird eine gewisse Beeinflussung nicht abzuleugnen<br />

sein; was schon daraus hervorgeht, daß die oldenburgische Regierung<br />

in dieser Angelegenheit mit Herrn Bley verschiedentlich korrespondiert<br />

hat.<br />

Im Oldenburg jener Jahre hatte man die napoleonische Zeit nicht<br />

vergessen. Das gewaltige Ansehen, dessen sich der große Korse als<br />

Kriegsmann erfreute, wirkte nach. Demgemäß bereitete es keine<br />

Schwierigkeiten, seine Jadepläne als strategisch bedeutungsvoll aufzugreifen.<br />

In einem Protokoll des oldenburgischen Kabinetts vom 23. Oktober<br />

1849 werden die napoleonischen Vorarbeiten an der Jade sehr<br />

hoch bewertet. Sie seien aufs sorgfältigste durchgeführt worden und<br />

hätten sich auf „ausgezeichnete wissenschaftliche und technische<br />

K räfte" gestützt. Unter diesen Umständen kann es nicht wundernehmen,<br />

daß Oldenburg für Stärkung seiner Stellung verschiedene Vertrauenspersonen<br />

anspannte, um aus den Archiven des französischen Marineministeriums<br />

nähere Auskunft über die napoleonischen Pläne und<br />

Ziele zu erhalten. Erfolge scheinen ihm allerdings nicht beschieden<br />

gewesen zu sein. Auf alle Fälle ist Oldenburg aber mit echt deutscher<br />

Gründlichkeit vorgegangen. Es hat seine Bemühungen um die Aner-<br />

*) Akten des Landesarchivs Oldenburg.


28<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

kennung des Jadegebietes nicht auf Sand gebaut, sondern militärisch<br />

und technisch mit einwandfreier Sorgfalt betrieben. Daß der Regierungsrat<br />

Erdmann als Facharbeiter der richtige Mann auf dem<br />

richtigen Posten war, muß vorbehaltlos anerkannt werden. W ie stark<br />

aber auch der Großherzog beteiligt war und wie klar er erkannte,<br />

daß auf seiten Preußens hochgestellte Persönlichkeiten gewonnen<br />

werden müßten, geht aus dem Umstande hervor, daß Nicolaus Peter<br />

bereits am 10. November 1848 den Regierungsassessor von Berg damit<br />

beauftragte, dem Prinzen Adalbert, dessen Auskunft man in Bremen<br />

erwartete, über das Jadeproblem einen Vortrag zu halten. Da der<br />

Prinz auf seiner Reise Bremen wider Erwarten nicht berührte, ist es<br />

zu diesem Vortrage letzthin nicht gekommen1).<br />

W ir kehren nunmehr zum Fortgang der Verhandlungen zurück,<br />

die sich zwischen Erdmann und Gaebler abspielten. Beide scheinen<br />

sich rasch und gut verstanden zu haben, denn ihr Schriftverkehr segelt<br />

unter der Flagge „Liebster Freund" oder auch gar „Mein theurer<br />

Freund"; Anredeformen, die auch zwischen Kerst und Erdmann üblich<br />

gewesen waren und sich zum Teil aus dem Zeitgeist erklären mögen.<br />

Anzuerkennen ist, daß sich die Unterhändler die größte Mühe gaben,<br />

den Geist der Geheimhaltung an ihre Seite zu bannen. Auch hier half<br />

die preußische Regierung in recht geschickter W eise mit, indem sie<br />

durch die Presse Gerüchte ausstreute, man plane, bei Cuxhaven im<br />

Amt Ritzebüttel einen Kriegshafen anzulegen. W ie wertvoll im irreführenden<br />

Sinne dieses Ablenkungsmanöver war, wird im Zusammenhang<br />

mit Hannovers Verhalten zu besprechen sein2).<br />

Ein besonders kluger Schachzug war ferner, daß man die Erwerbsmöglichkeiten<br />

von Land im Jadegebiet nicht unmittelbar behandelte,<br />

sondern für den Besitzwechsel einen Tauschwert suchte<br />

und in der Herrschaft Knyphausen fand. Oldenburg lag viel daran,<br />

sich diese Enklave wieder einzuverleiben. Aus ihr war im Zusammenhang<br />

mit den Bentinckschen Erbfolgeschwierigkeiten insofern ein<br />

Streitobjekt, man kann fast sagen von internationaler Bedeutung geworden,<br />

als englische, aber auch russische Interessen berührt wurden;<br />

englische durch einen britischen Zweig der Bentinckschen Familie,<br />

russische über den Gottorper und Anhalt-Zerbster Einschlag der R omanows.<br />

Preußen hat an Oldenburg zum Ankauf Knyphausens eine<br />

namhafte Summe überwiesen. Als Gegenleistung erhielt es das von<br />

ihm begehrte Jadegebiet. W eder Preußen noch Oldenburg haben ihre<br />

Volksvertretungen über diesen Handel unterrichtet. Sie durften es<br />

1) Akten des Landesarchivs Oldenburg.<br />

2) Akten des Staatsarchivs Hannover.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 2 9<br />

nicht, darüber kann kein Zweifel bestehen, ohne das gesamte Vertragswerk<br />

von vornherein zum Sturz zu bringen.<br />

In den bisher veröffentlichten Darstellungen tritt sehr stark die<br />

Auffassung hervor, als gebühre Oldenburg in erster Linie das Verdienst,<br />

die Angelegenheit gefördert und zum glücklichen Abschluß<br />

gebracht zu haben. Erdmann geht soweit, zu behaupten, König<br />

Friedrich Wilhelm IV. habe nur insoweit Interesse an der ganzen<br />

Frage genommen, als es ihm darauf angekommen sei, eine Vermittlerrolle<br />

bei dem Gräflich Bentinckschen Erbfolgestreit zu spielen.<br />

Diese Auffassung ist in das Gebiet der Fabel zu verweisen. Wir<br />

wissen, daß der König schon als Kronprinz ein glühender Vorkämpfer<br />

für den Marinegedanken gewesen war. Es ist mit Sicherheit anzu­<br />

nehmen, daß das maßgebliche politische Testament seines großen<br />

Ahnen Friedrich II. in ihm verpflichtend fortlebte. Im übrigen ist aus<br />

den Akten des preußischen Staatsarchivs ersichtlich, daß Friedrich<br />

Wilhelm IV. die Angelegenheit nicht nur mit Eifer verfolgte, sondern<br />

sie auch im April 1853 durch ein eigenes Handschreiben an den Großherzog<br />

von Oldenburg förderte. Ihm lag sehr daran, das gesunkene<br />

Ansehen seines Staates zu heben. „Preußen muß aus dem Schlamm<br />

der 48er Jahre heraus", betonte er in einer Randbemerkung zu den<br />

Flottenakten. Die Festsetzung an der Nordsee galt ihm daher schon<br />

aus diesem Grunde als ein Schritt von besonderer Bedeutung. Daß<br />

von seiten Preußens im Laufe der Besprechungen gewisse Bedenken<br />

geäußert wurden, kann nicht verwundern, da es immerhin ein starkes<br />

Stück bedeutete, über den Kopf des Finanzministers hinweg eine<br />

Frage zu behandeln, deren Lösung nicht unerhebliche Anforderungen<br />

an den Staatssäckel stellte. Im übrigen hat Friedrich Wilhelm IV.<br />

bereits am 25. September 1852 gelegentlich eines Besuches in Rastede<br />

erklärt, daß der geplante Vertrag ihm als vortrefflich gelte. Er<br />

müsse nur strenge Geheimhaltung und Zurückstellung des Vertrags­<br />

entwurfs bis nach Beendigung der Verhandlungen über die Vereinigung<br />

der Steuervereinsstaaten mit dem Zollverein fordern. W ie recht<br />

Preußens König und sein Ministerpräsident, der Herr von Manteuffel,<br />

der doch allerhand auf seine Kappe nahm, damit hatten, geht aus der<br />

schon erwähnten Tatsache hervor, daß die Großherzogliche Regierung<br />

im Grunde genommen nicht anders dachte. Ferner darf nicht über­<br />

sehen werden, daß die befürchtete Spaltung im preußischen Kabinett<br />

vermieden wurde, und daß letzten Endes das gesamte Vertragswerk<br />

bei seiner Veröffentlichung, sieht man von kleinlichen Mißgünsteleien<br />

ab, keinerlei Widerstand fand. Noch immer ist es aber der Erfolg


3 0<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

gewesen, der die angewandten Mittel rechtfertigte. Auch in diesem<br />

Falle findet die alte Weisheit ihre Bestätigung.<br />

Am 20. Juli 1853 wurde der Vertrag unterzeichnet. Die Bevollmächtigten<br />

waren Erdmann und Gaebler. Die Ratifikationsurkunde<br />

wurde vom König von Preußen am 18. August 1853, vom Großherzog<br />

einen Tag später vollzogen. Man kam jedoch abermals überein, das<br />

Ganze noch geheimzuhalten, um die leidige Zollvereinsfrage in<br />

letzter Stunde nicht zu gefährden; abermals ein Beweis dafür, daß<br />

man regierungsseitig behutsamer dachte als die Unterhändler Erdmann<br />

und Gaebler, W obei unentschieden bleiben mag, wer von diesen<br />

beiden Männern stärker vom Ehrgeiz befallen war, das Vertragswerk<br />

im Interesse geschichtlichen Ruhms mit seinem Namen zu verquicken.<br />

Über Gaebler ist bekannt, daß er zagmütig wurde, als die Verhandlungen<br />

sich dem Schlüsse näherten. Gewiß, er war ein ehrlicher und<br />

großer Flottenenthusiast. A ber die Sorge, was werden England und<br />

Österreich zu der Angelegenheit sagen, befiel ihn immer heftiger.<br />

Als dann alles gut gegangen war, erklärte er offenherzig, er sei baß<br />

erstaunt, daß es ihm „bei seiner untergeordneten Stellung möglich<br />

geworden sei, diese nach seiner Überzeugung für ganz Deutschland<br />

heilsam wichtige Sache, welche noch die späte Nachwelt segnen<br />

werde, für Preußen einzuleiten und zustande zu bringen." Mit dieser<br />

W iedergabe soll ganz gewiß die Bedeutung der Gaeblerschen Tätigkeit<br />

nicht verkleinert werden. Die Äußerung legt aber nach meinem Dafürhalten<br />

ein mehr als beredtes Zeugnis dafür ab, daß es andere Kräfte<br />

waren als die der beiden Bevollmächtigten, die die Saat zur Reife<br />

brachten.<br />

Auch über den Zusammenhang des Ankaufs der Herrschaft Knyp-<br />

hausen mit dem Jadevertrag wurde die Geheimhaltung nach Kräften gewahrt.<br />

Es drangen nur vage Gerüchte durch, mehr oder minder Vermutungen.<br />

Trotzdem tauchte aus diesem Grunde die Besorgnis auf,<br />

Hannover könne sich irgendwie in den W eg werfen. Es geschah jedoch<br />

nicht, obwohl Hannover, wie wir sehen werden, gefährlich<br />

wühlte. Die Zollvereinigung trat ohne jeden Zwischenfall am 1. Januar<br />

1854 ins Leben. Nunmehr ließ man den Schleier fallen. Am<br />

7. Januar 1854 wurde die hannoversche Regierung von der großher-<br />

zoglich-oldenburgischen über das Vertragswerk amtlich in Kenntnis<br />

gesetzt. Gleichzeitig erhielten auch die Senate von Bremen und Hamburg<br />

Kenntnis, sowie der russische Gesandte am oldenburgischen Hof,<br />

Geheimrat von Struve. Am 9. Januar 1854 wurde dem preußischen<br />

und oldenburgischen Landtag das Vertragswerk vorgelegt. In Oldenburg<br />

bereitete man ihm eine begeisterte Aufnahme, Erdmann wurde<br />

Laadesfcibltotkeh<br />

O ld e n b u rg 1 *0 .


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 31<br />

hoch geehrt. Auch in Preußen ging alles glatt, so daß der von Erd-<br />

mann gegebenen Darstellung abermals entgegengetreten werden muß.<br />

Das preußische Staatsministerium nahm die Angelegenheit keineswegs<br />

unfreundlich auf. Es prüfte die Vorlage vielmehr streng sachlich<br />

durch und hieß sie am 21. Oktober 1854 unter Zugrundelegung einer<br />

Denkschrift, die von der Admiralität und dem Minister des Innern<br />

von Westphalen ausgearbeitet war, einstimmig gut1) . Ebensowenig<br />

trifft es zu, daß der Kriegsminister von Bonin infolge des Vertragswerkes<br />

eine Schmälerung seines Heeresetats befürchtete und daher<br />

zurücktrat. W ie widersinnig solche Behauptung ist, ergibt sich hinlänglich<br />

aus der uns bekannten Tatsache, daß Bonin dem Prinzen<br />

Adalbert bei seinem Vorgehen zur Lösung der Jadefrage bereitwillig<br />

sekundiert hatte. Bonins Rücktritt erfolgte lediglich aus Gründen<br />

seiner antirussischen Einstellung. Sein Nachfolger im Amt des Kriegsministers,<br />

Generalmajor Graf Waldersee, hat die Vorlage genau so<br />

vorbehaltlos unterzeichnet wie der Finanzminister von Bodelschwingh<br />

und der Handelsminister von der Heydt, von dem Erdmann behauptet,<br />

er sei gekränkt gewesen, weil man ihn nicht zum Bau einer im Vertrage<br />

vorgesehenen Eisenbahnlinie gehört habe.<br />

Auch die Kammer nahm den Vertrag mit äußerstem W ohlwollen<br />

auf und bewies damit, daß man das Hinausstreben Preußens auf die<br />

See nur billige. Die Vorlage wurde ohne Aussprache mit allen gegen<br />

drei Stimmen gutgeheißen. Ja, man brachte sogar ein Hoch auf den<br />

Ministerpräsidenten von Manteuffel aus; wohl ein vollgültiger Beweis<br />

dafür, daß die Abgeordneten in ihrer überwiegenden Mehrheit volles<br />

Verständnis für das Geleistete bewiesen.<br />

Die Veröffentlichung der Verträge erfolgte durch Gesetzblatt in<br />

Oldenburg am 15. Februar 1854, in Berlin am 23. Februar 1854. Kerst<br />

und Gaebler wurden zu Geheimen Regierungsräten ernannt. Kerst<br />

wurde als Vertreter der Admiralität zum Verwalter des von Preußen<br />

erworbenen Gebietes bestellt. Gaebler erhielt den Posten als Ver­<br />

waltungsdirektor in der Zentralbehörde der Admiralität. Erdmann<br />

blieb Kommissar für weitere Verhandlungen bei Ausführung des Ver­<br />

trages.<br />

Die zeremonielle Übergabe des neuen Gebietes an Preußen er­<br />

folgte am 23. November 1854, wobei als Vertreter der preußischen<br />

Flotte die in England gebauten Dampfavisos „N ix" und „Salamander”<br />

zur Stelle waren.<br />

1) Akten des Preußischen Geh. Staatsarchivs in Berlin-Dahlem.


32<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Mit Abschluß des Vertrages stand die Absicht zum Bau eines<br />

großzügigen Hafens fest. Das kleine Projekt, soweit es überhaupt<br />

ernst gemeint war, hatte man zu den Akten gelegt. Zur Ausführung<br />

gelangte im wesentlichen der Entwurf des Geheimen Oberbaurats<br />

Hagen vom preußischen Handelsministerium, während die Entwürfe<br />

des britischen Ingenieurs Rendel und des Hamburger Wasserbaudirektors<br />

Hübbe verworfen wurden.<br />

In der Denkschrift der Admiralität vom 17. September 1854, die,<br />

wie oben bereits erwähnt, dem preußischen Kabinett bei seiner Beschlußfassung<br />

am 21. Oktober 1854 Vorgelegen hatte, war als Zweck<br />

des Vertrages angegeben, die Machtstellung und der politische Einfluß<br />

Preußens sollten durch den Nordseekriegshafen erhalten und erweitert<br />

werden; ferner käme es darauf an, „die Aufrechterhaltung<br />

Preußens und Oldenburgs auf den Meeren, welche die Küste beider<br />

Länder bespülten, zu sichern." Damit war eine Absage an Hannover<br />

erteilt, die schroff erscheinen mag, in dem Augenblick jedoch verständlich<br />

wird, w o man Hannovers Stellungnahme überprüft. Das soll<br />

ohne jede Voreingenommenheit geschehen, nur Tatsachen mögen<br />

sprechen. Es unterliegt auch keinem Zweifel, daß sich Hannover bei<br />

seinen Maßnahmen lediglich von solchen Erwägungen hat leiten<br />

lassen, die sich ihm als politisch zweckmäßig aufdrängten. Andrerseits<br />

wäre es falsch und würde dem Zweck unserer Betrachtung nicht<br />

entsprechen, wollte man Hannovers Verhalten verschleiern. Gerade<br />

an diesem Beispiel wird klar, bis zu welcher Verbohrtheit sich die<br />

unselige Kleinstaaterei verrannt hatte. Sie verkannte große Ziele<br />

nicht, sah sie aber nur durch die eigene Brille; so zwar, daß man in<br />

diesem Zusammenhang das W ort des seligen Ovid „U t desint vires,<br />

tarnen est laudanda voluntas" mit dem besten Willen nicht mehr gut­<br />

heißen kann.<br />

Alle W elt sonst verhielt sich vernünftig, nur Hannover nicht.<br />

Österreich erhob wegen des Jadevertrages keinerlei Schwierigkeiten.<br />

Rußland, dessen Beziehungen über Holstein-Gottorp und Anhalt-<br />

Zerbst schon Erwähnung getan wurde, gebärdete sich anfänglich etwas<br />

verschnupft, lenkte aber ein, als der Großherzog von Oldenburg Auf­<br />

klärung gab, warum das Vertragswerk hinter einem dichten Schleier<br />

der Geheimhaltung habe abgeschlossen werden müssen. Hamburg verhielt<br />

sich uninteressiert. Es fühlte sich zu jener Zeit „im Schutze der<br />

Neutralität" geborgener als unter einer Kriegsflagge. Bremen trat<br />

warmherzig für den Jadevertrag ein. Und über Englands Verhalten<br />

wird uns der nächste Abschnitt unterrichten.


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3 3<br />

3. Hannovers Gegenwirken.<br />

In der bisher üblichen Darstellung hieß es, die amtliche Nachricht<br />

vom 7. Januar 1854 über die Verhandlungen mit Preußen habe<br />

in Hannover wie ein Blitz eingeschlagen. Gewiß, die Überraschung<br />

über das abgeschlossene Vertragswerk mag groß gewesen sein; der<br />

Vergleich mit dem Blitz trifft aber insofern nicht zu, als man sich in<br />

Hannover, insgeheim und ohne Unterlaß, sehr eingehend und politisch<br />

weitgreifend mit der Angelegenheit beschäftigt hatte. Am 18. Oktober<br />

1853 war man durch die schon erwähnten Zeitungsnachrichten<br />

hellhörig geworden, wonach Preußen glaubhaft machen wollte, es<br />

beabsichtige, sich bei Cuxhaven im Amt Ritzebüttel festzusetzen.<br />

Eine W oche später, am 25. Oktober, erkundigte sich Hannover unter<br />

der Hand bei seinem Vertrauensmann in Oldenburg, dem Steuerdirektor<br />

Lichtenberg, was es mit den Gerüchten auf sich habe, denen<br />

zufolge Preußen den Besitz eines Nordseehafens anstrebe. Lichtenberg<br />

tappte jedoch zunächst im Dunkeln. Er vermochte lediglich über eine<br />

Reise Erdmanns nach Berlin zu berichten, über der tiefes Geheimnis<br />

walte. Unterm 19. November 1853 meldete der in Hamburg beglaubigte<br />

Ministerresident Hannovers seiner Regierung, „man spreche nicht<br />

von einer Festsetzung Preußens an der Elbe, sondern von einer Festsetzung<br />

an der Weser. Hamburg wünsche keine permanente Kriegsmarine,<br />

es vertraue auf den Schutz der deutschen Küsten durch England.<br />

Er, der Ministerresident, rechne damit, daß England dem Erwerb<br />

eines Kriegshafens durch Preußen kraftvoll entgegenwirken werde.<br />

England habe schon die Flottengründung von 1848 mißfällig bemerkt.<br />

Es hätte jedoch geschwiegen, weil es auf Einwirkung anderer Verhältnisse<br />

gezählt habe. England wünsche kein militärisches Preußen<br />

an der Nordsee, da das Inselreich von Helgoland aus unumschränkten<br />

Einfluß auf die Mündungen der Ströme Deutschlands auszuüben ver­<br />

m öge."<br />

Der Steuerdirektor Lichtenberg sah am 21. November 1853 er­<br />

heblich klarer über die Entwicklung der Dinge. Trotz der uns be­<br />

kannten sorgfältig geübten Geheimhaltung war er in der Lage, von<br />

Heppens (Fährhuk) als Ziel Preußens zu sprechen. Hannover scheint<br />

jedoch dieser Mitteilung kein volles Vertrauen geschenkt zu haben,<br />

denn es wandte sich wenige Tage später, am 26. November, offenbar<br />

unter Einwirkung des Berichtes von Lichtenberg an den Wasserbau­<br />

direktor Blohm in Hamburg mit der Bitte um „vertrauliche" Auskunft,<br />

welche Nordseehäfen im Gebiet von Hamburg und Oldenburg ausbau­<br />

fähig seien. Cuxhaven und das Amt Ritzebüttel waren insofern von<br />

O ldenburger Jahrbuch<br />

3


3 4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Preußen in seinen Ausstreuungen sehr geschickt gewählt worden, als<br />

auch über diesem Gründungsplan der Geist Napoleons schwebte.<br />

Das hannoversche Kriegsministerium fuhr inzwischen gröberes<br />

Geschütz auf. Es hielt nicht viel von der Einziehung „vertraulicher“<br />

Auskünfte, schlug vielmehr dem Ministerium für auswärtige Angelegenheiten<br />

vor, Wien zum Widerstand gegen Preußen aufzurufen.<br />

Im Lager der Diplomaten bekam man daraufhin kalte Füße, sprach<br />

von dem „mächtigen Nachbarn Preußen" und lehnte das Ansinnen des<br />

Kriegsministers ab. Der Erfolg war, daß die Militärpartei erklärte,<br />

sie wolle nicht nur „konstatieren" wie das Außenministerium, sondern<br />

„handeln". Wenn Preußen sich an der Nordsee festsetze, dann sei es<br />

nicht mehr wie recht und billig, auch Österreich daselbst einen Hafen<br />

einzuräumen!<br />

Inzwischen traf wieder ein Bericht des Herrn Lichtenberg ein,<br />

der die Dinge offenbar am klarsten überschaute. Er erklärte, betreffs<br />

der Jade mißtrauisch bleiben zu müssen. Auch bei der schon erwähnten<br />

Reise Erdmanns nach Berlin sah er durchaus nicht an der<br />

Wahrheit vorbei: er setzte sie bereits in Beziehung zum Bentinck-<br />

schen Erbfolgestreit.<br />

Am 14. Dezember 1853 war das hannoversche Ministerium für<br />

auswärtige Angelegenheiten derart mürbe geworden, daß es dem<br />

Drängen des Kriegsministers nachgab und sich in einem nach dem<br />

Empfinden unserer Tage wenig erfreulichen Schreiben an Wien<br />

wandte. Dem Brief lagen in Abschrift alle bisher als „vertraulich"<br />

abgesandten und eingegangenen Schriftstücke bei. Allem Anschein<br />

nach hat W ien es vernünftigerweise vorgezogen, auf diesen Beschwerde-<br />

und Klageruf überhaupt nicht zu antworten; was daraus<br />

hervorgeht, daß Hannover am 10. Januar 1854 unter Hinweis auf<br />

seinen ersten Brief Mitteilung von der inzwischen vollzogenen Tatsache<br />

des Jadeabkommens machte.<br />

Nach all dem geht es also nicht an, die Dinge so darzustellen,<br />

als habe sich Hannover nach den ersten alarmierenden Nachrichten<br />

über die Festsetzungsabsichten Preußens an der Nordsee wieder beruhigt.<br />

Im Gegenteil, man ist geflissentlich bemüht gewesen, den Din­<br />

gen auf die richtige Spur zu kommen, und hat sich sogar noch in<br />

letzter Stunde nach fremder Hilfe umgetan. Damit nicht genug: Hannover<br />

gab sich auch nach Abschluß des Vertrages nicht geschlagen!<br />

Es fürchtete noch im Januar 1854, Preußen suche sich außer an der<br />

Jade auch bei Cuxhaven niederzulassen. Anlaß hierzu gab ein Be­<br />

richt des Ministerresidenten in Hamburg, der behauptete, an der


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 3 5<br />

Ostseeküste gäbe es überhaupt keinen Hafen, der den Wünschen<br />

Preußens genüge.<br />

Unmittelbar nach der amtlichen Mitteilung Oldenburgs über den<br />

Abschluß des Vertragswerkes legte Hannover durch seinen Gesandten<br />

sowohl in Berlin wie in London Beschwerde ein. Es scheute sich<br />

nicht, Preußen in England zu verdächtigen, es wolle „das Gleichgewicht<br />

Europas stören". Man schrieb zwar dem Gesandten vor,<br />

„eine Intervention Englands solle unter keinen Umständen provoziert<br />

werden, jeder Schein hierzu sei zu vermeiden", und forderte dennoch<br />

die Intervention heraus, indem man die „Bande der Verwandtschaft"<br />

beschwor. Auch Bremen versuchte man durch seinen besonders tat­<br />

kräftigen Oberbürgermeister Smidt mobil zu machen. König Georg<br />

spielte sogar mit dem Gedanken, auf die Errichtung einer eigenen<br />

Nordseeflotte zurückzukommen. Das eingeforderte Gutachten fiel<br />

jedoch scharf ablehnend aus, wie nicht anders zu erwarten war. Hannover,<br />

Bremen und allenfalls Braunschweig, so lautete es, seien viel<br />

zu schwach zu solchen Leistungen) Oldenburg stehe unter Preußens<br />

Schutz, Hamburg sei nach wie vor lau, und die Binnenstaaten beteiligten<br />

sich nicht. Trotzdem stand noch in der „Hannoverschen<br />

Morgenzeitung" vom 19. Februar 1854 zu lesen, „man müsse für den<br />

Sieg der deutschen Freiheit über preußische Herrschaftsgelüste<br />

kämpfen".<br />

Preußen tat alles, um auf gütlichem W ege ehestens ins reine zu<br />

kommen. Am 18. Januar trat es durch Graf Nostiz in sehr höflicher<br />

Form an Hannover mit der Bitte heran, die Angelegenheit nunmehr<br />

in Frieden und Einvernehmen zum guten Ende zu führen; Hannover<br />

möge alle Wünsche äußern, die es im Zusammenhang mit der bevorstehenden<br />

Anlage eines Kriegshafens an der Jade hege. Hannover<br />

und sein König blieben vorerst aber unversöhnlich. König Georg V.<br />

sah in seinem Land denjenigen norddeutschen Bundesstaat, dem die<br />

Nordsee allein gehöre. Daß er damit den Spaltpilz des Partikularismus<br />

großzog, mag ihm bei seiner Veranlagung, aber auch auf Grund<br />

alten Familienstolzes nicht klargeworden sein. Ohne Zweifel war<br />

er auch besorgt, Oldenburg sei vor einer Mediatisierung nicht mehr<br />

zu bewahren, was für Hannover ein gleiches Schicksal bedeuten würde.<br />

W ir wissen heute, daß das Urteil König Georgs fehl ging; Oldenburg,<br />

das großdeutsch dachte und handelte, blieb selbständig; Hannover hingegen<br />

mußte sich dem stärkeren Preußen beugen, weil es durch sein<br />

Verhalten einen Hemmschuh auf der Entwicklungsbahn des zusam­<br />

menwachsenden Reiches darstellte!<br />

3 *


3 6<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

König Georg soll sich insonderheit durch die Heimlichkeit, die<br />

bei dem Entstehen des Vertragswerkes obwaltete, verletzt gefühlt<br />

haben. Dabei war doch nur der von ihm gepflegte Partikularismus<br />

an diesem Verfahren schuld. Als der englische Botschafter in Berlin<br />

Loftus den preußischen Ministerpräsidenten wegen der umlaufenden<br />

Nachrichten über Cuxhaven befragte, konnte Manteuffel frei und<br />

offen erklären, an dem Gerede über die Elbe sei kein wahres Wort.<br />

Im übrigen hat Manteuffel auch insofern ohne Zweifel recht gehabt,<br />

als er nach vollzogenem Vertragswerk erklärte, man habe schon<br />

um dessentwillen die Angelegenheit nicht an die große Glocke hängen<br />

dürfen, um keine Möglichkeit zu Preistreibereien aufkommen zu<br />

lassen. W ie dem auch sei, König Georg von Hannover fühlte sich<br />

nicht nur politisch, sondern auch menschlich schwer gekränkt. Er<br />

schickte einen seiner Adjutanten zum Großherzog von Oldenburg,<br />

seinem Schwager, und ließ drohen, er werde den Vertrag beim Bundesrat<br />

anfechten. Der Oldenburger blieb aber fest. Als von seiten<br />

des Adjutanten die W orte fielen, das Großherzogtum solle sich nicht<br />

unter die preußischen Kanonen begeben, erhielt er die sehr eindrucksvolle<br />

Entgegnung: „Die Festung Minden liege näher bei Hannover als<br />

Heppens bei Oldenburg." Später schrieb der Großherzog an König<br />

Georg: „W as nun die großen Besorgnisse anbetrifft, die Dir solch ein<br />

preußischer Kriegshafen einflößt, so kann ich Dir darin nicht beipflichten.<br />

Will Preußen uns schlucken, so sind wir doch verloren,<br />

wenn nicht andere Mächte uns schützen."<br />

Mit den anderen Mächten hat Hannover es gründlich versucht,<br />

ohne etwas zu erreichen. Es mutet fast wie Vorahnungen an, wenn<br />

König Georg immer wieder Gefahren für seine Selbständigkeit witterte<br />

und seine Gedanken nur um den einen Pol kreisen ließ, welche<br />

Hilfe verschaffe ich mir, um das Unheil abzuwenden. Er griff auf<br />

einen verstaubten Lehensvertrag zwischen Braunschweig-Lüneburg<br />

und Oldenburg zurück, der das Butjadinger Land betraf; einerseits,<br />

um Braunschweig aufzureizen, andrerseits, um Oldenburg in seinem<br />

Sinne gegen Preußen zu beeinflussen. Das Bemühen verfing nicht.<br />

Frankreichs, Dänemarks und Rußlands Interessen an der Frage wurden<br />

aufgerührt. Es war ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Alle<br />

Staatsverträge, die man hervorholte, vermochten Hilfe nicht zu bescheren.<br />

Am 27. Januar 1854 wandte sich Hannover erneut an Wien:<br />

es bestünde die Gefahr der Einmischung fremder Mächte. Deutschlands<br />

Sicherheit sei bedroht! Die Hofburg zeigte abermals die kalte<br />

Schulter. Nur in Dänemark fand Hannover schwache Gegenliebe.<br />

Dort regte sich der Gedanke, als Schachzug gegen Preußens Nordsee-


Preußens Flottenpolitik 1852 und die Gründung Wilhelmshavens 37<br />

plane einen Kriegshafen in List auf Sylt anzulegen. Es blieb aber bei<br />

Papierverschwendung, etwas Praktisches kam nicht zustande. Der<br />

letzte Hoffnungsanker war England, aber auch er erwies sich als<br />

trügerisch. Es ist schmerzlich, berichten zu müssen, daß Hannover<br />

in London dafür warb, man möge territoriale Veränderungen in deutschen<br />

Landen nicht gutheißen. Unterm 7. Februar 1854 konnte jedoch<br />

der hannoversche Gesandte nichts anderes melden, als daß Lord<br />

Clarendon bei der Mitteilung, Preußen wolle eine Seemacht werden<br />

— also auch hier lag eine dem großdeutschen Gedanken feindliche<br />

Anschwärzung vor — , lediglich gelächelt und für die Jadefrage<br />

keinerlei Interesse gezeigt habe. Somit bliebe nur übrig, so riet der<br />

Gesandte, Hamburg aufzufordern, in England vorstellig zu werden;<br />

denn für Hamburgs Wohlergehen habe der Brite von jeher große Anteilnahme<br />

bewiesen!<br />

VI. Schlußwort.<br />

Der Gedanke, daß England es zu jener Zeit um der Jadefrage<br />

willen mit Preußen nicht hat verderben wollen, ist nicht von der<br />

Hand zu weisen. Die Orientsorgen drückten, das Londoner Kabinett<br />

zog mit dem preußischen am selben Strang.<br />

W äre London der preußischen Gebietserweiterung an der Jade<br />

entgegengetreten, wenn der Krimkrieg die britische Politik nicht belastet<br />

hätte? Solche Frage hat rein akademischen Wert, ihre Erörterung<br />

fällt aus dem Rahmen unserer Betrachtungen heraus.<br />

W ir wollen uns daher mit der Feststellung begnügen, daß Preußen<br />

sowohl in der Verfolgung seiner Flottenbestrebungen wie in dem<br />

Erwerb des Jadebusens den gegebenen Zeitpunkt erkannt, eine klar-<br />

linige Entwicklung verfolgt und eine feste Hand bewiesen hat.<br />

Deutschland muß heute noch Preußen dafür dankbar sein, daß es<br />

auch hier seine geschichtliche Mission erfüllte. Nicht zum mindesten<br />

in der Flottenfrage ist Preußen, Seite an Seite mit Oldenburg, zum<br />

W egbereiter der deutschen Einheit geworden. Eine Lösung der Frage<br />

im hannoverschen Sinne hätte nie und nimmer zu diesem Erfolge<br />

geführt.<br />

Literaturangabe.<br />

1. Akten des Preußischen Geh. Staatsarchivs in Berlin-Dahlem.<br />

2. Akten des Staatsarchivs in Hannover.<br />

3. Akten des Landesarchivs in Oldenburg.


38<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

4. F. B a t s c h , Adm iral Prinz Adalbert von Preußen (Kurt Brachvogel,<br />

Berlin. 1890).<br />

5. F. B a t sch, Deutsch' Seegras (Gebrüder Paetel, Berlin. 1892).<br />

6. M. B ä r , Die deutsche Flotte von 1848 bis 1852 (S. Hirzel, Leipzig. 1898).<br />

7. A. v. C r o u s a z , Kurze Geschichte der deutschen Kriegsmarine (F. Riemenschneider,<br />

Berlin).<br />

8. Th. Erdmain, Geschichte des Vertrages vom 20. Juli 1853 über die<br />

Anlegung eines Kriegshafens an der Jade (Jahrbuch für die Geschichte<br />

Oldenburgs, Bd. 9, 1900).<br />

9. W . v. H a s s e 11, Geschichte des Königreichs Hannover (M. Heinsius,<br />

Leipzig— Bremen, 1897— 1901).<br />

10. A . Jordan, Geschichte der brandenburgisch-preußischen Kriegsmarine<br />

(F. Heinicke, Berlin, 1856).<br />

11. P. K o c h , 50 Jahre Wilhelmshaven (Boll & Pickardt, Berlin, 1904).<br />

12. H. A . Oppermann, Zur Geschichte des Königreichs Hannover von<br />

1832— 1860 (O. Wiegand, Leipzig, 1860— 1862).<br />

13. G. Rüthning, Oldenburgische Geschichte (v. Halem, Bremen, 1911).<br />

14. G. Sello, Oestringen und Rüstringen (Ad. Littmann, Oldenburg, 1928).<br />

15. A. Stenzel, Seekriegsgeschichte in ihren wichtigsten Abschnitten<br />

(Hahnsche Buchhandlung, Hannover).<br />

16. T e s d o r f , Geschichte der kaiserlich-deutschen Kriegsmarine (Lipsius<br />

und Tischer, Kiel).


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum<br />

Beginn der Fremdherrschaft (1806).<br />

Abgrenzung der Arbeit und Quellen.<br />

3. Abschnitt: Allgemeiner TeiL<br />

Von Karl Hoyer.<br />

1. Besonderheiten des jeverschen Zunftwesens.<br />

2. Die Entstehung der Ämter und das Wesen ihrer Verpflichtungen.<br />

3. Freimeister und Bönhasen.<br />

4. Die Organisation der Ämter.<br />

5. Die Aufnahme der Meister.<br />

6. Die Ausbildung der Lehr jungen und das Gesellenwesen.<br />

2. Abschnitt: Die einzelnen zünftigen Gewerbe.<br />

1. Das Amt der Schuhmacher, Riemer und Sattler,<br />

2. Das Amt der Schlachter.<br />

3. Das Amt der Schneider.<br />

4. Das Amt der Bäcker.<br />

5. Das Amt der Klein- und Grobschmiede wie auch der Kupferschläger.<br />

6. Das Amt der Tischler und Zimmerer (sowie der Glaser).<br />

7. Das Amt der Küper.<br />

3. Abschnitt: Die Hofhandwerker.<br />

I. Abschnitt: Allgemeiner Teil.1)<br />

1. Besonderheiten des jeverschen Zunftwesens.<br />

So ähnlich sich, im großen gesehen, überall in Deutschland die<br />

Entwicklung des Zunftwesens vollzog, so bezeichnend ist im einzelnen<br />

der örtliche Werdegang in den verschiedenen Gebieten. Meist richten<br />

1) Die Darstellung beschränkt sich aus praktischen Gründen auf die<br />

7 Ämter der Schuhmacher (Riemer und Sattler), der Schlachter, der Schneider,<br />

der Bäcker, der Schmiede, der Tischler (Zimmerer und Glaser) und der<br />

Küper. Nicht berücksichtigt sind die Innungen der Barbiere, die mit den<br />

Wundärzten, Ärzten und Apothekern, und die Brauer, die mit den Krügern<br />

zusammen zu behandeln sind. Auch die Kaufleute gehören, wenn sie auch<br />

eine Innung bildeten, nicht in den engeren Zusammenhang; dagegen sind die<br />

Hofhandwerker mit aufgenommen, da sie als Freimeister mannigfache Beziehungen<br />

zu den 7 Ämtern aufweisen. — Als Quellen wurden die Akten des<br />

Oldenburger Landesarchiv, des jeverschen Stadtarchivs und des jeverschen<br />

Heimatmuseums benutzt. Die Akten des Landesarchivs Aa. Jever Abt. A<br />

sind einfach als ,,L A ’ nebst Titel zitiert.


40<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

sich zwar die kleineren Orte in Einrichtungen und Gebräuchen nach<br />

der nächsten größeren Stadt. So war es z. B. in Oldenburg der Fall,<br />

dessen Abhängigkeit von Bremen auch in Zunftsachen in der ältesten<br />

Innungsurkunde, der des Bäckeramts (1362), besonders deutlich zum<br />

Ausdruck kommt1). Für das kleine, abgelegene Jever waren aber Beziehungen<br />

der Gründungsprivilegien zu denen anderer Städte bisher<br />

nicht nachweisbar. Es ging ja auch sonst gerne eigene Wege. In Hinsicht<br />

auf die Entwicklung der gewerblichen Verbände unterscheidet<br />

sich Jever jedoch in zwei Punkten grundsätzlich von seiner Nachbarschaft:<br />

in der Verbindung von Stadt- und Landhandwerk und in bezug<br />

auf die Gründungszeit seiner Ämter. Während jene eine Folge der<br />

örtlichen Verhältnisse ist, hängt diese auf das engste mit der späten<br />

Stadtrechtsbewidmung zusammen. Denn die Erteilung der Stadtgerechtsame<br />

und die Zunftbegründung stehen zumeist in ursächlichem<br />

Zusammenhang. Es ist daher nicht sehr glücklich, wenn man lediglich<br />

aus dem Vergleich der Gründungsjahre der Ämter in den verschiedenen<br />

Städten von einem mehr oder minder verspäteten Aufkommen des<br />

Zunftgedankens gesprochen hat2). Das Streben, sich eine Organisation<br />

zu geben, wohnte den Handwerkern des Mittelalters entsprechend der<br />

Geisteshaltung dieser Zeit überall inne, aber die Möglichkeit, es erfolgreich<br />

in die Tat umzusetzen, bestand erst, wenn eine Rechtsgrundlage<br />

durch das Stadtprivileg geschaffen war. Die Schnelligkeit, mit<br />

der sich die Bildung der Zünfte vollzog, war ebenso abhängig von der<br />

Größe des Auftriebs, den die Stadt durch die neue Rechtsgestaltung<br />

erhielt, wie von der Lebhaftigkeit des örtlichen Wirtschaftslebens<br />

an sich.<br />

In der Regel lassen sich zwei Zeitabschnitte bei den Ämtergründungen<br />

unterscheiden. Die erste W elle, bald nach der Stadtrechts-<br />

verleihung im 13. oder 14. Jahrhundert, erfaßt alle für die betreffende<br />

Stadt bedeutsamen Gewerbe. Hieran schließen sich weiterhin andere,<br />

die inzwischen infolge des wirtschaftlichen Aufblühens der Stadt an<br />

Bedeutung gewannen. In dieser Periode ist die Zunftgründung noch<br />

der reine Ausdruck des Zeitempfindens. Man meint es noch ernst mit<br />

seinen Idealen und trachtet, erfüllt von Pflichtbewußtsein und Handwerkerstolz,<br />

ihrer Verwirklichung nach. 100— 200 Jahre später kommt<br />

eine zweite Welle. Diese Gründungen haben vorwiegend wirtschaftlichen<br />

Charakter. Man nimmt sie vor, weil sie vorteilhaft sind oder<br />

weil man besitzen will, was andere auch haben. Die idealen Gesichts-<br />

•) K. Hoyer, Das Oldenburger Bäckergewerbe. Old. Jahrb. X XIX (1925).<br />

2) H. Hemmen, Die Zünfte der Stadt Oldenburg im Mittelalter. Old.<br />

Jahrb. XVIII (1910).


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 41<br />

punkte stehen meist nur noch auf dem Papier und werden häufig genug<br />

allein als moralische Verbrämungen eigennütziger Bestrebungen<br />

der einzelnen Verbände gebraucht. Schließlich sucht jeder Meister die<br />

Zugehörigkeit zu seiner Zunft zu seinem persönlichen Vorteil auszunutzen.<br />

Man kämpft für die Rechte, die man verbrieft besitzt, und<br />

kümmert sich nicht mehr um die Verpflichtungen gegen die Gemeinschaft.<br />

Auch in Jever lassen sich diese zwei Perioden, wenn sie auch zeitlich<br />

näher aneinander gerückt sind, noch unterscheiden, doch liegen<br />

hier die Verhältnisse insofern anders, als schon der erste Abschnitt in<br />

die Zeit fällt, in der die alten Zunftideale bereits stark verblaßt sind.<br />

Als Jever 1536 Stadtrecht erhält, ist der Ort noch klein, und die politische<br />

Lage bleibt weiter unsicher. Dann kommt Jever an Oldenburg,<br />

noch lange drohen die ostfriesischen Ansprüche. So entsteht erst ljjWT" ■ ¿5<br />

als erste Zunft das Amt der Schuster, Riemer und Sattler. Bezeichnenderweise<br />

sind drei Gewerbe zur Bildung dieser ersten Organisation<br />

nötig. 1604 erhalten die Schlachter ein Amt. Dann dauert es<br />

über 20 Jahre, bis in der Zerbster Zeit die nächsten Ämter gegründet<br />

werden. Dem Geiste nach unterscheiden sich die Abschnitte nicht sehr<br />

stark; immerhin wird bei den Schustern noch der Grundsatz verzeichnet,<br />

daß sie die Pflicht haben, gute Ware zu billigem Preise, d. h. für<br />

so viel, wie recht und billig ist, zu liefern. Bis zum Beginn des<br />

18. Jahrhunderts wird der alte Zunftgedanke noch leidlich gewahrt.<br />

Von da an allerdings werden die Ämter mit großer Schnelligkeit ausschließlich<br />

zu Werkzeugen des nackten Daseinskampfes.<br />

Das zeitlich späte Auftreten der Zünfte (nicht des Zunftgedankens)<br />

ist also eine Folge der rechtlichen und politischen Verhältnisse. Diese<br />

waren auch die Ursachen, daß von einer Blüte der Zunftherrlichkeit<br />

im alten Sinne in Jever nicht die Rede sein kann. Dazu fehlten gerade<br />

die inneren Grundlagen. Die Handwerker konnten nicht den Stolz des<br />

freigewordenen Bürgers, der sich der Verantwortung für seine Stadt<br />

bewußt war, kennen. Denn für bürgerliches Selbstbewußtsein war in<br />

der Zeit des Absolutismus kein Raum mehr. Dazu kam, daß das Blickfeld<br />

der Bürger einer kleinen, abgelegenen Stadt nur gering sein<br />

konnte. Während in Oldenburg die letzten Grafen viele Mühe aufwenden<br />

mußten, um die Selbständigkeitsgelüste ihrer Bürgerschaft zu<br />

zügeln und die Handwerker oft deutliche Zurechtweisungen erfuhren,<br />

hören wir in Jever von alledem nichts. Die Auseinandersetzungen<br />

richteten sich nie gegen den Landesherren, kaum einmal gegen die<br />

Stadt, sondern sie betrafen entweder innere Angelegenheiten oder den<br />

Kampf gegen Unzünftige oder Fremde.


4 2<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Die enge Verbindung von Stadt und Land brachte hier aber eine<br />

beachtenswerte Sondererscheinung hervor. Zunftsache war sonst eine<br />

rein städtische Angelegenheit. Der Bauer hatte seinen Bedarf an Gewerbewaren<br />

in der Stadt zu decken, während der Städter die ländlichen<br />

Erzeugnisse, soweit er sie sich nicht in der Eigenwirtschaft<br />

selbst verschaffte, vom Landmann bezog. Nur wenige Gewerbe waren<br />

auf dem Lande in beschränktem Umfange zugelassen. Diese Grundsätze<br />

galten für Jever nicht. Von Anfang an trachtete man darnach,<br />

die Stadt- und Landmeister derselben Hantierung in einem Amt zusammenzufassen.<br />

Doch war eine befriedigende Lösung der Frage bei<br />

den verschiedenartigen Interessen mit allerhand Schwierigkeiten verbunden.<br />

Diese erkannte man im Anfang nicht gleich mit der genügenden<br />

Deutlichkeit. Es war nicht möglich, die Landmeister, die<br />

unter ganz anderen Bedingungen lebten, rein schematisch in denselben<br />

Rahmen zu spannen, der für die Städter passend war. Gerade die<br />

Vorteile, die dem städtischen Amtsmeister das Gemeinschaftsleben<br />

brachte, waren für den Landmeister bedeutungslos. Sie standen jeder<br />

für sich in ihrem Dorf und mußten oft zum größeren Teil von der<br />

Landwirtschaft leben, während diese bei den Städtern nur eine Ergänzung<br />

darstellte. In den Gründungsprivilegien wurde ganz allgemein<br />

der Beitritt aller Handwerksgenossen in Stadt und Land gefordert.<br />

Obwohl die Regierung allmählich einsah, daß man von den<br />

Meistern auf dem Lande nicht dasselbe fordern könnte wie von denen<br />

in der Stadt, ließ sie zunächst den Dingen ihren Lauf. Erst als der<br />

Streit zwischen beiden Gruppen am Ende des 17. Jahrhunderts zu<br />

einem großen Prozeß zwischen diesen führte, griff sie ein und traf<br />

16991) eine Regelung, die für alle Ämter galt. Die Landmeister, die<br />

bis dahin noch nicht eingetreten waren, sollten ohne weiteres aufgenommen<br />

werden. Für die später sich meldenden wurde ein einfaches<br />

Meisterstück vorgeschrieben. Die Zimmerer hatten den Riß eines<br />

Hauses, die Küper eine Kanne, die Schmiede ein beschlagenes Rad<br />

und ein Hufeisen und die Schuster ein Paar gewöhnliche Stiefel zu<br />

machen. Sie waren von allen Aufnahmebedingungen der Stadtmeister<br />

und auch von der Teilnahme an der Morgensprache befreit. Doch<br />

sollten sie anstelle des Meisteressens 2 Rt. an das Amt bezahlen.<br />

Diese Abgabe bezeichnete man als den Innungsdenar. Wiederholt<br />

mußten unberechtigte Ansprüche des Amtes gegenüber den Landmeistern<br />

zurückgewiesen werden, wie die Erhebung von Beiträgen und<br />

1699, Jan. 24 L.A. X X III B 19; J.St.A. A VIII, 1; bestätigt: 1723 u. 1758<br />

(L.A.).


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 3<br />

von Strafgeldern für Nichterscheinen bei den Amtsversammlungen1).<br />

W er vom Lande in die Stadt ziehen wollte, mußte sich mit den Stadtmeistern<br />

verständigen2). Diese Fälle kamen aber selten vor. Auch die<br />

Rademacher, die in der Stadt kein Amt besaßen, mußten ein Meisterstück<br />

machen, das in einem Rad bestand3). Über die Lehrzeit gab es<br />

ursprünglich keine Bestimmung, erst 1794 wurden 3 Jahre festgesetzt4).<br />

Da die Landmeister ohne weiteres aufgenommen wurden, wenn sie die<br />

Bedingungen von 1699 erfüllten, so war es kein Wunder, daß ihre<br />

Zahl schnell stark wuchs (vgl. die einzelnen Ämter). 1799 erst versprach<br />

die Regierung, jedesmal den Bedarfsfall prüfen zu wollen5).<br />

2. Die Entstehung der Ämter und das W esen ihrer Verpflichtungen.<br />

Seit dem Ende des 16. Jahrhunderts begannen sich also die Handwerker<br />

in Jever in Ämtern zusammenzuschließen. Von den Schustern<br />

(1590) und Schlachtern (1604) war schon die Rede. Mit dem Beginn<br />

der Zerbster Herrschaft erhielten 1669 die Schneider, Bäcker und<br />

Schmiede (Klein-, Grob- und Kupferschmiede), 1686 die Zimmerer<br />

und Tischler und 1690 die Küper ein Amt. Schon 1674 waren die Barbiere<br />

zünftig geworden; das 18. Jahrhundert sah ferner die Entstehung<br />

der Brauerinnung (1707). Die Glaser, die 1757 ein Anhängsel des<br />

Tischleramts geworden waren, bekamen noch 1798 eine selbständige<br />

Organisation. Die Kramer schlossen sich um 1730 zu einem Verbände<br />

zusammen6). Die eigentliche Zeit der Amtsgründung liegt also in den<br />

100 Jahren zwischen 1590 und 1690. Die ganze erste Periode der alten<br />

Innungen umfaßt reichlich 200 Jahre und endet mit der Zeit der<br />

Fremdherrschaft (1806). Ein neuer Abschnitt beginnt erst 1830 mit<br />

der oldenburgischen Gewerbeverfassung.<br />

Über das Zustandekommen der ersten Amtsartikel wissen wir<br />

nichts; Vorbilder irgendwelcher Art waren sicher bekannt; die Meister<br />

die in ihrer Gesellenzeit gewandert waren, brachten gewiß Kenntnisse<br />

darüber mit. Auffällig ist die Vollständigkeit, mit der die wichtigen<br />

Fragen in dem Schusterprivileg behandelt sind, während dagegen die<br />

Bestimmungen der Schlachter höchst lückenhaft sind. Vielleicht liegt<br />

das gerade daran, daß jene mehr wanderten als diese und so mehr<br />

1) So bei den Küpern 1706 und 1743, bei den Tischlern 1730 und 1744.<br />

2) Die Vorstadt galt seit dem Ende des 17. Jahrhunderts als Stadt. Bei<br />

den Tischlern 1730 u. 1768.<br />

3) L.A. XXIII 28.<br />

4) Jev. Wochenblatt 1794.<br />

6) Tischler L.A. X X III, 28.<br />

®) Artikelbuch Jever St.A.


