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Elmar Treptow<br />
Theorie und Praxis<br />
bei Hegel<br />
und den Junghegelianern
1<br />
Treptow<br />
Theorie und Praxis<br />
bei Hegel<br />
und den Junghegelianern
2<br />
Elmar Treptow<br />
Theorie und Praxis<br />
bei Hegel<br />
und den Junghegelianern<br />
<strong>Habilitationsschrift</strong>,<br />
von <strong>der</strong> Philosophischen <strong>Fakultät</strong><br />
<strong>der</strong> Ludwig-Maximilians-Universität München<br />
angenommen im Jahr 1971
3<br />
Paul Treptow, meinem Vater,<br />
gewidmet
4<br />
I n h a 1 t s v e r z e i c h n i s<br />
Vorwort......................................................................................................6<br />
I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von<br />
Theorie und Praxis ..........................................................................7<br />
1. Das Verhältnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von<br />
Geist und Willen.........................................................................7<br />
2. Die Mangelhaftigkeit, Einseitigkeit und Unfreiheit <strong>der</strong> Theorie<br />
und Praxis im Bereich <strong>der</strong> Endlichkeit ...............................19<br />
3. Die dialektische Einheit von Teleologie und Kausalität in<br />
<strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung .................................................27<br />
4. Theorie und Praxis als gesellschaftlich-geschichtlicher Prozess<br />
..........................................................................................31<br />
5. Die Konzeption <strong>der</strong> Praxis als konkreter Sittlichkeit .................36<br />
6. Der scheinbare Vorrang <strong>der</strong> Praxis gegenüber <strong>der</strong> Theorie........55<br />
7. Die Praxis und die endliche Theorie als Stufen auf dem<br />
Weg zur vollkommenen Subjekt-Objekt-Einheit in <strong>der</strong> absoluten<br />
Theorie.........................................................................65<br />
8. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> Vernunft in <strong>der</strong> politisch-historischen<br />
Praxis.......................................................................................74<br />
II. Heines Ableitung <strong>der</strong> revolutionären politisch-sozialen Praxis<br />
aus <strong>der</strong> philosophischen Theorie ...................................................83<br />
III. Cieszkowskis historiosophische Konzeption <strong>der</strong> Praxis als<br />
höchster Stufe des absoluten Geistes ............................................89<br />
IV. Strauß’ Umbildung <strong>der</strong> dialektischen Methode zur analytischen<br />
Kritik <strong>der</strong> religiösen Entfremdung......................................101
5<br />
V. Ruges radikaldemokratische Konzeption <strong>der</strong> Übersetzung <strong>der</strong><br />
philosophischen Theorie in die politische Praxis vermittels<br />
<strong>der</strong> Kritik ....................................................................................113<br />
VI. Bauers skeptizistische Konzeption <strong>der</strong> philosophischen Theorie<br />
als Funktion des menschlichen Selbstbewusstseins und<br />
Negation seiner Objektivationen ..................................................127<br />
VII. Stirners anarchistische Konzeption <strong>der</strong> egoistischen Revolte<br />
und des willkürlichen Denkens ...................................................145<br />
VIII. Feuerbachs sensualistische Konzeption <strong>der</strong> Praxis als Liebe<br />
und <strong>der</strong> Theorie als unmittelbarer Anschauung auf <strong>der</strong> Basis<br />
<strong>der</strong> Ich-Du-Beziehung .................................................................161<br />
IX. Marx’ Übergang von <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> zur Konzeption<br />
<strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> durch ihre Verwirklichung......186<br />
Zusammenfassung ...............................................................................221<br />
Anmerkungen.......................................................................................245<br />
Literaturverzeichnis..............................................................................335<br />
Personenverzeichnis Text (Seitenzahlen) ...............................................362<br />
Personenverzeichnis Anmerkungen (Endnotenzahlen)...........................368
6<br />
V o r w o r t<br />
Gegenstand <strong>der</strong> Untersuchung ist das Verhältnis von Theorie und Praxis<br />
im Denken Hegels und <strong>der</strong> Junghegelianer. Als „Junghegelianer" seien<br />
hier im weitesten Sinn des Wortes nicht nur D. F. Strauß, B. Bauer, Stirner<br />
und Ruge, son<strong>der</strong>n auch Heine, Cieszkowski, Feuerbach und <strong>der</strong> junge<br />
Marx bezeichnet, insofern sie alle den Auflösungsprozess des Hegelianismus<br />
repräsentieren. Die Analyse soll so weit wie möglich Hegels Grundsatz<br />
des Eingehens auf die Sache selbst und des Fernhaltens beliebiger von<br />
außen genommener Gesichtspunkte befolgen, ohne dass aber die Verwicklung<br />
mit <strong>der</strong> Sache die Versöhnung mit ihr ist.
7<br />
I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von<br />
Theorie und Praxis<br />
Der zentrale Aspekt bei <strong>der</strong> Untersuchung des Verhältnisses von Theorie<br />
und Praxis im Denken Hegels muss <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Freiheit sein. Er ist<br />
<strong>der</strong> Schlüssel, <strong>der</strong> den Zugang zur Hegelschen Konzeption von Theorie und<br />
Praxis öffnet. Es ist im einzelnen zu zeigen, wie <strong>für</strong> Hegel die verschiedenen<br />
Formen <strong>der</strong> Theorie und Praxis die stufenweise Verwirklichung <strong>der</strong><br />
Freiheit als Überwindung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes und damit als<br />
Aufhebung <strong>der</strong> Entfremdung zum Zweck haben, und wie die theoretischen<br />
und praktischen Vereinigungen von Subjekt und Objekt mit dem Vollbringen<br />
<strong>der</strong> Freiheit zugleich das Wahre und Gute realisieren.<br />
In Hinblick darauf ist zunächst zu klären (ohne dass auf eine vorliegende<br />
Abhandlung verwiesen werden könnte 1a ): wie verhalten sich grundsätzlich<br />
<strong>für</strong> Hegel Theorie und Praxis zueinan<strong>der</strong>?<br />
1. Das Verhältnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von Geist<br />
und Willen<br />
Theorie und Praxis bilden eine Einheit, die darin besteht, dass <strong>der</strong> Geist<br />
mit seiner Substanz, <strong>der</strong> Freiheit 1 , nur in die Existenz gelangt und sich<br />
durchsetzt im Willen und in dessen Realisierung. Der Wille ist <strong>der</strong> „praktische<br />
Geist“. 2 Das heißt: <strong>der</strong> Wille und seine Ausführung in <strong>der</strong> Handlung<br />
sind das im dialektischen Sinne an<strong>der</strong>e des Geistes, die Entäußerung o<strong>der</strong><br />
Objektivation des Geistes. Geist und Wille bedingen sich wechselseitig wie<br />
Inneres und Äußeres. 3 In formaler Hinsicht sind somit Geist und Wille<br />
„fundamentum“ und „terminus“ einer Relation, die die Struktur eines in<br />
sich zurückkehrenden Übergangs o<strong>der</strong> einer reflexiven Transzendenz hat.<br />
Das innere Geistige ist das allgemeine Mögliche, das erst durch den Willen<br />
und die praktische Tätigkeit des Menschen ins Wirkliche übersetzt<br />
wird: „Prinzip, so auch Grundsatz, Gesetz ist ein Allgemeines, Inneres, das<br />
als solches, so wahr es auch an ihm sei, nicht vollständig wirklich ist...<br />
was an sich erst ist, ist eine Möglichkeit, ein Vermögen, aber noch nicht<br />
aus seinem Innern zur Existenz gekommen. Es muss ein zweites Moment<br />
<strong>für</strong> ihre Wirklichkeit hinzukommen, und dies ist die Betätigung, Verwirkli-
8<br />
chung, und <strong>der</strong>en Prinzip ist <strong>der</strong> Wille, die Tätigkeit <strong>der</strong> Menschen überhaupt.“<br />
4<br />
Dieses dialektische Verhältnis von Geist und Willen ist nach Hegel im<br />
subjektiven, objektiven und absoluten Sinne zu verstehen: durch die individuellen<br />
Willenshandlungen verwirklicht sich sowohl die Freiheit des subjektiven,<br />
individuellen Geistes (im Lebenslauf des einzelnen Menschen) als<br />
auch des objektiven Volksgeistes (im Hervorbringen einer epochalen Stufe<br />
<strong>der</strong> Geschichte) sowie des absoluten Weltgeistes (im Vollbringen <strong>der</strong> Weltgeschichte),<br />
<strong>der</strong> wie<strong>der</strong>um – wenn auch verborgenerweise – vermittels des<br />
Volksgeistes und dessen Werken das substantielle, wesentliche Terrain <strong>der</strong><br />
Realisierung <strong>der</strong> Freiheit des individuellen Geistes ist.<br />
Geist und Wille bilden also keine getrennten Vermögen; und Hegel fasst<br />
ihre Wechselbeziehung nicht statisch, son<strong>der</strong>n dynamisch auf. Das heißt:<br />
die Bewegung des Geistes läuft nicht selbständig neben dem Prozess <strong>der</strong><br />
praktischen Tätigkeit her, baut sich auch nicht äußerlich hierarchisch über<br />
ihm auf, son<strong>der</strong>n ist in ihn einbezogen. Zunächst durchdringen sich<br />
theoretische und praktische Tätigkeit auf <strong>der</strong> Stufe und im Wirkungskreis<br />
des subjektiven, individuellen Geistes. Isoliert betrachtet, richtet sich die<br />
individuelle theoretische Tätigkeit, sofern sie von <strong>der</strong> Anschauung und<br />
Vorstellung zum Denken aufsteigt, auf das Innere, Rationale, Allgemeine<br />
und Unendliche; dagegen bleibt die individuelle praktische Tätigkeit als<br />
solche, die sich nicht zum allgemeinen objektiven Willen erhoben hat, auf<br />
das Äußere, Sinnliche, Beson<strong>der</strong>e und Endliche <strong>der</strong> Wirklichkeit beschränkt.<br />
Aber in Wahrheit stehen die individuelle theoretische und praktische<br />
Tätigkeit in untrennbarer Einheit.<br />
Es gibt nämlich keine Intelligenz ohne Willen; denn „indem wir denken,<br />
sind wir eben tätig. Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die Form des<br />
Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermitteltes, durch unsere Tätigkeit<br />
Gesetztes “ 5<br />
Auf welche Weise die theoretischen Erkenntnisse praktisch vermittelt<br />
werden, ist unten in Verbindung mit dem Problem <strong>der</strong> Vergegenständlichung<br />
darzustellen. Dass erst auf <strong>der</strong> Grundlage des Willens die theoretische<br />
Distanz zu den Objekten möglich ist, wird deutlich werden aus <strong>der</strong><br />
Charakterisierung des Willens als Triebhemmung. Wenn Hegel sagt, in <strong>der</strong><br />
Tätigkeit des Denkens finde sich das Moment des Willens, so sei dieser
9<br />
Zusammenhang zunächst erläutert durch den Hinweis darauf, dass wir<br />
unverkennbar unseren Willen auf theoretische Überlegungen konzentrieren<br />
und absichtlich allgemeine gedankliche Inhalte einprägen und lernen<br />
sowie reproduzieren können.<br />
Ebenso ist nach Hegels Einsicht umgekehrt die Praxis untrennbar von<br />
<strong>der</strong> theoretischen Tätigkeit: wesentlich <strong>für</strong> den Willen und jede Willenshandlung<br />
ist die Zielstrebigkeit, das bewusste Innehaben des Zweckes <strong>der</strong><br />
Handlung: „... <strong>der</strong> Wille hält das Theoretische in sich: <strong>der</strong> Wille bestimmt<br />
sich; diese Bestimmung ist zunächst ein Inneres: was ich will, stelle ich<br />
mir vor, ist Gegenstand <strong>für</strong> mich.“ 6 Hierbei ist das „Vorstellen“ im weitesten<br />
Wortsinne zu verstehen; das geistig antizipierte Resultat kann nämlich<br />
außer in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Vorstellung im engeren Sinne – <strong>der</strong> sinnlichen Vorstellung<br />
- auch in <strong>der</strong> Form des Gedankens auftreten.<br />
Mehrere Bewusstseinsmomente und differenzierte Operationen wie Abwägen<br />
<strong>der</strong> Konsequenzen <strong>der</strong> Handlung, Kollidieren <strong>der</strong> Motive, Treffen<br />
einer Wahl, Hegen einer Absicht und Fassen eines Vorsatzes und Entschlusses<br />
sind innere, intellektuelle Bestandteile einer komplizierten Willenshandlung<br />
vor ihrer Durchführung.<br />
Die Willenshandlung ist die spezifisch menschliche Handlung. Im Gegensatz<br />
zu ihr sind in <strong>der</strong> unwillkürlichen Trieb- o<strong>der</strong> Impulshandlung, die<br />
ebenfalls wie die Willenshandlung einen Zustand des Bedürfnisses und<br />
Mangels zu negieren sucht, die angestrebten Gegenstände nicht als Ziel<br />
bewusst geworden: das Gefühl hat überhaupt „noch keine Gegenständlichkeit“,<br />
ist ein bestimmter Zustand des Subjekts, <strong>der</strong> Trieb dagegen ist<br />
zwar gegenständlich, aber bewusstlos, <strong>der</strong> Wille schließlich ist sowohl gegenständlich<br />
als auch bewusst.<br />
Das Tier bleibt in seiner reaktiven situationsbedingten Lebenstätigkeit<br />
dem Trieb verhaftet; <strong>der</strong> Mensch weiß im Trieb nicht, was er will. Aber<br />
durch die Reflexion auf den Trieb erkennt er ihn als beschränkt, hebt sich<br />
von ihm ab und geht über ihn hinaus. Die Reflexion vergleicht den Trieb<br />
mit den Mitteln seiner Befriedigung, die Mittel und Triebe untereinan<strong>der</strong><br />
und die Triebe mit den Hauptzwecken des menschlichen Wesens. 7<br />
Auf Grund <strong>der</strong> Hemmung <strong>der</strong> Triebe, <strong>der</strong> zielgerichteten Willenshaltung<br />
und <strong>der</strong> Möglichkeit, von allem gegebenen Inhalt willentlich zu abstrahie-
10<br />
ren, gewinnt <strong>der</strong> Mensch freie Distanz („Weltoffenheit“) gegenüber den Gegenständen<br />
<strong>der</strong> Natur und Gesellschaft und vermag infolgedessen auf sie<br />
mit Überlegung und Auswahl einzuwirken.<br />
Die willenlosen, trieb- und instinktgeleiteten Tiere dagegen sind mit <strong>der</strong><br />
Natur nicht entzweit und somit von <strong>der</strong> Umwelt unmittelbar abhängig und<br />
determiniert Sie passen sich <strong>der</strong> Natur, ohne sie entsprechend ihren Bedürfnissen<br />
zu verän<strong>der</strong>n, an und assimilieren sie direkt. Sie sind, wie Hegel<br />
sagt, nicht ausgeschlossen von den „Eleusischen Mysterien <strong>der</strong> Ceres<br />
und des Bacchus“ über die Nichtigkeit <strong>der</strong> sinnlichen Dinge; denn sie „langen...<br />
ohne weiteres zu und zehren sie auf.“ 8<br />
Grundlegend ist Hegels Einsicht, dass <strong>der</strong> Mensch nicht unmittelbar<br />
von Natur selbständiges freies Subjekt ist, son<strong>der</strong>n dies erst in einem<br />
praktisch-theoretischen Vermittlungs- und Bildungsprozess werden kann.<br />
Das Tier „kann zwischen seinen Trieb und dessen Befriedigung nichts einschieben;<br />
es hat keinen Willen, kann die Hemmung nicht vornehmen. Das<br />
Erregende fängt bei ihm im Innern an und setzt eine immanente Ausführung<br />
voraus. Der Mensch aber ist nicht darum selbständig, weil die Bewegung<br />
in ihm anfängt, son<strong>der</strong>n weil er die Bewegung hemmen kann und<br />
also seine Unmittelbarkeit und Natürlichkeit bricht. - Denken, dass er Ich<br />
ist, macht die Wurzel <strong>der</strong> Natur des Menschen aus. Der Mensch ist als<br />
Geist nicht ein Unmittelbares, son<strong>der</strong>n wesentlich ein in sich Zurückgekehrtes...<br />
er ist also das, wozu er sich durch seine Tätigkeit macht. Erst<br />
das in sich Zurückgekehrte ist das Subjekt...“ 9<br />
Die praktische Selbständigkeit und Selbstbestimmung des Menschen<br />
sind also bedingt durch die theoretische Selbsterkenntnis, indem die Beherrschung<br />
und Regulierung <strong>der</strong> Triebe zur Voraussetzung hat das Bewusstsein<br />
und Selbstbewusstsein, d. h. das Bewusstsein des Menschen<br />
als Ich o<strong>der</strong> Subjekt, wie auch umgekehrt die selbstbewusste theoretische<br />
Tätigkeit bedingt ist durch die Hemmung <strong>der</strong> Triebe und die willentliche<br />
Selbstbestimmung.<br />
Wie Hegel hervorhebt, sind die natürlichen Bedürfnisse, die Weisen ihrer<br />
willentlich-praktischen Befriedigung und die Mittel hier<strong>für</strong> beim Menschen<br />
im Gegensatz zum Tier nicht konstant und einfach, son<strong>der</strong>n sie differenzieren,<br />
multiplizieren, komplizieren und spezialisieren sich in einem<br />
unendlichen Prozess. 10 In dessen Verlauf geraten die Menschen im „Sys-
11<br />
tem <strong>der</strong> Bedürfnisse“ <strong>der</strong> „bürgerlichen Gesellschaft“ in <strong>der</strong> Weise in wechselseitige<br />
Abhängigkeit, dass ihre Verhältnisse schließlich – weiter bedingt<br />
durch die „Ungleichheit des Vermögens und <strong>der</strong> Geschicklichkeiten <strong>der</strong><br />
Individuen“ – antagonistisch im „Übermaße des Reichtums“ und „Übermaße<br />
<strong>der</strong> Armut“ resultieren, wogegen Hegel Abhilfe erwartet von dem Welthandel,<br />
<strong>der</strong> Kolonisation und <strong>der</strong> Besteuerung <strong>der</strong> Reichen, aber vor allem<br />
von <strong>der</strong> durch den Bauern-, Handels- und Gewerbe- sowie Beamtenstand<br />
vermittelten Unterordnung <strong>der</strong> konkurrierenden selbstsüchtigen Privatinteressen<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft unter den Staat als Versöhnung des Individuellen<br />
und Allgemeinen. 11 – Durch die Auffassung von <strong>der</strong> gesellschaftlichgeschichtlichen<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Bedürfnisse unterscheidet sich Hegel<br />
grundlegend von <strong>der</strong>jenigen zeitgenössischen philosophischen Anthropologie,<br />
die dahin tendiert, natürliche Konstanten und invariante Strukturen<br />
des Menschen aufzusuchen und ihn eher als biologisches denn als geschichtliches<br />
Wesen zu betrachten. Für Hegel sind die Bedürfnisse des<br />
Menschen immer solche auf einer bestimmten Stufe <strong>der</strong> Entwicklung, ebenso<br />
wie die Welt des Menschen, in <strong>der</strong> er denkt und handelt, immer eine<br />
konkrete Welt des objektiven Geistes ist.<br />
Mit <strong>der</strong> Fundierung <strong>der</strong> Praxis in dieser geschichtlich orientierten Anthropologie<br />
knüpft Hegel unausgesprochen an Her<strong>der</strong> an. Für Her<strong>der</strong> ist <strong>der</strong><br />
Mensch „<strong>der</strong> erste Freigelassene“ <strong>der</strong> Natur; das Tier ist mit seinen Trieben<br />
in einer beschränkten artspezifischen Umwelt festgehalten; es „hat seinen<br />
Kreis, in den es von <strong>der</strong> Geburt an gehört.“ Der Mensch unterdrückt o<strong>der</strong><br />
sublimiert seine Triebe und emanzipiert sich von ihnen, sein Organismus<br />
ist mit Mängeln ausgestattet und verhältnismäßig unspezialisiert. („Seine<br />
Sinne und seine Organisation sind nicht auf Eins geschärft...“). Den Menschen<br />
leitet <strong>der</strong> „künstliche Instinkt“, die Vernunft. Statt in einer natürlichen<br />
Umwelt lebt er in einer – nur relativ stabilen – Kulturwelt. (Dies bedeutet,<br />
dass entgegen <strong>der</strong> Annahme von Verhaltensforschern speziell die<br />
menschliche Destruktivität im wesentlichen nicht aus <strong>der</strong> tierischen Aggressivität<br />
ableitbar ist.) Der Mensch ist von Natur wesentlich zur Vernunft,<br />
Freiheit und Humanität organisiert. Dementsprechend darf er „wählen,<br />
wenn er auch das Schlechteste wählte: er kann über sich gebieten,<br />
wenn er sich auch zum Niedrigsten aus eigener Wahl bestimmte.“ Das Wesen<br />
o<strong>der</strong> „die Natur“ des Menschen ist also nicht fertig und einfach vorgegeben,<br />
son<strong>der</strong>n geschichtlich aufgegeben und Resultat dessen, wozu <strong>der</strong>
12<br />
Mensch sich selbst verwirklicht und bestimmt, was aber objektive Möglichkeit<br />
bleibt und nicht im Belieben steht. „Der“ Mensch ist <strong>der</strong> Bildungsprozess<br />
des Menschen. „Die“ Vernunft ist kein fixes Vermögen, das <strong>der</strong><br />
Mensch hat, son<strong>der</strong>n sie ist „das fortgehende Werk <strong>der</strong> Bildung des<br />
menschlichen Lebens. Sie ist nicht angeboren...“ 12<br />
Unverkennbar ist die vielmals perhorreszierte Konzeption <strong>der</strong> Selbstverwirklichung<br />
des Menschen hier nicht entworfen aus prometheischer<br />
Überhebung, son<strong>der</strong>n auf Grund einer begründeten Analyse <strong>der</strong> geistigleiblichen<br />
Konstitution des Menschen.<br />
Diese Konzeption impliziert die Schlussfolgerung: die Ergründung dessen,<br />
wer <strong>der</strong> Mensch ist, ist keine rein theoretische, son<strong>der</strong>n auch eine<br />
praktisch-geschichtliche Frage.<br />
Daraus muss sich ergeben, dass die philosophischen Aussagen über<br />
den Menschen nicht in <strong>der</strong> Weise von wissenschaftlichen unbeteiligten<br />
Feststellungen über unmittelbar seiende Naturgegenstände, Dinge o<strong>der</strong><br />
„positive“ Fakten nur beinhalten, was <strong>der</strong> Mensch als Objekt ist, son<strong>der</strong>n<br />
zugleich auch, was <strong>der</strong> Mensch als Subjekt sein kann. Die philosophischen<br />
Aussagen über den Menschen for<strong>der</strong>n Anteil- und Stellungnahme<br />
heraus. Sie enthalten Elemente von Hinweisen <strong>für</strong> das Handeln. Sie lassen<br />
kein Sichabfinden mit den bestehenden „Fakten“ zu.<br />
Die philosophische Betrachtung des Menschen verliert damit die Möglichkeit,<br />
sich methodologisch einseitig an <strong>der</strong> Mathematik o<strong>der</strong> den Naturwissenschaften<br />
(die selbst nicht voraussetzungslos, son<strong>der</strong>n geschichtlich<br />
vermittelt sind) zu orientieren und zum Beispiel wie Spinoza „more geometrico“<br />
zu verfahren o<strong>der</strong> wie Kant einen „sichern Gang <strong>der</strong> Wissenschaft“<br />
zu erstreben.<br />
So wird ein – allerdings nicht geradliniger – Weg sichtbar von Her<strong>der</strong>s<br />
Bestimmung des Menschen zu Hegels Abgrenzung <strong>der</strong> Methode <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
von dem Verfahren des mathematischen Erkennens in <strong>der</strong> Vorrede<br />
<strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“: während das mathematische Erkennen<br />
seinem Gegenstande äußerlich bleibt, steht dagegen das philosophische<br />
Erkennen nicht in souveräner Zuschauerhaltung „über“ <strong>der</strong> Sache; das<br />
philosophische Erkennen gehört wesentlich zu seinem Inhalt und dessen<br />
geschichtlich-praktischer Bewegung (die als Entstehung des Wesens, des
13<br />
Inneren, im „Werden des Daseins“, des Äußeren, zugleich Aufhebung des<br />
Daseins und „das sich Zurücknehmen ins Wesen“, ins Innere, ist). 13 Die<br />
philosophische Wahrheit beweist sich demnach nicht nur als eine Form<br />
des erkennenden Subjekts, son<strong>der</strong>n auch als Moment im Dasein, d. h. als<br />
Existenzweise in dem geschichtlich-praktischen Prozess (<strong>der</strong> als relatives<br />
Moment die Unwahrheit einschließt).<br />
Die Wahrheit – wie die Freiheit – muss <strong>für</strong> Hegel weitgehend im Gegensatz<br />
zur philosophischen Überlieferung letzten Endes deshalb eine Obliegenheit<br />
<strong>der</strong> Praxis, nicht nur <strong>der</strong> Kontemplation, werden, weil er den Willen,<br />
die Sphäre <strong>der</strong> Praxis, als untrennbar vom Geist, als das im dialektischen<br />
Sinne an<strong>der</strong>e des Geistes, bestimmt.<br />
Hegels Konzeption <strong>der</strong> Einheit volitiver und intellektueller Momente in<br />
<strong>der</strong> individuellen zielgerichteten Handlung, eingebettet in die Verhältnisse<br />
des objektiven Geistes, ist nicht im „naturalistischen“ Sinne so aufzufassen,<br />
dass die Handlung zwar von bewussten Zielen gesteuert wird, diese<br />
Ziele aber wie<strong>der</strong>um ausschließlich bewusst gewordene Ausdrucksformen<br />
selbständiger natürlicher Bedürfnisse sind. Dies wäre eine Zurückführung<br />
des Denkens auf den Willen. Da aber Hegel umgekehrt den Willen als das<br />
an<strong>der</strong>e des Geistes bestimmt, gelten ihm konsequenterweise als Quellen,<br />
die die Willenshandlunng mobilisieren und determinieren, letztlich geistige<br />
Zwecke selbst. Die Selbständigkeit <strong>der</strong> natürlichen Bedürfnisse<br />
und ihrer Gegenstände ist <strong>für</strong> Hegel nur <strong>der</strong> (notwendige) Schein<br />
auf dem Standpunkt <strong>der</strong> Endlichkeit des subjektiven Geistes, <strong>der</strong> eine<br />
Entäußerungsstufe des absoluten Geistes ist. Der Mensch auf dem Standpunkt<br />
des subjektiven endlichen Geistes hat in seiner Tätigkeit, wenn<br />
auch ihm selbst verborgen, als Inhalt und Interesse den Geist selbst, <strong>der</strong><br />
sich in dem Selbstverständnis des Menschen ausdrückt. Indem <strong>der</strong><br />
Mensch „seine Triebe hemmen o<strong>der</strong> laufen lassen kann, handelt er nach<br />
Zwecken, bestimmt er sich nach dem Allgemeinen. Welcher Zweck ihm<br />
gelten soll, hat er zu bestimmen; er kann das ganz Allgemeine selbst zu<br />
seinem Zwecke setzen. Was ihn dabei determiniert, sind die Vorstellungen<br />
von dem, was er sei und was er wolle... Er kann sich so den einfachen<br />
Begriff zu seinem Zwecke machen, z.B. seine positive Freiheit.“ 14<br />
Das Selbstbewusstsein des Menschen kommt also nicht beiläufig zum<br />
Bewusstsein des Gegenstandes <strong>der</strong> Willenshandlung hinzu, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong>
14<br />
Bewusstseinserfahrung drückt sich wesentlich das Wissen des Menschen<br />
von sich aus. Indem <strong>für</strong> Hegel das Selbstbewusstsein das Wesen des Menschen<br />
ist (das sich in <strong>der</strong> praktischen Lebensführung entfaltet), ist seine<br />
Konzeption auch zu unterscheiden von einer Auffassung, <strong>der</strong> das Selbstverständnis<br />
des Menschen zwar insofern notwendiges, nicht beiläufiges<br />
Moment seiner praktischen Lebensführung ist, als <strong>der</strong> Mensch nicht einfach<br />
hin natürlich und unmittelbar lebt, aber <strong>der</strong> das Selbstverständnis<br />
des Menschen dennoch nicht das Wesentliche ist.<br />
Für Hegel gehen also nicht nur etwa alle theoretischen und praktischen<br />
Tätigkeiten von einem bewussten und selbstbewussten „realen“ Menschen<br />
als geistig-leibliche Einheit aus und sind von ihm unabtrennbar, son<strong>der</strong>n<br />
sie wurzeln ursprünglich im Prozess des Selbstbewusstseins, in dem sich<br />
<strong>der</strong> „reale“ Mensch erst entwickelt.<br />
Hegels Konzeption des Selbstbewusstseins und <strong>der</strong> Scheinselbständigkeit<br />
<strong>der</strong> natürlichen Bedürfnisse ist untrennbar von seinem idealistischen<br />
Erfahrungsbegriff, demgemäß Gegenstand und Bewusstsein in das Wissen<br />
selbst fallen und sich dem Bewusstsein „in <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung des Wissens...<br />
in <strong>der</strong> Tat auch <strong>der</strong> Gegenstand selbst“ än<strong>der</strong>t. 15<br />
Das Grundprinzip, die letzte einheitliche Basis, des Theorie-Praxis-<br />
Verhältnisses sind <strong>für</strong> Hegel we<strong>der</strong> die Willensakte im voluntaristischen<br />
Sinne noch die äußeren Verhaltensweisen und (bewusstlosen) Reaktionen<br />
im behavioristischen und pragmatistisch-mechanistischen Sinne noch die<br />
Handlungen in dem Sinne, dass an ihnen sekundär die beiden in Wechselwirkung<br />
stehenden Momente des Willens und des Geistes als relativ<br />
selbständig getrennt werden, son<strong>der</strong>n dieses Grundprinzip ist: die Tätigkeit<br />
des Selbstbewusstseins, das als Bewusstsein erscheint und unmittelbar<br />
o<strong>der</strong> dem Begriff nach Geist ist.<br />
Die Entwicklung des Selbstbewusstseins, die Kontrolle und Regulierung<br />
<strong>der</strong> Triebe und die Herausbildung des Willens ermöglichen nicht nur das<br />
Sichablösen von <strong>der</strong> Natur und in dieser Weise die Entwicklung <strong>der</strong> Selbständigkeit<br />
des Subjekts, son<strong>der</strong>n zugleich den Verzicht auf ausschließlich<br />
individuelle, subjektive Motivation und damit positiv die Einordnung des<br />
subjektiven Willens in den allgemeinen Willen, d. h. das Entstehen spezifisch<br />
menschlicher Beziehungen als rechtliches, moralisches und sittlichpolitisches<br />
Verhalten.
15<br />
Das Individuum, das eine solche geistige objektive Welt vorfindet, hat,<br />
wie Hegel in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“ darlegt, die Aufgabe, sie<br />
aufzuarbeiten und zu integrieren: „Der einzelne muss auch dem Inhalte<br />
nach die Bildungsstufen des allgemeinen Geistes durchlaufen, aber als<br />
vom Geiste schon abgelegte Gestalten, als Stufen eines Wegs, <strong>der</strong> ausgearbeitet<br />
und geebnet ist...“ 16<br />
Das Individuum kann sich nicht verwirklichen, indem es das Dass vom<br />
Was abtrennt und die allgemeinen objektiven geschichtlichgesellschaftlichen<br />
Verhältnisse zu überspringen sucht. Es kann nicht hinaus<br />
über die vorgegebene objektive Stufe <strong>der</strong> Entwicklung seines Volkes.<br />
Wenn auch Leidenschaft, partikulares Interesse und selbstsüchtige Zwecke<br />
die Triebkraft des Handelnden sind, so ist doch einerseits ihr Inhalt –<br />
da <strong>der</strong> Handelnde denken<strong>der</strong> Mensch ist – „durchzogen mit allgemeinen,<br />
wesenhaften Bestimmungen des Rechts, des Guten, <strong>der</strong> Pflicht usf.“ 17 ; an<strong>der</strong>erseits<br />
führt aber auch das Handeln des einzelnen – kraft <strong>der</strong> „List <strong>der</strong><br />
Vernunft“ 18 – zu allgemeinen Ergebnissen, die nicht in seiner beson<strong>der</strong>en<br />
Absicht gelegen haben müssen. (Dabei führt die Tätigkeit <strong>der</strong> „welthistorischen<br />
Individuen“ – unter unerlässlicher Berücksichtigung dessen, was<br />
objektiv „an <strong>der</strong> Zeit ist“ und „im Innern schon vorhanden“ ist – im Gegensatz<br />
zur Aktivität <strong>der</strong> „erhaltenden Individuen“ zu einer qualitativ höheren<br />
Stufe <strong>der</strong> allgemeinen Verhältnisse des objektiven Geistes.) Der objektive<br />
Inhalt wird realisiert, auch wenn <strong>der</strong> einzelne Mensch sein „Wohl“ o<strong>der</strong><br />
seine „Glückseligkeit“ anstrebt, d. h. die Harmonie und Befriedigung seiner<br />
subjektiven Absichten und beson<strong>der</strong>en Bedürfnisse und Interessen. 19<br />
Die Hemmung <strong>der</strong> Triebe und die Herausbildung des individuellen Willens<br />
dürfen nicht dazu führen, dass <strong>der</strong> Mensch sich in sich zurück zu<br />
ziehen und in einem romantischen Kultus <strong>der</strong> Innerlichkeit und Subjektivität<br />
abzuschließen versucht. Da Geist und Wille wie Wesen und Erscheinung<br />
eine untrennbare Einheit bilden, muss <strong>der</strong> Geist sich äußern in<br />
Handlungen und Taten. Dem entspricht in <strong>der</strong> philosophischen Wissenschaft<br />
das von Hegel nachdrücklich hervorgehobene Erfor<strong>der</strong>nis <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en<br />
Durchführung des allgemeinen Prinzips. 20<br />
Was <strong>der</strong> Mensch tut, das ist er (und umgekehrt). „Das, was <strong>der</strong> Mensch<br />
ist, ist seine Tat, ist die Reihe seiner Taten, ist das, wozu er sich gemacht
16<br />
hat... So ist <strong>der</strong> Geist wesentlich Energie, und man kann bei ihm nicht von<br />
<strong>der</strong> Erscheinung abstrahieren.“ 21<br />
Infolgedessen muss <strong>der</strong> Mensch <strong>für</strong> seine Handlungen einstehen. Er<br />
kann sich nicht auf eine „innere Handlung“ berufen. Letztlich sind nicht<br />
einmal seine ehrlichen Absichten und Gesinnungen entscheiden<strong>der</strong> Maßstab<br />
zur Beurteilung seines praktischen Verhaltens in sittlicher Hinsicht,<br />
worauf im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit und<br />
Hegels Kritik an Kants und Fichtes ethischen Formalismus zurück zu<br />
kommen ist.<br />
Allerdings hat <strong>der</strong> einzelne Mensch nicht diejenigen Konsequenzen seiner<br />
Handlung als „imputable“ Schuld, als das „Seinige“, zu übernehmen,<br />
die keine „immanente Gestaltung <strong>der</strong> Handlung“ sind, son<strong>der</strong>n hervorgehen<br />
aus äußeren – zufälligen und notwendigen – Umständen, die er nicht<br />
kannte o<strong>der</strong> verkannte und die er infolgedessen nicht in den Vorsatz einbeziehen<br />
konnte. Hierin liegt die Anerkennung des Menschen als Denkenden.<br />
22<br />
Das heißt in Hegels Terminologie: <strong>der</strong> einzelne Mensch hat sich nur<br />
seine „Handlungen“, nicht aber seine „Taten“ in vollem Umfange als<br />
Schuld zuzurechnen. („Schuld“ im Hegelschen Sinne hat <strong>der</strong> Mensch notwendigerweise,<br />
insofern er nämlich aus <strong>der</strong> Unschuld des Naturzustandes<br />
heraustritt und überhaupt seine Handlungen will.) Zur „Handlung“ gehört<br />
also allein die mit Vorsatz, zur „Tat“ auch die ohne Vorsatz hervorgebrachte<br />
praktische Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> objektiven Wirklichkeit (wobei grundsätzlich<br />
im Vorsatz das, was noch nicht da ist und erst sein soll, in Differenz<br />
steht zu dem, was unmittelbar vorliegt).<br />
Seine Tat, nicht nur seine Handlung hat, wie Hegel analysiert, <strong>der</strong> heroische<br />
Mensch in <strong>der</strong> antiken Tragödie – Ödipus o<strong>der</strong> Ajax zum Beispiel –<br />
zu büßen. 23<br />
Aber auch <strong>der</strong> Mensch in unserer Zeit muss nach Hegels Konzeption<br />
<strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit dann den ganzen Umfang seiner Handlung auf<br />
sich nehmen und verantworten, wenn er – auch ohne Vorsatz – die wesentlichen<br />
sittlichen zwischenmenschlichen Verhältnisse verletzt; denn er ist<br />
wesentlich denken<strong>der</strong> und frei wollen<strong>der</strong> Mensch.
17<br />
Dass <strong>der</strong> Geist des Menschen sich wesentlich nur in Handlungen und<br />
Taten äußert, macht Hegel mit beson<strong>der</strong>er Schärfe deutlich im Zusammenhang<br />
mit seiner Polemik gegen die Physiognomik (Lavaters) und die<br />
Phrenologie (Galls) in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“ in dem Kapitel:<br />
„Beobachtung <strong>der</strong> Beziehung des Selbstbewusstseins auf seine unmittelbare<br />
Wirklichkeit; Physiognomik und Schädellehre“.<br />
Die Äußerung des Inneren in Schädelbildung und Physiognomie bildet,<br />
wie Hegel ausführt, kein wesentliches und notwendiges Verhältnis. Sie<br />
macht den Geist nicht begreiflich. Eine zufällige, nur unbestimmte Meinungen<br />
und Vorstellungen zulassende nicht gesetzmäßige Verbindung von<br />
Innen und Außen ist <strong>der</strong> sinnliche daseiende Ausdruck – das Sein <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e<br />
– des Inneren in den leiblichen Organen, <strong>der</strong> Gestalt, <strong>der</strong> Stimme, den<br />
Zeichen <strong>der</strong> Mienen und Gebärden, dem Gesicht und <strong>der</strong> Handschrift, erst<br />
recht im toten Knochenbau („Es ist... <strong>für</strong> völlige Verleugnung <strong>der</strong> Vernunft<br />
anzusehen, <strong>für</strong> das wirkliche Dasein des Bewusstseins einen Knochen<br />
auszugeben“ 24 ).<br />
Sogar die Hand, nach Aristoteles „das Werkzeug <strong>der</strong> Werkzeuge“, ist<br />
nicht die wahre Vergegenständlichung des Geistes, obgleich sie „nächst<br />
dem Organ <strong>der</strong> Sprache am meisten es ist, wodurch <strong>der</strong> Mensch sich zur<br />
Erscheinung und Verwirklichung bringt. Sie ist <strong>der</strong> beseelte Werkmeister<br />
seines Glücks; man kann von ihr sagen, sie ist das, was <strong>der</strong> Mensch tut,<br />
denn an ihr als dem tätigen Organ seines Sichselbstvollbringens ist er als<br />
Beseelen<strong>der</strong> gegenwärtig...“ 25 In den leiblichen Organen ist das Tun noch<br />
als Tun o<strong>der</strong> als Inneres am Individuum einfach gegenwärtig; es ist nicht<br />
eigentlich nach außen getreten, jedenfalls im Vergleich zu seiner Äußerung<br />
in (<strong>der</strong> Vielheit <strong>der</strong>) Taten und Werke, die vom Individuum abson<strong>der</strong>bar<br />
sind.<br />
Sprache und Arbeit dagegen sind „Äußerungen, worin das Individuum<br />
nicht mehr an ihm selbst sich behält und besitzt, son<strong>der</strong>n das Innere ganz<br />
außer sich kommen lässt, und dasselbe An<strong>der</strong>em preisgibt“. 26<br />
Wenn die leiblichen Erscheinungen die wahren Ausdrucksformen, die<br />
„Phänomenologie“, des individuellen Geistes wären, würde <strong>der</strong> Geist nur<br />
verbunden mit <strong>der</strong> Vergangenheit <strong>der</strong> vita acta, nicht mit <strong>der</strong> Gegenwart<br />
und Zukunft <strong>der</strong> vita agenda.
18<br />
Was aber <strong>der</strong> einzelne Mensch an sich ist, lässt sich – mit Solon - erst<br />
aus und nach dem ganzen Lebensvollzug wissen. 27 Die Freiheit des tätigen<br />
Individuums wi<strong>der</strong>streitet <strong>der</strong> wesentlichen Festlegung auf sein leibliches<br />
Dasein. 28 Zustimmend zitiert Hegel Lichtenberg: „Gesetzt, <strong>der</strong> Physiognom<br />
haschte den Menschen einmal, so käme es nur auf einen braven Entschluss<br />
an, sich wie<strong>der</strong> auf Jahrtausende unbegreiflich zu machen.“ 29<br />
Nur im Willen, in <strong>der</strong> Handlung und <strong>der</strong> Tat hat also <strong>der</strong> Geist seine<br />
wesentliche gegenständliche Wirklichkeit, die Erfüllung seiner Möglichkeiten,<br />
seine Reflexion in sich, seine Selbstbestätigung: „Das wahre Sein des<br />
Menschen ist... seine Tat; in ihr ist die Individualität wirklich... die Individualität<br />
stellt sich in <strong>der</strong> Handlung als das negative Wesen da, welches<br />
nur ist, insofern es Sein aufhebt.“ 30<br />
Da die vollbrachten Taten – wie z. B. „Mord, Diebstahl o<strong>der</strong> Wohltat“ –<br />
nicht eine „gemeinte“ unaussprechliche infinite Bedeutung haben, son<strong>der</strong>n<br />
eine feste Bestimmtheit, ist in ihnen die „schlechte Unendlichkeit vernichtet.“<br />
Die Tat „ist dies, und ihr Sein ist nicht nur ein Zeichen, son<strong>der</strong>n die<br />
Sache selbst. Sie ist dies, und <strong>der</strong> individuelle Mensch ist, was sie ist...“ 31<br />
Indem also <strong>der</strong> menschliche Geist – wie auch die voran gegangenen Kapitel<br />
in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“ über die Vernunft sowie über die<br />
sinnliche Gewissheit, die Wahrnehmung und den Verstand demonstrieren<br />
– seine Realität, d. h. die Objektivität o<strong>der</strong> Entäußerung seiner Subjektivität,<br />
nur in den Gegenständen als seinen eigenen Werken, nicht in den<br />
Gegenständen als unvermittelt seienden, gegebenen Dingen erfährt, haben<br />
wir es hier mit dem Gegensatz des Theoretischen und Praktischen zu tun;<br />
und Hegel kommt konsequenterweise zu dem Resultat: das Bewusstsein<br />
muss, um seine Freiheit hinsichtlich <strong>der</strong> Dinge zu gewinnen, von <strong>der</strong> gescheiterten<br />
theoretischen „beobachtenden“ reproduzierenden (gleichsam<br />
protokollierenden und datenverarbeitenden) Einstellung – hier in Gestalt<br />
<strong>der</strong> Physiognomik und Phrenologie – übergehen zu einer praktischen Einstellung:<br />
„Das Bewusstsein will sich nicht mehr unmittelbar finden,<br />
son<strong>der</strong>n durch seine Tätigkeit sich selbst hervorbringen. Es selbst ist<br />
sich <strong>der</strong> Zweck seines Tuns, wie es ihm im Beobachten nur um die Dinge<br />
zu tun war.“ 32
19<br />
2. Die Mangelhaftigkeit, Einseitigkeit und Unfreiheit <strong>der</strong> Theorie und<br />
Praxis im Bereich <strong>der</strong> Endlichkeit<br />
Wenn bisher die Einheit des Theoretischen und Praktischen hervorgehoben<br />
wurde, so kommt es jetzt darauf an, ihre Differenz zu erfassen.<br />
Hier<strong>für</strong> ist <strong>der</strong> Ausgangspunkt <strong>der</strong> Subjekt-Objekt-Gegensatz.<br />
„Subjekt“ <strong>der</strong> Theorie und Praxis ist aber nicht etwa <strong>der</strong> Mensch als<br />
leiblich-geistige Einheit, son<strong>der</strong>n das „Bewusstsein“ o<strong>der</strong> „Ich“ ist es, das<br />
sich als „Subjekt“ praktisch o<strong>der</strong> theoretisch zu den Gegenständen verhält<br />
und den Gegensatz zu ihnen zur Versöhnung und zur Freiheit – als dem<br />
Beisichsein im an<strong>der</strong>en – zu bringen sucht. „Den höchsten Inhalt nun,<br />
welchen das Subjektive in sich zu befassen vermag, können wir kurzweg<br />
die Freiheit nennen.“ 33<br />
Die Unfreiheit ist das Objektive, das dem Subjekt als Schranke und<br />
Fremdes gegenübersteht. „Der Trieb <strong>der</strong> Wissbegierde, <strong>der</strong> Drang nach<br />
Kenntnis, von <strong>der</strong> untersten Stufe an bis zur höchsten Staffel philosophischer<br />
Einsicht hinauf, geht nur aus dem Streben hervor, jenes Verhältnis<br />
<strong>der</strong> Unfreiheit aufzuheben und sich die Welt in <strong>der</strong> Vorstellung und im<br />
Denken zu eigen zu machen. In <strong>der</strong> umgekehrten Weise gehe die Freiheit<br />
im Handeln darauf aus, dass die Vernunft des Willens Wirklichkeit erlange.“<br />
34<br />
Es ergibt sich: die endliche o<strong>der</strong> relative theoretische und praktische<br />
Tätigkeit in <strong>der</strong> Sphäre des subjektiven Geistes unterscheiden sich vor allem<br />
durch eine umgekehrte Stellung des Ich zum Gegenstand: in <strong>der</strong> theoretischen<br />
Tätigkeit verän<strong>der</strong>t o<strong>der</strong> bestimmt (durch Setzung eines Unterschieds)<br />
<strong>der</strong> Gegenstand das Ich, in <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit dagegen bestimmt<br />
o<strong>der</strong> verän<strong>der</strong>t das Ich den Gegenstand (sei er ein äußerer, sinnlicher,<br />
sei er ein innerer, intelligibler des objektiven Geistes, also ein rechtlicher,<br />
moralischer o<strong>der</strong> sittlicher 35 , wobei im letzten Fall <strong>der</strong> Gegensatz im<br />
Inneren und Subjektiven selbst liegt). Die Vereinigung von Subjekt und<br />
Objekt ist also in Theorie und Praxis gegenläufig: in <strong>der</strong> Theorie wird das<br />
Innere mit dem Äußeren, in <strong>der</strong> Praxis das Äußere mit dem Inneren zur<br />
Übereinstimmung gebracht. Der Anfang <strong>der</strong> Theorie liegt bei dem äußeren<br />
Vorhandenen, <strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> Praxis bei dem inneren Entschluss. 36
20<br />
Hegel erkennt, dass – innerhalb dieses endlichen Verhältnisses von<br />
Subjekt und Objekt – sowohl die Praxis als auch die Theorie einseitig und<br />
mangelhaft ist. 37<br />
Die Einseitigkeit <strong>der</strong> Theorie besteht erstens darin, dass sich das Subjekt<br />
in <strong>der</strong> Theorie passiv verhält, d. h. sich (unter Ausschaltung subjektiver<br />
Vorurteile) nach den objektiven Gegenständen richtet, diese als selbständig<br />
gewähren lässt und sich somit dem Vorhandenen unterwirft, das<br />
seinerseits von dem Subjekt nicht bestimmt wird und <strong>der</strong> Selbstbestimmung<br />
des Subjekts entgegensteht. 38<br />
Hegels Feststellung, das theoretische Bewusstsein verhalte sich in Bezug<br />
auf den Gegenstand passiv, mag auf den ersten Blick paradox und<br />
unvereinbar damit erscheinen, dass <strong>für</strong> Hegel gerade die Bewusstseinsdialektik<br />
Impuls <strong>der</strong> Erkenntnisbewegung ist.<br />
Aber es ist zu berücksichtigen: das Bewusstsein ist nur die einseitige<br />
abstrakte Erscheinung des Selbstbewusstseins und Geistes; und erst dieser<br />
ist die Vermittlung o<strong>der</strong> Negativität (die Negation <strong>der</strong> Negation)<br />
schlechthin, <strong>der</strong> sich sowohl das Bewusstsein als auch <strong>der</strong> Gegenstand<br />
nicht mehr als unmittelbar gegeben, son<strong>der</strong>n als vermittelt darstellt.<br />
Das endliche Subjekt ist, wie Hegel ausführt, im theoretischen Verhalten<br />
nur scheinbar frei, d. h. bei sich selbst im an<strong>der</strong>en, in Wirklichkeit aber<br />
durch die als selbständig sich erhaltenden Objekte beschränkt.<br />
Zwar wird durch die passive Aufnahme des objektiven Inhalts die Abstraktheit<br />
und Leerheit <strong>der</strong> unmittelbaren SelbstGewissheit, des reinen<br />
Fürsichseins o<strong>der</strong> <strong>der</strong> formalen Freiheit aufgehoben, aber nur zugunsten<br />
einer Abhängigkeit von dem in <strong>der</strong> Außenwelt vorgefundenen Inhalt.<br />
Wie Hegel nicht entgeht, ist die theoretische Einstellung des endlichen<br />
Subjekts allerdings nicht gänzlich passiv: das Empfangen <strong>der</strong> Eindrücke<br />
von den Gegenständen ist begleitet von <strong>der</strong> richtungsweisenden und auswählenden<br />
Aktivität <strong>der</strong> Aufmerksamkeit. 39<br />
Überhaupt bedeutet die Passivität des theoretischen Verhaltens des<br />
endlichen Subjekts gegenüber dem äußeren Inhalt keineswegs, dass in<br />
ihm die Aktivität innerer Denkoperationen, die formale Selbstbestimmung<br />
des Bewusstseins ausgeschlossen wäre. 40
21<br />
Zweitens besteht im Theoretischen Einseitigkeit hinsichtlich <strong>der</strong> Objekte:<br />
die äußeren Gegenstände werden nur als seiende, nicht als <strong>für</strong>sich seiende,<br />
Zweck und Begriff in sich tragende gefasst; die Einheit des Begriffs<br />
ist hier nur außerhalb ihrer, nämlich im theoretischen endlichen Subjekt.<br />
Es ist offensichtlich: dies letztere bemängelt Hegel an dem endlichen<br />
theoretischen Verhalten vom Standpunkt nicht mehr des objektiven, son<strong>der</strong>n<br />
des absoluten Idealismus, d. h. vom Standpunkt seines idealistischen<br />
Objektivitätsbegriffs, demgemäß die Gegenstandswelt zwar unabhängig<br />
vom menschlichen Bewusstsein, aber abhängig vom absoluten Geist ist.<br />
Bevor auf die Einseitigkeit <strong>der</strong> endlichen praktischen Tätigkeit eingegangen<br />
wird, seien die hauptsächlichen in Frage stehenden Formen des<br />
endlichen theoretischen Bewusstseins, die Hegel im einzelnen analysiert,<br />
in aller Kürze angeführt 41 : die Wahrnehmung – ebenso wie schon die<br />
„sinnliche Gewissheit“ des Hier und Jetzt – setzt im Unterschied zur Empfindung<br />
das Bewusstgewordensein des Subjekt-Objekt-Gegensatzes voraus<br />
und ist gegenständlich.<br />
Die Vorstellungen <strong>der</strong> Einbildungskraft sind sinnlich-bildliche Reproduktionen<br />
von Gegenständen, die im Gegensatz zu den Wahrnehmungsobjekten<br />
nicht unmittelbar räumlich-zeitlich gegenwärtig zu sein brauchen,<br />
o<strong>der</strong> sie sind – in <strong>der</strong> produktiven Einbildungskraft – schöpferische Umbildungen<br />
<strong>der</strong>artiger Gegenstände.<br />
Die Erinnerung – das innere Aufbewahren und Bleiben des Wahrgenommenen<br />
– ist die Voraussetzung <strong>für</strong> dessen Reproduktion o<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>erkennen<br />
in <strong>der</strong> Vorstellung und <strong>für</strong> die Verknüpfung mehrerer Erscheinungen<br />
in <strong>der</strong> Erfahrung.<br />
Ebenfalls auf <strong>der</strong> Erinnerungsfähigkeit basiert die Sprache als ein System<br />
von Hör- und Sehbil<strong>der</strong>n mit signifikativer (semantischer) und kommunikativer<br />
Funktion, das „ausgedehnteste Werk <strong>der</strong> Einbildungskraft. 42<br />
Sprache und Gedanke sind in unterschiedener Einheit. Sprache ist die<br />
sinnliche Existenzform <strong>der</strong> allgemeinen unsinnlichen Gedanken. (Implizit<br />
zurückgewiesen ist Locke’s Mosaiktheorie einer jeweils privaten Sprache,<br />
die völlig getrennten Bewusstseinswelten <strong>der</strong> Individuen angehört.) Die<br />
Einbildungskraft löst sich von den sinnlichen Gegenständen, abstrahiert<br />
schon von den anschaulichen Einzelheiten, vereinfacht, hebt allgemeine
22<br />
Züge hervor und ist fähig, in <strong>der</strong> Kunst das Innere sichtbar zu machen<br />
(zum Beispiel in Gestalt <strong>der</strong> Allegorie o<strong>der</strong> des Symbols – nach dem Wortgebrauch<br />
Goethes –, d. h. in Gestalt des Repräsentierens des Allgemeinen<br />
im Beson<strong>der</strong>en, <strong>der</strong> Einheit von Bild und allgemeiner Bedeutung o<strong>der</strong> gedanklichem<br />
Gehalt). Die Einbildungskraft bildet somit die Mitte in <strong>der</strong> Anodos<br />
zu den allgemeinen Gedanken.<br />
We<strong>der</strong> einseitig rationalistisch noch empiristisch ist Hegels Konzeption<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Quellen <strong>der</strong> endlichen Erkenntnis: er trennt we<strong>der</strong> Sinnliches<br />
und Rationales, Einzelnes und Allgemeines sowie Erscheinung und<br />
Wesen gänzlich voneinan<strong>der</strong> – als könnte das Erkennen die Empirie umgehen<br />
und unmittelbar das Wesen erfassen – noch fährt er das Rationale<br />
auf das Sinnliche zurück – als könnte Erkenntnis eine Summation von<br />
Sinnesdaten sein. 43<br />
Zu den nicht-sinnlichen, rationalen Formen des endlichen theoretischen<br />
Bewusstseins gehört zunächst als elementare Verstandestätigkeit<br />
<strong>der</strong> Vergleich einzelner Wahrnehmungsgegenstände, d. h. das Aufdecken<br />
des Identischen und Differenten.<br />
Damit wird <strong>der</strong> Übergang gemacht zur Abstraktion, die das Herausheben<br />
eines einzelnen Momentes eines wahrgenommenen sinnlichen Konkreten,<br />
also einer Einheit mannigfaltiger Bestimmungen, und sein Fixieren<br />
zur einfachen Allgemeinheit ist. (Das allgemeine naturwissenschaftliche<br />
Gesetz ist <strong>für</strong> Hegel wesentlich Begriff und damit nicht abhängig von induktorischer<br />
infiniter Verifikation 44 .)<br />
Abstraktionen und Definitionen werden gebildet in Verbindung mit den<br />
theoretischen Operationen <strong>der</strong> Analyse und Synthese. Die Analyse ist das<br />
Zerglie<strong>der</strong>n eines einheitlichen konkreten Gegenstandes <strong>der</strong> sinnlichen<br />
Wahrnehmung in allgemeine abstrakte Elemente, und die Synthese ist das<br />
Wie<strong>der</strong>herstellen <strong>der</strong> konkreten Einheit vermittels <strong>der</strong> Vereinigung <strong>der</strong> abstrakten<br />
Elemente auf <strong>der</strong> höheren Stufe des Denkens, so dass das sinnliche<br />
Konkrete Ausgangspunkt <strong>der</strong> Analyse und das gedankliche Konkrete<br />
Resultat <strong>der</strong> Synthese ist. 45<br />
Die grundlegende Verstandestätigkeit des Urteilens ist, wie Hegel aufweist,<br />
immanent dialektisch, insofern – z. B. in dem Urteil „die Rose ist<br />
rot“ – die Kopula in <strong>der</strong> Verbindung von Subjekt und Prädikat mit <strong>der</strong> Un-
23<br />
terschiedenheit zugleich die Einheit des Einzelnen und Allgemeinen ausdrückt.<br />
Da in allem Seienden Einzelheit und Allgemeinheit vereint sind,<br />
kann Hegel sagen: „... alle Dinge sind ein Urteil.“ 46<br />
Schließlich ist <strong>der</strong> Syllogismus eine Form des endlichen Erkennens. Im<br />
Verstandesschluss stehen die drei Begriffe in einem äußerlichen Verhältnis.<br />
Auf dem Standpunkt <strong>der</strong> absoluten spekulativen Theorie aber enthüllt<br />
sich nach Hegels Auf-fassung <strong>der</strong> subjektive Schluss als Entäußerungsstufe<br />
des objektiven Zusammenschlusses des absoluten Subjekts mit sich<br />
selbst vermittels seiner Momente.<br />
Im Gegensatz zum endlichen theoretischen Verhalten kommt in <strong>der</strong><br />
endlichen praktischen Tätigkeit die Unselbständigkeit <strong>der</strong> Objekte ausdrücklich<br />
zur Geltung. (Von dieser Praxis ist zu unterscheiden die konkret<br />
unendliche Praxis auf <strong>der</strong> Stufe des objektiven Geistes.) Das Subjekt „triumphiert“<br />
über das unmittelbar Gegebene und äußerlich Vorhandene<br />
durch dessen Negation. Nach seinen Zwecken und Interessen verän<strong>der</strong>t<br />
und verarbeitet <strong>der</strong> Mensch die ihm dienstbare machtlose Außenwelt. Mittels<br />
des Kriteriums <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Außenwelt teilt Hegel auch die<br />
Sinnesorgane in praktische und theoretische ein. 47<br />
Dass die Objekte nicht als unabhängig <strong>für</strong> sich und nicht als in sich<br />
zweckvoll gefasst werden, darin liegt aber auch <strong>für</strong> Hegel ein Mangel <strong>der</strong><br />
endlichen Praxis (ebenso wie <strong>der</strong> endlichen Theorie).<br />
Zweitens besteht in <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit nach dee subjektiven Seite<br />
hin die Einseitigkeit und Unfreiheit darin, dass die Objektwelt zwar –<br />
im Gegensatz zum passiven theoretischen Verhalten – von den inneren<br />
Zwecken des endlichen Subjekts bestimmt wird und sich als unselbständig<br />
erweist, aber dennoch durch die Praxis nur relativ „formiert“ werden<br />
kann und letztlich in ihrer Objektivität dem Subjekt unüberwindlich wi<strong>der</strong>steht.<br />
Die endliche Praxis ist in <strong>der</strong> Tat zweiseitig: zur Aktivität gehört fatalerweise<br />
die Passivität, nämlich die äußere Bedingtheit und Abhängigkeit von<br />
den objektiven Umständen. (Weiter ist an <strong>der</strong> Praxis mangelhaft, dass die<br />
menschlichen Zwecke, Bedürfnisse und Interessen von außen beeinflusst<br />
sind, untereinan<strong>der</strong> in Konflikt geraten und zu zufälligen und willkürlichen<br />
Entscheidungen führen können.)
24<br />
Kurz: die Praxis ist <strong>für</strong> Hegel in zweifacher Hinsicht – nach <strong>der</strong> objektiven<br />
und <strong>der</strong> subjektiven Seite – mangelhaft: erstens verhin<strong>der</strong>t sie als Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> objektiven Wirklichkeit die vollkommene Autonomie <strong>der</strong> objektiven<br />
Wirklichkeit; zweitens verhin<strong>der</strong>t sie als nur relative Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> objektiven Wirklichkeit die vollkommene Autonomie des Subjekts.<br />
Zu den Formen des praktischen individuellen Bewusstseins gehören<br />
außer dem Willen als Trieb, Neigung, Leidenschaft, Begierde und Interesse<br />
auch die praktischen Gefühle . 48<br />
Als Grundlage <strong>der</strong> praktischen Gefühle und ihrer Polarität des Angenehmen<br />
und Unangenehmen erkennt Hegel die Beziehung zwischen den<br />
Bedürfnissen des Subjekts und den Objekten; das heißt: die praktischen<br />
Gefühle, z.B. Freude und Schmerz, sind <strong>der</strong> Ausdruck davon, wie <strong>der</strong><br />
Handelnde in <strong>der</strong> Außenwelt <strong>für</strong> seine individuellen Bedürfnisse eine Entsprechung<br />
findet. Die praktischen Gefühle sind in dieser Weise eine subjektive<br />
– die niedrigste – Form des objektiven Inhalts. Nicht nur Verstand<br />
und Wille, son<strong>der</strong>n auch Gefühl und Wille sind im Menschen eine Einheit<br />
und keine isolierten fertigen Vermögen, beisammen „wie in einem Sacke“. 49<br />
Sowohl die endliche Theorie als auch die endliche Praxis knüpft also<br />
das Band zwischen Ich und Gegenstandswelt; sie überwinden jeweils in<br />
einan<strong>der</strong> ergänzen<strong>der</strong> Weise den Gegensatz und die Entfremdung von Subjekt<br />
und Objekt, indem die „Einseitigkeit <strong>der</strong> Subjektivität“ – die unmittelbare<br />
Selbständigkeit des Subjekts – von <strong>der</strong> die Objekte aufnehmenden<br />
Theorie, und die „Einseitigkeit <strong>der</strong> Objektivität“ 50 – die unmittelbare Selbständigkeit<br />
<strong>der</strong> Objekte – von <strong>der</strong> die Objekte verän<strong>der</strong>nden Praxis negiert<br />
wird. „Diejenigen, welche soviel von <strong>der</strong> Festigkeit und Unüberwindlichkeit<br />
des Endlichen, sowohl des Subjektiven als des Objektiven sprechen, haben<br />
an jedem Triebe das Beispiel von dem Gegenteil. Der Trieb ist sozusagen<br />
die Gewissheit, dass das Subjektive nur einseitig ist und keine Wahrheit<br />
hat, ebensowenig als das Objektive“. 51<br />
Dass sowohl die Theorie als auch die Praxis Bewusstsein und Gegenstand<br />
vereint, heißt, dass ihre zugrunde liegende Struktur die gleiche ist,<br />
nämlich die Negation <strong>der</strong> Negation (die Negativität).<br />
Indem Theorie und Praxis die Entzweiung von Subjekt und Objekt aufheben,<br />
negieren sie nämlich – jeweils auf entgegengesetzter Seite – das
25<br />
unmittelbar Gegebene. Das von Theorie und Praxis mittels <strong>der</strong> Negation in<br />
gleicher Form angestrebte Resultat ist die versöhnende Wie<strong>der</strong>herstellung<br />
<strong>der</strong> Einheit und Freiheit, die sich im an<strong>der</strong>en mit sich zusammenschließende,<br />
vermittelte Rückkehr des Subjekts in sich (o<strong>der</strong> das Fürsichsein als<br />
Negation <strong>der</strong> Negation und „wahrhafte Unendlichkeit“). „Die Gegenstände,<br />
sofern ich mich zu ihnen mit dem Triebe danach verhalte, sind Mittel <strong>der</strong><br />
Intregation; dies macht überhaupt die Grundlage des Theoretischen und<br />
Praktischen aus.“ 52<br />
Aber sowohl die theoretische als auch die praktische Vereinigung von<br />
Subjekt und Objekt in <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Endlichkeit – und das heißt: im Bereich<br />
nicht nur des subjektiven, son<strong>der</strong>n auch des objektiven Geistes –<br />
bleibt eine Beziehung auf an<strong>der</strong>es und bringt keine Auflösung aller Wi<strong>der</strong>sprüche.<br />
Die Abhängigkeit o<strong>der</strong> Unfreiheit ist nur formal o<strong>der</strong> an sich, aber nicht<br />
inhaltlich aufgehoben. „Die physischen Bedürfnisse, das Wissen und Wollen<br />
des Menschen erhalten nun also in <strong>der</strong> Tat eine Befriedigung in <strong>der</strong><br />
Welt und lösen den Gegensatz von Subjektivem und Objektivem, von innerer<br />
Freiheit und äußerlich vorhandener Notwendigkeit in freier Weise auf.<br />
Der Inhalt aber dieser Freiheit und Befriedigung bleibt dennoch beschränkt,<br />
und so behält auch die Freiheit und das Sichselbstgenügen eine<br />
Seite <strong>der</strong> Endlichkeit. Wo aber Endlichkeit ist, da bricht auch <strong>der</strong> Gegensatz<br />
und Wi<strong>der</strong>spruch stets wie<strong>der</strong> von neuem durch, und die Befriedigung<br />
kommt über das Relative nicht hinaus... Was <strong>der</strong>... in Endlichkeit verstrickte<br />
Mensch sucht, ist die Region einer höheren, substantielleren<br />
Wahrheit, in welcher alle Gegensätze und Wi<strong>der</strong>sprüche des Endlichen ihre<br />
letzte Lösung und die Freiheit ihre volle Befriedigung finden können.“ 53<br />
Indem Hegel mit dem absolut idealistischen Anspruch auftritt, wahre<br />
Freiheit erfor<strong>der</strong>e die Beziehung eines Subjekts auf einen objektiven Inhalt<br />
als Beziehung auf sich selbst, d. h. sie erfor<strong>der</strong>e die Aufhebung aller äußeren<br />
Bedingtheit und somit <strong>der</strong> Gegenständlichkeit als solcher, kann er konsequenterweise<br />
das endliche theoretische und praktische Subjekt-Objekt-<br />
Verhältnis als nur unvollkommene Einheit und Freiheit bestimmen.<br />
Innerhalb des endlichen Verhältnisses ist in <strong>der</strong> Tat <strong>für</strong> Theorie und<br />
Praxis nur eine Konvergenz an die inhaltliche Synthese von Subjekt und<br />
Objekt erreichbar. Vollkommene Vereinigung von Subjekt und Objekt,
26<br />
Form und Inhalt, Begriff o<strong>der</strong> Idealität und Realität, Denken und Sein, d.<br />
h. restlose Überwindung des Wi<strong>der</strong>standes <strong>der</strong> Objektivität und damit<br />
vollkommene Freiheit lässt sich <strong>für</strong> Hegel jedoch, wie zu zeigen sein wird,<br />
gewinnen im absoluten Denken.<br />
Aber schon das ästhetische Verhalten ist eine Synthese des Praktischen<br />
und Theoretischen, eine Aufhebung ihrer Einseitigkeit und Unfreiheit, und<br />
steht damit höher als die endliche Theorie und die Praxis, d. h. es gehört<br />
zum absoluten Geist.<br />
Obgleich nämlich das Kunstwerk, <strong>der</strong> schöne Gegenstand, nicht wie <strong>der</strong><br />
Gegenstand <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit <strong>der</strong> Begierde zerstört wird, macht es<br />
den Betrachter doch auch nicht –trotz seines beschränkten Inhalts – abhängig<br />
und unfrei wie <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> endlichen Theorie. (Das Kunstwerk<br />
setzt auf Grund seiner appellativen o<strong>der</strong> evokativen Wirkung einen<br />
Prozess <strong>der</strong> Befreiung im Kunstgenießenden in Gang.) Der Grund da<strong>für</strong> ist,<br />
dass im schönen Gegenstand das sinnliche Objektive keine Selbständigkeit<br />
und Unmittelbarkeit hat, d. h. dass <strong>der</strong> schöne Gegenstand seinen einheitlichen<br />
lebendigen Begriff o<strong>der</strong> seine Form nicht außerhalb seiner Objektivität<br />
o<strong>der</strong> seines Stoffes hat. Er ist vielmehr <strong>der</strong>en konkrete Einheit, in <strong>der</strong><br />
sich vernünftiger Zweck und sinnliche Realität zu freier Totalität o<strong>der</strong> Individualität<br />
durchdringen; er ist die Freiheit als Notwendigkeit „hinter dem<br />
Schein absichtsloser Zufälligkeit“. 54<br />
Dennoch ist die ästhetische Synthese des Praktischen und Theoretischen<br />
noch keine vollkommene Vereinigung von Subjekt und Objekt, d. h.<br />
keine perfekte Aufhebung <strong>der</strong> Gegenständlichkeit, kein reines Gesetztsein<br />
<strong>der</strong> Gegenständlichkeit durch das Subjekt, keine restlose Verwandlung <strong>der</strong><br />
Substanz ins Subjekt. Das Schöne ist als das „sinnliche Scheinen <strong>der</strong> Idee“<br />
55 noch nicht explizit die Idee in ihrem eigenen Element, dem Begriff,<br />
den zu erfassen, Aufgabe <strong>der</strong> absoluten Theorie ist. Auch die Religion kann<br />
nach Hegels Konzeption <strong>der</strong> „drei Reiche des absoluten Geistes“ in ihrem<br />
Element <strong>der</strong> Vorstellung – die eine höhere Stufe <strong>der</strong> Innerlichkeit o<strong>der</strong><br />
Subjektivität als das ästhetische Anschauen repräsentiert – nicht den absoluten<br />
Inhalt, die Einheit des Göttlichen und Menschlichen, des Unendlichen<br />
und Endlichen, in vollkommen adäquater Form ausdrücken und den<br />
Subjekt-Objekt-Gegensatz zur reinen Freiheit aufheben.
27<br />
3. Die dialektische Einheit von Teleologie und Kausalität in <strong>der</strong> Praxis<br />
<strong>der</strong> Naturaneignung<br />
Die Einheit von theoretischer und praktischer Tätigkeit, die sich in je<strong>der</strong><br />
Willenshandlung manifestiert, konkretisiert Hegel weiter, indem er den<br />
Zusammenhang von Praxis und Teleologie sowie Teleologie und Kausalität<br />
aufdeckt.<br />
Wie Hegel zeigt, sind Kausalität und Teleologie miteinan<strong>der</strong> vereinbar<br />
und schließen sich nicht dualistisch-antinomisch aus. Die Verlässlichkeit<br />
kausaler Naturprozesse – <strong>für</strong> Hegels mechanische und chemische Prozesse<br />
– ist die Voraussetzung zweckvollen praktischen Eingreifens, auch in<br />
Gestalt <strong>der</strong> Technik. 56 Die Teleologie ist die Wahrheit des Mechanismus<br />
und Chemismus. 57<br />
Die Zweck-Mittel-Relation hat zur Grundlage die Ursache-Wirkung-<br />
Relation; ein Mittel kann zur Erreichung eines Zieles nur angewendet werden,<br />
wenn das Mittel Ursache bestimmter Wirkung ist.<br />
Auf Grund <strong>der</strong> Verknüpfung von Teleologie und Kausalität stehen<br />
Mensch und Natur in einem <strong>der</strong>artigen praktischen Wechselwirkungsverhältnis,<br />
dass <strong>der</strong> Mensch we<strong>der</strong> ausschließlich als Subjekt noch aus<br />
schließlich als Objekt agiert, d. h. dass die Natur we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aktivität des<br />
Menschen schrankenlosen Spielraum gewährt noch den Menschen gänzlich<br />
einengt und zu Passivität o<strong>der</strong> Fatalismus und Hinnahme ihrer<br />
Fremdheit verurteilt (wie die Mechanisten und Deterministen des l8. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />
– im Wi<strong>der</strong>streit zu ihrem politischen Engagement – annahmen<br />
infolge <strong>der</strong> Übertragung <strong>der</strong> Naturerscheinungen <strong>der</strong> Anziehung und Abstoßung<br />
auf das menschliche Verhalten 58 ).<br />
In <strong>der</strong> Einheit von Teleologie und Kausalität ist die Einheit von Freiheit<br />
und Notwendigkeit impliziert. Diese vier Kategorien <strong>der</strong> Praxis lassen sich<br />
nicht trennen.<br />
Wenn <strong>der</strong> Mensch annimmt, seine Willensfreiheit läge darin, beliebig<br />
und willkürlich entscheiden und handeln zu können, lässt er sich schließlich<br />
in seiner Handlung von zufälligen Konstellationen determinieren und<br />
ist tatsächlich unfrei. 59 Freiheit besteht in <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Endlichkeit nur<br />
in <strong>der</strong> Erkenntnis und in dem praktischen Beherrschen notwendiger allgemeiner<br />
Zusammenhänge.
28<br />
Die Vereinbarkeit von Freiheit und Notwendigkeit (die auch Goethe hervorhebt<br />
als die Dialektik von Wollen und Schicksal in <strong>der</strong> Abhandlung<br />
„Shakespeare und kein Ende“) wird zum Beispiel dadurch bestätigt, dass<br />
wir eine Handlung nur frei nennen, wenn auch ihre Folgen mit berücksichtigt<br />
und einkalkuliert worden sind, was aber einen <strong>der</strong> Handlung<br />
zugrunde liegenden notwendigen Zusammenhang voraussetzt.<br />
Die praktische Realisierung des subjektiven Zwecks und die Herstellung<br />
<strong>der</strong> relativen Einheit von Subjekt und Objekt ist dadurch eine Negation <strong>der</strong><br />
Unmittelbarkeit sowohl des Subjekts als auch des Objekts, dass <strong>der</strong> Zweck<br />
aus seiner Innerlichkeit herausgesetzt, objektiviert wird und das Objekt<br />
vom Zweck durchdrungen und ihm adäquat formiert wird. „Dieses negative<br />
Verhalten gegen das Objekt ist ebensosehr ein negatives gegen sich<br />
selbst, ein Aufheben <strong>der</strong> Subjektivität des Zwecks.“ 60<br />
Der subjektive, innere Zweck, <strong>der</strong> auf das objektive zu bearbeitende Material<br />
bezogen ist, wird – auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Triebhemmung – unter Anwendung<br />
eines Mittels o<strong>der</strong> Werkzeugs realisiert.<br />
Die Mittel <strong>der</strong> Produktfon haben den Vorrang vor den unbeständigen<br />
subjektiven Zwecken und den rastlos sich erneuernden Bedürfnissen („das<br />
Essen, die Sättigung, das Schlafen hilft nichts, <strong>der</strong> Hunger, die Müdigkeit<br />
fangen morgen von vorn wie<strong>der</strong> an“ 61 ); denn in den Mitteln verallgemeinert<br />
sich die Einzelheit <strong>der</strong> Arbeit zu einer (relativ) beständigen nachahmbaren<br />
Regel: „... <strong>der</strong> Pflug ist ehrenvoller als unmittelbar die Genüsse sind, welche<br />
durch ihn bereitet werden und die Zwecke sind. Das Werkzeug erhält<br />
sich, während die unmittelbaren Genüsse vergehen und vergessen werden.<br />
An seinen Werkzeugen besitzt <strong>der</strong> Mensch die Macht über die äußerliche<br />
Natur, wenn er auch nach seinen Zwecken ihr vielmehr unterworfen ist.“ 62<br />
Auch hinsichtlich dieser Mittel <strong>der</strong> praktischen Naturaneignung, nicht<br />
nur im direkten Zusammenhang mit dem Geschichtsprozess, spricht Hegel<br />
von einer „List <strong>der</strong> Vernunft“: <strong>der</strong> Mensch hält sich „im Hintergrund“ und<br />
lässt die Objekte <strong>der</strong> Natur, das Material und das Mittel (das passiv gegen<br />
den Arbeitenden und aktiv gegen das zu Bearbeitende ist) <strong>für</strong> seine Zwecke<br />
wirken und sich aneinan<strong>der</strong> „abreiben“, ohne „Komplimente“ mit ihnen zu<br />
machen: „Dass <strong>der</strong> Zweck sich aber in die mittelbare Beziehung mit dem<br />
Objekte setzt und zwischen sich und dasselbe ein an<strong>der</strong>es Objekt einschiebt,<br />
kann als die List <strong>der</strong> Vernunft angesehen werden... In <strong>der</strong> unmit-
29<br />
telbaren Beziehung auf dasselbe träte er selbst in den Mechanismus o<strong>der</strong><br />
Chemismus und wäre damit <strong>der</strong> Zufälligkeit und dem Untergange seiner<br />
Bestimmung, an und <strong>für</strong> sich seien<strong>der</strong> Begriff zu sein, unterworfen. So aber<br />
stellt er ein Objekt als Mittel hinaus, lässt dasselbe statt seiner sich<br />
äußerlich abarbeiten, gibt es <strong>der</strong> Aufreibung preis und erhält sich hinter<br />
ihm gegen die mechanische Gewalt.“ 63<br />
Die praktische teleologische Tätigkeit <strong>der</strong> Naturaneignung hat somit die<br />
Form eines Syllogismus. Durch das Mittel (B) schließt sich <strong>der</strong> subjektive<br />
Zweck (C) mit den Gegenständen (A) zusammen und in ihnen auch insofern<br />
mit sich selbst, als er sich darin objektiviert. 64<br />
In <strong>der</strong> ersten Prämisse des praktischen Syllogismus bezieht sich <strong>der</strong><br />
subjektive Zweck (C) auf das Mittel o<strong>der</strong> Arbeitsinstrument (B), in <strong>der</strong> zweiten<br />
Prämisse ist das Mittel o<strong>der</strong> Arbeitsinstrument (B) auf die vorgefundenen<br />
Gegenstände (A) bezogen. Die beiden Extreme des Schlusses sind <strong>der</strong><br />
subjektive Zweck als Terminus minor und das kausal determinierte Material<br />
<strong>der</strong> Gegenstände als Terminus maior; <strong>der</strong> Terminus medius ist das<br />
Mittel o<strong>der</strong> Werkzeug.<br />
Bis zu diesem Punkt wird Hegels Analyse <strong>der</strong> praktischen Naturaneignung<br />
als Unterbrechung und zielstrebige „Umfunktionierung“ des Kausalkonnexes<br />
auch von einer nicht absolut idealistischen Konzeption (soweit<br />
sie jedenfalls nicht mechanistisch-reflexologisch orientiert ist) inhaltlich<br />
akzeptiert werden müssen. Aber eine solche nicht absolut idealistische<br />
Konzeption wird erstens nicht anerkennen, dass die Sphäre <strong>der</strong> Zweck-<br />
Mittel-Objekt-Relation primär die Logik ist und dementsprechend die syllogistische<br />
Form in <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit des Menschen nur ihre Vergegenständlichung<br />
o<strong>der</strong> ihren Abglanz hat. 65 Eine „naturalistische“ Konzeption<br />
würde zweitens alle Zwecksetzungen selbst wie<strong>der</strong>um als letztlich<br />
kausal bedingt auffassen, nämlich als ursächlichen Ausdruck natürlicher<br />
Bedürfnisse. Und eine dritte grundlegende Divergenz ergäbe sich daraus,<br />
dass eine solche Konzeption den Haupt-zweck <strong>der</strong> Praxis nicht in <strong>der</strong> Fortbildung<br />
<strong>der</strong> Selbsterkenntnis erblicken würde, was aber, wie unten zu zeigen<br />
ist, Hegels Aspekt <strong>der</strong> Praxis ist.<br />
Zwar behandelt Hegel mit <strong>der</strong> Analyse des Verhältnisses von Teleologie<br />
und Kausalität in extenso den von Descartes generell herausgestellten Zusammenhang<br />
zwischen <strong>der</strong> Existenz allgemeingültiger Gesetze, <strong>der</strong>en Er-
30<br />
kenntnis und <strong>der</strong> rationalen Herrschaft des Menschen als „maître et possesseur<br />
du monde“, und er könnte damit anknüpfen an Bacons Gleichsetzung<br />
von Macht und Wissen sowie auch an Vicos Gleichsetzung von Machen<br />
und Erkennen 66 , aber es ist zu bedenken: <strong>für</strong> Hegel geht das Wissen<br />
nicht auf in <strong>der</strong> praktikablen operativ-technischen Theorie <strong>der</strong> Naturbewältigung,<br />
son<strong>der</strong>n diese ist ein Moment im Dienste <strong>der</strong> Freiheit des Geistes,<br />
die Hegel schließlich kulminieren lässt in einer Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen<br />
Kontemplation. Und die auf die Natur sich beziehende Theorie<br />
erschöpft sich <strong>für</strong> Hegel, wie ein Blick in seine Naturphilosophie zeigt,<br />
nicht in einem einförmigen mathematischen Formalismus; vielmehr rehabilitiert<br />
er die qualitative Mannigfaltigkeit <strong>der</strong> Natur. Die Unzulänglichkeit<br />
<strong>der</strong> mathematisch-mechanischen Methode <strong>der</strong> alten Physik war schon naturwissenschaftlich<br />
erwiesen mit dem Entstehen <strong>der</strong> Chemie, <strong>der</strong> Biologie<br />
und <strong>der</strong> Elektrizitätslehre.<br />
Ebensowenig wie die Theorie in <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>der</strong> Naturgesetze erschöpft<br />
sich <strong>für</strong> Hegel die Praxis in <strong>der</strong> technischen Naturbeherrschung.<br />
Nicht schon deshalb allein, weil Hegel überhaupt in seine Theorie-Praxis-<br />
Konzeption das Moment <strong>der</strong> Naturaneignung systematisch integriert, ließe<br />
sich behaupten, dass bei ihm die Praxis im aristotelischen Sinne, d. h. das<br />
ausschließlich auf die Welt des Menschen bezogene – in den Einzelfällen<br />
von <strong>der</strong> Klugheit (phronesis) nur unwissenschaftlich ungenau geleitete<br />
nicht lehrbare stets verän<strong>der</strong>liche und sein Ziel in sich selbst tragende 67 –<br />
Handeln abdanke zugunsten <strong>der</strong> Poiesis, <strong>der</strong> technischen Herstellung, <strong>der</strong><br />
Produktion. Die eigentliche Distanz des aristotelischen Begriffs des situationsgerechten<br />
klugen tugendhaften Handelns – <strong>für</strong> das sich keine stringenten<br />
Prinzipien aus <strong>der</strong> reinen Theorie und Weisheit ableiten lassen 68 – zu<br />
dem Hegelschen Praxisbegriff wird erst ersichtlich aus Hegels dialektischer<br />
Verknüpfung <strong>der</strong> Praxis mit dem Geschichtsprozess.
4. Theorie und Praxis als gesellschaftlich-geschichtlicher Prozess<br />
31<br />
Wenn die praktische Tätigkeit <strong>der</strong> Naturaneignung so dargestellt wird,<br />
dass <strong>der</strong> einzelne „homo faber“ o<strong>der</strong> das einzelne „toolmaking animal“<br />
(Benjamin Franklin) zwischen sich und den Naturobjekten ein Mittel einschiebt<br />
und die Natur in solcher Weise <strong>für</strong> sich arbeiten lässt, fehlt in diesem<br />
praktischen Individualismus noch das Moment <strong>der</strong> Wechselbeziehung<br />
<strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong>, das heißt die gesellschaftlich-geschichtliche<br />
Seite <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit <strong>der</strong> Naturaneignung,<br />
über die Hegel schließlich in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“<br />
feststellt: „Das rein einzelne Tun und Treiben des Individuums bezieht sich<br />
auf die Bedürfnisse, welche es als Naturwesen, d. h. als seiende Einzelheit<br />
hat. Dass selbst diese seine gemeinsten Funktionen nicht zunichte werden,<br />
son<strong>der</strong>n Wirklichkeit haben, geschieht durch das allgemeine erhaltende<br />
Medium, durch die Macht des ganzen Volks... Die Arbeit des Individuums<br />
<strong>für</strong> seine Bedürfnisse ist ebensosehr eine Befriedigung <strong>der</strong> Bedürfnisse<br />
<strong>der</strong> an<strong>der</strong>n als seiner eignen, und die Befriedigung <strong>der</strong> seinigen erreicht<br />
es nur durch die Arbeit <strong>der</strong> an<strong>der</strong>n.“ 69<br />
In welcher Weise das Bearbeiten <strong>der</strong> Natur, das Handeln in <strong>der</strong> Geschichte<br />
und die Entstehung des Selbstbewusstseins, d. h. die Selbstverwirklichung<br />
des Menschen, sich bedingen, expliziert Hegel in <strong>der</strong> „Phänomenologie<br />
des Geistes“ als erstes in dem Kapitel „Selbständigkeit und Unselbständigkeit<br />
des Selbstbewusstseins; Herrschaft und Knechtschaft“.<br />
Aus diesem Kapitel erhellt: die durch die Triebhemmung frei gewordene<br />
Mitte <strong>der</strong> praktischen Naturaneignung bildet zunächst <strong>der</strong> mit den Werkzeugen<br />
arbeitende „Knecht“.<br />
In <strong>der</strong> individuellen praktischen Tätigkeit <strong>der</strong> Begierde, die den „selbstlosen“<br />
Naturgegenstand machtvoll negiert, kommt das einzelne Selbstbewusstsein,<br />
wie Hegel ausführt, durch die Befriedigung zwar zu einem<br />
Selbstgefühl und einer Selbstgewissheit, aber nicht zur vollen Anerkennung<br />
seiner Freiheit als Fürsichseiendes (als Selbst o<strong>der</strong> Subjekt).<br />
Diese kann es nur erreichen durch die Vermittlung in Richtung auf ein<br />
Subjekt, das objektiv seiend ist, d. h. auf ein an<strong>der</strong>es Selbstbewusstsein,<br />
also nicht in einer einfachen, son<strong>der</strong>n in einer doppelten Reflexion, denn<br />
nicht <strong>der</strong> selbstlose Naturgegenstand <strong>der</strong> Begierde, son<strong>der</strong>n nur das ande-
32<br />
re Selbstbewusstsein kann die Negation an sich selbst vollziehen und somit<br />
das erste Selbstbewusstsein bejahen. Daher stellt Hegel fest: „Das<br />
Selbstbewusstsein erreicht seine Befriedigung nur in einem an<strong>der</strong>en<br />
Selbstbewusstsein.“ 70<br />
Dass es kein „Ich“ gibt außerhalb <strong>der</strong> Beziehung zum „Du“, heißt <strong>für</strong><br />
Hegel konkret: es gibt keine praktisch-theoretische Selbständigkeit o<strong>der</strong><br />
Freiheit eines Subjekts ohne die praktisch-theoretische Selbständigkeit<br />
o<strong>der</strong> Freiheit eines an<strong>der</strong>n Subjekts.<br />
Das Streben nach Respektierung des Daseins und <strong>der</strong> Selbständigkeit<br />
des einen Selbstbewusstseins durch ein an<strong>der</strong>es ist im Naturzustand des<br />
„bellum omnium contra omnes“ zunächst gerichtet auf die Aufhebung <strong>der</strong><br />
Selbständigkeit und des unmittelbaren Daseins (des Seins <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e) des<br />
an<strong>der</strong>en Selbstbewusstseins, d. h. seiner Leiblichkeit, in <strong>der</strong> es zu einem<br />
alter ego seine „vermittelnde Beziehung“ hat 71 , und wird so zu einem<br />
„Kampf auf Leben und Tod“.<br />
In ihm zieht einer <strong>der</strong> Kämpfer resignierend dem Tod die Knechtschaft<br />
vor, d. h. die Erhaltung seines Lebens und seines einzelnen Selbstbewusstseins,<br />
ohne dass dieses als selbständig, als ens per se stans, anerkannt<br />
wird.<br />
Hervorzuheben ist, dass Hegel weit davon entfernt ist, aus dem Kampf,<br />
<strong>der</strong> gewaltsamen Repression und <strong>der</strong> autoritären Herrschaft die „Natur“<br />
des Menschen im Sinne eines biologistischen Mythos zu machen o<strong>der</strong> die<br />
in Macht und Unterwerfung polarisierte unversöhnte Zwangsordnung wegen<br />
ihrer äußeren Stabilität und Konsistenz zu sanktionieren. Hegel sieht<br />
ausdrücklich Kampf und Gewalt nur als entwicklungsgeschichtlich frühes<br />
Übergangsmoment zu vernünftigen Verhältnissen an. 72<br />
Hiermit lässt sich die Bestimmung des Aristoteles vergleichen, dass das<br />
staatliche Gemeinwesen zwar wegen des Überlebens entstanden ist, aber<br />
um des „guten Lebens“ willen besteht, und zwar als Ordnung einer „Herrschaft<br />
über Freie und Gleichgestellte“, nicht einer Despoteia und Monarchia<br />
(die allerdings über Sklaven in <strong>der</strong> Hausverwaltung, <strong>der</strong> Oikonomia,<br />
von Aristoteles als „natürlich“ zugestanden wird). 73<br />
In einen an<strong>der</strong>en – die zwischenstaatlichen Beziehungen betreffenden<br />
Zusammenhang – gehört, dass Hegel den Krieg „nicht als absolutes Übel“
33<br />
ansieht, son<strong>der</strong>n ihm erstens eine „universalhistorische Berechtigung“ –<br />
aber nicht mehr innerhalb Europas 74 – und zweitens die integrierende<br />
Funktion, „innere Unruhen“ zu verhin<strong>der</strong>n, auferlegt, indem er das Völkerrecht<br />
und Kants Vorstellung eines „ewigen Friedens“ durch einen Staatenbund<br />
ablehnt und einen „Naturzustand“ zwischen den als einheitliche Individualitäten<br />
gefassten Staaten und somit ihre volle äußere Souveränität<br />
gegeneinan<strong>der</strong> annimmt, wobei er die Staaten aber schließlich unterordnet<br />
unter die Vermittlung <strong>der</strong> „Weltgeschichte als Weltgericht“. 75<br />
Wie Hegel weiter analysiert, wird das Wesen des Knechts dazu, Objekt<br />
des Herrn –nicht selbsttätiges Subjekt – zu sein und in seinem Dienst zu<br />
arbeiten. Da <strong>der</strong> Herr außer über den Knecht auch über die zu bearbeitenden<br />
Dinge verfügt, die die „Kette“ des Knechts sind, bezieht er sich sowohl<br />
mittels <strong>der</strong> Dinge auf den Knecht als auch mittels des Knechts auf die Dinge.<br />
76<br />
In dieser Weise <strong>der</strong> Unterjochung ist unmittelbar zunächst die Selbständigkeit<br />
des Selbstbewusstseins des Herrn gesichert. Das Fürsichsein<br />
des Knechts ist durch die doppelte Abhängigkeit vom Herrn und von den<br />
Dingen unwesentlich geworden und entäußert. Der Knecht hat sich verdingen<br />
müssen. Der Herr hält sich aus <strong>der</strong> aufreibenden Macht <strong>der</strong> Dingwelt<br />
heraus, „er ist die reine negative Macht, <strong>der</strong> das Ding nichts ist, und<br />
also das reine wesentliche Tun in diesem Verhältnisse“ 77 ; er genießt unmittelbar<br />
– wie das Tier – die Arbeitsprodukte des sich unter eigenem<br />
Triebverzicht in kommandierter Arbeit abarbeitenden Knechts. Da diese<br />
Arbeitsprodukte das vergegenständlichte Bewusstsein des Knechts sind,<br />
bezieht sich <strong>der</strong> Herr auch in ihnen auf ein an<strong>der</strong>es Selbstbewusstsein.<br />
Auf Grund <strong>der</strong> durch die Knechtsarbeit vermittelten Distanz zu den<br />
Dingen und auf Grund <strong>der</strong> „Arbeitsteilung“ als Trennung von Herrschaft<br />
und Arbeit kann <strong>der</strong> Herr sich müßig und theoretisch verhalten, ein Zusammenhang,<br />
den auch Aristoteles klar aufgedeckt hat. 78<br />
Aber durch die praktische Tätigkeit verkehrt sich das ungleiche Verhältnis<br />
von Selbständigkeit und Unselbständigkeit: die Knechtschaft „wird<br />
als in sich zurückgedrängtes Bewusstsein in sich gehen und zur wahren<br />
Selbständigkeit sich umkehren.“ 79 Der Herr erfährt in dem einseitigen Anerkennen<br />
seine Abhängigkeit von <strong>der</strong> Tätigkeit des Knechts und die Unselbständigkeit<br />
seines eigenen Bewusstseins. Die zugrundeliegende ge-
34<br />
schichtliche Etappe, auf die sich Hegel bezieht und die er hier in ihrer<br />
Spiegelung in <strong>der</strong> Entwicklung des subjektiven individuellen Geistes darstellt,<br />
ist die Auflösung <strong>der</strong> antiken Sklavengesellschaft. Auf <strong>der</strong> Stufe des<br />
objektiven Geistes ist mit dem Ineinan<strong>der</strong>umschlagen <strong>der</strong> Selbständigkeit<br />
des Knechts und des Herrn am ehesten vergleichbar die von Hegel analysierte<br />
Verwandlung des „edelmütigen Bewusstseins“ des Lehnsmanns mit<br />
seinem „Heroismus des Dienstes“ in das „nie<strong>der</strong>trächtige Bewusstsein“ des<br />
Höflings und <strong>der</strong> feudalen „Staatsmacht“ in den bürgerlichen „Reichtum“<br />
80 .<br />
Ohne dass Hegel es ausdrücklich so nennt, ist auch dies eine „List <strong>der</strong><br />
Vernunft“, dass die aufopfernde Selbstpreisgabe des Knechts zur Selbstgewinnung<br />
wird und sein Leiden ihn mündig macht. Angesichts <strong>der</strong> Bedrohung<br />
und <strong>der</strong> Angst, sein ganzes Selbst durch den Tod zu verlieren, hat<br />
„alles Fixe... in ihm gezittert“, ist er zur Selbstbehauptung entschlossen<br />
und ist sein Fürsichsein, das ihm im Herrn entfremdet und suspendiert<br />
war, schon „an ihm selbst“; aber erst wirklich „sein eigenes“ und an und<br />
<strong>für</strong> sich seiendes ist es auf Grund <strong>der</strong> Arbeit. Dass die Todesgefahr des<br />
Knechts zur Aufhebung <strong>der</strong> Desintegration seines Selbst führt, lässt sich<br />
in Verbindung sehen mit Hegels grundlegen<strong>der</strong> Spekulation über den Tod<br />
als Überwindung des Endlichen, Natürlichen und Gegebenen und als vermittelndes<br />
Moment <strong>der</strong> Erhebung ins Leben des unendlichen Geistes. 81<br />
Das Tun des Herrn, das unmittelbare Verzehren <strong>der</strong> Arbeitsprodukte,<br />
hinterlässt keine objektiven gesellschaftlichen „vestigia“, son<strong>der</strong>n verschwindet<br />
mit diesem Tun, während dagegen das „formierende Tun“ des<br />
Knechts, <strong>der</strong> seine eigene transitorische Begierde erzwungenermaßen negiert<br />
und seinem Eigenwillen entsagt, in den Arbeitsgegenständen und<br />
Werkzeugen von Dauer ist, „in das Element des Bleibens tritt“: „Diese Befriedigung<br />
ist aber deswegen selbst nur ein Verschwinden, denn es fehlt<br />
ihr die gegenständliche Seite o<strong>der</strong> das Bestehen. Die Arbeit hingegen ist<br />
gehemmte Begierde, aufgehaltenes Verschwinden, o<strong>der</strong> sie bildet. Die negative<br />
Beziehung auf den Gegenstand wird zur Form desselben und zu einem<br />
Bleibenden, weil eben dem Arbeitenden <strong>der</strong> Gegenstand Selbständigkeit<br />
hat.“ 82<br />
In diesen (relativ) beständigen Objektivierungen seines subjektiven Bewusstseins<br />
findet <strong>der</strong> Arbeitende – in einer Art praktischer Anamnesis –
35<br />
sich selbst wie<strong>der</strong> und gelangt in <strong>der</strong> Selbsterkenntnis zum Bewusstsein<br />
seines An- und Fürsichseins: „Die Form wird dadurch, dass sie hinausgesetzt<br />
wird, ihm nicht ein An<strong>der</strong>es als es; denn eben sie ist sein reines Fürsichsein,<br />
das ihm dadurch zur Wahrheit wird.“ 83<br />
Damit hat Hegel an diesem Wendepunkt <strong>der</strong> Entwicklung des Geistes<br />
analysiert, wie die Selbsterkenntnis gewonnen wird auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong><br />
Umgestaltung <strong>der</strong> Natur, und zwar innerhalb bestimmter geschichtlichgesellschaftlicher<br />
Beziehungen <strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong>. In <strong>der</strong><br />
„Rechtsphilosophie“ wird die gesellschaftliche Seite <strong>der</strong> Naturaneignung im<br />
„System <strong>der</strong> Bedürfnisse“ im Zusammenhang mit <strong>der</strong> „Spezifizierung <strong>der</strong><br />
Mittel und Bedürfnisse“ und <strong>der</strong> Arbeitsteilung entwickelt 84 .<br />
Die Analyse des allgemeinen Selbstbewusstseins, des „Ich, das Wir, und<br />
das Wir, das Ich ist“ 85 , in Gestalt des Herrn und des Knechts gleicht zwar<br />
noch einer Robinsonade 86 und bezieht sich auf eine relativ abstrakte geschichtliche<br />
Entwicklungsetappe des absoluten Geistes auf dem Weg zu<br />
seiner Selbsterkenntnis; aber Hegel konkretisiert die gegenseitige Anerkennung<br />
<strong>der</strong> Selbständigkeit und objektiven Allgemeinheit des Selbstbewusstseins<br />
schrittweise weiter als Selbstbewusstsein eines Volkes, das<br />
sich in Moral, Recht und Sittlichkeit sowie in Kunst, Religion und <strong>Philosophie</strong><br />
entfaltet, und als die Reihe <strong>der</strong> „welthistorischen Volksgeister“ auf<br />
ihrem Fortschritt zu immer vollkommenerer Freiheit des Bewusstseins.<br />
Das also ist Hegels konkretere Bestimmung <strong>der</strong> Einheit von Theorie und<br />
Praxis (konkreter als ihre Einheit in je<strong>der</strong> Willenshandlung und in <strong>der</strong><br />
praktisch-teleologischen Naturaneignung): Theorie und Geschichte sind<br />
dialektisch aufeinan<strong>der</strong> bezogen.<br />
Die menschliche Erkenntnis ist <strong>für</strong> Hegel kein rein „erkenntnistheoretischer“<br />
(innerer) Vorgang eines einzelnen isoliert genommenen Subjekts,<br />
keine einfache Relation zwischen einem Subjekt und einem Objekt, son<strong>der</strong>n<br />
– wie auch die Selbsterkenntnis des absoluten Geistes, zu <strong>der</strong> sie als<br />
Entwicklungsphase gehört – ein praktischer natürlich-geschichtlicher (äußerer)<br />
Prozess, <strong>der</strong> stufenweise von <strong>der</strong> Menschheit vollzogen wird. Erkenntnis<br />
basiert also gleichsam auf einer menschheitsgeschichtlichen Intersubjektivität.<br />
(In <strong>der</strong> letzten Hinsicht kommt Goethe Hegel nahe, wenn<br />
er in einen Brief an Schiller sagt: „Nur sämtliche Menschen erkennen die<br />
Natur, nur sämtliche Menschen leben das Menschliche“ 87 .) Die volle Er-
36<br />
kenntnis <strong>der</strong> Wahrheit ist bedingt durch die Verwirklichung <strong>der</strong> Wahrheit<br />
in <strong>der</strong> geschichtlich-politischen Freiheit.<br />
Weiter ist die Einheit von Theorie und Praxis als Einheit von Theorie<br />
und Geschichte die Einheit <strong>der</strong> Logik und <strong>der</strong> Geschichte, insofern die logisch-systematischen<br />
Stufen und Erkenntnisformen des Geistes – Anschauung,<br />
Vorstellung und Denken – in <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung<br />
erscheinen auf dem Niveau <strong>der</strong> Kunst, <strong>der</strong> Religion und <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>.<br />
Nach Hegels Konstruktion findet <strong>der</strong> Geist seine jeweils adäquate Form<br />
in <strong>der</strong> Kunst des Griechentums, <strong>der</strong> Religion des Mittelalters und <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Zeit Hegels. Auch die logisch-absoluten (o<strong>der</strong> ontologischen)<br />
Kategorien <strong>der</strong> philosophischen Theorie erscheinen also als Gestalten im<br />
geschichtlich-relativen Entwicklungsprozess (zum Beispiel die Kategorie<br />
des Seins bei Parmenides, die des Werdens bei Heraklit und so fort).<br />
5. Die Konzeption <strong>der</strong> Praxis als konkreter Sittlichkeit<br />
Frei, allgemein und unendlich ist <strong>der</strong> beschränkte, natürliche und endliche<br />
Wille nur formal, an sich o<strong>der</strong> seinem Begriffe nach, das heißt insofern,<br />
als er die Möglichkeit hat, von jedem bestimmten Inhalt, den er durch<br />
seinen Entschluss wählt, ins („schlechte“) Unendliche fort zu abstrahieren<br />
o<strong>der</strong> ihn zu transzendieren und in dieser einseitigen Weise als einfache<br />
Reflexion in sich und Negation des Realen unmittelbar bei sich zu sein.<br />
Sogar sein Leben kann <strong>der</strong> Mensch im Gegensatz zum Tier durch Selbstmord<br />
„fallen lassen“. 88<br />
Diese negative verstandesmäßige Freiheit des formalen Willens ist „im<br />
Politischen wie im Religiösen <strong>der</strong> Fanatismus <strong>der</strong> Zertrümmerung aller bestehenden<br />
gesellschaftlichen Ordnung, und die Hinwegräumung <strong>der</strong> einer<br />
Ordnung verdächtigen Individuen...“, worin <strong>für</strong> Hegel insbeson<strong>der</strong>e die Signatur<br />
<strong>der</strong> plebejischen jakobinischen „Schreckenszeit <strong>der</strong> französischen<br />
Revolution“ vor dem Thermidor (l794) mit ihrer antikisierenden „allgemeinen<br />
Freiheit“ und dem Terror im Namen <strong>der</strong> asketischen Tugend besteht. 89<br />
Die Unbestimmtheit des Willens ist allerdings die Voraussetzung da<strong>für</strong>,<br />
dass er einen bestimmten Entschluss fassen kann. An<strong>der</strong>s gesagt: die Zu-
37<br />
wendung des Menschen zur Welt basiert auf seiner originären Weltoffenheit<br />
und Triebbeherrschung.<br />
Form und Inhalt bleiben aber unter diesem Gesichtspunkt im Gegensatz:<br />
außerhalb des abstrakten nur potentiell, nicht aktuell unendlichen<br />
allgemeinen unentschlossenen Willens steht <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Inhalt, zu dem<br />
sich <strong>der</strong> Wille jeweils entschließen muss, indem er aus seiner unbestimmten<br />
Identität <strong>der</strong> reinen Selbstgewissheit heraustritt. 90<br />
Insofern Kants und Fichtes praktische <strong>Philosophie</strong> auf diesen formalen<br />
allgemeinen Willen, das abstrakte unwirkliche Gute, gegründet ist (auch<br />
bei Fichte kommt nämlich, wie Hegel bemängelt, <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e Inhalt zum<br />
allgemeinen Ich – als dem Wahren <strong>für</strong> sich – nur hinzu und ist ihm nicht<br />
immanent 91 ), stehen sich auch in ihr das apriorische Allgemeine und das<br />
empirische Mannigfaltige unvermittelt gegenüber und machen wahre Sittlichkeit<br />
als Einheit des allgemeinen Gesetzes und des bestimmten Inhalts<br />
unmöglich: „Die Leerheit des reinen Pflichtgefühls und <strong>der</strong> Inhalt kommen<br />
einan<strong>der</strong> beständig in die Quere.“ 92<br />
Die inhaltslose Universalität <strong>der</strong> Moral ist getrennt von <strong>der</strong> empirischen<br />
Partikularität, ohne jemals vollkommen verwirklicht werden zu können.<br />
Die Erfüllung <strong>der</strong> moralischen Postulate bleibt eine ethische Utopie, ist ein<br />
unendlicher Prozess, <strong>der</strong> „perennierend gesetzte Wi<strong>der</strong>spruch selbst“ 93<br />
Dieser Wi<strong>der</strong>spruch ist unaufhebbar; denn wenn sich das Sollen realisierte<br />
und die gedachte Einheit <strong>der</strong> Pflicht und <strong>der</strong> Glückseligkeit als seiend<br />
zustande käme, verschwände das Sollen und die Pflicht. Die Vollendung<br />
<strong>der</strong> Harmonie „ist ins Unendliche hinauszuschieben; denn wenn sie<br />
wirklich einträte, so höbe sich das moralische Bewusstsein auf. Denn die<br />
Moralität ist nur moralisches Bewusstsein als das negative Wesen, <strong>für</strong> dessen<br />
reine Pflicht die Sinnlichkeit nur die negative Bedeutung, nur nicht<br />
gemäß ist“. 94<br />
Dadurch, dass die Ethik Kants und Fichtes – wie ihre Erkenntnistheorie<br />
– den Dualismus von Idealität und Realität, Subjektivität und Objektivität,<br />
nicht wahrhaft überbrückt, wird trotz des Rigorismus <strong>der</strong> moralischen<br />
For<strong>der</strong>ungen dem empirischen „gemeinen Bewusstsein“ nichts „von seiner<br />
Zufälligkeit und Gemeinheit“ genommen, son<strong>der</strong>n es bleibt – ebenso wie<br />
die empirische Wirklichkeit – unverän<strong>der</strong>t, unaufgehoben bestehen. Infol-
38<br />
gedessen stabilisiert diese Ethik die Zerrissenheit des Lebens und die „Zerstückelung<br />
des Menschen“. 95<br />
Dass <strong>der</strong> abstrakt allgemeine formal gute existenzlose Wille (nicht nur<br />
im Sinne <strong>der</strong> Kantischen und Fichteschen Ethik) nicht wahrhaft autonom<br />
ist, zeigt sich, wie Hegel in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“ in dem Kapitel<br />
„Die Tugend und <strong>der</strong> Weltlauf“ sagt, daran, dass „das Gute, indem es in<br />
dem Kampf gegen den Weltlauf auftritt, damit sich darstellt als seiend <strong>für</strong><br />
ein an<strong>der</strong>es, als etwas, das nicht an und <strong>für</strong> sich selbst ist, denn sonst<br />
würde es nicht durch Bezwingung seines Gegenteils sich erst seine Wahrheit<br />
geben wollen.“ Wenn an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> „Ritter <strong>der</strong> Tugend“ das abstrakte<br />
Gute als schon an und <strong>für</strong> sich seiend ausgibt, ist sein Kampf gegen den<br />
Weltlauf unernste „Spiegelfechterei“. 96<br />
Wie Hegel ausführt, besiegt <strong>der</strong> geschichtlich-gesellschaftliche Inhalt<br />
des Weltlaufs – dessen „Kraft das negative Prinzip (ist), welchem nichts bestehend<br />
und absolut heilig ist, son<strong>der</strong>n welches den Verlust von allem und<br />
jedem wagen und ertragen kann“ – die utopische freischwebende Tugend<br />
des sich vergeblich auflehnenden Ritters (Don Quichotte), „dem es im<br />
Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu erhalten“, mitsamt<br />
den „pomphaften Reden“ von Weltverbesserung, den „Deklamationen“ und<br />
<strong>der</strong> „leeren Aufgeblasenheit“. Hiermit ist vergleichbar, was Hegel in einem<br />
Entwurf schon in seiner Frankfurter Zeit formuliert: „Das an<strong>der</strong>e Extrem<br />
von dem, von einem Objekte abzuhängen, ist das – die Objekte <strong>für</strong>chten,<br />
die Flucht vor ihnen, die Furcht vor Vereinigung, die höchste Subjektivität.“<br />
97<br />
Die Tugend hört auf Grund ihres Schicksals schließlich auf, die Individualität<br />
rigoros aufopfern zu wollen, muss sich mit <strong>der</strong> Wirklichkeit versöhnen<br />
und die Erfahrung machen, dass „<strong>der</strong> Weltlauf so übel nicht ist,<br />
als er aussah“; denn – und das ist Hegels zentraler Gesichtspunkt – das<br />
scheinbar nur eigennützige pfiffige Handeln <strong>der</strong> Individualität ist zugleich<br />
„allgemeines Tun“ (weshalb am Ende nicht nur die Tugend, son<strong>der</strong>n auch<br />
<strong>der</strong> ihr abstrakt entgegengesetzte Weltlauf aufgehoben wird). 98<br />
In diesem Zusammenhang wird schon deutlich, dass Hegel gerade im<br />
Gegensatz zum subjektiven Idealismus die Individualität nicht „vertilgt“.<br />
Die Individualität kann Hegel insofern nicht dem Allgemeinen aufopfern,<br />
als er nachweist, dass es keine Individualität isoliert <strong>für</strong> sich gibt, die nicht
39<br />
durchdrungen wäre vom Allgemeinen, und keine praktische Tätigkeit, die<br />
nicht an sich gesellschaftlichen Charakter hätte („die Bewegung <strong>der</strong> Individualität<br />
ist die Realität des Allgemeinen“ 99 ).<br />
Der Vorwurf <strong>der</strong> Aufopferung <strong>der</strong> Individualität lässt sich gegen Hegel<br />
nur dann erheben, wenn man zuvor in undialektischer Weise einseitig das<br />
Individuelle, Einmalige, Faktische und Ereignishafte verabsolutiert und<br />
jede allgemeine Vernünftigkeit und Gesetzlichkeit – o<strong>der</strong> ihre Erkennbarkeit<br />
– verneint, d. h. das Dass vom Was scheidet. Die Konsequenz davon<br />
wie<strong>der</strong>um ist, dass ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen Innen und<br />
Außen, Theorie und Praxis, entsteht. Theoretisch unerleuchtet und desorientiert,<br />
handelt dann <strong>der</strong> Mensch auf Grund einer – scheinbar objektiv<br />
unvermittelten – „absoluten“ Entscheidung o<strong>der</strong> Leidenschaft. Die blinde<br />
unbegründbare bodenlose Praxis mündet in einen irrationalen Voluntarismus.<br />
Für ihn gilt, was Leonardo da Vinci hinsichtlich <strong>der</strong> wissenschaftlichen<br />
und künstlerische Praxis äußert: „Diejenigen, die sich <strong>für</strong> Praxis<br />
ohne Wissen begeistern, sind wie Seeleute, die ohne Steuer o<strong>der</strong> Kompaß<br />
ein Schiff besteigen und nie ganz sicher sind, wohin sie fahren.“ 100<br />
Schwerwiegend ist Hegels Aufweis, dass aus dem reinen, formalen abstrakten<br />
Willen und dem kategorischen überzeitlichen Pflichtgebot <strong>der</strong><br />
praktischen Vernunft kein bestimmter Inhalt deduzierbar ist, auch nicht<br />
unter Anwendung des – ebenfalls noch formalen – Kriteriums <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchslosigkeit<br />
<strong>der</strong> Handlungen. „... man kann von außen her wohl einen<br />
Stoff hereinnehmen, und dadurch auf beson<strong>der</strong>e Pflichten kommen, aber<br />
aus jener Bestimmung <strong>der</strong> Pflicht als dem Mangel des Wi<strong>der</strong>spruchs, <strong>der</strong><br />
formellen Übereinstimmung mit sich, welche nichts an<strong>der</strong>es ist als die Fortsetzung<br />
<strong>der</strong> abstrakten Unbestimmtheit, kann nicht zur Bestimmung von<br />
beson<strong>der</strong>en Pflichten übergegangen werden... ein Wi<strong>der</strong>spruch kann sich<br />
nur mit etwas ergeben, das ist, mit einem Inhalt, <strong>der</strong> als festes Prinzip zum<br />
voraus zugrunde liegt.“ 101<br />
Beson<strong>der</strong>s prägnant vertritt Kant in seiner 1793 in <strong>der</strong> Berlinischen<br />
Monatsschrift veröffentlichten Abhandlung „Über den Gemeinspruch: Das<br />
mag in <strong>der</strong> Theorie richtig sein, taugt aber nicht <strong>für</strong> die Praxis“ die Auffassung,<br />
dass die aus <strong>der</strong> reinen a priori gesetzgebenden Vernunft stammenden<br />
allgemeinen Prinzipien <strong>der</strong> Moral sowie des Staats- und Völkerrechts<br />
<strong>für</strong> die Praxis tauglich seien, das Handeln anleiten und bestimmen könn-
40<br />
ten, weil selbst auf das Handeln hin bezogen, dass es zum Übergang von<br />
<strong>der</strong> Theorie zur Praxis nicht etwa geschichtlicher Vermittlungen des objektiven<br />
Geistes, son<strong>der</strong>n nur eines individuellen „Aktus dar Urteilskraft“ bedürfe,<br />
wodurch „<strong>der</strong> Praktiker unterscheidet, ob etwas <strong>der</strong> Fall <strong>der</strong> Regel<br />
sei o<strong>der</strong> nicht“, und dass, dementsprechend die Theorie trotz ihrer Bezogenheit<br />
auf praktische Verwirklichung souverän, unabhängig von äußeren<br />
in <strong>der</strong> Geschichte erfahrbaren Gründen und Erfolgen, „<strong>für</strong> sich selbst bestehende<br />
Theorie“ sei. 101a<br />
Indem Hegel in seine Konzeption <strong>der</strong> Sittlichkeit den verän<strong>der</strong>lichen Inhalt<br />
aufnimmt, kehrt er sich nicht nur vom ethischen Formalismus und<br />
Apriorismus ab, son<strong>der</strong>n auch vom ethischen Individualismus: an die Stelle<br />
des individuellen Wollens und Handelns, das unter dem Aspekt des<br />
Konflikts <strong>der</strong> sinnlichen Neigung des „homo phänomenon“ und <strong>der</strong> moralischen<br />
Pflicht des „homo noumenon“ beurteilt wird (als ob die Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
und Unvollkommenheiten des menschlichen Lebens nur aus <strong>der</strong> Sinnlichkeit<br />
stammten), tritt als Basis <strong>der</strong> Ethik die gesellschaftlichgeschichtliche<br />
Praxis. (Hierin trifft sich Hegel insofern wie<strong>der</strong>um mit Aristoteles,<br />
als auch <strong>für</strong> diesen Ethik und Politik eine Einheit bilden und das<br />
private gute und gerechte Handeln des einzelnen Menschen von <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Verfassung <strong>der</strong> Polis abhängt, in <strong>der</strong> allein die Freiheit als Autarkeia,<br />
also als Unabhängigkeit von Äußeren, wirklich ist.)<br />
Der substantielle Inhalt <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit stammt <strong>für</strong> Hegel aus<br />
<strong>der</strong> absoluten Vernunft, die sich in <strong>der</strong> Geschichte ausbreitet, im menschlichen<br />
Handeln realisiert und im Volksgeist objektiv konkretisiert als Familie,<br />
bürgerliche Gesellschaft und Staat. (Kant setzt Staat, „civitas“, und<br />
Gesellschaft, „societas civilis“, noch gleich.) An dieser konkreten relativen<br />
Totalität lassen sich als eine beson<strong>der</strong>e Seite abstrakt die Moralität und<br />
die Legalität isolieren. Aber in Wahrheit ist die Historizität und Sozialität<br />
des Menschen von seinem Handeln nicht abtrennbar.<br />
Infolgedessen ist letztlich <strong>für</strong> Hegel das sittliche Kriterium einer Handlung<br />
ihre Übereinstimmung mit dem Inhalt <strong>der</strong> „an und <strong>für</strong> sich seienden<br />
Gesetze und Einrichtungen“ 102 eines Staatswesens, nicht allein die individuelle<br />
Gesinnung und das Gewissen als scheinbar unvermitteltes Faktum;<br />
<strong>der</strong>en Bedeutung wird von Hegel herabgemin<strong>der</strong>t, d. h. Hegel gibt nicht <strong>der</strong><br />
Tendenz <strong>der</strong> Verselbständigung des Gewissens nach, die geschichtlich mit
41<br />
<strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Stände und ihrer Regeln zugunsten <strong>der</strong> freien Konkurrenz<br />
auftrat.<br />
Dennoch wird das Gewissen von Hegel nicht im historistischen Sinne<br />
vollständig relativiert, da es ein notwendiges Moment in <strong>der</strong> Entwicklung<br />
des absoluten Geistes bleibt. Dies wird häufig in <strong>der</strong> Befehdung <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Auffassung des Gewissens mißachtet Der einzelne Mensch ist nach<br />
Hegels Konzeption unbedingt berechtigt, nur das anzuerkennen, was Gewissen,<br />
Überzeugung, Gesinnung, Einsicht und Gewissheit gut heißen.<br />
„Das Gewissen drückt die absolute Berechtigung des subjektiven Selbstbewusstseins<br />
aus, nämlich in sich und aus sich selbst zu wissen, was<br />
Recht und Pflicht ist...“ 103<br />
Die Anstrengung des Gewissens und <strong>der</strong> subjektiven Reflexion ist sogar<br />
die Pflicht des Einzelnen; denn eine äußerliche Befolgung <strong>der</strong> objektiven<br />
vernünftigen Gebote ohne persönliche Überzeugung entbehrt <strong>der</strong> moralischen<br />
Qualität. 104 (In geschichtlicher Hinsicht repräsentiert das unmittelbare<br />
Verharren in den substantiellen Verhältnissen das Niveau <strong>der</strong> despotischen<br />
orientalischen vorgriechischen Welt.) Der objektive sittliche Gehalt<br />
kann vom subjektiven Willen gerade deshalb nicht seine blinde Anerkennung<br />
und Hinnahme for<strong>der</strong>n, weil <strong>der</strong> subjektive Wille unendlich <strong>für</strong> sich<br />
ist und die formale Möglichkeit hat, in reiner Selbstgewissheit und Selbstbestimmung<br />
von allem Vorhandenen und Geltenden abzusehen und sich<br />
ihm gegenüber zu behaupten, d. h. weil das selbstbewusste Subjekt sich<br />
als ein solches weiß, „dem alle vorhandene und gegebene Bestimmung<br />
nichts anhaben kann noch soll“. 105 (In geschichtlicher Hinsicht hat sich<br />
die unendliche Freiheit <strong>der</strong> Individuen – und ihre Gleichheit vor Gott – im<br />
Christentum manifestiert, nachdem die „Richtung nach innen“ mit Sokrates<br />
und den Stoikern ihren Anfang nahm.)<br />
Infolgedessen sind das Heraustreten des Subjekts aus <strong>der</strong> Verschlossenheit<br />
und Konzentriertheit <strong>der</strong> Innerlichkeit und die abermalige Zuwendung<br />
zum objektiven Inhalt freiwillig: das Subjekt nimmt den sittlichen<br />
Gehalt, sofern es eine höhere Stufe seiner Selbstbestimmung erreichen<br />
will, nach eigener Prüfung und Entscheidung in sich auf und lässt sich<br />
von ihm in seinem Willen und Handeln durchdringen. Das Subjekt hat also<br />
keine äußerliche unmittelbare, son<strong>der</strong>n eine vermittelte Beziehung zum
42<br />
objektiven Inhalt <strong>der</strong> aus dem Absoluten stammenden Geschichte und Gesellschaft,<br />
<strong>der</strong> somit nicht an sich, son<strong>der</strong>n an und <strong>für</strong> sich gültig ist.<br />
Hegel weist allerdings zurück, dass das Subjekt den vernünftigen wesentlichen<br />
Inhalt – <strong>der</strong> nur aus dem Zusammenhang <strong>der</strong> ganzen Geschichte<br />
zur begreifen ist und nicht mit dem alltäglich Vorhandenen und Zufälligen<br />
identisch ist 106 – seinem Belieben und Meinen unterwirft und seine<br />
Beson<strong>der</strong>heit gegen ihn nach Gutdünken geltend macht. Die subjektive<br />
Reflexion kann letztlich ebensowenig Beurteilungsmaßstab <strong>der</strong> Vernünftigkeit<br />
einer Handlung sein wie das subjektive Bewusstsein <strong>der</strong> Rechtswidrigkeit<br />
einer Tat Voraussetzung ihrer Strafbarkeit ist. 107<br />
Es ist augenfällig: Hegels Auffassung von <strong>der</strong> Moral und insbeson<strong>der</strong>e<br />
von dem Gewissen steht und fällt mit seiner Geschichtskonzeption, die<br />
zugleich einer aristotelischen Praxisauffassung den Weg versperrt.<br />
Mit <strong>der</strong> Aufnahme des verän<strong>der</strong>lichen gesellschaftlich-geschichtlichen<br />
Inhalts, <strong>der</strong> sich in Gegensätzen bewegt, anerkennt Hegel auch die von<br />
Kant und Fichte verneinte Kollision <strong>der</strong> Pflichten 108 , die das Fundament<br />
<strong>der</strong> relativen Tragik <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Geschichte Handelnden bildet. Ebensowenig<br />
wie Goethe kennt Hegel einen „Pantragismus“ im Sinne des Neuhegelianers<br />
H. Glockner, <strong>der</strong> die dialektische Methode Hegels ablehnt 109 und darin<br />
übereinstimmt mit so verschiedenen Hegelinterpreten wie: F. A. Trendelenburg,<br />
Logische Untersuchungen, 1839, von denen Kierkegaard beeinflusst<br />
ist; R. Haym, Hegel und seine Zeit (1859); W. Dilthey, Die Jugendgeschichte<br />
Hegels, 1905; B. Croce, Lebendiges und. Totes in Hegels <strong>Philosophie</strong>,<br />
1909; W. Windelband, Die Erneuerung des Hegelianismus, 1910; R.<br />
Kroner, Von Kant zu Hegel, 192l-24, und an<strong>der</strong>en.<br />
Die Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit im Bereich <strong>der</strong> Sittlichkeit ist ein Spezialfall<br />
<strong>der</strong> allgemeinen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit, die <strong>für</strong> Hegel die objektive Wirklichkeit<br />
wesentlich kennzeichnet, die <strong>für</strong> Kant dagegen – wie die Behandlung<br />
<strong>der</strong> Antinomien <strong>der</strong> Endlichkeit und Unendlichkeit, <strong>der</strong> Kontinuität und<br />
Diskontinuität sowie <strong>der</strong> Freiheitund Notwendigkeit in <strong>der</strong> transzendentalen<br />
Dialektik <strong>der</strong> „Kritik <strong>der</strong> reinen Vernunft“ zeigt – Beweis <strong>für</strong> die<br />
Schranken des menschlichen Erkenntnisvermögens und die Unerkennbarkeit<br />
<strong>der</strong> Dinge an sich ist.
