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Bewegte Schule: Das neue Konzept für den Schulsport?

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<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>:<br />

<strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

von Jürgen Schröder<br />

Einleitung<br />

Nachdem es in <strong>den</strong> letzten 50 Jahren<br />

nicht gelungen ist, <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong> in<br />

seiner grundsätzlichen Existenzberechtigung<br />

und in einem annähernd akzeptablen Stun<strong>den</strong>umfang abzusichern,<br />

scheint die „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ bisher nicht erfüllte Wünsche verwirklichen zu<br />

können und die Lösung <strong>für</strong> die immer wieder beklagte <strong>Schulsport</strong>misere zu sein.<br />

Solche Vermutungen legen viele Autorinnen und Autoren nahe, die sich mit der<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> beschäftigen. Endlich scheint es außerdem zu gelingen, <strong>den</strong><br />

bisherigen sportarten- und leistungsorientierten Sportunterricht durch Bewegung<br />

in der Grundschule zu ersetzen und dabei <strong>neue</strong> Schwerpunkte zu setzen:<br />

Körpererfahrung, Wohlbefin<strong>den</strong> und Gesundheitsförderung, ästhetische Erziehung,<br />

Ganzheitlichkeit, fächerübergreifender Unterricht, Verbesserung der<br />

Aufmerksamkeit, ergonomisch angemesseneres Sitzen, Ausgleich von Defiziten<br />

in <strong>den</strong> Bereichen Lernen und Entwicklung, Verbesserung körperlicher und<br />

motorischer Voraussetzungen, verbesserte Kommunikation, Abbau von Stress,<br />

Aggressionen und Gewalt und vieles, vieles andre mehr.<br />

Es wird (hoffentlich) deutlich, dass die Idee „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ sowohl mit<br />

der Vielzahl als auch mit dem Ausmaß der beschriebenen Anforderungen und<br />

Erwartungen völlig überfordert ist. KRÜGER fasst eine ähnlich geführte Diskussion<br />

wie folgt zusammen: „Bewegung wird als ein Allheilmittel, als eine Art<br />

Wunderdroge gegen alle Übel dieser Welt angesehen“ (1999, 327).<br />

Wenn man Lehrkräfte, Eltern und Schüler/innen gewinnen will, sich an der<br />

„<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>“ zu beteiligen und mehr Bewegung in die <strong>Schule</strong> zu bringen,<br />

dann können auf der Basis dieses - ohne Schwierigkeiten zu erweitern<strong>den</strong> Zielkatalogs<br />

- nur Enttäuschungen entstehen. Es ist wichtig, die „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“<br />

nicht zu überfrachten, Komplexität zu reduzieren und auch im Hinblick auf ihre<br />

möglichen Auswirkungen auf eine realistische Basis zu stellen. Nur dann ist es<br />

im Übrigen auch möglich, angemessene empirische Überprüfungen durchzuführen.<br />

Die Diskussion darüber, ob Sportunterricht ein eigenständiger Teilbereich<br />

oder ein integraler Bestandteil der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> ist, ist noch nicht abgeschlossen.<br />

Auf je<strong>den</strong> Fall hat die gegenwärtig sehr angeregte Diskussion über die<br />

<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> in <strong>den</strong> <strong>Schule</strong>n und in Veröffentlichungen zu einer konstruktiven<br />

und lebendigen Auseinandersetzung über schulpädagogische und sportpädagogische<br />

Fragestellungen geführt. Die Bedeutung von Bewegung <strong>für</strong> Schülerinnen<br />

und Schüler und die Auswirkungen der Bewegungsförderung in der<br />

<strong>Schule</strong> sind in diesem Zusammenhang wichtige Fragestellungen.


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

2. Aufgaben und Ziele<br />

Der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong><br />

BALZ fasst die Argumente <strong>für</strong> mehr Bewegung<br />

in der <strong>Schule</strong> und <strong>für</strong> das gesamte<br />

Schulleben in vier Kategorien<br />

zusammen:<br />

1. „Kompensation einseitiger Belastungen, des Bewegungsmangels und der<br />

gesundheitlichen Defizite im Schulalltag“<br />

2. „Entwicklung von Kindern und Jugendlichen durch Bewegungsangebote und<br />

ganzheitliche Erfahrungsgelegenheiten“<br />

3. „Lernen durch eine aktive Auseinandersetzung, durch handlungsorientierte<br />

Unterrichtsvorhaben und zusätzliche Bewegungsmöglichkeiten“ und<br />

4. „Die Umwelt im Sinne eines schulischen Bewegungsraumes, eines sozialökologischen<br />

Lebensraumes humaner gestalten“ (1999, 419).<br />

Hinter diesen Überschriften verbirgt sich eine Vielzahl von Einzelzielen, die mit<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> verbun<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> und sich jeweils gut <strong>den</strong> einzelnen<br />

Kapitelüberschriften zuordnen lassen. Die Zielsetzungen wiederum lassen sich<br />

ohne weiteres mit <strong>den</strong> Bausteinen bzw. Elementen der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> in<br />

Zusammenhang bringen (vgl. Abschnitt 5).<br />

Ob die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> tatsächlich, wie BALZ behauptet, als „zukunftsweisendes<br />

<strong>Konzept</strong>“ (1999, 423) verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> kann, wird sich herausstellen<br />

und bleibt abzuwarten. In Niedersachsen beschäftigen sich Ende des Jahres<br />

1999 ca. 1.200 <strong>Schule</strong>n in verschie<strong>den</strong>ster Form mit dem Thema „<strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong>“. <strong>Das</strong> schließt die Umsetzung konkreter Bausteine einer <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> ebenso ein wie die Diskussion von Aufgaben, Zielen, Sinn und Zweck<br />

einer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>. Die Tatsache, dass durch das Projekt „Niedersachsen<br />

macht <strong>Schule</strong> durch <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ in diesem Bundesland auf breiter Basis vor<br />

allem im Grundschulbereich schulpädagogische und sportpädagogische Diskussionen<br />

über die Bedeutung von Bewegung <strong>für</strong> <strong>den</strong> Schulalltag der Kinder geführt<br />

wer<strong>den</strong>, ist zu begrüßen.<br />

<strong>Das</strong> Fehlen eines fundierten <strong>Konzept</strong>es und eines gemeinsamen Rahmens<br />

<strong>für</strong> Zahl und Bezeichnung ihrer Bausteine (vgl. BALZ 1999, 420) ist zu verkraften,<br />

wenn Schulleitung, Lehrkräfte, Eltern und Schülerinnen und Schüler in <strong>den</strong><br />

<strong>Schule</strong>n gemeinsam über <strong>Schule</strong> und Bewegung diskutieren, mit dem Ziel, die vorgefun<strong>den</strong>e<br />

Situation zu verbessern. Es erscheint angemessener, <strong>den</strong> tatsächlich<br />

Betroffenen die Auswahl von Zielen und Inhalten, Schwerpunktthemen und die<br />

Umsetzung von Teilbereichen der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> selbst zu überlassen. Sie sind<br />

eher in der Lage zu beurteilen, welche Defizite im Schulalltag vorhan<strong>den</strong> sind,<br />

die jeweiligen Ursachen herauszufin<strong>den</strong> und nach Möglichkeiten zu suchen, wie<br />

diese behoben wer<strong>den</strong> können. Die Lösung besteht dann darin, dass jede <strong>Schule</strong><br />

ihr eigenes fundiertes didaktisches <strong>Konzept</strong> entwickelt, das von der besonderen<br />

Situation der <strong>Schule</strong> und vor allem der Schulkinder abhängig ist. So kann ein<br />

eigenständiges subjektives Profil mit unterschiedlichen Schwerpunkten an<br />

jeder <strong>Schule</strong> sozusagen individuell entstehen. <strong>Das</strong> beklagte Theorie – Defizit ist<br />

dann wohl eher ein Problem der Sportpädagogik und ihrer Vertreter/innen.