4 4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

über den üblichen Inhalt der Amtsartikel wußten. Von der Wanderschaft<br />

der Schlachtergesellen schweigt nämlich die Überlieferung<br />

völlig. Aus Oldenburg wissen wir, daß sie nicht wandern wollten,<br />

weil sie draußen doch nichts anderes lernten, daheim dagegen Erfahrungen<br />

im Viehhandel sammeln könnten, für den gerade die Kenntnis<br />

der örtlichen Verhältnisse wichtig war.<br />

Die Amtsmitglieder übernahmen Verpflichtungen gegen die Landesherrschaft,<br />

den Rat der Stadt, die Bürgerschaft und gegen ihre Mitmeister.<br />

Gegen die ersten beiden bestanden sie fast nur in den A bgaben<br />

bei der Meisterwerdung und dem selbstverständlichen Gehorsam<br />

der Obrigkeit gegenüber. Nur bei den Schlachtern findet sich die Bestimmung,<br />

daß sie kostenlos für die Landesherrschaft schlachten und<br />

einsalzen sollten. An die Stelle des Dienstes an der Gemeinschaft, für<br />

den die Zünfte einst, gewissermaßen als Entgelt, ihre Vorrechte verliehen<br />

bekommen hatten, trat bei den Schlachtern und Bäckern die<br />

Schlacht- und Backpflicht als obrigkeitliche Zwangsbestimmung. Unterschiede<br />

zwischen den Kunden zu machen oder seinem Mitmeister durch<br />

Wettbewerb irgendwelcher Art Abbruch zu tun, galt als unehrenhaft.<br />

Die späteren Amtsartikel der Bäcker und Schmiede halten es schon<br />

für notwendig zu betonen, daß der Meister für jeden arbeiten müsse.<br />

Bei den Zimmerern wird hervorgehoben, daß die Meister ihre Arbeitszeit<br />

einhalten und ihren Bauherrn nicht zu viel Lohn für ihre Lehr-<br />

jungen abverlangen sollten. Die Erwerbsverhältnisse, die im Laufe des<br />

18. Jahrhunderts immer schlechter wurden, gaben dem Gemeinsinn<br />

den Rest1).<br />

3. Freimeister und Bönhasen.<br />

Daß in der Monopolstellung der Amtsmeister eine nicht geringe<br />

Gefahr lag, hatte man schon im Mittelalter erkannt und deshalb die<br />

Einrichtung getroffen, der Allmacht der Zünfte durch die Ernennung<br />

von Freimeistern ein Gegengewicht zu geben. Doch blieb die Erlaubnis<br />

an Leute, die nicht dem Amte unterstanden, immerhin selten und auf<br />

besondere Umstände beschränkt.<br />

1) Der Gemeinsinn äußerte sich schließlich nur noch in der engsten Form,<br />

d. h. er fand nur Anwendung auf die Amtsmitglieder selbst. Die alte Bestimmung<br />

blieb stets in Kraft, nach der die Witwe mit Hilfe eines Gesellen,<br />

den sie sich aussuchen durfte, das Handwerk ihres verstorbenen Gatten<br />

weitertreiben durfte, doch konnte kein Geselle zu dieser Tätigkeit gezwungen<br />

werden. Bei Wiederheirat der W itwe waren für den zweiten Mann überall<br />

bedeutende Aufnahmeerleichterungen vorgesehen, vorausgesetzt, daß dieser<br />

zünftig war; sonst ging das Amtsrecht verloren.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 45<br />

In Jever blieb die Bestellung von Freimeistern bis zum Ende des<br />

17. Jahrhunderts noch eine Ausnahme. 1691 finden wir einen bei den<br />

Schmieden. Vor 1693 gab es einen Freischuster, Die Regierung antwortete<br />

auf ein Gesuch, sie würde erst eine neue Ernennung vornehmen,<br />

wenn der bisherige seine Tätigkeit auf gegeben habe oder gestorben<br />

sei. Bei den Schlachtern wird 1697 die Bewilligung von Freimeisterstellen<br />

für nötig erachtet, weil die Amtsmeister das Fleisch zu<br />

teuer verkauften. Noch 17131) zeigt eine Zusammenstellung, daß die<br />

Zahl der Freimeister sehr gering war. Bei den Küpern und Schneidern<br />

gab es überhaupt keinen. Von den beiden Freimeistern der Bäcker<br />

war der eine, der zugleich Hofbäcker (vgl. u. die Hofhandwerker) war,<br />

unter Hinterlassung von Schulden heimlich verschwunden, der andere<br />

am Alten Markt backte nicht mehr. Der Freischlachter (ebendort)<br />

übte seine Tätigkeit nur gelegentlich aus. Ferner waren je zwei Freimeister<br />

der Sattler, Schuster und Schlosser vorhanden. Dazu kamen<br />

noch ein Büchsenschmied und ein Tischler. Die Anschauung, daß<br />

diese Einrichtung geeignet wäre, nur „Neid und Konfusion" zu stiften,<br />

wurde von der Regierung bald aufgegeben2) . Inzwischen wurde ein<br />

anderer Gesichtspunkt maßgebend, nämlich der, Handwerkern, die aus<br />

geldlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht imstande waren,<br />

die Verpflichtungen eines Amtes zu übernehmen, Gelegenheit zu<br />

bieten, sich durchzubringen. So fielen sie wenigstens nicht der Armenkasse<br />

zur Last, und die Regierung hatte den Vorteil einer wenn auch<br />

geringen Einnahme. Nach 1730 nahmen die Bewilligungen erheblich<br />

zu, am meisten bei Schustern, bei denen von 1732— 43 nicht weniger<br />

als 15 Freimeister in Stadt und Land Erlaubnis erhielten. Bei den anderen<br />

Ämtern herrschten ähnliche Verhältnisse3). Da keine oder nur<br />

eine ungenügende Nachprüfung der Fähigkeiten der Antragsteller vorgenommen<br />

wurde, so zeigten sich bald die größten Mißstände. Bereits<br />

1758 hielt es die Regierung für wünschenswert, die Zahl der Freimeister<br />

für jedes Amt auf zwei zu beschränken, doch erst 1788 fand<br />

der Grundsatz wirklich Anwendung. Seit dem Anfang des 17. Jahrhunderts<br />

ernannte der Landesherr besondere Hofhandwerker, die in<br />

der Regel Freimeister waren, (s. u.). Bei den Bäckern kamen Teilbewilligungen<br />

für Grobbrot und Kuchen, bei den Schmieden für Nagel-,<br />

Huf- und Kleinschmiede vor4). Gelegentlich werden auch Soldaten<br />

‘ ) L.A. XXIII A . 19.<br />

2) L.A. XXIII B 20.<br />

3) Bei den Schneidern 1737— 55: 8, bei den Tischlern 1731— 54: 13, bei<br />

den Schmieden 1731— 59; 11 Bewilligungen.<br />

4) Hufschmied vor 1731, Kleinschmiede 1737, Nagelschmied 1738, Grobbäcker<br />

1758, Kuchenbäcker 1765.


46 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Freimeister; bei den Schneidern sind drei Fälle, bei den Schustern,<br />

Bäckern und Schlachtern je ein Fall bekannt1). Das einzige Gewerbe,<br />

bei dem die Judenfrage eine Rolle spielte, war das der Schlachter.<br />

1697 lehnte die Regierung einen Juden mosaischen Bekenntnisses als<br />

Freimeister ab, nahm aber einen getauften (!) an. Als 1709 ein Freimeister<br />

für die Vorstadt vorgeschlagen wurde, betonte man ausdrücklich,<br />

daß es kein Jude sei2).<br />

Gegen Gewerbetreibende, die keine Berechtigung hatten, vorzugehen,<br />

sahen die Amtsmeister für ihr gutes Recht an, das sie am<br />

liebsten selbst ausübten. Da es bei dieser Jagd auf die sogenannten<br />

Bönhasen oft sehr gewalttätig herging, schritt die Regierung ein. Einzelheiten<br />

solcher Verfolgungen, die sich nicht allein auf die Wegnahme<br />

der Arbeit und des Handwerkszeuges beschränkten, sondern bei denen<br />

oft genug die Hauseinrichtung zerstört und die Opfer halbtot geschlagen<br />

wurden, sind für Jever nicht überliefert, doch zeigen die wiederholten<br />

Verbote, daß schlimme Ausschreitungen dabei vorgekommen<br />

sein müssen. Es wurde deshalb bestimmt, daß das Jagen von Bönhasen<br />

nur mit Hilfe der Obrigkeit unter Begleitung von Pedellen oder<br />

Auskündigern zulässig sei. Bis 1758 kamen die Ämter immer wieder<br />

darum ein, sich selbst Recht verschaffen zu dürfen; sie hatten natürlich<br />

keinen Erfolg damit. Später ist nicht mehr die Rede davon3) .<br />

4, Die Organisation der Ämter.<br />

An der Spitze des Amtes standen zwei Meister, die verschieden<br />

benannt wurden4). Bei den Schustern hießen sie Gildemeister, bei den<br />

Tischlern und Küpern Altmeister, sonst Elterleute. Seit 1669 findet<br />

sich die Bestimmung, daß jedes Jahr der erste Eltermann, nachdem er<br />

Rechenschaft abgelegt hatte, abtrat und der zweite seine Stelle einnahm;<br />

für ihn wurde dann ein neuer bestimmt. Es war Pflicht, das<br />

Amt anzunehmen; Wiederwahl war nicht verboten, sie wurde im 18.<br />

Jahrhundert häufiger, doch stets erst im Abstand von wenigstens<br />

2 Jahren. Ursprünglich sollten die Elter leute vom Rat bestimmt wer-<br />

J) Schneider 1755, 1777; Schuster 1744; Bäcker 1786 (Kommisbäcker);<br />

Schlachter 1768 (Marketender).<br />

2) L.A. X X III B 21.<br />

3) Schneider 1706, 1734, 1744; Tischler 1744, 58; Schuster 1758. Bei den<br />

Küpern galt auch der Geselle, der sich ohne Berechtigung niederließ, als<br />

Bönhase. 1669 behandelten die Oldenburger Bäcker sogar den Hofbäcker<br />

wie einen Bönhasen (vgl. K. Hoyer a. a. 0 . S. 261.)<br />

4) Bei den Schmieden 3 später 4 Elterleute (2 Stadt- u. 2 Landmeister).<br />

Nur die städtischen Elterleute wechselten jährlich. Bei den Tischlern und<br />

Zimmerern von jeder Berufsart ein Eltermann.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 7<br />

den; tatsächlich bestätigte er nur die Vorschläge des Amtes; von Einwendungen<br />

hören wir nichts. Sie hatten die Leitung des Amtes und<br />

führten die Schlüssel zur Lade, die bei dem ersten Eltermann stand1)<br />

und in der das Privileg und die anderen Schriftstücke sowie das Geld<br />

aufbewahrt wurden. Die Amtsversammlungen fanden bei geöffneter<br />

Lade statt. Unterstützt wurden die Elterleute durch den Jungmeister,<br />

auch Bote genannt, der die Versammlungen und die Begräbnisse anzusagen<br />

und bei den Zehrungen aufzuwarten hatte. Er blieb solange in'<br />

seiner Tätigkeit, bis ein neuer Meister eintrat. Auch die Meistersöhne<br />

waren von diesem Amt nicht befreit, das meist recht ungern<br />

ausgeübt wurde. Bei den Schmieden gab es ferner zwei Beisitzer oder<br />

Schaffer, die die Elterleute bei der Rechnungsführung zu unterstützen<br />

hatten. Bei den Tischlern und Küpern waren die Gesellen durch<br />

2 Altgesellen vertreten, die bei der Amtskost am Meistertisch sitzen<br />

durften.<br />

Der Tag der meist einmaligen jährlichen Zusammenkunft des<br />

Amtes war in den Amtsrollen genau festgelegt. Sie fand mit Ausnahme<br />

von den Schlachtern und Schneidern, die im Winter tagten,<br />

im Sommer statt2). Sie war stets mit der Amtszehrung verbunden, zu<br />

der alle pünktlich erscheinen mußten. Jeder hatte Beitrag zu zahlen,<br />

auch wenn er aus irgendeinem Grunde nicht kommen konnte. Zu<br />

diesem Feste wurde auch der Rat eingeladen; es nahm meist der als<br />

Aufsichtsbeamter bestimmte Morgensprachsherr teil3).<br />

Nach der Rechnungsablage und der Einsetzung der Elter leute<br />

wurde das Ein- und Ausschreiben der Lehrjungen vorgenommen. Für<br />

die Amtsmahlzeit wurde bei den Bäckern und Schneidern vom Eltermann<br />

ein Rumormeister bestellt, der für Ordnung zu sorgen und auf<br />

Feuer und Licht zu achten hatte. Er nahm den Meistern nach dem<br />

Essen die Messer ab und gab sie ihnen erst am folgenden Tage wieder.<br />

W er im Zorn mehr Bier verschüttete, als er mit der Hand oder dem<br />

Fuß bedecken konnte, machte sich strafbar. Zank erregen, Fluchen,<br />

Gotteslästern sowie Beleidigungen durch ehrenrührige Reden4) wurden<br />

J) Schneider 1735 C.C.J. fV, 165.<br />

2) Schuster: St. Jacobi Apost. (Juli 25), Bäcker: Montag nach St. Bar-<br />

tholomae, Küper: Mittwoch nach Johanni, Schneider: St. Bartholomae<br />

(Aug. 24), Tischler: Dienstag nach Pfingsten, Schlachter: Stephani (25. Dez.)<br />

seit 1762 am 2. Januar, Schmiede: Montag nach dem 1, Advent, später<br />

Michaelis.<br />

3) Sie werden kaum erwähnt. Einmal bittet ein Amt um einen „tüchtigen"<br />

Morgensprachsherrn. Die Regierung zeigt Verständnis für die Ablehnung des<br />

bisherigen. 1744 Tischler L.A. X X III 28.<br />

4) Bei den Schlachtern machte sich auch der strafbar, der ehrenrührige<br />

Vorwürfe auf sich beruhen ließ.


48 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

streng geahndet. Raufereien wurden besonders schwer bestraft. Bei<br />

den Schneidern durfte der Eltermann sogar mit dem Stock dazwischen<br />

schlagen, wenn die Streitenden sonst nicht zu trennen waren. Wenn<br />

der Schluß verkündet war1), sollte jeder ruhig nach Hause gehen.<br />

Bei den Schneidern wurde 1669 eine viermalige Zusammenkunft festgesetzt2)<br />

; sie sollten auch dazu dienen, Mißhelligkeiten zwischen Meistern<br />

und Gesellen durch Aussprachen zu schlichten. Auch die<br />

Tischler kannten ursprünglich vier „Quartale“3) . Später gab es bei allen<br />

nur noch die eine Zusammenkunft.<br />

Jede Innung besaß ein Amtssiegel, das die Elterleute führten. Bei<br />

den Schustern, Schmieden, Schneidern und Tischlern haben sich die<br />

ältesten Stücke, die noch aus den Gründungsjahren stammen, erhalten.<br />

Bei öffentlichen Aufzügen erschienen die Ämter mit ihrer<br />

Fahne; die der Schneider aus dem Jahre 1669 ist noch vorhanden4)<br />

(vgl. Abbild.).<br />

5. Die Aufnahme der Meister5).<br />

Zur Aufnahme in die Zunft mußten die Vorbedingungen erfüllt<br />

sein, die das Amt hinsichtlich Herkunft und Ausbildung stellte. Ehrliche,<br />

eheliche und freie Geburt waren von den Bewerbern durch den<br />

Geburtsbrief nachzuweisen. W er ihn nicht vorlegen konnte, mußte<br />

sonst glaubwürdige Zeugnisse vorweisen und Bürgen stellen. Ferner<br />

war der Beweis zunftmäßiger Ausbildung durch den Lehrbrief und die<br />

ordnungsmäßige Erfüllung der Wanderpflicht durch die Kundschaften<br />

unerläßlich; später wurde diese durch das Wanderbuch dargetan.<br />

Dazu kam die Mut- oder Sitzzeit von 1— 2 Jahren bei einem jeverschen<br />

Meister. Erst wenn alle diese Bedingungen als erfüllt angesehen oder<br />

Befreiungen durch die Regierung nachgewiesen wurden, durfte der<br />

Geselle sich um die Aufnahme bewerben. In den beiden ältesten<br />

Ariikelrollen der Schuster und Schlachter wird auch die Gewinnung<br />

des Bürgerrechts verlangt. Später hielt man diese Forderung wohl für<br />

überflüssig, da ein Meister, der kein Bürger war, undenkbar war.<br />

Die Bäckerrolle setzt ein sehr umständliches Meldeverfahren fest.<br />

Danach zeigte der Bewerber zuerst den Elterleuten seine Absicht an;<br />

diese berichteten seinen Wunsch an Bürgermeister und Rat, die sich<br />

von den Elterleuten ein Gutachten geben ließen. Dann stellte sich der<br />

*) Bei den Schneidern 9 Uhr.<br />

2) Die Termine sind nicht genannt.<br />

3) Bartholomi, Martini, Fastnacht, Dienstag nach Pfingsten.<br />

4) Jev. Heimatmuseum. Die Fahne der Tischler und Zimmerer ist ohne<br />

Jahreszahl. Vom Schmiedeamt ist noch ein altes Amtszeichen erhalten, das<br />

gekreuzte Schlüssel, Hammer und Hufeisen zeigt.<br />

6) L.A. X X III B 20, 21, 25— 29.


Jever, Heimatmuseum. Aufn. A. Freytag, Jever.<br />

Zunftfahne der Bäcker in Jever aus dem Gründungsjahre des Bäckeramts.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 4 9<br />

Bewerber selbst auf der Ratsstube vor. Anstelle dieser Weitläufigkeiten<br />

trat bald die einfache Anmeldung des Gesellen auf dem Rathause1).<br />

Die Anfertigung der Meisterstücke fand unter Aufsicht der Meister<br />

statt. Zahl, Art und Ausführung der Stücke waren genau geregelt2)<br />

(vgl. die einzelnen Gewerbe).<br />

War das Meisterstück anerkannt worden, so fand die Aufnahme<br />

statt, für die Gebühren an die Landesherrschaft, die Stadt und das<br />

Amt zu entrichten waren; auch wurde meist noch ein Betrag an die<br />

Armen gegeben. Bei den Schlachtern, Bäckern, Schmieden und<br />

Schneidern war schon die Bewerbung mit Kosten verbunden. Dazu<br />

kamen noch die hohen Ausgaben für die Meisterkost3). Häufig mußte<br />

der junge Meister, wenn er die hohen Kosten nicht aufbringen konnte,<br />

seine Tätigkeit gleich unter Schulden beginnen. Am höchsten waren<br />

die Gebühren bei den Schmieden (29 R t.); sie wurden 1754 (auf<br />

20 Rt.) herabgesetzt. Die Schlachter bezahlten 20 (später 10 Rt.),<br />

während die Kosten bei den Bäckern ständig auf gleicher Höhe (26Rt.)<br />

blieben. Am wenigsten hatten die Meister der zuletzt gegründeten<br />

Ämter zu bezahlen (die Küper 1034, die Glaser 5 R t.)4). Die Abgaben<br />

an die Regierung führten erst die Zerbster ein, die auch hierbei die<br />

Gelegenheit benutzten, ihre Einkünfte zu steigern. Die Ämter selbst<br />

hatten kein Interesse daran, die Aufnahme irgendwie zu erleichtern,<br />

da sie fast alle „übersetzt", d. h. zu voll waren und jede Möglichkeit<br />

festhielten, die sich ihnen bot, um die unerwünschte Vergrößerung<br />

der Meisterzahl zu verhindern.<br />

G ebühren Schuster Schlachter Schneider B ä cker Schm iede Tischler K üper G laser<br />

H errschaft _ ___ 6 Rt. 10 Rt. 10 Rt. 4 Rt. 6 Rt. —<br />

R a t . . . . —<br />

— 2 Rt. 8 Rt. 8 Rt. — — —<br />

A m t . . . 20 Gt. 20 Rt. 8 Rt. 6 Rt. 8 R t 2 Rt. 5 Rt. 3 Rt.<br />

A rm e . . . 1 Gt. — _ 2 Rt. 3 Rt. — */2 RU 2 Rt.<br />

1) Versäumnis der Anmeldung 1721 und 1727 bei den Tischlern, Schneidern,<br />

Schmieden und Küpern gerügt (L.A. XXIII B 19).<br />

2) Im Heimatmuseum in Jever sind einige Arbeiten jeverscher Meister<br />

aus dem 18. Jahrhundert vorhanden, hauptsächlich von den Schmieden. A ls<br />

eine hervorragende Leistung muß die Geldkiste des Kleinschmiedes Dietrich<br />

August Bockelohe (1749— 90) angesprochen werden. Ferner finden sich<br />

Bloodhüdelsroste, ein Schrankschloß mit 4 Riegeln, ein Ofenfuß und Mangel­<br />

bretter dort.<br />

3) 1699 soll sich jeder gegen 2 Rt. davon freikaufen können (nur für<br />

Landmeister? L.A. XXIII B 19).<br />

4) Gebühren nach den Privilegien (nach einer Umfrage von 1695<br />

L .A . XXIII B 19).<br />

Oldenburger Jahrbuch<br />

4


5 0<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

6. Die Ausbildung der Lehrjungen und das Gesellenwesen1).<br />

Vorbedingung für die Annahme eines Lehrjungen war ebenso wie<br />

später bei der Aufnahme ins Amt der Nachweis der ehelichen, ehrlichen<br />

und freien Geburt durch den Geburtsbrief (s. o.). Auf die V orlegung<br />

wurde nur verzichtet, wenn der Lehrjunge ein „bekanntes<br />

Kind" war, besonders wenn es sich um den Sohn eines Meisters desselben<br />

oder eines anderen Amtes handelte. Die Ursachen, weshalb man<br />

den größten Wert auf eine makellose Herkunft legte, waren doppelter<br />

Art; hing hiervon doch der Ruf des Amtes im „Auslande" ab und<br />

entstanden doch sonst dem Lehrjungen bei seinem späteren Fortkommen<br />

unüberwindliche Schwierigkeiten. Bei der Aufnahme wurde<br />

in der Regel eine geringe Gebühr für das Einschreiben in das Lehrlingsbuch<br />

erhoben. Über das Lehrgeld haben wir nur bei den Bäckern<br />

(s. diese) nähere Angaben. Die Dauer der Lehrzeit war verschieden;<br />

bei den Schmieden war die Festsetzung sehr willkürlich (vgl. die einzelnen<br />

Ämter). Eine Bevorzugung der Meistersöhne ist nirgends angegeben.<br />

Die Ausbildung der Lehrjungen konnte nur sichergestellt<br />

werden, wenn sie ihre Lehrzeit gut ausnutzten und vor allem die<br />

Meister es nicht an der nötigen Unterweisung fehlen ließen. Immer<br />

aber wurde wieder Klage geführt, daß die Meister ihre Jungen zu<br />

viel im Haushalt beschäftigten, so daß die fachmäßige Ausbildung<br />

darüber zu kurz kam. Nicht minder schädlich wäre es gewesen, wenn<br />

der Meister zu viele Lehrjungen in seinem doch meist kleinen Betriebe<br />

gleichzeitig beschäftigt hätte. Die Bestimmung, nur einen Lehrjungen<br />

zur Zeit zu halten, die sich fast bei allen Ämtern findet, sollte zweifellos<br />

auch im Sinne der gründlichen Unterweisung wirken. Es kam aber<br />

oft genug vor, daß ein Lehrjunge am Schlüsse seiner Lehrzeit doch<br />

nicht über die nötigen Kenntnisse verfügte. Deshalb führte die Regierung<br />

das Gesellenstück ein (vgl. die Schmiede). Die Lehrlinge wurden<br />

meist hart behandelt. Wenn es trotzdem in Jever nur selten vorkam,<br />

daß sie wegliefen, so lag das sicher nicht an der Drohung, daß<br />

sie von niemand wieder angenommen werden sollten. Sie waren vielmehr<br />

von Hause aus meist an eine harte Behandlung gewöhnt. Am<br />

Schluß der Lehrzeit wurden sie aus dem Jungenbuch ausgeschrieben<br />

und erhielten den Lehrbrief ausgehändigt. Viele von ihnen wurden<br />

später in ihrer Heimat Meister. Eine Altersgrenze gab es früher nicht.<br />

Erst 1802 durften Jungen unter 14 Jahren nicht genommen werden.<br />

War der Lehrjunge Geselle geworden, so ging er auf Wanderschaft.<br />

Die Zahl der Wanderjahre war verschieden, meist 2— 3 Jahre<br />

*) L.A. X X III B 20, 21, 25— 29.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 51<br />

(vgl. d. einz. Äm ter). Befreiung von der Wanderschaft wurde bei Einheimischen<br />

gewährt, wenn der Vater des Gesellen gestorben und der<br />

Sohn als Ernährer der Familie zu Hause nötig war. Im 18. Jahrhundert<br />

stieg die Abneigung gegen das Wandern. Manche Gesellen,<br />

vor allem wenn sie Meistersöhne waren, blieben in der unmittelbaren<br />

Umgebung der Stadt. Daher verfügte die Regierung, daß die Wanderzeit<br />

nur gelten sollte, wenn sich der Geselle wenigstens 10— 15 Meilen<br />

von seinem Heimatort entfernt hätte1), ein immerhin bescheidenes Verlangen.<br />

Diese Bestimmung zeigt aber auch, daß man für den eigentlichen<br />

Sinn der Wanderschaft kein Verständnis mehr besaß. Über den<br />

Verlauf seiner Wanderschaft mußte sich der Geselle durch die Kundschaften<br />

ausweisen. Bevor sich die Gesellen zum Eintritt ins Amt<br />

melden durften, mußten sie wenigstens 1— 2 Jahre bei einem jeverschen<br />

Meister gearbeitet haben. Man nannte diese Zeit die Mut- oder Sitzjahre<br />

(vgl, die einz. Ämter). Später kauften sich viele von dieser<br />

Wartezeit frei.<br />

Kam ein fremder Geselle nach Jever, so mußte er auf der Herberge<br />

um Arbeit fragen. Zunächst verpflichtete er sich dem Meister<br />

nur auf 8 Tage; dieser durfte ihn nur nach Vorweisen seines Lehrbriefs<br />

einstellen. Sagte dem Gesellen das Arbeitsverhältnis nicht zu,<br />

so mußte er seinem Meister am Sonntage nach dem Mittagessen Bescheid<br />

geben; meist hatte er dann weiter zu wandern und durfte nicht<br />

zu einem anderen Meister gehen2). Heimliches Abwandern mußte der<br />

Obrigkeit angezeigt werden.<br />

Die Zahl der Gesellen war bei den Schustern, Schmieden und<br />

Schneidern auf 2 beschränkt, bei den übrigen Ämtern beliebig (vgl.<br />

auch das Amt der Tischler und Zimmerer).<br />

Besondere Gesellenverbände finden sich bei den Schustern, Tischlern<br />

und Schneidern3). Zuerst reichten die Schustergesellen wiederholt<br />

Entwürfe ein (1706, 1718, 1722). Auf die letzte Eingabe wurde<br />

ihnen erklärt, sie sei unförmig und dunkel. Darauf reichten sie 1724<br />

eine ähnliche ein und behaupteten, sie hätten sie nach dem Muster von<br />

Hamburg, Wismar und anderen Städten aufgesetzt. Eine Bestätigung<br />

liegt nicht vor. Ähnlich lautete der Entwurf, den die Schneider 1738<br />

vorlegten, Auch hier wissen wir nicht, ob er genehmigt wurde. Dagegen<br />

liegt eine Bewilligung der Tischlergesellen-Brüderschaft von<br />

1758 vor, die noch 1804 bestätigt wurde. Aus diesen Artikeln ergibt<br />

sich über das Wesen dieser Verbände folgendes Bild:<br />

*) J.St.A. Artikelbuch 1805.<br />

2) So bei den Tischlern.<br />

3) L.A. X X III B 20, 26, 28.<br />

< •


5 2<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Die Brüderschaft wählte zwei Vorsteher, die auch den Schlüssel<br />

zur Lade führten. Bei den Tischlergesellen hatte auch ein Amtsmeister<br />

einen Schlüssel; bei den Schneidern sollte von den Elterleuten<br />

ein Beisitzer bestimmt werden, bei den Schustergesellen ist von<br />

einer Teilnahme der Meister nicht die Rede. Die Tätigkeit des Junggesellen<br />

entsprach der des Jungmeisters im Amt. Die Bestimmungen<br />

erstreckten sich auf die Abhaltung der Krugtage, auf das Verhältnis<br />

zu den Meistern, sowie der Mitglieder untereinander und auf Krankenpflege<br />

und Bestattung.<br />

Alle Vierteljahre wurde eine Hauptzusammenkunft gehalten, die<br />

Wanderzeit hieß, weil sie jedesmal vor dem Termin des Abwanderns<br />

lag. Die Tischler nannten sie die „vier guten Montage". Außerdem<br />

gab es alle vier Wochen einen Krugtag. Zu den Veranstaltungen mußte<br />

jeder seinen Beitrag bezahlen, auch die Meister, die bei einem anderen<br />

tätig waren, die beweibten Gesellen und die Soldaten, die ein Handwerk<br />

trieben. Auch Unzünftige sollten zugelassen sein, wenn sie bei<br />

einem Meister arbeiteten. Es wurde aber den Gesellen ausdrücklich<br />

eingeschärft, diese anständig zu behandeln.<br />

Das Benehmen bei den Zusammenkünften war genau geregelt. Vor<br />

der geöffneten Lade hatte jeder mit entblößtem Haupte dazusitzen.<br />

Fluchen, Spielen und Tabakrauchen war bei den Zusammenkünften<br />

untersagt1). Mutwilliges Bierverschütten stand wie bei den Amtsversammlungen<br />

unter Strafe. Auch mußten die Messer abgegeben werden.<br />

Diese Schneiderartikel glaubten sogar das Degenfechten untersagen zu<br />

müssen.<br />

Die Bestimmungen über die Annahme von Gesellen entsprachen<br />

denen der Amtsrollen (s. o.). Ging ein Geselle ohne Bezahlung seiner<br />

Schulden fort, so wurde er auf das schwarze Brett geschrieben. Schickte<br />

er das Geld nicht, so kam er ins schwarze Buch. Die Lehr jungen<br />

wurden nach Ablauf ihrer Lehrzeit feierlich aufgenommen und durften<br />

den Willkomm trinken.<br />

Wurde ein Geselle krank, so versorgte ihn der Krugvater, Bei<br />

mühsamer Pflege konnte er die Unterstützung durch Gesellen verlangen.<br />

Auch hatten diese die Pflicht, den Kranken abends abwechselnd<br />

zu besuchen. Konnte der Genesene nicht bezahlen, so sprang<br />

die Gesellenkasse ein. Starb der Kranke, so wurde er von der Brüderschaft<br />

zu Grabe getragen. Auch an der Beerdigung von Meistern und<br />

Meisterfrauen hatte sie teilzunehmen.<br />

1) Auf der Straße herrschte Rauchverbot. 1792 wurden zwei Schustergesellen,<br />

die dagegen gehandelt hatten, zu einer Geldstrafe von 2 Gt. oder<br />

4 Tagen Haft verurteilt. (Jev. Wbl. 1792).


Das Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 53<br />

II. Abschnitt: Die einzelnen zünftigen GewerbeM.<br />

1. Das Amt der Schuhmacher, Riemer und Sattler2).<br />

Die erste Amtsverleihung in der Stadt Jever erfolgte am 16. April<br />

1590 durch den Grafen Johann von Oldenburg an die Schuhmacher,<br />

Riemer und Sattler3). Die neue Zunft stiftete bei ihrer Gründung der<br />

Kirche einen Leuchter mit 16 Lichtern und verpflichtete sich, ihn auf<br />

eigene Kosten dauernd mit Kerzen für die Beleuchtung bei der Frühkirche<br />

zu versorgen. Der alte christliche Charakter der Ämter, der<br />

bei den mittelalterlichen Zünften stark hervortrat, äußerte sich in<br />

Jever nur noch in dieser Stiftung, die völlig allein steht.<br />

Einigermaßen zuverlässige Angaben über die zahlenmäßige Besetzung<br />

des Amtes besitzen wir erst aus der Mitte des 18. Jahrhunderts.<br />

Wenn 1720 20 und 1743 35 Meister (von denen nur 5 Gesellen<br />

hielten), erwähnt werden, so bleibt dabei unklar, ob es sich bei den<br />

Zahlen nur um Stadtmeister oder um die Gesamtzahl in Stadt und<br />

Land handelt. 1760 gab es 32 Stadt- und 16 Landmeister; die Zahl<br />

stieg bis 1793 auf 42 bzw. 52 Meister. 1797 waren es zusammen über<br />

100, während 1804 die Zahl der Landmeister auf 70 angewachsen und<br />

die der Stadtmeister auf 38 zurückgegangen war. Jedenfalls war das<br />

Amt im 18. Jahrhundert, wie man es damals zu nennen pflegte, stark<br />

„übersetzt".<br />

Drei Gewerbe waren in dem Amte vereinigt. Ohne Bedeutung<br />

waren wohl von jeher die Riemer; im 18. Jahrhundert entsann man<br />

sich ihrer überhaupt nicht mehr. Der Sattler waren stets nur wenige,<br />

und sie standen nur in sehr losem Zusammenhang mit dem Amte, mit<br />

dem sie lediglich gemeinsame Interessen am Gerberhofe hatten. 1696<br />

hören wir zuerst von ihnen. Damals gab es zwei, die aber nicht mit<br />

Namen genannt werden. Der eine war alt und wohlhabend und arbeitete<br />

selbst nicht mehr, sondern ließ sein Gewerbe durch einen Gesellen<br />

treiben. Vermutlich war es der ein Jahr später erwähnte,<br />

früher aus Oldenburg eingewanderte Andreas Wittmann, dessen Sohn<br />

Conrad zu der Zeit in Wien arbeitete und für den der Vater sich vergeblich<br />

um eine Freimeisterstelle bemühte. 1704 wurde dieser Conrad<br />

*) Für den ganzen 2. Abschnitt: Corp. Const. Jev. Vol. I— VIII (L.A.)<br />

zit. C .C .J. ( = Sammlung gedruckter herrschaftlicher Verordnungen.)<br />

2) Für diesen Teil besonders: Landesarchiv (zit. L.A.) X X III B 20; Jever,<br />

Stadtarchiv (zit. J.S t.A .) C VIII 4.<br />

3) Bestätigt: 1669, Aug. 11; 1674, Nov. 18; 1722, Febr. 16 (mit Zusätzen);<br />

1745, Juni 3 (mit Zusätzen); 1752, Juni 9 (mit Zusätzen); 1758, Ju li 18 (mit<br />

Zusätzen); 1793, Ju li 1; 1798, März 16; 1802, April 4. Ferner Zusätze: 1603,<br />

Jan . 2; 1651, Nov. 18.


5 4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Wittmann Hofsattler1). Der andere der 1696 Erwähnten war allein<br />

und hatte angeblich wenig zu tun. Als dritter meldete sich Christian<br />

Conrad Lesche zur Stelle eines Freimeisters, da er die 40 Rt. Aufnahmekosten<br />

nicht auf bringen könnte; er wurde 1697 Hofsattler. 1723<br />

kommen wieder zwei Sattler vor: Hinrich Frey und Helmerich Helme-<br />

richs. Sie waren in Bremen ins Amt geschrieben; für Jever galten sie<br />

als Freimeister. Seit dem Ende des 17. Jahrhunderts waren jedenfalls<br />

keine Sattler mehr im Amt; 1746 wurde als selbstverständlich angenommen,<br />

daß ihre Aufnahme überhaupt nicht in Frage kam. 1721<br />

wurde Frey Hofsattler. Dem Fürsten Friedrich August paßte es aber<br />

gar nicht, daß eines seiner Landeskinder in einer „ausländischen"<br />

Innung eingeschrieben war; er besorgte „Beschwerlichkeiten". Deshalb<br />

riet er den Sattlern, lieber selbst ein Amt zu bilden. Doch davon<br />

konnte bei zwei Mitgliedern schon wegen der Kosten keine Rede sein.<br />

Deshalb suchten sie sich mit den Glasern, die mit ihren 5 Gewerbegenossen<br />

in einer ähnlichen Lage waren, zusammenzutun. Sie entwarfen<br />

gemeinsame Artikel, aber der Fürst lehnte diese Verbindung<br />

als zu ungleichartig ab. Auch der Hinweis darauf, daß in Magdeburg<br />

die Glaser, Sattler und Maler gemeinsam ein Amt hätten, fruchtete<br />

nichts. Er wünschte vielmehr eine Vereinigung mit den Gerbern, doch<br />

von diesen gab es in Jever nur einen, da die Schuster die Bereitung<br />

ihres Leders selbst besorgten. An die Stelle von Hinrich Frey trat<br />

1732 Tobias Friese, dessen Sohn auch wieder Sattler wurde. Dieser<br />

und der Stiefsohn von dem älteren Tobias Friese Conrad Hinrich<br />

Helmerichs, der ebenfalls Hofsattler wurde, kommen noch 1790 vor.<br />

1793 wurde ein Geselle von Friese Johann Joachim Christoph Poepke<br />

Hofsattler. Schon 1759 war der Sattlergeselle Magnus Brünig nach<br />

Erlassung der Sitzjahre Meister geworden. Ob er länger in Jever<br />

blieb, ist zweifelhaft. Es waren also meist zwei Sattler in Jever, von<br />

denen einer Hofsattler war. Von einer Verbreitung des Gewerbes auf<br />

dem Lande erfahren wir nichts; man muß annehmen, daß die Schuster<br />

diese Tätigkeit dort mit wahrnahmen. So war das Amt nach Lage der<br />

Umstände allmählich zu einem reinen Schusteramt geworden, und die<br />

Bezeichnung nach drei Gewerben entsprach den Verhältnissen sehr<br />

bald nicht mehr.<br />

Die Rolle von 1590 behielt den Schustern den Einkauf von Leder<br />

vor. Es herrschte der Grundsatz der gemeinsamen Beschaffung durch<br />

das Amt. Erst wenn dieses seinen Bedarf gedeckt hatte, durften andere<br />

auf dem Markte kaufen. Jedes „In-den-Kauf-fallen" war verboten.<br />

Das mußte auch der Hofschuster der Gräfin-Witwe von Oldenburg,<br />

J) Vgl. Abschnitt 3: Hofhandwerker.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 55<br />

die in Neuenburg wohnte, erfahren. Die Schuster nahmen ihm das erhandelte<br />

Leder weg. Als sie allerdings erfuhren, wen sie betroffen<br />

hatten, entschuldigten sie sich und erhielten Verzeihung zugesichert.<br />

Dieses Vorrecht mußte auch zu Reibungen mit fremden Händlern und<br />

einheimischen Kauf leuten führen; mit diesen hatten die Schuster deswegen<br />

1699 einen Prozeß. Auch später mußten sie sich öfter gegen<br />

ihren unberechtigten Lederhandel wenden; über die Fremden beklagte<br />

das Amt sich schon 1663. Im 18. Jahrhundert wuchsen die Schwierigkeiten<br />

der Rohstoffbeschaffung. Den Schustern fehlte es an Bargeld,<br />

so boten sie zu wenig und konnten keine Häute bekommen (1743). Da<br />

diese immer mehr nach auswärts verschickt wurden, erließ die Regierung<br />

1752 zuerst ein Ausfuhrverbot, das oft erneuert und 1788 auch<br />

auf Roßleder ausgedehnt wurde1). Die Verwendung von Häuten von<br />

Tieren, die einer Seuche erlegen waren, war ursprünglich verboten. Da<br />

sie anderswo aber überall erlaubt war, hob man das Verbot auch in<br />

Jever auf. Die Regierung suchte diesen Schwierigkeiten, so gut es<br />

ging, abzuhelfen. Schon 1761 wollte sie den Lederpreis regeln. Jeder<br />

sollte seinen Vorrat dem Amt anbieten, und die Ausfuhr nur gegen<br />

einen besonderen Ausweis gestattet sein. Aber die Schuster durchkreuzten<br />

selbst die Absichten und benutzten ihr Handelsvorrecht zur<br />

Erlangung persönlicher Vorteile, indem sie sich von fremden Kaufleuten<br />

als Mittelsmänner bei dem Lederhandel gebrauchen ließen.<br />

Die Lederbereitung geschah auf dem amtseigenen Gerberhof, wo<br />

jeder Meister seine Kufe besaß. Die Aufsicht, die Pflicht der Elterleute<br />

war, ließ im 18. Jahrhundert sehr zu wünschen übrig. 1725 wird<br />

ein Diebstahl erwähnt, der unaufgeklärt blieb. 1700 erlitt ein Meister,<br />

den das Amt ausgestoßen hatte, dadurch erheblichen Schaden, daß<br />

man ihn nicht mehr in den Gerberhof ließ. Er hatte geäußert, daß die<br />

Meister zu Schelmen würden, wenn sie die Verordnungen der Regierung<br />

nicht achteten. Daraufhin hatten ihn seine Mitmeister verprügelt.<br />

Die Kammer erzwang die Zurücknahme des Amtsbeschlusses mit dem<br />

Hinweis, daß es kein Recht habe, einen Meister von sich aus auszustoßen2).<br />

Die Kufen vererbten sich, doch durfte der Mann einer Amtstochter,<br />

wenn er Freimeister war, diese nicht benutzen. Es blieb ihm<br />

nichts anderes übrig, als bei der Regierung um Anlage einer Kufe<br />

außerhalb des Gerberhofes einzukommen (1751). 1706 baute das Amt<br />

dort ein kleines Haus, das von der Kammer abgabefrei gelassen wurde.<br />

*) 1752, 58, 88, 95, 97 L.A.<br />

2) 1706, ferner bei den Tischlern 1774 wegen der Beschuldigung einer<br />

Holzunterschlagung. Auch hier erzwang die Regierung die Wiederaufnahme.


56<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Auch der Verkauf von Schuhwerk war dem Amte Vorbehalten1).<br />

Der Absatz litt im 18. Jahrhundert sehr unter dem Hausierhandel aus<br />

Ostfriesland. Die zahlreichen Schuster in Wittmund und Neustadt-<br />

Gödens2) überschwemmten das Land mit ihren angeblich zwar billigen<br />

aber schlechten Waren, die besonders von den Landleuten gekauft<br />

wurden, die verpflichtet waren, ihrem Gesinde Schuhe zu geben. Die<br />

Einfuhr fremden Schuhwerks war schließlich nicht mehr zu verhindern.<br />

1803 hören wir von einem dreijährigen Prozeß gegen die Kaufleute.<br />

1806 wurde diesen erlaubt, Schuhe zu verkaufen, die die jever-<br />

schen Schuster nicht so gut und billig herstellen könnten. Ihre sonstige<br />

Schuhware müßten sie bis zum Beginn des nächsten Jahres absetzen.<br />

Das bedeutete praktisch die Aufhebung des Schustermonopols.<br />

Jeder Meister durfte zur Zeit nur einen Lehrjungen, der 3 Jahre<br />

lernen mußte, und zwei Gesellen halten. Ein Antrag auf beliebig viele<br />

Gesellen wurde 1748 abgelehnt. 4 Wanderjahre waren vorgeschrieben;<br />

die sogenannten Mutjahre kannte man bei den Schustern nur bei<br />

Fremden, die 2 Jahre in Jever arbeiten mußten. Nur einmal (1794)<br />

wird einem Meisterssohn gestattet, die vier Wanderjahre durch Mutjahre<br />

zu ersetzen. Die Wanderjahre galten für alle, auch für die Freimeister.<br />

Diese erhielten seit der Mitte des 18. Jahrhunderts immer<br />

leichter Erlaubnis zur Ausübung des Gewerbes. Erlaubniserteilungen<br />

ohne Aufnahme ins Amt oder ohne Bewilligung einer Freimeisterstelle<br />

waren äußerst selten. Sie kamen nur bei Armut und Kränklichkeit vor<br />

(1699, 1739) und gestatteten nur die Tätigkeit als Altflicker.<br />

Zur Anfertigung des Meisterstücks war jeder verpflichtet, der<br />

Amtsmeister werden wollte. Für die Schuster bestand es in einem<br />

Paar Kniestiefel, einem Paar Home (?) Schuhe, einem Paar Meulen<br />

(Pantoffeln) und einem Paar wittlachenen (?) Schuhen. Die Sattler<br />

sollten einen Baum hauen und beschneiden und einen Sattel und<br />

außerdem Leder schwarz und weiß machen. 1724 schlugen sie vor,<br />

als Meisterstück einen verschlossenen Sattel und ein Paar Reittaschen<br />

anfertigen zu dürfen.<br />

2. Das Amt der Schlachter3).<br />

Am 1. Februar 1604 wurde den Schlachtern durch den Grafen<br />

Anton Günther von Oldenburg der von der Stadt Jever eingereichte<br />

1) 1590, 1696 L.A .; 1603, 1651 C .C .J.<br />

2) Angeblich waren in Wittmund 60, in Neustadt-Gödens 40 Schuster;<br />

das Amt übertrieb wahrscheinlich stark.<br />

3) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 21; J.S t.A . C VIII 7.


Das Zunftwesen der Stadt Je v er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 5 7<br />

Amtsbrief genehmigt1). Die Bestimmungen sind im Vergleich zu denen<br />

der Schuster sehr lückenhaft. Über die Zahl der Schlachter fehlen<br />

nähere Angaben. Wir wissen nur, daß 1754 12 Schlachter, davon 5 in<br />

der Stadt, bereit waren, das Amt zu erneuern, 1722 war noch die Bestätigung<br />

nachgesucht worden. Die Innung bestand vermutlich weiter,<br />

doch scheint sie sich nicht irgendwie betätigt zu haben, denn von 1722<br />

bis 1754 hören wir nichts von ihr. Die neuen Artikel wiederholen in<br />

der Hauptsache die von 1604 in etwas anderer Reihenfolge. Ein wichtiger<br />

Unterschied besteht jedoch darin, daß die Innung nur das Privileg<br />

für Ochsen- und Kuhfleisch hatte und daß die Amtsmeister verpflichtet<br />

sein sollten, Vieh zu halten, das sie aber nicht mit Kohl<br />

füttern durften.<br />

Da die meisten Bewohner selbst Vieh hielten, so mußte das Einschlachten<br />

im Herbst einen großen Teil der Schlachtertätigkeit ausmachen.<br />

Für das Schlachten eines Beests durften sie 3 Schaf, für ein<br />

Schwein 1 lA Sch. und für ein Lamm 12 Witte nehmen (1604), Es<br />

wurde ihnen eingeschärft, gut einzusalzen. Der Bedarf an frischem<br />

Fleisch war also nur sehr begrenzt. So konnten die Schlachter, wenn<br />

sie alle zugleich schlachteten, unmöglich ihr Fleisch absetzen. Deshalb<br />

war das Reiheschlachten üblich. Entsprechend dem alten Grundsatz<br />

der Versorgungspflicht hatte das Amt darauf zu achten, daß niemals<br />

Mangel herrschte. Neben den Brot- und Biertaxen finden sich<br />

sonst in der Regel schon frühzeitig Fleischtaxen. In Jever stammt die<br />

älteste erst aus dem Jahre 17592). Da im Gegensatz zu diesen Brot-<br />

und Biertaxen für den ganzen Zeitraum in größerer Zahl vorliegen,<br />

ist wohl anzunehmen, daß Fleischtaxen auch früher nicht Brauch<br />

waren3). Für das Jahr 1759 sind 3 Taxen überliefert (für Februar,<br />

Mai und Ju li). Sie bezogen sich nur auf Kalbfleisch, bei dem man<br />

Hinterviertel mit 4 Rippen und Vorderviertel unterschied. Jede Gruppe<br />

war wieder in 5 Unterabteilungen gegliedert, die den Pfundpreis bei<br />

Abnahme von Stücken zu 8—20 (19) Pfund (bei der ersten in Stücken<br />

zu 8, 9— 11, 12— 14, 15— 17, 18—20, bei der zweiten von 7, 8— 10,<br />

11— 13, 14— 16, 17— 19 Pf.) angaben4). Die Taxe von 1784 betraf nur<br />

Rindfleisch, das nach bester und geringerer Art unterschieden wurde<br />

und bei beiden wieder je noch zwei Wertunterschiede gemacht wurden.<br />

*) Bestätigt: 1669, Juli 10 (mit Zusätzen); 1674, Nov. 28; 1722, Jan. 2;<br />

1754, April 2 (mit Zusätzen).<br />

2) C .C .J. V, L.A. X X III A 5.<br />

3) 1697 waren kaum Taxen vorhanden, da sie sicher von der Regierung<br />

bei der Klage über teures Fleisch erwähnt worden wären.<br />

*) L.A. X X III A 5.


5 8<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

Die letzte Taxe von 1794 bestimmte den Preis für Kalbfleisch in der<br />

Art von 1759, ferner umfaßte sie Preissetzungen für Lamm-, Schaf-<br />

und Schweinefleisch, das in bestes und geringeres unterschieden<br />

wurde. Am billigsten waren die Vorderviertel vom Kalb, am teuersten<br />

das Schweinefleisch. 1794 war das Kalbfleisch um ein Drittel<br />

billiger als 1759. Die Preise wurden von der Regierung offenbar gewaltsam<br />

niedrig gehalten. Die Folge war, daß die Landschlachter, die<br />

seit 1762 auch den Wochenmarkt beschicken durften1), kein Fleisch<br />

mehr in die Stadt brachten und die Juden in der Vorstadt das Rindfleisch,<br />

dessen Verkauf ihnen gestattet war, nur heimlich und teuer<br />

verkauften2). Die Not zwang schließlich dazu, den Schlachtern den<br />

Verkauf ohne Rücksicht auf die Taxe zu erlauben. Doch sollte es<br />

ihnen nur von September bis Weihnachten gestattet sein, also in der<br />

Zeit, in der die meisten Bürger infolge des Einschlachtens noch eingedeckt<br />

waren3). Man ging so weit, jeden in dieser Zeit zum Verkauf<br />

von Rindfleisch auf dem Wochenmarkte zuzulassen. 1794 wurde infolge<br />

des Fleischmangels die Schweineausfuhr gesperrt und ein Jahr<br />

später das Verbot auf Speck und Talglichter ausgedehnt4). Diese Bestimmungen<br />

galten noch 18005).<br />

Über die Hilfskräfte erfahren wir so gut wie nichts, die Lehrzeit<br />

dauerte 3 Jahre.<br />

3. Das Amt der Schneider6),<br />

Am 14. Ju li 1669 wurde den Kleidermachern von der Fürstin<br />

Sophia Augusta von Anhalt auf den Antrag von 17 Schneidern ein<br />

Amt verliehen7). Über die zahlenmäßige Besetzung des Amts erfahren<br />

wir nur wenig. 1690 liegen 11 Unterschriften vor; ob alle Amtsmeister<br />

unterzeichnet hatten, ist nicht feststellbar. 1793 gab es über 20 Meister<br />

in der Stadt, 1804 waren sogar 28 Stadt- und 92 Landmeister vorhanden.<br />

Obwohl für die Schneider in ihrem Privileg und auch später<br />

wiederholt der Beitrittszwang8) für alle, die dieses Gewerbe in Stadt<br />

1) C .C .J. V 357.<br />

2) L.A . X X III A 5.<br />

3) C .C .J. V 290, VI 556.<br />

4) C .C .J. VIII 27, 40.<br />

5) C .C .J. VI 118.<br />

•) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 26, J.S t.A . C V III 6.<br />

7) Bestätigt: 1674, Nov. 28; 1720, Aug. 17; 1745, Juni 3 (mit Zusätzen);<br />

1751, Juli 15; 1758, Juni 30 (mit Zusätzen); 1793, Ju li 1 (mit Zusätzen); 1798,<br />

M ärz 16. (mit Zusätzen); 1802, M ärz 31.<br />

8) 1694, 1706, 1708, 1789, L.A .; 1762, 1789 C .C .J.; 1746, 1770, 1783 zitiert<br />

Jev . Wbl. v. 16. März 1796.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 5 9<br />

und Land ausüben wollten, ausgesprochen wurde, kümmerten sich die<br />

Stadtmeister doch im ganzen nicht so viel um ihre Amtsgenossen auf<br />

dem Lande, wie es bei den anderen Ämtern der Fall war. Gelegentlich<br />

suchten aber auch sie über die Grenzen, die durch die Land-<br />

meisterverordnung von 1699 gezogen waren, hinauszugreifen. So sahen<br />

sich die Landmeister deshalb 1710 veranlaßt, sich über die unberechtigte<br />

Erhebung von Bier- und Tabakgeld seitens der Stadtmeister zu<br />

beschweren1). Jene klagten dagegen, daß ihr Verdienst sehr gering<br />

sei und sie durch die Bönhasen in ihrem Erwerb sehr beeinträchtigt<br />

würden2). Als maßgebend wurde bei der Begründung des Amtes für<br />

die Einbeziehung der Landmeister ferner geltend gemacht, daß man<br />

ihre Beiträge zur Errichtung und Erhaltung einer Gesellenherberge<br />

brauche. Wenn der Gegensatz zwischen Stadt- und Landmeistern bei<br />

diesem Gewerbe nicht so stark wie bei anderen in Erscheinung trat,<br />

so mochte das daher kommen, daß die Herstellung von städtischer und<br />

ländlicher Kleidung doch damals eine recht unterschiedliche Sache war.<br />

Schon bei den Verhandlungen, die der Errichtung des Amtes voraufgingen,<br />

traten zwei Fragen hervor, die die Innung später dauernd<br />

beschäftigten: der Wettbewerb durch die Soldaten- und durch die<br />

Hausschneiderei. Weil die Soldaten von ihrem geringen Sold, besonders<br />

wenn sie eine Familie zu ernähren hatten, nicht leben konnten,<br />

trieben sie alle nebenbei eine Hantierung. Die Regierung begünstigte<br />

begreiflicherweise diesen Nebenerwerb, wo sie konnte, da sie sonst<br />

keine Soldaten bekommen hätte oder sie erheblich höher hätte bezahlen<br />

müssen. Häufig betrieben sie das Schneiderhandwerk. Die Artikel<br />

von 1669 bestimmten daher, daß es den Soldaten nur erlaubt sein<br />

sollte, für ihre Familie, für ihre Kameraden und für Offiziere zu arbeiten.<br />

Wollten sie für Zivilpersonen schneidern, so hatten sie zu<br />

einem Amtsmeister zu gehen und sich von diesem in seiner Werkstätte<br />

beschäftigen zu lassen3). Der noch 1745 betonte Grundsatz, Soldaten<br />

nicht zu Freimeistern zu machen, wurde 1755 zuerst durchbrochen,<br />

zu derselben Zeit, als die Regierung ihre Zurückhaltung bei<br />

der Gewährung von Freimeisterkonzessionen aufgab4). Als die Erwerbsverhältnisse<br />

im 18. Jahrhundert immer schlechter wurden, ging<br />

mancher Geselle lieber zu den Soldaten, zumal er dort auch Schneiderarbeit<br />

verrichten konnte und dazu noch seine Löhnung bezog5). 1751<br />

!) 1710, 1744 L.A.<br />

2) 1706 L.A.<br />

3) 1674, 1697, 1720, 1736, 1743, 1746, 1770, 1771, 1783, 1793 L.A.<br />

4) 1755 ferner 1771 L.A.<br />

5) 1745 L.A.