43<br />
Hegels Ablehnung des erkenntnistheoretischen und ethischen Subjektivismus<br />
geht Hand in Hand mit <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> dialektischen Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit, und das heißt letztlich: ihrer Bewegung<br />
und Tätigkeit schlechthin; denn Bewegung kann, wie Hegel aufzeigt, in <strong>der</strong><br />
Tat nicht formallogisch unter Vermeidung des Wi<strong>der</strong>spruchs begriffen<br />
werden etwa als Summe bestimmter unbewegter diskontinuierlicher identischer<br />
Einheiten, son<strong>der</strong>n nur unter dem Aspekt, dass diese fixen Einheiten<br />
in Wahrheit zugleich verschwinden und ineinan<strong>der</strong> kontinuierlich übergehen,<br />
also nur sind, indem sie nicht sind. 110<br />
Dem abstrakten guten Willen einseitig entgegengesetzt sind <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>e<br />
Wille und das Böse, das heißt das Beharren des natürlichen Willens,<br />
<strong>der</strong> Leidenschaften, Triebe und Begierden in <strong>der</strong> Beson<strong>der</strong>heit, die intransigente<br />
Abtrennung vom geistigen Allgemeinen (aus <strong>der</strong> auch Sokrates seine<br />
Dialogpartner herauszuführen sucht), das Insichgehen, die Vereinzelung<br />
und Selbstbehauptung ohne Einordnung ins Ganze 111 (wozu also im<br />
weiteren Sinne auch Kierkegaards unendliches Interesse an <strong>der</strong> je eigenen<br />
Existenz gehören würde).<br />
Das Böse ist aber <strong>für</strong> Hegel keine Privation, son<strong>der</strong>n die notwendige Negation<br />
des Guten: die Bedingung da<strong>für</strong>, dass <strong>der</strong> Mensch das an und <strong>für</strong><br />
sich Gute erwirbt, ist, dass er heraustritt aus <strong>der</strong> Einseitigkeit <strong>der</strong> Unschuld<br />
des unmittelbaren bewusstlosen Naturzustandes, in dem er nur<br />
erst <strong>der</strong> Möglichkeit nach, nicht wirklich gut und frei ist, d. h. dass er sich<br />
<strong>der</strong> Natur entgegensetzt, sich in sich entzweit von sich weiß, <strong>für</strong> sich wird<br />
und schuldig werden kann. So sind <strong>für</strong> Hegel –im Gegensatz zu Rousseau<br />
– das Böse, das Übel, <strong>der</strong> Schmerz, die Krisen, Revolutionen, Katastrophen<br />
und tragischen Zusammenbrüche als das notwendige Negative die positiven<br />
Triebkräfte <strong>der</strong> Geschichte (und ihr Begreifen ist <strong>für</strong> ihn, wie sich zeigen<br />
wird, die Realisierung <strong>der</strong> Leibnizischen versöhnenden Theodizee).<br />
Der Sündenfall – <strong>der</strong> Verlust <strong>der</strong> unschuldigen Sichselbstgleichheit und<br />
<strong>der</strong> „arbeitslos sich darbietenden Natur“ im Garten <strong>der</strong> Tiere –, entstanden<br />
durch das Erkennen und Unterscheiden, ist also kein einmaliges und zufälliges<br />
Ereignis; er ist <strong>für</strong> Hegel „die ewige Geschichte des Geistes“, <strong>der</strong><br />
„ewige Mythus des Menschen, wodurch er eben Mensch wird.“ 112<br />
Im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Trinitätsspekulation erblickt Hegel das Böse<br />
im Geist Gottes selbst, insofern Gott-Vater sich – von Anfang an, nicht erst
44<br />
auf Grund eines „Abfalls“ – in sich entzweit, sich in sich reflektiert und aus<br />
seiner einfachen Unendlichkeit und Identität mit sich in die Differenz und<br />
Endlichkeit tritt, was impliziert, dass Gott <strong>für</strong> Hegel wesentlich Schöpfer<br />
ist. Das ist – trotz Hegels Verwahrung dagegen – eine Art des Pantheismus<br />
und <strong>der</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Transzendenz: <strong>der</strong> Geist kann <strong>für</strong> Hegel die Welt<br />
nicht schaffen, da <strong>der</strong> Geist zugleich notwendigerweise Welt ist. Das Erschaffen<br />
ist die vorstellungsmäßige dem Begriff inadäquate Form <strong>für</strong> das<br />
Negative des Geistes: „Dieses Erschaffen ist das Wort <strong>der</strong> Vorstellung <strong>für</strong><br />
den Begriff selbst nach seiner absoluten Bewegung o<strong>der</strong> da<strong>für</strong>, dass das<br />
als absolut ausgesagte Einfache o<strong>der</strong> reine Denken, weil es das abstrakte<br />
ist, vielmehr das Negative und hiemit sich Entgegengesetzte o<strong>der</strong> Andre<br />
ist.“ 113<br />
Wie Hegel ausführt, wird <strong>der</strong> Charakter des Bösen als notwendiges<br />
Moment des Guten nur erfasst vom Wissen, nicht von <strong>der</strong> religiösen Vorstellung,<br />
die nicht über den Dualismus hinaus zur begrifflichen Versöhnung<br />
gelangt. 114<br />
Da <strong>der</strong> Geist, die Quelle des Bösen, auch das Prinzip <strong>der</strong> Versöhnung<br />
des Entzweiten ist, wäre eine romantische Rückwärtswendung in Richtung<br />
auf einen unschuldigen Naturzustand gegen die Entwicklung des Geistes<br />
gerichtet.<br />
Indem <strong>für</strong> Hegel die Freiheit des beson<strong>der</strong>en Willens des einzelnen privat<br />
interessierten Menschen nur die Kehrseite des abstrakt allgemeinen<br />
formal freien Willens ist und somit keine Basis <strong>für</strong> die substantiellen<br />
menschlichen Beziehungen bilden Bann, lehnt er auch Rousseaus Theorie<br />
<strong>der</strong> Gemeinschaftsbildung auf Grund eines zwischen den Individuen geschlossenen<br />
Vertrags ab als eine „atomistische Ansicht im Politischen“, die<br />
den Vorrang <strong>der</strong> gesellschaftlichen und staatlichen Ganzheit verkenne.<br />
Rousseaus Konzeption des „allgemeinen Willens“ muss Hegel als abstrakt<br />
– und in <strong>der</strong> Konsequenz als jakobinisch – ansehen, da zu diesem „allgemeinen<br />
Willen“ <strong>der</strong> vermittelnde Übergang von den einzelnen beliebigen –<br />
gleichsam demoskopisch erfassbaren – Willensäußerungen und ebenso<br />
von dem „Willen aller“ fehlt. 115<br />
Mit dieser Auffassung <strong>der</strong> Priorität des konkreten Allgemeinen, <strong>der</strong> Gesamtpraxis,<br />
distanziert sich Hegel zwar eindeutig vom Liberalismus; aber<br />
um diese Einstellung Hegels nicht wie<strong>der</strong>um undialektisch mit einer völli-
45<br />
gen Degradierung des Individuums o<strong>der</strong> gar mit einer Sanktionierung des<br />
autoritären Totalitarismus gleichzusetzen 116 , muss jede Kontroverse hierüber<br />
berücksichtigen: dieses vernünftige – das Bestehen von Recht und<br />
Gesetz einschließende – Allgemeine, das „bonum commune“, wird von Hegel<br />
eben nicht abstrakt verstanden, d. h. nicht verselbständigt o<strong>der</strong> objektiviert,<br />
nicht <strong>der</strong> individuellen Freiheit obstinat entgegen gesetzt. Es wird<br />
vielmehr begriffen als konkret vermittelt durch die subjektiven Tätigkeiten<br />
<strong>der</strong> Individuen. Der Liberalismus und speziell die nach-thermidorianischen<br />
Neuerungen (<strong>der</strong>en Antagonismen von Hegel nicht übersehen werden) sind<br />
also in seiner politischen <strong>Philosophie</strong> als Moment aufgehoben.<br />
Eine Interpretation, die in <strong>der</strong> Hegelschen Staatslehre einen Ausdruck<br />
o<strong>der</strong> eine Vorbereitung des Totalitarismus o<strong>der</strong> eine Affinität zu ihm sieht,<br />
ignoriert, dass gemäß Hegels Konzeption <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit <strong>der</strong><br />
einzelne Mensch niemals nur behandeltes passives Objekt, son<strong>der</strong>n stets<br />
zugleich handelndes aktives Subjekt ist. Und was Hegel sein Leben lang<br />
als das grundlegende Verdienst <strong>der</strong> Kantischen Ethik trotz aller ihrer Mängel<br />
anerkennt, ist gerade <strong>der</strong> bei Rousseau vorgebildete Gedanke <strong>der</strong><br />
Selbstbestimmung und Freiheit des Willens, <strong>der</strong> Selbständigkeit des Subjekts,<br />
aber nicht nur im Sinne des transzendentalen reinen Bewusstseins<br />
gefasst. Dass <strong>der</strong> Mensch wesentlich Subjekt ist und kein Objekt <strong>der</strong> (feudalistischen)<br />
Willkür werden darf, bleibt <strong>für</strong> Hegel die unverzichtbare „kopernikanische<br />
Wendung“ in ethischer Hinsicht. 117a<br />
„Die Freiheit liegt... we<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Unbestimmtheit, noch in <strong>der</strong> Bestimmtheit,<br />
son<strong>der</strong>n sie ist beides“. 117 Das heißt aber: erst <strong>der</strong> konkret allgemeine<br />
wahrhaft gute Wille, <strong>der</strong> den beson<strong>der</strong>en Inhalt immanent enthält<br />
o<strong>der</strong> durch ihn hindurchgeht, <strong>der</strong> an und <strong>für</strong> sich seiende vernünftige Wille,<br />
hebt den Gegensatz von Form und Inhalt, Subjekt und Objekt, Begriff<br />
und Realität, auf und damit auch die Abhängigkeit und Beschränkung seitens<br />
<strong>der</strong> bestimmten Gegenstände.<br />
Schon <strong>der</strong> junge Hegel in seiner Berner Periode (1793-1796), auch<br />
schon in seiner Tübinger Studienzeit, untersucht die Probleme <strong>der</strong> Praxis,<br />
die <strong>für</strong> ihn zu dieser Zeit den Primat haben, von vornherein im Gegensatz<br />
zu Kant unter gesellschaftlich-geschichtlichem Aspekt. Es geht ihm nicht<br />
um die Praxis des intelligiblen (noumenalen) Ich, son<strong>der</strong>n um die Freiheit<br />
des Volkes als die Praxis <strong>der</strong> gemeinschaftlichen Selbsttätigkeit o<strong>der</strong> Sub-
46<br />
jektivität. Er sieht diese Selbsttätigkeit verwirklicht im öffentlichen Leben<br />
<strong>der</strong> antiken Polis. Sie wie<strong>der</strong> aufleben zu lassen, ist sein von <strong>der</strong> französischen<br />
Revolution inspiriertes utopisches, nicht realisierbares Bestreben.<br />
Die praktische Autonomie in <strong>der</strong> Polis basiert <strong>für</strong> den jungen Hegel <strong>der</strong><br />
Berner Periode auf <strong>der</strong> Eigenart <strong>der</strong> antiken Religion als „subjektiver“ und<br />
„öffentlicher“ „Volksreligion“ mit aus dem Volksgeist stammenden Festen<br />
und Bräuchen („Die Volksfeste <strong>der</strong> Griechen waren wohl alle Religionsfeste...<br />
Volksreligion – die, große Gesinnungen erzeugt und nährt – geht Hand<br />
in Hand mit <strong>der</strong> Freiheit...“ 118 ).<br />
Der Verfall und Verlust <strong>der</strong> Freiheit und Selbsttätigkeit, das Aufkommen<br />
von Unterdrückung und Passivität sind nach <strong>der</strong> Darstellung des<br />
jungen Hegel auch ein Ergebnis <strong>der</strong> Ungleichheit des Reichtums (<strong>der</strong> „Aristokratie<br />
des Kriegsruhms und des Reichtums“), aber primär die Auswirkung<br />
und Ursache <strong>der</strong> „Positivität“ – d. h. <strong>der</strong> Objektivität o<strong>der</strong> Fremdheit,<br />
Autorität und Heteronomie – <strong>der</strong> christlichen sich an den einzelnen Menschen<br />
wendenden „Privatreligion“, wobei Hegel nicht genügend unterscheidet<br />
zwischen dem vorkonstantinischen Christentum und <strong>der</strong> – den Gedanken<br />
des „Romanum Imperium“ und <strong>der</strong> „Roma aeterna“ rezipierenden –<br />
machtvollen Staatskirche mit ihrer hierarchischen Herrschaftsstruktur.<br />
(„Das Bild des Staates, als ein Produkt seiner Tätigkeit verschwand aus<br />
<strong>der</strong> Seele des Bürgers... Alle Tätigkeit, alle Zwecke bezogen sich jetzt aufs<br />
Individuelle... alle politische Freiheit fiel hinweg... Die Vernunft konnte es<br />
nie aufgeben, doch irgendwo das Absolute, das Selbständige, Praktische zu<br />
finden, in dem Willen <strong>der</strong> Menschen war es nicht mehr anzutreffen; es<br />
zeigte sich ihr noch in <strong>der</strong> Gottheit, die die christliche Religion ihr darbot,<br />
außerhalb <strong>der</strong> Sphäre unserer Macht, unseres Wollens, doch nicht unseres<br />
Flehens und Bittens – die Realisierung einer moralischen Idee konnte<br />
also nur noch gewünscht... nicht mehr gewollt werden...“ 119 )<br />
In <strong>der</strong>selben Weise sind <strong>für</strong> den jungen Hegel <strong>der</strong> Berner Periode die<br />
Moralgesetze <strong>der</strong> dualistischen Kantischen Ethik gegenüber <strong>der</strong> praktischen<br />
Subjektivität positiv, also objektiv o<strong>der</strong> gegenständlich, gegeben,<br />
fremd, tot, unaufhebbar, „etwas außer uns Bestehendes“. 120<br />
In seiner weiteren Entwicklung, in <strong>der</strong> Frankfurter Periode (1797-1800),<br />
sieht Hegel – in gewandelter Einstellung zum Christentum – die praktische<br />
lebendige Subjektivität und Selbstbestimmung, die gegen die Hinnahme
47<br />
<strong>der</strong> toten Positivität (des etablierten Faktums und des affirmierten Fatum)<br />
opponiert, in <strong>der</strong> Liebe und in dem „Leben“ <strong>der</strong> Religion verwirklicht.<br />
Das christliche Leben vereint das von den tyrannischen Kantischen Moralgeboten<br />
und von den herrischen jüdischen Gesetzen Entzweite und versöhnt<br />
mit dem notwendigen äußeren „Schicksal“ (speziell mit <strong>der</strong> Strafe<br />
des Verbrechers).<br />
So sagt Hegel in dem Konzept zu seiner Frankfurter Hauptschrift „Der<br />
Geist des Christentums und sein Schicksal“ (l799): „Jesus setzt dem Gebote<br />
die Gesinnung gegenüber, d. h. die Geneigtheit, so zu handeln; Neigung<br />
ist in sich gegründet, hat ihr idealisches Objekt in sich selbst; nicht in einem<br />
Fremden (dem Sittengesetze <strong>der</strong> Vernunft)... Gesinnung hebt die Positivität,<br />
Objektivität <strong>der</strong> Gebote auf; Liebe die Schranken <strong>der</strong> Gesinnung,<br />
Religion die Schranken <strong>der</strong> Liebe.“ 121<br />
Der Hauptaspekt <strong>der</strong> Kritik Hegels an Kants Ethik kommt in <strong>der</strong> Ausarbeitung<br />
dieser Frühschrift mit folgenden Worten prägnant zum Ausdruck<br />
(im Anschluss an eine Stelle in Kants „Die Religion innerhalb <strong>der</strong> Grenzen<br />
<strong>der</strong> bloßen Vernunft“): „... zwischen dem tungusischen Schamanen mit<br />
dem Kirche und Staat regierenden europäischen Prälaten o<strong>der</strong> dem Mogulitzen<br />
mit dem Puritaner und dem seinem Pflichtgebot Gehorchenden ist<br />
nicht <strong>der</strong> Unterschied, dass jene sich zu Knechten machten, dieser frei wäre;<br />
son<strong>der</strong>n dass jener den Herren außer sich, dieser aber den Herren in<br />
sich trägt, zugleich aber sein eigener Knecht ist... Ein Mann (sc. Kant, E.<br />
T.) <strong>der</strong> den Menschen in seiner Ganzheit wie<strong>der</strong> herstellen wollte, konnte<br />
einen solchen Weg unmöglich einschlagen, <strong>der</strong> <strong>der</strong> Zerrissenheit des Menschen<br />
nur einen hartsinnigen Dünkel zugesellt...“ 122<br />
In dem Konzept zu <strong>der</strong> Schrift „Der Geist des Christentums und sein<br />
Schicksal“ behandelt Hegel ein Hauptmoment <strong>der</strong> Praxis, nämlich die<br />
Wahl, und zwar in Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Kants Bestimmung <strong>der</strong> Wahl<br />
als Entscheidung zwischen moralisch Gutem und Bösem. Die Wahl ist <strong>für</strong><br />
Hegel hier die adäquate Vereinigung o<strong>der</strong> Versöhnung zwischen wählendem<br />
Subjekt und gewähltem Objekt und vollbringt als solche die Aufhebung<br />
<strong>der</strong> Positivität. Ob die Vereinigung <strong>der</strong> Wahl wirklich moralisch ist,<br />
hängt vom gewählten Inhalt ab, nicht primär von <strong>der</strong> Gesinnung und <strong>der</strong><br />
Vorstellung. Worauf es Hegel wesentlich ankommt, ist, was gewählt wird:<br />
„... das Vorstellende und das Vorgestellte werden eins; dies ist die Hand-
48<br />
lung; das Moralische <strong>der</strong> Handlung ist in <strong>der</strong> Wahl, die Vereinigung in <strong>der</strong><br />
Wahl ist, dass das Ausgeschlossene ein Trennendes ist; dass das Vorgestellte,<br />
das in <strong>der</strong> Handlung vereinigt wird mit dem Vorstellenden <strong>der</strong> Tätigkeit,<br />
selbst schon ein Vereinigtes sei, unmoralisch, wenn es ein Trennendes<br />
ist. Die Möglichkeit <strong>der</strong> Entgegensetzung ist Freiheit – das Entgegensetzen<br />
selbst ein Akt <strong>der</strong> Freiheit. Die moralische Handlung ist darum<br />
unvollständig und unvollkommen, weil sie die Wahl, weil sie Freiheit, Entgegengesetzte,<br />
Ausschließung eines Entgegengesetzten voraussetzt, – je<br />
verbundener dies Ausgeschlossene ist, desto größer die Aufopferung, die<br />
Trennung, desto unglücklicher das Schicksal; ‚je‘ größer dieser einzelne,<br />
desto zerrissener die Idee des Menschen; ‚je‘ intensiver sein Leben, desto<br />
mehr verliert es an Extension, und er trennt sich wie<strong>der</strong> desto mehr. Moralität<br />
‚ist‘ Angemessenheit, Vereinigung mit dem Gesetz des Lebens; ist dieses<br />
Gesetz aber nicht Gesetz des Lebens, son<strong>der</strong>n selbst ein fremdes, so ist<br />
die höchste Trennung; Objektivität.“ 123 (Freiheit ist also <strong>für</strong> Hegel eine<br />
Qualität <strong>der</strong> Willensentscheidung, <strong>der</strong> Wahl selbst, nicht nur – wie etwa<br />
<strong>für</strong> Locke, <strong>der</strong> die Frage <strong>der</strong> Willensfreiheit unbeantwortet lässt – die Fähigkeit,<br />
eine getroffene Willensentscheidung in die Tat umzusetzen.)<br />
Auch im Frankfurter Systemfragment von 1800 steht im Mittelpunkt<br />
die Frage <strong>der</strong> Vereinigung und des „Lebens“ (d. h. <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Vereinheitlichung<br />
des Entgegengesetzten o<strong>der</strong> des „Fließgleichgewichts“ – venia<br />
sit verbo). Später präzisiert Hegel den Begriff des Lebens durch Angabe <strong>der</strong><br />
drei Hauptmerkmale: Totalität, Prozesshaftigkeit und Selbstbewegung o<strong>der</strong><br />
Selbstreproduktion. 124 Diese Problematik wird hier weiter ausgeführt in<br />
Richtung auf die reife Konzeption <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit. Zwischen Individuum<br />
und Objektwelt herrscht nach Hegels Entwurf eine untrennbare<br />
Beziehung; das Individuum „wird bloß in Beziehung betrachtet, sein Sein<br />
nur als Vereinigung habend...“ 125 Diese Beziehung zwischen Subjekt und<br />
Objekt wird als lebendiges Wechselverhältnis aufgefasst.<br />
Dabei bestimmt Hegel das „Leben“ o<strong>der</strong> den „Geist“ mit einer Formulierung,<br />
die seiner reifen Artikulation <strong>der</strong> Dialektik als „Identität <strong>der</strong> Identität<br />
und Nichtidentität“ entspricht: er nennt das Leben „die Verbindung <strong>der</strong><br />
Verbindung und <strong>der</strong> Pflichtverbindung“. 126 Aus alledem ist im übrigen ersichtlich,<br />
dass Hegels Begriff des „Lebens“ – die Keimform seines Begriffes<br />
<strong>der</strong> Sittlichkeit – nichts gemeinsam hat mit dem gleichnamigen Begriff <strong>der</strong>
49<br />
Lebensphilosophie, die Hegel vielmehr indirekt in Friedrich Heinrich Jacobi<br />
und seiner Lehre vom undialektischen intuitiven „unmittelbaren Wissen“<br />
kritisiert. Viel eher ist bei Hegels Begriff des „Lebens“ an Aristoteles’<br />
Bestimmung des Geistes als Leben in <strong>der</strong> „Metaphysik“ zu denken.<br />
Am Ende <strong>der</strong> folgenden Jenaer Periode (180l-1807), in <strong>der</strong> er seine Dialektik<br />
vollständig entwickelt hat, zeigt Hegel in <strong>der</strong> „Phänomenologie des<br />
Geistes“ an mehreren Wendepunkten <strong>der</strong> „Odyssee des Geistes“ (Schelling),<br />
wie vor dem Erreichen <strong>der</strong> Position <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit und<br />
praktischen Freiheit die wahre Vereinigung von Einzelnem und Allgemeinem<br />
wie<strong>der</strong>holt scheitert, indem das Subjekt mit <strong>der</strong> fremd gegenüberstehenden<br />
unbegriffenen Objektwelt kollidiert. In diesen Zusammenstößen<br />
liegt ein Merkmal <strong>der</strong> Kontinuität, ein Leitfaden, in <strong>der</strong> allgemeinen geistigen<br />
Entwicklung.<br />
Zu diesen mißglückten Synthesen gehören: die Flucht des stoischen<br />
Bewusstseins aus <strong>der</strong> realen Abhängigkeit in die „einfache Wesenheit des<br />
Gedankens“, worin nur <strong>der</strong> abstrakte inhaltslose „Begriff <strong>der</strong> Freiheit,<br />
nicht die lebendige Freiheit selbst“ liegt 127 ; das Sicheinlassen des skeptischen<br />
Bewusstseins in den bestimmten einzelnen Inhalt, den es zwar negiert,<br />
in dem es aber trotz <strong>der</strong> Deklaration seiner Nichtigkeit befangen<br />
bleibt, falls es sich nicht in das an<strong>der</strong>e Extrem <strong>der</strong> rein negativen Freiheit<br />
des Selbstbewusstseins unversöhnt zurückzieht („es erkennt seine Freiheit<br />
einmal als Erhebung über alle Verwirrung und alle Zufälligkeit des Daseins<br />
und bekennt sich ebenso das andremal wie<strong>der</strong> als ein Zurückfallen in die<br />
Unwesentlichkeit und als ein Herumtreiben in ihr“ 128); dann die Entzweiung<br />
des unglücklichen Bewusstseins, dessen Kennzeichen <strong>der</strong> Dualismus<br />
von Diesseits und Jenseits, von Menschlichem, Unwesentlichem und<br />
Wandelbarem einerseits und Göttlichem, Wesentlichem und Unwandelbarem<br />
an<strong>der</strong>erseits ist; es hat den Herr-Knecht-Gegensatz in sich selbst. Das<br />
unglückliche Bewusstsein ist <strong>der</strong> Schmerz „über dieses Dasein und Tun,<br />
denn es hat darin nur das Bewusstsein seines Gegenteils als des Wesens,<br />
und <strong>der</strong> eigenen Nichtigkeit.“ 129 Es gewinnt in <strong>der</strong> entzwei gebrochenen<br />
Wirklichkeit durch die Arbeit, die es sich nicht als seine eigene zuschreibt,<br />
keine Bewährung und Selbstbestätigung. (Hiermit kontrastiert zum Beispiel<br />
die Darstellung <strong>der</strong> Nie<strong>der</strong>län<strong>der</strong> in <strong>der</strong> „Ästhetik“, in <strong>der</strong>en Bil<strong>der</strong>n<br />
sich ausdrückt, wie heimisch, frei, voller Froheit und Selbstgefühl sie in
50<br />
ihrer bürgerlichen Welt waren, in <strong>der</strong> sie alles „ihrer eigenen Tätigkeit verdanken“<br />
konnten. 130 ) Aber durch Entsagung und Verzicht auf eigenen Willen,<br />
Arbeit, Genuß und Besitz hat an sich auch vom unglücklichen Bewusstsein<br />
„sein Unglück... abgelassen“, und ist es an sich die vernünftige<br />
Einheit des Einzelnen und Allgemeinen, des Wandelbaren und Unwandelbaren.<br />
Die bisher erwähnten Kollisionen von Subjekt und Objekt spielten sich<br />
im individuellen Bewusstsein auf dem Hintergrund <strong>der</strong> antiken und mittelalterlichen<br />
Welt ab. Aber auch auf <strong>der</strong> folgenden Stufe des objektiven<br />
Geistes kommt es zu praktischen Zusammenstößen zwischen Individuellem<br />
und Allgemeinem: die sinnliche Lust o<strong>der</strong> das einzelne Gefühl – in<br />
Goethes „Faust“ vom Erdgeist repräsentiert – findet den Untergang in <strong>der</strong><br />
schicksalhaften allgemeinen Notwendigkeit. Das Bewusstsein erfährt, dass<br />
„die Folgen seiner Taten... ihm nicht seine Taten selbst“ sind, und die abstrakte<br />
Notwendigkeit ist „nur die unbegriffene Macht <strong>der</strong> Allgemeinheit, an<br />
welcher die Individualität zerschmettert wird.“ 131<br />
Ähnlich ergeht es dem Individuum, das sein unmittelbares „Gesetz des<br />
Herzens“, dessen beson<strong>der</strong>em Inhalt und seine Auffassung vom „Wohl <strong>der</strong><br />
Menschheit“ in seinem Tun verwirklichen will. Es muss erfahren, dass die<br />
an<strong>der</strong>en „Herzen <strong>der</strong> Menschen selbst seinen vortrefflichen Absichten entgegen“<br />
sind. 132 Als Beispiele <strong>für</strong> die Ausdehnung <strong>der</strong> subjektiven hochfliegenden,<br />
überschwenglichen Ziele zur substantiellen Allgemeinheit führt<br />
Hegel in <strong>der</strong> „Ästhetik“ unter an<strong>der</strong>em an: Faust (im ersten Teil des Dramas),<br />
Ferdinand in Schillers „Kabale und Liebe“, Wallenstein und Karl<br />
Moor, <strong>der</strong> sich als „selbständiger Rächer“ gegen „die gesamte bürgerliche<br />
Ordnung und den ganzen Zustand <strong>der</strong> Welt und Menschheit seiner Zeit<br />
empört“. 133<br />
Nach <strong>der</strong> Darstellung des Scheiterns <strong>der</strong> Tugend am Weltlauf zeigt Hegel<br />
den Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> individuellen Handlung und dem<br />
gesellschaftlichen Allgemeinen im „geistigen Tierreich“ <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Gesellschaft („Das Ganze ist die sich bewegende Durchdringung <strong>der</strong> Individualität<br />
und des Allgemeinen...“ 134 ), bevor er in den Kapiteln „Die gesetzgebende<br />
Vernunft“ und „Die gesetzprüfende Vernunft“ die „reine Form <strong>der</strong><br />
Allgemeinheit“ <strong>der</strong> Kantischen und Fichteschen Moral bemängelt und<br />
dann von den „Gestalten des Bewusstseins“ zu den wirklichen „Gestalten
51<br />
einer Welt“, d. h. zur Entwicklung des objektiven Geistes, übergeht. Auch<br />
an ihrem Endpunkt steht – vor dem hier in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“<br />
noch vagen „versöhnenden Ja“ – eine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit dem<br />
gegenüber dem Inhalt gleichgültigen unmittelbar „seiner selbst gewissen<br />
Geist“ <strong>der</strong> abstrakten Moralität und auch mit dem Bewusstsein <strong>der</strong> „schönen<br />
Seele“, dem die „Kraft <strong>der</strong> Entäußerung“ fehlt, „die Kraft, sich zum<br />
Dinge zu machen und das Sein zu ertragen; es lebt in <strong>der</strong> Angst, die Herrlichkeit<br />
seines Innern durch Handlung und Dasein zu beflecken; und um<br />
die Reinheit seines Herzens zu bewahren, flieht es die Berührung <strong>der</strong><br />
Wirklichkeit...“ 135<br />
Hier tritt noch einmal beson<strong>der</strong>s prägnant Hegels Konzeption <strong>der</strong> Praxis<br />
als konkreter Sittlichkeit hervor in <strong>der</strong> Ablehnung einer starren Trennung<br />
<strong>der</strong> Pflichten gegen sich selbst und gegen die Allgemeinheit: „Alsdenn ist<br />
ferner jene Unterscheidung <strong>der</strong> Pflicht gegen das Einzelne und gegen das<br />
Allgemeine <strong>der</strong> Natur des Gegensatzes überhaupt nach nichts Festes. Son<strong>der</strong>n<br />
vielmehr was <strong>der</strong> Einzelne <strong>für</strong> sich tut, kommt auch dem Allgemeinen<br />
zugute; je mehr er <strong>für</strong> sich gesorgt, desto größer ist nicht nur seine Möglichkeit,<br />
an<strong>der</strong>n zu nützen; son<strong>der</strong>n seine Wirklichkeit selbst ist nur dies,<br />
im Zusammenhange mit an<strong>der</strong>n zu sein und zu leben... In <strong>der</strong> Erfüllung<br />
<strong>der</strong> Pflicht gegen den Einzelnen, also gegen sich, wird also auch die gegen<br />
das Allgemeine erfüllt.“ 136<br />
In diesem Exkurs über die Hauptetappen <strong>der</strong> sukzessiven Entstehung<br />
<strong>der</strong> Hegelschen Praxiskonzeption <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit ist die – nach<br />
Überwindung des Utopismus <strong>der</strong> Berner Periode – sich steigernde Tendenz<br />
zur Versöhnung mit <strong>der</strong> Wirklichkeit hervorgetreten, auf <strong>der</strong>en Konsequenzen<br />
unten zurückzukommen ist. Es muss noch einmal unter an<strong>der</strong>em<br />
Aspekt die ausgebildete Theorie des objektiven Geistes betrachtet werden.<br />
Im folgenden ist herauszustellen, dass <strong>für</strong> Hegel die Praxis des allgemeinen<br />
konkreten Willens die Sphäre <strong>der</strong> Entfremdung des absoluten Geistes ist.<br />
Zu dem Niveau des objektiven Geistes erhebt sich <strong>der</strong> einzelne, subjektive<br />
Wille dadurch, dass er sich denjenigen Inhalt, Gegenstand und Zweck<br />
gibt, den er nur im Denken erreichen kann, nämlich die rechtlichen, moralischen<br />
und sittlichen Gesetze des Geistes, <strong>der</strong>en zusammenfassende Bestimmung<br />
die Freiheit ist. „Die wahre Freiheit ist als Sittlichkeit dies, dass<br />
<strong>der</strong> Wille nicht subjektive, d. i. eigensüchtige, son<strong>der</strong>n allgemeinen Inhalt
52<br />
zu seinen Zwecken hat; solcher Inhalt ist aber nur im Denken und durchs<br />
Denken...“ 137<br />
Dagegen ist <strong>der</strong> Inhalt des individuellen Willens auf <strong>der</strong> Stufe des subjektiven<br />
Geistes nicht ausschließlich im Denken. Er kann auch in <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung o<strong>der</strong> Vorstellung sein; und die Verstandesreflexion bringt<br />
an den beson<strong>der</strong>en zufällig gegebenen Inhalt des individuellen Willens nur<br />
die formale Allgemeinheit heran, so dass Form und Inhalt sich entgegengesetzt<br />
bleiben und <strong>der</strong> individuelle reflektierende Wille an den Inhalt gebunden<br />
und durch ihn bestimmt bleibt.<br />
Schon um nur die Reflexionsform <strong>der</strong> Allgemeinheit des Wissens und<br />
Wollens zu erreichen, muss sich <strong>der</strong> einzelne, subjektive Wille erheben aus<br />
<strong>der</strong> vorgefundenen Objektwelt, d. h. aus dem Bereich <strong>der</strong> unmittelbaren,<br />
natürlichen, partikulären Bedürfnisse und <strong>der</strong> äußerlich sich dem Bewusstsein<br />
darbietenden Naturdinge sowie aus dem Bereich des Verhältnisses<br />
einzelner Menschen, die sich in ihrem Selbstbewusstsein verschieden<br />
und partikulär sind. Der einzelne, subjektive Wille – dessen Freiheit als<br />
Auflösung und Vereinigung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes zur Befriedung<br />
nur beschränkt und nicht endgültig ist – befreit sich weiter und bildet<br />
sich durch „die harte Arbeit gegen die bloße Subjektivität des Benehmens,<br />
gegen die Unmittelbarkeit <strong>der</strong> Begierde, sowie gegen die subjektive<br />
Eitelkeit <strong>der</strong> Empfindung und die Willkür des Beliebens.“ 138<br />
Da <strong>der</strong> objektive konkret allgemeine, vernünftige Inhalt des Willens, die<br />
allgemeingültige Ordnung <strong>der</strong> zwischenmenschlichen Beziehungen, dem<br />
Denken angehört, aber auch sein wirkliches Element im Willen hat, repräsentiert<br />
<strong>der</strong> „wirkliche freie Wille“ als objektiver, gegenständlicher Geist die<br />
Aufhebung und Synthese <strong>der</strong> subjektiven theoretischen und praktischen<br />
Tätigkeit. 139<br />
In dieser Synthese <strong>der</strong> subjektiven Theorie und Praxis auf <strong>der</strong> Stufe des<br />
objektiven Geistes erfasst sich aber <strong>der</strong> Geist noch nicht in seinem eigenen<br />
Element, im Geist selbst. Der objektive, vergegenständlichte Geist ist noch<br />
nicht <strong>der</strong> absolute Geist. Der Geist bleibt im Element des Willens, in seinem<br />
an<strong>der</strong>en, sich selbst entfremdet. Er bezieht sich nicht auf sich als<br />
Geist. Das heißt: die Gegensätze von Subjekt und Objekt sind noch keine<br />
rein logischen Gegensätze des absoluten Wissens. Das Wahre ist noch<br />
nicht in <strong>der</strong> Form des Wahren. Die rechtlichen, moralischen und sittlichen
53<br />
geistigen Bestimmungen existieren durch den Willen. Denken und Willen<br />
werden im Bereich des objektiven Geistes noch unterschieden. Der objektive<br />
Geist ist <strong>der</strong> absolute Geist erst in seinem Dasein. „Die Idee erscheint<br />
so nur im Willen, <strong>der</strong> ein endlicher, aber <strong>der</strong> Tätigkeit ist, sie zu entwickeln<br />
und ihren sich entfaltenden Inhalt als Dasein, welches als Dasein <strong>der</strong> Idee<br />
Wirklichkeit ist, zu setzen, – objektiver Geist.“ 140<br />
Das heißt vom Standpunkt des absoluten Geistes aus, dass <strong>der</strong> objektive<br />
Geist die Sphäre <strong>der</strong> Praxis ist; denn Geist und Wille verhalten sich<br />
prinzipiell wie Theorie und Praxis, und <strong>der</strong> absolute Geist hat sich als objektiver<br />
Geist in den Willen entäußert. Dagegen erwies sich vom Standpunkt<br />
des subjektiven Geistes aus <strong>der</strong> objektive Geist als Einheit von (subjektiver)<br />
Theorie und Praxis.<br />
Indem <strong>der</strong> objektive Geist – in Hinblick auf den absoluten Geist – die<br />
Sphäre <strong>der</strong> Realität o<strong>der</strong> Existenz und Praxis ist, ist er auch noch die<br />
Sphäre <strong>der</strong> Entfremdung und Endlichkeit. 141 Das zeigt sich daran, dass<br />
<strong>der</strong> Träger des objektiven Geistes jeweils ein beson<strong>der</strong>es Volk in <strong>der</strong> Geschichte<br />
mit bestimmten staatlichen Einrichtungen ist. „Das Prinzip selbst<br />
aber, als dessen Wirklichkeit das Staatsleben da ist und worin <strong>der</strong> Mensch<br />
seine Befriedigung sucht, ist, wie mannigfach es auch in seiner inneren<br />
und äußeren Glie<strong>der</strong>ung sich entfalten mag, dennoch ebensosehr wie<strong>der</strong><br />
einseitig und abstrakt in sich selbst. Es ist nur die vernünftige Freiheit des<br />
Willens, welche sich darin expliziert; es ist nur <strong>der</strong> Staat – und wie<strong>der</strong>um<br />
nur dieser einzelne Staat – und dadurch wie<strong>der</strong> eine beson<strong>der</strong>e Sphäre des<br />
Daseins, und <strong>der</strong>en vereinzelte Realität, in welcher Freiheit wirklich<br />
wird.“ 142<br />
Somit ist <strong>der</strong> objektive Geist noch nicht vollkommen frei, und zwar unter<br />
<strong>der</strong> grundlegenden Voraussetzung, dass die Gegenständlichkeit<br />
schlechthin in den absoluten Geist aufhebbar ist. Als frei und unendlich<br />
erwies sich <strong>der</strong> objektive Geist nur insofern, als auf seiner Stufe <strong>der</strong> Wille<br />
mit <strong>der</strong> Aufnahme des ihm angemessenen allgemeinen rechtlichen, moralischen<br />
und sittlichen Inhalts denjenigen Standpunkt erreicht, den er als<br />
Wille erreichen kann, nämlich seine Wahrheit als Übereinstimmung seines<br />
Begriffs und seines Daseins.
54<br />
Der Wille als Wille überwindet zwar die Endlichkeit und Abhängigkeit,<br />
aber die Wahrheit des Willens ist <strong>für</strong> Hegel <strong>der</strong> absolute Geist, mit dem<br />
we<strong>der</strong> <strong>der</strong> subjektive noch <strong>der</strong> objektive Wille übereinstimmt.<br />
Wenn auch <strong>der</strong> objektive Geist in <strong>der</strong> Perspektivs des absoluten Geistes<br />
noch die Sphäre <strong>der</strong> Praxis, <strong>der</strong> Entfremdung, Gegenständlichkeit, Endlichkeit<br />
und Unfreiheit ist, so befindet er sich doch auf dem Wege zum absoluten<br />
Geist: er ist ein Schritt zur Entgegenständlichung, Verinnerlichung<br />
und vollkommenen geistigen Freiheit; denn die Gegenstände <strong>der</strong> Praxis auf<br />
<strong>der</strong> Stufe des objektiven Geistes – die rechtlichen, moralischen und sittlichen<br />
Bestimmungen – sind nicht sinnlich, son<strong>der</strong>n intelligibel, ausschließlich<br />
dem Denken zugänglich. Der auf sie gerichtete Wille ist also in seiner<br />
Verwirklichung schon innerlich. Die Synthese von Innen und Außen, Begriff<br />
o<strong>der</strong> Idealität und Realität ist auf dieser Stufe selbst innerlich und ideell.<br />
„Der an und <strong>für</strong> sich seiende Wille ist... nicht bloße Möglichkeit, Anlage,<br />
Vermögen(potentia), son<strong>der</strong>n das Wirklich-Unendliche (infinitum actu),<br />
weil das Dasein des Begriffs, o<strong>der</strong> seine gegenständliche Äußerlichkeit das<br />
Innerliche selbst ist.“ 142a<br />
Der Wille auf <strong>der</strong> Stufe des objektiven Geistes ist also real, indem er von<br />
sich weiß. Die Entwicklungshöhe <strong>der</strong> rechtlichen, moralischen und sittlich-politischen<br />
Verhältnisse, das heißt <strong>der</strong> realen Freiheit, innerhalb eines<br />
bestimmten Volkes hängt somit von <strong>der</strong> Entwicklung seines Selbstbewusstseins<br />
ab.<br />
Da <strong>der</strong> objektive Geist eine Sphäre <strong>der</strong> Praxis ist, <strong>der</strong> Wille in ihr aber<br />
ausschließlich gedanklich fassbare Gegenstände hat, ergibt sieh: <strong>für</strong> Hegel<br />
ist die Praxis, d. h. die Bestimmung o<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung von Gegenständen,<br />
nicht identisch mit <strong>der</strong> Bestimmung o<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung sinnlicher Gegenstände.<br />
Dies verdient schon an dieser Stelle hervorgehoben zu werden hinsichtlich<br />
<strong>der</strong> junghegelianischen Umdeutungen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> Hegels, in<br />
<strong>der</strong>en Verlauf schließlich Marx die Praxis mit „gegenständlicher“ – und das<br />
heißt <strong>für</strong> ihn: sinnlicher – Tätigkeit gleich setzt.
55<br />
6. Der scheinbare Vorrang <strong>der</strong> Praxis gegenüber <strong>der</strong> Theorie<br />
Wenn auch, wie dargestellt, <strong>für</strong> Hegel Theorie und Praxis in <strong>der</strong> Sphäre<br />
<strong>der</strong> Endlichkeit beide einseitig sind und keine vollkommene Einheit und<br />
Freiheit erreichen, da dem subjektiven Geist eine beschränkende objektive<br />
Außenwelt mit ihrer Selbständigkeit und Fremdheit vorgegeben bleibt und<br />
dem objektiven Willen noch die Form des absoluten Geistes ermangelt, so<br />
sind sie doch nicht gleichrangig.<br />
Zunächst hat die Praxis einen Vorrang: im theoretischen Verhalten des<br />
endlichen Bewusstseins empfängt das Subjekt den Inhalt als vorgegebenen<br />
und ist ausschließlich formal o<strong>der</strong> abstrakt bei sich selbst und frei, insofern<br />
es bei allen äußeren Bestimmungen in reiner Unbestimmtheit und<br />
Selbstgewissheit identisch mit sich bleiben kann. Dagegen bestimmt sich<br />
das Subjekt in <strong>der</strong> Praxis nicht nur formal, son<strong>der</strong>n auch inhaltlich aus<br />
sich selbst, aus dem Bewusstsein. „Beim theoretischen Vermögen macht<br />
es nun den wesentlichen Unterschied aus, dass nur die Form im Bestimmen<br />
des Geistes liegt, hingegen beim praktischen <strong>der</strong> Inhalt auch vom<br />
Geist herkommt.“ 143<br />
Diese inhaltliche Selbstbestimmung gilt sowohl <strong>für</strong> die objektive konkret<br />
allgemeine Praxis als auch <strong>für</strong> die subjektive, individuelle Praxis; aber<br />
<strong>für</strong> diese gilt sie nur in relativer Weise: den inneren Inhalt, <strong>der</strong> durch das<br />
Handeln äußeres Dasein erhalten soll, findet sie vor und macht ihn erst<br />
willentlich – durch den Entschluss – zum eigenen Inhalt. „Die Umstände<br />
o<strong>der</strong> Beweggründe haben nur so viel Herrschaft über den Menschen, als er<br />
selbst ihnen einräumt.“ 144<br />
Indem <strong>der</strong> innere Inhalt des Willensentschlusses durch das Handeln<br />
realisiert wird, d. h. die inneren Möglichkeiten und Reichtümer vorgezeigt<br />
werden, und dadurch das äußere Vorhandene umgestaltet und zur Übereinstimmung<br />
und Vereinigung mit dem Inneren gebracht wird (so dass das<br />
Handeln Setzen und Negieren, gewissermaßen Zustimmung und Missbilligung,<br />
zugleich ist), bleiben <strong>der</strong> innere Inhalt und <strong>der</strong> realisierte Inhalt <strong>der</strong><br />
gleiche, und nur die Form wird aufgehoben. „Das Haus, welches, dem Vorsatz<br />
nach, gebaut werden soll, und das, welches, dem Plan nach, gebaut<br />
wird, sind dasselbe Haus.“ 145
56<br />
Dementsprechend stellt Hegel auf <strong>der</strong> Ebene <strong>der</strong> „Logik“ die praktische<br />
Idee des Guten, da sie in sich das Moment <strong>der</strong> Bestimmtheit enthält, höher<br />
als die theoretische Idee des Wahren: „In <strong>der</strong> theoretischen Idee steht<br />
<strong>der</strong> subjektive Begriff als das Allgemeine, an und <strong>für</strong> sich Bestimmungslose,<br />
<strong>der</strong> objektiven Welt entgegen, aus <strong>der</strong> er sich den bestimmten Inhalt<br />
und die Erfüllung nimmt. In <strong>der</strong> praktischen Idee aber steht er als Wirkliches<br />
dem Wirklichen gegenüber... Die Objektivität hat das Subjekt hier<br />
sich selbst vindiziert; seine Bestimmtheit in sich ist das Objektive, denn es<br />
ist die Allgemeinheit, welche ebensowohl schlechthin bestimmt ist... Diese<br />
in dem Begriffe enthaltene, ihm gleiche, und die For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> einzelnen<br />
äußerlichen Wirklichkeit in sich schließende Bestimmtheit ist das Gute...<br />
Diese Idee ist höher als die Idee des betrachteten Erkennens, denn sie hat<br />
nicht nur die Würde des Allgemeinen, son<strong>der</strong>n auch des schlechthin Wirklichen.“<br />
146<br />
Aber <strong>der</strong> Vorrang <strong>der</strong> Praxis gegenüber <strong>der</strong> Theorie wird letztlich von<br />
Hegel als Schein behandelt. Der Mangel <strong>der</strong> Praxis ist <strong>für</strong> Hegel, dass sie<br />
keine absolute Selbstbestimmung gewährt. Der Inhalt des objektiven allgemeinen<br />
Willens ist nämlich nicht in seiner wahren Form, dem Geist; und<br />
<strong>der</strong> subjektive, individuelle Wille ist inhaltlich nur relativ autonom, d. h. er<br />
bleibt in Beziehung auf seinen Inhalt beschränkt und endlich.<br />
Der Grund da<strong>für</strong> ist, dass <strong>der</strong> Praxis eine von ihr unabhängige gleichsam<br />
wi<strong>der</strong>spenstige objektive Welt als unüberwindliche nicht manipulierbare<br />
Schranke, als das sich selbst vorgebende Unverfügbare, Ungenießbare,<br />
vorausgesetzt bleibt, dass also die Gegenständlichkeit <strong>für</strong> die schöpferische<br />
praktische Initiative den Charakter <strong>der</strong> Notwendigkeit hat.<br />
Infolgedessen kann auch die Realisierung des Willensinhaltes in <strong>der</strong><br />
Außenwelt gehemmt o<strong>der</strong> verhin<strong>der</strong>t werden (so dass sie ein Postulat<br />
bleibt); o<strong>der</strong> ein realisierter Willensinhalt kann mit einem an<strong>der</strong>en kollidieren<br />
und von ihm zerstört werden. 147<br />
Die Praxis hat aber nicht nur den Mangel <strong>der</strong> Relativität <strong>der</strong> Selbstbestimmung.<br />
Sie ermangelt auch eines Vorzugs <strong>der</strong> endlichen Theorie: diese<br />
lässt im Gegensatz zur Praxis die unabhängige Gegenstandswelt frei in ihrem<br />
eigenen Wesen gewähren und behandelt sie nicht als <strong>für</strong> sich nichtig<br />
(allerdings auf Kosten ihrer eigenen inhaltlichen Selbstbestimmung). 148
57<br />
Diese doppelte Mangelhaftigkeit <strong>der</strong> Praxis und die – oben im zweiten<br />
Abschnitt ausführlicher darstellte – Einseitigkeit <strong>der</strong> endlichen Theorie<br />
können nach Hegels Konzeption von <strong>der</strong> absoluten Theorie, dem absoluten<br />
Wissen, als einer Synthese <strong>der</strong> endlichen Theorie und <strong>der</strong> endlichen –<br />
subjektiven und objektiven – Praxis überwunden werden.<br />
Diese absolute Theorie muss demnach drei Bedingungen erfüllen: erstens<br />
muss sie die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Objektivität schlechthin überwinden;<br />
zweitens muss sie aber auch die objektive Wirklichkeit frei <strong>für</strong> sich in<br />
ihrem Wesen lassen; drittens darf sie dennoch nicht von <strong>der</strong> so frei gelassenen<br />
objektiven Wirklichkeit – wie die endliche Theorie – in ihrer inhaltlichen<br />
Selbstbestimmung eingeschränkt werden.<br />
Die Erfüllung dieser drei Bedingungen impliziert konsequenterweise die<br />
Konzeption einer vollkommenen Vereinigung von Subjekt und Objekt in<br />
<strong>der</strong> Weise, dass die objektive Wirklichkeit selbst das Produkt o<strong>der</strong> die Entäußerung<br />
eines absoluten Subjekts, des absoluten Geistes, ist, so dass<br />
also die objektive Wirklichkeit selbst geistiger Natur ist und das Subjekt in<br />
<strong>der</strong> Beziehung auf das Objekt in vollkommener Selbstbestimmung bei sich<br />
bleibt.<br />
Es ist offensichtlich, wie leicht aus Hegels Bestimmung des Theorie-<br />
Praxis-Verhältnisses bei einer Reduzierung des absoluten Geistes auf den<br />
menschlichen Geist Folgerungen zugunsten des Primats <strong>der</strong> Praxis gezogen<br />
werden können. Insofern mit dem absoluten Geist auch <strong>der</strong> idealistische<br />
Objektivitätsbegriff preisgegeben wird, lassen sich <strong>der</strong> unüberwindliche<br />
Wi<strong>der</strong>stand <strong>der</strong> Objektwelt, d. h. die Unaufhebbarkeit <strong>der</strong> Gegenständlichkeit<br />
als solcher, und <strong>der</strong> nur relative Charakter <strong>der</strong> praktischen Verän<strong>der</strong>ung<br />
dann nicht mehr als Mangel und Argument <strong>für</strong> die Unzulänglichkeit<br />
<strong>der</strong> Praxis ansehen. Die endliche Theorie kann wegen <strong>der</strong> Relativität<br />
<strong>der</strong> praktischen Verän<strong>der</strong>ung nicht etwa ohne weiteres den Vorrang bekommen;<br />
denn sie muss ebenfalls die Objekte selbständig gewähren lassen<br />
und sich ihnen gleichsam resignierend und wi<strong>der</strong>standslos unterwerfen,<br />
und zwar sogar von vornherein und ohne wenigstens relativ verän<strong>der</strong>nd<br />
und selbstbestimmend einzugreifen und das Fremde, Unpersönlich-<br />
Objektive, Bedrohliche, gleichsam „Überrumpelnde“ und Missbehagliche<br />
wegzuarbeiten. Das endliche passive theoretische Verhalten muss nicht<br />
nur wie die Praxis darauf verzichten, zum Beispiel das Volumen <strong>der</strong> Erde
58<br />
o<strong>der</strong> die „revolutiones“ <strong>der</strong> Gestirne und die Jahreszeiten zu verän<strong>der</strong>n<br />
(das Wollen und seine Ausführung in <strong>der</strong> Handlung beschränken sich – im<br />
Gegensatz zum Wünschen – charakteristischerweise von vornherein auf<br />
Erreichbares), son<strong>der</strong>n ihr ist überhaupt keine Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Objektwelt<br />
möglich; sie kann – im metaphorischen Sinne gesprochen – gar nichts<br />
in Frage stellen o<strong>der</strong> verweigern. Die endliche Theorie lässt sich also nicht<br />
einfach gegen die Praxis ausspielen unter Berufung auf den nur relativen<br />
Charakter <strong>der</strong> praktischen Verän<strong>der</strong>ung. Ebensowenig lässt sich die endliche<br />
Theorie gegenüber <strong>der</strong> Praxis zur Geltung bringen unter Hinweis darauf,<br />
die Praxis betreffe nur die verän<strong>der</strong>liche geschichtliche Menschenwelt,<br />
den „mundus hominum“, nicht aber das Ganze <strong>der</strong> natürlichen Welt, den<br />
„mundus rerum“ 149 ; denn dieses Ganze ist – wenn überhaupt an<strong>der</strong>s als<br />
nur approximativ erfassbar – nur einer nicht-endlichen Theorie zugänglich,<br />
die sich auf den Standpunkt des Ganzen zu stellen vermag durch<br />
Aufhebung des endlichen Subjekt-Objekt-Gegensatzes. Und wenn man die<br />
das Ganze erfassende Theorie gleichsetzt mit <strong>der</strong> aristotelischen „episteme<br />
theoretike“, übersieht man, dass diese einem endlichen Objekt, nämlich<br />
dem abgeschlossenen überschaubaren antiken Kosmos, zugeordnet ist,<br />
<strong>der</strong> nicht mehr das Ganze repräsentieren kann, das angeblich im einfachen<br />
– praktisch unvermittelten – theoretischen Anblick gegenwärtig werden<br />
soll. In Wahrheit lässt sich die Praxis nicht in dualistischundialektischer<br />
Weise von <strong>der</strong> Theorie trennen; wie insbeson<strong>der</strong>e die Herr-<br />
Knecht-Analyse zeigte, ist die Praxis die unentbehrliche Grundlage <strong>für</strong> die<br />
Herausbildung <strong>der</strong> Theorie. Es darf nicht die Möglichkeit unterschoben<br />
werden, das Begreifen und das Eingreifen, die theoretische Ansicht und<br />
die praktische Umsicht, könnten nebeneinan<strong>der</strong> bestehen, ohne sich gegenseitig<br />
zu durchdringen, und die Theorie könnte ausschließlich reiner<br />
„kontemplativer“ Spiegel, passive Reflexion mit unmittelbarer Gewissheit<br />
sein.<br />
Obgleich die Praxis also auf Grund ihrer inhaltlichen Selbstbestimmung<br />
einen Vorrang vor <strong>der</strong> endlichen Theorie hat, behauptet sich nach Hegels<br />
Konzeption doch auch in ihr – im Rücken des endlichen Subjekts – <strong>der</strong><br />
Vorrang <strong>der</strong> absoluten Theorie. Denn <strong>der</strong> Zweck nicht nur <strong>der</strong> theoretischen,<br />
son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit ist <strong>für</strong> Hegel schließlich,<br />
dass <strong>der</strong> Mensch im vertieften Maße ein Bewusstsein von sich erlangt, <strong>für</strong>
59<br />
sich wird und sich in dieser Weise verwirklicht. An<strong>der</strong>nfalls wäre <strong>der</strong><br />
Mensch nicht wesentlich denkendes Lebewesen und Selbstbewusstsein.<br />
Insofern <strong>der</strong> Mensch sich in den praktisch formierten Gegenständen<br />
vergegenständlicht und wie<strong>der</strong>erkennt, wirkt die „praktische Verän<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> Außendinge“ auf den Menschen zurück, formt den Menschen selbst<br />
und führt ihn zu tieferem Wissen von sich, und zwar nicht als akzidentelles<br />
Resultat <strong>der</strong> Praxis, son<strong>der</strong>n als ihr Hauptzweck, was ein längeres Zitat<br />
aus <strong>der</strong> „Ästhetik“ zeigen soll: „Dies Bewusstsein von sich erlangt <strong>der</strong><br />
Mensch in zwiefacher Weise: Erstens theoretisch, insofern er im Inneren<br />
sich selbst sich zum Bewusstsein bringen muss, was in <strong>der</strong> Menschenbrust<br />
sich bewegt... Zweitens wird <strong>der</strong> Mensch durch praktische Tätigkeit<br />
<strong>für</strong> sich, indem er den Trieb hat, in demjenigen, was ihm unmittelbar gegeben,<br />
was <strong>für</strong> ihn äußerlich vorhanden ist, sich selbst hervorzubringen<br />
und darin gleichfalls sich selbst zu erkennen. Diesen Zweck vollführt er<br />
durch Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Außendinge, welchen er das Siegel seines Inneren<br />
aufdrückt und in ihnen nun seine eigenen Bestimmungen wie<strong>der</strong>findet...<br />
Schon <strong>der</strong> erste Trieb des Kindes trägt diese praktische Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
Außendinge in sich; <strong>der</strong> Knabe wirft Steine in den Strom und bewun<strong>der</strong>t<br />
nun die Kreise, die im Wasser sich ziehen, als ein Werk, worin er die Anschauung<br />
des Seinigen gewinnt.“ 150<br />
Das praktische „Hinausgehen“ des menschlichen (wie des absoluten)<br />
Bewusstseins aus sich hat also <strong>für</strong> Hegel den hintergründigen Sinn des<br />
theoretischen „Hineinbildens in sich“. Die Ausbreitung dient <strong>der</strong> Vertiefung.<br />
Die zeitlich-räumliche Entäußerung und Vergegenständlichung bezwecken<br />
das geistige Insichgehen und die „Erinnerung“.<br />
Es zeigte sich schon bei <strong>der</strong> Betrachtung <strong>der</strong> Einheit von Denken und<br />
Wollen in <strong>der</strong> individuellen Handlung, dass <strong>für</strong> Hegel die Zwecke <strong>der</strong> Praxis<br />
letztlich keine Reflexe von natürlichen Bedürfnissen und <strong>der</strong>en Gegenstände<br />
sind. Die Praxis wurzelt <strong>für</strong> Hegel in dem geistigen Bedürfnis <strong>der</strong><br />
Selbsterkenntnis.<br />
Das Selbstbewusstsein ist <strong>der</strong> „Trieb“, die Bewegung, die Negativität,<br />
sich als Gegenstand hervorzubringen, d. h. sein An sich o<strong>der</strong> seinen Begriff<br />
zu realisieren durch die Entäußerung seiner selbst, die zugleich Setzung,<br />
Affirmation, und Negation <strong>der</strong> unmittelbaren sinnlichen Gegenstände<br />
des Bewusstseins ist. 151
60<br />
In diesen Zusammenhang gehört auch speziell Hegels Bestimmung des<br />
Verhältnisses von Leib und Seele (als innigste Verbindung des Materiellen<br />
und Geistigen) in <strong>der</strong> Psychologie: <strong>der</strong> Leib, die Quelle <strong>der</strong> physischen Bedürfnisse,<br />
wird nur zunächst in seiner „unmittelbaren Harmonie“ mit <strong>der</strong><br />
Seele gefasst, schließlich aber als gesetztes und vermitteltes Moment <strong>der</strong><br />
Seele, als gebildet zum „gefügigen und geschickten Werkzeug“ <strong>der</strong> Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> Seele in Richtung auf ihre Beziehung auf sich selbst.<br />
Die Selbsterkenntnis ist also in teleologischer Weise die dominierende<br />
Seite des Verhältnisses von theoretischer und praktischer Selbstbestimmung.<br />
Die praktische Autonomie, die reale Verselbständigung und Abhebung<br />
von <strong>der</strong> Objektwelt, d. h. das Subjekt- und Zentrum werden von<br />
praktischer Energie, vervollkommnet sich primär zu dem Zwecke (sekundär<br />
in dem Maße) <strong>der</strong> Vertiefung <strong>der</strong> Selbsterkenntnis, also <strong>der</strong> theoretischen<br />
Freiheit, die kein unmittelbarer Zustand ist, son<strong>der</strong>n – was nicht<br />
genug betont werden kann – erworben werden muss durch unaufhörliche<br />
Negation dessen, was als natürlich Gegebenes ihr entgegensteht.<br />
Mittels <strong>der</strong> praktischen Vergegenständlichung wird die Selbsterkenntnis,<br />
das Wissen des Menschen von sich, bis zum Erreichen des Standpunktes<br />
<strong>der</strong> Subjekt-Objekt-Identität in <strong>der</strong> absoluten Theorie in <strong>der</strong> Weise<br />
vertieft, dass stufenweise die Gegenstandswelt ins Selbstbewusstsein aufgehoben<br />
wird, d. h. das An sich zum Für sich, das Unmittelbare zum Vermittelten,<br />
das Einfache zum Verdoppelten, die Substanz ins Subjekt verwandelt<br />
wird, wodurch zugleich das Wirken des absoluten Geistes bestätigt<br />
und aufgedeckt wird. 152 Dabei ist das Vorhandensein <strong>der</strong> dialektischen<br />
Spannung zwischen Substanz und Subjekt, die Nichtübereinstimmung<br />
von Gegenstand und Ich, d. h. „das Negative überhaupt“, die Quelle, <strong>der</strong><br />
Puls o<strong>der</strong>, „die Seele“, die die theoretische und praktische Bewegung in<br />
Gang hält. 153<br />
Man kann also sagen: sekundär drückt sich nach Hegels Konzeption die<br />
Selbsterkenntnis des Menschen in <strong>der</strong> Praxis aus, primär formiert sie sich<br />
in ihr.<br />
Dies impliziert: das dialektisch sich entwickelnde Verhältnis von Geist<br />
einerseits und Willen sowie Handlung an<strong>der</strong>erseits ist nicht so zu interpretieren,<br />
dass <strong>der</strong> Geist des Menschen fertig wäre, in Willen und Handlung<br />
nur sich äußerte und erschiene und nach seinem Erscheinen <strong>der</strong> gleiche
61<br />
bliebe, so dass in undialektischer Weise die Theorie in <strong>der</strong> Praxis nur ihre<br />
Anwendung, nicht aber ihre Aufhebung fände. Dies würde bedeuten, dass<br />
die Erkenntnis nur die Voraussetzung <strong>der</strong> Praxis ist, nicht auch das primär<br />
angezielte – Resultat <strong>der</strong> Praxis wird.<br />
Zunächst betrifft Hegels Konzeption <strong>der</strong> durch Praxis vermittelten geistigen<br />
Entwicklung den subjektiven, individuellen Geist (einschließlich <strong>der</strong><br />
Begabungen, Fähigkeiten, des Temperaments und Charakters): die Lebensgeschichte<br />
und Profilierung eines Menschen ist unbestreitbar nicht<br />
ausschließlich eine Aktualisierung fertiger geistiger Potenzen, son<strong>der</strong>n<br />
auch eine Formierung <strong>der</strong> geistigen Potenzen selbst durch den Vollzug und<br />
die praktische Gestaltung des Lebens, durch das Sichaussprechen und<br />
Darstellen <strong>der</strong> Individualität als Übersetzen „seiner selbst aus <strong>der</strong> Nacht<br />
<strong>der</strong> Möglichkeit in den Tag <strong>der</strong> Gegenwart“, aus dem „Nichtgesehenwerden<br />
in das Gesehenwerden“, was auch Goethe im Sinn hat, wenn er davon<br />
spricht, dass die „Tätigkeit gegen die Außenwelt“ nicht zugunsten einer<br />
„innern falschen Beschaulichkeit“ preisgegeben werden dürfe, denn: „Der<br />
Mensch kennt nur sich selbst, insofern er die Welt kennt, die er nur in<br />
sich und sich nur in ihr gewahr wird. Je<strong>der</strong> neue Gegenstand, wohl beschaut,<br />
schließt ein neues Organ in uns auf.“ 154<br />
In gewissem Maße hiermit vergleichbar ist die Auffassung des Aristoteles<br />
von <strong>der</strong> „hexis“, dem „habitus“, worin ein Keim einer dialektischen Betrachtungsweise<br />
des Handelns liegt: das Handeln nimmt einerseits seinen<br />
Ausgang und seine Richtung von <strong>der</strong> Basis einer festen, geformten, geordneten<br />
ethischen „Haltung“ und Charaktertugend (nicht die Ziele, son<strong>der</strong>n<br />
nur die Mittel <strong>der</strong> Handlung werden nach Aristoteles bestimmt von <strong>der</strong> intellektuellen<br />
Wahl, <strong>der</strong> „prohairesis“), aber diese Basis selbst wird an<strong>der</strong>erseits<br />
auch durch das Handeln gefestigt. 154a<br />
Das gleiche Verhältnis <strong>der</strong> Wechselwirkung macht sich geltend auf <strong>der</strong><br />
Stufe des objektiven Geistes. Aber aufs Ganze gesehen, hinsichtlich des<br />
absoluten Geistes, hat <strong>für</strong> Hegel die Vergegenständlichung des Geistes<br />
nicht mehr die inhaltliche Entwicklung des Geistes zum Zweck, son<strong>der</strong>n<br />
nur noch das Realisieren <strong>der</strong> fertigen Möglichkeiten, des in sich abgeschlossenen<br />
An sich o<strong>der</strong> Begriffs. Der Inhalt des absoluten Geistes steht<br />
nicht auch erst als Resultat, son<strong>der</strong>n allein als Voraussetzung des Objektivierungsprozesses<br />
des absoluten Geistes in <strong>der</strong> Geschichte fest. Der inne-
62<br />
re Gehalt, <strong>der</strong> Ertrag und Sinn <strong>der</strong> Geschichte sind letztlich <strong>für</strong> Hegel erschöpft,<br />
immanent und providentiell beschlossen. Die Geschichte bringt<br />
nur hervor, was ursprünglich „investiert“ ist, und erschließt keine wesentlich<br />
neuen Aspekte. Sie ist gewissermaßen eine dialektische Tautologie<br />
und nur formal eine Entwicklung. Die praktisch-geschichtliche (räumlichzeitliche)<br />
Aufeinan<strong>der</strong>folge <strong>der</strong> Epochen ist das Abbild <strong>der</strong> theoretischlogischen<br />
Auseinan<strong>der</strong>folge <strong>der</strong> Kategorien o<strong>der</strong> Strukturen. Die Entwicklung<br />
ist <strong>der</strong> „in sich zurückgehende Kreis, <strong>der</strong> seinen Anfang voraussetzt,<br />
und ihn nur im Ende erreicht“, wobei die Kreisläufigkeit das Kriterium <strong>der</strong><br />
Wahrheit ist. 155 Als solches Rückwärtsschreiten im Vorwärtsschreiten ist<br />
sie eine Wie<strong>der</strong>herstellung <strong>der</strong> ursprünglichen Einheit, eine Wie<strong>der</strong>holung,<br />
eine Reproduktion des von vornherein teleologisch angelegten Grundmusters,<br />
gleichsam ein mythisches, immer gleichbleibendes Rondo. Dementsprechend<br />
bezeichnet <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> wahren Unendlichkeit <strong>für</strong> Hegel – in<br />
Übereinstimmung mit Spinoza und Descartes und im Gegensatz zu Locke<br />
und den an<strong>der</strong>en Empiristen – eine Qualität, keine Quantität, d. h. das<br />
aktual Unendliche, nicht das potentiell Unendliche des unbegrenzten Fortschreitens<br />
(dessen Begriff in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Mathematik seit Weierstraß bei<br />
<strong>der</strong> Bestimmung des Grenzwertes des unendlich Großen und Kleinen allein<br />
angewendet wird und aus dessen Begriff die Konstruktivisten die Gültigkeit<br />
des Satzes vom ausgeschlossenen Dritten sowie <strong>der</strong> indirekten Existenzbeweise<br />
bestreiten). Als abgeschlossene systematisierbare Totalität, in<br />
<strong>der</strong> je<strong>der</strong> <strong>der</strong> Teile seine logifizierte Stelle hat, ist die Geschichte nicht erst<br />
Totalität in Hinblick auf die Zukunft. Sie gewährt unter diesem Gesichtspunkt<br />
<strong>der</strong> Horizontlosigkeit keine Hoffnung. 156 Ihr Neues ist das Alte in<br />
einer Weise, die durchaus vergleichbar ist mit <strong>der</strong> Abgeschlossenheit und<br />
anthropologischen Vorbildlichkeit und Verbindlichkeit des Kosmos <strong>der</strong><br />
Wesenheiten bei Platon und Aristoteles, die mit größter Prägnanz zum<br />
Ausdruck kommen in Aristoteles’ verfehlter Bestimmung <strong>der</strong> produzierenden<br />
„techne“ als bloße Nachahmung, „mimesis“, <strong>der</strong> Natur (o<strong>der</strong> jedenfalls<br />
als bloßes Zuendebringen <strong>der</strong> Tendenzen <strong>der</strong> Natur), eine Auffassung von<br />
<strong>der</strong> „techne“, <strong>der</strong>en Korrektur eingeleitet wurde durch die nichtaristotelische<br />
nominalistische Scholastik und durch Nikolaus von Cusa<br />
(mit seinem „Idiota“, <strong>der</strong> schon in dem geschnitzten Löffel – und, wie sich<br />
hinzufügen ließe, erst recht zum Beispiel in dem Automotor o<strong>der</strong> dem Ra-
63<br />
dioapparat –schöpferisch ein Artefakt zustande bringt, das ohne Naturvorbild<br />
ist). 157<br />
Geist und Wille durchdringen sich somit und treiben sich wechselseitig<br />
voran nur innerhalb dieses Kreises und dieses in inhaltlicher Hinsicht statischen<br />
Verhältnisses von Ausgangs- und Endpunkt, von Alpha und Omega,<br />
<strong>der</strong> Bewegung des Ganzen, worin das Letzte das Erste ist und umgekehrt.<br />
Das heißt: Hegel konzipiert zwar im Gegensatz zur traditionellen<br />
Wesensmetaphysik eine geschichtliche Entwicklung nicht nur <strong>der</strong> Erscheinungen<br />
o<strong>der</strong> des Ontischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> Wesenheiten selbst,<br />
ausgenommen aber bleiben das absolute Wesen und das Sein.<br />
Die Abgeschlossenheit <strong>der</strong> Totalität des Logos muss <strong>der</strong> Theorie und<br />
dem wissenschaftlichen System prinzipiell den Vorrang vor aller Praxis garantieren<br />
(abgesehen davon, ob faktisch – worauf unten zurückzukommen<br />
ist – die formale Entwicklung <strong>der</strong> Geschichte, die Ausführung des ursprünglichen<br />
Zweckes, also das Wirklichwerden <strong>der</strong> Vernunft, schon als<br />
abgeschlossen angesehen wird); denn Praxis ist immer bezogen auf die<br />
noch nicht abgeschlossene Zukunft <strong>der</strong> „vita agenda“ und erfor<strong>der</strong>t einen<br />
offenen Horizont. Konsequenterweise müssen <strong>für</strong> Hegel das philosophische<br />
Begreifen, d. h. das gedankliche Informsetzen des Inhalts, und das Nach-<br />
Denken zur höchsten Tätigkeit werden. Hegel kann seine „Enzyklopädie“<br />
abschließen mit einem Zitat aus Aristoteles’ „Metaphysik“ (XII, 7) über das<br />
Sichselbstdenken des Geistes.<br />
Wird noch einmal das Theorie-Praxis-Verhältnis innerhalb des totalen<br />
Kreises bedacht, so scheint sich ein „circulus vitiosus“ o<strong>der</strong> eine „petitio<br />
principii“ daraus zu ergeben, dass <strong>der</strong> Mensch sich einerseits erst mittels<br />
<strong>der</strong> Praxis wesentlich theoretisch selbst erfasst („Das Individuum kann...<br />
nicht wissen, was es ist, eh es sich durch das Tun zur Wirklichkeit gebracht<br />
hat“ 158 ), an<strong>der</strong>erseits aber gleichsam als Kompass <strong>für</strong> die Praxis<br />
schon sein Wesen theoretisch kennen muss, um nach seinen wesentlichen<br />
Zwecken tätig sein zu können. Womit kann <strong>der</strong> Mensch in diesem Kreis<br />
von Theorie und Praxis den Anfang machen? Wie Hegel in <strong>der</strong> „Phänomenologie<br />
des Geistes“ ausführt, kann er von dem unmittelbar in seinem Bewusstsein<br />
Gegebenen als Zweck praktisch ausgehen, d. h. vom Inhalt seines<br />
Charakters, seiner Fähigkeiten, Talente und Interessen: „... das Interesse,<br />
welches das Individuum an etwas findet, ist die schon gegebene
64<br />
Antwort auf die Frage: ob und was hier zu tun ist“ 159 ; denn dieser Inhalt<br />
ist nur dem Schein nach unmittelbar gegeben; er ist in Wahrheit durchdrungen<br />
vom Allgemeinen; d. h. in ihm spricht sich immanent wirkend,<br />
gegenwärtig zugrunde liegend und sich durchhaltend das Wesen des Menschen,<br />
das Selbstbewusstsein, aus, in das je<strong>der</strong> scheinbar unvermittelte<br />
Bewusstseinsinhalt zurückgeführt wird.<br />
Diese Lösung Hegels lässt sich in Entsprechung zu seiner Antwort auf<br />
die Frage in <strong>der</strong> „Logik“ sehen: „Womit muss <strong>der</strong> Anfang <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
gemacht werden?“ Indem die Linie <strong>der</strong> wissenschaftlich-philosophischen<br />
Methode gemäß <strong>der</strong> Bewegung des absoluten Geistes einen Kreis beschreibt,<br />
kann das Denken überall anfangen, denn je<strong>der</strong> unmittelbare<br />
Ausgangspunkt erweist sich zugleich als vermitteltes Resultat (es gibt<br />
„nichts im Himmel o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> im Geiste o<strong>der</strong> wo es sei, was<br />
nicht ebenso die Unmittelbarkeit enthält als die Vermittlung...“ 160 ).<br />
Die Auffassung Hegels von <strong>der</strong> Praxis, dass sie ihren Zweck in <strong>der</strong> Theorie<br />
hat, ist also untrennbar von <strong>der</strong> – in <strong>der</strong> Nachfolge des Descartes stehenden<br />
– Konzeption des menschlichen Wesens als (sich selbst bewegendes)<br />
Selbstbewusstsein sowie von <strong>der</strong> Konzeption des absoluten Wesens<br />
als (sich selbst bewegende) Idee; denn Zwecke setzen kann nur ein geistiges<br />
Subjekt, und alle Tätigkeit Zwecken des Geistes unterordnen kann nur<br />
ein Subjekt, das wesentlich Geist ist.<br />
Die Annahme, dass das Absolute wesentlich Geist ist, impliziert den idealistischen<br />
Objektivitätsbegriff und ist die Voraussetzung <strong>für</strong> die Möglichkeit<br />
<strong>der</strong> gedanklich-ideellen Rücknahme o<strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> Entäußerungen<br />
des Absoluten, also <strong>für</strong> den Primat <strong>der</strong> philosophischen Theorie.<br />
An<strong>der</strong>erseits ist schon hier deutlich: das Festhalten an <strong>der</strong> Bestimmung<br />
des menschlichen Wesens als Selbstbewusstsein ist nicht unerlässliche<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> die Übernahme jener Hegelschen Auffassung, dass die<br />
Praxis – als Vergegenständlichung – die Grundlage (nicht <strong>der</strong> Zweck) <strong>für</strong><br />
die Herausbildung <strong>der</strong> endlichen Theorie ist.
65<br />
7. Die Praxis und die endliche Theorie als Stufen auf dem Weg zur<br />
vollkommenen Subjekt-Objekt-Einheit in <strong>der</strong> absoluten Theorie.<br />
In <strong>der</strong> im dritten Abschnitt behandelten endlichen subjektiven Teleologie,<br />
die in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung mit <strong>der</strong> Kausalität eine Einheit<br />
bildet, bleiben die Zwecke den vorgefundenen Gegenständen und den Mitteln<br />
ihrer Ausführung äußerlich und relativ. Sie sind nicht die immanenten<br />
Zwecke des Materials selbst. „Wenn ich den Gegenstand z.B. um mich<br />
davon zu ernähren, verzehre, so liegt dieses Interesse nur in mir und bleibt<br />
dem Objekte selber fremd.“ 161<br />
Im absoluten Schluss <strong>der</strong> inneren Zwecktätigkeit <strong>der</strong> kreisläufigen –<br />
und deshalb transzendenzlosen – absoluten Subjektivität und Totalität<br />
dagegen fungiert <strong>der</strong> sich realisierende Zweck selbst als Mitte <strong>der</strong> Extreme,<br />
die auch wie<strong>der</strong>um Zweck und Mitte werden. 162<br />
Mit diesem Prinzip <strong>der</strong> inneren Zwecktätigkeit kann Hegel – indem er<br />
die ältere metaphysische objektive Teleologie <strong>der</strong> Endlichkeit und Empirie,<br />
zum Beispiel die Wolffsche, ablehnt (also überhaupt die Finalität von dem<br />
Typus, den mit Hegels Akklamation Voltaire persiflierte 163 und den Heine<br />
in <strong>der</strong> „Harzreise“ charakterisiert: die Bäume sind grün, „weil grün gut <strong>für</strong><br />
die Augen ist...“) – mittelbar vor allem an Aristoteles, Kant und Schiller<br />
anknüpfen. 164<br />
Als Verdienst Kants, an dem er hauptsächlich den ethischen Formalismus<br />
und Agnostizismus bemängelt, hebt Hegel hervor, dass er in gewisser<br />
Weise über den Gegensatz von Allgemeinem und Einzelnem, Verstand und<br />
Sinnlichkeit sowie Freiheit und Natur hinausgekommen ist, und zwar in<br />
<strong>der</strong> „Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft“ im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong><br />
inneren Zweckmäßigkeit sowohl des Kunstschönen als auch <strong>der</strong> in mechanisch-kausaler<br />
Weise nicht erklärbaren organischen Natur (worin<br />
Zweck und Mittel, zum Beispiel die Glie<strong>der</strong> eines Organismus, nicht getrennt<br />
existieren, son<strong>der</strong>n sich gegenseitig durchdringen und in wesentlicher<br />
Beziehung zu einan<strong>der</strong> stehen) und auf Grund <strong>der</strong> Annahme des <strong>der</strong><br />
reflektierenden Urteilskraft zugeschriebenen Prinzips des anschauenden<br />
Verstandes, d. h. <strong>der</strong> sich selbst bestimmenden Allgemeinheit.<br />
Der Mangel aber liegt <strong>für</strong> Hegel darin, dass Kant von diesem Prinzip nur<br />
den subjektiven und regulativen, nicht jedoch den konstitutiven Gebrauch
66<br />
zuließ. Kant begründet diese Einschränkung damit, dass <strong>für</strong> den menschlichen<br />
diskursiven Verstand das Beson<strong>der</strong>e „in Ansehung des Allgemeinen<br />
etwas Zufälliges enthält“, das nicht aus <strong>der</strong> allgemeinen zweckmäßigen<br />
Gesetzlichkeit ableitbar ist. 165<br />
Objektive Geltung spricht zwar schon <strong>der</strong> junge Schelling <strong>der</strong> intellektuellen<br />
Anschauung zu – das heißt dem Wissen, „dessen Objekt nicht von<br />
ihm unabhängig ist, also ein Wissen, das zugleich ein Produzieren seines<br />
Objekts ist...“ 166 –, aber ursprünglich nicht hinsichtlich des Natur- und<br />
Geschichtsprozesses, son<strong>der</strong>n nur in <strong>der</strong> ästhetischen Anschauung, auf<br />
die er die Einheit zweckmäßiger und kausal bestimmter Tätigkeit gründet,<br />
und das heißt <strong>für</strong> Schelling: die Einheit bewusster, freier und subjektiver<br />
Tätigkeit einerseits und bewusstloser, notwendiger Tätigkei an<strong>der</strong>erseits.<br />
„Wenn die ästhetische Anschauung nur die objektiv gewordene transzendentale<br />
ist, so versteht sich von selbst, dass die Kunst das einzige wahre<br />
und ewige Organon zugleich und Dokument <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> sei, welches<br />
immer und fortwährend beurkundet, was die <strong>Philosophie</strong> äußerlich nicht<br />
darstellen kann, nämlich das Bewusstlose im Handeln und Produzieren,<br />
und seine ursprüngliche Identität mit dem Bewussten.“ 167<br />
Der Hauptmangel dieser intellektuellen Anschauung, die also im Gegensatz<br />
zur sinnlichen Anschauung ihr Objekt nicht als gegeben vorfindet,<br />
son<strong>der</strong>n hervorbringt, liegt <strong>für</strong> Hegel in ihrer Unmittelbarkeit und in ihrer<br />
Esoterik: die absolute Subjekt-Objekt-Einheit (die Einheit von Wissen und<br />
Produzieren) wird von Schelling – ebenso wie von Fichte – nicht als Resultat<br />
<strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Überwindung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes<br />
schrittweise aufgewiesen und vermittelt; die intellektuelle Anschauung, <strong>der</strong><br />
sinnliche Verstand o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „intellectus archetypus“, ist, wie Schelling<br />
selbst sagt, als Anschauung ein Wissen, „wozu nicht Beweise, Schlüsse,<br />
überhaupt Vermittlung von Begriffen führen“ 168 , und damit ist ihre Allgemeinheit<br />
<strong>für</strong> Hegel abstrakt, nicht konkret.<br />
Als solche Intuition, die den unterscheidenden Verstand nicht integriert,<br />
die Anstrengung <strong>der</strong> „ascensio“ meidet und die Vermittlungsstufen<br />
überspringt, wird die philosophische Erkenntnis von Schelling in methodologischer<br />
Hinsicht über die prinzipielle Zugänglichkeit (zum Beispiel über<br />
die Erlernbarkeit) hinausgehoben, bleibt ein „esoterisches Besitztum einiger<br />
Einzelner“ 169 und legitimiert den genialischen „Sprung“.