Entschei<strong>den</strong>d ist vielmehr die Tatsache, dass im wahrsten Sinn des Wortes Bewegung<br />

in die <strong>Schule</strong> kommt.<br />

Erfreulicherweise beschränkt sich die Diskussion nicht mehr nur auf<br />

<strong>Schulsport</strong>konzepte und Absicherungen <strong>für</strong> zwei oder drei Stun<strong>den</strong> Sportunterricht<br />

in der Woche: Bewegung als Leitidee <strong>für</strong> <strong>den</strong> Schulalltag steht im Mittelpunkt<br />

der Auseinandersetzung. BALZ ist zuzustimmen, wenn er behauptet: „Damit<br />

fin<strong>den</strong> wir endlich wieder Anschluss an grundsätzliche Überlegungen zum<br />

Stellenwert und zur Ausrichtung des <strong>Schulsport</strong>s, an allgemeine Vorstellungen<br />

der <strong>Schule</strong>ntwicklung“ (1999, 419).<br />

Die gegenwärtigen Entwicklungen in niedersächsischen <strong>Schule</strong>n, Schulprogramme<br />

zu entwerfen und zu gestalten, lassen sich hervorragend mit der<br />

Idee der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> verbin<strong>den</strong>. Die Aufnahme oder gar Schwerpunktsetzung<br />

von Bewegung in das Schulprogramm einer <strong>Schule</strong> ist <strong>für</strong> die <strong>Schule</strong> ein<br />

sinnvolles Vorhaben und bedeutet <strong>für</strong> die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> eine solide und feste<br />

Verankerung, die hoffentlich lange hält.<br />

3. Zusammenhänge<br />

und Abgrenzungen:<br />

Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

Genau in diesem Rahmen ist auch zu<br />

entschei<strong>den</strong>, welches Verhältnis und<br />

welche Zusammenhänge zwischen der<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>, dem Sportunterricht<br />

und dem außerunterrichtlichen<br />

<strong>Schulsport</strong> hergestellt wer<strong>den</strong> sollen und welcher Stellenwert <strong>den</strong> einzelnen<br />

Bausteinen zukommen soll.<br />

„<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> und <strong>Schulsport</strong> sollten im Sinne einer Wechselbeziehung<br />

ein sinnvolles Miteinander bil<strong>den</strong>“ (MÜLLER 1998, 3). Damit ist klar ausgesagt,<br />

dass die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> nicht das <strong>neue</strong> zukunftsweisende <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

<strong>Schulsport</strong> sein kann: <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> ist der übergeordnete Begriff, dem sich<br />

die jeweiligen Bausteine oder Bestandteile unterordnen. Diese setzen sich u.a.<br />

aus Sportunterricht und dem außerunterrichtlichen <strong>Schulsport</strong> zusammen.<br />

<strong>Schulsport</strong> ist also eines von mehreren Elementen der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>. <strong>Das</strong> bedeutet,<br />

dass der <strong>Schulsport</strong> durch die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> keineswegs ersetzt oder<br />

abgelöst wer<strong>den</strong> kann und soll. Bei schulinternen Diskussionen über die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> sollte auf je<strong>den</strong> Fall auch über Ziele und Inhalte des Sportunterrichts und<br />

z.B. über das Verhältnis zwischen Sportunterricht und Bewegungsaktivitäten auf<br />

dem Pausenhof neu nachgedacht wer<strong>den</strong>.<br />

Die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> – selbst dann wenn sie irgendwann flächendeckend<br />

und mit allen möglichen Bausteinen umgesetzt sein sollte - macht <strong>den</strong> Sportunterricht<br />

also keineswegs überflüssig (vgl. REGENSBURGER PROJEKTGRUPPE<br />

1999, 9). Ebenso wenig eignet sich die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> dazu, aus „Sportunterricht“<br />

nunmehr eine „allgemeine Bewegungserziehung“ <strong>für</strong> alle Schulklassen zu<br />

machen, aus der die sportartenorientierten Anteile entfernt wor<strong>den</strong> sind. Im<br />

Übrigen ist auch darauf zu achten, dass die gegenwärtige allgemeine Auseinandersetzung<br />

nicht verkürzt wird zu einer isolierten Rechtfertigungsdiskussion <strong>für</strong><br />

3 Stun<strong>den</strong> Sportunterricht pro Woche.<br />

<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>,<br />

Sportunterricht und<br />

außerunterrichtlicher<br />

<strong>Schulsport</strong>


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

Im Unterschied zu Politikern ist unter <strong>den</strong> Vertreter/innen der Fachdidaktik das<br />

Verhältnis zwischen <strong>Bewegte</strong>r <strong>Schule</strong> und Sportunterricht klar umrissen und eindeutig<br />

entschie<strong>den</strong>: Sportunterricht kann und darf nicht durch die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> ersetzt wer<strong>den</strong>. Die Diskussion um die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> hat dazu beigetragen,<br />

dass Bewegung in der <strong>Schule</strong> zur „Chefsache“ der gesamten <strong>Schule</strong> und<br />

nicht nur des <strong>Schulsport</strong>s gemacht wor<strong>den</strong> ist. Und das ist gut so, weil nunmehr<br />

aus <strong>den</strong> unterschiedlichen Blickwinkeln – und nicht nur sportlichen - darüber<br />

nachgedacht wird, warum welche Bewegungsaktivitäten und wie diese in <strong>den</strong><br />

Schulalltag der Kinder und Jugendlichen integriert wer<strong>den</strong> können.<br />

Die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> ist keine Alternative <strong>für</strong> <strong>den</strong> Sportunterricht, sondern<br />

„unverzichtbarer Bestandteil“ (KLUPSCH-SAHLMANN 1999, 21). Allerdings bestehen<br />

Zweifel an der programmatischen Aussage des Autors: „An einer <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> ändert sich allerdings die didaktische Orientierung des Sportunterrichts.<br />

Hier geht es nicht um eine Erziehung zum Sport und <strong>den</strong> damit verbun<strong>den</strong>en<br />

Anforderungen“ (a.a.O., 21). Die mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> beschäftigten<br />

Personen sollen im Rahmen der staatlichen Vorgaben selbst und selbstständig<br />

über Ziele und Inhalte des Sportunterrichts entschei<strong>den</strong>. Und selbstverständlich<br />

geht es nach wie vor im Sportunterricht um „Erziehung zum Sport“ und „Erziehung<br />

durch Sport“. „Erziehung zum Sport“ oder Sporttreiben bedeutet nichts<br />

anderes, als Schülerinnen und Schülern Qualifikationen zu vermitteln, die notwendig<br />

sind, damit sie am Sportgeschehen außerhalb der <strong>Schule</strong> in ihrer Freizeit<br />

teilnehmen können. Es besteht kein Anlass, warum die Arbeit an der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> eines dieser bei<strong>den</strong> Aufgabenbündel in Zweifel ziehen sollte.<br />

4. Die Rolle von<br />

Sportlehrkräften bei<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong><br />

„Bei der Initiierung einer <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> kommt gerade <strong>den</strong> Sportlehrkräften<br />

eine besondere Aufgabe zu“<br />

(a.a.O., 22). Ähnlich argumentiert<br />

auch die REGENSBURGER PROJEKT-<br />

GRUPPE (vgl. 1999, 9). Die Begrün-<br />

dungen sind die Fachkompetenz der Sportlehrkräfte und ihre praktischen Erfahrungen<br />

mit Bewegung.<br />

In Niedersachsen sind im Rahmen des Projektes „Niedersachsen macht<br />

<strong>Schule</strong> durch <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ in der Bezirksregierung Braunschweig sehr gute<br />