60<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

wurde sogar ein Soldat, der Kompanieschneider war, gegen die geringe<br />

Gebühr von 5 Rt. ins Amt aufgenommen. Die Zunft machte zuerst<br />

Einwendungen, aber sie wurde mit dem Hinweis gefügig gemacht, daß<br />

die Regierung ihm sonst eine Stelle als Freimeister geben würde1). Am<br />

liebsten hätte das Amt es natürlich gesehen, wenn die Kammer auch<br />

die Untertanen bestraft hätte, die sich von Soldaten Kleider machen<br />

ließen. Doch darauf ließ sie sich nicht ein. Zwar erklärte sie es für<br />

strafbar, wenn jemand einen Unzünftigen zum Schneidern ins Haus<br />

nähme, aber sie gab nicht zu, daß der bestraft werden müßte, der von<br />

einem Soldaten außer dem Hause ein Kleid machen lasse, wie es bei<br />

dem Fall des Dr. med. Lümmen vorgekommen war2).<br />

Ungern schickten die Meister Gesellen oder Lehr jungen zur Arbeit<br />

ins Haus, wie es der Billigkeit halber von den Bürgern oft gewünscht<br />

wurde. Vergebens hatten die Schneider versucht, ein Verbot<br />

dieser Art in ihr Privileg zu bringen. Bürgermeister und Rat hatten,<br />

sowie sie davon hörten, sofort lebhaften Einspruch dagegen erhoben3) .<br />

Man wollte damals das Zustandekommen der Innung nicht daran<br />

scheitern lassen, aber man verstand sich immer nur höchst ungern zur<br />

Duldung dieser Tätigkeit4).<br />

Da die Herstellung und besonders das Instandsetzen von Kleidern<br />

eine Arbeit war, die auch von Frauen ausgeführt werden konnte,<br />

so drohte den Schneidern auch von dieser Seite eine Einengung ihrer<br />

Tätigkeit. Bei der Abwehr dieses Wettbewerbs konnten sie aber um<br />

so weniger auf die Hilfe der Regierung hoffen, als diese in der E rteilung<br />

von Erlaubnissen an alleinstehende Frauen, bedürftige Witwen<br />

und gebrechliche Personen ein willkommenes Mittel sah, daß diese<br />

nicht der Armenkasse zur Last fielen5).<br />

Die Lehrzeit, die ursprünglich nur 2 Jahre betrug, wurde 1745 auf<br />

4 erhöht. Statt dreier Wanderjahre verlangte man 1758 vier, dazu<br />

kam noch das Mut- oder Sitz jahr. Als Meisterstücke waren ein „Frauen<br />

tabbes Leib" (Art Umhang), eine spanische Kaputt, ein Mannskleid,<br />

eine unten zugebundene Hose und ein Mantel zu zeichnen. Sie sollten<br />

„nach der Weise und Manier, wie sie die Zeit mit sich bringt" gemacht<br />

werden. 1758 wurden die ersten beiden Gegenstände als ungebräuchlich<br />

abgeschafft. Obwohl in den Artikeln von 1669 keine Befreiung<br />

vom Meisterstück erwähnt wird, scheint sie doch bei Meistersöhnen<br />

*) 1751 L.A.<br />

2) 1761 L.A . Dr. W essel Lümmen bis 1773 (L.A. VII D 6).<br />

3) 1669 L.A.<br />

4) 1734 L.A.<br />

5) 1720, 30, 31, 34, 36, 45, 46, 72 L.A.<br />

L aad n b lb l'atk eh<br />

Oldenburg L Ot


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 61<br />

und Einheiratenden üblich gewesen zu sein, denn 1758 sieht die Regierung<br />

sich veranlaßt, ausdrücklich zu verordnen, daß keine Befreiung<br />

statthaft sei1). Der Meister hatte das Meisterstück zu begutachten,<br />

doch sah man ihre Anwesenheit bei der Herstellung nicht<br />

gerne, da man fürchtete, sie würden nur noch mehr auszusetzen finden.<br />

J e schlechter die wirtschaftliche Lage wurde, um so mehr suchten die<br />

Handwerker nach Gründen, um einen Bewerber ab lehnen zu können.<br />

Aber auch die Tätigkeit der einzelnen Meister engte man nach Möglichkeit<br />

ein. So wollte das Amt 1793 sogar durchsetzen, daß ein<br />

Meister, der Frauenkleider machte, keinen Gesellen zur Anfertigung<br />

von Männerkleidern einem Bürger ins Haus schicken dürfte. Natürlich<br />

entsprach die Regierung diesem Antrag nicht2).<br />

1738 reichten die Gesellen einen Entwurf von Satzungen für eine<br />

Brüderschaft ein. Eine Genehmigung erfolgte nicht3) (vgl. o. Abschnitt<br />

1, 6).<br />

4. Das Amt der Bäcker*).<br />

Am 11. August 1669 verlieh die Fürstin Sophia Augusta von Anhalt<br />

den Bäckern ein Amt5). Im Gegensatz zu den übrigen zunftmäßigen<br />

Gewerben besitzen wir für die Bäcker schon zahlreiche wertvolle<br />

Angaben aus der Zeit vor der Amtsgründung. Bei der großen<br />

Bedeutung der Brotversorgung erfolgte meist schon lange vor der Organisation<br />

der Bäcker eine Regelung des Brotvertriebes durch Taxen,<br />

in denen der Preis des Getreides die Grundlage des Brotgewichts<br />

bildete6). In Jever bestanden solche Taxen sicher seit 16007). Näheren<br />

Aufschluß gibt darüber ein Lederband des Jeverschen Stadtarchivs<br />

mit der Aufschrift „Der Bäcker Ordinantie", der von 1627— 52 reicht<br />

und die Protokolle über die Prüfung des Brotgewichts enthält. Da<br />

sämtliche Personen, die in Jever backten, der städtischen Beaufsichtigung<br />

unterstanden, so bietet diese Quelle ein vollständiges Namenverzeichnis<br />

der Bäcker aus dieser Zeit und überliefert zugleich auch<br />

1) 1758 L.A.<br />

2) 1793 L.A.<br />

3) 1738 L.A.<br />

4) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 25, J.S t.A . C VIII 5, C 1 X 2 — 4.<br />

5) Bestätigt: 1674, Nov. 28; 1721, Dez. 8 (mit Zusätzen); 1744, Mai 15<br />

(mit Zusätzen); 1752, Juni 9; 1758, Juni 10 (mit Zusätzen); 1793, Okt. 23;<br />

1798, April 13; 1802, März 21.<br />

6) Eine eingehende Darstellung des Brottaxenwesens enthält meine A rbeit:<br />

„Das Müller- und Bäckergewerbe in Brem en", Schmoller u. Sering:<br />

Staats- und sozialwissenschaftliche Forschungen Heft 183, Leipzig 1915.<br />

7) Eine T axe ganz allgemeiner A rt schon 1588 C. C. J . I 150 ff., II 137 ff.


62<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

die Brotsorten, die in Jever vor Errichtung der Zunft bereits in Gebrauch<br />

waren.<br />

Zwei interessante Feststellungen ergeben sich ganz allgemein aus<br />

diesen Aufzeichnungen, die etwa 1000 Gewichtsprüfungen umfassen.<br />

Einmal erkennen wir, daß eine scharfe Abgrenzung von Bäckern und<br />

Hökern damals noch fehlte. Noch lange bildete es eine der Hauptaufgaben<br />

des späteren Bäckeramts, die Herstellung und besonders den<br />

Vertrieb von Backwaren durch die Höker zu unterbinden. Die andere<br />

Tatsache, die sich ergibt, ist die Unregelmäßigkeit des Backbetriebs.<br />

Der Bäcker, der noch keiner Zunft angehörte, stellte Brot her, wann<br />

es ihm paßte oder wann er Gelegenheit hatte, während die Amtsbäcker<br />

verpflichtet waren, nicht nur stets mit Brot versehen zu sein,<br />

sondern auch einen gewissen Vorrat an Getreide zu haben.<br />

Die durchschnittliche Zahl der Bäcker der Innenstadt betrug von<br />

1627—39 durchschnittlich 27, von 1739— 52 21 j sie nahm also ab. Mit<br />

Oldenburg und Bremen verglichen scheint die Zahl verhältnismäßig<br />

sehr hoch. Am größten war zweifellos der Verbrauch des Grobbrots<br />

(Schwarzbrots). Während aber die Herstellung zur Zeit Fräulein<br />

Marias in der Hauptsache noch in der Haushaltung selbst für die<br />

eigene Familie erfolgte — jeder Bürger besaß das Recht zu backen — ,<br />

war diese Tätigkeit inzwischen die Aufgabe eines besonderen Berufes<br />

geworden. Tatsächlich stellte etwa die Hälfte der genannten Bäcker<br />

allein Schwarzbrot her, während die anderen sich zumeist außerdem<br />

mit der Herstellung bald dieser, bald jener anderen Brotart befaßten.<br />

Nur bei 3—5 Bäckern finden wir das Backen der sämtlichen damals<br />

üblichen Brotsorten. Jene allein sind als Bäcker im eigentlichen Sinne<br />

anzusprechen. Die Zahl der reinen Weißbrotbäcker war ganz gering.<br />

In das Amt traten 1669 31 Stadt- und 17 Landmeister ein. Man<br />

muß sich besonders in der Stadt wohl große Vorteile von der Aufnahme<br />

ins Amt versprochen haben, da sich, wie die hohe Zahl zeigt,<br />

scheinbar alle meldeten, die früher irgendwie Brot zum Verkauf hergestellt<br />

hatten. Man übersah offenbar, daß jetzt jeder ständig backen<br />

und die erzeugte Brotmenge infolgedessen den Bedarf weit übersteigen<br />

mußte. Schon bald ging die Zahl auf 22 zurück, immer noch<br />

recht viel für die kleine Stadt. Man muß sich wundern, daß diese<br />

Zahl bis 1730 ziemlich gleich blieb. Die Höhe ist wohl daraus zu erklären,<br />

daß das Land die feineren Brotsorten, die allerdings nur bei<br />

festlichen Gelegenheiten verlangt wurden, aus der Stadt bezog. Im<br />

Laufe des 18. Jahrhunderts sank die Zahl auf 13 im Durchschnitt, seit<br />

1780 sogar auf 10 Amtsmeister, die damals ein recht gutes Auskommen<br />

gehabt haben müssen. Die Regierung glaubte ihnen auch ihre beweg­


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 3<br />

liehen Klagen nicht, als sie sich über die ungünstigen Taxen beschwerten<br />

und stellte fest, daß sie im allgemeinen doch recht wohlhabende<br />

Leute wären.<br />

Die gebräuchlichste Schwarzbrotgröße der ältesten Zeit war das<br />

Brot zu 3 Schaf, das bei einem Roggenpreis von 9 Talern etwa 8 Pfund<br />

wiegen mußte. Der Preis blieb stets derselbe, dagegen schwankte das<br />

Gewicht. J e teuerer das Getreide war, um so leichter durfte das Brot<br />

sein. Die größten Schwarzbrote zu 6 Schaf waren entsprechend doppelt<br />

so schwer. Kleinere Brote kosteten Schaf und 10 Witte. Das<br />

Schönbrot, das unserem Graubrot entsprach, wurde als lange und<br />

runde Schoneroggen zum Preise von 10 Witten in den Handel gebracht.<br />

Ebenso teuer war das Sauerbrot (gesäuerte Graubrot); es<br />

mußte bei dem erwähnten Roggenpreis 10 Lot wiegen (1 Pfund<br />

24 Lot). An Weißbrotarten gab es Puffer zu 5 W itt und Weggen<br />

(Brötchen), 3 Stück für 5 Witt, sie mußten zusammen etwa 8 Lot<br />

wiegen1). Die Gewichte konnten aus den tabellenartig angelegten Taxen<br />

abgelesen werden, von denen die jedesmal gültigen wöchentlich von<br />

der Kanzel verkündigt oder an den Kirchentüren angeschlagen wurden2).<br />

Am Ende des 13- Jahrhunderts trat dafür die Bekanntgabe im<br />

Jeverschen Wochenblatt. Nach welchen Grundsätzen die älteste Taxe<br />

angelegt wurde, ob sie auf Grund von Probebacken entstand oder aus<br />

einem Muster von anderswo übernommen wurde, wissen wir nicht.<br />

Als später die Taxen wiederholt erweitert werden mußten, tat man<br />

dies mit Hilfe des Probebackens.<br />

Die Kontrolle geschah in der ersten Zeit 2—8mal jährlich, im<br />

Durchschnitt etwa 5mal3). Sie wurde durch die städtischen Organe, zeitweise<br />

sogar unter Mitwirkung der Bäcker selbst ausgeübt (1633).<br />

Später duldete die Regierung diese Betätigung der Bäcker nicht mehr.<br />

Bei den etwa 1000 Gewichtsprüfungen, die von 1627—52 vorgenommen<br />

wurden, wurde in einem Drittel der Fälle das Brot zu leicht, in einem<br />

Dreizehntel zu schwer befunden. Darum darf man aber keineswegs auf<br />

eine besondere Unehrlichkeit der Bäcker schließen. Denn das Untergewicht<br />

des Brotes war meist nur gering und beruhte häufig genug<br />

darauf, daß das Brot alt war. Schwerere Verfehlungen waren selten.<br />

Von heftigen Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Amt, wie<br />

x) Über die Brotsorten in Oldenburg vgl. K. Hoyer a. a. 0 . S. 263.<br />

2) 1616 C.C.I. I 683 ff., II 734 ff.; 1617 I 747 f., II 868 ff.<br />

3) Jed er Bäcker hatte sein Brot mit seiner Bäckerm arke zu versehen. 1616<br />

C .C .J. I 681 ff., II 729 ff.; 1646 I 850 ff., III 133 ff.; 1661 III 396 ff.; 1669 1 965 ff.,<br />

III 552 ff. Den W rögern (Brotprüfern) sollten die Bäcker anständig begegnen<br />

C .C .J. a. a. O., ferner 1744 C .C .J. 216 ff.


64 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

sie in Bremen und Oldenburg häufiger vorkamen, hören wir in Jever<br />

nichts. An kleineren Reibereien fehlte es aber natürlich auch hier<br />

nicht. Schuld hatten wohl meist beide Teile, die Stadt, weil sie Taxen<br />

oft kleinlich handhabte, die Bäcker, weil sie es oft an der nötigen<br />

Sorgfalt fehlen ließen. Die älteste Taxe von 1600 blieb für das ganze<br />

17. Jahrhundert maßgebend; da sie jedoch nur bis zur Roggenpreisgrenze<br />

von 10 Gt. reichte, mußte sie bereits 1615 zum ersten Male<br />

erweitert werden.<br />

Für die Versorgung der Bürger mit Brot gab es drei Möglichkeiten:<br />

sie konnte geschehen durch die einheimischen oder durch die<br />

auswärtigen Bäcker und durch die Bürger, die ihr Backwerk für den<br />

Hausbedarf selbst herstellten. Die Hausbäckerei, die älteste und ursprünglich<br />

einzige Art der Brotversorgung, ging im Laufe der Zeit<br />

immer mehr zurück und beschränkte sich schon früh auf die Herstellung<br />

der einfachsten Brotsorten, besonders des Grobbrots. Oft<br />

teilten sich auch der Privathaushalt und das Gewerbe in den Herstellungsprozeß,<br />

indem der Bürger dem Bäcker den Teig seines Brotes<br />

zum Garmachen schickte. Nach der Amtsrolle von 1669 hat es den<br />

Anschein, als ob ein großer Teil der Bäcker vorher nur diese Tätigkeit<br />

betrieben hatte. Von sehr geringer Bedeutung war die Brotver-<br />

sorgung der Stadt durch die Einfuhr von außerhalb. Diese Zufuhr<br />

war großen Schwankungen unterworfen. Nur wenn das Getreide billig<br />

war, fand sie in größerem Umfange statt. Sie rief dann sofort die<br />

Bäcker auf den Plan, die sich mit Recht beschwerten, daß ihnen, die<br />

jederzeit für die Bürger backen müßten, in guten Zeiten der bessere<br />

Verdienst entging. Besonders unangenehm wurde es von ihnen empfunden,<br />

wenn Brot aus Ostfriesland hereinkam, da dieses den Ruf genoß,<br />

schwerer und besser zu sein. Die Wittmunder waren bekannt dafür,<br />

daß sie ihr Brot in der Vorstadt absetzten. Gegen diese Einfuhr<br />

eiferten die Bäcker übrigens schon vor der Errichtung des Amtes1). Die<br />

Bäcker strebten immer wieder das Monopol der Brotversorgung an,<br />

aber die Stadt machte stets die Erfahrung, daß das Brot um so<br />

schlechter wurde, je weniger die Bäcker einen Wettbewerb zu fürchten<br />

hatten. Doch besaß sie Mittel genug, die Bäcker in Atem zu halten.<br />

Oft genügte schon die Drohung, die Landbäcker auf den Wochenmärkten<br />

zuzulassen. 1709 machte die Stadt sogar ernst damit. Der<br />

Wettbewerb auf den Jahrmärkten war ohne Bedeutung. Ein weiteres<br />

Mittel war die Bestellung von Freimeistern, die wohl den Taxen, aber<br />

nicht den Zunftgesetzen unterworfen waren. Einige erhielten nur das<br />

ä) 1663 C .C .J. I 945, III 440 f.


D as Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 6 5<br />

Recht auf Herstellung von Schwarzbrot, andere auf Kuchen. Sie saßen<br />

meist in der Vorstadt. Die Amtsmeister hatten in der Stadt selbst zu<br />

wohnen, auch als Stadt und Vorstadt bereits vereinigt waren. Nur<br />

ausnahmsweise bekam 1736 ein Amtsbäcker die Erlaubnis, in der Vorstadt<br />

sein Gewerbe weiter treiben zu dürfen. Auf die Klagen der Vorstädter,<br />

die immer erst zum Brotkauf in die Stadt gehen mußten, verstand<br />

sich 1793 das Amt dazu, dort eine Brotniederlage zu entrichten,<br />

die man abwechselnd beliefern wollte. Der Plan wurde im folgenden<br />

Jahre wirklich ausgeführt. Selbst zu backen, wurde dem Verwalter<br />

der Verkaufsstelle aber streng untersagt.<br />

Um die Brotversorgung dauernd sicherzustellen, schrieben bereits<br />

die ältesten Artikel den Bäckern das Vorrathalten von Roggen und<br />

Weizen vor. Die Höhe der Vorratsmenge wurde zunächst nicht festgesetzt,<br />

später wurden 20— 25 Last im Herbst vorgeschrieben. Eine<br />

gewisse Rücklage war bei den unsicheren Versorgungsverhältnissen<br />

durchaus geboten; Notstände traten nur zu leicht ein1).<br />

Der Verkauf des Backwerks, das jeder Meister mit seiner Marke<br />

zu bezeichnen hatte, geschah auf dem Wochenmarkte in besonderen<br />

Ständen und im Hause. Der besseren Aufsicht wegen war der Verkauf<br />

nur an einer Stelle zur Zeit gestattet. Am Dienstag und Sonnabend<br />

(später auch am Donnerstag) war Wochenmarkt; er begann im<br />

Sommer um 8 Uhr, im Winter um 9 Uhr mit dem Ausstecken der<br />

großen Freifahne. Um 1 Uhr wurde eine kleine Fahne gehißt, dann<br />

durften auch Fremde und einheimische Aufkäufer einhandeln. Nach<br />

Schluß des Marktes war auch der Verkauf im Hause verboten. Nur<br />

an Tagen, an denen nicht auf dem Markte gehandelt wurde, durfte im<br />

Hause des Bäckers verkauft werden. Hausieren war überhaupt verboten,<br />

schon aus dem Grunde, weil dieser Art Handel nicht zu kontrollieren<br />

war. Auch das Zubrotgeben, eine Art Rabatt, den man gerne<br />

bei größeren Aufträgen den Käufern zuwendete, blieb verboten.<br />

Die Lehrjungen, die ein Lehrgeld nicht unter 25 Rt. (die Hälfte<br />

beim Eintritt), bezahlen mußten, hatten 3 Jahre zu lernen, Mehr als<br />

einen Lehrling zur Zeit zu halten, war den Meistern verboten. Die<br />

Gesellenzeit dauerte drei Jahre, Meistersöhne entzogen sich meist<br />

dieser Verpflichtung. Als Meisterstück wurde die Herstellung zweier<br />

Brote verlangt, von denen eines aus gebeuteltem Weizenmehl und<br />

eines aus gebeuteltem Roggenmehl bereitet werden mußte. Das Backen<br />

sollte der Geselle ganz selbständig vornehmen, nur beim Abwiegen<br />

durfte ihm jemand zur Hand gehen. Ursprünglich durften die beiden<br />

1) 1740 sollte infolge der Roggenknappheit auf dem Lande nur noch<br />

Gerstenbrot hergestellt werden. C .C .J. V 175a.<br />

Oldenburger Jahrbuch 5


66 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

aufsichtführenden Meister uneingeschränkt auf Kosten des Prüflings<br />

essen und trinken. Da diese Annehmlichkeit aber allzusehr ausgenutzt<br />

wurde, setzte man 1758 als Höchstbetrag ein Zehrgeld von 2 Rt. fest,<br />

(vgl. die Tischler).<br />

Bei der Aufnahme trieb das Amt eine ausgesprochene Verwandtenpolitik.<br />

Den Erfolg zeigt die Tatsache, daß 1715 von 23 Amtsbäckern<br />

der Stadt 15 als Bäckersöhne bezeichnet wurden. Unter den 7 anderen<br />

werden sich zweifellos noch Männer von Amtstöchtern und -witwen<br />

befunden haben.<br />

5. Das Amt der Klein- und Grobschmiede wie auch der<br />

Kupierschläger1).<br />

Am 12. August 1669 wurde den Klein- und Grobschmieden wie<br />

auch den Kupferschlägern von der Fürstin Sophia Augusta von Anhalt<br />

ein Amt verliehen2). Über die Besetzung des Amtes sind wir infolge<br />

der wohl nahezu vollständig erhaltenen Amtsbücher (s. u.) besonders<br />

gut unterrichtet. Es waren am Ende des 17. Jahrhunderts 10 Stadtmeister<br />

und 26 Landmeister, am Anfang des 18. Jahrhunderts 13 bzw.<br />

24 Meister und am Ende des Jahrhunderts 16 bzw. 40 Meister vorhanden.<br />

Drei naheverwandte Gewerbe waren in einem Amte vereinigt. Die<br />

Mehrzahl bildeten die Grobschmiede, die im Lande sogar ausschließlich<br />

vertreten waren; sie mußten dort zugleich Schlosser-(Kleinschmiede-)<br />

arbeit machen. Es kam öfter vor, daß ein Geselle, der als<br />

Schlosser gelernt hatte, sein Meisterstück als Grobschmied machte,<br />

weil er sich auf dem Lande niederlassen wollte, wo er nur mit dieser<br />

Hantierung sein Auskommen finden konnte. Am geringsten an Zahl<br />

waren natürlich die Kupferschmiede (in der Stadt höchstens 1/B der<br />

beiden anderen Gruppen). Seit 1738 gab es auch einen Nagelschmied<br />

in Jever, der ursprünglich als Freimeister arbeitete, dann aber ins<br />

Amt aufgenommen wurde, 1752 wurde ein besonderes Meisterstück<br />

für Nagelschmiede vorgeschrieben. Die Messerschmiede gehörten nicht<br />

zum Amt; 1728 gab es vier davon in der Vorstadt.<br />

Zu Reibungen führten die Berührungen, die zwischen den Schmieden<br />

und Eisenhändlern bestanden; schon 1699 hören wir davon. Aus<br />

einer späteren Vereinbarung (1768) wissen wir, daß die Schmiede<br />

nur selbstgefertigte Waren verkaufen durften, wie es ja auch allge­<br />

M Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 27, J.S t.A . C V III 3.<br />

2) Bestätigt: 1674, Okt. 28; 1722, Febr. 17; 1745, Juni 3 (mit Zusätzen);<br />

1752, Juni 9; 1758, Juli 12; 1793, Juni 20; 1802, März 30.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 7<br />

meiner Zunftgebrauch war, während für die Eisenkrämer eine Liste<br />

von Waren aufgestellt wurde, mit denen sie handeln durften. Eine derartige<br />

Zusammenstellung erschien 1793 im Jeverschen Wochenblatt.<br />

1768 wurde den Tischlern und Zimmerern der Verkauf von Eisenwaren<br />

gänzlich untersagt.<br />

Als unzulässige Wettbewerber wurden schon in den Artikeln von<br />

1669 die „Kesselflicker, Pottlapper und dergleichen Landstreicher“<br />

bekämpft; sie waren nur auf den Jahrmärkten zugelassen1). Einen<br />

eigentümlichen Eingriff in die Rechte der Schmiede leisteten sich einmal<br />

die Totengräber; ihnen mußte 1752 verboten werden, die Beschläge<br />

und Griffe von den Särgen zu entfernen und sie zu verkaufen.<br />

Über die Beschaffung der Rohstoffe und des Betriebsmaterials<br />

wissen wir nur wenig. Eisen und Kohlen kamen aus England. 1669<br />

durften sich die Schmiede, wenn ein Schiff ankam, als erste nach der<br />

Herrschaft versehen. Die Arbeit wurde stückweise bezahlt, nur bei<br />

größeren Gegenständen, wie bei Schiffsankern wurde sie pfundweise<br />

berechnet, das Pfund zul Schaf 15 Witte (1695). Klagen über schlechte<br />

Arbeit sind uns nicht überliefert; daß die Leistungen der Schmiede in<br />

Jever auf einer erfreulich hohen Stufe standen, zeigen auch die Meisterstücke,<br />

die im Museum vorhanden sind2).<br />

Den Schmieden war nur ein Lehrjunge zur Zeit zu halten erlaubt,<br />

ferner durfte jeder Meister einen Lohnjungen und zwei Gesellen haben.<br />

Hinsichtlich der Dauer der Lehrzeit verfuhren die Meister sehr willkürlich;<br />

es kommen 1—6 Lehrjahre nebeneinander vor; im Durchschnitt<br />

waren es 3— 4 Jahre. Besonders wenn ein Meister den Lehrling<br />

eines verstorbenen Amtsmitgliedes übernehmen mußte, pflegte er<br />

sich um frühere Abmachungen nicht zu kümmern. Eine Bevorzugung<br />

der Meistersöhne hinsichtlich der Lehrzeit kannte man nicht. Überhaupt<br />

waren die Sondervorteile der Amtsverwandten hier auf die geringeren<br />

Eintrittsabgaben beschränkt. Um zu verhindern, daß ganz unerfahrene<br />

Lehrjungen zu Gesellen gemacht wurden und damit die<br />

Meister sich mehr bemühten, ihren Schutzbefohlenen die nötigen Fertigkeiten<br />

beizubringen, wurde 1754 nach dem Muster von Zerbst das Gesellenstück<br />

eingeführt, das für Grob- und Kleinschmiede in einem<br />

Schlüssel und für die Kupferschmiede in einem Schenkkessel bestand3) .<br />

Das Meisterstück, an dem nicht mehr als 12 Stunden geschmiedet<br />

J) 1644, 1646, 1679, 1702 L.A. X X III 27.<br />

2) Vgl. Anm. zu Abschnitt 1,5.<br />

3) Von dieser Anordnung, die sicher für alle Ämter Geltung haben<br />

sollte, hören wir sonst nichts. Sie scheint nur kurze Zeit in Übung gewesen<br />

zu sein.<br />

5*


68<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

und nicht länger als 4 Wochen gearbeitet werden durfte, bestand bei<br />

den Grobschmieden aus einer Axt, einer dreizinkigen Forke und einem<br />

Pütter (später einem Pflugeisen), bei den Kleinschmieden aus einem<br />

Schloß und bei den Kupferschmieden aus einem Kessel. Die zahlreichen<br />

in den Artikeln von 1669 für die Kleinschmiede und Kupferschmiede<br />

geforderten Gegenstände werden wohl nur als Auswahl gedacht<br />

gewesen sein. Für die Nagelschmiede war eine Zange und ein<br />

Nageleisen vorgeschrieben.<br />

W ertvolle Aufschlüsse über die Zusammensetzung des Amtes<br />

geben die Innungsbücher, die sich in größerer Zahl erhalten haben und<br />

sich jetzt im Museum befinden1). Das Jungenbuch enthält sogar Eintragungen<br />

von 1669— 1817. Daraus läßt sich erkennen, daß das Einschreiben<br />

vielfach erst nach halb oder ganz beendigter Lehrzeit erfolgte,<br />

häufig auf dem Gildetage, manchmal auch nur vor dem E ltermann.<br />

Auf den Geburtsbrief wurde der größte W ert gelegt: fehlte er,<br />

so wurde nachträgliche Vorlage verlangt, oder ein Meister mußte für<br />

die eheliche Geburt des Lehr jungen bürgen. Das 1755 eingeführte Gesellenstück<br />

wird nur kurze Zeit erwähnt. Die meisten Lehrjungen<br />

stammten aus Jever oder dem Jeverlande; ein großer Teil wurde in<br />

der Heimat Meister. Von 1670— 1815 werden insgesamt 426 Lehrjungen<br />

verzeichnet; von ihnen sind 100 später als Meister in Stadt<br />

oder Land nachzuweisen. In Wirklichkeit war die Zahl natürlich viel<br />

größer. Die Anzahl der Amtsverwandten (Meistersöhne und Männer)<br />

von Amtswitwen und -töchtern war im 18. Jahrhundert sehr bedeutend.<br />

In der Stadt waren z. B. 1715 unter 17 Meistern nachweislich 12 Amts-<br />

verwandte.<br />

6. Das Amt der Tischler und Zimmerer (sowie der Glaser)2).<br />

Am 17. Juli 1686 verlieh Fürst Carl Wilhelm von Anhalt den<br />

Tischlern und Zimmerern ein Amt3). Vorübergehend befanden sich<br />

auch die Glaser mit in diesem Innungsverband (1757—98) (s. u.)4).<br />

1) Im Jeverschen Museum befinden sich; Ein Gildebuch (1736— 1814),<br />

ein Frauenbuch (1751— 86), ein Rechnungsbuch (1777— 91), ein Gesellenbuch<br />

(1669— 1818) und ein Jungenbuch (1669— 1816). Ferner aus dem 19. Ja h rhundert:<br />

Ein Protokollbuch (1839— 50), zwei Rechnungsbücher (1805— 1806,<br />

1839— 1861), ein Meisterbuch (1839— 1861), ein Gesellen- und Lehrlingsbuch<br />

(1839— 1861) und außerdem eine Mappe mit Aktenstücken aus den Jahren<br />

1766— 1860.<br />

2) Fü r den ganzen Teil: L.A. X X III B 28, J.S t.A . C V III 2.<br />

3) Bestätigt: 1724, Dez. 1 (mit Zusätzen); 1744, Sept. 2 1; 1752. Juni 12;<br />

1758, Aug. 2 1; 1793, Juli 19 (mit Zusätzen); 1798, April 13; 1802, April 3.<br />

4) Zusatzartikel: 1757, Nov. 4. Selbständige Am tsartikel: 1798, April 13,<br />

bestätigt 1802, M ärz 28.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 6 9<br />

Die Zahl der Tischler- und Zimmerermeister betrug im 18. Ja h rhundert<br />

10— 12, 1804 16 Stadtmeister. Auf dem Lande gab es 1720<br />

erst 25 Meister. 1804 war die Zahl auf 57 gestiegen. Glaseramts-<br />

meister waren in der Stadt durchschnittlich 3— 5 vorhanden; für das<br />

Land sollten je einer in Hohenkirchen, in Hooksiel und Neuende sein.<br />

Im Laufe des 18. Jahrhunderts verschlechterten sich die wirtschaftlichen<br />

Verhältnisse derart, daß die städtischen Tischler und Zimmerermeister<br />

nicht nur gezwungen waren, aufs Land zu gehen, um Arbeit zu<br />

bekommen, sondern daß Amtswitwen und ältere Meister sogar der<br />

Armenkasse zur Last fielen. Da Gesellen schwer zu bekommen waren,<br />

schlossen sich einzelne Meister zu gemeinsamer Arbeit zusammen.<br />

Dieser Mißstand lag nicht daran, daß keine Gesellen vorhanden waren,<br />

sondern hatte darin seine Ursache, weil viele Gesellen selbständig<br />

arbeiteten. Sie durften sich gegen eine geringe Abgabe an das Amt<br />

nach Vorweisung des Geburts- und Lehrbriefes niederlassen, nachdem<br />

sie in das Gesellenbuch eingeschrieben waren. Viele jedoch, die nicht<br />

die nötige Vorbildung aufzuweisen hatten, ließen sich zum Schein bei<br />

einem Amts- oder einem Freimeister einstellen, dem sie ein Schweigegeld<br />

zahlten. Ein besonders krasser Fall wird 1736 berichtet. Ein<br />

Freimeister beschäftigte seine zwei Söhne als Gesellen, und diese<br />

nahmen ihrerseits wieder Gesellen an; sie alle übten ihre Tätigkeit<br />

unberechtigt unter dem Schutze des Freimeisters aus. Vergeblich<br />

baten die Amtsmeister, den Freimeistern nur Gesellen zu erlauben,<br />

wenn das Amt keine beanspruchte. Die Regierung suchte dem Unwesen<br />

dadurch zu steuern, in dem sie verlangte, daß die Meister sich den<br />

Lehrbrief vorlegen lassen und darauf achten sollten, daß sie nur in der<br />

Werkstätte des Meisters arbeiteten. Bei den Tischlern war diese Maßnahme<br />

wohl durchführbar, doch bei den Zimmerern, die meist auf dem<br />

Bau arbeiteten, stieß sie auf große Schwierigkeiten. Dort herrschten,<br />

wie es in der Natur ihrer Tätigkeit lag, überhaupt andere Verhältnisse<br />

wie bei den anderen Ämtern.<br />

Schon die Lehrlinge arbeiteten gegen besondere Bezahlung auf<br />

dem Bau. Da der Meister ihnen dazu Werkzeug anvertrauen mußte,<br />

hatten sie bei der Aufnahme 3 Rt. Bürgschaft zu hinterlegen, die verfiel,<br />

wenn der Lehr junge weglief. Im Laufe der Zeit entwickelten sich<br />

geradezu heillose Zustände. Die Lehrlinge brachen ihre Lehrzeit vorzeitig<br />

ab, verheirateten sich und traten als Gesellen auf. Ohne Wissen<br />

der Meister nahmen sie heimlich Arbeit an. 1739 sah man sich sogar<br />

veranlaßt, die Annahme „beweibter” Lehrjungen zu verbieten.<br />

Über die Zahl der zulässigen Hilfskräfte wurden erst 1730 Bestimmungen<br />

getroffen. Die Zimmerer durften 3— 4 Lehrjungen halten,


70<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

die Tischler zur Zeit nur einen. Die Dauer der Lehrzeit betrug 2 bzw.<br />

3 Jahre, 1793 wurde sie bei den Tischlern auf 4 Jahre erhöht. 1736<br />

wünschten die Meister, daß die Gesellenzahl auf 3— 4 beschränkt<br />

würde, einige nähmen 8— 10 an, wenn sie gerade einen größeren Auftrag<br />

hätten, anstatt auch anderen Meistern Anteil an der Arbeit zu<br />

ermöglichen.<br />

Von Eingriffen in die Amtsgerechtigkeit hören wir fast nur in der<br />

ersten Zeit nach der Amtsgründung. 1690 wurden die Küper und die<br />

Rademacher beschuldigt, Särge sowie Tür- und Fensterrahmen, die<br />

zweifellos Tischlerarbeit waren, herzustellen1). Ein Rademacher war<br />

auf frischer Tat beim Sargmachen ertappt worden. Da er sich widersetzlich<br />

benahm, setzte ihn die Regierung ins Gefängnis und verurteilte<br />

ihn zu 10 Gt.; doch wurde er begnadigt. Er zeigte sich der milden<br />

Behandlung wenig würdig, da er nachher in den Schenken öffentlich<br />

damit herumprahlte, daß man ihn so gut habe wegkommen lassen.<br />

1804 wandte sich das Amt — allerdings ohne Erfolg — gegen einen<br />

Stellmacher, der eine Maschine zum besseren Reinigen des Getreides<br />

herstellte und vertrieb. In einzelnen Fällen wurden auch besondere<br />

Bewilligungen erteilt, ohne daß der Eintritt ins Amt oder die Genehmigung<br />

als Freimeister verlangt wurde. So wurde 1700 der Sohn eines<br />

Fähnrichs, der in Zerbst Schränke, Kasten und Bilderrahmen zu verfertigen<br />

gelernt hatte und 8 Jahre bei dem Landdrosten von Bardeleben<br />

in Dienst gewesen war, in Jever zugelassen. 1720 trat die Regierung<br />

für einen Bewerber ein, der Kleider- und Kontorschränke sowie Teetische,<br />

wie sie in Amsterdam hergestellt wurden, machen konnte. 1730<br />

klagten die Tischler über die heimliche Einfuhr von Kasten, Schränken<br />

und Wagenstühlen aus Wittmund und aus dem Ammerlande. Von<br />

einem allgemeinen Einfuhrverbot wollte die Regierung nichts wissen<br />

(1758).<br />

Die Meisterstücke der Zimmerer bestanden aus Zeichnungen von<br />

einem „schlimm (schräg?) liegenden" Dachstuhl, einem kleinen Häuschen<br />

und einem hohen „Meyhen“ (?) mit Zugbrücke, bei den Tischlern<br />

aus einem Kasten mit halben oder drei freien Pfeilern, einer Tafel, die<br />

ausgezogen werden konnte und einem „durchgestochenen" Gitterwerk.<br />

Die Glaser sollten ein Sternfenster mit Rahmen anfertigen. 1724 wurde<br />

von den Zimmerern statt des Häuschens eine hölzerne Wendeltreppe<br />

und Schnecke mit 6 Ecken, bei den Tischlern ein furnierter Schreibtisch<br />

mit Aufsatz und Auszügen und ein furniertes Brettspiel aufzuzeichnen<br />

und herzustellen gefordert. 1744 verlangte das Amt, daß die<br />

*) C .C .J. III 673— 78.


Das Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 71<br />

Gesellen verpflichtet werden sollten, das Meisterstück nicht nur im<br />

Riß, sondern wirklich anzufertigen. Die Regierung schob die Entscheidung<br />

darüber dem Amt zu. Ein Schaumeister sollte die Herstellung<br />

des Meisterstücks überwachen; es war Brauch, daß der Meister dabei<br />

auf Kosten des Gesellen essen und trinken durfte. Erst 1802 wurde<br />

ein Betrag festgesetzt, der nicht überschritten werden durfte. Auch<br />

wurde damals verfügt, daß die Schaumeistertätigkeit in der Reihenfolge<br />

des Eintritts ins Amt zu erfolgen habe; die Elterleute wurden<br />

während ihres Amtsjahres übersprungen.<br />

Der Arbeitslohn für die Zimmerer war nach langen und kurzen<br />

Tagen verschieden hoch; er betrug für den Meister täglich 7 (6), für<br />

den Gesellen 6 (5) und für den Lehrjungen 5 (3) Grote. Eine 1793<br />

beantragte Erhöhung wurde nicht bewilligt, obwohl nachgewiesen<br />

wurde, daß die Lebenshaltung teuerer geworden war und die Entlohnung<br />

in keinem rechten Verhältnis zu dem Verdienst eines einfachen<br />

Tagelöhners stand.<br />

Dem Kunden war es erlaubt, den Meister zu wechseln, wenn er<br />

mit der Arbeit nicht zufrieden war, jedoch sollte er den ersten Meister<br />

anteilmäßig bezahlen.<br />

Nachdem 1725 die Vereinigung der Glaser mit den Sattlern am<br />

Widerspruch des Fürsten gescheitert war (vgl. das Schusteramt),<br />

erhielten die Glaser 1741 die Bewilligung zur Errichtung eines Amtes.<br />

Da sie aber zu gering an Zahl waren, suchten sie nach einem anderen<br />

Amte, mit dem sie sich verbinden konnten. Dieses fanden sie im Tischleramt.<br />

So reichten sie 1757 5 Artikel ein, die als Ergänzung zu denen<br />

des Tischler- und Zimmereramtes gedacht waren; sie wurden bewilligt.<br />

1758 beantragte das Amt die entsprechenden Änderungen in seinem<br />

Privileg, die aber erst 1793 vorgenommen wurden. Inzwischen erwogen<br />

die Glaser die Trennung. Nach längeren Verhandlungen erhielten sie<br />

1798 ein eigenes Amt. Die Artikel wiesen keine wesentlichen Unterschiede<br />

von denen des Tischleramts auf. Die Lehrzeit wurde auf 4,<br />

die Wanderzeit auf 2 Jahre bemessen.<br />

7. Das Amt der Küper1).<br />

Die Amtsartikel der Küper wurden am 13. September 1690 vom<br />

Fürsten Carl Wilhelm von Anhalt erlassen2). Bei der Gründung der<br />

Zunft gab es in der Stadt 4 Meister; später waren es meist 63). Einer<br />

großen Verbreitung erfreute sich die Tätigkeit der Küper auf dem<br />

*) Für den ganzen Teil: L.A. X X III B 29, jiS t.A . C VIII 8.<br />

2) Bestätigt: 1720, Sept. 7; 1745, Juni 3 (mit Zusatz); 1758, Juni 7; 1793,<br />

Ju n i 20; 1798, Mai 3. Zusätze: 1706, Aug. 25.<br />

3) 1704: 8, 1730: 4, 1733: 5, 1804: 6 Meister.


72<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Lande, wo von 1690— 1714 über 40 Meister erwähnt werden. Da bei<br />

der Gründung für den Eintritt keine Bedingungen gestellt wurden,<br />

traten wohl alle Meister bei, die das Handwerk betrieben. Als später<br />

bestimmte Verpflichtungen vorgeschrieben wurden, mußte schon aus<br />

diesem Grunde die Zahl zurückgehen; 1723 waren nur 231) und 1814<br />

nur noch 14 vorhanden. Auch diese waren allein im Sommer ausreichend<br />

beschäftigt, während sie sich im Winter mit dem Dreschen<br />

Geld verdienen mußten.<br />

Das wichtigste Erzeugnis waren die Butterfässer, von den Biertonnen<br />

hört man nur selten; diese sollten 112 Kannen enthalten2). Ein<br />

Küpermeister war zum Messer3) bestimmt, der gegen festen Tarif das<br />

Anbringen der Inhaltsgröße der Tonnen zu besorgen hatte. Für eine<br />

neue Tonne bekam er 6, für eine alte 2 Stüber. Wurde er aufs Land<br />

gerufen, durfte er sich den Weg vergüten lassen. Da die alten Biertonnen<br />

ohne weiteres immer wieder benutzt werden konnten, war der<br />

Umfang der Herstellung neuer Ware nicht sehr bedeutend. Größere<br />

Sorgfalt erforderte die Behandlung der Butterfässer. Die Artikel von<br />

1690 verlangten die Stempelung mit eigener Marke und dem Jeverschen<br />

Löwen; vierteljährlich sollten die Altmeister die Brandeisen nach-<br />

sehen. Auch schon vor der Amtsgründung war den Küpern wiederholt<br />

die Bezeichnung der Butterfässer eingeschärft worden4). Die alten<br />

Fässer sollten jedesmal gut gereinigt und vor der Neufüllung mit der<br />

neuen Jahreszahl versehen werden5). Die Kramer machten sich ebenso<br />

wie die Fuhrleute und Schiffer strafbar, wenn sie unbezeichnete Gebinde<br />

annahmen6). Da immer wieder gegen diese Bestimmungen verstoßen<br />

wurde, ging man 1753 so weit, zu verlangen, daß die Händler<br />

ein Register führen sollten, von wem sie die einzelnen Fässer bekommen<br />

hätten, wie sie gezeichnet gewesen wären und wo die Lieferanten<br />

wohnten7) . 1804 wurde sogar vorgeschrieben, daß Fässer mit der vorjährigen<br />

Jahreszahl nur von Neujahr bis Mai geduldet werden sollten8).<br />

An eine ernsthafte Durchführung dieser Bestimmungen war unter den<br />

damaligen Verhältnissen natürlich nicht zu denken, zumal eine sicher<br />

arbeitende Aufsichtsorganisation fehlte.<br />

1) 1723 konnten 6 M eister nicht schreiben.<br />

2) 1739, Dez. 18, C .C .J. 149 ff.<br />

3) 1739 Folkert Andreas, später Siefken V ater und Sohn.<br />

4) 1657, Mai 26; 1663, Juni 18, C .C .J. I 917, III 437 ff. u. 343 ff.; 1749,<br />

April 5, C .C .J. VI 265 f.<br />

6) 1743, 53, 54, 92, 1804 L.A.<br />

o) 1694, Juni 28; 1792, April 20; 1794, April 9 C .C .J. III 743 ff., V 311.<br />

7) 1753 C .C .J. V 90— 97, VII 216; 1772 Jev. Wbl., 1792.<br />

8) 1804 L.A. X X III 29.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 7 3<br />

Die Butterausfuhr nach Hamburg scheint anfangs bedeutend gewesen<br />

zu sein, da das jeversche Erzeugnis dort offenbar sehr geschätzt<br />

wurde. Aber die Bauern und Küper verdarben sich selbst das Geschäft,<br />

da sie es an der gründlichen Säuberung der Tonnen fehlen ließen und<br />

die Böden schließlich so dick machten, daß die Fässer bis zu 10 Pfund<br />

zu wenig Butter enthielten1). Die Leistungsfähigkeit des Küperge-<br />

werbes muß im 18. Jahrhundert sehr gering gewesen sein, obwohl das<br />

Amt sich auch weiterhin beklagte, daß die Schiffer alte Butterfässer<br />

aus Hamburg einführten2). Bezeichnend ist es, daß dem Amt, als es<br />

1744 forderte, die Landmeister sollten statt einer Biertonne, die jeder<br />

hersteilen könnte, eine Stockfischtonne machen, ihnen vorgehalten<br />

werden konnte, daß den Küpern erst ihr Meister Folkert Andres hätte<br />

beibringen müssen, wie man eine ordentliche Biertonne mache3). Vergeblich<br />

baten die Kaufleute wiederholt, Hamburger Butterfässer und<br />

Bremer Milchbalgen einführen zu dürfen, da die Küper gar nicht imstande<br />

seien, den an sie gestellten Ansprüchen zu genügen. Erst 1775<br />

wurde die Einfuhr von Bremer Eimern ausdrücklich erlaubt. Aber<br />

eifersüchtig wachte das Amt auch weiter, daß niemand fremde Küper-<br />

ware außer auf Freimärkten verkaufte4).<br />

Die Ausbildungs- und Aufnahmebedingungen unterschieden sich<br />

nicht wesentlich von denen anderer Ämter. 3 Lehrjahre waren vorgeschrieben,<br />

über die Gesellenzeit war ursprünglich nichts bestimmt5),<br />

erst 1728 wurde die Wanderzeit auf 3 Jahre festgesetzt6). Da das Amt<br />

in der Stadt meist schwach besetzt war und sich nur wenige Bewerber<br />

fanden, so machte es meist keine Schwierigkeiten bei der Aufnahme.<br />

Von den drei Meisterstücken (Trichter, Käseschüssel und Handfaß)<br />

brauchte der Meistersohn nur die beiden ersten zu machen, die Einheiratenden<br />

wurden dagegen in dieser Hinsicht wie Fremde behandelt7).<br />

III. Abschnitt: Die Hofhandwerker8)-<br />

Eine besondere Gruppe unter den Gewerbetreibenden der Stadt<br />

Jever bildeten die Hofhandwerker, die in erster Linie die Aufgabe<br />

*) 1720, 1744 L.A .; 1754 C .C .J. VI 355 f.<br />

2) 1690 C .C .J.; 1720 L.A .; 1749 C .C .J. VI 265 f.<br />

3) 1744 L.A.<br />

4) 1775, 1797 L.A.<br />

*) 1690 L.A.<br />

6) 1728 L.A.<br />

7) 1690 L.A.<br />

8) L.A . VII G 3.


74<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

hatten, für die Landesherrschaft zu arbeiten. Unsere Kenntnis beginnt<br />

mit der Zeit Anton Günthers. Damals bekamen die Hofhandwerker<br />

ihre Gerätschaften geliefert und erhielten außer ihrem festen Gehalt<br />

«inen Tagelohn, ja sie wurden sogar aus der Hofküche verpflegt, eine<br />

Vergünstigung, die aber schon in der Mitte des 17. Jahrhunderts durch<br />

Geld abgelöst wurde. Auch Naturallieferungen (Roggen und Torf)<br />

sind bezeugt. Privatarbeit war ihnen ursprünglich nur bei besonderer<br />

Bewilligung erlaubt. Die Herrschaft nahm für sich das Recht der<br />

halbjährlichen Kündigung in Anspruch; den Handwerkern stand sie<br />

jedoch nicht zu. Praktisch war dies ohne Bedeutung, denn die Stellung<br />

eines Hofhandwerkers war so begehrt, daß jeder, der sie besaß, sie von<br />

sich aus sicherlich nicht wieder aufgab. Die Höhe der Besoldung war<br />

sehr verschieden. 1653 bekam der Hofzimmermeister 25 Rt. und an<br />

Kostgeld 28 Rt., 1654 der Hofschmied 44 Rt. und 1674 der Hofmaurermeister<br />

sogar 110 Rt. Im 18. Jahrhundert erhielt der Hoftischler nur<br />

noch 12 Rt., der Chirurg und Hofbarbier dagegen 50 Rt. Um einen Begriff<br />

von der Höhe der Bezahlung zu geben, sei angeführt, daß in der<br />

Mitte des 17. Jahrhunderts die Besoldung eines jeverschen Bürgermeisters<br />

von 33 auf 50 Rt. erhöht wurde.<br />

Die besondere Stellung kam dadurch zum Ausdruck, daß sie ihren<br />

Gerichtsstand nicht vor dem Stadtgericht hatten, sondern der Gerichtsbarkeit<br />

des Hofes unterstanden. In der Regel waren sie Freimeister.<br />

Es hat den Anschein, daß sie später, als ihr Verhältnis zur Landesherrschaft<br />

loser wurde, mehr die Aufnahme ins Amt erstrebten. Oft<br />

fanden sich mehrere Bewerber, dann entschied das Können. So wurde<br />

Edo Jories Smidts 1740 Hofglaser, weil er bunte Glas- und Wappenfenster<br />

machen konnte.<br />

Über die einzelnen Personen berichten die vorliegenden Aufzeichnungen<br />

zahlreiche interessante Einzelheiten. Der Hofhufschmied war<br />

zugleich Pferdearzt. 1773 ernährte diese Tätigkeit ihren Mann nicht<br />

mehr, da in Jever keine Kavallerie mehr lag. Er setzte mit Hilfe der<br />

Regierung seine Aufnahme ins Amt durch. Der Fall war bezeichnend;<br />

Privatarbeit war nötig geworden. Um sie erfolgreich betreiben zu<br />

können, mußte er dem Amt angehören. Für den Hofschmied Conrad<br />

Christian Siebrand liegt eine Bestallung vom 10. Mai 1654 vor. Er<br />

stammte aus Aurich; es werden die Gerätschaften aufgeführt, die ihm<br />

geliefert werden. Beschädigungen daran hat er dem Bauschreiber zu<br />

melden. Er muß Pferde beschlagen und „kurieren" und auch Arbeiten<br />

an den herrschaftlichen Mühlen vornehmen. Es wird ihm besonders<br />

eingeschärft, nichts auszuplaudern, wenn er auf der Festung arbeitet.<br />

Privatbeschäftigung darf er nur mit Erlaubnis des Obristen annehmen.


Das Zunftwesen der Stadt Jever bis zum Beginn der Fremdherrschaft (1806) 75<br />

1691 findet sich ein Hofschlosser, der zugleich Uhrmacher ist. Er wird<br />

in Arrest gesetzt und seine Wohnung mit Zwangseinquartierung von<br />

Soldaten belegt, weil er die Schloßuhr nicht ordentlich betreut hat.<br />

Der Hofschneider Gottfried Ostmeyer hat Streit mit dem Amte; er genießt<br />

aber den Schutz der Fürstin, die ihm sogar erlaubt, Gesellen zu<br />

halten.<br />

Vielfach kamen die Hofhandwerker von auswärts. Gerne stellte<br />

man Fremde an, wenn unter den Einheimischen eine tüchtige Kraft<br />

fehlte. So nahm man 1697 Christian Conrad Lescher als Hofsattler an<br />

und erließ ihm die Aufnahme ins Amt der Schuster, auf die er keinen<br />

W ert legte. Auch Conrad Wittmann kam 1704 aus Oldenburg. Bei ihm<br />

galt als besondere Empfehlung, daß Vater und Großvater schon denselben<br />

Beruf gehabt hatten. Dem Hofsattler Christoph Poepke kam es<br />

zu statten, daß er früher als Geselle bei dem Hofsattler Tobias Friese<br />

gearbeitet hatte.<br />

Von der besonders hohen Besoldung der Hofmaurermeister war<br />

schon die Rede; er erhielt aber außerdem noch Roggen, Torf und freie<br />

Wohnung, die er zwar selbst instandhalten mußte, für die ihm aber<br />

das Material kostenlos geliefert wurde (1674). Mit den Leistungen der<br />

Handwerker war man nicht immer zufrieden. Dem Hofmaurermeister<br />

Johann Paul Liesten sollten 50 Rt. an seinem Gehalt gekürzt werden,<br />

weil der Kirchengiebel eingesunken war, doch wurde die Durchführung<br />

der Strafe davon abhängig gemacht, wie die Reparatur des Schloßturms<br />

ausfiele (1730). Philipp Kirchmann hatte 1733 eine Zulage von<br />

10 Rt. erhalten. Die Regierung drohte sie ihm wieder zu entziehen, da<br />

ihm häufige Trunkenheit vorgeworfen wurde. Der Hofmaurermeister<br />

Bartholomäus Moser stammte aus Varel; er empfahl sich durch die<br />

Vorlegung sauberer Proberisse. Mit der Bestellung der Hofbäcker<br />

scheint man nicht immer glücklich verfahren zu sein; der erste, der<br />

1691 erwähnt wird, bittet flehentlich seine Entlassung zurückzunehmen,<br />

den Grund kennen wir nicht. 1713 verschwand der Hofbäcker Häuer<br />

aus Norden unter Hinterlassung von Schulden heimlich. 1793 wird<br />

Ulrich Friedrichs Hofbäcker, Aus einer Preistafel erfahren wir,<br />

welche Arten Gebäck er liefern konnte. Außer dem üblichen Brot<br />

hatte er Franz-Prinzen, geraspeltes und Zerbster Brot, ferner große<br />

und kleine Zerbster Kuchen, Semmeln, Kringel (gesalzene, gezuckerte,<br />

Kanel- und Butterkringel), Zucker- und Korinthenzwieback, Eiermann,<br />

Roggenkorinthenstücke und Nürnberger Kuchen.<br />

Der Hoftischler Peter Körninghen aus Zerbst war zugleich<br />

Zimmermann. Als er den Auftrag erhielt, Kirchengestühl zu verfertigen,<br />

bekam er 10 Rt. für Feuerung und für das Trocknen des Holzes


76<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

(1732). Sein Nachfolger Johann Niklas Vogeler stammte aus Arnstadt<br />

in Thüringen. Nach dem Tode des Mühlenmeisters Spannhoff wollte<br />

man ihm die Mühlenarbeit nicht übertragen, weil er keine Erfahrung<br />

darin hätte. Gute Zimmerermeister waren für die Regierung besonders<br />

wichtig, da sie die Mühlen instand zu halten hatten. Durch Tüchtigkeit<br />

zeichnete sich Jürgen Spannhoff aus, der selbst Müller war. Er duldete<br />

keine Durchstechereien bei den Mühlenrechnungen und wurde deshalb<br />

von den Müllern viel angefeindet.<br />

1. Hofbäcker:<br />

Übersicht über die Hofhandwerker1).<br />

1691 Iohann Bruhns, Kl. Rosmarienstr. 5<br />

vor 1713 Häuer (Norden)<br />

1730 Lübbe Stapelstein, Schloßstr. 3<br />

1768 Andreas Lammers<br />

1793 Ulrich Friedrichs, Wangerstr. 3<br />

2. Hofküper:<br />

vor 1616 Balthasar Kuper<br />

vor 1680 Cord von Bergen<br />

1680 Evert Koch Kuper<br />

vor 1733 Hinrich Joachims, Hofböttcher<br />

1733 Gerd Wessels<br />

1742 Folkert Andresen, Hofböttcher<br />

vor 1757 Tobias Toben, Hofküper<br />

1757 Johann Caspar Siefken, Hofböttcher<br />

1793 Christian Wichmann Siefken (Sohn des Vorigen), Amtsmeister<br />

3. Hofbuchbinder:<br />

1750 Christian von Holten, Kl. Burgstr. 3<br />

1760 Johann Friedrich Trendtel (heiratet die Witwe<br />

von Holten)<br />

1793 Johann Friedrich Trendtel (Sohn des Vorigen)<br />

Wangerstr. 1<br />

4. Hofbarbiere:<br />

1697 Johann Schröder, Hofbarbier, St. Annenstr. 3<br />

1747 Anton Heinrich Schröder, Hofchirurg<br />

1793 Bernhard Thümmel, Hofchirurg<br />

1) Die Wohnungen der Hofhandwerker sind nach den Hauslisten von<br />

Jev er festgestellt (Leihgabe des Verfassers im L .A .).