67<br />
Dagegen ist es das Bestreben Hegels in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“,<br />
die absolute Subjekt-Objekt-Einheit Schritt <strong>für</strong> Schritt zu vermitteln,<br />
nicht „wie aus <strong>der</strong> Pistole mit dem absoluten Wissen unmittelbar“ anzufangen,<br />
son<strong>der</strong>n dem Individuum „die Leiter... zu diesem Standpunkte“ zu<br />
reichen. 170<br />
An dieser Frage <strong>der</strong> Vermittlung und mit <strong>der</strong> Ausarbeitung <strong>der</strong> „Phänomenologie<br />
des Geistes“ scheiden sich die Wege Hegels und Schellings,<br />
nachdem beide gemeinsam gegen den subjektiven Idealismus Fichtes aufgetreten<br />
sind (seit Hegels „Differenz“-Schrift und <strong>der</strong> Herausgabe des „Kritischen<br />
Journal <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ in Jena 1801 bis 1803 mit Hegels Schriften<br />
„Glauben und Wissen“ und „Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten<br />
des Naturrechts“).<br />
Beide stimmen darin überein, dass Fichtes Prinzip des Ich, das das<br />
Kantische transzendentale – im Keim spekulative – Prinzip <strong>der</strong> Deduktion<br />
<strong>der</strong> Kategorien fortführt, nur ein, wie Hegel sagt, „subjektives Subjekt-<br />
Objekt“ ist. 171 Deshalb hat die Subjekt-Objekt-Einheit bei Fichte noch den<br />
postulativen Charakter des unendlichen Sollens <strong>der</strong> Kantischen praktischen<br />
Vernunft: das freie schöpferische unbedingte Handeln des Ich bringt<br />
seine Selbstbeschränkung, Entgegensetzung und Negation, also das Nicht-<br />
Ich, nur insofern hervor, als es einen zu überwindenden Wi<strong>der</strong>stand benötigt,<br />
wenn es handeln soll. Das Ich wird also bei Fichte nicht durch einen<br />
Akt <strong>der</strong> Theorie objektiv, und <strong>der</strong> Übergang vom reinen Bewusstsein zur<br />
Mannigfaltigkeit des empirischen Bewusstseins bleibt in theoretischer<br />
Hinsicht unbegreiflich. Nur auf Grund einer praktischen For<strong>der</strong>ung kann<br />
Fichte das Ich als Einheit des Handelns und des Ergebnisses des Handelns,<br />
als Einheit <strong>der</strong> Tätigkeit und <strong>der</strong> Tat, ansehen. „Weil im bewusstlosen<br />
Produzieren die Spekulation ihr Prinzip Ich=Ich nicht vollständig aufweisen<br />
kann, son<strong>der</strong>n das Objekt des theoretischen Vermögens notwendig<br />
ein von Ich nicht Bestimmtes in sich enthält, so wird an das praktische<br />
Vermögen verwiesen. Dem Ich kann es nicht durch bewusstloses Produzieren<br />
gelingen, sich als Ich=Ich zu setzen o<strong>der</strong> sich als Subjekt-Objekt anzuschauen.<br />
Die For<strong>der</strong>ung ist also noch vorhanden, dass Ich sich als Identität,<br />
als Subjekt-Objekt, d. i. praktisch produziere, dass Ich sich selbst in<br />
das Objekt metamorphosiere. Diese höchste For<strong>der</strong>ung bleibt im Fichteschen<br />
System eine For<strong>der</strong>ung; sie wird nicht nur nicht in eine echte Syn-
68<br />
these aufgelöst, son<strong>der</strong>n als For<strong>der</strong>ung fixiert, damit das Ideale dem Reellen<br />
absolut entgegengesetzt und die höchste Selbstanschauung des Ichs<br />
als eines Subjekt-Objekts unmöglich gemacht.“ 172<br />
Indem Fichtes Subjekt-Objekt-Einheit nur subjektiv und ihre tätige Realisierung<br />
nur ein Sollen, Unendliches, Streben, Sehnen, Jenseits, Glauben<br />
ist, steht diese Einheit also noch – als ein Extrem fixiert – im Gegensatz.<br />
So ist die objektive Natur, wie Hegel in „Glauben und Wissen“ hervorhebt,<br />
„nichts an sich, son<strong>der</strong>n nur in Beziehung auf ein an<strong>der</strong>es“, „ein<br />
zu Vernichtendes, an dem <strong>der</strong> Vernunftzweck ewig erst zu realisieren ist“;<br />
sie ist nur, um in praktischer Hinsicht „den freien Wesen eine Sphäre und<br />
Spielraum zu bilden und um zu Trümmern werden zu können...“ 173<br />
Da Fichtes Idealismus <strong>der</strong> „Grundlage <strong>der</strong> gesamten Wissenschaftslehre“<br />
somit wegen <strong>der</strong> Abhängigkeit des Ich von einem „Anstoß“ seitens des<br />
Nicht-Ich <strong>für</strong> Hegel die Annahme eines Dinges an sich und den Kantischen<br />
Dualismus restituiert, lässt sich sagen: <strong>für</strong> Hegel ist im Grunde die theoretische<br />
und praktische Tätigkeit des Fichteschen Prinzips des Ich eine Tätigkeit<br />
innerhalb des endlichen Verhältnisses von Subjekt und Objekt, wie<br />
sie oben im zweiten Abschnitt dargestellt wurde; denn die Unendlichkeit<br />
des Ich ist, weil abstrakt, endlich (wenn auch nicht in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Sinnlichkeit<br />
und Empirie) ebenso wie die des Nicht-Ich, das nur die „schlechte“<br />
Unendlichkeit <strong>der</strong> Unbegrenztheit ist.<br />
Dementsprechend sind die Tätigkeiten des Fichteschen Ich behaftet mit<br />
<strong>der</strong> Einseitigkeit, Mangelhaftigkeit und Unfreiheit <strong>der</strong> Subjekt-Objekt-<br />
Vereinigungen in <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Endlichkeit: das Ich ist als theoretisches<br />
Bewusstsein – und zwar also nicht nur, wie Fichte selbst annimmt, als gewöhnliches<br />
„bewusstloses“ Bewusstsein im Gegensatz zum philosophischen<br />
Bewusstsein – passiv und wird bestimmt und beschränkt vom einwirkenden<br />
„anstoßenden“ Nicht-Ich (dem Kantischen Ding an sich); und<br />
das Ich als praktisches Bewusstsein bestimmt, begrenzt und setzt das<br />
Nicht-Ich. 174<br />
Was somit Fichte nicht gelingt, ist, die absolute Subjekt-Objekt-Einheit<br />
in <strong>der</strong> Weise zu fassen, dass das Bestimmen, Setzen, Affirmiere zugleich<br />
das Bestimmtwerden, Entgegensetzen, Negieren ist, d. h. die Tätigkeit in<br />
zwei Richtungen als ein und denselben Akt, das Hinausgehen als die befreiende<br />
Rückkehr in sich, als ein Verhalten zu sich selbst, zu begreifen:
69<br />
„Ich ist <strong>der</strong> absolute Begriff, <strong>der</strong> nicht zur Einheit des Denkens kommt,<br />
nicht in diese Einfachheit zurückkehrt, o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Einfachheit nicht den<br />
Unterschied, in <strong>der</strong> Bewegung nicht die Ruhe hat, – Setzen, reine Tätigkeit<br />
des Ich und Entgegensetzen nicht als dasselbe begreift.“ 175<br />
Einen großen Schritt in Richtung zur Subjekt-Objekt-Einheit im Sinne<br />
des objektiven Idealismus – über Fichtes subjektiven Idealismus hinaus –<br />
geht Schiller (noch vor Schelling) im Ausgang von Kants „Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft“.<br />
Hegel hebt hervor: „Es muss Schiller das große Verdienst zugestanden<br />
werden, die Kantische Subjektivität und Abstraktion des Denkens<br />
durchbrochen und den Versuch gewagt zu haben, über sie hinaus die<br />
Einheit und Versöhnung denkend als das Wahre zu fassen und künstlerisch<br />
zu verwirklichen.“ 176<br />
Mit <strong>der</strong> Bestimmung des Schönen als harmonischer Einheit von Stoff<br />
und Form, Sinnlichkeit und Vernunft, Naturgesetz und Sittengesetz, Leiden<br />
und Selbsttätigkeit, Abhängigkeit und Freiheit, Einzelnem und Allgemeinem,<br />
Mannigfaltigkeit und Einheit, Leben und Gestalt, das heißt: mit<br />
<strong>der</strong> Bestimmung des Schönen als „lebende Gestalt“, <strong>der</strong> <strong>der</strong> „Spieltrieb“ –<br />
die Verbindung von „Stofftrieb“ und „Formtrieb“ – zugeordnet ist, gewinnt<br />
Schiller das Prinzip <strong>der</strong> ästhetischen Erziehung. 177<br />
Von <strong>der</strong>en Wirksamkeit erwartet er am Maßstab <strong>der</strong> antiken Kultur vor<br />
allem in den Briefen „über die ästhetische Erziehung des Menschen“<br />
(1795), die auf Hegel sofort einen enthusiastischen Eindruck machen, dass<br />
die Zerrissenheit und Zerstückelung des mo<strong>der</strong>nen Lebens <strong>der</strong> Individuen,<br />
die <strong>für</strong> den Fortschritt <strong>der</strong> Gattung immerhin för<strong>der</strong>lich gewesen seien, beseitigt<br />
werden. „Auseinan<strong>der</strong>gerissen wurden jetzt <strong>der</strong> Staat und die Kirche,<br />
die Gesetze und die Sitten; <strong>der</strong> Genuß wurde von <strong>der</strong> Arbeit, das Mittel<br />
vom Zweck, die Anstrengung von <strong>der</strong> Belohnung geschieden. Ewig nur<br />
an ein einzelnes kleines Bruchstück des Ganzen gefesselt, bildet sich <strong>der</strong><br />
Mensch selbst nur als Bruchstück aus, ewig nur das eintönige Geräusch<br />
des Rades, das er umtreibt, im Ohre, entwickelt er nie die Harmonie seines<br />
Wesens, und anstatt die Menschheit in seiner Natur auszuprägen, wird er<br />
bloß zu einem Abdruck seines Geschäfts, seiner Wissenschaft.“ 178<br />
Die Schönheit führt nach Schillers Ansicht zur Freiheit. Dies ist überhaupt<br />
die illusionäre typische Einstellung <strong>der</strong> deutschen Klassiker: indem<br />
<strong>der</strong> ästhetische Humanismus auf dem Wege <strong>der</strong> Erziehung die Totalität
70<br />
des Menschen wie<strong>der</strong>herstelle, werde zugleich <strong>der</strong> von blinden Kräften und<br />
rohen Bedürfnissen beherrschte feudal-absolutistische Staat <strong>der</strong> Not in<br />
einen Staat <strong>der</strong> Freiheit und Vernunft reformiert und somit eine revolutionäre<br />
Umwandlung wie in Frankreich vermieden.<br />
Auf diesem Wege <strong>der</strong> ästhetischen Erziehung tritt man nach Schillers<br />
Ansicht auch aus dem Zirkel heraus, <strong>der</strong> dadurch entsteht, dass die barbarischen<br />
staatlich-politischen Verhältnisse die moralische Praxis beeinflussen<br />
(die mit <strong>der</strong> theoretischen Aufklärung in Wechselwirkung steht),<br />
von <strong>der</strong> aber gerade die Reform dieser Verhältnisse ausgehen müsste. Die<br />
Kunst allein könne sich frei von „aller politischem Ver<strong>der</strong>bnis“ halten und<br />
reiche über ihre Zeit hinaus. 179<br />
Hegel steht Schiller also auch in dieser letzten Frage nahe, wenn er die<br />
Kunst dem absoluten Geist zuordnet. Aber die entscheidende Schranke<br />
Schillers ist <strong>für</strong> Hegel, dass die ästhetische konkrete Einheit – wenn auch<br />
objektiv und nicht mehr nur subjektiv – doch nur als sinnliche Anschauung<br />
und nicht als Vernunft gefasst wird.<br />
Die vernünftige Subjekt-Objekt-Einheit ist <strong>für</strong> Hegel die absolute Idee.<br />
Sie wird von ihm als Einheit <strong>der</strong> theoretischen und <strong>der</strong> praktischen Idee<br />
bestimmt 180 , aber nicht in <strong>der</strong> Weise, dass sie <strong>der</strong>en Zusammenfall und<br />
Neutralisierung wäre, d. h. nicht im Sinne <strong>der</strong> „Indifferenz des Subjektiven<br />
und Objektiven“ Schellings o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „coincidentia oppositorum“ des Nikolaus<br />
von Cusa und des Giordano Bruno. 181 Die Differenz und somit die<br />
Bewegung gehen nicht im Absoluten unter; die Negativität o<strong>der</strong> Vermittlung<br />
wird nicht suspendiert o<strong>der</strong> gleichsam aufgesaugt und versenkt in<br />
einem qualitätslosen Positivum, das nur durch unvermittelte Intuition erfassbar<br />
wäre. Auf dem Niveau <strong>der</strong> Subjekt-Objekt-Einheit in <strong>der</strong> Logik<br />
bleiben nämlich die Gegensätze und die bestimmten Begriffe.<br />
Dem wi<strong>der</strong>streitet aber nicht, dass in jedem dialektischen Gegensatz eine<br />
Seite prävaliert (wie zum Beispiel das Sein vor dem Nichts den Vorrang<br />
hat, ohne den das Werden als wechselseitiges Umschlagen und Verschwinden<br />
des Seins in Nichts nicht zum Resultat des Daseins führen<br />
könnte). So ist – hinsichtlich des Gegensatzes von Innerlichkeit und Äußerlichkeit,<br />
Subjektivität und Objektivität, Denken und Sein – die in sich<br />
reflektierte Idee zwar nicht reine, vollkommen zurückgezogene Innerlichkeit,<br />
aber doch letztlich über die substantielle seiende Objektivität „über-
71<br />
greifende Subjektivität, Denken, Unendlichkeit“. 182 Die absolute Einheit<br />
des Ideellen und des Realen, des Theoretischen und des Praktischen, ist<br />
also selbst ideell und theoretisch.<br />
Der „idealistische“ Charakter <strong>der</strong> absoluten Idee als Subjektivität und<br />
Denken ist die Bedingung und Grundlage da<strong>für</strong>, dass die Aufhebung <strong>der</strong><br />
dialektischen Gegensätze und <strong>der</strong> praktisch-geschichtlich konkretisierten<br />
Entfremdungen zwar auch eine praktisch-geschichtliche Bewegung und<br />
nicht nur eine Form des erkennenden Subjekts ist, aber doch letztlich auf<br />
gedanklich-geistigem Wege zu erreichen ist durch die <strong>Philosophie</strong>, <strong>der</strong>en<br />
Versöhnung „eine Versöhnung nicht in <strong>der</strong> Wirklichkeit, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong><br />
ideellen Welt“ ist. 183<br />
Die absolute Idee ist als Subjekt o<strong>der</strong> „Selbst“ geistiger Prozess, absolute<br />
Negation <strong>der</strong> Negation, sich in sich unterscheidende lebendige Totalität.<br />
Sie ist nicht ein und dasselbe Subjekt, eine fix und fertige substantielle<br />
Basis im spinozistischen Sinne, an die in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> alten Metaphysik<br />
mannigfaltige beson<strong>der</strong>e unverbunden nebeneinan<strong>der</strong> stehende Prädikatsinhalte<br />
durch die Verstandesbewegung geknüpft werden. 184<br />
Der spekulative Satz, <strong>der</strong> die dialektische Bewegung des absoluten Geistes<br />
begreift, muss die Form des Satzes, nämlich die Entgegensetzung von<br />
Subjekt und Prädikat aufheben, insofern <strong>der</strong> absolute Satzgegenstand<br />
selbst nicht unbewegt seinen Bestimmungen gegenüber verharrt, son<strong>der</strong>n<br />
sich in ihnen entfaltet, d. h. in ihnen – als dem substantiellen Inhalt – verloren,<br />
„zugrunde“ geht, wodurch das „Fortlaufen“ des vorstellenden Denkens<br />
an den Prädikaten „gehemmt“ wird und „einen Gegenstoß“ erleidet:<br />
„Vom Subjekte anfangend, als ob dieses zum Grunde liegen bliebe, findet<br />
es, indem das Prädikat vielmehr die Substanz ist, das Subjekt zum Prädikat<br />
übergegangen und hiemit aufgehoben.“ 185<br />
Das spekulative Denken, das die zweckmäßige sich entzweiende sich<br />
selbstbestimmende „urteilende“ Bewegung des absoluten Geistes begreift,<br />
gehört notwendig selbst zu ihr, so dass das theoretisch-philosophische System<br />
das Bewusstsein des absoluten Geistes über sich selbst ist.<br />
Hinter den scheinbar fremden objektiven Dingen erkennt <strong>der</strong> Mensch<br />
sich selbst, sein Wesen, wie<strong>der</strong>. Er enthüllt Schritt <strong>für</strong> Schritt den subjektiven<br />
Charakter <strong>der</strong> Erscheinungen. Vom Resultat <strong>der</strong> dialektischen Er-
72<br />
kenntnis, <strong>der</strong> absoluten Einheit von Subjekt und Objekt, her – also auf<br />
dem Standpunkt <strong>der</strong> „Logik“, <strong>der</strong> am Schluss <strong>der</strong> „Phänomenologie des<br />
Geistes“ vermittelt ist, wo das Wissen „nicht mehr über sich selbst hinauszugehen<br />
nötig hat“ 186 – lässt sich im Rückblick <strong>der</strong> Gang <strong>der</strong> Bewusstseinserfahrung<br />
(das Fortschreiten von <strong>der</strong> sinnlichen Gewissheit zu <strong>der</strong><br />
Wahrnehmung, dem Verstand, dem Selbstbewusstsein und <strong>der</strong> Vernunft)in<br />
seiner Notwendigkeit als die hinter seinem Rücken wirkende und<br />
leitende Tätigkeit des absoluten Geistes selbst, nämlich seiner Selbstentäußerung<br />
und ihrer Rücknahme, erkennen.<br />
In Hinblick auf diesen dialektischen Prozess <strong>der</strong> inneren Zwecktätigkeit<br />
des absoluten Geistes wird die Hegelsche Bestimmung des Verhältnisses<br />
von Geist und Wille, Theorie und Praxis, konkret: die Praxis und die endliche<br />
Theorie sind nur ein Moment, eine Stufe auf dem Wege des absoluten<br />
Geistes und aus seiner Entäußerung in Natur und Geschichte zurück zu<br />
sich selbst und zur vollkommenen geistigen Freiheit.<br />
Hierin zeigt sich insofern eine Fortführung <strong>der</strong> Transzendentalphilosophie,<br />
als auch <strong>der</strong> transzendentale Akt des Ich sich in teleologischer Weise<br />
– um seiner Einheit willen – zum Sollen differenziert und als solcher das<br />
eigentliche Handeln ist, das sich vermittels <strong>der</strong> endlichen ontischen Praxis,<br />
Theoria und Poiesis verwirklicht (so dass Kant auch das Denken als<br />
„Handlung“ des Verstandes bezeichnen kann).<br />
Auf dem Vermittlungsweg, innerhalb <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Verendlichung des<br />
absoluten Geistes, ist sowohl die praktische als auch die endliche – nur<br />
formal o<strong>der</strong> an sich unendliche – theoretische Tätigkeit einseitig und mangelhaft,<br />
insofern beide Tätigkeiten vollkommene Freiheit durch Aufhebung<br />
<strong>der</strong> Selbständigkeit <strong>der</strong> Objekte nicht erreichen können, wie oben im zweiten<br />
Abschnitt dargestellt wurde. (Wenn <strong>der</strong> Hegelsche absolute Geist in<br />
den menschlichen verwandelt wird, müsste konsequenterweise die Einseitigkeit<br />
und gegenseitige Ergänzungsbedürftigkeit von Theorie und Praxis<br />
anerkannt werden.) Aber <strong>für</strong> Hegel kann sich <strong>der</strong> Mensch aus <strong>der</strong> Abhängigkeit<br />
endlicher Verhältnisse befreien durch das Begreifen <strong>der</strong> Tätigkeit<br />
des absoluten Geistes als stufenweise fortschreitende Vereinigung von<br />
Subjekt und Objekt und Rücknahme <strong>der</strong> Gegenständlichkeit überhaupt.<br />
Hauptakteur bleibt somit <strong>der</strong> absolute Geist. Nicht wir handeln und erkennen<br />
letztlich, son<strong>der</strong>n gleichsam durch uns, den Agenten o<strong>der</strong> „Ge-
73<br />
schäftsträgern“, hindurch agiert <strong>der</strong> absolute Geist: „Wenn nun dies Negative<br />
zunächst als Ungleichheit des Ichs zum Gegenstand erscheint, so ist<br />
es ebensosehr die Ungleichheit <strong>der</strong> Substanz zu sich selbst. Was außer ihr<br />
vorzugehen, eine Tätigkeit gegen sie zu sein scheint, ist ihr eigenes Tun,<br />
und sie zeigt sich wesentlich Subjekt zu sein.“ 187<br />
Damit steht die absolute Theorie auf dem Standpunkt des Allgemeinen,<br />
das sich in unbedingter Weise selbst bestimmt, indem es seinen Inhalt<br />
nicht als äußeren Gegenstand vorfindet, son<strong>der</strong>n hervorbringt.<br />
Wenn man davon ausgeht, „wirkliche“ Freiheit heiße Machthaben über<br />
„wirkliche“ Verhältnisse, so kann Hegel diese Macht deshalb letztlich im<br />
Denken finden, da <strong>für</strong> ihn das Wesen <strong>der</strong> Dinge <strong>der</strong> objektive Begriff ist.<br />
Demzufolge ist <strong>für</strong> Hegel <strong>der</strong> Maßstab bei <strong>der</strong> Prüfung <strong>der</strong> Übereinstimmung<br />
zwischen Begriff und Gegenstand, also <strong>der</strong> Wahrheit, nicht nur<br />
<strong>der</strong> Gegenstand, son<strong>der</strong>n auch umgekehrt – was absolut idealistisch ist –<br />
<strong>der</strong> Begriff, so dass im zweiten Fall geprüft wird, ob <strong>der</strong> Begriff, <strong>der</strong> Zweck,<br />
das Logische sich objektiviert und realisiert hat. Begriff und Gegenstand<br />
fallen somit in das Wissen selbst. 188<br />
Wenn man schließlich im Verlauf <strong>der</strong> Umwandlung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong><br />
die Konzeption <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-Einheit, <strong>der</strong> absoluten<br />
„conciliatio“ o<strong>der</strong> – treffend in englischer Sprache – „at-one-ment“, <strong>für</strong><br />
eine idealistische Verstiegenheit o<strong>der</strong> Mystifikation hält, muss die Auflösung<br />
aller Gegensätze über die endliche praktisch-theoretische Aufhebung<br />
hinaus in <strong>der</strong> spekulativen Theorie den Charakter des Scheins erhalten.
74<br />
8. Die Wirklichkeit <strong>der</strong> Vernunft in <strong>der</strong> politisch-historischen Praxis<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> Stellung Hegels zur praktisch-theoretischen Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Vernunft, und zwar zur Zeit <strong>der</strong> vollen Ausbildung des Systems<br />
und <strong>der</strong> Methode in <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ (1821), müssen folgende Aspekte<br />
unterschieden werden: (1) Die systembedingte endgültige theoretische<br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft in <strong>der</strong> spekulativen <strong>Philosophie</strong>; (2) die<br />
ebenfalls systembedingte endgültige praktisch-geschichtliche Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Vernunft, und zwar (a) im unmittelbar gegenwärtigen Zustand<br />
des preußischen Staatslebens, (b) im Zustand eines weiter reformierten<br />
zukünftigen preußischen Staatslebens.<br />
Aus <strong>der</strong> Konzeption <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-Einheit und aus dem<br />
entsprechenden idealistischen Objektivitätsbegriff ergibt sich, wie ausgeführt,<br />
die Möglichkeit <strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Entäußerungen des absoluten<br />
schöpferischen Subjekts auf dem Wege <strong>der</strong> spekulativen Theorie. Darüberhinaus<br />
muss diese auf Grund des absoluten idealistischen Prinzips die<br />
abschließende Weise <strong>der</strong> Versöhnung von Vernunft und Wirklichkeit sein.<br />
Die Vollendung im Wissen des absoluten Geistes setzt die Vollendung in<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Praxis des objektiven Geistes voraus. Auch <strong>für</strong> die<br />
Strukturierung und Periodisierung <strong>der</strong> geschichtlichen Praxis selbst ist die<br />
methodologische Voraussetzung <strong>der</strong> Abschluss <strong>der</strong> Geschichte.<br />
Die Hegelsche Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen Theorie umfasst also die<br />
als vollendet begriffene Geschichte. Die Hegelsche spekulative Theorie ist<br />
wie die aristotelische Theoria auf das Ewige und Absolute ausgerichtet;<br />
aber sie ist im Gegensatz zu dieser auch mit dem Zeitlichen, Relativen und<br />
Praktischen dialektisch verknüpft.<br />
Da diese Art <strong>der</strong> Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen Theoria prinzipiell bedingt<br />
ist und ihre Voraussetzungen im idealistischen System hat, lässt sie<br />
sich nicht auslegen als Resignation, Quietismus, Apologetik o<strong>der</strong> Akkommodation<br />
an die bestehenden politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse<br />
Preußens, es sei denn in <strong>der</strong> Weise, dass man das idealistische Prinzip<br />
selbst – wie Marx – deutet als verzerrten ins Kontemplative verlagerten<br />
Ausdruck <strong>der</strong> praktischen Rückständigkeit <strong>der</strong> deutschen ökonomischen,<br />
sozialen und politischen Verhältnisse, d. h. als Ausdruck des Mangels an
75<br />
realer revolutionärer Stärke des Bürgertums und <strong>der</strong> politischen kleinstaatlichen<br />
Zersplitterung.<br />
Da die absolute Einheit von Vernunft und Wirklichkeit o<strong>der</strong> Subjektivität<br />
und Objektivität die Entfaltung und Durchsetzung des Fortschritts <strong>der</strong><br />
Freiheit und <strong>der</strong> Versöhnung <strong>der</strong> Gegensätze fraglos garantiert, maß es<br />
Hegel prinzipiell ablehnen, wenn anstelle des Begreifens – d. h. des Informbringens<br />
des gegenwärtigen vorgegebenen Wirklichen und des Erkennens<br />
<strong>der</strong> versöhnenden Vernunft als <strong>der</strong> „Rose im Kreuze <strong>der</strong> Gegenwart“<br />
189 – gesetzt wird das Sollen, die For<strong>der</strong>ung nach praktischer Verän<strong>der</strong>ung<br />
des Bestehenden, die <strong>für</strong> Hegel nur die Gestalt <strong>der</strong> Utopie und <strong>der</strong><br />
illusionären Ausflucht annehmen könnte. Unter diesem Aspekt ist Hegels<br />
dezidierte Stellungnahme gegen das „Aufstellen eines Jenseitigen“, d. h.<br />
gegen das Belehren durch das Konfrontieren des Staates, <strong>der</strong> ist, mit dem,<br />
<strong>der</strong> sein soll, gegen das undialektische Auseinan<strong>der</strong>reißen von Wirklichkeit<br />
und Ideal in <strong>der</strong> Vorrede <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ zu sehen. In ihr wird ein<br />
solches Überspringen <strong>der</strong> Gegenwart (das sich in <strong>der</strong> von J. F. Fries und<br />
den Burschenschaftlern repräsentierten volkstümlich-nationalen Bewegung<br />
„von unten“ äußert) auf den Zwischenbereich des leeren Räsonierens<br />
und Querulierens, eitlen Meinens und Fühlens zurückgeführt und überdies<br />
als in Wahrheit unmöglich angesehen, da die philosophischen Gedanken<br />
erst entstehen, „nachdem die Wirklichkeit ihren Bildungsprozess vollendet<br />
und sich fertig gemacht hat“ und nachdem „eine Gestalt des Lebens<br />
alt geworden“ ist, die von <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> nicht verän<strong>der</strong>t, „verjüngt“ werden<br />
kann. 190 Hiermit tritt Hegel also nicht nur gegen den Primat <strong>der</strong> Praxis<br />
auf, son<strong>der</strong>n auch gegen die Theorie im Typus <strong>der</strong> Kritik, d. h. <strong>der</strong> nicht<br />
nachträglich tätigen Theorie.<br />
Die in <strong>der</strong> Vorrede <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ ausgesprochene Gleichsetzung<br />
von Vernunft und Wirklichkeit – „Was vernünftig ist, das ist wirklich;<br />
und was wirklich ist, das ist vernünftig“ 191 – verlangt und bedeutet aber<br />
nicht, dass Hegel in <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ alle gerade bestehenden politisch-gesellschaftlichen<br />
Zustände des Preußens seiner Gegenwart, das<br />
immerhin im Zusammenhang mit dem Wirken des Freiherrn vom Stein<br />
verhältnismäßig reformfreudig ist 192, als vernünftig ansieht, wie zum Beispiel<br />
<strong>der</strong> liberale Hegelkritiker Haym unterstellt. 193
76<br />
Ebenso wie <strong>der</strong> Hegelsche Begriff des Wirklichen nicht im empiristischen<br />
o<strong>der</strong> positivistischen Sinne des alltäglich Vorhandenen und Zufälligen,<br />
son<strong>der</strong>n im Sinne des Substantiellen und Notwendigen zu fassen<br />
ist 194 , ist <strong>der</strong> Begriff des Gegenwärtigen nicht im Sinne des gleichsam<br />
punktuell Bestehenden, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> geschichtlichen qualitativen Stufe zu<br />
nehmen.<br />
Die logische Freiheit als Einheit des Beson<strong>der</strong>en und Allgemeinen ist in<br />
<strong>der</strong> gegenwärtigen Stufe <strong>der</strong> objektiven Sittlichkeit die wirkliche Freiheit im<br />
Staat als Übereinstimmung des subjektiven und objektiven Willens, so<br />
dass die Individuen, die in <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft selbstsüchtig und<br />
aggressiv ihre Privatinteressen verfolgen (und in <strong>der</strong> Familie nur durch das<br />
Band des natürlichen Zusammenhalts und <strong>der</strong> unmittelbaren Empfindung<br />
vereinigt sind) im Staat ihre – vermittels <strong>der</strong> Gesetze – gewollte und gewusste<br />
„Vereinigung als solche“ 195 haben (womit Hegel im Gegensatz steht<br />
zur liberalistischen Beschränkung <strong>der</strong> Staatsaufgaben auf die Sicherung<br />
<strong>der</strong> Privatpersonen und ihres Eigentums, wie sie exemplarisch zum Ausdruck<br />
kommt in Wilhelm von Humboldts – erst l85l herausgegebenen –<br />
Frühschrift „Ideen zu einem Versuch, die Grenzen <strong>der</strong> Wirksamkeit des<br />
Staates zu bestimmen“). Diese gegenwärtige Stufe <strong>der</strong> objektiven Sittlichkeit<br />
schließt als vollkommene und endgültige Verkörperung des Geistes in<br />
<strong>der</strong> Welt eine neue höher stehende politisch-gesellschaftliche Epoche aus,<br />
aber sie schließt ein zukünftiges reformiertes preußisches Staatsleben ein,<br />
in dem es Einrichtungen gibt, die zur Zeit <strong>der</strong> Abfassung <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“<br />
noch nicht bestehen.<br />
Dieser Ausblick Hegels ist deshalb möglich, weil das System – <strong>der</strong> „Zusammenstand“<br />
– <strong>der</strong> teleologisch geschlossenen Totalität und die Aufstellung<br />
des Prinzips <strong>der</strong> Übereinstimmung von Vernunft und Wirklichkeit,<br />
von logischer und historischer Entwicklung, nur implizieren, dass <strong>der</strong><br />
Kreis <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>gewinnung des absoluten Subjekts sich in epochaler Hinsicht<br />
geschlossen hat, d. h. die ideelle Involution auf dem Weg <strong>der</strong> Weltgeschichte<br />
qualitativ vollendet ist und unter diesem Aspekt die Gegenwart<br />
als volle Entfaltung des vernünftigen Potentials verabsolutiert werden<br />
kann.<br />
Zu diesen zukünftig-gegenwärtigen vernünftigen Einrichtungen in<br />
Preußen, die zur Zeit <strong>der</strong> Restauration <strong>der</strong> Heiligen Allianz, speziell <strong>der</strong>
77<br />
Karlsba<strong>der</strong> Beschlüsse (1819), in <strong>der</strong> Perspektive des aufsteigenden Bürgertums<br />
progressiv sind, gehören <strong>für</strong> Hegel in <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ die<br />
Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens und <strong>der</strong> parlamentarischen Debatten,<br />
die Rechtsgleichheit vor dem Gesetz und die Entfesselung des Eigentums<br />
und damit <strong>der</strong> Produktion aus <strong>der</strong> feudalen Privilegien-Ordnung (mit<br />
Ausnahme <strong>der</strong> Majorate).<br />
Aber die über die unmittelbar gegenwärtigen Zustände hinaus weisenden<br />
Teile <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“ sind nicht charakteristisch. In ihr überwiegen<br />
eindeutig die – in bürgerlicher Perspektive – regressiven, stabilisierenden<br />
und unzeitgemäßen Tendenzen. Sie kommen vor allem zum Ausdruck<br />
in <strong>der</strong> Ablehnung <strong>der</strong> Volkssouveränität, einer allgemein gewählten<br />
Repräsentationskörperschaft, <strong>der</strong> Gewaltenteilung im Sinne Lockes, <strong>der</strong><br />
Beherrschung <strong>der</strong> staatlichen Institutionen durch die bürgerliche Gesellschaft<br />
<strong>der</strong> Arbeit und des Bedürfnisses, <strong>der</strong> Pressefreiheit sowie in den<br />
Darlegungen über die Polizei, die Korporationen, die Bürokratie und das<br />
monarchische Prinzip.<br />
Hierin liegt nicht mir eine Ablehnung des Sollens, insofern dieses als<br />
Grundsatz proklamiert wird, son<strong>der</strong>n auch, insofern dieses eine zeitlich<br />
begrenzte demokratisch-liberale Opposition beinhaltet. Beide Formen <strong>der</strong><br />
Stellungnahme <strong>für</strong> die halb-feudale Ordnung Preußens finden sich in <strong>der</strong><br />
„Rechtsphilosophie“ und müssen unterschieden werden.<br />
Dass die spezifisch konservative o<strong>der</strong> auch „realistische“ Hegelsche Einstellung<br />
<strong>der</strong> Hinnahme, des Sichabfindens und des Anerkennens <strong>der</strong> unmittelbar<br />
gegebenen gesellschaftlich-politischen Praxis nicht mehr prinzipiell<br />
bedingt ist und Hegel in seiner früheren Entwicklung weitaus negativer,<br />
unversöhnlicher und kritischer zur Gegenwart stand, zeigt ein Blick<br />
auf die Stufen seiner Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Gegensätzen und Krisen<br />
<strong>der</strong> Zeit nach <strong>der</strong> französischen Revolution.<br />
Die französische Revolution – <strong>der</strong>en Prinzip Hegel in <strong>der</strong> allgemeinen<br />
Rechtsfreiheit des Menschen als Menschen, „nicht weil er Jude, Katholik,<br />
Protestant, Deutscher, Italiener u. s. f. ist“ 196 , erblickt und die er immer<br />
als historisch notwendig, wenn auch später nicht mehr als geeignet ansieht,<br />
die Freiheit wirklich durchsetzen und konkretisieren zu können –<br />
begeistert ihn in seiner Tübinger Zeit und inspiriert ihn in seiner Berner<br />
Periode zur überschwenglichen Hoffnung auf die zukünftige Erneuerung
78<br />
des antiken Republikanimus auf dem Wege uneingeschränkter Selbsttätigkeit,<br />
wie oben im fünften Abschnitt skizziert wurde. In dieser Zeit<br />
schreibt Hegel an Schelling: „... Mit Verbreitung <strong>der</strong> Ideen, wie etwas sein<br />
soll, wird die Indolenz <strong>der</strong> gesetzten Leute, ewig alles zu nehmen, wie es<br />
ist, verschwinden...“ 197<br />
Dieselbe Einstellung spricht aus Hegels kommentierter anonym veröffentlichter<br />
Übersetzung <strong>der</strong> „Vertraulichen Briefe“ des Advokaten Cart<br />
(1798), die gegen das revolutionsfeindliche oligarchische Regime in Bern<br />
gerichtet sind und <strong>für</strong> die „alten Rechte“ des von diesem unterdrückten<br />
Waadtlandes eintreten.<br />
In <strong>der</strong> „Vorerinnerung“ warnt Hegel die Anhänger <strong>der</strong> deutschen Reaktion:<br />
aus dem Kontrast <strong>der</strong> einst triumphierenden, jetzt inzwischen von<br />
französischen Truppen besiegten Berner Oligarchie „würden sich eine<br />
Menge Nutzanwendungen ergeben; doch die Begebenheiten sprechen <strong>für</strong><br />
sich laut genug; es kann nur darum zu tun sein, sie in ihrer ganzen Fülle<br />
kennenzulernen; sie schreien laut über die Erde: Discite justiciam moniti,<br />
die Tauben aber wird ihr Schicksal schwer ergreifen.“ 198<br />
Hegels Absicht ist hier also die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> politischen Verhältnisse<br />
auf dem Wege <strong>der</strong> kritischen Belehrung als Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins<br />
<strong>der</strong> Herrschenden – zum Zweck <strong>der</strong> Prophylaxe des revolutionären<br />
Paroxysmus. 199<br />
Verän<strong>der</strong>ungen, mutige Reformen <strong>der</strong> unhaltbar gewordenen überlebten<br />
Württemberger Zustände des feudalen Absolutismus, die am Maßstab des<br />
Begriffs nicht zu rechtfertigen sind, for<strong>der</strong>t Hegel in seiner unveröffentlichten<br />
Schrift aus <strong>der</strong> Frankfurter Zeit über den Verfassungskonflikt zwischen<br />
den Landständen und dem Herzog „Über die neuesten inneren Verhältnisse<br />
Württembergs, beson<strong>der</strong>s über die Gebrechen <strong>der</strong> Magistratsverfassung“<br />
(1798): „Wie blind sind diejenigen, die glauben mögen, dass Einrichtungen,<br />
Verfassungen, Gesetze, die mit den Sitten, den Bedürfnissen,<br />
<strong>der</strong> Meinung <strong>der</strong> Menschen nicht mehr zusammenstimmen, aus denen <strong>der</strong><br />
Geist entflohen ist, länger bestehen, dass Formen, an denen Verstand und<br />
Empfindung kein Interesse mehr nimmt, mächtig genug seien, länger das<br />
Band eines Volkes auszumachen.“ 200 Dabei ist es hier unerheblich, dass<br />
Hegels bestimmte Reformvorschläge – die Schaffung einer Versammlung
79<br />
von „aufgeklärten und rechtschaffenen Männern“ anstelle von Volkswahlen<br />
– zaghaft sind (gemessen an <strong>der</strong> Schärfe <strong>der</strong> Kritik). 201<br />
In <strong>der</strong> ebenfalls nicht publizierten Abhandlung über „Die Verfassung<br />
Deutschlands“ (1802) stellt Hegel fest, dass das Deutsche Reich nach den<br />
Kriegen gegen die französische Republik und nach dem Rastatter Kongress<br />
seine von innen her bedrohte Einheit und seine „machthabende Allgemeinheit“<br />
und Souveränität verloren hat und umgestaltet werden muss.<br />
Im Einleitungsfragment von 1799/1800 hebt Hegel das Negative in den<br />
bestehenden feudalen beschränkten Zuständen des Deutschen Reiches<br />
hervor: „Alle Erscheinungen dieser Zeit zeigen, dass die Befriedigung im<br />
alten Leben sich nicht mehr findet; es war eine Beschränkung auf eine<br />
ordnungsvolle Herrschaft über sein Eigentum, ein Beschauen und Genuss<br />
seiner völlig untertänigen kleinen Welt, und dann auch eine diese Beschränkung<br />
versöhnende Selbstvernichtung und Erhebung im Gedanken<br />
an den Himmel.“ 202<br />
Am Schluss <strong>der</strong> endgültigen Ausarbeitung dieser Schrift (1802) drückt<br />
Hegel seine Erwartung aus, dass die praktische Umgestaltung des Deutschen<br />
Reiches – mit dem Ziel <strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong> Einheit von Vernunft<br />
und Wirklichkeit – nur durch Gewalt erfolgen kann (worin schon ein Hinweis<br />
auf Napoleon zu erblicken ist ebenso wie in <strong>der</strong> wie<strong>der</strong>holten Evokation<br />
des staatenstiftenden „Theseus“): „... <strong>der</strong> Begriff und die Einsicht <strong>der</strong><br />
Notwendigkeit (ist) viel zu schwach ..., um aufs Handeln selbst zu wirken;<br />
<strong>der</strong> Begriff und Einsicht führt etwas so Misstrauisches gegen sich mit,<br />
dass er durch die Gewalt gerechtfertigt werden muss, dann unterwirft sich<br />
ihm <strong>der</strong> Mensch.“ 203<br />
Dass diese Schrift „Die Verfassung Deutschlands“ wesentlich auf zukünftige<br />
Verhältnisse ausgerichtet bleibt, ist hier vereinbar damit, dass<br />
Hegel schon als ihren Zweck statt <strong>der</strong> Kritik das heilsame Begreifen des<br />
Notwendigen angibt: „Die Gedanken, welche diese Schrift enthält, können<br />
bei ihrer öffentlichen Äußerung keinen an<strong>der</strong>n Zweck noch Wirkung haben,<br />
als das Verstehen dessen, was ist, und damit die ruhigere Ansicht<br />
sowie ein in <strong>der</strong> wirklichen Berührung und in Worten gemäßigtes Ertragen<br />
<strong>der</strong>selben zu beför<strong>der</strong>n. Denn nicht das, was ist, macht uns ungestüm<br />
und leidend, son<strong>der</strong>n dass es nicht ist, wie es sein soll; erkennen wir aber,
80<br />
dass es ist, wie es sein muss, d. h. nicht nach Willkür und Zufall, so erkennen<br />
wir auch, dass es so sein soll.“ 204<br />
Wie wenig sich Hegels <strong>Philosophie</strong> in <strong>der</strong> Jenaer Periode (1801-1807)<br />
auf das Begreifen des – in vollständig entwickelter Form – Vorgegeben beschränkt,<br />
zeigt sich deutlich in <strong>der</strong> Stellung zu Napoleon. Von ihm, <strong>der</strong><br />
nicht angesehen wird als Usurpator, son<strong>der</strong>n als legitimer Vollstrecker <strong>der</strong><br />
französischen Revolution in <strong>der</strong> Weise ihrer Aufhebung, als „Weltseele“<br />
und „großer Staatsrechtlehrer in Paris“ 205 , erwartet Hegel, dass er eine<br />
neue Epoche beginnen lässt, nämlich die Verwirklichung <strong>der</strong> französischen<br />
Revolution in Deutschland und damit die Überwindung <strong>der</strong> feudalen partikularistischen<br />
Rückständigkeit ineins mit <strong>der</strong> staatlichen Ausgleichung<br />
(nicht etwa <strong>der</strong> Sicherung) <strong>der</strong> ökonomischen Interessen <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Gesellschaft. Dementsprechend heißt es in <strong>der</strong> Vorrede <strong>der</strong> „Phänomenologie<br />
des Geistes“: „Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, dass unsere Zeit<br />
eine Zeit <strong>der</strong> Geburt und des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der<br />
Geist hat mit <strong>der</strong> bisherigen Welt seines Daseins und Vorstellens gebrochen<br />
und steht im Begriffe, es in die Vergangenheit hinab zu versenken,<br />
und in <strong>der</strong> Arbeit seiner Umgestaltung.“ 206 Und am Schluss des Kollegs<br />
über spekulative <strong>Philosophie</strong> in Jena am l8. September 1806 sagt Hegel:<br />
„Wir stehen in einer wichtigen Zeitepoche, einer Gärung, wo <strong>der</strong> Geist einen<br />
Ruck getan, über seine vorige Gestalt hinausgekommen ist und eine<br />
neue gewinnt... Es bereitet sich ein neuer Hervorgang des Geistes. Die <strong>Philosophie</strong><br />
hat vornehmlich seine Erscheinung zu begrüßen und ihn zu erkennen.“<br />
207<br />
In Übereinstimmung mit seiner Zukunftserwartung spricht Hegel in <strong>der</strong><br />
„Phänomenologie des Geistes“ zwar davon, dass die in Frankreich aufgetretene<br />
revolutionäre „absolute Freiheit aus ihrer sich selbst zerstörenden<br />
Wirklichkeit in ein an<strong>der</strong>es Land des selbstbewussten Geistes“ 208 , nämlich<br />
nach Deutschland, übergeht, aber er kann die <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> des „seiner<br />
selbst gewissen Geistes“ entsprechende wirkliche versöhnende Staatsordnung<br />
nicht mehr behandeln.<br />
Nach eigener politischer Tätigkeit als Redakteur <strong>der</strong> Bamberger Zeitung,<br />
die er wegen <strong>der</strong> Finanz- und Zensurschwierigkeiten als Galeerenarbeit<br />
empfindet, wird <strong>für</strong> Hegel schließlich die Nie<strong>der</strong>lage Napoleons die Krise,<br />
die zur Annäherung an die preußischen Verhältnisse führt. Erst danach
81<br />
wird die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> endgültig zur „Eule <strong>der</strong> Minerva“ (womit sie<br />
den hergestellten Zusammenhang zwischen <strong>Philosophie</strong> und Zeit selbst<br />
bestätigt).<br />
Davon zeugen die beiden an<strong>der</strong>en politischen Publikationen Hegels, die<br />
Landstände-Schrift (1815/16) und die Schrift „Über die englische Reformbill“<br />
(1831), sowie die akademischen Antrittsreden in Heidelberg und Berlin<br />
und schließlich die Vorrede zur zweiten Auflage <strong>der</strong> „Logik“. 209<br />
Beson<strong>der</strong>s die „Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte“<br />
(1830/31 zuletzt gehalten) machen die kontemplative Stellung Hegels zur<br />
politisch-gesellschaftlichen Praxis deutlich: die Theorie <strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong><br />
wird höher gestellt als die Praxis <strong>der</strong> französischen Revolution (die<br />
selbst allerdings „von <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ihre erste Anregung erhalten“ habe,<br />
nämlich von <strong>der</strong> abstrakten Aufklärungsphilosophie 210 ). Dementsprechend<br />
wird nunmehr die Reformation – mit ihrem Prinzip <strong>der</strong> Freiheit als Versöhnung<br />
von Vernunft und Wirklichkeit – als entscheiden<strong>der</strong> Wendepunkt<br />
vor <strong>der</strong> französischen Revolution bewertet. Die Reformation habe in den<br />
protestantischen Län<strong>der</strong>n eine Revolution nicht notwendig gemacht. „Was<br />
die andre Frage betrifft: warum sind die Franzosen sogleich vom Theoretischen<br />
zum Praktischen übergegangen, wogegen die Deutschen bei <strong>der</strong> theoretischen<br />
Abstraktion stehenblieben, so könnte man sagen: die Franzosen<br />
sind Hitzköpfe (ils ont la tête près du bonnet); <strong>der</strong> Grund liegt aber tiefer.<br />
Dem formellen Prinzip <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> in Deutschland nämlich steht die<br />
konkrete Welt und Wirklichkeit mit innerlich befriedigtem Bedürfnis des<br />
Geistes und mit beruhigtem Gewissen gegenüber. Denn es ist einerseits<br />
die protestantische Welt selbst, welche so weit im Denken zum Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> absoluten Spitze des Selbstbewusstseins gekommen ist, und andrerseits<br />
hat <strong>der</strong> Protestantismus die Beruhigung über die sittliche und<br />
rechtliche Wirklichkeit in <strong>der</strong> Gesinnung, welche selbst, mit <strong>der</strong> Religion<br />
eins, die Quelle alles rechtlichen Inhalts im Privatrecht und in <strong>der</strong> Staatsverfassung<br />
ist... In Deutschland war in Ansehung <strong>der</strong> Weltlichkeit schon<br />
alles durch die Reformation gebessert worden...“ 211<br />
Durch die Verabsolutierung <strong>der</strong> Gegenwart in <strong>der</strong> kontemplativspekulativen<br />
<strong>Philosophie</strong> wird Hegels dialektische Verknüpfung von Absolutem<br />
und Relativem, Logik und Geschichte, Sein und Zeit, letztlich aufgelöst;<br />
denn die Geschichte wird zum Stehen gebracht und dadurch logifi-
82<br />
ziert, kategorisiert o<strong>der</strong> in ein Transzendentales verwandelt und damit<br />
selbst in den Rang dessen versetzt, worauf sie ursprünglich bezogen ist.<br />
Gerade weil Hegel aber Logik und Geschichte aufeinan<strong>der</strong> bezieht, kann<br />
die Geschichte auch grundsätzlich zum Kriterium <strong>für</strong> sein System werden,<br />
d. h. <strong>für</strong> die ideelle Versöhnung von Theorie und Praxis. Das System hat<br />
sich an <strong>der</strong> Geschichte zu bewähren, die erstmals und grundsätzlich die<br />
Position einer systemimmanenten Kritik erhält.<br />
Das Auftreten praktisch-geschichtlicher qualitativ neuer im System<br />
nicht integrierter Gegensätze innerhalb <strong>der</strong> bestehenden Welt – wie sie in<br />
<strong>der</strong> Julirevolution 1830 akut werden 212 – wird ein Argument gegen die Hegelsche<br />
Vereinigung von Theorie und Praxis.
83<br />
II. Heines Ableitung <strong>der</strong> revolutionären politisch-sozialen Praxis aus<br />
<strong>der</strong> philosophischen Theorie<br />
Die Schrift „Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland“<br />
entsteht 1834 in Paris, wohin Heine nach <strong>der</strong> Julirevolution übergesiedelt<br />
ist. Als ihren Zweck führt er an, <strong>für</strong> die französischen Leser die Religion<br />
und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland verständlich zu machen, wobei<br />
zugleich die Auslegung Victor Cousins korrigiert werden soll (nachdem er<br />
über die deutsche Literatur in <strong>der</strong> Schrift „Die romantische Schule“ berichtet<br />
hat in Fortsetzung und Berichtigung <strong>der</strong> Bände „De l’Allemagne“ Frau<br />
von Staëls, die beschlagnahmt wurden durch Napoleon, den <strong>der</strong> junge<br />
Heine wie Hegel als „Sohn <strong>der</strong> Revolution“ begrüßt). Aber diese Schrift ist<br />
in Wahrheit ein groß angelegter Entwurf einer Synthese von Theorie und<br />
Praxis.<br />
Die philosophische Theorie ist <strong>für</strong> Heine durch Hegel zur Vollendung<br />
gekommen. „Unsere philosophische Revolution ist beendigt. Hegel hat ihren<br />
großen Kreis geschlossen.“ 213 Analog dazu charakterisiert Heine die<br />
Goethezeit als das Ende <strong>der</strong> „Kunstperiode“, auf die aber ein neuer Abschnitt,<br />
nämlich die Periode demokratisch-revolutionärer Literatur folge. 214<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> muss <strong>für</strong> Heine also schließlich die entscheidende<br />
Frage entstehen, wie ein Hinausgehen über die vollendete <strong>Philosophie</strong><br />
möglich ist.<br />
Die philosophische Revolution beginnt <strong>für</strong> Heine mit Kant und führt<br />
über Fichte und Schelling zu Hegel. Sie ist hervorgegangen aus <strong>der</strong> protestantischen<br />
Religion. Diese wird von <strong>der</strong> philosophischen Revolution in einen<br />
Pantheismus verwandelt. Die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> ist also <strong>für</strong> Heine<br />
die höchste Form des Pantheismus, <strong>der</strong> Durchführung <strong>der</strong> Lehre Spinozas,<br />
<strong>der</strong> Gleichsetzung von Gott und Welt.<br />
Der zum Pantheismus führende Protestantismus wie<strong>der</strong>um ist eine höhere<br />
Stufe des Katholizismus. Das heißt: <strong>der</strong> ursprünglich reine „Spiritualismus“<br />
<strong>der</strong> christlichen Religion wird schrittweise durch den Protestantismus<br />
und die deutsche idealistische <strong>Philosophie</strong> negiert (nicht aufgehoben<br />
im Hegelschen Sinne). Nur partiell wird <strong>der</strong> „Sensualismus“ von Luther<br />
– <strong>der</strong> „zugleich ein träumerischer Mystiker und ein praktischer Mann“<br />
war, <strong>der</strong> „sprach und handelte“ – rehabilitiert. „Indem die notwendigsten
84<br />
Ansprüche <strong>der</strong> Materie nicht bloß berücksichtigt, son<strong>der</strong>n auch legitimiert<br />
werden, wird die Religion wie<strong>der</strong> eine Wahrheit.“ 215<br />
Die Idee des Christentums ist also <strong>für</strong> Heine nicht wie <strong>für</strong> Hegel die<br />
Freiheit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> „Spiritualismus“ als „die Vernichtung <strong>der</strong> Sinnlichkeit“,<br />
<strong>der</strong> Leiblichkeit, des Weltlichen, <strong>der</strong> „Materie“. 216<br />
Der extreme Dualismus von Spiritualismus und Sensualismus, „Nazarenertum“<br />
und „Hellenentum“ 217 , Geist und Materie, Theorie und Praxis,<br />
ist im Laufe <strong>der</strong> Geschichte zwar abgeschwächt, aber nicht in einer Synthese<br />
überwunden worden.<br />
Da <strong>der</strong> Spiritualismus des Christentums im Wi<strong>der</strong>spruch zur menschlichen<br />
Natur steht, kann es nicht verwirklicht werden. Der Sinnlichkeit<br />
müssen in <strong>der</strong> christlichen Religion inkonsequenterweise Zugeständnisse<br />
gemacht werden. Die christliche Religion „war eben allzu erhaben, allzu<br />
rein, allzu gut <strong>für</strong> diese Erde, wo ihre Idee nur in <strong>der</strong> Theorie proklamiert,<br />
aber niemals in <strong>der</strong> Praxis ausgeführt werden konnte... Der Versuch, die<br />
Idee des Christentums zur Ausführung zu bringen, ist jedoch, wie wir endlich<br />
sehen, aufs kläglichste verunglückt, und dieser unglückliche Versuch<br />
hat <strong>der</strong> Menschheit Opfer gekostet, die unberechenbar sind, und trübselige<br />
Folge <strong>der</strong>selben ist unser jetziges soziales Unwohlsein in ganz Europa.“<br />
218<br />
Da <strong>der</strong> deistische Spiritualismus ein Bündnis mit dem Feudalismus<br />
eingegangen ist, wird er von zwei Seiten bedrängt; von <strong>der</strong> pantheistischen<br />
<strong>Philosophie</strong> und <strong>der</strong> politisch-sozialen Umwälzung, die darauf abzielt, die<br />
„große Weltzerrissenheit“ zu überbrücken. (Dagegen hilft schließlich auch<br />
keine Anpassung 219 etwa in Gestalt des „christlichen Sozialismus“ des Buchez<br />
o<strong>der</strong> des Abbé Lamennais, dessen in über hun<strong>der</strong>t Auflagen erschienenen<br />
„Paroles d’un croyant“ von Börne 1834 ins Deutsche übersetzt werden.)<br />
Durch „das Gedeihen <strong>der</strong> Industrie und durch die <strong>Philosophie</strong> wird<br />
<strong>der</strong> Spiritualismus in <strong>der</strong> öffentlichen Meinung diskreditiert; <strong>der</strong> dritte<br />
Stand erhebt sich; die Revolution grollt schon in den Herzen und Köpfen.“<br />
220<br />
Die Überwindung <strong>der</strong> Entzweiung von Spiritualismus und Sensualismus,<br />
die in <strong>der</strong> Theorie durch Hegel vollendet ist, ist somit <strong>für</strong> Heine Sache
85<br />
<strong>der</strong> Zukunft 221 und kommt letztlich erst zustande durch politisch soziale<br />
Praxis.<br />
Von dieser erwartet er, dass sie in Deutschland eine Form annimmt<br />
und auf einem Niveau stattfindet, wogegen „die französische Revolution<br />
nur wie eine harmlose Idylle erscheinen möchte.“ 222<br />
Der Grund da<strong>für</strong> ist: die deutsche Revolution wird aus einer vollendeten<br />
<strong>Philosophie</strong> hervorgehen: „Mich dünkt, ein methodisches Volk wie wir<br />
musste mit <strong>der</strong> Reformation beginnen, konnte erst hierauf sich mit <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong> beschäftigen und durfte nur nach <strong>der</strong>en Vollendung zur politischen<br />
Revolution übergehen... Durch diese Doktrinen haben sich revolutionäre<br />
Kräfte entwickelt, die nur des Tages harren, wo sie hervorbrechen<br />
und die Welt mit Entsetzen und Bewun<strong>der</strong>ung erfüllen können.“ 223 So<br />
werden die Deutschen die Franzosen, die sie schon in Gedanken überflügelten,<br />
auch in <strong>der</strong> Tat überflügeln. In diesem Sinne wagt Heine, <strong>der</strong> Gegner<br />
des burschenschaftlichen Nationalismus und <strong>der</strong> Deutschtümelei, in<br />
<strong>der</strong> Vorrede zu „Deutschland. Ein Wintermärchen“ (l844) die ironische<br />
Prognose: „Die ganze Welt wird deutsch werden!“ 224<br />
Kennzeichnend <strong>für</strong> Heine ist, dass er – großenteils im Gegensatz zu den<br />
an<strong>der</strong>en Schriftstellern des oppositionellen „Jungen Deutschland“, zu Börne,<br />
Gutzkow, Laube, Wienbarg und Mundt – nicht nur die politische Praxis,<br />
son<strong>der</strong>n auch vor allem die soziale Praxis im Auge hat. Es geht ihm<br />
nicht so sehr um die Staatsformen <strong>der</strong> Monarchie o<strong>der</strong> Republik o<strong>der</strong> um<br />
Fragen <strong>der</strong> parlamentarischen Repräsentation als vielmehr um das<br />
„Wohlsein <strong>der</strong> Materie, das materielle Glück <strong>der</strong> Völker“ (wobei er auch die<br />
Vertröstungen des jakobinischen Tugend-Asketismus persifliert). 225<br />
Diese Einstellung Heines wird geför<strong>der</strong>t durch die Bekanntschaft mit<br />
den Saint-Simonisten (ihrem Repräsentanten Prosper Enfantin widmet er<br />
die französische Ausgabe <strong>der</strong> Schrift „Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong><br />
in Deutschland“ in dem Sammelwerk „De l’Allemagne“,1835) und<br />
mit den Anhängern Fouriers und mit Louis Blanc sowie durch die Kenntnis<br />
<strong>der</strong> Geschichtsauffassung Mignets, und sie begünstigt die Zusammenarbeit<br />
mit Ruge und Heß und – seit l844 – die Freundschaft mit Marx.
86<br />
Heine ist <strong>der</strong> erste, <strong>der</strong> die revolutionäre politisch-soziale Praxis in Zusammenhang<br />
bringt mit <strong>der</strong> deutschen idealistischen <strong>Philosophie</strong>, wie dies<br />
Engels in einem späteren Rückblick hervor hebt. 226<br />
Zum einen erwartet Heine, wie angeführt, das Hervorgehen <strong>der</strong> deutschen<br />
Revolution aus <strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong>. „Der Gedanke geht <strong>der</strong><br />
Tat voraus wie <strong>der</strong> Blitz dem Donner.“ 227 Zum an<strong>der</strong>en parallelisiert er die<br />
deutsche <strong>Philosophie</strong> mit <strong>der</strong> französischen geschichtlichen Praxis: „... wie<br />
hier in Frankreich jedes Recht, so muss dort in Deutschland je<strong>der</strong> Gedanke<br />
sich justifizieren, und wie hier das Königtum, <strong>der</strong> Schlussstein <strong>der</strong> alten<br />
sozialen Ordnung, so stürzt dort <strong>der</strong> Deismus, <strong>der</strong> Schlussstein des<br />
geistigen alten Regimes.“ 228<br />
Kant wird in Analogie gesetzt mit Robespierre (<strong>der</strong> “nichts als die Hand<br />
von Jean-Jacque Rousseau“ war), Fichte mit Napoleon und <strong>der</strong> spätere<br />
Schelling mit <strong>der</strong> restaurierenden Reaktion 229 , wobei die negative Einschätzung<br />
Schellings – vor allem hinsichtlich seiner Entwicklung seit <strong>der</strong><br />
Schrift „<strong>Philosophie</strong> und Religion“ (1804) – typisch wird <strong>für</strong> alle Junghegelianer.<br />
Während Hegel, wie oben dargestellt, das Ausbleiben <strong>der</strong> revolutionären<br />
Praxis in Deutschland und das Stehenbleiben bei <strong>der</strong> Theorie als die vernünftige<br />
Auswirkung <strong>der</strong> Reformation ansieht und Marx dies als Schwäche<br />
des Bürgertums erklärt 230 , erblickt Heine darin eine Verzögerung aus methodischer<br />
Gründlichkeit (einschließlich des Zurückschreckens vor den<br />
Resultaten des Denkens), einen Nachteil, <strong>der</strong> sich zum Vorteil wenden<br />
werde.<br />
Bei <strong>der</strong> Parallelisierung <strong>der</strong> französischen Praxis mit <strong>der</strong> deutschen<br />
Theorie ordnet Heine Hegel nicht wie Schelling eindeutig <strong>der</strong> Restauration<br />
zu trotz Hegels Zugeständnisse an das Bestehende: „... wenn er auch,<br />
gleich Herrn Schelling, dem Bestehenden in Staat und Kirche einige allzu<br />
bedenkliche Rechtfertigungen verlieh, so geschah dieses doch <strong>für</strong> einen<br />
Staat, <strong>der</strong> dem Prinzip des Fortschritts wenigstens in <strong>der</strong> Theorie huldigt,<br />
und <strong>für</strong> eine Kirche, die das Prinzip <strong>der</strong> freien Forschung als ihr Lebenselement<br />
betrachtet.“ 231 Entschiedener urteilt Heine in <strong>der</strong> Vorrede zur<br />
Schrift „Französische Zustände“ (1833): „Dieses Preußen! wie es versteht,<br />
seine Leute zu gebrauchen!... Hegel musste die Knechtschaft, das Bestehende,<br />
als vernünftig rechtfertigen.“ 232 Und in <strong>der</strong> Abhandlung „Die ro-
87<br />
mantische Schule“ (l833) zählt Heine Hegel zu den „Justifikatoren dessen,<br />
was da ist“ und zu den „Staatsphilosophen“:„... sie ersannen philosophische<br />
Rechtfertigungen aller Interessen des Staates, worin sie sich angestellt<br />
befanden. Zum Beispiel Hegel, Professor in dem protestantischen<br />
Berlin, hat in seinem Systeme auch die ganze evangelisch protestantische<br />
Dogmatik aufgenommen.“ 233<br />
Aber Hegels Rechtfertigung des Bestehenden ist nach Heine im doppelten<br />
Sinn äußerlich: nicht nur aus dem Grunde, weil als die inneren Konsequenzen<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Atheismus und die Revolutionslehre<br />
anzusehen seien, son<strong>der</strong>n auch deshalb, weil Hegel selbst diese Lehren<br />
als esoterische Ansichten vertreten und sie nur bewusst verklausuliert<br />
habe.<br />
Seine Kenntnis <strong>der</strong> esoterischen Lehre Hegels führt Heine in den Geständnissen“<br />
(l854) und in den fragmentarischen erst posthum veröffentlichten<br />
„Briefen über Deutschland“ (l844 geschrieben) auf ein Gespräch<br />
zurück, das er vorgeblich selbst mit Hegel gehabt hat. 234 Demnach sei<br />
auch das Schulgeheimnis <strong>der</strong> Gleichsetzung von Vernunft und Wirklichkeit<br />
ihr revolutionärer Charakter: „Als ich einst unmutig war über das<br />
Wort: ,Alles, was ist, ist vernünftig‘, lächelte er son<strong>der</strong>bar und bemerkte:<br />
,Es könnte auch heißen: Alles, was vernünftig ist, muss sein.‘ Er sah sich<br />
hastig um, beruhigte sich aber bald, denn nur Heinrich Beer hatte das<br />
Wort gehört.“ 235<br />
Es ist offensichtlich, dass sich Heine mit dieser Berufung auf ein Augurenlächeln<br />
hinwegsetzt über Hegels systembedingte Konzeption <strong>der</strong><br />
Vollendung <strong>der</strong> Geschichte und <strong>der</strong> endgültigen Versöhnung von Theorie<br />
und Praxis. Heine zieht Konsequenzen aus Hegels Lehre, die sich erst ergeben<br />
könnten nach einer bewussten Destruktion des Systems, das keine<br />
Irreführung <strong>für</strong> nicht Eingeweihte, son<strong>der</strong>n ein konstitutiver Bestandteil<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> ist.<br />
Heines Verkennen <strong>der</strong> systematischen Seite <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong><br />
bedeutet aber nicht, dass er die dialektische Methode als ihr revolutionäres<br />
Moment absolut hervorgehoben hätte, so wie Alexan<strong>der</strong> Herzen –<br />
durchaus im Sinne von Marx und Engels – in <strong>der</strong> Dialektik die „Algebra<br />
<strong>der</strong> Revolution“ erblickte. Der Übergang zur revolutionären politischsozialen<br />
Praxis ergibt sich aus Hegels Lehre <strong>für</strong> Heine dagegen in erster
88<br />
Linie auf Grund <strong>der</strong> Vollendung des Umsturzes des Deismus. Die geistig<br />
emanzipierten Menschen – nicht die Angehörigen einer bestimmten Klasse<br />
– werden die Geschichte selbst machen, nachdem sie gründlich wissen,<br />
dass Gott zwar „<strong>der</strong> eigentliche Held <strong>der</strong> Weltgeschichte“, die Weltgeschichte<br />
und die ganze Menschheit aber „eine Inkarnation Gottes“ ist. 236<br />
Mehr <strong>für</strong> Heines Biographie als <strong>für</strong> die Umbildung <strong>der</strong> Hegelschen Theorie-Praxis-Konzeption<br />
ist es von Belang, dass Heine sich später wie<strong>der</strong><br />
dem Deismus zuwendet und sein Grauen bekundet vor dem Erbe <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong>, dem Bündnis des Atheismus mit dem Kommunismus,<br />
von dem er die Zerstörung <strong>der</strong> Kultur be<strong>für</strong>chtet, und dass er bekennt:<br />
„Ich war nie abstrakter Denker, und ich nahm die Synthese <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Doktrin ungeprüft an, da ihre Folgerungen meiner Eitelkeit<br />
schmeichelten.“ 237
89<br />
III. Cieszkowskis historiosophische Konzeption <strong>der</strong> Praxis als höchster<br />
Stufe des absoluten Geistes<br />
Wie Heine übernimmt August von Cieszkowski Hegels grundlegende<br />
Verbindung <strong>der</strong> Praxis sowie <strong>der</strong> Theorie mit <strong>der</strong> Geschichte. Die Wahrheit<br />
und Freiheit sind auch <strong>für</strong> ihn nicht primär Sache <strong>der</strong> individuellen Erkenntnis,<br />
son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> geschichtlichen Praxis. Der „<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat“<br />
Cieszkowskis liegt Hegels Konzeption <strong>der</strong> Praxis als konkreter Sittlichkeit<br />
zugrunde, die sowohl Aristoteles’ Ethik des situationsgerechten Handelns<br />
als auch Kants Ethik des pflichtgemäßen Handelns negiert. In <strong>der</strong> Umbildung<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> geht Cieszkowski mit seiner Schrift „Prolegomena<br />
zur Historiosophie“ (1838) aber über Heine insofern hinaus, als<br />
er die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> nicht nur in die Praxis überführt sehen will,<br />
son<strong>der</strong>n sie auch als Theorie umwandelt, nämlich zu einer <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong><br />
Praxis.<br />
Hierin liegen zugleich eine Stärke und eine Schwäche <strong>der</strong> Position<br />
Cieszkowskis: er ignoriert nicht einfach wie Heine das Hegelsche System<br />
unter Berufung auf eine vorgebliche revolutionäre Esoterik, aber er verwandelt<br />
es schließlich in eine schematische aprioristische Konstruktion.<br />
An die Stelle <strong>der</strong> kontemplativen Theorie Hegels tritt die „historiosophische“,<br />
nicht etwa eine „kritische“ Theorie, die unbegrenzt Vernunft und<br />
Wirklichkeit aufeinan<strong>der</strong> bezieht. Darin unterscheidet sich Cieszkowski<br />
von an<strong>der</strong>en Junghegelianern.<br />
Hinsichtlich des Systems sind <strong>für</strong> Cieszkowski die Hegelsche <strong>Philosophie</strong><br />
und die <strong>Philosophie</strong> überhaupt noch unvollendet, hinsichtlich <strong>der</strong><br />
dialektischen Methode aber vollendet. „Die absolute Methode ist erreicht<br />
und diese ist <strong>der</strong> Kern <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, darum hieße es wirklich die Größe<br />
und weltgeschichtliche Bedeutung Hegels verkennen, nicht in ihm wenigstens...<br />
den Anfang des Endes <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> zu sehen... in Hegel hat das<br />
Denken sein, wesentliche Aufgabe gelöst...“ 238<br />
Die For<strong>der</strong>ung, über Hegel, den „zweiten Aristoteles“, hinauszugehen,<br />
knüpft Cieszkowski nicht an die Aufdeckung des Wi<strong>der</strong>streits zwischen <strong>der</strong><br />
Methode und dem System <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, d. h. zwischen dem<br />
Prozess des unbeschränkten Fortschreitens und dem Zustand des endgültigen<br />
Abschlusses; Cieszkowski proklamiert die Weiterentwicklung <strong>der</strong> He-
90<br />
gelschen <strong>Philosophie</strong> nicht unter Berufung auf den Vorrang <strong>der</strong> Methode<br />
vor dem System, son<strong>der</strong>n im Namen <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchslosigkeit des Systems<br />
und damit <strong>der</strong> wahren Totalität. Der Übergang zur Praxis soll die<br />
Mängel und Einseitigkeiten des Systems beseitigen. Cieszkowski stützt<br />
sich also nicht primär auf den revolutionären Charakter <strong>der</strong> dialektischen<br />
Methode.<br />
Die Unterordnung <strong>der</strong> Dialektik unter den „Organismus“ des Systems<br />
kommt schon in einem Brief Cieszkowskis an seinen Lehrer und lebenslangen<br />
Freund Michelet aus <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Vorarbeit <strong>für</strong> die „Prolegomena<br />
zur Historiosophie“ zum Ausdruck: was er im Auge habe, sei „la vraie dialectique<br />
objective, le procès intrinsèque qui développe l’unité des<br />
contrastes, la marche normale de l’objet dans sa genèse organique, le<br />
développement de l’idée dans sa totalité.“ 239 Der entscheidende Mangel des<br />
Hegelschen Systems ist <strong>für</strong> Cieszkowski, dass es – man muss ergänzen:<br />
erst nach dem Sturz Napoleons – die Gegenwart verabsolutiert, die Zukunft<br />
und das Problem ihrer allgemeinen Erkennbarkeit nicht als wesentliches<br />
Moment integriert und deshalb die organische Totalität <strong>der</strong> Geschichte<br />
verfehlt. 240 So wie das Hegelsche System die Grenzen des Kantischen<br />
Kritizismus und Agnostizismus durchbrochen habe, seien Hegels<br />
„Vorurteil“ und „noch nicht gereifte Erkenntnis“ zu überwinden und sei die<br />
zukünftige Periode zu bestimmen, und zwar aus <strong>der</strong> Einsicht in Vergangenheit<br />
und Gegenwart sowie aus <strong>der</strong> Idee des Organismus und seiner Architektonik<br />
241, die gegenüber <strong>der</strong> mechanisch-undialektischen Methode<br />
<strong>der</strong> Aufklärungszeit ihre relative Berechtigung hat.<br />
Dies ist unausgesprochen ein Versuch, Fichtes Bestimmung <strong>der</strong> Zukunft<br />
in <strong>der</strong> ethisch-naturrechtlichen Konzeption <strong>der</strong> „Grundzüge des gegenwärtigen<br />
Zeitalters“ (1804/5) konkreter geschichtlich zu fassen. 242<br />
Fichte konstruiert aus dem Endzweck <strong>der</strong> Menschheit, nämlich „dass sie...<br />
alle ihre Verhältnisse mit Freiheit nach <strong>der</strong> Vernunft einrichte“, fünf Epochen,<br />
von denen zwei in Zukunft folgen werden auf den gegenwärtigen<br />
„Stand <strong>der</strong> vollendeten Sündhaftigkeit“, <strong>der</strong> Befreiung und „Ungebundenheit<br />
ohne einigen Leitfaden“. 243 Zugleich wird Cieszkowski in dieser Frage<br />
<strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Zukunft von Fourier beeinflusst, <strong>der</strong> ausdrücklich<br />
von ihm in einem entsprechenden Zusammenhang genannt wird 244 , und<br />
<strong>der</strong> in seiner „Tabelle philosophischer Prinzipien“ zu den wertvollen Er-
91<br />
kenntnissen und Methoden zählt: „... 6. Durch Analogie vom Bekannten<br />
zum Unbekannten schreiten. 7. Mit Hilfe von Analyse und Synthese<br />
Schlussfolgerungen ziehen. Glauben, dass im System des Universums alles<br />
verbunden, einheitlich ist.“ 245 Auf Cieszkowski dürfte auch – möglicherweise<br />
neben Condorcet und Buchez 246 – Saint-Simon eingewirkt haben,<br />
<strong>der</strong> auf Grund <strong>der</strong> Annahme eines einheitlichen Gesetzes des Weltalls,<br />
nämlich <strong>der</strong> allgemeinen Gravitation, aus dem „Studium des Weges,<br />
den die Vernunft bis auf den heutigen Tag zurückgelegt hat“, darauf<br />
schließt, „welche nützlichen Schritte <strong>der</strong> Vernunft auf dem „Wege <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
und des Glücks noch zu tun verbleiben.“ 247<br />
Cieszkowskis Ausrichtung auf die Zukunft unter Verweis auf die bestehenden<br />
„Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>der</strong> Zeit“ und die „chaotischen Bewegungen <strong>der</strong> Gegenwart“,<br />
beson<strong>der</strong>s auf die „sozialen Wi<strong>der</strong>sprüche“ 248 , bildet einen berechtigten<br />
Ansatzpunkt <strong>der</strong> Kritik an Hegels Versöhnung von Idee und<br />
Wirklichkeit, Theorie und Praxis, da Hegel selbst <strong>Philosophie</strong> und Zeit aufeinan<strong>der</strong><br />
bezieht und sein philosophisches System sich dementsprechend<br />
an <strong>der</strong> Geschichte zu bewähren hat. Implizit muss Cieszkowski diese Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
aber als qualitativ neu und epochal ansehen, damit sie die ihnen<br />
zugeschriebene Funktion <strong>der</strong> relativen Sprengung des Hegelschen Systems<br />
ausüben können. Zur gegenwärtigen Krise <strong>der</strong> Trennung von Vernunft<br />
und Wirklichkeit gehört <strong>für</strong> Cieszkowski, wie sich unten zeigen wird,<br />
<strong>der</strong> absolute Idealismus Hegels selbst, <strong>der</strong> sogar den Höhepunkt und die<br />
letzte Zuspitzung, das „Apogäum“ 249, <strong>der</strong> Entfremdung darstellt.<br />
Dabei scheint Cieszkowski sich nicht <strong>der</strong> Differenz zu Hegel bewusst zu<br />
sein, die in seinem Rekurs auf die sozialen Wi<strong>der</strong>sprüche zum Ausdruck<br />
kommt; <strong>für</strong> Hegel resultiert <strong>der</strong> allgemeine kontinuierliche Fortschritt <strong>der</strong><br />
Geschichte aus den äußeren Wi<strong>der</strong>sprüchen <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>en diskreten<br />
Volksgeister, nicht aus den inneren Wi<strong>der</strong>sprüchen innerhalb eines Volkes.<br />
Dieser Auffassung Hegels schließt er sich trotz seiner Anknüpfung an<br />
die sozialen Wi<strong>der</strong>sprüche ohne ausdrückliche Modifikation an. 250<br />
Indem Cieszkowski wie Hegel die Weltgeschichte als geistigen teleologischen<br />
Prozess auffasst und an <strong>der</strong> absoluten Einheit von Vernunft und<br />
Wirklichkeit, Logik und Geschichte, festhält und for<strong>der</strong>t, man müsse „das<br />
ganze System <strong>der</strong> Kategorien sich dialektisch in <strong>der</strong> Geschichte entwickeln<br />
lassen“ 251 , ist er prinzipiell gezwungen, mit dieser zukünftigen Periode die
92<br />
Geschichte wie<strong>der</strong>um systematisch zum Abschluss kommen und die<br />
„höchste Spitze des Weltgeistes“ 252 erreichen zu lassen. Das System bleibt<br />
vorherrschend, wenn die zukünftige Periode in trichotomischer Weise konstruiert<br />
wird (unter Abän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Hegelschen Einteilung <strong>der</strong> Geschichte<br />
in eine orientalische, griechische, römische und christlich-germanische<br />
Epoche); die zukünftige Periode müsse notwendig die Synthese von antiker<br />
und mo<strong>der</strong>ner, vorchristlicher und christlicher Welt sein, sie müsse entsprechend<br />
dem Dreischritt von Sein-Denken-Wollen die Synthese <strong>der</strong> thetischen<br />
Periode des Altertums mit <strong>der</strong> Vorherrschaft <strong>der</strong> Kunst sowie <strong>der</strong><br />
Äußerlichkeit und <strong>der</strong> antithetischen Periode <strong>der</strong> christlich-germanischen<br />
Zeit mit <strong>der</strong> Vorherrschaft <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> sowie <strong>der</strong> Innerlichkeit sein. 253<br />
Das heißt: die letzte Stufe <strong>der</strong> Geschichte bei Hegel wird zur vorletzten bei<br />
Cieszkowski; die endgültige Synthese wird nur um eine Stufe höher verschoben.<br />
254<br />
Wie sehr Cieszkowski in den Schranken des Hegelschen Systems bleibt,<br />
zeigt seine Bestimmung des Zukünftigen als potentiell schon Bestehendes<br />
und providentiell Beschlossenes und damit <strong>der</strong> Entwicklung als Aktualisierung<br />
fertiger geistiger Potenzen ohne inhaltliche Formierung; alles Zukünftige<br />
muss, „ehe es selbst ein Bestehendes wird, schon ein Bestehendes<br />
sein...“ 255 So wird zwar von Cieszkowski die Zukunft mit <strong>der</strong> Gegenwart<br />
verknüpft und die Geschichte als Totalität erst in Hinblick auf die<br />
Zukunft begriffen, aber die Zukunft ist <strong>für</strong> ihn infolge <strong>der</strong> Logifizierung <strong>der</strong><br />
Geschichte prinzipiell schon geschehen. Daran än<strong>der</strong>t auch Cieszkowskis<br />
Einsicht nichts, dass mit <strong>der</strong> objektiven Gesetzmäßigkeit die subjektiven<br />
Faktoren zusammengehen müssen, d. h. dass Wirklichkeit und Vernunft<br />
„gegeneinan<strong>der</strong> gravitieren“ müssen. 256 Die geschichtliche Zukunft ist<br />
nicht primär Resultat <strong>der</strong> Praxis, son<strong>der</strong>n sie erwartet gleichsam die auf<br />
sie gebannt zugehenden Menschen.<br />
Die drei Kapitelüberschriften <strong>der</strong> „Prolegomena zur Historiosophie“ zeigen<br />
zusammenfassend, in welcher Hinsicht Cieszkowski auf dem Boden<br />
des Hegelschen Systems bleibt: I. Organismus <strong>der</strong> Weltgeschichte, II. Kategorien<br />
<strong>der</strong> Weltgeschichte, III. Teleologie <strong>der</strong> Weltgeschichte.<br />
Innerhalb dieser Grenzen wird die Brüchigkeit des konstruierenden und<br />
schematisierenden Verfahrens Cieszkowskis am krassesten deutlich in dar<br />
analogischen Zuordnung von Naturkategorien als äußeren „symbolischen
93<br />
Typen“ zu den inneren Geschichtsphasen: die chinesische, griechische,<br />
römische, mittelalterliche, mo<strong>der</strong>ne und die zukünftige Periode werden<br />
verbunden mit den physischen Kategorien <strong>der</strong> Mechanik, des Lichts, <strong>der</strong><br />
Elektrizität, <strong>der</strong> Wärme, mit den chemischen Prozessen, mit dem auf höherer<br />
Stufe wie<strong>der</strong>hergestellten Mechanismus und schließlich mit dem Organismus.<br />
257<br />
Dieses Typisieren trägt in die Geschichte eine Gesetzmäßigkeit hinein,<br />
die we<strong>der</strong> kausalen noch dialektischen Charakter hat. Es wird auf diesem<br />
Niveau nicht einmal als ein Hilfsmittel und Indiz zur Erkenntnis wirklicher<br />
geschichtlicher o<strong>der</strong> natürlicher Zusammenhänge dienen können. Cieszkowski<br />
erhebt allerdings das Typisieren und Analogisieren – das in seinem<br />
späteren Werk „Ojcze-Nasz“ („Vater Unser“) ausgeweitet wird durch die Periodisierung<br />
<strong>der</strong> Geschichte in Entsprechung zu den biologischen Lebensaltern<br />
– noch nicht wie später zum Beispiel Spengler in seiner Geschichtsmorphologie<br />
zur theoretischen Methode schlechthin.<br />
Trotz <strong>der</strong> Ausrichtung auf die Zukunft ist also <strong>für</strong> Cieszkowski die Geschichte<br />
prinzipiell abgeschlossen. Seine Konzeption ist konsequent, insofern<br />
er das systematische Erfassen <strong>der</strong> Totalität nicht preisgeben und<br />
dennoch zugleich ein Überschreiten <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spruchsvollen krisenhaften<br />
Gegenwart ermöglichen will. „So genügen wir gleichfalls beiden entgegengesetzten<br />
For<strong>der</strong>ungen, nämlich die Totalität <strong>der</strong> Weltgeschichte einerseits<br />
ideell zu umschließen, ohne andrerseits die Möglichkeit <strong>der</strong> künftigen<br />
Fortbildung abzuschließen...“ 258<br />
Unter diesem Aspekt ist Cieszkowskis charakteristische Umwandlung<br />
<strong>der</strong> Hegelschen kontemplativen <strong>Philosophie</strong> in eine <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Praxis<br />
zu sehen: die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Praxis, die „Historiosophie“, ist die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung des Gegebenen, des Negierens des „Irrationalen“ im<br />
Bestehenden in Richtung auf die zukünftige abschließende Einheit, die<br />
endgültige Synthese von Vernunft und Wirklichkeit, Denken und Sein (in<br />
<strong>der</strong>en Zuordnung Cieszkowski das Grundproblem aller <strong>Philosophie</strong> sieht),<br />
wie das folgende längere Zitat zeigt: „Die praktische <strong>Philosophie</strong>, o<strong>der</strong> eigentlicher<br />
gesagt, die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Praxis, – <strong>der</strong>en konkreteste Einwirkung<br />
auf das Leben und die sozialen Verhältnisse, die Entwicklung <strong>der</strong><br />
Wahrheit in <strong>der</strong> konkreten Tätigkeit – dies ist das künftige Los <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
überhaupt... Dass dieses aber eine Verschiebung ihres eigenen We-
94<br />
sens und eine partielle Abdikation sei, ist andrerseits nicht zu leugnen,<br />
und <strong>der</strong> Grund davon ist schon genug in <strong>der</strong> Nichterreichbarkeit <strong>der</strong><br />
höchsten Stufe <strong>der</strong> Identität durch das Denken angedeutet worden. Wie<br />
aber <strong>der</strong> Gedanke und die Reflexion die schönen Künste überflügelten, so<br />
wird jetzt die Tat und das soziale Wirken die wahre <strong>Philosophie</strong> überflügeln...<br />
Wenn das Denken also jetzt seinen Kulminationspunkt erreicht und<br />
seine wesentliche Aufgabe gelöst hat, so muss es durch den Fortschritt<br />
selbst zurücktreten, d. h. aus seiner Reinheit in ein fremdes Element übergehen.<br />
Wir wollen uns also nicht scheuen es auszusprechen, die <strong>Philosophie</strong><br />
wird von jetzt an beginnen angewandt zu werden... Ihr nächstes<br />
Schicksal ist, sich zu popularisieren... sie muss sich in die Tiefe verflachen...<br />
Jetzt wird also ihr normaler Ausfluss auf die sozialen Verhältnisse<br />
<strong>der</strong> Menschheit beginnen, um in <strong>der</strong> nicht bloß vorhandenen, son<strong>der</strong>n<br />
selbst ausgebildeten Wirklichkeit die absolut objektive Wahrheit zu entwickeln...“<br />
259 Die Praxis in dieser Weise als Anwendung <strong>der</strong> Theorie aufzufassen,<br />
ist nur möglich, indem die Theorie – unter Annahme ihrer Autonomie<br />
– <strong>für</strong> systematisch vollendet gehalten wird. Die Theorie wird aber<br />
hiermit in undialektischer Weise von <strong>der</strong> praktischen Bedingtheit getrennt<br />
und – als <strong>für</strong> sich fertig – aus <strong>der</strong> Verflechtung und Wechselwirkung mit<br />
<strong>der</strong> Praxis heraus gelöst, während sie dem Anschein nach gerade mit <strong>der</strong><br />
Praxis aufs engste verknüpft wird. Dies bedeutet, dass <strong>für</strong> Cieszkowski<br />
letzten Endes die Theorie nur die Voraussetzung o<strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Praxis<br />
ist, nicht auch das Resultat <strong>der</strong> Praxis wird. Theorie und Praxis stehen<br />
einan<strong>der</strong> abstrakt gegenüber.<br />
Damit zeigt sich an Cieszkowskis Entwurf, dass die dialektische Einheit<br />
von Theorie und Praxis nicht aufrecht zu erhalten ist, wenn die Theorie<br />
zugleich auf die Zukunft ausgerichtet und systematisch vollendet wird.<br />
Zumindest auf eines <strong>der</strong> drei Momente muss bei <strong>der</strong> Umwandlung <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong> verzichtet werden: auf die dialektische Verschränkung<br />
von Theorie und Praxis o<strong>der</strong> die Ausrichtung auf die Zukunft o<strong>der</strong><br />
den systematischen Abschluss, d. h. den Anspruch des theoretischen Erfassens<br />
<strong>der</strong> Totalität.<br />
Cieszkowski trennt Theorie und Praxis aber nicht in <strong>der</strong> Weise, dass <strong>der</strong><br />
Inhalt <strong>der</strong> Theorie ein Ideal ist, das durch unbegrenzt fortschreitende Praxis<br />
ins Sein übergehen soll. Trotz Bezugnahme auf Fichte 260 bleibt <strong>für</strong> ihn
95<br />
das Sollen kein unendliches, son<strong>der</strong>n ein endlich bestimmtes. „Das Sollen...<br />
ist durchaus kein Mangel <strong>der</strong> Spekulation; denn die Bestimmungen<br />
sind ein Zukünftiges, dem aber eine ganz bestimmte Stelle im Prozesse des<br />
Weltgeistes angewiesen ist. Überhaupt ist das Sollen erst durch das Tun<br />
völlig zu besiegen.“ 261<br />
Indem das abgeschlossene System und in seinem Gefolge die Theorie<br />
triumphieren und <strong>der</strong> Praxis nur das zu realisieren überlassen wird, was<br />
die Theorie als das endgültige Ziel o<strong>der</strong> die Vorsehung des geistigen Prozesses<br />
<strong>der</strong> Weltgeschichte antizipiert, behält die Theorie letztlich den Vorrang<br />
und wird die Hegelsche Bestimmung des Verhältnisses von Theorie<br />
und Praxis nicht prinzipiell umgekehrt entgegen dem Anschein, <strong>der</strong> aus<br />
den Worten entstehen kann: „Nach Hegel ist <strong>der</strong> Wille nur eine beson<strong>der</strong>e<br />
Weise des Denkens, und dies ist die falsche Auffassung; vielmehr ist das<br />
Denken ein bloß integrales Moment des Willens, denn das Denken, welches<br />
wie<strong>der</strong> zum Sein wird, ist erst <strong>der</strong> Wille und die Tat.“ 262 Hier wird<br />
nämlich von Cieszkowski unter „Denken“ etwas an<strong>der</strong>es verstanden als<br />
das, was bisher „Theorie“ genannt wurde: „Denken“ meint hier nicht die<br />
philosophisch-spekulative „historiosphische“ Theorie Cieszkowskis selbst,<br />
die die praktisch zu vermittelnde zukünftige Synthese a priori antizipiert,<br />
son<strong>der</strong>n eine einseitige abstrakte retrograde aposteriorische Bewusstseinstätigkeit,<br />
die Cieszkowski in Hegels absolutem Idealismus kulminieren<br />
lässt (und die er in seiner eigenen Terminologie in <strong>der</strong> Regel „theoretisch“<br />
nennt). Nur über das so aufgefasste Denken stellt er den Willen als eine<br />
höhere Stufe, aber als eine Form des „Geistes“, und zwar als „die höchste<br />
Stufe des Geistes“ 263 , die die geistigen Stufen des Seins und Denkens in<br />
einer Synthese zusammenfasst und die im Unterschied zum An sich und<br />
Für sich in Cieszkowskis Terminologie das „Aus sich“ des Geistes darstellt,<br />
was aber kein Heraustreten des Geistes außer sich bedeuten solle. Dementsprechend<br />
gilt die Tat – die Synthese des unmittelbaren Seins und des<br />
abstrakten Denkens – zwar als eine Abdankung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, aber als<br />
eine „ungeheure Emporschwingung des Geistes“. 264<br />
Hinsichtlich dieses Spiritualismus <strong>der</strong> Praxis ist Cieszkowski vergleichbar<br />
mit seinem polnischen Landsmann und Zeitgenossen Edward Dembowski,<br />
<strong>der</strong> in seiner „<strong>Philosophie</strong> des Schaffens“ das Schaffen auch als
96<br />
geistige Kraft betrachtete, bevor er es in dem Aufsatz „Gedanken über eine<br />
zukünftige <strong>Philosophie</strong>“ (1845) materialistisch umdeutete.<br />
Mit Hilfe dieses Spiritualismus also will Cieszkowski Hegels absoluten<br />
Idealismus aufheben und die Einseitigkeit des „Prädominierens des Denkens“<br />
265 und <strong>der</strong> Subjektivität innerhalb <strong>der</strong> Einheit des Denkens und<br />
Seins, des Subjekts und Objekts, des Inneren und Äußeren, überwinden.<br />
Aber auch Cieszkowskis Grundposition ist idealistisch-teleologisch. Konsequenterweise<br />
müsste <strong>für</strong> Cieszkowski das übergeschichtliche Ziel <strong>der</strong><br />
Geschichte die absolute Selbsterkenntnis bleiben und könnte das Tun nur<br />
eine Vorstufe dazu, nicht aber die endgültige Einheit des Seins und Denkens<br />
bilden. Cieszkowski versucht jedoch, den Konsequenzen seines Ansatzes<br />
zu entgehen.<br />
Während Cieszkowski schon gelegentlich einer Anmerkung in den „Prolegomena<br />
zur Historiosophie“ den absoluten Geist mit <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> Religion<br />
gleichsetzt 266 , so dass die künstlerische, die philosophische und die<br />
praktische Tätigkeit als spezielle Stufen <strong>der</strong> Religion fungieren, baut er<br />
diese Gleichsetzung in seinen späteren Schriften aus zu einer theosophisch<br />
pneumatologischen Lehre von <strong>der</strong> Individuation des Geistes in <strong>der</strong><br />
Persönlichkeit Gottes, die die wahre Konkretion von Allgemeinheit und<br />
Einzelheit, Idee und Natur, Leib und Seele darstelle 267 , und mit <strong>der</strong>en Begreifen<br />
die Alternative Idealismus-Materialismus hinfällig werde.<br />
Die Persönlichkeit des absoluten Geistes wird dabei offenbar erschlossen<br />
auf Grund einer Analogie zur menschlichen Persönlichkeit 268 . Wenn<br />
aber die Persönlichkeit im Gegensatz zu Hegel nicht mit dem Selbstbewusstsein<br />
identifiziert wird, wird <strong>für</strong> sie die reale Beziehung zur Um- und<br />
Mitwelt bestimmend (und zwar die durch Tätigkeit wachsende Selbständigkeit<br />
ihr gegenüber), und somit ist <strong>der</strong> Mangel des Analogieschlusses auf<br />
eine absolute, also einzigartige und umweltlose, Persönlichkeit offenbar.<br />
In diesem Zusammenhang <strong>der</strong> Umwandlung des Pantheismus in einen<br />
an Ch. H. Weiße und den jüngeren Fichte erinnernden Theismus ist zu<br />
beachten, dass Cieszkowski sich auch auf die intellektuelle Anschauung<br />
als Grundlage <strong>der</strong> dialektischen Spekulation beruft 269 und sich damit in<br />
Gegensatz zu Hegel und in die Nähe Schellings bringt, wobei sich die von<br />
Schelling und beson<strong>der</strong>s von Baa<strong>der</strong> hervorgekehrte Begrenztheit <strong>der</strong> all-
97<br />
gemeinen Zugänglichkeit <strong>der</strong> intellektuellen Anschauung in Cieszkowskis<br />
Messianismus manifestiert.<br />
Im Rahmen seines Spiritualismus <strong>der</strong> Praxis trifft Cieszkowski die gewichtige<br />
Unterscheidung zwischen „vortheoretischer“ und „nachtheoretischer“<br />
Praxis, zwischen unbewussten Tatsachen, faits accomplis, und bewussten<br />
Taten. „Tatsachen (facta) nämlich nennen wir diejenigen passiven<br />
Begebenheiten, die wir gleichsam vorfinden, und zu welchen wir uns ganz<br />
gleichgültig verhalten, etwas Daseiendes ohne unsere Mitwirkung und unser<br />
Bewusstsein. Zu diesen muss freilich das Bewusstsein hinzutreten, um<br />
sie in die seinigen umzuwandeln und in diesem äußerlichen Dasein ein<br />
inneres Wesen zu erforschen. Tat (actum) aber ist etwas ganz an<strong>der</strong>es; es<br />
ist nicht mehr dieses unmittelbare Ereignis, welches wir bloß aufzunehmen<br />
und in uns zu reflektieren hatten, es ist schon reflektiert, schon vermittelt,<br />
schon gedacht, vorgesetzt und vollführt; es ist eine aktive Begebenheit,<br />
die ganz die unsrige ist, – nicht mehr fremd, son<strong>der</strong>n schon bewusst,<br />
noch ehe sie verwirklicht wurde. Man kann also sagen, dass die Facta natürliche<br />
Begebenheiten, die Taten aber künstliche sind. Die Facta bilden<br />
eine unbewusste, also vortheoretische, die Taten aber eine bewusste, also<br />
nachtheoretische Praxis, weil die Theorie zwischen diese beiden Praktiken<br />
in die Mitte tritt, welche letztere, nämlich die nachtheoretische Praxis, als<br />
die wahre Synthesis des Theoretischen und des unmittelbar Praktischen,<br />
des Subjektiven und Objektiven sich uns offenbart...“ 270<br />
Die „nachtheoretische“, das Theoretische in sich enthaltende, nicht erst<br />
„post factum“ theoretisch erhellte Praxis ist das bewusste Mitwirken und<br />
selbstbestimmende Vollbringen <strong>der</strong> Gesetze <strong>der</strong> Geschichte. Die Träger o<strong>der</strong><br />
Subjekte dieser Praxis sind erst im eigentlichen Sinne Subjekte; sie<br />
sind „nicht mehr blinde Werkzeuge, sei es nun des Zufalls o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Notwendigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n bewusste Werkmeister ihrer eigenen Freiheit...“ 271<br />
Diese Praxis gründet nicht wie bei Heine in dem Bewusstsein <strong>der</strong> Selbstverantwortlichkeit<br />
des gottlosen Menschen <strong>für</strong> seine Geschichte, son<strong>der</strong>n<br />
in <strong>der</strong> Einsicht des göttlichen Planes, und ist als solche – wie etwas später<br />
in gleicher Weise <strong>für</strong> Constantin Frantz – „tätige Erhebung <strong>der</strong> Menschheit<br />
zu Gott“. 272 Da Gott letztlich <strong>der</strong> Träger des Geschichtsprozesses bleibt,<br />
kann Cieszkowski nicht den Gedanken entwickeln, dass seine Information,<br />
seine theoretische Prognose über den Geschichtsprozess, etwa eine Rück-
98<br />
wirkung auf die Aktion, auf des zielbewusste Handeln <strong>der</strong> menschlichen<br />
Träger des Prozesses, in <strong>der</strong> Weise einer Verän<strong>der</strong>ung des Verlaufs des<br />
Prozesses haben könnte.<br />
Cieszkowski unterscheidet an <strong>der</strong> „nachtheoretischen“ Praxis drei Seiten:<br />
in subjektiver Hinsicht die Ausbildung des einzelnen Willens, in objektiver<br />
Hinsicht die Ausbildung des Staatslebens und in absoluter Hinsicht<br />
das Erreichen <strong>der</strong> vollständigen Identität des Seins und des Denkens. 273<br />
Nach alledem ist offensichtlich, dass Cieszkowski die Praxis nicht etwa<br />
gleichsetzt mit einer philosophisch-kritischen Tätigkeit. 274<br />
Die wirkliche Verän<strong>der</strong>ung des Bestehenden bleibt <strong>für</strong> Cieszkowski allerdings<br />
insofern Sache <strong>der</strong> Theorie, als er davon ausgeht, dass aus <strong>der</strong><br />
Theorie – sobald sie durch ihre vollendete Ausbildung zur Klassizität auf<br />
die Spitze getrieben ist – die wahre nachtheoretische Praxis entspringt, d.<br />
h. dass <strong>der</strong> Gedanke „mit <strong>der</strong> Reife des Bewusstseins“ 275 seinen Wendepunkt<br />
erreicht, umschlägt und die Tat erzeugt, wie es auch Heine annimmt<br />
mit den Worten; „Der Gedanke geht <strong>der</strong> Tat voraus wie <strong>der</strong> Blitz<br />
dem Donner“. Demnach bleibt das (historiosophische) Denken die Grundlage<br />
sowie das Kriterium <strong>der</strong> Praxis und die Quelle des geschichtlichen<br />
Fortschritts. In diesem Sinne ist <strong>für</strong> Cieszkowski die Praxis nicht unableitbare<br />
sinnliche – etwa revolutionäre – Tätigkeit, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Wille und die<br />
Tat bleiben eine Form des Geistes.<br />
Cieszkowski stellt we<strong>der</strong> die Theorie wie Hegel und Heine in Parallele<br />
zur Geschichte Frankreichs noch bringt er wie Heine die geschichtliche<br />
Praxis überhaupt in Verbindung mit <strong>der</strong> Revolution. Seiner Organismus-<br />
Konzeption entspricht die Be<strong>für</strong>wortung <strong>der</strong> Evolution. 276 Die Beseitigung<br />
<strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüche erwartet Cieszkowski nicht vom Austrag des Kampfes<br />
<strong>der</strong> Gegensätze, son<strong>der</strong>n von ihrer Harmonisierung. 277<br />
Aber Cieszkowski verknüpft die Praxis, wie schon mehrfach erwähnt,<br />
ähnlich wie Heine und Eduard Gans mit <strong>der</strong> sozialen Tätigkeit bei Ablehnung<br />
des ökonomischen und politischen Liberalismus. Als „bedeutendes<br />
Moment“ 278 auf dem Wege <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Wahrheit, <strong>der</strong> praktischen<br />
Lösung <strong>der</strong> sozialen Wi<strong>der</strong>sprüche, führt er die Lehre des utopischen<br />
Sozialisten Fourier an, <strong>der</strong> die auf dem Handelskapital basierende<br />
krisenhafte Verteilungsordnung durch Produktivassoziationen überwinden
99<br />
will, und zwar im Vertrauen auf die Kraft <strong>der</strong> Überzeugung und des Beispiels.<br />
Das Motto <strong>der</strong> Fourieristen in <strong>der</strong> Zeitschrift „Phalange“ von l836<br />
bis l840 heißt: „Gesellschaftliche Reform ohne Revolution – Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Ordnung, <strong>der</strong> Gerechtigkeit und <strong>der</strong> Freiheit – Organisation <strong>der</strong> Industrie<br />
– Vergesellschaftung des Kapitals, <strong>der</strong> Arbeit und des Talents.“<br />
Dabei ist sich Cieszkowski <strong>der</strong> Mangelhaftigkeit <strong>der</strong> Utopie durchaus<br />
bewusst: er sieht ihr Hauptgebrechen darin, „sich nicht selbst mit <strong>der</strong><br />
Wirklichkeit zu entfalten, son<strong>der</strong>n in die Wirklichkeit treten zu wollen.“ 279<br />
Cieszkowski hat also einen Weg im Auge, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Mitte vorläuft zwischen<br />
dem undialektischen Auseinan<strong>der</strong>reißen von Vernunft und Wirklichkeit<br />
einerseits und dem Zusammenfallenlassen von Vernunft und<br />
Wirklichkeit im Hegelschen Sinne an<strong>der</strong>erseits, ohne aber, wie dargestellt,<br />
vermeiden zu können, Theorie und Praxis einan<strong>der</strong> abstrakt gegenüberzustellen.<br />
Trotz des Hinweises auf die Lehre Fouriers bleiben die Konturen <strong>der</strong> zukünftigen<br />
Praxis unscharf. Keine weitergehende Konkretisierung liegt in<br />
Andeutungen wie diesen, dass die soziale Praxis die aufgehobene antike<br />
Kunst sowie den ästhetischen Humanismus im Schillerschen Sinne und<br />
die mo<strong>der</strong>ne <strong>Philosophie</strong> neu beleben und allseitig entwickeln werde, dass<br />
die wahre Sittlichkeit als Einheit von Recht und Moralität adäquat ausgebildet<br />
werde und die Natur regeneriert werde. (Die Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung<br />
übergeht Cieszkowski völlig). 280 In diesem Zusammenhang seien<br />
immerhin erwähnt die auf die „Prolegomena zur Historiosophie“ folgenden<br />
zaghaften Pläne zur Reform des Goldwesens, u. z. zugunsten des hypothekarischen<br />
Kredits, in <strong>der</strong> Schrift „Du crédit et de la circulation“ (1839) sowie<br />
die Pläne zur Reform <strong>der</strong> zweiten Kammer durch Einführung einer „Aristokratie<br />
des Verdienstes“ in <strong>der</strong> Schrift „De la pairie et de l’aristocratie<br />
mo<strong>der</strong>ne“ (1840). Schließlich gehören hierher Cieszkowskis Vorstellungen<br />
in dem Vortrag „Zur Verbesserung <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong> Arbeiter auf dem Lande“<br />
(1845) und in <strong>der</strong> Schrift „Über die Klein-Kin<strong>der</strong>-Bewahr-Anstalten“<br />
(1855). 281<br />
Fragt man, wer Subjekt o<strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> zukünftigen wahren Praxis sein<br />
werde, so gibt Cieszkowski zugleich eine kosmopolitisch und eine polnischmessianisch<br />
orientierte Antwort: einerseits geht er über Hegel hinaus zu<br />
dem Gedanken des Völkerrechts und setzt „die Menschheit“ an die Stelle
100<br />
eines bestimmten Volksgeistes 282 , an<strong>der</strong>erseits mystifiziert er in zunehmendem<br />
Maße – wie zum Beispiel auch zeitweilig Adam Mickiewicz 283 neben<br />
vielen an<strong>der</strong>en Landsleuten – Polen zum leidenden und erlösenden<br />
Wegbereiter <strong>der</strong> Menschheit ins irdische Paradies, ins Reich Gottes auf Erden<br />
284 (während noch Hegel den Slawen überhaupt keine weltgeschichtliche<br />
Rolle in Vergangenheit und Gegenwart zugesteht); und er steht damit<br />
zugleich in <strong>der</strong> beson<strong>der</strong>s von Joachim von Fiore ausgehenden über Lessing<br />
verlaufenden Tradition <strong>der</strong> Lehre von den drei Weltaltern. Cieszkowskis<br />
Konzeption <strong>der</strong> Praxis als höchster Stufe des absoluten Geistes ist<br />
also verbunden mit einer heilsgeschichtlichen Eschatologie.
101<br />
IV. Strauß’ Umbildung <strong>der</strong> dialektischen Methode zur analytischen<br />
Kritik <strong>der</strong> religiösen Entfremdung<br />
Der Ausgangspunkt <strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung mit <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong><br />
ist <strong>für</strong> David Friedrich Strauß nicht wie <strong>für</strong> Heine und Cieszkowski<br />
ihr kontemplativer Charakter. Strauß’ Hauptinteresse gilt nicht <strong>der</strong> noch<br />
ausstehenden Verwirklichung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> als Übergang<br />
von <strong>der</strong> spekulativen Theorie zur politisch-sozialen Praxis, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Beseitigung<br />
<strong>der</strong> Zweideutigkeit in <strong>der</strong> Stellung Hegels zur Religion, d. h. zur<br />
evangelischen Geschichte und zum christlichen Dogma.<br />
Dennoch wird Strauß mit Recht als Begrün<strong>der</strong> des Junghegelianismus<br />
im eigentlichen Sinne angesehen. Sein Werk „Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet“<br />
(1835) ist epochemachend. Es führt zur Spaltung <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Schule in die Rechte <strong>der</strong> Althegelianer und die Linke <strong>der</strong> Junghegelianer.<br />
Der neue folgenreiche Gesichtspunkt, <strong>der</strong> in diesem Werk zur Geltung<br />
kommt, ist die konsequente Anwendung <strong>der</strong> zur analytischen Kritik umgeformten<br />
dialektischen Methode, ohne dass Strauß sich wie Heine auf eine<br />
vorgebliche atheistische und revolutionäre Esoterik Hegels beruft o<strong>der</strong> wie<br />
Cieszkowski <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit und Abgeschlossenheit des organischen<br />
Systems die Dialektik unterordnet.<br />
Vergeblich versucht Cieszkowski, den Resultaten von Strauß’ Kritik zuvor<br />
zu kommen durch ihre Neutralisierung in seinem organischen System.<br />
285 Strauß selbst wird von Cieszkowski nicht beeinflusst. Von Heine<br />
erfährt er keine entscheidenden Anregungen. Dessen „fixe Ideen vom Christentum“<br />
sind <strong>für</strong> Strauß „freilich Unsinn, aber begründet im Zusammenhang,<br />
im geschichtlichen Werden dieser Richtung...“ 286<br />
Strauß’ Kritik an <strong>der</strong> Religion ist wegen des Bündnisses von Thron und<br />
Altar indirekt auch politisch wirksam, wie Engels, <strong>der</strong> durch Strauß’ Vermittlung<br />
vom „Jungen Deutschland“ zur junghegelianischen Bewegung<br />
übergeht, in einem Rückblick hervorhebt. 287<br />
Strauß ist sich eines Zusammenhangs zwischen Staat und Religion bewusst,<br />
wenn er in seinen „Streitschriften“ (1837) die Hegelsche Schule –<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> Stellungnahmen zur Christologie – in Anlehnung an die<br />
politische Gruppierung im französischen Parlament in die Rechte, die Linke<br />
und das Zentrum einteilt. 288 Überdies setzt Strauß seine Kritik aus-
102<br />
drücklich ab von Hegels „System <strong>der</strong> Restauration“, das auf <strong>der</strong> Gleichsetzung<br />
beruhe von Vernunft und Wirklichkeit, „wie <strong>der</strong> Natur so des Staats<br />
und <strong>der</strong> Religion“. 289<br />
Strauß erkennt, dass Hegels Rechtsphilosophie aber nicht das unmittelbar<br />
Vorhandene stabilisiert, son<strong>der</strong>n auf Grund <strong>der</strong> Differenz zwischen<br />
ihren Konstruktionen und den gerade bestehenden politischgesellschaftlichen<br />
Zuständen Preußens (z. B. hinsichtlich <strong>der</strong> Geschworenengerichte,<br />
o<strong>der</strong> des Zweikammersystems) einen relativen „Fortschritt“<br />
begünstigt, wenn auch nicht in dem Sinne, dass – wie Strauß behauptet –<br />
die Liberalen in Hegels Schule gehen könnten. 290<br />
Die Kritik von Strauß in seinem zweiten Hauptwerk „Die christliche<br />
Glaubenslehre“ (1840/41) mündet in die For<strong>der</strong>ung nach <strong>der</strong> Trennung<br />
von Kirche und Staat, da das Göttliche schon im wahrhaft sittlichen Verhalten<br />
des Staatsbürgers verwirklicht werde. 291<br />
Obgleich Strauß erkennt, dass er mit seiner Religionskritik zu den „theoretischen<br />
Vorbereitern“ <strong>der</strong> achtundvierziger Revolution gehört, schreckt<br />
er vor <strong>der</strong> politischen Praxis zurück unter Verachtung <strong>der</strong> „Weisheit auf<br />
allen Gassen“ und unter Berufung auf die aristokratische Geistesbildung<br />
und die Privilegien des Besitzes. Die Praxis <strong>der</strong> Kritik bleibt die Theorie. In<br />
einem Brief bekennt Strauß: „Das Element hört auf, in dem wir uns bisher<br />
am liebsten bewegten... Denn unser Element war doch... die Theorie, ich<br />
meine die freie, nicht auf Zweck o<strong>der</strong> Bedürfnis gerichtete geistige Tätigkeit.<br />
Diese ist jetzt kaum mehr möglich und wird bald sogar geächtet sein.<br />
Denn das Gleichheitsprinzip ist auch dem geistigen Vorrang, wie dem materiellen<br />
feind. Es haßt Bildung wie Besitz. Wie oft rufe ich jetzt unsern<br />
alten Schutzheiligen Goethe an...“ 292<br />
Nachdem Strauß sich dennoch zur Wahl <strong>für</strong> das Frankfurter Parlament<br />
gestellt hat, in ihr unterlegen ist, aber in die Württembergische Ständekammer<br />
delegiert worden ist und dort mehr <strong>für</strong> Mäßigung, Ruhe und Ordnung<br />
als <strong>für</strong> Freiheit eingetreten ist (unter an<strong>der</strong>em die Erschießung Robert<br />
Blums zu rechtfertigen gesucht hat), entwickelt er sich nach 1866 zu<br />
einem Anhänger des Nationalliberalismus und macht sich während des<br />
deutsch-französischen Krieges in einem Sendschreiben an Ernest Renan<br />
zum Anwalt <strong>der</strong> Annexion Elsaß-Lothringens. 293 Diese Entwicklung ist ty-
103<br />
pisch <strong>für</strong> das praktisch-politische Scheitern <strong>der</strong> junghegelianischen Bewegung<br />
des Vormärz.<br />
Wenn Strauß sich von Anfang an auf die Kritik <strong>der</strong> Religion konzentriert,<br />
so ist dabei <strong>für</strong> ihn wie <strong>für</strong> Hegel die Geschichte im wesentlichen<br />
Geistesgeschichte, und das heißt vor allem: Religions- und <strong>Philosophie</strong>geschichte<br />
(und als das Wesen des Menschen gilt ihm implizit das sich im<br />
geschichtlichen Prozess realisierende Selbstbewusstsein).<br />
Im „Leben Jesu“ verlässt Strauß nicht den Boden <strong>der</strong> Hegelschen Religionsphilosophie:<br />
einmal bleibt <strong>für</strong> ihn wie <strong>für</strong> Hegel das Wesentliche <strong>der</strong><br />
christlichen Religion die Menschwerdung Gottes, die Vereinigung des Göttlichen<br />
und Menschlichen (an <strong>der</strong>en Stelle in <strong>der</strong> „dialektischen Theologie“<br />
K. Barths die äußerste Entgegensetzung tritt), zum an<strong>der</strong>en werden Religion<br />
und <strong>Philosophie</strong> inhaltlich gleichgesetzt und nur formal insofern unterschieden,<br />
als die Verwirklichung des Göttlichen von <strong>der</strong> Religion im Medium<br />
<strong>der</strong> sinnlichen Vorstellung, von <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> aber im Medium des<br />
allgemeinen Begriffs gefasst wird. (Erst in <strong>der</strong> „Glaubenslehre“ gibt Strauß<br />
unter dem Einfluss Feuerbachs die Hegelsche inhaltliche Gleichsetzung<br />
von Religion und <strong>Philosophie</strong> auf.)<br />
Mit Recht kann Strauß deshalb in seinen „Streitschriften“ zur Verteidigung<br />
seines „Leben Jesu“ sagen, dass „die allgemeinen Prinzipien <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong> eine Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte in unserem<br />
Sinne nicht ausschließen.“ 294<br />
Auf dem erden <strong>der</strong> Hegelschen Religionsphilosophie stellt Strauß im<br />
„Leben Jesu“ die präzise Frage, ob die Evangelien in ihrer Geschichtlichkeit<br />
zum gemeinsamen Inhalt von Religion und <strong>Philosophie</strong> – <strong>der</strong> Einheit<br />
des Göttlichen und Menschlichen – gehören und mithin auch vom philosophischen<br />
Begreifen anerkannt werden müssen. 295<br />
Die Antwort seiner kritischen Analyse auf die Frage – aus <strong>der</strong> er die Unterscheidung<br />
<strong>der</strong> Hegelianer in Linke und Rechte herleitet – ist negativ: die<br />
evangelischen Berichte seien zur bloßen Form zu rechnen und verlangen<br />
keine philosophische Anerkennung; aus <strong>der</strong> Idee und dem Begriff <strong>der</strong> Einheit<br />
des Göttlichen und Menschlichen sei die Geschichtlichkeit <strong>der</strong> evangelischen<br />
Berichte über die Person und das Leben Jesu nicht deduzierbar (in<br />
dieser Gestalt könne also die Wirklichkeit <strong>der</strong> Vernunft nicht nachgewie-
104<br />
sen werden); die kritische Prüfung – bei <strong>der</strong> Strauß auf quellenkritische<br />
Vorfragen im Gegensatz zu seinem an Niebuhr geschultem Lehrer F. 0.<br />
Baur verzichtet und sich vor allem auf Naturgesetze und psychologische<br />
Gesetze als Kriterien stützt – erweise dagegen die Entstehung <strong>der</strong> Evangelien<br />
aus dem Mythus, d. h. sie erweise diese als absichtslose (nicht bewusst-betrügerische)<br />
zunächst mündlich überlieferte Einkleidungen <strong>der</strong><br />
messianischen Erwartungen <strong>der</strong> urchristlichen Gemeinde, wobei Strauß<br />
mit seiner mythischen Betrachtungsweise, die er von Eichhorn, Gabler,<br />
Baur und de Wette aufnimmt, sowohl die natürliche Exegese <strong>der</strong> rationalistischen<br />
Theologen (H. E. G. Paulus, Wegschei<strong>der</strong>, Gesenius) als auch die<br />
supranaturalistische Auffassungsweise <strong>der</strong> orthodoxen Theologen (Olshausen,<br />
Hengstenberg) überwinden will.<br />
Damit rückt Strauß zwar – vermittels <strong>der</strong> Kritik – die <strong>Philosophie</strong> und<br />
die Evangelien auseinan<strong>der</strong>, aber er ersetzt noch nicht die Religion als solche<br />
durch die <strong>Philosophie</strong>, wie mehrfach behauptet wird. 296 Die religiöse<br />
Wahrheit – in ihrem dogmatischen Gehalt – gilt <strong>für</strong> Strauß in diesem Stadium<br />
seiner Entwicklung noch unabhängig von <strong>der</strong> Historizität <strong>der</strong> Evangelien.<br />
„Christi übernatürliche Geburt, seine Wun<strong>der</strong>, seine Auferstehung<br />
und Himmelfahrt, bleiben ewige Wahrheiten, so sehr ihre Wirklichkeit als<br />
historischer Facta angezweifelt werden mag.“ 297<br />
Damit setzt Strauß die prinzipielle Zweideutigkeit noch fort, die in <strong>der</strong><br />
Hegelschen inhaltlichen Gleichsetzung und formalen Unterscheidung von<br />
Religion und <strong>Philosophie</strong> insofern liegt, als diese zugleich Rechtfertigung<br />
und Kritik <strong>der</strong> Religion sind. 298<br />
Hegel hatte die Frage nach <strong>der</strong> Geschichtlichkeit <strong>der</strong> Evangelien unbestimmt<br />
gelassen und <strong>für</strong> unerheblich und letztlich unbestimmbar gehalten<br />
in <strong>der</strong> Annahme, dass <strong>der</strong> christliche Glaube nicht angewiesen sei auf die<br />
„geistlose“ Beglaubigung äußerer sinnlicher Fakten durch historische<br />
Zeugnisse, „welche als historische Zeugnisse betrachtet freilich nicht den<br />
Grad von Gewissheit über ihren Inhalt gewähren würden, den uns Zeitungsnachrichten<br />
über irgendeine Begebenheit geben.“ 299 Darüberhinaus<br />
verneint Hegel aber ausdrücklich die Geschichtlichkeit <strong>der</strong> übernatürlichen<br />
Erzeugung Jesu, <strong>der</strong> Wun<strong>der</strong> und <strong>der</strong> Auferstehung als äußere sinnliche<br />
Fakten, sofern sie getrennt vom geistig-spekulativen Begreifen gefußt<br />
werden.