Erfahrungen damit gemacht wor<strong>den</strong>, die Schulleitungen und die interessierten<br />

Lehrkräfte zu Fortbildungsveranstaltungen der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> einzula<strong>den</strong>, um<br />

sie <strong>für</strong> die Teilnahme an der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> zu motivieren. So konnten hier bisher<br />

mehr als 100 <strong>Schule</strong>n erreicht und mit der Idee der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> konfrontiert<br />

wer<strong>den</strong>. In <strong>den</strong> <strong>Schule</strong>n selbst sollten alle Betroffenen in die Diskussion<br />

einbezogen wer<strong>den</strong>: Schulleitung, Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler, Eltern,<br />

Hausmeister und je nach Schwerpunktsetzung auch der Gemeinde –<br />

Unfallversicherungs – Verband, die Kommune usw.<br />

Da der Sportunterricht ein Baustein der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> ist und die Diskussion<br />

über die „<strong>Schule</strong> in Bewegung“ alle Gruppen in der <strong>Schule</strong> erfassen soll, kann


<strong>den</strong> Sportlehrkräften tatsächlich vor allem eine initiierende und später koordinierende<br />

Funktion zukommen. Wichtig ist, dass die beteiligten Sportlehrkräfte<br />

ein mehrperspektivisches Sport- und Bewegungsverständnis haben und die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> als Chance sehen, dass alle Beteiligten über das Schulleben und<br />

<strong>den</strong> Schulalltag der Schülerinnen und Schüler sprechen. Selbstverständlich sollten<br />

sie auch ihr fachliches Wissen zur Verfügung stellen, damit gemeinsam Vorschläge<br />

<strong>für</strong> Bewegungspausen während des Unterrichts oder die Integration von<br />

Bewegung in die einzelnen Unterrichtsfächer entwickelt wer<strong>den</strong> können. Von der<br />

Diskussion über allgemeine Bildungs- und Erziehungsziele in der <strong>Schule</strong> und über<br />

die grundsätzliche Bedeutung von Spiel, Sport und Bewegung <strong>für</strong> die Schülerinnen<br />

und Schüler können nicht zuletzt auch die Sportlehrkräfte profitieren.<br />

Genau hier besteht eine weitere Chance, die die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> zur Verfügung<br />

stellen kann: der gemeinsame Erfahrungsaustausch aller Beteiligten<br />

kann nicht nur zu <strong>neue</strong>n Überlegungen und Ergebnissen führen, sondern auch<br />

zu einem besseren Klima zwischen Lehrkräften, Schülerinnen und Schülern und<br />

Eltern.<br />

5. Bausteine einer<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>:<br />

Wann ist eine <strong>Schule</strong><br />

eine <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>?<br />

Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

BALZ kritisiert „Schon auf <strong>den</strong> ersten<br />

Blick wirken die Kompositionen der<br />

bewegten <strong>Schule</strong> in Zahl und Bezeichnung<br />

ihrer Bausteine oft unsystematisch,<br />

ein gemeinsamer Rahmen zur<br />

Einordnung liegt nicht vor“ (1999,<br />

420). Vielleicht ist dieser Zustand<br />

auch ein Glücksfall, <strong>den</strong>n hier wird klar, dass Autorinnen und Autoren auf der<br />

Grundlage persönlicher Vorstellungen und Erfahrungen zu unterschiedlichen Ergebnissen<br />

(Zahl und Elemente) gelangt sind. Den vielfältigen Bausteinen einer<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> möchte ich die Niedersächsische Variante hinzufügen, die sich<br />

wie folgt zusammensetzt:<br />

● Schulraumgestaltung: Außenräume<br />

● Schulraumgestaltung: Innenräume<br />

● <strong>Bewegte</strong>r Unterricht: Integration von Bewegung in die Unterrichtsfächer<br />

● Bewegungspausen während des Unterrichts<br />

● Sportunterricht und außerunterrichtlicher <strong>Schulsport</strong>.<br />

Im Mittelpunkt des Niedersächsischen Interesses am Projekt <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> stehen<br />

nicht außerunterrichtlicher <strong>Schulsport</strong> und Sportunterricht, sondern die<br />

erst genannten vier Teilbereiche. Diese Beschränkung schließt jedoch nicht aus,<br />

dass <strong>Schule</strong>n – auch unter Einbeziehung des Mobilen Beratungsteams – <strong>den</strong><br />

Sportunterricht zum Diskussionsgegenstand machen. In der Tat ist Sportunterricht<br />

ein Bestandteil der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>. Die initiieren<strong>den</strong> Beratungen im Rahmen<br />

von schulinternen und regionalen Lehrerfortbildungen sowie die Auftaktveranstaltungen<br />

in <strong>den</strong> vier Regierungsbezirken beziehen sich jedoch auf alle<br />

fünf Elemente. Die in Niedersachsen verfolgte Priorität besteht darin, mehr Bewegungsaktivitäten<br />

in die gesamte <strong>Schule</strong> zu tragen – unter Einschluss der


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

traditionellen Lernorte <strong>für</strong> Spiel, Sport und Bewegung: das betrifft jedes einzelne<br />

Unterrichtsfach, die Pausen während des Unterrichts und die Pausen zwischen<br />

<strong>den</strong> einzelnen Unterrichtsstun<strong>den</strong><br />

Im Übrigen unterschei<strong>den</strong> sich die Bausteine, die andere Autorinnen und<br />

Autoren vorstellen, kaum von <strong>den</strong> hier genannten: Teilweise sind sie konkreter<br />

und detaillierter beschrieben, indem z.B. „<strong>Bewegte</strong>s Sitzen“ (REGENSBURGER<br />

PROJEKTGRUPPE 1999) oder „Aktiv-dynamisches Sitzen“ (BREITHECKER 1998,<br />

37) als Element verstan<strong>den</strong> wird, manchmal sind die Formulierungen allgemeiner:<br />

„Bewegungsfreundliche Einrichtungen und Lebensräume im und um das<br />

Schulhaus“ (ILLI 1995, 412). Inhaltlich geht es jedoch um dieselben Elemente.<br />

Einerseits sind die räumlichen Voraussetzungen der gesamten <strong>Schule</strong> (innen und<br />

außen) so zu verändern, dass (mehr) Bewegung, aber auch Entspannung und<br />

Ruhe möglich sind. Andererseits ist der Unterricht so zu gestalten, dass er bewegt<br />

durchgeführt wird, und schließlich sollen Bewegungsaktivitäten während<br />

des Unterrichts und zwischen <strong>den</strong> Unterrichtsstun<strong>den</strong> durchgeführt wer<strong>den</strong>. Der<br />

einzige Unterschied ist darin zu sehen, dass Sportunterricht und außerunterrichtlicher<br />

<strong>Schulsport</strong> nicht immer Bestandteile der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> sind.<br />

Schwieriger als die bisherige Diskussion ist die Beantwortung der Frage,<br />

unter welchen Voraussetzungen eine <strong>Schule</strong> das Kriterium „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ erfüllt.<br />

<strong>Das</strong> Entscheidungskriterium kann nicht darin bestehen, dass alle Bestandteile<br />

oder Bauelemente einer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> verwirklicht sein müssen.<br />

Es kann ebenso wenig darum gehen, dass die umgesetzten Elemente der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> in einem Schulprogramm festgeschrieben sein müssen. Von einer<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> wird man dann nicht sprechen können, wenn die Beteiligten<br />

diese Idee diskutieren, aber (noch) nicht die Umsetzungsphase erreicht haben.<br />

Der gemeinsame Nenner, nach dem man vielleicht aber gar nicht suchen<br />

muss, kann darin bestehen, dass eine <strong>Schule</strong> ihren Schülerinnen und Schülern<br />

im Verlauf der Beschäftigung mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> mehr Bewegungsmöglichkeiten<br />

anbieten muss als vor der Beschäftigung mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>.<br />

Eine <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> kann mit Hilfe des Bausteins „Sportunterricht und<br />

außerunterrichtlicher <strong>Schulsport</strong>“ <strong>neue</strong> Schwerpunkte setzen und diesen zu einem<br />

Bestandteil des Schulprogrammes machen. Die Kooperation mit außerschulischen<br />

Partnern, wie z.B. Sportvereinen oder der offenen Jugendarbeit,<br />

aber auch die Entwicklung eines sportlichen Schwerpunktes an weiterführen<strong>den</strong><br />

<strong>Schule</strong>n sind Beispiele <strong>für</strong> Elemente des Schulprogrammes. Schulinterne Fortbildungsveranstaltungen<br />

in der Grundschule <strong>für</strong> nicht ausgebildete Lehrkräfte<br />

in <strong>den</strong> Bereichen Spiel, Sport und Bewegung und das Bemühen, Sportunterricht<br />

nicht häufiger ausfallen zu lassen als andere Unterrichtsfächer können ebenfalls<br />

Teil dieses Bausteins sein.