D as Zunftwesen der Stadt Jev er bis zum Beginn der Frem dherrschaft (1806) 7 7<br />

5. Hofglaser:<br />

vor 1728 Eylt Eylts<br />

1740 Edo Jories Smidts, Amtsmeister<br />

1758 Dirk Bleecker, Amtsmeister<br />

1793 Jürgen Jansen Blecker (Sohn des Vorig.), Amtsmeister,<br />

Wangerstr. 8.<br />

6. Hofgold -und Silberarbeiter:<br />

1669 Georg Große<br />

1706 Johann Christian Arpsen, Hofgoldschmied<br />

1742 Eduard Bleecker, Hofgoldschmied, Hopfenzaun 7<br />

7. Hofkupferschläger:<br />

------ Theis Schneider<br />

8. Hofmaurermeister:<br />

1674 Cornelius Peters Vorbrücke<br />

1706 Otto Kimmen<br />

1727 Johann Paul Liesten<br />

1730 Philipp Kirchmann<br />

1734 Johann Georg Zeilinger, Drostenstr. 3<br />

1755 Bartholomäus Moser<br />

1760 Ernst Ludwig Zeilinger, Drostenstr. 12<br />

9. Hofsattler:<br />

1697 Christian Conrad Leschen (Löscher)<br />

1704 Conrad Wittmann, Wangerstr. 10<br />

1721 Henrich Frey, Gr. Wasserpfortstr. 15<br />

1745 Tobias Friese, Gr. Wasserpfortstr. 21<br />

1762 Conrad Hinrich Helmerichs (Stiefsohn des Vorigen)<br />

1790 Bonn<br />

1793 Johann Joachim Christoph Poepke, Amtsmeister<br />

10. Hofschlosser:<br />

1691 Balzer Klenau, Kleinschmied und Uhrmacher, Krumme<br />

Ellbogenstr.<br />

1693 Tönnies Günther Dresche<br />

1696 Hans Heinrich Clasen<br />

1715 Christian Borchert Clasen (Sohn des Vorigen)<br />

1731 Conrad Bockelohe, Steinstr. 2 (s. u.)<br />

1749 Dietrich August Bockelohe (Sohn des Vorigen),<br />

Steinstr. 2<br />

1787 Johann Conrad Krieg, Amtsmeister<br />

1793 Wilhelm Conrad Hemken


78<br />

11. Hofschmiede:<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

1654 Conrad Christian Siebrand, Hofschmied, Pferdearzt<br />

vor 1721 Gerd Gerdes, Amtsmeister<br />

1731 Conrad Bockelohe, Grob- und Kleinschmied,<br />

Steinstr. 2 (s. o.)<br />

1731 Hans Joachim Baumeister, Hufschmied, Pferdearzt<br />

1769 Friedrich Wilhelm Bohlmann, Kur- und Hufschmied<br />

vor 1790 Garlich Popken<br />

1790 Johann August Leberecht Westphal, Fahnenschmied,<br />

St. Annenstr. 3<br />

1793 Dietrich August Popken<br />

12. Hofschneider1):<br />

1669 Gottfried Ostmeyer<br />

1791 Johann Georg Christian Funck<br />

13. Hoftischler:<br />

1732 Peter Körninghen (Zerbst)<br />

1733 Johann Niklas Vogeler, St. Annenstr. 13<br />

1794 Ernst Lichtenberg<br />

14. Hofzimmer-undMühlenmeister:<br />

------ Gerd Eylts (Quathamer)<br />

1653 Hans Kamper<br />

vor 1664 Franz Harmens<br />

1664 Dietrich Hinrichs (Emden)<br />

1667 Matthias Lübben (Dornum)<br />

vor 1722 Berend Essenius<br />

vor 1723 Jürgen Spannhoff, Am Wall 1, Amtsmeister<br />

vor 1798 Johann Hinrichs<br />

1798 Johann Gribbe, Drostenstr. 5<br />

15. Hofzinngießer:<br />

1745 Albrecht Tiarks, Wangerstr. 11.<br />

*) Fü r Hofschneider war zur Zeit Anton Günthers in Jever kein Bedarf,<br />

da einer von seinen Oldenburger Hofschneidern ihn bei seinen Reisen nach<br />

Jev er begleitete. (Vgl. Hofmeistertagebuch L.A. V 6, Vol. 1).


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg,<br />

1345— 1861.<br />

Von Dietrich Kohl.<br />

Der Schutz, den eine mit Mauern und Wällen befestigte Siedlung,<br />

mit eigenem Recht und Gericht, der Person, dem Eigentum und der<br />

Arbeit ihrer Bewohner gewährte, die Möglichkeit, innerhalb einer<br />

freien Genossenschaft durch Tüchtigkeit, Klugheit, Redegabe und<br />

Mut zu Wohlstand und führender Stellung in Zunft, Gemeinde und<br />

Rat aufzusteigen, ließen das Bürgerrecht einer mittelalterlichen Stadt<br />

als etwas sehr Erstrebenswertes erscheinen. Daher der dauernde Zustrom<br />

überschüssiger Kräfte des flachen Landes in die Städte, um der<br />

Hörigkeit, der Niedrigkeit und der endlosen vergeblichen Arbeit zu<br />

entrinnen.<br />

Die älteste niederdeutsche Bezeichnung für das städtische Bürgerrecht<br />

ist burscap (burschup). Ein neu Einkommender gewinnt<br />

die burscap, er wird „to borger unde to bure" angenommen, wie es in<br />

einer der ältesten Oldenburger Urkunden (1347) heißt1). Jünger ist<br />

borgerschap, borgerschup, während borgerrecht ursprünglich im Sinne<br />

von Bürgerpflicht oder von städtischen Satzungen überhaupt gebraucht<br />

wird. Wenn der Bürger als bur, d. h. Bauer, Ansiedler bezeichnet<br />

wird, so wird damit gesagt, daß für das Bürgerrecht die Ansässigkeit<br />

am Orte Vorbedingung ist. In Städten, die sich aus der mittelalterlichen<br />

Landgemeinde entwickelt haben, aus der Bauerschaft, sind"<br />

nach F. Philippi die ältesten Bürger die Vollerben der Bauerschaft<br />

gewesen2). Auch in Oldenburg dürfen wir die ältesten Bürger als<br />

Besitzer von Hausmannsstellen vermuten, spätere Einwanderer mußten<br />

sich dann von diesen oder von dem Grafen Hausplätze und anderen<br />

Grundbesitz in den damals üblichen Formen (Weichbildrecht, städtische<br />

Erbzinsleihe) abtreten lassen3). Gerade durch diese Zugewanderten,<br />

die wie noch heute oft die Köter auf dem Lande zur Vervoll­<br />

1) Old. UB. (Oldenburgisches Urkundenbuch) I, 39.<br />

2) F. Philippi, Hans. Geschichtsblätter, Jahrg. 1889, S. 174— 177, desgl.<br />

Zur Verfassungsgeschichte der westf. Bischofsstädte, Osnabrück, Rackhorstsche<br />

Buchh. 1894, S. 40 ff.<br />

3) Vgl. meine Forschungen zur Verfassungsgesch. d. Stadt 0 . III, Jahrb.<br />

XII, namentl. S. 58 f., auch Philippi, Weichbild, Hans. Geschbl. Jahrg. 1895


80<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

ständigung ihrer Einkünfte eine gewerbliche Tätigkeit betrieben, ist<br />

dann die Entwicklung der Siedlung in städtischem Sinne gefördert<br />

worden. Aber noch im 18. Jahrhundert war selbst der reichste Kaufmann<br />

ohne ländlichen Besitz vor den Toren nicht denkbar. Noch<br />

immer war damals der Stadtbürger in gewissem Sinne auch Bauer.<br />

Der Sohn eines Bürgers wurde vollberechtigter Bürger, sobald er<br />

das Erbe seines Vaters antrat oder sich sonst einen eigenen Hausstand<br />

gründete. Die Tochter eines Bürgers wurde Bürgerin durch die<br />

Verheiratung mit einem Bürger der Stadt. Bürgerkinder erbten das<br />

Anrecht auf das Bürgerrecht, sie brauchten es, großjährig geworden,<br />

nicht zu kaufen, aber sie gelangten erst durch wirtschaftliche Selbständigkeit<br />

in den Vollbesitz aller bürgerlichen Rechte, freilich auch<br />

aller bürgerlichen Pflichten. Diese Bürger, die das Bürgerrecht von<br />

ihren Eltern ererbt hatten, wollen wir Altbürger nennen, selbst<br />

wenn der Vater das Bürgerrecht noch hatte durch Kauf gewinnen<br />

müssen. J e länger das Bürgerrecht in der Familie eines Altbürgers<br />

erblich war, desto angesehener war sie, zumal wenn sie mit kaufmännischer<br />

Tätigkeit größeren altererbten Grundbesitz verband. Aus<br />

diesen Kreisen gingen in der Regel die Ratsverwandten (Ratsmitglieder)<br />

hervor, doch ist es in Oldenburg — wie anscheinend in den<br />

meisten kleineren Städten — zur Bildung eines streng abgeschlossenen<br />

Patriziats nicht gekommen. Jedenfalls erhielten die alten Familien<br />

immer wieder frisches Blut durch die Neubürge r1).<br />

Dies waren Zugewanderte, die das Bürgerrecht „gewinnen“, d. h.<br />

kaufen mußten. Bei der Aufnahme als Bürger, die durch den Rat erfolgte,<br />

hatten sie ein Bürgergeld zu zahlen. Das Bremer Stadtrecht<br />

verlangte im Mittelalter 2 Mark ( = 1 Pf. Feinsilber) dafür, außerdem<br />

den Nachweis persönlicher Freiheit und im Zweifelsfalle die Stellung<br />

eines einheimischen Bürgers (später zweier Bürger) als Bürgen. Hatte<br />

der Neue jedoch schon Jahr und Tag (1 Jahr und 6 Wochen) unangefochten<br />

in der Stadt gewohnt, so galt seine Freiheit als erwiesen<br />

■und wurde gegen später erhobene Ansprüche von der Stadt geschützt2).<br />

1) Ein Bürger, der wenige Jahrzehnte nach der Erhebung Oldenburgs<br />

zur Stadt mit dem regierenden Bürgermeister des Jahres beim Biere in<br />

Streit geriet, bemerkte stolz, seine Vorfahren hätten Oldenburg mit gegründet,<br />

während ihm die Herkunft und die Verwandtschaft des Bürgermeisters<br />

unbekannt sei. Der Stolz des Alteingesessenen dem Zugewanderten<br />

gegenüber, obwohl dieser es doch schon zum Bürgermeister gebracht hatte,<br />

tritt hier offen zu Tage. Den kleinen bezeichnenden Vorfall überliefert eine<br />

Rechtsbelehrung des Brem er Rates. Old. UB. I, 199.<br />

2) Der Abt von Rastede fordert einen Oldenburger Bürger als seinen<br />

Leibeigenen zurück. Old. UB. I, 69, 2. Bl.


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 81<br />

In Oldenburg mußte der Rat auf Anordnung des Grafen seit<br />

15921) auch ein von der Obrigkeit des bisherigen Wohnsitzes ausgestelltes<br />

Herkunfts- und Leumundszeugnis mit einer<br />

Äußerung über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Zuzüglers verlangen2).<br />

Man sollte wissen, ob er sich selbst ernähren könne und<br />

nicht alsbald der Armenpflege zur Last fallen werde, wie es vordem<br />

öfter vorgekommen war. Zugleich wurde damals dem Rate erlaubt,<br />

als Bürgergeld 10 Reichstaler zu erheben, früher waren es 2 bis 3<br />

Gulden gewesen. Die späteren Aufnahmeakten zeigen aber, daß man<br />

sich dabei doch sehr nach den Umständen richtete. Minderbemittelte<br />

zahlten weniger, Dienstboten und Frauen erhielten das Bürgerrecht<br />

oft geschenkt. Im Mittelalter nahm man gern jeden Tüchtigen auf,<br />

auch wenn er kein Vermögen mitbrachte. Im 17. und 18. Jahrhundert<br />

brachte es die unter dem Einflüsse der Zunftmonopole stehende Gewerbepolitik<br />

mit sich, daß man engherziger verfuhr. Nur gegen Vertreter<br />

von Gewerben, die in der Stadt noch nicht vorhanden waren,<br />

s o bei einem Strumpfwirker, Essigbrauer, Gerber, einem Holz- und<br />

Steinbildhauer, war man entgegenkommender, gewährte ein geringes<br />

Bürgergeld und befreite den neuen Bürger auf ein oder zwei Jah rzehnte<br />

von allen bürgerlichen Lasten. Aber noch 1802 wurde einem<br />

Einwanderer aus Hüllstede das Bürgerrecht nur gegen eine Bescheinigung,<br />

daß er in seiner Heimat keine Unterstützung aus Armenmitteln<br />

bezogen und sich wohlverhalten habe, gewährt und ein Kaufmann<br />

aus Esenshamm, der sich in Konkurs befand, abgewiesen. Die möglichste<br />

Fernhaltung Unbemittelter von der Einbürgerung hat noch<br />

lange einen hervorstechenden Zug des Niederlassungsrechtes gebildet.<br />

Der Neubürger mußte natürlich auch seine Ansässigkeit nach-<br />

weisen oder als Eingesessener bekannt sein. In der Regel hatte er<br />

ein Bürgerhaus ererbt oder gekauft. Ungern ließ man Leute zu, die zur<br />

Heuer wohnten, aber vom Bürgerrecht ausgeschlossen waren sie nicht.<br />

Seine volle Wirkung erhielt das Bürgerrecht — sowohl bei Alt-<br />

wie bei Neubürgern — erst durch die Leistung des Bürger eides,<br />

der in die Hand des sitzenden Bürgermeisters geschworen wurde.<br />

D er Bürgereid wurde in Oldenburg gleich nach Erteilung des Stadtrechts<br />

1345 eingeführt3). In einer etwas späteren Urkunde4) heißt es:<br />

*) M achtspruch des Grafen Johann, A rt. 13. Stadtarchiv, M agistrat,<br />

Urkunden.<br />

2) Das geschah in Bremen erst seit dem 17. Jahrhundert.<br />

3) Nach K. Reineke, Das bremische Bürgerrecht, Brem. Jahrb. 1929,<br />

S. 206, wurde der Bürgereid in Bremen erst 1365 nach bürgerlichen Unruhen<br />

eingeführt und lautete anders.<br />

4) Old. UB. 1,46.<br />

Oldenburger Jahrbuch 6


82<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

„Do unse heren uns ene eweghe vrygheyt gheven, der wi bruken<br />

scolen na der stat van Bremen, also unse breve hebben, dat was na<br />

Godes borth dusent jar drehundert jar an deme vyf unde vertyghesten<br />

jare, do wurden de ratman mit den wysesten borgheren des to rade,<br />

dat se nemende to borghere entfan wolden, he nesculde<br />

1 o v e n unde s v e r e n , dat he nudes unde nodes (in Nutz und Not)<br />

bi den ratmannen unde der menen (gemeinen) stath bliven sculde, dar<br />

malk (jegliches) reght wolde nemen unde gheven unde unse heren mit<br />

gansen truwen menen (lieben), alse wi an unsen breven hebben to<br />

um gheplyght (wie wir uns urkundlich ihnen gegenüber verpflichtet<br />

haben)." Gehorsam gegen den Rat, Unterwerfung unter die städtische<br />

Gerichtsbarkeit und Treue gegen den Landesherrn sind die nach<br />

diesem Eid übernommenen Verpflichtungen. In der Eidesformel des.<br />

18. Jahrhunderts wird besonders die Treue gegen den Landesherrn,<br />

daneben gegen Bürgermeister und Rat betont und das Gelöbnis ausgesprochen,<br />

sich an keinem Aufruhr zu beteiligen, von Umtrieben<br />

gegen die Obrigkeit, die zur Kenntnis des Schwörenden kommen, sofort<br />

Mitteilung zu machen und sich bescheiden und fromm zu verhalten.<br />

Der städtischen Gerichtsbarkeit wird darin keine besondere<br />

Erwähnung getan.<br />

Besondere Bürgerbriefe wurden anfangs nicht ausgestellt. Im<br />

18. Jahrhundert dienten dazu die vom Syndikus mit einem Vermerk<br />

versehenen gedruckten Eidesformeln. Bei Aufgabe des Bürgerrechts<br />

mußten sie an die Stadt zurückgegeben werden. Eigentliche Bürgerbriefe,<br />

aber nur für die gewerblich tätigen Bürger, wurden erst 1833<br />

eingeführt. Dagegen wurden die neu aufgenommenen Bürger im Mittelalter<br />

in das älteste Stadtbuch, das außer dem bremischen Stadtrecht<br />

auch Oldenburger Statuten, Eidesformeln und dergleichen enthielt,<br />

eingetragen. Lückenlos sind diese Verzeichnisse nicht. Aus dem<br />

16. Jahrhundert sind nur zwei vorhanden. Im 17. Jahrhundert erscheinen<br />

die Neubürger zunächst in einzelnen Kämmererbüchern, von<br />

1648 an aber regelmäßig bis 1786 in den Gerichtsprotokollbüchern des<br />

Magistrats. Daneben beginnt 1740 ein Bürgerbuch, das alle vom<br />

Magistrat vereidigten Bürger, auch die in den anderen Listen<br />

nicht verzeichneten Bürgersöhne, nach dem Datum ihrer Vereidigung<br />

aufführt, um danach die Reihenfolge der ein halbes Jah r<br />

lang zur wöchentlichen Armensammlung verpflichteten jüngsten Bürger<br />

bestimmen zu können. Dieses Bürger e i d buch, das für die heutige<br />

Familienforschung großen Wert besitzt, reicht bis 18531).<br />

l) Um 1828— 61 wurde ein besonderes Aufnahme-Protokollbuch durch-<br />

geführt


Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 83<br />

Ohne Bürgerrecht konnte man in der Stadt nicht zu Wohlstand<br />

und Ansehen gelangen. In Bremen wurde im 18. Jahrhundert das<br />

Bürgerrecht sogar nach den Erwerbsmöglichkeiten abgestuft. Das<br />

höchste Bürgergeld zahlte die Kaufmannschaft.<br />

Es war möglich in der Stadt zu wohnen, ohne Bürger zu sein.<br />

So gab es in Oldenburg, wie wir später sehen werden, viele Personen<br />

adeligen oder kirchlichen, später auch militärischen Standes, die nicht<br />

Bürger waren. Auch Knechte, Gesellen, Tagelöhner, Dienstmägde<br />

wurden ohne Bürgerrecht zugelassen. In gewissen Fällen aber trat<br />

ein Zwang ein, das Bürgerrecht zu erwerben. Vor allem war der<br />

Betrieb eines bürgerlichen Gewerbes — Handwerk<br />

oder Kaufmannschaft — davon abhängig. In den Satzungen der Zünfte<br />

war das Bürgerrecht eine der Vorbedingungen für die Aufnahme in<br />

die Zunft, aber auch die sogenannten Freimeister und die nicht zünf-<br />

tisch zusammengeschlossenen Handwerker und Kaufleute mußten es<br />

nach Stadtrecht gewonnen haben, bevor sie „bürgerliche Nahrung“<br />

treiben durften. Darauf wurde von den beteiligten Gewerbegenossen<br />

am strengsten geachtet, falls die Obrigkeit sich etwa darin lässig<br />

zeigte, um das Entstehen einer Konkurrenz, die ohne bürgerliche<br />

Lasten, also mit geringeren Kosten arbeitete, zu verhüten. Dahin gehören<br />

die im 17. und 18. Jahrhundert sehr häufigen Beschwerden über<br />

frühere landesherrliche Militärpersonen, die ohne Bürgergeld gezahlt<br />

zu haben und bürgerliche Beschwerden zu tragen, als Schuster, Schneider<br />

usw. sich ihr Brot zu verdienen suchten. Konnte man die „Schwarzarbeit"<br />

aktiver Soldaten nicht ganz hindern, so durfte man bei den<br />

entlassenen nach Stadtrecht verfahren: sie wurden angewiesen, das<br />

Bürgerrecht zu erwerben oder, falls sie ihre gewerbliche Tätigkeit<br />

nicht einstellten, die Stadt zu räumen.<br />

Auch das in der Stadt durch die Bürger erworbene Vermögen<br />

suchte man durch gesetzliche Bestimmungen vor dem Anfall an Nichtbürger<br />

zu schützen. Eins der ältesten Oldenburger Statuten verbietet<br />

um 1350 Auswärtigen, ein ihnen durch Erbschaft zugefallenes olden-<br />

burgisches Bürgererbe ohne Erwerb des Bürgerrechts anzutreten,<br />

falls sie es nicht vorziehen, das Erbe in Bürgerhand zu verkaufen.<br />

Auch sollen fremde Männer und Frauen, die Oldenburger Bürgerinnen<br />

bzw. Bürger mit Bürgererbe heiraten, das oldenburgische Bürgerrecht<br />

gewinnen1). Noch im 18. Jahrhundert hielt man streng auf diese<br />

Bestimmungen. Als 1724 der Ältermann Robbers und sein Sohn, die<br />

beide auswärtige Frauen genommen hatten, sich weigerten, für diese<br />

i) Old. UB. 1,45.<br />

6*


8 4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

das verlangte Bürgergeld (10 Rtl.) zu zahlen, setzte der Magistrat es<br />

durch, daß ihre Beschwerde von der Oberbehörde abgewiesen wurde<br />

und er sie durch Pfändung eines silbernen Bechers zur Zahlung zwingen<br />

durfte, wobei er sich allerdings nicht auf das alte Oldenburger Statut,<br />

sondern auf das Bremer Stadtrecht von 1433 berufen hatte, das mit<br />

der Krefftingschen Bearbeitung des Bremer Stadtrechts seinen Einzug<br />

auch in Oldenburg gehalten. W ar er sonst geneigt, zuziehenden Frauen<br />

das Bürgerrecht zu schenken, so hatte er es diesmal bei „dem stadtkundigen<br />

Reichtum" der beiden Robbers nicht für angebracht gehalten1) .<br />

W ar im allgemeinen die Ansässigkeit in der Stadt Oldenburg<br />

selbst, im Amtsbezirk des städtischen Ratskollegiums und Gerichts,<br />

Vorschrift für die Zulassung zum Bürgerrecht, so fanden doch davon<br />

manche Ausnahmen statt. Auch hier gab es die Einrichtung des<br />

Ausbürger - oder Pfahlbürgertums.<br />

Eine ganz allgemeine Erscheinung ist es im Mittelalter, daß die<br />

Städte mit benachbarten Edelleuten Ausbürgerverträge schließen.<br />

Ein solcher Fall ist von Oldenburg nur einmal bekannt, wird aber in<br />

einer sehr ausführlichen Urkunde behandelt und stammt gerade aus<br />

der Zeit, als Oldenburg soeben erst sein Stadtrecht erhalten hatte.<br />

Die beiden Knappen H i n r i c h von Bardenfleth und sein Sohn<br />

Arnold, ritterliche Dienstleute der Grafen von Oldenburg, auch<br />

aus anderen Urkunden der Zeit bekannt2), geloben am 18. März<br />

13473), der Stadt Oldenburg, weil sie von ihr „to borger und to bure“<br />

aufgenommen seien, in all ihren Streitigkeiten beizustehen. Ausgenommen<br />

sind Streitigkeiten mit den Grafen; gegen diese können<br />

sie ihr höchstens als Fürbitter helfen. Verbrechen aber ihre eigenen<br />

Geschlechtsgenossen (mage unde vrund) etwas gegen die Stadt, so<br />

halten sie diesen nicht etwa, wie es sonst die Pflicht der Sippengenossen<br />

ist, die Stange, ohne nach Recht und Unrecht zu fragen,<br />

sondern versuchen in den nächsten 14 Tagen vereint mit den Ratmannen<br />

den Streit schiedsgerichtlich durch Vergleich oder<br />

nach Stadtrecht zu schlichten. Erkennen die Verwandten den Schiedsspruch<br />

nicht an, so tritt eine weitere Frist von 4 Wochen ein, innerhalb<br />

derer die Sache vor den Grafen zu verhandeln ist. Unterwerfen<br />

sich jene auch dem gräflichen Spruche nicht, sosagensich<br />

die Herren von Bardenfleth von ihrer Sippe los<br />

und helfen der Stadt gegen diese, bis die Bürger volle<br />

Genugtuung erhalten haben. Begehen die Sippenleute einen Tot­<br />

*) Vgl. auch Corp. Const. Oldenb., Suppl. I, 6, Nr. 15.<br />

2) Z .B . Old. UB. IV, 680 (1345), 708 (1352).<br />

3) Old. UB. 1 ,39.


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 8 5<br />

schlag auf der Straße, so verfallen sie dem Stadtgericht. Kommt es<br />

nur zu einer Verwundung und gelingt es den Adeligen, in ihre Wohnung<br />

zu flüchten, so dürfen sie innerhalb der sechswöchigen Gesamtfrist<br />

für die Schlichtung die Straße nur mit Erlaubnis des Rates betreten1),<br />

erhalten also Hausarrest.<br />

Welche Vorteile beiden Bardenfleths aus ihrem Bürgerrecht erwachsen<br />

konnten, ist nicht recht ersichtlich, falls sie nicht eine Geldsumme<br />

erhalten haben. Ein bürgerliches Gewerbe konnten sie als<br />

Ritter nicht treiben. Aber auch der Stadt boten solche Verträge nicht<br />

viel, wenn die Grafen als Gegner ausgenommen wurden, und gegen<br />

die gräflichen Burgmannen fand sie bei den gemeinsamen Herren<br />

immer noch den besten Schutz. Wurde ihr aber dieser versagt, so<br />

konnten ihr einzelne Ritter auch nicht viel nützen. So waren denn<br />

bei den Gewalttaten des Grafen Konrad II. und seiner Dienstleute2)<br />

auch mehrere Bardenfleths beteiligt, obwohl Hinrich und Arnold 1347<br />

auch für ihre Nachkommen gutgesagt hatten.<br />

In sehr großem Umfange wurde das Ausbürgerrecht dagegen von<br />

bürgerlichen Personen im Laufe der Jahrhunderte in Anspruch<br />

genommen. Außerhalb des städtischen Jurisdiktionsbezirks bildeten<br />

sich nach und nach zwei vorstädtische Ansiedlungen: 1, auf dem<br />

Stau am Hafen, 2. südlich von der Haaren (heute Hausbäke) an der<br />

Mühlenstraße und am Damm. Zwar unterstanden diese beide dem<br />

gräflichen Hausvogt, aber schon früh scheinen auch Stadtbürger sich<br />

dort niedergelassen zu haben. Am Stau wird schon 1383 ein der Stadt<br />

gehöriger Hausplatz erwähnt, den die Ratmannen gegen einen Wurt-<br />

zins dem Knappen Klauenbeck überlassen, der aber bei einem W eiterverkauf<br />

nur in Bürgerhände kommen darf. 1502 standen hier bereits<br />

21 Häuser, die wegen des Hafenbetriebs wohl meist in bürgerlicher<br />

Hand waren (nur 3 zahlten Wurtzins an den Grafen). An der Mühlenstraße<br />

und auf den Dämmen (innerer Damm, heute Schloßplatz, mittlerer<br />

und äußerer Damm, heute Damm) in der Nähe des Schlosses<br />

siedelten sich die Grafenleute an. Schon 1360 werden Häuser am<br />

mittleren Damm genannt, aber erst um 1500 wurde der innere Damm<br />

erst recht ausgebaut (in 2 Häuserreihen), von 1502 bis 1513 vermehrte<br />

1) Auch in der Stadtrechtsurkunde von 1345 (Old. UB. I, 34) wird in<br />

A rt. 8 das persönliche Gericht der Grafen als Instanz für Streitigkeiten zwischen<br />

den Burgmannen und der Stadt bezeichnet. Es soll innerhalb 6 Wochen<br />

einen Vergleich versuchen; gelingt dieses nicht, so soll das Stadtrecht gelten.<br />

Bei Totschlag und Verwundungen innerhalb des Bezirks, in dem der Stadtfrieden<br />

gilt, darf der Rat die T äter sogar bis in die sonst immunen W ohnungen<br />

der Ritter verfolgen.<br />

2) Old. UB. I, 69 (das richtige Jah r ist doch 1373, nicht 1383).


86<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

sich die Häuserzahl um 48. Obwohl Graf Johann V. hier eine privilegierte<br />

Handwerkerinnung gründete, gibt es zur Zeit des Grafen<br />

Anton Günther auch Stadtbürger, die aus der Stadt auf den Damm<br />

gezogen sind und zur Erhaltung ihres Bürgerrechts eine Abgabe an<br />

die Stadt zahlen (3, später 6 Grote). Der große Brand von 1676 hatte<br />

zur Folge, daß sehr viele Bürger ihre Wohnstätten aus der Stadt vor<br />

die Tore verlegten, um sich den bürgerlichen Lasten zu entziehen.<br />

Dies führte zwar 1680 zur Vereinigung des inneren Dammes und der<br />

Mühlenstraße mit der Stadt, so daß das dortige Ausbürgertum aufhörte,<br />

aber von den übrigen Toren kehrten die Ausgewanderten trotz<br />

zahlreicher Verordnungen meist nicht wieder zurück.<br />

Ausgewanderte Oldenburger Bürger, die zur Erhaltung ihres<br />

Bürgerrechts ein Jahrgeld zahlten, finden sich im 17. Jahrhundert vielfach<br />

auch in anderen oldenburgischen oder auswärtigen Orten. Das<br />

geschah namentlich aus erbrechtlichen Gründen. Näheres wird später<br />

beim Abzugsrecht darüber zu sagen sein.<br />

Eine neue Art von Ausbürgern bildete sich dadurch, das auswärtige<br />

Schiffer und Hausierer das Bürgerrecht der Stadt<br />

Oldenburg erwarben, um unter seinem Schutze ihrem Gewerbe nachzugehen.<br />

In Zeiten großer Kriege, in denen die Grafschaft Oldenburg zu<br />

den neutralen Ländern gehörte, suchten fremde Schiffer um das<br />

Bürgerrecht der Stadt Oldenburg nach, um, mit einem oldenburgischen<br />

Seepaß ausgestattet, unter neutraler Flagge fahren zu können.<br />

Dies geschah schon unter Graf Anton Günther während des Dreißigjährigen<br />

Krieges, ferner wiederholt unter der Herrschaft der dänischen<br />

Krone, die als größere Seemacht ihrer Flagge Schutz zu verleihen<br />

imstande war, während der Raubkriege Ludwigs XIV., des Siebenjährigen<br />

Krieges und unter den Gottorper Herzögen noch während der<br />

Koalitionskriege1). Diese Schiffer, in Emden, Vegesack oder sonstwo<br />

wohnhaft, versprachen bei der Zahlung des Bürgergeldes und<br />

dem Empfang des Bürgerbriefes, mit ihrer Familie nach Oldenburg<br />

zu ziehen, und verpflichteten sich einstweilen zur jährlichen Zahlung<br />

einer festen Summe als Entgelt für die von ihnen nicht geleisteten<br />

bürgerlichen Abgaben und Dienste, wofür sie einen Oldenburger als<br />

Bürgen stellen mußten. Die Begründung eines eigenen Hausstandes<br />

durch den Schiffer in Oldenburg unterblieb, aber indem das Bürgergeld<br />

in die Ratskasse, das Ablösungsgeld in die Serviskasse floß,<br />

diente dieser Handel mit dem Bürgerrecht der Befruchtung der städti-<br />

Kohl, M aterialien z u r Geschichte d e r O ld en burg. Seeschiffahrt. 0 1 4<br />

Jahrb. XVI (1908).


Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 87<br />

sehen Finanzen und wurde nicht bemängelt, zumal die einheimischen<br />

Schiffer nicht schlechter gestellt wurden als die fremden. Ein Widerspruch<br />

aus der Bürgerschaft erfolgte erst, als sich auch auswärtige<br />

Geschäftsleute dieses Vorteils zu bemächtigen suchten. So erwarb<br />

1753 ein Weißgerber in Elsfleth das Oldenburger Bürgerrecht auf dem<br />

Fuß der „Schifferbürger", allerdings unter gleichzeitiger Aufnahme<br />

ins Weißgerberamt. Dasselbe taten 6 Handelsleute aus der Grafschaft<br />

Lingen, sog. Packenträger, die mit „Ellenwaren" auf dem<br />

Lande von Haus zu Haus zogen. Als 1755 ein Woll- und Honighändler<br />

in Dingstede um das Bürgerrecht nachsuchte, mit der Erlaubnis, in<br />

Dingstede bleiben zu dürfen, erklärten sich bereits die Älterleute in<br />

einem Gutachten unter Berufung auf die Privilegierung der Städte<br />

Oldenburg und Delmenhorst durch königliche Verordnungen von<br />

1699, 1700 und 1705 dagegen, weil der Dingsteder im sogen, verbotenen<br />

Distrikt (Bannmeile, 3 Meilen nach der Geest-, 2 Meilen nach der<br />

Marschseite) wohne, auch der Landhandel den Stadthandel schon<br />

empfindlich schädige und die Einnahme des Bürgergeldes und des<br />

Ablösungsgeldes nur ein scheinbarer Vorteil sei. Wirksamer war das<br />

Vorgehen der privilegierten Kramersozietät im Jahre 1758 gegen die<br />

Landhandelsleute. Ihre Beschwerde gelangte sogar nach Kopenhagen<br />

und bewirkte dort beim Minister Bernstorff ein scharfes Rückschreiben,<br />

worin bemerkt wurde, daß zwar der Erteilung des Bürgerrechts an<br />

Fremde nichts im Wege stehe, daß es sich aber dabei nicht um solche<br />

handeln dürfe, die ihren Hauptwohnsitz anderswo hätten und in Oldenburg<br />

nur der Form nach Feuer und Herd hielten, um dadurch der<br />

Vorrechte der dortigen Bürger teilhaftig zu werden, ohne an deren<br />

Steuern und Lasten teilzunehmen. Auf Erfordern legte der Magistrat<br />

eine Liste der augenblicklich mit solchem Bürgerrecht beliehenen<br />

Personen vor: es waren 7 Handelsleute und 9 Schiffer. Darauf wurde<br />

1759 zunächst die weitere Verleihung des Bürgerrechts an Fremde,<br />

die sich nicht häuslich in der Stadt niederließen, gänzlich verboten<br />

und dem Magistrat aufgegeben, den genannten 16 Personen das Bürgerrecht<br />

sofort zu kündigen. Auf weitere Vorstellungen wurde das<br />

Verbot auf die Hausierer beschränkt, die Aufnahme von Schiffern<br />

aber, die in königlichen Gebieten Handel und Schiffahrt auf Rechnung<br />

königlicher Untertanen trieben, auch fernerhin zugelassen. In<br />

einer landesherrlichen Verordnung von 1782 wegen des von den nordischen<br />

Seemächten der oldenburgischen Flagge verliehenen Schutzes<br />

wurde diese Bedingung von neuem eingeschärft und in den neunziger<br />

Jahren weisen die Schiffer bei Entnahme des Bürgerrechts den Besitz<br />

oder Ankauf eines Hauses in der Stadt nach. Die Akten enthalten


88<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

denn auch weiterhin zahlreiche Verleihungen des Bürgerrechts an<br />

Schiffer. Aber auch die westfälischen Hausierer wußten sich zu behaupten.<br />

Zwar wurde ihnen vom Magistrat eröffnet, daß sie ihre<br />

Bürgerbriefe zurückgeben müßten und nicht mehr in den Grafschaften<br />

hausieren dürften, auch erhielten sie von der oldenburgischen Kammer<br />

auf eine Eingabe denselben Bescheid, aber zugleich wurde bemerkt,<br />

wenn der eine oder andere irgendwo im hiesigen Territorium<br />

eine Wohnung nehmen würde und darüber eine Bescheinigung des<br />

örtlichen Beamten beibringen könne, so solle weiterer Bescheid erfolgen.<br />

Vier von ihnen haben sich dann in Ovelgönne eingeheuert<br />

und der Kammer ihre Verträge vorgelegt. Neben den Kurzwaren-<br />

händlern aus der Grafschaft Lingen traten späterhin in Oldenburg<br />

zeitweise Steinguthändler aus Westfalen und Uhrenhändler aus dem<br />

Schwarzwalde auf, aber die Kammer, die ihnen die Pässe ausstellt,<br />

achtet jetzt darauf, daß diese Händler in der Stadt wenigstens eine<br />

Wohnung mieten.<br />

Als eine Auswirkung der Kontinentalsperre, die den Landhandel<br />

begünstigte und einen Teil des Handels zwischen Bremen und Holland<br />

über Oldenburg lenkte, ist es wohl anzusehen, wenn gegen Ende des<br />

ersten Jahrzehnts im neuen Jahrhundert Fuhrleute und Speditionshändler<br />

zu erleichterten Bedingungen das Bürgerrecht erhielten.<br />

Im übrigen wurden aber noch oft in der Bürgerrechtsfrage die<br />

alten Vorschriften in alter Schärfe zur Anwendung gebracht. Ein<br />

Einwanderer aus Lesum mußte 1805 ein Zeugnis vorlegen, daß er sich<br />

dort zur Zufriedenheit betragen, daß keine Schuldklage gegen ihn<br />

erhoben und nichts von seinen Sachen gerichtlich gepfändet worden<br />

sei. Ein entlassener Musketier, der ein Bürgerhaus besaß, aber sich<br />

weigerte, das Bürgerrecht zu erwerben, wurde 1807 aufgefordert, sein<br />

Haus zu verkaufen und die Stadt zu räumen oder sich nur als Tagelöhner<br />

zu ernähren. Hier zeigt sich noch der mittelalterliche Standpunkt:<br />

wer sich durch ein geachtetes bürgerliches Gewerbe — als<br />

selbständiger Kaufmann oder Handwerker — ernähren wollte, mußte<br />

das Bürgerrecht erwerben u n d ein Haus besitzen. Eins allein reichte<br />

nicht aus.<br />

W ar die Aufnahme als Bürger an gewisse Bedingungen gebunden,<br />

so war auch das Ausscheiden aus dem Bürgerverbande mit Umständen,<br />

teilweise auch mit großen Nachteilen verknüpft. Wenn eia<br />

Bürger seinen dauernden Wohnsitz nach einem anderen Orte verlegen<br />

wollte und dies dem Rate anzeigte, brauchte er nur Haus- und<br />

Grundbesitz in Oldenburg an einen anderen Bürger oder an die Stadt


Das Bürgerrecht in der Stad t Oldenburg. 1345— 1861 89<br />

zu verkaufen. Damit waren dann die gegenseitigen Verpflichtungen<br />

zwischen ihm und der Stadt erloschen. Zog er aber ohne Kündigung<br />

fort, so verfiel der dritte Teil seines Vermögens der Stadt. „Wo eyner<br />

borger is unde uth unsser stadt an anderen ordere tho wonnende tucht<br />

unde syne sulvest wonninge unde rauche buthen upsleith unde syne<br />

gudere, ede unde burgerschup tovoren nicht upensacht,<br />

deme syne gude nicht u n s a 1 z o dhan vorkopet, szo is de d r u d d e<br />

parthe des gudes an unsser stadt vorfallen na<br />

unsser stadt rech t“, heißt es in einem Briefe, womit der Rat im<br />

Anfänge des 16. Jahrhunderts einen auswärtigen Einspruch beantwortete1).<br />

Dies ist das stadtoldenburgische Abzugsrecht, das<br />

vor der Auffindung jenes Briefes nur aus späteren Quellen bekannt<br />

war. In dem ältesten Oldenburger Stadtbuch, das neben dem bremischen<br />

Stadtrecht auch viele Oldenburger Statuten aus dem 14. und<br />

15. Jahrhundert enthält, findet es sich nirgends, selbst da nicht, wohin<br />

es gehört hätte, in einer Oldenburger Satzung über den Verlust des<br />

Bürgerrechts durch Wegzug: „Wellich borghere, dede ys buthen der<br />

stadt yar unde dach ane orlef des rades unde vulbort unde heft eghe-<br />

nen rok, den scholen de radmanne nicht vor enen borghere vor-<br />

deghinghen (schützen, eintreten für). Were ok, dat en borghere de bur-<br />

schup upzeghede, den schal men ok nicht vordeghedinghen vor enen<br />

borghere.2)" Hier hätte man die Erwähnung des Abzugsrechtes hinter<br />

dem ersten Satze erwarten dürfen. Auch in den von Oelrichs mitgeteilten<br />

Bremer Gesetzbüchern von 1428, 1450 und 1489 ist keine<br />

derartige Bestimmung kodifiziert.<br />

Aus den angeführten Sätzen des Stadtrechts ist aber zu erkennen,<br />

daß dem ausgewanderten Bürger, falls er das Bürgerrecht nicht gekündigt<br />

hatte, noch eine Frist von Jahr und Tag (1 Jah r und 6 Wochen)<br />

verblieb, bevor ihm das Bürgerrecht entzogen wurde. Erst<br />

dann konnte auch das Abzugsrecht in Kraft treten.<br />

Gegen Ende des 16. Jahrhunderts wird das Abzugsrecht bei Verhandlungen<br />

zwischen dem Grafen und der Stadt Oldenburg (1591/92)<br />

als „alter Gebrauch" erwähnt. 1574 haben Bürgermeister und Rat<br />

in einem Erbfall auch den dritten Teil eingezogen, weil „der Erbe<br />

kein Bürger gewest". Wir erfahren aus Eintragungen in zwei<br />

„Bücher des Bürgergeldes" (1607— 1646), daß es außerhalb der Stadt<br />

wohnende Bürger gibt, die durch Zahlung eines geringen Jahrgeldes<br />

1) Old. UB. I, 385. Das Schreiben ist von mir 1903 bei der Ordnung des<br />

Stadtarchivs aufgefunden.<br />

2) Oldenb. Stadtbuch, Pergamenthandschr., S. 19, Sp. 1/2, Oelrichs, Gesetzbücher<br />

der Stadt Bremen 1771, S. 824.


90<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

sich vor den Folgen des Abzugsrechtes schützen dürfen und deswegen<br />

in diese Bücher nebst den von ihnen geleisteten Zahlungen eingetragen<br />

sind. Wenn Mann u n d Frau zahlen, behalten sogar ihre Erben<br />

das Bürgerrecht, nur müssen sie, sobald sie selbst haushalten, auch<br />

ihrerseits das Jahrgeld (einen Doppelschilling, von 1625 an 12 Grote)<br />

entrichten. Hier handelt es sich um Bürger, die „mit Urlaub" des<br />

Rates auswärts wohnen und die in Oldenburg nicht geleisteten bürgerlichen<br />

Dienste und Abgaben mit einem Jahresbeitrag abgelten. Der<br />

Hauptzweck dieser „Konservierung“ des Bürgerrechts für die meist<br />

durch Verheiratung nach auswärts gekommenen Bürger war, bei Anfall<br />

von Erbgut aus der Stadt den Abzug des dritten Teils, der in<br />

diesem Falle eine empfindliche Erbschaftssteuer darstellte, zu vermeiden.<br />

Einnahmen aus solchen Erbschaftsfällen, bei denen die B ewahrung<br />

des Bürgerrechts der Erbberechtigten versäumt worden war,<br />

sind in den Stadtrechnungen des 17. Jahrhunderts vorkommenden-<br />

falls verzeichnet. So heißt es in der Stadtrechnung von 1670, S. 17:<br />

„Säligen Alcke Mühlen Erben, weiln sie das Bürgerrecht<br />

nicht gehabt, geben an stadt des 3ten pfennings zue abzugsgeld<br />

40 Rth.“ Noch 1693 entrichten des verstorbenen Oltmann Berne Kinder<br />

8 Rt., der Pastor Ummius in Jeverland wegen seiner verstorbenen<br />

Ehefrau, Tochter Diedrich Schröders, 50 Rt. — Beträge die, wie der<br />

erstgenannte, an Stelle des ziemlich hohen Drittels „veraccordirt“<br />

waren.<br />

Auf dem Lande in der engeren Grafschaft Oldenburg wurde<br />

noch unter Graf Anton Günther kein solches Abzugsgeld vom Gesamtvermögen<br />

erhoben, wohl aber in der bis 1667 selbständigen H errschaft<br />

Delmenhorst, im Stedingerlande und Land Würden, z. B. in<br />

Delmenhorst 1640 von einer Erbschaft von 1050 Rt. der dritte Teil<br />

mit 350 R t.1) Nur der Abzug von Heergewetten und Geraden war<br />

überall bekannt.<br />

Im Jahre 1694 trat nun in der Stadt Oldenburg eine wesentliche<br />

Änderung ein. Die dänische Regierung, die wie die Akten erweisen,<br />

über den Sinn des Abzugsrechts ziemlich im unklaren war, schaffte<br />

die Sitte, d a ß nach auswärts gezogene Bürger sich<br />

das Bürgerrecht durch Zahlung weniger Grote Vorbehalten<br />

könnten, nur um sich in Erbschaftsfällen das Abzugsgeld<br />

zu ersparen, als Mißbrauch ab und verordhete, daß das Ab­<br />

M L.A. A a. Grafsch. O. Tit. X X X III, Aa. betr. die in den Grafsch. Oldenburg<br />

und Delmenhorst zu erhebenden Abzugsgelder 1612— 1761. Vgl. auch Aa.<br />

generalia wegen der Abzugsgelder in d. Grafsch. Oldenburg und Delmenhorst<br />

1655— 1776. S. Berichte von 1655 und 1695.<br />

U «3c*1b!1*tfceh<br />

Oldenburg i. O.


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 91<br />

zugsgeld fortan sofort bei der Übersiedelung eines Bürgers<br />

nach auswärts und sonst bei jedem Anfall städtischen<br />

Erbguts an Fremde erhoben werden solle1). Merkwürdigerweise<br />

wurde dabei als bisher einbehaltener Betrag nicht der 3.,<br />

sondern der 10. Pfennig genannt, der denn auch weiterhin erhoben<br />

werden sollte. Tatsächlich wird denn auch von 1695 an in den<br />

Stadtrechnungen nicht mehr Vs, sondern ’/to als Abzugsgeld gebucht,<br />

und zwar wird es nun nicht mehr nur in Fällen versessenen<br />

Bürgerrechts, sondern bei jedem Fortzug, bei jeder an einen Nicht-<br />

bürger der Stadt fallenden Erbschaft erhoben.<br />

Da die Abzugsgelder sich nun nicht mehr auf seltene Fälle beschränken,<br />

sondern häufiger auf treten und im Laufe des Jahres mehr<br />

einbringen als früher, so ist es erklärlich, daß die Stadt weder gegen<br />

die Abschaffung des jährlichen Bürgergeldes Auswärtiger, noch gegen<br />

die Herabsetzung des Abzugsanteils Einspruch erhoben hat.<br />

Die neue Bestimmung traf den einzelnen aber insofern strenger,<br />

als er dem Vermögensabzug, falls er aus der Stadt auszog, nun nicht<br />

mehr durch Zahlung eines geringen jährlichen „Bürgergeldes" entgehen<br />

konnte. Die Akten über die Behandlung der Einzelfälle lassen<br />

erkennen, welche Umstände den auswandernden Bürgern oder den<br />

auswärtigen Erben verstorbener Bürger dabei erwuchsen. Dem Stadtmagistrat<br />

mußten beeidigte ausführliche Sachverzeichnisse vorgelegt<br />

werden, aber bei der Art der damaligen Kapitalsanlage (Ausleihen<br />

in kleinen Posten an zahllose, oft unsichere Schuldner) waren Meinungsverschiedenheiten<br />

über die Einschätzung der Vermögensteile<br />

unvermeidlich und eine „Veraccordirung" der Abzugsbeträge daher<br />

häufig. Auch wurde das bewegliche Vermögen sofort, das unbewegliche<br />

aber erst beim Verkaufe besteuert, was zu vielen Verschleppungen<br />

Anlaß gab. Endlich mußte der Abzug vom Heergewette und<br />

der Weibergerade (Erbstücken, die vorweg an die nächsten männlichen,<br />

bzw. weiblichen Personen fielen) besonders behandelt werden.<br />

Die dänische Regierung, die in der Eröffnung neuer Einnahmequellen<br />

sehr geschickt war, hat übrigens den 10. Pfennig Abzugsgeld<br />

damals auch für die ganze Grafschaft Oldenburg eingeführt. Als 1715<br />

ein oldenburgischer Kammerrat wegen der „Decimation oder Abzugsgelder“<br />

bei der Königlichen Kammer in Kopenhagen anfragte, erhielt<br />

er zur Antwort, daß sich eine besondere Verordnung im Kammerarchiv<br />

zwar nicht finde, daß aber solches eine v o n alters her­<br />

1) Verordnung weg. Übertragung der Kriminaljurisdiktion an die Stadt<br />

Oldenburg v. 14. Ju li 1694. C.C.O. 6. 41. 83.


92<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

gebrachte Hoheit und Gerechtigkeit sei, die jederzeit<br />

von den hohen Herrschaften exercieret worden, auch in den<br />

gemeinen Rechten (dem Römischen Recht), gegründet sei und<br />

sich auf alle aus dem Lande gehende Güter: Aussteuern, Brautwagen,<br />

dotale Gelder (Vermächtnisse) sowohl von adeligen als bürgerlichen<br />

und Bauernstandspersonen, so außerhalb des Landes verheiratet würden,<br />

oder bei anderer Gelegenheit von Erbschaften usw. erstrecke.<br />

In der Grafschaft Oldenburg sei der 10., in Delmenhorst und Land<br />

Würden der 5. Pfennig zu berechnen, wie die bisherigen Rechnungen<br />

ergäben1). 1746 wurde der Abzugspfennig in den königlichen deutschen<br />

Provinzen durch eine allgemeine Verordnung „reguliert". Die<br />

Städte durften den Abzug nur von Gütern, die unter ihrer Jurisdiktion<br />

lagen, erheben und die Einnahmen daraus nur zum Besten<br />

der ganzen Stadt, nicht mehr wie bisher, für den Magistrat allein<br />

verwenden. Von anderen Gütern fiel er der königlichen Kasse zu.<br />

Im 18. Jahrhundert begannen bereits Versuche, das lästige und<br />

verhaßte Abzugsrecht durch Staatsverträge zu beseitigen, indem man<br />

wechselseitig darauf verzichtete. Herzog Friedrich August schloß<br />

1776 entsprechende Verträge mit Mecklenburg und Dänemark, Herzog<br />

Peter 1792 mit der Herrschaft Jev er ab, wobei aber das Abzugsrecht<br />

der Stadt Oldenburg als Separatrecht ausgenommen wurde. Damals<br />

erklärten Älterleute und Geschworene, daß die Stadt die Einnahme<br />

vom Abzug nicht entbehren könne, da sie ein beträchtliches Einkommen<br />

darstelle. Die völlige Aufhebung des Abzugsrechtes erfolgte<br />

stufenweise erst seit den Freiheitskriegen; für das Gebiet der zum<br />

Deutschen Bunde gehörigen Staaten in ihrem gegenseitigen Verhältnis<br />

durch die Bundesakte von 1815.<br />

Die Ansicht der Königlichen Kammer (1715), daß das Abzugsrecht<br />

zu den von alters her gegebenen landesherrlichen Hoheitsrechten<br />

gehöre, ist nicht haltbar. Freilich hat man auch neuerdings<br />

das ius detractus (gabella hereditaria oder emigrationis) aus dem<br />

Recht des Kaisers herleiten wollen, den Nachlaß verstorbener Fremden<br />

ganz oder teilweise einzuziehen, daß dann von der Reichsregierung<br />

auf die Landesfürsten und weiterhin auf Städte, Gerichts- und<br />

Gutsherrschaften übergegangen sei2). Aber schon 1791 hat ein kur-<br />

mainzischer Jurist das Umgekehrte behauptet: das städtische Abzugsrecht<br />

sei weit älter als das landesherrliche, dieses letztere als<br />

*) C.C.O. 4. 66. 100. (handschriftl. im Stadtarchiv, Mag. A a. Verw. A.<br />

X IX 5, 6).<br />

2) Holtzendorff, Rechtslexikon unter „Abschoss“. 19. Jahrh,


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 93<br />

eine Kopie des ersteren, eine allerdings in neueren Zeiten mit Ver-<br />

lassung aller Grundprinzipien ganz umgemodelte, äußerst ausgedehnte<br />

und andersartige Nachahmung anzusehen1). Diese Auffassung findet in<br />

den oldenburgischen Verhältnissen eine Stütze. Das Abzugsrecht von<br />

dem gesamten Vermögen war ursprünglich ein der Stadt Oldenburg<br />

eigentümliches Recht. Erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts ist es<br />

von der dänischen Regierung auch auf dem Lande allgemein eingeführt<br />

worden. In der Stadt bildete es mit anderen Bestimmungen zusammen<br />

nur ein Mittel gegen die heimliche Abwanderung und Kapitalsflucht;<br />

wer sich ordnungsmäßig abmeldete und eine kleine jährliche Gebühr<br />

für Aufrechterhaltung des Bürgerrechts zahlte, wurde von dem Vermögens-<br />

und Erbschaftsabzug nicht betroffen. In der Zeit des städtischen<br />

Verfalls, im 17. Jahrhundert, wird es freilich auch hier schon<br />

mehr von der finanzpolitischen Seite aus betrachtet. In den Händen<br />

der dänischen Regierung gestaltete es sich aber zu einer reinen<br />

steuerlichen Ausbeutungsmaßregel, die mehr als alles andere die Freizügigkeit<br />

belastet hat.<br />

Freiwillig wurde im 18. Jahrhundert auf das Bürgerrecht Verzicht<br />

geleistet von Personen, die als Beamte oder Soldaten in den<br />

landesherrlichen Dienst traten, ohne daß sie ihren Wohnsitz veränderten,<br />

und nun die bürgerlichen Lasten und Abgaben nicht mehr<br />

tragen wollten. Dasselbe geschah wegen Verarmung oder hohen<br />

Alters. Auch die auswärtigen Schiffer und Händler sandten die vom<br />

Magistrat erhaltenen Bürgerbriefe zurück, wenn sie ihrer nicht mehr<br />

bedurften, um der weiteren Zahlung der Jahrgelder enthoben zu sein.<br />

Zu einer zwangsweisen Entziehung des Bürgerrechts konnte<br />

die dauernde Versäumung der bürgerlichen Dienste und Abgaben<br />

führen. Sogar einem Ratmann konnte sie als Strafe auferlegt werden.<br />

Wenn der Bürgermeister einem solchen in einer wider ihn erhobenen<br />

Klage zuerst bei seinem Eide, dann bei einer Geldstrafe gebot, seinen<br />

Sitz und das Rathaus zu räumen, und der Ratmann befolgte dies Gebot<br />

nicht, so sollte man ihn fortan nicht mehr für einen Bürger halten,<br />

und sein Name sollte aus dem Stadtbuche getilgt werden2). Das war<br />

das Ausschlußrecht, das jede freie Genossenschaft gegen ihre Genossen<br />

hat. Selbstverständlich war auch der Verlust des Bürgerrechts bei<br />

der Verhängung entehrender Strafen. Wenn aber eine Ausstoßung aus<br />

politischen Gründen erfolgte, wie bei den Unruhen von 1425 und in<br />

x) Bodmann, Inneres Territorialverhältnis des Abzugs- und Nachsteuerrechts<br />

in Deutschland. 1791, S. 21,<br />

2) Oldenburger Statut aus dem M ittelalter. Oelrichs a. a. O., S. 841.