105<br />
In diesem Zusammenhang spricht Hegel eine Erkenntnis aus, zu <strong>der</strong><br />
auch die mo<strong>der</strong>ne Leben-Jesu-Forschung kommt und die ein entscheidendes<br />
Hin<strong>der</strong>nis zur Aufhellung <strong>der</strong> historischen Grundlagen des Christentums<br />
beinhaltet, dass nämlich in <strong>der</strong> urchristlichen Gemeinde ein historisch-chronistisches<br />
Interesse an <strong>der</strong> geschichtlichen Person Jesu als solcher<br />
nicht bestand, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Jesus <strong>der</strong> Geschichte vom Christus des<br />
Glaubens nicht getrennt wurde, Bericht und Bekenntnis, Erzählung und<br />
Zeugnis, Überlieferung und Deutung in den Evangelien eines sind. Hegel<br />
sagt; „Die Lehre, die Wun<strong>der</strong>.. sind in diesem Zeugnisse des Glaubens aufgefasst<br />
und verstanden. Die Geschichte Christi ist auch von solchen erzählt,<br />
über die <strong>der</strong> Geist schon ausgegossen war.“ 300 Diese These greift<br />
Strauß im Grunde auf und fuhrt sie weiter, wenn er in seinem „Leben Jesu“<br />
die Geschichtlichkeit <strong>der</strong> evangelischen Berichte in den Mythus auflöst.<br />
Hegel hält trotzdem daran fest, dass die Einheit <strong>der</strong> göttlichen und<br />
menschlichen Natur auch in dem geschichtlichen Individuum Jesus zum<br />
Bewusstsein gekommen ist, das dann in <strong>der</strong> Gemeinde weiter ausgebildet<br />
worden sei. 301 Und da Hegel seine Aussagen über den einzelnen Jesus <strong>der</strong><br />
Geschichte – nicht über die Einzelheit überhaupt – keineswegs historisch<br />
verifiziert, müssen sie den Charakter einer – immanent unmöglichen inkonsequenten<br />
– philosophischen Deduktion erhalten.<br />
Strauß unterscheidet sich in seinem „Leben Jesu“ grundlegend von Hegel<br />
letztlich nur darin, dass er die Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> geschichtlichen<br />
Person Jesu und seinem Selbstbewusstsein – und somit<br />
nach <strong>der</strong> Menschwerdung Gottes in einem einzelnen Individuum – konsequenterweise<br />
von einer historisch-kritischen Untersuchung abhängig machen<br />
will, womit er sich zugleich von den Rechtshegelianern – unter ihnen<br />
noch Bruno Bauer als Herausgeber <strong>der</strong> „Zeitschrift <strong>für</strong> spekulative Theologie“<br />
– distanziert, die „mit <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong> göttlichen und menschlichen Natur<br />
die ganze evangelische Geschichte als historische gegeben“ 302 betrachten.<br />
Das durch Strauß’ Kritik hervorgerufene unüberwundene Dilemma <strong>der</strong><br />
mo<strong>der</strong>nen Theologie besteht darin, dass einerseits <strong>der</strong> reine historische<br />
Kern <strong>der</strong> Evangelien wegen <strong>der</strong> Verflechtung von Geschichte und Kerygma<br />
– wie sie K. Barth und R. Bultmann hervor heben 303 – weitgehend unzugänglich<br />
bleibt, aber an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Glaube eigentlich „nicht mit sich
106<br />
selbst anfängt, son<strong>der</strong>n von einer vorgegebenen Geschichte lebt.“ 304 Wie<br />
ein Salto mortale aus diesem Dilemma muss die Antwort erscheinen, die<br />
schon Kierkegaard – und in seiner Nachfolge Bultmann – gibt mit seinem<br />
Verzicht auf eine historische Begründung des Glaubens „Kann man aus<br />
<strong>der</strong> Geschichte etwas über Christus zu wissen bekommen? Nein.“ 305 Auch<br />
Strauß begnügt sich, wie ausgeführt, mit einer philosophischen (nicht existentiellen<br />
son<strong>der</strong>n spekulativen) Interpretation <strong>der</strong> als Mythus aufgefassten<br />
Evangelien, und zwar ohne in ihrer Unzugänglichkeit als historische<br />
Urkunde einen entscheidenden Mangel zu sehen.<br />
Strauß geht über Hegel such darin nicht hinaus, dass er die Offenbarung<br />
und Menschwerdung Gottes nicht in Jesus <strong>für</strong> vollendet hält, son<strong>der</strong>n<br />
ihre allseitige Entwicklung in <strong>der</strong> Geschichte (<strong>der</strong> Religion, <strong>der</strong> Kunst,<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>) <strong>der</strong> menschlichen Gattung annimmt. Allerdings betont er<br />
von diesem pantheistischen, die Vorstellung eines persönlichen Gottes fallenlassenden<br />
Standpunkt her die Unmöglichkeit <strong>der</strong> vollständigen und erschöpfenden<br />
Verwirklichung des Vernünftigen in einem einmaligen Ereignis<br />
und einer bestimmten Person in beson<strong>der</strong>em Maße. Dass <strong>der</strong> Glaube,<br />
<strong>der</strong> eine bestimmte Person und ihr individuelles Schicksal zum allgemeinverbindlichen,<br />
exemplarischen heilsentscheidenden Rang erhebt, grundsätzlich<br />
dem philosophisch vernünftigen Begreifen wi<strong>der</strong>spricht, wird zur<br />
Überzeugung sowohl <strong>der</strong> Junghegelianer 306 als auch – mit umgekehrten<br />
Vorzeichen <strong>der</strong> Bewertung – Kierkegaards.<br />
In <strong>der</strong> Schlussabhandlung seines „Leben Jesu“ formuliert Strauß seine<br />
pantheistische Geschichtskonzeption folgen<strong>der</strong>maßen: „Wenn <strong>der</strong> Idee <strong>der</strong><br />
Einheit von göttlicher und menschlicher Natur Realität zugeschrieben<br />
wird, heißt dies soviel, dass sie einmal in einem Individuum, wie vorher<br />
und hernach nicht mehr, wirklich geworden sein müsse? Das ist ja nicht<br />
die Art, wie die Idee sich realisiert, in ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten,<br />
und gegen alle an<strong>der</strong>n zu geizen... Das ist <strong>der</strong> Schlüssel <strong>der</strong> ganzen<br />
Christologie, dass als Subjekt <strong>der</strong> Prädikate, welche die Kirche Christo<br />
beilegt, statt eines Individuums eine Idee, aber eine reale, nicht Kantisch<br />
unwirkliche, gesetzt wird... Die Menschheit ist die Vereinigung <strong>der</strong> beiden<br />
Naturen, <strong>der</strong> menschgewordene Gott... “ 307<br />
Damit ist die Geschichte <strong>für</strong> Strauß zugleich die Betätigung <strong>der</strong> Macht<br />
des Geistes über die Natur, und zwar „durch Bildung, Selbstüberwindung,
107<br />
über die Natur in ihm, wie durch Erfindungen, Maschinen, über die Natur<br />
außer ihm.“ 308<br />
Die Entfremdung, die <strong>der</strong> versöhnenden Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft<br />
im Laufe <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung des gottmenschlichen Lebens<br />
<strong>der</strong> Gattung entgegensteht, liegt also <strong>für</strong> Strauß in <strong>der</strong> menschlichen Natürlichkeit<br />
und Endlichkeit. 309 Ihre Negation schließt – seit Strauß’ Wendung<br />
in <strong>der</strong> „Glaubenslehre“ – vor allem die Überrwindung <strong>der</strong> positiven<br />
autoritären Religion ein und führt zur Rechtfertigung aus eigener „Mitwirkung“<br />
310 .<br />
Ohne das Moment <strong>der</strong> – den substantiellen Inhalt <strong>der</strong> Menschwerdung<br />
Gottes verwirklichenden – subjektiven Tätigkeit ganz unberücksichtigt zu<br />
lassen, betont Strauß doch primär die Seite <strong>der</strong> „allgemeinen Mächte in<br />
<strong>der</strong> Geschichte“ 311 , d. h. das Substantielle des Volksgeistes, darunter den<br />
Mythus <strong>der</strong> urchristlichen Gemeinde, so dass Marx davon sprechen kann,<br />
Strauß führe „den Hegel auf spinozistischem Standpunkt“ innerhalb <strong>der</strong><br />
Theologie konsequent durch. 312 Dementsprechend tendiert Strauß dahin,<br />
die objektiven allgemeinen Verhältnisse (<strong>der</strong> geistigen geschichtlichen<br />
Mächte) als scheinbar autonom gegenüber <strong>der</strong> menschlichen Praxis zu<br />
verselbständigen und die Hegelsche Dialektik des Substantiellen und Subjektiven<br />
aufzulösen.<br />
Das festhalten an <strong>der</strong> Vernünftigkeit <strong>der</strong> Geschichte aber verhin<strong>der</strong>t<br />
zum Beispiel, dass Strauß etwa wehrlos wäre gegenüber einem apokalyptischen<br />
und rassisch orientierten Irrationalismus, wie ihn W. Menzel vertritt,<br />
<strong>der</strong> vom „Jungen Deutschland“ attackierte Gegner Goethes und Herausgeber<br />
des Literaturblatts zum Cottaschen „Morgenblatt“, <strong>der</strong> auf Grund<br />
<strong>der</strong> Malthusschen Bevölkerungstheorie einen Vertilgungskampf als Ende<br />
<strong>der</strong> Geschichte prophezeit. 313<br />
Ebensowenig verfällt Strauß in seiner letzten Schrift „Der alte und <strong>der</strong><br />
neue Glaube“ (1872) dem Sozialdarwinismus und <strong>der</strong> Auffassung des<br />
Menschen als Naturwesen, während Nietzsche dagegen in seiner Invektive<br />
gerade die von Strauß vollzogene Trennung von Ethik und Darwinismus<br />
bemängelt. 314 Die Ethik gründet Strauß in dieser Schrift, in <strong>der</strong> er an die<br />
Stelle <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> naturwissenschaftlichen Positivismus und<br />
vulgären Materialismus setzt, auf die allgemeine Solidarität <strong>der</strong> Menschen,
108<br />
die er aus dem Gattungscharakter des Menschen herleitet, nunmehr unter<br />
weitgehen<strong>der</strong> Vernachlässigung <strong>der</strong> Prozesshaftigkeit <strong>der</strong> Geschichte.<br />
Nur im Zusammenhang mit <strong>der</strong> von Hegel übernommenen Konzeption<br />
<strong>der</strong> Geschichte als stufenweiser Realisierung <strong>der</strong> Wahrheit lässt sich die<br />
Funktion <strong>der</strong> Straußschen Kritik verstehen. Strauß will die wirksame subjektive<br />
kritische Tätigkeit mit dem dialektischen objektiven Geschichtsprozess<br />
verbunden wissen: „Die subjektive Kritik des einzelnen ist wie ein<br />
Brunnenrohr, das jede Knabe eine Weile zuhalten kamen: die Kritik, wie<br />
sie im Laufe <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>te sich objektiv vollzieht, stürzt als ein brausen<strong>der</strong><br />
Strom heran, gegen den alle Schleusen und Dämme nichts vermögen.“<br />
315 „Die wahre Kritik des Dogma ist seine Geschichte.“ 316 Der Kritiker<br />
steht also selbst auf dem Boden des kritischen Prozesses. Die Kritik ist<br />
zugleich Prinzip <strong>der</strong> Wirklichkeit und <strong>der</strong> Methodologie. Deshalb auch<br />
kann Strauß seine Kritik deuten als Annäherung an die Hegelsche Dialektik<br />
in <strong>der</strong> „Phänomenologie des Geistes“, und zwar als ihre spezielle Anwendung<br />
auf die Theologie, als „theologische Phänomenologie“, insofern<br />
die Kritik nicht bei <strong>der</strong> sinnlichen Gewissheit – nämlich des Glaubens, d.<br />
h. <strong>der</strong> biblischen Berichte und des kirchlichen Dogma – stehenbleibt, son<strong>der</strong>n<br />
die geschichtlichem Vermittlungen in <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong> Theologie<br />
aufgreift und zusammenfasst. 317<br />
Die Kritik ist dabei <strong>der</strong> Bruch mit dem Bestehenden und seine Verän<strong>der</strong>ung<br />
durch Unterscheidung des Geistes von <strong>der</strong> Realität, des Subjekts von<br />
<strong>der</strong> Substanz, d. h. durch theoretische Antizipation <strong>der</strong> wahren Wirklichkeit.<br />
(Da <strong>für</strong> Strauß die Geschichtswirklichkeit wesentlich ein geistiger<br />
Prozess ist, kann die sich ihr anschließende – und infolgedessen nicht<br />
willkürliche – gedankliche Kritik wirkliche Verän<strong>der</strong>ungen hervorrufen,<br />
kann die Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins zur Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt führen.)<br />
Das Subjekt zieht sich, wie Strauß sagt, „aus <strong>der</strong> Substanz seines<br />
bisherigen Glaubens heraus, und negiert diese als seine Wahrheit. Dies<br />
wird es aber nur tun, weil ihm, wenn auch zunächst nur an sich und in<br />
unentwickelter Form, eine an<strong>der</strong>e Wahrheit aufgegangen ist...“ 318<br />
Einen Grundzug <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik bewahrt Strauß: die Destruktion<br />
<strong>der</strong> scheinbaren Selbständigkeit, Ursprünglichkeit und Fixiertheit des<br />
äußeren Objekts und unmittelbar Gegebenen (hier: <strong>der</strong> biblischen und
109<br />
kirchlichen Fakten) als einer Form <strong>der</strong> Entfremdung zugunsten des vermittelten<br />
Begreifens <strong>der</strong> Sache selbst. 319<br />
Wie Strauß weiter betont, darf <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> subjektiven kritischen<br />
Vermittlung und Aufhebung, des „Scheidens“ und „Auseinan<strong>der</strong>setzens“,<br />
des „Schmelzens“ und Gärens“, nicht schließlich – wie bei den Althegelianern<br />
Marheineke, Göschel und an<strong>der</strong>en sowie beim späten Schelling – zu<br />
<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>herstellung des unvermittelten Ausgangspunktes, des sinnlichen<br />
Faktums <strong>der</strong> Vorstellung, und zu seiner begrifflichen Bestätigung<br />
führen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> kritische Durchgang muss dieses wirklich verän<strong>der</strong>n<br />
und zu etwas Untergeordnetem herabsetzen. „Es ist nur <strong>der</strong> Schein <strong>der</strong><br />
Freiheit, welchen man uns vorspiegelt, wenn man uns über das Faktum<br />
hinaus zur Idee nur darum führt, um uns von <strong>der</strong> Idee wie<strong>der</strong> zum Faktum<br />
als solchem zurückzulenken.“ 320<br />
Damit scheint Strauß vollends auf dem Standpunkt <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik<br />
zu stehen; denn ihr gemäß führen die Analyse des sinnlich Konkreten,<br />
des lebendigen Inhalts, in allgemeine tote Abstrakta einerseits und die<br />
darauf erfolgende Synthese <strong>der</strong> Abstrakta zum Konkreten an<strong>der</strong>erseits<br />
nicht zurück zum Ausgangspunkt des sinnlich Konkreten, son<strong>der</strong>n reproduzieren<br />
das sinnlich Konkrete zum geistig Konkreten auf <strong>der</strong> höheren Ebene<br />
des Denkens, so dass Resultat und Ausgangspunkt zwar das Konkrete<br />
ist, aber ein verschiedenes Konkretes.<br />
Aber spätestens seit seiner „Glaubenslehre“ verwendet Strauß in Mehrheit<br />
nicht mehr diese Hegelsche Dialektik. Der dort – unter dem Einfluss<br />
Feuerbachs 321 – vollzogene Bruch zwischen Glauben und Wissen, d. h. die<br />
Ablehnung <strong>der</strong> Hegelschen inhaltlichen Gleichsetzung von Religion und<br />
<strong>Philosophie</strong> (worin eine prinzipielle Modifikation <strong>der</strong> Form-Inhalt-Dialektik<br />
liegt: eine nicht vollkommen adäquate Form setzt auch den Inhalt zu einem<br />
unvollkommeneren herab 322 ), geht Hand in Hand mit einer – von<br />
Strauß selbst nicht explizierten – Umformung <strong>der</strong> Dialektik, die Kritik ist<br />
kein Aufstieg vom sinnlich Konkreten zum geistig Konkreten (als Herausheben<br />
des Wesens aus <strong>der</strong> Erscheinung) vermittels Analyse und Synthese,<br />
son<strong>der</strong>n sie bleibt bei <strong>der</strong> Analyse ohne Synthese stehen, indem ihr Resultat<br />
statt des Aufhebens das Aufgeben und Verwerfen des Ausgangspunkts<br />
(hier des Dogmas) ist.
110<br />
Die Straußsche Kritik ist somit rein negativ dialektisch, nicht reproduktiv<br />
dialektisch im Hegelschen Sinne (und such nicht scheinbar reproduktiv<br />
dialektisch im Sinne <strong>der</strong> Althegelianer). Die Straußsche Kritik bewahrt von<br />
<strong>der</strong> Hegelschen Dialektik nur die Form <strong>der</strong> Entgegensetzung von These<br />
und Antithese, den Kampf <strong>der</strong> Gegensätze. Ohne vermittelnden Übergang<br />
setzt die Kritik an die Stelle <strong>der</strong> als unhaltbar aufgelösten Dogmen die –<br />
ihnen nicht zugrunde liegenden und aus ihnen nicht ableitbaren – philosophischen<br />
Spekulationen. Keineswegs strebt die Kritik an, die Vorstellungen<br />
<strong>der</strong> Dogmengeschichte in Begriffe zu übersetzen o<strong>der</strong> „umzuwandeln“<br />
323 , da <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Religion nicht von ihrer Form trennbar ist.<br />
Glauben und Wissen Werden in zwei Extreme auseinan<strong>der</strong> gespreizt,<br />
wobei nicht nur ihre Versöhnung in <strong>der</strong> Hegelschen, son<strong>der</strong>n auch in <strong>der</strong><br />
Schleiermachischen Gestalt fallengelassen wird. 324 Implizit weist Strauß<br />
damit zugleich die These zurück, die spekulative <strong>Philosophie</strong> sei wesentlich<br />
säkularisierte Religion.<br />
Zum Beispiel behandelt Strauß in dem Kapitel über das Dogma von <strong>der</strong><br />
göttlichen Schöpfung <strong>der</strong> Welt zunächst die mosaische Schöpfungsgeschichte,<br />
dann die patristischen Anstrengungen, mit Hilfe von Allegorien<br />
<strong>der</strong>en Unstimmigkeiten zu beseitigen, weiter die theologischen Versuche,<br />
die Schwierigkeiten, die sich von seiten <strong>der</strong> neueren Astronomie und Geologie<br />
ergaben, zu „bemänteln“ und zu harmonisieren, und darauf die Auflösung<br />
<strong>der</strong> mosaischen Schöpfungsberichte in den Mythus (beginnend mit<br />
Her<strong>der</strong>s Schrift über die „Älteste Urkunde des Menschengeschlechts“). Anschließend<br />
untersucht Strauß die Auslegungsversuche und Umdeutungen<br />
einer apokryphen Stelle über die Schöpfung aus dem Nichts sowie die<br />
theologisch philosophischen Bestimmungen über die Beweggründe <strong>der</strong><br />
Weltschöpfung und die Frage <strong>der</strong> zeitlichen o<strong>der</strong> ewigen Schöpfung und<br />
kommt zu dem Ergebnis, dass die Schwierigkeiten und Wi<strong>der</strong>sprüche (das<br />
heißt hier: Ungereimtheiten) nicht innerhalb <strong>der</strong> kirchlichen Lehre selbst<br />
lösbar sind. Strauß erkennt, dass die spekulative Auffassung diese Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
in <strong>der</strong> Weise beseitigt, dass sie den Schöpfungsbegriff überhaupt<br />
verwirft und die Schöpfungslehre in die philosophische Lehre von dem<br />
notwendigen Verhältnis des Absoluten und des Endlichen verschwinden<br />
lässt. „Hiermit ist aber freilich <strong>der</strong> Schöpfungs-Begriff... eigentlich aufgegeben.<br />
Dieser Begriff setzt einen vor und abgesehen von <strong>der</strong> Schöpfung
111<br />
fertigen Gott voraus, welcher, wie ein fertiger Mensch zur Ausarbeitung<br />
eines Buchs, eines Kunstwerks, so sich zur Hervorbringung <strong>der</strong> Welt entschloß.<br />
Nach <strong>der</strong> Lehre <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und spekulativen Theologie hingegen<br />
fällt das Setzen <strong>der</strong> Welt in den Prozess <strong>der</strong> Vollendung des absoluten<br />
Wesens... hinein...“ 325<br />
Trotz des antithetischen – Altes und Neues polarisierenden – Charakters<br />
seiner Kritik verzichtet Strauß in <strong>der</strong> Darstellung nicht auf die triadische<br />
(o<strong>der</strong> tetradische) Form, die aufgesetzt und konstruiert erscheinen<br />
muss. Für ihn nimmt in dem Beispiel <strong>der</strong> Schöpfungslehre Origenes mit<br />
seiner Häresie von <strong>der</strong> anfanglosen Schöpfung die Stellung <strong>der</strong> kritischen<br />
Negation des überlieferten Dogmas ein, die schließlich – nach einer Periode<br />
<strong>der</strong> fortschreitenden rationalistischen Umdeutung – vom spekulativen Rationalismus<br />
wie<strong>der</strong> aufgenommen und vollendet worden sei, und zwar in<br />
Gestalt <strong>der</strong> vollständigen Vernichtung des überlieferten Dogmas (durch<br />
Unterlegung eines völlig fremdartigen Sinnes). 326<br />
Dieser von Strauß gezeichnete Gang hätte allenfalls dann einen triadisch-dialektischen<br />
Charakter, wenn zwischen dem nicht-spekulativen<br />
und dem spekulativen Rationalismus <strong>der</strong> orthodoxe Supranaturalismus<br />
seine Stelle hätte und wenn es <strong>der</strong> anfänglichen häretischrationalistischen<br />
Opposition tatsächlich um eine reine Vernunftreligion<br />
gegangen Wäre, abgesehen davon, dass <strong>der</strong> Aufweis <strong>der</strong> Notwendigkeit in<br />
<strong>der</strong> Entwicklung fehlt. Entsprechend äußerlich ist das triadischdialektische<br />
Verfahren im „Leben Jesu“, in dem an die Stelle <strong>der</strong> natürlichen<br />
und <strong>der</strong> übernatürlichen die mythische Betrachtungsweise gesetzt<br />
wird, so dass A. Schweitzer sie nicht mit vollem Recht „die Synthese aus<br />
einer Thesis und aus einer Antithesis“ nennen kann. 327<br />
Indem sie die kritische Negation sich nicht immanent aus dem Positiven<br />
entwickeln, son<strong>der</strong>n von außen selbständig hinzutreten lässt, weist<br />
Strauß’ Kritik voraus auf Bakunins explizite Konzeption vom vermittlungslosen<br />
Gegensatz, worin das Positive und Negative unverträglich „wie Feuer<br />
und Wasser“ einan<strong>der</strong> gegenüber stehen und das Negative das Schaffen<br />
und Hervorbringen als Zerstören und Vernichten ist: „Ist das Zugrun<strong>der</strong>ichten<br />
des Positiven nicht die einzige Bedeutung des Negativen?“ 328<br />
Nur um den Preis <strong>der</strong> Verkürzung <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik zur kritischen<br />
antithetischen Analytik gelingt es Strauß also, dem christlichen
112<br />
Theismus – <strong>der</strong> auf einem einmaligen (keine Idee exponierenden) Ereignis<br />
basiert – wie<strong>der</strong>um seinen angemessenen Ort jenseits <strong>der</strong> pantheistischen<br />
Spekulation zuzuweisen und den versöhnlichen Anschein zu zerstören, als<br />
ob Glauben und Wissen, Ausgangs- und Endpunkt <strong>der</strong> Kritik, sich zueinan<strong>der</strong><br />
verhielten wie das Ganze in <strong>der</strong> Vorstellung und das gleiche Ganze<br />
im Begriff. (Unter diesem Gesichtspunkt gerät Strauß mit den Neupietisten<br />
Tholuck und Nean<strong>der</strong> und sogar den Orthodoxen wie Hengstenberg, dem<br />
Herausgeber <strong>der</strong> „Evangelischen Kirchenzeitung“, auf dieselbe Ebene,<br />
wenn auch mit umgekehrter Frontstellung.).<br />
Das negativ kritische unversöhnliche Ausspielen <strong>der</strong> Spekulation gegen<br />
die Religion ließe die Konsequenz erwarten, dass Strauß die religiöse Entfremdung<br />
lediglich als Beraubung und Deformation des menschlichen Wesens<br />
auffassen würde. Aber Strauß scheut vor dieser Schlussfolgerung<br />
Feuerbachs zurück. An die Stelle einer vollständigen aufklärerischen Negation<br />
<strong>der</strong> religiösen Vorstellungen tritt doch ihre Anerkennung als Ausdruck<br />
des vernünftigen Triebes nach Selbsterkenntnis: „Religion und <strong>Philosophie</strong><br />
tun demselben höchsten Bedürfnis des Geistes genug; mit sich selbst ins<br />
Reine zu kommen, des Einklangs seiner endlichen Erscheinung mit seinem<br />
absoluten Wesen inne zu werden...“ 329<br />
Hiermit distanziert sich Strauß zugleich von <strong>der</strong> Reduktion <strong>der</strong> Religion<br />
auf das rein „Praktische“, d. h. auf das subjektiv-eigennützige Bedürfnis<br />
des Gemüts und <strong>der</strong> Phantasie im Sinne Feuerbachs – <strong>für</strong> den das Verhältnis<br />
von Theorie und Praxis das Verhältnis von Kopf und Herz, „ratio“<br />
und „emotio“, ist – und hebt die davon untrennbaren intellektuellen Momente<br />
hervor. 330
113<br />
V. Ruges radikaldemokratische Konzeption <strong>der</strong> Übersetzung <strong>der</strong> philosophischen<br />
Theorie in die politische Praxis vermittels <strong>der</strong> Kritik<br />
Dialektik diskreditiert alle Fakta. Während <strong>für</strong> D. F. Strauß das mit <strong>der</strong><br />
Vernunft nicht übereinstimmende Faktum die biblische Geschichte und<br />
das kirchliche Dogma ist, wird dieses <strong>für</strong> Arnold Ruge primär <strong>der</strong> bestehende<br />
politisch-staatliche Zustand Preußens. Darin vor allem geht Ruge<br />
über Strauß hinaus, dass sich seine Kritik auf die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> politisch-staatlichen<br />
Wirklichkeit richtet.<br />
Zugleich kritisiert Ruge im Unterschied zu Strauß explizit den einseitig<br />
kontemplativen Charakter <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> als <strong>der</strong>en entscheidende<br />
Schranke, d. h. er erhebt das zukunftsgerichtete Verän<strong>der</strong>n und<br />
Umgestalten des Bestehenden an Stelle des Begreifens und Nach-denkens<br />
ausdrücklich zum Programm mit dem Ziel, den Dualismus zu beseitigen<br />
und die wahre Einheit von Theorie und Praxis, Idee und Wirklichkeit, Begriff<br />
und Existenz, im Prozess <strong>der</strong> Selbstverwirklichung des Menschen herzustellen.<br />
Dabei gibt Ruge im Gegensatz zu Cieszkowski schließlich den<br />
Vorrang des Systems auf und legt den Akzent ganz auf die – zur Kritik<br />
umgeformten – dialektischen Methode.<br />
Strauß hat dieses Ziel <strong>der</strong> Einheit von Theorie und Praxis deshalb<br />
nicht, weil sich seine Kritik auf die Vorstellung und nicht wie die Kritik<br />
Ruges auf den Willen (und über diesen auf die politische Wirklichkeit) richtet.<br />
Im übrigen schließt sich Ruge Strauß’ Religionskritik weitgehend an,<br />
bevor er auf den Standpunkt Feuerbachs übergeht. 331 Infolgedessen kann<br />
Ruge sagen: „Im Religiösen hatte Strauß mit seinem Leben Jesu dieselbe<br />
Befreiung begonnen, wie ich im Politischen mit <strong>der</strong> Kritik von Hegels<br />
Rechtsphilosophie.“ 331a<br />
Ebenso wie Strauß bindet Ruge die subjektive Kritik an die objektive<br />
Kritik <strong>der</strong> als Geistesprozess verstandenen Geschichte; er verankert jene<br />
Kritik in <strong>der</strong> Krisis. 33lb Wie Strauß fasst Ruge die Kritik als Auflösung<br />
und Scheidung ohne Synthese 33lc sowie als vorantreibende Kraft<br />
<strong>der</strong> Geschichte, als „Puls <strong>der</strong> Entwicklung“ und „Sekretionsprozess, <strong>der</strong><br />
zugleich Zeugungsprozess ist“ 332 ; und wie Strauß vollzieht Ruge die Kritik<br />
am Maßstab des spekulativen Begriffs.
114<br />
Ihrer Struktur nach ist die Kritik, wie Ruge sie schließlich bis zum Jahre<br />
1842 herausbildet, „Beziehung des Begriffs auf die Existenz“, d. h. „Beziehung<br />
<strong>der</strong> Theorie auf die geschichtlichen Existenzen des Geistes“. 333 Die<br />
Kritik nimmt ihren Ausgangspunkt bei <strong>der</strong> vernünftigen Theorie als „reiner<br />
Einsicht“ und Metaphysik des logischen Begriffs o<strong>der</strong> <strong>der</strong> abstrakten Kategorie,<br />
und sie wendet sich – nach einem Vergleich des allgemeinen Wesens<br />
mit <strong>der</strong> einzelnen geschichtlichen Existenz, <strong>der</strong> Vernunft mit <strong>der</strong> Wirklichkeit<br />
– an den Willen des Menschen, den sie zu dem Entschluss mobilisiert,<br />
die einzelne geschichtlichen Existenz <strong>der</strong> vernünftigen Theorie zu „unterwerfen“<br />
und somit die Einheit des Denkens und Wollens herzustellen.<br />
„Erst das Wollen (versteht sich auf dieser Basis vernünftiger Einsicht) ist<br />
das reelle Denken.“ 334<br />
Die gleiche Struktur hat in <strong>der</strong> Konzeption Bruno Bauers die Kritik, die<br />
er in einem Brief an Marx als „Terrorismus <strong>der</strong> wahren Theorie“ kennzeichnet.<br />
335 Die Kritik erneuert den von Hegel in <strong>der</strong> absoluten Theorie<br />
aufgehobenen Gegensatz von Sein und Sollen, Substanz und Subjekts<br />
„Das, was ist und was sein soll, wird unterschieden. Das Sollen aber ist<br />
allein das Wahre, Berechtigte und muss also zur Geltung, Herrschaft und<br />
Gewalt gebracht werden...“ 336<br />
Für Ruge (wie <strong>für</strong> Bauer) bleibt demnach die Kritik als Vermittlung zwischen<br />
<strong>der</strong> Theorie und dem Willen noch eine Sache des Bewusstseins.<br />
Zwar ist die Kritik – die praktizierte Theorie – kein Selbstzweck <strong>für</strong> Ruge<br />
(<strong>der</strong> in Halle und Dresden als Stadtverordneter tätig ist 336 a ), son<strong>der</strong>n sie<br />
zielt letztlich auf wirkliche sinnliche Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> bestimmten politisch-staatlichen<br />
Verhältnisse (deswegen bricht Ruge schließlich mit Bauer<br />
und den in scheinbarer geistiger Selbstgenügsamkeit verharrenden Berliner<br />
„Freien“ 337 ), aber ihre eigene „praktische Wendung“ besteht darin, dass<br />
sie einen Entschluss hervorbringt, was noch ein innerer, geistiger Vorgang<br />
ist.<br />
Darin liegt implizit die Annahme, dass die Durchsetzung vernünftiger<br />
Verhältnisse verhin<strong>der</strong>t wird durch ein falsches Bewusstsein, d. h. durch<br />
das Unaufgeklärtbleiben über Vernunft und Unvernunft (o<strong>der</strong> durch die<br />
Böswilligkeit <strong>der</strong> Herrschenden), nicht aber etwa durch Interessen und<br />
Machtkonstellationen o<strong>der</strong> Leidenschaften und Bedürfnisse, eine Annah-
115<br />
me, die <strong>der</strong> sokratischen Gleichsetzung von Wissen und Tugend entspricht.<br />
337a<br />
Ruge erwartet, dass die sich an <strong>der</strong> wahren Theorie orientierende bewusstseinsmäßige<br />
Kritik unwi<strong>der</strong>stehlich den Übergang zur wirklichen Negation<br />
<strong>der</strong> unvernünftigen (irrationalen) Existenzen macht. „Die Umwälzungen<br />
des Geistes ziehen die Umwälzungen des Lebens nach sich.“ 338<br />
(Die bewusstseinsmäßige subjektive Kritik hat nach Ruges Ansicht ihre<br />
wirkliche objektive Entsprechung in <strong>der</strong> Revolution von 1848 338a .) Darin<br />
bekundet sich ein ungebrochenes aufklärerisches Vertrauen in die Herrschaft<br />
<strong>der</strong> Vernunft 339 , so als ob Beaumarchais’ Figaro tatsächlich, wie<br />
Napoleon meinte, die französische Revolution „schon in Aktion“ gewesen<br />
wäre.<br />
Dem entspricht Ruges Überschätzung <strong>der</strong> Funktion <strong>der</strong> Hallischen und<br />
Deutschen Jahrbücher, dem literarischen Hauptorgan <strong>der</strong> Junghegelianer<br />
von 1838 bis 1843, als Motor <strong>der</strong> Geschichte, als „bewusste Praxis <strong>der</strong> historischen<br />
Dialektik“. 340<br />
Wie Feuerbach feststellt, dass <strong>für</strong> Hegel das Sein wesentlich Gedanke<br />
des Seins ist („Das Denken setzt sich das Sein entgegen, aber innerhalb<br />
seiner selbst...“ 341 ), so lässt sich von <strong>der</strong> aus dem Geist <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik<br />
geborenen Kritik Ruges sagen, dass sie wesentlich geistige Kritik<br />
ist. In idealistischer Weise setzt auch Marx in seiner Dissertation (1841)<br />
die kritische <strong>Philosophie</strong> und die Welt einan<strong>der</strong> gegenüber, indem er sagt:<br />
„... die Praxis <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ist selbst theoretisch. Es ist die Kritik, die die<br />
einzelne Existenz am Wesen, die beson<strong>der</strong>e Wirklichkeit an <strong>der</strong> Idee<br />
misst.“ 342<br />
Wie <strong>für</strong> Hegel <strong>der</strong> Wille „praktischer Geist“ ist, so ist also <strong>für</strong> Ruge <strong>der</strong><br />
von <strong>der</strong> Kritik mobilisierte Wille das nicht ursprüngliche, unselbständige<br />
an<strong>der</strong>e des Geistes; Wille und Denken werden gefasst als das Außen und<br />
Innen des Geistes. Der Wille wird determiniert gedacht von einem theoretisch<br />
fixierten Zweck, nicht etwa von Antrieben und Motiven, die in nichtintellektuellen<br />
Bedürfnissen und Interessen wurzeln und nur nachträglich<br />
bewusst geworden sind.<br />
Die Willensentscheidung bildet keinen unvermittelten Anfang wie bei<br />
Kierkegaard das absolute Entschlossensein – als wesentliche „qualitative
116<br />
Dialektik“ <strong>der</strong> auf sich selbst stehenden Existenz beson<strong>der</strong>s in Gestalt <strong>der</strong><br />
Entscheidung zum „Sprung“ gegen die beiläufige „quantitative Dialektik“<br />
<strong>der</strong> Geschichte gesetzt –, son<strong>der</strong>n sie ist durch die auf die Theorie bezogene<br />
Kritik vermittelt; aber die Theorie selbst wird als vollendet angesehen.<br />
Die Kritik zielt auf die Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Existenz, nicht des Begriffs. In rein<br />
theoretischer Hinsicht – hinsichtlich des Prinzips <strong>der</strong> Entwicklung – gilt<br />
Hegels <strong>Philosophie</strong> als unüberholbar, als „die letzte aller <strong>Philosophie</strong>en überhaupt“,<br />
die nur dialektisch umzuschlagen, d. h. aus ihrer theoretischen<br />
Einseitigkeit – <strong>der</strong> Verborgenheit ihres an sich vorhandenen praktischen<br />
Bezuges – herauszutreten habe und von dem „Bewusstsein über sich bewegt<br />
und befruchtet, Tat werden muss“. „Die Dialektik, die sie am Begriffe<br />
aufweist, hat demnach diese <strong>Philosophie</strong> an sich selbst zu vollziehen, und<br />
dieser Prozess, diese Bewegung zur eigenen Gegenständlichkeit und Aktualität<br />
ist ihre Geschichte...“ 343<br />
Der Prozess <strong>der</strong> Kritik – das Geltendmachend <strong>der</strong> Vernunft, die Herstellung<br />
<strong>der</strong> Einheit von Begriff und Existenz – ist also <strong>für</strong> Ruge wie <strong>für</strong> Cieszkowski<br />
nur die Anwendug <strong>der</strong> fertigen Theorie und ihre einseitige Übersetzung<br />
in die Existenz. Die dialektische Wechselwirkung, das gegenseitige<br />
Sichdurchdringen <strong>der</strong> Theorie einerseits und <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> (subjektiven<br />
und objektiven) Kritik an<strong>der</strong>erseits wird von Ruge aufgelöst.<br />
In dieser Hinsicht setzt Ruges Kritik also die Herauslösung <strong>der</strong> Theorie<br />
aus <strong>der</strong> praktischen Bedingtheit fort, die Hegel in Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen<br />
Kontemplation auf <strong>der</strong> Spitze seines Systems vollzieht. Die Theorie<br />
hat nicht ihre Grundlage in <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Kritik o<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Durchführung<br />
in <strong>der</strong> Handlung; sie ist autonom und souverän. („Das Prinzip, um das<br />
sich jetzt alles dreht, ist die Autonomie des Geistes, und zwar im Wissenschaftlichen<br />
die Fortbildung des Rationalismus und im Staatlichen des<br />
Liberalismus...“ 344 ) Ruge anerkennt nicht etwa einen <strong>der</strong> Kritik vorgängigen<br />
Verän<strong>der</strong>ungswillen, ein ursprüngliches Engagement.<br />
Auch Kriterium können die geschichtlich-politischen Entwicklungen allenfalls<br />
<strong>für</strong> die kritische Anwendung <strong>der</strong> Theorie, nicht <strong>für</strong> die Theorie<br />
selbst sein; die Theorie ist im voraus gesichert, ohne von ihnen bestätigt<br />
o<strong>der</strong> wi<strong>der</strong>legt werden zu können (was sich auch auf Grund <strong>der</strong> angenommenen<br />
prinzipiellen Isomorphie von Theorie und Geschichte erübrigt). 345
117<br />
Die Hegelsche Rangordnung innerhalb <strong>der</strong> Struktur, an die die Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> Kritik anknüpft – die Zuordnung von Begriff und Existenz, Vernunft<br />
und Wirklichkeit, Logischem und Historischem, Absolutem und Relativem<br />
– gibt Ruge vollends erst auf unter dem Einfluss Feuerbachs und dessen<br />
(im „Wesen des Christentums“ schon auf Religion und Theologie angewandter)<br />
Methode <strong>der</strong> grundsätzlichen Umkehrung dieses Verhältnisses<br />
von Begriff und Existenz, Denken und Sein, Subjekt und Prädikat in <strong>der</strong><br />
Schrift „Vorläufige Thesen zur Reform <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ (1842). Infolgedessen<br />
fasst Ruge die logischen o<strong>der</strong> metaphysischen Kategorien als Abstraktionen<br />
auf; die Logik „ist wirklich nichts an<strong>der</strong>es als Geist und Natur noch<br />
einmal, aber in <strong>der</strong> unbestimmtesten und allgemeinsten Fassung, wie <strong>der</strong><br />
Himmel <strong>der</strong> Theologie nur die wie<strong>der</strong>holte Welt ist.“ 346<br />
Erst in diesem Stadium seiner Entwicklung verzeitlicht Ruge den Geist<br />
radikal und erhebt er – was Löwith zu einer Hauptthese seiner Interpretation<br />
Ruges und aller Junghegelianer macht 347 – die Geschichte zum Maßstab<br />
des Geistes. Löwith übergeht die Wendung in <strong>der</strong> Entwicklung Ruges.<br />
Erst nach <strong>der</strong> von Feuerbach hervorgerufenen Wendung orientiert Ruge<br />
die Kritik ausschließlich am Zeitgeist, verwirft er die Selbständigkeit <strong>der</strong><br />
überzeitlichen Logik überhaupt („die Logik selbst wird ins die Geschichte<br />
hineingezogen“) und bemängelt er auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Unterscheidung zwischen<br />
Theorie und Kritik Hegels Logifizierung und Verabsolutierung bestimmter<br />
historischer Existenzen, zum Beispiel Hegels logische Reduktion<br />
<strong>der</strong> bestehenden Staatsverfassung, <strong>der</strong> erblichen Monarchie, <strong>der</strong> Majorate,<br />
des Zweikammersystems (so wie sich Strauß gegen die Zurückführung <strong>der</strong><br />
biblischen Geschichte und <strong>der</strong> kirchlichen Dogmengeschichte auf die spekulativen<br />
Begriffe wendet). 348<br />
Die Zurückführung des absoluten Geistes auf den menschlichen Geist<br />
nimmt Ruge (wie Strauß und Bauer) die Möglichkeit, die Praxis und die<br />
endliche Theorie mit Hegel als Moment im Prozess <strong>der</strong> Realisierung <strong>der</strong><br />
absoluten Subjekt-Objekt-Einheit zu fassen und die „List <strong>der</strong> Vernunft“ als<br />
Grund <strong>der</strong> teleologischen Notwendigkeit dieses Geschichtsprozesses anzunehmen.<br />
Als Konsequenz ergibt sich eine Aporie, über die sich Ruge nicht<br />
im Klaren ist: da <strong>für</strong> Ruge <strong>der</strong> Träger des Geschichtsprozesses ausschließlich<br />
<strong>der</strong> menschliche Geist ist, diesem aber zugestandenermaßen das Ziel<br />
<strong>der</strong> menschlichen Geschichte (die realisierte geistige Einheit und Freiheit)
118<br />
nicht stets bewusst gegenwärtig war (nämlich bis zu Hegels Erhebung <strong>der</strong><br />
dialektischen Methode zum bewussten Prinzip), dürfte Ruge in Wahrheit<br />
gar kein notwendiges von vornherein auf ein Ziel Ausgerichtetsein des Geschichtsablaufs<br />
supponieren; unvereinbar ist es, den Fortschritt <strong>der</strong> Geschichte<br />
einerseits völlig im menschlichen Geist gründen zu lassen und<br />
dennoch an<strong>der</strong>erseits eine Vorsehung anzunehmen und die Einheit <strong>der</strong><br />
theoretischen und praktischen Tätigkeit in <strong>der</strong> selbstbewussten und<br />
selbstgewollten Durchführung geschichtlicher Intentionen zu sehen. 349<br />
Die Verwandlung des Weltgeistes in den Menschengeist wirft ein weiteres<br />
Problem auf, das Ruge nicht löst und worüber er kaum ein Bewusstsein<br />
hat: das Problem <strong>der</strong> Einheit von menschlichem Geist und Natur (die<br />
nicht mehr als Erscheinungsform des Weltgeistes begriffen werden kann<br />
und selbständig bleibt, insofern sie kein Produkt des menschlichen Geistes<br />
ist); denn die Wechselwirkung von Mensch und Natur, die Hegel in <strong>der</strong> mit<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Praxis verknüpften Teleologie <strong>der</strong> Arbeit aufdeckt, tritt<br />
<strong>für</strong> Ruge in den Hintergrund.<br />
Indem Ruge das Vernünftigfinden <strong>der</strong> Wirklichkeit und ihre Loslösung<br />
aus <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung nicht nur in Hegels Rechtsphilosophie<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> politisch-staatlichen Verhältnisse feststellt, son<strong>der</strong>n<br />
als charakteristisch <strong>für</strong> Hegels <strong>Philosophie</strong> überhaupt ansieht, negiert er<br />
mit seiner Kritik auch Hegels spekulatives System im ganzen als einseitig<br />
theoretisch und abstrakt. 350<br />
Auch <strong>der</strong> Religion, Kunst und Wissenschaft habe Hegel die praktischgeschichtliche<br />
Seite genommen, indem er sie über den Bereich des Staats<br />
und <strong>der</strong> Geschichte hinaus in die Sphäre des absoluten Geistes rückte<br />
und ihre Freiheit nicht als Prozess und Aktion <strong>der</strong> Befreiung aus jeweils<br />
bestimmten Existenzen auffasste. „Die Wissenschaft ist ihm nicht zugleich<br />
Kritik, die Kunst nicht zugleich Verarbeitung und Abklärung <strong>der</strong> Gegenwart,<br />
die Religion wesentlich Vorstellung und Lehre, nicht praktisches Pathos.“<br />
351<br />
Die Absolutheit des Hegelschen Systems, das die Zukunft im wesentlichen<br />
ignoriert, die auf die Spitze getriebene „faule Beschaulichkeit des Hegelianismus“,<br />
muss nach Ruge umschlagen in die tatkräftige Verwirklichung<br />
des Geistes in <strong>der</strong> Geschichte, in die geschichtliche Freiheit als das
119<br />
bestimmte „inhaltsvolle Sollen“ 352 , als „For<strong>der</strong>ung des zukünftigen vernünftigen<br />
Werdens“ 353 und Freiheit „im öffentlichen Gemeinwesen“. 354<br />
Der Grund <strong>für</strong> die theoretische Einseitigkeit des Hegelschen Systems ist<br />
<strong>für</strong> Ruge die Inkonsequenz gegenüber dem Prinzip <strong>der</strong> dialektischen Entwicklung<br />
als dem Prozess <strong>der</strong> Freiheit, das Nichtdurchführen dieses Prinzips,<br />
d. h. Hegels „Akkommodation und Zurechtmacherei“ 355 , wobei Ruge<br />
voraussetzt, dass diese dialektische Entwicklung und mit ihr die „revolutionäre<br />
Kritik“ <strong>der</strong> „innerste Kern“ <strong>der</strong> Hegelschen Lehre ist. 356 Die „diplomatische“<br />
Versöhnung Hegels mit <strong>der</strong> christlichen Dogmatik und dem preußischen<br />
Staat wie<strong>der</strong>um ist nach Ruges Urteil deshalb möglich gewesen, weil<br />
Hegel nicht einen ähnlichen Konflikt mit den bestehenden Verhältnissen,<br />
wie er Kant wi<strong>der</strong>fuhr durch das ministerielle Wöllnersche Reskript (demzufolge<br />
Kant den Zwiespalt zwischen privatem Denken und öffentlichem<br />
Aussprechen akzeptierte und sich auf den moralischem Standpunkt <strong>der</strong><br />
inneren Selbstbilligung zurückzog), auszutragen hatte und keine Anfeindung<br />
von seiten des Staates erlebte, so dass die Differenz seiner <strong>Philosophie</strong><br />
mit dem preußischen Staat verdeckt blieb. 357 Mit dieser <strong>für</strong> die Junghegelianer<br />
typischen Annahme <strong>der</strong> Akkommodation Hegels verkennt Ruge<br />
die Implikationen des absoluten Idealismus, die – wie oben dargestellt –<br />
prinzipiell einen Abschluss <strong>der</strong> Geschichte erfor<strong>der</strong>lich machen, insofern<br />
die Vollendung im Wissen des absoluten Geistes die Vollendung <strong>der</strong> geschichtlichen<br />
Praxis des objektiven Geistes voraussetzt.<br />
Nicht von Anfang an hat Ruge in den „Hallischen Jahrbüchern“ die Einseitigkeit<br />
<strong>der</strong> reinen Theorie überwinden wollen. Noch 1839 bedauert er<br />
zum Beispiel, dass die Schweiz, wo Strauß <strong>der</strong> Lehrstahl genommen wurde,<br />
vom „politischen Interesse verzehrt“ wird und man „überall dem Gewerbe,<br />
<strong>der</strong> Praxis, dem Leben das Primat“ gibt. 358 Er verteidigt in einer Rezension<br />
das spekulative System gegen die Hegelgegner Weiße, I. H. Fichte,<br />
Stahl, Braniß, K. Ph. Fischer, Krug und Bachmann, wobei er zwar schon<br />
die Methode <strong>der</strong> dialektischen Entwicklung hervorhebt, aber ihre Weiterführung<br />
– in Gestalt <strong>der</strong> „Entwicklung des einzelnen“ als „immer tiefere<br />
Fassung <strong>der</strong> Wahrheit“ – noch <strong>für</strong> vereinbar hält mit Hegels <strong>Philosophie</strong> im<br />
ganzen. 359 Ruge erstrebt in dieser Phase seiner Entwicklung. noch nicht<br />
die praktische Verwirklichung <strong>der</strong> Theorie. Das bestimmte Sollen bleibt<br />
vorerst diskreditiert. Die Aufgabe ist <strong>für</strong> ihn noch, das Bestehende zu er-
120<br />
kennen, „den Geist, also auch Religion und Staat zu erkennen, wie er ist<br />
und geworden ist, nicht wie er sein wird o<strong>der</strong> sein soll.“ 360 Hiermit übereinstimmend<br />
hatte er auch schon im Jahre 1836 in seiner Schrift „Neue<br />
Vorschule <strong>der</strong> Ästhetik“ – von Hinrichs in den „Hallischen Jahrbüchern“<br />
1838 rezensiert – das Komische ähnlich wie Vischer bestimmt als Selbstentgegensetzung<br />
des unendlichen Geistes als „lächerliches und lachendes<br />
Subjekt“, d, h. als Befreiung des unendlichen Geistes aus <strong>der</strong> Verstrickung<br />
ins Endliche und Unwahre.<br />
Ruges kontemplativer Einstellung entspricht in diesem Stadium seine<br />
Verherrlichung des preußischen Staates als Verkörperung des reformatorischen<br />
Prinzips <strong>der</strong> freiwilligen Entwicklung <strong>der</strong> Vernunft und als Erben<br />
<strong>der</strong> französischen Revolution. Von hier führt Ruges Weg in <strong>der</strong> politischen<br />
Kritik, inhaltlich gesehen, zum Liberalismus und Konstitutionalismus,<br />
wobei sich seine Einstellung zum Verhältnis von Theorie und Praxis wandelt,<br />
dann zum radikalen Demokratismus und – nach dem Scheitern <strong>der</strong><br />
achtundvierziger Revolution und <strong>der</strong> Gründung des „Europäischen demokratischen<br />
Komitees“ mit Mazzini und Ledru-Rollin in London – schließlich<br />
zum Nationalliberalismus und <strong>der</strong> Entgegennahme eines Ehrensoldes vom<br />
Bismarckschen Staat.<br />
Zunächst polemisiert Ruge (nach kleineren meist ästhetischliterarischen<br />
Artikeln wie die über die Düsseldorfer Malerakademie und<br />
über Heinrich Heine) anläßlich des Kölner Kirchenstreites in den „Hallischen<br />
Jahrbüchern“ sowohl gegen Joseph Görres und seine Schrift „Athanasius“<br />
als auch gegen dessen orthodox-protestantischen Gegner Heinrich<br />
Leo (<strong>der</strong> den Namen „Junghegelianer“ prägt) und dessen „Sendschreiben<br />
an Görres“, und zwar im Namen des<br />
Rationalismus und <strong>der</strong> Aufklärung – <strong>der</strong> neuen Aufklärung, die im Gegensatz<br />
zur alten geschichtlich verfahre – sowie in Anknüpfung an Hegels<br />
Auffassung <strong>der</strong> Reformation in dessen Vorlesungen über die Geschichte<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>. „Die feindlichen Gedanken <strong>der</strong> Reaktion lehnen sich auf<br />
1) gegen die Berechtigung des Verstandes und schreien darum gegen Aufklärung<br />
und Rationalismus; 2) sie lehnen sich auf gegen die deutsche Reformation,<br />
sowohl in ihrem Prinzipe als in ihrer Ausbildung, dem gegenwärtigen<br />
religiös-politischen Leben in Preußen... 3) sie lehnen sich auf ge-
121<br />
gen die Berechtigung <strong>der</strong> neuesten Geschichte, d. h. gegen die französische<br />
Revolution und die daraus entsprungenen Staatsbildungen...“ 361<br />
Als Leo die – <strong>für</strong> Strauß eintretenden – „Hallischen Jahrbücher“ des Atheismus<br />
(in Gestalt des Pantheismus) und <strong>der</strong> Neigung zur Revolution<br />
verdächtigt und die Regierung auffor<strong>der</strong>t, gegen das „Unkräuticht <strong>der</strong><br />
junghegelschen Rotte“ vorzugehen (und so das Problem <strong>der</strong> Aktualisierung<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> zur Polizeifrage macht) 362 , antwortet Ruge voller<br />
Illusion, Leo greife damit den preußischen Staat selbst an, <strong>der</strong> auf dem<br />
Boden <strong>der</strong> Reformation und Aufklärung stehe, eine freiheitliche Entwicklung<br />
– im Geiste Steins und Humboldts – garantiere und eine Revolution<br />
überflüssig und unmöglich mache. 363 Diese Gleichsetzung des preußischen<br />
Staates mit dem Vernunftstaat kommt am entschiedensten zum<br />
Ausdruck in <strong>der</strong> Marx gewidmeten Schrift von Karl Friedrich Köppen<br />
„Friedrich <strong>der</strong> Große und seine Wi<strong>der</strong>sacher“ (1840). Von hier führt eine<br />
Linie zur späteren These von <strong>der</strong> Mission des „preußischen Sozialismus“,<br />
wie sie schließlich Spengler vertritt und wie sie vorgebildet wurde durch<br />
Goethes Beurteilung Lessings im siebenten Buch von „Dichtung und<br />
Wahrheit“ und auch durch Lassalles Einschätzung Lessings und Friedrichs<br />
II. Auch noch 1839 in dem Manifest „Der Protestantismus und die<br />
Romantik. Zur Verständigung über die Zeit und ihre Gegensätze“ – das wie<br />
schon <strong>der</strong> Artikel über Heine 364 gegen den romantischen Rückzug in die<br />
substanzlose Innerlichkeit, in die rein gedankliche Freiheit, den ironischen<br />
Selbstgenuß, die Willkür <strong>der</strong> Phantasie und die aristokratische Exklusivität<br />
und somit gegen den romantischen Dualismus von Subjekt und Objekt,<br />
Denken und Sein, Theorie und Praxis gerichtet ist – ist Ruge nach<br />
eigenem Urteil „Hegelscher Preuße“ und „Hegelscher Christ“. 365 Aber in<br />
dem anonymen Artikel „Karl Streckfuß und das Preußentum“ (November<br />
1839) kritisiert Ruge erstmals desillusioniert – wie dann in <strong>der</strong> Fortsetzung<br />
des Manifests – die preußische Regierung als reaktionär und „katholisch“,<br />
als abgefallen vom Prinzip <strong>der</strong> protestantischen Freiheit und des Vernunftstaates.<br />
366 Damit vollzieht Ruge den Übergang von <strong>der</strong> philosophischreligiösen<br />
Problematik zur politischen Kritik 367 Nunmehr sieht er die Aufgabe<br />
<strong>der</strong> Kritik in <strong>der</strong> Beseitigung <strong>der</strong> Diskrepanz zwischen philosophischer<br />
Rationalität und politischer Wirklichkeit vermittels <strong>der</strong> Erzeugung<br />
des Entschlusses (<strong>der</strong> Resolution) zur liberalistischen Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong><br />
bestehenden unvernünftigen Zustände, <strong>der</strong> Inkonvenienz <strong>der</strong> Existenzen;
122<br />
das konkrete Ziel ist die Teilhabe am Staat „theoretisch mit vollem öffentlichen<br />
Selbstbewusstsein und praktisch mit freiester Vertretung.“ 368<br />
Bezeichnend bleibt, dass Ruge die liberalen For<strong>der</strong>ungen betrachtet als<br />
Ergebnis eines geistigen Prozesses, nicht etwa realer bürgerlicher Interessen.<br />
368a Nach dieser Wendung Ruges zur politischen Kritik arbeiten an<br />
den „Halleschen Jahrbüchern“ auch die Mitglie<strong>der</strong> des Berliner Doktorklubs,<br />
vor allem Karl Friedrich Köppen, Eduard Meyen und Bruno Bauer,<br />
in wachsendem Maße mit. 369<br />
Das Gegensatzpaar Protestantismus-Katholizismus ersetzt Ruge durch<br />
das des Konstitutionalismus-Absolutismus in den folgenden Artikeln über<br />
Wolfgang Menzels „Europa im Jahre 1840“ und „Friedrich von Florencourt<br />
und die Kategorien <strong>der</strong> politischen Praxis“, wobei er das Schicksal des Liberalismus<br />
in Europa an die Entscheidung Preußens entwe<strong>der</strong> <strong>für</strong> England<br />
und Frankreich o<strong>der</strong> <strong>für</strong> Rußland und Österreich knüpft. 370<br />
Wenn Ruge und an<strong>der</strong>en Junghegelianern vorgehalten wird, es werde<br />
fortwährend ein Standpunkt gegen einen an<strong>der</strong>en eingetauscht, so lässt<br />
sich dies mit dem dialektischen Taumel – <strong>der</strong> wesentlichen Negativität –<strong>der</strong><br />
Kritik erklären. Ruge selbst sagt in seinem „Gegenmanifest“, betitelt „Die<br />
wahre Romantik und <strong>der</strong> falsche Protestantismus“: „Die Jahrbücher haben<br />
gesagt, die Kritik sei frei, ein Standpunkt fresse den an<strong>der</strong>en auf; gut, wir<br />
wollen die Probe machen. Wir sind ein neuer Standpunkt, eine neue Negation<br />
in dem unaufhörlichen Veitstanz des Negierens.“ 371<br />
Durch Feuerbachs Einfluss nämlich sieht Ruge jetzt seine politische<br />
Kritik unter dem Gesichtspunkt des Humanismus, dessen Inhalt er als<br />
Volkssouveränität und Atheismus bestimmt und mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach<br />
<strong>der</strong> Revolution verbindet (indem zugleich die Angriffe gegen den im Februar<br />
1841 nach Berlin berufenen Schelling verschärft werden). Der Protestantismus<br />
wird jetzt ebenfalls zur reaktionären Romantik gerechnet, die<br />
„in <strong>der</strong> Qual <strong>der</strong> Erde“ wurzele 372 , und das Christentum überhaupt wird<br />
polemisch behandelt (nachdem Ruge Feuerbach zunächst als „richtigen<br />
Ausleger <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>“ missverstanden hat 373 ).<br />
Es zeigt sich: die Erfahrung <strong>der</strong> Unwirklichkeit und Ohnmacht seiner<br />
Kritik, d. h. die Erfahrung, dass die bestehenden politischen Verhältnisse<br />
vermittels <strong>der</strong> Kritik nicht zu än<strong>der</strong>n sind, führt Ruge nicht zu einer Neu-
123<br />
orientierung in Gestalt einer prinzipiellen Revision des Verhältnisses von<br />
Theorie und Praxis, son<strong>der</strong>n zu einer graduellen Modifikation, nämlich zu<br />
einer jedesmal radikaleren Fassung <strong>der</strong> gedanklichen Kritik, verstanden<br />
als Fortschritt des Bewusstseins und <strong>der</strong> Selbsterkenntnis. Dabei entgeht<br />
Ruge, dass sich seine Kritik auf diese Weise immer weiter isoliert, und die<br />
Möglichkeit des Einwirkens verringert wird.<br />
Im Vorwort zum letzten Jahrgang <strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“, betitelt;<br />
„Eine Selbstkritik des Liberalismus“ erteilt Ruge den Liberalen eine Absage.<br />
Die deutsche „Einheit sowohl als alle Arten <strong>der</strong> Freiheit“ sind ungelöste<br />
Probleme geblieben; Ruge geht über zu den „radikalen Demokraten“; er<br />
for<strong>der</strong>t die „Auflösung des Liberalismus in Demokratismus“. 374 Ruges<br />
Haupteinwand gegen den Liberalismus ist, dass dieser sich zu keiner<br />
praktisch tätigen Partei formiert habe (in dieser Zeit gibt es in Preußen überhaupt<br />
keine politischen Parteien) und dass seine Anhänger noch nicht<br />
einmal gegen die staatlichen Zensurmaßnahmen aufbegehrten, son<strong>der</strong>n<br />
dass er passiv, „in <strong>der</strong> Theorie stecken geblieben“ sei und auf dem Standpunkt<br />
<strong>der</strong> inneren reformatorischen Freiheit verharre. „Seit die Deutschen<br />
die Politik über das Denken, die Praxis über die Theorie, die äußere Welt<br />
über die innere vergessen haben, seit <strong>der</strong> Reformation sind sie im Politischen<br />
gedankenlos geworden.“ 375 Eine Tradition radikaldemokratischer<br />
Politik zwischen Liberalismus und Sozialismus kommt nach dem Scheitern<br />
<strong>der</strong> achtundvierziger Revolution in Deutschland im Gegensatz zu Frankreich<br />
nicht zustande.<br />
Ruge hebt als praktische Probleme hervor die Bildung einer Volksmiliz<br />
an Stelle des stehenden Heeres (in <strong>der</strong> Frankfurter Nationalversammlung<br />
stellt er einen Antrag auf allgemeine Abrüstung und Gründung eines europäischen<br />
Völkerbundes), Bildung einer Volksregierung und Volksjustiz<br />
sowie einer gegen die „Überbildung“ gerichteten Volkserziehung, die den<br />
„Pöbel“ absorbieren und damit zugleich „die furchtbare Frage des Kommunismus“<br />
ohne gewaltsamen Umsturz lösen solle. 376 Ohne dass Ruge sich<br />
hier auf Feuerbach bezieht, versucht er mit diesem „Demokratismus“ doch<br />
offensichtlich, Feuerbachs „Humanismus“ und Vorstellung vom harmonischen<br />
Gattungsleben o<strong>der</strong> Gemeinwesen zu konkretisieren, die ebenfalls<br />
gegen den Liberalismus gerichtet sind und in <strong>der</strong>en Nähe sich deshalb
124<br />
auch zunächst <strong>der</strong> – im moralischen Sinne als Altruismus gefasste – utopische<br />
Kommunismus rücken lässt.<br />
So kann Ruge auf Cabets Frage nach seiner Stellung zum Kommunismus<br />
antworten: „diese praktische Frage des Humanismus“ liege ihm zwar<br />
noch fern, aber im Prinzip sei er mit ihm einig und halte auch den „wirklichen<br />
Menschen“ <strong>für</strong> den Zweck <strong>der</strong> Gesellschaft. 377 Dementsprechend versucht<br />
Ruge nach dem Verbot <strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“, die französischen<br />
Kommunisten und Sozialisten wie Cabet, Lamennais, Lamartine<br />
und Considérant als Mitarbeiter zu gewinnen an den „Deutsch-<br />
Französischen Jahrbüchern“, als <strong>der</strong>en Ziel er im „Plan“ angibt die Vereinigung<br />
von Denken und Handeln, <strong>Philosophie</strong> und Politik durch die Allianz<br />
<strong>der</strong> theoretischen Deutschen und <strong>der</strong> praktischen Franzosen 378 ; er<br />
scheitert allerdings an dem Vorbehalt gegenüber dem Atheismus.<br />
Aber schnell wird sich Ruge des Gegensatzes zu den Kommunisten bewusst,<br />
insofern <strong>für</strong> ihn die menschliche Gesellschaft, hervorgebracht<br />
durch befreiende Arbeit, eine bürgerliche bleibt (in Anknüpfung an den §<br />
190 <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie 379 ), und er die Aufhebung des Privateigentums<br />
ablehnt, da es das unmittelbare Interesse des Arbeitenden<br />
an seiner Tätigkeit und seine Selbstbestimmung garantiere. 380<br />
Infolgedessen gerät er in Konflikt mit Moses Heß, <strong>der</strong> die soziale Entfremdung<br />
<strong>für</strong> fundamentaler hält als die politische und das Privateigentum<br />
beseitigt wissen will. 381<br />
Vom Standpunkt seines Humanismus verwirft Ruge auch den Egoismus<br />
Stirners als eine hochmütige theoretische Täuschung, die als solche<br />
durch die Praxis augenfällig werde, insofern diese die Existenz und den<br />
Wi<strong>der</strong>stand an<strong>der</strong>er Menschen zu berücksichtigen zwinge. 38la<br />
Schließlich führt Ruges Beharren auf <strong>der</strong> politisch-bürgerlichen Position<br />
nach kurzer Zusammenarbeit an den „Deutsch-Französischen-<br />
Jahrbüchern“ zu dem Bruch mit Marx (und Bakunin) 382 , <strong>der</strong> sich beson<strong>der</strong>s<br />
in den unterschiedlichen Stellungnahmen zum Weberaufstand in dem<br />
Pariser „Vorwärts“ bekundet: Ruge misst in dem Artikel „Der König von<br />
Preußen und die Sozialreform“ dem Weberaufstand nur lokale Bedeutung<br />
zu (ohne Tragweite hinsichtlich <strong>der</strong> Emanzipation des Proletariats) und<br />
erblickt die Wurzel des Elends in dem Egoismus und „<strong>der</strong> heillosen Isolie-
125<br />
rung <strong>der</strong> Menschen von dem Gemeinwesen“ (d. h. hier dem Staatswesen).<br />
Er propagiert wie Julius Fröbel (<strong>der</strong> im „Literarischen Comptoir“ die von<br />
Ruge herausgegebenen Anekdota zur neuesten <strong>Philosophie</strong> und Publizistik“<br />
und die von Herwegh herausgegebenen „Einundzwanzig Bogen aus <strong>der</strong><br />
Schweiz“ verlegt) die Beseitigung des Elends vermittels politischer Erziehung<br />
und politischer Organisation: „Eine Sozialrevolution ohne politische<br />
Seele (d. h. ohne die organisierende Einsicht vom Standpunkt des Ganzen<br />
aus) ist unmöglich.“ 383<br />
Kurz vorher hat Ruge auch versucht, Marx’ weitergehende – auf den<br />
Klassenstandpunkt des proletarischen Sozialismus übergehende – Kritik<br />
an <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft in den Abhandlungen „Zur Judenfrage“<br />
und „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie, Einleitung“, die in den<br />
gemeinsam herausgegebenen „Deutsch-Französischen-Jahrbüchern“ erschienen,<br />
mit seinem eigenen bürgerlich politischen Humanismus zu harmonisieren<br />
384 , wovon sich Marx darauf unmissverständlich distanziert in<br />
den „Kritischen Randglossen zu dem Artikel ,Der König von Preußen und<br />
die Sozialreform‘“ mit dem Aufweis <strong>der</strong> Notwendigkeit <strong>der</strong> Analyse und <strong>der</strong><br />
Än<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt, dass politischer<br />
Verstand, politische Energie und politisch-administrative Maßnahmen<br />
unmöglich das soziale Elend beseitigen können.<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> Methode zur Durchsetzung des wahren Inhalts, des<br />
Humanismus und Demokratismus, geht Ruge schließlich nicht hinaus über<br />
eine Verbindung <strong>der</strong> Kritik mit <strong>der</strong> Bildung und Erziehung. Das heißt:<br />
er erwartet, dass die praktische Gesellschaftsreform auf bürgerlicher<br />
Grundlage als Verwirklichung des theoretischen Humanismus – die Beseitigung<br />
des entfremdenden inhumanen Egoismus sowie auch des Patriotismus<br />
385 , die Vermenschlichung <strong>der</strong> Existenz und die Emanzipation des<br />
Menschen – primär erfolgt auf dem Wege über Bildung und Erziehung des<br />
Volkes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Masse“, die Ruge zwar im Gegensatz zu Marx undifferenziert<br />
lässt, aber nicht wie Bruno Bauer als Wi<strong>der</strong>sacher des Geistes ansieht.<br />
386 „Ein Volk ist nicht eher frei, als bis es die <strong>Philosophie</strong> zum Prinzip<br />
seiner Entwicklung macht; und es ist die Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, das<br />
Volk zu dieser Bildung zu erheben.“ 387 Mit <strong>der</strong> Ausrichtung auf Bildung<br />
und Erziehung als Weg <strong>der</strong> Umgestaltung des menschlichen Lebens steht<br />
dieser politische Humanismus in <strong>der</strong> Tradition des ästhetischen Huma-
126<br />
nismus <strong>der</strong> deutschen Klassik, wobei zwar die Grenzen des Ästhetischen,<br />
aber nicht die <strong>der</strong> Erziehung erkannt werden. 388
127<br />
VI. Bauers skeptizistische Konzeption <strong>der</strong> reinen Kritik als Funktion<br />
des menschlichen Selbstbewusstseins und Negation seiner Objektivationen<br />
Nachdem sich im Gefolge <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“<br />
und <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“ am Anfang des Jahres 1843 die<br />
Junghegelianer endgültig gespaltet haben, sieht Bruno Bauer den entscheidenden<br />
Gegensatz zu Ruge in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Negativität o<strong>der</strong> <strong>der</strong> dialektischen<br />
Radikalität, Rücksichtslosigkeit und Unversöhnlichkeit, d. h.<br />
<strong>der</strong> Voraussetzungslosigkeit und Reinheit <strong>der</strong> Kritik: Ruge verharre mit<br />
seiner For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> zukünftigen praktischen Entwicklung im Sinne des<br />
Liberalismus o<strong>der</strong> des Humanismus und Demokratismus noch konzessionsbereit<br />
– nur von den schon vorhandenen positiven Ansätzen aus ins<br />
Unbeschränkte gehend – auf dem Boden <strong>der</strong> bekämpften Macht (vor allem<br />
des Staates), anstatt mit ihr zu brechen und sich über ihre Voraussetzungen<br />
zu erheben: „Die For<strong>der</strong>ung dagegen, die aus <strong>der</strong> Theorie in die Praxis,<br />
aus <strong>der</strong> ‚Sphäre <strong>der</strong> Abstraktion‘ in die Öffentlichkeit, aus <strong>der</strong> Wissenschaft<br />
ins Leben, aus <strong>der</strong> Schule zum Staate tritt, hält sich an die Voraussetzungen<br />
<strong>der</strong> Macht, auf <strong>der</strong>en Gebiet sie sich begibt, und geht so weit –<br />
weiter kann sie aber als For<strong>der</strong>ung nichts tun – dass sie diese Voraussetzungen<br />
zu religiösen Mächten erhebt.“ 389 Hiermit gibt Bauer Ruge zugleich<br />
den Vorwurf zurück, Theologe geblieben zu sein 390 .<br />
In <strong>der</strong> Tat bezeichnet Bauer damit – und d. h. mit dem Anspruch, dass<br />
die Kritik als „neue Form des Bewusstseins auch in sich selbst und durch<br />
sich selbst bereits eine neue geschichtliche Existenz“ sei 391 – einen Differenzpunkt,<br />
und zwar nicht nur zwischen sich und Ruge, son<strong>der</strong>n zwischen<br />
allen Berliner „Freien“ einerseits und Ruge, Heß, Engels und Marx an<strong>der</strong>erseits<br />
nach <strong>der</strong> Spaltung.<br />
Bauers radikale Abwendung von dem Bestehenden und seine Bestimmung<br />
des Verhältnisses <strong>der</strong> Kritik zu den Mächten <strong>der</strong> Vergangenheit und<br />
Gegenwart nicht als aufhebende und bewahrende Erbschaft, son<strong>der</strong>n als<br />
abgründige Bindungslosigkeit, entspringt seiner Enttäuschung darüber,<br />
dass das Volk und die Liberalen gegen die unterdrückenden Regierungsmaßnahmen<br />
(seit <strong>der</strong> Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV.) nicht aufbegehrten.<br />
392
128<br />
Beruhigende Selbsttäuschung ist es, wenn Bauer dabei so weit geht,<br />
Einheit und Einverständnis von Regierung und Volk zu supponieren, und<br />
wenn er – ein Jahr vor <strong>der</strong> Revolution – behauptet, die liberalen und radikalen<br />
Theorien wären im Krisenjahr l843 schon in die Praxis und Objektivität<br />
umgesetzt worden: „Der Bürger hatte sich in diesen Monaten auf den<br />
Kampfplatz begeben, um die Praxis, welche Ruge bisher nur for<strong>der</strong>te, ins<br />
Leben zu setzen... Seine For<strong>der</strong>ung enthielt weiter nichts, als was die<br />
‚Masse <strong>der</strong> Menschen‘, Regierungen und Volksvertreter for<strong>der</strong>ten und verlangten<br />
– Hingabe an den Staat – Teilnahme an <strong>der</strong> Phrase des Allgemeinen...“<br />
393<br />
Im Scheitern <strong>der</strong> Bestrebungen <strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“ kann Bauer<br />
eine Selbstbestätigung seines kritischen Standpunkts sehen, <strong>der</strong> von<br />
<strong>der</strong> wie<strong>der</strong> erstarkenden Reaktion praktisch unangetastet (und nicht korrumpiert)<br />
bleibt, wenn auch nur insofern, als er Opposition ohne bestimmte<br />
Position ist, d. h. als seine Kritik – ohne Zugeständnisse an das Bestehende<br />
und Gegebene zu machen. und infolgedessen ohne zu partizipieren<br />
und parteilich einzugreifen – sich von vornherein über die politische und<br />
soziale Wirklichkeit hinweg setzt und in ihrer Isolierung gar nicht verwickelt<br />
werden kann. Bauers sozial-politische Abstinenz o<strong>der</strong> Kontaktlosigkeit<br />
ist teilweise vorweg genommen in Hegels Charakterisierung des vor<br />
den Objekten fliehenden sich vergeblich auflehnenden Ritters Don Quichotte,<br />
„dem es im Kampfe allein darum zu tun ist, sein Schwert blank zu<br />
erhalten.“<br />
Diese extrem antidogmatische und antiautoritäre Kritik, diese Position<br />
<strong>der</strong> absoluten Verweigerung, <strong>der</strong> „hochmütigen“ Unwillfährigkeit, <strong>der</strong> unerschütterlichen<br />
Desintegration (auf die kein Schatten des Opportunismus<br />
fallen kann und die keine Gefahr laufen kann, sich von einer parteilichen<br />
Gruppe absorbieren und sich von ihr die subjektive Verantwortlichkeit abnehmen<br />
zu lassen), kulminiert in <strong>der</strong> von Bauer vom Dezember 1843 bis<br />
zum Oktober 1844 herausgegebenen „Allgemeinen Literatur-Zeitung“. In<br />
ihr heißt es von <strong>der</strong> Kritik: „Die Kritik macht keine Partei, will keine Partei<br />
<strong>für</strong> sich haben, sie ist einsam, indem sie sich in ihren Gegenstand vertieft,<br />
einsam, indem sie sich ihm gegenüberstellt. Sie löst sich von allem ab. Jede<br />
gemeinsame Voraussetzung, die zur Bildung einer Partei immer notwendig<br />
ist, würde sie als feindseliges Dogma betrachten, wenn sie, wie es
129<br />
innerhalb einer Partei nötig ist, sich gehin<strong>der</strong>t sehen sollte, dieselbe zu kritisieren<br />
und aufzulösen.“ 394<br />
Die unversöhnliche Ablösung von den Voraussetzungen – <strong>der</strong> absolute<br />
Hiat zu dem Gegebenen – heißt zunächst, dass diese kritische Theorie sich<br />
we<strong>der</strong> mit positivistischen Protokollsätzen und Deskriptionen begnügt<br />
noch ihre Zielsetzungen aus vorhandenen Tendenzen, den inneren Wi<strong>der</strong>sprüchen,<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung - durch Unterscheiden, „krinein“,<br />
o<strong>der</strong> Auseinan<strong>der</strong>spalten, „discutio“, des unmittelbar Gegebenen –<br />
zu gewinnen sucht.<br />
Zugleich stellt diese Kritik damit – noch eindeutiger als bei Strauß und<br />
Ruge – eine Umformung <strong>der</strong> Hegelschen spekulativen affirmativen Dialektik<br />
zu einer analytischen negativen Dialektik dar (wie sie heute in vergleichbarer<br />
Weise von Adorno erneuert wird 395 ): das Resultat <strong>der</strong> Kritik ist<br />
jeweils die bloße, abstrakte Negation, die Vernichtung des Positiven, d, h.<br />
die Negation enthält das Positive, von dem sie ausgeht, nicht aufgehoben<br />
in sich, so dass es als überwundenes noch wahr bliebe; die Negation ist<br />
nicht von <strong>der</strong> Qualität des jeweils Negierten affiziert und affirmativ determiniert,<br />
son<strong>der</strong>n bleibt ausschließlich die Präposition eines „Anti-“. Daher<br />
ist die Kritik nicht wie die Spekulation die affirmative Synthese, die konkrete<br />
Vermittlung <strong>der</strong> entgegengesetzten Momente zur Totalität.<br />
Hegel anerkennt diese negative Dialektik als eine berechtigte, wenn<br />
auch einseitige Form seiner Versöhnungsphilosophie und kennzeichnet sie<br />
in Hinblick auf die „vollkommene Verzweiflung an allem Festen des Verstanden<br />
und die sich daraus ergebende Gesinnung... <strong>der</strong> Unerschütterlichkeit<br />
und des Insichberuhens“ als Skeptizismus. 396 Bauer verselbständigt<br />
also die skeptische Seite <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik. Wie sich zeigen<br />
wird, schließt sich Bauers Kritik dem Skeptizismus auch noch in an<strong>der</strong>er<br />
Hinsicht an.<br />
Dabei ist <strong>für</strong> Bauer die skeptizistische negative Dialektik die Form nicht<br />
nur <strong>der</strong> subjektiven Kritik, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> objektiv-kritischen Geschichtsentwicklung.<br />
Edgar Bauer gibt die Ansicht seines Bru<strong>der</strong>s Bruno<br />
wie<strong>der</strong>: „Auch das Christentum. war nichts als ein gewaltiger Vernichtungskampf,<br />
den ein neues Prinzip gegen die alte Welt anhub. Und die<br />
französische Revolution? Die Geschichte kennt kein ähnliches Beispiel einer<br />
urplötzlicheren, mächtigeren Erschütterung und Neubelebung <strong>der</strong>
130<br />
Menschheit. So ist denn gewiss, dass jedes Prinzip, welches neu auftritt in<br />
<strong>der</strong> Weltgeschichte, vandalisch ist.“ 397 Diese negative Dialektik kann aber<br />
nicht die weltgeschichtliche Kontinuität erklären.<br />
Dass die Kritik Bauers nicht anknüpft an das Bestehende und sich<br />
nicht parteilich einlässt auf das objektiv Vorliegende ist gleichbedeutend<br />
mit ihrem Rückgang ins Subjekt, gefasst als Selbstbewusstsein. Diesen<br />
kritischen Rückgang ins Selbstbewusstsein versteht Bauer als Negation<br />
<strong>der</strong> Religion, des christlichen Staates und <strong>der</strong> „Masse“ in <strong>der</strong> Gesellschaft;<br />
denn sie sind <strong>für</strong> ihn Entfremdungen des allgemeinen menschlichen<br />
Selbstbewusstseins.<br />
Das Selbstbewusstsein gilt ihm als „die wahrhafte causa sui“, die „die<br />
Welt, den Unterschied setzt und in dem, was es hervorbringt, sich selbst<br />
hervorbringt“ und „den Unterschied des Hervorgebrachten von ihm selbst<br />
wie<strong>der</strong> aufhebt.“ 398<br />
Dementsprechend hat <strong>für</strong> Bauer die subjektive Kritik die Fiktion, die<br />
das Selbstbewusstsein in seiner geschichtlichen objektiv-kritischen negativ-dialektisch<br />
fortschreitenden Entwicklung beschränkenden, hemmenden<br />
und unfrei machenden partiellen Objektivationen seiner selbst – das<br />
Bestehende, Substantielle, Positive – zu destruieren und zu „liquidieren“.<br />
Spirituelle Tätigkeit überwindet materielle Wi<strong>der</strong>stände, wenn diese ihre<br />
eigenen Manifestationen sind und wenn sie nicht bloß illegitim vorher in<br />
gedankliche, innere Wi<strong>der</strong>stände verflüchtigt werden, was Marx gegen<br />
Bauer in <strong>der</strong> „Heiligen Familie“ einwendet.<br />
Voraussetzung dieser Bauerschen Konzeption <strong>der</strong> Kritik ist die Umdeutung<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> des absoluten Geistes zur <strong>Philosophie</strong> des<br />
menschlichen Selbstbewusstseins (und damit die Verabsolutierung <strong>der</strong><br />
Geschichte). Unter <strong>der</strong> Kapitelüberschrift „Das Gespenst des Weltgeistes“<br />
zeigt Bauer – in orthodox pietistischer Maske – in <strong>der</strong> Schrift „Die Posaune<br />
des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen“, an <strong>der</strong><br />
noch Marx mitgearbeitet hat, dabei die Tendenz zur philosophiegeschichtlichen<br />
Harmonisierung: <strong>der</strong> Weltgeist, <strong>der</strong> „seine Wirklichkeit im Menschengeiste“<br />
und „kein Reich <strong>für</strong> sich, keine Welt, keinen Himmel <strong>für</strong> sich“<br />
hat, wäre nach Bauer „nur ein Bild, welches <strong>der</strong> Philosoph zuweilen aufstellt<br />
und dem er dann die Attribute <strong>der</strong> Göttlichkeit... schenkt. Der Philo-
131<br />
soph weiß aber recht gut, dass dieses Bild nur das Selbstbewusstsein darstellt...“<br />
399 Damit umgeht Bauer die Notwendigkeit, die Feuerbach und<br />
Marx zum Programm erheben, die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> zu überwinden.<br />
Unter an<strong>der</strong>em vermeidet Bauer in seiner Harmonisierungstendenz, ernsthaft<br />
daran Anstoß zu nehmen, dass Hegel beansprucht, die <strong>Philosophie</strong> im<br />
wesentlichen systematisch zum Abschluss gebracht zu haben. Seine Differenz<br />
zu Hegel kann Bauer zu verdecken suchen, insofern er mit ihm übereinstimmt<br />
in <strong>der</strong> Auflösung <strong>der</strong> Substantialität o<strong>der</strong> Objektivität in die<br />
Subjektivität. Aber <strong>der</strong> wesentliche Unterschied bleibt: Hegel nimmt die<br />
Substanz ins absolute Selbstbewusstsein hinein, Bauer ins menschliche<br />
allgemeine Selbstbewusstsein. Im Gegensatz zu Bauer anerkennt Hegel<br />
gegenüber dem menschlichen Selbstbewusstsein durchaus die substantielle,<br />
objektive Realität.<br />
Bauers Eliminierung <strong>der</strong> spinozistischen Seite des Hegelschen Systems,<br />
sein abstraktes Herauslösen des Fichteschen Moments und damit sein eigener<br />
Rückgang auf Fichte wird deutlich, wenn er Hegels Stellung zu Fichte<br />
so beurteilt, als wäre Hegel nicht über Fichte hinaus gegangen und als<br />
hätte Hegel eine Überwindung Fichtes nicht als notwendig angesehen:<br />
„Endlich aber kommt <strong>der</strong> Philosoph in seiner Heimat, dem Selbstbewusstsein<br />
an, nachdem ihm Fichte alle Wirklichkeit, die es außer dem Selbstbewusstsein<br />
gibt, zerstört hat... Wenn <strong>der</strong> Spinozismus ihm als <strong>der</strong> notwendige<br />
Anfang <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> galt, so nun die Fichtesche Auffassung des Ich<br />
als die Vollendung...“ 400<br />
Die Hauptabsicht Bauers – beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> „Posaune“ – ist, die Transzendenz<br />
zu zerstören, d. h. <strong>der</strong> Religion den Objektivitätscharakter zu<br />
nehmen, indem sie als Schöpfung des menschlichen Selbstbewusstseins<br />
behandelt wird. In diesem Zusammenhang deutet er Hegels Religionsphilosophie<br />
als Atheismus, insofern <strong>für</strong> Hegel „das religiöse Verhältnis nichts<br />
als ein inneres Verhältnis des Selbstbewusstseins zu sich selber ist und<br />
alle jene Mächte, die als Substanz o<strong>der</strong> als absolute Idee von dem Selbstbewusstsein<br />
noch unterschieden zu sein scheinen, nichts als die eigenen<br />
in <strong>der</strong> religiösen Vorstellung nur objektivierten Momente desselben<br />
sind.“ 401 Um also die transzendenten Objekte <strong>der</strong> Religion zu zerstören,<br />
zerstört Bauer die Objektivität überhaupt. Kein Gegenstand übersteigt <strong>für</strong><br />
Bauer den Gedanken; <strong>der</strong> Gedanke bleibt souverän und die Dialektik im-
132<br />
manent; in diesem Sinne dominiert die Identität trotz <strong>der</strong> (unausdrücklichen)<br />
Negation des Hegelschen allumfassenden stillstellenden Systems.<br />
Dass bei Hegel <strong>der</strong> subjektive Geist vom objektiven Geist abhängig ist<br />
und <strong>der</strong> objektive Geist die jeweils bestehende substantielle – beschränkte<br />
und damit wi<strong>der</strong>sprüchliche – Gestalt aufhebt zugunsten einer neuen höheren<br />
Gestalt und die <strong>Philosophie</strong> jeweils <strong>der</strong>en adäquater Ausdruck ist,<br />
verwandelt Bauer mit dem Fallenlassen <strong>der</strong> Objektivität und ihrem<br />
Verschwindenlassen in die Identität des Selbstbewusstseins dahin, dass<br />
<strong>der</strong> subjektive Geist und die <strong>Philosophie</strong> selbst die bestimmten Gestalten –<br />
mittels <strong>der</strong> Kritik – angreifen und negieren und so den Fortschritt bewerkstelligen.<br />
Auf Grund dieser Umwandlung geht es Bauer noch unmittelbarer als<br />
Hegel um den geschichtlichen Fortschritt des Bewusstseins <strong>der</strong> Freiheit,<br />
so dass er (in einer Rezension von Schriften zur Judenemanzipation in <strong>der</strong><br />
„Allgemeinen Literatur-Zeitung“) sagen kann: „Die Theorie muss wachsen,<br />
um ausgeführt zu werden, um sicher ihre Ausführung zu finden o<strong>der</strong> vielmehr:<br />
um sie zu gebieten! – So weit die Juden jetzt in <strong>der</strong> Theorie sind, so<br />
weit sind sie emanzipiert, so weit sie frei sein. wollen, so weit sind sie es. –<br />
Wachst in <strong>der</strong> Theorie, und ihr werdet in <strong>der</strong> Praxis stärker sein! Habt einen<br />
höhern Begriff von <strong>der</strong> Freiheit, und ihr werdet in <strong>der</strong> Freiheit Fortschritte<br />
machen.“ 402<br />
Mit Hilfe einer Äquivokation von subjektivem und objektivem Geist unterschiebt<br />
Bauer Hegel seine eigene subjektivistische Auffassung von <strong>der</strong><br />
Funktion <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong>: wenn Hegel in <strong>der</strong> Einleitung zu seinen<br />
Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (in Hinblick auf den<br />
geschichtlichen Ursprung des Bedürfnisses des <strong>Philosophie</strong>rens) sagt, dass<br />
<strong>der</strong> Geist es ist, <strong>der</strong> „diese substantielle Weise <strong>der</strong> Existenz, diese Sittlichkeit,<br />
diesen Glauben angreift, wankend macht“ 403 , so spricht Hegel eindeutig<br />
von dem objektiven „Geist eines Volkes“ (<strong>der</strong> sich „aus <strong>der</strong> gleichgültigen<br />
Dumpfheit des ersten Naturlebens herausgearbeitet hat“). Bauer aber<br />
folgert daraus verzerrend: „...dann ist es ja die <strong>Philosophie</strong>, welche diesen<br />
Angriff ausführt und die ‚Periode des Ver<strong>der</strong>bens‘ herbeiführt.“ 404<br />
Allerdings scheint Bauer sich <strong>für</strong> diese Auffassung von <strong>der</strong> mäeutischaktivierenden<br />
Rolle <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, die nicht „Eule <strong>der</strong> Minerva“ ist, auch<br />
auf Hegel berufen zu, können, wenn dieser ausführt, dass das philosophi-
133<br />
sche Wissen – dem Inhalt nach <strong>der</strong> Gedanke seiner Zeit, <strong>der</strong> Form nach<br />
über seiner Zeit – das Sichselbstwissen des Geistes ist, und so „<strong>der</strong> formelle<br />
Unterschied auch ein realer wirklicher Unterschied (ist). Dies Wissen ist<br />
es dann, was eine neue Form <strong>der</strong> Entwicklung hervorbringt; die neuen<br />
Formen sind nur Weisen des Wissens. Durch das Wissen setzt <strong>der</strong> Geist<br />
einen Unterschied zwischen das Wissen und das, was ist; dies enthält wie<strong>der</strong><br />
einen neuen Unterschied, und so kommt eine neue <strong>Philosophie</strong> hervor.<br />
Die <strong>Philosophie</strong> ist also schon ein weiterer Charakter des Geistes; sie ist<br />
die innere Geburtsstätte des Geistes, <strong>der</strong> später zu wirklicher Gestaltung<br />
hervortreten wird.“ 405<br />
Hegel sagt also gar nicht – im Gegensatz zu Bauers und auch Löwiths 406<br />
Interpretation –, dass die <strong>Philosophie</strong> außer einer neuen Form selbst ebenfalls<br />
einen neuen Inhalt hervorbringt (den sie gedanklich in sich trägt und<br />
antizipiert auch da, wo sie in „ein an<strong>der</strong>es Land des selbstbewussten Geistes“<br />
ohne schon entsprechende Wirklichkeit übergeht); und wenn auch das<br />
philosophische Wissen gegenüber dem Bestehenden von Hegel „ein realer<br />
wirklicher Unterschied“ genannt wird, so ist diese Realität des Wissens<br />
doch in einem an<strong>der</strong>en Sinne zu verstehen als die Realität <strong>der</strong> wirklichen<br />
Gestalten des objektiven Volksgeistes.<br />
Gegenüber Bauers Ableitung seiner subjektiv-idealistischen Konzeption<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> als Kritik des Bestehenden und Motor <strong>der</strong> Geschichtsbewegung<br />
– als Entgegensetzung von Wissen und Wirklichkeit, Subjekt und<br />
Substanz, Sollen und Sein – aus <strong>der</strong> Hegelschen Bestimmung des Verhältnisses<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> zu an<strong>der</strong>en Gestaltungen einer Stufe des Geistes<br />
müssen Hegels eindeutige Worte zitiert werden: „Das Verhältnis <strong>der</strong> politischen<br />
Geschichte, Staatsverfassungen, Kunst, Religion zur <strong>Philosophie</strong><br />
ist... nicht dieses, dass sie Ursachen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> wären, o<strong>der</strong> umgekehrt,<br />
diese <strong>der</strong> Grund von jenen, son<strong>der</strong>n sie haben vielmehr alle zusammen<br />
eine und dieselbe gemeinschaftliche Wurzel, den Geist <strong>der</strong><br />
Zeit.“ 407 Im Gefolge <strong>der</strong> Auflösung des absoluten Geistes in den menschlichen<br />
Geist und des objektiven Geistes in den subjektiven kritischen Geist<br />
werden <strong>für</strong> Bauer die Philosophen „die wahren, die einzig gefährlichen,<br />
weil die konsequentesten und rücksichtslosen Revolutionäre.“ 408 Dementsprechend<br />
sieht er die Aufgipfelung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> in <strong>der</strong><br />
Kontemplation nicht als zu überwindenden Mangel an, son<strong>der</strong>n er be-
134<br />
hauptet, dass Hegels Theorie schon „in ihr selber und, darum die gefährlichste,<br />
umfassendste und zerstörendste Praxis (war). Sie war die Revolution<br />
selber.“ 409<br />
Diese Auffassung von <strong>der</strong> praktisch-revolutionierenden Rolle <strong>der</strong> Theorie<br />
bekundet sich ebenfalls in einem Brief an Marx: „Es wäre Unsinn, wenn<br />
Du Dich einer praktischen Carriere widmen wolltest. Die Theorie ist jetzt<br />
die stärkste Praxis, und wir können noch gar nicht voraussagen, in wie<br />
großem Sinne sie praktisch werden wird“. 410<br />
So ist es konsequent, wenn Bauer auch die Aufklärungsphilosophie als<br />
Ursache <strong>der</strong> französischen Revolution ansieht. Seine Deutung <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Stellung zur französischen Aufklärung deckt aber nur wie<strong>der</strong>um eine<br />
Hauptquelle seiner eigenen Anschauungen auf. Wenn Hegel zum Beispiel<br />
sagt: „Was in den französischen philosophischen Schriften, die in<br />
dieser Hinsicht wichtig sind, bewun<strong>der</strong>ungswürdig ist, ist diese erstaunliche<br />
Energie und Kraft des Begriffs gegen die Existenz, gegen den Glauben,<br />
gegen alle Macht <strong>der</strong> Autorität seit Jahrtausenden“ 411 , so will er damit nur<br />
die eine (negative) Seite <strong>der</strong> Aufklärungsphilosophie charakterisieren. Indem<br />
aber Bauer diese Feststellung eklektisch aufgreift und ummünzt zu<br />
Hegels vorbehaltloser „Bewun<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Franzosen und Verachtung gegen<br />
die Deutschen“ 412 , übergeht er, dass Hegel bestrebt ist, die Aufklärungsphilosophie<br />
als einseitigen Rationalismus, formelle Verstandesherrschaft<br />
und zertrümmernden „Fanatismus des abstrakten Gedankens“ in einer<br />
wahren Versöhnung <strong>der</strong> Gegensätze zu überwinden. Ähnlich dokumentiert<br />
sich in Bauers Interpretation, nach Hegels Ansicht müsse „die Kirche gegen<br />
den Staat untergehen“ 413 seine eigene Erwartung, die er an die Bekämpfung<br />
<strong>der</strong> Kirche knüpft, während dagegen Hegel als Aufgabe des<br />
Staates ansieht, „von allen seinen Angehörigen zu for<strong>der</strong>n, dass sie sich zu<br />
einer Kirchengemeinde halten.“ 414<br />
Indem Bauer den Prozess <strong>der</strong> Geschichte von <strong>der</strong> dialektischen Entwicklung<br />
des Selbstbewusstseins und diese wie<strong>der</strong>um von <strong>der</strong> philosophischen<br />
Theorie – etwa <strong>der</strong> aufklärerischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hegelschen und <strong>der</strong> kritischen<br />
– bestimmt sein lässt, spricht er <strong>der</strong> hervorragenden Persönlichkeit<br />
in <strong>der</strong> weltgeschichtlichen Praxis die entscheidende emanzipierende Rolle<br />
zu.
135<br />
Hegel dagegen trennt das denkende und handelnde Individuum nicht in<br />
dieser Weise von den – aus dem absoluten Geist stammenden – substantiellen,<br />
objektiven Verhältnissen: „An <strong>der</strong> Spitze aller Handlungen, somit<br />
auch <strong>der</strong> welthistorischen, stehen Individuen als die das Substantielle<br />
verwirklichenden Subjektivitäten.“ 415 Deshalb kann sich Bauer auch nur<br />
scheinbar darauf berufen, dass Hegel selbst von den Philosophen sagt, sie<br />
lesen o<strong>der</strong> schreiben die vom Weltgeist ausgehenden „Kabinettsordres<br />
gleich im Original.“ 416<br />
Dennoch verhin<strong>der</strong>t <strong>der</strong> Hegelianismus Bauers, dass seine Auffassung<br />
von den welthistorischen Personen – von Büchner „Paradegäule und Ecksteher<br />
<strong>der</strong> Geschichte“ genannt – irrational und elitär wäre im Sinne von<br />
Carlyle, Treitschke, Le Bon, Pareto o<strong>der</strong> Ortega y Gasset; denn die Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> hervorragenden Persönlichkeit wird von Bauer schließlich noch in<br />
einen vernünftigen geschichtlichen Zusammenhang eingeordnet, durch<br />
dessen Vermittlung ihre Resultate objektiv nachprüfbar werden.<br />
Es bleibt aber eine subjektivistische Verzerrung Hegels und eine extreme<br />
Überschätzung <strong>der</strong> weltgeschichtlichen Bedeutung <strong>der</strong> eigenen Kritik,<br />
wenn Bauer sagt: „Spottet immerhin über eine Nation, <strong>der</strong>en geistiges<br />
Budget auf <strong>der</strong> Leipziger Ostermesse berechnet wird, lacht über den Toren,<br />
<strong>der</strong> in wahnsinniger Selbstvergessenheit über neuen literarischen Arbeiten<br />
brütet und den Hochmut hat, durch ein paar Fe<strong>der</strong>züge <strong>der</strong> Welt eine an<strong>der</strong>e<br />
Gestalt zu geben, – nennt aber auch die einzige geschichtliche Epoche,<br />
die nicht von <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong> gebieterisch vorgezeichnet war und ihre Erschütterung<br />
mit einem Fe<strong>der</strong>strich beschließen lassen musste.“ 417<br />
Im Gegensatz zu Bauer stellt sich Hegel dementsprechend nicht einseitig<br />
negativ gegen die Masse, die Vielen, das Volk und die öffentliche Meinung.<br />
418 Für Bauer erst wird die Masse <strong>der</strong> „natürliche Gegner <strong>der</strong> Theorie“<br />
und <strong>der</strong> „wahre Feind des Geistes“, weshalb ihr Interesse „alle großen<br />
Aktionen <strong>der</strong> bisherigen Geschichte“ fehlgehen ließ. 419 Starr wird dem aktiven<br />
Geist die passive Materie in ihrer sozialen Gestalt als Masse gegenübergestellt<br />
und als blind, leidend, unwissend und träge charakterisiert.<br />
Die „oberflächliche, indolente, selbstzufriedene, fortschritts- und geistesfeindliche<br />
Masse“ wird als Produkt <strong>der</strong> französischen Revolution und Beseitigung<br />
<strong>der</strong> Ständeordnung angesehen. 420 Hand in Hand mit <strong>der</strong> Abwen-
136<br />
dung von <strong>der</strong> Masse geht die Konzeption <strong>der</strong> Reinheit, <strong>der</strong> System- und<br />
Gesinnungslosigkeit, <strong>der</strong> Absolutheit <strong>der</strong> Kritik.<br />
Aber Bauers Mangel ist, dass er die blasse undifferenziert lässt und als<br />
Aggregat völlig gleichartiger Elemente betrachtet; er erkennt nicht, dass<br />
<strong>der</strong> geschichtlich gewordenen abstrakten politischen Gleichheit <strong>der</strong> Individuen<br />
eine wirkliche konkrete Ungleichheit entspricht, und dass speziell die<br />
Bereitschaft <strong>der</strong> Masse zur blinden Gefolgschaft jeweils in einer bestimmten<br />
Bedrohung durch eine objektive Notlage wurzelt.<br />
Mit <strong>der</strong> Abwendung von <strong>der</strong> Masse vollzieht Bauer die Absage an die<br />
sich auf die Masse stützenden und sich damit in seinen Augen diskreditierenden<br />
Lehren und Parteiungen des Liberalismus, radikalen Demokratismus,<br />
Sozialismus und Kommunismus, in Vergleich zu denen Bauers kritische<br />
prinzipienlose Position als anarchistisch erscheinen muss sowie als<br />
prototypisch <strong>für</strong> die geistesaristokratischen sich bescheidenden, entsagenden<br />
vor je<strong>der</strong> Verdinglichung sichernden Rückzugsbewegungen in die Innerlichkeit<br />
(jenseits eines faktischen Glücksanspruchs), aber auch<br />
zugleich als Repristination des antiken skeptischen Bewusstseins, wie es<br />
Hegel analysiert: „... negatives Verhalten, ja tätige Negation gegen alles<br />
Prinzip“, das im Unglück <strong>der</strong> bestehenden Herrschaft „in seinem Innern<br />
auf abstrakte Weise die Befriedigung (hat) suchen müssen, die die Wirklichkeit<br />
ihm nicht gab“ 421 , und das an<strong>der</strong>erseits in dem bestimmten einzelnen<br />
unwesentlichen Inhalt befangen bleibt trotz <strong>der</strong> Deklaration seiner<br />
Nichtigkeit. Innerhalb des nicht preisgegebenen Anspruches, letztlich die<br />
wirkliche Welt mittels <strong>der</strong> Kritik zu gestalten, erneuert Bauer in dieser<br />
Weise den allgemein antiken Dualismus zwischen Arbeit und Muße, Lebensnotwendigem<br />
und Schönem, Theorie des Beständigen und Praxis des<br />
Unsicheren. 422<br />
Bauers Antithese von Denken und Sein in Gestalt von kritischer selbstbewusster<br />
Persönlichkeit und depersonalisierter geistloser Masse hat ihren<br />
Ansatz schon in seiner Evangelienkritik und seiner Polemik gegen Strauß,<br />
insofern er zur Erklärung des Ursprungs <strong>der</strong> Evangelien – in teilweiser<br />
Vorwegnahme <strong>der</strong> formgeschichtlichen Methode Bultmanns und M. Dibelius’<br />
– an die Stelle des „substantiellen“ Gemeindebewusstseins <strong>der</strong> messianischen<br />
Erwartung das schöpferische Selbstbewusstsein als „schriftstellerisches<br />
Prinzip“ setzt und die Evangelien als „Werk <strong>der</strong> Reflexion“ an-
137<br />
sieht. 423 In <strong>der</strong> „Posaune“ benutzt Bauer dann eine Bemerkung Hegels über<br />
Pythagoras zu <strong>der</strong> Umdeutung: „Alle Menschen außer den Philosophen<br />
sind nach Hegel Ochsen.“ 424 Danach kündigt sich in den „Anekdota“ die<br />
Kritik an <strong>der</strong> Masse an, die in <strong>der</strong> „Allgemeinen Literatur-Zeitung“ ihren<br />
Höhepunkt erreicht und dazu führt, dass die Kritik sich nicht mehr einlassen<br />
will auf die gegebenen Voraussetzungen.<br />
Dass die Kritik nicht mehr mit dem Bestehenden verwickelt werden will,<br />
ist nicht gleichbedeutend mit ihrem gänzlichen Verzicht auf praktische<br />
Verän<strong>der</strong>ung und mit ihrer Erhebung zum Selbstzweck. Der Unterschied<br />
ist, dass Bauer vorher mittels seiner Kritik direkt eine bestimmte praktische<br />
Verän<strong>der</strong>ung angestrebt hat („Es muss also zur Tat kommen, zur<br />
praktischen Opposition, und nicht nur nachträglich o<strong>der</strong> auf einem Umwege,<br />
son<strong>der</strong>n geradezu muss ein theoretisches Prinzip Praxis und Tat<br />
werden“ 425 ), schließlich aber die von <strong>der</strong> Kritik vorzubereitende praktische<br />
Verän<strong>der</strong>ung „<strong>der</strong> Geschichte“ und ihrer Krisis überlässt („Die Theorie hat<br />
nun das ihrige getan, wenn sie den bisherigen Gegensatz des Judentums<br />
und Christentums erkannt und aufgelöst hat, und kann mit ruhiger Zuversicht<br />
<strong>der</strong> Geschichte, die über unwürdig gewordene Gegensätze das<br />
letzte Urteil ausspricht, entgegensehen“ 426 ).<br />
Liegt <strong>für</strong> Bauer die praktisch revolutionierende Wirkung <strong>der</strong> Kritik zunächst<br />
nah, dann fern, so betrachtet er doch jeweils als hauptsächliche<br />
Voraussetzung und Ursache <strong>der</strong> praktischen Verän<strong>der</strong>ungen die Kritik<br />
selbst, d. h. die Beseitigung <strong>der</strong> Selbstentfremdung in Gestalt <strong>der</strong> Selbsttäuschungen<br />
und Vorurteile über das wirklich Bestehende, die Aufklärung,<br />
die Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins. So sagt Bauer zunächst in <strong>der</strong><br />
Vorrede seiner „Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker“:<br />
„Durchackern wir nur mit <strong>der</strong> Kritik den Boden <strong>der</strong> Geschichte; aus den<br />
Furchen wird <strong>der</strong> frische Lebensduft aufsteigen und <strong>der</strong> alte Boden, <strong>der</strong><br />
lange genug brach gelegen hat, wird neue Zeugungskraft entwickeln. Hat<br />
uns nur erst die Kritik wie<strong>der</strong> reinen Herzens und frei und sittlich gemacht,<br />
so wird das Neue nicht mehr fern sein.“ 427 Dann – nach <strong>der</strong> Umbildung<br />
dieser Kritik zur reinen Kritik – sagt zum Beispiel Bauers Mitstreiter<br />
Szeliga in <strong>der</strong> „Allgemeinen Literatur-Zeitung“: „Nein! Der Kritiker ist nicht<br />
Mann <strong>der</strong> Tat. Er hat nicht die närrische Einbildung, den Knoten zu lösen,<br />
wenn er ihn durchhaute gleich Alexan<strong>der</strong>. Er nimmt das Schwert daher
138<br />
gar nicht in die Hand; die Hand bleibt ihm überhaupt aus dem Spiele.<br />
Nicht mit roher Faust schlägt er drein, aber das Auge schlägt er frei auf<br />
und sieht – und sieht, wie ihr ihm die Praxis erspart und an euch selber<br />
genug zernichtet.“ 428<br />
Die Bestimmung „<strong>der</strong> Geschichte“ als Adressat und Subjekt <strong>der</strong> – von<br />
<strong>der</strong> Kritik vorzubereitenden – wirklichen Verän<strong>der</strong>ung ist nicht nur eine<br />
mechanisch-deterministische Hypostasierung, son<strong>der</strong>n beinhaltet auch<br />
eine Aporie: „die Geschichte“ würde „die Masse“ einschließen; die Masse<br />
wird als blind und unfähig zur kritischen Aufklärung angesehen, aber die<br />
befreiende Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins soll die Voraussetzung realer<br />
Verän<strong>der</strong>ung sein. Die massenhafte Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins wird<br />
also von Bauer zugleich als erfor<strong>der</strong>lich und unmöglich betrachtet. Marx<br />
dagegen geht nach seinem Bruch mit Bauer davon aus, dass die Theorie<br />
praktisch wirksam, zur „materiellen Gewalt“, wird, „sobald sie die Massen<br />
ergreift“ 429<br />
Der Geschichte die praktischen Konsequenzen <strong>der</strong> Kritik zu überlassen<br />
und die kritische Position <strong>der</strong> Überparteilichkeit, Neutralität und Objektivität<br />
einzunehmen, ist gleichbedeutend mit praktischer Toleranz gegenüber<br />
dem Bestehenden, das – auch wenn es wi<strong>der</strong>sprüchlich, unvernünftig und<br />
unmenschlich ist – unangetastet gelassen und nicht negiert wird. So ermöglicht<br />
die reine – vor dem Bestehenden als unauflösbarem Objekt praktisch<br />
resignierende – überparteiliche Kritik zum Beispiel die Gleichgültigkeit,<br />
den wirklich vorhandenen Gegensatz des Unterdrückers und des Unterdrückten<br />
auf <strong>der</strong> gleichen Stufe zu sehen. Die äußerste theoretische<br />
Opposition wird zur äußersten praktischen Position; die Resistenz gegen<br />
die Realität wird zur Kapitulation. Der Wi<strong>der</strong>spruch tritt an die Stelle des<br />
Wi<strong>der</strong>stands. Das heißt auch: die skeptizistische negative Dialektik, die<br />
radikal nur die qualitative Differenz und Diskontinuität hervorhebt,<br />
schlägt in praktischer Hinsicht um in die Affirmation nur quantitativ sich<br />
än<strong>der</strong>n<strong>der</strong> Sachverhalte.<br />
Ungewollt kehrt sich gegen Bauers Kritik selbst, was er in <strong>der</strong> Rezension<br />
von Strauß’ „Glaubenslehre“ über die Theorie sagt: „Reine und wahre<br />
Theorie ist nur möglich zwischen Gleichen und Freien. In einem Zustande<br />
zum Beispiel, wo die Stände, die Geburtsunterschiede und Privilegien<br />
herrschen o<strong>der</strong> mit Gewalt restauriert werden sollen, ist die Theorie ein
139<br />
Verbrechen, weil sie sich zunächst als Kritik gegen diese natürlichen Unterschiede<br />
richten und die Gleichheit, die noch nicht vorhanden ist und im<br />
Gegenteil als Übel abgewehrt werden soll, wie<strong>der</strong>herstellen würde.“ 430<br />
Hieraus lässt sich folgern: die Beschränkung auf Theorie wie auf theoretische<br />
Kritik ist in Wahrheit erst gerechtfertigt, wenn die wirklichen Gegensätze<br />
und Partikularitäten praktisch zur Homogeneität verän<strong>der</strong>t sind,<br />
d. h. wenn im wesentlichen Gleichheit, Freiheit und Allgemeinheit bestehen.<br />
Auf diesem Niveau wäre die theoretische Kritik sogar die angemessene<br />
Methode des Verän<strong>der</strong>ns, d. h. des Aufdeckens und Überwindens noch<br />
vorhandener unwesentlicher Beschränkungen <strong>der</strong> individuellen Spontaneität.<br />
Der traditionelle Satz: nur Gleichartiges kann erkannt werden, ist<br />
auch so zu deuten: das Erkennen – als Verzicht auf das Eingreifen zugunsten<br />
des Begreifens – setzt Gleichartiges voraus. Der Gott des Aristoteles<br />
verhält sich theoretisch, insofern er autonom, bei sich selbst ist und<br />
von nichts Fremdartigem wirklich eingeschränkt wird. Bei Hegel triumphiert<br />
schließlich das absolute Wissen, insofern alles Fremdartige total<br />
vermittelt ist.<br />
Der scheinbaren Negation des Bestehenden korrespondiert bei Bauer<br />
die scheinbare Autonomie des Kritikers: wenn Bauer die praktischen Konsequenzen<br />
<strong>der</strong> nicht engagierten überparteilichen Kritik <strong>der</strong> Geschichte<br />
überlässt, so nimmt er an, dass das Subjekt <strong>der</strong> Kritik seinerseits nicht<br />
von <strong>der</strong> Geschichte vermittelt, son<strong>der</strong>n autonom und autark ist. Das konkrete<br />
kritisierende Individuum wird auf abstrakte Rationalität reduziert<br />
und als „tabula rasa“ behandelt, die frei von Bedürfnissen und<br />
von äußeren Einflüssen und Manipulationen ist und sich vermittels <strong>der</strong><br />
Anstrengung des kritischen Denkens gegenüber bestimmten andrängenden<br />
Inhalten rein erhalten und bei sich bleiben kann, und zwar als<br />
Grundsituation, nicht als zeitweiliges Ausweichen vor bedrohlichen unfreien<br />
äußeren Verhältnissen zum Zweck <strong>der</strong> inneren Bewahrung bestimmter<br />
Ideale, wie es zunächst scheinen mag, wenn Bauer rhetorisch fragt: „Wenn<br />
die bestehenden Verhältnisse <strong>der</strong> Idee vollständig wi<strong>der</strong>sprechen, wo kann<br />
die Idee dann an<strong>der</strong>s existieren, als in dem reinen Selbstbewusstsein, welches<br />
aus <strong>der</strong> Ver<strong>der</strong>bnis sich gerettet hat und die wahren Formen seiner<br />
Existenz als Ideale zunächst i eich trägt?