6. <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong><br />

und Schulprogrammentwicklung<br />

Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

Die <strong>Schule</strong>n, die sich mit der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> beschäftigen, können die einzelnen<br />

Bausteine sinnvollerweise nur<br />

nacheinander aufgreifen, bearbeiten<br />

und verwirklichen. Der Weg zu einer<br />

<strong>Schule</strong> in Bewegung ist lang, aber jeder<br />

Schritt ist ein Fortschritt.<br />

Für viele <strong>Schule</strong>n sind die einzelnen Bausteine der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> nicht neu.<br />

Die Neugestaltung des Pausenhofes oder die Einrichtung einer Spielecke im Klassenzimmer<br />

sind nicht erst erfolgt, seitdem die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> in der Fachdidaktik<br />

so lebhaft diskutiert wird. Aber auch die Aktivitäten einer einzelnen Lehrkraft,<br />

die z.B. ihren Deutschunterricht mit Bewegung belebt, sind ein Beispiel<br />

<strong>für</strong> die Arbeit an einem Bewegungsbaustein. <strong>Das</strong> bedeutet, dass interessierte<br />

<strong>Schule</strong>n ihre Aktivitäten nicht zwangsläufig ohne Voraussetzungen beginnen,<br />

sondern auf Bekanntes oder Bewährtes zurückgreifen können. Wenn eine <strong>Schule</strong><br />

bereits entsprechende Erfahrungen gesammelt hat, ist es selbstverständlich,<br />

dass diese zu einem Bestandteil des Schulprogrammes gemacht wer<strong>den</strong> können.<br />

Darauf wird in der Broschüre des Niedersächsischen Kultusministeriums „Schulprogrammentwicklung<br />

und Evaluation“ ausdrücklich hingewiesen: <strong>Das</strong> Schulprogramm<br />

„soll schulintern bereits Geklärtes (vorläufig) festschreiben“<br />

(NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 1998, 9).<br />

Ausgehend von <strong>den</strong> Erfahrungen und der Bedeutung, die z.B. Bewegung<br />

<strong>für</strong> die Schülerinnen und Schüler einer <strong>Schule</strong> haben kann, sollte ein allgemeines<br />

pädagogisches Grundverständnis entwickelt wer<strong>den</strong>, an dem Lehrkräfte,<br />

Eltern und Schüler/innen mitwirken und das schließlich zur Aufstellung eines<br />

konkreten Umsetzungs- und Arbeitsprogrammes führt (vgl. a.a.O., 10). Bei <strong>den</strong><br />

möglichen inhaltlichen Aspekten eines Schulprogrammes wird in der genannten<br />

Broschüre ausdrücklich auf „Sport- und Bewegungsförderung“ hingewiesen (vgl.<br />

a.a.O., 36). Hier wird erneut klar, dass Sportunterricht ein Teil der Programmentwicklung<br />

sein kann. Aber auch andere Schwerpunkte, wie z.B. die Förderung<br />

des sozialen Lernens oder Gesundheitsförderung lassen sich gut mit Bewegungsförderung<br />

zu einem Profil verbin<strong>den</strong>, das ein Bestandteil des Schulprogrammes<br />

ist.<br />

Die Vorteile, Bausteine einer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> zum Element des Schulprogrammes<br />

zu machen, bestehen nicht nur in der breit angelegten Diskussion<br />

über pädagogische Orientierungen sowie über Bedeutung, Ziele und Inhalte von<br />

Bewegung, sondern auch in der programmatischen Vernetzung und Verankerung<br />

von Bewegung und Bewegungsförderung in der <strong>Schule</strong>. Dazu gehören u.a.<br />

schulinterne Fortbildung aller Lehrkräfte, Anschaffung und Eigenbau von Bewegungsmaterialien,<br />

Neugestaltung von Bewegungsräumen, Erfahrungsaustausch<br />

mit anderen <strong>Schule</strong>n, Kontaktaufnahme mit Sportanbietern, gemeinsame<br />

Überprüfung der kommunalen Spiel- und Bewegungsgelegenheiten mit dem<br />

Sportamt usw.


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

Die formale Absicherung von Bewegung in einem gemeinsam vereinbarten<br />

Schulprogramm trägt dazu bei, dass Bewegung zu einem festen Bestandteil des<br />

Schulalltags wird, der sich dem Zugriff der Sparpolitik weitestgehend entzieht.<br />

7. Qualitätsmaßstäbe<br />

<strong>für</strong> eine <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong><br />

<strong>Das</strong> jeweils individuelle Schulprogramm<br />

einer <strong>Schule</strong> unterscheidet<br />

diese <strong>Schule</strong> von anderen <strong>Schule</strong>n und<br />

ermöglicht dem „Verbraucher“ eine<br />

gezielte Auswahl. Die Frage nach der<br />

Qualität einer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> kann<br />

einerseits nicht ohne vorab vereinbarte Ziele beantwortet wer<strong>den</strong> und muss<br />

außerdem überprüfbare Qualitätsnachweise erbringen. Entschei<strong>den</strong>de Qualitätsmerkmale<br />

einer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> sind darin zu sehen, dass die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong><br />

● Möglichst vielfältige und häufige Bewegungsmöglichkeiten anbietet,<br />

● Sicherstellt, dass Bewegung einen hohen Stellenwert im Schulleben hat,<br />

● Für Schülerinnen und Schüler eine Bereicherung des Schulalltags bedeutet und<br />

● Ihren Schülerinnen und Schülern hilft, Bewegung zu einem Prinzip der<br />

Lebensgestaltung zu machen.<br />

Ganz ähnlich wie es immer nur Annäherungen an die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> geben wird,<br />

wird es auch immer nur Annäherungen an die Verwirklichung von Qualitätsmaßstäben<br />

<strong>für</strong> eine <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> geben. Endgültige Qualitätskriterien muss<br />

jede <strong>Schule</strong> selbst entwickeln und bei der Aufstellung des Schulprogrammes mit<br />

be<strong>den</strong>ken: Was macht unsere <strong>Schule</strong> als <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> aus? Wie unterschei<strong>den</strong><br />

wir uns von einer <strong>Schule</strong>, die sich nicht als <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> bezeichnet? Welche<br />

Ziele verbin<strong>den</strong> wir mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>? Welches Schülerbild legen wir zu<br />

Grunde? Welche Bedeutung messen wir Bewegung innerhalb und außerhalb<br />

unserer <strong>Schule</strong> bei? Wie gehen wir mit Unterrichtsausfall im Sport um? Welches<br />

Aussehen soll unsere <strong>Schule</strong> als <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> kurzfristig, mittelfristig und längerfristig<br />

haben?<br />

Die möglichen Differenzen zwischen diesen Erwartungen und <strong>den</strong> Ergebnissen<br />

der Planungen können als Qualitätsmerkmale angesehen wer<strong>den</strong>. Im Mittelpunkt<br />

stehen die Ursachen <strong>für</strong> etwaige Abweichungen zwischen Planungen<br />

und <strong>den</strong> Ergebnissen der Überlegungen (vgl. dazu REGENSBURGER PROJEKT-<br />

GRUPPE 1999, 10). Formen der Überprüfung der Arbeitsergebnisse sowie Fragen<br />

nach der Qualität der geleisteten Arbeit sind unbedingt schon bei der Schulprogrammentwicklung<br />

mit zu be<strong>den</strong>ken.<br />

Auch hier ist es wichtig, Kompetenz und Verantwortung <strong>für</strong> die Qualität<br />

des Schulprofils <strong>den</strong>jenigen zu übertragen, die die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> in eigener<br />

Verantwortung initiiert, geplant und umgesetzt haben: <strong>Das</strong> sind Lehrkräfte, Eltern<br />

und Schülerinnen und Schüler.