9 4<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

dem Falle des Bürgermeisters Alf Langswarden 1445— 1448, so war<br />

eine Wiederaufnahme in die Bürgerschaft möglich1).<br />

Der wirtschaftlichen und politischen Vorzugsstellung, die das<br />

städtische Bürgerrecht seinen Inhabern gewährte, stand eine ganze<br />

Reihe von Leistungen gegenüber, zu denen ebendasselbe Recht verpflichtete.<br />

In späteren Zeiten, als der Gemeinsinn den Bürgern verlorengegangen<br />

war, nannte man die Dienste, zu denen der Bürger verpflichtet<br />

war, meist bürgerliche Lasten oder Beschwerden und beneidete die<br />

davon Befreiten. Im Mittelalter, wo die Bürger sich noch als eine<br />

bevorrechtete Genossenschaft fühlten und in deren Dienste gern ihre<br />

Kraft betätigten, sprach man von burwerk (bur = Ansiedler), borgerwerk,<br />

borgerrecht, stadesdensten oder stadesrechtigheit. Denn es<br />

waren nicht Dienste, wie sie der Grundherr von seinen Hörigen zu<br />

fordern hatte, sondern wie auch der Freie sie der Allgemeinheit<br />

schuldete.<br />

Dahin gehörte in erster Linie der Kriegsdienst: W achdienst<br />

(waken) und auch Dienste im Felde (reisen) nebst Ausrüstung,<br />

die nicht nur die eigentlichen Waffen (Eisenhaube, Platten- oder<br />

Kettenpanzer, Beinschienen, Eisenhandschuhe, Schild, Schwert, Speer<br />

und Armbrust — je nach der Vermögenslage —), sondern auch Kleider,<br />

Mäntel, Bettkissen, Decken, Koch- und Bratgeschirr fürs Feld<br />

umfaßte. Auch das Planken oder Staken (Pallisaden setzen) hatte<br />

einen militärischen Zweck, ebenso das Aufhauen des Eises auf der<br />

Haaren oder den Stadtgräben zur Winterzeit (isen). Dazu traten Erdarbeiten:<br />

die Bedeichung der Haaren und Hunte, die Unterhaltung<br />

des von Osternburg herführenden Dammes (diken und dämmen), gemeinschaftliche<br />

Löscharbeiten bei Feuersgefahr, der Dienst an den<br />

städtischen Befestigungswerken. Auch schoten (steuern) wird urkundlich<br />

erwähnt, doch wurden Umlagen von der Stadt nur in besonderen<br />

Fällen erhoben.<br />

Alle diese Dienste, ursprünglich Personallasten, gingen schon<br />

früh auch auf die von den Bürgern bewohnten Hausstellen über und<br />

wurden mit diesen als Reallasten vererbt oder sonstwie veräußert<br />

Der Möglichkeit, daß sie nicht mehr geleistet wurden, wenn Bürgergut<br />

in adeligen, kirchlichen oder landesherrlichen Besitz kam, trat<br />

das oldenburgisch-bremische Stadtrecht mit der Bestimmung entgegen,<br />

„wikbelde" dürften nicht in tote Hand gelangen. Daher gab der Rat<br />

zu solchen Besitzveränderungen seine Erlaubnis in der Regel nur<br />

!) Old. UB. I, 120— 124, 187, 190.


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 95<br />

unter dem Vorbehalt, daß auch fernerhin von dem Grundstück —<br />

vollständig oder teilweise — Bürgerwerk zu verrichten sei, oder daß<br />

es später wieder in bürgerliche Hand zurückkehren müsse. So mußte<br />

sich der Knappe Hermann Klauenbeck 1383 verpflichten, den<br />

von ihm bewohnten städtischen Hausplatz (Wurt) am Stau bei einem<br />

etwaigen Weiterverkauf nur einem Bürger oder einer Bürgerin zu<br />

überlassen. Einem Geistlichen an der St. Lambertikirche wurde 1441<br />

der Ankauf eines Hauses für seine Tochter Grete, die das Bürgerrecht<br />

erworben hatte, nur unter der Bedingung gestattet, daß er zur<br />

Zeit der Minderjährigkeit der Tochter davon leiste, was seine „nabure<br />

boven unde benedden, borgere unde borgersche to Oldenborch“ täten,<br />

ausgenommen das Eisen und Reisen. Falls Grete sich später verheiratete,<br />

solle der Mann auch zum Reisen (Kriegsdienst) verpflichtet<br />

sein, was dem Käufer mit Rücksicht auf seinen geistlichen Stand erlassen<br />

war. Wenn aber Grete vor ihrem Vater stürbe, solle das Haus<br />

nach dessen Tode von seinen Erben wieder an einen Bürger oder, wenn<br />

kein Kauf zustande komme, an die Stadt verkauft werden. Dieser Fall<br />

ist besonders bezeichnend für die Vorsicht, mit der man die Verminderung<br />

der bürgerlichen Hausstellen zu verhüten suchte.<br />

Trotzdem gab es aber in der Stadt eine Anzahl befreiter Häuser.<br />

Im Stadtrechtsprivileg von 1345 wurden die Wohnungen der gräflichen<br />

Ritter und Knappen ganz allgemein vom Stadtrecht ausgenommen.<br />

Diese alten Burgmannswehren (von were — Besitzrecht,<br />

dann Besitzung), später adelig freie Häuser genannt, waren von jedem<br />

Bürgerwerk befreit, die nach 1345 erworbenen aber nur mit gewissen<br />

Einschränkungen. Dank den Maßnahmen der Stadt gegen ein<br />

Umsichgreifen des adeligen Besitzes betrug die Zahl der adeligen<br />

Häuser 1502 unter 350 Häusern nur 11. Diese lagen durchaus nicht,<br />

wie immer behauptet wird, vorzugsweise in der Mühlen- und Ritterstraße,<br />

sondern in der ganzen Stadt verstreut: in der Langen-, der<br />

Haarenstraße, am Markt, auf dem Damm; in der Mühlen- und Ritterstraße<br />

damals nur zwei. Größer war die Zahl der kirchlichen Häuser,<br />

deren Vermehrung durch Ankauf und fromme Schenkungen weniger<br />

leicht hatte verhindert werden können. 1502 waren es einschließlich<br />

des Kapitelhauses neben der Lambertikirche 17. Die meisten wurden<br />

indes von Erbzinsleuten der Kirche bewohnt, die für sich von den<br />

bürgerlichen Lasten nicht befreit waren.<br />

Manche Personen geistlichen oder sogar bürgerlichen Standes<br />

erhielten Befreiung für gewisse Gegenleistungen, so der Abt Olt-<br />

m a n n s von Rastede 1388 für das von ihm gegründete Armengasthaus<br />

in der Gaststraße, der Kanonikus Robert S c h u w e 1439 für


96<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

sein Haus in der Engen Straße (Bergstraße) gegen ein Darlehen von<br />

10 Gulden, ebenso sein Besitz- und wahrscheinlich auch Amtsnachfolger,<br />

der Stadtschreiber Kanonikus Bernd von Lunne 1460,<br />

endlich der Bürger Wale (Westerloy) 1498 auf 10 Jahre, für welche<br />

Zeit er die Unterhaltung des Hagens und Grabens in der Vahlenhorst<br />

(Gelände in Bürgerfelde) übernommen hatte. Auch das amtierende<br />

Ratsdrittel war während seines Amtsjahres und ebenso der durch<br />

Alter oder Krankheit dienstunfähig gewordene Ratsherr für die Folgezeit<br />

befreit.<br />

Im 17. und 18. Jahrhundert sind an die Stelle der persönlichen<br />

Dienste bei den bemittelteren Bürgern vielfach Geldleistungen<br />

getreten, indem sie jene entweder durch bezahlte Vertreter wahrnehmen<br />

ließen oder die Stadt auf Kosten der Pflichtigen für die Ausführung<br />

der Dienste sorgte. Das geschah namentlich bei dem unbequemen<br />

Torwachdienst, der nächtlichen Wache in den Straßen und<br />

den Arbeiten an den Wällen. Zur Verteidigung der Stadt wurden die<br />

Bürger damals kaum mehr herangezogen, dafür war ihnen aber als<br />

neue schwere Last die Quartier- und Servispflicht für das landesherrliche<br />

Militär aufgebürdet.<br />

Im 19. Jahrhundert blieb von den alten Bürgerpflichten noch<br />

lange die persönliche Beteiligung an der Bürgerfeuerwehr<br />

erhalten1).<br />

Das mittelalterliche Bürger- und Einwohnerrecht zeigte im Anfänge<br />

des 19. Jahrunderts starke Entartungen, aber theoretisch änderte<br />

es sich nicht, bis 1811 durch die Einverleibung Oldenburgs in<br />

das französische Kaiserreich mit dem Code Napoléon die in der Revolution<br />

geprägten französischen Gesetze Eingang fanden. Die Unterschiede<br />

zwischen Stadt- und Landgemeinden fielen weg, jeder Einwohner<br />

einer Mairie war zugleich citoyen und konnte ein beliebiges<br />

bürgerliches Gewerbe treiben, wenn er nur von der Behörde die Konzession<br />

erhielt und die darauf gelegte „Patentsteuer" zahlte. Nach<br />

der Rückkehr des Herzogs Peter wurden zwar am 1. Oktober 1814<br />

die französischen Gesetze außer Kraft gesetzt und ein Neubau der<br />

Staatsverwaltung und des Städtewesens begonnen, aber erst unter<br />

Großherzog Paul Friedrich August kam es zu einer durchgreifenden<br />

Regelung der Verhältnisse in der Stadt Oldenburg: am 12. August 1833<br />

unterschrieb der Fürst die landesherrliche Verordnung über ihre Verfassung<br />

und Verwaltung. Die allgemeine Gleichheit der französischen<br />

*} Die vorstehenden 7 Absätze bereits veröffentlicht in der „Oldenbur-<br />

gischen Landeszeitung'1 1927, Nr. 91 unter dem Titel „Pflichten eines Bürgers<br />

im M ittelalter. Von Prof. Dr. Kohl."


Das Bürgerrecht in der Stadt Oldenburg. 1345— 1861 97<br />

Zeit wurde nicht wieder aufgenommen, die Bewohner der Stadt und<br />

des Stadtgebiets zwar für Gemeindegenossen erklärt, aber das Bürgerrecht<br />

mit seinen politischen und wirtschaftlichen Vorrechten nur den<br />

in der Stadt Ansässigen zugesprochen. Der Erwerb des Bürgerrechts<br />

wurde erleichtert, es konnte stillschweigend nicht nur durch<br />

Erbgang vom Vater, sondern auch durch zweijährige mit dem Tragen<br />

aller bürgerlichen Lasten verbundene Ansässigkeit oder durch Anstellung<br />

im öffentlichen Dienst erworben werden, und demgemäß<br />

wurden gleichzeitig alle damaligen Hof- und Staatsbeamten, Geistlichen,<br />

Lehrer, Ärzte und Rechtsanwälte als Bürger aufgenommen und<br />

erhielten — unter Befreiung nur von allen persönlichen Diensten —<br />

das aktive und passive Wahlrecht zu den städtischen Ämtern (das<br />

passive mit Ausnahme von Nichtchristen1)). Nur das Recht zum Betreiben<br />

einer bürgerlichen Nahrung wurde von einer förmlichen Aufnahme<br />

als Bürger durch den Stadtmagistrat abhängig gemacht, wobei<br />

der Antragsteller ein Bürgergeld (für Oldenburger Landeskinder 20<br />

Taler Gold, für „Ausländer" 40 T. G.) zu zahlen hatte und nach Eintragung<br />

in das Bürgerbuch einen Bürgerbrief erhielt. Dieses „gewerbliche<br />

Bürgerrecht" ging auch noch in die Gemeindeordnung für das<br />

Herzogtum Oldenburg von 1855 über, bis ein Landesgesetz 1861 hier<br />

die volle Gewerbefreiheit einführte und damit auch die letzte Spur<br />

der mittelalterlichen Bürgeraufnahme beseitigte“).<br />

J) D. h. Juden. Diese, im MA. vom Bürgerrecht gänzlich ausgeschlossen,<br />

seit 1692 mit einer Familie in der Stadt als „Schutzjuden" geduldet, hatten<br />

sich seit der Franzosenzeit erheblich vermehrt, erhielten erst 1849 volle<br />

bürgerliche Gleichstellung mit den übrigen Einwohnern. Vgl, Kohl, Juden in<br />

Oldenburg und Bremen. Weserzeitung 1925, Nr. 32.<br />

a) Für die neuere Zeit sind benutzt: Stadtarchiv Oldenburg, M agistrat<br />

A a, Verwaltung A III 2, 2 u. 3 („Akten betr. das Bürgerrecht Einheimischer"<br />

u. „Akten betr. das Bürgerrecht der Frem den").<br />

Oldenburger Jahrbuch<br />

T


Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege<br />

in alter und neuerer Zeit.<br />

Von Karl Sichart<br />

Was Delmenhorst in seinem Gast- und Armenhause für die Hilfsbedürftigen<br />

tat, war recht beachtlich, seine Fürsorgetätigkeit aber<br />

noch größer. Auch in der älteren Zeit war ihre Bedeutung viel größer,,<br />

als Schauenburg1) annimmt, wenn sie auch auf dem Prinzip der Freiwilligkeit<br />

beruhte. Zwar fehlte die Organisation, aber die Fürsorge<br />

war darum doch nicht weniger wirkungsvoll. Aus der Not erwuchs<br />

unmittelbar die Hilfe. Man wußte, wer gab, und man bekam das, was<br />

man gerade brauchte. Daneben flössen die öffentlichen Mittel fast<br />

ausschließlich aus den Klingbeutelsammlungen. Die erste Oldenburger<br />

Kirchenordnung vom Jah r 1573 gibt uns in dem Kapitel „Von dem<br />

almus Seckel“ darüber Aufklärung. Sie verlangte, daß während des<br />

Gottesdienstes der Klingbeutel herumgetragen und das eingesammelte<br />

Geld in den Gotteskasten gelegt würde, um alle Vierteljahr herausgenommen<br />

und an arme Schüler oder hausarme Leute und Kranke<br />

verteilt zu werden. Bald darauf kamen der Armenpflege noch die<br />

Einnahmen aus den sog. Krügerbüchsen zugute.<br />

Erst seit etwa 1600 wurde das gesamte Armenwesen in geordnetere<br />

Bahnen geleitet. Den ersten tieferen Einblick in das Delmenhorster<br />

Armenwesen gibt uns der Bericht über eine Revision, die am 29. März<br />

1664 durch Witzenhausen, den Pastor Mildehaupt und den Burggrafen<br />

Johann Pfretzschner stattfand. In dem Bericht, der zu Beginn ausdrücklich<br />

hervorhebt, daß es bei der alten Einteilung der Armen, wie<br />

es die alten Landesherren bestimmt hatten, auch in Zukunft bleiben<br />

solle, werden drei Arten von Armen unterschieden: 1. die Fattarmen,<br />

2. die Hausarmen, 3. die kleinen Armen. Fattarme gab es 1664 nur<br />

zwei: der eine war gräflicher Hofknecht, der andere Hofküfer. Jeder<br />

von ihnen erhielt allwöchentlich zwei große Brote, jedes sieben Pfund<br />

schwer, einen Schinken von fünf Pfund oder statt dessen die gleiche<br />

Menge Speck.<br />

1) Schauenburg, L., Hundert Jah re oldenburgischer Kirchengeschichte,<br />

III 182. Tendenziös. Sichart, K., Das Delmenhorster G ast- und Armenhaus<br />

(Old. Jahrb. 1938).


D ie Delm enhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 9 9<br />

Zu den Hausarmen, deren es bisher vierzehn, 1664 aber zwanzig<br />

gab, gehörten u. a. ein Hofsattler, ein Hofschneider, ein Hofglaser<br />

und ein alter Knecht des Waisenhauses. Sie bekamen jeder wöchentlich<br />

ein siebenpfündiges Brot und zwei Heringe, außerdem an den<br />

vier hohen Festen vier Pfund Speck. Der Hauskoch erhielt jedesmal<br />

für seine Mühe einen Schinken von fünf Pfund1).<br />

Die sogenannten kleinen Armen, deren Zahl schwankte, erhielten<br />

wöchentlich vier Scheffel Roggen, die ihnen als Wecken gebacken<br />

gereicht wurden. Als dabei aber Unrichtigkeiten vorgekommen und es<br />

den Leuten mühsam war, wegen solcher Kleinigkeiten wöchentlich<br />

hereinzukommen, löste man die Brotlieferung in eine Geldzahlung ab<br />

und gab statt jedes Weckens einen Groten.<br />

Besonders schwierig war für Delmenhorst der Umstand, daß es<br />

an einer bedeutenden Verkehrsstraße lag und deshalb oft von Auswärtigen<br />

aufgesucht wurde. Namentlich das 17. Jahrhundert mit seinen<br />

ununterbrochenen Kriegen in allen Winkeln Deutschlands hatte manchen<br />

Bürger von seiner Scholle vertrieben, und mancher von ihnen<br />

war auch nach Delmenhorst gekommen. Was uns die Archivalien<br />

darüber sagen, sind nur kümmerliche Reste, werfen aber, auch wenn<br />

wir zugeben, daß „viele ausländische Arme mit erdichteten falschen<br />

Attestatis umherzogen", grelle Schlaglichter auf die Not der Zeit und<br />

ihre Bemühungen, sie zu lindern. Um sie zu verstehen, genügen einige<br />

Mitteilungen in chronikalischer Kürze. Armengeld wurde u. a. gegeben:<br />

1611 „einem, so unter den Türken gefangen gelegen", „einem<br />

Pastoren, dem Haus und Hof abgebrannt", und „einem vom adel, so<br />

vom Türken gefangen gehalten", 1622 einem armen Rechtsgelehrten, zwei<br />

Frauen und einem Knaben aus Magdeburg, 1633 einem alten Pastor<br />

aus Einbeck, zwei alten Frauen aus Colberg, einem abgebrannten<br />

Mann aus Mecklenburg, einem Manne, der aus dem Braunschweigischen,<br />

einem Schulmeister, der aus Böhmen, drei Frauen, zwei Pastoren,<br />

einem Küster und einem Kantor, die aus Magdeburg ver­<br />

trieben waren.<br />

Als aber der Dreißigjährige Krieg zu Ende gegangen war und die<br />

Zahl derer, die Unterstützung suchten, nicht wesentlich geringer wurde,<br />

ergriff man seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Maßnahmen<br />

zu einer Besserung. Die fremden Armen, von denen ein großer<br />

Teil die Arbeit scheute und sich aufs Betteln verlegt hatte, sollten<br />

nicht mehr unterstützt werden, weil „dadurch den dürftigen und<br />

J) General-Kirchenarchiv Oldenburg, Visitationsprotokolle. (Im Landesarchiv.)


100<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

kranken Armen das Brot von dem Munde genommen, die Bettler<br />

verkämen und die Almosen von ihnen undankbarer und ärgerlicher<br />

Maßen verschwendet würden."<br />

Wollte man aber der Bettelei energisch zu Leibe gehen, so<br />

brauchte man Aufsichtsorgane. Deshalb wurden im Jahr 1702 von den<br />

Kirchenjuraten Vorschläge zur Annahme eines Armenvogtes gemacht<br />

und vom König bestätigt. Aber erst, als für dessen Besoldung ausreichend<br />

gesorgt war, meldete sich jemand und konnte am 10. Juli<br />

1709 vereidigt werden1). Er schwur, in den Straßen der Stadt auf<br />

fremde und einheimische Bettler gute Aufsicht zu haben und jeden,<br />

der betroffen wurde, „den Deputierten des Magistrats" vorzustellen,<br />

auch in der Kirche und auf dem Kirchhofe des Sonntags und bei anderen<br />

Predigten allem Mutwillen und jeder Unordnung zu steuern,<br />

auch die Delinquenten, „so nach Ordre des Konsistoriums auf dem<br />

Kirchhofe an den Pfahl gestellt werden sollen, ohnweigerlich anschließen<br />

zu wollen. Ferner lag ihm ob, das wöchentlich an die Armen<br />

auszuteilende Brot zu zerschneiden, das 1785 allerdings in eine Geldspende<br />

umgewandelt wurde.<br />

Trotzdem nahm die Bettelplage kein Ende, sodaß die Älterleute<br />

im Jahr 1705 beim Konsistorium vorstellig wurden und eine eigene<br />

Armenordnung einzuführen baten. Aber erst in der hannoverschen<br />

Zeit (1711— 1731) kam man auf die Angelegenheit zurück. Der Spezial­<br />

Armendirektion in Delmenhorst wurde 1718 ein gedrucktes Exemplar<br />

der hannoverschen Armenordnung mit der Aufforderung zugestellt,<br />

unter Zuziehung des Magistrats ihre Brauchbarkeit für Delmenhorst<br />

zu prüfen. In ihren wesentlichsten Punkten fand sie die Zustimmung<br />

der Kommission. Nach dieser neuen Armenordnung sollte der Armenvogt<br />

in einer verschlossenen Büchse die Almosen an den Türen sammeln,<br />

ebenso das Brot, das von zwei oder drei Armen getragen würde.<br />

Wenn die Sammlungen beendet seien, sollte alles an einen der Administratoren<br />

— die Pastoren, die beiden Bürgermeister oder den<br />

Sekretär — , deren jeder das Amt eine Woche versah, eingeliefert<br />

werden. Wer von diesen Spenden zu erhalten wünschte, hatte sich<br />

am 11. April 1719 in der Kirche einzufinden und in die Liste eintragen<br />

zu lassen. Nicht weniger als 41 Einwohner erschienen, darunter verschiedene<br />

abgedankte dänische Musketiere, gebürtig aus Heisingborg<br />

und Schonen. Und „da dieser ohrt mit Armen zum Überfluß angefüllt"<br />

war, wurde noch einmal eingeschärft, fremden Bettlern nichts<br />

zu reichen, es sei denn, daß sie durch ein Attest ausweisen könnten,<br />

*) Delm enhorster Stadtarchiv: X V II A 2b.


Die Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 101<br />

wegen Kriegsverheerungen ihr Besitztum verloren zu haben oder der<br />

Religion wegen vertrieben worden zu sein.<br />

Die Regelung des Armenwesens scheint der hannoverschen Regierung<br />

nicht rasch genug erfolgt zu sein. Denn 1720 sah sich der<br />

Superintendent in Wildeshausen, dem die Herrschaft Delmenhorst<br />

in kirchlicher Hinsicht während der hannoverschen Pfandzeit unterstand,<br />

an den vor Jahresfrist von der hannoverschen Regierung gegebenen<br />

Befehl zu erinnern gezwungen, die Hoyaische Armenordnung<br />

endlich in Stadt und Land Delmenhorst einzuführen.<br />

Und da 1721 außerdem auch die Münstersche Regierung scharfe<br />

Maßnahmen gegen die Bettler und Landstreicher erlassen hatte, gab<br />

Hannover wegen der Nachbarschaft grelle Warnungssignale nach<br />

Delmenhorst. Man solle auf die Heerstraßen gut achten, die W irtshäuser<br />

und Krüge gut visitieren und jeden über die Grenze abschieben,<br />

der keinen Paß habe.<br />

Eine gründliche Regelung des Armenwesens erfolgte erst in den<br />

achtziger Jahren des 18. Jahrhunderts. Am 14. September 1784 wurde<br />

in Oldenburg eine Kommission zur Untersuchung und Verbesserung<br />

des Armenwesens im Herzogtum niedergesetzt und Delmenhorst aufgefordert,<br />

die ihm überreichten Listen gewissenhaft auszufüllen. Am<br />

11. April des folgenden Jahres war sich die Kommission darüber klar,<br />

daß jeder Arme in seinem Kirchspiel bleiben, jedes Kirchspiel seine<br />

Armen ernähren und für sie Arbeitsgelegenheit schaffen müsse, daß<br />

ferner alle Irrsinnigen und Blinden zu denen zu rechnen seien, die<br />

nichts verdienten. Die neue Verordnung trat am 1. August 1786 in<br />

Kraft. Die bisher dem Magistrat unter der Oberaufsicht des Konsistoriums<br />

anvertraute Verwaltung des Armenfonds stand von nun an<br />

unter dem Generaldirektorium in Oldenburg. Das Kirchspiel Delmenhorst<br />

wurde in vier städtische und einen ländlichen Bezirk eingeteilt,<br />

die von fünf Armenvätern betreut wurden und der Spezial-Armen-<br />

direktion, bestehend aus dem Bürgermeister, den beiden Predigern,<br />

einem Mitgliede des Rates, dem Armenjuraten als Rechnungsführer<br />

und vier Armenvätern, untergeordent waren. Was sie in gemeinsamer<br />

Sitzung jeden Montag nachmittag auf dem Rathause in der Gerichtsstube<br />

beschlossen, unterlag der Genehmigung der Generaldirektion<br />

in Oldenburg.<br />

Statt der früheren drei Gruppen der Fattarmen, Hausarmen und<br />

kleinen Armen kannte man jetzt nur noch Total- und Partialarme.<br />

Jen e waren ohne alle Existenzmittel und wurden bei anderen Bürgern<br />

gegen Zahlung eines Kostgeldes in Pflege gegeben; 1813 waren es<br />

23 Personen, die 453 Rtl. beanspruchten, diese, selbst noch, wenn


102<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

auch beschränkt, erwerbsfähig und meistens Witwen, waren in drei<br />

Klassen geteilt und erhielten je nach der Bedürftigkeit aus den Armensammlungen<br />

wöchentlich 16, 14 oder 12 Groten. Außerdem wurden<br />

für sie von den Armenvätern Bekleidungsstücke aller A rt gekauft,<br />

bei vorkommenden Krankheiten die Kosten für den A rzt und die<br />

Arzneien, bei eingetretenem Tode die Auslagen für das Begräbnis<br />

getragen. Für das Jah r 1712 enthält die Armenliste vierzig Namen,<br />

für die Jah re 1784 und 1833 wird die Zahl der Partialarmen gleichmäßig<br />

mit 25, für 1813 mit 29 angegeben und durchschnittlich für<br />

jeden 16 Rtl. verausgabt. 1858 waren insgesamt 82 Arme zu unterstützen.<br />

Vor allem mußte es darauf ankommen, sämtliche Mittel, die für<br />

die Armenunterstützung zur Verfügung standen, in die Hand der<br />

Spezial-Armendirektion, die Kirchspielarmenkasse, zu leiten. So<br />

wurden zunächst die bei sämtlichen Untergerichten vorhandenen<br />

Armenbüchsen beibehalten und die in diese fließenden Gelder zum<br />

Besten der Armut verwendet, auch nahegelegt, bei vorkommenden<br />

Fällen wie bisher auf die Erkennung einer Geldbuße zur Armenbüchse<br />

Bedacht zu nehmen.<br />

Außer dem Kapital des sog. Gasthaus-Fundus mit 6116 Rtln. stand<br />

der Direktion der vom Armenjuraten verwaltete sog. Kircharmen-<br />

fundus — um 1800: 4854 Rtl. betragend — zur Verfügung, der aus den<br />

Ersparnissen der Armenbeiträge angewachsen war, die die Delmen-<br />

horster Bürger zu entrichten hatten, für das Jah r 1787 und 232 beitragspflichtige<br />

Bürger mit 718 Rtl. angegeben. 1850 war es Grundsatz,<br />

daß jeder Bürger von seinem Vermögen ^% o und von seinem Einkommen<br />

l°/o als Armenbeitrag an die Kasse abzuführen habe. Dazu<br />

kam der Ertrag aus den Ländereien des früheren Gasthauses, aus verschiedenen<br />

Legaten und aus den wöchentlichen Sammlungen in der<br />

Stadt und den monatlichen auf dem Lande. Diese jährlichen Einnahmen<br />

schwankten nicht wesentlich. Als Bilanz mag das Jah r 1811<br />

gelten, weil es uns einen Einblick gewährt in die um diese Zeit herrschende<br />

finanzielle Notlage der Armenkasse. In diesem Jahr hatte die<br />

Kirchspielarmenkasse<br />

I. an Einnahmen aus: Rtl.G r.<br />

a) dem K ircharm enfundus...............................................213,14<br />

b) dem Gasthausfundus................................................. 577,54<br />

c) dem Klingbeutel, Becken und Krügerbüchsen 112,56<br />

d) den Sammlungen in der Stadt und auf dem Lande 995,54<br />

Sa. 1899,34


Die Delmenhorster Wohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 1 0 3<br />

II. an Ausgaben für: Rtl.G r.<br />

a) Beköstigung der A rm en........................................... 1688,11<br />

b) B e k le id u n g ................................................................. 305,15<br />

c) Schulgeld und Schreibm aterialien......................124,09<br />

d) Sch u lbüch er................................................................. 5,62<br />

e) Arztkosten und A rz n e ie n ......................................23,04<br />

f) B e g rä b n isk o ste n ...................................................... 2,54<br />

g) V erw altu n g sk o sten .................................................33,44<br />

h) Insgem ein...................................................................... 83,00<br />

i) An Zinsen für geliehene Kapitalien (1375 Rtl.) 76,00<br />

Sa. 2341,55<br />

An Schulden hatte die Kasse in diesem Jahr: Rtl.Gr.<br />

1. geliehene K a p ita lien ...................................................... 1375,00<br />

2. für Arzneien an die A potheke...................................... 400,00<br />

3. für Bekleidungsstücke......................................................145,00<br />

Sa. 1920,00<br />

Die Abbürdung dieser großen Schuldenlast1), die sich bald darauf<br />

auf etwa 3000 Rtl. erhöhte und aus der allzu großen Freigebigkeit<br />

der Armenväter erklärte, sollte durch eine über vier Jahre sich erstreckende<br />

Kontribution erfolgen. Sie war so drückend, 4%o vom<br />

Grundvermögen und Kapital, 2% vom Einkommen, daß schon nach<br />

einem Jahr eine große Opposition aus allen Kreisen der Bevölkerung<br />

einsetzte. Von 235 Steuerpflichtigen waren 105 mit der Zahlung der<br />

Armenbeiträge im Rückstände, und ebenso groß war die Zahl derer,<br />

die ihre Veranlagung beanstandeten. So sah denn die Behörde keinen<br />

anderen Weg, als durch größte Sparsamkeit die Schuld allmählich zu<br />

tilgen.<br />

Nach der kurzen Episode der französischen Zeit, während der die<br />

alten Wohltätigkeitseinrichtungen zunächst beibehalten2), seit 1812<br />

aber eine sog. Hospizen-Kommission unter Ausschluß des Bürgermeisters<br />

eingesetzt wurde, die dem Präfekten des Departements der<br />

Wesermündungen unterstand, stellte der Herzog nach seiner Rückkehr<br />

am 15. April 1814 die alte Verordnung vom 1. August 1786<br />

wieder her.<br />

Unrentabel war für die Armenkasse auch der Besitz der acht<br />

Tagewerke ( = 4 Went) Brookdeichländereien in der Altenescher<br />

Vogtei, die aus dem Gasthausbesitz stammten. Weil sie in zwei<br />

1) Delmenhorster Stadtarchiv: XVI A 5c.<br />

2) Kaiserliches Dekret vom 4. Juli 1811.


104<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Stücken — das eine 1, das andere 3 Went1) — und zwischen anderem<br />

Heuland lagen, dazu nur mit Erlaubnis der benachbarten Bauern zu<br />

erreichen waren, da es an Wegen fehlte, brachten sie nur eine geringe<br />

Heuer ein. Um diese zu erhöhen, hatte man 1787 den Herzog gebeten,<br />

einen Tausch mit dem Nachbarn zu gestatten, so daß dann alles zusammenläge.<br />

Aber auch dieser Versuch, die Einkünfte zu erhöhen,<br />

fand erst 1845 seine Erfüllung.<br />

Zur Zeit der großen Reform des Armenwesens war vom Delmen-<br />

horster Stadtmagistrat auch wieder vorgeschlagen worden, daß der<br />

Armenvogt die Bettler unnachsichtig zur Anzeige bringe, und wenn<br />

sie schon öfter betroffen seien, „mit einigen mäßigen Peitschenhieben<br />

von der Straße jage". Wenn außerdem damals der Magistrat wünschte,<br />

daß sämtliche Armengeld-Empfänger unter Führung des Armenvogtes<br />

ein Lied singend durch die Straßen der Stadt zögen, um sich ihren<br />

Wohltätern zu zeigen, so haben wir heute für diese Gefühlshärte kein<br />

Verständnis mehr.<br />

W er 1801 keinen Grund für seine Reise angeben konnte, sollte<br />

durch die Polizeidragoner über die Grenze abgeschoben werden. 1820<br />

dachte man milder. Den durchreisenden Handwerksburschen wurde<br />

von den Armenvätern ein Zehrpfennig mit auf den Weg gegeben. W er<br />

von ihnen außerstande war, weiterzugehen, wurde zu Wagen seinem<br />

Ziele um eine Station nähergeführt. 1824 wurde bestimmt, daß Handwerksburschen,<br />

die zu einer der in der Stadt vorhandenen Zünfte<br />

gehörten, auch von ihr mit dem nötigen Zehrgeld versehen wurden.<br />

1832 verlangte das Generaldirektorium des Armenwesens, daß schwerkranke<br />

arme Reisende nicht, wie das oft geschehen sei, unbarmherzig<br />

weitertransportiert, sondern in ärztliche Behandlung und Verpflegung<br />

gegeben würden.<br />

Um dem Armenvogt, der seit 1787 ausschließlich im Dienste der<br />

Spezialdirektion des Armenwesens stand, das nötige Ansehen zu verschaffen,<br />

erhielt er 1826 einen blauen Überrock mit einem silbernen<br />

Schilde, auf der Brust getragen, mit der Aufschrift: Spezialdirektion<br />

des Armenwesens zu Delmenhorst.<br />

Wenn die Bettelei durch die Landstreicher nun auch nicht ganz<br />

ausgerottet war, so wurde sie doch durch die Aufsicht des Armenvogtes<br />

erheblich eingeschränkt. Für die ersten Jahrzehnte des 19.<br />

Jahrhunderts werden uns darüber einige statistische Angaben gemacht.<br />

Durchschnittlich sind von ihm jährlich fünfzig Bettler um diese Zeit<br />

*) 1839 werden die Gasthausländereien im Brookdeich mit 17 + 57 =<br />

74 Scheffelsaat = 3 Morgen angegeben.


Die Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 105<br />

ermittelt und entweder abgeschoben oder zur Bestrafung vorgeführt<br />

worden.<br />

Die in der Verordnung vom 1. August 1786 als notwendig ausgesprochene<br />

Beschaffung der Arbeitsgelegenheit bestand meistens<br />

darin, daß denen, die vergeblich Arbeit gesucht hatten, Flachs und<br />

Schafwolle zum Spinnen, auch wohl Garn zum Strümpfestricken gegeben<br />

wurde, wofür sie bei der Ablieferung den üblichen Arbeitslohn<br />

erhielten. Um die Armen besser mit Arbeiten versorgen zu können,<br />

war von der Spezialdirektion die Anregung ausgegangen, unter dem<br />

Einflüsse und im Sinne der Pestalozzischen Sozial-Pädagogik mit einem<br />

Kostenaufwande von 80— 90 Rtln. ein sog. Arbeitshaus zu schaffen.<br />

Es empfehle sich, zunächst nur Kinder aufzunehmen; die erwachsenen<br />

Armen würden von selbst bald nachfolgen. Zu diesem Zwecke sei<br />

ein geeignetes Haus zu mieten, ein Hausvater anzustellen und eine<br />

Frau mit dem Unterricht im Spinnen, Stricken und Nähen zu beauftragen.<br />

Leider lehnte der Kirchspielsausschuß diesen wertvollen Vorschlag<br />

der Spezialdirektion ab. Da ihr aber an der Erziehung der<br />

armen Kinder zu produktiver Arbeit lag, kam sie bald darauf mit dem<br />

Plane einer sog. Industrieschule für Armenkinder, und dieser fand die<br />

Billigung des Ausschusses1). 1832 erhielt die Witwe Hasselmann für<br />

den Unterricht halbjährlich 25 Rtl. aus der Armenkasse. 1834 kam die<br />

Spezialdirektion abermals auf die Frage eines Arbeits- und Armenhauses<br />

zurück. Das frühere Schumachersche, jetzt Eckhoffsche Haus<br />

„um den Ohrt" stand zum Verkauf und wäre nach einem Umbau<br />

geeignet gewesen, etlichen Armen eine Wohnung, allen Einwohnern<br />

und anderen Armen eine Arbeitsstube und Armenkrankenstube zu<br />

gewähren. Der Ausschuß willigte zwar ein, kam aber mit seinem Angebot<br />

zu spät.<br />

Wieder gingen mehrere Jahre ins Land. Am 12. März 1850 erklärte<br />

die Spezialdirektion, unterstützt von den Armenvätern, daß der<br />

Ankauf eines Gebäudes zu einem Armenhause nötig sei, um die<br />

Armen unterzubringen. Die Mitglieder des Kirchspielsausschusses<br />

waren nur bereit, das Lankenausche Haus im Knick für etliche Jahre<br />

zu mieten. 1852 waren sie abermals von der Spezialdirektion geladen<br />

worden, lehnten aber auch jetzt die Einrichtung eines Armenhauses<br />

ab, ohne Gründe dafür anzugeben.<br />

So fand denn alljährlich im März die Unterbringung armer Kinder<br />

und Erwachsener in einem von der Armenkommission angesetzten<br />

J) Delm enhorster Stadtarchiv: Armenwesen.


106<br />

Oldenburger Jahrbu ch 1937<br />

und vorher öffentlich bekanntgemachten Termin statt. Hier wurde die<br />

Ausverdingung der Armen mindestfordernd vorgenommen, wenn die<br />

Kommission überzeugt war, daß sie eine gute Unterkunft haben<br />

würden. Das Unterbringen war im wesentlichen in die Hände der<br />

einzelnen Armenväter gelegt.<br />

Erst im Mai des Jahres 1886 ging der Wunsch vieler in Erfüllung,<br />

als auf dem Rocksnest das Armenarbeitshaus eröffnet wurde, dessen<br />

Name erst kürzlich in „Altenheim“ abgeändert worden ist. Ihre Insassen,<br />

durchschnittlich 25 und zu etwa einem Drittel aus Kindern<br />

bestehend, sind verpflichtet, in und außer dem Hause alle ihnen vom<br />

Hausvater aufgetragenen Arbeiten zu leisten. Die jährlichen Kosten,<br />

die die Ökonomie verursacht, schwanken nicht erheblich, für das Jahr<br />

1905/06 betrugen sie 7764 M. Da die Kinder grundsätzlich nur vorübergehend<br />

im Armenhause untergebracht werden sollen, werden für<br />

sie bald private Pflegestellen in der Stadt oder auf dem Lande beschafft.<br />

Im Jahre 1905 waren es 66. In diesem Jah r betrug die gesamte<br />

Einnahme der Armenkasse 79 735 M., ihre Ausgabe 73 076<br />

Mark. Sie verteilte sich auf verschiedene Positionen, von denen<br />

die für fünfzehn Geisteskranke in Wehnen und Blankenburg, für vier<br />

Schwachsinnige und vier Taubstumme mit insgesamt 10 423 M.<br />

besonders hervorgehoben zu werden verdient. Im Jahr 1905 betrug<br />

die Gesamtzahl der unterstützten Personen ohne die Obdachlosen 592<br />

Personen (326 Erwachsene und 266 Kinder), wovon 105 landarme,<br />

404 hiesige und 87 in fremden Gemeinden Unterstützungsberechtigte<br />

waren. Als obdachlos wurden 2806 Personen in der Herberge untergebracht<br />

und im Kleinkinderheim siebzehn Kinder verpflegt. Nach<br />

der gesamten Einwohnerzahl haben 1905: 17% mit Einschluß der Obdachlosen<br />

und 2,95% ohne sie Unterstützung bekommen. Um den<br />

Bedürfnissen der Armenkasse die nötigen Mittel zu gewähren, wurden<br />

an Umlagen 27% der Einkommensteuer erhoben, die in den späteren<br />

Jahren schwankten und 1913/14 auf 18% ermäßigt worden sind.<br />

Ein besonderer Zweig der Armenpflege war die Unterstützung<br />

der Bedürftigen mit Schulgeld und Schulbüchern. Die Zahl der Unterstützten<br />

war in den einzelnen Jahren nicht wesentlich verschieden.<br />

Im Jahre 1812 erhielten neun Kinder in des Kantors, vierzehn in des<br />

Küsters und sechzehn in des Nebenschulhalters Schule das Schulgeld.<br />

Dazu kamen je vier Kinder in der Klingermannschen Strick- und<br />

Claußenschen Nähschule. Die Geldmittel zur Anschaffung der Schulbücher<br />

kamen zum größten Teil aus einem Legat von 150 Rtln., das<br />

der Kriegssekretär Friedrich Arnold von Einem in Kopenhagen, vermutlich<br />

ein Sohn des Schneidermeisters Statius Heinrich von Einem


D ie Delmenhorster W ohlfahrtspflege in alter und neuerer Zeit 107<br />

in seinem am 6. Mai 1737 errichteten Testamente mit der Bestimmung<br />

vermachte, daß der Magistrat die jährlichen Zinsen zur Anschaffung<br />

notwendiger Schulbücher, zur Kleidung armer Schüler oder<br />

als Beihilfe für einen seine Studia fortsetzenden armen Schulknaben<br />

verwende. 1739 wurden zum ersten Male elf Bibeln, drei Gesangbücher,<br />

fünf große Katechismen, sechs „evangelische Bücher" und eine<br />

Fibel an vier Schüler in des Konrektors, neun in des Küsters, elf in<br />

des Nebenschulhalters und zwei in des Schreib- und Rechenmeisters<br />

Schule verteilt.<br />

Von den anderen Armen-Vermächtnissen, deren Gesamtsumme<br />

mit 2481 Rtln. angegeben wurde, verdienen folgende Erwähnung. Es<br />

vermachten:<br />

1609 Ludolf Riemenschneider zu Stickhausen ein Kapital von<br />

200 Rtln., „auf daß von den Zinsen (12 Rtl.) für die Armen schwarzes<br />

Tuch zum Gewände und Brot gekauft werde",<br />

1722 Ilsabe Strube, Witwe des Assessors Nöttelmann, 50 Rtl.,<br />

1742 Frau Amtsvogt Spilker, 200 Rtl.,<br />

1745 Frau Amtmann Rupertshoff, M argareta Elisabeth geb. Homor<br />

zu Arbergen (Tochter des Hermann Homor), 100 Rtl.,<br />

der kurz vorher in Frankfurt a. M. verstorbene Hermann Homor,<br />

100 Rtl.,<br />

1748 die Frau Etatsrat von Hövell den Erlös aus ihren Mobilien<br />

und Kornfrüchten, insgesamt 785 Rtl.,<br />

1755 Frau Assessor Bruns 25 Rtl.,<br />

1758 H. J . Brandt als Erbe der Witwe Rotermundt nach einem<br />

Vergleich mit den Gebrüdern Kloppenburg, die das Testament an-<br />

gefochten hatten, 50 Rtl.,<br />

1764 die Pundtschen Erben zwei Scheffelsaat Land „außer der<br />

Elmeloher Furt",<br />

1765 Georg Gottlieb Nacke 22 Rtl.,<br />

1769 die Gebrüder Neuhaus 100 Rtl., weil sie einen Erbprozeß<br />

mit den Verwandten des Karsten Meyer, dessen Witwe Meta in ihrem<br />

Testament 100 Rtl. an die Armen gelobt, gewonnen hatten,<br />

1855 Christian Cordes zu Neuenburg 100 Rtl.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt<br />

Delmenhorst bis 1811,<br />

verbunden mit einer Liste der städtischen Amtsträger<br />

bis 1813.<br />

Von Edgar Grundig.<br />

I. Verfassung und Verwaltung von Delmenhorst.<br />

Der Ort Delmenhorst1) war schon über 100 Jahre alt, als er 1371<br />

in die Reihe der Städte einrückte. Der F r e i h e i t s b r i e f2) ist ausgestellt<br />

von den damaligen Herren der Herrschaft Delmenhorst, den<br />

Brüdern Grafen Otto und Junker Kersten (Probst zu St. Willehad in<br />

Bremen und Wildeshausen) und der Mutter und Vormünderin ihres<br />

Neffen Otto, Heilwich, geborenen Gräfin von Hoya. Er ist zum großen<br />

Teil wörtlich dem Oldenburger Stadtbrief von 1345 nachgebildet und<br />

beruht also wie dieser auf dem Bremer Stadtrecht, das damit auch für<br />

Delmenhorst verbindlich war. Die Freiheit der neuen Stadt ist eng<br />

begrenzt. Außer der Gerichtspflege stehen der Herrschaft auch die<br />

wichtigsten Geldeinkünfte zu: Brüche und Mühle, Strom und Zoll.<br />

Gelangen sie durch Kauf oder Pfand in städtischen Besitz, so fallen<br />

sie nach fünf Jahren ohne Entschädigung an die Herrschaft zurück.<br />

Sache der Grafen ist auch die Aufnahme von Juden, sie dürfen sich<br />

nur von „Wucher", aber nicht von „Kaufmannschaft" nähren. Bündnisse<br />

mit anderen Städten, mit Landesherren und dem „Nedderland“,<br />

d. h. den Friesen, dürfen die Bürger nicht eingehen, ebensowenig sich<br />

der gräflichen Mannen gegen ihren Herrn annehmen. Der Landesherr<br />

übernimmt den Schutz der Straßen des Kaufmanns, die Bürger müssen<br />

ihm im Kriege Beistand leisten, aber nur im Bereich der Herrschaft.<br />

Sie dürfen die herrschaftliche Gemeinheit im bisherigen Umfang weiter<br />

nutzen (Trift, Weide, Feuerung) und bekommen das Holz für die Gemeindebauten<br />

umsonst. Die Einsetzung eines zwölfköpfigen Rates —<br />

die vorgesehene Erweiterung auf 18 Mitglieder ist nie erfolgt — be­<br />

1) Über die allgemeinen Verhältnisse vgl. die Arbeit von K. Sichart, Die<br />

H errschaft Delmenhorst im W andel der Zeiten. Nieders. Jahrb. 13 (1936),<br />

S. 1— 59. — Die vorliegende Arbeit stützt sich hauptsächlich auf Quellen des<br />

Oldenb. Landesarchivs (O.L.) und des Delmenhorster Stadtarchivs (D.St.).<br />

2) Oldenb. UB. Bd. 2, Nr. 442.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 109<br />

gründet die städtische Selbstverwaltung. 1422 erweiterte der zur<br />

Delmenhorster Nebenlinie des oldenburgischen Grafenhauses gehörende<br />

Erzbischof Nikolaus von Bremen in einer gemeinsam für Bürger und<br />

Dienstmannen geltenden Urkunde1) diese Rechte noch unwesentlich,<br />

namentlich durch die Zusicherung von Ersatz für im Dienste des Landesherrn<br />

erlittene Schäden, Nur einmal noch, 1699, sind die städtischen<br />

Freiheiten ausgedehnt worden durch die Übertragung der Niedergerichtsbarkeit<br />

an die Stadt2).<br />

Nur zwischen Rat und Gemeinde wurde 1591 ein Gemeindestatut3)<br />

vereinbart, unabhängig vom Landesherrn, Es enthält in schwerfälligem<br />

Hochdeutsch ein buntes Durcheinander der allerverschieden-<br />

sten Bestimmungen: Strafen für Unpünktlichkeit bei Ratssitzungen und<br />

Gemeindeversammlungen, Anordnungen über die Nutzung der Gemeinheit,<br />

Verbot des Heueinkaufs auf dem Lande zu gewissen Zeiten,<br />

Hebung der Bieraccise von den Fuhrleuten, Verbot der Aufnahme von<br />

Heuerleuten ohne Ratserlaubnis, Maßnahmen gegen falsche Maße und<br />

Gewichte, Verbot des unlauteren Wettbewerbs unter den Fuhrleuten,<br />

Regelung der Tätigkeit der Feuergeschworenen, Verfahren bei den<br />

Bürgerwerken und beim Eisen (wohl des Stadtgrabens), Strafandrohungen<br />

für die Zerstörung von Umzäunungen und die Bebauung und<br />

Umfriedigung von Straßenteilen und schließlich zwei das Gerichtswesen<br />

betreffende Bestimmungen (s. unten).<br />

Jeder Wechsel des Landesherrn machte eine Bestätigung der Freiheiten<br />

nötig, seit der dänischen Zeit behielten sie sich dabei ihre Abänderung<br />

vor, Anton Günther hat sie überhaupt nicht bestätigt. Der<br />

Bestätigung ging die Huldigung der Bürgerschaft zur Seite, 1670 wurde<br />

in sie ausdrücklich die Verpflichtung aufgenommen, im Notfälle die<br />

Burg verteidigen zu helfen4). Innerhalb des durch die städtischen<br />

Freiheiten und den Gehorsam gegen den Landesherrn und seine Gesetze<br />

abgegrenzten Bezirks, der nicht zu allen Zeiten den gleichen<br />

Umfang hatte, lag das Feld der Tätigkeit von Bürgermeister und Rat.<br />

Die Ratmannen bekleideten ihr Amt lebenslänglich, schon<br />

1423 werden drei von ihnen als Bürgermeister bezeichnet5). Die Bürgermeister<br />

schworen beim Amtsantritt dem Grafen Treue und verpflichteten<br />

sich zu gewissenhafter Amtsführung6). Dagegen ist die im<br />

*) Oldenb. UB. Bd. 2, Nr. 671.<br />

2) D.St. III A lb.<br />

3) O.L. Doc. Gft. Oldbg. Stadt Dhst.<br />

4) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.).<br />

6) O.L. a. a. O.<br />

6) Erste erhaltene Eidesformel 1637: O.L. Aa Justizsachen, Dhst. Kanzleiprotokolle.


110<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Stadtbrief von 1371 vorgesehene Vereidigung der Ratsherren nicht<br />

nachweisbar, sie mag außer Gebrauch gekommen sein, jedenfalls heißt<br />

es 1718 in einem Bericht des Delmenhorster Landgerichts an die Regierung<br />

in Hannover, die Delmenhorster machten ihre Ratsstellen<br />

unter sich aus und beeidigten die Ratsherren selber1). Der Rat ergänzte<br />

sich selbst, die Zuwahl geschah im Beisein der ganzen Gemeinde,<br />

sie wurde dabei um ihre Meinung gefragt2). Später bildete<br />

sich ein anderes Verfahren3) heraus, zunächst für die Bestellung des<br />

Bürgermeisters. Es wurde endgültig geregelt durch eine königliche<br />

Verfügung4) von 1708. Danach schlug der Rat drei Bewerber<br />

aus seiner Mitte oder auch andere (sie brauchten nicht einmal Bürger<br />

zu sein), zunächst der Bürgerschaft oder einem „großen" Ausschuß<br />

vor und nach deren Zustimmung der Regierung. Diese wählte dann<br />

einen aus. Anfangs ist diese Ordnung nicht immer befolgt worden, so<br />

wurde z. B. 1725 von Hannover aus der Salzfaktor Appun zum Bürgermeister<br />

bestimmt, trotz des Einspruchs des ganzen Rats mit Ausnahme<br />

des Bürgermeisters Bruns. Bei der Wahl der Ratsverwandten<br />

wurde schließlich ebenso verfahren. Handwerker waren vom Rate<br />

ausgeschlossen, er bestand also vorwiegend aus Kaufleuten und Ackerbürgern.<br />

Unter den Bürgermeistern ist hie und da ein Jurist (s. die<br />

Nr. 28, 30, 40, 41 der folgenden Liste). Solange es mehr als einen<br />

Bürgermeister gab, wechselten sie und je drei Ratsherren im Dienste<br />

miteinander ab, soweit überliefert, jährlich. Die Diensttuenden bildeten<br />

das „regierende Quartier". Es sind keine Unterlagen dafür vorhanden,<br />

daß dem Wechsel eine räumliche Gliederung zugrundeliegt.<br />

Der Ausdruck „Quartier" bezieht sich also auf die Vierzahl, wenn man<br />

ihn überhaupt wörtlich verstehen will. Seit 1719 geschah der Wechsel<br />

am Tage Epiphanias mittags um 12 Uhr. 1680 ging die eine Bürgermeisterstelle<br />

ein, 1780 auch die zweite wegen der schlechten Geldlage<br />

der Stadt. Die Ratsstellen wurden 1680 auf 5, etwas später auf 4<br />

vermindert, 1786 auf 3. Damit hörte der Unterschied zwischen sitzendem<br />

und ruhendem Rat von selbst auf. Seit 1699 gab es einen rechtskundigen<br />

Stadtsekretär, eine Folge der Verleihung der Niedergerichtsbarkeit5).<br />

Schon einige Jahre vorher bediente sich der Rat eines Prokurators<br />

beim Landgericht als Berater, man wählte ihn zum Ratsherrn.<br />

J) O.L. Ält. Verwbeh. 26.<br />

2) D.St. X X III 142, S. 455, 697 ff., 705.<br />

3) Zuerst 1654 nachweisbar, s. O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X IV , B 5.<br />

4) Corpus Constit. Oldbg. VI, S. 372.<br />

5) „Instruktion" in Abschrift D.St. X X IA , Beilage zur Stadtrechnung<br />

1726.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. H l<br />

Über den Umfang der städtischen Selbstverwaltung kam<br />

es oft zu Streitigkeiten mit den staatlichen Beamten. Im 18. Jahrhundert<br />

zog die Kammer die Zügel immer straffer an, jede nur einigermaßen<br />

wichtige Angelegenheit mußte ihr zur Entscheidung vorgelegt<br />

werden. Die laufenden Geschäfte erledigte das „regierende Quartier",<br />

bei wesentlichen Sachen hat man aber sicher den gesamten Rat befragt.<br />

Im 18. Jahrhundert besorgte der Bürgermeister allein bestimmte<br />

Angelegenheiten, so nach einer Mitteilung an die Kammer vom 25. 5.<br />

1780 die einfachen Polizeisachen und geringen Parteisachen bis zu<br />

12 Rt. Bei Einsprüchen mußte sich dann der ganze Rat damit beschäftigen1),<br />

Eine Geschäftsordnung des Rats ist uns nicht überliefert.<br />

Die Mitwirkung der Bürgerschaft in städtischen Angelegenheiten<br />

erscheint in den älteren Urkunden bei Verkäufen von Gemeineigentum<br />

in der formelhaften Wendung: „Bürgermeister, Rat und ganze<br />

Gemeinde.“ Sicher wurde sie bei wichtigen Dingen befragt, und die<br />

Satzung von 1591 sieht ihre Berufung vor. Beispiele solcher Bürgerversammlungen<br />

finden sich 16732) (Bevollmächtigung des Rates zur<br />

Durchführung eines Rechtsstreites gegen Landrichter Michaelsen),<br />

16853) (Deckung der Kosten der Privilegienbestätigung), 1696‘ ) (Mitteilung<br />

einer kgl. Entschließung wegen Wiedereinsetzung eines zweiten<br />

Predigers und wegen eines Rechtsstreits gegen Pastor Hagen), Es handelte<br />

sich also immer um Geldfragen. Einzelne Bürger wurden ferner<br />

zur Mitunterzeichnung von Schuldurkunden herangezogen, mit dem<br />

Zusatz: „aus der Gemeinde", „im Namen der Gemeinde“5), auch zur<br />

Prüfung der städtischen Rechnungen6) , Allein es gab auch eine G e ­<br />

meindevertretung, die sich im Laufe der Jahrhunderte herausgebildet<br />

haben muß und in der Handfeste von 1371 noch nicht erwähnt<br />

ist. Ihre Spuren sind bei dem geringen Bestand an alten Akten<br />

sehr spärlich, und erst Pfingsten 1592 ist bei einem Hausverkauf aus<br />

städtischem Besitz von der „Bewilligung der olderliuden und gantzen<br />

Gemeine" die Rede7), und in einer anderen Urkunde von 1653 wird<br />

von der „Zuziehunge und Bewilligung unser 12 Menner Ausschuß<br />

unser Bürgereye" gesprochen8). Festen Boden betreten wir erst mit<br />

*) O.L. Ält. Verwbeh. 26.<br />

2) D.St. XXIII 137.<br />

3) D.St. III A lb.<br />

4) Beides D.St. III A 2a und wegen der geplanten Pachtung der Accise<br />

D.St. XVIII 1.<br />

5) Beispiele D.St. X V III 1 z. J. 1660, 1670.<br />

6) D.St. X X I B 4 a : Servicegeldrechnung 1647/1650.<br />

7) O.L. Knauer, UB. z. Gesch. v. Dhst. II.<br />

8) D.St. XXII 2.