140<br />
Hat das Selbstbewusstsein eben als solches nicht das Recht, zu verlangen,<br />
dass es seine inneren Bestimmungen in den Gesetzen und Einrichtungen<br />
des Bestehenden wie<strong>der</strong>findet?“ 431<br />
Die positive Kehrseite <strong>der</strong> äußersten abstrakten theoretischen Opposition<br />
und des absoluten Sichverweigerns dar Kritik ist, dass das einheitliche<br />
Ziel <strong>der</strong> Kritik – sowohl <strong>der</strong> theologischen als auch <strong>der</strong> politischen – in allen<br />
Phasen ihrer Entwicklung bleibt, die Universalität <strong>der</strong> menschlichen<br />
Vernunft gegenüber je<strong>der</strong> Partikularität, Restriktion und Fixiertheit zu erreichen,<br />
in dieser Weise die menschliche Vernunft von <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit<br />
zu befreien und schließlich die Vereinzelung <strong>der</strong> Menschen aufzuheben.<br />
Von hier aus – eine Konsequenz <strong>der</strong> Hegelschen Erkenntnis, dass die<br />
Wahrheit das Ganze ist – ist auch zu verstehen, weshalb Bauer sich unter<br />
zunehmendem politischen Druck immer weiter von dem Engagement <strong>der</strong><br />
eingreifenden Praxis entfernt: die kritische Theorie gewährt eher den Anschein<br />
dieser negativen Freiheit von Beschränkungen und Voraussetzungen,<br />
zumal praktisch vollzogene Entscheidungen an<strong>der</strong>s als theoretische<br />
Unterscheidungen irreversibel sind; Gegensätze, die sich praktisch ausschließen,<br />
lassen sich theoretisch ausgleichen. 432 „Im Denken, im Schreiben,<br />
im feurigen Trieb <strong>der</strong> Kritik lebe ich nicht mehr <strong>für</strong> die Sekte und ihre<br />
beschränkten Voraussetzungen, son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> die Gattung und ihre Freiheit.<br />
Das Denken ist <strong>der</strong> wahre Gattungsprozess, welche einen geistigen<br />
Menschen, ja erst die Menschheit selbst erzeugt.“ 433 In dieser Weise<br />
schließt sich Bauer an Hegels Bestimmung des Denkens an als „die Tätigkeit<br />
des Allgemeinen, das Allgemeine in seiner Tätigkeit, Wirksamkeit.“ 434<br />
Implizit liegt <strong>der</strong> Ausrichtung auf die theoretische Allgemeinheit und Freiheit<br />
<strong>der</strong> Zustand zugrunde, dass die praktischen Lebensverhältnisse noch<br />
die Sphäre <strong>der</strong> Partikularität und Kontingenz <strong>der</strong> Bedürfnisse und Interessen<br />
vereinzelter Individuen sind.<br />
Schon in <strong>der</strong> „Kritik <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Offenbarung“ (1838) – unmittelbar<br />
nach <strong>der</strong> Preisgabe seines in <strong>der</strong> von ihm redigierten „Zeitschrift <strong>für</strong><br />
spekulative Theologie“ und in den „Jahrbüchern <strong>für</strong> wissenschaftliche Kritik“<br />
gegen Strauß vertretenen apologetischen Standpunkts in <strong>der</strong> Religionsphilosophie<br />
435 – fasst Bauer das Alte und das Neue Testament als zwei<br />
bestimmte Entwicklungsstufen des menschlichen Geistes und zeitbedingte
141<br />
unangemessene Erscheinungen <strong>der</strong> absoluten Wahrheit auf, die auf Grund<br />
ihrer Relativität noch einen Wi<strong>der</strong>spruch in sich tragen („... Durch diese<br />
Natur ihres Inhalts verfällt die Offenbarung in Wi<strong>der</strong>sprüche“ 436 ).<br />
Wie Bauer weiter in einer Schrift gegen Hengstenberg ausführt, gilt ihm<br />
das jüdische Gesetz als „eine Schranke <strong>für</strong> den Gedanken des Universalismus“,<br />
die als solche im evangelischen Bewusstsein hervorgetreten sei. 437<br />
Im Verhältnis zum Judentum erreiche das Christentum eine „höhere Allgemeinheit“;<br />
den Gegensatz des Göttlichen und Menschlichen löse das<br />
christliche Bewusstsein auf, „ohne aus dieser Auflösung eine neue religiöse<br />
Trennung und Entfremdung hervorgehen zu lassen.“ 438<br />
Aber das als Rückzug aus <strong>der</strong> römischen Welt sich bildende Christentum<br />
– dessen Freiheit von natürlichen und nationalen Schranken sich in<br />
<strong>der</strong> griechischen und hellenistischen <strong>Philosophie</strong> ankündigt – hat <strong>für</strong> Bauer<br />
den Wi<strong>der</strong>spruch an sich, dass seine innere Freiheit „zugleich die Freiheit<br />
von den großen sittlichen Interessen <strong>der</strong> Welt überhaupt, von Kunst<br />
und Wissenschaft“ und als „übermenschliche Freiheit“ <strong>der</strong> „wahren<br />
menschlichen Freiheit“ entgegengesetzt sei 439 , so dass er die christliche<br />
Religion die „abstrakte Religion“ nennt, die einerseits „Natur und Kunst,<br />
Familie, Volk und Staat“ absorbierte, aber an<strong>der</strong>erseits das als einzige<br />
Macht übrig gebliebene leere allgemeine Ich nicht in seiner Macht anzuerkennen<br />
wagte, son<strong>der</strong>n „als eine fremde sich selbst gegenüberstellte und<br />
dieser Macht gegenüber in Furcht und Zittern <strong>für</strong> seine Erhaltung und Seligkeit<br />
arbeitete“, ohne die „reine und wahre Theorie“ zu erreichen. 440<br />
Vom gleichen Gesichtspunkt Partikularismus-Universalismus lässt sich<br />
Bauer auch in <strong>der</strong> Schrift über „Die Judenfrage“ leiten: die Emanzipation<br />
<strong>der</strong> Juden und <strong>der</strong> Christen als Christen – wie die Aufgabe aller religiösen<br />
und politischen Privilegien, Prärogativen und Monopole – liege im Interesse<br />
des allgemeinen Rechts des Menschen als Menschen, d. h. <strong>der</strong> Humanität,<br />
und <strong>der</strong> allgemeinen Theorie. „Als Menschen können sich Juden und<br />
Christen erst betrachten und gegenseitig behandeln, wenn sie das beson<strong>der</strong>e<br />
Wesen, welches sie trennt und zu ,ewiger Abson<strong>der</strong>ung‘ verpflichtet,<br />
aufgeben, das allgemeine Wesen des Menschen anerkennen und als ihr<br />
wahres Wesen betrachten.“ 441<br />
Die Judenfrage bildet <strong>für</strong> Bauer nur einen Teil des Gegensatzes zwischen<br />
<strong>der</strong> allgemeinen „wahren Theorie“ und <strong>der</strong> Praxis des „gewöhnlichen
142<br />
Lebens“. Nicht nur im christlichen preußischen Staat, son<strong>der</strong>n auch noch<br />
im „juste milieu“ Frankreichs nach <strong>der</strong> Julirevolution mit seiner Trennung<br />
von Kirche und Staat und mit gleichzeitiger praktischer Begünstigung <strong>der</strong><br />
christlichen Religion bestehe <strong>der</strong> „Wi<strong>der</strong>spruch <strong>der</strong> Freiheit in <strong>der</strong> Theorie,<br />
die sich in <strong>der</strong> Praxis desavouiert, und <strong>der</strong> Freiheit in <strong>der</strong> Praxis, die sich<br />
in <strong>der</strong> Theorie, im Gesetz verleugnet“ 442 , insofern das allgemeine Gesetz<br />
nicht die Freiheit von den bestimmten religiösen Gegensätzen, Parteiungen<br />
und Kollisionen des praktischen Lebens (zwischen Juden und Christen)<br />
durchsetzt, son<strong>der</strong>n diese duldet und deshalb unfrei ist.<br />
Hiermit zeigt sich, dass Bauer nicht nur die politische, son<strong>der</strong>n auch<br />
die allgemein menschliche Emanzipation anstrebt, mit <strong>der</strong> die Existenz von<br />
Partikularitäten unvereinbar ist. 443 Mit dem Ziel <strong>der</strong> praktischen Durchführung<br />
<strong>der</strong> menschlichen Emanzipation, des Humanismus, haben Bauer<br />
und Marx in formaler Hinsicht die gleiche Aufgabenstellung. Der inhaltliche<br />
Unterschied aber ist: <strong>für</strong> Bauer bleibt schließlich die menschliche Emanzipation<br />
vor allem religiöse Emanzipation und ist gleichbedeutend mit<br />
<strong>der</strong> politischen Emanzipation, während Marx dagegen in seiner Antwortschrift<br />
„Zur Judenfrage“ den politischen Staat selbst im Namen <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Emanzipation kritisiert („... so finden wir Bauers Fehler darin,<br />
dass er nur den ,christlichen Staats‘, nicht den ,Staat schlechthin‘ <strong>der</strong> Kritik<br />
unterwirft, dass er das Verhältnis <strong>der</strong> politischen Emanzipation zur<br />
menschlichen Emanzipation nicht untersucht und daher Bedingungen<br />
stellt, welche nur aus einer unkritischen Verwechselung <strong>der</strong> politischen<br />
Emanzipation mit <strong>der</strong> allgemein menschlichen erklärlich sind.“ 444 ) Dabei<br />
tritt bei Marx an Stelle des Gegensatzes politischer Staat –religiöses Leben<br />
(als Stufen <strong>der</strong> Entwicklung des Selbstbewusstseins) <strong>der</strong> Dualismus politischer<br />
Staat – bürgerliche Gesellschaft (als Resultat <strong>der</strong> realen Geschichte).<br />
Und die Methode <strong>der</strong> Negation <strong>der</strong> Spaltung, <strong>der</strong> Praktizierung <strong>der</strong><br />
menschlichen Emanzipation – des Humanismus – wird bei Marx anstelle<br />
<strong>der</strong> reinen Kritik des autonom Denkenden die sinnlich-gegenständliche<br />
Kritik <strong>der</strong> proletarischen Revolution.<br />
Somit bleibt Bauer in größerer Nähe zu Hegel: er erkennt einerseits wie<br />
dieser das partikulare „egoistische Treiben <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft“<br />
445 und erwartet an<strong>der</strong>erseits wie dieser seine Überwindung vom<br />
Staat als „objektive Existenz <strong>der</strong> Allgemeinheit des befreiten Selbstbe-
143<br />
wusstseins“: „Das letzte, aber freilich auch Schwierigste, was dem Staat...<br />
noch übrigbleibt, ist die Befreiung <strong>der</strong> bürgerlichen Heloten, welche täglich<br />
mit <strong>der</strong> Materie zu kämpfen haben, <strong>für</strong> das Allgemeine die Sinnlichkeit überwinden,<br />
ohne <strong>für</strong> ihre Person in diesem Kampfe des Allgemeinen, dem<br />
sie dienen, sich wahrhaft bewusst zu werden.“ 446<br />
Zwischen Bauer und Marx bestehen weitere formale Parallelen darin,<br />
dass <strong>für</strong> beide die Entmenschlichung und Entfremdung jeweils total, auf<br />
die Spitze getrieben, erscheinen muss, bevor sie umschlagen kann zur völligen<br />
Wie<strong>der</strong>aneignung des Menschen 447 , worin sich eine Gemeinsamkeit<br />
sowohl <strong>der</strong> idealistischen als auch <strong>der</strong> materialistischen Dialektik bekundet;<br />
ebenso ist ein gemeinsames Erbe <strong>der</strong> Hegelschen Maxime <strong>der</strong> „Durchführung“<br />
des Prinzips die Abneigung gegen „die Gleichgültigkeit gegen das<br />
Detail und die Verehrung <strong>der</strong> Phrase“ 448 sowie gegen die erbauliche salbungsvolle<br />
Abschwächung, Beschönigung, Einebnung und Harmonisierung<br />
von Gegensätzen. Weiter sind <strong>für</strong> Bauer und Marx nicht nur die Unterprivilegierten,<br />
son<strong>der</strong>n auch die Privilegierten selbst entfremdet. 449 Und<br />
beide stimmen überein in <strong>der</strong> Auffassung, dass die Kritik <strong>der</strong> Religion beendet<br />
sei. Im übrigen kommt Bauer Marx’ Auffassung von dem Zusammenhang<br />
zwischen gesellschaftlicher und religiöser Entfremdung nahe<br />
(und beleuchtet gleichzeitig seinen Kampf gegen die Religion), wenn er<br />
sagt: „Das religiöse Vorurteil ist die Basis des bürgerlichen und politischen,<br />
aber die Basis, die das letztere, wenn auch bewusstlos, sich selbst<br />
gegeben hat. Das bürgerliche und politische Vorurteil ist <strong>der</strong> Kern, den das<br />
religiöse nur umschließt und schützt. Die Methode des Kampfs gegen die<br />
bürgerliche und politische Unterdrückung, wie ihn die Geschichte bisher<br />
geführt hat..., bestand daher darin, dass die religiöse Voraussetzung jener<br />
Unterdrückung angegriffen und aufgelöst wurde.“ 450<br />
Indem Bauer mit Hilfe seiner Kritik die Destruktion je<strong>der</strong> fixen Partikularität<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung des Selbstbewusstseins anstrebt,<br />
geht es ihm zugleich um die fortschreitende Entfaltung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Möglichkeiten in ihrer Totalität. In Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Hegelschen –<br />
von Her<strong>der</strong> ausgehenden – Erkenntnis betont Bauer: „Der Mensch ist als<br />
Mensch kein Naturprodukt, son<strong>der</strong>n das Werk seiner eigenen Freiheit.<br />
Menschen werden nicht geboren, son<strong>der</strong>n gebildet.“ 451 Kritik und Selbstverwirklichung<br />
des Menschen gehören also zusamen. Dies ist in formaler
144<br />
Hinsicht die gemeinsame Auffassung aller Junghegelianer. Insofern weiter<br />
die durch Kritik vorangetriebene Selbstverwirklichung als Entwicklung des<br />
Ganzen die Wahrheit ist, lassen sich Kritik, Selbstverwirklichung und<br />
Wahrheit zusammenfassen und kann Bauer sagen: „... die Wahrheit ist<br />
nicht, sie wird nur, sie ist also nur in <strong>der</strong> Geschichte und durch die Geschichte,<br />
in <strong>der</strong> Kritik und durch die Kritik.“ 452
145<br />
VII. Stirners anarchistische Konzeption <strong>der</strong> egoistischen Revolte und<br />
des willkürlichen Denkens<br />
Der extremen Abstraktion des Allgemeinen in <strong>der</strong> kritischen Theorie<br />
Bauers setzt Max Stirner die extreme Abstraktion des einzelnen entgegen.<br />
Um die wirkliche Vereinzelung und den Egoismus zu überwinden, verzichtet<br />
Bauer asketisch – die Vertröstungen <strong>der</strong> jakobinischen Tugendlehre<br />
wie<strong>der</strong>holend unbekümmert um Heines For<strong>der</strong>ung nach dem „Wohlsein<br />
<strong>der</strong> Materie“ – auf die individuelle Freiheit und das Glück des einzelnen<br />
zugunsten des Allgemein-Vernünftigen; um die individuelle Freiheit und<br />
das Glück des einzelnen zu erreichen, verwirft Stirner hedonistisch das<br />
Allgemein-Vernünftige zugunsten <strong>der</strong> wirklichen Vereinzelung und des Egoismus.<br />
We<strong>der</strong> Bauer noch Stirner gewinnt eine Konzeption eines allgemein<br />
vernünftigen objektiven Glücks und einer verbindlichen Freiheit.<br />
Wie aus dem Aufbau seines Hauptwerkes „Der Einzige und sein Eigentum“<br />
(1844) hervorgeht, sieht Stirner in Bauer – wie er Mitglied <strong>der</strong> Berliner<br />
„Freien“ 453 – seinen unmittelbaren Vorgänger, aus dessen Konzeption<br />
er die Konsequenzen zieht: bevor Stirner im zweiten Teil unter <strong>der</strong> Überschrift<br />
„Ich“ seine eigene Anschauung entwickelt, behandelt er am Schluss<br />
des ersten Teils, betitelt „Der Mensch“, Bauers „humanen Liberalismus“.<br />
Während Bauer die Partikularität mittels <strong>der</strong> permanenten „reinen Kritik“<br />
in die Universalität des Humanismus aufheben will, spitzt Stirner – in<br />
dem Bestreben radikaler Destruktion <strong>der</strong> Substantialität o<strong>der</strong> Objektivität<br />
– in seiner „interessierten Kritik“ 454 die Partikularität zur Singularität<br />
des Ichs zu. Stirner geht zurück auf das Individuum, den „Einzigen“, <strong>der</strong><br />
jeden an<strong>der</strong>en ausschließt und unvergleichlich ist: „Man soll sich nicht <strong>für</strong><br />
,etwas Beson<strong>der</strong>es‘ halten, wie z.B. Jude o<strong>der</strong> Christ. Nun, Ich halte Mich<br />
nicht <strong>für</strong> etwas Beson<strong>der</strong>es, son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> einzig. Ich habe wohl Ähnlichkeit<br />
mit An<strong>der</strong>n; das gilt jedoch nur <strong>für</strong> die Vergleichung o<strong>der</strong> Reflexion; in <strong>der</strong><br />
Tat hin ich unvergleichlich, einzig.“ 455<br />
Alle notwendigen Beziehungen <strong>der</strong> Individuen untereinan<strong>der</strong> lässt Stirner<br />
zusammen schrumpfen in einer „Nullpunktexistenz“, in dem Punkt <strong>der</strong><br />
Identität des jeweiligen Individuums, das – wie jedes Objekt des Universums<br />
– gemäß dem Leibnizschen „principium identitatis indiscernibilium“<br />
mit nichts an<strong>der</strong>em gänzlich übereinstimmt. Wegen <strong>der</strong> Einzigkeit <strong>der</strong> In-
146<br />
dividuen und des Fehlens eines „tertium comparationis“ zwischen ihnen<br />
will Stirner nicht einmal die Anwendung <strong>der</strong> Kategorie des Gegensatzes auf<br />
sie zulassen. Dementsprechend anerkennt er auch keine überpersönlichen<br />
sachlichen sich verselbständigenden Zwänge, durch die die ungeschichtlichen,<br />
traditions- und zukunftslosen Monaden miteinan<strong>der</strong> vermittelt wären.<br />
Gemessen am einzelnen leibhaftigen vergänglichen Individuum gelten<br />
Stirner die menschliche Gesellschaft und das allgemeine Selbstbewusstsein<br />
in Bauers Kritik sowie <strong>der</strong> Staat und das Recht in <strong>der</strong> Lehre des politischen<br />
Liberalismus und die sozialistische Gesellschaft in <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong><br />
utopischen Kommunisten – ebenso wie Hegels Weltgeist und Feuerbachs<br />
Gattungswesen – als Scheinexistenz, als illusionärer „Geist“ und fiktive<br />
„Idee“, als „Fremdes“, „Heiliges“, „Gespenst“ und Residuum des religiösen<br />
Glaubens an das Jenseits.<br />
Somit ist <strong>für</strong> Stirner <strong>der</strong> Hauptmangel auch <strong>der</strong> Bauerschen Kritik,<br />
dass sie auf dem Boden des Gedankens und in seiner Abhängigkeit bleibt,<br />
obgleich sie antidogmatisch ist, insofern sie alle gedanklichen Fixierungen<br />
unaufhörlich im Denkprozess auflöst: „Die Denkfreiheit ist hierdurch in<br />
<strong>der</strong> Tat vollkommen geworden, die Geistesfreiheit feiert ihren Triumph:<br />
denn die einzelnen, die ,egoistischen‘ Gedanken verloren ihre dogmatische<br />
Gewalttätigkeit. Es ist nichts übriggeblieben als das – Dogma des freien<br />
Denkens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Kritik.“ 456 Umgekehrt ist <strong>für</strong> Bauer Stirners „Einziger“<br />
<strong>der</strong> „letzte Zufluchtsort in <strong>der</strong> alten Welt“ <strong>der</strong> Herrschaft <strong>der</strong> Substanz. 457<br />
Diese Kritik an Bauer übt Stirner noch nicht in seiner Rezension <strong>der</strong><br />
„Posaune“, in <strong>der</strong> er beson<strong>der</strong>s mit Bauers Entgegensetzung von Religion<br />
und <strong>Philosophie</strong> übereinstimmt. 458 Ebenso anerkennt er noch Bauers und<br />
Feuerbachs Humanismus im von <strong>der</strong> Zensur verbotenen „Gegenwort“<br />
(1842), worin er im Namen des „reinen“ o<strong>der</strong> „wahrhaft“ Menschlichen polemisiert<br />
und die Erweckung des Bewusstseins über die „voraneilenden<br />
Taten“ verlangt: „Die Gegenwart for<strong>der</strong>t das rein Menschliche, das allein<br />
das wahrhaft Göttliche ist, sie for<strong>der</strong>t nicht Frömmigkeit, son<strong>der</strong>n Sittlichkeit<br />
und Vernünftigkeit... Begeisterung <strong>für</strong> die ewig gegenwärtige Welt des<br />
Wollens und Handelns, nicht blind ergebene Sehnsucht nach dem Jenseits.“<br />
459 Aber in dem wenige Monate später in <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“<br />
veröffentlichten Artikel über „Das unwahre Prinzip unserer Erziehung o<strong>der</strong>
147<br />
<strong>der</strong> Humanismus und Realismus“ nähert sich Stirner schon weitgehend<br />
dem Standpunkt seines Hauptwerks.<br />
Während Bauers Kritik auf <strong>der</strong> Ebene des Gedankens bleibt, ist das<br />
„Ich“ nach Stirners Anspruch kein Gedanke. Das „Ich“ ist als das Einmalige,<br />
Einzige, „solus ipse“, das Unausdrückbare, „ineffabile“ (und im Verhältnis<br />
zum allgemeinen Wesen des Menschen <strong>der</strong> „Unmensch“), das sich<br />
in Wahrheit nicht durch philosophische Theorie näher entwickeln und<br />
bestimmen lässt, son<strong>der</strong>n nur tautologische Urteile zulässt: „An Mir, dem<br />
Unnennbaren, zersplittert das Reich <strong>der</strong> Gedanken, des Denkens und des<br />
Geistes.“ 460 Das Individuum ist gegenüber je<strong>der</strong> Prädizierung inkommensurabel<br />
und liegt je<strong>der</strong> gedanklichen Konstruktion voraus; es ist in diesem<br />
Sinne alogisch, irrational. Allgemeine Aussagen treffen zwar nach Stirner<br />
bestimmte Seiten am Individuum – zum Beispiel „das Menschliche“ –, aber<br />
nicht das, was dieses konstituiert. 461<br />
Dass das leibhaftige „Ich“, über das Stirner spricht, sich nicht stumm<br />
zeige, son<strong>der</strong>n auch nur wie<strong>der</strong>um – wie sein Prädikat „Einziges“ – ein allgemeiner<br />
Gedanke sei und Stirners Individualismus ein Dogma sei, wenden<br />
gegen Stirner Szeliga, Heß, Kuno Fischer und Karl Schmidt ein. 462<br />
Aber Stirner ist zuzugestehen, dass sein „Ich“ und sein Individualismus<br />
we<strong>der</strong> Dogma noch Prinzip o<strong>der</strong> Kategorie im eigentlichen Sinne sind, son<strong>der</strong>n<br />
inhaltlose nichtssagende „Phrase“, „flatus linguae“ in nominalistischer<br />
Bedeutung. Stirner kann seinen Kritikern nämlich entgegenhalten:<br />
„Was Stirner sagt, ist ein Wort, ein Gedanke, ein Begriff, was er meint, ist<br />
kein Wort, kein Gedanke, kein Begriff. Was er sagt, ist nicht das Gemeinte,<br />
und was er meint, ist unsagbar.“ 463<br />
Während <strong>für</strong> Bauer die gedankliche Kritik die unerlässliche Vorbedingung<br />
wirklicher Befreiung ist, befreit sich nach Stirner das unsagbare Ich<br />
von allen Entfremdungen und Scheinexistenzen und wird <strong>der</strong> „Eigner“ seiner<br />
selbst durch „Nichtphilosophie“, d. h. durch Sprachloswerden, Gedankenlosigkeit<br />
und Unbedenklichkeit. Wenn es dennoch nicht auf das Denken<br />
verzichtet, so erhält doch das Denken den Rang <strong>der</strong> Gedankenlosigkeit;<br />
es wird degradiert zu einer „Sache des egoistischen Beliebens, einer<br />
Sache des Einzigen, gleichsam zu einer bloßen Kurzweil o<strong>der</strong> Liebhaberei“,<br />
zu einem Denken, „welches nicht Mich leitet, son<strong>der</strong>n von Mir geleitet,<br />
fortgeführt o<strong>der</strong> abgebrochen wird, je nach meinem Gefallen... Das
148<br />
,absolute Denken‘ ist dasjenige Denken, welches vergisst, dass es mein<br />
Denken ist, dass Ich denke und dass es nur durch Mich ist. Als Ich aber<br />
verschlinge Ich das Meinige wie<strong>der</strong>, bin Herr desselben, es ist nur meine<br />
Meinung, die ich in jedem Augenblicke än<strong>der</strong>n, d. h. vernichten, in Mich<br />
zurücknehmen und aufzehren kann.“ 464 Stirner verabsolutiert somit die<br />
Tatsache, dass sich in <strong>der</strong> Tätigkeit des Denkens das Moment des Willens<br />
insofern findet, als wir uns willentlich auf theoretische Überlegungen konzentrieren<br />
und absichtlich allgemeine gedankliche Inhalte einprägen und<br />
lernen sowie reproduzieren können. Stirner abstrahiert und verabsolutiert<br />
die richtungsweisende und auswählende Aktivität <strong>der</strong> Aufmerksamkeit, die<br />
die theoretische Aufnahme des objektiven Inhalts begleitet. (Schon die<br />
„sensation“, die Sinneswahrnehmung, ist, wie Locke zeigte, im Gegensatz<br />
zu <strong>der</strong> „reflection“, <strong>der</strong> Introspektion, nicht nur vom Willen abhängig.)<br />
In dem Bestreben, das überpersönliche Denken, das Denken als „eigene<br />
handelnde Persönlichkeit“ – beson<strong>der</strong>s die Selbstbewegung des absoluten<br />
Geistes in <strong>der</strong> Hegelschen Spekulation zu negieren, macht Stirner das einzelne<br />
unvermittelte scheinbar autarke Ich – abgetrennt von Geschichte<br />
und Gesellschaft zum Herrn, Schöpfer und „Eigentümer“ des Denkens, so<br />
dass dieses im Ich seine einzige Voraussetzung hat, nur dessen selbst gestellte<br />
„private“ Aufgaben betrifft und zu dessen „Selbstgenuss“ und<br />
Machtausübung dient. „Für mein Denken ist... <strong>der</strong> Anfang nicht ein Gedanke,<br />
son<strong>der</strong>n Ich, und darum bin Ich auch sein Ziel, wie denn sein ganzer<br />
Verlauf nur ein Verlauf meines Selbstgenusses ist; <strong>für</strong> das absolute<br />
o<strong>der</strong> freie Denken ist hingegen das freie Denken selbst <strong>der</strong> Anfang...“ 465<br />
Das Denken wird bei Stirner zu einer Funktion und einem Instrument <strong>der</strong><br />
Willkür des individuellen Willens.<br />
Mit diesem Voluntarismus wird Hegels dialektische Verknüpfung von<br />
Geist und Willen – die Bestimmung des Willens als die Entäußerung des<br />
Geistes – aufgelöst, d. h. die Grundlage <strong>der</strong> Hegelschen Konzeption <strong>der</strong><br />
Einheit von Theorie und Praxis, von Innen und Außen, zerstört, und damit<br />
zugleich <strong>der</strong> Geschichte die Vernünftigkeit aberkannt. Infolgedessen können<br />
die individuellen Willenshandlungen nicht mehr so verstanden werden,<br />
dass sie die Freiheit des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes<br />
verwirklichen.
149<br />
Den individuellen, endlichen, beschränkten Willen spielt Stirner gegen<br />
das Wissen schon in dem Artikel „Das unwahre Prinzip unserer Erziehung<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Humanismus und Realismus“ aus. Hierin for<strong>der</strong>t er die Zurückführung<br />
des Wissens auf das Wollen: „... das Wissen muss sterben, um als<br />
Wille wie<strong>der</strong> aufzuerstehen und als freie Person sich täglich neu zu schaffen.“<br />
466 An die Stelle <strong>der</strong> exklusiven gelehrten humanistischen formellen<br />
Bildung und <strong>der</strong> nachrevolutionären allen zugänglichen praktischrealistischen<br />
materiellen Bildung habe die „persönliche und freie“ Bildung<br />
zu treten, die – ohne „Dressur“ und Autorität – die Selbständigkeit und<br />
Selbstbetätigung <strong>der</strong> Individuen anziele und damit die „höchste Praxis...,<br />
dass ein Mensch sich selbst offenbart“. In <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> erreichten „Naivität“<br />
höre dann das Wissen auf, „ein Haben und Besitz“ zu sein (was auch <strong>für</strong><br />
Burckhardt und Nietzsche ein Kennzeichen <strong>der</strong> von ihnen bekämpften historischen<br />
Bildung ist), hafte nicht an Objekten, son<strong>der</strong>n konzentriere sich<br />
auf die vergängliche „Existenz“ 467 und schwinde in „dem unsichtbaren<br />
Punkt des Ichs“ zusammen, das das „schöpferische Nichts“ sei. 468<br />
Dieser irrationale Voluntarismus scheidet also das Dass vom Was, negiert<br />
jede allgemeine objektive Vernünftigkeit und Gesetzlichkeit, verabsolutiert<br />
das Individuelle, Einmalige, Faktische und muss somit zur Konsequenz<br />
haben, dass <strong>der</strong> einzelne Mensch – theoretisch desorientiert – auf<br />
Grund einer unbegründbaren absoluten bodenlosen Entscheidung handelt<br />
und gleichsam von Anfang an in <strong>der</strong> Grube des Thales liegt. Dagegen wies<br />
Hegel gerade auf, dass kein Individuum isoliert <strong>für</strong> sich existiert, das nicht<br />
vom Allgemeinen durchdrungen wäre.<br />
Ohne den Begriff des konkreten Allgemeinen zu behandeln, fasst Stirner<br />
das Allgemeine, das er als Entfremdung perhorresziert, von vornherein<br />
nur als abstraktes Ideal und Normativ (<strong>der</strong> uneigennützigen Hingabe und<br />
Aufopferung) außerhalb des Individuellen. Er nähert sich dem Sensualismus<br />
Lockes, insofern auch <strong>für</strong> diesen – in <strong>der</strong> Nachfolge des franziskanischen<br />
Scholastikers Duns Scotus – die Universalien nicht zur realen Existenz<br />
hinzu gehören, son<strong>der</strong>n Verstandeserfindungen sind, „the inventions<br />
and creatures of the un<strong>der</strong>standing, made by it for its own use, and concern<br />
only signs, whether words or ideas.“ 469 Auch <strong>für</strong> Nietzsche sind Begriffe<br />
„konventionelle Fiktionen“; aber er leitet ihre Herkunft von vitalen Bedürfnissen<br />
ab und sieht als ihr Kriterium an, ob sie „lebensför<strong>der</strong>nd“ und
150<br />
„arterhaltend“ sind. 470 Infolgedessen findet hier ein Vergleich mit Stirner,<br />
wie er oft angestellt wird, seine Grenze. Darüberhinaus ist Stirners frühbürgerliches<br />
Einzelgängertum jenseits von Christentum und Sozialismus<br />
ein negativ heldisches Sektierertum und noch nicht mit <strong>der</strong> Entschlossenheit<br />
zu heroischem Leben und elitärer Herrschaft verbunden.<br />
Wer auf dem Boden des Allgemeinen bleibt, setzt nach Stirner in säkularisierter<br />
Gestalt das christliche Liebesprinzip, das „wahre Sozialprinzip“,<br />
fort, das gegenüber dem Egoismus in Bauers „dienstbarer“ kritischer Theorie<br />
„zum reinsten Vollzug“ komme. 471 Schon in dem Artikel „Einiges Vorläufige<br />
vom Liebesstaat“ stellt Stirner einan<strong>der</strong> gegenüber die entfremdete<br />
Tätigkeit, die auf <strong>der</strong> Liebe gründet, sich nach an<strong>der</strong>en Menschen richtet<br />
und in dieser Weise heteronom ist, und die gleichsam passionslose Tätigkeit,<br />
die insofern autonom ist, als sie aus <strong>der</strong> Selbstsucht entspringt, und<br />
die er deutet als absolute Selbstbestimmung, spontane Selbstschöpfung<br />
und Souveränität in <strong>der</strong> Willkür des Willens: „... <strong>der</strong> Liebende lässt sich<br />
bestimmen, bestimmen durch den Geliebten. Der freie Mensch dagegen<br />
bestimmt sich we<strong>der</strong> durch noch <strong>für</strong> einen an<strong>der</strong>n, son<strong>der</strong>n rein aus sich;<br />
er vernimmt sich und findet in diesem Selbstvernehmen den Antrieb zur<br />
Selbstbestimmung: nur sich vernehmend, handelt er vernünftig und<br />
frei.“ 472 (In <strong>der</strong> Tat bezeugt die Liebe, dass das Individuum sich nicht absolut<br />
selbst bestimmt und nicht in Stirners Sinne Schöpfer und Geschöpf<br />
ineins ist.) In Hinblick auf die so als Willkür verstandene Freiheit des Individuums<br />
verurteilt Stirner sowohl den christlichen Staat <strong>der</strong> Liebe als<br />
auch den nachrevolutionären Staat mit seinem Prinzip <strong>der</strong> Gleichheit und<br />
allgemeinen Freiheit, die beide die Autarkie des einzelnen Willen einschränken.<br />
Damit kehrt sich Stirner – im Gegensatz zu den an<strong>der</strong>en Junghegelianern<br />
– gänzlich von Hegels Erkenntnis ab, dass das Individuum sich nicht<br />
verwirklichen kann, wenn es die objektive Stufe <strong>der</strong> geschichtlichen und<br />
gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu überspringen sucht, dass die Willkür,<br />
die auf einen zufälligen Inhalt gerichtet ist, nur die abstrakte inhaltslose<br />
Freiheit ist, und dass die konkrete Freiheit in einem praktischen und<br />
theoretischen Vermittlungs- und Bildungsprozess errungen werden muss,<br />
in dem das Subjekt niemals so expansiv wird, dass es sich nicht auch als<br />
Objekt erführe.
151<br />
Vom Standpunkt <strong>der</strong> „schöpferischen Allmacht“ des Individuums aus<br />
betrachtet Stirner ebenfalls in seiner Rezension „Das Mysterien von Paris.<br />
Von Eugène Sue“ (ein Roman, <strong>der</strong> auch von Szeliga in Bauers „Allgemeiner<br />
Literatur-Zeitung“ und darauf von Marx und Engels in <strong>der</strong> „Heiligen Familie“<br />
behandelt wird) Liebe, Tugend, Sittlichkeit, „philanthropische Reformtätigkeit“<br />
und den „Kultus des Guten“ – in <strong>der</strong> gleichen Weise wie die Fixierung<br />
an das Laster – als Entfremdungen, die das soziale Elend nicht beseitigen<br />
können. „Nicht krank ist unsere Zeit, um geheilt zu werden, son<strong>der</strong>n<br />
alt ist sie und ihr Stündchen hat geschlagen.“ 473<br />
Das heißt <strong>für</strong> Stirner in seinem Hauptwerk: <strong>der</strong> Egoismus muss an die<br />
Stelle des Idealismus treten, <strong>der</strong> gekennzeichnet wird durch Abhängigkeit<br />
von den Gedanken. Dieser christlich-neuzeitliche Idealismus folgt in Stirners<br />
negativ-dialektischer Konstruktion <strong>der</strong> Geschichte auf den Realismus<br />
des Altertums, <strong>der</strong> durch Abhängigkeit von den Dingen definiert wird. In<br />
dieser Weise schematisiert Stirner den – implizit teleologisch gedeuteten –<br />
Verlauf <strong>der</strong> Geschichte in Analogie zu den Bewusstseinsstufen <strong>der</strong> Lebensalter<br />
und in Abän<strong>der</strong>ung ihrer Einteilung durch Hegel: „Knaben hatten<br />
nur ungeistige, d. h. gedankenlose und ideenlose, Jünglinge nur geistige<br />
Interessen; <strong>der</strong> Mann hat leibhaftige, persönliche, egoistische Interessen.“<br />
474 Stirner denkt nicht daran, an die Stelle einer negierten Abhängigkeit<br />
von Gedanken und Dingen die Abhängigkeit in Gestalt <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong>lichkeit<br />
anzuerkennen.<br />
In Stirners Ansicht, dass das mannhafte egoistische scheinbar autarke<br />
Individuum, das sich von den idealistischen Entfremdungen befreit hat, in<br />
jedem Augenblick vollkommen Mensch ist, ohne reale unentfaltete Möglichkeiten,<br />
unerschlossene Kapazitäten, aktualisieren und vergegenständlichen<br />
zu müssen („Wir sind allzumal vollkommen! Denn wir sind jeden<br />
Augenblick alles“ 475 ), das heißt: in Stirners Gleichsetzung von Dasein und<br />
Wesen dokumentiert sich am deutlichsten die Auflösung des Hegelianismus<br />
und <strong>der</strong> aus seinem Geiste geborenen Kritik; denn alle Dialektik und<br />
subjektive sowie objektive Kritik (ebenso wie alle Hoffnung und bestimmte<br />
For<strong>der</strong>ung) basieren auf <strong>der</strong> Entzweiung, d. h. auf <strong>der</strong> Differenz zwischen<br />
Rationalem und Realem, zwischen Wesen und Erscheinung, Begriff und<br />
Existenz, Möglichem und Wirklichem, so dass <strong>der</strong> Kritiker verwandt erscheint<br />
mit dem sentimentalischen Dichter im Schillerschen Sinne, <strong>der</strong> –
152<br />
im Gegensatz zu dem als „ungeteilte Einheit“ wirkenden naiven Dichter –<br />
die verlorene Einheit „aus sich selbst wie<strong>der</strong>herzustellen“ und die Beschränktheit<br />
in einem unendlichen Prozess zu überwinden sucht; Stirner<br />
kann dagegen nicht die Phantasie gegen die Realität mobilisieren.<br />
Ausdrücklich verwirft Stirner den Begriff <strong>der</strong> realen Möglichkeit, <strong>der</strong><br />
Dynamis im Unterschied zur Energeia: „Möglichkeit und Wirklichkeit fallen<br />
zusammen.“ 476 Für ihn ist also Möglichkeit nur im Kantischen Sinne<br />
das wi<strong>der</strong>spruchsfrei Denkbare; und er würde in <strong>der</strong> Kontroverse des Aristoteles<br />
mit den Megarikern in dieser Frage <strong>der</strong> realen o<strong>der</strong> formalen Möglichkeit<br />
auf <strong>der</strong>en Seite stehen.<br />
Stirner reduziert den Menschen auf die Stufe von Pflanzen und Tieren:<br />
„Ein Mensch ist zu nichts ,berufen‘ und hat keine ,Aufgabe‘, keine<br />
,Bestimmung‘, so wenig als eine Pflanze o<strong>der</strong> ein Tier einen ‚Beruf‘ hat...<br />
Wie nun diese Rose von vornherein wahre Rose, diese Nachtigall stets<br />
wahre Nachtigall ist, so bin Ich nicht erst wahrer Mensch, wenn ich meinen<br />
Beruf erfülle, meiner Bestimmung nachlebe, son<strong>der</strong>n von Haus<br />
,wahrer Mensch‘.“ 477 Stirner gibt damit die von Her<strong>der</strong> begründete und von<br />
Hegel vertiefte geschichtliche Anthropologie preis, die auf Grund <strong>der</strong> Analyse<br />
<strong>der</strong> geistig-leiblichen Konstitution des Menschen zu <strong>der</strong> Erkenntnis<br />
kommt, dass <strong>der</strong> Mensch nicht fertig, festgestellt und einfach vorgegeben<br />
ist, son<strong>der</strong>n dass er aufgegeben und Resultat dessen ist, wozu er sich verwirklicht<br />
und bestimmt.<br />
Implizit führt Stirner aber selbst eine Unterscheidung zwischen Sein<br />
und Sollen durch seinen Entwurf <strong>der</strong> „Empörung“ ein. 478 Mittels <strong>der</strong> Empörung<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> individuellen Revolte solle sich <strong>der</strong> einzelne befreien von<br />
dem „Druck <strong>der</strong> Verhältnisse“ und <strong>der</strong> Vormundschaft aller allgemeinen<br />
Instanzen <strong>der</strong> Restriktion und Repression, die ihn gleichsam von <strong>der</strong> ersten<br />
Person zur dritten machen und in den Akkusativ setzen. Das monolithische<br />
Verhalten wird rissig.<br />
Diese Revolte des neinsagenden unbotmäßigen und ungeselligen Dissidenten,<br />
des Individuums, das die angeschulte Geduld und Anstelligkeit<br />
verloren hat, ist keine politische o<strong>der</strong> soziale Insurrektion, son<strong>der</strong>n ein antikonventioneller<br />
Protest als eine Aktion <strong>der</strong> Selbstbefreiung, die we<strong>der</strong><br />
göttliche Gnade noch menschliche Teilnahme erhofft. Ausdrücklich unterscheidet<br />
sie Stirner von <strong>der</strong> Revolution unter dem Aspekt, dass die Revolu-
153<br />
tion nur den Bürger, nicht aber das Individuum befreie und dass die Revolte<br />
keine neuen Einrichtungen an die Stelle <strong>der</strong> bekämpften bestehenden<br />
setzen wolle. 479 Stirner will sich überhaupt keiner politisch-sozialen Organisation<br />
anschließen und an keine vorliegenden Voraussetzungen anknüpfen,<br />
also keine auch nur partielle Identifikation mit den bestehenden Verhältnissen<br />
eingehen, d. h. keine vermittelnden Kompromisse schließen,<br />
son<strong>der</strong>n alternativ „alles o<strong>der</strong> nichts“ (was auf pädagogischpsychologischer<br />
Ebene vergleichbar ist mit <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> totalen Distanzierung<br />
<strong>der</strong> Kin<strong>der</strong> von den Eltern als das eine Extrem zu dem an<strong>der</strong>en<br />
Extrem <strong>der</strong> totalen Identifizierung, die beide die Mitte <strong>der</strong> mit Selbstbehauptung<br />
verbundenen Anerkennung verfehlen, o<strong>der</strong> was auf ökonomischer<br />
Ebene vergleichbar ist mit <strong>der</strong> Negation <strong>der</strong> Komplementarität von<br />
Stabilität und Flexibilität).<br />
Dieser unpolitische antiinstitutionelle kompromisslos destruktive Anarchismus<br />
Stirners ist somit zu unterscheiden vom Typ des kollektivsozietären<br />
Anarchismus vor allem Proudhons, Bakunins, Kropotkins und<br />
an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong>en Anhänger als „libertäre“ Sozialisten auftreten gegen die „autoritären“<br />
und „doktrinären“ „Staatssozialisten“ 480 (und den Marx in <strong>der</strong><br />
ersten Internationale bekämpft und Lenin als „linken Radikalismus, die<br />
Kin<strong>der</strong>krankheit des Kommunismus“, zurückweist 481 ). Stirner verbindet<br />
aber mit den meisten Anarchisten – außer <strong>der</strong> Ablehnung jedes Staates als<br />
totalitär – die Negation aller bürokratisch-administrativen Apparate, aller<br />
disziplinierten und hierarischen Organisationen sowie aller etablierten Privilegien.<br />
(Wie <strong>der</strong> Anarchismus in Chauvinismus umschlagen kann, findet<br />
sich literarisch dargestellt in Arno Holz’ Drama „Sozialaristokraten“.)<br />
Die individuelle Revolte setzt Stirner gleich mit dem Krieg aller gegen alle.<br />
In ihm gilt die egoistische Maxime des amoralischen Verfolgens <strong>der</strong> jeweils<br />
eigenen Interessen und <strong>der</strong> gewaltsamen usurpatorischen Aneignung<br />
„Greife zu und nimm, was Du brauchst... Ich allein bestimme darüber,<br />
was ich haben will.“ 482 Mit Hilfe dieser Praxis <strong>der</strong> Revolte, nicht aber nach<br />
den Anleitungen <strong>der</strong> utopischen Sozialisten und Kommunisten, lasse sich,<br />
so behauptet Stirner, auch die Eigentumsfrage lösen: „Die Armen werden<br />
nur frei und Eigentümer, wenn sie sich – empören, emporbringen, erheben.“<br />
483 Noch im Namen <strong>der</strong> Vernunft dagegen for<strong>der</strong>t William Godwin unter<br />
dem Einfluss <strong>der</strong> von ihm übersetzten französischen Enzyklopädisten
154<br />
in seiner Schrift „Enquiry concerning political justice and its influence on<br />
general virtue and happiness“ (1793) den freiwilligen Ausgleich des Einkommens<br />
und des Eigentums, des „Schlusssteins“ am „Gebäude <strong>der</strong> politischen<br />
Gerechtigkeit.“ Während <strong>für</strong> Hegel <strong>der</strong> Egoismus <strong>der</strong> konkurrierenden<br />
Privatinteressen nur die bürgerliche Gesellschaft, das „System <strong>der</strong><br />
Bedürfnisse“, bestimmt, im Staat aber mit den Allgemeininteressen versöhnt<br />
wird, gewinnt <strong>für</strong> Stirner <strong>der</strong> Egoismus – in Gestalt <strong>der</strong> individuellen<br />
Revolte – als scheinbar natürliche Konstante und invariante Struktur des<br />
Menschen universale Bedeutung. Stirner selbst will allerdings nicht wahrhaben,<br />
dass er nur die von Hegel analysierten – geschichtlich gewordenen<br />
– schon vorhandenen Triebfe<strong>der</strong>n <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft verabsolutiert.<br />
Er beruft sich dabei darauf, dass in <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft die<br />
egoistischen Beziehungen <strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong> noch entfremdet<br />
seien, d. h. allgemein-rechtlich vermittelt und von Staats wegen sanktioniert<br />
seien statt ausschließlich auf Gewalt zu beruhen: „Worüber man Mir<br />
die Gewalt nicht zu entreißen vermag, das bleibt mein Eigentum; wohlan,<br />
so entscheide die Gewalt über das Eigentum, und Ich will alles von meiner<br />
Gewalt erwarten!“ 484<br />
Mittel zur Durchsetzung <strong>der</strong> egoistischen Interessen <strong>der</strong> Individuen ist<br />
<strong>für</strong> Stirner <strong>der</strong> „Verein“, eine lockere freiwillig-spontane Assoziation (nach<br />
dem Vorbild <strong>der</strong> Berliner „Freien“). Dieser Verein von Egoisten sei die „Auflösung<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft“, <strong>der</strong>en Mitglie<strong>der</strong> durch ein geistiges substantielles<br />
Band zusammen gehalten würden. Der Verein schränke zwar auch die<br />
Freiheit, aber nicht die „Eigenheit“ <strong>der</strong> Individuen ein, und bleibe stets ihre<br />
eigene Schöpfung. 485<br />
Mit dieser Skizze des Vereins muss Stirner ungewollt selbst die behauptete<br />
Unvergleichbarkeit <strong>der</strong> Individuen antasten, was auch dadurch zum<br />
Ausdruck kommt, dass er im Verein das Geld beibehalten wissen möchte,<br />
das Äquivalent <strong>der</strong> Güter und Leistungen schlechthin. 486<br />
Stirner nimmt an, dass die Revolte <strong>der</strong> sich zeitweilig im Verein zusammenschließenden<br />
Individuen – wozu auch ein unorganisierter Streik<br />
gehören kann 487 – zur Negation des Bestehenden führe, „eine Umwandlung<br />
<strong>der</strong> Zustände zur unvermeidlichen Folge“ habe: „Verlasse ich das Bestehende,<br />
so ist es tot und geht in Fäulnis über.“ 488
155<br />
In welcher Weise aber diese Opposition in Gestalt <strong>der</strong> Empörung –<br />
ebenso wie die radikale Negation <strong>der</strong> Bauerschen Kritik – die Position und<br />
Toleranz <strong>der</strong> Realität ist, wird deutlich, wenn Stirner (in Konsequenz <strong>der</strong><br />
Tilgung <strong>der</strong> Differenz zwischen Vernunft und Wirklichkeit) selbstzufrieden<br />
die Tätigkeit des Ich hauptsächlich als Genuss und Selbstgenuss bestimmt,<br />
d. h. als Gebrauchen und Verzehren des Vorhandenen, wie es ist<br />
und wie es durch verfügende Macht zum Eigentum geworden ist, ohne<br />
dass Stirner den Aspekt des Sichversagens gegenüber fremden Ansprüchen<br />
hervorheben würde, das im Genuss und Vergnügen wie auch in<br />
künstlerischen formalistischen betont unnützlichen Spielereien liegen<br />
kann. 489490<br />
Sowohl auf die Dinge als auch auf die an<strong>der</strong>en Menschen bezieht Stirner<br />
diese utilitaristische Einstellung, <strong>der</strong>en Maßstab die Brauchbarkeit,<br />
<strong>der</strong> Nutzen, die Exploitation ist (und zwar in allgemeiner Form, ohne wie<br />
bei Jeremy Bentham und James Mill einen speziell ökonomischen Inhalt<br />
zu haben): „Mir bist Du nur dasjenige, was Du <strong>für</strong> Mich bist, nämlich mein<br />
Gegenstand, und weil mein Gegenstand, darum mein Eigentum.“ 490 Sogar<br />
Kant hatte noch in <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong> Ehepartner den „wechselseitigen Besitz<br />
ihrer Geschlechtseigenschaften“ zugestanden.<br />
Vergleichbar mit de Sade entwürdigt Stirner das Subjekt zum Objekt,<br />
das Fürsichsein zum Ansichsein, zum Abhängigen, Apathischen und Vorhandenen,<br />
das verfügbar und ersetzbar, fungibel ist, und sanktioniert dieses<br />
Verhältnis, soweit es als solches schon besteht. Er betrachtet das passive<br />
behandelte Du nicht auch als zugleich aktives handelndes Ich, das<br />
unantastbares Zentrum <strong>der</strong> authentischen Äußerung, <strong>der</strong> Selbsttätigkeit<br />
und Selbständigkeit leibt, womit er die Ausgangssituation <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Herr-Knecht-Analyse wie<strong>der</strong>holt, fixiert und unentfaltet lässt, d. h. ignoriert,<br />
dass <strong>der</strong> Herrschende selbst unfrei ist und erst frei wird in <strong>der</strong> die<br />
Dissoziation aufhebenden Kommunikation und Solidarität <strong>der</strong> Freien.<br />
Während <strong>der</strong> ebenfalls geschichtsfeindliche Individualist Schopenhauer<br />
noch das, „was einer ist“ höher stellt als das, „was einer hat“ (zum Beispiel<br />
in den „Aphorismen zur Lebensweisheit“), enthüllt sich das von Stirner als<br />
sachfrei und unvermittelt konzipierte Verhältnis von Ich zu Ich gerade als<br />
verdinglicht: alle Tätigkeiten des Ich sind <strong>für</strong> Stirner verobjektivierende<br />
Akte. In Stirners Konzeption triumphiert die Kategorie des Habens über die
156<br />
Kategorie des Seins, die Habsucht über die „Seinssucht“ (M. Heß), die Sachenwalt<br />
über die Menschenwelt.<br />
Gerade <strong>der</strong> radikale Subjektivismus, <strong>der</strong> die objektiven Inhalte zu überspringen<br />
und die Subjekt-Objekt-Spannung sowie die Differenz von Begriff<br />
und Realität zu negieren sucht, mündet in eine Verobjektivierung <strong>der</strong> Subjekte<br />
ebenso wie auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite die Subjekt-Objekt-Beziehung, die<br />
zur leeren Idealität ohne sorgende Umsicht überspannt ist.<br />
Mit <strong>der</strong> bewusst angestrebten Verdinglichung menschlicher Beziehungen<br />
verkehrt Stirner die Intentionen des Idealismus und will ihre „kopernikanische<br />
Wende“, in ethischer Hinsicht, nämlich dass <strong>der</strong> Mensch kein<br />
Objekt <strong>der</strong> Willkür werden darf, rückgängig machen. Das führt dazu, dass<br />
Stirner, um die idealistische als theologisch fundiert gedeutete Ethik überwinden<br />
zu können, im Grunde die Ethik überhaupt preisgibt: er findet<br />
keinen Ausweg aus den beiden Extremen <strong>der</strong> unterwürfigen Anpassung<br />
einerseits und des nihilistischen „Alles ist erlaubt,“ an<strong>der</strong>erseits. Speziell<br />
deutet er keinen Ausweg an aus dem Dilemma <strong>der</strong> vollständigen Unterdrückung<br />
und dem uneingeschränkten Gewährenlassen <strong>der</strong> Triebe, was beides<br />
lediglich <strong>der</strong> Machtentfaltung des Ich dienen kann.<br />
Wenn Stirner als notwendige Konsequenz <strong>der</strong> Revolte, des Sichherausziehens<br />
aus den bestehenden Verhältnissen (d. h. auch aus ihren Leistungszwängen),<br />
eine praktische Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> bestehenden Verhältnisse<br />
erwartet, so gilt ihm, dem antiintellektualistischen Intellektuellen, als<br />
unerlässliche Vorbedingung dieser Revolte zwar nicht die gedankliche Kritik<br />
im Bauerschen Sinne („Ein Ruck tut mir die Dienste des sorglichsten<br />
Denkens, ein Recken <strong>der</strong> Glie<strong>der</strong> schüttet die Qual <strong>der</strong> Gedanken ab...“ 491 ),<br />
aber doch auch eine Verän<strong>der</strong>ung des Bewusstseins, nämlich die Beseitigung<br />
des falschen Bewusstseins in Gestalt des „Sündenbewusstseins“,<br />
und das ist die Beseitigung <strong>der</strong> Selbstvorwürfe, gleichsam verstanden als<br />
Sanktionen einer Schizophrenie, sowie <strong>der</strong> Selbsttäuschungen, Vorurteile<br />
und Fiktionen über die bestehenden Verhältnisse, beson<strong>der</strong>s die Preisgabe<br />
des Respekts und <strong>der</strong> Devotion zugunsten einer radikal antiautoritären<br />
Willenshaltung. Die logische Negation gilt Stirner zugleich als ontologische<br />
und axiologische Negation.<br />
In diesem Sinne sagt Stirner zum Beispiel: „Gelangen die Menschen dahin,<br />
dass sie den Respekt vor dem Eigentum verlieren, so wird je<strong>der</strong> Eigen-
157<br />
tum haben, wie alle Sklaven freie Menschen werden, sobald sie den Herrn<br />
als Herrn nicht mehr achten.“ 492492 Noch deutlicher wird <strong>der</strong> von Stirner<br />
behauptete Zusammenhang zwischen Bewusstseinsverän<strong>der</strong>ung, praktischer<br />
Revolte und praktischer Umwandlung <strong>der</strong> bestehenden Verhältnisse,<br />
wenn er sagt: „Die Arbeiter haben die ungeheuerste Macht in den Händen,<br />
und wenn sie ihrer einmal recht inne würden und sie gebrauchten, so wi<strong>der</strong>stände<br />
ihn nichts: sie dürften nur die Arbeit einstellen und das Gearbeitet<br />
als das ihrige ansehen und genießen.“ 493493<br />
Die Hauptsache <strong>der</strong> Emanzipation ist also <strong>für</strong> Stirner eine Bewusstseinsleistung;<br />
psychoanalytisch ausgedrückt: Stirner meint sich als Ich zu<br />
verwirklichen und die allgemeinen Ansprüche <strong>der</strong> Gesellschaft wirklich los<br />
zu sein, sobald er sich mit seinem Über-Ich, in dem sie sich melden, nicht<br />
mehr identifiziert. Daraus ist ersichtlich, weshalb Marx und Engels ihn in<br />
<strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“ vor allem unter dem Gesichtspunkt angreifen<br />
können, er halte wirkliche – z.B. staatliche und soziale – entfremdete Verhältnisse<br />
dadurch <strong>für</strong> auflösbar, dass man sie sich aus dem Kopf schlage,<br />
eine Illusion, <strong>der</strong> vorausgehe die Verwandlung <strong>der</strong> wirklichen Verhältnisse<br />
in gedankliche Verhältnisse, d. h. die Idealisierung <strong>der</strong> realen Verhältnisse<br />
und ihre Verflüchtigung zu Scheinexistenzen. „Unsere ganze Darstellung<br />
hat gezeigt, wie Sankt Sancho alle wirklichen Verhältnisse dadurch kritisiert,<br />
dass er sie <strong>für</strong> ,das Heilige‘ erklärt, und sie dadurch bekämpft, dass<br />
er seine heilige Vorsellung von ihnen bekämpft.“ 494<br />
Während Stirner nur die beiden früheren Abhandlungen von Marx in<br />
den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“ kennt 495 und auf die „Deutsche<br />
Ideologie“ nicht eingehen kann, da sie zu seinen Lebzeiten nicht veröffentlicht<br />
wird, äußert er sich doch zu Moses Heß’ Schrift „Die letzten Philosophen“<br />
(1845), in <strong>der</strong> im wesentlichen das gleiche Argument angeführt wird,<br />
und in dieser Weise indirekt zur „Deutschen Ideologie.“<br />
Heß wirft nämlich Stirner die Verwechselung wirklicher Verhältnisse<br />
mit Abstraktionen vor, als <strong>der</strong>en Konsequenz Stirner schließlich „mit <strong>der</strong><br />
transzendenten Humanität auch alle wirkliche Humanität“ zugunsten des<br />
praktischen Egoismus verwerfe.<br />
Heß’ Gedankengang sei etwas ausführlicher zitiert: „Nicht die gegenseitige<br />
Entfremdung <strong>der</strong> Menschen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> theoretische Ausdruck dieser<br />
Entfremdung: Religion und <strong>Philosophie</strong> – nicht <strong>der</strong> Krieg aller gegen
158<br />
alle, hervorgegangen aus <strong>der</strong> Vereinzelung und Entzweiung <strong>der</strong> Menschen<br />
im Leben, son<strong>der</strong>n das sie begleitende böse Gewissen – nicht das Verbrechen<br />
nach oben und das Verbrechen nach unten, kurz, nicht <strong>der</strong> Egoismus<br />
hat den Pöbel und seine Zwingherren zur Welt gebracht, sagt Stirner,<br />
son<strong>der</strong>n das ,Sündenbewusstsein‘, welches dazu kam, trägt allein die<br />
Schuld! – Wenn du ein Bein gebrochen hast, und <strong>der</strong> Bruch verursacht dir<br />
Schmerzen, und <strong>der</strong> Wundarzt legt einen Verband um den Bruch, so ist,<br />
nach unseren Philosophen, nicht <strong>der</strong> Bruch, son<strong>der</strong>n die schmerzliche<br />
Empfindung des Bruchs und <strong>der</strong> Verband die Ursache deines Übels!“ 496<br />
Zugleich ist Stirner mit seiner Lehre des praktischen Egoismus (in Entsprechung<br />
zu Bauer als „theoretischen Egoisten“) <strong>für</strong> Heß – ähnlich wie <strong>für</strong><br />
Marx – ein Ideologe <strong>der</strong> bürgerlichen Konkurrenzgesellschaft, <strong>der</strong> „sozialen<br />
Tierwelt“, in <strong>der</strong> <strong>der</strong> Mensch im Geld seine äußerste Entäußerung hat. 497<br />
Heß steht in dieser Schrift auf dem Standpunkt <strong>der</strong> Feuerbachschen<br />
Theorie des anthropologisch fundierten Humanismus, den er durch die<br />
„wahre“ gesellschaftliche Vereinigung <strong>der</strong> Menschen im Sozialismus praktisch<br />
negiert und verwirklicht wissen will, wodurch allein <strong>der</strong> Zwiespalt<br />
zwischen <strong>der</strong> Theorie und <strong>der</strong> Praxis, d. h. zwischen dem allgemeinen Gattungsmenschen<br />
des Staates und dem einzelnen leibhaftigen Menschen <strong>der</strong><br />
bürgerlichen Gesellschaft, überwunden werden könne. 498<br />
Den bestehenden Zwiespalt zwischen Theorie und Praxis betrachtet Heß<br />
als Erbe des christlichen Dualismus des Göttlichen und Menschlichen.<br />
Dessen Versöhnung, die in <strong>der</strong> Vergangenheit schon unbewusst im „alten<br />
Bund“ bestanden habe, erwartet er in seiner ersten Schrift „Die heilige Geschichte<br />
<strong>der</strong> Menschheit“ (1837) davon, dass die von Spinoza theoretisch<br />
erkannte Harmonie des Göttlichen und Natürlichen durch bewusste Tätigkeit<br />
in <strong>der</strong> sozialen Harmonie des „neuen Jerusalem“ realisiert werde („Geläutert<br />
ist das alte Gesetz, dessen Leib mit Christus begraben wurde, in<br />
Spinoza wie<strong>der</strong> auferstanden... Religion und Politik werden wie<strong>der</strong> eins<br />
werden, Kirche und Staat sich wie<strong>der</strong> gegenseitig durchdringen. 499 )<br />
Auf dem Übergang von diesem religiösen zum „wahren“ Sozialismus –<br />
ausdrücklich anknüpfend an Cieszkowskis „Prolegomena zur Historiosophie“<br />
und beeinflusst von Heines „Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong><br />
in Deutschland“ – postuliert Heß in seiner Schrift „Die europäische<br />
Triarchie“ (1841) die Einbeziehung <strong>der</strong> Zukunft in die Spekulation
159<br />
und die Übersetzung <strong>der</strong> Hegelschen und junghegelianischen Theorie, die<br />
die Einheit von Denken und Sein nur in theoretischer Gestalt erfassen, in<br />
die Tat: „Die deutsche <strong>Philosophie</strong> hat ihre Sendung erfüllt, sie hat uns in<br />
alle Wahrheit geführt. Jetzt müssen wir Brücken schlagen, die wie<strong>der</strong> vom<br />
Himmel zur Erde führen. – Was in <strong>der</strong> Trennung bleibt, die Wahrheit<br />
selbst, wenn sie in ihrer hohen Abgeschiedenheit verharrt, wird unwahr.<br />
Wie die Wirklichkeit, die nicht von <strong>der</strong> Wahrheit durchdrungen, eben so ist<br />
auch die Wahrheit, die nicht verwirklicht wird, eine schlechte.“ 500<br />
Die sozial-revolutionäre Praxis in England werde die Emanzipation <strong>der</strong><br />
Menschen vollenden, die mit <strong>der</strong> philosophisch-religiösen Befreiung in<br />
Deutschland und <strong>der</strong> politischen Befreiung in Frankreich ins Werk gesetzt<br />
worden sei. 501<br />
In <strong>der</strong> „<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat“ (1843), die Marx am Anfang seiner „Ökonomisch-philosophischen<br />
Manuskripte“ mit zwei an<strong>der</strong>en Abhandlungen<br />
von Heß hervorhebt, leitet Heß die kommunistische Gesellschaft nicht wie<br />
Marx aus <strong>der</strong> Klassenlage des Proletariats, son<strong>der</strong>n aus dem philosophischen<br />
Begriff <strong>der</strong> Tätigkeit überhaupt ab, in <strong>der</strong> das Wesen des Menschen<br />
liege (und zwar aus <strong>der</strong> idealistisch gefassten geistigen Tätigkeit, und das<br />
ist <strong>für</strong> ihn wie <strong>für</strong> Cieszkowski sowohl die theoretisch-denkerische als<br />
auch die praktisch-soziale Tätigkeit): die Tätigkeit sei nämlich – was Fichte<br />
<strong>für</strong> das Denken erkannt habe – als Prozess des Ponierens und Negierens<br />
des Nicht-Ich die Tätigkeit <strong>der</strong> Selbstbestimmung 502 , und diese Tätigkeit<br />
schließe ein die Beseitigung aller sie beschränkenden Unfreiheit, d. h. die<br />
„Negation des Bestimmtwerdens von außen“: „Wie nun, wenn aller Kommunismus<br />
und Atheismus, alle Anarchie darauf hinausliefe, die äußerlichen<br />
Schranken in Selbstbeschränkung, den äußern Gott in den innern,<br />
das materielle Eigentum in geistiges umzuschaffen? 503<br />
Dass die hervorbringende Tätigkeit im Laufe <strong>der</strong> Entwicklung des Geistes<br />
–notwendigerweise – durch ihre objektiven Werke ständig fixiert und<br />
entfremdet wurde, so dass <strong>der</strong> Mensch noch nicht „frei und glücklich“ war,<br />
ist <strong>für</strong> Heß gleichbedeutend damit, dass die Tätigkeit noch kein Selbstzweck<br />
war und von ihr <strong>der</strong> Genuß getrennt blieb. In <strong>der</strong> wahrhaft freien<br />
Tätigkeit dagegen sei die Trennung von Arbeit und Genuß sowie Arbeit<br />
und Muße negiert und bilden Produktion und Konsumtion eine Einheit. 504
160<br />
Diese dialektische Einheit in <strong>der</strong> freien Tätigkeit des nicht mit sich zerfallenen<br />
Lebens macht Heß nun auch gegen Stirners einseitigen Egoismus<br />
in seiner Schrift „Die letzten Philosophen“ geltend: „Lieben, schaffen, arbeiten,<br />
produzieren, ist unmittelbarer Genuss... Wenn ich liebe, um zu genießen,<br />
dann liebe ich nicht nur nicht, dann genieße ich auch nicht.“ 505<br />
Indem Stirner diese Zusammenhänge in seiner Entgegnung unbestrittene<br />
„Trivialitäten“ nennt 506506 , verkennt er das Argument gegen seine<br />
Konzeption des Egoismus, das in dem Hinweis auf die Dialektik <strong>der</strong> Tätigkeit<br />
liegt, demzufolge zum Beispiel seine starre Entgegensetzung von egoistischer<br />
Tat und politisch-sozialer Tat unmöglich wird. 507<br />
Vor allem missversteht Stirner völlig Heß’ prinzipiell gemeintes Argument,<br />
dass er wirkliche in bewusstseinsmäßige Verhältnisse verwandle<br />
und die wirklichen Verhältnisse mit den Abstraktionen von ihnen verwechsele.<br />
508<br />
Dieses Argument bekräftigt Stirner gerade dadurch, dass er Heß’ weitere<br />
Behauptung, er stehe mit seiner Be<strong>für</strong>wortung des Egoismus auf dem<br />
Standpunkt <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft, damit zurückweist, in <strong>der</strong> bürgerlichen<br />
Gesellschaft seien die wirklichen menschlichen Beziehungen<br />
noch von „heiligen“ Vorstellungen vermittelt. Infolgedessen mischt er Falsches<br />
und Wahres: „Stirner liegt die bürgerliche Gesellschaft ganz und gar<br />
nicht am Herzen... So etwas konnte Heß nur darum in ihm argwöhnen,<br />
weil er mit Hegelschen Kategorien an ihn trat.“ 509
161<br />
VIII. Feuerbachs sensualistische Konzeption <strong>der</strong> Praxis als Liebe und<br />
<strong>der</strong> Theorie als unmittelbarer Anschauung auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Ich-<br />
Du-Beziehung<br />
Gegenüber Stirners Egoismus des „Einzigen“ bekräftigt Ludwig Feuerbach<br />
in seiner Apologie „Das Wesen des Christentums in Beziehung auf<br />
den ‚Einzigen und sein Eigentum‘“ (1845) seinen anthropologisch fundierten<br />
Humanismus, indem er außer auf <strong>der</strong> Unterscheidung zwischen Wesentlichem<br />
und Unwesentlichem innerhalb eines Individuums vor allem<br />
auf <strong>der</strong> Einheit von Autonomie und Heteronomie in <strong>der</strong> wechselseitigen<br />
Angewiesenheit von Ich und Du beharrt: je<strong>der</strong> einzelne, leibhaftige – geschlechtlich<br />
bestimmte – Mensch bedarf eines an<strong>der</strong>en Menschen zu seiner<br />
physischen Fortpflanzung; und in <strong>der</strong> sittlichen Gemeinschaft <strong>der</strong><br />
Menschen sind egoistische und altruistische Beziehungen in Wahrheit untrennbar,<br />
so dass die im an<strong>der</strong>en Menschen repräsentierte menschliche<br />
„Gattung“ reale Bedingung <strong>der</strong> je eigenen Existenz ist, nicht aber ein Abstraktum<br />
und eine verselbständigte fixe Idee, und Feuerbach sich hier als<br />
„Gemeinmensch, Kommunist“ bezeichnet. 510<br />
Schon hier sei auf Feuerbachs. Schwäche hingewiesen, dass er diese<br />
am natürlichen Ich-Du-Verhältnis gewonnene Auffassung, das egoistische<br />
Streben nach <strong>der</strong> eigenen Glückseligkeit impliziere die altruistische Befriedigung<br />
<strong>der</strong> fremden Glückseligkeit, <strong>für</strong> alle Beziehungen <strong>der</strong> Menschen in<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft verallgemeinert und als Resultante des vernünftigen egoistischen<br />
Strebens (nach Aufhebung <strong>der</strong> religiösen Entfremdung) eine<br />
allgemeine Harmonie und För<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Menschen erwartet 5l0a , – eine<br />
Illusion, die er mit den Verfechtern des ethischen Prinzips des „wohlverstandenen<br />
Eigeninteresses“ <strong>der</strong> Aufklärung teilt.<br />
(I) Während Feuerbach also in den praktischen Beziehungen <strong>der</strong> Menschen<br />
untereinan<strong>der</strong> dem Egoismus eine partielle Berechtigung zuerkennt,<br />
nämlich in Gestalt vernünftiger Selbstbehauptung 511 , diskreditiert er ihn<br />
gänzlich in dem praktischen Verhalten zur Natur: die praktische Aneignung<br />
<strong>der</strong> Natur gilt Feuerbach als eigennützig und utilitaristisch und deshalb<br />
– im Gegensatz zum theoretischen Verhalten – als wahre Beziehung<br />
zur Natur.
162<br />
Wie Feuerbach in „Das Wesen des Christentums“ (1841) entwickelt, ist<br />
die praktische Aneignung <strong>der</strong> Natur nämlich <strong>für</strong> ihn die Unterwerfung <strong>der</strong><br />
Natur unter den Willen und das Bedürfnis des Menschen, wobei die Natur<br />
als „an und <strong>für</strong> sich nichts“ behandelt wird. Indem <strong>der</strong> Mensch die Natur<br />
zum Objekt des Willens und zum Mittel <strong>für</strong> egoistische Zwecke mache,<br />
son<strong>der</strong>e er sich von ihr ab und entzweie sich mit ihr. „Wo... <strong>der</strong> Mensch<br />
nur auf den praktischen Standpunkt sich stellt und von diesem aus die<br />
Welt betrachtet, den praktischen Standpunkt selbst zum theoretischen<br />
macht, da ist er entzweit mit <strong>der</strong> Natur...“ Durch diese Einstellung werde<br />
<strong>der</strong> Mensch „theoretisch borniert, weil gleichgültig gegen alles, was nicht<br />
unmittelbar auf das Wohl des Selbst sich bezieht“ und verliere den „freien<br />
theoretischen Trieb und Sinn“. 512<br />
Zweck ihrer selbst dagegen – nicht Gegenstand selbstsüchtigen Benutzens<br />
– sei die Natur als Gegenstand <strong>der</strong> Theorie, die eine „freudenvolle, in<br />
sich befriedigte, selige Anschauung“ sei. Die Theorie lasse die Dinge „in<br />
Frieden gewähren und bestehen“ und betrachte sie „an sich selbst, in ihrer<br />
Beziehung auf sich“. 513 Somit ist <strong>für</strong> Feuerbach die praktische Naturaneignung<br />
die Position <strong>der</strong> Entfremdung, dagegen <strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong> Theorie<br />
„<strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong> Harmonie mit <strong>der</strong> Welt.“ 514<br />
Weiter ordnet Feuerbach das praktische eigennützige Verhalten zur Natur<br />
den Juden zu, das theoretische, uneigennützige Verhalten aber den<br />
Griechen. Der theoretischen freien Einstellung <strong>der</strong> Griechen zu <strong>der</strong> Natur,<br />
an <strong>der</strong> das Denken seinen Wi<strong>der</strong>stand und seine Grenze findet, entspreche<br />
ihre Auffassung von <strong>der</strong> Unerschaffenheit des Kosmos. („Die so sehr verkannte<br />
Ewigkeit <strong>der</strong> Materie o<strong>der</strong> Welt bei den heidnischen Philosophen<br />
hat also keinen an<strong>der</strong>n Sinn, als dass ihnen die Natur eine theoretische<br />
Wahrheit war.“ 515 ) Dagegen liege die praktische Willkür gegenüber <strong>der</strong> Natur<br />
<strong>der</strong> „Fundamentallehre <strong>der</strong> jüdischen Religion“ zugrunde, nämlich <strong>der</strong><br />
– „keinen theoretischen Anhaltspunkt“ bietenden 516 – Lehre <strong>der</strong> Schöpfung<br />
<strong>der</strong> Natur aus Nichts durch den unbeschränkt mächtigen Willen des einen<br />
naturtranszendenten Gottes. Ebenso dokumentiere sich im Glauben an<br />
alle (an<strong>der</strong>en) Wun<strong>der</strong> die Herabsetzung <strong>der</strong> Natur zu einem <strong>für</strong> sich nichtigen<br />
Objekt des Beliebens und des Bedürfnisses. 517 Die Subjektivität ist<br />
<strong>für</strong> Feuerbach <strong>der</strong> Grundzug auch <strong>der</strong> christlichen Religion, indem ihre<br />
Freiheit nicht im objektiven Sichbeschränken durch die Natur liege son-
163<br />
<strong>der</strong>n im Sichhinwegsetzen über die Natur in Gestalt unbeschränkter Phantasie<br />
und überschwenglichen Gefühls. 518<br />
Offensichtlich ist Feuerbach hier beeinflusst von Hegels Kennzeichnung<br />
<strong>der</strong> jüdischen Religion als „Religion <strong>der</strong> Erhabenheit“, in <strong>der</strong> „die Natur so<br />
ganz negiert, unterworfen, vorübergehend vorgestellt wird“. 519 Aber mit<br />
seiner Abwertung <strong>der</strong> praktischen relativen Negation <strong>der</strong> äußeren Natur<br />
gibt Feuerbach die Hegelsche Erkenntnis preis, dass die rein theoretische<br />
Einstellung (im Bereich <strong>der</strong> Endlichkeit) ebenso mangelhaft, einseitig und<br />
unfrei ist wie die ausschließlich praktische Einstellung. Feuerbach verkennt<br />
die Schwäche <strong>der</strong> Theorie, die darin besteht, dass sich in ihr das<br />
Subjekt passiv verhält, sich – unter Ausschaltung subjektiver Vorurteile –<br />
nach den objektiven Gegenständen richtet und diese als selbständig gewähren<br />
lässt, sich somit aber dem Vorhandenen unterwirft, das seinerseits<br />
vom Subjekt nicht bestimmt wird, sich selbständig erhält und <strong>der</strong> Selbstbestimmung<br />
des Subjekts entgegen steht.<br />
Unfreiheit hinsichtlich <strong>der</strong> Natur besteht <strong>für</strong> Feuerbach also nicht primär<br />
in <strong>der</strong> physischen Abhängigkeit von technisch unkontrollierten und<br />
unbewältigten Prozessen, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> phantastisch-egoistischen subjektiven<br />
Interpretation dieser Prozesse, was indirekt zum Ausdruck<br />
kommt, wenn Feuerbach zum Beispiel in den „Vorläufigen Thesen zur Reform<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ sagt: „... nur die Anschauung <strong>der</strong> Dinge und Wesen<br />
in ihrer objektiven Wirklichkeit macht den Menschen frei und ledig aller<br />
Vorurteile.“ 520<br />
Wenn allerdings Hegel weiter an <strong>der</strong> theoretischen Einstellung bemängelt,<br />
dass in ihr die äußeren Gegenstände nur als seiende, nicht als <strong>für</strong><br />
sich seiende, Zweck und Begriff in sich tragende gefasst werden, d. h. die<br />
Einheit des Begriffs hier nur außerhalb ihrer, nämlich im theoretischen<br />
Subjekt liege, so könnte dieses Argument nur gegen Feuerbach eingewendet<br />
werden, sofern er den idealistischen Objektivitätsbegriff des absoluten<br />
Idealismus hätte, demgemäß die Gegenstandswelt zwar unabhängig vom<br />
menschlichen Bewusstsein, aber abhängig vom absoluten Geist ist. (In Hegels<br />
absolutem Idealismus muss im Gegensatz zu Feuerbachs Materialismus<br />
die Negation <strong>der</strong> Natur – wie sie auch in den eleusinischen Mysterien<br />
des Brotessens und Weintrinkens vollbracht wird – schon deshalb ein positives<br />
Moment sein, weil in ihm die Natur die Negation des Geistes ist.)
164<br />
Feuerbach verkennt weiter, dass das praktisch negierende Eingreifen in<br />
die Natur das Begreifen <strong>der</strong> Natur nicht verhin<strong>der</strong>t, son<strong>der</strong>n gerade ermöglicht,<br />
so wie das „Erkenne dich selbst“ nicht nur durch psychologisierende<br />
Selbstanalyse o<strong>der</strong> doppelgängerische romantische Selbstbespiegelung<br />
(etwa in Tagebüchern), son<strong>der</strong>n auch vor allem durch die Tat verwirklicht<br />
wird und, wie Hegel in seiner Herr-Knecht-Analyse expliziert, durch die<br />
Umgestaltung <strong>der</strong> Natur insofern, als <strong>der</strong> Arbeitende sich in den (relativ)<br />
beständigen, Rückhalt bietenden Objektivierungen seines subjektiven Bewusstseins<br />
wie<strong>der</strong> findet Die Vermittlung <strong>der</strong> Umwelt zur Welt durch die<br />
praktische Naturaneignung – in <strong>der</strong> in dialektischer Einheit auch immer<br />
theoretische Momente enthalten sind – wäre nur dann Entfremdung von<br />
<strong>der</strong> Natur statt einigendes Band, wenn das zeitlich Erste auch das an sich<br />
Ursprünglichere wäre.<br />
Dass Feuerbach zwar Wollen, Denken und Fühlen als Wesensbestandteile<br />
o<strong>der</strong> Gattungsfunktionen des Menschen nennt 521 , aber den Willen in<br />
dieser Weise verkürzt (und ihn nur unter moralischem Aspekt in den zwischenmenschlichen<br />
Beziehungen anerkennt) ist eine Inkonsequenz; denn<br />
Feuerbach sucht grundsätzlich die religiöse Entfremdung und Vergegenständlichung<br />
in ihren wahren menschlichen Inhalt aufzulösen, führt aber<br />
die von ihm behandelte willentliche Unterwerfung <strong>der</strong> Natur im<br />
Schöpfungs- und Wun<strong>der</strong>glauben auf überhaupt keine positive menschliche<br />
Grundlage zurück. Von Feuerbachs eigenen Voraussetzungen aus wäre<br />
es möglich und notwendig gewesen, den eigennützigen Willen in <strong>der</strong> religiösen<br />
Vorstellung auf die praktische Verwandlung des An sich in ein Für<br />
mich positiv zu reduzieren (wenn auch Feuerbachs Konzentration auf die<br />
Religion ihm den Zugang zu <strong>der</strong> Arbeitspraxis als einer wesentlichen<br />
menschlichen Tätigkeit insofern erschweren musste, als Gott nicht im eigentlichen<br />
Sinne die Natur „bearbeitet“).<br />
Schließlich lässt sich gegen Feuerbachs Verurteilung des praktischen<br />
Verhaltens des Menschen zur Natur als eigennützig und seine For<strong>der</strong>ung<br />
des theoretischen Verhaltens das einwenden, was er selbst treffend gegen<br />
die Kantische Unterscheidung von „an sich“ und „<strong>für</strong> sich“ anführt: nur<br />
dann lässt sich eine <strong>der</strong>artige Zweiteilung rechtfertigen, wenn überhaupt<br />
die Möglichkeit besteht, dass „ein Gegenstand mir wirklich an<strong>der</strong>s erscheinen<br />
kann, als er erscheint“ 522 . Nur hinsichtlich <strong>der</strong> Beziehungen <strong>der</strong>
165<br />
Menschen untereinan<strong>der</strong> ist es sinnvoll, Uneigennutz zu verlangen anstelle<br />
von Eigennutz; denn es ist möglich, dass sich Menschen eigennützig o<strong>der</strong><br />
uneigennützig zu einan<strong>der</strong> verhalten. Aber das praktische Verhalten des<br />
Menschen zur Natur lässt sich nicht verurteilen wegen des Eigennutzes,<br />
da dieses Verhalten (lebens)notwendig ist und nicht durch Hinwendung<br />
zur Theorie an<strong>der</strong>s wird.<br />
Dass Feuerbach die Subjekt-Objekt-Relation in Gestalt <strong>der</strong> praktischen<br />
Beziehung des Menschen zur Natur als einseitig egoistisch und utilitaristisch<br />
ansieht und zugunsten des ausschließlich theoretischen Verhaltens<br />
zur Natur diskreditiert, hin<strong>der</strong>t ihn aber nicht, einige Charakteristika <strong>der</strong><br />
Arbeit zu erfassen. Dies geht aus Bemerkungen hervor, in denen er die Arbeit<br />
dem Gebet gegenüberstellt.<br />
Wie Feuerbach andeutet, ist die Arbeit Vermittlung und Wechselwirkung<br />
zwischen Mensch und Natur auf <strong>der</strong> verlässlichen Grundlage des Bestehens<br />
<strong>der</strong> Naturkausalität und als solche eine Zweck-Mittel-Relation, die<br />
die theoretischen Momente <strong>der</strong> Zielsetzung impliziert. Weiter werden in <strong>der</strong><br />
Arbeit nur erreichbare Wünsche angestrebt, und die Anerkennung <strong>der</strong> Beschränktheit<br />
und Bedingtheit des Menschen kommt in ihr zum Ausdruck<br />
sowie die Macht und Notwendigkeit <strong>der</strong> Natur. 523<br />
Aber auch hier bleibt die Theorie <strong>für</strong> Feuerbach nur einseitig die<br />
Grundlage <strong>der</strong> zwecktätigen Naturaneignung (die „die physischen Bedürfnisse<br />
und Wünsche“ mittelbar – nach Anstrengung – erfüllt 524 ), d. h. die<br />
Theorie – im Sinne <strong>der</strong> „objektiven Anschauung und Erfahrung, <strong>der</strong> Vernunft,<br />
<strong>der</strong> Wissenschaft überhaupt“ – ist <strong>für</strong> ihn „die Quelle <strong>der</strong> wahren<br />
objektiven Praxis“, und die zwecktätige Arbeit ist „durch die Anschauung<br />
<strong>der</strong> gegenständlichen Welt vermittelt“. 525 Dass aber ebenfalls umgekehrt<br />
auf <strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Arbeitspraxis theoretische Resultate vermittelt werden,<br />
entgeht Feuerbach in seiner ganzen Tragweite, wenn er auch gelegentlich<br />
äußert, dass „die Schranken des sinnlichen Bewusstseins und<br />
Lebens“ überwunden werden „durch sinnliche, wirkliche Tätigkeit.“ 526 Diese<br />
Schwäche Feuerbachs wird deutlich, wenn er zum Zweck <strong>der</strong> Vereinigung<br />
von Mensch und Natur ein Bündnis von <strong>Philosophie</strong> und Naturwissenschaft<br />
for<strong>der</strong>t 527 : die Wechselwirkung zwischen <strong>der</strong> Wissenschaft <strong>der</strong><br />
Natur und <strong>der</strong> industriellen Einwirkung auf die Natur bleibt unberücksichtigt.
166<br />
Innerhalb dieser Grenzen bezeugt Feuerbach Einsichten wie die, dass<br />
die praktische Tätigkeit eine sinnliche Vergegenständlichung und äußere<br />
Sichtbarmachung des Subjektiven, Inneren ist: „Was heißt denn machen,<br />
schaffen, hervorbringen an<strong>der</strong>s als etwas, was zunächst nur ein Subjektives,<br />
insofern Unsichtbares, Nichtseiendes ist, gegenständlich machen, versinnlichen,<br />
so dass nun auch an<strong>der</strong>e, von mir unterschiedne Wesen es<br />
kennen und genießen, also etwas außer mich setzen, zu etwas von mir Unterschiednem<br />
zu machen?“ 528 Auch dass das Individuum in <strong>der</strong> praktischen<br />
Tätigkeit „etwas <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e“ ist und ein Band zwischen sich und <strong>der</strong><br />
Gattung knüpft, berührt Feuerbach also. 529 Aber wenn Feuerbach mit <strong>der</strong><br />
schranken-überwindenden Aktivität, die immer in bestimmter Weise an<br />
einen bestimmten Inhalt gebunden ist, die Erzeugung eines „positiven<br />
Selbstgefühls“ verbunden sieht, sie als „inneres Bedürfnis“ bezeichnet und<br />
als die „glücklichste, seligste“ preist, so meint er doch wie<strong>der</strong>um nur die<br />
„geistige Produktion“, zum Beispiel: „Lesenswürdiges schaffen.“ 530 Und<br />
wenn er sagt: „Die sinnliche Freiheit ist allein die Wahrheit <strong>der</strong> geistigen<br />
Freiheit“ 531 , so denkt er dabei an die Bewährung einer Gesinnung durch<br />
die Tat.<br />
Indem Feuerbach die Freiheit gegenüber <strong>der</strong> Natur in ihrer Anschauung<br />
sieht und nicht in ihrer Beherrschung auf Grund <strong>der</strong> Kenntnis und Anerkenntnis<br />
ihrer Gesetze, steht er durchaus nicht in <strong>der</strong> neuzeitlichen Tradition,<br />
die mit Bacos Proklamierung des „regnum hominis“ auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong><br />
Naturbewältigung beginnt, son<strong>der</strong>n er geht hinter sie bis in die Antike zurück<br />
(ohne allerdings die mo<strong>der</strong>ne Technik kulturpessimistisch zu perhorreszieren).<br />
(II) Wenn er es auch nicht selbst ausspricht, so lässt sich doch sagen:<br />
Feuerbach zielt mit seiner Theorie-Praxis-Konzeption auf eine (undialektische)<br />
Synthese von Griechentum und Christentum ab.<br />
Die wahre Theorie sieht Feuerbach repräsentiert in <strong>der</strong> Naturanschauung<br />
<strong>der</strong> griechischen <strong>Philosophie</strong> und die wahre Praxis – allerdings in entfremdeter<br />
Gestalt – in <strong>der</strong> Liebe <strong>der</strong> christlichen Religion. Weiter erblickt er<br />
in <strong>der</strong> griechischen Theorie und in <strong>der</strong> christlichen auf ihre anthropologische<br />
Grundlage zurück geführten Liebe die Verwirklichung <strong>der</strong> Freiheit.<br />
Nur negativ, nicht wahrhaft frei waren <strong>für</strong> Feuerbach die Griechen auf<br />
dem praktischen Gebiet <strong>der</strong> menschlichen Beziehungen, insofern ihnen
167<br />
hier die Liebe des Menschen zum Menschen gleichgültig war, und die<br />
Christen auf theoretischem Gebiet, insofern sie sich ausschließlich auf das<br />
Individuum konzentrierten, dem Individuum die Gattung aufopferten, den<br />
Menschen aus dem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Kosmos heraus<br />
lösten und die Natur subjektiv – in <strong>der</strong> Einbildungskraft – verzerrten<br />
und egoistisch benutzten.<br />
Die Freiheit können <strong>für</strong> Feuerbach theoretische Vernunft und praktische<br />
Liebe insofern verwirklichen, als sie nicht exklusiv und partikular,<br />
son<strong>der</strong>n wesentlich unbeschränkt und universell sind. „Universalität, Unbeschränktheit<br />
und Freiheit sind unzertrennlich.“ 532 Und insofern Vernunft,<br />
Liebe und Freiheit universell sind, haben sie ihren einheitlichen<br />
Grund nicht im isolierten Ich allein, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Ich-Du-Beziehung, d.<br />
h. dem Ich als Mitmensch o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gemeinschaft <strong>der</strong> menschlichen<br />
Gattung, die im Du repräsentiert ist. „Die Liebe ist die subjektive Existenz<br />
<strong>der</strong> Gattung, wie die Vernunft die objektive Existenz <strong>der</strong> Gattung. “ 533<br />
In dieser Weise werden <strong>der</strong> Anthropologismus und Humanismus das<br />
Vereinigende von wahrer Theorie und Praxis: nicht die absolute Subjekt-<br />
Objekt-Identität, son<strong>der</strong>n die „Einheit des Menschen mit dem Menschen“ ist<br />
<strong>für</strong> Feuerbach als Selbstzweck „das höchste und letzte Prinzip <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“,<br />
worin Theorie und Praxis, „ratio“ und „emotio“, Kopf und Herz wurzeln.<br />
534<br />
In Feuerbachs Gründung <strong>der</strong> Theorie und Praxis auf die menschliche<br />
Gattung wird noch eine Seite <strong>der</strong> Hegelschen Einsicht bewahrt, dass Erkennen<br />
und Handeln nicht nur Tätigkeiten eines einzelnen isoliert genommenen<br />
Subjekts sind, wenn auch Feuerbach Theorie und Praxis dehistorisiert,<br />
d. h. ihnen den Charakter des stufenweise von <strong>der</strong> Menschheit<br />
vollzogenen Prozesses nimmt und von Hegels Konzeption <strong>der</strong> Sittlichkeit<br />
als konkreter Totalität fast ganz abstrahiert.<br />
Das letztere wird beson<strong>der</strong>s daraus deutlich, dass Feuerbach sogar vor<br />
<strong>der</strong> Abkehr von Hegel – die sich prägnant in seiner Zustimmung zu Kants<br />
Kritik des ontologischen Gottesbeweises dokumentiert 535 – zwar in theoretischer<br />
Hinsicht auf dem Hegelschen Standpunkt <strong>der</strong> Identität von Denken<br />
und Sein steht, in praktischer Hinsicht aber teilweise näher dem Kantisch-<br />
Fichteschen Rigorismus als <strong>der</strong> Hegelschen Auffassung von <strong>der</strong> geschichtlich-gesellschaftlich<br />
bestimmten Praxis. Wie wenig Feuerbach <strong>der</strong> Hegel-
168<br />
schen – den konkreten Inhalt aufnehmenden – Konzeption <strong>der</strong> Sittlichkeit<br />
in ihrem Gegensatz zum Kantisch-Fichteschen Formalismus gerecht wird,<br />
geht daraus hervor, dass er noch in <strong>der</strong> Vorrede zur zweiten Auflage des<br />
„Wesens des Christentums“ (1843) nicht im Gegensatz zur Hegelschen<br />
praktischen <strong>Philosophie</strong> zu stehen meint mit dieser – einen ethischen subjektiv-idealistischen<br />
Utopismus bekundenden – Aussage: „... die Idee ist<br />
mir nur <strong>der</strong> Glaube an die geschichtliche Zukunft, an den Sieg <strong>der</strong> Wahrheit<br />
und Tugend...“ 536 In erkenntnistheoretischer Hinsicht dagegen lehnt<br />
Feuerbach immer Kants Agnostizismus ab und hält in hegelianischer Weise<br />
an <strong>der</strong> prinzipiell unbeschränkten Erkennbarkeit <strong>der</strong> Welt fest. 537<br />
Wenn Feuerbach Theorie und Praxis auf die menschliche Gattung<br />
gründet, so ist diese anthropologische Konzeption zugleich sensualistisch:<br />
nach ihr haben das Dasein des Menschen <strong>für</strong> den Menschen sowie Theorie<br />
und Praxis im wesentlichen ihr Element in <strong>der</strong> Sinnlichkeit des Leibes, <strong>der</strong><br />
Sinnesorgane und <strong>der</strong> Natur. Eine Folge ist, dass in dieser Konzeption das<br />
Erkennen weitgehend <strong>der</strong> rationalen Momente ermangelt.<br />
Für Feuerbach ist das Denken eine einfache Zusammenfassung des<br />
vielfachen Wahrnehmungsinhaltes: „Denken ist zunächst gar nichts an<strong>der</strong>es<br />
als Vieles, Verschiedenartiges wahrnehmen und es in entsprechende<br />
Begriffsformen umsetzen.“ 538<br />
Das Bestreben, die Selbstbegründung und Selbstgenügsamkeit des in<br />
sich kreisenden monologisierenden – das Sein nur als Gedanke des Seins<br />
in sich selbst als das an<strong>der</strong>e seiner selbst entgegensetzenden sich selbst<br />
überbietenden – Denkens <strong>der</strong> Identitätsphilosophie Hegels, des „deutschen<br />
Proklus“, zu unterbrechen 539 und das Denken an das sinnliche selbständige<br />
Sein als Maßstab zu binden, führt Feuerbach in die Nähe eines Nominalismus<br />
und zu dem extremen Sensualismus, die Diskontinuität, die qualitative<br />
Differenz, von sinnlicher Wahrnehmung und sinnlichem Denken zugunsten<br />
ihrer Kontinuität undialektisch zu verwerfen.<br />
An die Stelle <strong>der</strong> Hegelschen absoluten Vermittlung des Seins mit dem<br />
Denken setzt Feuerbach nicht den relativen Vermittlungsprozess des Abstrahierens<br />
von <strong>der</strong> konkreten Sinnlichkeit und des Konkretisierens <strong>der</strong><br />
Abstrakta auf <strong>der</strong> qualitativ höheren Stufe des Gedankens, son<strong>der</strong>n die<br />
einfache Unmittelbarkeit <strong>der</strong> Beziehung von Denken und Sein, auch wenn<br />
er unter dem unmittelbaren sinnlichen Sein nicht das „auf platter Hand
169<br />
Liegende“, son<strong>der</strong>n das – <strong>der</strong> von phantastischen Vorstellungen gereinigten<br />
Anschauung – Gegebene versteht. 540<br />
Die erkenntnistheoretische Grundlage <strong>für</strong> die Unmittelbarkeit des Erfassens<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit ist die Identität von Wesen und Erscheinung, <strong>der</strong>en<br />
Unwahrheit Feuerbach nur in seiner Hegelschen Periode erkennt, in<br />
<strong>der</strong> er das Denken geradezu definiert als „die Tätigkeit <strong>der</strong> Unterscheidung<br />
des Wesens von <strong>der</strong> Erscheinung.“ 541 Nach seiner Abkehr von Hegel ist <strong>für</strong><br />
Feuerbach die Identität von Sein und Wesen im menschlichen Leben nur<br />
ausnahmsweise „in abnormen, unglücklichen Fällen“ nicht vorhanden. 542<br />
Dementsprechend kann zur Unmittelbarkeit <strong>der</strong> theoretischen Einstellung<br />
hinzukommen die Unmittelbarkeit des praktischen Verhaltens <strong>der</strong> Menschen<br />
untereinan<strong>der</strong>, d. h. die Unmittelbarkeit <strong>der</strong> Liebe, die keine Spannungen<br />
zwischen Existenzverhältnissen und Wesensbestimmungen verän<strong>der</strong>t.<br />
In Folge <strong>der</strong> Identifizierung von Wesen und Erscheinung kommt Feuerbach<br />
darin mit Stirner überein, dass er keinen Kritikbegriff <strong>der</strong> Gesellschaft,<br />
<strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> Geschichte aus <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> gewinnen<br />
kann, da die Kritik auf <strong>der</strong> Entzweiung von Wesen und Erscheinung,<br />
<strong>der</strong> Differenz zwischen Möglichem und Wirklichem, Rationalem und<br />
Realem basieren müsste.<br />
Zusammen gehören somit bei Feuerbach das Fehlen dieses Begriffes <strong>der</strong><br />
Kritik und die Ungeschichtlichkeit <strong>der</strong> sensualistischen Anthropologie,<br />
<strong>der</strong>gemäß das Wesen des Menschen – im Gegensatz zur geschichtlich orientierten<br />
Anthropologie sowohl Her<strong>der</strong>s als auch Hegels – einfach vorgegeben,<br />
unmittelbar fertig und festgestellt ist, nicht aber aufgegeben und Resultat<br />
dessen, wozu <strong>der</strong> Mensch sich selbst verwirklicht in einem theoretisch-praktischen<br />
Bildungs- und Vermittlungsprozess 543 , <strong>der</strong> also beinhaltet,<br />
dass die Ergründung dessen, was <strong>der</strong> Mensch ist, keine rein theoretische,<br />
son<strong>der</strong>n auch eine praktisch-geschichtliche Frage ist. Feuerbach löst<br />
wie<strong>der</strong> die Hegelsche Verknüpfung <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>der</strong> Wahrheit mit <strong>der</strong><br />
praktischen Verwirklichung <strong>der</strong> Wahrheit in <strong>der</strong> geschichtlich-politischen<br />
Freiheit.<br />
Das erste Kriterium und „fundamentum inconcussum“ <strong>der</strong> Wahrheit ist<br />
<strong>für</strong> Feuerbach die Sinnlichkeit in ihrer Unmittelbarkeit, d. h. in ihrer auf<br />
sich stehenden Positivität. „Wahrheit, Wirklichkeit, Sinnlichkeit sind iden-
170<br />
tisch.“ 544 Notwendig existent und bewusstseinstranszendent ist nicht, was<br />
Objekt des Denkens o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Vorstellung ist, son<strong>der</strong>n was Gegenstand <strong>der</strong><br />
Sinnlichkeit ist: „Der Beweis, dass etwas ist, hat keinen an<strong>der</strong>en Sinn, als<br />
dass etwas nicht nur Gedachtes ist. Dieser Beweis kann aber nicht aus<br />
dem Denken selbst geschöpft werden. Wenn zu einem Objekt des Denkens<br />
das Sein hinzukommen soll, so muss zum Denken selbst etwas vom Denken<br />
Unterschiedenes hinzukommen.“ 545 (In <strong>der</strong> Tat ließe sich daraus, dass<br />
ein „Beweis“ des bewusstseinsunabhängigen Objektiven nur innerhalb des<br />
Elements des Denkens vorsichgehen kann, nicht die Schlussfolgerung ziehen,<br />
das Denken sei das Absolute.) Und insofern <strong>für</strong> Feuerbach diese<br />
Sinnlichkeit sich in <strong>der</strong> Liebe als Leidenschaft manifestiert, kann er sagen:<br />
„... nur die Leidenschaft ist das Wahrzeichen <strong>der</strong> Existenz.“ 546 Da ihm weiter<br />
die Liebe als Leidenschaft das wahre praktische Verhalten ist, kann er<br />
sagen: „Die Frage vom Sein ist... eine praktische Frage.“ 547 „Die Frage, ob<br />
dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine<br />
Frage <strong>der</strong> Theorie, son<strong>der</strong>n eine praktische Frage“, sagt zwar auch Marx in<br />
<strong>der</strong> zweiten Feuerbach-These fast gleichlautend, aber er meint mit <strong>der</strong><br />
Praxis die die gesellschaftlichen Umstände verän<strong>der</strong>nde revolutionäre Tätigkeit.<br />
Die Praxis <strong>der</strong> – universalen im Sinne Marxens klassenindifferenten<br />
objektivistischen, allenfalls im „Reich <strong>der</strong> Freiheit“ <strong>der</strong> klassenlosen<br />
Gesellschaft „jenseits <strong>der</strong> materiellen Produktion“ integrierbaren – Liebe<br />
enthält <strong>für</strong> Feuerbach zwar auch eine gewisse aktive Komponente, nämlich<br />
den Drang zur „Wohltätigkeit, die alle beglücken will“, aber bestimmend ist<br />
das passive, empfangende Moment, d. h. das Pathos o<strong>der</strong> die Affektion<br />
durch ein leidendes, weil endliches und bedürftiges Wesen zur mitleidenden<br />
Teilnahme: die „Passion“, wobei Feuerbach den Zusammenhang zwischen<br />
Liebe und Affirmation erkennt: „Sein heißt sich behaupten, sich bejahen,<br />
sich lieben.“ 548 Mit <strong>der</strong> Liebe ist außer <strong>der</strong> Sinnlichkeit auch das<br />
an<strong>der</strong>e Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit gegeben: die Gemeinschaft des Menschen<br />
mit dem Menschen in Gestalt <strong>der</strong> Intersubjektivität des Gattungsbewusstseins,<br />
vermittels dessen das Wissen von <strong>der</strong> Welt sich bewahrheit: „Wahr<br />
ist, worin <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e mit mir übereinstimmt.“ 549<br />
(III) Zu dem Anthropologismus und Sensualismus, dem Bruch mit dem<br />
Idealismus in erkenntnistheoretischer Hinsicht, kommt Feuerbach durch<br />
die Umkehrung <strong>der</strong> Hegelschen Bestimmung des Verhältnisses von Denken<br />
und Sein sowie Subjekt und Prädikat, und zwar zunächst in <strong>der</strong> in
171<br />
den „Hallischen Jahrbüchern“ veröffentlichten Schrift „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong>“ (1839), in <strong>der</strong> er Hegel wie <strong>der</strong> ganzen idealistischen<br />
<strong>Philosophie</strong> seit Descartes und Spinoza den Vorwurf macht „eines unvermittelten<br />
Bruches mit <strong>der</strong> sinnlichen Anschauung“ und <strong>der</strong> „unmittelbaren<br />
Voraussetzung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“, d. h. ihrer Selbstbegründung und Autonomie,<br />
am Anfang sowohl <strong>der</strong> Logik als auch <strong>der</strong> Phänomenologie: <strong>der</strong><br />
wahre philosophische Anfang müsse nicht gemacht werden mit dem Begriff<br />
des Seins (<strong>der</strong> zur Konsequenz habe den Vorrang <strong>der</strong> methodischen<br />
Darstellung und des Systems, die Verkehrung <strong>der</strong> Form zum Wesen), son<strong>der</strong>n<br />
mit dem sinnlich wahrnehmbaren Sein (das immer bestimmtes Sein,<br />
qualitative Mannigfaltigkeit sei 550 , so dass sich Feuerbachs Sensualismus<br />
wie Hegels Naturphilosophie abgrenzt vom mathematisch-mechanischen<br />
Materialismus, wie ihn Hobbes vertrat). Bei dieser grundsätzlichen Kritik<br />
greift Feuerbach im Namen des anfangslosen Seins das Denken des absoluten<br />
Nichts als undenkbar an und trifft damit die Hegelsche Dialektik,<br />
ohne sich zu fragen, ob es eine Dialektik des relativen Nichts gibt und in<br />
welchem Verhältnis sie zur ersten Triade <strong>der</strong> Logik steht. Wenn Feuerbach<br />
im übrigen bemerkt, die „absolute Selbstentäußerung <strong>der</strong> Vernunft“ im<br />
Hegelschen System spreche sich in einem „spekulativen Empirismus“ aus,<br />
z. B. in <strong>der</strong> „Deduktion selbst <strong>der</strong> Majorate“, so haben wir hier die Quelle<br />
<strong>für</strong> Ruges Kritik an Hegels „Positivismus des Vernunftfindens“ (nämlich<br />
<strong>der</strong> Verwandlung <strong>der</strong> historischen Existenz in den Begriff) sowie <strong>für</strong> Marx’<br />
Kritik des Hegelschen „falschen Positivismus“ und „scheinbaren Kritizismus“.<br />
551<br />
Mit Hilfe des im Umkehrverfahren neu gewonnenen Begriffs <strong>der</strong> Entfremdung<br />
kritisiert Feuerbach dann die Religion im „Wesen des Christentums“<br />
(1841) als Ausdruck <strong>der</strong> Entzweiung und idealisierenden Verdoppelung<br />
des leibhaftigen Menschen und seiner „Gattungseigenschaften“ wie<br />
Liebe, Gerechtigkeit, Güte und an<strong>der</strong>er. („Die Religion... ist das Verhalten<br />
des Menschen zu sich selbst... zu seinem Wesen, aber das Verhalten zu<br />
seinem Wesen als zu einem an<strong>der</strong>en Wesen.“ 552 ) In <strong>der</strong> Trennung von <strong>der</strong><br />
entäußerten Gattung sei <strong>der</strong> Mensch ein vereinzeltes egoistisches Individuum,<br />
das nur durch Aufhebung <strong>der</strong> in einem absoluten Subjekt entfremdeten<br />
Gattungseigenschaften, vor allem durch Rücknahme <strong>der</strong> Liebe zu<br />
Gott in die Liebe zum Menschen, sein wahres Wesen zurück gewinnen<br />
könne. So wird zum positiven Teil <strong>der</strong> Reduktion <strong>der</strong> Theologie auf die An-
172<br />
thropologie diese Praxis <strong>der</strong> Liebe des Menschen zum Menschen – eine atheistische<br />
Liebesreligion; denn das Ich-Du-Verhältnis bestimmt Feuerbach<br />
mit diesem praktischen Grundsatz: homo homini deus est. 553 Als einige<br />
<strong>der</strong> Junghegelianer – so Ruge und Engels 554 – Feuerbachs Religionskritik<br />
nicht als Bruch mit <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, son<strong>der</strong>n als ihre<br />
Weiterentwicklung und Ergänzung missverstehen, erklärt Feuerbach dezidiert<br />
in dem Aufsatz „Zur Beurteilung <strong>der</strong> Schrift: ,Das Wesen des Christentums’<br />
“: „Meine Religionsphilosophie ist so wenig die Explikation <strong>der</strong><br />
Hegelschen..., dass sie vielmehr nur aus <strong>der</strong> Opposition gegen die Hegelsche<br />
entstanden ist...“ 555<br />
Aber <strong>für</strong> Feuerbach ist nicht nur das ursprüngliche Christentum eine<br />
Entfremdung des menschlichen Wesens, son<strong>der</strong>n darüber hinaus auch<br />
das mo<strong>der</strong>ne Christentum eine Entfremdung des ursprünglichen Christentums.<br />
Wi<strong>der</strong>spruch und Krise seiner Zeit beruhen <strong>für</strong> ihn, wie er in den<br />
Vorreden zum „Wesen des Christentums“ ausführt, hauptsächlich auf dem<br />
Gegensatz von scheinbarer Geltung des Christentums und wirklicher<br />
Herrschaft des Atheismus, d. h. darauf, dass <strong>der</strong> wahre Geist des Christentums<br />
– bedingt durch Renaissance, Reformation, Aufklärung und Naturwissenschaft<br />
– aus dem praktischen Leben gewichen sei, dennoch aber<br />
als konventionelle „komfortable“ Weltanschauung eine fixe theoretisch undurchschaute<br />
Scheinexistenz in den Köpfen <strong>der</strong> Menschen führe.<br />
Somit ist zwar die Entfremdung als wesentlich religiöse <strong>für</strong> Feuerbach<br />
primär eine theoretische, d. h. ein inneres Verhältnis, und kann infolgedessen<br />
durch bewusstseinsmäßige Kritik zurück genommen werden, aber<br />
nach <strong>der</strong> Marxschen Kritik hieran in <strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“ bleibt allzu<br />
oft unberücksichtigt 556 , dass <strong>für</strong> Feuerbach die Entfremdung vollständig<br />
erst, insofern überwunden ist, als zur geistig-kritischen aufklärerischen<br />
Reduktion die Praxis <strong>der</strong> Liebe hinzu kommt, und zwar sowohl als Empfindung<br />
wie auch als verän<strong>der</strong>tes Verhalten <strong>der</strong> Menschen zueinan<strong>der</strong>.<br />
Die Religionskritik ist also <strong>für</strong> Feuerbach zwar <strong>der</strong> entscheidende Hebel,<br />
aber sie soll nicht nur dazu führen, dass eine Bewusstseinseinstellung<br />
durch eine an<strong>der</strong>e Bewusstseinseinstellung ersetzt wird, son<strong>der</strong>n dass eine<br />
praktische Versöhnung <strong>der</strong> Gegensätze erreicht wird, wie sie ebenfalls <strong>der</strong><br />
junge Hegel in seiner Frankfurter Periode (an den Feuerbach nicht anknüpfen<br />
konnte) von <strong>der</strong> Liebe erwartet als lebendiger Subjektivität und
173<br />
Selbstbestimmung, die gegen die Hinnahme <strong>der</strong> toten Positivität des etablierten<br />
Faktums und des affirmierten Fatums opponiert. Wie <strong>für</strong> den jungen<br />
Hegel die Liebe das von den tyrannischen Kantischen Moralgeboten<br />
und den herrischen jüdischen Gesetzen Entzweite vereint und versöhnt, so<br />
erlöst <strong>für</strong> Feuerbach die Liebe von dem Zwiespalt, den das Nichtentsprechen<br />
gegenüber dem Postulat <strong>der</strong> moralischen Willensvollkommenheit und<br />
das Sündenbewusstsein hervorbringen: „Die Liebe ist das Band, das Vermittlungsprinzip<br />
zwischen dem Vollkommnen und Unvollkommnen, dem<br />
sündlosen und sündhaften Wesen, dem Allgemeinen und Individuellen,<br />
dem Gesetz und dem Herzen, dem Göttlichen und Menschlichen.“ 557 Insofern<br />
Hegels Begriff <strong>der</strong> Liebe und des „Lebens“ als Vereinheitlichung <strong>der</strong><br />
Entgegensetzung von Subjekt und Objekt, Einzelnem und Allgemeinem,<br />
die Keimform seiner reifen Konzeption <strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit ist und<br />
mit Feuerbachs Entwurf <strong>der</strong> Liebe vergleichbar ist, bestätigt sich noch<br />
einmal, dass Feuerbach eine Seite <strong>der</strong> Hegelschen Einsicht von dem Charakter<br />
<strong>der</strong> Gemeinschaftlichkeit <strong>der</strong> praktischen (und theoretischen) Tätigkeit<br />
bewahrt. Feuerbachs Religionskritik im „Wesen des Christentums“<br />
basiert zur Hauptsache auf einer bestimmten Gegenstands- und Bewusstseinstheorie,<br />
die noch entfernt ist von einem erkenntnistheoretischen konsequenten<br />
Sensualismus und Realismus, und die Feuerbach als unhaltbar<br />
angelastet werden muss, wenn man von seinem eigenen in „Zur Kritik <strong>der</strong><br />
Hegelschen <strong>Philosophie</strong>“ angekündigten Programm des Umkehrverfahrens<br />
ausgeht.<br />
Feuerbachs Gedankengang, <strong>der</strong> zu <strong>der</strong> Schlussfolgerung führt, dass <strong>der</strong><br />
Mensch sieh selbst in <strong>der</strong> Religion vergegenständlicht, ist nämlich folgen<strong>der</strong>:<br />
<strong>der</strong> Mensch unterscheidet sich wesentlich vom Tier durch sein Bewusstsein;<br />
das Bewusstsein ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass<br />
es nicht auf Individuelles, son<strong>der</strong>n auf die allgemeine und unendliche Gattung<br />
des Menschen gerichtet ist, d. h. auf Vernunft, Wille und Gefühl. Das<br />
Bewusstsein ist im wesentlichen Bewusstsein des Unendlichen. Worauf<br />
sich das Bewusstsein bezieht, das ist das Wesen des Bewusstseins; daher:<br />
„Das Bewusstsein des Unendlichen ist nichts andres als das Bewusstsein<br />
von <strong>der</strong> Unendlichkeit des Bewusstseins.“ 558 Da nun <strong>für</strong> Feuerbach die Religion<br />
„das Bewusstsein des Unendlichen“ ist, ist die Religion das Bewusstsein<br />
des Menschen von sich selbst.