8. Empirische Belege<br />

<strong>für</strong> die Auswirkungen<br />

oder die „Effektivität“<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong><br />

Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

Die nächstliegende Frage ist die, welche<br />

Funktionen empirische Untersuchungen<br />

über die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong><br />

haben sollen. Die Autorinnen und<br />

Autoren, die Modellversuche zum<br />

Thema „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ durchgeführt<br />

haben, wollen wissen, welche<br />

Auswirkungen ihr Vorhaben gehabt hat. Die Untersuchungen dienen dann beispielsweise<br />

der Rechtfertigung des jeweiligen Forschungsvorhabens oder sogar<br />

einer allgemeinen Rechtfertigung der „<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>“. Die Erfahrungen in<br />

der Modellschule oder im Pilotprojekt wer<strong>den</strong> teilweise verallgemeinert, oder die<br />

Allgemeingültigkeit wird zumindest nahe gelegt: Wenn andere Kolleginnen und<br />

Kollegen ähnlich vorgehen, sind ähnlich positive Ergebnisse zu erwarten. Und<br />

welche Kollegin oder welcher Kollege will das nicht? Der Zweck der Untersuchung<br />

ist, andere Lehrkräfte zu animieren, aus ihrer <strong>Schule</strong> oder Schulklasse eine <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> oder eine <strong>Bewegte</strong> Schulklasse zu machen. Eine weitere Argumentation<br />

besteht darin, der im Allgemeinen empirisch belegten umfangreichen<br />

Defizitanalyse (Haltungsschwächen, Koordinationsstörungen, Übergewicht<br />

usw.) mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> nunmehr eine empirisch belegte „Positivliste“<br />

entgegenzusetzen.<br />

Im Mittelpunkt der wenigen empirischen Untersuchungen stehen quantitative<br />

Vorgehensweisen, die “handfest“ die Effizienz der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> in Details<br />

belegen sollen: „Test zur Überprüfung der statischen/dynamischen Koordination,<br />

Ganzkörperkoordination, Geschwindigkeit der Bewegung, Gleichzeitigkeit<br />

der Bewegung, Synkinese, Beurteilung der Körperhaltung nach<br />

Matthiaß“ (KAHL 1993, 37), „Screeningverfahren <strong>für</strong> die Bereiche Haltungskoordination<br />

sowie Muskelfuntktionsleistungsfähigkeit“ (BREITHECKER 1998a,<br />

112) usw. Im Vergleich zwischen Modellschule und „Normalschule“ sollen die Untersuchungsergebnisse<br />

die „Überlegenheit“ der „bewegten“ Schülerinnen und<br />

Schüler belegen.<br />

Einen ganz anderen Weg <strong>für</strong> die empirische Erhebung will die REGENS-<br />

BURGER PROJEKTGRUPPE gehen: „Es geht um die Bestimmung der Differenz<br />

zwischen einer fachdidaktischen Anspruchsebene und einer Ebene schulischer<br />

Wirklichkeit“ (1999, 8). Im Mittelpunkt der Untersuchungsmetho<strong>den</strong> stehen<br />

qualitative Verfahren mit „leitfa<strong>den</strong>gestützten qualitativen Interviews von Lehrkräften,<br />

Gruppendiskussionen mit Schülern und Pausenhofbeobachtungen“<br />

(a.a.O., 9).<br />

Wenn die Integration von Bewegung in <strong>den</strong> Schulalltag vor allem die<br />

ganzheitliche Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fördern soll, dann<br />

scheint es problematisch zu sein, mit Hilfe ausgewählter motorischer Tests nachzuweisen,<br />

dass sich die „muskuläre Leistungsfähigkeit beim Matthiaß-Test und<br />

beim Test <strong>für</strong> die Kraft der Bauchmuskulatur“ verbessert hat (BREITHECKER<br />

1998a, 114). Zumindest sollte ein solches Ergebnis in einen übergeordneten<br />

Rahmen eingefügt wer<strong>den</strong>, so daß deutlich wird, dass die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> nicht


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

nur einen Nachweis <strong>für</strong> <strong>den</strong> Ausgleich eines eng umrissenen Haltungsdefizits<br />

liefert.<br />

Ein anderes Problem besteht in der vermeintlich notwendigen Absicherung<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> als innovatives <strong>Konzept</strong> durch empirische Untersuchungen.<br />

Gegen dieses Argument spricht die Tatsache, dass auch andere <strong>Konzept</strong>e<br />

oder Überlegungen <strong>für</strong> die <strong>Schule</strong> oder <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong> bisher keiner empirischen<br />

Absicherung unterzogen wor<strong>den</strong> sind. Und keineswegs kann man<br />

behaupten, dass beispielsweise die Einführung eines <strong>neue</strong>n <strong>Konzept</strong>es <strong>für</strong> <strong>den</strong><br />

Sportunterricht auf einer empirischen Überprüfung beruhen würde und erst<br />

nach dessen erfolgreichem „Bestehen“ verwendet wor<strong>den</strong> ist.<br />

Die immer wieder geforderten empirischen Untersuchungen (vgl. BALZ<br />

1999, 421) verursachen weitere Schwierigkeiten. Die mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong><br />

verbun<strong>den</strong>en Zielsetzungen sind dermaßen komplex, dass nur einzelne Ziele herausgenommen<br />

und empirisch untersucht wer<strong>den</strong> können. Welche Ziele sollen das<br />

sein? In welchem Bedeutungszusammenhang stehen sie mit anderen Zielen? Begrenzt<br />

man die Auswahl auf diejenigen Ziele, <strong>für</strong> die es quantitative Messinstrumente<br />

und Messverfahren gibt, wird man der Ganzheitlichkeit der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> nicht gerecht und läuft Gefahr, eher unwichtige Teilaspekte zu erfassen.<br />

In der Lehrplandiskussion besteht Einigkeit darüber, dass <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong><br />

nicht nur die Ziele ausgewählt wer<strong>den</strong> dürfen, die sich unproblematisch operationalisieren<br />

und deren Erreichen sich ohne größere Schwierigkeiten erfassen<br />

lässt. Die Situation ist hier ähnlich.<br />

Die vorliegen<strong>den</strong> Pilotprojekte oder Modellversuche fin<strong>den</strong> in einer, zwei<br />

oder höchstens drei Schulklassen statt. Sie haben ihre jeweils eigenen Zielsetzungen<br />

und Evaluationsverfahren, wenn <strong>den</strong>n solche überhaupt durchgeführt<br />

wor<strong>den</strong> sind. Eine Verallgemeinerung der individuellen Ergebnisse einer oder<br />

zwei „<strong>Bewegte</strong>r Schulklassen“ auf andere <strong>Schule</strong>n oder gar Bundesländer ist keinesfalls<br />

zulässig. Dieser Hinweis gilt <strong>für</strong> die quantitativen Untersuchungen ebenso<br />

wie <strong>für</strong> die qualitativen. Und das bedeutet, dass die Evaluationsprozesse und<br />