112<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

den Stadtrechnungen von 1684 und 16941). In ihnen treten uns d i e<br />

„Sechzehner" entgegen, die „für die hiesige Bürgerschaft sprechenden<br />

Männer"2). Die Vermehrung des Ausschusses von 12 auf<br />

16 Köpfe muß also zwischen 1653 und 1684 eingetreten sein. Die ohne<br />

Zeitangabe überlieferte Eidesformel stammt aus dem ausgehenden<br />

17, Jahrhundert3), Nach ihr wurden die Sechzehner vom Rate eingesetzt<br />

und waren nur ihm verantwortlich, während der Eid ihrer Nachfolger,<br />

der Älterleute, mit dem Treugelöbnis auf den König beginnt4),<br />

Ihre Aufgabe beschränkte sich nach dem Wortlaut auf die<br />

Mitwirkung beim Umlegen der Steuern. Aber sie war größer, als es<br />

danach den Anschein hat, denn als 1702 der Rat mit der Bürgerschaft<br />

über allerlei Geldfragen in einem heftigen Streite lag, ordnete die Regierung<br />

an, daß sie zusammen mit der Bürgerschaft — also ohne den<br />

Rat — 6 Bevollmächtigte zur Untersuchung der Sache auslesen sollten5).<br />

An ihrer Stelle wurden am 4. 2. 1716 von der hannoverschen<br />

Regierung auf Bitten der Bürgerschaft 7 Älterleute eingesetzt6). Deren<br />

Amt ist wesentlich gesicherter und umfassender als das ihrer Vorgänger,<br />

wenn es auch erst nach vielen Auseinandersetzungen mit dem<br />

Rate, der ihnen bis in Kleinigkeiten hinein Schwierigkeiten machte,<br />

1732 durch eine kgl. Verordnung fest umgrenzt wurde7). Sie ist eine<br />

fast wörtliche Nachbildung der entsprechenden Oldenburger Satzung<br />

von 1706, aber es fehlt allerlei, so vor allem die Vorsteher der Zünfte,<br />

die „Geschworenen oder Fünfzehner". In Delmenhorst sind vielmehr<br />

die Handwerker ausdrücklich von dem neuen Amte ausgeschlossen.<br />

Als ihre Vertreter galten die den Zünften aus dem Rate Vorgesetzten<br />

,,M o rgensprachsherre n“. Diese Zurücksetzung war um so<br />

kränkender, als die Handwerker zu Zeiten in Delmenhorst — man<br />

denke an die Tuchmacher — keine ganz geringe Rolle gespielt haben.<br />

Übrigens mußte man aus Mangel an Bewerbern doch gelegentlich auf<br />

sie zurückgreifen. Man half sich dadurch, daß man nur die „Zünftigen"<br />

ausschloß, andere dagegen zuließ, z. B. Bäcker, Seiler, Drechsler,<br />

Goldschmiede. Die Älterleute wurden auf 6 Jahre gewählt, viele<br />

bekleideten das Amt immer wieder von neuem. Für einen ausscheidenden<br />

Ältermann schlugen die übrigen drei Ersatzleute vor, die<br />

1) D.St. X X I A .<br />

2) D.St. III A 2b.<br />

3) D.St. III A 2b.<br />

4) D.St. III A 2b, zwischen 1732 und 1735.<br />

5) D.St. III A 2b.<br />

9) D.St. III A 2b.<br />

7) D.St. III A 2b.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. H 3<br />

Kammer traf die Wahl nach dem Ratsgutachten, war aber an die Vorschläge<br />

nicht gebunden. Die Älterleute sollten sich besonders für das<br />

wirtschaftliche Gedeihen der Stadt einsetzen und waren bei allen<br />

Geldangelegenheiten heranzuziehen. Sie traten in der Regel einmal<br />

im Monat zusammen. Waren sie in einer Sache anderer Meinung als<br />

der Rat, so konnten sie sich unmittelbar an die Kammer wenden.<br />

Die Bürgerschaft — ihr gehörten die sog. „Freien", in der<br />

Hauptsache staatliche Diener im Amte und im Ruhestande, Ärzte,<br />

Geistliche usw., nicht an — bestand aus einigen reinen Ackerbürgern<br />

und denen, die „bürgerliche Nahrung", Handwerk und Gewerbe,<br />

meist auf ackerbürgerlicher Grundlage, trieben. Alle, die das taten,<br />

mußten Bürger sein, auch die 1695 zuerst auftauchenden Juden, die<br />

selbstverständlich für irgendwelche bürgerliche Würden nicht in Frage<br />

kamen. Vereinzelt nahmen im 16. und 17. Jahrhundert auch auswärtige<br />

und einheimische Beamte das Bürgerrecht, z. B. 1576 Jakob<br />

CI am er, Drost zu Apen und Borchvorde, Vogt zu Hatten, 1579<br />

Franz von Leer, Pastor zu Delmenhorst, „nebst anderen vielen<br />

Beamten des damaligen regierenden Herrn“, in der ersten Hälfte des<br />

17. Jahrhunderts Arndt Wulf, Hausvogt zu Delmenhorst, 1632<br />

Hofprediger Henricus Schlutterus und Hans Georg<br />

M o 1 d e r , Hauptmann der Festung Delmenhorst, 1657 Kornschreiber<br />

Arnold Stüme1). Was sie dazu bewog, wissen wir nicht. Umgekehrt<br />

wollte die Gemeindesatzung von 1591 von Heuerlingen als<br />

Bürgern nichts wissen. Der Neuaufgenommene zahlte das Bürgergeld,<br />

seit dem 17. Jahrhundert 2 %—6 Rt. (es floß dem Rate zu) und<br />

lieferte einen Feuereimer oder das Geld dafür. Einen höheren Satz<br />

entrichteten die ungern, zunächst nur auf oberlichen Druck und nicht<br />

zu umgehende Empfehlungen großer Herren aufgenommenen Juden2).<br />

Den nicht zur Bürgerschaft gehörenden Freien entsprachen die nicht<br />

der Stadtobrigkeit unterstehenden „freien“ Grundstücke: außer dem<br />

ehemaligen und noch vorhandenen herrschaftlichen Besitz an Gebäuden<br />

und Ländereien die alten Wohnsitze der Burgmannen. Wieviele<br />

von den späteren „freien" Häusern auf sie zurückgehen, läßt sich<br />

nicht sicher ausmachen, nur zwei werden 1678 noch als adlig-freie und<br />

roßdienstpflichtige Rittergüter genannt3). Die meisten anderen „freien"<br />

Häuser hatten einst die Grafen ihren Dienern zu mehr oder minder<br />

mit herrschaftlichen Renten belastetem Eigentum verliehen. Zuweilen<br />

erließ die Stadt einzelnen Bürgern statt der Zinsen für geliehene Gel­<br />

*) D.St. XXII 1.<br />

2) D.St. XIV C 2.<br />

3) D.St. XXII 1 zum 1. 2.1677 und O.L. A» Gft. Oldbg., Tit. XII 2.<br />

Oldenburger Jahrbuch<br />

8


114 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

der auf Zeit sämtliche oder einzelne Umlagen, mit Vorliebe die Einquartierung.<br />

Das begründete natürlich keine dauernde Freiheit, aber<br />

sie wurde dann oft beansprucht, und die Folge waren Rechtshändel.<br />

Verwickelt wurde die Sache, wenn ein „Freier“ Eigentümer oder<br />

Mieter eines „bürgerlichen“ Hauses war oder umgekehrt. Auch die<br />

Kammer hat hier nicht immer dieselbe Haltung eingenommen, 1683<br />

wurde z. B. dem Rat gestattet, die „Freien" mit Einquartierung zu belegen1).<br />

1703 dagegen sollten die königlichen Bedienten ohne „bürgerliche<br />

Nahrung” bis auf ganz dringende Fälle von ihr verschont<br />

bleiben2). Dann wieder wollten Apotheker und Anwälte ihren Beruf<br />

— allerdings vergeblich — nicht als „bürgerliche Nahrung" angesehen<br />

wissen. Schließlich drang der Grundsatz durch: wer „bürgerliche<br />

Nahrung" hat, auch der Eigentümer eines „freien" Hauses, trägt die<br />

Bürgerlasten, ist er daneben noch Staatsdiener, so untersteht er in<br />

seiner amtlichen Tätigkeit dem Obergericht in Oldenburg, als Kirchen-<br />

und Schulbedienter dem Konsistorium, in seiner bürgerlichen dem<br />

Stadtgericht. Die „freien" Eigentümer „bürgerlicher" Häuser aber<br />

haben alle dinglichen, doch keine persönlichen Stadtlasten zu tragen,<br />

„freie” Mietsleute können die ihnen daraus erwachsenden Kosten vom<br />

Mietzins abziehen. Die Zahl der „freien" Häuser wird nicht<br />

immer gleichmäßig angegeben, denn die beiden Pfarrhäuser, die Kantorei,<br />

Küsterei, Renterei, die beiden Stadtdienerwohnungen sind entweder<br />

ganz, teilweise oder gar nicht eingerechnet. Um 1675 werden<br />

19, in der Hausbeschreibung 1681: 16, 1766: 14, 1798: 22, 1801: 18<br />

genannt. Eine Angabe um 1648 nennt 57 Häuser, „so theils erbliche,<br />

theils speziell Befreyung von unser hohen Obrigkeit und theils wegen<br />

ihrer Herrendienste Befreiung haben und genießen”3). Hier handelt<br />

es sich aber ausschließlich um Freiheit von der Einquartierung.<br />

Die Pflichten der Bürger zerfielen in dingliche und persönliche.<br />

Zu diesen gehörten namentlich die mit der Festung zusammenhängenden:<br />

Dienst auf ihr in Notzeiten, Lieferung von verschiedenem<br />

Bedarf, Auf eisen der Gräben, Bürgerwachten, Teilnahme<br />

an der Bürgerwehr, und das Aufgebot zu Wolfsjagden. Am meisten<br />

umstritten war die Pflicht, die Schloßgräben aufzueisen, die Bürger<br />

behaupteten, nur zum Aufeisen des alten Stadtgrabens verpflichtet gewesen<br />

zu sein4). Der Streit nahm erst mit dem Schleifen der Festung<br />

sein Ende. Die Bürgerwachten an den beiden Stadttoren wurden 1646<br />

") D.St. X X I I 1.<br />

2) O.L. Ält. Vwbeh. 29.<br />

3) D.St. X X I B 4a.<br />

4) S. die Gemeindesatzung von 1591.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 115<br />

auf Befehl des Grafen anstelle der militärischen wieder eingerichtet,<br />

sogar die in der Stadt wohnenden Soldaten, soweit sie Bürger waren,<br />

mußten sie leisten1). Erst später wurde bestimmt, daß kein diensttuender<br />

Soldat mehr Bürger sein dürfe2). Natürlich konnte man sich<br />

beim Wachtdienst vertreten lassen. Die Bürgerwehr wurde zuweilen<br />

vom Kommandanten gemustert3). 1693 wurden 4 Unteroffiziere zur<br />

„Instruktion" eingesetzt4). Mit dem Eingehen der Festung wurden<br />

solche Exerziermeister überflüssig, doch zogen noch 1773 die beiden<br />

Kompanien beim Einzug des Landesherrn auf. Mit der Bürgerwehr<br />

hing das alte Vogelschießen zusammen. Die noch im Besitze der<br />

Schützengilde befindliche „Papagoye" trägt das Wappen Heinrichs<br />

von Schwarzburg, Erzbischofs von Bremen und Bischofs von Münster,<br />

unter dem 1482 Delmenhorst erobert wurde. Danach muß das Schießen<br />

also sehr alt sein. Vor 1680 wurde es unter Hinweis auf sein früheres<br />

Vorhandensein („vor unvordenklichen Zeiten") auf Betreiben des späteren<br />

Bürgermeister Homor erneuert5). Es schlief aber im Laufe der<br />

Jahre wieder ein. Über das Aufgebot zur Wolfsjagd hören wir namentlich<br />

um die Zeit des Dreißigjährigen Krieges, aber auch in der Satzung<br />

von 1591°). Noch 1683 forderte der Jägermeister die Bürger<br />

zum Treiben nach dem Lüneburgischen zu auf, aber sie lehnten ab,<br />

weil Graf Anton Günther sie vor 36 Jahren dieser Pflicht entbunden<br />

habe7).<br />

Zu den dinglichen Pflichten gehörten die Einquartierungslast, die<br />

zu Zeiten sehr stark war und von der sich auch der „ruhende" Rat<br />

gern zu drücken versuchte8), die Hand- und Spanndienste bei den<br />

Bürgerwerken: Wegebesserungen und ähnliche Arbeiten, und die Zahlung<br />

der städtischen Umlagen.<br />

Das Rechnungsj ahr lief bis 1718 vom 1. 2.—31. 1., seitdem<br />

fiel es mit dem Kalenderjahr zusammen. Die Stadtrechnung führte ein<br />

vom Rate aus der Bürgerschaft bestellter Stadtrezeptor, im 17. Jahrhundert<br />

(z. B. 1662) tritt gelegentlich ein Kämmerer auf, in der Regel<br />

ein wohlhabender Mann, denn er mußte bei dem häufigen Geldmangel<br />

") O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X IV B 24b.<br />

2) D.St. III A 3d: Gesuch des Unteroffiziers Georg Asmus 1765.<br />

3) S. die Mannzahlregister 1658, 1659 O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. X X X V , 5,<br />

die Angaben von Knauer, O.L., UB. II S. 441.<br />

4) D.St. V A la.<br />

5) Zu 1676 s. O.L. A a Gft. Oldbg. Tit. XXXIV B 24a; D.St. II D 1; D.St.<br />

XXI A , Stadtrchng. 1682, Beil. 25.<br />

o) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1847, Nr. 14; D.St. XXI B 4 z. J. 1651/52.<br />

7) D.St. XI, 1.<br />

8) Z. B. 1676 O.L. A a Gft. Oldbg., Tit. XXXII B 24a.<br />

8*


116 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

in der Kasse nicht selten aus eigenen Mitteln vorschießen. Eine Vergütung<br />

erhielt er nicht. Seit 1703, als der König der Stadt die in<br />

ihrem Gerichte anfallenden fiskalischen Brüche geschenkt hatte1), war<br />

bei der Rechnungslegung (zwischen Neujahr und Epiphanias) ein Vertreter<br />

der Kammer zugegen, nur in der hannoverschen Zeit (1711 bis<br />

1731) nicht, sicher wegen der großen Entfernung. Voranschläge gibt<br />

es erst in der französischen Zeit. Die Ausgaben bestanden in der<br />

Hauptsache aus den sehr bescheidenen Gehältern und Vergütungen,<br />

aus Bau- und Wegekosten, den Militärlasten („Servicegeld", in älterer<br />

Zeit „Bürgerzulage" genannt) und den „extraordinairen" Ausgaben für<br />

verschiedene Zwecke: kirchliche Aufwendungen, Gerichtskosten, Bestätigungen<br />

der städtischen Freiheiten, Besuche des Landesherrn, Geschenke,<br />

d. h. nicht selten Schmiergelder.<br />

An Einnahmen verfügte die Stadt zunächst einmal über die<br />

bescheidenen Erträge des städtischen Grundbesitzes. Von den Steuern<br />

ist die älteste das sog. „Kantor- und Organistengeld", eine nach der<br />

Häusergröße gestaffelte Gebäudesteuer, deren Bezeichnung auf die Reformationszeit<br />

verweist. Sie wuchs schließlich über ihren ursprünglichen<br />

Zweck hinaus. Seit 1694 gab es das Hilfegeld. Es wurde von<br />

den „bürgerliche Nahrung treibenden" Heuerlingen nach dem Vermögen<br />

gehoben, weil sie von anderen Stadtlasten, wie Kantor- und<br />

Organistengeld, Wachen, Bürgerwerken, Eisen frei waren. (Demnach<br />

hat man also damals die Heuerlinge zu einem Teile der persönlichen<br />

Dienstleistungen nicht herangezogen, ein Beweis, daß sich die Begriffe<br />

Bürger und Eigentümer um diese Zeit noch überwiegend deckten.) Die<br />

Zahl der Heuerleute schwankt stark, ist aber im allgemeinen natürlich<br />

nicht hoch, z. B. um 1640: 45, 1712: 23, 1714: 63, 1753: 38, 1780:<br />

49, 1800: 66 (darunter 30 Arme, die nichts zahlten). Zwischen 1717<br />

und 1740 stiegen sie zeitweise auf über 100 Köpfe, damals lag Garnison<br />

in der Stadt. Die Steuerbeträge gingen allmählich stark zurück,<br />

von anfangs 12 Gr. bis 1 lA Rt. auf zuletzt 6— 36 Gr. Jünger sind die<br />

Nahrungsgelder (zuerst mit nur 1)4 Rt. in der Stadtrechnung von<br />

1730). Sie sollten von denen aufgebracht werden, die ein Gewerbe<br />

betrieben, ohne zu einer Zunft zu gehören. Das ist aber nicht genau<br />

durchgeführt worden. 1801 z. B. zahlten wohl die Bäcker und Weißgerber,<br />

aber nicht Zinngießer, Knopfmacher, Färber, Glaser und Goldschmiede2).<br />

Immer scheinen dagegen Kauf leute und Krüger gesteuert<br />

zu haben. Anscheinend war man sich anfangs über den Kreis der<br />

Heranzuziehenden nicht recht klar, nach und nach erweiterte er sich,<br />

M Corpus Constit. Oldbg. VI, Nr. 122.<br />

2) D.St. III A 2c, 18.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 117<br />

und es bildete sich eine geregelte Einteilung in Steuerklassen heraus,<br />

1810 von 6 Gr. bis 5 Rt.<br />

Von altersher besaß die Stadt eine A c c i s e auf Bremer Bier<br />

neben der landesherrlichen, 6 Gr. auf die Tonne, wovon zwei Bürgermeister<br />

und Rat bekamen. Diese sehr alte, vielleicht aus den städtischen<br />

Anfängen stammende Abgabe wird urkundlich zuerst für 1620<br />

erwähnt1). Sie sank, noch zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges sehr<br />

beträchtlich, schließlich zur Bedeutungslosigkeit herab. Das gleiche<br />

gilt von dem Wege- und Brückengeld vom Lüneburger Salz, seit 1700,<br />

einer Abgabe der gegen Ende des 17. Jahrhunderts in Delmenhorst<br />

eingerichteten Faktorei des Lüneburger Salzkontors. Als dieser Salzhandel<br />

etwa seit 1760 immer rascher zurückging, schwand sie zuletzt<br />

fast ganz. Zum letzten Male ist sie in der Stadtrechnung von 1802 erwähnt.<br />

Unregelmäßige Einnahmen waren die Abzugsgelder, 20 v. H.<br />

des Vermögens auswandernder Bürger. In dieser Höhe wurden sie<br />

1706 durch eine königliche Entschließung festgelegt2). Dazu kamen<br />

dann noch die polizeilichen und die Unzuchtsbrüche. Langten die<br />

ordentlichen Einnahmen nicht, so wurde eine „Kollekte" gehoben,<br />

manchmal durch Verdoppelung des Kantor- und Organistengelds oder<br />

auch eine Anleihe aufgenommen. Dies benutzte man später zu einer<br />

Art Geldgeschäft, man lieh Gelder zu einem niedrigeren Zinssatz — die<br />

Gläubiger gaben sie der größeren Sicherheit wegen lieber einer Stadt<br />

als einem einzelnen — und verlieh sie in kleineren Beträgen zu höheren<br />

Zinsen weiter. Dadurch erwarb sich die Stadt nach und nach ein<br />

kleines Barvermögen, das in der Franzosenzeit zum größeren Teile<br />

wieder draufging. Um 1670 bis mindestens 1682 hatte Delmenhorst<br />

auch die staatliche Bieraccise gepachtet3) und von 1692— 1713 die<br />

herrschaftliche Mühle.<br />

Bei den staatlichen Abgaben führte der Versuch, die<br />

Stadt zu der von Anton Günther eingeführten Kontribution heranzuziehen,<br />

erst 1711 zum Ziele. Die Regierung begründete ihre den Rechten<br />

der Stadt widersprechende Handlungsweise mit der Erleichterung,<br />

die den Bürgern aus der Aufhebung der Festung erwüchse. Das war<br />

ein fadenscheiniger Vorwand, der Hauptgrund war, daß der König<br />

durch ihre Ausdehnung auf Delmenhorst die Pfandsumme für den an<br />

Hannover überlassenen Teil Oldenburgs um 10 000 Rt. hinaufschrauben<br />

konnte. Nach geradezu dramatischen Auftritten mußte die Stadt sich<br />

fügen. Den in der dänischen Zeit häufigen außerordentlichen Steuern<br />

1) D.St. XVIII 1 z. 3. 3.1622.<br />

2) D.St. III A lb.<br />

3) D.St. II D 1.


118<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

suchte sich die Stadt regelmäßig — wenn auch stets erfolglos —<br />

unter Hinweis auf ihre schlechte wirtschaftliche Lage zu entziehen.<br />

Auch zu den Zwangsanleihen mußte sie beitragen: 1709, 1759, 1762<br />

(damals brachte Delmenhorst 15 000 Rt. auf, Oldenburg 143 250).<br />

Von den einzelnen Zweigen der städtischen Verwaltung sei nur<br />

noch die G erichtsbarkeit kurz betrachtet. Schon die Handfeste<br />

von 1371 machte das Bremer Recht für Delmenhorst verbindlich, die<br />

Gerichtspflege aber übte der gräfliche Vogt. Er hielt zweimal wöchentlich<br />

Gericht mit zwei Schöffen, den „Kornoten" und in Anwesenheit<br />

der „gemeinen Dingpflichtigen"1). Als Kornoten und Zeugen traten<br />

öfters Delmenhorster Bürgermeister und Ratsherren auf. Schon von<br />

altersher haben natürlich Bürger auch Verkäufe, Verträge, Ehestiftungen<br />

vor dem Rate vollzogen, wie die erhaltenen Urkunden bezeugen.<br />

Über eine Schlichtung von Rechtshändeln durch den Rat ist<br />

dagegen aus der älteren Zeit nichts überliefert. Erst seitdem in Delmenhorst<br />

wieder eine Nebenlinie des Grafenhauses ihren Sitz hatte, also<br />

seit 1577, stoßen wir auf sichere Zeugnisse einer städtischen Niedergerichtsbarkeit,<br />

zuerst in der Satzung von 1591 mit ihren Bestimmungen<br />

über die Klagegebühren und über das Verfahren bei verfallenen<br />

Pfändern. Um eine pfandrechtliche Angelegenheit handelt es sich<br />

auch in einem Rechtsfall von 16112) . Dann ist noch ein weiterer Fall<br />

1647 überliefert (a. a. O.), er wird der gräflichen Justizkanzlei überwiesen,<br />

weil der Sachverhalt nicht ganz klar war und auch „auß anderen<br />

Uhrsachen". Ich vermute, daß die Entwicklung der städtischen<br />

Niedergerichtsbarkeit mit der Einsetzung des aus Juristen bestehenden<br />

Delmenhorster Obergerichts nach 1577 zusammenhängt. Damit<br />

verschwand der alte Laienrichter, der Vogt, und ein Teil der einst von<br />

ihm erledigten leichteren Rechtsfälle, soweit bei ihnen nur Bürger beteiligt<br />

waren, wird dem Rate zugefallen sein. In Strafsachen besaß<br />

dieser nur eine Art Polizeistrafgewalt und konnte auf Geldstrafen,<br />

Haft, Ausstellen am Schandpfahl erkennen. Ab und zu beauftragte die<br />

Kanzlei den Bürgermeister mit Ermittlungen bei Untersuchungen3).<br />

Als Delmenhorst an Anton Günther fiel, wurde sein Obergericht in<br />

seiner Stellung gemindert und in seinen Befugnissen eingeschränkt,<br />

weil es Oldenburg unterstellt war. Damit sank natürlich auch die<br />

städtische Gerichtsbarkeit um eine Stufe. Dazu bemühte sich das Del-<br />

1) S. z. B. O.L. Doc. Gft. Oldbg., Kopiar d. Rentmeisters Lange; z. 25. 8.<br />

1538.<br />

2) D.St. X X III, 4.<br />

3) Beisp. s. O.L. A » Justizsachen, Dhst. Kanzleiprot.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 119<br />

menhorster Landgericht, sie noch weiter einzuengen, weil sie keine fest<br />

umschriebene Zuständigkeit hatte, und es kam zu unaufhörlichen Zwistigkeiten.<br />

Als schließlich der Landrichter Michaelsen sogar die<br />

Schlüssel zu den Toren und Schlagbäumen in Verwahrung nehmen<br />

wollte, klagte die Stadt gegen ihn. Als letzte Spruchbehörde entschied<br />

die Leipziger Juristenfakultät zu ihren Gunsten und sprach ihr nicht<br />

nur die Schlüssel, sondern auch die „Gerichtsbarkeit in klaren bürgerlichen<br />

Sachen über ihre Bürger" zu1). Dabei blieb freilich die Frage<br />

offen, was denn eigentlich „klare bürgerliche Sachen" seien — das<br />

Landgericht rechnete z. B. Vergantungen nicht dazu — und der Hader<br />

hörte nicht auf, es kam vor, daß vom Stadtgericht erledigte Sachen<br />

noch einmal vom Landgericht abgeurteilt wurden. Endlich setzte sich<br />

die Stadt doch durch. In die Bestätigung des Stadtbriefes durch König<br />

Christian V. vom 14. 7. 1699 wurde das Leipziger Urteil ausdrücklich<br />

aufgenommen, und am 18. 11. 1699 erhielt Delmenhorst die Gerichtsbarkeit<br />

erster Instanz über alle die gemeine Bürgerschaft angehenden<br />

bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, und das Stadtgericht wurde unmittelbar<br />

dem Obergericht in Oldenburg unterstellt2). Versuche der Stadt<br />

aber, ihre Gerichtsbarkeit nach dem Oldenburger Vorbild über die<br />

bürgerlichen Äcker, Gärten und Weiden außerhalb der Stadt und über<br />

die in bürgerlichen Häusern und auf bürgerlichen Gründen sich aufhaltenden<br />

Fremden auszudehnen, scheiterten ausnahmslos. Über die<br />

Erledigung der Geschäfte durch das Stadtgericht klagten die Bürger<br />

allerdings oft, denn die schlecht bezahlten Stadtsekretäre waren im<br />

Neben-, vielmehr im Hauptamte Anwälte und Assessoren beim Landgericht<br />

und vernachlässigten dabei leicht ihre Stadtgeschäfte. Das<br />

Ende vom Liede war schließlich, daß durch herzoglichen Erlaß vom<br />

11. 3. 1793 die gerichtlichen Geschäfte oder sog. gelehrten Arbeiten<br />

dem Rate bis zu anderweitiger Verfügung entzogen und dem Landgericht<br />

zur Verwaltung übertragen wurden und der Stadt nur das<br />

Polizei- und Industriefach blieben. Da das ihren Rechten widersprach,<br />

war ihr zunächst aufgegeben worden, zu erwägen, ob sie das nötige<br />

Geld zur ordnungsmäßigen Verwaltung der Rechtspflege aufbringen<br />

könne. Das war unmöglich, und so war es mit der einst so heiß erkämpften<br />

gerichtlichen Selbständigkeit aus3).<br />

Im übrigen bestanden die alten Verhältnisse weiter, bis 1811 die<br />

französische Besetzung die ganze alte Ordnung beseitigte.<br />

1) 1675, D.St. III A lb.<br />

2) D.St. III A lb.<br />

3) D.St. III B 2.


120<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

II. Liste der städtischen Amtsträger bis 1813.<br />

1. Bürgermeister.<br />

1. 14231) Hinrik de Wullenwever<br />

2. 14231) Alveke de Meygere.<br />

3. 14231) Hinrik W olders.<br />

4. 14832) Gerdt Holcke.<br />

5. 15043)— 15054) Hermann Lulle-<br />

man (vorher Ratmann, s. 63).<br />

6. 1505T 8) Johan Telder.<br />

7. 15195) Hinrick Meynhardes.<br />

8. 1527®) Diederich Grashorn.<br />

9. 1527“)— 15387) Hinrick Vagedes<br />

(Vagdts).<br />

10. 1527°)— 15658) Johan (Hensken)<br />

Remensnyder (Reymen-<br />

schneider).<br />

11. 15309)— 153110) Johan Kantz<br />

(Cantze).<br />

12. 153411)— 156012) Hinrick Grashorn.<br />

13. 154113) Cort Lullemann (vorher<br />

Ratmann, s. 75).<br />

14. 15501*)— 15751B) Steenken Lulle-<br />

man (Lüllenham, Lolleman).<br />

15. 1565®) Eilert Stöver.<br />

16. 156916)— 159317) Wilm von Gesseln<br />

(Gesselmann) (vorher Ratmann,<br />

s. 79).<br />

17. 157018)— 160010) Hinrich Bart-<br />

scheer (Bartscher, Barscher)<br />

vorher Ratmann, s. 84).<br />

18. 158420)— 1621«) Egbert (Egbart)<br />

von Langen.<br />

19. 159021) Albert Stroschnider<br />

20. 160922)— 1623*23) Gerdt Bärens-<br />

veldt (Barnesfeld, Barnsfeldt).<br />

21. 161624)— 1626»)25) Arend Meisol<br />

(Meysoll, Meysahl).<br />

22. 16232®)— 162525) Hinrich Hesse.<br />

23. 1627*27)— 1643*8) Johann Grashorn<br />

(vorher Ratmann, s. 100).<br />

24. 1627*27)— 163028) Arend Schmidt<br />

(Arnold Schmiet) oder von Ey-<br />

nem (Einem) (vorher Ratmann,<br />

s. 101).<br />

25. 1632*23)— 1664*29) Heinrich<br />

Meysohl.<br />

26. 163330)— 163531) Theodosius<br />

Hoyer.<br />

27. 1635*32)— 1654*») Johannes<br />

Bödeker.<br />

28. 1646*33)— 1654*8) Anthon<br />

Gras(s)horn (Jurist).<br />

29. 1655*°)— 1668*®) Hermann M est-<br />

macher (Harmen Mestmaker)<br />

(vorher Rv., s. 107).<br />

30. 1655*34)— 1666*35) Bernhard (Be-<br />

rend) Bödeker (Jurist) (vorher<br />

Rv., s. 123).<br />

31. 166523)— 1669*3«) Anthon (Tön-<br />

jes) Griepenkerl (vorher Rv.,<br />

s. 129).<br />

32. 1667*»)— 1673*») Hinrich M en-<br />

cken (Menkens, Mengke* Mencke)<br />

(vorher Rv., s. 128).<br />

33. 1669*»)— 1679*37) Hinrich Hege-<br />

ler (vorher Rv., s. 122),<br />

34. 1670*38)— 1679*») Hermann Niemeyer<br />

(Nymeyer, Neumeyer).<br />

35. 1674*39)— 1706*40) Diederich<br />

Osterloh (Lüneburgischer Salzfaktor).<br />

36. 1680*41)— 1702*42) Hermann Ho-<br />

mohr (Humor, Humohr, Homor)<br />

vorher Rv., s. 134).<br />

37. 1702*43)— 1707*44) Johann Friedrich<br />

Probst (Propst), Rent-<br />

schreiber).<br />

38. 1706*— 1718* Gerd (Gerdt)<br />

Meyer (vorher Rv., s. 138) und<br />

Sechz., s. 174).<br />

39. 1708*45)— 1724* Heinke Sten-<br />

feldt (Steinfeld) (vorher Rv.,<br />

s. 142 und Sechz., s. 165).<br />

40. 1719*— 1761* Johann Dietrich<br />

Bruns (Kanzleiassessor) (vorher<br />

Rv., s. 145).<br />

41. 1725*— 1735* Johann Andreas<br />

Appun (Salzfaktor, Jurist,<br />

Schwiegersohn von 35).<br />

42. 1736*— 1769* Gerhard Voigt<br />

(vorher Rv., s. 151).<br />

43. 1761*— 1765* Dietrich Martin<br />

Klaener (vorher Rv., s. 152 und<br />

Äm., s. 209),<br />

44. 1766*— 1792* Joachim Engel,<br />

1761*— 1765* Vizebürgermeister.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 121<br />

45. 1770*— 1780* Heinke Dietrich<br />

Osterloh (vorher Rv,, s. 157<br />

und Äm., s. 225),<br />

1792— 1793 war der Bürgermeisterposten<br />

nicht besetzt.<br />

46. 1794*— 1811* Johann Groninger<br />

(vorher Rv., s. 161 und Äm.,<br />

s. 233).<br />

2. Stadtsekretäre.<br />

47. Um 169546) Johannes Meyer<br />

(Prokurator beim Landgericht),<br />

Vorläufer des Stadtsekretärs.<br />

48. 1 6 9 9 *")— 1717* Johann Gerhard<br />

Hellman (vorher Advokat und<br />

Prokurator beim Landgericht).<br />

49. 1718*— 1725* Johann Arnold<br />

Hoyer.<br />

50. 1725*— 1762* Caspar Siegfried<br />

Hansen (Landgerichtsassessor),<br />

51. 1763*— 1771* Arnold Bruns<br />

(Landgerichtsassessor, Kanzleirat).<br />

52. 1772*— 1793* Johann Friedrich<br />

Voigt (Landgerichtsassessor,<br />

Kanzleirat).<br />

53. 1794*— 1811* Hermann Jakob<br />

Anthony (Landgerichtsassessor).<br />

3. Ratmannen, Ratsverwandte,<br />

Ratsherren.<br />

54. 14231) Hinrik Godeken.<br />

55. 14231) Beneke Alves.<br />

56. 14231) Hinric Cok.<br />

57. 14231) Diderik Holleken.<br />

58. 14231) Herman Mathias.<br />

59. 14231) Abele Tuteken.<br />

60. 14231) Godschalk Schomaker.<br />

61. 14231) Hinrik Werneken.<br />

62. 14832) Berendt Lubberdes.<br />

63. 14832) Harmen Lulleman (später<br />

Bm., s. 5).<br />

64. 14832) Johan Smidt.<br />

65. 150548) Johan Meiger.<br />

66. 150548) Borghert Ryckberen.<br />

67. 150548) Herman Segebade.<br />

68. 15195) Dirick Smydt.<br />

69. 15195) Hennynck Becker.<br />

70. 15195) Clawes Smedes.<br />

71. 153110)— 15658) Clawes Meiger.<br />

72. 153110)— 153249) Martinus Bartscherer.<br />

73. 153110)— 153650) Reyner Holcken<br />

de Junger.<br />

74. 153411)— 153751) W olter Hartman<br />

(s).<br />

75. 153411)— 153751) Kordt Lulleman<br />

Lunnemann) (später Bm., s. 13).<br />

76. 153411)— 157018)52) Joh ai Lulleman<br />

(Lunneman, Lolleman).<br />

77. 153650) Johan Hokenbarch.<br />

78. 15365®)— 153751) Herman Porte-<br />

ner, „offt van Hatten genanet"50).<br />

79. 156153) Wilhelm Gesselmann<br />

(später Bm., s. 16).<br />

80. 156164)— 157018) Hinrich Hokenbarch<br />

(Hakenbargh).<br />

81. 15658)— 159355) Johann Kock.<br />

82. 1565s) Johann Alfes.<br />

83. 15658)— 158420) Johan Smit<br />

(Smyth).<br />

84. 156910) Hinrich Bartscherer<br />

(Barscher) (sp. Bm., s. 17).<br />

85. 156916) Hinrik Kruese.<br />

86. 157018) Jürgen Becker.<br />

87. 157018) Hinrik Graßhorn.<br />

88. 157756) Johann Alhartz.<br />

89. 157756)— 160019) Jürgen Wynter.<br />

90. 158420) Harmen Hockenberch.<br />

91. 158420) Albert Ketingk.<br />

92. 15842“)— 1593“ ) Clawes Bernsfeld.<br />

93. 159355) Harmen Wöltcken.<br />

94. 160019) Hinrich Appyn.<br />

95. 160019) Johann Wächter.<br />

96. 160157) Johan Smidt.<br />

97. 160157) Dirich Brunkhorst.<br />

98. 160157) Hinrich Hensgen.<br />

99. 160157) Hinrich Meyer.<br />

100. 160922)— 162558) Johan Graßhorn<br />

(später Bm., s. 23).<br />

101. 160922) Arendt Schmidt (später<br />

Bm., s. 24).<br />

102. 160922) Henrich Bathoff.<br />

103. 161624)— 162558)58») Anthon<br />

Schliemann (Tonnies Schleye-<br />

mann).<br />

104. 162558) Gerd Bücking.


122<br />

105. 1625“ ) Henrich Hoyer.<br />

106. Um 163059)— 163560) Tönnies<br />

Hutfilter.<br />

107. 1631“ )— 1654*62) Hermann Mest-<br />

macher (später Bm., s. 29).<br />

108. 163161)— 165283) W ilcken von<br />

Henstede.<br />

109. 163223) Curdt Barnsfeldt.<br />

110. 1635®°) Dirich Gesselmann.<br />

111. 1635°°) Dirich von Seggern.<br />

112. 164264) Lübbe Oeken.<br />

113. 164259)— 1674’’9) Hartwich<br />

Schmidt (von Eynem, von Einem)<br />

(Sohn von 24).<br />

114. 1644«5)— 1659“ ) Diederich<br />

Brunkhorst.<br />

115. 164465)— 1654“2a) Heinrich Ballehr.<br />

116. 164487)— 165088) Hinrich Fischer.<br />

117. 164485)— 166169) Carsten Helmers.<br />

118. 164870) Ahlert Menkens.<br />

119. 165171)— 166172) Dirick (Diederich)<br />

Haucke,<br />

120. 165273) Henrich Cordes.<br />

121. 165274) Henrich Satteier.<br />

122. 1652®3) Heinrich Hegeler (später<br />

Bm., s. 33).<br />

123. 1654*82) Berend Bödeker (später<br />

Bm., s. 30).<br />

124. 165623)— 1680*75) Johan Dreß<br />

(Dreas).<br />

125. 165966)— 1666*76) Tönnies Coch.<br />

126. 165977)— 167078) Hinrich Hartken<br />

(Herttgen).<br />

127. 166079— 167078) Johann W übbenhorst.<br />

128. 166080)— 166523) Heinrich Mengke<br />

(Menkenß) (später Bm., s. 32).<br />

129. 166281)— 1664*82) Tönjes Grie-<br />

penkerl (Camerary) (später Bm„<br />

s. 31).<br />

130. 166523)— 1694 Cordt Henningß<br />

(Hengen).<br />

131. 167078)— 167583) Härmen von<br />

Geßeln.<br />

132. 167078)— 1694 Heinrich Bödeker<br />

(Bötticher).<br />

133. 167078)— 1696 Diederich (Dirich,<br />

Dirk) Helmerß.<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

134. 1672s1)— 1679*85) Hermann<br />

Homohr (später Bm., s. 36).<br />

135. Zwischen 1673/7688)— 1681 Christian<br />

Heinrich Meyerholtz.<br />

136. Zwischen 1673/7688)— 1698*87)<br />

Gerhard (Gerd) Berenß.<br />

137. Zwischen 1673/7686) ««)— 1696<br />

Ahlert Menkens.<br />

138. 169980)— 1706* Gerdt Meyer<br />

(später Bm., s. 38, vorh. Sechz.<br />

s. 177).<br />

139. 170090)— 1719*90) Jacob Boldt<br />

(Bolte).<br />

140. 170123)— 1705*01) Heinrich<br />

Hegeler (vorh. Sechz.? s. 174).<br />

141. 170223)— 1705 Cordt Kruse (vorh.<br />

Sechz., s. 176).<br />

142. 1706— 1708*) Heinke Steinfeld<br />

(Stenfeldt) (später Bm., s. 39,<br />

vorher Sechz., s. 168).<br />

143. 1707— 1718*) Johann Anton<br />

(Tönnies) Bödeker.<br />

144. 1707— 1733*) Gerdt Vosteen<br />

(Fosteen, Fostein).<br />

145. 170892)— 1718*) Johann Dietrich<br />

Brunß (später Bm., s. 40).<br />

146. 1719*)— 1733*) Dietrich Osterloh.<br />

147. 1719*)— 1730*) Friedrich Jacob<br />

Edeler (vorher Äm., s. 195).<br />

148. 1719*)— 1732*) Georg Lotz (vorher<br />

Äm., s. 196).<br />

149. 1733*)— 1741*) Johann Mengers<br />

(Mengerßen) (vorher Äm., s. 207).<br />

150. 1733*)— 1743*) Diederich<br />

Hegeler.<br />

151. 1734*)— 1735*) Gerhard Voigt<br />

(später Bm„ s. 42).<br />

152. 1734*)— 1761*) Dietrich Martin<br />

Klaener (Kloener) später Bm.,<br />

s. 43, vorher Äm., s. 209).<br />

153. 1736*)— 1769*) Peter Dubravius.<br />

154. 1741*)— 1744*) Johann Dietrich<br />

Pundt.<br />

155. 1754*)— 1775*) Hermann Meyer<br />

(vorher Äm., s. 216).<br />

156. 1745*)— 1770*) Johann Eberhardt<br />

Bödeker.<br />

157. 1762*)— 1769*) Heinke Dieterich<br />

Osterloh (später Bm., s. 45, vorher<br />

Äm., s. 225).


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 123<br />

158. 1770*)— 1776*) Heinrich Hegeler<br />

(vorher Äm., s. 227).<br />

159. 1770*)— 1783*) Dietrich Martin<br />

Klaener ((vorher Äm., s. 230).<br />

160. 1771*)— 1787*) Theobald Hoff-<br />

mann (Apotheker).<br />

161. 1776*)— 1793*) Johann Gronin-<br />

ger (später Bm-, s. 46, vorher<br />

Äm., s. 237).<br />

162. 1777*)— 1785*) Stephanus<br />

Epping.<br />

163. 1783*)— 1811*) Johann Arnold<br />

Schumann.<br />

164. 1788*)— 1800*) Hermann Conrad<br />

Mestwerdt.<br />

165. 1794*)— 1811*) Hermann Liborius<br />

Alfken (späterMaire, s, 257).<br />

166. 1801*)— 1811*) Albert W eyhausen<br />

(später Munizipalrat, s.<br />

260, vorher Äm., s. 251).<br />

4. Sechzehner.<br />

167. 167803) Paul Grave.<br />

168. 169604)— 170295) Heinke Steinfeld<br />

(Stenfeld) (später Bm., s.<br />

39 und Rv., s. 142).<br />

169. 1696°'*)— 170295) Dierich Jakub<br />

Rogge (später Äm. ?, s. 200).<br />

170. 169694) Hans Berend Deterß.<br />

171. 169694) Hinrich Kruse.<br />

172. 169694) Johann Deterß.<br />

173. 169604) Hinrich Sommers.<br />

174. 169694) Hinrich Hegeler (später<br />

Rv.? s. 140).<br />

175. 169694) Johan von Halen.<br />

176. 169694)— 170296) Kordt Kruse,<br />

(Fuhrmann) (später Rv., s. 141).<br />

177. 169604) Gerdt Meyer (später Bm.,<br />

s. 38 u. Rv., s. 138).<br />

178. 169694) Christian Berenß.<br />

179. 169694) Hermann Lange.<br />

180. 169694)— 170295) Harmen Freudenberg.<br />

181. 169694) Heinke Klattenhoff.<br />

182. 169694) Johan Witte (später Äm .?,<br />

s. 204).<br />

183. 169694) Statz (Statius) von Einem.<br />

184. 169796)— 170295) Wohler Müller.<br />

185. 170197)— 170295) Johan Mestmacher.<br />

186. 170107)— 170205) Henrich Witte.<br />

187. 1701®7)— 1702°“) Johan Windeis.<br />

188. 170295) Hermann (?) Dunker.<br />

189. 170296) Hinrich von Dorsten.<br />

190. 170295) Harmen Deterß (später<br />

Äm. ?, s. 205).<br />

191. 17028!i) . . . Hartcken.<br />

192. 170205) Eggerdt Pundt.<br />

193. 170295) Christian Stembßhorn.<br />

5. Älterleute"s).<br />

194. 1716*)— 1729*) Johann Friedrich<br />

Stolting.<br />

195. 1716*)— 1719*) Friedrich Jacob<br />

Edeler (später Rv., s. 147).<br />

196. 1716*)— 1719*) Georg Lotz (später<br />

Rv., s. 148).<br />

197. 1716*)— 1718*) Hinrich Bödeker.<br />

198. 1716*)— 1738*) Hermann<br />

Drieling.<br />

199. 1716*)— 1731*) Johan Pundt.<br />

200. 1716*)— 1718*) Dirck Rogge<br />

(vorher Sechz. ?, s. 169).<br />

201. 1718*)— 1732*) Friedrich<br />

Christian Brunß.<br />

202. 1718*)— 1720 Hinrich Hegeler<br />

Sohn v. 174?<br />

203. 1719*)— 1732*) Harmen Frese.<br />

204. 1727*)— 1731*) Johan Witte<br />

(vorher Sechz. ?, s. 182).<br />

205. 1720— 1733*) Hermann Deters<br />

vorher Sechz. ?, s. 190).<br />

206. 1732*)— 1734*) Behrend Lübbers.<br />

207. 1732*) Johann Mengers (Men-<br />

gerßen), später Rv., s. 149).<br />

208. 1732*)— 1734*) Gerd Bischoff.<br />

209. 1732*)— 1734*) Dietrich Martin<br />

Klaener (später Bm., s. 43 und<br />

Rv., s. 152).<br />

210. 1732*)— 1739*) Conrad Backenköhler.<br />

211. 1732*)— 1741 Johann Mencke.<br />

212. 1732*)— 1733*) Gerd Rover.<br />

213. 1734*)— 1748*) Christoph<br />

Wächter.<br />

214. 1735*)— 1749*) Cord Voigt<br />

(Vagt).<br />

215. 1735*)— 1753*) Harm Christoph<br />

Meyerholtz.


124<br />

216. 1735*)— 1745*) Harmen M eyer<br />

(später Rv., s. 155).<br />

217. 1738*)— 1740*) Peter Meyer.<br />

218. 1741*)— 1751*) Herman Frese.<br />

219. 1741*)— 1751*) Johann Deters.<br />

220. 1745*) Hinrich Ordemann.<br />

221. 1746*)— 1753*) Carl Körner.<br />

222. 1748*)— 1762*) Hinrich Plate.<br />

223. 1750*)— 1765*) Tönnies Claus<br />

Ficke (Bruder von 226).<br />

224. 1750*)— 1783*) Cord Voigt.<br />

225. 1751*)— 1762*) Heinke Diederich<br />

Osterloh (später Bm., s. 45 und<br />

Rv., s. 157).<br />

226. 1751*)— 1765*) Johann Hillmann<br />

Ficke (Bruder von 223).<br />

227. 1753*— 1767*) Hinrich Hegeler<br />

(später Rv., s. 158).<br />

228. 1753*)— 1783*) Gideon Lückens<br />

(Lütken).<br />

229. 1762*)— 1807*) Peter Gerkens.<br />

230. 1762*)— 1770*) Dietrich Martin<br />

Klaener (später Rv., s. 159).<br />

231. 1765*)— 1771*) Gerhard Hinrich<br />

Körner.<br />

232. 1765*)— 1774*) Johann Berend<br />

Freudenberg.<br />

233. 1767*)— 1773*) Hinrich Lückens.<br />

234. 1770*)— 1800*) Hinrich Ordemann.<br />

235. 1771*)— 1784*) Johann Christoph<br />

Köcker.<br />

236. 1773*)— 1790*) Johann Wilhelm<br />

Körner.<br />

237. 1774*)— 1776*) Johann Grönin-<br />

ger (später Bm., s. 46 und Rv.,<br />

s. 161).<br />

238. 1776*)— 1790*) Johann Müller<br />

(Brauer).<br />

239. 1780*)— 1790*) Diedrich Fortmann<br />

(Vortmann).<br />

240. 1783*)— 1804*) Friedrich Alfs.<br />

241. 1783*)— 1794*) Heinrich von<br />

Gesseln (Bäcker).<br />

242. 1784*)— 1791*) Berend Meiners.<br />

243. 1790*)— 1798*) Dietrich Jacob<br />

v. d. Lippe.<br />

244. 1790*)— 1797*) Anton Conrad<br />

Ficke.<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

245. 1790*)— 1800*) Johann Melchior<br />

von Gesseln.<br />

246. 1791*)— 1794*) Lüder Ficke.<br />

247. 1794*)— 1800*) Hermann<br />

Christoph Schröder.<br />

248. 1796*)— 1811*) Conrad Dietrich<br />

Voigt (Bäcker).<br />

249. 1799*1— 1800*) Hermann Stolle<br />

(Branntweinbrenner).<br />

250. 1799*)— 1811*) Johann Heinrich<br />

Haake (Krämer) (später Maire<br />

adjoint, s. 259).<br />

251. 1800*)— 1801*) Albert W eyhausen<br />

(Kaufmann) (später Rv.,<br />

s. 166 und Munizipalrat, s. 260).<br />

252. 1800*)— 1811*) Johann Hinrich<br />

Meyer (Knopfmacher).<br />

253. 1801*)— 1811*) PaulOehr (Goldschmied).<br />

254. 1801*)— 1811*) August Wilhelm<br />

Wiesemann.<br />

255. 1804*)— 1811*) Hermann Heinrich<br />

Kruse (Kaufmann).<br />

256. 1810*1— 1811*) Johann Heinrich<br />

Büsing (später Munizipalrat, s.<br />

264).<br />

6. Gemeindevertreter<br />

in der Franzosenzeit90).<br />

257. 1811*) Hermann Liborius Alfken<br />

(Kaufmann), Maire (vorher Rv.,<br />

s. 165).<br />

258. 1812*)— 1813*) Johann Friedrich<br />

Barmstedt (Kammerassessor),<br />

Maire (später Bürgermeister bis<br />

1826).<br />

259. 1811*)— 1813*) Johann Hinrich<br />

Haake, Maire adjoint (vorher<br />

Äm., s. 250).<br />

260. 1811*)— 1813*100) Albert W e y ­<br />

hausen (vorher Rv., s. 166 und<br />

Äm., s. 251).<br />

261. 1811*)— 1813*) Dr. med. Otto<br />

Ernst Oppermann (Arzt).<br />

262. 1811*)— 1813) Friedrich Ludwig<br />

Wilhelm Oldenburg (Apotheker).<br />

263. 1811*)— 1813*) Heinrich Fitger<br />

(Gastwirt).<br />

264. 1811*)— 1813*) Johann Heinrich<br />

Büsing (vorher Äm., s. 256).


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 125<br />

265. 1813*) Johann Wilhelm Anton<br />

Wittenberg.<br />

266. 1813*) Heinrich Schwarting.<br />

267. 1813*) Gideon Lütkens.<br />

268. 1813*) Christian Friedrich Meis-<br />

ner (Notar, später Amtmann in<br />

Delmenhorst).<br />

269. 1813*) Klaus Windeis, Hasbergen.<br />

270. 1813*) Heinrich Lehmkuhl,<br />

Hasbergen.<br />

271. 1813*) Johann Lürßen,<br />

Hasbergen.<br />

272. 1813*) Lüdeke Schierenbeck,<br />

Hasbergen.<br />

B elege und Anmerkungen.<br />

273. 1813*) Heinrich Schierenbeck,<br />

Hasbergen.<br />

274. 1813*) Heinrich Dietrich Plate,<br />

Schohasbergen.<br />

275. 1813*) Johann Meyer, Stickgras.<br />

276. 1813*) Johann Gerhard Zange,<br />

Dwoberg.<br />

277. 1813*) Cord Hinrich Kruse,<br />

Dwoberg.<br />

278. 1813*) Johann Berend Hegeler,<br />

Deichhorst.<br />

279. 1813*) Bernhard Kruse, Deichhorst.<br />

Es ist immer nur eine Belegstelle angegeben für das erste und letzte nachweisbare<br />

Amtsjahr. Dazwischen liegende Jahre sind nicht belegt. W o keine<br />

Belegstelle genannt ist, entstammt die Angabe den Stadtrechnungen, sie sind<br />

von 1682 ab erhalten. Gesicherte Anfangs- und Endjahre sind durch einen*<br />

gekennzeichnet. D.St. = Delmenhorster Stadtarchiv.<br />

*) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 7. 6. 1423.<br />

2) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 5. 2. 1483.<br />

3) O.L. Kollegiatstift Dhst. (Rüthn. IV, 900); 26. 12. 1504.<br />

*) O.L. Doc. Herrsch. Dhst. im Münsterschen Bes.; 31. 12. 1505.<br />

5) O.L. Doc. Kirchen des Hzts. III (Rüthn. VII, 210); 13. 12. 1519.<br />

6) Wochenbl. f. d. Kreis Dhst. 1846, Nr. 9. (Von Pupillenschreiber Knauer<br />

nach heute verlorenen Akten. Ks. Angaben sind, wo Nachprüfung möglich,<br />

nicht immer richtig). D.G. kann höchstens bis 1530 Bm. gewesen sein, vgl.<br />

Liste 9, 10, 11.<br />

7) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 28. 8. 1538. V. kann nur bis 1541 Bm.<br />

gewesen sein, vgl. Liste 10, 12, 13. 13 ist sein Nachfolger.<br />

8) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1845, Nr. 41. R. war 1568 tot, vgl. O.L. Doc.<br />

Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 30. 12. 1568. R. ist in Dhst. geb., 1561 etwa 65 Jahre<br />

alt, lebt „vom Pflügen und Herbergen, 300 rhein. Gulden Vermögen", Zeuge<br />

im Münsterschen Prozeß; 18. 8. 1561; s. O.L. A a. Gft. Oldbg., Tit XLVI, 20b.<br />

8) O.L. Stadt Wildeshausen (Rüthn. V, 976); 12. 10. 1530.<br />

10) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 31. 12. 1531.<br />

u ) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 3. 6. 1534.<br />

12) O.L. A a. Gft. Oldbg., Tit. XLVI, 20b; 20. 5. 1560. Zeuge im Münsterschen<br />

Prozeß, geb. in Grashorn, Gft. Dhst., Hausmann, lebt vom Ackerbau,<br />

hat ein „ziemlich Einkommen", 68 Jahre alt.<br />

13) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 4. 5. 1541.<br />

“ ) O.L. Knauer, Urk. z. Gesch. v. Dhst. II, Nr. 42; am Tage Cathedra<br />

Petri 1550.