174<br />
Hiermit bestimmt Feuerbach aber letztlich das Verhältnis von Bewusstsein<br />
und Sein in idealistischer Weise <strong>der</strong>gestalt: das Bewusstsein des<br />
Seins ist das Bewusstsein des Seins des Bewusstseins. Nur auf Grund dieser<br />
Annahme kann Feuerbach behaupten, das Wesen des Bewusstseins<br />
sei das, worauf sich das Bewusstsein wesentlich bezieht.<br />
Feuerbach bestreitet also in seiner Religionskritik im „Wesen des Christentums“<br />
die Möglichkeit <strong>der</strong> Bewusstseinstranszendenz <strong>der</strong> Gegenstände<br />
<strong>der</strong> Religion und erklärt diese Gegenstände zu menschlichen Selbstvergegenständlichungen,<br />
indem er prinzipiell die Annahme einer Bewusstseinstranszendenz<br />
des Seins preisgibt und somit keineswegs auf einer konsequent<br />
sensualistischen und realistischen Position steht; um sein Ziel zu<br />
erreichen, nämlich die Theologie auf die Anthropologie zu reduzieren, findet<br />
Feuerbach hier ebenso wie Bruno Bauer nur den Weg, die Objektivität<br />
alles Seienden in die Subjektivität zurück zu nehmen.<br />
Nur auf Grund <strong>der</strong> Voraussetzung <strong>der</strong> Bewusstseinsimmanenz <strong>der</strong> Gegenstände<br />
überhaupt – und infolgedessen auch <strong>der</strong> religiösen – kann Feuerbach<br />
mit Berechtigung die Form zum Inhalt machen und sich zum Beispiel<br />
gegen Schleiermachers ebenfalls emotionalistische Religionsphilosophie<br />
abgrenzen mit dem Einwand: da Schleiermacher als subjektiven<br />
Grund <strong>der</strong> Religion das Gefühl (<strong>der</strong> „schlechthinnigen Abhängigkeit“) ansieht,<br />
hätte er folgerichtigerweise Gott (<strong>der</strong> we<strong>der</strong> gedanklich erkannt noch<br />
moralisch postuliert wird) auch objektiv als das „Wesen des Gefühls“ auffassen<br />
müssen. 559<br />
Feuerbach kommt zu seiner Position, indem er aus einer begründeten<br />
Feststellung eine nicht zwingende Schlussfolgerung zieht: er stellt fest,<br />
dass die Vernunft eines beliebigen vernünftigen Wesens grundsätzlich<br />
denselben Denkgesetzen unterliegen muss wie die je eigene menschliche<br />
Vernunft (er kann in dieser Hinsicht Malebranches Beispiel zitieren, das<br />
jedes beliebige intelligente Wesen notwendig an die Wahrheit gebunden ist,<br />
dass zweimal zwei vier macht); an<strong>der</strong>s ausgedrückt: „Der Mensch kann<br />
nun einmal nicht über sein wahres Wesen hinaus“. 560<br />
Aber aus dieser bestimmten Art einer zuzugestehenden Bewusstseinsimmanenz<br />
dürfte Feuerbach nicht folgern, dass jedes Vernunftwesen mein<br />
eigenes Wesen in <strong>der</strong> Weise einer eigenen Hervorbringung ist; d. h. Feuerbach<br />
kann mit seiner Feststellung nicht ausschließen, dass ein vernünfti-
175<br />
ges Wesen – wie Seiendes überhaupt – an sich existiert und – in dieser<br />
Hinsicht <strong>der</strong> Existenz – bewusstseinstranszendent ist. Feuerbach räumt<br />
dieses implizit auch dadurch ein, dass er nicht von <strong>der</strong> Annahme <strong>der</strong> Bewusstseinsimmanenz<br />
bis zum Solipsismus fortschreitet, son<strong>der</strong>n im Gegenteil<br />
das Ich-Du-Verhältnis als Grundlage <strong>der</strong> Erkenntnis ansieht.<br />
Wenn Feuerbach gelegentlich eine Einschränkung seiner idealistischen<br />
Voraussetzungen macht („Was ich denke, das tue ich selbst – natürlich<br />
nur bei rein intellektuellen Dingen“ 561 ), so bleibt dies ohne prinzipielle<br />
Konsequenzen hinsichtlich seiner Religionsauffassung, da die Religion <strong>für</strong><br />
Feuerbach von vornherein auf „rein intellektuelle Dinge“ zielt. Ob jedoch<br />
die Gegenstände <strong>der</strong> Religion „rein“ intellektuell sind, bei ihnen also Bewusstsein<br />
und Selbstbewusstsein zusammenfallen, sie gleichsam restlos<br />
aufgehen in ihrer Denkbarkeit und nur das Wesen <strong>der</strong> menschlichen Vernunft<br />
wi<strong>der</strong>spiegeln o<strong>der</strong> ob sie zwar „intellektuell“, aber nichtsdestoweniger<br />
objektiv existent sind (wie z .B. Naturgesetze), ist eben gerade nicht allein<br />
entschieden durch die berechtigte Feststellung, die Gegenstände <strong>der</strong><br />
Religion stimmten mit dem Wesen und den Denkgesetzen <strong>der</strong> menschlichen<br />
Vernunft überein (was z. B. auch <strong>für</strong> Naturgesetze zutrifft).<br />
Wenn man also Feuerbachs Grundsatz: „Das Bewusstsein des Gegenstands<br />
ist das Selbstbewusstsein des Menschen“ 562 nur deutete als Feststellung<br />
einer Konformität von Gegenstand und Selbstbewusstsein, ließe<br />
er sich aufrecht erhalten, nicht aber, wenn man ihn so fasst wie Feuerbach<br />
selbst, dass aus ihm ein imaginärer, fiktiver Charakter <strong>der</strong> Religion<br />
ableitbar wird. Auch aus dem an<strong>der</strong>en begründeten Grundsatz Feuerbachs,<br />
dass die Distinktion zwischen einem unerkennbaren „an sich“ und<br />
einem „<strong>für</strong> mich“ haltlos ist, lässt sich nicht anthropologistisch folgern,<br />
das, worauf das Bewusstsein sich wesentlich bezieht, sei das Wesen des<br />
Bewusstseins.<br />
Feuerbach hätte infolgedessen zusätzlich ein spezifisches Kriterium einzuführen,<br />
das ihn berechtigte, die Gegenstände <strong>der</strong> Religion als „rein intellektuell“<br />
zu kennzeichnen, d. h. als Gegenstände einer menschlichen Vernunft,<br />
die in <strong>der</strong> Weise eines „intellectus originarius“ mit dem Bewusstsein<br />
des Gegenstandes seine Wirklichkeit unmittelbar gegeben sein ließe.<br />
Scheinbar gewinnt Feuerbach dieses Kriterium in <strong>der</strong> Sinnlichkeit,<br />
nachdem er das von ihm selbst später erkannte Schwanken und die In-
176<br />
konsequenz in <strong>der</strong> Abkehr von Hegels Idealismus im „Wesen des Christentums“<br />
563 aufgibt und in seinen beiden nächsten Hauptschriften „Vorläufige<br />
Thesen zur Reform <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ und „Grundsätze <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong><br />
Zukunft“, in denen er alle pantheistischen philosophischen Systeme seit<br />
Spinoza und insbeson<strong>der</strong>e Hegels Idealismus als Formen <strong>der</strong> Theologie betrachtet,<br />
das Prinzip von <strong>der</strong> Priorität des Seins vor dem Denken 564 , demzufolge<br />
das Sein nicht nur <strong>der</strong> Gedanke des Seins ist, konsequenter durchführt.<br />
Aber auch jetzt gelangt Feuerbach zu seinem religionskritischen Resultaten<br />
nur innerhalb <strong>der</strong> Schranken seines extremen Sensualismus – <strong>der</strong><br />
Gleichsetzung von Objektivität und Sinnlichkeit – : auf Grund <strong>der</strong> Annahme,<br />
objektiv existent sei allein, was unmittelbar sinnlich gegeben ist, und<br />
auf Grund <strong>der</strong> Feststellung, dass Gott wesentlich als Geist gedacht wird,<br />
schließt Feuerbach, dass Gott nicht objektiv existent sei (son<strong>der</strong>n das geistige<br />
Wesen des Menschen). 565 Die Bestreitung <strong>der</strong> Objektivität nichtsinnlicher<br />
Gegenstände würde aber zum Beispiel auch die Naturgesetze betreffen,<br />
<strong>der</strong>en Existenz Feuerbach nicht leugnet.<br />
Bevor im folgenden <strong>der</strong> Charakter <strong>der</strong> Feuerbachschen Umkehrmethode<br />
behandelt wird, sei darauf aufmerksam gemacht, dass sich Ansätze zu ihr<br />
schon finden in Feuerbachs Schrift „Pierre Bayle“ (1838) – die die Reihe<br />
seiner historischen Arbeiten über die „Geschichte <strong>der</strong> neueren <strong>Philosophie</strong><br />
von Bacon von Verulam bis Benedikt Spinoza“ (1833) sowie über Leibniz<br />
(1837) abschließt –, und zwar bezüglich des Verhältnisses von Theologie<br />
und Ethik in Anknüpfung an den Autonomiegedanken <strong>der</strong> Ethik Kants<br />
und Fichtes, näher: bezüglich des Verhältnisses Gottes zur Idee des Guten:<br />
die Idee des Guten sei kein unselbständiges Prädikat des selbständigen<br />
Subjekts Gottes, son<strong>der</strong>n selbst rein und <strong>für</strong> sich Prinzip <strong>der</strong> Ethik:<br />
„Wehe dem, <strong>der</strong> die Idee des Guten als ein Prädikat, als eine –wenn auch<br />
wesentliche – Eigenschaft auf ein Subjekt o<strong>der</strong> Wesen auftragen und von<br />
ihm unterstützen lassen muss... so ist <strong>der</strong> sittliche Geist Geist Geist entschwunden,<br />
wo das Gute nicht frei von aller Persönlichkeit rein durch sich<br />
selbst gedacht und um seiner selbst willen geliebt und getan wird.“ 566 Indem<br />
die Verkehrung des wahren Verhältnisses als Zustand <strong>der</strong> Entäußerung<br />
gefasst wird, nennt Feuerbach hier den Glauben an die Sünde den<br />
Zustand „<strong>der</strong> absoluten Entäußerung <strong>der</strong> Idee des Guten.“ 567 (So findet
177<br />
sich auch in dieser Beziehung bestätigt, was Rawidowicz in seinem am<br />
tiefsten in Feuerbachs <strong>Philosophie</strong> eindringenden Werk hervor hebt, nämlich<br />
dass Feuerbach mit <strong>der</strong> Schrift „Pierre Bayle“ auf dem Übergang steht<br />
von seiner ersten Periode des – einige Vorbehalte und „Zweifel“ 568 einschließenden<br />
– spekulativen Idealismus zum Anthropologismus, Sensualismus<br />
und kontemplativen Materialismus 569 .) Auf Feuerbachs späteren<br />
Weg weisen sogar schon – neben <strong>der</strong> Betonung <strong>der</strong> „Verwirklichung und<br />
Verweltlichung <strong>der</strong> Idee“ in dem Brief an Hegel 570 – die „Gedanken über<br />
Tod und Unsterblichkeit“ (1830) mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung nach wahrer Überwindung<br />
des Dualismus von Diesseits und Jenseits und dem Verwerfen <strong>der</strong><br />
„Ansprüche auf den Himmel..., um die Ansprüche auf die Erde zu steigern.“<br />
571 Mit diesem Gesichtspunkt ist diese Schrift sogar die erste epochemachende<br />
innerhalb <strong>der</strong> junghegelianischen Bestrebungen und <strong>der</strong><br />
Ausgangspunkt auf dem Wege von Hegel zu Marx. Andeutungsweise<br />
nimmt Feuerbach hier auch noch in einer zweiten Hinsicht die Problematik<br />
<strong>der</strong> Junghegelianer vorweg, nämlich hinsichtlich <strong>der</strong> Ausrichtung auf<br />
die Zukunft. Noch bevor Cieszkowski den entscheidenden Mangel des Hegelschen<br />
Systems darin erblickt, dass es die Gegenwart verabsolutiert und<br />
die Zukunft sowie die Möglichkeit ihrer Erkennbarkeit nicht als wesentliches<br />
Moment integriert, wirft Feuerbach die Frage auf: „Wie verhält sich<br />
die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> zur Gegenwart und Zukunft? Ist sie nicht die<br />
vergangene Welt als Gedankenwelt? Ist sie mehr als eine Erinnerung <strong>der</strong><br />
Menschheit an das, was sie war, aber nicht mehr ist?“ 572<br />
(IV) Die Frage ist nunmehr, ob Feuerbachs Kritik vom Standpunkt seines<br />
Anthropologismus dialektischen o<strong>der</strong> undialektischen Charakter hat,<br />
das heißi, ob Feuerbachs Kritik in einem dialektischen o<strong>der</strong> antithetischen<br />
o<strong>der</strong> noch an<strong>der</strong>s gearteten Verhältnis zur Religion, Theologie und spekulativen<br />
<strong>Philosophie</strong> steht, indem sie diese, die alle den Menschen sich<br />
selbst entfremden, in dem dreifachen Hegelschen Sinne aufzuheben o<strong>der</strong><br />
einseitig zu destruieren sucht o<strong>der</strong> sich in an<strong>der</strong>er Weise zu ihnen verhält.<br />
Es ergibt sich bei einer Untersuchung dieser Frage: Feuerbachs Kritik<br />
ist in keinem Fall als dialektische Aufhebung zu interpretieren. Allerdings<br />
ist zu unterscheiden zwischen Feuerbachs „Negation“ <strong>der</strong> Religion auf <strong>der</strong><br />
einen Seite und <strong>der</strong> „Negation“ <strong>der</strong> Theologie auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite.
178<br />
Die Theologie, die „Reflexion über die Religion“, die den Glauben und<br />
die Wesensverschiedenheit von Mensch und Gott hervor hebt 573 , und die<br />
spekulative <strong>Philosophie</strong>, einschließlich <strong>der</strong> spekulativen Religionsphilosophie,<br />
werden durch Feuerbachs Kritik in <strong>der</strong> Weise „negiert“, dass sie verworfen<br />
werden. Die Religion dagegen, die ursprünglich die Liebe und die<br />
Wesenseinheit von Gott und Mensch beinhaltet, will Feuerbach nicht gänzlich<br />
preis gegeben wissen; nur ihr „unmenschliches Wesen“ sei zu destruieren,<br />
ihre „Wahrheit“, ihr „menschliches Wesen“ zu bewahren. So<br />
heißt es in <strong>der</strong> Vorrede zur zweiten Auflage des „Wesens des Christentums“<br />
(1843): „Allerdings ist meine Schrift negativ, verneinend, aber, wohlgemerkt!<br />
nur gegen das unmenschliche, nicht gegen das menschliche Wesen<br />
<strong>der</strong> Religion.“ 574<br />
Dass Feuerbach die religiöse Entfremdung im Gegensatz zur theologischen<br />
Entfremdung nicht im Sinne einer Destruktion zurück genommen<br />
wissen will, son<strong>der</strong>n ihre Grundlage bewahren möchte, heißt aber nicht,<br />
dass er eine dialektische Beziehung zur Religion im Sinn hat. Feuerbachs<br />
we<strong>der</strong> dialektisch aufhebendes noch antithetisch verneinendes Verhalten<br />
zur Religion kann man – mit ihm selbst – als „kritische“ Einstellung zur<br />
Religion abgrenzen: „Unser Verhältnis zur Religion ist daher kein nur verneinendes,<br />
son<strong>der</strong>n ein kritisches, wir scheiden nur das Wahre vom Falschen<br />
– obgleich allerdings die von <strong>der</strong> Falschheit ausgeschiedne Wahrheit<br />
immer eine neue, von <strong>der</strong> alten wesentlich unterschiedne Wahrheit ist.“ 575<br />
Diese Kritik Feuerbachs ist aber nicht historisch; denn wenn auch Feuerbach<br />
in seiner Schrift „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>“ sagt, seine<br />
Methode sei im Gegensatz zu <strong>der</strong> Hegelschen eine „genetisch-kritische“, die<br />
den „Ursprungs“ vorstellungsmäßig gegebener Gegenstände untersucht, so<br />
meint er damit nicht eine historisch, son<strong>der</strong>n eine psychologisch verfahrende<br />
– zwischen dem „Subjektiven und Objektiven“ unterscheidende –<br />
Kritik. 576 Indem <strong>für</strong> Feuerbach die Kritik an <strong>der</strong> Religion das Scheiden und<br />
unversöhnliche Durchstreichen einer – <strong>der</strong> psychologisch begründeten imaginären<br />
– Seite ist, kritisiert er nicht wie Strauß und Bauer die geschichtliche<br />
Entwicklung <strong>der</strong> Religion 577 und will er nicht wie sie die subjektive<br />
kritische Tätigkeit mit dem dialektischen objektiven Geschichtsprozess<br />
verbunden wissen. Feuerbach steht also als Kritiker nicht mehr selbst<br />
auf dem Boden eines kritischen Prozesses, das heißt Feuerbachs Kritik ist
179<br />
kein Prinzip <strong>der</strong> Wirklichkeit mehr, son<strong>der</strong>n hat nur noch eine methodologische<br />
Funktion; denn die Basis <strong>der</strong> Feuerbachschen Kritik, die menschliche<br />
Gattung, erfährt – im Gegensatz zu Strauß’ Konzeption – keine stufenweise<br />
Entwicklung in <strong>der</strong> Geschichte. Auch als Strauß in seiner „Glaubenslehre“<br />
unter Feuerbachs Einfluss die Hegelsche inhaltliche Gleichsetzung<br />
von Religion und <strong>Philosophie</strong> aufgibt und den Bruch zwischen Glauben<br />
und Wissen vollzieht, behält seine analytische negativ dialektische Kritik<br />
insofern eine historische Dimension, als sie an die Stelle <strong>der</strong> als unhaltbar<br />
aufgelösten Dogmen die Hegelschen dialektischen Spekulationen<br />
setzt. Im übrigen führt Strauß also die Theologie auf die Spekulation zurück,<br />
während Feuerbach umgekehrt die Spekulation als Form <strong>der</strong> Theologie<br />
zu enthüllen sucht.<br />
Dialektische Aufhebung hätte Feuerbachs Kritik <strong>der</strong> Religion nur dann<br />
sein können, wenn <strong>für</strong> ihn die religiöse Entfremdung eine notwendige positive<br />
Durchgangsstufe in <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung wäre und die kritische<br />
Negation sich immanent aus dem Positiven entwickelte (also nicht<br />
selbständig von außen als vermittlungsloser Gegensatz hinzu träte), so<br />
dass die Kritik das Wesen <strong>der</strong> Religion auf höherem Niveau bewahrt hätte,<br />
so wie <strong>für</strong> Hegel die Entäußerung des Absoluten sich nach ihrer Aufhebung<br />
notwendig immer wie<strong>der</strong> herstellt und das Zusichselbstkommen des<br />
Absoluten ermöglicht (o<strong>der</strong> wie <strong>für</strong> Marx die gesellschaftliche Entfremdung<br />
die Produktivkräfte entwickelt und damit die notwendige Voraussetzung<br />
<strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> Klassengegensätze schafft). Wenn Feuerbach auch gelegentlich<br />
davon spricht, dass die religiöse „Selbstvergegenständlichung<br />
des Menschen... unwillkürlich, notwendig, so notwendig als die Kunst, als<br />
die Sprache ist“ 578 , so kann er doch nicht angeben, worin <strong>der</strong> Fortschritt<br />
liegen sollte, <strong>der</strong> nicht auch ohne diese Selbstvergegenständlichung erreichbar<br />
wäre. Zur Dialektik gehört, dass <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch im Wesen des<br />
betreffenden Inhalts liegt. Dementsprechend müsste <strong>für</strong> Feuerbach die religiöse<br />
Entfremdung zum Wesen des Menschen gehören, wenn Feuerbachs<br />
Kritik <strong>der</strong> Religion eine dialektische Funktion haben sollte. (Feuerbach<br />
verneint im übrigen in an<strong>der</strong>en Zusammenhängen ausdrücklich das dialektische<br />
– gleichzeitige – Bestehen von Gegensätzen und anerkennt nur<br />
zeitlich aufeinan<strong>der</strong> folgende Gegensätze. 579 ) Infolgedessen kann Feuerbach<br />
nicht annehmen, dass <strong>der</strong> bewusstseinsmäßige Akt <strong>der</strong> Religionskritik<br />
mit dialektischer Notwendigkeit zur Realisierung des Wesens <strong>der</strong> Reli-
180<br />
gion, <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> menschlichen Liebe, führt; er muss diese vielmehr im<br />
Anschluss an die Kritik propagieren und postulieren, indem die kritische<br />
und die praktische Sphäre sich nicht wechselseitig durchdringen, son<strong>der</strong>n<br />
heterogen einan<strong>der</strong> gegenüber stehen bleiben.<br />
Was die spekulative <strong>Philosophie</strong>, eine Form <strong>der</strong> Theologie, betrifft, so<br />
kann sie nach Feuerbachs Auffassung nicht einmal ihrer Grundlage nach<br />
anerkannt werden, muss also gänzlich negiert werden, obgleich ihr Feuerbach<br />
„die hohe geschichtliche Bedeutung“ konzediert, dass sie ein theoretischer<br />
Schritt auf dem Weg zur „Verwirklichung und Vermenschlichung“<br />
Gottes sei. 580 Nicht erst Hegels, schon Spinozas Pantheismus ist <strong>für</strong> Feuerbach<br />
„Verwirklichung Gottes“, insofern die theistische Abson<strong>der</strong>ung Gottes<br />
verneint wird, das Materielle und Sinnliche zum Attribut Gottes gemacht<br />
wird; so sei die praktisch vorhandene „materialistische Tendenz <strong>der</strong><br />
neuen Zeit“ auch theoretisch legitimiert worden: „... nur, wo die Theorie<br />
nicht die Praxis, die Praxis nicht die Theorie verleugnet, ist Charakter,<br />
Wahrheit und Religion.“ 581<br />
Das zum Anthropologismus und Sensualismus führende Umkehrverfahren<br />
ist also keine dialektische Weiterentwicklung, son<strong>der</strong>n ein antithetisches<br />
Umstürzen des Verhältnisses von Denken und Sein. Um die Umkehrung<br />
von Denken und Sein vornehmen zu können, musste Feuerbach<br />
vorher ihre dialektische Verbindung in Hegels Spekulation zerstören, d. h.<br />
er musste bestreiten, dass Hegel Denken und Sein wahrhaft vereint habe.<br />
Die Voraussetzung des Umkehrverfahrens ist also, dass Feuerbach Denken<br />
und Sein, Subjekt und Prädikat, sich abstrakt einan<strong>der</strong> gegenüberstehen<br />
lässt und nicht anerkennt, dass – wie Hegel zum Beispiel in <strong>der</strong><br />
Vorrede zur „Phänomenologie“ ausführt – die Prädikate im Subjekt dialektisch<br />
untergehen; d. h. Hegels Synthese wird zur These herab gesetzt, und<br />
ihr wird die Antithese unvermittelt entgegen gesetzt; denn Hegels Synthese<br />
von Denken und Sein vollzieht sich <strong>für</strong> Feuerbach nur einseitig im Denken,<br />
und diesem wird das auf sich gegründete Sein opponiert.<br />
Entsprechend ist speziell die Einheit des Bewusstseins des Menschen<br />
und des Selbstbewusstseins Gottes in <strong>der</strong> spekulativen Religionsphilosophie<br />
<strong>für</strong> Feuerbach in Wahrheit nur eine Synthese innerhalb des Denkens,<br />
dem er die Sphäre des Gefühls entgegen hält.
181<br />
Indem Marx diese Feuerbachsche Umkehrung des Verhältnisses von<br />
Denken und Sein übernimmt und Hegel in dieser Weise „vom Kopf auf die<br />
Füße“ stellt, ist auch sein Verhältnis zu Hegel in diesem Punkt durchaus<br />
nicht durch dialektische Weiterentwicklung gekennzeichnet. Sowohl Feuerbachs<br />
als auch Marx’ Übergang vom Idealismus zum Materialismus ist<br />
kein dialektischer, son<strong>der</strong>n ein antithetischer. Idealismus und Materialismus<br />
verhalten sich dementsprechend sowohl nach Feuerbachs als nach<br />
Marx’ Auffassung dualistisch, einan<strong>der</strong> ausschließend zu einan<strong>der</strong>; eine<br />
Synthese o<strong>der</strong> einen „dritten Wege“ gibt es <strong>für</strong> sie nicht.<br />
Die Dialektik bekommt bei Marx aber dadurch wie<strong>der</strong> ihren Platz, dass<br />
er im Gegensatz zu Feuerbach mit <strong>der</strong> Umkehrung nicht den Inhaltsreichtum<br />
des Hegelschen Systems, die dialektisch-wi<strong>der</strong>spruchsvolle geschichtliche<br />
(und natürliche) Welt, gänzlich preisgibt. Obgleich Engels Feststellung<br />
in seiner Spätschrift „Ludwig Feuerbach und <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong> klassischen<br />
deutschen <strong>Philosophie</strong>“ berechtigt ist, Feuerbach sei gegenüber Hegel<br />
nur <strong>der</strong> Form nach realistisch, hinsichtlich des objektiven Inhalts aber,<br />
d. h. hinsichtlich <strong>der</strong> Berücksichtigung des Rechts, <strong>der</strong> Politik, <strong>der</strong> Ökonomie,<br />
bleibe er hinter Hegel zurück 582 , so ist doch bemerkenswert, dass<br />
Feuerbach immerhin – ohne aber daraus Konsequenzen zu ziehen – den<br />
Inhaltsreichtum des Hegelschen Systems einräumt: „Alles, was auf Erden,<br />
findet sich wie<strong>der</strong> im Himmel <strong>der</strong> Theologie – so auch alles, was in <strong>der</strong> Natur,<br />
im Himmel <strong>der</strong> göttlichen Logik: Qualität, Quantität, Maß, Wesen,<br />
Chemismus, Mechanismus, Organismus... Alles zweimal in <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong>; als Objekt <strong>der</strong> Logik, und dann wie<strong>der</strong> als Objekt <strong>der</strong> Natur-<br />
und Geistesphilosophie.“ 583<br />
Im undialektischen antithetischen Sinne ist es also zu verstehen, wenn<br />
Feuerbach seine <strong>Philosophie</strong>, die auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Sinnlichkeit <strong>der</strong> Sinnesorgane,<br />
<strong>der</strong> Außenwelt und des (nicht als Gegenstand, son<strong>der</strong>n als<br />
Quelle von Theorie und Praxis gefassten 584 ) Leibes gründet, im Gegensatz<br />
zur Spekulation Hegels als eine <strong>Philosophie</strong> kennzeichnet, „welche... gerade<br />
das Wesen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> in die Negation <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> setzt, d. h.<br />
nur... die Mensch gewordene <strong>Philosophie</strong> <strong>für</strong> die wahre <strong>Philosophie</strong> erklärt“.<br />
585 Dementsprechend hat <strong>für</strong> Feuerbach zum Zwecke <strong>der</strong> Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> die neue toto genere verschiedene <strong>Philosophie</strong>, die<br />
„unbeschadet <strong>der</strong> Würde und Selbständigkeit <strong>der</strong> Theorie... wesentlich ei-
182<br />
ne praktische und zwar im höchsten Sinne praktische Tendenz“ hat 586 , mit<br />
<strong>der</strong> „Nichtphilosophie“ zu beginnen. 587 Die neue verwirklichte <strong>Philosophie</strong><br />
sei Sache nicht nur des Denkers und einer beson<strong>der</strong>en <strong>Fakultät</strong>, son<strong>der</strong>n<br />
des ganzen wirklichen Menschen; ihr Imperativ sei: „... denke in <strong>der</strong> Existenz,<br />
in <strong>der</strong> Welt als ein Mitglied <strong>der</strong>selben, nicht im Vakuum <strong>der</strong> Abstraktion,<br />
als eine vereinzelte Monade, als ein absoluter Monarch...“ 588 Die unphilosophische<br />
nicht mehr in Ansatz kommende Voraussetzung <strong>der</strong> sich<br />
selbst voraussetzenden und begründenden Hegelschen <strong>Philosophie</strong> liegt<br />
<strong>für</strong> Feuerbach darin, dass Hegel wesentlich als Denker existiert. 589<br />
(V) Nachdem sich gezeigt hat, dass Feuerbach bei seiner Religionskritik<br />
und seinem allgemeinen Umkehrverfahren hauptsächlich das praktische<br />
Interesse leitet, auf diesem Wege das harmonische von <strong>der</strong> Liebe inspirierte<br />
Gattungsleben vorzubereiten 590 , muss thematisch werden, dass Feuerbach<br />
in gewisser Weise seine neue <strong>Philosophie</strong> auch mit <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Politik<br />
verbindet. Diese Verbindung kommt allerdings detaillierter in den<br />
Briefen und dem Nachlass als in den veröffentlichten Schriften zum Ausdruck.<br />
Außer in den im Revolutionsjahr 1848 (auch vor Gottfried Keller) gehaltenen<br />
„Vorlesungen über das Wesen <strong>der</strong> Religion“ – in denen er als Zweck<br />
seiner Schriften angibt, die Menschen „aus religiösen und politischen<br />
Kammerdienern <strong>der</strong> himmlischen und irdischen Monarchie und Aristokratie<br />
zu freien, selbstbewussten Bürgern <strong>der</strong> Erde zu machen“ 591 - wird <strong>der</strong><br />
politische Inhalt <strong>der</strong> neuen <strong>Philosophie</strong> Feuerbachs am prägnantesten in<br />
den nachgelassenen Aufzeichnungen aus den Jahren l842/43 deutlich. In<br />
diesen Aufzeichnungen will Feuerbach das politische aktive Interesse an<br />
den Staatsangelegenheiten als „Religion <strong>der</strong> Zukunft“ gegründet wissen auf<br />
das die Trennung von Theorie und Praxis beseitigendende anthropologische<br />
Prinzip, dass <strong>der</strong> Mensch das höchste Wesen <strong>für</strong> den Menschen ist,<br />
(während dagegen Heine die politische Praxis aus <strong>der</strong> nicht umgebildeten –<br />
aber angeblich esoterischen – Hegelschen Theorie ableitet): „Die neue Religion,<br />
die Religion <strong>der</strong> Zukunft ist die Politik... Fassen wir ein vom Menschen<br />
unterschiedenes Wesen als höchstes Prinzip und Wesen... so kommen<br />
wir nie zur unmittelbaren Einheit mit uns selbst, mit <strong>der</strong> Welt, mit<br />
<strong>der</strong> Wirklichkeit, wir vermitteln uns mit uns selbst und <strong>der</strong> Welt durch ein<br />
An<strong>der</strong>es, Drittes... wir haben ein Jenseits, wenn nicht mehr außer uns,
183<br />
aber in uns, wir befinden uns stets in einem Bruch, einen Zwiespalt zwischen<br />
dem Leben und <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, <strong>der</strong> Praxis und <strong>der</strong> Theorie, wir haben<br />
ein an<strong>der</strong>es, (abstraktes), Wesen im Kopfe als im Herzen... wir sind bei<br />
jedem Schritte im Leben außer <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, bei jedem Gedanken <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong> außer dem Leben... Nur wenn das Wesen unseres Lebens auch<br />
das Wesen unseres Denkens, das wesentliche Objekt <strong>der</strong> Praxis auch das<br />
wesentliche, das absolute Objekt <strong>der</strong> Theorie ist, bekommen wir wahre<br />
Einheit zwischen Sinn und Denken, zwischen <strong>Philosophie</strong> und Leben.“ 592<br />
Die neue <strong>Philosophie</strong> als „Bedürfnis <strong>der</strong> Zukunft“ in Verbindung mit <strong>der</strong><br />
Politik kann <strong>für</strong> Feuerbach auch deshalb an die Stelle <strong>der</strong> christlichen Religion<br />
treten – die sich „vermengt hat mit den Hemnissen des wesentlichen<br />
Triebes <strong>der</strong> jetzigen Menschheit, <strong>der</strong> politischen Freiheit“, und die „den<br />
Menschen um die politische Energie“ bringt –, weil in <strong>der</strong> christlichen Religion<br />
die Realisierung eines wahren politischen Gemeinwesens vorstellungsmäßig<br />
antizipiert worden sei, und zwar in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Gleichheit<br />
aller Menschen vor Gott ohne Ansehung <strong>der</strong> Geburt, des Standes und <strong>der</strong><br />
Nation. 593 Dementsprechend ist <strong>für</strong> Feuerbach <strong>der</strong> politisch verwirklichte<br />
Abbau <strong>der</strong> Hierarchie dir Republik, was er in den nachgelassenen Aphorismen<br />
formelhaft so ausdrückt: „Die Auflösung <strong>der</strong> Theologie in die Anthropologie<br />
auf dem Gebiete des Denkens ist auf dem Gebiete <strong>der</strong> Praxis, des<br />
Lebens, die Auflösung <strong>der</strong> Monarchie in die Republik.“ 594<br />
Dass <strong>der</strong> Staat, in dem <strong>der</strong> Mensch nicht „dem Zufall <strong>der</strong> Naturmacht“<br />
preisgegeben ist, in <strong>der</strong> Form <strong>der</strong> Republik die Verwirklichung und zugleich<br />
„die praktische Wi<strong>der</strong>legung“ <strong>der</strong> Religion ist, ist eine etwas nähere<br />
Bestimmung <strong>der</strong> in den „Thesen“ veröffentlichten abstrakt allgemeinen<br />
Behauptung, <strong>der</strong> Staat sei „die realisierte, ausgebildete, explizierte Totalität<br />
des menschlichen Wesens“, in dem „die wesentlichen Qualitäten o<strong>der</strong><br />
Tätigkeiten des Menschen in beson<strong>der</strong>en Ständen verwirklicht, aber in <strong>der</strong><br />
Person des Staatsoberhauptes wie<strong>der</strong> zur Identität zurückgeführt“ seien. 595<br />
Der Grad <strong>der</strong> Abstraktheit <strong>der</strong> Feuerbachschen Konzeption <strong>der</strong> politischen<br />
Praxis in den „Thesen“ kommt auch darin zum Ausdruck, dass er zwar<br />
ähnlich wie Hegel, Heine, Cieszkowski, Heß und Ruge die Verbindung von<br />
Praxis und Theorie in Gestalt einer gallo-germanischen Allianz for<strong>der</strong>t, aber<br />
mit ihr doch nur allgemein die Vereinigung von Herz und Kopf, Leidenschaft<br />
und Geist meint. 596 Infolgedessen ist es verständlich, wenn Marx<br />
über die „Thesen“ an Ruge schreibt: „Feuerbachs Aphorismen sind mir nur
184<br />
in dem Punkt nicht recht, dass er zu sehr auf die Natur und zu wenig auf<br />
die Politik hinweist“; worauf Ruge antwortet: „Über Feuerbachs Natureinseitigkeit<br />
stimm ich ihnen bei. Er hat aber außerdem sehr viel politischen<br />
Sinn, nur meint er, sei in Deutschland dem Ding nicht an<strong>der</strong>s als von <strong>der</strong><br />
Theologie aus beizukommen.“ 597<br />
Feuerbachs Schwäche ist, dass er im wesentlichen dabei bleibt, die<br />
Theologie sei „<strong>für</strong> Deutschland das einzige praktische und erfolgreiche Vehikel<br />
<strong>der</strong> Politik, wenigstens zunächst.“ 598 In dem Bewusstsein, dass sein<br />
anthropologisches Prinzip <strong>für</strong> die politische Praxis allein nicht hinreichend<br />
ist und er keine allseitig fundierte in die Praxis übersetzbare politische<br />
Theorie entwickelt hat, schreibt Feuerbach im Zusammenhang mit dem<br />
Projekt <strong>der</strong> „Deutsch-Französischen Jahrbücher“, <strong>für</strong> das ihn Marx und<br />
Ruge – unter Berufung auf die von ihm selbst verkündigte gallogermanische<br />
Allianz – zu gewinnen suchen: „Ich habe nichts gegen die Idee<br />
an sich – im Gegenteil... aber vom praktischen Gesichtspunkt aus hält sie,<br />
namentlich jetzt, nicht stich und stand. Diese Assoziation ist auffallend,<br />
und schon dadurch verfehlt sie ihren Zweck; denn <strong>der</strong> letzte Zweck ist zunächst<br />
doch immer nur, sich Luft zu machen... Haben wir nur erst Luft,<br />
<strong>der</strong> Wind stellt sich schon mit <strong>der</strong> Zeit ein; er entsteht unter Bedingungen,<br />
die nicht in unserer Gewalt sind... Deutschland kann nur durch Gift kuriert<br />
werden – nicht durch Feuer und Schwert. Wir sind noch nicht auf<br />
dem Übergang von <strong>der</strong> Theorie zur Praxis, denn es fehlt uns noch die Theorie,<br />
wenigstens in ausgebildeter und allseitig durchgeführter Gestalt.“ 599<br />
Wie sich zeigte, muss es <strong>für</strong> Feuerbach gerade wegen seines Anthropologismus<br />
und ungeschichtlichen Sensualismus unmöglich bleiben, einen<br />
exakten Begriff <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Politik und Gesellschaft zu gewinnen, <strong>der</strong> auf<br />
<strong>der</strong> Differenz von Wirklichem und Möglichem, Realem und Rationalem zu<br />
basieren hätte; und das Fehlen dieses Begriffes <strong>der</strong> Kritik kann nicht adäquat<br />
ersetzt werden durch die Vorstellung eines in <strong>der</strong> Religion antizipierten<br />
auf <strong>der</strong> Gleichheit aller Menschen gegründeten politischen Gemeinwesens.<br />
Aber eines, was die Junghegelianer (im engeren Sinne) von <strong>der</strong> Kritik<br />
annehmen, denkt auch Feuerbach von <strong>der</strong> politischen Theorie, nämlich<br />
dass die praktische Neugestaltung o<strong>der</strong> Therapie zwangsläufig auf die<br />
wahre Einsicht o<strong>der</strong> Diagnose folgen müsse und die Tatlosigkeit wesentlich<br />
in <strong>der</strong> Ratlosigkeit wurzele (so dass, wie sich folgern lässt, in <strong>der</strong> politisch-
185<br />
gesellschaftlichen Praxis auftretende Gegensätze auch durch Ratgeber,<br />
Gutachter- und Sachverständigenräte, „councils of advisers“ o<strong>der</strong> – venia<br />
sit verbo – „brain-trusts“, auflösbar sein müssten): „Die Deutschen sind<br />
politische Kin<strong>der</strong>. Sie müssen erst erzogen werden. Es fehlt ihnen nicht an<br />
Willen, und es fehlt ihnen aber so sehr an Kopf und Erkenntnis; sie sind<br />
nur tatlos, weil ratlos, nur mutlos, weil sie kein Recht zu haben glauben,<br />
mutig zu sein...“ 600
186<br />
IX. Marx’ Übergang von <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> zur Konzeption<br />
<strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> durch ihre Verwirklichung<br />
Bevor Marx teilweise auf Feuerbachs Position übergeht und danach im<br />
Zusammenhang mit seiner Kritik an Feuerbachs kontemplativen Materialismus<br />
und ungeschichtlichen Anthropologismus seine eigene materialistische<br />
und dialektische Konzeption entwickelt, setzt er sich schon mit <strong>der</strong><br />
idealistischen <strong>Philosophie</strong> Hegels und <strong>der</strong> Junghegelianer auseinan<strong>der</strong>.<br />
(1) Vom Anfang seiner schriftlichen Äußerungen an ist Marx dabei bestrebt,<br />
Hegels unter an<strong>der</strong>em in <strong>der</strong> Vorrede zur „Rechtsphilosophie“ ausgesprochene<br />
Ablehnung des leeren Sollens und des utopischen „Aufstellens<br />
eines Jenseitigen“ bei zu behalten, eine hinter Hegel zurück gehende<br />
dualistisch-abstrakte Entgegensetzung von Theorie und Praxis – etwa in<br />
Gestalt einer Orientierung am naturrechtlich gefassten Humanitätsideal –<br />
zu vermeiden und Vernunft und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen.<br />
In dem aus <strong>der</strong> Berliner Studienzeit stammenden Brief an den Vater<br />
vom 10. November 1837 kritisiert Marx selbst seine eigenen zurück liegenden<br />
Versuche in <strong>der</strong> Poesie wegen ihrer subjektiv-idealistischen Entgegensetzung<br />
„von dem, was da ist und dem, was sein soll“, ebenso wie seine<br />
Versuche in <strong>der</strong> Rechtsphilosophie, in denen „<strong>der</strong>selbe Gegensatz des<br />
Wirklichen und Sollenden.. sehr störend“ hervor getreten sei und Form<br />
und Inhalt, Theoretisches und Positives, dogmatisch getrennt worden seien<br />
statt dass „das Objekt selbst in seiner Entwicklung belauscht“ und die<br />
„Vernunft des Dinges“ aufgedeckt worden sei. Unverkennbar ist hier die<br />
Aufbewahrung dessen, was Hegel beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> Vorrede zur „Phänomenologie<br />
des Geistes“ über die Methode <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und gegen den<br />
schematisierenden Formalismus anführt. Das Sollen ist <strong>für</strong> Marx wie <strong>für</strong><br />
Hegel ein Resultat <strong>der</strong> Entwicklung des Wirklichen: „Von dem Idealismus,<br />
den ich, beiläufig gesagt, mit Kantischem und Fichteschem verglichen und<br />
genährt, geriet ich dazu, im Wirklichen selbst die Idee zu suchen. Hatten<br />
die Götter früher über <strong>der</strong> Erde gewohnt, so waren sie jetzt das Zentrum<br />
<strong>der</strong>selben geworden.“ 601<br />
Wenn Marx hierbei ein Ungenügen an <strong>der</strong> – im „Doktorklub“ erörterten<br />
– Hegelschen <strong>Philosophie</strong> bekundet, indem ihm <strong>der</strong>en „groteske Felsenme-
187<br />
lodie... nicht behagte“, so gründet dieses hier noch nicht darin, dass er ihr<br />
Prinzip, die Gleichsetzung von Idee und Wirklichkeit, als unzulänglich bestimmt<br />
hätte; das heißt: <strong>für</strong> Marx ist hier die Gegenständlichkeit durchaus<br />
noch im idealistischen Sinne die Entäußerung o<strong>der</strong> das an<strong>der</strong>e des Geistes.<br />
Auch nimmt Marx noch nicht ausdrücklich Anstoß an dem Wi<strong>der</strong>streit<br />
zwischen dem System und <strong>der</strong> Methode in <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>,<br />
den im folgenden Jahr Cieszkowski als die Unterordnung <strong>der</strong> Dynamik des<br />
dialektischen Prozesses unter die Statik des endgültigen Abschlusses <strong>der</strong><br />
Geschichte und als Versöhnung von Theorie und Praxis vermittels <strong>der</strong><br />
Verabsolutierung <strong>der</strong> Gegenwart kennzeichnet, ohne aber seinerseits darauf<br />
zu verzichten, an dem Vorrang des Systems vor <strong>der</strong> Methode festzuhalten<br />
und die die Totalität umschließende Synthese nur um eine zukünftige<br />
Stufe höher hinaus zu verschieben.<br />
Wenn aber Marx in den Anmerkungen zu seiner Dissertation über die<br />
„Differenz <strong>der</strong> demokritischen und epikureischen Naturphilosophie“ (1841)<br />
in <strong>der</strong> „Unzulänglichkeit o<strong>der</strong> unzulänglichen Fassung seines Prinzips“ den<br />
Grund <strong>für</strong> Hegels versöhnende Akkommodation sieht 602 (und nicht in <strong>der</strong><br />
von Bauer und Ruge behaupteten inkonsequenten äußerlichen Anpassung<br />
und Apologetik o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> von Heine unterstellten exoterischen Irreführung),<br />
so zielt er damit auf die absolute Einheit von Vernunft und Wirklichkeit<br />
o<strong>der</strong> von Subjektivität und Objektivität, auf Hegels absoluten Idealismus,<br />
dessen Anspruch auf Vollendung im Wissen des absoluten Geistes<br />
prinzipiell voraussetzt die praktisch-geschichtliche Verwirklichung des<br />
Geistes, d. h. die Vollendung <strong>der</strong> geschichtlichen Praxis, die als solche in<br />
ihrem gegenwärtigen vorgegebenen Bestand zu begreifen, in Form zu bringen<br />
ist, und <strong>der</strong> sich also <strong>der</strong> Begreifende in diesem Sinne zu akkomodieren<br />
hat. Mit <strong>der</strong> Abkehr von <strong>der</strong> Hegelschen Konzeption <strong>der</strong> absoluten<br />
Subjekt-Objekt-Einheit, die zwar wie die aristotelische Theoria auf das Ewige<br />
und Absolute ausgerichtet ist, aber im Gegensatz zu ihr mit diesem<br />
zugleich das Zeitliche, Relative und Praktische dialektisch verknüpft, verliert<br />
Marx auch die Möglichkeit <strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Entäußerungen des<br />
absoluten schöpferischen Subjekts auf dem Wege <strong>der</strong> spekulativen Theorie.<br />
Marx bleibt jedoch in seiner Dissertation auf dem Boden <strong>der</strong> Dialektik<br />
des objektiven Geistes (nachdem die Umkehrung des Verhältnisses von<br />
Denken und Sein von Feuerbach schon im Jahre 1839 vorgenommen worden<br />
ist). Die Weltgeschichte ist <strong>für</strong> Marx in diesem Stadium seiner Ent-
188<br />
wicklung bestimmt durch die Beziehung zwischen dem menschlichen<br />
Geist und <strong>der</strong> Welt, <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und <strong>der</strong> Wirklichkeit, dem Selbstbewusstsein<br />
und dem Sein, auf <strong>der</strong>en Einklang – den „Knotenpunkten“ <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>entwicklung – immer wie<strong>der</strong> im dialektischen Prozess Perioden<br />
<strong>der</strong> Entzweiung folgen wie die nacharistotelische und die nachhegelische<br />
Periode, die gekennzeichnet sind durch den Gegensatz <strong>der</strong> in sich auf abstrakte<br />
Weise abgeschlossenen, freien und harmonischen subjektiven <strong>Philosophie</strong><br />
auf <strong>der</strong> einen Seite und <strong>der</strong> ihr wi<strong>der</strong>sprechenden in sich zerrissenen<br />
Welt auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. „Die Welt ist also eine zerrissene, die<br />
einer in sich totalen <strong>Philosophie</strong> gegenübertritt.“ 603<br />
Auf dem Fundament dieses Zwiespalts und Konflikts von <strong>Philosophie</strong><br />
und Welt, Vernunft und Wirklichkeit, werde, wie Marx ausführt, die Bewegung<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> praktisch, trete sie aus ihrer selbstgenügsamen Kontraktion<br />
heraus nach außen, setze sich als Wille <strong>der</strong> Welt entgegen und<br />
ziele auf die vernünftige Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Welt, bleibe dabei aber im Element<br />
<strong>der</strong> theoretischen Kritik, d. h. <strong>der</strong> theoretischen Vermittlung zwischen<br />
Wesen und Existenz: „Es ist ein psychologisches Gesetz, dass <strong>der</strong> in<br />
sich frei gewordene theoretische Geist zur praktischen Energie wird, als<br />
Wille... sich gegen die weltliche, ohne ihn vorhandene Wirklichkeit kehrt...<br />
Allein die Praxis <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ist selbst theoretisch. Es ist die Kritik, die<br />
die einzelne Existenz am Wesen, die beson<strong>der</strong>e Wirklichkeit an <strong>der</strong> Idee<br />
misst.“ 604<br />
Diese mit dem Geschichtsprozess verbundene subjektive Kritik, die als<br />
solche Sache des Bewusstseins bleibt, kann als wirksam – als unwi<strong>der</strong>stehlich<br />
den Übergang vom Wesen zur Erscheinung vollbringend und somit<br />
die rationale Negation <strong>der</strong> irrational gewordenen Welt bewerkstelligend<br />
– nur insofern gedacht werden, als <strong>der</strong> Geschichtsprozess in objektiv idealistischer<br />
Weise als wesentlich geistiger Prozess fortschreiten<strong>der</strong> Freiheit<br />
gefasst wird.<br />
Wie die Dissertation weiter zeigt, liegen <strong>für</strong> Marx wahre Freiheit, Selbständigkeit<br />
und Selbstbehauptung nicht in <strong>der</strong> Absolutheit <strong>der</strong> Theorie,<br />
<strong>der</strong> Losgelöstheit von <strong>der</strong> wirklichen geschichtlichen Welt, und dem sich<br />
daraus ergebenden Verzicht, auf sie einzuwirken, was gleichbedeutend wäre<br />
mit <strong>der</strong> permanenten Repulsion des Daseienden, dem reinen Fürsichsein,<br />
<strong>der</strong> formellen Unabhängigkeit und <strong>der</strong> abstrakten Einzelheit: „Die
189<br />
abstrakte Einzelheit ist die Freiheit vom Dasein, nicht die Freiheit im Dasein.<br />
Sie vermag nicht im Licht des Daseins zu leuchten.“ Marx bemängelt<br />
infolgedessen Epikurs Begriff <strong>der</strong> Freiheit als Ataraxie, als „Ausbeugen vor<br />
dem Schmerz und <strong>der</strong> Verwirrung“, dem Epikurs Bestimmung <strong>der</strong> Deklination<br />
des Atoms von <strong>der</strong> geraden Linie sowie seine Auffassung vom Desinteresse<br />
<strong>der</strong> intermundanen Götter an <strong>der</strong> Welt entspreche, wozu das an<strong>der</strong>e<br />
falsche Extrem Demokrits deterministisch-undialektische Bestimmung<br />
<strong>der</strong> Notwendigkeit sei. 605<br />
Unverkennbar sucht Marx sich also anzuschließen an Hegels Konzeption<br />
<strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit: frei, allgemein und unendlich ist nach ihr<br />
<strong>der</strong> beschränkte, natürliche und endliche Wille nur formal o<strong>der</strong> seinem<br />
Begriffe nach, das heißt insofern, als er die Möglichkeit hat, durch seinen<br />
Entschluss von jedem bestimmten Inhalt ins Unendliche fort zu abstrahieren<br />
und in dieser einseitigen Weise als einfache Reflexion in sich und Negation<br />
des Realen unmittelbar bei sich zu sein, während dagegen die<br />
wahrhafte Autonomie und Sittlichkeit erst in <strong>der</strong> Einheit des allgemeinen<br />
Gesetzes und des bestimmten Inhalts möglich ist.<br />
Marx’ in <strong>der</strong> Dissertation entwickelte Auffassung von <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong><br />
theoretischen Kritik stimmt mit <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> idealistischen<br />
Junghegelianer in folgendem überein: erstens in <strong>der</strong> Beziehung <strong>der</strong><br />
subjektiven Kritik auf die als Geistesprozess verstandene objektive Geschichte<br />
(mit ihren latenten und akuten Krisen), wodurch die Kritik als<br />
Selbstzweck verneint wird und in den Dienst <strong>der</strong> geschichtlichen Selbstverwirklichung,<br />
des Prozesses <strong>der</strong> Freiheit, gestellt wird (und sich nicht auf<br />
die Vergangenheit des Menschen bezieht, sofern diese keine gegenwärtige<br />
und zukünftige Dimension mehr hat); somit zweitens in <strong>der</strong> Strukturierung<br />
<strong>der</strong> Kritik, nämlich in <strong>der</strong> vermittelnden Zuordnung <strong>der</strong> – im Geschichtsprozess<br />
enthaltenen – spannungsvollen Zweiheit von Vernunft und<br />
Realität, Begriff und Existenz, Möglichkeit und Wirklichkeit; drittens in <strong>der</strong><br />
hiermit implizierten Ablehnung, Theorie und Praxis – wie Aristoteles – als<br />
ein Verhältnis zweier wesentlich verschiedener Prinzipien zu fassen 606 und<br />
in <strong>der</strong> Fortführung <strong>der</strong> Hegelschen Bestimmung des Vorranges innerhalb<br />
des dialektischen Verhältnisses von Theorie und Praxis, Geist und Willen,<br />
Innen und Außen, demgemäß <strong>der</strong> – von <strong>der</strong> Kritik aktivierte, mobilisierte<br />
und formierte – Wille nicht das Ursprüngliche und Selbständige, son<strong>der</strong>n
190<br />
das an<strong>der</strong>e, die Entäußerung o<strong>der</strong> Objektivation des Geistes, des allgemeinen<br />
Möglichen o<strong>der</strong> An sich, ist; viertens in <strong>der</strong> Annahme, dass die Praktizierung<br />
vernünftiger Verhältnisse hauptsächlich verhin<strong>der</strong>t wird durch ein<br />
falsches Bewusstsein, d. h. durch das Unaufgeklärtbleiben über Vernunft<br />
und Unvernunft (nicht durch Interessen- und Machtkonstellationen sowie<br />
Leidenschaften und Bedürfnisse); fünftens in <strong>der</strong> Auffassung, dass die philosophische<br />
Theorie, an die die Kritik beim Geltendmachen und Inswerksetzen<br />
<strong>der</strong> Vernunft anknüpft, trotz ihres Ausgerichtetseins auf praktische<br />
Effektuierung im wesentlichen <strong>für</strong> sich selbst besteht und souverän ist<br />
und nicht in <strong>der</strong> geschichtlichen Praxis ihre Grundlage hat. In dieser Hinsicht<br />
stehen die Junghegelianer im übrigen nicht in Opposition zu Eduard<br />
Zeller, wie dieser selbst annimmt, indem er zwar die praktische Bedeutung<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, ihre „Verbindung mit dem Leben“ (als „Bestimmen <strong>der</strong> gegebenen<br />
Stoffe und Verhältnisse durch den Gedanken“) anerkennt, aber<br />
schließlich an ihrer Autonomie prinzipiell festhält: „... die rechte Praxis <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong> setzt voraus, dass erst die Selbständigkeit <strong>der</strong> Theorie gegen<br />
unbefugte Ansprüche und Anfor<strong>der</strong>ungen gewahrt werde“, ohne dass er<br />
mit diesen etwa nur korrumpierende willkürliche Einflussnahmen <strong>der</strong> Alltagspraxis<br />
o<strong>der</strong> rechtfertigende Anpassungen <strong>der</strong> Theorie an Taktiken des<br />
Machtstrebens meint. 607<br />
Aber Marx unterscheidet sich von <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> idealistischen<br />
Junghegelianer schon in seiner Dissertation dadurch, dass er – als<br />
Resultat <strong>der</strong> Kritik – die Verwirklichung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und ihre Versöhnung<br />
mit den Erscheinungen <strong>der</strong> Welt in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> <strong>für</strong><br />
sich bestehenden <strong>Philosophie</strong> erwartet: „Die innere Selbstgenügsamkeit<br />
und Abrundung ist gebrochen. Was innerliches Licht war, wird zur verzehrenden<br />
Flamme, die sich nach außen wendet. So ergibt sich die Konsequenz,<br />
dass das Philosophisch-Werden <strong>der</strong> Welt zugleich ein Weltlich-<br />
Werden <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, dass ihre Verwirklichung zugleich ihr Verlust...<br />
ist...“ 608<br />
Mit diesem Gedanken, den er im Laufe seiner Entwicklung weiter konkretisiert,<br />
musste Marx später am schroffsten in Gegensatz geraten zu<br />
Bauers Rückgang in die Subjektivität und unversöhnlichen Ablösung von<br />
den bestehenden Voraussetzungen. Aber auch von Feuerbachs Entwurf<br />
einer „Mensch gewordenen <strong>Philosophie</strong>“ unterscheidet sich Marx hier im
191<br />
Grunde; denn Feuerbach erstrebt mit ihr im undialektisch-antithetischen<br />
Sinne nur die Negation, nicht die Aufhebung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>.<br />
Zwar die Verwirklichung, aber auch nicht die Aufhebung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
bestimmt unabhängig von Marx Engels in mehreren kleinen Artikeln<br />
von 1840 bis 1842 als Aufgabe <strong>der</strong> Zeit, <strong>der</strong>en Lösung er als einziger in <strong>der</strong><br />
„Vereinigung des Gedankens mit <strong>der</strong> Tat“ als Vollendung <strong>der</strong> „Durchdringung<br />
Hegels und Börnes“ erblickt. 609<br />
Marx sucht mit seinem Begriff von Kritik zu bewahren, was Hegel mit<br />
philosophischer Kritik verbindet und prinzipiell gegen die kritizistische<br />
Voruntersuchung <strong>der</strong> Instrumente des Erkenntnisvermögens anführt,<br />
nämlich die Notwendigkeit des Eingehens auf die Sache selbst, auf den<br />
inneren Gehalt und die Bewegung des Gegenstands, und damit einerseits<br />
das Durchbrechen pseudo-objektiver Klassifikationen und Kategorien, die<br />
von Erfahrungen absperren, sowie an<strong>der</strong>erseits das Fernhalten des „Räsonierens“,<br />
d. h. des Vorbringens subjektiver von außen genommener beliebiger<br />
Gesichtspunkte. Dieser Grundzug lässt sich als die Insistenz und<br />
objektive Immanenz <strong>der</strong> Kritik bezeichnen. Aber als nicht verdinglicht, als<br />
nicht absorbiert ist die Kritik zugleich resistierend und transzendierend,<br />
das heißt: das kritische Eindringen in die Sache –das gleichbedeutend ist<br />
mit <strong>der</strong> Repulsion <strong>der</strong> <strong>für</strong>sichseienden Reinheit, des formalen existenzlosen<br />
Gutseins, des unmittelbaren Beisichseins, <strong>der</strong> einfachen Reflexion in<br />
sich, <strong>der</strong> abstrakten Selbstgenügsamkeit, <strong>der</strong> cartesischen Selbstgewissheit<br />
des Subjekts – verfällt nicht passiv <strong>der</strong> ansichseienden Sache mit ihrem<br />
beson<strong>der</strong>en scheinbar unerschütterlichen Unwesen, son<strong>der</strong>n bewahrt<br />
zugleich als spontan negierendes Distanz und Spannung, so dass die vernünftige<br />
Autonomie nicht preisgegeben werden kann zugunsten wirklicher<br />
Heteronomie. (Diese Stellung des Subjekts zur Objektivität bedeutet im<br />
engen politischen Sinn die Vermeidung <strong>der</strong> beiden Extreme <strong>der</strong> Utopie und<br />
des Opportunismus.) Die Marxsche Kritik verwickelt sich also ihrem Anspruch<br />
nach in die Sache, ohne sich in ihr wehrlos zu verstricken, aber<br />
auch ohne sich mit ihr vollends in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Hegelschen konkreten<br />
Sittlichkeit zu versöhnen.<br />
Im Gegensatz zu Hegel verbindet Marx mit seiner Kritik zugleich Polemik<br />
und Parteilichkeit. Hegel grenzt ab: „...wenn die Kritik selbst einen<br />
einseitigen Gesichtspunkt gegen an<strong>der</strong>e ebenso einseitige geltend machen
192<br />
will, so ist sie Polemik und Parteisache.“ 610 Gerade dieses wird die Konsequenz<br />
<strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, nachdem ihr Anspruch auf das spekulative<br />
Erfassen des versöhnenden absoluten Ganzen von den Junghegelianern<br />
fallengelassen und nur die objektive Vernunft <strong>der</strong> Entwicklung in Gegensätzen<br />
festgehalten worden ist (und nur Bauer den Rückzug in eine<br />
welt- und substanzlose Überparteilichkeit und Desintegration erstrebt<br />
hat).<br />
Diese Art von Kritik praktiziert Marx im folgenden. Ihr – nicht nur <strong>der</strong><br />
vollständigen und allseitigen Information – den von <strong>der</strong> Pressezensur ungehin<strong>der</strong>ten<br />
Ausdruck zu verschaffen beson<strong>der</strong>s innerhalb <strong>der</strong> politischen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzungen, in denen er auf selten <strong>der</strong> Liberalen und danach<br />
<strong>der</strong> Radikaldemokraten steht, gelten Marx’ „Bemerkungen über die neueste<br />
preußische Zensurinstruktion“ (Ende Januar 1842) und <strong>der</strong> erste Artikel<br />
über „Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags“, (im Mai 1842<br />
veröffentlicht in <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“). Überdies konkretisiert er diese<br />
Kritik (die Vermittlung zwischen Wesen und Existenz), indem er die Idee<br />
<strong>der</strong> Freiheit in Gestalt <strong>der</strong> Pressefreiheit vergleicht mit den bestehenden<br />
Zensurzuständen und in dieser bestimmten Weise „das Maß des Wesens<br />
<strong>der</strong> inneren Idee an die Existenz <strong>der</strong> Dinge“ legt. 611<br />
Wie sehr Marx in diesem Zusammenhang bestrebt ist, Theorie und Praxis<br />
zu vereinen, geht indirekt aus dem hervor, was er dem Stand <strong>der</strong> Ritter<br />
hinsichtlich dessen Äußerungen zur Pressefreiheit vorhält: er könne – da<br />
seine wirkliche Stellung obsolet und seine Bestrebungen irrational geworden<br />
seien – seinen praktischen For<strong>der</strong>ungen nur durch theoretische Illusionen<br />
Ausdruck verschaffen: „Weil ferner die wirkliche Stellung dieser Herren<br />
im mo<strong>der</strong>nen Staate keineswegs dem Begriff entspricht, den sie von<br />
ihrer Stellung haben, weil sie in einer Welt leben, die jenseits <strong>der</strong> wirklichen<br />
liegt..., so greifen sie, in <strong>der</strong> Praxis unbefriedigt, notwendig zur Theorie,<br />
aber nur zur Theorie des Jenseits, zur Religion, die jedoch in ihren<br />
Händen eine polemische, von politischen Tendenzen geschwängerte Bitterkeit<br />
empfängt und mehr o<strong>der</strong> weniger bewusst nur <strong>der</strong> Heiligenmantel <strong>für</strong><br />
sehr weltliche, aber zugleich sehr phantastische Wünsche wird.“ 612<br />
Marx stimmt hier sogar schon dem Repräsentanten des Bauernstandes<br />
zu, <strong>der</strong> die Notwendigkeit <strong>für</strong> gesetzliche Bestimmungen <strong>der</strong> Pressefreiheit<br />
aus neuentstandenen geschichtlichen Interessen und Bedürfnissen ablei-
193<br />
tet. 613 Dass diese Perspektive durchaus vereinbar ist mit <strong>der</strong> noch vertretenen<br />
idealistischen Auffassung von Gesetz und Staat als Daseinsweisen<br />
des Volksgeistes und als Wirklichkeit <strong>der</strong> Freiheit, zeigt sich auch an den<br />
vergleichbaren Schriften Hegels: „Über die neuesten inneren Verhältnisse<br />
Württembergs“, „Die Verfassung Deutschlands“ (die damals beide nicht<br />
veröffentlicht waren) und „Verhandlungen in <strong>der</strong> Versammlung <strong>der</strong> Landstände<br />
des Königreichs Württemberg im Jahre 1815 und 1816“, in denen<br />
Hegel Verän<strong>der</strong>ungen unhaltbar gewordener überlebter Zustände am Maßstab<br />
des Begriffs for<strong>der</strong>t.<br />
Unkritisch und positivistisch, d. h. stecken geblieben in gegebenen Tatsachen<br />
als maßgeben<strong>der</strong> Instanz, und in dieser ponierend-stabilisierenden<br />
Weise „materialistisch“ muss nach Marx’ Urteil die historische Rechtsschule<br />
Gustav Hugos und Friedrich Karl von Savignys verfahren, insofern<br />
sie sich gegen die Vernunft skeptisch verhält und nicht von <strong>der</strong> Spannung<br />
– <strong>der</strong> „geeinten Zwienatur“ – von Vernunft und Wirklichkeit ausgeht (womit<br />
sie als verdinglichtes Bewusstsein eine Wahrheit des Idealismus verwirft).<br />
614 In <strong>der</strong> Tat verliert hiermit die historische Rechtsschule – ähnlich<br />
wie die Publizistik Justus Mörsers – die Möglichkeit, über bloß hinnehmendes<br />
„inventarisierendes“ Protokollieren, Deskribieren und Reproduzieren<br />
hinaus das scheinbar unmittelbar Gegebene, Dinghafte, Positive und<br />
Selbständige, das <strong>der</strong> Selbstbestimmung des Subjekts entgegensteht,<br />
durch die Anstrengung <strong>der</strong> „Kritik“, des Unterscheidens – „krinein“ – o<strong>der</strong><br />
Aufschließens und Auseinan<strong>der</strong>spaltens – discutio“ – zu entautorisieren,<br />
die „quaestio facti“ und „quaestio iuris“ einan<strong>der</strong> gegenüber zustellen und<br />
sich als immanente Kritik an den inneren Wi<strong>der</strong>sprüchen <strong>der</strong> geschichtlichen<br />
Entwicklung des manifest-tatsächlich Gewordenen zu orientieren.<br />
Marx hätte sich mit Recht auch auf Friedlich von Gentz, den Übersetzer<br />
von Burkes „Reflections on the revolution in France“ und Vertrauten Metternichs,<br />
beziehen können, <strong>der</strong> den „Vorrang <strong>der</strong> positiven Wissenschaften<br />
über die philosophischen und kritischen“ genau als ein Mittel erkannt hat,<br />
die „intellektuelle Subordination“ zu erhalten. – Wenn im übrigen Marx<br />
und Engels gegen die historische Rechtsschule geltend machen, dass das<br />
Recht nicht nur unbewusster „organischer“ Ausdruck des Volksgeistes,<br />
son<strong>der</strong>n auch bewusste zwecktätige Hervorbringung ist, so entspricht dem<br />
Bauers Stellungnahme gegen Strauß’ Erklärung des Ursprungs <strong>der</strong> Evangelien,<br />
indem Bauer diese nicht aus dem substantiellen urchristlichen
194<br />
Gemeindebewusstsein <strong>der</strong> messianischen Erwartungen, dem absichtslosen<br />
„Mythus“, son<strong>der</strong>n aus dem schöpferischen Selbstbewusstsein als „Werk<br />
<strong>der</strong> Reflexion“ ableitet.<br />
Das kritische Aufeinan<strong>der</strong>beziehen von Vernunft und Wirklichkeit – das<br />
Verklärung <strong>der</strong> Wirklichkeit o<strong>der</strong> Gemütlichkeit und Erbaulichkeit, d. h.<br />
bloße Wie<strong>der</strong>holung des schon Bekannten, nicht zulässt – ist die Quelle<br />
o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Puls auch in Marx’ folgenden Untersuchungen. Dass die Existenz<br />
eines Zustandes nicht eo ipso die Berechtigung seines Bestehens, die raison<br />
d’ être, impliziert, ist <strong>der</strong> zentrale Gesichtspunkt in dem Artikel gegen<br />
den Redakteur <strong>der</strong> „Kölnischen Zeitung“ Hermes, <strong>der</strong> <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“<br />
das Recht <strong>der</strong> Behandlung philosophischer und religiöser Fragen<br />
absprach. Marx hält daran fest, dass <strong>der</strong> Staat, den er hier noch als Verwirklichung<br />
von Vernunft und Freiheit (dem Begriff nach) ansieht, mit Hilfe<br />
<strong>der</strong> philosophischen rationalen Kritik – <strong>der</strong> nicht nur nachträglich tätigen<br />
Theorie – aktiv umgestaltet und emanzipatorisch weiter entwickelt<br />
wird. Die <strong>Philosophie</strong> kann dementsprechend nicht in <strong>der</strong> folgenlosen „systematischen<br />
Abschliessung“ und „leidenschaftslosen Selbstbeschauung“<br />
verharren. Ihr Weltlichwerden und die Möglichkeit ihrer Wechselwirkung<br />
mit <strong>der</strong> geschichtlichen Welt leitet Marx dabei daraus ab, dass sie das<br />
geistige Wesen eben dieser geschichtlichen Welt ist: „Weil jede wahre <strong>Philosophie</strong><br />
die geistige Quintessenz ihrer Zeit ist, muss die Zeit kommen, wo<br />
die <strong>Philosophie</strong> nicht nur innerlich durch ihren Gehalt, son<strong>der</strong>n auch äußerlich<br />
durch ihre Erscheinung mit <strong>der</strong> wirklichen Welt ihrer Zeit in Berührung<br />
und Wechselwirkung tritt. Die <strong>Philosophie</strong> hört dann auf, ein bestimmtes<br />
System gegen an<strong>der</strong>e Systeme zu sein, sie wird die <strong>Philosophie</strong><br />
überhaupt gegen die Welt, sie wird die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> gegenwärtigen<br />
Welt.“ 615 In <strong>der</strong> wirklichen Welt praktisch tätig ist <strong>für</strong> Marx in dieser seiner<br />
Entwicklungsetappe <strong>der</strong> objektive Zeit- und Volksgeist sowohl in Gestalt<br />
<strong>der</strong> philosophisch-kritischen Tätigkeit als auch in Gestalt <strong>der</strong> sinnlichen<br />
Arbeitstätigkeit: „Derselbe Geist baut die philosophischen Systeme in dem<br />
Hirn <strong>der</strong> Philosophen, <strong>der</strong> die Eisenbahnen mit den Händen <strong>der</strong> Gewerke<br />
baut.“ 616 Dieser Auffassung entspricht es, wenn Marx <strong>der</strong> Subjektivierung<br />
<strong>der</strong> Kritik seitens <strong>der</strong> Berliner „Freien“ immer entschiedener entgegen tritt.<br />
Ihnen wirft er vor, beson<strong>der</strong>s durch die rücksichtslose die Zensur provozierende<br />
Negation des Liberalismus die Kritik zu isolieren und zum Selbstzweck<br />
ohne praktische Wirksamkeit auf die politische Umwelt werden zu
195<br />
lassen. Die die „Phrase“ meidende sachliche undogmatische Kritik, <strong>für</strong> die<br />
Marx plädiert, entwickelt die Theorie konkret, d. h. an den aktuellen Zeiterscheinungen,<br />
und verbindet so Theorie und Praxis: „Die wahre Theorie<br />
muss innerhalb konkreter Zustände und an bestehenden Verhältnissen<br />
klargemacht und entwickelt werden.“ 617 Da die Zeiterscheinungen nicht<br />
mehr als Entäußerungen des absoluten Geistes begriffen werden und das<br />
Wahre we<strong>der</strong> mit dem reinen unbedingten Transzendentalsubjekt noch mit<br />
dem äußeren Anwesenden und Bleibenden gleichgesetzt wird, entfällt mit<br />
dieser methodischen Ausrichtung zugleich die Möglichkeit, die philosophische<br />
Theorie in einem fertigen lehrbaren System – in <strong>der</strong> Weise einer einzelnen<br />
Wissenschaft o<strong>der</strong> einer Ontologie und eines Strukturaslismus – zu<br />
verselbständigen o<strong>der</strong> zu einer geschlossenen Weltanschauung zu machen.<br />
618 Infolgedessen befände sich auf dem Boden <strong>der</strong> Marxschen Theorie,<br />
wer diese we<strong>der</strong> „dogmatisch“ rezipiert, indem er sie in Form von erstarrten<br />
theoretischen Thesen von <strong>der</strong> wirklichen verän<strong>der</strong>lichen Praxis<br />
absperrt, noch ihre dialektische Methode „revisionistisch,“ wie prototypisch<br />
Eduard Bernstein, verwirft.<br />
Eingehendes gründliches Studium verlangt Marx – gegenüber <strong>der</strong><br />
„Augsburger Allgemeinen Zeitung“ – auch hinsichtlich <strong>der</strong> Frage des<br />
Kommunismus, von dem er in Gegensatz zu seiner späteren materialistischen<br />
Auffassung praktische Gefahr <strong>für</strong> die bestehenden Verhältnisse erst<br />
dann erwartet, wenn er theoretisch ausgearbeitet, begrifflich durchdrungen<br />
sein wird: „Wir haben die feste Überzeugung, dass nicht <strong>der</strong> praktische<br />
Versuch, son<strong>der</strong>n die theoretische Ausführung <strong>der</strong> kommunistischen Ideen<br />
die eigentliche Gefahr bildet, denn auf praktische Versuche... kann<br />
man durch Kanonen antworten, sobald sie gefährlich werden, aber Ideen,<br />
die unsere Intelligenz besiegt, die unsere Gesinnung erobert, an die <strong>der</strong><br />
Verstand unser Gewissen geschmiedet hat, das sind Ketten, denen man<br />
sich nicht entreißt, ohne sein Herz zu zerreißen...“ 619 Diese Reihenfolge<br />
von Gedanke und Tat hat Heine als den Vorzug methodischer Gründlichkeit<br />
<strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong> gekennzeichnet, von dem er die Überlegenheit<br />
<strong>der</strong> Praxis erwartet hat.<br />
Ein weiteres Charakteristikum <strong>der</strong> Marxschen Kritik ist, dass sie den<br />
einzelnen Gegenstand im Zusammenhang zu betrachten sich bemüht mit<br />
dem Allgemeinen, dem relativen Ganzen, d. h. mit den wesentlichen Er-
196<br />
scheinungen des menschlichen Lebens in seiner Wechselwirkung mit <strong>der</strong><br />
Natur, womit Hegels Erkenntnis, dass das Wahre nicht ein Satz, son<strong>der</strong>n<br />
das Ganze (ungetrennt von seinen Momenten) ist, aufs Endliche und Zeitliche<br />
verkürzt wird. – Dieses Verfahren präzisiert Marx später in <strong>der</strong> „Einleitung<br />
zur Kritik <strong>der</strong> politischen Ökonomie“ als die Methode <strong>der</strong> Analyse<br />
des sinnlichen Konkreten, <strong>der</strong> unmittelbaren „chaotischen Vorstellung des<br />
Ganzen“, in allgemeine einfache Abstrakta und die darauf folgende Synthese<br />
o<strong>der</strong> Vermittlung dieser wesentlichen Abstrakta zum geistig Konkreten<br />
als Reproduktion des erscheinenden Konkreten auf <strong>der</strong> höheren Ebene<br />
des Denkens 620 , womit dieses Verfahren unausgesprochen bis auf Aristoteles’<br />
Methodologie zurück geht; denn wie Aristoteles zum Beispiel am Anfang<br />
seiner „Physik“ ausführt, hat die Untersuchung auszugehen von dem<br />
„Zusammengeflossenen“, dem Komplexen, d. h. von dem, was <strong>für</strong> uns<br />
deutlicher und erkennbarer, aber an sich o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Natur nach undeutlicher<br />
und unerkennbarer ist, um schließlich zu dem zu führen, was an sich<br />
deutlicher und erkennbarer ist.<br />
Auf diese – gleichsam relativ totalisierende, das scheinbar Kontingente<br />
nicht isolierende – Weise sucht Marx erstmals in dem Artikel „Debatten<br />
über das Holzdiebstahlsgesetz“ eine Art <strong>der</strong> Selbstentfremdung aufzudecken,<br />
die <strong>der</strong> Selbstverwirklichung und subjektiven Spontaneität entgegen<br />
steht, nämlich die Verkehrung von Sache und Mensch, Mittel und Zweck,<br />
die darin liegt, dass Menschen sich an die tote Sache entäußern und einan<strong>der</strong><br />
wesentlich als Personifikationen ökonomischer Beziehungen gegenübertreten:<br />
„Dieser verworfene Materialismus, diese Sünde gegen den heiligen<br />
Geist <strong>der</strong> Völker und <strong>der</strong> Menschheit ist eine unmittelbare Konsequenz<br />
jener Lehre..., bei einem Holzgesetz nur an Holz und Wald zu denken<br />
und die einzelne materielle Aufgabe nicht politisch, d. h. nicht im Zusammenhang<br />
mit <strong>der</strong> ganzen Staatsvernunft und Staatssittlichkeit zu lösen.“<br />
621 – Diese Art <strong>der</strong> Selbstentfremdung ist es, die Marx später – beson<strong>der</strong>s<br />
im „Kapital“ 622 – konkretisiert als die Verselbständigung <strong>der</strong> Gebrauchsdinge<br />
in Form von Tauschobjekten, d. h. von Waren auf dem Warenmarkt,<br />
und infolgedessen als den Triumph <strong>der</strong> Marktsphäre über die<br />
Produktionssphäre, als „Warenfetischismus“, an den sich das verkehrte,<br />
verdinglichte Bewusstsein knüpft, das die menschlichen Beziehungen weiter<br />
versachlicht. Aber auch nach einer qualitativen Umwandlung <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
kann die Spontaneität <strong>der</strong> Individuen eingeschränkt werden
197<br />
durch Bürokratie und Administration, <strong>der</strong>en abgeson<strong>der</strong>te privilegierte<br />
Vertreter unabsetzbar herrschen – statt verantwortlich zu dienen – und die<br />
Individuen zu Ausführungsorganen bis zur völligen Teilnahmslosigkeit an<br />
allen Entscheidungen herab würdigen, wogegen Marx nach den Erfahrungen<br />
<strong>der</strong> Pariser Kommune in <strong>der</strong> Adresse des Generalrats „Der Bürgerkrieg<br />
in Frankreich.“ die Einführung <strong>der</strong> Selbstverwaltung for<strong>der</strong>t.<br />
Insofern sich die politisch-sozialen Zustände, die den allgemeinen Spielraum<br />
abgrenzen <strong>für</strong> die individuellen Wahl- und Handlungsmöglichkeiten,<br />
gegenüber dem Willen des einzelnen Menschen als sachliche verhängnisvoll-unberechenbare<br />
Zwänge verselbständigen und konsolidieren, will<br />
Marx mit seiner Kritik nicht Personen, son<strong>der</strong>n Zustände denunzieren und<br />
diskreditieren, wie er im Zusammenhang mit seinem Eintreten <strong>für</strong> die<br />
Weinbauern an <strong>der</strong> Mosel hervorhebt (was aber nicht Marx’ Hauptaspekt<br />
wi<strong>der</strong>streitet, nämlich dass die entfremdeten sachlichen Zustände im<br />
Grunde Produkte menschlicher Tätigkeit sind): „Bei <strong>der</strong> Untersuchung<br />
staatlicher Zustände ist man allzu leicht versucht, die sachliche Natur <strong>der</strong><br />
Verhältnisse zu übersehen und alles aus dem Willen <strong>der</strong> handelnden Personen<br />
zu erklären. Es gibt aber<br />
Verhältnisse, welche sowohl die Handlungen <strong>der</strong> Privatleute als <strong>der</strong> einzelnen<br />
Behörden bestimmen und so unabhängig von ihnen sind als die<br />
Methode des Atemholens.“ 623 Wie sich dagegen das von vornherein als<br />
sachfrei und als durch objektive Inhalte unvermittelt konzipierte Verhältnis<br />
von Mensch zu Mensch gerade als verdinglicht enthüllen kann, zeigt<br />
sich bei Stirner.<br />
Während Marx die Selbstentfremdung des Arbeiters in <strong>der</strong> Arbeit erst in<br />
den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ analysiert, entwickelt er<br />
in seiner Schrift „Zur Kritik <strong>der</strong> Hagelsehen Rechtsphilosophie“ die dritte<br />
Art <strong>der</strong> Selbstentfremdung, die <strong>für</strong> ihn in dem durch die französische Revolution<br />
vollendeten Dualismus von bürgerlicher Gesellschaft und Staaat<br />
besteht, d. h. in <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> bürgerlichen privaten Existenz, die beson<strong>der</strong>en<br />
egoistischen Interessen nachgeht, und <strong>der</strong> politischen öffentlichen<br />
Existenz, die allgemeine Interessen verfolgt. Die versöhnende Synthese<br />
von Staat und Gesellschaft, die Hegel vermittels <strong>der</strong> Stände (im beson<strong>der</strong>en<br />
vermittels <strong>der</strong> über Partikularinteressen erhabenen universal gebildeten<br />
Staatsbeamten) vollbracht sah und die im Mittelalter tatsächlich –
198<br />
allerdings im Zustand <strong>der</strong> Unfreiheit – bestanden habe, sei erst Sache <strong>der</strong><br />
zukünftigen „wahren Demokratie“. 624 Tätiges, vorantreibendes und selbstbestimmendes<br />
Subjekt ist <strong>für</strong> Marx nicht die absolute Idee, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong><br />
Mensch in Familie, bürgerlicher Gesellschaft und Staat. Aus <strong>der</strong> unter<br />
dem Einfluss von Feuerbachs Umkehrung <strong>der</strong> Priorität von Denken und<br />
Sein vollzogenen allgemeinen Umkehrung des Subjektiven und Objektiven<br />
im Hegelsehen Sinne ergibt sich, dass <strong>der</strong> Mensch zu dem Träger wird, <strong>der</strong><br />
mit seiner Tätigkeit die objektive Freiheit verwirklicht: „Die subjektive Freiheit<br />
erscheint bei Hegel als formelle Freiheit..., eben weil er die objektive<br />
Freiheit nicht als Verwirklichung, als Betätigung <strong>der</strong> subjektiven hingestellt<br />
hat. Weil er dem präsumtiven o<strong>der</strong> wirklichen Inhalt <strong>der</strong> Freiheit einen<br />
mystischen Träger gegeben hat, so bekommt das wirkliche Subjekt <strong>der</strong><br />
Freiheit eine formelle Bedeutung.“ 625 Wenn Marx an Hegel grundsätzlich<br />
bemängelt, er habe geschichtlich verän<strong>der</strong>bare Verhältnisse zu logischen<br />
Bestimmungen verabsolutiert und gleichsam irrmobilisiert (worauf unter<br />
an<strong>der</strong>em auch Nietzsche in <strong>der</strong> „Götzendämmerung“ mit <strong>der</strong> Rede von den<br />
„Begriffs-Mumien“ des „Ägypticismus“ zielt 626 ), er habe die „Logik <strong>der</strong> Sache“<br />
in die „Sache <strong>der</strong> Logik“ transfiguriert und bestehende empirische Existenzen<br />
unkritischerweise als Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft betrachtet 627 ,<br />
so schließt er sich hiermit Ruges Vorwurf gegen Hegels logische Reduktion<br />
<strong>der</strong> bestehenden Staatsverfassung, <strong>der</strong> erblichen Monarchie, <strong>der</strong> Majorate<br />
und des Zweikammersystems an und argumentiert auf <strong>der</strong> Linie, die zuerst<br />
Strauß gezeichnet hat, indem er sich gegen die Zurückführung <strong>der</strong><br />
biblischen Geschichte und <strong>der</strong> kirchlichen Dogmengeschichte auf spekulative<br />
Begriffe gewandt hat. In <strong>der</strong> Konsequenz dieses Ausspielens des Phänomenologischen<br />
gegen das Logische for<strong>der</strong>t Marx, das Denken aus dem<br />
Gegenstand zu entwickeln und in dieser Weise kritisch bestehende Wi<strong>der</strong>sprüche<br />
in Gesellschaft und Staat aufzudecken und ihre eigentümliche<br />
Genesis zu erklären 628 (womit die Kritik letzten Endes anstrebt, die Konflikte<br />
zwischen dem Individuum und den allgemeinen Lebensverhältnissen<br />
in friedliche Konvergenz zu verwandeln).<br />
Unmittelbar vor dem Übergang zum historischen Materialismus kommen<br />
die wesentlichen Momente von Marx’ Konzeption <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> theoretischen<br />
Kritik noch einmal zusammengedrängt in seinen drei Beiträgen<br />
des Briefwechsels von l843 in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“<br />
zum Ausdruck, worin er zum Zweck <strong>der</strong> Emanzipation des Menschen die
199<br />
philosophische Kritik noch nicht speziell mit dem Proletariat verbindet,<br />
son<strong>der</strong>n allgemein auf das Bündnis zwischen allen „denkenden und leidenden<br />
Menschen“ setzt. 629 (Auf dieser Stufe in <strong>der</strong> Bestimmung des revolutionären<br />
Subjekts befindet sich annähernd Herbert Marcuse, insofern er<br />
dieses mit den nicht-integrierten Außenseitern <strong>der</strong> auf eindimensionalquantitativer<br />
„technologischer Rationalität“ gründenden Praxis <strong>der</strong> „fortgeschrittenen<br />
Industriegesellschaft“ gleichsetzt.) Unvereinbar mit <strong>der</strong> kritischen<br />
Theorie ist demnach die absolute Wissenschaft in Gestalt dogmatischer<br />
und konstruieren<strong>der</strong> endgültiger Antizipation <strong>der</strong> zukünftigen neuen<br />
Welt, wie sie die utopischen Kommunisten Cabet, Dézamy, Blanqui und<br />
Weitling erstrebten (und wie sie auch noch Cieszkowski in seinem schematisierenden<br />
Verfahren vorgenommen hat). 630 Marx bestimmt hier als Inhalt<br />
<strong>der</strong> undoktrinären und nicht-utopischen Kritik die Praxis und Theorie des<br />
gegenwärtig Bestehenden und als ihre Aufgabe – wie schon in <strong>der</strong> Dissertation<br />
– das Aufdecken und Geltendmachen <strong>der</strong> realen Möglichkeit, also<br />
<strong>der</strong> Keime zukünftiger Entwicklungen, des Neuen im Alten, des Negativen<br />
im Positiven, als vernünftige For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> bestehenden wirklichen Voraussetzungen,<br />
was heißt, dass bestimmte Perspektiven <strong>für</strong> die Praxis eröffnet<br />
werden: <strong>der</strong> Kritiker hat „aus den eigenen Formen <strong>der</strong> existierenden<br />
Wirklichkeit die wahre Wirklichkeit als ihr Sollen und ihren Endzweck“ zu<br />
entwickeln. Ohne wegen <strong>der</strong> Zurückgebliebenheit <strong>der</strong> feudalen Zustände<br />
vor <strong>der</strong> scheinbar hermetisch geschlossenen, ausweglosen und übermächtigen<br />
Objektivität zu resignieren, son<strong>der</strong>n gerade wegen <strong>der</strong> verzweiflungsvollen<br />
sich zuspitzenden Lage voller Hoffnung auf einen Bruch im Bestehenden<br />
und auf eine „Ordnung <strong>der</strong> freien Menschheit statt <strong>der</strong> Ordnung<br />
<strong>der</strong> toten Dinge“, verlangt Marx, <strong>der</strong> Kritiker habe „an die Parteinahme in<br />
<strong>der</strong> Politik, also an wirkliche Kämpfe anzuknüpfen“ und das Bewusstsein,<br />
die „Selbstverständigung“, über die Kämpfe und Wünsche zu erwecken,<br />
<strong>der</strong> Welt vermittels <strong>der</strong> Analyse „ihre eigenen Aktionen“ zu erklären 631<br />
(womit zugleich <strong>der</strong> undialektische Dualismus vermieden wäre, <strong>der</strong> entsteht<br />
durch die Entgegensetzung von abstraktem Ideal und Wirklichkeit<br />
o<strong>der</strong> durch den Rekurs auf den ethischen Appell im Sinne Feuerbachs,<br />
sich von <strong>der</strong> Liebe zum harmonischen Gattungsleben inspirieren zu lassen).<br />
Wenig später aber wird Marx als entscheidenden Mangel <strong>der</strong> kritischen<br />
<strong>Philosophie</strong> ansehen, worauf er in dem Briefwechsel – im aufklärerischen<br />
Vertrauen auf die praktische Wirksamkeit <strong>der</strong> Vernunft und <strong>der</strong>
200<br />
„Reform des Bewusstseins“ – noch als ihr Fundament baut, nämlich die<br />
Erwartung, dass „die Welt längst den Traum von einer Sache besitzt, von<br />
<strong>der</strong> sie nur das Bewusstsein besitzen muss, um sie wirklich zu besitzen.“<br />
632 Im folgenden wird <strong>für</strong> Marx nicht das kritische Aufdecken <strong>der</strong> Perspektiven,<br />
das Erheben <strong>der</strong> objektiven Möglichkeiten ins Bewusstsein, <strong>der</strong><br />
Angelpunkt, son<strong>der</strong>n ihre praktisch-sinnliche Realisierung, wobei ihn <strong>der</strong><br />
Grundsatz leitet, dass Ideen als solche keine wirklichen Verän<strong>der</strong>ungen<br />
bewerkstelligen können.<br />
(2) In dem ersten <strong>der</strong> beiden Artikel in den „Deutsch Französischen<br />
Jahrbüchern“, betitelt „Zur Judenfrage“, kritisiert Marx den Gegensatz von<br />
politischem Staat und bürgerlicher Gesellschaft unter einem theoretischeng<br />
Gesichtspunkt, und zwar im Gegensatz zu Bauer nicht unter dem<br />
Gesichtspunkt <strong>der</strong> politischen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> menschlichen Emanzipation.<br />
Erst in dem zweiten Artikel „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie.<br />
Einleitung“ bezeichnet Marx das Subjekt, von dem er die praktische Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> menschlichen Emanzipation erwartet: das Proletariat.<br />
Die Trennung <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft und des politischen Staats,<br />
des Bürgers und des Staatsbürgers, des Bourgeois und des Citoyen, ist <strong>für</strong><br />
Marx die Trennung des praktischen, materiellen Lebens mit seinen privaten<br />
Interessen und des theoretischen, spirituellen Lebens, des „Gattungslebens“,<br />
mit seinen allgemeinen öffentlichen Interessen. 633 Wie Marx aber<br />
in <strong>der</strong> Einleitung „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie“ bemängelt,<br />
befinde sich das rückständige Deutschland noch nicht einmal auf<br />
diesem geschichtlichen Niveau <strong>der</strong> Trennung von Theorie und Praxis, so<br />
dass hier die „Kritik <strong>der</strong> Erde“, die die hauptsächlich von Feuerbach beendigte<br />
„Kritik des Himmels“ voraussetze, nicht direkt an die wirkliche Politik<br />
anzuknüpfen habe, son<strong>der</strong>n an die philosophische Theorie, vor allem die<br />
Hegelsche <strong>Philosophie</strong>, die allein – wenn auch nur als ideales antizipierendes<br />
Spiegelbild – auf <strong>der</strong> Höhe <strong>der</strong> französischen und englischen Zustände<br />
stehe, über die somit die Kritik an <strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong> hinaus weise.<br />
634 Dass in <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie die nachrevolutionäre<br />
Wirklichkeit gedankliche Gestalt bekommen habe, trifft jedoch nur in sehr<br />
einzuschränken<strong>der</strong> Weise zu; in ihr überwiegt vielmehr die Versöhnung<br />
mit <strong>der</strong> halb-feudalen Ordnung Preußens.
201<br />
Jedenfalls will Marx die Hegelsche und die junghegelsche <strong>Philosophie</strong><br />
nicht unmittelbar als solche, son<strong>der</strong>n als selbst vorher kritisierte realisiert<br />
wissen, d. h. als Theorie, an <strong>der</strong> das Überlebte und das Überfällige, Zukunftsträchtige<br />
unterschieden worden ist. Dass dann die kritisierte <strong>Philosophie</strong><br />
zu verwirklichen sei in <strong>der</strong> Weise ihrer Aufhebung, ist Marx’ prinzipiell<br />
neuer Gesichtspunkt, <strong>der</strong> ihn sowohl von <strong>der</strong> traditionellen <strong>Philosophie</strong><br />
als auch von <strong>der</strong> junghegelianischen <strong>Philosophie</strong> trennt: einerseits<br />
bemängelt Marx an <strong>der</strong> „praktischen politischen Partei“ die Abwendung<br />
von <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> bei <strong>der</strong> Hinwendung zur praktischen Verän<strong>der</strong>ung, d.<br />
h. den Versuch <strong>der</strong> Negation <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ohne ihre Verwirklichung,<br />
an<strong>der</strong>erseits bemängelt er an <strong>der</strong> theoretischen Partei, an den Junghegelianern,<br />
hier summarisch – in <strong>der</strong> „Heiligen Familie“ und in <strong>der</strong> „Deutschen<br />
Ideologie“ ausführlich – den Versuch <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
ohne ihre Negation, d. h. das Ausgehen von den „Voraussetzungen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“<br />
und das Stehenbleiben bei <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> als solcher, das<br />
Nichtanknüpfen an die dem Wirklichen selbst innewohnenden sprengenden<br />
Kräfte (mit <strong>der</strong> Konsequenz <strong>der</strong> dualistischen Entgegensetzung von<br />
<strong>Philosophie</strong> und Welt). 635 <strong>Philosophie</strong> soll sich demnach nicht ohne weiteres<br />
selbst abschaffen, son<strong>der</strong>n sich tendenziell überflüssig machen durch<br />
ihre Realisierung, so dass sie das Bewusstsein von sich zugleich an <strong>der</strong><br />
Gegenstandswelt erfährt und die (verendlichte) Hegelsche Subjekt-Objekt-<br />
Einheit wirklich wird. Erstrebt werden kann dieses überhaupt nur insofern,<br />
als zum Inhalt <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> anstelle <strong>der</strong> übermenschlichen ewigen<br />
Ordnung ausschließlich die menschliche verän<strong>der</strong>liche Welt geworden ist,<br />
die Aristoteles noch allein <strong>der</strong> Praxis reservierte.<br />
Die Verwirklichung <strong>der</strong> Theorie durch ihre Aufhebung hat <strong>für</strong> Marx zur<br />
Bedingung, dass die Theorie „materielle Gewalt“ wird, indem sie „die Massen<br />
ergreift“, so dass das aus dem Materiellen hervor gegangene Ideelle<br />
sich ins Materielle zurück verwandelt, die Negation negiert wird. Als vermittelndes<br />
Band zwischen <strong>Philosophie</strong> und Welt, Vernunft und Realität,<br />
fungieren in dieser Konzeption die Bedürfnisse und Interessen: „Die Theorie<br />
wird in einem Volke immer nur so weit verwirklicht, als sie die Verwirklichung<br />
seiner Bedürfnisse ist.“ 636 Durch den Rekurs auf die Bedürfnisse<br />
und Interessen – das heißt auch: auf die in <strong>der</strong> „Heiligen Familie“ gegenüber<br />
Bauer behauptete Verbindung von Idee und Interesse in den Massenaktionen<br />
<strong>der</strong> Geschichte 637 – sucht Marx also die dualistisch-abstrakte
202<br />
Entgegensetzung von Theorie und Praxis und die Loslösung des kritischen<br />
Gedankens von <strong>der</strong> gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit zu vermeiden<br />
und damit im Grunde zugleich die Dialektik von Freiheit und Notwendigkeit,<br />
Tat und Schicksal, Wollen und müssen, Teleologie und Kausalität<br />
zu konkretisieren und sowohl dem Voluntarismus als auch dem Determinismus<br />
in <strong>der</strong> Geschichtsauffassung zu entgehen (über <strong>der</strong>en Auslegung<br />
im einzelnen eine Kontroverse entsteht zwischen Lenin und R. Luxemburg,<br />
und zwar hinsichtlich <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Aufgabe einer aktiven<br />
proletarischen Organisation im Verhältnis zu den „Massen“ und <strong>der</strong><br />
„revolutionären Situation“). Praxis und Theorie, Sein und Sollen, Ideal und<br />
Wirklichkeit sind also <strong>für</strong> Marx vermittelt durch die – sich im Geschichtsprozess<br />
schon nach Hegels Erkenntnis unendlich differenzierenden, multiplizierenden,<br />
komplizierenden und spezialisierenden – praktischen Bedürfnisse<br />
und Interessen, indem die Theorie an sie anknüpft und <strong>der</strong>en<br />
immanente Dialektik bewusst macht: „... man muss diese versteinerten<br />
Verhältnisse dadurch zum Tanzen zwingen, dass man ihnen ihre eigene<br />
Melodie vorsingt.“ 638 Dass aber die Bedürfnisse und Interessen, die immer<br />
auf einer bestimmten Stufe <strong>der</strong> Entwicklung zu fassen sind, verdeckt o<strong>der</strong><br />
bis zur Unkenntlichkeit deformiert sein können, bleibt hier außer Betracht.<br />
Insofern Marx die Verwirklichung <strong>der</strong> Gedanken von <strong>der</strong> Verwirklichung<br />
praktischer Bedürfnisse abhängig macht, steht er ebenso in Gegensatz zu<br />
Aristoteles, <strong>für</strong> den die Ziele <strong>der</strong> Praxis primär Bewusstseinsziele sind, wie<br />
zu Hegel, <strong>für</strong> den die natürlichen Bedürfnisse auch nicht ursprünglich<br />
sind, son<strong>der</strong>n Entäußerungen <strong>der</strong> Vernunft, „Beispiele vom Zweck“. 639 Indem<br />
Marx nicht wie Hegel den Willen als das an<strong>der</strong>e des Geistes bestimmt,<br />
gelten ihm (1) letztlich auch nicht geistige Zwecke als Quellen, die die<br />
praktische Tätigkeit mobilisieren und determinieren, (2) ist <strong>für</strong> ihn die<br />
Selbständigkeit <strong>der</strong> natürlichen Bedürfnisse nicht mehr nur <strong>der</strong> Schein<br />
auf dem Standpunkt <strong>der</strong> Endlichkeit des subjektiven Geistes, (3) liegt <strong>für</strong><br />
ihn dem unmittelbar gegebenen Interesse nicht mehr das sich immanent<br />
durchhaltende Wesen des Menschen zugrunde und hat (4) <strong>für</strong> ihn <strong>der</strong><br />
Mensch auf diesem Standpunkt in seiner Tätigkeit, wenn auch ihm selbst<br />
verborgen, nicht mehr als Inhalt und Interesse den Geist selbst, <strong>der</strong> sich in<br />
<strong>der</strong> Selbsterkenntnis des Menschen vermittels <strong>der</strong> Praxis formiert.
203<br />
Marx’ Umwandlung <strong>der</strong> scheinbaren Selbständigkeit in die wirkliche betrifft<br />
nicht nur die Bedürfnisse, son<strong>der</strong>n auch ihre Gegenstände. An die<br />
Stelle des idealistischen Erfahrungsbegriffes, demgemäß <strong>der</strong> Gegenstand<br />
in Wahrheit vergegenständlichter Geist und unselbständiges Unterscheidungsmoment<br />
des absoluten Selbstbewusstseins ist, tritt die materialistische<br />
Konzeption vom Gegenstand: <strong>der</strong> Gegenstand wird zum unabhängigen<br />
selbständigen Gegenstand sinnlicher Bedürfnisse; er kann nicht zurück<br />
genommen werden durch geistige Tätigkeit im absoluten Wissen als<br />
„mystisches Subjekt-Objekt o<strong>der</strong> über das Objekt übergreifende Subjektivität“<br />
640 , son<strong>der</strong>n nur durch praktische Tätigkeit gesellschaftlich angeeignet<br />
werden, so dass er we<strong>der</strong> <strong>der</strong> Aktivität des Menschen schrankenlosen<br />
Spielraum gewährt noch den Menschen gänzlich einengt und zur Hinnahme<br />
seiner Fremdheit verurteilt; er wird im Sinne Feuerbachs das Positive<br />
nicht als Negation <strong>der</strong> Negation, son<strong>der</strong>n als „das auf sich selbst ruhende<br />
und positiv auf sich selbst begründete Positive“. 641 Gegen Hegels korrelierende<br />
wesentliche Gleichsetzungen von Gegenstand und Gedankenwesen<br />
sowie Mensch und Selbstbewusstsein ist es gerichtet, wenn Marx unter<br />
dem Einfluss Feuerbachs, <strong>der</strong> <strong>für</strong> ihn <strong>der</strong> „wahre Überwin<strong>der</strong>“ Hegels wird,<br />
in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“ sagt: „Dass <strong>der</strong><br />
Mensch ein leibliches, naturkräftiges, lebendiges, wirkliches, sinnliches,<br />
gegenständliches Wesen ist, heißt, dass er wirkliche, sinnliche Gegenstände<br />
zum Gegenstand seines Wesens, seiner Lebensäußerung hat o<strong>der</strong> dass<br />
er nur an wirklichen Gegenständen sein Leben äußern kann. Gegenständlich,<br />
natürlich, sinnlich sein und sowohl Gegenstand, Natur, Sinn außer<br />
sich haben o<strong>der</strong> selbst Gegenstand, Natur, Sinn <strong>für</strong> ein Drittes sein ist identisch.“<br />
642<br />
Die Bedürfnishaftigkeit des Menschen als gegenständlichen Wesens erweist<br />
sich als doppeldeutig: seine Mangelhaftigkeit und Bedingtheit ist das<br />
eine passive Moment, das zugleich Ursprung des an<strong>der</strong>en aktiven Moments<br />
ist, nämlich <strong>der</strong> praktischen sinnlichen Tätigkeit, des Arbeitens als<br />
<strong>der</strong> bewussten zielstrebigen Vermittlung zwischen sinnlichem Bedürfnis<br />
und sinnlichem Gegenstand (womit Marx hinaus geht über Feuerbachs<br />
kontemplativen, die Sinnlichkeit nur im Element <strong>der</strong> Anschauung fassenden<br />
Materialismus, demzufolge das Leiden allenfalls die Aktivität in Gestalt<br />
<strong>der</strong> Leidenschaft – des „Wahrzeichens <strong>der</strong> Existenz“ – impliziert).