Ergebnisse ihre Bedeutung in erster Linie <strong>für</strong> jede Schulklasse und <strong>Schule</strong> haben,<br />

in der sie tatsächlich durchgeführt wor<strong>den</strong> sind. Sie sollten also der individuellen<br />

Überprüfung und Absicherung der Arbeit in der jeweiligen <strong>Schule</strong> oder<br />

sogar Schulklasse dienen und nicht dem von vornherein zum Scheitern verurteilten<br />

Versuch, verallgemeinerbare und repräsentative Ergebnisse zu produzieren.<br />

Daraus sollte die Schlussfolgerung gezogen wer<strong>den</strong>, dass sich jede <strong>Schule</strong>,<br />

die sich mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> auseinander setzt, in Zusammenhang mit der<br />

inhaltlichen Planung ihrer <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> auch darüber Gedanken machen sollte,<br />

wie sich ihre Arbeit auf die einzelnen Schulklassen und die gesamte <strong>Schule</strong><br />

auswirkt und wie sie diese Auswirkungen erfassen will. <strong>Das</strong> scheint mir sinnvollerweise<br />

nur im „Rahmen einer qualitativen Alltagsforschung“ (BALZ 1999, 421)<br />

möglich zu sein. Der Untersuchungsgegenstand muss sich dann zunächst auf <strong>den</strong><br />

tatsächlich bearbeiteten Baustein der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> mit seinen jeweils speziellen<br />

Auswirkungen beziehen. Eine enge Beziehung zu <strong>den</strong> vorab festgelegten<br />

Zielvorstellungen, die mit dem jeweiligen Baustein verwirklicht wer<strong>den</strong> sollen,


Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

ist selbstverständlich herzustellen.<br />

Die Personen, die sich an einer <strong>Schule</strong> oder in einer Schulklasse mit Bausteinen<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> beschäftigen, sollten also selbst untersuchen, welche Auswirkungen<br />

und Konsequenzen ihre Arbeit hat. Dabei geht es um verschie<strong>den</strong>e<br />

Zielperspektiven und Personengruppen – aber immer unter Zugrundelegung subjektiver,<br />

alltagstauglicher Verfahren der Selbstevaluation, die in Gesprächen und<br />

durch subjektive Beobachtungen erfasst wer<strong>den</strong>:<br />

● Diskussionen unter Lehrkräften über kollegiumsinterne Konsequenzen:<br />

Welche Auswirkungen hat die Arbeit mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>für</strong> uns selbst? Haben<br />

wir mehr Verständnis <strong>für</strong>einander gefun<strong>den</strong>? Haben wir durch die Diskussion<br />

über unsere <strong>Schule</strong> und unsere Schülerinnen und Schüler unsere Kenntnisse<br />

und Einstellungen erweitert? Haben wir <strong>neue</strong> Einsichten über unsere pädagogischen<br />

Aufgaben gewonnen? usw.<br />

● Diskussionen unter Lehrkräften über Auswirkungen <strong>für</strong> Schülerinnen und<br />

Schüler; hier sollte unterschie<strong>den</strong> wer<strong>den</strong> zwischen solchen Auswirkungen, die<br />

in direktem Zusammenhang mit der Verwirklichung eines Bausteines der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> stehen, und solchen, die von allgemeiner Bedeutung sind:<br />

● Baustein Pausenhofgestaltung: Ist die Zahl der Unfälle zurückgegangen? Gehen<br />

die Kinder mit größerer Lust in die Pause? Ist ihr Bewegungsverhalten sicherer<br />

gewor<strong>den</strong>? Wer<strong>den</strong> die Pausen bewegungsintensiver gestaltet? Ist ihr Verhalten<br />

auf dem Pausenhof mit anderen Schüler/innen freundschaftlicher gewor<strong>den</strong>?<br />

Fühlen sich die Schüler enger mit ihrer <strong>Schule</strong> verbun<strong>den</strong>, nachdem sie<br />

an der Pausenhofgestaltung beteiligt waren? Gehen sie pfleglicher mit <strong>den</strong> aufgestellten<br />

Geräten um? usw.<br />

● Allgemeine Auswirkungen: I<strong>den</strong>tifizieren sich die Schüler/innen mehr mit ihrer<br />

<strong>Schule</strong>? Hat sich das Sozialverhalten in der Schulklasse verbessert? Ist die<br />

Zahl der Freundschaften in der Klasse gestiegen? Treten weniger Disziplinprobleme<br />

auf? Haben aggressive Verhaltensweisen unter <strong>den</strong> Schülern nachgelassen?<br />

Sind die Schulleistungen gestiegen? Haben die Schüler/innen gelernt, sich<br />

bei ihrer Arbeit besser zu konzentrieren? Gehen die Schüler/innen lieber zur<br />

<strong>Schule</strong>? Hat sich das Verhältnis zwischen Schüler/innen und Lehrkräften verbessert?<br />

usw.<br />

● Diskussionen mit <strong>den</strong> Eltern über Auswirkungen bei ihren Kindern:<br />

Haben die Eltern Veränderungen im Bewegungsverhalten ihrer Kinder bemerkt,<br />

z.B. in Bezug auf Sicherheit, mehr Bewegungsaktivität? Ist die Schullust größer<br />

gewor<strong>den</strong>? I<strong>den</strong>tifizieren sich die Kinder mit ihrer <strong>Schule</strong>? Wie sprechen die Kinder<br />

über die in ihrer <strong>Schule</strong> durchgeführten Veränderungen? Machen die Kinder<br />

ihre Schulaufgaben konzentrierter? Wie sprechen die Kinder über ihre<br />

Beziehungen zur <strong>Schule</strong> und <strong>den</strong> Lehrkräften? Ist der Umgang mit Freundinnen


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

und Freun<strong>den</strong> freundlicher / weniger aggressiv gewor<strong>den</strong>? usw.<br />

● Ein ganz anderes Mittel der Erkenntnisgewinnung zusätzlich zu Gesprächen<br />

und Beobachtungen sind Aufsätze und damit schriftliche Äußerungen der Schülerinnen<br />

und Schüler: Was habe ich in der Großen Pause gemacht?. Wie stelle ich<br />

mir unseren Pausenhof vor?<br />

● Schließlich können die Ergebnisse der Umgestaltung von Räumlichkeiten innerhalb<br />

und außerhalb der <strong>Schule</strong> zu Evaluationszwecken herangezogen wer<strong>den</strong>.<br />

Die Qualitätsmaßstäbe wer<strong>den</strong> sich vor allem auf elementare Veränderungen beziehen:<br />

ist eine Ruhezone Teil der Außengestaltung? Sind die Bewegungsinteressen<br />

der älteren Schülerinnen und Schüler berücksichtigt wor<strong>den</strong>? Sind die Bewegungsangebote<br />

vielfältig gestaltet?<br />

In Zusammenhang mit <strong>den</strong> beschriebenen Verfahren der Selbstevaluation<br />

ist zu beachten, dass die Erfassung der vermuteten Auswirkungen erst nach<br />

Ablauf bestimmter Zeitspannen möglich ist. Es ist klar, dass der Pausenhof erst<br />

umgestaltet sein muss, bevor untersucht wer<strong>den</strong> kann, ob sich das Bewegungsverhalten<br />

der Kinder verändert hat. Ein weiteres Problem ist darin zu sehen, dass<br />

es unter Umstän<strong>den</strong> äußerst schwierig sein kann, die beobachteten Veränderungen<br />

auch tatsächlich auf die Umsetzung eines der Bausteine der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> zurückzuführen. Auch andere Einflüsse außerhalb der <strong>Schule</strong> auf das Bewegungsverhalten<br />

der Schülerinnen und Schüler können <strong>für</strong> das veränderte Verhalten<br />

verantwortlich sein. <strong>Das</strong> gilt vor allem dann, wenn allgemeine Verhaltensänderungen<br />

vermutet wer<strong>den</strong>, wie z.B. das Sozialverhalten unter <strong>den</strong> Schülerinnen<br />

und Schülern.<br />

„Insofern dürften bei allem Engagement eine gewisse Vorsicht, Ausgewogenheit<br />

und Beschei<strong>den</strong>heit hinsichtlich der Bedeutung, die der bewegten<br />