126<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

15) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 28. 4. 1575. L. ist Zeuge im<br />

Münsterschen Prozeß, 18. 8. 1561 (s. Anm. 12), geb. zu Dhst., 400 Taler<br />

Vermögen, 50 Jahre alt, Er wird „consularius“ genannt, gehörte also damals<br />

nicht zum „regierenden“ Quartier.<br />

“ ) D.St. X X III, 3; am Abend Mich. 1569.<br />

17) D.St. XV III, 1; Fastelabend 1593.<br />

181 D.St. X X III, 3; 3. 10. 1570.<br />

10) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Seite 196; 20. 4. 1600.<br />

*°) O.L. Doc. Kirchen d. Hzts. III; 31. 5. 1584.<br />

21) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 4. 2. 1590 (Einziger Beleg). St.<br />

kann 1590 zum mindesten nicht mehr als Bm. im Amte gewesen sein, s. Liste<br />

16, 17, 18. Vielleicht war er kein Dhst. Bm.<br />

” ) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Seite 194; die conversionis<br />

Pauli 1609.<br />

23) Gildebuch d. Dher. Polykarpusgilde. Fastnacht 1632. Spätere A n ­<br />

gaben unter 23) sind meist von Johanni des betr. Jahres.<br />

24) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 26. 3. 1616.<br />

” ) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 4. 3. 1625. M. ist 16.4. 1630<br />

tot (a .a .O .), er muß 1626 oder 1627 gest. sein, s. Liste 20, 23, 24.<br />

2e) O.L. Aa. Gft. Oldbg., Tit. VIII A , 4; 15. 2. 1623.<br />

” ) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 21, 3. 1627.<br />

28) D.St. X X III, 142; vgl. unterm 25. 6. 1675. S. ist 1632 tot: Gildebuch<br />

d. Dher. Polykarpusgilde.<br />

M) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 19. 4. 1664.<br />

“ ) DSt. X V III, 1; Fastelabend 1634 als „regierender" Bm. abgetreten.<br />

31) D.St. X X III, 1; 10. 12. 1635. Nach O.L. A a. Gft. Oldbg. Tit. X X X IV ,<br />

B 32. 1635 ins Braunschweigische gezogen, aber die Angabe ist von 1702!<br />

32) D.St. XV III, 1; 16. 11. 1635 (zu 1654 s. auch O.L. A a. Gft. Oldbg.,<br />

Tit. X X X IV B 5)<br />

331 O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 27. 4. 1646 unter „Formula<br />

des Brms. zu Dhst. aidts“ 1637. Sohn von 23, s. D.St. IV, 1 ohne Zeitang. (Zu<br />

1654 s. auch Anm. 32.)<br />

M) wie 33, aber 10. 3. 1655.<br />

38) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 24. 8. 1666.<br />

39) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 4. 6. 1669.<br />

37) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 17. 8. 1679.<br />

38) O.L. A a. Justizsachen, Dher. Kanzleiprot.; 17. 9. 1670.<br />

“ 1 D.St. X X III, 142; 23. 11. 1674.<br />

“ 1 Ev. Kirchenbuch Dhst.; gest. 26. 10. 1706.<br />

u ) D.St. X V III, 1; 23. 8. 1680.<br />

42) Ev. Kirchenbuch Dhst. gest. 9. 6. 1702. H. hat 1664 den Bürgereid<br />

geleistet (D.St. X X III, 142), er ist um 1630 geb. und stammt aus dem Flecken<br />

Essen im Amte Kloppenburg. Sehr wohlhabend.<br />

43) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 6. 9. 1702. Die Frau des Bm. P. als Patin.<br />

44) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 25. 10. 1707.<br />

45) Ev. Kirchenbuch Dhst., 5. 9. 1708 Pate.


Die Verfassung und Verwaltung der Stadt Delmenhorst bis 1811 usw. 127<br />

46) D.St. X IV A lc. — Nach D.St. III B 1 (1697) war M. auch zum<br />

Ratsverwandten gewählt worden, 1698 ist er es nicht mehr.<br />

47) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v, Dhst. II, S. 200; 2. 12. 1699. Abschrift<br />

der „Instruktion" auch D.St. XXI A , Stadtrechnung 1726, Beilage.<br />

4S) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 31. 5. 1505.<br />

40) O.L. Copiar d. Rentm. Lange; 18. 11. 1532.<br />

so) O.L. Copiar d. Rentm. Lange (Rüthn. III, 578); 14. 8. 1536.<br />

61) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 30. 11. 1537.<br />

52) 18. 8. 1561 Zeuge im Münsterschen Prozeß (s. Anm. 12), geb. 1501 zu<br />

Schlüttervort, Ackerbürger, mehr als 100 Joachimstaler Vermögen.<br />

83) W ie Anm. 12, aber zum 18. 8. 1561. Geb. um 1520 in Dhst., Ackerbauer,<br />

200 Taler Vermögen.<br />

B4) W ie Anm. 12, zum 18. 8. 1561. Geb. um 1510 in Dhst., Ackerbauer,<br />

300 Gulden Vermögen.<br />

mit 83?<br />

55) Beleg ist mir abhanden gekommen.<br />

M) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 20. 4. 1577.<br />

57) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 26. 5. 1601. Ist S. personengleich<br />

B8) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Nr. 21; 1625 Sonntag nach<br />

Trinitatis.<br />

58a) Ein A . Schl, noch 1640 genannt, aber nicht als Ratsherr bezeichnet;<br />

D.St. X X I B 4a.<br />

50) D.St. X X III, 142, vgl. unterm 2. 12. 1675. Dort wird H. als „alter<br />

Bürger" bezeichnet, ist aber anscheinend vor kurzem gest.<br />

o») D.St. XV III, 1; 16. 11. 1635.<br />

al) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 27. 10. 1631.<br />

62) O.L. Knauer, Urk. z. Gsch. v. Dhst. II, Nr. 12; 20. 5. 1654.<br />

«2a.) W ie Anm. 62, doch ist nicht sicher, ob B. damals noch Ratsherr ist.<br />

63) D.St. X X I B 4b; 25. 7. 1652.<br />

°4) D.St. III B 8 ; am Tage Jacobi 1642.<br />

•*) D.St. X X III, 4; 24. 6. 1644 (beigelegt zum 27. 2. 1647).<br />

M) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 6. 3. 1659.<br />

»7) D.St. X V III, 1; 31. 5. 1644.<br />

“ ) D.St. X X I B 4a; 17. 6. 1650 (1654 anscheinend nicht mehr Ratsherr,<br />

vgl. Beleg 62).<br />

60) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 11. 5, 1661.<br />

70) D.St. XV III, 1; Oculi 1648 (1654 anscheinend nicht mehr Ratsherr,<br />

vgl. Beleg 62),<br />

71) D.St. X X I B 4b; 27-/28. 8. 1651.<br />

ra) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 11. 5. 1661.<br />

73) D.St. X X I B 4b; 10. 8. 1652. D. St. X X III, 142 (2. 12. 1675) ist ein<br />

Heinrich Kords Zeuge. 80 Jahre alt, aus dem Amte Vlotho, Gft. Ravensberg,<br />

gebürtig. Er ist mit dem kaiserl. Cap. (?) Schmidtsberg nach Dhst. gekommen.<br />

A ls der nach Magdeburg gezogen, sei er schon 21 Jahre in Dhst. gewesen. Ist<br />

das der Ratsherr?<br />

74) D.St. X X I B 4b; 24. 7. 1652.


128<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

75) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 14. 9. 1680.<br />

76) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 13. 8. 1666.<br />

77) Ev. Kirchenbuch Dhst., 8. 2. 1659 Heirat.<br />

78) O.L. Doc. Gft. Oldbg., Stadt Dhst.; 2. 5. 1670.<br />

7») D.St. X X I B 4e; 18. 10. 1660.<br />

80) W ie Anm. 79.<br />

81) D.St. XXII, 1.<br />

“ ) D.St. X X I B 4e; 8. 6. 1664.<br />

83) W ie Anm. 59, doch nicht als Ratsherr bezeichnet. Geb. Dhst., damals<br />

50 Jahre, 35— 36 Jahre Bürger.<br />

84) D.St. X X I B 4b; 5. 2. 1672.<br />

M) D.St. II A 4; 16. 4. 1679.<br />

8*) D.St. X X II, 1; ohne Zeitangabe. Bestimmt 1679 Ratsherr, s. Beleg 85.<br />

Erwähnt Beleg 59, doch nicht als Ratsherr bezeichnet, aus Dhst., 40 Jahre alt.<br />

87) Ev. Kirchenbuch Dhst., gest. 22. 12. 1698.<br />

88) 1674 bestimmt Ratsherr, s. Gildebuch d. Dher. Polykarpusgilde; Jo­<br />

hanni 1674.<br />

8#) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 15. 8. 1699 Sohn geb.<br />

90) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 8. 10. 1700 Pate; gest. 9. 3. 1719.<br />

91) Ev. Kirchenbuch Dhst.; gest. 26. 11. 1705.<br />

“ ) Ev. Kirchenbuch Dhst.; 24. 11. 1708 Pate.<br />

°3) Wochenbl. f. d. Kr. Dhst. 1845, Nr. 39. Aus Bremen gebürtig.<br />

M) D.St. III A 2a; 22. 1. 1696.<br />

“ ) D.St. III A 2b; 13. 4. 1702.<br />

" ) D.St. III A 2b; 9. 2. 1697.<br />

97) D.St. III A 2b; 6. 1701.<br />

98) Belege D.St. III A 2b.<br />

Be) Liste 260— 279 sind die Munizipalräte. Die Angaben s. D.St. III B 14.<br />

Nach der Erweiterung der Kommune Dhst. durch benachbarte Ortschaften<br />

wurde die Zahl der Munizipalräte erhöht. Dieser zweiten Vertretung (er­<br />

nannt 8. 7. 1813) gehörten Liste 264— 279 an.<br />

io°) verzog nach der Kommune Ganderkesee (D.St. III B 14).


Der Münzfund von Friesoythe.<br />

Von Karl Kcnnepohl.<br />

Mit Fundbericht von Heinrich Ottenjann.<br />

I.<br />

Fundbericht.<br />

Anfang des Jahres 1935 erwarb Herr Josef Hillen aus Friesoythe<br />

am Ausgange dieser Stadt, und zwar an der Cloppenburger<br />

Straße (Art. 1311) ein Grundstück, um hier ein Gebäude zu errichten.<br />

Da das Gelände, das ehemals von einem zweiten Arm des<br />

Soesteflusses durchschnitten wurde, morastig war, ließ er es zunächst<br />

auffahren. Die hierfür benötigten Erdmassen erhielt er zu einem<br />

großen Teil (ca. 500 cbm!) aus der Stadt Friesoythe selbst, und zwar<br />

von einem Grundstück, auf dem ehemals die Wirtschaft Dumstorff<br />

gestanden. Auf diesem unmittelbar neben dem Rathaus gelegenen<br />

Grundstück steht heute das Gamersche Kaufhaus. Hillen versichert,<br />

daß er sein an der Cloppenburger Straße belegenes Grundstück durch<br />

die aufgefahrenen Erdmassen insgesamt um ca. 1 Meter erhöht habe.<br />

Als das Haus bereits errichtet war, fand er in dem anliegenden<br />

Gartengelände, und zwar in dem Augenblick als er hier einen Obstbaum<br />

pflanzen wollte, in einer Tiefe von ca. 40 bis 50 cm eine<br />

Menge Silbermünzen, und zwar kamen diese zu Tage, als er einen<br />

feucht-klebrigen Lehmklumpen durchstach. Hillen versichert, daß die<br />

Münzen von einer fauligen Stoff hülle, die aber sofort zerfiel, umgeben<br />

gewesen seien. Für die Richtigkeit dieser Behauptung spricht die Tatsache,<br />

daß an einer dieser Münzen noch ein winziger Stoff- bzw.<br />

Lederrest klebt. Hillen ist nun der Meinung, daß die Münzen in<br />

dem genannten Lehmklumpen von dem mitten in der Stadt Friesoythe<br />

gelegenen Grundstück, von dem er die Erde und zwar 3 Meter<br />

tief, abfahren ließ, zu der Fundstelle gelangten. An sich klingt dies<br />

kaum glaublich, da die Erde, bis Hillen darin die Münzen fand, drei-<br />

oder viermal verarbeitet wurde. Dennoch müßte man es annehmen,<br />

wenn wirklich das Hillensche Grundstück 1 Meter hoch übersandet<br />

wurde und die Münzen nur 40 bis 50 cm tief lagen. Nach einer<br />

früheren Mitteilung Hillens aber lagen die Münzen tiefer, und zwar<br />

1 Meter tief. Hillen versichert jedoch heute auf das bestimmteste,<br />

O ldenburger Jahrbuch<br />

9


130<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

daß er die Münzen nicht in dem sumpfigen, sondern in dem erst von<br />

ihm aufgetragenen Boden gefunden habe.<br />

Insgesamt umfaßt der Fund 307 Stücke, die vollständig unversehrt<br />

sind. Ein weiteres Stück wurde von Herrn Hillen erst<br />

später gefunden, so daß die Gesamtzahl der guterhaltenen Münzen,<br />

die sämtlich im Cloppenburger Heimatmuseum aufbewahrt werden,<br />

auf 308 gestiegen ist. Des weiteren aber liegt noch eine Anzahl<br />

Bruchstücke von Münzen vor, die z. T. wenigstens wohl daher rühren,<br />

daß der Finder, wie er selbst sagte, einige Münzen zerbrach, um<br />

festzustellen, aus welchem Metall sie hergestellt seien.<br />

II.<br />

Beschreibung des Fundinhaltes.<br />

Abkürzungen: St. = Stück(e); Mzst. = Münzstätte; Hess. = Fund<br />

Hesseln; Lecht. = Fund Lechtingen; Vs. = Vorderseite; Rs. = Rückseite;<br />

Dw. = Durchschnittsgewicht; W . = Winkel; R. = Rechte; L. = Linke.<br />

Der Fund enthielt 303 ganze und einige zerbrochene Stücke.<br />

Alle Münzen weisen auf beiden Seiten einen äußeren und inneren<br />

Perlkreis auf, ihr Durchmesser beträgt etwa 18— 19 mm. Es handelt<br />

sich um Sterlinge und Denare, die nach Münzstätten bzw. Münzherren<br />

geordnet im folgenden beschrieben werden. Vgl. dazu die<br />

Abbildungen auf den beiden Tafeln.<br />

Königreich England.<br />

Heinrich III., 1216— 1272.<br />

1. Sterling.<br />

Vs. K opf von vorn, darüber Kugelkreuz, rechts (heraldisch)<br />

Hand mit Szepter.<br />

Ii8NRiavSR — 0 X<br />

Rs. Zwillingsfadenkreuz („Sterlingskurzkreuz“ ), i. d. W . Kugelkreuzdien.<br />

*s?rL///NONa?r<br />

1 St.; 1,35 g (Abb. 1).<br />

Erzbistum Köln.<br />

Heinrich I. von Molenark, 1225— 1238.<br />

Mzst. Köln.<br />

2. Denar. I. Typ.<br />

Vs. Erzbischof mit zweispitziger Mitra, i. d. R. einen Krummstab,<br />

i. d. L. ein Buch, auf einem Faltstuhl sitzend.<br />

(HQ)NR(la - 1GVS)


Der Münzfund von Friesoythe 131<br />

Rs. Eine Mauer, über der sich ein Turm erhebt, an beiden Seiten<br />

je eine flatternde Fahne.<br />

(SKNöT(ÄaO(L)ONIK<br />

3 St.; bestes Stück: 1,32 g Häv., Mz. Köln I, 6421) (Abb. 2).<br />

Die Prägung dieser Denare ist stets recht nachlässig.<br />

Bistum Münster.<br />

Ludolf von Holte, 1226— 1248.<br />

Die folgenden Sterlinge von Münster mit Pauluskopf und<br />

Rosenkreuz können auf Grund des übrigen Inhaltes des vorliegenden<br />

Fundes, aber auch derjenigen von Hesseln2) und Lechtingen3) nur dem<br />

obigen Bischof zugewiesen werden.<br />

3. Sterling. ZweitesGeprägeum 1230— 1235; „Rosenkreuz“ -Gruppe.<br />

Freie Weiterbildung der Sterlinge König Heinrichs 111. von<br />

England, 1216— 1272.<br />

A. Die Umschrift der Rs. endet mit einem M<br />

Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />

a) -j-SÄNQTQ PKVLV9<br />

b) V<br />

c ) I<br />

d) /////T 0 R Ä V //<br />

e) OTÖIOT/ PÄVLV<br />

Rs. Zwillingsfadenkreuz, i. d. W . je @, „Rosenkreuz“ 4)<br />

-j-MONÄSTQRIVM<br />

B. Die Umschrift endet mit einem Ol<br />

Vs. w. v.<br />

a) +sflN


132 Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

a) 76 St.; b) 103 St.; Umschriftende der Rs. nicht mehr feststellbar: 39 St.;<br />

zus.: 218 St. — Dw. von 200 St.: 1,28 g — Lecht. 8; Hess. 7; Grote1) 17<br />

(Abb. 3 B).<br />

Bistum Osnabrück.<br />

Konrad von Lauenrode-Velber, 1227— 1238.<br />

A. Mzst. Osnabrück.<br />

4. Denar. Zweites Gepräge um 1230.<br />

Nachahmung von Köln, Heinrich /., 1225— 38, 2. T y p (H äv.,<br />

Köln I, 647).<br />

Vs. Der Bischof, auf einem Faltstuhl sitzend, mit Mitra, die<br />

hinten noch eine Spitze zeigt, Krummstab i. d. R. und Buch<br />

i. d. L.<br />

*aO N R — ÄDVS<br />

Rs. Der hl. Petrus mit Nimbus umfaßt die Pfosten eines Gebäudes<br />

mit zweispitzigem Dach, seitwärts noch je ein kleiner<br />

Turm.<br />

NO(SGN)DRV60<br />

Das N am Anfang der Umschrift ist vom Schluß herübergezogen;<br />

das D ist aus B verdorben.<br />

1 St.; 1,15 g; Grote2) 13; Lecht. 15 (Abb. 4).<br />

5. Sterling. Drittes Gepräge um 1231— 35.<br />

Die Vs. ist den Sterlingen König Heinrichs III. von England,<br />

1216— 72, die Rs. den irischen Sterlingen (Mzst. Dublin) König<br />

Johanns ohne Land von England, 1199— 1216, nachgeahmt.<br />

Vs. Der bärtige K opf des hl. Petrus mit Nimbus und angedeutetem<br />

Halsgewand, i. d. R. einen Kreuzstab.<br />

a) SÄNGTI P0TR — I<br />

b ) ö PQT — RI<br />

Rs. In einem geperlten Dreieck ein achtspeichiges Rad; in den<br />

Winkeln des Dreiecks je drei Punkte.<br />

OSÖ NBR - V 6Q<br />

Der hl. Petrus ist der Osnabrücker Stiftsheilige. Bistum<br />

und Stadt führen ein sechs- (urspr. acht-)speichiges Rad im<br />

Wappen.<br />

22 St.; Dw. von 20 St.: 1,25 g. — Grote 16; Lecht. 17; Hess. 14 (Abb. 5).<br />

') Grote, Münst. Mz. des M A., Mzst. I, Leipzig 1857.<br />

2) Grote, Osnabrücksche Geld- und Münzgesch., Mzst. IV, Leipzig 1865.


Der Münzfund von Friesoythe 133<br />

B. Mzst. Wiedenbrück.<br />

6. Sterling. Erstes Gepräge um 1230.<br />

Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge (s. Nr. 3).<br />

Vs. Langbärtiger K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />

-{-Sä NOTG PÄVLV 9<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

+Wl(Dä)NBRVGe<br />

1 St.; 1,24 g. Lccht. 19 (Abb. 6).<br />

Vorstehende Münze bildet bis jetzt den frühesten Beleg für die<br />

Tätigkeit der osnabrückisdien Mzst. Wiedenbrück, obwohl Kaiser<br />

Otto d. G. i. J. 952 bereits der Osnabrücker Kirche das Münzrecht<br />

für diesen Ort verliehen hatte. Die Mzst. Wiedenbrück zeigt sich<br />

hier in starker Abhängigkeit von Münster, eine Tatsache, die übrigens<br />

auch in dem Geldumlauf der Wiedenbrücker Gegend in jener Zeit<br />

ihre Bestätigung findet.<br />

7. Sterling. Drittes Gepräge um 1232— 33.<br />

Weiterbildung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. Kurzbärtiger K opf des hl. Petrus mit geperltem Stirnband<br />

und Nimbus.<br />

+aoNRÄDV(sep)a<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

+W (I)DÖN bRV6Q<br />

2 St.; 1,39 g; 1,33 g. Vs. Lccht. 20; Rs. Lccht. 19; Vs. Hess. 15 (Abb. 7).<br />

8. Sterling. Viertes Gepräge um 1233— 35.<br />

Weiterbildung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. w. v. Nr. 7.<br />

-j-aONRÄD(V)SQPG<br />

Rs. Rosenkreuz, aber auf der Mitte des Kreuzes noch ein acht-<br />

speichiges Rad.<br />

+W IDeNBRV60NaiV 9<br />

2 St.; 1,27 g; 1,20 g. Lecht. 21 (Abb. 8).<br />

Grafschaft Ravensberg.<br />

Otto II., 1221— 1244.<br />

In einer Urkunde aus den Jahren 1216— 12201) verbietet König<br />

Friedrich II. dem Bischof A dolf von Osnabrück, den Grafen von<br />

Ravensberg in seinen Zöllen und den Münzen zu Vechta und Haselünne<br />

zu beeinträchtigen. Die Urkunde hebt ausdrücklich hervor,<br />

!) Osnabr. UB. II, 65.


134<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

daß der Graf diese Rechte bereits von den Vorgängern des Königs<br />

erhalten hat. Dieselbe Bemerkung findet sich in der bekannten Herforder<br />

Urkunde v. J. 12241), in der König Heinrich (V II.) die Gräfin<br />

Sophie von Ravensberg mit den Reichslehen ihres Mannes, des Grafen<br />

Otto, belehnt, darunter mit der Münze zu Emden, dem Zoll auf der<br />

Ems, mit Münze und Zoll zu Haselünne, Vechta, Bielefeld und<br />

Vlotho. Andererseits verspricht König Heinrich (V II.) in einer<br />

Frankfurter Urkunde v. J. 12322) dem Bischof Konrad von Osnabrück,<br />

ihn in dem Besitz der seiner Kirche von seinen Vorfahren<br />

verliehenen Münzen, Zöllen und Gerichten nicht zu engen oder zu<br />

schädigen, sondern bestätigt ihm dieselben ungeachtet einiger von ihm<br />

und seinem Vater, dem Kaiser, dagegen erlassenen Urkunden.<br />

Philippi, der Herausgeber des Osnabrücker ÜB., läßt die Frage offen,<br />

ob die betr. Urkunden verloren oder die beiden eingangs erwähnten<br />

Urkunden gemeint sind. Das letztere wäre nicht unmöglich. Jedenfalls<br />

scheinen die beiden Münz- und Zollstätten in Haselünne und<br />

Vechta den Osnabrücker Bischöfen recht unbequem gewesen zu sein.<br />

Beide Orte lagen an Verkehrswegen, die für den Osnabrücker Handel<br />

sehr wichtig waren, an den Straßen nach Emden bzw. nach Bremen,<br />

außerdem lag es im Wesen eines jeden größeren Münzherrn, zum<br />

Schaden der Öffentlichkeit unterhältig prägende „Heckenmünzstätten“<br />

möglichst auszumerzen. Daß die Osnabrücker Bischöfe mit<br />

ihren Bestrebungen bez. Vechtas in münzpolitischer Hinsicht keinen<br />

Erfolg gehabt haben, beweisen die aus dem 13. und 14. Jh. tatsächlich<br />

vorkommenden Vechtaer Münzen. W ie die Dinge hinsichtlich<br />

der Mzst. Haselünne liegen, bleibt ungewiß. Dahin gehörende<br />

Münzen haben bis heute nicht nachgewiesen werden können, wobei<br />

es sehr auffällig erscheinen muß, daß weder die Funde von Brümmerlohe,<br />

Grafsch. Hoya, v. J. 1842 und Lechtingen b. Osnabrück v. J.<br />

1923, noch vor allem der vorliegende Friesoyther Fund Haselünner<br />

Münzen enthalten haben. Daß im Funde von Hesseln b. Halle i. W .<br />

v. J. 1869 Haselünne nicht vertreten war, übrigens auch nicht Vechta<br />

und Wildeshausen, ist wegen der örtlichen Entfernung nicht weiter<br />

auffällig. Nach Lage der Dinge ist m. E. wenig Hoffnung vorhanden,<br />

daß neue Funde Haselünner Münzen noch zum Vorschein<br />

bringen werden. Es besteht natürlich die Möglichkeit, daß in Haselünne<br />

die Erzeugnisse benachbarter Münzstätten so getreu kopiert<br />

wurden, daß dieselben für uns heute nicht mehr erkennbar sind.<br />

J) Ebd. II, 187.<br />

2) Ebd. II, 294.


Der Münzfund von Friesoythe 135<br />

Mzst. Vechta.<br />

9. Sterling. Erstes Gepräge um 1230.<br />

Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus, darüber, die Umschrift<br />

trennend, ein Schildchen mit zwei Sparren.<br />

MON0T7C O T(O N I)<br />

Rs. Rosenkreuz, aber im zweiten Winkel statt der Rose ein<br />

Kugelkreuz.<br />

-HMONlKSTflRIVOl<br />

1 St.; 1,20 g (Abb. 9).<br />

Der Sparrenschild auf der Vs. deutet das Ravensberger Wappen<br />

an, das entsprechend dem Schildsiegel des Grafen Otto v. J. 12211)<br />

zwei Sparren aufweist, während ein gleichzeitiges Stück aus der<br />

Ravensberger Mzst. Vlotho (Lecht. 38) drei Sparren auf weist. Diese<br />

letztere Form ist später die übliche geworden.<br />

10. Sterling. Zweites Gepräge um 1231— 35.<br />

Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. w. v. Nr. 9.<br />

MONÖTÄ OTONI<br />

Rs. w. v. Nr. 9.<br />

a) H -M O N eraD avaT Q<br />

b ) V 0 T<br />

c ) v e<br />

21 St.; Dw. von 20 St.: 1,20 g. Lecht. 32 (Abb. 10 b).<br />

Propstei Wildeshausen.<br />

Propst Otto von der Lippe, 1231— 48. Vögte Heinrich<br />

III., 1199— 1234, und sein Bruder Burkhard, 1199 bis<br />

1233, v o n Oldenburg-Wildeshausen, bzw. Burkhards<br />

Sohn Heinrich IV. der Bogener, 1234— 1270.<br />

Auf den um 1235— 38 entstandenen jüngeren Sterlingen von<br />

Wildeshausen mit Sterlingskurzkreuz werden sowohl Propst Otto<br />

(Lecht. 29) als auch Heinrich IV. der Bogener2) als Münzherren genannt.<br />

Die im vorliegenden Funde auftretende ältere Gruppe mit<br />

Rosenkreuz auf der Rs. verschweigt den Namen des Münzherrn. Die<br />

sechsblätterige Rose auf der Vs. von Nr. 11— 13 vermag ebensowenig<br />

eine Aufklärung über den Münzherrn zu geben wie das<br />

*) Buchenau, a. a. O.<br />

2) Erbstein, J. u. A., Die Schellhaß’sdie Münzsammlung, Dresden 1870.<br />

Nr. 728.


136<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Schildchen mit einer fünf bl. Rose auf der Rs. von Nr. 11, da sowohl<br />

der Propst Otto als auch die Vögte Heinrich III. und Burkhard eine<br />

Rose im Wappen führten, diese die hallermundische von ihrer Mutter<br />

Beatrix her, jener die lippische1).<br />

Die Zuweisung der nachstehenden Sterlinge zu Wildeshausen<br />

könnte auf den ersten Blick überhaupt zweifelhaft erscheinen. An<br />

eine Prägung der Grafen von Hallermund selbst ist allerdings nicht<br />

zu denken, da dieses außerhalb des Sterlingsgebietes im Bereiche der<br />

sog. hohlen Niederweserpfennige lag. W ohl aber ließe sich wegen<br />

der Rosenbeizeichen bzw. -wappen an eine gräflich lippisdie Mzst.<br />

(Lemgo, Lippstadt) denken, auch an Herford (Äbtissin Gertrud von<br />

der Lippe, 1217— 1233). Für Herford würde an sich der hl. Petrus<br />

(s. Nr. 11 und 12) gut passen, der in diesem Falle dann den kölnischen<br />

Stiftsheiligen verkörpern würde, während der Stiftspatron<br />

von Wildeshausen der hl. Alexander ist. Entscheidend für Wildeshausen<br />

ist ein Sterling des Fundes von Lechtingen (Nr. 26): Vs»<br />

Langbärtiger K opf im Nimbus & SK N 0T0 P0TRI Rs. Rosenkreuz,<br />

-f* W ILD 0SH VS0, der aber auf der Rs. im ersten Kreuzwinkel statt<br />

der Rose das Beizeichen aufweist. Dieses Beizeichen findet sich<br />

auch auf anderen Stücken des Lechtinger Fundes in Verbindung mit<br />

der Rs.-Umschrift MONK ST0R1VM (Lecht. 24 u. 25) gekoppelt mit<br />

dem Vs.-Stempel: Pauluskopf, darüber sechsbl. Rose in Perlrundung<br />

und SÄNOT0 PÄVLV 9 (s. a. u. Nr. 13). Im vorliegenden Funde<br />

wird das Beizeichen noch durch drei weitere feine Punkte vermehrt<br />

(.v.). Die Vorderseiten der betr. Münzen nennen sowohl den hl.<br />

Paulus wie den hl. Petrus, darüber jeweils eine Rose. Da die letztere<br />

Vs. wiederum gekoppelt ist mit Rs. Rosenkreuz, darüber Rosenschild,<br />

und MON7TST0RIVM, ist die ganze Reihe für die Propstei Wildeshausen<br />

einwandfrei gesichert.<br />

11. Sterling. Erstes Gepräge um 1230— 35.<br />

Vs. Nachahmung der Osnahrücker Sterlinge (s. o. N r. 5).<br />

Rs. Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. K opf des hl. Petrus im Nimbus.<br />

& SÄ N 0T0 P0TRI<br />

Rs. Rosenkreuz, oben ein Schildchen mit einer fünfbl. Rose.<br />

a) +MONÄST0RIVÖI<br />

b ) M<br />

c )<br />

7 St. a)b) zus. 6 St.; Dw. 1,17 g; c) 1 St.; 1,30 g. b) Lecht 23. (Abb. 11 b).<br />

*) Über die mittelalterl. Gesch. und das Mzrecht der Propstei Wildeshausen<br />

unterrichtet im übrigen sehr gut Buchenau in der Z. f. Num. X V , Berlin 1888,<br />

S. 262 f.


Der Münzfund von Friesoythe 137<br />

12. Sterling. Zweites Gepräge um 1230— 35.<br />

Nachahmung w. v. N r. 11.<br />

Vs. w. v. Nr. 11.<br />

Rs. Rosenkreuz, aber im zweiten Winkel statt der Rose<br />

(H-MONiÄST0RI(VM)<br />

1 St.; 1,35 g (Abb. 12).<br />

13. Sterling. Viertes Gepräge um 1230— 35.<br />

Nachahmung der münsterischen Rosenkreuzsterlinge.<br />

Vs. K opf des hl. Paulus im Nimbus, darüber, die Umschrift<br />

trennend, eine sedisbl. Rose in Perlrundung.<br />

SKNGTQ PKVLV 9<br />

Rs. Rosenkreuz, aber im dritten Kreuzwinkel statt der Rose<br />

H-MONÄSTQRIVM<br />

1 St.; 1,30 g. Lecht. zu 25 a (Abb. 13).<br />

Abtei Herford.<br />

Erzbischof Heinrich I. von Köln, 1225— 1238, und<br />

Äbtissin Gertrud von der Lippe, — 1217— 1233 — .<br />

Gegen das Recht, die Altstadt von Herford zu befestigen und<br />

die Neustadt anzulegen, mußte i. J. 1224 die Äbtissin Gertrud dem<br />

Erzbischof von Köln als dem Herzog von Westfalen die Hälfte<br />

von Zoll und Münze in Herford abtreten1) Infolgedessen übten in<br />

der Folgezeit Erzbischof und Äbtissin das Münzrecht gemeinsam aus,<br />

wobei die letztere in der Umschrift und im Prägebild im 13. Jh.<br />

meistens stark zurücktritt. A uf den Sterlingen des vorliegenden<br />

Fundes macht sie sich nur durch die sechsbl. Rose über dem K opf des<br />

Heiligen auf der Vs. bemerkbar.<br />

Sämtliche Stücke sind Nachahmungen der münsterischen Rosenkreuz­<br />

sterlinge.<br />

14. Sterling. Erstes Gepräge um 1230— 35.<br />

K opf des hl. Paulus im Nimbus.<br />

@H0N(RIGVS)KRGI8RI<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

(MON)ÄSTeRI(Vül)<br />

1 St.; 1,26 g. Lecht. 39; Häv., Köln I, 1046 (Abb. 14).<br />

*) Näheres s. Hävernick, Köln I, S. 258.


138<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

15. Sterling. Zweites Gepräge um 1230— 35.<br />

Vs. w. v. Nr. 14.<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

•H Q RQVOl+TöaiVIT<br />

2 St.; 1,16 g; 1,13 g. Lecht. 40 a; Häv., Köln I, 1047 (Abb. 15).<br />

16. Sterling. Drittes Gepräge um 1230— 35.<br />

Vs. K opf eines Heiligen im Nimbus.<br />

¡giSKNaTI PVSINI<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

a) -i-MONKSTeRIVM<br />

b) Ol<br />

3 St.; 1,30 g; 1,21 g; 1,17 g (Abb. 16 a).<br />

17. Sterling. Viertes Gepräge um 1230— 35.<br />

Vs. w. v. Nr. 16.<br />

Rs. Rosenkreuz.<br />

a) -j-h0R V O R -D 0aiV I<br />

b) -H i8 R V 0 -R D 6 a i<br />

c) -¡-HORVIR-DeCIIV<br />

11 St.; Dw. von 10 St.: 1,27. a) Lecht. 41a; Häv. Köln I, 104S; b) Lecht.<br />

41b; Häv., Köln I, 1048; c) Lecht. 40b (nur Rs.) (Abb. 17 a).<br />

Im Lechtinger Funde kamen einige unvollständige Stücke mit<br />

® S Ä N G T I P V S IN vor. Buchenau vermutete in der Umschrift<br />

eine Abkürzung, die er auflöste: SA N C TI P(etr)VS IN — (Rs.)<br />

H E R V O R D E ClVI(tas). Die besser erhaltenen Stücke des vorliegenden<br />

Fundes stützen durchaus die Ansicht Kohls1), der in der Umschrift<br />

den einzigen Beleg auf Münzen für die hl. Pusinna sieht, deren<br />

Reliquien der höchste Schatz der Herforder Münsterkirche waren,<br />

und die noch heute im Kirchensiegel zu sehen ist. Daß der Stempelschneider<br />

in gedankenloser Nachahmung der münsterischen Paulusumschrift<br />

aus der hl. Jungfrau einen Mann gemacht hat, ist bei den<br />

vielfach verdorbenen Umschriften der Zeit, die nur die wenigsten<br />

lesen konnten, nicht weiter verwunderlich.<br />

18. Sterling.<br />

Abtei Corvey.<br />

Hermann I. von Holte, 1223— 54.<br />

Nachahmung der Sterlinge König Heinrichs III. von England,<br />

1216— 1272.<br />

*) Kohl, Herfords metallene Chronik, Ravensberger Blätter Nr. 5, Bielefeld<br />

1932, S. 38 f.


Der Münzfund von Friesoythe 139


140<br />

21. Sterling.<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Grafschaft Pyrmont.<br />

Godschalk II., — 1243 — .<br />

Nachahmung der Sterlinge König Heinrichs III. von England,<br />

1216— 72.<br />

Vs. Bärtiger K opf von vorn, vor der Stirn ein Anker (I );<br />

rechts (heraldisch) Hand mit Kreuzszepter.<br />

#G O SaÄ L((IV )S - D ö - 1<br />

Rs. Sterlingskurzkreuz, i. d. W . -|------}— I — H*<br />

+DO(MI)NNVS DG PIR<br />

1 St.; 1,22 g (Abb. 21).<br />

Das Wappen Pyrmonts ist das Ankerkreuz (% ), das in dieser<br />

Form bereits auf einem Denar vorkommt, der auf der Vs. den —<br />

entlehnten — Namen des Paderborner Bischofs Bernhard III., 1203<br />

bis 1223, auf der Rs. das sog. S. Colonia-Monogramm zeigt (Häv.,<br />

Köln I, 985). Die gleiche Form findet sich auf den Lügder Denaren<br />

des Kölner Erzbischofs Wikbold, 1297— 1304 (ebd. 1074). Der auf<br />

vorliegendem Stück in ganz auffälliger Weise vor der Stirn des<br />

Grafen und auf der Rs. in einem Kreuzwinkel angebrachte Anker<br />

ist wohl als frühere Entwicklungsform des Ankerkreuzes aufzufassen.<br />

Dieser Anker ist als Beizeichen auf Nachahmungen von Soester Geprägen<br />

bereits bekannt: Häv., Köln I, 935, Erzb. Dietrich von Köln,<br />

1208— 12; ebd. 965, Sedisvakanz 1212— 16; ebd. 998, Erzb. Engelbert<br />

I., 1216— 25. Die Pyrmonter Herkunft dieser Stücke, die Hävernick<br />

bereits vermutet, wird durch den obigen Sterling gesichert.<br />

III.<br />

Kulturgeschichtliche Ergebnisse des Fundes.<br />

Abgesehen von vier Denaren (3 von Köln und 1 von Osnabrück)<br />

handelt es sich bei dem Friesoyther Funde ausschließlich um sog.<br />

Sterlinge, die wiederum bis auf ein englisches Original Nachahmungen<br />

englischer bzw. irischer Vorbilder aus Münzstätten des westfälischen<br />

Raumes sind. Dieser Typ stellt für die westfälischen Münzverhältnisse<br />

der ersten Hälfte des 13. Jh. etwas Neues dar. Denn seit<br />

der Zeit der Karolinger und bes. der Sachsenkaiser war der Einfluß<br />

der Kölner Münze in bezug auf Währung und Prägebild richtunggebend<br />

für Westfalen gewesen. Diese Entwicklung wird um das


Der Münzfund von Friesoythe 141<br />

Jahr 1200 dadurch unterbrochen, daß seit dieser Zeit englisches Geld<br />

in größerem Maße in Westfalen in Umlauf kam. Schatz und Einzelfunde<br />

beweisen das. Abgesehen von den lippischen Münzschmieden<br />

ist jedoch die westfälische Sterlingsperiode bereits um 1240 im<br />

wesentlichen abgeschlossen.<br />

Diese Tatsache mag auf den ersten Blick verwunderlich erscheinen.<br />

Die politischen Spannungen jener Zeit in Deutschland, vor<br />

allem aber die Handelsverhältnisse, die sich in ihrer Lagerung von<br />

den heutigen durchaus unterschieden, sind jedoch geeignet, die Verbreitung<br />

englischen Geldes so fern vom Ursprungslande aufzuklären1).<br />

Die scharfe Betonung des Devolutionsrechtes bei der zwiespältigen<br />

Lütticher Bischofswahl von 1192 von seiten Kaiser Heinrichs<br />

V I. und die damit in Verbindung stehende Ermordung des<br />

päpstlichen Kandidaten Albert von Löwen machte den schon vom<br />

Kölner Erzbischof Philipp von Heinsberg vorbereiteten Abfall des<br />

Niederrheins von den Staufern zur Tatsache. Und nun schlossen<br />

sich jene beiden norddeutschen Kreise, deren Rivalität der Kaisermacht<br />

Barbarossas lange zugute gekommen war, der niederrheinischkölnische<br />

und der sächsisch-welfische, zu einer gefährlichen Verbindung<br />

zusammen, aus der bald genug das Gegenkönigtum Ottos IV. erwachsen<br />

sollte. Hinter beiden stand England, das mit Köln durch<br />

wirtschaftliche, mit den Welfen durch verwandtschaftliche Bande<br />

verknüpft war2).<br />

Es ist nicht anzunehmen, daß die Lösegelder, die Ottos IV.<br />

Oheim Richard Löwenherz an Heinrich V I. zahlen mußte, in<br />

Deutschland in Umlauf gekommen sind. Diese werden vielmehr zur<br />

Finanzierung des sizilischen Unternehmens gleich nach Italien gegangen<br />

sein. Aber die englischen Hilfsgelder, die 1198— 99 und<br />

1202— 03 zur Unterstützung Otto IV. besonders reich flössen, werden<br />

Deutschland mit den Sterlingen genugsam bekannt haben. Ungleich<br />

intensiver und andauernder mußte aber "Westfalen mit englischem<br />

Gelde durch die zahlreichen Handelsbeziehungen bekannt werden,<br />

die schon damals seit langer Zeit bestanden haben müssen. Der<br />

Mangel an Urkunden läßt diese Verbindungen zwischen den westfälischen<br />

Städten und England vor 1200 zwar nur ahnen, aber das<br />

von dieser Zeit an immer zahlreicher werdende Auftreten von<br />

Bürgern von Dortmund, Soest, Münster und Osnabrück in Urkunden<br />

über Verkäufe u. dgl., die direkt oder unter Vermittlung flan­<br />

*) Kennepohl, Sterlingsgeld in Westf., Berl. Mbl. 1924, S. 150 f.<br />

2) Hampe, Dtsche Kaisergesch., 6. Aufl. 1923 S. 187. — 7. Aufl. 1937 S. 214.


142<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

drischer oder friesischer Plätze mit England abgeschlossen wurden,<br />

lassen doch manche Rückschlüsse auf frühere Zeiten zu1).<br />

Nach alter Überlieferung sollen englische Kaufleute das Geld<br />

zum Bau der Marienkirche in Osnabrück gegeben haben. Diese<br />

Nachricht wird natürlich so zu verstehen sein, daß die Osnabrücker<br />

Handelswaren in England Absatz fanden, und daß daher englisches<br />

Geld in gewissen Mengen für den Kirchenbau zufloß2). Der wichtigste<br />

Ausfuhrartikel der westfälischen Städte nach England waren die<br />

hochwertigen Eisen- und Stahlwaren, denen gegenüber England nur<br />

W olle als billiges Rohprodukt liefern konnte3). Die Handelsbilanz<br />

war daher passiv, so daß beständig die englischen Sterlinge nach<br />

Westfalen strömten. Dieses massenweise Auftreten englischer Münze<br />

in Westfalen hat nun zu einer ausgedehnten Nachprägung Veranlassung<br />

gegeben. Die Einführung einer neuen Währung war nicht<br />

damit verbunden, da zufällig der englische Sterlingsfuß und der<br />

westfälische Denarfuß zueinander paßten. In Westfalen rechnete<br />

man nach der kölnischen Mark, die zu 160 Denaren ausgebracht<br />

werden sollte. In England war noch das karolingische Pfund in<br />

Gebrauch, das damals wie heute in 240 Sterlinge eingeteilt wurde.<br />

Das theoretische Gewicht der Denare betrug 1,46 g, das der Sterlinge<br />

1,458 g, ein im praktischen Verkehr unmerkbarer Gewichtsunterschied.<br />

Freilich bleiben die uns erhaltenen Stücke fast stets hinter den<br />

Normalgewichten zurück; sie wiegen durchschnittlich nur 1,2— 1,4 g,<br />

so daß Buchenau in seiner Beschreibung des Lechtinger Münzfundes<br />

vielleicht nicht mit Unrecht einen 10% leichteren Münzfuß vermutet.<br />

Außerdem mußte man sich wegen der unvollkommenen Technik<br />

damit begnügen, daß die einzelnen Schrötlinge nur al marco gewogen<br />

wurden, wodurch natürlich unsauberen Machenschaften Tür und<br />

T or geöffnet war.<br />

Der Feingehalt beider Münzsorten, der Denare und Sterlinge,<br />

war derselbe, nämlich feines Silber, d. h. so fein, als man es damals<br />

zu brennen verstand, etwa 13— 14lötig. Eine absichtliche Beschickung<br />

*) Erstmalig ist 1224 eine Emder Kogge urkundlich in London nachweisbar.<br />

Vgl. Lübbing im Oldenb. Jahrb. 31 (1927), 141. — Der Englandhandel von Soest<br />

ist seit 1231 urkundlich belegt. Vgl. H . J. Seeger, Westfalens Handel u. Gewerbe<br />

vom 9.— 14. Jahrhundert (Berlin 1926), S. 5.<br />

2) Vgl. Hist. Mitt. Osn. X I, 145; auch BuKdm. v. Osn., S. 118. — Der<br />

Englandhandel Osnabrücks ist urkundlich freilich erst 1303 nachweisbar. Vgl.<br />

Seeger a. a. O.<br />

s) Vgl. Seeger a. a. O. 5, 25, 66, 85.


Der Münzfund von Friesoythe 143<br />

des Silbers mit unedlem Metall kann nicht nachgewiesen werden,<br />

war damals auch wohl noch nicht üblich. Erst nach 1300 kann man<br />

ein langsames Schlechterwerden des Münzsilbers beobachten.<br />

Die große Zahl der durch die Funde von Brümmerlohe, Hesseln,<br />

Lechtingen und Friesoythe bekanntgewordenen westfälischen Sterlingsmünzstätten<br />

gibt einen guten Überblick, wie die kleineren<br />

Münzschmieden durch die größeren, die natürlich mit den Handelszentren<br />

zusammenfielen, beeinflußt worden sind. Erklärlicherweise<br />

wurden die Typen der englischen Urstücke in Westfalen z. T. selbständig<br />

weitergebildet. Den Anstoß dazu haben die drei führenden<br />

Sterlingsmünzen gegeben: Dortmund, Münster und Osnabrück. Nach<br />

den von diesen ausgebildeten Typen haben sich die kleineren Münzstätten<br />

gerichtet. Auch sind die drei genannten Hauptmünzstätten<br />

nicht voneinander unabhängig. Ebenso wie durch die Nachahmung<br />

der Sterlinge überhaupt lassen sich durch die Kopierung der Dortmunder,<br />

Osnabrücker und münstrischen Typen durch die kleineren<br />

Münzstände wieder wertvolle handelspolitische Rückschlüsse für den<br />

innerwestfälischen Verkehr ziehen. So wird der starke wirtschaftliche<br />

Einfluß Münsters auf die Gebiete Mittel- und Nordwestfalens<br />

durch den überragenden Anteil der münsterischen Sterlinge an dem<br />

Inhalt des Friesoyther Fundes (71% !) klar zum Ausdruck gebracht.<br />

Der kleine Münzherr ließ natürlich dasjenige Geld nachschlagen, das<br />

in seinem Ländchen am meisten umlief, also das Geld der betr. Stadt,<br />

in dessen Wirtschaftsbereich sein Gebiet lag. Daß solche Interessengebiete<br />

Veränderungen erfahren, mit anderen Worten, daß Nachahmungen<br />

verschiedener Typen in derselben Münzstätte Vorkommen,<br />

ist verständlich.<br />

Die Vergrabungszeit des Friesoyther Fundes ist auf Grund<br />

unserer Kenntnisse der westfälischen Sterlingsperiode verhältnismäßig<br />

einfach festzustellen. In der Fundmasse fehlen die Herforder<br />

Sterlinge des Kölner Erzbischofs Konrad von Hochstaden, 1238 bis<br />

1261, ferner die Denare des Osnabrücker Bischofs Engelbert I. von<br />

Isenburg (zum zweiten Male), 1239— 50. Es fehlen aber auch die<br />

jüngeren Ludolf Sterlinge von Münster: Vs. Bisdiof mit Stab und<br />

Buch, Rs. Sterlingskurzkreuz. Diese Gruppe bildet eine Nachahmung<br />

der letzten Dortmunder Kaisersterlinge, deren Prägung von Buchenau<br />

(a. a. O.) scharfsichtig mit dem Zuge Kaiser Friedrichs II. nach.<br />

Deutschland i. J. 1235 in Zusammenhang gebracht wird. Diese Vermutung<br />

wird durch den vorliegenden Fund gestützt, da er das jüngste<br />

Sterlingsgepräge Konrads I. von Osnabrück: Vs. Petruskopf, Rs.<br />

Sterlingskurzkreuz, ebenfalls nicht enthielt. Alle die genannten


144<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Münzen von Osnabrück, Münster und Herford, ferner deren Nachahmungen<br />

von Bentheim, Wildeshausen, Vechta u. a. hätten normalerweise<br />

im Funde auftreten müssen, falls die Vergrabungszeit<br />

nach dem Jahre 1235 läge. Es steht jedoch nichts dagegen, diese noch<br />

etwa ein Jahr hinaufzurücken. Die Möglichkeit, daß der Friesoyther<br />

Schatz in der für jene Gegend unruhigen Zeit des Kreuzzuges gegen<br />

die Stedinger') i. J. 1234 der Erde anvertraut wurde, ist nicht von der<br />

Hand zu weisen.<br />

*) Vgl. dazu H . A. Schumacher, Die Stedinger, Bremen 1865.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg<br />

von der zweiten Hälfte des 15. bis um die<br />

Mitte des 17, Jahrhunderts.1’<br />

Von Bernhard Riesenbeck.<br />

Die Bevölkerung der kleinen Städte in früheren Jahrhunderten<br />

ist selten zum Gegenstand von Untersuchungen gemacht worden. Die<br />

Ortsgeschichten behandeln die Bevölkerungsfrage meistens nur im<br />

Vorübergehen oder ganz unzureichend, aber auch in der heimatgeschichtlichen<br />

Literatur findet man darüber verhältnismäßig wenige<br />

Arbeiten. Wenn sich nur vereinzelte Lokalhistoriker dieser Frage zuwandten,<br />

so lag das gewiß wohl mehr an der Mangelhaftigkeit des<br />

Quellenmaterials, das keine lohnenswerte Ausbeute zu versprechen<br />

schien, als an einer Unterschätzung des Wertes solcher Untersuchungen<br />

überhaupt.<br />

Die vorliegende Arbeit will einen Beitrag zur Bevölkerungskunde<br />

der Stadt Cloppenburg von 1473 bis 1662 mit einem kurzen Rückblick<br />

auf die Zeit vorher liefern, nicht allein im Sinne der statistischen Erfassung,<br />

sondern auch vom Gesichtspunkt der Familienforschung aus,<br />

auf deren Pflege sich unsere Zeit in erfreulicher Weise wieder besonnen<br />

hat. Die Untersuchung schließt mit der Zeit ab, wo die Kirchenregister<br />

der Pfarrgemeinde Krapendorf, der die Stadt Cloppenburg<br />

kirchlich angehörte, zu weiteren Nachforschungen herangezogen<br />

werden können.<br />

Quellen. Die Grundlage dieser Untersuchung bilden hauptsächlich<br />

Schatzungsregister. Aus dem oldenburgischen Landesarchiv<br />

sind benutzt worden (Münst. Akten, Abtlg. I B IX E lb): 1. Das Clop-<br />

penburger Amtsregister des Amtmanns Hinrick Hackvord, das Sello<br />

dem Jahre 1473 zuschreibt. 2. Das Personenregister des Kirchspiels<br />

Krapendorf vom Jahre 1498, angefertigt vom Pastor Herman Half-<br />

1) Fortsetzung und Abschluß der Arbeit werden für ein späteres Heft<br />

Vorbehalten.<br />

O ldenburger Jahrbuch 10


146<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

wassen zu Krapendorf1) . 3. Das Landschatzungsregister des Amtes<br />

Cloppenburg vom 1. Oktober 1535. 4. Das Feuerstättenregister des<br />

Amtes Cloppenburg, das fast denselben Namensbestand aufweist wie<br />

das Register des Jahres 1535, also um dieses Jahr aufgestellt sein<br />

muß. 5. Ein Personenregister des Amtes Cloppenburg, undatiert. Da<br />

in ihm der Rentmeister Ludolf Kottinck verzeichnet steht, der für<br />

1548—50 bezeugt ist, und auch der Droste Wilke Steding, der 1548<br />

das Drostenamt niederlegte, so wird es aus dem Jahre 1548 stammen.<br />

Das Cloppenburger Stadtarchiv lieferte folgende Unterlagen:<br />

Bruchstück eines Ausgabenverzeichnisses aus dem Jahre 1416; Abgabenverzeichnis,<br />

geschrieben 1498 von Pastor Halfwassen3) ; Tynsschat<br />

anno 1559; Schatzungsregister 1575, Personenschatzung 1609; Hausschatzung<br />

1659; Haus- und Personenschatzungsregister des Jahres<br />

1662; Auszüge aus dem Stadtbuch 1535, 1569, 1575 und 1593; Ausgabenbücher<br />

der Bürgermeister aus der 1. Hälfte des 17. Jahrhunderts.<br />

Einführend dürften einige ortsgeschichtliche Hinweise notwendig<br />

sein. Der siedlungsgeschichtliche Ausgangspunkt der Stadt Cloppenburg<br />

ist die um 1296 von den Tecklenburgern von neuem gebaute<br />

Burg am Übergang der vlämischen Handels- und Heeresstraße über<br />

die Soeste. Im Anschluß an das ihr vorgelagerte Vorwerk am linken<br />

Flußufer entstanden die ersten Siedlungen. Im Jahre 1400 gelangte<br />

Cloppenburg in den Besitz des Fürstbischofs von Münster, der dem<br />

Ort 1411 das Wikboldrecht verlieh3). Nachdem Cloppenburg im Jahre<br />

1435 mit dem Haselünner Stadtrecht bewidmet worden war, setzte<br />

vermutlich ein starker Bevölkerungszustrom vom Lande ein, so daß<br />

sich die Stadt im Zuge der alten Verkehrsstraße auf das rechte Soeste-<br />

ufer ausdehnte. Nach Befestigung der „olden stad" wurde nun auch<br />

die „nye stad“ mit Wall und Graben umgeben. Als Feste hat Cloppenburg<br />

nur etwa 120 Jahre bestanden, da 1562 mit der Entfestigung<br />

begonnen wurde. Wegen der eigenartigen Besitzverhältnisse war auch<br />

‘ ) Es handelt sich, wie ich nachträglich feststellen konnte, um die sog.<br />

Kommunikantenschatzung des Jahres 1498. Sie wurde ausgeschrieben bei<br />

dem Regierungsantritte des Bischofs Konrad von Rietberg und besteuerte<br />

jede zur hl. Kommunion zugelassene Person mit 2 Schilling 6 Denaren.<br />

2) Bezüglich des Pastors Herman Halfwassen können also die Angaben<br />

von L. Niemann (Geschichte des Münst. Amtes Cloppenburg, S. 89) zeitlich<br />

ergänzt und die von K. Willoh (Geschichte der kath. Pfarreien, 4. Bd., S. 220 f)<br />

sachlich berichtigt werden. Pastor Herrn. Halfwassen ist im Cloppenburger<br />

Stadtarchiv außerdem für 1492 und 1506 bezeugt.<br />

3) Vgl. die grundlegenden Untersuchungen von D. Kohl in der von<br />

H. Ottenjann herausgegebenen Festschrift „500 Jahre Stadt Cloppenburg".<br />

1935. 2. Aufl. 1936.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 147<br />

nach der Beseitigung der Befestigungsanlagen die Möglichkeit der<br />

Vergrößerung der Stadt ausgeschlossen. So blieb Cloppenburg bis<br />

gegen Ende des 18. Jahrhunderts in seiner räumlichen Ausdehnung<br />

auf das Gebiet beschränkt, das es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts<br />

inne hatte1) . Nur eine durchgehende Straße vom Krapendorfer bis<br />

zum Bremer Tor mit einer Zweigstraße zum Friesoyther Tor in einer<br />

Gesamtlänge von rund 750 Meter stand der Bürgerschaft für ihre<br />

Hausstätten zur Verfügung. In dieser Feststellung liegt der Schlüssel<br />

zum Verständnis und zur Beurteilung gewisser Fragen der Bevölkerungsstatistik<br />

in dem zu behandelnden Zeitraum.<br />

Über die zahlenmäßige Bevölkerung Cloppenburgs liegen bis 1473<br />

keine Nachrichten vor. In der Ermittelung von Personennamen ist<br />

man angewiesen auf einige Urkunden und Bruchstücke von Abgabenlisten<br />

des ehemaligen Stadtarchivs, dessen kaum zu entwirrendes<br />

Durcheinander zur Zeit einer ersten Sichtung unterliegt, und auf das<br />

Urkundenmaterial, das im Oldenburgischen U.B. Bd. V und VIII geboten<br />

wird, das aber der Vollständigkeit entbehrt, da insbesondere<br />

das Staatsarchiv Münster mit seinen Beständen aus der Tecklenburger<br />

und dem ersten Jahrhundert der Münsterischen Zeit kaum benutzt ist.<br />

Lediglich der Namen wegen seien aus der Zeit um 1300 erwähnt“) :<br />

Bele, Bramsche, Budde, Keselinck, Lone, Mettingen, Monnich, Stricket,<br />

Scoltbroke, Swartewold, Ungenathe und Voß. Bis auf den Familiennamen<br />

Budde, den man somit als den ältesten der bis in die Neuzeit<br />

gebliebenen bezeichnen kann, kommen sie später nicht wieder vor.<br />

Von den aus dem Jahre 1329 urkundlich bezeugten Familiennamen<br />

Albero de Brema, Herbordus de Scaghen, Andreas de Smerten,<br />

Bertram Tapprian und Johannes Amburen hat allein der letztere die<br />

Jahrhunderte bis zur Gegenwart durchlaufen. Aus den bis um die<br />

Mitte des 15. Jahrhunderts überlieferten Namen sollen nur die genannt<br />

werden, die nachher nicht wiederkehren: Cloppeman, van Nuttelen,<br />

Hummelinck, Bredenbecke, van Dortmunde, van Visbeke. (Vgl. S. 151.)<br />

In Ermangelung von Einwohnerlisten, die erst vom 18. Jahrhundert<br />

an vorliegen, ermöglichen die Schatzregister eine fast sichere Be-<br />

1) Ähnlich Meppen. — K. Wenker, Das Weichbild M. und seine Bürger,<br />

(Meppen 1908) schreibt: Solange M. Festung war, änderte sich die Zahl der<br />

Wohnhäuser wenig. Die erste Anlage der Befestigungswerke hatte die vorhandenen<br />