204<br />
Konkret kann vermittels <strong>der</strong> Bedürfnisse und Interessen die Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Vernunft und <strong>der</strong> theoretischen Emanzipation – d. h. <strong>der</strong> Feuerbachschen<br />
These, <strong>der</strong> Mensch sei <strong>für</strong> den Menschen das höchste Wesen<br />
– <strong>für</strong> Marx seit seiner Schrift „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie“<br />
nur erreicht werden, wenn das Proletariat – als „negatives Resultat<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft“ und als <strong>der</strong> „völlige Verlust des Menschen“ – aufgehoben<br />
wird, die <strong>Philosophie</strong> also ein Bündnis mit dem Proletariat eingeht. 643<br />
Infolgedessen ist <strong>für</strong> Marx die Theorie durch Praxis, die <strong>Philosophie</strong><br />
durch Nicht-<strong>Philosophie</strong> vermittelt: die Theorie hat ihre Voraussetzung o<strong>der</strong><br />
ihr maßgebendes Substrat in <strong>der</strong> gesellschaftlich-geschichtlichen<br />
Wirklichkeit, nicht in rein philosophischen Prinzipien im traditionellen<br />
Sinn. Marx bemängelt dementsprechend in den „Ökonomischphilosophischen<br />
Manuskripten“ und in <strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“ an den<br />
idealistischen Junghegelianern (nicht aber an Feuerbach 644 ), dass sie abhängig<br />
bleiben von <strong>der</strong> scheinbar sich selbst voraussetzenden und selbst<br />
begründenden – das an<strong>der</strong>e des Gedankens nur innerhalb des Gedankens<br />
fassenden – autonomen Hegelschen <strong>Philosophie</strong> (wenn sie auch hinter Hegels<br />
objektiven Idealismus in einen subjektiven zurück fielen). „Die deutsche<br />
Kritik hat bis auf ihre neuesten Efforts den Boden <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
nicht verlassen. Weit davon entfernt, ihre allgemein-philosophischen Voraussetzungen<br />
zu untersuchen, sind ihre sämtlichen Fragen sogar auf dem<br />
Boden eines bestimmten philosophischen Systems, des Hegelschen gewachsen...<br />
Die Voraussetzungen, mit denen wir beginnen, sind keine willkürlichen,<br />
keine Dogmen, es sind wirkliche Voraussetzungen, von denen<br />
man nur in <strong>der</strong> Einbildung abstrahieren kann. Es sind wirkliche Individuen,<br />
ihre Aktion und ihre materiellen Lebensbedingungen, sowohl die vorgefundenen<br />
wie die durch ihre eigene Aktion erzeugten. Diese Voraussetzungen<br />
sind also auf rein empirischem Wege konstatierbar.“ 645<br />
Insofern die Begriffe <strong>der</strong> Marxschen Theorie also von <strong>der</strong> verän<strong>der</strong>lichen<br />
empirisch konstatierbaren Wirklichkeit abhängig sind, sind sie im Grunde<br />
nicht geeignet, diese Wirklichkeit überspringend im Sinne einer Theologie<br />
ohne Gott Heilswahrheiten anzuvisieren und einen paradiesischen die<br />
menschliche Entwicklung abschließenden Zustand zu prognostizieren.<br />
Dieses spricht gegen die Interpretation <strong>der</strong> Marxschen Konzeption aus –<br />
von Marx gerade als abgeleitet behaupteten – theologischen Zusammen-
205<br />
hängen, speziell als „prometheischen Aufstand gegen die christliche<br />
Schöpfungsordnung 646 und als Säkularisierung eschatologischer Heilslehre<br />
(so unter an<strong>der</strong>en von N. A. Berdjajew, P. Tillich, U. Sorel, H. Popitz, E.<br />
Voegelin, E. Topitsch). Marx selbst erklärt: „Der Kommunismus ist <strong>für</strong> uns<br />
nicht ein Zustand, <strong>der</strong> hergestellt werden soll, ein Ideal, wonach die Wirklichkeit<br />
sich zu richten haben wird. Wir nennen Kommunismus die wirkliche<br />
Bewegung, welche den jetzigen Zustand aufhebt. Die Bedingungen dieser<br />
Bewegung ergeben sich aus <strong>der</strong> jetzt bestehenden Voraussetzung.“ 647<br />
Marx ist aber bestrebt, nicht nur die traditionelle philosophische<br />
Selbstbegründung hinter sich zu lassen, son<strong>der</strong>n sich an<strong>der</strong>erseits auch<br />
nicht auf die erfor<strong>der</strong>liche empirisch-wissenschaftliche Feststellung und<br />
Abspiegelung des Gegebenen – etwa in <strong>der</strong> Weise von Comtes Positivismus<br />
zu beschränken. Kritische Theorie heißt vielmehr <strong>für</strong> Marx: eingehendes<br />
Analysieren <strong>der</strong> bestehenden sozial-ökonomischen Voraussetzungen unter<br />
dem Aspekt ihrer immanent möglichen praktisch-emanzipatorischen Verän<strong>der</strong>ung.<br />
Wenn Marx somit die kritische Theorie als Ausdruck wirklicher Verhältnisse<br />
ansieht und sie in den „Dienst“ gesellschaftlicher Befreiung<br />
stellt, so ist dies die Konsequenz <strong>der</strong> aufbewahrenden Umwandlung <strong>der</strong><br />
Hegelschen Einsicht, dass <strong>der</strong> Mensch nicht unmittelbar von Natur selbständiges<br />
freies Subjekt ist, son<strong>der</strong>n dieses erst in einem praktischtheoretischen<br />
Vermittlungs- und Bildungsprozess werden kann, das Wesen<br />
des Menschen also nicht fertig und einfach vorgegeben, son<strong>der</strong>n geschichtlich<br />
aufgegeben und Resultat dessen ist, wozu <strong>der</strong> Mensch sich<br />
verwirklicht, so dass die Ergründung dessen, was <strong>der</strong> Mensch ist, keine<br />
rein theoretische, son<strong>der</strong>n auch eine praktisch-geschichtliche Frage ist<br />
und die philosophischen Aussagen über den Menschen nicht in <strong>der</strong> Weise<br />
von unbeteiligten wissenschaftlichen Feststellungen über unmittelbar seiende<br />
Naturgegenstände sich abfindend nur beinhalten, was <strong>der</strong> Mensch<br />
als Objekt ist, son<strong>der</strong>n zugleich auch, was <strong>der</strong> Mensch als Subjekt sein<br />
kann, und dementsprechend das philosophische Erkennen nicht in souveräner<br />
„theatralischer“ Zuschauerhaltung wi<strong>der</strong>standslos weltentfremdet<br />
über <strong>der</strong> Sache steht, son<strong>der</strong>n zu seinem Inhalt und dessen geschichtlichpraktischer<br />
Bewegung wesentlich dazugehört und die philosophische<br />
Wahrheit sich nicht nur als eine Form des erkennenden Subjekts, son<strong>der</strong>n
206<br />
auch als Moment im Dasein, d. h. als Existenzweise im geschichtlichpraktischen<br />
Prozess erweist.<br />
Mit Recht charakterisiert infolgedessen Habermas die Marxsche Konzeption<br />
als aufgehend in <strong>der</strong> Reflexion „in Abhängigkeit <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
und als Vorbereitung einer umwälzenden Praxis“. Er weist nach,<br />
dass Popitz – <strong>der</strong> die Auffassung vertritt, dass Marx die Praxis im wesentlichen<br />
nicht an<strong>der</strong>s als Hegel bestimmt hätte und dass „die Gedanken von<br />
Marx über die von Hegel entwickelte Problematik <strong>der</strong> ‚Verwirklichung‘<br />
nicht hinausgehen“ 648 – sowie Landgrebe und Metzke Marx’ These, die <strong>Philosophie</strong><br />
könne sich nicht selbst begründen, nur wie<strong>der</strong>um „unter den<br />
Voraussetzungen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ beurteilen, was zur „Rückverwandlung<br />
des Marxismus aus Kritik in <strong>Philosophie</strong>“, führe, und zwar in „eine Gestalt<br />
junghegelianischer <strong>Philosophie</strong>“. Es ist dieser Zusammenhang, in dem Habermas<br />
die Bedeutung <strong>der</strong> Marxschen Kritik an <strong>der</strong> junghegelianischen<br />
<strong>Philosophie</strong> berührt, wenn er sagt, dass „<strong>der</strong> Marxismus“ (gemeint ist<br />
Marx’ Konzeption) in ihr „das Bewusstsein seiner eigentlichen Bestimmung<br />
erst fand.“ 649 Auch von an<strong>der</strong>en Autoren wird Marx’ kritische Theorie nicht<br />
konsequent genug als Bruch mit <strong>der</strong> philosophischen Tradition analysiert<br />
und zu sehr Hegel o<strong>der</strong> Feuerbach angenähert. Das gilt <strong>für</strong> so verschiedene<br />
Interpreten wie W. Sombart, J. Plenge, P. Bigo, J. Hommes, E. Thier, J.-<br />
Y. Calvez und J. Hyppolite. 650<br />
Landgrebe nimmt wie<strong>der</strong>um Stellung zu Habermas’ Kritik mit <strong>der</strong> These,<br />
dass <strong>für</strong> Marx – bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Entfremdung und <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung<br />
nach ihrer Aufhebung als Verwirklichung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> – ein Prinzip<br />
und Maßstab von Anfang an voraus gehe, „<strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Entfremdung<br />
aus keiner empirischen Forschung und Analyse des bestehenden Gesellschaftszustandes<br />
zu gewinnen“ sei und Marx’ Standpunkt also „unter den<br />
Voraussetzungen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“ zu beurteilen sei. 651 Auch Landshut<br />
spricht von einer regulativen „im voraus sicheren Idee bei <strong>der</strong> Bestimmung<br />
des Menschen“, ähnlich M. G. Lange. 652<br />
Zur Beantwortung dieser Frage nach Marx’ empirischer o<strong>der</strong> nichtempirischer<br />
Grundlegung <strong>der</strong> Entfremdungskonzeption ist sein Rückgang<br />
auf die menschlichen Bedürfnisse und Interessen im materialistisch verstandenen<br />
Geschichtsprozess entscheidend: Marx geht davon aus, dass<br />
<strong>der</strong> Zustand <strong>der</strong> Selbstentfremdung – vor allem des Proletariats – sei er-
207<br />
fahrbar durch das Interesse und das Bedürfnis seiner Überwindung,<br />
nicht nur auf Grund des Postulats eines naturrechtlichen Humanitätsideals.<br />
Darin stimmt also Marx mit Kant überein, dass die rein wissenschaftliche<br />
Kenntnis des Seienden kein hinreichen<strong>der</strong> Grund zum Handeln sein<br />
kann; aber was zum Handeln bringt, ist <strong>für</strong> Marx an<strong>der</strong>erseits nicht das<br />
reine „Sollen“ o<strong>der</strong> irgendeine Utopie, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> ursprünglich gegebene<br />
Verän<strong>der</strong>ungswille, <strong>der</strong> in bestimmten Bedürfnissen und Interessen wurzelt<br />
(so dass <strong>für</strong> die Begründung des Handelns auch nicht – wie Kolakowski<br />
behauptet – die Alternative Wissenschaft o<strong>der</strong> Ideologie bleibt 653 ).<br />
Hierin liegt zugleich Marx’ indirektes Argument gegen die Unlösbarkeit des<br />
Wi<strong>der</strong>streits von Faktizität und Normativität, wie er sich nach Max Weber<br />
daraus ergibt, dass die Wissenschaft „wertfrei“ sei und nur „wertfreie“<br />
Aussagen über Zweck-Mittel-Relationen, nicht über die zu wählenden<br />
Zwecke selbst machen könne. Weiter liegt hierin – sowie in dem Rückgang<br />
auf die Erkennbarkeit eines im wesentlichen vernünftigen Geschichtsverlaufs<br />
– Marx’ indirektes Argument gegen eine Trennung von Theorie und<br />
Praxis mit <strong>der</strong> Kierkegaardschen Begründung, die Theorie könne vor dem<br />
Handeln unmöglich – was jedoch erfor<strong>der</strong>lich wäre – das Ganze des geschichtlichen<br />
Handlungsfeldes mit allen Einzelheiten übersehen und sei<br />
innerhalb <strong>der</strong> „quantitativen Dialektik“ <strong>der</strong> Geschichte nur relativ (die Totalität<br />
bleibe Gott vorbehalten), die Praxis aber sei die „qualitative Dialektik“<br />
<strong>der</strong> unvermittelten absoluten Entscheidung <strong>der</strong> auf sich selbst stehenden<br />
Existenz. – In <strong>der</strong> Tat gäbe es von <strong>der</strong> Theorie keinen begründbaren<br />
Übergang zur Praxis (und wäre gleichsam die Situation Hamlets o<strong>der</strong><br />
Oblomows exemplarisch), wenn vor je<strong>der</strong> Handlung alles einzelne reflexiv<br />
zu berücksichtigen wäre. – Für Marx geht die in <strong>der</strong> notgedrungenen Aktivität<br />
liegende wirkliche Einheit von Theorie und Praxis <strong>der</strong> Frage nach ihrer<br />
möglichen Verbindung in einer Weise voraus, die vergleichbar ist mit<br />
dem Vorrang <strong>der</strong> Wirklichkeit <strong>der</strong> Erkenntnis vor <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong><br />
Konstitution <strong>der</strong> Erkenntnis in <strong>der</strong> Transzendentalphilosophie Kants.<br />
Allerdings ist unverkennbar, dass Marx bis zur Abfassung <strong>der</strong> „Heiligen<br />
Familie“ in terminologischer Hinsicht seine eigene Position gegenüber Feuerbachs<br />
ungeschichtlichem Anthropologismus noch ungenügend abgegrenzt<br />
hat und dass er von vornherein an die philosophische Entfremdungsproblematik<br />
Hegels anknüpft, wo<strong>für</strong> Marx aber eine Rechtfertigung<br />
darin sehen könnte, dass sich diese <strong>für</strong> ihn als Abspiegelung empirisch
208<br />
erfahrbarer entfremdeter Gesellschaftsverhältnisse erweist. (Auch Engels<br />
hält unter dem Einfluss von Heß in einem frühen Stadium seiner Entwicklung<br />
noch die <strong>Philosophie</strong> <strong>für</strong> den Ursprung des Kommunismus in<br />
Deutschland und bestimmt erst später die Theorie als undoktrinäre „Anleitung<br />
zum Handeln“ 654 .) Nichtsdestoweniger bedarf die Marxsche Konzeption<br />
in beson<strong>der</strong>er Weise <strong>der</strong> gedanklichen Antizipation und kann sich nicht<br />
als einfacher Reflex und unmittelbare Reflexion <strong>der</strong> empirischen Krisen<br />
und Konflikte <strong>der</strong> Gesellschaft verstehen, weil die klassenlose Gesellschaft<br />
sich nicht schon – wie die bürgerliche Gesellschaft in <strong>der</strong> feudalen – keimhaft<br />
innerhalb <strong>der</strong> Klassengesellschaft zeigt. 655<br />
Das Nichtanerkennen des Marxschen Bruches mit <strong>der</strong> philosophischen<br />
Tradition hat unmittelbar zur Folge, dass Marx’ Begriff <strong>der</strong> Entfremdung<br />
gedeutet wird als die Objektivierung und Verdinglichung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Tätigkeit im Arbeitsprodukt überhaupt, nicht aber primär als die Herrschaft<br />
bestimmter Arbeitsprodukte über bestimmte Produzenten in spezifischen<br />
Arbeitsverhältnissen, und dass die Entfremdung reduziert wird auf<br />
eine ungeschichtliche prinzipiell unaufhebbare Invariante im Sinne des<br />
Apriori <strong>der</strong> Kantischen Anschauungsformen und Kategorien o<strong>der</strong> einer existentialen<br />
Struktur in Gestalt einer Uneigentlichkeit und einer „Art<br />
Selbstvergesslichkeit“ des Daseins 656 .<br />
Ein Hauptpunkt <strong>der</strong> Marxschen Kritik an Hegel in den „Ökonomischphilosophischen<br />
Manuskripten“ ist gerade, dass dieser die Entfremdung<br />
o<strong>der</strong> Entäußerung – ein Ausdruck, <strong>der</strong> anfangs in <strong>der</strong> Ökonomie des 18.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts <strong>für</strong> die „Veräußerung“ von Waren und in den naturrechtlichen<br />
Gesellschaftstheorien“ <strong>für</strong> die „Veräußerung“ <strong>der</strong> ursprünglichen<br />
Freiheit an die durch Vertrag entstandene Gesellschaft verwendet wurde –<br />
nicht mit bestimmten vergänglichen, weil praktisch aufhebbaren Formen,<br />
son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> Gegenständlichkeit überhaupt gleichsetzt (wobei er allerdings<br />
die Vergegenständlichung in jedem Arbeitsprodukt vermittels <strong>der</strong><br />
Praxis <strong>der</strong> Arbeit als Prozess <strong>der</strong> „Selbsterzeugung“ „innerhalb <strong>der</strong> Abstraktion“<br />
erfasst habe): „Nicht, dass das menschliche Wesen sich unmenschlich,<br />
im Gegensalz zu sich selbst sich vergegenständlicht, son<strong>der</strong>n,<br />
dass es im Unterschied vom und im Gegensatz zum abstrakten Denken<br />
sich vergegenständlicht, gilt als das gesetzte und als das aufzuhebende<br />
Wesen <strong>der</strong> Entfremdung.“ 657
209<br />
Marx’ materialistische Auffassung von <strong>der</strong> Unaufhebbarkeit <strong>der</strong> Gegenständlichkeit<br />
als solcher impliziert die Negation <strong>der</strong> Hegelschen Bestimmung<br />
<strong>der</strong> (endlichen) Theorie und Praxis als Momente des absoluten Geistes,<br />
des Hauptakteurs, auf seinem Weg <strong>der</strong> Rückkehr aus <strong>der</strong> Entäußerung<br />
in Natur und Geschichte zu sich selbst und zur vollkommenen geistigen<br />
Freiheit vermittels <strong>der</strong> stufenweise fortschreitenden Vereinigung von<br />
Subjekt und Objekt, <strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Gegenständlichkeit überhaupt. –<br />
Auch Platons Zuordnung <strong>der</strong> Theorie und Praxis zu den Intentionen des<br />
ganzen Kosmos muss <strong>für</strong> die materialistische Gegenstandsauffassung ein<br />
Anthropomorphismus werden; diese macht die Annahme unmöglich, dass<br />
die Dinge selbst streben und wollen und <strong>der</strong> Mensch sich mit seiner Tätigkeit<br />
einzufügen habe in die vorbestimmte Ordnung, die ihrerseits auf die<br />
menschliche Aktivität ausgerichtet sei. Entsprechendes gilt <strong>für</strong> Thomas<br />
von Aquins Bestimmung des Handelns als Verwirklichung <strong>der</strong> wesentlichen<br />
menschlichen Anlagen in <strong>der</strong> Orientierung an dem vorgegebenen<br />
göttlichen Ordo mit seiner geschichtslosen Rangordnung, die Kant in seiner<br />
Ethik als Heteronomie kritisiert.<br />
Wenn <strong>für</strong> Marx <strong>der</strong> Hauptmangel des Idealismus (wie er in <strong>der</strong> „Heiligen<br />
Familie“ in dem Kapitel „Das Geheimnis <strong>der</strong> spekulativen Konstruktion“<br />
entwickelt an dem Beispiel des Begriffes „Frucht“ respektive an <strong>der</strong> Verwandlung<br />
wirklicher Früchte in das Gedankenwesen Frucht und dann<br />
wie<strong>der</strong>um in wirkliche Früchte als dessen Entäußerungsformen vermittels<br />
dessen eigener Tätigkeit <strong>der</strong> Selbstunterscheidung 658) die Begriffsverselbständigung,<br />
die Erhebung von Prädikaten zu Subjekten, von Abstraktionen<br />
zu selbständigen Wesenheiten, ist, und wenn <strong>für</strong> Marx hierin auch die<br />
Junghegelianer befangen sind, indem sie „wirkliche Verhältnisse“ idealisieren,<br />
in Bewusstseinsverhältnisse verkehren und anschließend – als „Ideologen“,<br />
d. h. als Kritiker mit dem Schein <strong>der</strong> Autonomie, <strong>der</strong> Erhabenheit<br />
über gesellschaftliche Voraussetzungen, bei wirklicher Abhängigkeit – nur<br />
diese Wi<strong>der</strong>spiegelungen im Geiste negieren, so hätte er in dieser Hinsicht<br />
<strong>der</strong> Begriffsverselbständigung eine begrenzte Gemeinsamkeit mit dem späten<br />
Schelling zugestehen können, <strong>der</strong> ebenfalls an <strong>der</strong> Nichtableitbarkeit<br />
<strong>der</strong> Existenz aus dem Begriff festhält und die absolute Kontemplativität<br />
<strong>der</strong> Hegelschen Spekulation durch seine „positive“ <strong>Philosophie</strong> praktisch<br />
zu überwinden sucht. Der Grund da<strong>für</strong>, dass Marx aber nur einen „aufrichtigen<br />
Jugendgedanken“ von Schelling, also den mit Hegel gemeinsa-
210<br />
men Ansatz, anerkennt 659 , ist offensichtlich Schellings theologische Deutung<br />
des unableitbaren „Dass“, abgesehen von seiner politischen Einstellung.<br />
Auch Engels will aus demselben Grund in seinem Artikel und seinen<br />
beiden Schriften gegen Schelling keinen Schritt auf dem Weg <strong>der</strong> Abkehr<br />
von Hegel mit ihm gemeinsam machen, zumal er in diesem frühen Stadium<br />
seiner Entwicklung an Hegel nur erst kritisiert, dass die „Prinzipien...<br />
immer unabhängig und freisinnig, die Folgerungen... hier und da verhalten,<br />
ja illiberal“ seien. 660<br />
Marx negiert nicht nur unter Berufung auf die Unaufhebbarkeit und<br />
Nichtableitbarkeit <strong>der</strong> Gegenständlichkeit als solcher Hegels Gleichsetzung<br />
von Entfremdung und Gegenständlichkeit, son<strong>der</strong>n er bemängelt auch<br />
Feuerbachs Anwendung des Entfremdungsbegriffs auf die Religion –<br />
gedeutet als Sphäre <strong>der</strong> Entzweiung und Verdoppelung des Menschen und<br />
seiner Gattungseigenschaften wie Liebe, Gerechtigkeit, Güte – sowie auf<br />
die pantheistischen Systeme seit Spinoza und insbeson<strong>der</strong>e auf Hegels<br />
„theologische“ <strong>Philosophie</strong>, die das Sein nur innerhalb des Denkens anerkennt.<br />
Marx fasst die Entfremdung nicht primär als philosophische o<strong>der</strong><br />
religiöse, son<strong>der</strong>n als gesellschaftliche Erscheinung auf, so dass <strong>für</strong> ihn<br />
auch die Verdoppelung <strong>der</strong> Welt, wie er in <strong>der</strong> vierten Feuerbach-These<br />
formuliert, „nur aus <strong>der</strong> Selbstzerrissenheit und Sichselbstwi<strong>der</strong>sprechen<br />
dieser weltlichen Grundlage zu erklären“ ist. 661<br />
Indem das entfremdete Bewusstsein aus dem entfremdeten gesellschaftlichen<br />
Sein hergeleitet wird, wird zur Aufhebung <strong>der</strong> Entfremdung<br />
im wesentlichen nicht theoretische Kritik, son<strong>der</strong>n praktisch verän<strong>der</strong>nde<br />
gesellschaftliche Tätigkeit erfor<strong>der</strong>lich. Die entscheidende Schranke Feuerbachs<br />
ist <strong>für</strong> Marx, dass er zwar im Gegensatz zu Hegel sinnliche „von den<br />
Gedankenobjekten wirklich unterschiedene Objekte“ zugrunde legt, aber<br />
diese nur als fertige Objekte <strong>der</strong> sinnlichen passiven Anschauung und<br />
Empfindung, nicht als gewordene Resultate <strong>der</strong> sinnlichen „gegenständlichen“<br />
Praxis fasst. 662 Dieser kontemplative undialektische Materialismus<br />
wird von Marx <strong>der</strong> bestehenden bürgerlichen Gesellschaft zugeordnet und<br />
hat <strong>für</strong> ihn seine entsprechende Schranke in dem ungeschichtlichen<br />
Anthropologismus: Feuerbach dehistorisiert und desozialisiert den Menschen;<br />
er kennt nur (wie die Stoiker und Naturrechtler) das Abstraktum<br />
Mensch, das Wesen des Menschen als Gattung, „als innere, stumme, die
211<br />
vielen Individuen natürlich verbindende Allgemeinheit“. 663 Infolgedessen<br />
kann Marx feststellen: bei Feuerbach „fallen Materialismus und Geschichte<br />
ganz auseinan<strong>der</strong>“. 664 Hiergegen macht Marx Hegels materialistisch umgedeutete<br />
Lehre des objektiven Geistes von <strong>der</strong> Gesellschaftlichkeit und<br />
Geschichtlichkeit des Menschen geltend, wovon wie<strong>der</strong>um die Arbeitstätigkeit<br />
unabtrennbar ist.<br />
Die Arbeit als gesellschaftliche gegenständliche Tätigkeit und zielstrebige<br />
Vermittlung zwischen sinnlichem Bedürfnis und natürlichem Gegenstand<br />
ist <strong>für</strong> Marx die „Grundlage <strong>der</strong> ganzen sinnlichen Welt", so dass,<br />
„wenn sie auch nur <strong>für</strong> ein Jahr unterbrochen würde, Feuerbach eine ungeheure<br />
Verän<strong>der</strong>ung nicht nur in <strong>der</strong> natürlichen Welt vorfinden, son<strong>der</strong>n<br />
auch die ganze Menschenwelt und sein eignes Anschauungsvermögen, ja<br />
seine eigne Existenz sehr bald vermissen würde.“ 665<br />
Die gesellschaftliche Bearbeitung <strong>der</strong> Natur ist ein Prozess <strong>der</strong> Negation<br />
<strong>der</strong> Negation, insofern die vermittels <strong>der</strong> Arbeitsinstrumente in ihrer Positivität<br />
und Unmittelbarkeit negierte Natur – das formierte Arbeitsprodukt –<br />
wie<strong>der</strong>um negiert und angeeignet wird. Sogar Gegenstände <strong>der</strong> scheinbar<br />
unmittelbaren sinnlichen Gewissheit sind vermittelt durch Arbeit und Verkehr,<br />
„ein Produkt <strong>der</strong> Industrie und des Gesellschaftszustandes“, wie<br />
Marx an einem Beispiel verdeutlicht: „Der Kirschbaum ist... bekanntlich<br />
erst vor wenig Jahrhun<strong>der</strong>ten durch den Handel in unsre Zone verpflanzt<br />
worden und wurde deshalb erst durch diese Aktion einer bestimmten Gesellschaft<br />
in einer bestimmten Zeit <strong>der</strong> ‚sinnlichen Gewissheit‘ Feuerbachs<br />
gegeben.“ 666 Auch die fünf Sinne des Menschen seien nicht ein <strong>für</strong> allemal<br />
fertig gegeben, son<strong>der</strong>n entwickelten sich im Laufe <strong>der</strong> Zeit und bekämen<br />
immer menschlicheres Gepräge, indem ihre Gegenstände durch die Arbeitspraxis<br />
immer meht vermenschlicht würden. „Die Bildung <strong>der</strong> fünf<br />
Sinne ist eine Arbeit <strong>der</strong> ganzen bisherigen Weltgeschichte.“ Die Sinne<br />
werden <strong>der</strong> bloßen Nützlichkeit enthobene „Theoretiker“. „Es versteht sich,<br />
dass das menschliche Auge an<strong>der</strong>s genießt als das rohe, unmenschliche<br />
Auge, das menschliche Ohr an<strong>der</strong>s als das rohe Ohr... Für den ausgehungerten<br />
Menschen existiert nicht die menschliche Form <strong>der</strong> Speise, son<strong>der</strong>n<br />
nur ihr abstraktes Dasein als Speise... Der sorgenvolle bedürftige Mensch<br />
hat keinen Sinn <strong>für</strong> das schönste Schauspiel.“ 667 Weiter gehört <strong>für</strong> Marx<br />
zur Bildung des Menschen durch die gesellschaftliche Arbeit außer <strong>der</strong>
212<br />
Vermenschlichung <strong>der</strong> Sinne auch die Entfaltung des Denkens, <strong>der</strong> Sprache,<br />
des Willens und <strong>der</strong> Liebe. Dies impliziert, dass Marx im Gegensatz<br />
zur philosophischen Tradition das Erkennen nicht anheben lässt mit dem<br />
Staunen und <strong>der</strong> Wissbegierde, son<strong>der</strong>n mit <strong>der</strong> in praktischen Bedürfnissen<br />
wurzelnden Naturaneignung.<br />
Marx verabsolutiert – nach <strong>der</strong> Preisgabe <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-<br />
Einheit – die geschichtliche Entwicklung nicht nur <strong>der</strong> Erscheinungen,<br />
son<strong>der</strong>n auch des Wesens selbst, die zwar schon Hegel im Gegensatz zur<br />
traditionellen Wesensmetaphysik innerhalb des Kreises des Objektivierungsprozesses<br />
des absoluten Geistes konzipierte, aber gleichsam auf <strong>der</strong><br />
Spitze des Systems noch abbrach. „We<strong>der</strong> die Natur – objektiv – noch die<br />
Natur subjektiv ist unmittelbar dem menschlichen Wesen adäquat vorhanden.“<br />
668 Indem also <strong>der</strong> Mensch die Natur bearbeitet und umformt, die gegenständliche<br />
Welt mit seinen Kräften durchdringt, d. h. sich in <strong>der</strong> Form<br />
des Gegenstandes objektiviert und den zunächst fremden inadäquaten Gegenstand<br />
<strong>der</strong> Natur subjektiviert o<strong>der</strong> vermenschlicht, verwandelt er sich<br />
selbst und bringt nach Marx’ Konzeption nicht nur nützliche Waren, son<strong>der</strong>n<br />
sich selbst im Laufe <strong>der</strong> Geschichte hervor. Eine Negation <strong>der</strong> Unmittelbarkeit<br />
sowohl des Objekts wie des Subjekts ist also die Tätigkeit <strong>der</strong><br />
Naturaneignung als praktische Realisierung subjektiver Zwecke und „Wesenskräfte“<br />
und Herstellung <strong>der</strong> relativen Einheit von Subjekt und Objekt;<br />
denn <strong>der</strong> Zweck wird aus seiner Innerlichkeit heraus gesetzt, und das Objekt<br />
wird vom Zweck durchdrungen und ihm adäquat formiert. Wie Hegel<br />
erkannt hat, ist <strong>der</strong> Syllogismus die Form dieser Praxis: durch das Arbeitsinstrument<br />
(B) schließt sich <strong>der</strong> Mensch (C) mit den Gegenständen (A) zusammen<br />
und in ihnen auch insofern mit sich selbst, als er sich darin objektiviert.<br />
Marx lehnt somit auch alle die Theorien ab, die das soziale Milieu<br />
(o<strong>der</strong> die biologische Vererbung) als bestimmenden unverän<strong>der</strong>lichen<br />
objektiven Faktor beschreiben, <strong>der</strong> <strong>der</strong> aktiven Einwirkung des Subjekts<br />
schicksalhaft-fatalistisch entzogen bleibt.<br />
Wenn K. Löwith hinsichtlich <strong>der</strong> Marxschen historischmaterialistischen<br />
Kritik an <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> Welt als Objekt passiver<br />
Betrachtung von einer Verkehrung des Verhältnisses von natürlicher Welt<br />
und Menschenwelt, „mundus rerum“ und „mundus hominum“, spricht, da<br />
<strong>der</strong> „übermenschliche physische Kosmos... in Vergessenheit“ gerate 669 , so
213<br />
würde Marx also dagegen den erkenntnistheoretischen Anspruch erheben,<br />
dass alles Wissen von <strong>der</strong> Natur wesentlich erst durch die menschliche<br />
naturverän<strong>der</strong>nde Tätigkeit vermittelt werden könne, Naturerkenntnis somit<br />
nicht durch Einwirkung <strong>der</strong> natürlichen Dinge auf das sich passiv „visionär“<br />
als reiner Spiegel verhaltende Subjekt entstehe, und dass insbeson<strong>der</strong>e<br />
das Ganze <strong>der</strong> Natur, das kein abgeschlossener überschaubarer<br />
antiker Kosmos ist, nicht im einfachen praktisch unvermittelten Anblick<br />
gegenwärtig werden kann.<br />
Mährend Hegel gegen Kant die Unmöglichkeit <strong>der</strong> Untersuchung <strong>der</strong><br />
Erkenntnisfähigkeit unabhängig von wirklicher Erkenntnis geltend macht,<br />
behauptet Marx weitergehend die Unmöglichkeit wirklicher Erkenntnis<br />
unabhängig von <strong>der</strong> (unmittelbaren, persönlichen o<strong>der</strong> durch an<strong>der</strong>e vermittelten)<br />
wirklich verän<strong>der</strong>nden Praxis. – Als Marx’ Schüler erweist sich in<br />
dieser Hinsicht Mao Tse-tung, indem er in einem Artikel „Über die Praxis“<br />
sagt: „Willst du etwas wissen, so nimm teil an <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit,<br />
das Gegebene zu än<strong>der</strong>n. Willst du wissen, wie eine Birne schmeckt, so<br />
än<strong>der</strong>e sie und beiße mit deinen Zähnen hinein. Willst du wissen, wie ein<br />
Atom gebaut ist und welche Eigenschaften es hat, so führe physikalische<br />
und chemische Versuche durch und verän<strong>der</strong>e den Zustand des Atoms.<br />
Willst du wissen, wie Theorie und Methode einer Revolution sind, so nimm<br />
teil an <strong>der</strong> Revolution.“ 670<br />
Hierbei schließt Marx’ Auffassung, das menschliche Eingreifen in die<br />
Natur sei die vermittelnde Voraussetzung ihres Begreifens, nicht die – von<br />
Löwith intendierte – Anerkennung eines gewissen „ontologischen“ Vorrangs<br />
<strong>der</strong> Natur aus; auch <strong>für</strong> Marx ist die natürliche Welt we<strong>der</strong> eine kosmologische<br />
„Idee“ im Kantischen Sinn noch ein „Total-Horizont“ o<strong>der</strong> ein Welt-<br />
„Entwurf“ im Sinne Husserls o<strong>der</strong> Heideggers, son<strong>der</strong>n eine „<strong>der</strong> menschlichen<br />
Geschichte vorhergehende Natur.“ 671<br />
Vereint sind Mensch und Natur <strong>für</strong> Marx primär durch das praktische<br />
Verhalten zur Natur, durch die Industrie, sekundär durch das theoretische<br />
Verhalten zur Natur, durch die Naturwissenschaft, die beide in Wechselwirkung<br />
stehen. Von ihrer Entwicklung sind wie<strong>der</strong>um Geschichte und<br />
Gesellschaft unabtrennbar, und zwar <strong>der</strong>gestalt, dass schließlich Industrie<br />
und Naturwissenschaft die „Entmenschung vervollständigen“ und zugleich<br />
die Emanzipation vorbereiten konnten. 672
214<br />
Die gesellschaftlich-geschichtliche Seite <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit <strong>der</strong><br />
Naturaneignung, die Hegel in einer relativ abstrakten Entwicklungsetappe<br />
im Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ <strong>der</strong> „Phänomenologie“ expliziert<br />
und schrittweise weiter konkretisiert, manifestiert sich zunächst in <strong>der</strong><br />
Arbeitsteilung. Ihre generelle Auswirkung verdeutlicht Marx in <strong>der</strong> „Deutschen<br />
Ideologie“ an einem extremen Beispiel, indem er gegen Stirners Behauptung,<br />
Raffaels Gemälde seien unabhängig von <strong>der</strong> Teilung <strong>der</strong> Arbeit<br />
entstanden, ausführt: „Raffael, so gut wie je<strong>der</strong> andre Künstler, war bedingt<br />
durch die technischen Fortschritte <strong>der</strong> Kunst, die vor ihr gemacht<br />
waren, durch die Organisation <strong>der</strong> Gesellschaft und die Teilung <strong>der</strong> Arbeit<br />
in seiner Lokalität und endlich durch die Teilung <strong>der</strong> Arbeit in allen Län<strong>der</strong>n,<br />
mit denen seine Lokalität im Verkehr stand. Ob ein Individuum wie<br />
Raffael sein Talent entwickelt, hängt ganz von <strong>der</strong> Nachfrage ab, die wie<strong>der</strong><br />
von <strong>der</strong> Teilung <strong>der</strong> Arbeit und den daraus hervorgegangenen Bildungsverhältnissen<br />
<strong>der</strong> Menschen abhängt.“ 673<br />
Die gesellschaftliche Kooperation, <strong>der</strong>en Grad von <strong>der</strong> Entwicklung <strong>der</strong><br />
Arbeitsinstrumente abhängt, betrachtet Marx als Grundlage <strong>für</strong> die Klassenteilung,<br />
<strong>für</strong> die „Verfügung über fremde Arbeitskraft“, und die jeweilige<br />
Aneignung des Mehrprodukts o<strong>der</strong> des Mehrwerts durch Nichtarbeitende.<br />
Damit schaffe die Arbeitsteilung auch die Voraussetzung <strong>der</strong> Trennung<br />
materieller und geistiger Arbeit, <strong>der</strong> Loslösung <strong>der</strong> Theorie von <strong>der</strong> Praxis.<br />
Während das Bewusstsein ursprünglich das Bewusstsein <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung gewesen sei, könne auf Grund <strong>der</strong> Arbeitsteilung<br />
<strong>der</strong> Schein <strong>der</strong> Selbständigkeit und aus sich selbst zu begreifenden<br />
Herrschaft <strong>der</strong> Gedanken gegenüber dem empirischen Lebensprozess<br />
entstehen.<br />
Dementsprechend lasse sich nur durch die Beseitigung <strong>der</strong> unfreiwilligen<br />
Unterordnung <strong>der</strong> Menschen unter die Arbeitsteilung innerhalb <strong>der</strong><br />
Klassengesellschaft die Abtrennung <strong>der</strong> philosophischen Theorie von den<br />
wirklichen Bedürfnissen rückgängig machen und die Einheit und Wechselwirkung<br />
von Theorie und Praxis wiede gewinnen. 674 Demgegenüber wissen<br />
Aristoteles und Hegel die reine Theorie zwar auch <strong>der</strong> Trennung des<br />
Notwendigen und des Zweckfreien und dem „Bedürfnis <strong>der</strong> Bedürfnislosigkeit“,<br />
<strong>der</strong> Muße, entsprungen, leiten daraus aber nicht ihre Scheinhaftigkeit,<br />
son<strong>der</strong>n gerade ihre Dignität ab. 675
215<br />
Allerdings gründet dieser Gegensatz nicht darin, dass <strong>für</strong> Marx das<br />
menschliche Dasein seine wesentliche Erfüllung und Vollendung fände im<br />
Dienste <strong>der</strong> Befriedigung <strong>der</strong> natürlichen in <strong>der</strong> organischen Konstitution<br />
wurzelnden Bedürfnisse vermittels <strong>der</strong> Arbeit, also in <strong>der</strong> ökonomischen<br />
Sphäre. Wie sich die Hegelsche Konzeption <strong>der</strong> Praxis nicht auf die Konzeption<br />
<strong>der</strong> Praxis als Begierde, d. h. als Naturaneignung, sowie als Herstellung<br />
eines Werkes und als Herrschaft reduzieren lässt, son<strong>der</strong>n die<br />
Praxis als konkrete Sittlichkeit in <strong>der</strong> Sphäre des objektiven Geistes (und<br />
somit das politische Handeln im durchaus nicht technisch-instrumental<br />
verfügenden Sinne) mitumfasst, so gelangt auch <strong>für</strong> Marx <strong>der</strong> Mensch zur<br />
vollen Entfaltung erst im „Reich <strong>der</strong> Freiheit“ „jenseits <strong>der</strong> Sphäre <strong>der</strong> eigentlichen<br />
materiellen Produktion.“ 676 Aber im Gegensatz zur philosophischen<br />
Tradition bis zu Hegel bleibt dieses Reich <strong>für</strong> Marx erstens mit <strong>der</strong><br />
materiellen Produktion als seiner Basis verbunden (ohne seine Freiheit innerhalb<br />
<strong>der</strong> Zwänge <strong>der</strong> Arbeitsteilung zu errichten); und zweitens dominiert<br />
in diesem Reich die Selbstverwirklichung in Gestalt <strong>der</strong> Praxis; drittens<br />
schließlich bleibt in diesem „Reich <strong>der</strong> Freiheit“ <strong>für</strong> Marx wie <strong>für</strong> Feuerbach<br />
<strong>der</strong> Mensch „das höchste Wesen <strong>für</strong> den Menschen.“<br />
Marx’ Begriff <strong>der</strong> Praxis ist doppeldeutig: immer zwar meint er die gesellschaftliche<br />
Tätigkeit, d. h. die aus dem Zusammenwirken <strong>der</strong> Menschen<br />
hervorgehende Tätigkeit; er kann aber einerseits die gesellschaftliche<br />
Produktionstätigkeit, an<strong>der</strong>erseits die gesellschaftliche revolutionäre,<br />
politische, wissenschaftliche, künstlerische, pädagogische, juristische und<br />
medizinische Tätigkeit beinhalten.<br />
Hiermit ergeben sich Schwierigkeiten bei <strong>der</strong> Abgrenzung <strong>der</strong> Praxis von<br />
<strong>der</strong> Theorie 677 : Marx definiert die Praxis als „sinnlich-menschliche Tätigkeit“<br />
und „gegenständliche Tätigkeit (erste Feuerbach-These); vorausgesetzt,<br />
dies meine soviel wie die die sinnliche Realität „unmittelbar verän<strong>der</strong>nde“<br />
Tätigkeit, und die Theorie sei dementsprechend bestimmt als<br />
nicht-gegenständlich und nicht unmittelbar verän<strong>der</strong>nd (son<strong>der</strong>n nur unmittelbar<br />
im Inneren vor sich gehend), so liegt nahe, unter Praxis nur die<br />
naturverän<strong>der</strong>nde Produktionstätigkeit zu verstehen, nicht die –jedenfalls<br />
zum Teil unmittelbar nur das Bewusstsein verän<strong>der</strong>nde – politische, juristische,<br />
pädagogische usw. Tätigkeit (was aber von Marx abgelehnt wird; er<br />
bezeichnet in den Feuerbach-Thesen die politische und pädagogische Tä-
216<br />
tigkeit ausdrücklich als Praxis). Sollte an<strong>der</strong>erseits „gegenständliche Tätigkeit“<br />
nicht „unmittelbar verän<strong>der</strong>nd“, son<strong>der</strong>n auch „mittelbar verän<strong>der</strong>nde<br />
bedeuten (ein Kriterium, das dann zuträfe <strong>für</strong> die politische, juristische,<br />
pädagogische usw. Tätigkeit) und <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong> Praxis auf diese Weise<br />
bestimmt sein, so könnten nach dieser Definition Theorie und Praxis überhaupt<br />
nicht mehr unterschieden werden, da mittelbar, wie zugestanden<br />
wird, ebenfalls die Theorie wirkliche Verän<strong>der</strong>ungen bewirkt. Als immanenter<br />
Ausweg aus dieser Schwierigkeit bleibt nur, unter Beibehaltung des<br />
Kriteriums <strong>der</strong> unmittelbaren Verän<strong>der</strong>ung diejenigen <strong>der</strong> angeführten gesellschaftlichen<br />
Tätigkeiten, die keine Produktionstätigkeiten sind, einerseits<br />
als praktische, an<strong>der</strong>erseits auch als theoretische anzusehen, je nach<br />
<strong>der</strong> direkten o<strong>der</strong> indirekten Weise <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> sinnlichen Realität.<br />
(Dabei wird mit dieser Unterscheidung nicht ignoriert, dass in je<strong>der</strong><br />
manuellen Arbeitspraxis Momente intellektueller Tätigkeiten – wie zum<br />
Beispiel die Zielsetzungen – enthalten sind.)<br />
Wenn auch Marx somit die Praxis nicht mit <strong>der</strong> Produktion materieller<br />
Güter gleichsetzt, so hat <strong>für</strong> ihn doch innerhalb <strong>der</strong> verschiedenen Formen<br />
<strong>der</strong> gegenständlichen (materiellen) unmittelbar verän<strong>der</strong>nden Tätigkeiten<br />
den Vorrang die Produktionstätigkeit als grundlegende und bestimmende<br />
Beziehung zwischen Mensch und Natur und Gradmesser <strong>der</strong> gesellschaftlichen<br />
Entwicklung.<br />
Wenn Marx die Praxis als Grundlage <strong>der</strong> Erkenntnis bestimmt (und es<br />
<strong>für</strong> ihn wie <strong>für</strong> Hegel ebensowenig eine selbständige Erkenntnistheorie gibt<br />
wie eine selbständige Ethik, getrennt von Gesellschaftslehre und Politik),<br />
so ist hiermit also in letzter Instanz die die sinnliche Wirklichkeit <strong>der</strong> Natur<br />
und Gesellschaft unmittelbar umgestaltende Produktionstätigkeit gemeint.<br />
Sie gilt ebenfalls letztlich – unter Einschluss <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Formen<br />
<strong>der</strong> Praxis – als das Ziel <strong>der</strong> theoretischen Tätigkeit, wenn Marx in <strong>der</strong> elften<br />
Feuerbach-These formuliert: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden<br />
interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verän<strong>der</strong>n.“ 678 Dem geistigen<br />
Bedürfnis und Glück des Erkennens wird dementsprechend eine nur<br />
relative Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit als vermittelnde Zwischenstufe<br />
<strong>der</strong> praktischen Tätigkeit zugestanden.<br />
Schließlich ist <strong>für</strong> Marx die gesellschaftliche Arbeitspraxis nicht nur<br />
Grundlage und Ziel, son<strong>der</strong>n auch das Kriterium <strong>der</strong> Theorie (das heißt
217<br />
wie<strong>der</strong>um: in letzter Instanz, wenn auch in vielfach vermittelter Weise), wie<br />
er außer in <strong>der</strong> dritten und achten in <strong>der</strong> zweiten <strong>der</strong> Feuerbach-Thesen<br />
darlegt: „Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit<br />
zukomme – ist keine Frage <strong>der</strong> Theorie, son<strong>der</strong>n eine praktische Frage.<br />
In <strong>der</strong> Praxis muss <strong>der</strong> Mensch die Wahrheit, i. e. Wirklichkeit und Macht,<br />
Diesseitigkeit seines Denkens beweisen.“ 679<br />
Verifiziert beziehungsweise falsifiziert vermittels <strong>der</strong> Praxis werden<br />
demnach das Denken und die Theorie, nicht aber die sinnliche Wahrnehmung.<br />
Das Vorkommen bestimmter Sinnestäuschungen wird nicht ausgedehnt<br />
zu einem Zweifel an <strong>der</strong> Sinneswahrnehmung überhaupt; in <strong>der</strong> Annahme<br />
<strong>der</strong> grundsätzlichen Zugänglichkeit <strong>der</strong> Dinge an sich trifft sich<br />
Marx sowohl mit Hegel als auch mit den konsequenten Empiristen, die<br />
nicht wie Locke unerfahrbare Ursachen <strong>der</strong> „Ideen“ <strong>der</strong> „sekundären Qualitäten“<br />
supponieren.<br />
Daher ist eine Argumentation wie die G. A. Wetters unzutreffend, dass<br />
bei <strong>der</strong> Auffassung <strong>der</strong> Praxis als Wahrheitskriterium das zu Beweisende<br />
vorausgesetzt werde, da die „Bewährung in <strong>der</strong> Praxis... auch die Gültigkeit<br />
unseres sinnlichen Erkennens erweisen“ solle, aber „das Ergebnis...<br />
wie<strong>der</strong>um nicht an<strong>der</strong>s... wahrzunehmen“ sei „als durch unsere sinnliche<br />
Erkenntnis.“ 680 Hiermit wird Marx’ These zurück geführt auf Feuerbach,<br />
<strong>der</strong> das Wahrheitskriterium in die Sinnlichkeit verlegt, wenn er sie auch<br />
nicht nur auf das Individuum, son<strong>der</strong>n auf die Gattung bezieht, womit er<br />
nicht anerkennt, dass durchaus unwahr sein kann, was – wie zum Beispiel<br />
das geozentrische Weltbild – zeitweilig im Gattungsbewusstsein ist.<br />
Überholbar bleibt nach Marx’ Konzeption <strong>der</strong> Praxis als Wahrheitskriterium<br />
auch noch eine bestätigte Übereinstimmung von Denken und Sein insofern,<br />
als sie – trotz ihres durch die Praxis bewiesenen objektiven Charakters<br />
– relativ, begrenzt und approximativ bleibt, d. h. abhängig vom geschichtlichen<br />
unbegrenzten Prozess.)<br />
Auch ein Hinweis auf die Logik und Mathematik kann kein Einwand<br />
gegen die These von <strong>der</strong> Praxis als Wahrheitskriterium sein, die implizit<br />
zugleich Kritik ist sowohl an Hegels Maßstab <strong>für</strong> die Übereinstimmung<br />
zwischen Begriff und Gegenstand, nämlich dem absoluten Wissen und<br />
seinem Vermittlungsweg des kreisläufigen Rückwärtsschreitens im Vorwärtsschreiten,<br />
als auch an den – von Hegel ebenfalls bemängelten – Evi-
218<br />
denztheorien, zum Beispiel an Descartes’ Kriterium <strong>der</strong> – we<strong>der</strong> absolut<br />
noch empirisch noch logisch vermittelten – Klarheit und Deutlichkeit o<strong>der</strong><br />
Spinozas Kriterium <strong>der</strong> Selbstindizierung <strong>der</strong> Wahrheit (auch Husserls Kriterium<br />
<strong>der</strong> intuitiven Selbstgegebenheit würde hierzu gehören); denn vermittels<br />
<strong>der</strong> Subjekt und Objekt verbindenden Praxis soll überprüft werden<br />
die Wahrheit als Übereinstimmung zwischen dem Denken und <strong>der</strong> Wirklichkeit,<br />
nicht die Wi<strong>der</strong>spruchsfreiheit und Kohärenz innerhalb des Denkens,<br />
speziell innerhalb eines Denkmodells o<strong>der</strong> eines wissenschaftlichen<br />
Systems. Marx These betrifft also nicht direkt das Problem des apriorischen<br />
o<strong>der</strong> aposteriorischen Charakters <strong>der</strong> Gesetze und Regeln <strong>der</strong> Logik<br />
und Mathematik, die in den Aussagen über Sachverhalte enthalten sind<br />
und auf dem Weg <strong>der</strong> Induktion und Deduktion abgeleitete neue von <strong>der</strong><br />
Bewahrheitung durch die Praxis relativ unabhängige Erkenntnisse ermöglichen<br />
können. Marx äußert sich nicht darüber, ob letztlich auch die mathematischen<br />
und logischen Axiome wie zum Beispiel die physikalischen<br />
Gesetze nur deshalb unbezweifelbar sind, weil sie sich ständig in <strong>der</strong> praktischen<br />
Tätigkeit bewahrheiten.<br />
Die Praxis als Wahrheitskriterium bedeutet nicht: weil sich ein Gedanke<br />
in <strong>der</strong> Praxis durchsetzt, ist er wahr, son<strong>der</strong>n umgekehrt: weil ein Gedanke<br />
wahr ist (die objektive Realität wi<strong>der</strong>spiegelt), setzt er sich in <strong>der</strong> Praxis<br />
durch. Wahrheit und Erfolg o<strong>der</strong> Nützlichkeit einer Handlung setzt Marx<br />
nicht gleich, wodurch er sich vom Pragmatismus unterscheidet, wie ihn<br />
Peirce begründet hat und James und Dewey weiterentwickelt haben. 681<br />
Dementsprechend kann <strong>für</strong> Marx nicht allein <strong>der</strong> Erfolg einer politischsozialen<br />
Aktion eine politisch-soziale Theorie rechtfertigen; die Etablierung<br />
einer politisch-sozialen Herrschaft (zum Beispiel zu Marx Lebzeiten die des<br />
zweiten französischen Kaiserreichs) kann als solche keine Bestätigung <strong>der</strong><br />
Wahrheit ihres Konzepts sein; <strong>der</strong> Sieger ist nicht als Sieger legitimiert.<br />
Wenn eine politischsoziale Theorie den Anspruch auf Wahrheit erhebt,<br />
muss sie die objektiven Bedürfnisse wi<strong>der</strong>spiegeln; und wenn eine herrschende<br />
politisch-soziale Praxis gerechtfertigt sein will, muss sie diese Bedürfnisse<br />
befriedigen.<br />
Wäre es im Marxschen Sinne, dass automatisch wahr und gerechtfertigt<br />
ist, was sich wirklich durchsetzt und praktisch herrscht, so wäre <strong>für</strong> Marx<br />
die Theorie <strong>der</strong> Gesellschaft ausschließlich mechanistisch-pragmatistische
219<br />
Wi<strong>der</strong>spiegelung, nicht aber kritische Theorie, d, h. eine Theorie, die das<br />
Bestehende abzubilden sucht unter dem Aspekt <strong>der</strong> Verän<strong>der</strong>ung, nämlich<br />
<strong>der</strong> praktischen Aufhebung <strong>der</strong> bestehenden Entfremdungen am Maßstab<br />
des Bedürfnisses ihrer Überwindung.<br />
Dies bedeutet weiter: wenn <strong>für</strong> Marx - ähnlich Wie <strong>für</strong> Hegel - das zu<br />
tun ist, was an <strong>der</strong> Zeit ist und in diesem Sinne notwendig ist, so lässt<br />
sich das nicht in linear-„chronologischer“ Weise bestimmen, son<strong>der</strong>n nur<br />
in Kenntnis <strong>der</strong> gleichsam dahinter palimpsestartig geschriebenen „geschichtlichen“<br />
Zeit (-Notwendigkeit). (Darin liegt auch, dass Theorie nicht<br />
überflüssig werden kann zugunsten eines pragmatischen Aktivismus.) Offensichtlich<br />
ausgeschlossen bleibt auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite eine rein moralische<br />
Legitimation des verantwortlichen Handelns ohne maßgebliche Orientierung<br />
an den bestehenden Verhältnissen. Als geometrische Symbole <strong>der</strong><br />
Maßstäbe <strong>der</strong> Handelnden ließen sich infolgedessen wählen: <strong>für</strong> den Hegelianer<br />
<strong>der</strong> Kreis, <strong>für</strong> den Moralisten <strong>der</strong> Punkt, <strong>für</strong> den Pragmatisten die<br />
Linie und <strong>für</strong> den Marxisten die unterbrochene Linie.<br />
Indem die Praxis als Grundlage, Kriterium und Ziel wahrer Theorie aufgefasst<br />
wird, gilt sie nicht nur als <strong>der</strong>en Anwendung o<strong>der</strong> nützliches Resultat<br />
im Sinne Bacons o<strong>der</strong> Descartes’; denn wenn die Praxis in dem antithetischen<br />
Verhältnis <strong>der</strong> Anwendung o<strong>der</strong> Technik zur Theorie stände (und<br />
in <strong>der</strong> Tat das „praktische“ Wissen verfallen wäre zum „pragmatischen“<br />
Wissen und technischen Herrschaftswissen, wie H. Arendt behauptet 682 ),<br />
müsste die Theorie selbständig <strong>für</strong> sich, autonom, sein können. Das dialektische<br />
Verhältnis von Theorie und Praxis ist aber bei Marx ebenso wie<br />
bei Hegel nicht so zu interpretieren, dass <strong>der</strong> Geist des Menschen fertig<br />
wäre, im Willen und in <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit nur sich äußerte und erschiene<br />
und nach seinem Erscheinen <strong>der</strong> gleiche bliebe, so dass die Theorie<br />
in <strong>der</strong> Praxis nur ihre Anwendung, nicht aber ihre Aufhebung fände,<br />
und die Erkenntnis nur die Voraussetzung, nicht auch das Resultat <strong>der</strong><br />
Praxis wäre.<br />
Das Wechselwirkungsverhältnis von Theorie und Praxis wird allerdings<br />
von Hegel im Gegensatz zu Marx so konzipiert, dass die Selbsterkenntnis<br />
in teleologischer Weise die dominierende Seite bleibt und die praktische<br />
Selbstbestimmung sich primär zu dem Zwecke <strong>der</strong> Vertiefung <strong>der</strong> Selbsterkenntnis,<br />
<strong>der</strong> theoretischen Freiheit, vervollkommnet, das praktische
220<br />
„Hinausgehen“ des Bewusstseins also den Sinn des theoretischen „Hineinbildens<br />
in sich“ hat und die Ausbreitung <strong>der</strong> Vertiefung und dem Insichgehen<br />
dient. Obgleich <strong>für</strong> Hegel die Praxis auf Grund ihrer nicht nur formalen,<br />
son<strong>der</strong>n inhaltlichen Selbstbestimmung einen Vorrang vor <strong>der</strong> endlichen<br />
Theorie hat, behauptet sich nach seiner Konzeption doch in ihr – im<br />
Rücken des endlichen Subjekts – <strong>der</strong> Vorrang <strong>der</strong> absoluten Theorie, indem<br />
<strong>der</strong> Zweck nicht nur <strong>der</strong> theoretischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> praktischen<br />
Tätigkeit schließlich ist, dass <strong>der</strong> Mensch vermittels <strong>der</strong> Rückwirkung<br />
praktisch formierter Gegenstände auf sich im vertieften Maße ein Bewusstsein<br />
von sich erlangt, <strong>für</strong> sich wird und sich in dieser Weise verwirklicht.<br />
Da Marx die Konzeption <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-Einheit und<br />
mit ihr den idealistischen Objektivitätsbegriff preisgibt und den absoluten<br />
Geist auf den menschlichen Geist reduziert, kann er nicht mehr wie Hegel<br />
einen Mangel <strong>der</strong> Praxis darin erblicken, dass sie nur in relativer Weise<br />
Verän<strong>der</strong>ungen bewirkt, den Wi<strong>der</strong>stand und die Unabhängigkeit <strong>der</strong> Objektwelt<br />
nicht restlos überwindet, die Gegenständlichkeit als solche nicht<br />
aufhebt und als Beziehung auf das Objekt nicht das vollkommen sich<br />
selbst bestimmende Beisichsein des Subjekts ist.
221<br />
Zusammenfassung<br />
Der zentrale Aspekt in Hegels Konzeption <strong>der</strong> dialektischen, ideellen<br />
und systematischen Vereinigung von Theorie und Praxis ist <strong>der</strong> Begriff <strong>der</strong><br />
Freiheit, <strong>der</strong> die stufenweise Aufhebung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes<br />
beinhaltet.<br />
Theorie und Praxis verhalten sich <strong>für</strong> Hegel grundsätzlich wie Geist und<br />
Wille und bilden wie Wesen und Erscheinung eine dialektische Einheit im<br />
subjektiven, objektiven und absoluten Sinn, so dass sich praktische Selbständigkeit<br />
und theoretische Selbsterkenntnis wechselseitig bedingen. Die<br />
Ergründung dessen, was <strong>der</strong> Mensch ist, ist nicht ausschließlich eine theoretische,<br />
son<strong>der</strong>n auch eine praktisch-geschichtliche Frage, und die philosophische<br />
Wahrheit ist nicht nur Form des erkennenden Subjekts, son<strong>der</strong>n<br />
auch Existenzweise im praktisch-geschichtlichen Prozess.<br />
Die theoretischen und die praktischen Tätigkeiten sind <strong>für</strong> Hegel im Bereich<br />
<strong>der</strong> Endlichkeit mangelhaft und einseitig; sie knüpfen zwar das Band<br />
zwischen Ich und Welt und überwinden jeweils in einan<strong>der</strong> ergänzen<strong>der</strong><br />
Weise den Gegensatz und die Entfremdung von Subjekt und Objekt –<br />
wobei ihre Struktur die gleiche ist, nämlich die Negation <strong>der</strong> Negation – ;<br />
aber indem Hegel mit dem Anspruch auftritt, wahre Freiheit erfor<strong>der</strong>e die<br />
Beziehung eines Subjekts auf einen objektiven Inhalt als Beziehung auf<br />
sich selbst, d. h. sie erfor<strong>der</strong>e die Aufhebung <strong>der</strong> Gegenständlichkeit als<br />
solcher, kann er konsequenterweise das endliche theoretische und praktische<br />
Subjekt-Objekt-Verhältnis als nur unvollkommene Einheit und Freiheit<br />
bestimmen.<br />
Die Einheit <strong>der</strong> endlichen praktischen und theoretischen Tätigkeit wird<br />
von Hegel konkretisiert in <strong>der</strong> Bestimmung des Zusammenhangs von Praxis<br />
und Teleologie sowie Teleologie und Kausalität. Hegel zeigt die Vereinbarkeit<br />
von Kausalität und Teleologie: die Zweck-Mittel-Relation basiert<br />
auf <strong>der</strong> Ursache-Wirkung-Relation. (Die praktische teleologische Tätigkeit<br />
<strong>der</strong> Naturaneignung hat die Form eines Syllogismus.) Auf Grund <strong>der</strong> Verknüpfung<br />
von Teleologie und Kausalität stehen Mensch und Natur in dem<br />
Wechselwirkungsverhältnis <strong>der</strong> Freiheit und Notwendigkeit. Aber <strong>für</strong> Hegel<br />
geht we<strong>der</strong> das Wissen in <strong>der</strong> praktikablen operativ-technischen Theorie
222<br />
<strong>der</strong> Naturaneignung auf (sie ist vielmehr ein Moment im Dienst <strong>der</strong> Freiheit<br />
des Geistes) noch erschöpft sich die Praxis in <strong>der</strong> technischinstrumental<br />
verfügenden Naturbeherrschung.<br />
In die Analyse <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung wird von Hegel das Moment<br />
<strong>der</strong> Wechselbeziehung <strong>der</strong> Menschen untereinandeer, d. h. die gesellschaftliche<br />
geschichtliche Seite <strong>der</strong> Tätigkeit, mit einbezogen.<br />
Das Bearbeiten <strong>der</strong> Natur, das Handeln in <strong>der</strong> Geschichte und die Entstehung<br />
des Selbstbewusstseins bedingen sich, wie Hegel im beson<strong>der</strong>en<br />
in dem Kapitel „Herrschaft und Knechtschaft“ in <strong>der</strong> „Phänomenologie des<br />
Geistes“ expliziert. Die Selbsterkenntnis wird gewonnen auf <strong>der</strong> Grundlage<br />
<strong>der</strong> Umgestaltung <strong>der</strong> Natur innerhalb bestimmter geschichtlichgesellschaftlicher<br />
Beziehungen <strong>der</strong> Menschen untereinan<strong>der</strong>. Die konkretere<br />
Bestimmung des allgemeinen Verhältnisses von Theorie und Praxis,<br />
Geist und Willen, liegt darin, dass Theorie und Geschichte (und schließlich<br />
Logik und Geschichte) aufeinan<strong>der</strong> bezogen werden. Die Erkenntnis ist <strong>für</strong><br />
Hegel kein rein „erkenntnistheoretischer“ (innerer) Vorgang eines isoliert<br />
genommenen Subjekts, keine einfache Relation zwischen einem Subjekt<br />
und einem Objekt, son<strong>der</strong>n ein praktisch-geschichtlicher (äußerer) Prozess,<br />
<strong>der</strong> von <strong>der</strong> Menschheit vollzogen wird. Die volle Erkenntnis <strong>der</strong><br />
Wahrheit ist bedingt durch die Verwirklichung <strong>der</strong> Wahrheit in <strong>der</strong> geschichtlich-politischen<br />
Freiheit.<br />
Charakteristisch <strong>für</strong> Hegel ist die Konzeption <strong>der</strong> Praxis als konkreter<br />
Sittlichkeit. Hegel nimmt in die Ethik den gesellschaftlich-geschichtlichen<br />
Inhalt auf, <strong>der</strong> aus <strong>der</strong> sich in <strong>der</strong> Geschichte entäußernden absoluten<br />
Vernunft hergeleitet wird, und überwindet den Kantischen und Fichteschen<br />
Dualismus von Form und Inhalt, Idealität und Realität. Hegel weist<br />
auf, dass aus dem reinen, formalen abstrakten Willen und dem kategorischen<br />
Pflichtgebot <strong>der</strong> praktischen Vernunft kein bestimmter Inhalt deduzierbar<br />
ist. Die Praxis des allgemeinen konkreten Willens ist <strong>für</strong> Hegel die<br />
Sphäre <strong>der</strong> Entfremdung des absoluten Geistes. Dementsprechend ist <strong>der</strong><br />
objektive Geist <strong>für</strong> Hegel noch nicht vollkommen frei (unter <strong>der</strong> grundlegenden<br />
Voraussetzung, dass die Gegenständlichkeit schlechthin in den<br />
absoluten Geist aufhebbar ist); er ist eine Stufe auf dem Weg <strong>der</strong> Entgegenständlichung,<br />
Verinnerlichung und vollkommenen geistigen Freiheit.
223<br />
Die Praxis erhält auf Grund ihrer – wenn auch nur relativen – inhaltlichen<br />
Selbstbestimmung einen Vorrang vor <strong>der</strong> endlichen Theorie. In ihrem<br />
Rücken aber behauptet sich <strong>der</strong> Vorrang <strong>der</strong> absoluten Theorie; denn <strong>der</strong><br />
Zweck nicht nur <strong>der</strong> theoretischen, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit<br />
ist <strong>für</strong> Hegel schließlich, dass <strong>der</strong> Mensch im vertieften Maß ein Bewusstsein<br />
von sieh erlangt, <strong>für</strong> sich wird und sich in dieser Weise verwirklicht.<br />
Diese Auffassung Hegels ist untrennbar von <strong>der</strong> Konzeption des<br />
menschlichen Wesens als Selbstbewusstsein.<br />
Alle Formen <strong>der</strong> Praxis sowie <strong>der</strong> endlichen Theorie sind <strong>für</strong> Hegel Stufen<br />
o<strong>der</strong> Momente auf dem Weg zur vollkommenen Subjekt-Objekt-Einheit<br />
in <strong>der</strong> absoluten Theorie. Die absolute Einheit des Ideellen und des Realen,<br />
des Theoretischen und des Praktischen, ist selbst ideell und theoretisch<br />
(die Idee ist über die Objektivität „übergreifende“ Subjektivität). Aus <strong>der</strong><br />
Konzeption <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-Einheit und aus dem entsprechenden<br />
idealistischen Objektivitätsbegriff ergeben sich die Möglichkeit<br />
und letztlich die Notwendigkeit <strong>der</strong> Rücknahme <strong>der</strong> Entäußerungen des<br />
absoluten schöpferischen Subjekts auf dem Weg <strong>der</strong> spekulativen Theorie.<br />
Die Vollendung im Wissen des absoluten Geistes setzt die Vollendung in<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Praxis des objektiven Geistes voraus. Die Hegelsche<br />
Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen Theoria umfasst die als vollendet begriffene<br />
Geschichte. Hinsichtlich <strong>der</strong> Stellung Hegels zur praktisch-theoretischen<br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft sind zu unterscheiden: die systembedingte<br />
endgültige theoretische Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft in <strong>der</strong> spekulativen<br />
<strong>Philosophie</strong>; die ebenfalls systembedingte endgültige praktischgeschichtliche<br />
Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft (a) im unmittelbar gegenwärtigen<br />
Zustand des preußischen Staatslebens, (b) im Zustand eines weiter<br />
reformierten preußischen Staatslebens. In den in <strong>der</strong> „Rechtsphilosophie“<br />
überwiegenden „unzeitgemäßen“ Tendenzen liegt nicht nur eine Ablehnung<br />
des Sollens, insofern dieses als Grundsatz proklamiert wird, son<strong>der</strong>n auch,<br />
insofern dieses eine zeitlich begrenzte demokratisch-liberale Opposition<br />
beinhaltet. Dass Hegels eigentümlich „konservative“ Einstellung <strong>der</strong> Hinnahme<br />
<strong>der</strong> gegebenen gesellschaftlichen, geschichtlichen Praxis nicht<br />
mehr prinzipiell bedingt ist und Hegel in seiner früheren Entwicklung<br />
weitaus negativer, unversöhnlicher und kritischer zur Gegenwart stand,
224<br />
zeigt ein Überblick über die Stufen seiner Auseinan<strong>der</strong>setzung mit den Gegensätzen<br />
und Krisen <strong>der</strong> Zeit nach <strong>der</strong> französischen Revolution.<br />
Gerade weil Hegel Logik und Geschichte aufeinan<strong>der</strong> bezieht, kann die<br />
Geschichte auch grundsätzlich zum Kriterium <strong>für</strong> sein System werden, d.<br />
h. <strong>für</strong> die idelle Versöhnung von Theorie und Praxis. Das System hat sich<br />
an <strong>der</strong> Geschichte zu bewähren, die erstmals und grundsätzlich die Position<br />
einer systemimmanenten Kritik erhält. Das Auftreten praktischgeschichtlicher<br />
qualitativ neuer im System nicht integrierter Gegensätze<br />
innerhalb <strong>der</strong> bestehenden Welt – wie sie in <strong>der</strong> Julirevolution 1830 akut<br />
werden – wird ein Argument gegen die Hegelsche Vereinigung von Theorie<br />
und Praxis.<br />
Die Überwindung <strong>der</strong> Entzweiung von „Spiritualismus“ und „Sensualismus“,<br />
d. i. von Theorie und Praxis, ist <strong>für</strong> Heine durch Hegel nur in <strong>der</strong><br />
Theorie vollendet, kommt aber in Wirklichkeit erst durch die politische<br />
und vor allem die soziale Praxis zustande. Von dieser erwartet Heine, dass<br />
sie in Deutschland auf einem höheren Niveau stattfindet als in Frankreich,<br />
da die deutsche Revolution aus <strong>der</strong> vollendeten <strong>Philosophie</strong> hervorgehe.<br />
Während Hegel das Ausbleiben <strong>der</strong> revolutionären Praxis in Deutschland<br />
und das Stehenbleiben bei <strong>der</strong> Theorie als die vernünftige Auswirkung <strong>der</strong><br />
Reformation ansieht (und Marx dies als Schwäche des Bürgertums versteht),<br />
erblickt Heine hierin eine Verzögerung aus methodischer Gründlichkeit.<br />
Mit seiner Ansicht, dass Hegel in einer esoterischen Lehre den Atheismus<br />
und die Revolution bejahen würde, setzt er sich hinweg über Hegels<br />
systembedingte Konzeption <strong>der</strong> Vollendung <strong>der</strong> Geschichte und <strong>der</strong><br />
endgültigen Versöhnung von Theorie und Praxis und zieht Konsequenzen<br />
aus Hegels <strong>Philosophie</strong>, die sich erst ergeben könnten nach einer bewussten<br />
Destruktion des Systems, das keine Irreführung <strong>für</strong> nicht Eingeweihte,<br />
son<strong>der</strong>n ein konstitutiver Bestandteil <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> ist.<br />
In <strong>der</strong> Umbildung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> geht Cieszkowski mit seiner<br />
Schrift „Prolegomena zur Historiosophie“ über Heine insofern hinaus,<br />
als er die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> nicht nur in die Praxis überführt sehen<br />
will, son<strong>der</strong>n sie auch als Theorie umwandelt, nämlich zu einer <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Praxis. Cieszkowski ignoriert nicht einfach wie Heine das Hegelsche<br />
System unter Berufung auf eine vorgebliche revolutionäre Esoterik,<br />
aber er verwandelt es schließlich in eine schematische aprioristische Kon-
225<br />
struktion. An die Stelle <strong>der</strong> kontemplativen Theorie Hegels tritt die „historiosophische“,<br />
nicht etwa eine „kritische“ Theorie. Cieszkowski strebt die<br />
Weiterentwicklung <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> nicht auf Grund des Vorranges<br />
<strong>der</strong> dialektischen Methode vor dem System an, son<strong>der</strong>n wegen <strong>der</strong><br />
Wi<strong>der</strong>spruchslosigkeit des Systems und somit <strong>der</strong> wahren Totalität. Der<br />
Übergang zur Praxis soll die Mängel und Einseitigkeiten des Systems beseitigen.<br />
Der entscheidende Mangel des Hegelschen Systems ist <strong>für</strong> Cieszkowski,<br />
dass es die Gegenwart verabsolutiert, die Zukunft und das Problem ihrer<br />
Erkennbarkeit nicht als wesentliches Moment integriert und deshalb die<br />
organische Totalität verfehlt. Cieszkowskis Ausrichtung auf die Zukunft<br />
unter Verweis auf die bestehenden „Wi<strong>der</strong>sprüche <strong>der</strong> Zeit“ bildet einen<br />
berechtigten Ansatzpunkt <strong>der</strong> Kritik an Hegels Versöhnung von Idee und<br />
Wirklichkeit, Theorie und Praxis, da Hegel selbst <strong>Philosophie</strong> und Zeit aufeinan<strong>der</strong><br />
bezieht und sein philosophisches System sich dementsprechend<br />
an <strong>der</strong> Geschichte zu bewähren hat. Indem Cieszkowski aber wie Hegel die<br />
Weltgeschichte als teleologischen Prozess auffasst und an <strong>der</strong> absoluten<br />
Einheit von Vernunft und Wirklichkeit, Logik und Geschichte, festhält und<br />
for<strong>der</strong>t, man müsse „das ganze System <strong>der</strong> Kategorien sich dialektisch in<br />
<strong>der</strong> Geschichte entwickeln lassen“, ist er prinzipiell gezwungen, mit dieser<br />
zukünftigen Periode die Geschichte wie<strong>der</strong>um systematisch zum Abschluss<br />
kommen und die „höchste Spitze des Weltgeistes“ erreichen zu lassen. Die<br />
letzte Stufe <strong>der</strong> Geschichte bei Hegel wird zur vorletzten bei Cieszkowski;<br />
die endgültige Synthese wird nur um eine Stufe höher verschoben. Wenn<br />
trotz <strong>der</strong> Ausrichtung auf die Zukunft <strong>für</strong> Cieszkowski die Geschichte prinzipiell<br />
abgeschlossen ist, so ist seine Konzeption insofern konsequent, als<br />
er das systematische Erfassen <strong>der</strong> Totalität nicht preisgeben und dennoch<br />
zugleich ein Überschreiten <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>spruchsvollen krisenhaften Gegenwart<br />
ermöglichen will.<br />
Die Praxis in Cieszkowskis Weise als Anwendung <strong>der</strong> Theorie aufzufassen,<br />
ist nur möglich, indem die Theorie – unter Annahme ihrer Autonomie<br />
– <strong>für</strong> systematisch vollendet gehalten wird. Die Theorie wird aber hiermit<br />
in undialektischer Weise von <strong>der</strong> praktischen Bedingtheit getrennt und –<br />
als <strong>für</strong> sich fertig – aus <strong>der</strong> Verflechtung und Wechselwirkung mit <strong>der</strong><br />
Praxis heraus gelöst. Dies bedeutet, dass <strong>für</strong> Cieszkowski letzten Endes die
226<br />
Theorie nur die Voraussetzung o<strong>der</strong> Grundlage <strong>der</strong> Praxis ist, nicht auch<br />
das Resultat <strong>der</strong> Praxis wird. Indem das abgeschlossene System und in<br />
seinem Gefolge die Theorie „triumphieren“ und <strong>der</strong> Praxis nur das zu realisieren<br />
überlassen wird, was die Theorie als das endgültige Ziel des geistigen<br />
Prozesses <strong>der</strong> Weltgeschichte antizipiert, behält die Theorie letztlich<br />
den Vorrang und wird entgegen dem Anschein die Hegelsche Bestimmung<br />
des Verhältnisses von Theorie und Praxis nicht prinzipiell umgekehrt. Das<br />
„historiosophische“ Denken bleibt die Grundlage sowie das Kriterium <strong>der</strong><br />
Praxis und die Quelle des geschichtlichen Fortschritts.<br />
Der neue folgenreiche Gesichtspunkt, <strong>der</strong> in D. F. Strauß’ „Leben Jesu“<br />
zur Geltung kommt, ist die konsequente Anwendung <strong>der</strong> zur analytischen<br />
Kritik umgeformten dialektischen Methode. Dabei verlässt Strauß in diesem<br />
Werk den Boden <strong>der</strong> Hegelschen Religionsphilosophie nicht: einmal<br />
bleibt <strong>für</strong> ihn wie <strong>für</strong> Hegel das Wesentliche <strong>der</strong> christlichen Religion die<br />
Menschwerdung Gottes, die Vereinigung des Göttlichen und Menschlichen,<br />
zum an<strong>der</strong>en werden Religion und <strong>Philosophie</strong> inhaltlich gleichgesetzt<br />
und nur formal insofern unterschieden, als die Verwirklichung des<br />
Göttlichen von <strong>der</strong> Religion im Medium <strong>der</strong> sinnlichen Vorstellung, von <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong> aber im Medium des allgemeinen Begriffs gefasst wird; erst in<br />
seiner „Glaubenslehre“ gibt Strauß unter dem Einfluss Feuerbachs die Hegelsche<br />
inhaltliche Gleichsetzung von Religion und <strong>Philosophie</strong> auf. Im<br />
„Leben Jesu“ rückt Strauß vermittels <strong>der</strong> Kritik die <strong>Philosophie</strong> und die<br />
Evangelien auseinan<strong>der</strong>, aber er ersetzt noch nicht die Religion als solche<br />
durch die <strong>Philosophie</strong>. Die religiöse Wahrheit – in ihrem dogmatischen Gehalt<br />
– gilt <strong>für</strong> Strauß in diesem Stadium seiner Entwicklung noch unabhängig<br />
von <strong>der</strong> Historizität <strong>der</strong> Evangelien. Damit setzt Strauß die prinzipielle<br />
Zweideutigkeit noch fort, die in <strong>der</strong> Hegelschen inhaltlichen Gleichsetzung<br />
und formalen Unterscheidung insofern liegt, als diese zugleich<br />
Rechtfertigung und Kritik <strong>der</strong> Religion sind. Strauß unterscheidet sich in<br />
seinem „Leben Jesu“ grundlegend von Hegel letztlich nur darin, dass er die<br />
Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach <strong>der</strong> geschichtlichen Person Jesu und seinem<br />
Selbstbewusstsein – und somit nach <strong>der</strong> Menschwerdung Gottes in einem<br />
einzelnen Individuum – konsequenterweise von einer historisch-kritischen<br />
Untersuchung abhängig machen will. Das durch Strauß’ Kritik hervorgerufene<br />
überwundene Dilemma <strong>der</strong> Theologie besteht darin, dass einerseits<br />
<strong>der</strong> rein historische Kern <strong>der</strong> Evangelien wegen <strong>der</strong> Verflechtung von Ge-
227<br />
schichte und Mythos bzw. Kerygma weitgehend unzugänglich bleibt, aber<br />
an<strong>der</strong>erseits <strong>der</strong> Glaube eigentlich nicht mit sich selbst anfangen kann.<br />
Dass <strong>der</strong> Glaube, <strong>der</strong> eine bestimmte Person und ihr individuelles<br />
Schicksal zum allgemein-verbindlichen, exemplarischen heilsentscheidenden<br />
Rang erhebt, grundsätzlich dem philosophisch-vernünftigen Begreifen<br />
wi<strong>der</strong>spricht, wird in Strauß’ Nachfolge zur Überzeugung sowohl aller<br />
Junghegelianer als auch – mit umgekehrtem Vorzeichen <strong>der</strong> Bewertung –<br />
Kierkegaards.<br />
Nur im Zusammenhang mit <strong>der</strong> von Hegel übernommenen Konzeption<br />
<strong>der</strong> Geschichte als stufenweiser Realisierung <strong>der</strong> Wahrheit lässt sich die<br />
Funktion <strong>der</strong> Straußschen Kritik verstehen. Strauß will die wirksame subjektive<br />
kritische Tätigkeit mit dem dialektischen objektiven Geschichtsprozess<br />
verbunden wissen. Der Kritiker hat nach Strauß selbst auf dem Boden<br />
des kritischen Prozesses zu stehen. Die Kritik ist zugleich Prinzip <strong>der</strong><br />
Wirklichkeit und <strong>der</strong> Methodologie. Die Kritik ist <strong>der</strong> Bruch mit dem Bestehenden<br />
und seine Verän<strong>der</strong>ung durch Unterscheidung des Geistes von<br />
<strong>der</strong> Realität, des Subjekts von <strong>der</strong> Substanz, d. h. durch theoretische Antizipation<br />
<strong>der</strong> wahren Wirklichkeit.<br />
Einen Grundzug <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik bewahrt Strauß: die Destruktion<br />
<strong>der</strong> scheinbaren Selbständigkeit, Ursprünglichkeit und Fixiertheit des<br />
äußeren Objekts und unmittelbar Gegebenen – hier: <strong>der</strong> biblischen und<br />
kirchlichen Fakten – als einer Form <strong>der</strong> Entfremdung zugunsten des vermittelten<br />
Begreifens <strong>der</strong> Sache selbst. Die Straußsche Kritik ist aber rein<br />
negativ-dialektisch, nicht reproduktiv-dialektisch im Hegelschen Sinne. Sie<br />
bewahrt von <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik nur die Entgegensetzung von These<br />
und Antithese. Ohne vermittelnden Übergang setzt die Kritik (in <strong>der</strong><br />
„Glaubenslehre“) an die Stelle <strong>der</strong> als unhaltbar aufgelösten Dogmen die<br />
ihnen nicht zugrunde liegenden und aus ihnen nicht ableitbaren philosophischen<br />
Spekulationen. Keineswegs strebt die Kritik in <strong>der</strong> „Glaubenslehre“<br />
an, die Vorstellungen <strong>der</strong> Dogmengeschichte in Begriffe zu übersetzen,<br />
da <strong>der</strong> Inhalt <strong>der</strong> Religion nicht von ihrer Form trennbar sei. Glauben und<br />
Wissen werden in zwei unversöhnliche Extreme auseinan<strong>der</strong> gerissen. Nur<br />
um den Preis <strong>der</strong> Verkürzung <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik zur kritischen antithetischen<br />
Analytik gelingt es Strauß, dem christlichen Theismus – <strong>der</strong> auf<br />
einem einmaligen (keine Idee exponierenden) Ereignis basiert – wie<strong>der</strong>um
228<br />
seinen angemessenen Ort jenseits <strong>der</strong> pantheistischen Spekulation zuzuweisen<br />
und den versöhnlichen Anschein zu zerstören, als ob Glauben und<br />
Wissen, Ausgangs- und Endpunkt <strong>der</strong> Kritik, sich zueinan<strong>der</strong> verhielten<br />
wie das Ganze in <strong>der</strong> Vorstellung und das gleiche Ganze im Begriff.<br />
Während <strong>für</strong> Strauß das mit <strong>der</strong> Vernunft nicht übereinstimmende von<br />
<strong>der</strong> Dialektik diskreditierte Faktum die biblische Geschichte und das<br />
kirchliche Dogma ist, wird dieses <strong>für</strong> Ruge primär <strong>der</strong> bestehende politisch-staatliche<br />
Zustand Preußens. Zugleich kritisiert Ruge im Unterschied<br />
zu Strauß explizit den einseitig kontemplativen Charakter <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong> als <strong>der</strong>en entscheidende Schranke. Strauß hat das Ziel <strong>der</strong><br />
Herstellung <strong>der</strong> Einheit von Theorie und Praxis deshalb nicht, weil sich<br />
seine Kritik auf die Vorstellung und nicht wie die Kritik Ruges auf den Willen<br />
richtet.<br />
Die Kritik, wie Ruge sie schließlich bis zum Jahre 1842 heraus bildet,<br />
nimmt ihren Ausgangspunkt bei <strong>der</strong> vernünftigen Theorie als „reiner Einsicht“<br />
und Metaphysik des logischen Begriffs, und sie wendet sich nach<br />
einem Vergleich des allgemeinen Wesens mit <strong>der</strong> einzelnen geschichtlichen<br />
Existenz an den Willen, den sie zu dem Entschluss mobilisiert, die einzelne<br />
geschichtliche Existenz <strong>der</strong> vernünftigen Theorie zu „unterwerfen“ und<br />
somit die Einheit des Denkens und Wollens herzustellen. Für Ruge bleibt<br />
demnach die Kritik als Vermittlung zwischen <strong>der</strong> Theorie und dem Willen<br />
eine Sache des Bewusstseins. Zwar zielt die Kritik letztlich auf wirkliche<br />
Verän<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> bestimmten politisch-staatlichen Verhältnisse, aber<br />
ihre eigene „praktische Wendung“ besteht darin, dass sie einen Entschluss<br />
hervorbringt, was noch ein innerer, geistiger Vorgang ist.<br />
Weiter ist <strong>der</strong> Prozess <strong>der</strong> Kritik <strong>für</strong> Ruge demnach nur Anwendung <strong>der</strong><br />
fertigen Theorie und ihre einseitige Übersetzung in die Existenz; die dialektische<br />
Wechselwirkung zwischen <strong>der</strong> Theorie und <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Kritik wird<br />
aufgelöst. In dieser Hinsicht setzt Ruges Kritik die Herauslösung <strong>der</strong> Theorie<br />
aus <strong>der</strong> praktischen Bedingtheit fort, die Hegel in Erneuerung <strong>der</strong> aristotelischen<br />
Kontemplation auf <strong>der</strong> Spitze seines Systems vollzieht. Die vorausgesetzte<br />
Struktur, an die die Tätigkeit <strong>der</strong> Kritik anknüpft – die Hegelsche<br />
Zuordnung von Begriff und Existenz, Vernunft und Wirklichkeit – gibt<br />
Ruge erst später unter dem Einfluss Feuerbachs auf. Erst in diesem Stadium<br />
seiner Entwicklung verzeitlicht er den Geist radikal und erhebt er die
229<br />
Geschichte zum Maßstab des Geistes. Nach <strong>der</strong> von Feuerbach hervorgerufenen<br />
Wendung orientiert er die Kritik ausschließlich am Zeitgeist und<br />
verwirft er die Selbständigkeit <strong>der</strong> überzeitlichen Logik überhaupt, davor<br />
aber – und auch noch in seiner Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie<br />
(1842) – bemängelt er auf <strong>der</strong> Basis <strong>der</strong> Unterscheidung zwischen Theorie<br />
und Kritik nur Hegels Logifizierung und Verabsolutierung bestimmter historischer<br />
Existenzen.<br />
Indem Ruge dieses Vernünftigfinden <strong>der</strong> Wirklichkeit und ihre Loslösung<br />
aus <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung nicht nur in Hegels Rechtsphilosophie<br />
hinsichtlich <strong>der</strong> politisch-staatlichen Verhältnisse feststellt, son<strong>der</strong>n<br />
als charakteristisch <strong>für</strong> Hegels <strong>Philosophie</strong> überhaupt ansieht, negiert<br />
er mit seiner Kritik auch Hegels spekulatives System im ganzen als<br />
einseitig theoretisch und abstrakt.<br />
Die Zurückführung des absoluten Geistes auf den menschlichen Geist<br />
nimmt Ruge (wie Strauß und Bauer) die Möglichkeit, die Praxis und die<br />
endliche Theorie mit Hegel als Moment im Prozess <strong>der</strong> Realisierung <strong>der</strong><br />
absoluten Subjekt-Objekt-Einheit zu fassen und die „List <strong>der</strong> Vernunft“ als<br />
Grund <strong>der</strong> teleologischen Notwendigkeit dieses Geschichtsprozesses anzunehmen.<br />
Die Konsequenz ist eine Aporie, über die sich Ruge nicht im Klaren<br />
ist: da <strong>für</strong> Ruge <strong>der</strong> Träger des Geschichtsprozesses ausschließlich <strong>der</strong><br />
menschliche Geist ist, diesem aber zugestandenermaßen das Ziel <strong>der</strong><br />
menschlichen Geschichte (die realisierte geistige Einheit und Freiheit)<br />
nicht stets bewusst gegenwärtig war (nämlich bis zu Hegels Erhebung <strong>der</strong><br />
dialektischen Methode zum bewussten Prinzip), dürfte Ruge in Wahrheit<br />
gar kein notwendiges von vornherein auf ein Ziel Ausgerichtetsein des Geschichtsablaufs<br />
supponieren; unvereinbar ist es, den Fortschritt <strong>der</strong> Geschichte<br />
einerseits völlig im menschlichen Geist gründen zu lassen und<br />
dennoch an<strong>der</strong>erseits eine Vorsehung anzunehmen und die Einheit <strong>der</strong><br />
theoretischen und praktischen Tätigkeit in <strong>der</strong> selbstbewussten und<br />
selbstgewollten Durchführung geschichtlicher Intentionen zu sehen. Die<br />
Verwandlung des Weltgeistes in den Menschengeist wirft ein weiteres Problem<br />
auf, das Ruge nicht löst und worüber er kaum ein Bewusstsein hat:<br />
das Problem <strong>der</strong> Einheit von menschlichem Geist und Natur; denn die<br />
Wechselwirkung von Mensch und Natur, die Hegel in <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> ge-
230<br />
schichtlichen Praxis verknüpften Teleologie <strong>der</strong> Arbeit aufdeckt, tritt <strong>für</strong><br />
Ruge in den Hintergrund.<br />
Mit <strong>der</strong> <strong>für</strong> die Junghegelianer typischen Annahme <strong>der</strong> Akkommodation<br />
Hegels verkennt Ruge die Implikationen des absoluten Idealismus, die<br />
prinzipiell einen Abschluss <strong>der</strong> Geschichte erfor<strong>der</strong>lich machen, insofern<br />
die Vollendung im Wissen des absoluten Geistes die Vollendung <strong>der</strong> geschichtlichen<br />
Praxis des objektiven Geistes voraussetzt.<br />
Ruges kontemplativer Einstellung im ersten Stadium seiner Entwicklung<br />
entspricht die Verherrlichung des preußischen Staates als Verkörperung<br />
des reformatorischen Prinzips <strong>der</strong> freiwilligen Entwicklung <strong>der</strong> Vernunft<br />
und als Erben <strong>der</strong> französischen Revolution. Von hier führt Ruges<br />
Weg in <strong>der</strong> politischen Kritik, inhaltlich gesehen, zum Liberalismus und<br />
Konstitutionalismus, wobei sich seine Einstellung zum Verhältnis von<br />
Theorie und Praxis wandelt, dann zum radikalen Demokratismus. Die Erfahrung<br />
<strong>der</strong> Unwirksamkeit und Ohnmacht seiner Kritik, d. h. die Erfahrung,<br />
dass die bestehenden politischen Verhältnisse vermittels <strong>der</strong> Kritik<br />
nicht zu än<strong>der</strong>n sind, führt Ruge nicht zu einer Neuorientierung in Gestalt<br />
einer prinzipiellen Revision des Verhältnisses von Theorie und Praxis, son<strong>der</strong>n<br />
zu einer graduellen Modifikation, nämlich zu einer jedesmal radikaleren<br />
Fassung <strong>der</strong> gedanklichen Kritik, verstanden als Fortschritt des Bewusstseins<br />
und <strong>der</strong> Selbsterkenntnis.<br />
Hinsichtlich <strong>der</strong> Methode zur Durchsetzung des wahren Inhalts, des<br />
Humanismus und Demokratismus, geht Ruge schließlich nicht hinaus über<br />
eine Verbindung <strong>der</strong> Kritik mit <strong>der</strong> Bildung und Erziehung. Das heißt:<br />
er erwartet, dass die praktische Gesellschaftsreform auf bürgerlicher<br />
Grundlage als Verwirklichung des theoretischen Humanismus – die Beseitigung<br />
des entfremdenden inhumanen Egoismus sowie auch des Patriotismus,<br />
die Vermenschlichung <strong>der</strong> Existenz und die Emanzipation des<br />
Menschen – primär erfolgt auf dem Wege über Bildung und Erziehung des<br />
Volkes o<strong>der</strong> <strong>der</strong> „Masse“, die Ruge zwar im Gegensatz zu Marx undifferenziert<br />
lässt, aber nicht wie Bruno Bauer als Wi<strong>der</strong>sacher des Geistes ansieht.<br />
Mit <strong>der</strong> Ausrichtung auf Bildung und Erziehung als Weg <strong>der</strong> Umgestaltung<br />
des menschlichen Lebens steht dieser politische Humanismus in<br />
<strong>der</strong> Tradition des ästhetischen Humanismus <strong>der</strong> deutschen Klassik, wobei
231<br />
zwar die Grenzen des Ästhetischen, aber nicht die <strong>der</strong> Erziehung erkannt<br />
werden.<br />
Nachdem sich im Gefolge <strong>der</strong> Unterdrückung <strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“<br />
und <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“ am Anfang des Jahres 1843 die<br />
Junghegelianer endgültig gespaltet haben, sieht Bruno Bauer den entscheidenden<br />
Gegensatz zu Ruge in <strong>der</strong> Frage <strong>der</strong> Negativität o<strong>der</strong> <strong>der</strong> dialektischen<br />
Radikalität, Rücksichtslosigkeit und Unversöhnlichkeit, d. h.<br />
<strong>der</strong> Voraussetzungslosigkeit und Reinheit <strong>der</strong> Kritik: Ruge verharre mit<br />
seiner For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> zukünftigen praktischen Entwicklung im Sinne des<br />
Liberalismus o<strong>der</strong> des Humanismus und Demokratismus noch konzessionsbereit<br />
– nur von den schon vorhandenen positiven Ansätzen aus ins<br />
Unbeschränkte gehend – auf dem Boden <strong>der</strong> bekämpften Macht (vor allem<br />
des Staates), anstatt mit ihr zu brechen und sich über ihre Voraussetzungen<br />
zu erheben. Bauers radikale Abwendung von dem Bestehenden und<br />
seine Bestimmung des Verhältnisses <strong>der</strong> Kritik zu den Mächten <strong>der</strong> Vergangenheit<br />
und Gegenwart nicht als aufhebende und bewahrende Erbschaft,<br />
son<strong>der</strong>n als abgründige Bindungslosigkeit, entspringt seiner Enttäuschung<br />
darüber, dass das Volk und die Liberalen gegen die unterdrückenden<br />
Regierungsmaßnahmen nicht aufbegehrten. Im Scheitern <strong>der</strong> Bestrebungen<br />
<strong>der</strong> „Deutschen Jahrbücher“ kann Bauer eine Selbstbestätigung<br />
seines kritischen Standpunktes sehen, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> wie<strong>der</strong> erstarkenden<br />
Reaktion praktisch unangetastet (und nicht korrumpiert) bleibt, wenn<br />
auch nur insofern, als er Opposition ohne bestimmte Position ist, d. h. als<br />
seine Kritik – ohne Zugeständnisse an das Bestehende und Gegebene zu<br />
machen und infolgedessen ohne zu partizipieren und parteilich einzugreifen<br />
– sich von vornherein über die politische und soziale Wirklichkeit hinweg<br />
setzt und in ihrer Isolierung gar nicht verwirklicht werden kann.<br />
Die durch die unversöhnliche Ablösung von den Voraussetzungen,<br />
durch den absoluten Hiat zu dem Gegebenen, gekennzeichnete Kritik Bauers<br />
stellt damit zugleich – noch eindeutiger als bei Strauß und Ruge – eine<br />
Umformung <strong>der</strong> Hegelschen spekulativen affirmativen Dialektik zu einer<br />
analytischen negativen Dialektik dar: das Resultat <strong>der</strong> Kritik ist jeweils die<br />
bloße, abstrakte Negation, die Vernichtung des Positiven, d. h. die Negation<br />
enthält das Positive, von dem sie ausgeht, nicht aufgehoben in sich, so<br />
dass es als überwundenes noch wahr bliebe; daher ist die Kritik nicht wie
232<br />
die Spekulation die affirmative Synthese, die konkrete Vermittlung <strong>der</strong><br />
entgegengesetzten Momente zur Totalität. Hegel anerkennt diese negative<br />
Dialektik als eine berechtigte, wenn auch einseitige Form seiner Versöhnungsphilosophie<br />
und kennzeichnet sie als Skeptizismus. Bauer verselbständigt<br />
also die skeptische Seite <strong>der</strong> Hegelschen Dialektik. Dabei ist <strong>für</strong><br />
Bauer die skeptizistische negative Dialektik die Form nicht nur <strong>der</strong> subjektiven<br />
Kritik, son<strong>der</strong>n auch <strong>der</strong> objektiv-kritischen Geschichtsentwicklung.<br />
Diese negative Dialektik kann aber nicht die weltgeschichtliche Kontinuität<br />
erklären.<br />
Die Hauptabsicht Bauers – beson<strong>der</strong>s in <strong>der</strong> „Posaune“ – ist, die Transzendenz<br />
zu zerstören, d. h. <strong>der</strong> Religion den Objektivitätscharakter zu<br />
nehmen, indem sie als Schöpfung des menschlichen Selbstbewusstseins<br />
behandelt wird. Um die transzendenten Objekte <strong>der</strong> Religion zu zerstören,<br />
zerstört Bauer die Objektivität überhaupt.<br />
Dass bei Hegel <strong>der</strong> subjektive Geist vom objektiven Geist abhängig ist<br />
und <strong>der</strong> objektive Geist die jeweils bestehende substantielle – beschränkte<br />
und damit wi<strong>der</strong>sprüchliche – Gestalt aufhebt zugunsten einer neuen höheren<br />
Gestalt und die <strong>Philosophie</strong> jeweils <strong>der</strong>en adäquater Ausdruck ist,<br />
verwandelt Bauer mit dem Fallenlassen <strong>der</strong> Objektivität und ihrem<br />
Verschwindenlassen in die Identität des Selbstbewusstseins dahin, dass<br />
<strong>der</strong> subjektive Geist und die <strong>Philosophie</strong> selbst die bestimmten Gestalten –<br />
mittels <strong>der</strong> Kritik – angreifen und negieren und so den Fortschritt bewerkstelligen.<br />
Indem Bauer den Prozess <strong>der</strong> Geschichte von <strong>der</strong> dialektischen Entwicklung<br />
des Selbstbewusstseins und diese wie<strong>der</strong>um von <strong>der</strong> philosophischen<br />
Theorie – etwa <strong>der</strong> aufklärerischen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Hegelschen und <strong>der</strong> kritischen<br />
– bestimmt sein lässt, spricht er <strong>der</strong> hervorragenden Persönlichkeit<br />
in <strong>der</strong> weltgeschichtlichen Praxis die entscheidende emanzipierende Holle<br />
zu. Hegel dagegen trennt das denkende und handelnde Individuum nicht<br />
in dieser Weise von den – aus dem absoluten Geist stammenden – substantiellen,<br />
objektiven Verhältnissen.<br />
Mit <strong>der</strong> Abwendung von <strong>der</strong> Masse vollzieht Bauer die Absage an die<br />
sich auf die Masse stützenden und sich damit in seinen Augen diskreditierenden<br />
Lehren und Parteiungen des Liberalismus, radikalen Demokratismus,<br />
Sozialismus und Kommunismus, in Vergleich zu denen Bauers kriti-
233<br />
sche prinzipienlose Position als anarchistisch erscheinen muss sowie als<br />
prototypisch <strong>für</strong> die geistesaristokratischen sich bescheidenden, zugleich<br />
vor je<strong>der</strong> Verdinglichung sichernden Rückzugsbewegungen in die Innerlichkeit,<br />
aber auch zugleich als Repristination des antiken skeptischen<br />
Bewusstseins, wie es Hegel analysiert: „... negatives Verhalten, ja tätige<br />
Negation gegen alles Prinzip“, das im Unglück <strong>der</strong> bestehenden Herrschaft<br />
„in seinem Innern auf abstrakte Weise die Befriedigung (hat) suchen müssen,<br />
die die Wirklichkeit ihm nicht gab“.<br />
Dass die Kritik nicht mehr mit dem Bestehenden verwickelt werden will,<br />
ist nicht gleichbedeutend mit ihrem gänzlichen Verzicht auf praktische<br />
Verän<strong>der</strong>ung und mit ihrer Erhebung zum Selbstzweck, son<strong>der</strong>n sie überlässt<br />
die von <strong>der</strong> Kritik vorzubereitende praktische Verän<strong>der</strong>ung „<strong>der</strong> Geschichte“<br />
und ihrer Krisis. Der Geschichte die praktischen Konsequenzen<br />
<strong>der</strong> Kritik zu überlassen und die kritische Position <strong>der</strong> Überparteilichkeit,<br />
Neutralität und Objektivität einzunehmen, ist gleichbedeutend mit praktischer<br />
Hinnahme des Bestehenden. Die äußerste theoretische Opposition<br />
wird zur äußersten praktischen Position; die Resistenz gegen die Realität<br />
wird zur Kapitulation.<br />
Die positive Kehrseite <strong>der</strong> äußersten abstrakten theoretischen Opposition<br />
und des absoluten Sichverweigerns <strong>der</strong> Kritik ist, dass das einheitliche<br />
Ziel <strong>der</strong> Kritik –sowohl <strong>der</strong> theologischen als auch <strong>der</strong> politischen – in allen<br />
Phasen ihrer Entwicklung bleibt, die Universalität <strong>der</strong> menschlichen Vernunft<br />
gegenüber je<strong>der</strong> Partikularität und Fixiertheit zu erreichen, in dieser<br />
Weise die menschliche Vernunft von <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>sprüchlichkeit zu befreien<br />
und schließlich die Vereinzelung <strong>der</strong> Menschen aufzuheben. Von hier aus<br />
– eine Konsequenz <strong>der</strong> Hegelschen Erkenntnis, dass die Wahrheit das<br />
Ganze ist – ist auch zu verstehen, weshalb Bauer sich unter zunehmenden<br />
politischen Druck immer weiter von dem Engagement <strong>der</strong> eingreifenden<br />
Praxis entfernt: die kritische Theorie gewährt eher den Anschein dieser negativen<br />
Freiheit von Beschränkungen und Voraussetzungen; Gegensätze,<br />
die sich praktisch ausschließen, lassen sich theoretisch ausgleichen.<br />
Indem Bauer mit Hilfe seiner Kritik die Destruktion je<strong>der</strong> fixen Partikularität<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung des Selbstbewusstseins anstrebt,<br />
geht es ihm zugleich um die fortschreitende Entfaltung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Möglichkeiten in ihrer Totalität. In Übereinstimmung mit <strong>der</strong> Hegelschen –
234<br />
von Her<strong>der</strong> ausgehenden – Erkenntnis betont Bauer: „Der Mensch ist als<br />
Mensch kein Naturprodukt, son<strong>der</strong>n das Werk seiner eigenen Freiheit.<br />
Menschen werden nicht geboren, son<strong>der</strong>n gebildet.“ Kritik und Selbstverwirklichung<br />
des Menschen gehören also zusammen. Dies ist in formaler<br />
Hinsicht die gemeinsame Auffassung aller Junghegelianer. Insofern weiter<br />
die durch Kritik voran getriebene Selbstverwirklichung als Entwicklung<br />
des Ganzen die Wahrheit ist, lassen sich Kritik, Selbstverwirklichung und<br />
Wahrheit zusammenfassen und kann Bauer sagen: „... die Wahrheit ist<br />
nicht, sie wird nur, sie ist also nur in <strong>der</strong> Geschichte und durch die Geschichte,<br />
in <strong>der</strong> Kritik und durch die Kritik.“<br />
Der extremen Abstraktion des Allgemeinen in <strong>der</strong> kritischen Theorie<br />
Bauers setzt Max Stirner die extreme Abstraktion des Einzelnen entgegen.<br />
Um die wirkliche Vereinzelung und den Egoismus zu überwinden, verzichtet<br />
Bauer asketisch auf die individuelle Freiheit und das Glück des einzelnen<br />
zugunsten des Allgemein-Vernünftigen; um die individuelle Freiheit<br />
und das Glück des einzelnen zu erreichen, verwirft Stirner hedonistisch<br />
das Allgemein-Vernünftige zugunsten <strong>der</strong> wirklichen Vereinzelung und des<br />
Egoismus. We<strong>der</strong> Bauer noch Stirner gewinnt eine Konzeption eines allgemein<br />
vernünftigen objektiven Glücks und einer verbindlichen Freiheit.<br />
Während Bauer die Partikularität mittels <strong>der</strong> permanenten „reinen Kritik“<br />
in die Universalität des Humanismus aufheben will, spitzt Stirner – in<br />
dem Bestreben radikaler Destruktion <strong>der</strong> Substantialität o<strong>der</strong> Objektivität<br />
– die Partikularität zur Singularität des Ichs zu. Gemessen am einzelnen<br />
leibhaftigen vergänglichen Individuum gelten Stirner die menschliche Gesellschaft<br />
und das allgemeine Selbstbewusstsein in Bauers Kritik sowie<br />