<strong>Schule</strong> gegenwärtig und zukünftig beigemessen wird, angezeigt sein“ (REGENS-<br />

BURGER PROJEKTGRUPPE 1999, 9).<br />

Die wissenschaftliche Begleitung einer „<strong>Schule</strong> in Bewegung“ hat die Aufgaben,<br />

● Den Entstehungs- und Umsetzungsprozess an einer einzelnen <strong>Schule</strong> zu unterstützen<br />

● Außerdem sollte sie bereits in einem frühen Stadium der Aufnahme der Arbeit<br />

an der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> die Selbstevaluation der Beteiligten mit guten Argumenten<br />

anregen und<br />

● inhaltliche und methodische Hinweise <strong>für</strong> deren Durchführung geben.<br />

Nur dann kann es gelingen, dass sich jede <strong>Schule</strong> in eigener Verantwortung selbst<br />

darüber Rechenschaft ablegt, ob sich ihre Beteiligung an dem Projekt gelohnt<br />

hat und ob die erwarteten Auswirkungen <strong>für</strong> die Schülerinnen und Schüler<br />

tatsächlich eingetreten sind.<br />

Quantitative empirische Untersuchungen, die von Außenstehen<strong>den</strong><br />

durchgeführt wer<strong>den</strong>, sollten sich auf formale Begleitumstände bzw. Durchführungsmodalitäten<br />

und nicht auf die Ziele und Inhalte der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>


und deren Umsetzung beziehen. Dabei können folgende Fragen berücksichtigt<br />

wer<strong>den</strong>: Ist die Initiative <strong>für</strong> die Arbeit mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> durch die Teilnahme<br />

einer Lehrkraft an einer Lehrerfortbildungsveranstaltung / einen Zeitungsbericht<br />

/ <strong>den</strong> persönlichen Einsatz einer Lehrkraft entstan<strong>den</strong>? Hat es im<br />

Kollegium eine Diskussion und gemeinsame Entscheidung über die Aufnahme der<br />

Arbeit gegeben? Mit welchem Baustein ist die Arbeit begonnen wor<strong>den</strong>? Gibt es<br />

eine weiter gehende Perspektive <strong>für</strong> die Fortsetzung der Arbeit, die auch andere<br />

Bausteine mit einschließt? Ist eine Arbeitsgruppe gebildet wor<strong>den</strong>? Wie setzt<br />

sich diese Arbeitsgruppe zusammen? Wie häufig trifft sich die Arbeitsgruppe?<br />

Ist die Beschaffung von Finanzen erforderlich gewor<strong>den</strong>? Durch wen ist die Finanzierung<br />

erfolgt? Ist die Arbeit durch das Kollegium / die Elternschaft / die<br />

Schülerschaft positiv aufgenommen / unterstützt wor<strong>den</strong>?<br />

Ähnlich problematisch wie die hohen Erwartungen an die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong><br />

ist die äußerst positive Darstellung der Ergebnisse der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong>, die<br />

im Übrigen nicht unbedingt empirisch nachgewiesen wer<strong>den</strong>: „Hier die Ergebnisse<br />

unserer Projektarbeit ... zusammengefasst in 19 wesentlichen Punkten“<br />

(GUGEL 1994, 35). Vom deutlichen „Anstieg der Motivation“ über die „positive<br />

Veränderung des Sozialverhaltens“, „Abbau von Aggressivität und Egoismus,<br />

„Steigerungen der Leistungen in Rechtschreiben, Mathematik ... in der Sachund<br />

Heimatkunde“, „Verbesserung des Notendurchschnitts“ bis zu „Der TV-Konsum<br />

ging deutlich zurück“ (a.a.O. 35–37). Nicht nur hier wird der Eindruck erweckt,<br />

als sei die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> ein Allheilmittel oder eine Wunderdroge (vgl.<br />

KRÜGER 1999, 327), die aus der traditionellen <strong>Schule</strong> eine ideale Vorzeigeschule<br />

macht. Die vielen komplexen positiven Ergebnisse können <strong>für</strong> Lehrkräfte, die<br />

sich mit der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> beschäftigen wollen, auch erschlagend sein, überfordern<br />

und Irritationen auslösen.<br />

9. Ist die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> ein Spezifikum<br />

der Grundschule?<br />

Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

Gegenwärtig ist „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ beinahe<br />

i<strong>den</strong>tisch mit „<strong>Bewegte</strong> Grundschule“<br />

(a.a.O., 328). Erfahrungen mit<br />

der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> in weiterführen<strong>den</strong><br />

<strong>Schule</strong>n stehen weitestgehend<br />

aus. <strong>Das</strong> bedeutet nicht, dass es <strong>für</strong> ei-<br />

ne <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> nach der Grundschule bis zum Ende des Gymnasiums und der<br />

Berufsbil<strong>den</strong><strong>den</strong> <strong>Schule</strong> keine guten Argumente geben würde: Die <strong>für</strong> die Kinder<br />

an Grundschulen festgestellten Defizite (Haltungsschwächen, Unkonzentriertheit,<br />

Übergewicht, Aufmerksamkeitsstörungen, Stress, Aggressivität usw.) haben<br />

i.a. auch <strong>für</strong> die älteren Schülerinnen und Schüler der weiterführen<strong>den</strong><br />

<strong>Schule</strong>n Gültigkeit. In der Diskussion über Ziele und Inhalte, Auswahl der Bausteine<br />

und auch über altersgemäße praktische Formen der Umsetzung besteht<br />

ein großer Nachholbedarf.<br />

Vor allem die fachdidaktischen Überlegungen <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Bewegte</strong>n Unterricht<br />

zeigen die Beschränkung auf die Grundschule in aller Deutlichkeit: Die Beispiele<br />

aus dem Deutschunterricht, Mathematikunterricht, Englischunterricht


<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>: <strong>Das</strong> <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong>?<br />

usw. zeigen, wie vor allem Schulanfänger mit Bewegung fachbezogen lernen<br />

können (vgl. NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM 1999, Kapitel 3). Aber<br />

auch Bewegungsspiele während der Unterrichtspausen und zwischen <strong>den</strong> einzelnen<br />

Schulstun<strong>den</strong> sind im Wesentlichen <strong>für</strong> Kinder im Grundschulalter ausgewählt.<br />

Damit soll keineswegs die große Bedeutung der Integration von Bewegung<br />

in <strong>den</strong> Schulalltag von Grundschüler/innen angezweifelt wer<strong>den</strong>. Problematisch<br />

ist jedoch die einseitige Ausrichtung der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> auf die<br />

Grundschule, die nicht <strong>den</strong> Autoren und Autorinnen angelastet wer<strong>den</strong> darf, die<br />

sich mit der Grundschule beschäftigt haben.<br />

In der schulischen Realität zumindest im Bundesland Niedersachsen benutzen<br />

Schülerinnen und Schüler der Grundschule und der Orientierungsstufe<br />

(Klassen 5 und 6), aber gelegentlich auch der Hauptschule, <strong>den</strong> Pausenhof gemeinsam.<br />

Die Gestaltung des Außengeländes als ein Baustein der <strong>Bewegte</strong>n<br />