Wohnhäuser eng eingeschlossen. Im Jahre 1435 betrug die Zahl<br />

der Wohnhäuser etwa 170; ebensoviel noch im Jahre 1550, Im Jahre 1626<br />

wurden 201 Feuerstätten gezählt, 19 Häuser waren aber unbewohnt.<br />

2) A . v. Düring, Geschichte des Stiftes Börstel. Mittig, des Vereins für<br />

Gesch. und Landeskunde von Osnabrück, 18. Bd,, Jahrg. 1893, Seite 174.<br />

10"


148<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Stimmung der Bevölkerungszahl, der Gliederung nach dem Geschlecht,<br />

der Größe der Familien- und Haushaltungen und einen Blick in den<br />

ständig fließenden Strom der Bevölkerungsbewegung. An der Vollständigkeit<br />

und Zuverlässigkeit dieser Register ist nicht zu zweifeln. Schon<br />

ihr Äußeres verrät Sorgfalt und Genauigkeit. Das älteste Register von<br />

1473 umfaßt die Städte Cloppenburg und Friesoythe und sämtliche<br />

Parochien des Amtes Cloppenburg, einschließlich Saterland. Es beginnt:<br />

Houetschat in der Stad Cloppenborch, betrifft also die Hauptoder<br />

Kopfsteuer (houet ist hier im eigentlichen Sinne zu verstehen),<br />

die von allen über 12 Jahre alten Personen geleistet werden mußte.<br />

Ausgenommen davon waren die Geistlichkeit, die in Cloppenburg<br />

nicht vertreten war, und die landesherrlichen Beamten. Im folgenden<br />

Verzeichnis sind die Schatzungspflichtigen nach Haushaltungen aufgezählt.<br />

Hovetschat-Register 1473.<br />

1. Tebbeke uppen orde, sin Hus- 16. Gerd van Kappelen, sin Husfrouwe,<br />

frouwe, sin Knecht.<br />

2. Dyrick Kemper, sin Husfrouwe,<br />

sin zone.<br />

3. Abel Teylman, sin Husfrouwe,<br />

er Moder.<br />

4. Herman Scryver, sin Husfrouwe,<br />

sin Knecht.<br />

5. Mester Cordt, sin Husfrouwe, sin<br />

Knecht.<br />

6 . Tebbeke Schomaker, sin Husfrouwe,<br />

7. Mester W olters Husfrouwe, sin<br />

Knecht, sin Dochter.<br />

8. de Pipersche, ere Dochter.<br />

9. Herman Cronenborch, sin Husfrouwe.<br />

10. Hinrik Cronenborch, sin Husfrouwe,<br />

sin Moder, sin Maget.<br />

11. dessVogedes Husfrouwe, sin<br />

Knecht, sin Maget, sin Junge.<br />

12. Hinrik Rekerman, sin Husfrouwe,<br />

sin zone.<br />

13. W ilke Bodeker, sin Husfrouwe,<br />

sin zone.<br />

14. Dyrick van Ginck, sin Husfrouwe,<br />

sin Knecht.<br />

15. Herman W empe, sin Husfrouwe,<br />

sin Moder,<br />

17. Albert de Rike, sin Husfrouwe,<br />

sin Moder.<br />

18. Dyrick Sluter, sin Husfrouwe.<br />

19. Herman Meiger, sin Husfrouwe.<br />

20. Abel, sin Hussel1),<br />

21. Herman Rekerman, sin Husfrouwe.<br />

22. Grete Hues, sin Husfrouwe,<br />

23. Gerd Brinckman, sin Husfrouwe,<br />

sin Moder,<br />

24. Engelbert Schroder, sin Husfrouwe.<br />

25. Johan A m eken, sin Dochter,<br />

26. Johan van Knehem, sin Husfrouwe,<br />

sin Hussel.<br />

27. Johan Veneman, sin Husfrouwe,<br />

sin zone.<br />

28. D yrick Bodeker, sin Husfrouwe,<br />

sin Dochter,<br />

29. Johan Overwater, sin Husfrouwe,<br />

sin Moder.<br />

30. Oltman, sin Husfrouwe,<br />

31. Bertolt.<br />

32. Lubbeke, sin Hussel.<br />

33. Reyneke Molner, sin Husfrouwe.<br />

34. Hermans Overwater, sin Husfrouwe,<br />

sin Maget.<br />

35. Pelke,<br />

Hussel ist wohl dasselbe wie Häusling, also ein Untermieter, der im<br />

Gadem (Anbau) oder im Spieker (Backhaus) wohnt.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 149<br />

36. Hinrich Menkinck, sin Hus-<br />

frouwe.<br />

37. Tebbeke Schomaker, sin Hus-<br />

frouwe, sin Knecht.<br />

38. Bernd van Ambueren, sin Hus-<br />

frouwe.<br />

39. Tole, sin Husfrouwe, sin Moder.<br />

40. W essel Witte, sin Husfrouwe.<br />

41. Hinrich van Sage, sin Husfrouwe.<br />

42. W essel up der nyen stad, sin<br />

Husfrouwe.<br />

43. Nyge Nabur, sin Husfrouwe, sin<br />

Dochter.<br />

44. Hinrich Dünker.<br />

45. de Wismansche, ere zone, ere<br />

Dochter.<br />

46. Mette Sluters, ere zone, ere<br />

Dochter.<br />

47. Lambert Bleyg, sin Husfrouwe,<br />

48. M eyneken Beke, ere zone, ere<br />

Dochter,<br />

49. Johan Sintener,<br />

50. Grete Möller,<br />

51. Nabers Hille, ere Dochter.<br />

52. Hinrich Wisman,<br />

53. de Rape, sin Husfrouwe, sin zone.<br />

54. Herbord van Drebber, sin<br />

Suster (Schwester),<br />

55. dess Meigers Suster.<br />

56. Dyrick uppen Lo, sin Husfrouwe,<br />

sin Maget.<br />

57. Langen Albert Husfrouwe, sin<br />

Dochter.<br />

58. Hinrich Brunstede, sin Husfrouwe.<br />

59. Sluter Ludeke, sin Husfrouwe,<br />

sin zone,<br />

60. Merlemans Hempe,<br />

61. dess Kikes Husfrouwe,<br />

62. Wibbeke Sluters.<br />

63. Haseke ere Hussel,<br />

64. Hinrich Schroder, sin Broder.<br />

65. Kerspel Hermans Husfrouwe,<br />

66. Johan Bleyg, sin Dochter,<br />

67. Albert Wynter, sin Husfrouwe,<br />

68. Johan Kock, sin Husfrouwe,<br />

69. Johan de Witte, sin Husfrouwe,<br />

70. Gerlich, sin Husfrouwe,<br />

71. de Richtersche, en Knecht, noch<br />

en Knecht, en Maget, noch en<br />

Maget1).<br />

Bei der Auszählung dieses Schatzungsregisters ergibt sich eine<br />

bürgerliche Bevölkerung von 161 Seelen. Die Zahl der Minderjährigen<br />

unter 12 Jahren kann in etwa berechnet werden. Hermann Oncken<br />

schätzt sie auf rund 30 Prozent der Gesamteinwohnerzahl2), bemerkt<br />

jedoch dazu: „Dieser Ansatz ist etwas reichlich genommen, läßt sich<br />

aber aus praktischen Erwägungen rechtfertigen.“ Welche Erwägungen<br />

O. zu diesem ohne Frage weit überschätzten Anteil veranlaßt haben,<br />

erfährt man nicht. Nach Stadt Cloppenburger Einwohnerlisten aus<br />

dem 18. Jahrhundert, also einer Zeit, die schon eine höhere Kinderzahl<br />

aufwies, entfallen auf die Kinder unter 12 Jahren 15— 18 Prozent<br />

der Einwohner. Rechnet man für die Minderjährigen und die<br />

Steuerbefreiten zusammen 20 Prozent, so dürfte das der Wirklichkeit<br />

näherkommen. Die Stadtbevölkerung wird also um das Jahr 1473<br />

rund 200 betragen haben. Über die Höhe der Besatzung der Burg und<br />

des Vorwerkes fehlen zuverlässige Nachrichten. Wahrscheinlich wird<br />

sie zu dieser Zeit nicht geringer gewesen sein als einige Jahrzehnte<br />

*) Für 1473 ist Johann Budde als Richter bezeugt.<br />

2) Bau- und Kunstdenkmäler des Herzogtums Oldenburg, Heft 3 (Oldenburg<br />

1903), S. 50.


150<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

später, wo sie 40— 50 betrug. Man darf deshalb die gesamte Bevölkerung<br />

von Stadt und Burg mit 250 ansetzen. Diese gewiß geringe Einwohnerzahl<br />

besagt an sich für die Bedeutung der Stadt wenig. „Es<br />

kommt nicht", wie Dietrich Kohl1) schreibt, „auf die absolute Bevölkerungsziffer<br />

einer Stadt, sondern auf deren Verhältnis zu der Bevölkerungsdichte<br />

der betreffenden Landschaft an.“ Nach demselben<br />

Schatzungsregister wohnten im benachbarten Krapendorf (einschl.<br />

Lankum und Hemmelsbühren) 43 Steuerpflichtige, in Essen 75, in<br />

Löningen 164 und in der viel älteren Stadt Friesoythe mit den umliegenden<br />

Ortschaften unter Ausschluß von Altenoythe 357. Die Bevölkerungsziffer<br />

der Stadt Oldenburg setzt Kohl (a. a. 0.) für das<br />

15. Jahrhundert mit 1000—2000 an.<br />

Von den 161 Steuerpflichtigen der Stadt sind 78 männlichen und<br />

83 weiblichen Geschlechts. Auffallend gering ist die Zahl der Kinder<br />

über 12 Jahre, die zu Hause sind: 9 Söhne und 11 Töchter. Nur ein<br />

Viertel der Familien zählt Kinder in diesem Alter. An Hausgesinde<br />

sind 10 Knechte und 6 Mägde verzeichnet.<br />

Überblickt man das Namenmaterial des Schatzungsregisters,<br />

so erkennt man, daß (mit wenigen Ausnahmen) die Zeit, wo jeder nur<br />

einen Namen trug und es keine festen Familiennamen gab, vorbei ist.<br />

Folgende Namen enthalten die Herkunftsangabe: van Ginck (Gemeinde<br />

Lindern), van Kappelen (bei Cloppenburg), van Knehem (Kneheim),<br />

van Ambueren (Ambühren bei Cloppenburg), van Sage (Gemeinde<br />

Großenkneten), van Drebber (Diepholz2 )). Unter den Vornamen<br />

sind Johan und Hinrich am häufigsten vertreten. Die bekannte Redensart:<br />

„Hinnerk und Jan — hett de meiste Mann" hatte demnach auch<br />

schon vor etwa 500 Jahren Gültigkeit. Eine Anzahl Vornamen ist<br />

germanischen Ursprungs, wie Wessel, Wibbeke, Hempe, Beke, Lub-<br />

beke, Reyneke, Pelke, Mette, Hille.<br />

Im Jahre 1498 verzeichnet Pastor Halfwassen für die Stadt Cloppenburg<br />

194 steuerpflichtige Personen; das sind 33 mehr als 25 Jahre<br />

vorher — 20 Prozent Zunahme.<br />

Das Landschatzungsregister des Jahres 1535 führt 69 Haushaltungen<br />

mit 201 Steuerpflichtigen auf, also nur 7 Personen mehr als im<br />

Jahre 1498. Mit 98 bzw. 103 Personen halten sich die Geschlechter<br />

ungefähr das Gleichgewicht. Die Zahl der in den Familien befindlichen<br />

‘ ) Dietrich Kohl, Forschungen zur Verfassungsgeschichte der Stadt<br />

Oldenburg, Old. Jahrbuch XII, S. 34.<br />

2) Wahrscheinlich auch Cronenborch (Kronsberg b. Friesoythe?), Reker-<br />

mann (aus Reckum b. Wildeshausen?): im weiteren Sinne gehören zu dieser<br />

Gruppe auch Nr. 1, 23, 27, 29, 42, 56. Vgl. die Kartenskizze S. 151.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw, 151<br />

Kinder über 12 Jahre beträgt 47, 23 Söhne und 24 Töchter, die der<br />

Verwandten 5. Knechte (servus, famulus, als Bezeichnung für alle in<br />

einem dienstlichen Abhängigkeitsverhältnis stehenden männlichen Personen)<br />

sind 11 vorhanden, Mägde (famula) 9, Es muß um diese Zeit<br />

in der Bürgerschaft ein gewisser Wohlstand geherrscht haben, denn<br />

bei 18 Familien wird ausdrücklich bemerkt: van syn sulvest renten.<br />

Seit 1473 — das Register 1498 ist teilweise unleserlich — treten<br />

folgende Familiennamen neu auf: Volmelage, Orthman, Scharpekans,<br />

Stalman, Helman, Heydenrick, Kupeken, Greve, Knemerman, van<br />

Bassen, Vaget, Arneke, Smyt, Brathorst, Rodde (Rode), Hogeherts,<br />

van Kneten, Wever, Cappelman, van Wardenstede (Warnstedt), Barch-<br />

man, Vagedes, Kremer, Wolters, Raepe, van Matrum, van Stalvorden<br />

(Stalförden), Heppert, Valke, Blann und Marckehusen (Markhausen).<br />

Besonders aufschlußreich ist das Register vom Jahre 1548, da es<br />

sämtliche Einwohner — einschl. der Kinder unter 12 Jahren —<br />

namentlich aufzählt und auch die landesherrlichen Beamten und Bediensteten<br />

verzeichnet. Die Zunamen des Gesindes sind nicht angegeben,<br />

wie es noch bis zum Anfänge des vorigen Jahrhunderts üblich


152<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

war. Seine Entstehung verdankt es anscheinend einer Personenstandsaufnahme,<br />

die im selben Jahre auch für das Oberstift Münster angeordnet<br />

war. Es widerlegt auch die bisher in der Literatur vertretene<br />

Ansicht, daß es vor dem 30j ähr. Kriege keine Zählung gegeben hätte, die<br />

ausschließlich zur Feststellung der Bevölkerungsziffer bestimmt war.<br />

Register der Stadt<br />

1. Dirickus Heppert<br />

Gebbecke uxor<br />

Herman filius<br />

Geske und Anna filiae<br />

2. M ester Berndt Sinderkemp(?)<br />

Swaneke uxor<br />

Berthe filia<br />

Herman filius<br />

Roleff famulus<br />

3. Dirick Meiger van Knehem<br />

Grete uxor<br />

Tale famula<br />

Johann famulus<br />

4. Maria van BaBen<br />

Elske soror<br />

Hinrick famulus<br />

Geske famula<br />

5. Frederich Smidt<br />

Tobe uxor<br />

Hempe filia<br />

Johann filius<br />

6. Johan Helleman<br />

Metta uxor<br />

Dirich filius<br />

Johan filius<br />

Geske filia<br />

Talcke filia<br />

7. Johan Marckehuisen<br />

Tale uxor<br />

Anna filia<br />

Johan filius<br />

8. Johan up dem Orde<br />

Engell uxor<br />

Tebbe filius<br />

Johann filius<br />

Beke filia<br />

9. Ludeke van Ginck<br />

Greta uxor<br />

Hempe filia<br />

10. Hinrick Schomaker<br />

Tale uxor<br />

Modeke mater<br />

Cloppenborch 1548.<br />

11. Johan Hogehart<br />

Metta uxor<br />

Gertrudt filia<br />

12. Tiden Hermen<br />

Greta uxor<br />

Ricke mater<br />

Tobe famulus<br />

Anna famula<br />

13. Geske van Essen<br />

W essell filius<br />

Albert filius<br />

Hermen filius<br />

Greta filia<br />

14. Tebbe Averwater<br />

Gesche uxor<br />

Gerdt famulus<br />

15. Ruter Bernth<br />

Greta uxor<br />

Reinste cohabitatrix (Mitbewohnerin)<br />

Hermen filius<br />

16. Borchart Meinartz<br />

Ursula uxor<br />

17. Karsten Smidt<br />

Metta uxor<br />

Dirick filius<br />

18. Frerick Meier<br />

Stina uxor<br />

Hempe mater<br />

19. W ilcke Scharpkanß<br />

Gebbeke uxor<br />

20. Gerdt van Pem<br />

Anna uxor<br />

Dirick famulus<br />

Thale famula<br />

21. Dirich Hillegeloy<br />

Tale uxor<br />

Hille filia<br />

22. Helmerich Molman<br />

Tabeke uxor<br />

Greta filia


23.Cordt Portener<br />

Kunneke uxor<br />

Fenneke filia<br />

24. Anna Kakes<br />

Cathrina filia<br />

25. Geßke de Molmansche<br />

Dirich filius<br />

W obbeke filia<br />

26. Hennen van Stenforde<br />

Thrina uxor<br />

Greta filia<br />

Wolter filius<br />

27. Anna Bodekers vidua<br />

Engelberth filius<br />

Dirich filius<br />

Greta filia<br />

28. Gerdt van Matrem<br />

Hempe uxor<br />

Dirik filius<br />

29. Gerdt van Cappelen<br />

Leneke uxor<br />

Tale mater<br />

30. Elsa Scharpkanß<br />

Hermen filius<br />

Anna cohabitatrix<br />

31. Hilla Kakeß<br />

W obbeke filia<br />

Lambert filius<br />

Hermen Arneke<br />

32. Gertrudt Kakes<br />

Heileke soror<br />

33. W ilke Bodeker<br />

Haßke uxor<br />

34. Carsten van Cappelen<br />

Tale uxor<br />

Ludeke filius<br />

Johan filius<br />

Hempe filia<br />

Wübbeke famula<br />

35. Johann van Amburen<br />

Hempe uxor<br />

Berndt filius<br />

Hermen filius<br />

Johan filius<br />

Hilla filia<br />

36. Berndt Rode<br />

Gebbeke uxor<br />

Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 153<br />

37. Johan Krampe<br />

Geske uxor<br />

Johan filius<br />

Oltman filius<br />

Anna famula<br />

38. Hermen K ock<br />

Greta uxor<br />

Johan filius<br />

Greta filia<br />

39. Hinrick Bleyg<br />

Hempe uxor<br />

Metta filia<br />

Elisabet filia<br />

40. Hinrick Portener<br />

Greta uxor<br />

41. Rode Johan<br />

Hilla uxor<br />

Wobbeke soror<br />

Wobbeke filia<br />

Tale filia<br />

Johan filius<br />

42. Dírích van Smerten<br />

Fenne uxor<br />

43. Johan Kuper<br />

Geske uxor<br />

Tale filia<br />

Hinrick ovium pastor1)<br />

44. Maria Tollnersche<br />

Heileke filia<br />

Geske filia<br />

Else soror<br />

Hinrick famulus<br />

45. Greta Borchgrevesche<br />

Alheidt filia<br />

46. Johan Rekerman<br />

Wendel uxor<br />

Hinrich filius<br />

Anna filia<br />

47. Hinrick Simer<br />

Hilla uxor<br />

48. Dirick W ever<br />

Tale uxor<br />

49. Alberth Averwater<br />

Tale uxor<br />

Rike filia<br />

Johan filius<br />

Greta famula<br />

Hinrick famulus<br />

!) Stadthirt, der im Bürgermoor oder im Soestenbrook die Schafe der<br />

Bürger hütete. S. auch unter 75: Menke pastor.


154<br />

50. Abell Kremer<br />

Geske uxor<br />

Dirick famulus<br />

Dirick famulus<br />

Geske<br />

Wubbeke famula<br />

Wessel frater<br />

51. Jürgen Wyßman<br />

52. Gerdt Kremer<br />

Cathrina uxor<br />

Metta mater<br />

Johan frater<br />

53. Johan W yckbertz<br />

Heilike uxor<br />

Johan filius<br />

54. Hinrick Menkinck<br />

Hille uxor<br />

Everth filius<br />

55. Cordt Scharpekanß<br />

Lubbe uxor<br />

Everth filius<br />

56. Knehmer T ole (Tole van Knehem)<br />

Taleke uxor<br />

Geske mater<br />

57. Hinrick Rape<br />

W obbeke uxor<br />

58. Johan Berchman<br />

Tale uxor<br />

Hermen filius<br />

59. Dirick Rape<br />

Rense uxor<br />

Johan filius<br />

Tale filia<br />

60. T ole Smidt<br />

Greta uxor<br />

Fenne filia<br />

61. Tebbe Rekerman<br />

Hermen filius<br />

Geske filia<br />

Greta famula<br />

62. Johan Bleig<br />

Trina uxor<br />

Stina filia<br />

63. W essell van Cappelen<br />

Gertrudt uxor<br />

Lammert famulus<br />

64. Beke Vagedes<br />

Dirick filius<br />

65. Lammert M öller<br />

Greta uxor<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

66. Lampen Dirick<br />

Geske soror<br />

W endel filia<br />

67. Johan tor Marie<br />

Lißa uxor<br />

Abell filius<br />

68. Ties van Gronem<br />

Trina uxor<br />

Hinrich famulus<br />

Oltman filius<br />

69. Johan Bertelt<br />

Remmeke uxor<br />

Hilla filia<br />

70. W essel W itte<br />

Thrina uxor<br />

Lambert filius<br />

Tobe uxor<br />

71. W essel Bodeker<br />

Dirick frater<br />

72. Hinrich van Sage<br />

Lubbe mater<br />

Gerdt frater<br />

Hempe soror<br />

73. Dirich Titerman (7)<br />

Geske uxor<br />

74. Fenneke Fogetdinne<br />

Thobe famula<br />

W essel famulus<br />

75. Fenneke uxor judicis (Frau des<br />

Richters Jürgen Blann)<br />

Liseke filia<br />

Johan famulus<br />

Menke pastor ovium<br />

Anneke famula<br />

76. Albert de Ryke<br />

77. Hermen Düvell<br />

Ricke mater<br />

Geske uxor<br />

Gerdt famulus<br />

Cathrina famula<br />

Gerdt famulus<br />

78. G ebbeke uxor molitoris (Frau des<br />

Hermen de Möller)<br />

79. Johan Helleman<br />

Dirick pater<br />

Tobe mater<br />

Memeke famula<br />

80. Anna uxor famuli Albert Folme-<br />

lage<br />

Greta famula


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 155<br />

81. Teleke uxor Eilardi (Frau des<br />

Eilerth Dolía)<br />

82. Anna, Concubina Wessel Bode-<br />

kers<br />

83. Anna uxor<br />

Tobe mater<br />

84. Tale de Slutersche<br />

85. Fredeke uxor piscatoris (Frau<br />

des Hinrick Fissker)<br />

86. Elske Meigers (Frau des FuBknechtes<br />

Johan Meiger)<br />

87. Hilla Tholen Diricks uxor<br />

88. Stina Winthuis<br />

Dat Huißgesynne des Huises Cloppenborch<br />

de Erber Droste Stedinck<br />

Antonies schriver<br />

Jurgen famulus<br />

Hermen famulus<br />

Cordt famulus<br />

Robbeke famulus<br />

der Jungen twe<br />

noch eyn knecht<br />

Mester Johan de snider<br />

Johan famulus<br />

Ludolphus Kottinck, Rentemester<br />

PeuB famulus<br />

eyn Junge<br />

Jürgen Blann, Richter<br />

Hermen Valke, tholner<br />

Cordt Rave, Vogt<br />

Hermen van Halen, Borchgrave<br />

Hanß v. Franckwerth, Bussenschiitte<br />

Mester Matias, Bussenschiitte<br />

Hinrick, FiBker<br />

Hermen, Jeger<br />

Johan Meiger, Foethknecht<br />

Albert Felmelage, Foethknecht<br />

Hinrick Siiseker, Foethknecht<br />

Eilerth Dolla, Foethknecht<br />

M ester Lammert, Kock<br />

Hermen, Underkock<br />

Johan de Junge<br />

Jürgen Sluter<br />

Hermen Sluter<br />

Hermen de Möller<br />

Hermen Rump, Wechter<br />

Hermen Smidt, Wechter<br />

Johan Cruse, Wechter<br />

Hinrick, Portener<br />

Bernth, Portener<br />

W essell, Bouwschulte<br />

Hilla de Meigersche<br />

Geska famula<br />

Cathrina famula<br />

Armen, den de kost umb gotz willen gevenn werth<br />

Claws de eine wechter eyn Junge in dem Vorwerck<br />

Die Auszählung dieses Registers ergibt 326 Personen, von denen<br />

43 auf das „Haus Cloppenburg" entfallen. Den 171 männlichen Personen<br />

stehen 155 weibliche gegenüber; ohne die 43 des Hauses Cloppenburg<br />

ändert sich das Verhältnis in 131 : 152. Kinder sind 81 verzeichnet,<br />

42 männlichen und 39 weiblichen Geschlechts. Sie machen<br />

28 Prozent der Stadtbevölkerung aus, während in anderen bevölkerungsstatistisch<br />

erfaßten Orten ihr Anteil damals mit 35— 40 Prozent<br />

berechnet ist. Auf geführt werden 3 Familien mit je 4 Kindern, 5 Familien<br />

mit je 3 Kindern, 15 Familien mit je 2 Kindern und 24 Familien<br />

mit je 1 Kind. In 47 Familien mit Kindern sind 81 Kinder vorhanden,<br />

d. h. auf eine Familie kommen 1,72 Kinder1) . Die dienende Klasse der<br />

Zu den Kindern zählen hier alle im Elternhause lebenden unverheirateten<br />

Söhne und Töchter ohne Altersunterschied. Die Schatzregister<br />

zählen dagegen nur die über 12 Jahre alten Kinder auf. Obschon die Zahl


156<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

Bevölkerung ist in 19 Haushaltungen, ausschließlich „Haus Cloppenburg",<br />

mit 16 Knechten und 14 Mägden vertreten. Sie macht also<br />

etwa 10 Prozent der Bewohner aus. Außerdem zählt das Register<br />

22 Verwandte auf (pater, mater, fr ater, soror).<br />

An neuen Familiennamen sind gegenüber 1535 zu verzeichnen:<br />

Tide, van Essen, Berndt, Meinartz, van Pemen (Peheim),<br />

Hillegeloy, Molman, Portener, van Stenforde (Steinfeld oder Stein-<br />

furt?), van Ginck (Großen- und Kleinenging), van Smerten (Schmertheim),<br />

Kuper, Simer, Wyckberts, tor Marie, van Gronem (Grönheim),<br />

Düvell und Winthuis. In 13 Jahren sind demnach 18 Familien zugewandert<br />

oder durch Heirat gegründet worden. Mindestens 6 Herkunftsnamen<br />

bezeugen den Zugang aus benachbarten Orten. Vgl. Karte S. 151.<br />

Das Tyns Schat-(Grundzins oder Hauszins)-Register vom Jahre<br />

1559 weist einschl. der Schatzfreien 79 Hausbesitzer auf. Während<br />

darin die Namen van Baßen, Hogehart, Tide, van Essen, Meinartz,<br />

Portener, Kakes, Molman, van Stenforde, Wever, Wyssman nicht mehr<br />

Vorkommen, treten neu auf: van Bueren, Sommer, Peltser, Fullebeer,<br />

Tole, Büttel, Metten und van Halen,<br />

Nach dem Schatzregister von 1575 hat sich die Zahl der Haushaltungen,<br />

die sich in diesem Fall mit der Zahl der Häuser deckt, auf<br />

90 erhöht. An bisher nicht bezeugten Zunamen kommen vor: Abraham<br />

Huesvaget1), van Beten, Clene, Rensen, Visscher2), Jeger2), Boker,<br />

Hillen, Bring (k) man, van Riste, van Senden, Brunemunt, Hoiger,<br />

Helmerich. Vgl. Karte S. 151.<br />

Das folgende Schatzungsregister stammt aus einer Zeit, die sich<br />

der Segnungen des Friedens erfreuen konnte, und in der das Wirtschaftsleben<br />

infolge des steigenden holländischen Außenhandels einen<br />

starken Auftrieb erhielt. Die aus diesem Register ersichtliche Entwicklung<br />

der Stadt Cloppenburg darf man wohl mit diesen beiden<br />

Faktoren in Zusammenhang bringen.<br />

der verstorbenen oder abgewanderten Kinder nicht bekannt ist, darf man auf<br />

Grund dieses Registers wohl behaupten, daß im Vergleich zu heute die<br />

Kinderzahl damals nur gering war.<br />

‘ ) Hier liegt ein bezeichnendes Beispiel für die Willkür der Namengebung<br />

vor, Nach einem Auszuge aus dem Stadtbuch hieß der Bürger<br />

Abraham Lindener, vermutlich, weil er aus Lindem stammte. Hinzugefügt<br />

ist: den de lude Abraham van Oldenborgh hetet; er war nämlich 1569 aus<br />

Oldenburg zugewandert. Im Schatzregister 1575 heißt er Abraham Huesvaget,<br />

weil er mittlerweile Hausvogt geworden war.<br />

2) Sie waren Fischer bzw. Jäger des Amtshauses und stehen im Schatzregister<br />

1559 noch als „de Visscher" und „de Jeger“ , Bereits 1569 nennt<br />

sie ein Stadtbuchauszug nach ihrem Beruf Dirich Visscher und Herman Jeger.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 157<br />

Persoenschaetzunge Anno 1609 d e n 18. d e s Mantes<br />

g b ris (Oktober).<br />

Das Register umfaßt 14 Seiten,<br />

gäbe der ersten Seite zeigen. (1—6.)<br />

1. Otto Stedinck 28 ß (Schilling)<br />

sein Huesfrouwe 14 „<br />

sein Knecht 7 „<br />

seine Maegett 4 ,,<br />

2. Johann Kromer<br />

pauper1) 3 „<br />

sein Huesfrouwe 2 „<br />

dre Kinder 3 „<br />

3. Johan van Bueren 3 ,,<br />

sein Huesfrouwe 2 „<br />

zwe Kinder 2 „<br />

4. Berendt Düvell 28 „ Boergemeister<br />

sein Huesfrouwe 14 „<br />

een Kindt 7 „<br />

een Knecht 7 „<br />

zwe Megede 8 „<br />

enen Jungen 4 „<br />

5. Dirich Molman \<br />

pauper 3 „<br />

sein Huesfrouwe 2 „<br />

6. Gerdt Moeleman 3 1,<br />

sein Huesfrouwe 2 „<br />

7. Dirich Helmans —• 2 Kinder<br />

'8. Toebe Smedes — 2 Kinder<br />

9. Cersten van Kappelen — Frau<br />

10. Mencke de Voetknecht — Frau<br />

— 2 Kinder<br />

*11. Gerdt Lammers pauper — Frau<br />

12. Tebbe Schoemacker — Frau —<br />

1 Kind<br />

13. Hinrich Schoemaker — Frau —<br />

— 2 Kinder<br />

14. Laedewech van Kappelen —<br />

Frau — 1 Kind<br />

15. Johan van Knemen — Frau<br />

16. Gesche Volmelage — 1 Kind<br />

17. Johan Hopper — Frau<br />

*18. de W rede, Rentmeister<br />

*19, Hinrich Graßhorn — Frau —<br />

1 Kind<br />

Seine Anlage möge die Wieder-<br />

20. Berendt Düvell, Zöllner — Frau<br />

— 1 Magd<br />

*21, de Becker pauper — Frau<br />

*22. Hermen van Varelbusche pauper<br />

— Frau<br />

*23. Elisabeth Holtruppes — 1 Magd<br />

*24. Roedolphes Abhoevell — Frau<br />

— 1 Magd<br />

25. Olde Meyersche van Knemen<br />

*26. Johan Snelle — Frau<br />

27. Gesche Blei — 1 Kind<br />

*28. Gerdt Witterock — Frau —<br />

2 Kinder<br />

29. Hillen Taele pauper<br />

30. Hinrich van Dincklage, Soldat<br />

vom Amtshaus — Frau — 1 Kind<br />

31. W oltke Roede — Frau —<br />

3 Kinder<br />

*32. Johan Lueken — Frau — 1 Kind<br />

33. Fenneke Hilligeloe — 1 Kind<br />

*34. W essell Morekampf, Soldat vom<br />

Amtshaus — Frau<br />

35. Johan Schulte pauper — Frau<br />

36. Gerdt van Timmerloe — Frau —<br />

1 Kind<br />

37. Berendt van Groenem — Frau<br />

— 3 Kinder — 1 Magd<br />

*38, Wichman van Stapelvelde —<br />

Frau — 1 Kind<br />

39, Hinrich Blei — Frau<br />

*40. Johan van Anckum — Frau —<br />

1 Kind<br />

*41, Gerdt van Vestrupp — Frau<br />

42, Frerich Helman — Frau<br />

43. W illeke van Beten — Frau<br />

*44. Joest Lange — Frau<br />

45. Dirich Vischer — Frau — 1 Kind<br />

46. Roleff Groenouw — Frau —<br />

1 Kind<br />

47. Hermen Marckehusen — Frau<br />

'48. Wendell van Garell — 2 Kinder<br />

* bedeutet neuer Name seit 1575.<br />

*) Gebräuchliche Bezeichnung für die Armen im Schatzregister, die<br />

keine Steuer oder nur den niedrigsten Satz zu entrichten brauchten.


158<br />

'49. Hinrich Büssinck — Frau —<br />

3 Kinder<br />

50. Koep M eier — Frau — 1 Kind<br />

51. Gesche M eier — 1 Kind<br />

52. Johan B oecker — Frau —<br />

2 Kinder — 1 Jungen<br />

*53. Folkert Kroeßen<br />

'54. Hermen Müller — Frau— 1 Kind<br />

55. Fenneke Averwater — 2 Kinder<br />

'56. W illeke Tasche — Frau<br />

*57. W essell Halerman — Frau —<br />

3 Kinder<br />

58. W essel Molman<br />

*59. Arendt Unkrudt — Frau<br />

60. Hennen van Ammeren — Frau<br />

— 3 Kinder<br />

61. Johan Smit — Frau — 1 Kind<br />

*62. A lbert Holt, Soldat vom Am tshaus<br />

— Frau<br />

*63. Johan van Sevelten — Frau<br />

*64. Catarine Brunes<br />

65. Berent W evers wiff<br />

66. Kordt Kremer — Frau— 1 Junge<br />

*67. G oetleff Hundebecke — Frau<br />

68. Hermen Scherpkant — Frau<br />

69. Johan M eier — Frau — 1 Magd<br />

Borgemeister<br />

70. Tebbe van Smerten — Frau —<br />

1 Kind<br />

*71. Johan M eierwerdt — Frau —<br />

1 Kind<br />

'72. W illeke Tamelinck sin Hurman<br />

— Frau<br />

73. Albert Brinckman — Frau —<br />

1 Kind<br />

74, Dirich van Stapelvelde — Frau<br />

'75. Dirich van Restehusen — Frau<br />

— 2 Kinder<br />

76. Hinrich Hoegehert — 2 Kinder<br />

77. Johan Hoegehert — Frau<br />

78. Gerdt Stedinck — Frau, Borch-<br />

grave (Schließer) vom Amtshaus<br />

'79. Johan Raven, Richter<br />

'80. Lambertus Westerman, Richt-<br />

schriever (Gerichtsschreiber)<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

'81. W essell van Adderup — Frau<br />

82. Dirich van Sevelten — Frau —<br />

1 Kind<br />

83. Johan van Senden — Frau<br />

84. Bele Smedes — 3 Kinder<br />

85. Johann Brunemundt — 2 Kinder<br />

86. Hinrich Kemper — Frau<br />

87. Jürgen zuer M oell — Frau —<br />

1 Kind<br />

88. Abell Kümper — Frau<br />

89. Johan Naber — Frau<br />

90. Arendt W itte — Frau— 3Kinder<br />

91. Hinrich Helman — Frau, Voerer<br />

(Führer) under de Soldaten<br />

92. Johan Averw ater — Frau —<br />

3 Kinder<br />

*93. Hinrich Frese, Wachtmeister<br />

*94. Berndt W eldige, Soldat vom<br />

Amtshaus — Frau<br />

95. Oltman Swerten dre Kinder<br />

96. Diterich Schulte, Hueßvagett<br />

(Hausvogt)<br />

97. Johan Simer — 1 Kind<br />

98. Anneke Simer pauper<br />

99. W illeke Reckerman — Frau<br />

100. Johan W ever — Frau<br />

101. Gerdt Bley<br />

102. Johan Helman — Frau<br />

103. Fenneke Rapen<br />

*104. Johan Lukas — Frau<br />

105. Dirich Vaegeth — Frau<br />

*106. Elsche van Suereshusen<br />

107. Kordt Smidt — Frau<br />

108. Hinrich van Cappelen — Frau<br />

— 2 Kinder<br />

109. Busse Kromer — Frau<br />

*110. W evers W ineken — Frau<br />

*111. Hermen van Haegestede — Frau<br />

*112. Dirich in den W alle — Frau —<br />

3 Kinder<br />

113. Unse Koeherde Lucke pauper<br />

Frau (Hüter der Bürgerkühe im<br />

Moor)<br />

H u erlu ed e soe mit anderen eine liggen sint idelwiers (irgendwelche)<br />

Personen, soe ehre K oest verdenen mit spinnen:<br />

Anneke mit Johan Kromer Trine mit Hillen Talen<br />

Grete mit Brunes Catrinen pauper Trine M eyers mit Moelman


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 159<br />

Fenneke Vagedes mit Moelman 'Fenneke van Holtingehusen mit ?<br />

#Trine W encken mit Hinrich Bley sam pterer Docht er<br />

auocr Grete K ocks mit Jonan Simer<br />

pa Boeckers ? mit der Schulten pauper<br />

Fenneke mit Dirich Molman Schuer Talcke pauper<br />

Das Register führt in 113 Haushaltungen 303 Einwohner über<br />

12 Jahre auf, die sog. Heuerleute eingeschlossen. Ob alle dem Amtshause<br />

zugehörenden Personen verzeichnet sind, ist nicht ersichtlich.<br />

Die Auszählung ergibt 97 Haushaltungsvorstände, 109 Frauen, 84<br />

steuerpflichtige Kinder, 5 Knechte und 8 Mägde. 12 werden als arm<br />

bezeichnet. Rechnet man für die Kinder unter 12 Jahren 20 Prozent,<br />

so betrug die Bevölkerung 375. Das Auftreten von 42 neuen Familiennamen<br />

beweist, daß seit 1575 ein erheblicher Zugang von auswärts<br />

erfolgt ist. Die Verzweigung vieler Familien zeugt von einer bemerkenswerten<br />

Seßhaftigkeit. Der Name Helman ist viermal vertreten,<br />

van Cappelen, Blei und Meier je dreimal, Düvell, Steding, Kromer,<br />

Schoemaker, Hoegehart, Simer und Smidt je zweimal. Von 94 verschiedenen<br />

Familiennamen sind 25 Herkunftsnamen, unter ihnen 11<br />

neue, die fast ausschließlich auf Orte der Umgebung hinweisen1) , Unter<br />

den Vornamen behaupten Johan (23mal) und Hinrich (lOmal) immer<br />

noch den Vorrang. Während bei den männlichen Vornamen ein Rückgang<br />

der germanischen festzustellen ist, trifft das für die weiblichen<br />

Vornamen germanischen Ursprungs nicht zu.<br />

Aus der Zeit des 30jährigen Krieges liegt kein Material vor, das<br />

für eine bevölkerungsstatistische Untersuchung in der bisherigen Weise<br />

ausreicht. Man ist allein auf ein Verzeichnis der Bürgerschaft angewiesen,<br />

das sich in einem alten Protokollbuch befindet: Status undt<br />

ordnungs ietziger Burgerey2). Der Vergleich mit anderen Quellen ergibt,<br />

daß es höchstwahrscheinlich aus dem Jahre 1639 stammt. Es<br />

zählt 103 Familien auf. Hinter 26 Namen steht „vorbrandt“ vermerkt,<br />

hinter 12 „vorbrandt und woeste“ und hinter 6 „woeste". Diese Zusätze<br />

deuten wohl weniger auf die Zerstörungen durch den Krieg als<br />

vielmehr auf den großen Brand wenige Jahre vorher hin, der 61 Häuser<br />

vernichtet hatte. Auffallend ist es, daß unter den Namen dieses<br />

Verzeichnisses die Herkunftsnamen, die 1609 aufgeführt werden, bis<br />

auf 4 nicht m e h r V o r k o m m e n . Man darf das wohl auf eine Rückwanderung<br />

auf das Land zurückführen, veranlaßt durch die Unsicherheit<br />

und die Lasten der von Belagerungen, Einquartierungen und Kontributionen<br />

so schwer heimgesuchten Stadt.<br />

1) Über Herkunftsnamen vgl. Kohl a. a. O. S. 36 ff. u. unsere Karte oben.<br />

2) C. L. Niemann, Geschichte des Münsterschen Amtes Cloppenburg,<br />

Münster 1878, S. 153 u. 262.


160<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

In welchem Maße die Bevölkerung der Stadt unter dem Kriege<br />

und weiteren Feuersbrünsten gelitten hat, zeigen Register aus dem<br />

Jahre 1662. Im folgenden sind die noch vorhandenen Wohnhäuser<br />

mit sämtlichen steuerpflichtigen Einwohnern aufgezählt.<br />

Haus- und Personenschatzungsreg i s t er<br />

vom Februar 1662.<br />

*1. Dirich von Kempen1) — Frau<br />

*2. Dirich von Elsten — Frau<br />

3. dessen Heurman — Frau<br />

*4. Joest Teckenborgh<br />

*5. W em pe Osterkampf — Frau<br />

6. W essel von Cappelen — Frau —<br />

1 Knecht — 1 Magd — hat die<br />

reitende Post<br />

7. Focke von Gronheimb — 1 Kind<br />

— alter verarmbter Man pauper<br />

8. W ilcke Berendts — Frau —<br />

militat principi (in landesfürstlichen<br />

Diensten)<br />

9. W ittib Tießes (Matthias) von<br />

Gronheimb — 1 Kind<br />

*10. Tonnies (Antonius) Osterlo —<br />

Frau — pauper<br />

11. Johan Schulte — Frau<br />

12. Herman M öller — Frau<br />

*13. Tebbe in der Straten (nachher<br />

Stratman) — Frau<br />

*14. W ernecke Bauman — Frau<br />

*15. Berendt Velthues — Frau — des<br />

Drosten Diener<br />

16. in dessen Hause zur Heuer W ittib<br />

Freyesche — 1 Kind<br />

*17. Wittib Merten von Hambstrupf<br />

— pauper<br />

18. Johan W ittrock — Frau<br />

19. Johan Helman — Frau — 1 Kind<br />

20. Hinrich Rode — Frau<br />

*21. Dirich Juichman — Frau — ein<br />

verkranckter bettlegriger Man —<br />

pauper<br />

*22. Arendt von Suhlingen — Frau —<br />

des Drosten Diener<br />

*23. Johan M acke — Frau<br />

*24. W ittib Herman ufm Hoften2) —<br />

1 Kind<br />

*25. Berndt von Schnelten — 1 Kind<br />

26. Johan Boeker — Frau — 1 Kind<br />

27. Berendt von Gronheimb — Frau<br />

— 1 Jungen<br />

28. Johan M eyer — Frau<br />

29. W ilcke Hullman — Frau<br />

30. Johan von Elsten — Frau —<br />

1 Kind<br />

31. Hinrich M öller — Frau<br />

*32. Johan Klumper — Frau— 1 Kind<br />

33. Lambert Velthues — Frau<br />

34. W ittib Hogehardts<br />

35. Frerich Hoyer — Frau<br />

*36. Johan Wilhelm Evers — Frau —<br />

1 Magd<br />

37, Johan Kramer, Fußknecht —<br />

Frau<br />

38, Hinrich Bussinckh — Frau —<br />

1 Kind — 1 Knecht<br />

39, Johan W ever — Frau<br />

"40. Christopher Henßman — Frau<br />

*41. Berendt Broder — Frau— lKind<br />

42. Johan Vagett — Frau<br />

*43. Valentin Rauch — Frau — militat<br />

principi<br />

44. Gerdt Merleman — Frau<br />

*45. Johan Engelen — Frau — ein<br />

alter gebrochener Man — pauper<br />

46. Herman Naber — Frau<br />

*47. Lubbert Schwafferman3) — Frau<br />

— 1 Kind<br />

48, W ittib Annecke Otten — 1 Kind<br />

*49, W olter Hobingh — Frau<br />

50. Johan W igbergs — Frau — zwo<br />

alte unvormogen Leute — pauper<br />

J) Das von jeher zur Bezeichnung der H e r k u n ft dienende niederdeutsche<br />

„van“ ist nach dem 30jähr. Kriege durch das hochdeutsche „von“ verdrängt.<br />

2) Die Familie ufm Hofte oder uppen Hoffte stammte aus Essen.<br />

3) Die Familie Schwaffermann war aus Werlte zugewandert.


Die Bevölkerung der Stadt Cloppenburg usw. 161<br />

*51. Wittib Barbara Olthaus — Man *62. W essel Luthman — Frau — hat<br />

im fürstl. Dienst gestorben — viel kleine Kinder und durch<br />

pauper Brandt vorarmet — pauper<br />

52. Dirich Vaget — Frau 63. Wittib Helmans — pauper<br />

53. Gerdt Bley — Frau — wegen 64. deren Heuerman — Frau<br />

Brandt vorarmet — pauper 65. Cordt Schmidt — Frau<br />

54. Johan Lukes — Frau 66. Hinrich Bruns — Frau — 1 Kind<br />

*55. W essel Baneman — Frau — ein — so dreymahl vorbrandt<br />

alter hardthoriger Man und 67. Gerdt Hueslage — Frau — eine<br />

kranke Frau — pauper kranke Frau<br />

56. Hinrich von Cappelen — Frau — 68. Gerdt Vaget — Frau — 1 Kind<br />

1 Kind — 1 Magd — eine bettlägerige Frau<br />

*57. Gerdt Schillemoller — Frau 69. Mencke Morkampi — Frau<br />

58. Bitter Flerlage — Frau — ein 70. Johan Brunemundt — Frau<br />

armer Dachloner (Tagelöhner) *71. Wittib Dirich Bunte — 2 Kinder<br />

mit vielen Kindern — pauper *72. Hinrich Grunnecke — Frau —<br />

59. Johan Frielingh — 1 Kind zwo alte Leute und keine Mittel<br />

60. Wittib Steding — 3 Kinder — — pauper<br />

1 Knecht — 1 Magd *73. Herman Bothe— Frau— 1 Magd<br />

61. Adolpl Düvell — Frau — 74. Albert Brinckman — Frau —<br />

1 Knecht — 1 Magd 1 Kind<br />

75. Ludwig von Cappelen — Frau<br />

* bedeutet neuer Name seit 1609. 76. Jacob Meyer — Frau<br />

In einem Hausschatzregister des Jahres 1659 werden 106 Wohn-<br />

plätze genannt, wovon 16 als „woeste" bezeichnet sind. Zieht man<br />

von den verbleibenden 90 Häusern die 1660 verbrannten 24 ab und<br />

vergleicht damit die 76 des Registers vom Jahre 1662, so ergibt sich<br />

für die Jahre 1659—62 die Wiedererrichtung von 10 Häusern. Die<br />

Zahl der über 12 Jahre alten Einwohner beträgt 172. Unter ihnen<br />

sind 66 Männer, 71 Frauen (9 Witwen), 24 Kinder, 5 Knechte und<br />

6 Mägde. In der Feststellung, daß sich die Zahl der steuerpflichtigen<br />

Bewohner in 53 Jahren um 111 vermindert hat, kommt allein schon<br />

zum Ausdruck, welch harten Schicksalsschlägen die Stadt innerhalb<br />

40 Jahren unterworfen war1). Fast ein Viertel der Bürgerfamilien ist<br />

wegen Armut steuerfrei.<br />

Unter Annahme einer 20prozentigen Quote für Kinder bis zu<br />

12 Jahren ist die Gesamteinwohnerzahl auf 210—220 anzusetzen. Seit<br />

1609 sind 29 neue Namen nachzuweisen.<br />

In bezug auf die Namenschreibung ist zu beachten, daß darin<br />

früher ziemlich willkürlich und unbekümmert verfahren wurde. Nicht<br />

nur die nachlässige und mundartliche Aussprache, sondern auch der<br />

') W ie K. Willoh berichtet (Die Verschuldung und Not im Amte Vechta<br />

nach dem 30jährigen Kriege, Odbg. Jahrbuch X ), hatte die Stadt Vechta<br />

1669 noch 122 Häuser ohne die geistl., armen und adeligen Wohnungen.<br />

Nach den alten Steuerregistern waren 142 Häuser verschwunden.<br />

Oldenburger Jahrbuch 11


162<br />

Oldenburger Jahrbuch 1937<br />

allmähliche Übergang vom Niederdeutschen zum Hochdeutschen haben<br />

die Schreibweise stark beeinflußt und machen es oft schwierig, auf die<br />

rechte Spur zu kommen oder in ihr zu bleiben» Einige der vorgekommenen<br />

Namen sollen auf ihre Identität aufmerksam machen: van Gro-<br />

nem — van Gronum — von Gronheim (b); Rodde — Roede, heute<br />

Rohde; Hogeherte = Hogehardt, heute Hochgartz; Scherpkant — Schar-<br />

pekans, heute Scharpekant; Grunicke = Grunneken, heute Gründgen.<br />

Die Gliederung der Bevölkerung nach Berufen oder Ständen ist<br />

nicht durchzuführen, weil das Quellenmaterial außer den Angaben<br />

über die Berufsstellung der landesherrlichen Beamten und der Bediensteten<br />

des Amtshauses keine Berufsvermerke enthält. Sie würde<br />

auch wohl kaum zu einem nennenswerten Ergebnis gelangen; denn<br />

die Bürger waren, wie aus verschiedenen Viehschatzungsregistern zu<br />

entnehmen ist, fast ausnahmslos Ackerbürger, die die Bedürfnisse des<br />

Haushalts durch Eigenwirtschaft deckten, und auch die Wohlhabenden,<br />

die sich den Durchgangsverkehr und den Handel zunutze gemacht<br />

hatten, trieben selbständige Ackerwirtschaft. Das Handwerk<br />

war nur schwach vertreten; eine Gilde oder Zunft ist in dem behandelten<br />

Zeitraum wie auch später nirgendwo bezeugt.<br />

Die wichtigsten bevölkerungsstatistischen Ergebnisse der Untersuchung<br />

sind im folgenden noch einmal tabellarisch zusammengestellt.<br />

Die Kursivzahlen sind errechnet auf Grund von Verhältniszahlen, die<br />

aus mannigfachen Vergleichen ermittelt wurden, und unter Zuhilfenahme<br />

der Personenstandsaufnahme vom Jahre 1548, die manche wertvollen<br />

Anhaltspunkte bietet.<br />

Gesamtzahl der Einwohner<br />

..................<br />

(einschl. A m tspersonalj<br />

Zahl der Steuerpflichtigen<br />

. . . .<br />

(über 12 Jahre alt)<br />

1473 1498 1535 1548 1609 1662<br />

250 290 305 326 375 215<br />

161 194 201 — 303 172<br />

Haushaltungen . . . 71 — 69 88 113 76<br />

Kinder<br />

über 12 Jahre . .<br />

20<br />

9 Söhne<br />

11 T ö ch te r<br />

Knechte und Mägde 16<br />

10 Knechte<br />

6 M ägde<br />

*) K inder überhaupt, ohne Altersunterschied.<br />

— 47<br />

23 Söhne<br />

24 T öch ter<br />

— 20<br />

11 K nechte<br />

9 M ägde<br />

811)<br />

42 Söhne<br />

39 T öchter<br />

30<br />

16 K nechte<br />

14 M ägde<br />

84 24<br />

13<br />

5 K nechte<br />

8 M ägde<br />

11<br />

5 K nechte<br />

6 M ägde

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