<strong>Schule</strong> kann sich dann nicht auf die Grundschule reduzieren, sondern muss<br />

zwangsläufig auch die Klassen 5 – 10 einbeziehen. <strong>Das</strong> schließt nicht aus, dass<br />

die besonderen Bedürfnisse der Jüngeren durch entsprechende Spiel- und Bewegungsangebote<br />

unbedingt zu berücksichtigen sind. An diesem Beispiel wird<br />

die notwendige Ausdehnung der <strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> auf weiterführende <strong>Schule</strong>n<br />

deutlich.<br />

Auch <strong>für</strong> junge Menschen in <strong>den</strong> Klassen 11 – 13 der Gymnasien und Berufsbil<strong>den</strong><strong>den</strong><br />

<strong>Schule</strong>n sollte Bewegung eine größere Rolle spielen und zu einem<br />

Bestandteil des Schulalltags wer<strong>den</strong>. Die Begründungen <strong>für</strong> eine „<strong>Bewegte</strong> Oberstufe“<br />

unterschei<strong>den</strong> sich nur graduell von <strong>den</strong> Argumenten <strong>für</strong> die <strong>Bewegte</strong><br />

Grundschule, allerdings müssen <strong>neue</strong> inhaltliche Schwerpunkte <strong>für</strong> die entwicklungs-<br />

und altersgemäße Bewegungsförderung entwickelt wer<strong>den</strong>. Bausteine einer<br />

<strong>Bewegte</strong>n <strong>Schule</strong> <strong>für</strong> ältere Schülerinnen und Schüler könnten sein:<br />

● Die Gestaltung der Außenräume und des Schulgeländes,<br />

● Angebote <strong>für</strong> Spiel, Sport und Bewegung auf dem Pausenhof,<br />

● Durchführung von Bewegungspausen während des Unterrichts und<br />

● Sportunterricht sowie außerunterrichtlicher <strong>Schulsport</strong><br />

Die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> sollte ein Anliegen <strong>für</strong> alle Schülerinnen und Schüler sein -<br />

unabhängig von Schulart und Alter.<br />

10. Schlussbemerkungen<br />

und<br />

Zusammenfassung<br />

Unter sorgfältiger Abwägung der gegenwärtigen<br />

Diskussion um die <strong>Bewegte</strong><br />

<strong>Schule</strong> wer<strong>den</strong> die folgen<strong>den</strong><br />

Hinweis gegeben:<br />

Die <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> sollte<br />

● nicht als das <strong>neue</strong> <strong>Konzept</strong> und Allheilmittel <strong>für</strong> <strong>den</strong> <strong>Schulsport</strong> und <strong>für</strong><br />

Bewegung in der <strong>Schule</strong> verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong><br />

● mit realistischen und erfüllbaren Erwartungen, Zielen und Auswirkungen<br />

verbun<strong>den</strong> und darf nicht überhöht wer<strong>den</strong><br />

● als Chance verstan<strong>den</strong> wer<strong>den</strong>, alle an der <strong>Schule</strong> beteiligten Personen in


Lernen mit Kopf, Herz und Hand<br />

eine allgemeine Diskussion über <strong>Schule</strong>, Erziehung und Bewegung einzubeziehen<br />

und gemeinsam an der Entwicklung und Verwirklichung pädagogischer Grundideen<br />

und der Bewegungsförderung zu arbeiten<br />

● helfen, dass Schülerinnen und Schüler ihre <strong>Schule</strong> als attraktiven und humanen<br />

Ort erleben, in dem sie nicht nur lernen, sondern auch einen wichtigen Teil<br />

ihres Lebens verbringen<br />

● dazu beitragen, dass Schülerinnen und Schüler Bewegungsaktivitäten zu<br />

einem Alltagsprinzip machen<br />

● ein mögliches Profil der Schulprogrammentwicklung sein<br />

● ihre wissenschaftliche Begleitung mit <strong>den</strong> Mitteln der Alltagsforschung auf die<br />

jeweilige <strong>Schule</strong> und sogar einzelne Schulklasse bezogen in die eigene Hand<br />

nehmen<br />

● möglichst viele Schulklassen und <strong>Schule</strong>n erreichen und<br />

● auf alle Jahrgangsstufen ausgeweitet wer<strong>den</strong>.<br />

Literaturverzeichnis:<br />

BALZ, E.: Die bewegte <strong>Schule</strong> – <strong>Konzept</strong> und Kritik. In: Sportunterricht (1999),<br />

Heft 10, S. 417 – 422.<br />

BREITHECKER, D.: In die <strong>Schule</strong> kommt Bewegung – Sinnes- und bewegungsaktives<br />

Lehren und Lernen im Lebensraum <strong>Schule</strong>. In: ILLI, U. / D. BREITHECKER /<br />

S. MUNDIGLER (Hrsg.): <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> – Gesunde <strong>Schule</strong>. Zürich, Wiesba<strong>den</strong>,<br />

Graz 1998, S. 29 – 41.<br />

BREITHECKER, D.: Erkundungsstudie zur Effizienz des „bewegten“ Unterrichts.<br />

In: ILLI, U. / D. BREITHECKER / S. MUNDIGLER (Hrsg.): <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> – Gesunde<br />

<strong>Schule</strong>. Zürich, Wiesba<strong>den</strong>, Graz 1998a, S. 103 – 116.<br />

GUGEL, H.: „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> – gesunde <strong>Schule</strong>“ Schlußbericht des Pilotprojektes in<br />

March-Holzhausen". In: Haltung und Bewegung (1994), Heft 2, S. 35 – 37.<br />

ILLI, U.: <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong> – Die Bedeutung und Funktion der Bewegung als Beitrag zu<br />

einer ganzheitlichen Gesundheitsbildung im Lebensraum <strong>Schule</strong>.<br />

In: Sportunterricht (1995), Heft 10, S. 404 – 415.<br />

KAHL, H.: Bewegungsförderung im Unterricht – Einfluß auf Konzentration, Verhalten<br />

und Beschwer<strong>den</strong> (Befin<strong>den</strong>) - Evaluationsergebnisse.<br />

In: Haltung und Bewegung (1993), Heft 2, S. 36 – 42.<br />

KLUPSCH-SAHLMANN, R.: <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>.<br />

In: Sportpädagogik 1995, Heft 6, S. 14 – 22.<br />

KRÜGER; M.: Wieviel Bewegung bringt die „<strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>“ ?<br />

In: Sportunterricht (1999), Heft 8, S. 324 – 329.<br />

MÜLLER, C.: Pädagogisches <strong>Konzept</strong> „<strong>Bewegte</strong> Grundschule“.<br />

In: Grundschulunterricht (1998), Heft 4, S. 2 – 5.<br />

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM (Hrsg.): Schulprogrammentwicklung und<br />

Evaluation – Stand, Perspektiven und Empfehlungen. Hannover 1998.<br />

NIEDERSÄCHSISCHES KULTUSMINISTERIUM / TECHNIKER KRANKENKASSE LV<br />

NIEDERSACHSEN (Hrsg.): <strong>Bewegte</strong> <strong>Schule</strong>. Hannover 1999.<br />

REGENSBURGER PROJEKTGRUPPE: Die bewegte <strong>Schule</strong> – Anspruch und Wirklichkeit.<br />

In: Sportpädagogik (1999), Heft 1, S. 3 – 10.<br />

Prof. Dr. Jürgen Schröder<br />

Universität Göttingen<br />

– Institut <strong>für</strong><br />

Sportwissenschaften<br />

Sprangerweg 2<br />

37075 Göttingen<br />

Tel.: 0551 / 39 - 5680<br />

Fax: 0551 / 39 - 5659<br />

e-mail: jschroeder@<br />

sport.uni-goettingen.de

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