<strong>der</strong> Staat und das Recht in <strong>der</strong> Lehre des politischen Liberalismus und die<br />
sozialistische Gesellschaft in <strong>der</strong> Theorie <strong>der</strong> utopischen Kommunisten –<br />
ebenso wie Hegels Weltgeist und Feuerbachs Gattungswesen – als Scheinexistenz,<br />
als illusionärer „Geist“ und fiktive „Idee“, als „Fremdes“, „Heiliges“,<br />
„Gespenst“ und Residuum des religiösen Glaubens an das Jenseits.<br />
Während Bauers Kritik auf <strong>der</strong> Ebene des Gedankens bleibt, ist das „Ich“<br />
nach Stirners Anspruch kein Gedanke. Das „Ich“ ist als das Einmalige,<br />
Einzige, „solus ipse“, das Unausdrückbare, „ineffabile“ (und im Verhältnis<br />
zum allgemeinen Wesen des Menschen <strong>der</strong> „Unmensch“), das sich in<br />
Wahrheit nicht durch philosophische Theorie näher entwickeln und<br />
bestimmen lässt, son<strong>der</strong>n nur tautologische Urteile zulässt. Das Indivi-
235<br />
duum ist gegenüber je<strong>der</strong> Prädizierung inkommensurabel und liegt je<strong>der</strong><br />
gedanklichen Konstruktion voraus; es ist in diesem Sinne alogisch, irrational.<br />
In dem Bestreben, das überpersönliche Denken, das Denken als „eigene<br />
handelnde Persönlichkeit“ – beson<strong>der</strong>s die Selbstbewegung des absoluten<br />
Geistes in <strong>der</strong> Hegelschen Spekulation – zu negieren, macht Stirner das<br />
einzelne unvermittelte scheinbar autarke Ich – abgetrennt von Geschichte<br />
und Gesellschaft – zum Herren, Schöpfer und „Eigentümer“ des Denkens,<br />
so dass dieses im Ich seine einzige Voraussetzung hat, nur dessen selbst<br />
gestellte „private“ Aufgaben betrifft und zu dessen „Selbstgenuss“ und<br />
Machtausübung dient. Das Denken wird bei Stirner zu einer Funktion und<br />
einem Instrument <strong>der</strong> Willkür des individuellen Willens. Mit diesem Voluntarismus<br />
wird Hegels dialektische Verknüpfung von Geist und Willen – die<br />
Bestimmung des Willen als die Entäußerung des Geistes – aufgelöst, d. h.<br />
die Grundlage <strong>der</strong> Hegelschen Konzeption <strong>der</strong> Einheit von Theorie und<br />
Praxis, von Innen und Außen, zerstört, und damit zugleich <strong>der</strong> Geschichte<br />
die Vernünftigkeit aberkannt. Infolgedessen können die individuellen Willenshandlungen<br />
nicht mehr so verstanden werden, dass sie die Freiheit<br />
des subjektiven, objektiven und absoluten Geistes verwirklichen.<br />
Dieser irrationale Voluntarismus scheidet also das Dass vom Was, negiert<br />
jede allgemeine objektive Vernünftigkeit und Gesetzlichkeit, verabsolutiert<br />
das Individuelle, Faktische und muss somit zur Konsequenz haben,<br />
dass <strong>der</strong> einzelne Mensch – theoretisch desorientiert – auf Grund einer „absoluten“<br />
unbegründbaren bodenlosen Entscheidung handelt. Dagegen wies<br />
Hegel gerade auf, dass kein Individuum isoliert <strong>für</strong> sich existiert, das nicht<br />
vom Allgemeinen durchdrungen wäre. Damit kehrt sich Stirner – im Gegensatz<br />
zu den an<strong>der</strong>en Junghegelianern – gänzlich von Hegels Erkenntnis<br />
ab, dass das Individuum sich nicht verwirklichen kann, wenn es die objektive<br />
Stufe <strong>der</strong> geschichtlichen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten zu<br />
überspringen sucht, dass die Willkür, die auf einen zufälligen Inhalt gerichtet<br />
ist, nur die abstrakte, inhaltslose Freiheit ist und dass die konkrete<br />
Freiheit in einem praktischen und theoretischen Vermittlungs- und Bildungsprozess<br />
errungen werden muss.<br />
In Stirners Gleichsetzung von Dasein und Wesen dokumentiert sich am<br />
deutlichsten die Auflösung des Hegelianismus und <strong>der</strong> aus seinem Geiste
236<br />
geborenen Kritik; denn alle Dialektik und subjektive sowie objektive Kritik<br />
(ebenso wie alle Hoffnung und bestimmte For<strong>der</strong>ung) basiert auf <strong>der</strong> Entzweiung,<br />
d. h. auf <strong>der</strong> Differenz zwischen Rationalem und Realem, zwischen<br />
Wesen und Erscheinung, Begriff und Existenz, Möglichem und<br />
Wirklichem. Ausdrücklich verwirft Stirner den Begriff <strong>der</strong> realen Möglichkeit.<br />
Für ihn ist also Möglichkeit nur im Kantischen Sinne das wi<strong>der</strong>spruchsfreie<br />
Denkbare; und er würde in <strong>der</strong> Kontroverse des Aristoteles<br />
mit den Megarikern in dieser Frage <strong>der</strong> realen o<strong>der</strong> formalen Möglichkeit<br />
auf <strong>der</strong>en Seite stehen.<br />
In Stirners Konzeption ist die Revolte des neinsagenden unbotmäßigen<br />
Individuums keine politische o<strong>der</strong> soziale Insurrektion, son<strong>der</strong>n ein antikonventioneller<br />
Protest als eine Aktion <strong>der</strong> Selbstbefreiung, die we<strong>der</strong> göttliche<br />
Gnade noch menschliche Teilnahme erhofft. Ausdrücklich unterscheidet<br />
sie Stirner von <strong>der</strong> Revolution unter dem Aspekt, dass die Revolution<br />
nur den Bürger, nicht aber das Individuum befreie und dass die Revolte<br />
keine neuen Einrichtungen an Stelle <strong>der</strong> bekämpften bestehenden<br />
setzen wolle. Stirner will sich überhaupt keiner politisch-sozialen Organisation<br />
anschließen und an keine vorliegende Voraussetzungen anknüpfen,<br />
also keine auch nur partielle Identifikation mit den bestehenden Verhältnissen<br />
eingehen, d. h. keine vermittelnden Kompromisse schließen, son<strong>der</strong>n<br />
alternativ „alles o<strong>der</strong> nichts“. Dieser unpolitische antiinstitutionelle<br />
kompromisslos destruktive Anarchismus Stirners ist somit zu unterscheiden<br />
vom Typ des kollektiv-sozietären Anarchismus vor allem Proudhons,<br />
Bakunins, Kropotkins und an<strong>der</strong>er, <strong>der</strong>en Anhänger als libertäre Sozialisten<br />
auftreten gegen die autoritären und doktrinären Staatssozialisten.<br />
Während <strong>für</strong> Hegel <strong>der</strong> Egoismus <strong>der</strong> konkurrierenden Privatinteressen<br />
nur die bürgerliche Gesellschaft, das „System <strong>der</strong> Bedürfnisse“ bestimmt,<br />
im Staat aber mit den Allgemeininteressen versöhnt wird, gewinnt <strong>für</strong><br />
Stirner <strong>der</strong> Egoismus – in Gestalt <strong>der</strong> individuellen Revolte – als scheinbar<br />
natürliche Konstante des Menschen universale Bedeutung. Stirner selbst<br />
will nicht wahrhaben, dass er nur die von Hegel analysierten geschichtlich<br />
gewordenen schon vorhandenen Triebfe<strong>der</strong>n <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft<br />
verabsolutiert. Vergleichbar mit de Sade entwürdigt Stirner das<br />
Subjekt zum Objekt, das Fürsichsein zum Ansichsein, zum Abhängigen<br />
und Vorhandenen, das verfügbar ist, und sanktioniert dieses Verhältnis,
237<br />
soweit es als solches schon besteht. Er betrachtet das passive behandelte<br />
Du nicht auch als zugleich aktives handelndes Ich, das unantastbares<br />
Zentrum <strong>der</strong> Selbsttätigkeit und Selbständigkeit bleibt, womit er die Ausgangssituation<br />
<strong>der</strong> Hegelschen Herr-Knecht-Analyse wie<strong>der</strong>holt, fixiert und<br />
unentfaltet lässt, d. h. ignoriert, dass <strong>der</strong> Herrschende selbst unfrei ist<br />
und erst frei wird in <strong>der</strong> Solidarität <strong>der</strong> Freien. Das als sachfrei und unvermittelt<br />
konzipierte Verhältnis von Ich zu Ich enthüllt sich als verdinglicht:<br />
alle Tätigkeiten des Ich sind <strong>für</strong> Stirner verobjektivierende Akte. In<br />
Stirners Konzeption triumphiert die Kategorie des Habens über die Kategorie<br />
des Seins, die Habsucht über die „Seinssucht“, die Sachenwelt über die<br />
Menschenwelt. Gerade <strong>der</strong> radikale Subjektivismus, <strong>der</strong> die objektiven Inhalte<br />
zu überspringen und die Subjekt-Objekt-Spannung sowie die Differenz<br />
von Begriff und Realität zu negieren sucht, mündet in eine Verobjektivierung<br />
<strong>der</strong> Subjekte. Mit <strong>der</strong> bewusst angestrebten Verdinglichung<br />
menschlicher Beziehungen verkehrt Stirner die Intentionen des Idealismus<br />
und will ihre „kopernikanische Wendet“ in ethischer Hinsicht, nämlich<br />
dass <strong>der</strong> Mensch kein Objekt <strong>der</strong> Willkür werden darf, rückgängig machen.<br />
Das führt dazu, dass Stirner, um die idealistische als theologisch fundiert<br />
gedeutete Ethik überwinden zu können, im Grunde die Ethik überhaupt<br />
preisgibt: er findet keinen Ausweg aus den beiden Extremen <strong>der</strong> unterwürfigen<br />
Anpassung einerseits und des nihilistischen „Alles ist erlaubt“ an<strong>der</strong>erseits.<br />
Die Hauptsache <strong>der</strong> Emanzipation ist <strong>für</strong> Stirner eine Bewusstseinsleistung.<br />
Daraus ist ersichtlich, weshalb Marx und Engels ihn in <strong>der</strong> „Deutschen<br />
Ideologie“ vor allem unter dem Gesichtspunkt angreifen können, er<br />
halte wirkliche – z. B. staatliche und soziale – entfremdete Verhältnisse<br />
dadurch <strong>für</strong> auflösbar, dass man sie sich aus dem Kopf schlage, eine Illusion,<br />
<strong>der</strong> vorausgehe die Verwandlung <strong>der</strong> wirklichen Verhältnisse in gedankliche<br />
Verhältnisse, d. h. die Idealisierung <strong>der</strong> realen Verhältnisse und<br />
ihre Verflüchtigung zu Scheinexistenzen. Auch Heß wirft Stirner die Verwechslung<br />
wirklicher Verhältnisse mit Abstraktionen vor, als <strong>der</strong>en Konsequenz<br />
Stirner schließlich „mit <strong>der</strong> transzendenten Humanität auch alle<br />
wirkliche Humanität“ zugunsten des praktischen Egoismus verwerfe.<br />
Während Feuerbach in den praktischen Beziehungen <strong>der</strong> Menschen<br />
untereinan<strong>der</strong> dem Egoismus eine partielle Berechtigung zuerkennt, näm-
238<br />
lich in Gestalt vernünftiger Selbstbehauptung, diskreditiert er ihn gänzlich<br />
in dem praktischen Verhalten zur Natur: die praktische Aneignung <strong>der</strong> Natur<br />
gilt Feuerbach als eigennützig und utilitaristisch und deshalb – im Gegensatz<br />
zum theoretischen Verhalten – nicht als wahre Beziehung zur Natur.<br />
So ist <strong>für</strong> Feuerbach die praktische Naturaneignung die Position <strong>der</strong><br />
Entfremdung, dagegen <strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong> Theorie „<strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong><br />
Harmonie mit <strong>der</strong> Welt.“ Mit seiner Abwertung <strong>der</strong> praktischen relativen<br />
Negation <strong>der</strong> äußeren Natur gibt Feuerbach die Hegelsche Erkenntnis<br />
preis, dass die rein theoretische Einstellung (im Bereich <strong>der</strong> Endlichkeit)<br />
ebenso mangelhaft, einseitig und unfrei ist wie die ausschließlich praktische<br />
Einstellung. Feuerbach verkennt die Schwäche <strong>der</strong> Theorie, die darin<br />
besteht, dass sich in ihr das Subjekt passiv verhält, sich – unter Ausschaltung<br />
subjektiver Vorurteile – nach den objektiven Gegenständen richtet<br />
und diese als selbständig gewähren lässt, sich somit aber dem Vorhandenen<br />
unterwirft, das seinerseits vom Subjekt nicht bestimmt wird, sich<br />
selbständig erhält und <strong>der</strong> Selbstbestimmung des Subjekts entgegensteht.<br />
Wenn er es auch nicht selbst ausspricht, so lässt sich doch sagen: Feuerbach<br />
zielt mit seiner Theorie-Praxis-Konzeption auf eine (undialektische)<br />
Synthese von Griechentum und Christentum ab. Die wahre Theorie sieht<br />
Feuerbach repräsentiert in <strong>der</strong> Naturanschauung <strong>der</strong> griechischen <strong>Philosophie</strong><br />
und die wahre Praxis – allerdings in entfremdeter Gestalt – in <strong>der</strong><br />
Liebe <strong>der</strong> christlichen Religion. Weiter erblickt er in <strong>der</strong> griechischen Theorie<br />
und in <strong>der</strong> christlichen auf ihre anthropologische Grundlage zurück<br />
geführten Liebe die Verwirklichung <strong>der</strong> Freiheit. In dieser Weise werden<br />
<strong>der</strong> Anthropologismus und Humanismus das Vereinigende von wahrer<br />
Theorie und Praxis: nicht die absolute Subjekt-Objekt-Identität, son<strong>der</strong>n<br />
die „Einheit des Menschen mit dem Menschen“ ist <strong>für</strong> Feuerbach als<br />
Selbstzweck „das höchste und letzte Prinzip <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“, worin Theorie<br />
und Praxis, „ratio“ und „emotio“, Kopf und Herz, wurzeln. In Feuerbachs<br />
Gründung <strong>der</strong> Theorie und Praxis auf die menschliche Gattung wird<br />
noch eine Seite <strong>der</strong> Hegelschen Einsicht bewahrt, dass Erkennen und<br />
Handeln nicht nur Tätigkeiten eines einzelnen isoliert genommenen Subjekts<br />
sind.<br />
Das Bestreben, die Selbstbegründung und Selbstgenügsamkeit des in<br />
sich kreisenden monologisierenden – das Sein nur als Gedanke des Seins
239<br />
in sich selbst als das an<strong>der</strong>e seiner selbst entgegensetzenden sich selbst<br />
überbietenden – Denkens <strong>der</strong> Identitätsphilosophie zu unterbrechen und<br />
das Denken an das sinnliche selbständige Sein als Maßstab zu binden,<br />
führt Feuerbach in die Nähe eines Nominalismus und zu dem extremen<br />
Sensualismus, die Diskontinuität, die qualitative Differenz, von sinnlicher<br />
Wahrnehmung und übersinnlichem Denken zugunsten ihrer Kontinuität<br />
undialektisch zu verwerfen. In Folge <strong>der</strong> Identifizierung von Wesen und<br />
Erscheinung kommt Feuerbach mit Stirner darin überein, dass er keinen<br />
Kritik-Begriff <strong>der</strong> Gesellschaft, <strong>der</strong> Politik und <strong>der</strong> Geschichte aus <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong> gewinnen kann, da die Kritik auf <strong>der</strong> Entzweiung von<br />
Wesen und Erscheinung, <strong>der</strong> Differenz zwischen Möglichem und Wirklichem,<br />
Rationalem und Realem basieren müsste. Zusammen gehören somit<br />
bei Feuerbach das Fehlen dieses Begriffes <strong>der</strong> Kritik und die Ungeschichtlichkeit<br />
<strong>der</strong> sensualistischen Anthropologie, <strong>der</strong>gemäß das Wesen des<br />
Menschen – im Gegensatz zur geschichtlich orientierten Anthropologie sowohl<br />
Her<strong>der</strong>s als auch Hegels – einfach vorgegeben, unmittelbar fertig und<br />
festgestellt ist. Feuerbach löst wie<strong>der</strong> die Hegelsche Verknüpfung <strong>der</strong> Erkenntnis<br />
<strong>der</strong> Wahrheit mit <strong>der</strong> praktischen Verwirklichung <strong>der</strong> Wahrheit in<br />
<strong>der</strong> geschichtlich-politischen Freiheit.<br />
Die Entfremdung ist zwar <strong>für</strong> Feuerbach als wesentlich religiöse primär<br />
eine theoretische, d. h. ein inneres Verhältnis, und kann infolgedessen<br />
durch bewusstseinsmäßige Kritik zurück genommen werden, aber nach<br />
<strong>der</strong> Marxschen Kritik hieran in <strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“ bleibt allzu oft<br />
unberücksichtigt, dass <strong>für</strong> Feuerbach die Entfremdung vollständig erst<br />
insofern überwunden ist, als zur geistig-kritischen aufklärerischen Reduktion<br />
die Praxis <strong>der</strong> Liebe hinzu kommt, und zwar sowohl als Empfindung<br />
wie auch als verän<strong>der</strong>tes Verhalten <strong>der</strong> Menschen zueinan<strong>der</strong>. Die Religionskritik<br />
ist also <strong>für</strong> Feuerbach zwar <strong>der</strong> entscheidende Hebel, aber sie<br />
soll nicht nur dazu führen, dass eine Bewusstseinseinstellung durch eine<br />
an<strong>der</strong>e Bewusstseinseinstellung ersetzt wird, son<strong>der</strong>n dass eine praktische<br />
Versöhnung <strong>der</strong> Gegensätze erreicht wird, wie sie ebenfalls <strong>der</strong> junge Hegel<br />
in seiner Frankfurter Periode (an den Feuerbach nicht anknüpfen konnte)<br />
von <strong>der</strong> Liebe erwartet als lebendiger Subjektivität und Selbstbestimmung,<br />
die gegen die Hinnahme <strong>der</strong> toten Positivität des etablierten Faktums und<br />
des affirmierten Fatums opponiert. Insofern Hegels Begriff <strong>der</strong> Liebe und<br />
des „Lebens“ als „Vereinheitlichung“ <strong>der</strong> Entgegensetzung von Subjekt und
240<br />
Objekt, Einzelnem und Allgemeinem, die Keimform seiner reifen Konzeption<br />
<strong>der</strong> konkreten Sittlichkeit ist und mit Feuerbachs Entwurf <strong>der</strong> Liebe<br />
vergleichbar ist, bestätigt sich noch einmal, dass Feuerbach eine Seite <strong>der</strong><br />
Hegelschen Einsicht von dem Charakter <strong>der</strong> Gemeinschaftlichkeit <strong>der</strong><br />
praktischen (und theoretischen) Tätigkeit bewahrt.<br />
Zur Frage, ob Feuerbachs Kritik vom Standpunkt seines Anthropologismus<br />
dialektischen o<strong>der</strong> undialektischen Charakter hat, d. h. ob Feuerbachs<br />
Kritik in einem dialektischen o<strong>der</strong> antithetischen o<strong>der</strong> noch an<strong>der</strong>s<br />
gearteten Verhältnis zur Religion, Theologie und spekulativen <strong>Philosophie</strong><br />
steht, ergibt sich, dass Feuerbachs Kritik in keinem Fall als dialektische<br />
Aufhebung zu interpretieren ist. Allerdings ist zu unterscheiden zwischen<br />
Feuerbachs „Negation“ <strong>der</strong> Religion auf <strong>der</strong> einen Seite und <strong>der</strong> „Negation“<br />
<strong>der</strong> Theologie auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite. Dass Feuerbach die religiöse Entfremdung<br />
im Gegensatz zur theologischen Entfremdung nicht im Sinne<br />
einer Destruktion zurück genommen wissen will, son<strong>der</strong>n ihre Grundlage<br />
bewahren möchte, heißt nicht, dass er eine dialektische Beziehung zur Religion<br />
im Sinn hat. Feuerbachs we<strong>der</strong> dialektisch aufhebendes noch antithetisch<br />
verneinendes Verhalten zur Religion kann man – mit ihm selbst –<br />
als „kritische“ Einstellung zur Religion abgrenzen. Feuerbach steht aber<br />
als Kritiker nicht mehr selbst auf dem Boden eines kritischen Prozesses, d.<br />
h. Feuerbachs Kritik ist kein Prinzip <strong>der</strong> Wirklichkeit mehr, son<strong>der</strong>n hat<br />
nur noch eine methodologische Funktion; denn die Basis <strong>der</strong> Feuerbachschen<br />
Kritik, die menschliche Gattung, erfährt – im Gegensatz zu Strauß’<br />
Konzeption – keine stufenweise Entwicklung in <strong>der</strong> Geschichte.<br />
Das Fehlen eines exakten Begriffes <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> Politik und Gesellschaft<br />
kann Feuerbach nicht adäquat ersetzen durch seine Vorstellung<br />
eines in <strong>der</strong> Religion antizipierten auf <strong>der</strong> Gleichheit aller Menschen gegründeten<br />
Gemeinwesens. Was die Junghegelianer (im engeren Sinne) von<br />
<strong>der</strong> Kritik annehmen, denkt aber auch Feuerbach von <strong>der</strong> politischen Theorie,<br />
nämlich dass die praktische Neugestaltung zwangsläufig auf die wahre<br />
Einsicht folgen müsse und die Tatlosigkeit wesentlich in <strong>der</strong> Ratlosigkeit<br />
wurzele.<br />
Marx ist von Anfang an bestrebt, Hegels unter an<strong>der</strong>em in <strong>der</strong> Vorrede<br />
zur „Rechtsphilosophie“ ausgesprochene Ablehnung des leeren Sollens<br />
und des utopischen „Aufstellens eines Jenseitigen“ beizubehalten und eine
241<br />
dualistisch-abstrakte Entgegensetzung von Theorie und Praxis zu vermeiden.<br />
Das Sollen ist <strong>für</strong> Marx wie <strong>für</strong> Hegel ein Resultat <strong>der</strong> Entwicklung<br />
des Wirklichen. Mit <strong>der</strong> Abkehr von <strong>der</strong> Hegelschen Konzeption <strong>der</strong> absoluten<br />
Subjekt-Objekt-Einheit verliert Marx aber die Möglichkeit <strong>der</strong> Rücknahme<br />
<strong>der</strong> Entäußerungen des absoluten schöpferischen Subjekts auf<br />
dem Wege <strong>der</strong> spekulativen Theorie.<br />
Die in Marx’ Dissertation mit dem Geschichtsprozess verbundene subjektive<br />
Kritik, die als solche Sache des Bewusstseins bleibt, kann als wirksam<br />
nur insofern gedacht werden, als <strong>der</strong> Geschichtsprozess in objektiv<br />
idealistischer Weise als wesentlich geistiger Prozess gefasst wird. Marx’ in<br />
<strong>der</strong> Dissertation entwickelte Auffassung von <strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> theoretischen<br />
Kritik stimmt mit <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Junghegelianer unter an<strong>der</strong>em<br />
auch in <strong>der</strong> Strukturierung <strong>der</strong> Kritik überein, nämlich in <strong>der</strong> vermittelnden<br />
Zuordnung <strong>der</strong> spannungsvollen Zweiheit von Vernunft und<br />
Realität, Begriff und Existenz, Möglichkeit und Wirklichkeit, sowie in <strong>der</strong><br />
hiermit implizierten Ablehnung, Theorie und Praxis wie Aristoteles als ein<br />
Verhältnis zweier wesentlich verschiedener Prinzipien zu fassen. Marx unterscheidet<br />
sich aber von <strong>der</strong> kritischen <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Junghegelianer<br />
schon in seiner Dissertation dadurch, dass er – als Resultat <strong>der</strong> Kritik –<br />
die Verwirklichung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und ihre Versöhnung mit den Erscheinungen<br />
<strong>der</strong> Welt in <strong>der</strong> Weise <strong>der</strong> Aufhebung <strong>der</strong> <strong>für</strong> sich bestehenden <strong>Philosophie</strong><br />
erwartet.<br />
Mit seinem Begriff <strong>der</strong> Kritik sucht Marx zu bewahren, was Hegel mit<br />
philosophischer Kritik verbindet, nämlich die Notwendigkeit des Eingehens<br />
auf die Sache selbst, auf den inneren Gehalt und die Bewegung des Gegenstands.<br />
Im Gegensatz zu Hegel aber verbindet Marx mit seiner Kritik<br />
zugleich Polemik und Parteilichkeit, was eine Konsequenz davon ist, dass<br />
<strong>der</strong> Anspruch auf das spekulative Erfassen des versöhnenden Ganzen fallen<br />
gelassen und nur die objektive Vernunft <strong>der</strong> Entwicklung in Gegensätzen<br />
fest gehalten worden ist. Das kritische Aufeinan<strong>der</strong>beziehen von Vernunft<br />
und Wirklichkeit ist <strong>der</strong> „Puls“ in Marx’ ersten Untersuchungen.<br />
(Unkritisch und positivistisch, d. h. stecken geblieben in gegebenen Tatsachen<br />
als maßgeben<strong>der</strong> Instanz, muss nach Marx’ Urteil unter an<strong>der</strong>em das<br />
Verfahren <strong>der</strong> historischen Rechtsschule sein.) In <strong>der</strong> Konsequenz seines<br />
Ausspielens des Phänomenologischen gegen das Logische for<strong>der</strong>t Marx
242<br />
und ist er bestrebt, das Denken aus dem Gegenstand zu entwickeln, in<br />
dieser Weise kritisch bestehende Wi<strong>der</strong>sprüche in Gesellschaft und Staat<br />
aufzudecken und ihre eigentümliche Genesis zu erklären. In dem Maße<br />
aber, in dem Marx seine charakteristische dialektische und materialistische<br />
Konzeption entwickelt, wird <strong>für</strong> ihn nicht das kritische Aufdecken <strong>der</strong><br />
Perspektiven – das Erheben <strong>der</strong> objektiven Möglichkeiten ins Bewusstsein<br />
– <strong>der</strong> Angelpunkt, son<strong>der</strong>n ihre praktisch-sinnliche Realisierung.<br />
Als vermittelndes Band zwischen <strong>Philosophie</strong> und Welt, Vernunft und<br />
Realität, fungieren in Marx’ Konzeption <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Theorie<br />
durch ihre Aufhebung die Bedürfnisse und Interessen. Durch den Rekurs<br />
auf diese sucht Marx die Loslösung des kritischen Gedankens von <strong>der</strong> gesellschaftlich-geschichtlichen<br />
Wirklichkeit zu vermeiden und sowohl dem<br />
Voluntarismus als auch dem Determinismus in <strong>der</strong> Geschichtsauffassung<br />
zu entgehen. Praxis und Theorie sind <strong>für</strong> Marx durch die Bedürfnisse und<br />
Interessen dadurch vermittelt, dass die Theorie an sie anknüpft und <strong>der</strong>en<br />
immanente Dialektik bewusst macht. Insofern Marx die Verwirklichung<br />
<strong>der</strong> Gedanken von <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Bedürfnisse abhängig macht,<br />
steht er ebenso in Gegensatz zu Aristoteles, <strong>für</strong> den die Ziele <strong>der</strong> Praxis<br />
primär Bewusstseinsziele sind, wie zu Hegel, <strong>für</strong> den die natürlichen Bedürfnisse<br />
auch nicht ursprünglich sind, son<strong>der</strong>n Entäußerungen <strong>der</strong> Vernunft,<br />
„Beispiele vom Zweck“.<br />
Marx’ Umwandlung <strong>der</strong> scheinbaren Selbständigkeit in die wirkliche betrifft<br />
nicht nur die Bedürfnisse, son<strong>der</strong>n auch ihre Gegenstände: <strong>der</strong> Gegenstand<br />
wird zum unabhängigen selbständigen Gegenstand sinnlicher<br />
Bedürfnisse, <strong>der</strong> nicht durch geistige Tätigkeit zurück genommen, son<strong>der</strong>n<br />
nur durch praktische Tätigkeit gesellschaftlich angeeignet werden kann.<br />
Die Theorie ist <strong>für</strong> Marx durch Praxis, die <strong>Philosophie</strong> durch Nichtphilosophie<br />
vermittelt: die Theorie hat ihre Voraussetzungen o<strong>der</strong> ihr maßgebendes<br />
Substrat in <strong>der</strong> gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit, nicht<br />
in philosophischen Prinzipien im traditionellen Sinn.<br />
Marx ist aber bestrebt, nicht nur die traditionelle philosophische<br />
Selbstbegründung hinter sich zu lassen, son<strong>der</strong>n sich an<strong>der</strong>erseits auch<br />
nicht auf die erfor<strong>der</strong>liche empirisch-wissenschaftliche Feststellung und<br />
Abspiegelung des Gegebenen zu beschränken. Kritische Theorie heißt<br />
vielmehr <strong>für</strong> Marx: eingehendes Analysieren <strong>der</strong> bestehenden sozial-
243<br />
ökonomischen Voraussetzungen unter dem Aspekt ihrer immanent möglichen<br />
praktisch-emanzipatorischen Verän<strong>der</strong>ung.<br />
Die Bestimmung <strong>der</strong> Entfremdung und die For<strong>der</strong>ung nach ihrer Aufhebung<br />
setzt <strong>für</strong> Marx keinen nicht-empirischen Maßstab voraus, son<strong>der</strong>n<br />
erfolgt auf Grund <strong>der</strong> Erfahrung des Zustandes <strong>der</strong> Entfremdung sowie<br />
des Bedürfnisses seiner Überwindung.<br />
Das Nichtanerkennen des Marxschen Bruches mit <strong>der</strong> philosophischen<br />
Tradition hat unmittelbar zur Folge, dass Marx’ Begriff <strong>der</strong> Entfremdung<br />
gedeutet wird als die Objektivierung und Verdinglichung <strong>der</strong> menschlichen<br />
Tätigkeit im Arbeitsprodukt überhaupt, nicht aber primär als die Herrschaft<br />
bestimmter Arbeitsprodukte über bestimmte Produzenten in spezifischen<br />
Arbeitsverhältnissen.<br />
Indem <strong>der</strong> Mensch die Natur bearbeitet und umformt und sich in <strong>der</strong><br />
Form des Gegenstandes objektiviert, d. h. den zunächst fremden Gegenstand<br />
<strong>der</strong> Natur subjektiviert, verwandelt er sich nach Marx’ Konzeption<br />
selbst und bringt nicht nur nützliche Waren, son<strong>der</strong>n sich selbst im Laufe<br />
<strong>der</strong> Geschichte hervor. Die Tätigkeit <strong>der</strong> Naturaneignung ist somit eine Negation<br />
<strong>der</strong> Unmittelbarkeit sowohl des Objekts wie des Subjekts.<br />
Marx verabsolutiert – nach <strong>der</strong> Preisgabe <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-<br />
Einheit – die geschichtliche Entwicklung nicht nur <strong>der</strong> Erscheinungen,<br />
son<strong>der</strong>n auch des Wesens selbst, die zwar schon Hegel im Gegensatz zur<br />
traditionellen Wesensmetaphysik innerhalb des Kreises des Objektivierungsprozesses<br />
des absoluten Geistes konzipiert, aber gleichsam auf <strong>der</strong><br />
Spitze des Systems noch abbricht.<br />
Das menschliche Eingreifen in die Natur, durch das Mensch und Natur<br />
primär vereint sind, ist <strong>für</strong> Marx die vermittelnde Voraussetzung ihres Begreifens;<br />
alles Wissen von <strong>der</strong> Natur kann wesentlich erst durch die naturverän<strong>der</strong>nde<br />
Tätigkeit vermittelt werden.<br />
Eine gesellschaftlich-geschichtliche Seite <strong>der</strong> praktischen Naturaneignung,<br />
die Arbeitsteilung, betrachtet Marx als die Quelle <strong>der</strong> Trennung materieller<br />
und geistiger Arbeit und <strong>der</strong> Loslösung <strong>der</strong> Theorie von <strong>der</strong> Praxis.<br />
Auf Grund <strong>der</strong> Arbeitsteilung könne <strong>der</strong> Schein <strong>der</strong> Selbständigkeit <strong>der</strong><br />
Gedanken gegenüber dem empirischen Lebensprozess entstehen. Aristoteles<br />
und Hegel wissen die Theorie zwar auch <strong>der</strong> Trennung des Notwendi-
244<br />
gen und des Zweckfreien – dem „Bedürfnis <strong>der</strong> Bedürfnislosigkeit“ – entsprungen,<br />
leiten daraus aber nicht ihre Scheinhaftigkeit, son<strong>der</strong>n gerade<br />
ihre Dignität ab. Dem geistigen Bedürfnis und Glück des Erkennens wird<br />
von Marx eine nur relative Selbständigkeit und Selbstgenügsamkeit als<br />
vermittelnde Zwischenstufe <strong>der</strong> praktischen Tätigkeit zugestanden, die als<br />
Grundlage und Ziel <strong>der</strong> Erkenntnis bestimmt wird, und zwar in letzter Instanz<br />
in Gestalt <strong>der</strong> die sinnliche Wirklichkeit <strong>der</strong> Natur und Gesellschaft<br />
unmittelbar umgestaltenden Produktionstätigkeit.<br />
Wenn <strong>für</strong> Marx die Praxis weiter das Kriterium <strong>der</strong> Theorie ist, so bedeutet<br />
das nicht im Sinne des Pragmatismus, dass automatisch wahr und<br />
gerechtfertigt ist, was sich wirklich durchsetzt und praktisch herrscht; an<strong>der</strong>enfalls<br />
wäre <strong>für</strong> Marx die Theorie <strong>der</strong> Gesellschaft ausschließlich mechanistische<br />
Wi<strong>der</strong>spiegelung, nicht aber kritische Theorie, d. h. eine Theorie,<br />
die das Bestehende abzubilden sucht unter dem Aspekt <strong>der</strong> praktischen<br />
Verän<strong>der</strong>ung am Maßstab des Bedürfnisses <strong>der</strong> Aufhebung bestehen<strong>der</strong><br />
Entfremdungen.<br />
Indem Marx Hegels Konzeption <strong>der</strong> absoluten Subjekt-Objekt-Einheit<br />
und den idealistischen Objektivitätsbegriff preisgibt, anerkennt er an <strong>der</strong><br />
Praxis (die vor <strong>der</strong> endlichen Theorie den Vorrang <strong>der</strong> inhaltlichen Selbstbestimmung<br />
hat) nicht mehr wie Hegel als Mangel, dass sie die Unabhängigkeit<br />
<strong>der</strong> Objektivität nicht restlos überwindet und dass das Subjekt <strong>der</strong><br />
Praxis in <strong>der</strong> Beziehung auf das Objekt nicht in vollkommen freier Selbstbestimmung<br />
bei sich bleibt.
245<br />
A n m e r k u n g e n<br />
Die Schriften Hegels werden nach folgenden Ausgaben zitiert:<br />
Sämtliche Werke. Jubiläumsausgabe in zwanzig Bänden. Neu herausgegeben<br />
von H. Glockner, Stuttgart l927 ff. (abgekürzt als: Werke)<br />
Hegels theologische Jugendschriften. Herausgegeben von H. Nohl, Tübingen<br />
l907 (abgekürzt als: Nohl)<br />
Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Herausgegeben von G. Lasson,<br />
2. Auflage, Leipzig l923 (abgekürzt als: Schriften zur Politik und<br />
Rechtsphilosophie)<br />
Politische Schriften. Nachwort von J. Habermas. Frankfurt am Main 1966<br />
(abgekürzt als: Politische Schriften)<br />
Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie Hegels. Herausgegeben<br />
von G. Lasson, Leipzig 1923 (abgekürzt als: Jenenser Logik)<br />
Jenenser Realphilosophie. Band I und II. Herausgegeben von J. Hofmeister,<br />
Leipzig 1931/32 (abgekürzt als: Realphilosophie)<br />
Dokumente zu Hegels Entwicklung. Herausgegeben von J. Hoffmeister,<br />
Stuttgart 1936 (abgekürzt als: Dokumente)<br />
Phänomenologie des Geistes. Herausgegeben von J. Hoffmeister, Hamburg<br />
1952 (abgekürzt als: Phänomenologie)<br />
Enzyklopädie <strong>der</strong> philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Neu herausgegeben<br />
von F. Nicolin und O. Pöggeler, Hamburg 1958 (abgekürzt als:<br />
Enzyklopädie)<br />
Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte. Herausgegeben von J. Hoffmeister, Hamburg<br />
l955 (abgekürzt als: Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte)<br />
Wissenschaft <strong>der</strong> Logik. Herausgegeben von G. Lasson. Erster und zweiter<br />
Teil. Hamburg 1963 (abgekürzt als: Logik)<br />
Ästhetik. 2 Bände, Frankfurt am Main, o. J. (Lizensausgabe des Aufbauverlags<br />
Berlin und Weimar <strong>für</strong> die Europäische Verlagsanstalt). Nach <strong>der</strong><br />
zweiten Ausgabe von H. G. Hotho (1842), redigiert von F. Bassenge (abgekürzt<br />
als: Ästhetik)
246<br />
Briefe von und an Hegel. Herausgegeben von J. Hoffmeister und R. Flechzig,<br />
Band l-4, Hamburg 1952/l960 (abgekürzt als: Briefe)<br />
1a In <strong>der</strong> Monographie von M. Riedel: Theorie und Praxis im Denken Hegels,<br />
Stuttgart 1965, wird die Hegelsche Konzeption <strong>der</strong> Praxis im wesentlichen<br />
auf die Konzeption <strong>der</strong> Praxis als Begierde, d. h. als Naturaneignung,<br />
reduziert. Die Praxis wird dann ausgelegt als „Herstellung“ eines<br />
Werkes und als „Herrschaft“. Nicht heraus gearbeitet wird die charakteristische<br />
Hegelsche Auffassung von <strong>der</strong> Praxis als konkreter Sittlichkeit in<br />
<strong>der</strong> Sphäre des objektiven Geistes (und damit als politischem Handeln im<br />
durchaus nicht technisch-instrumental verfügenden Sinne). Deshalb bleibt<br />
auch <strong>der</strong> spezifische Zusammenhang unberücksichtigt, den Hegel zwischen<br />
<strong>der</strong> Praxis <strong>der</strong> Naturaneignung und <strong>der</strong> gesellschaftlich-politischen<br />
Praxis aufdeckt. Indem Hegels Konzeption zu sehr <strong>der</strong> traditionellen <strong>Philosophie</strong><br />
angenähert und als ihre Vollendung aufgefasst wird, wird die eigentümlich<br />
dialektische Verknüpfung von Theorie und Praxis, ihre wechselseitige<br />
Durchdringung, nicht akzentuiert (sie werden weitgehend als parallel<br />
und „gleichursprünglich“ behandelt; vgl. auch Anmerkung 3); dementsprechend<br />
wird das Wesen von Theorie und Praxis zwar als Subjektivität, aber<br />
kaum als Negativität gekennzeichnet. – Der Komplexität des Theorie-<br />
Praxis-Verhältnisses nicht gerecht werden die Aufsätze von W. R. Beyer:<br />
Hegels Begriff <strong>der</strong> Praxis, in: Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>, 6. Jahrgang<br />
(1958), Heft 5, und von R. Heiss: Das Verhältnis von Theorie und<br />
Praxis bei Hegel, in: Blätter <strong>für</strong> deutsche <strong>Philosophie</strong>, Bd. 9, Heft 1, Berlin<br />
1935, worin hauptsächlich nur die Vorrede zur Rechtsphilosophie mit einigen<br />
Stellen aus frühen Briefen Hegels konfrontiert wird, darunter diese<br />
Äußerung Hegels an Schelling im Jahre 1795, die auch von den Junghegelianern<br />
stammen könnte: „Mit <strong>der</strong> Verbreitung <strong>der</strong> Ideen, wie alles sein<br />
soll, wird die Indolenz <strong>der</strong> gesetzten Leute, ewig alles zu nehmen, wie es<br />
ist, verschwinden“.<br />
1 Vgl. Grundlinien <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> des Rechts, Werke, Bd. 7 (unten abgekürzt<br />
als: Rechtsphilosophie), § 4. Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 528, 533. Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte,<br />
S. 55, 62, 83. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd.<br />
15, S. 148.<br />
2 Philosophische Propädeutik, Werke, Bd. 3, I, Einleitung, 1 (unten abgekürzt<br />
als: Philosophische Propädeutik). Rechtsphilosophie, § 4, Zusatz.<br />
Enzyklopädie § 469. Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 83, 110 f.
247<br />
3 Vgl. Rechtsphilosophie, § 4, Zusatz: „Der Unterschied zwischen Denken<br />
und Willen ist nur <strong>der</strong> zwischen dem theoretischen und praktischen Verhalten,<br />
aber es sind nicht etwa zwei Vermögen, son<strong>der</strong>n <strong>der</strong> Wille ist eine<br />
beson<strong>der</strong>e Weise des Denkens: das Denken als sich übersetzend ins Dasein,<br />
als Trieb, sich Dasein zu geben.“ – Damit versucht Hegel, einerseits<br />
den rationalistischen Dualismus <strong>der</strong> Aufklärung und an<strong>der</strong>erseits die Subjekt-Objekt-Entzweiung<br />
im subjektiven Idealismus zu überwinden. – Man<br />
kann Hegels Konzeption <strong>der</strong> Subjekt-Objekt-Totalität „organisch“ nennen,<br />
wenn man sie abgrenzt von den spezifisch romantischen Organismusvorstellungen<br />
Karl Ludwig von Hallers, Adam Müllers, Friedrich Karl von Savignys<br />
und an<strong>der</strong>er. – Wie wenig M. Riedel Hegels neuartige eigentümlich<br />
dialektische Verbindung von Geist und Wille beachtet, zeigt sich daran,<br />
dass er die zitierte Äußerung <strong>der</strong> Rechtsphilosophie in eine kontinuierliche<br />
Linie bringt mit Leibnizens Bestimmung <strong>der</strong> „perceptio“ und des „appetitus“<br />
<strong>der</strong> Monade (a. a. 0., S. 142 f., 164 f.), während Hegel dagegen selbst<br />
bemängelt, dass Leibniz <strong>der</strong>en Einheit nur von außen vermittels <strong>der</strong> göttlichen<br />
prästabilierten Harmonie fasst; Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 471 f.<br />
4 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 81<br />
5 Rechtsphilosophie, § 4, Zusatz<br />
6 Ebenda. – Dementsprechend ist Praxis keine einfache Anwendung <strong>der</strong><br />
Theorie; vgl. auch Heidegger, Sein und Zeit, 8. Aufl., Tübingen 1957, S. 69:<br />
„Das ,praktische’ Verhalten ist nicht ,atheoretisch’ im Sinne <strong>der</strong> Sichtlosigkeit,<br />
und sein Unterschied gegen das theoretische Verhalten liegt nicht<br />
nur darin, dass hier betrachtet und dort gehandelt wird, und dass das<br />
Handeln, um nicht blind zu bleiben, theoretisches Erkennen anwendet,<br />
son<strong>der</strong>n das Betrachten ist so ursprünglich ein Besorgen, wie das Handeln<br />
seine Sicht hat.“ (Hierbei geht Heideggers Begriff <strong>der</strong> Sorge in <strong>der</strong> Doppelbedeutung<br />
des Etwas-besorgens und des Sich-sorgens über Augustins Begriff<br />
<strong>der</strong> „cura“ auf Platons Begriff <strong>der</strong> „epimeleia“ zurück.)<br />
7 Philosophische Propädeutik I, Einleitung, § 5; Erläuterungen zur Einleitung,<br />
§ 11. Vgl. dazu Schiller, Über die ästhetische Erziehung des Menschen,<br />
25. Brief: „Die Betrachtung (Reflektion) ist das erste liberale Verhältnis<br />
des Menschen zu dem Weltall, das ihn umgibt. Wenn die Begierde<br />
ihren Gegenstand unmittelbar ergreift, so rückt die Betrachtung den ihrigen<br />
in die Ferne, und macht ihn eben dadurch zu ihrem wahren und unverlierbaren<br />
Eigentum, dass sie ihn vor <strong>der</strong> Leidenschaft flüchtet“ (Schillers<br />
Werke, Bd. 20, Weimar 1962, S. 394).
248<br />
8 Phänomenologie, S. 87. Dies nennt Hegel das „praktische Verhalten“ <strong>der</strong><br />
Tiere. Dass die Tiere aber – im Gegensatz zu den tiefer naturintegrierten<br />
Pflanzen – sich auf Grund <strong>der</strong> höheren Weise ihrer Lebendigkeit und organischen<br />
Sensibilität auch theoretisch zur Umwelt verhalten, d. h. dass sie<br />
„begierdeloses Verhalten“ zeigen, dazu vgl.: Naturphilosophie, Werke, Bd.<br />
9, S. 579, 662.<br />
9 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 57 f. Vgl. Rechtsphilosophie, § 4, Zusatz:<br />
„Das Tier handelt nach Instinkt, wird durch ein Inneres getrieben,<br />
und ist so auch praktisch, aber es hat keinen Willen, weil es sich das nicht<br />
vorstellt, was es begehrt:“ – Zur Einschränkung des Tieres auf eine artspezifische<br />
Umwelt vgl.: Naturphilosophie, Werke, Bd. 9, S. 628 ff. – Als im<br />
Prozess zu erringende kann Freiheit also auch nicht dekretiert werden.<br />
10 Rechtsphilosophie, § 190. Realphilosophie, Bd. I, S. 237ff.; Bd. II, S. 215<br />
11 Rechtsphilosophie, § 190-195, 200, 243-248, 253 ff. Realphilosophie,<br />
Bd. II, S. 232. Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, S. 495 f. Politische<br />
Schriften, S. 17. – Es wäre ein Missverständnis anzunehmen, Hegel<br />
verstehe den von ihm konstatierten Gegensatz von Armut und Reichtum<br />
als Klassengegensatz von Proletariat und Bourgeoisie. Den Begriff <strong>der</strong><br />
Klasse, <strong>der</strong> zu definieren ist mit Bezug auf die Produktionsmittel, kennt<br />
Hegel nicht. Dementsprechend ist auch Hegels Bestimmung des „Pöbels“<br />
in <strong>der</strong> Rechtsphilosophie (§ 244) nicht gleichzusetzen mit dem Begriff des<br />
Proletariats.<br />
12 Johann Gottfried Her<strong>der</strong>: Ideen zur <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong><br />
Menschheit. Sämtliche Werke, hrsg. von B. Suphan, Bd. 13, Berlin 1887,<br />
S. 145-147. Abhandlung über den Ursprung <strong>der</strong> Sprache, Bd. 5, Berlin<br />
1891, S. 22 ff. – Dass Hegel in dieser Frage nicht explizit an Her<strong>der</strong> anknüpft,<br />
ist unerheblich angesichts <strong>der</strong> vielfältigen Wirkung Her<strong>der</strong>s. – Vgl.<br />
Schiller: Über Anmut und Würde: „Bei dem Tiere und <strong>der</strong> Pflanze gibt die<br />
Natur nicht bloß die Bestimmung an, son<strong>der</strong>n führt sie auch allein aus.<br />
Dem Menschen aber gibt sie bloß die Bestimmung, und überlässt ihm<br />
selbst die Erfüllung <strong>der</strong>selben. Dies allein macht ihn zum Menschen. Der<br />
Mensch allein hat als Person unter allen bekannten Wesen das Vorrecht,<br />
in den Ring <strong>der</strong> Notwendigkeit, <strong>der</strong> <strong>für</strong> bloße Naturwesen unzerreißbar ist,<br />
durch seinen Willen zu greifen, und eine ganz frische Reihe von Erscheinungen<br />
in sich selbst anzufangen. Der Akt, durch den er dieses wirkt,<br />
heißt vorzugsweise eine Handlung, und diejenigen seiner Verrichtungen,<br />
die aus einer solchen Handlung herfließen, ausschließungsweise, seine<br />
Taten. Er kann also, dass er Person ist, bloß durch seine Taten beweisen.“<br />
(Schillers Werke, Bd. 20, Weimar 1962, S. 272.) – Vgl. auch Kant: Idee zu
249<br />
einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher Absicht: da die Natur<br />
„dem Menschen Vernunft und darauf sich gründende Freiheit des Willens<br />
gab, so war das schon eine klare Anzeige ihrer Absicht in Ansehung seiner<br />
Ausstattung. Er sollte nämlich nun nicht durch Instinkt geleitet... sein; er<br />
sollte vielmehr alles aus sich selbst herausbringen. Die Erfindung seiner<br />
Nahrungsmittel, seiner Bedeckung, seiner äußeren Sicherheit und Verteidigung...<br />
sollten gänzlich sein eigen Werk sein.“ (Kants gesammelte Schriften,<br />
Bd. VIII, Berlin 1912, S.19.) – Bei Goethe ist <strong>der</strong> Gedanke <strong>der</strong> Selbstverwirklichung<br />
des Menschen vom „Prometheus“-Fragment bis zum<br />
„Faust“ zentral. – Fachwissenschaftlich hat die geschichtslose Umweltgebundenheit<br />
<strong>der</strong> Tiere, ihre Abhängigkeit von bestimmten Instinktauslösern<br />
und Signalen, vor allem J. v. Uexküll erforscht. Direkt o<strong>der</strong> indirekt von<br />
Her<strong>der</strong> geht auch die Anthropologie Schelers, Plessners, Portmanns, Litts,<br />
Gehlens und Rothackers aus; vgl. dazu A. Gehlen, <strong>der</strong> selbst allerdings die<br />
Anthropologie schließlich dehistorisiert, in: Der Mensch, Frankfurt 1962,<br />
S. 84; „Die philosophische Anthropologie hat seit Her<strong>der</strong> keinen Schritt<br />
vorwärts getan..“ – „Anthropologisch“ im entschieden ungeschichtlichen<br />
Sinne verfährt im übrigen die Psychoanalyse. Zu dem Versuch, sie unter<br />
geschichtlich-marxistischem Aspekt zu betrachten, vgl. H. Marcuse: Triebstruktur<br />
und Gesellschaft, Frankfurt am Main 1965; und: P. A. Baran:<br />
Marxismus und Psychoanalyse, in: Unterdrückung und Fortschritt, Frankfurt<br />
am Main 1966.<br />
13 Phänomenologie, S. 35-39<br />
14 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 57<br />
15 Phänomenologie, S. 72<br />
16 Ebenda, S. 27. Vgl.: Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 67<br />
17 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 95; vgl. S. 93<br />
18 Ebenda, S. 105. – Unverkennbar ist in dieser Hinsicht Hegels Anknüpfung<br />
an Thomas Hobbes, Bernard de Mandeville, Claude Adrian Helvetius<br />
und vor allem Adam Smith, die erwarteten, das Betreiben <strong>der</strong> Privatinteressen<br />
bewirke die allgemeine gesellschaftliche Harmonie. (Hegel kannte<br />
Vico nicht – im Unterschied zu Goethe –; dementsprechend beeinflusste<br />
ihn auch nicht direkt dessen Begriff <strong>der</strong> Vorsehung.) Auch Schelling<br />
spricht von einem Verhältnis „<strong>der</strong> Freiheit zu einer verborgenen Notwendigkeit...,<br />
kraft dessen Menschen durch ihr freies Handeln selbst, und<br />
doch wi<strong>der</strong> ihren Willen Ursache von etwas werden müssen, was sie nie<br />
gewollt, o<strong>der</strong> kraft dessen umgekehrt etwas misslingen und zuschanden
250<br />
werden muss, was sie durch Freiheit und mit Anstrengung aller ihrer Kräfte<br />
gewollt haben.“ (System des transzendentalen Idealismus, Hamburg<br />
1957, S. 263) Hierher gehört auch Kants Begriff <strong>der</strong> „ungeselligen Geselligkeit“<br />
in <strong>der</strong> Schrift „Idee zu einer allgemeinen Geschichte in weltbürgerlicher<br />
Absicht“ (1784), mit dessen Hilfe <strong>der</strong> „Antagonismus... in <strong>der</strong> Gesellschaft“<br />
und die Entwicklung <strong>der</strong> menschlichen Anlagen erklärt werden.<br />
(Kants gesammelte Schriften, Bd. VIII, Berlin 1812, S. 20 ff.) – Wie aber<br />
schon angedeutet wurde und später zu wie<strong>der</strong>holen ist, steht Hegel in seiner<br />
politischen Theorie nicht auf dem Standpunkt des Liberalismus, dem<br />
„Prinzip <strong>der</strong> Atome“.<br />
19 Rechtsphilosophie, § 119-126, 20. Enzyklopädie 505, 479. –<br />
Beachtenswert ist: indem die Glückseligkeit in diesem Hegelschen Sinne<br />
sich nicht aus <strong>der</strong> Verwirklichung des Substantiellen ergibt, son<strong>der</strong>n formell,<br />
d. h. dem Inhalt nach zufällig ist, kommt sie nicht dem nahe, was<br />
Aristoteles unter Eudaimonia versteht, son<strong>der</strong>n eher dem, was Aristoteles<br />
mit Lust, Hedone, meint: sie ist ein Akzidenz <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Vernunft.<br />
(Vgl. Nikomachische Ethik, X, 4.) - Hinsichtlich <strong>der</strong> „welthistorischen<br />
Individuen“ – wie zum Beispiel Alexan<strong>der</strong>, Cäsar, Richelieu, Napoleon<br />
– muss berücksichtigt werden, dass ihre Bestimmung als „Geschäftsträger“<br />
eines objektiven vernünftigen Prozesses ausschließt, sie undialektisch<br />
als auf sich gestellte Heroen im Sinne Carlyles, Nietzsches o<strong>der</strong><br />
Treitschkes zu verstehen.<br />
20 Phänomenologie, S. 9 ff. Vgl. hierzu auch Goethe: „Der Schein, was ist<br />
er, dem das Wesen fehlt? Das Wesen, wär’ es, wenn es nicht erschiene?“<br />
21 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 114; vgl. S. 66; Rechtsphilosophie, §<br />
124. Ferner Ästhetik, Bd. I, S. 216: „Die Handlung ist die klarste Enthüllung<br />
des Individuums, seiner Gesinnung sowohl als auch seiner Zwecke;<br />
was <strong>der</strong> Mensch im innersten Grunde ist, bringt sich erst durch sein Handeln<br />
zur Wirklichkeit...“ – Dies involviert die Einheit von Leib und Seele,<br />
gegen <strong>der</strong>en Trennung – auch in Luthers die Freiheit einseitig ins Innere<br />
verlegenden Schrift „Von <strong>der</strong> Freiheit eines Christenmenschen“ (Kritische<br />
Gesamtausgabe, Bd. 7, Weimar 1897, S. 21 ff.; vgl.: Wi<strong>der</strong> die räuberischen<br />
und mör<strong>der</strong>ischen Rotten <strong>der</strong> Bauern, ebenda, Bd. 18, Weimar<br />
1908, S. 359, wo Luther da<strong>für</strong>, dass die aufständischen Bauern sich nicht<br />
auf das Neue Testament und ursprüngliche Christentum berufen könnten,<br />
anführt: „Denn die tauffe macht nicht leyb und gut frey, son<strong>der</strong>n die seelen“)<br />
– Hegel sagt: „Es ist daher nur ideeloser, sophistischer Verstand, welcher<br />
die Unterscheidung machen kann, dass das Ding an sich die Seele,<br />
nicht berührt o<strong>der</strong> angegriffen werde, wenn <strong>der</strong> Körper misshandelt und<br />
die Existenz <strong>der</strong> Person <strong>der</strong> Gewalt eines an<strong>der</strong>en unterworfen wird.“
251<br />
(Rechtsphilosophie, § 48) – Ähnlich wie Luther setzt auch Sebastian<br />
Franck, dessen Mystik den häretischen Wie<strong>der</strong>täufern nahekommt und<br />
über Valentin Weigel auf Jakob Böhme einwirkt, das Äußere einseitig herab<br />
zugunsten des „inneren Wortes“ und „inneren Menschen“; siehe: Paradoxa,<br />
15-17, 124, 125; hrsg. v. H. Ziegler, Jena 1909, S. 34 ff., 161 f.<br />
22 Rechtsphilosophie, § 115-118<br />
23 Vgl. Ästhetik, Bd. I, S. 187 f., 211 f. Rechtsphilosophie, § 18. Philosophische<br />
Propädeutik I, Einleitung, § 9; Erläuterungen zur Einleitung, § 17.<br />
Enzyklopädie, § 504<br />
24 Phänomenologie, S. 249<br />
25 Ebenda, S. 231<br />
26 Ebenda, S. 229<br />
27 Ebenda, S. 231<br />
28 Ebenda, S. 447 f.<br />
29 Ebenda, S. 233<br />
30 Ebenda, S. 236<br />
31 Ebenda, S. 236<br />
32 Ebenda, S. 253. – Einseitig muss <strong>für</strong> Hegel deshalb auch Augustins gewisse<br />
Vorwegnahme <strong>der</strong> cartesianischen Trennung von Selbsterkenntnis<br />
und Welterkenntnis sein, die auch Husserl am Schluss seiner „Cartesianischen<br />
Meditationen“ zitiert: „Noli foras ire, in te ipsum redi; in interiore<br />
homine habitat veritas“ (De vera religione, 39, 72).<br />
33 Ästhetik, Bd. I, S. 104<br />
34 Ebenda, S. 105<br />
35 Philosophische Propädeutik I, Einleitung, § 2; Erläuterungen z. Einleitung,<br />
§ 2, 3<br />
36 Ebenda, § 8. Vgl. Rechtsphilosophie, § 4, Zusatz: im theoretischen Verhalten<br />
ist das „bunte Gemälde <strong>der</strong> Welt... vor mir: ich stehe ihm gegenüber
252<br />
und hebe bei diesem Verhalten den Gegensatz auf, mache diesen Inhalt zu<br />
dem meinigen.. Das praktische Verhalten fängt dagegen beim Denken,<br />
beim Ich selbst an...“ Vgl. Die <strong>Philosophie</strong> des Geistes, Werke, Bd.10, §<br />
443, Zusatz, S. 303. – Über das theoretische und praktische Verhältnis<br />
von Subjekt und Objekt als das Verhältnis von Ich und Nicht-Ich bei Fichte<br />
siehe: Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19,<br />
S. 624 ff.<br />
37 Enzyklopädie, § 225. Vgl. Logik, drittes Buch, zweiter Abschnitt, erstes<br />
Kapitel: Teleologie. Dritter Abschnitt, zweites Kapitel: Die Idee des Erkennens.<br />
Ästhetik, erster Teil, erstes Kapitel, 3. Die Idee des Schönen. Philosophische<br />
Propädeutik 1, Einleitung, § 3; Erläuterungen zur Einleitung, §<br />
4. Rechtsphilosophie, § 44 mit Zusatz, § 52 mit Zusatz. Naturphilosophie,<br />
Werke, Bd. 9, Einleitung, S. 34-49.<br />
38 Insbeson<strong>der</strong>e gehört das „uneigennützige Interesse“ <strong>für</strong> die „Objekte in<br />
ihrer freien Selbständigkeit“ zur theoretischen Bildung; vgl. Philosophische<br />
Propädeutik I, § 42. – Eine Einseitigkeit des (verstandesmäßigen) theoretischen<br />
Verhaltens liegt auch darin, dass es – sofessofern es das (abstrakt)<br />
Allgemeine hervorhebt – das wahrnehmbare Einzelne und Unmittelbare<br />
(auf das einseitig die Praxis <strong>der</strong> Begierde zielt) undialektisch vom Allgemeinen<br />
abtrennt und verschwinden lässt; vgl. Naturphilosophie, Werke, Bd.<br />
IX, S. 38 f.: „... durch den sich eindrängenden Gedanken verarmt <strong>der</strong><br />
Reichtum <strong>der</strong> unendlich vielgestalteten Natur, ihre Frühlinge ersterben,<br />
ihre Farbenspiele erblassen. Was in <strong>der</strong> Natur von Leben rauscht, verstummt<br />
in <strong>der</strong> Stille des Gedankens; ihre warme Fülle, die in tausendfaltig<br />
anziehenden Wun<strong>der</strong>n sich gestaltet, verdorrt in trockne Formen und zu<br />
gestaltlosen Allgemeinheiten, die einem trüben nördlichen Nebel gleichen.“<br />
39 Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen zur Einleitung, § 4: „Es<br />
kann etwas Gegenstand <strong>für</strong> unsere Wahrnehmung sein, ohne dass wir<br />
deswegen ein Bewusstsein davon haben, wenn wir unsere Tätigkeit nicht<br />
darauf richten. Diese Tätigkeit im Empfangen ist die Aufmerksamkeit“.<br />
Vgl. Enzyklopädie, § 445, 448<br />
40 Vgl. Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen zur Einleitung, § 7.<br />
Die <strong>Philosophie</strong> des Geistes, Werke, Bd. 10, § 444; Zusatz, S. 305: „In<br />
Wahrheit ist... <strong>der</strong> theoretische Geist nicht ein bloß passives Aufnehmen<br />
eines An<strong>der</strong>en, eines gegebenen Objekts, son<strong>der</strong>n zeigt sich als aktiv dadurch,<br />
dass er den an sich vernünftigen Inhalt des Gegenstandes aus <strong>der</strong><br />
Form <strong>der</strong> Äußerlichkeit und Einzelheit in die Form <strong>der</strong> Vernunft erhebt.“
253<br />
41 Enzyklopädie § 163-193, 223-232, 445-468. Philosophische Propädeutik<br />
I, Erläuterungen zur Einleitung, § 1-6<br />
42 Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen zur Einleitung, § 5. Vgl.<br />
Enzyklopädie, § 459<br />
43 Vgl. zum Beispiel: Enzyklopädie, § 38<br />
44 Phänomenologie, S. 191 ff.<br />
45 Vgl. dazu außer Enzyklopädie, § 227-231 und 115 auch: Vorlesungen<br />
über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Einleitung, Werke, Bd. 17, S. 52-56<br />
und S. 70: „Das sinnliche Bewusstsein ist freilich überhaupt konkreter,<br />
und wenn auch das ärmste an Gedanken, doch das reichste an Inhalt. Wir<br />
müssen also das natürliche Konkrete vom Konkreten des Gedankens unterscheiden,<br />
welches seinerseits wie<strong>der</strong> arm an Sinnlichkeit ist.“ Dass „alles<br />
Wahrhaftige des Geistes sowohl als <strong>der</strong> Natur... in sich konkret“ ist (Ästhetik,<br />
Bd. I, S. 78), ist die Erkenntnis auf dem Standpunkt des absoluten<br />
spekulativen Denkens. – Zum Gegensatz des Abstrakten und Konkretes<br />
vgl. Marx: Zur Kritik <strong>der</strong> politischen Ökonomie, Einleitung (1857); Karl<br />
Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 13, Berlin 1861, S. 631-639.<br />
46 Enzyklopädie, § 167; vgl. § 214<br />
47 Ästhetik, Bd. I, S. 141: „Den rein theoretischen Prozess verrichten die<br />
Sinnesorgane des Gesichts und Gehörs; was wir sehen, was wir hören,<br />
lassen wir, wie es ist. Die Organe des Geruchs und Geschmacks dagegen<br />
gehören schon dem Beginne des praktischen Verhältnisses an. Denn zu<br />
riechen ist nur dasjenige, was schon im Sichverzehren begriffen ist, und<br />
schmecken können wir nur, indem wir zerstören.“ Vgl. auch Bd. II, S. 112;<br />
und: Naturphilosophie, Werke, Bd. 9, S. 300 f. (Zum Zusammenhang zwischen<br />
praktischer Naturaneignung und Organausstattung vgl. Ästhetik,<br />
Bd. II, S. 111 ff.) – Nur die beiden theoretischen Sinne des Gesichts und<br />
Gehörs beziehen sich auf die Kunstgegenstände als Einheit des – schon<br />
ideellen – Sinnlichen und Geistigen; vgl. Ästhetik, Bd. I; S. 48; und Schiller:<br />
Über die ästhetische Erziehung des Menschen, 26. Brief. – Bemerkenswert<br />
ist Hegels Charakterisierung <strong>der</strong> drei Zustände <strong>der</strong> Kunst – <strong>der</strong><br />
idyllischen, <strong>der</strong> heroischen und <strong>der</strong> bürgerlichen – in Hinblick auf die Art<br />
<strong>der</strong> Aneignung <strong>der</strong> Dinge durch die menschliche Tätigkeit und den Grad<br />
<strong>der</strong> Beseitigung <strong>der</strong> Bedürftigkeit, <strong>der</strong> „Abhängigkeit von <strong>der</strong> Prosa des Lebens“;<br />
vgl. Ästhetik, Bd. I, S. 251-258. – Zu Hegels Bestimmung <strong>der</strong> praktischen<br />
Aneignung im Zusammenhang mit <strong>der</strong> Ableitung des Privateigentums<br />
– dessen Verteilung im übrigen als zufällig und vernunftlos angese-
254<br />
hen wird – aus dem Wesen <strong>der</strong> Persönlichkeit (nicht aus den Bedürfnissen),<br />
und zwar als das „Dasein <strong>der</strong> Persönlichkeit“ und das erste Dasein<br />
<strong>der</strong> Freiheit“, vgl.: Rechtsphilosophie, § 44 ff.<br />
48 Enzyklopädie, § 471 f.<br />
49 Phänomenologie, S. 224. Vgl. Enzyklopädie,471, 445, 387. Vorlesungen<br />
über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 15, S. 144<br />
50 Enzyklopädie, § 225<br />
51 Ebenda, § 204<br />
52 Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 56<br />
53 Ästhetik, Bd. I, S. 106 f.<br />
54 Ebenda, S. 117-121, 48. Vgl. Naturphilosophie, Werke, Bd. IX, S. 45 f.:<br />
„Der unbefangene Geist, wenn er lebendig die Natur anschaut, wie wir dies<br />
häufig bei Goethe auf eine sinnige Weise geltend gemacht finden, so fühlt<br />
er das Leben und den allgemeinen Zusammenhang in <strong>der</strong>selben; er ahnt<br />
das Universum als ein organisches Ganzes und eine vernünftige Totalität,<br />
ebenso als er im einzelnen Lebendigen eine innige Einheit in ihm selbst<br />
empfindet.“<br />
55 Ästhetik, Bd. I, S. 117. Vgl. Realphilosophie, Bd. II, S. 265: „Die Schönheit<br />
ist viel mehr <strong>der</strong> Schleier, <strong>der</strong> die Wahrheit bedeckt, als die Darstellung<br />
<strong>der</strong>selben.“<br />
56 Logik, Bd. II, S. 391: „Die mechanische o<strong>der</strong> chemische Technik bietet<br />
sich also durch ihren Charakter, äußerlich bestimmt zu sein, von selbst<br />
<strong>der</strong> Zwecksetzung dar...“<br />
57 Ebenda, S. 390: „Der Zweck hat sich als das Dritte zum Mechanismus<br />
und Chemismus ergeben; er ist ihre Wahrheit.“<br />
58 Vgl. zum Beispiel: Holbach: System <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> Von den Gesetzen<br />
<strong>der</strong> physischen und <strong>der</strong> moralischen Welt, Berlin 1960, S. 145 f.: „Wenn<br />
wir die Erfahrung zu Rate ziehen, werden wir finden, dass unsere Seelen<br />
denselben physischen Gesetzen unterworfen sind wie die materiellen Körper.“
255<br />
59 Vgl. Rechtsphilosophie, § 15, Zusatz: „In <strong>der</strong> Willkür ist das Enthalten,<br />
dass <strong>der</strong> Inhalt nicht durch die Natur meines Willens bestimmt ist <strong>der</strong><br />
Meinige zu sein, son<strong>der</strong>n durch Zufälligkeit:: ich bin also ebenso abhängig<br />
von diesem Inhalt, und dies ist <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> Willkür liegt.<br />
Der gewöhnliche Mensch glaubt frei zu sein, wenn ihm willkürlich zu handeln<br />
erlaubt ist, aber gerade in <strong>der</strong> Willkür liegt, dass er nicht frei ist.“<br />
60 Logik, Bd. II, S. 393.<br />
61 Ästhetik, Bd. I, S. 105. Diese gewisse Vergeblichkeit betrifft auch die Sexualität.<br />
– Vgl. in diesem Zusammenhang Hegels mit Platon übereinstimmende<br />
Deutung des Prometheus nicht als sittlich politische Macht, son<strong>der</strong>n<br />
als „Naturmacht“ und „Wohltäter <strong>der</strong> Menschen, indem er sie die ersten<br />
Künste gelehrt hat“, das heißt „Geschicklichkeiten, welche die Befriedigung<br />
natürlicher Bedürfnisse angehen. In <strong>der</strong> bloßen Befriedigung dieser<br />
Bedürfnisse ist nie eine Sättigung, son<strong>der</strong>n das Bedürfnis wächst immer<br />
fort und die Sorge ist immer neu – das ist durch jenen Mythus angedeutet“<br />
(Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 107; vgl.<br />
Ästhetik, Bd. I, S. 444 ff., 450).<br />
62 Logik, Bd. II, S. 398. Schon in den Jenenser Vorlesungen heißt es: „Das<br />
Wekzeug ist die existierende vernünftige Mitte, existierende Allgemeinheit<br />
des praktischen Prozesses; es erscheint auf <strong>der</strong> Seite des Tätigen gegen<br />
das Passive, ist selbst passiv nach <strong>der</strong> Seite des Arbeitenden und tätig gegen<br />
das Bearbeitete. Es ist das, worin das Arbeiten sein Bleiben hat... es<br />
pflanzt sich in Traditionen fort...“ (Realphilosophie, Bd. I, S. 221; vgl. Bd.<br />
II, S. 198. Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie, S. 422). – Hegels<br />
erste feststellbare Beschäftigung mit ökonomischen Problemen <strong>der</strong> Arbeit<br />
datiert aus seiner Frankfurter Periode (1797-1800) und besteht unter an<strong>der</strong>em<br />
in <strong>der</strong> Kommentierung von James Denham Steuarts „Inquiry into<br />
the principles of political economy“, <strong>der</strong>en Manuskripte verloren gegangen<br />
sind; vgl. darüber: K. Rosenkranz: Hegels Leben, Berlin 184, S. 86; G. Lukács,<br />
Der junge Hegel, Berlin 1954, S. 211 ff.; P. Chamley, Économie politique<br />
et philosophique chez Steuart et Hegel, Paris 1963.<br />
63 Logik, Bd. II, S. 398. Vgl. Enzyklopädie, § 209. Naturphilosophie, Werke,<br />
Bd. IX, S. 35 f. Realphilosophie, Bd. II, S. 198 f.: „Ich habe die List zwischen<br />
mich und die äußere Dingheit hineingestellt, mich zu schonen, und<br />
meine Bestimmtheit damit zu bedecken und es sich abnutzen zu lassen...<br />
Es ist in das Werkzeug auch eigne Tätigkeit zu legen, es zu einem selbsttätigen<br />
zu machen. Dies geschieht so, ...dass die eigne Tätigkeit <strong>der</strong> Natur,<br />
Elastizität <strong>der</strong> Uhrfe<strong>der</strong>, Wasser, Wind angewendet wird, um in ihrem<br />
sinnlichen Dasein etwas ganz an<strong>der</strong>es zu tun, als sie tun wollten, dass ihr
256<br />
blindes Tun zu einem zweckmäßigen gemacht wird... Es ist die Ehre <strong>der</strong><br />
List gegen die Macht, die blinde Macht an einer Seite anzufassen, dass sie<br />
sich gegen sich selbst richtet... Wind, mächtiger Strom, mächtiges Weltmeer,<br />
bezwungen, geackert. Keine Komplimente mit ihm zu machen – elende<br />
Empfindsamkeit, die sich an Einzelnes hält.“ Marx bezieht sich explizit<br />
auf diese Erkenntnis Hegels im „Kapital“, Bd. I, Karl Marx/Friedrich<br />
Engels, Werke, Bd. 23, S. 194<br />
64 Logik, Bd. II, S. 394: „Der Zweck schließt sich durch ein Mittel mit <strong>der</strong><br />
Objektivität und in dieser mit sich selbst zusammen. Das Mittel ist die<br />
Mitte des Schlusses.“ - Vgl. auch mit Bezug auf das handelnde Individuum<br />
im Drama: „In dieser Weise tritt die Handlung als Handlung auf, als wirkliches<br />
Ausführen innerer Absichten und Zwecke, mit <strong>der</strong>en Realität sich das<br />
Subjekt als mit sich selbst zusammenschließt und darin sich selber will<br />
und genießt und nun auch mit seinem ganzen Selbst <strong>für</strong> das, was aus<br />
demselben ins äußere Dasein übergeht, einstehen muss.“ (Ästhetik, Bd. II,<br />
S. 516)<br />
65 Vgl. Lenins materialistische Umdeutung in seinen Kommentaren zu den<br />
entsprechenden Abschnitten <strong>der</strong> Hegelschen Logik in: Philosophische Hefte,<br />
Werke, Bd. 38, Berlin 1964, S. 177-181, 202-211; S. 207 f.: „Für Hegel<br />
ist das Handeln, die Praxis, ein logischer ,Schluss‘, eine Figur <strong>der</strong> Logik.<br />
Und das ist wahr! Natürlich nicht in dem Sinne, dass die Figur <strong>der</strong> Logik<br />
ihr An<strong>der</strong>ssein in <strong>der</strong> Praxis des Menschen hätte (=absoluter Idealismus),<br />
son<strong>der</strong>n vice versa: die Praxis des Menschen, milliardenmal wie<strong>der</strong>holt,<br />
prägt sich dem Bewusstsein des Menschen als Figuren <strong>der</strong> Logik ein. Diese<br />
Figuren haben die Festigkeit eines Vorurteils, ihren axiomatischen Charakter<br />
gerade (und nur) kraft dieser milliardenfachen Wie<strong>der</strong>holung.“<br />
66 Vgl. Descartes: Abhandlung über die Methode, Hamburg 1957, S. 51.<br />
Bacon: Novum Organon; The Works of Francis Bacon, London 1825, Bd.<br />
XIV, S. 31. Vico: Die neue Wissenschaft, München 1924, S. 125. – In <strong>der</strong><br />
chinesischen <strong>Philosophie</strong> wird <strong>der</strong> Zusammenhang zwischen Wissen und<br />
praktischer Anwendung hervor gehoben von Mo Di, dem radikalen Sozialreformer<br />
und Gegner des Konfuzius, sowie in <strong>der</strong> Neuzeit von Wee Jüän<br />
und Dshang Ssüä-tschöng.<br />
67 Vgl. vor allem: Nikomachische Ethik, VI, 3-5; 8. Zu dem Übergang vom<br />
praktisch-klugen Wissen zum Herrschaftswissen und zur Machttechnik<br />
bei Macchiavelli, Morus und Hobbes siehe: H. Arendt: Vita activa, Stuttgart<br />
1960; und J. Habermas: Theorie und Praxis, Neuwied am Rhein und<br />
Berlin 1963, S. 13 ff.
257<br />
68 Vgl. dazu H. Kuhn: Wissenschaft <strong>der</strong> Praxis und praktische Wissenschaft,<br />
in: Festschrift <strong>für</strong> Freiherr von Gebsattel, Stuttgart 1963. Derselbe:<br />
„Prohairesis“ in <strong>der</strong> Nikomachischen Ethik, in: Das Sein und das Gute,<br />
München 1962.<br />
69 Phänomenologie, S. 257. Vgl. Realphilosophie, Bd. I, S. 238: „Es tritt<br />
zwischen den Umfang <strong>der</strong> Bedürfnisse des Einzelnen und seine Tätigkeit<br />
da<strong>für</strong> die Arbeit des ganzen Volkes ein, und die Arbeit eines Jeden ist in<br />
Ansehung ihres Inhalts eine allgemeine <strong>für</strong> die Bedürfnisse aller, sowie <strong>für</strong><br />
die Angemessenheit zur Befriedigung aller seiner Bedürfnisse, d. h. sie hat<br />
einen Wert...“ Rechtsphilosophie, § 184: „Meinen Zweck beför<strong>der</strong>nd, beför<strong>der</strong>e<br />
ich das Allgemeine, und dieses beför<strong>der</strong>t wie<strong>der</strong>um meinen Zweck.“<br />
Vgl. Rechtsphilosophie, § 199.<br />
70 Phänomenologie, S. 139 (im Original gesperrt). Dass zu einem „bestimmten<br />
Selbstgefühl“ auch die Tiere kommen, dazu vgl.: Naturphilosophie,<br />
Werke, Bd. IX, S. 664 f. - Zu beachten ist, dass innerhalb <strong>der</strong> Religion <strong>für</strong><br />
Hegel die Herr-Knecht-Dialektik in <strong>der</strong> jüdischen „Religion <strong>der</strong> Erhabenheit“<br />
zu finden ist; vgl. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion,<br />
Werke, Bd. 16, S. 79 ff. – Ein Versuch, in Anlehnung an Hegels Herr-<br />
Knecht-Analyse die Odyssee zu interpretieren, findet sich bei Horkheimer<br />
und Adorno, in: Dialektik <strong>der</strong> Aufklärung, Amsterdam 1947.<br />
71 Enzyklopädie, § 431 f.<br />
72 Enzyklopädie, § 433. Vgl. Rechtsphilosophie, § 93, Zusatz: „Im Staat<br />
kann es keine Heroen mehr geben...“ und damit auch keinen „Zwang <strong>der</strong><br />
Heroen“ und kein „Herrenrecht“; es kann nur noch geben die Herrschaft<br />
des Rechts und des Gesetzes, das „Schiboleth“, an dem sich die Geister<br />
scheiden; Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 29; § 258, Anmerkung. (Vgl. auch<br />
Fichtes Ablehnung des „bellum omnium contra omnes“ z. B. in: Der geschlossene<br />
Handelsstaat, Sämtliche Werke, Bd. 3, Berlin 1845, S. 447.) An<br />
dieser Stelle greift Hegel schonungslos die Auffassung K. L. von Hallers in<br />
dessen „Restauration <strong>der</strong> Staatswissenschaft“ (1816) an, dass im Staat<br />
nicht Gesetz und Vernunft, son<strong>der</strong>n die Naturgewalt und „die Herrschaft<br />
des Mächtigern ewige Ordnung Gottes sei, die Ordnung, nach welcher <strong>der</strong><br />
Geier das unschuldige Lamm zerfleischt.“ Damit nimmt Hegel indirekt<br />
auch Stellung gegen die späteren Vorstellungen <strong>der</strong> Sozialdarwinisten wie<br />
Gumplowicz, Ratzenhofer, Woltmann, Ammon u. a., die die biologischen<br />
Gesetze <strong>der</strong> natürlichen Auslese, des „struggle for life“ und des „survival of<br />
the fittest“, per analogiam auf die menschlichen Handlungen in <strong>der</strong> Gesellschaft<br />
übertragen, und die sich in ihrem Biologismus kreuzen mit den<br />
Rassentheorien Gobineaus und H. St. Chamberlains, aber auch mit
258<br />
Spenglers – die Einheitlichkeit und (diskontinuierliche) Kontinuität <strong>der</strong><br />
Weltgeschichte verleugnen<strong>der</strong> – Zyklentheorie, <strong>der</strong>en Praxisauffassung gekennzeichnet<br />
ist durch Fatalismus o<strong>der</strong> militant-aggressiven Aktivismus.<br />
Dementsprechend ist zum Beispiel <strong>für</strong> Chamberlain ähnlich wie <strong>für</strong> die<br />
Pragmatisten <strong>der</strong> Wert <strong>der</strong> wissenschaftlichen und philosophischen Theorie<br />
„nicht ihr Wahrheitsgehalt – ist dieser doch lediglich symbolisch – son<strong>der</strong>n<br />
ihre methodische Brauchbarkeit in <strong>der</strong> Praxis und ihre bildende Bedeutung<br />
<strong>für</strong> die Phantasie und den Charakter“; H. St. Chamberlain, Kant,<br />
München 1909, S. 751. Vgl. auch in diesem Zusammenhang die Konstruktion<br />
des Kampfes zwischen „Freund und Feind“ bei C. Schmitt in: Der Begriff<br />
des Politischen, München-Leipzig 1932.<br />
73 Vgl. Aristoteles, Politik, I, 2, 7. – Auffällig ist, dass Hegel in <strong>der</strong> Herr-<br />
Knecht-Analyse nach <strong>der</strong> Unterwerfung die Kollaboration zugrunde legt<br />
und Akte <strong>der</strong> Revolte des Knechts gegen seine Kondition <strong>der</strong> totalen Entselbstung<br />
und Selbstverleugnung übergeht. Das erscheint aber insofern<br />
konsequent, als das Resultat einer erfolgreichen Auflehnung in diesem von<br />
Hegel analysiertem Stadium nur die Umkehrung des Herrschaftsverhältnisses<br />
sein konnte. Aber in <strong>der</strong> Gegenwart <strong>der</strong> Überwindung des Naturzustandes<br />
bedeutet <strong>für</strong> Hegel das Nichtaufbegehren gegen die Sklaverei den<br />
Verlust <strong>der</strong> Menschlichkeit: „Aber dass jemand Sklave ist, liegt in seinem<br />
eigenen Willen, so wie es im Willen eines Volkes liegt, wenn es unterjocht<br />
wird. Es ist somit nicht bloß ein Unrecht <strong>der</strong>er, welche Sklaven machen,<br />
o<strong>der</strong> welche unterjochen, son<strong>der</strong>n. <strong>der</strong> Sklaven und Unterjochten selbst.“<br />
(Rechtsphilosophie, § 57, Zusatz)<br />
74 Ästhetik, Bd. II, S. 423: „... in Europa ist jetzt jedes Volk von dem an<strong>der</strong>en<br />
beschränkt und darf von sich aus keinen Krieg mit einer an<strong>der</strong>en europäischen<br />
Nation anfangen; will man jetzt über Europa hinausschicken,<br />
so kann es nur nach Amerika sein.“<br />
75 Rechtsphilosophie, § 324, 330-340, 33 mit Zusatz. Realphilosophie, Bd.<br />
II, S. 266. Philosophische Propädeutik I, § 31. – Zu berücksichtigen ist <strong>der</strong><br />
Zusammenhang zwischen <strong>der</strong> Darlegung Hegels über den Krieg und <strong>der</strong><br />
tatsächlichen Funktion des Krieges in <strong>der</strong> Ära nach <strong>der</strong> französischen Revolution.<br />
76 Phänomenologie, S. 146 f. – Der Unterschied in <strong>der</strong> Verdinglichung o<strong>der</strong><br />
Entäußerung zwischen einem Sklaven in <strong>der</strong> Antike und „dem heutigen<br />
Gesinde, o<strong>der</strong> einem Tagelöhner“ liegt, wie Hegel in <strong>der</strong> Rechtsphilosophie,<br />
§ 67 mit Zusatz, ausführt, nur in dem Umfang <strong>der</strong> Tätigkeit und in <strong>der</strong><br />
Menge <strong>der</strong> Zeit, worin <strong>der</strong> Herr über den Beherrschten verfügt.
77 Phänomenologie, S. 147<br />
259<br />
78 Vgl. zu dem Verhältnis von Erarbeitung des Notwendigen, Muße (Scholé),<br />
Wissenschaft, Kunst und <strong>Philosophie</strong>, auch Krieg und Frieden: Politik,<br />
VIII, 15; Metaphysik I, 1; Nikomachische Ethik, X, 7. – Auch <strong>für</strong> das Entstehen<br />
<strong>der</strong> Kunst muss, wie Hegel sagt, „die Not des Lebens beseitigt sein“;<br />
Ästhetik, Bd. I, S. 252. Allgemein heißt es in den Vorlesungen über die<br />
<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte: die Sklaverei „war notwendige Bedingung einer<br />
schönen Demokratie... Die Gleichheit <strong>der</strong> Bürger brachte das Ausgeschlossensein<br />
<strong>der</strong> Sklaven mit sich“; Werke, Bd. 11, S. 332; vgl. Die Vernunft in<br />
<strong>der</strong> Geschichte, S. 62. Das „Bedürfnis <strong>der</strong> Bedürfnislosigkeit“ bezeichnet<br />
Hegel mit direktem Bezug auf Aristoteles als Voraussetzung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
in <strong>der</strong> Vorrede zur zweiten Ausgabe <strong>der</strong> Logik, Bd. I, S. 12. Hervorzuheben<br />
ist: Hegel hält nicht wie Nietzsche auf Grund eines Analogieschlusses<br />
Sklaverei <strong>für</strong> die notwendige Bedingung auch <strong>der</strong> gegenwärtigen Kultur.<br />
– Erst keimhaft ist die Scheidung von Theorie und Praxis in Griechenland<br />
bei den Sieben Weisen; wie denn auch das Wort „sophós“ ursprünglich<br />
noch das praktische Können mitumfasst, so dass man sowohl von einem<br />
„weisen“ Dichter, <strong>der</strong> die Taten <strong>der</strong> Helden besingt, als auch von einem<br />
„weisen“ Wagenlenker sprechen kann, bevor die theoretische und<br />
praktische Lebensweise gegeneinan<strong>der</strong> ausgespielt werden, zum Beispiel in<br />
Euripides’ Tragödie „Antiope“ in Gestalt <strong>der</strong> Brü<strong>der</strong> Amphion und Zethos,<br />
worauf sich Platon im „Gorgias“ stützt; siehe dazu Bruno Snell: Theorie<br />
und Praxis im Denken des Abendlandes, Hamburg 1951, S. 11 ff.<br />
79 Phänomenologie, S. 148. Vgl. Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen<br />
zur Einleitung, § 23: „Ursprünglich folgt <strong>der</strong> Mensch seinen natürlichen<br />
Neigungen ohne Überlegung... In diesem Zustand muss er gehorchen<br />
lernen, weil sein Wille noch nicht <strong>der</strong> vernünftige ist. Durch dies Gehorchen<br />
kommt das Negative zu Stande, dass er auf die sinnliche Begierde<br />
Verzicht tun lernt und nur durch diesen Gehorsam gelangt <strong>der</strong> Mensch<br />
zur Selbständigkeit.“ (Vgl. Philosophische Propädeutik II, § 36) - Vgl. auch<br />
über die „existentielle Klemme“ des Herrn: A. Kojève, Introduction à la lecture<br />
de Hegel, Paris 1947, S. 55. Für Kojève ist aber im übrigen die Hegelsche<br />
Dialektik, die Negativität, nur <strong>der</strong> subjektiven menschlichen Existenz,<br />
nicht auch <strong>der</strong> objektiven Welt immanent (S. 487). – Auch Di<strong>der</strong>ot stellt in<br />
seinem vielschichtigen Roman „Jacque le fataliste“ den Diener so dar, dass<br />
er ohne den Herrn auskommen könnte. Offensichtlich, wenn auch verschiedenartig,<br />
ist die Überlegenheit des Sancho Pansa über Don Quichotte<br />
sowie des Knechts in Brechts „Herr Puntila und sein Knecht Matti“; hoffnungslos<br />
scheint dagegen in Becketts „Endspiel“ nicht nur die Lage des<br />
Herrn „Hamm“, son<strong>der</strong>n auch des Knechts „Clov“.
80 Phänomenologie, S. 355 ff.<br />
260<br />
81 Vgl. Phänomenologie, Vorrede, S. 29: „Aber nicht das Leben, das sich<br />
vor dem Tode scheut und vor <strong>der</strong> Verwüstung rein bewahrt, son<strong>der</strong>n das<br />
ihn erträgt und in ihm sich erhält, ist das Leben des Geistes.“ (Vgl. dazu R.<br />
Garaudy: Gott ist tot, Frankfurt a. M. 1965, S. 111 ff.)<br />
82 Phänomenologie, S. 149. – Dass <strong>der</strong> Arbeitende durch seine Tätigkeit die<br />
natürlichen Dinge und seine Umgebung „vermenschlicht“, dazu vergleiche:<br />
Ästhetik, Bd. I, S. 252.<br />
83 Phänomenologie, S. 149<br />
84 Rechtsphilosophie, § 189-198<br />
85 Phänomenologie, S. 140<br />
86 Philosophische Propädeutik II, § 35: „Der Herr hingegen schaut im Dienenden<br />
das an<strong>der</strong>e Ich als ein aufgehobenes und seinen einzelnen Willen<br />
als erhalten an. (Geschichte Robinsons und Freitags.)“<br />
87 Goethe: Briefwechsel mit Schiller, Leipzig 1955, S. 62. – Diese Stelle<br />
wird von Feuerbach angeführt gegen die Möglichkeit <strong>der</strong> Inkarnation <strong>der</strong><br />
menschlichen Gattung in einem einzigen Individuum, in: Zur Kritik <strong>der</strong><br />
Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, Hallische Jahrbücher, 1839, S. 1660.<br />
88 Rechtsphilosophie, § 5, Zusatz.<br />
89 Rechtsphilosophie, § 5. Vgl. Philosophische Propädeutik I, § 6, 7, 11;<br />
Erläuterungen zur Einleitung, § 12, 13, 19. Vorlesungen über die Geschichte<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 552 f. Phänomenologie, Die<br />
absolute Freiheit und <strong>der</strong> Schrecken, S. 418: „Kein positives Werk noch<br />
Tat kann also die allgemeine Freiheit hervorbringen; es bleibt ihr nur das<br />
negative Tun ; sie ist nur die Furie des Verschwindens.“ Vgl. Hegels Brief<br />
an Schelling schon 1794, in: K. Rosenkranz, Hegels Leben, Berlin 1844, S.<br />
66. – Dass die Motivationen des Willens <strong>der</strong> Jakobiner aber in <strong>der</strong> Tat<br />
nicht rein, allgemein und interesselos waren, dass die Jakobiner keine Revolution<br />
ohne bestimmte Ziele und keine Protestbewegung ohne bestimmten<br />
Fortschritt machten, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. –<br />
Später wird die negative individualistische Freiheit von Marx in sozialer<br />
Hinsicht als kleinbürgerlich gekennzeichnet. – Mit <strong>der</strong> Kritik an <strong>der</strong> rein<br />
negativen Freiheit, die die Objektivität ignoriert – so als könnte eine Handlung<br />
je<strong>der</strong>zeit einen absoluten Anfang machen –, ist indirekt auch kritisiert
261<br />
Kierkegaards Auffassung <strong>der</strong> Praxis als absolute Interessiertheit und Leidenschaftlichkeit<br />
<strong>der</strong> Existenz (die von <strong>der</strong> – nur relativen – Theorie durch<br />
einen Abgrund geschieden ist) sowie <strong>der</strong> Existentialismus des jüngeren J.<br />
P. Sartre – etwa bis zum Bruch mit Camus 1952 –, demgemäß <strong>für</strong> die<br />
Handlung nur erfor<strong>der</strong>lich ist die „Entschlossenheit“ des einzelnen Menschen<br />
bei dem „projet“ und <strong>der</strong> „Erfindung <strong>der</strong> eigenen Person“. Dass die<br />
(gnostische) abstrakt-totale Negation <strong>der</strong> Objektivität, des Ansichseienden,<br />
<strong>der</strong> „Mauern“, einen Verzicht auf jede bestimmte Verän<strong>der</strong>ungen anzielende<br />
Praxis beinhaltet, darüber vgl.: W. F. Haug, Jean-Paul Sartre und die<br />
Konstruktion des Absurden, Frankfurt a. M. 1966. – Vgl. zur Problematik<br />
<strong>der</strong> französischen Revolution auch den Text des achten Abschnittes.<br />
90 Rechtsphilosophie, § 11<br />
91 Ebenda, § 6. Vgl. auch z.B. Ästhetik, Bd. I, S. 72 f. In <strong>der</strong> gleichen Weise<br />
– nur umgekehrt – tritt in <strong>der</strong> Jacobischen <strong>Philosophie</strong> das eine zum an<strong>der</strong>en<br />
hinzu: „Ob nach dem Jakobinischen Dogmatismus das Objektive, das<br />
Gegebene als das Erste genannt wird, zu welchem <strong>der</strong> Begriff später hinzukommt:<br />
o<strong>der</strong> ob Fichte das leere Wissen, Ich, zum Ersten macht, dessen<br />
Wesen dasselbe mit dem leeren Verstand des analysierenden Wissens,<br />
nämlich eine Identität ist, <strong>für</strong> welche bei Fichte die ihm fremde, aus ihm<br />
nicht zu begreifende Bestimmtheit als das Spätere erscheint, – macht in<br />
<strong>der</strong> Sache nicht den mindesten Unterschied.“ (Glauben und Wissen, Werke,<br />
Bd. I, S. 396.)<br />
92 Glauben und Wissen, Werke, Bd. I, S. 426. (Als literarisches Beispiel<br />
könnte die Gestalt des Pastors Man<strong>der</strong>s in Ibsens „Gespenster“ dienen.)<br />
Vgl. Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, Werke,<br />
Bd. I, S. 465: „Aber das Wesen des reinen Willens und <strong>der</strong> reinen praktischen<br />
Vernunft ist, dass von allem Inhalt abstrahiert sei; und also ist es<br />
an sich wi<strong>der</strong>sprechend, eine Sittengesetzgebung (da sie einen Inhalt haben<br />
müsste) bei dieser absoluten praktischen Vernunft zu suchen, da ihr<br />
Wesen darin besteht, keinen Inhalt zu haben.“ – Da das universelle Gute<br />
und Wahre undifferenziert und unwirklich sind – auch in sozialer Hinsicht<br />
muss ein Appell an sie einen utopischen Charakter haben. Damit sei ein<br />
gewisser Zusammenhang angedeutet zwischen den utopischen Sozialisten<br />
wie Saint-Simon und Fourier einerseits und <strong>der</strong> Kantischen und Fichteschen<br />
Ethik an<strong>der</strong>erseits.<br />
93 Enzyklopädie, § 60<br />
94 Phänomenologie, S. 428. Vgl. Glauben und Wissen, Werke, Bd. I, S. 416:<br />
„Die übersinnliche Welt ist nur die Flucht aus <strong>der</strong> sinnlichen. Ist nichts
262<br />
mehr, vor welchem geflohen wird, so ist die Flucht und Freiheit und übersinnliche<br />
Welt nicht mehr gesetzt, und diese empirische Realität ist so sehr<br />
an sich als Ich.“<br />
95 Vgl. die Äußerung Rosenkranz’, des Anhängers des liberalen Zentrums<br />
des Hegelianismus, über Hegels jetzt nicht mehr erhaltene Manuskripte<br />
aus <strong>der</strong> Frankfurter Zeit: „Er protestierte gegen die Unterdrückung <strong>der</strong> Natur<br />
bei Kant und gegen die Zerstückelung des Menschen in die durch den<br />
Absolutismus des Pflichtbegriffs entstehende Kasuistik.“ (Hegels Leben,<br />
Berlin 1844, S. 87.) – Vgl. das Konzept zum „Geist des Christentums und<br />
sein Schicksal“: „Durch die Gesinnung ist nur das objektive Gesetz aufgehoben,<br />
aber nicht die objektive Welt; <strong>der</strong> Mensch steht einzeln und die<br />
Welt.“ (Nohl, S. 390)<br />
96 Phänomenologie, S. 276 f.<br />
97 Nohl, S. 396<br />
98 Phänomenologie, S. 278-282<br />
99 Ebenda, S. 281. Vgl. Ästhetik, Bd. I, S. 180: „Die wahre Selbständigkeit<br />
besteht allein in <strong>der</strong> Einheit und Durchdringung <strong>der</strong> Individualität und<br />
Allgemeinheit...“<br />
100 Leonardo da Vinci: Tagebücher und Aufzeichnungen, Leipzig, 1952, S.<br />
709. Vgl. Philosophische Tagebücher, Hamburg 1958, S. 40 f.; ebenda: „La<br />
scienzia è il capitano e la pratica sono i soldati.“ („Die Wissenschaft ist <strong>der</strong><br />
Kapitän und die Praxis, das sind die Soldaten.“) – Für die Reihe <strong>der</strong> irrationalistischen<br />
Repräsentanten <strong>der</strong> deutschen „verspäteten Nation“, die<br />
nach langer Hin<strong>der</strong>ung am gesellschaftlichen Aufstieg sich nicht mehr mit<br />
den Reservaten „machtgeschützter Innerlichkeit“ (Thomas Mann: Adel des<br />
Geistes, Stockholm 1945, S. 463) begnügen, son<strong>der</strong>n durch tatkräftigen<br />
Schwung und „idealistischen“ Aktivismus ihren politisch-gesellschaftlichen<br />
Führungsanspruch durchsetzen wollten – etwa durch eine „konservative<br />
Revolution“ o<strong>der</strong> eine „Revolution von rechts“ (Freyer) – und die auftraten<br />
gegen Vermassung, Technik, Zivilisation, Industrialisierung, Verstädterung,<br />
„Plutokratie“, „Mammonismus“, Seelenlosigkeit und westliche Demokratie,<br />
und zwar im Namen <strong>der</strong> Kultur, <strong>der</strong> organischen Gemeinschaft,<br />
des Bündischen, Stammlichen, Völkischen o<strong>der</strong> Rassischen, <strong>der</strong> persönlichen<br />
Bindungen, <strong>der</strong> Gefolgschaftstreue, <strong>der</strong> Wehrhaftigkeit, des Gemüts<br />
und des Handwerklichen usw., seien hier stellvertretend zitiert A. Baeumler:<br />
Männerbund und Wissenschaft, Berlin 1934, S. 91: „Der wahrhaft<br />
Handelnde steht immer im Ungewissen, er ist ‚wissenlos‘, wie Nietzsche
263<br />
sagt. Das macht gerade das Handeln zum Handeln, dass es nicht gedeckt<br />
ist durch einen Wert. Der Handelnde exponiert sich, sein Teil ist niemals<br />
die securitas, son<strong>der</strong>n certitudo“; und H. Freyer hinsichtlich <strong>der</strong> politischen<br />
Ethik: „Echtes Gebot ist auch hier nur sich richtig zu entscheiden,<br />
nicht aber zu wissen, dass o<strong>der</strong> warum es richtig sei“; Herrschaft und Planung,<br />
Hamburg 1933, S. 39. (Siehe hierzu auch Stefan Georges Gedicht<br />
„Der Täter“ aus dem „Teppich des Lebens“.) Preisgegeben wird die Tradition<br />
des Rationalismus, wie sie ihr zum Beispiel Cicero Ausdruck gibt in „De<br />
officiis“, I, 101: „Omnis autem actio vacare debet temeritate et neglegentia<br />
nec agere quicquam, cuius non possit causam probabilem red<strong>der</strong>e; haec<br />
est enim fere descriptio officii.“ – Vgl. dazu, dass <strong>der</strong> von Cicero mit „officium“<br />
wie<strong>der</strong>gegebene stoische Ausdruck „kathékon“ ebenfalls die vertretbare<br />
Rechtfertigung impliziert: Diogenes Laertius, VII, 101.<br />
101 Rechtsphilosophie, § 135. Vgl. Glauben und Wissen, Werke, Bd. I, S.<br />
415 f. Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S.<br />
591 f. – Vgl. hierzu Hegels Kritik an Kants Beispiel des Depositums in § 4<br />
<strong>der</strong> „Kritik <strong>der</strong> praktischen Vernunft“ in: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten<br />
des Naturrechts, Werke, Bd. I, S. 466 f. Phänomenologie,<br />
S. 311 f. Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 95: „... ich bin jemandem Geld<br />
schuldig: dem Rechte nach muss ich nach <strong>der</strong> Natur <strong>der</strong> Sache handeln<br />
und das Geld zurückerstatten. Hier ist nichts Schweres. Den Boden <strong>der</strong><br />
Pflicht bildet das bürgerliche Leben.“<br />
101a Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in <strong>der</strong> Theorie richtig sein,<br />
taugt aber nicht <strong>für</strong> die Praxis, in: Kant, Gentz, Rehberg: Über Theorie und<br />
Praxis, Frankfurt a. M. 1967, S. 41, 44. (Zu Kants Verweigerung des<br />
Rechts auf praktischen Wi<strong>der</strong>stand und Revolutionierung und zu seiner<br />
Konzession <strong>der</strong> „Freiheit <strong>der</strong> Fe<strong>der</strong>“ siehe S. 68 ff.) – Vgl. zu Kants „Abweg“<br />
von <strong>der</strong> aristotelischen Theoria durch seine „Rechtfertigung <strong>der</strong> Theorie <strong>für</strong><br />
die Praxis“ und seiner Preisgabe des theoretischen Ethos „als philosophische<br />
Lebenshaltung“ : K. Löwith: Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart<br />
1960, S. 250.<br />
102 Rechtsphilosophie, § 144. Vgl. auch die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte,<br />
S.94: „Wenn man handeln will, muss man nicht nur das Gute wollen, son<strong>der</strong>n<br />
man muss wissen, ob dieses o<strong>der</strong> jenes das Gute ist. Welcher Inhalt<br />
aber gut o<strong>der</strong> nicht gut, recht o<strong>der</strong> unrecht sei, dies ist <strong>für</strong> die gewöhnlichen<br />
Fälle des Privatlebens in den Gesetzen und Sitten eines Staates gegeben.<br />
Es hat keine große Schwierigkeit, das zu wissen.“ Zu Hegels schroffer<br />
Ablehnung <strong>der</strong> rein moralischen Disqualifizierung eines Menschen vgl.<br />
Phänomenologie, S. 479: „Die Bezeichnung eines Individuums als eines<br />
Unmoralischen fällt, indem die Moralität überhaupt unvollendet ist, an
264<br />
sich hinweg, hat also nur einen willkürlichen Grund. Der Sinn und Inhalt<br />
des Urteils <strong>der</strong> Erfahrung ist dadurch allein dieser, dass einigen die<br />
Glückseligkeit an und <strong>für</strong> sich nicht zukommen sollte, d. h. er ist Neid, <strong>der</strong><br />
sich zum Deckmantel die Moralität nimmt. Der Grund aber, warum an<strong>der</strong>n<br />
das so genannte Glück zu Teil werden sollte, ist die gute Freundschaft,<br />
die ihnen und sich selbst diese Gnade, d. h. diesen Zufall gönnt<br />
und wünscht.“ – Für Hegel gibt es also keine selbständige Ethik, getrennt<br />
von Gesellschaftslehre und Politik. – Dass nicht Gesinnung und Tugend,<br />
son<strong>der</strong>n die Anerkennung des Gesetzes die konstitutionelle Monarchie<br />
charakterisiert, betont Hegel mit Bezug auf Montesquieu in <strong>der</strong> Rechtsphilosophie,<br />
§ 273. – Da die Moralität – wie es schon Kant bestimmte – im Gegensatz<br />
zur Legalität nicht äußerlich erzwingbar ist, ergibt sich <strong>für</strong> Hegel<br />
die Folgerung: „Die Staatsgesetze können sich also auf die Gesinnung<br />
nicht erstrecken wollen, denn im Moralischen bin ich <strong>für</strong> mich selbst, und<br />
die Gewalt hat hier keinen Sinn.“ (Rechtsphilosophie, § 94, Zusatz; vgl. §<br />
106, Zusatz)<br />
103 Rechtsphilosophie, § 137. Vgl. § 132 und Vorrede, S.36: „Es ist ein großer<br />
Eigensinn, <strong>der</strong> Eigensinn, <strong>der</strong> dem Menschen Ehre macht, nichts in<br />
<strong>der</strong> Gesinnung anerkennen zu wollen, was nicht durch den Gedanken gerechtfertigt<br />
ist...“<br />
104 Rechtsphilosophie, § 131<br />
105 Ebenda, § 138. – Vgl. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte,<br />
Werke, Bd. 11, S. 330: „Von den Griechen in <strong>der</strong> ersten und wahrhaften<br />
Gestalt ihrer Freiheit können wir behaupten, dass sie kein Gewissen hatten:<br />
bei ihnen herrschte die Gewohnheit <strong>für</strong> das Vaterland zu leben, ohne<br />
weitere Reflexion.“ In entscheidenden Lebenslagen befragten sie noch Orakel.<br />
106 Enzyklopädie, § 6. Vgl. den Text des achten Abschnittes<br />
107 Rechtsphilosophie, § 132. In diesem Sinne heißt es § 137: „... Der Staat<br />
kann deswegen das Gewissen in seiner eigentümlichen Form, d. i. als subjektives<br />
Wissen nicht anerkennen, so wenig als in <strong>der</strong> Wissenschaft die<br />
subjektive Meinung, die Versicherung und Berufung auf eine subjektive<br />
Meinung, eine Gültigkeit hat.“ Zu beachten ist, dass Hegel im selben Paragraphen<br />
sagt: „Das religiöse Gewissen gehört aber überhaupt nicht in diesen<br />
Kreis.“ Vgl. dazu aber: Die <strong>Philosophie</strong> des Geistes, Werke, Bd. X, S.<br />
435: „... es kann nicht zweierlei Gewissen, – ein religiöses und ein dem<br />
Gehalte und Inhalte nach davon verschiedenes sittliches, – geben.“ - Mit<br />
seiner Bestimmung <strong>der</strong> Handlung <strong>der</strong> Strafe als Negation <strong>der</strong> Verletzung
265<br />
(Negation) des Rechts und damit als ausgleichende Wie<strong>der</strong>herstellung des<br />
Rechts (Rechtsphilosophie, § 100 f.) steht Hegel – wie Kant, nach dessen<br />
Ansicht ein Mör<strong>der</strong> auf einer Insel auch dann zuvor hinzurichten wäre,<br />
wenn diese alle an<strong>der</strong>en Menschen verließen – auf dem Boden des Vergeltungs-<br />
o<strong>der</strong> Sühnestrafrechts, das sich scharf abgrenzt von <strong>der</strong> Auffassung<br />
<strong>der</strong> Strafe als einer kriminalpolitischen Maßregel <strong>der</strong> Sicherung und Besserung<br />
mit dem Zweck <strong>der</strong> sozialen Anpassung, die Hegel ebenso ablehnt<br />
wie die liberalistische Auffassung, <strong>der</strong> Staat habe die wesentliche Aufgabe,<br />
die Sicherheit und Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit und die Befriedigung <strong>der</strong><br />
Bedürfnisse zu garantieren. (Vgl. auch: A. A. Piontowski: Hegels Lehre über<br />
Staat und Recht und seine Strafrechtstheorie, Berlin 1960.) Festzuhalten<br />
ist aber, dass <strong>für</strong> Hegel das Verhältnis von Schuld und Strafe nur eine<br />
abstrakte Seite <strong>der</strong> Totalität des Lebenszusammenhangs ist und schon in<br />
den frühen Manuskripten untergeordnet wird dem Verhältnis von Schuld,<br />
Schicksal und Liebe (wobei Hegel diesen „echt philosophischen Standpunkt...,<br />
die Gesetzgebung überhaupt und ihre beson<strong>der</strong>n Bestimmungen<br />
nicht isoliert und abstrakt zu betrachten, son<strong>der</strong>n vielmehr als abhängiges<br />
Moment Einer Totalität...“ bei Montesquieu findet; Rechtsphilosophie, Einleitung,<br />
§ 3).<br />
108 Vgl. Rechtsphilosophie, § 150. Enzyklopädie, § 508. Phänomenologie, S.<br />
331, 429. Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S. 97. Der Geist des Christentums<br />
und sein Schicksal, Nohl, S. 294. Ästhetik, Bd. II, S. 549: „Das ursprünglich<br />
Tragische besteht nun darin, dass innerhalb solcher Kollision<br />
beide Seiten des Gegensatzes <strong>für</strong> sich genommen Berechtigung haben...“ –<br />
Zur Auffassung des Tragischen als totale Zerstörung <strong>der</strong> „Fugen des Sinnzusammenhanges,<br />
<strong>der</strong> Welt“ siehe: E. Staiger: Grundbegriffe <strong>der</strong> Poetik,<br />
Zürich 1959, S. 185<br />
109 Vgl. H. Glockner: Hegel, Bd. I, Stuttgart 1929, S. XII. – Auch N. Hartmann<br />
muss die Dialektik ablehnen, indem er die Konzeption <strong>der</strong> „realen<br />
Möglichkeit“ verwirft, die Möglichkeit nur im Kantischen Sinne als das wi<strong>der</strong>spruchsfrei<br />
Denkbare fasst und in <strong>der</strong> Kontroverse des Aristoteles mit<br />
den Megarikern über diese Frage auf <strong>der</strong>en Seite steht (vgl. Möglichkeit<br />
und Wirklichkeit, Meisenheim am Glan 1949, S. 181 ff.) und indem er die<br />
Stufenordnung des Seienden statisch versteht, während Hegel dagegen<br />
zwar nicht die natürliche Entwicklung <strong>der</strong> Stufen, aber doch ihr inneres,<br />
idelles Hervorgehen auseinan<strong>der</strong> anerkannte; vgl. Enzyklopädie, § 194. –<br />
Dass Hegel das Tragische als Moment <strong>der</strong> dialektischen Entwicklung anerkennt,<br />
heißt: er steht nicht auf dem aufklärerischen Standpunkt des geradlinigen<br />
Fortschritts und <strong>der</strong> ungebrochenen Vervollkommnung, wie ihn<br />
zum Beispiel – im Gegensatz zu Lessing (Die Erziehung, des Menschengeschlechts,<br />
§ 91, Sämtliche Schriften, Leipzig 1897, Bd. 13, S. 434: „Es ist
266<br />
nicht wahr, dass die kürzeste Linie immer die gerade ist“) und zu Kant (<strong>der</strong><br />
gegen Lessings skeptischen Freund Mendelssohn voraussetzt ein Fortschreiten<br />
des menschlichen Geschlechts „zum Besseren in Ansehung des<br />
moralischen Zwecks seines Daseins“, das „zwar bisweilen unterbrochen,<br />
aber nie abgebrochen“ sein werde; Über den Gemeinspruch: Das mag in<br />
<strong>der</strong> Theorie richtig sein, taugt aber nicht <strong>für</strong> die Praxis, in: Kant, Gentz,<br />
Rehberg: Über Theorie und Praxis, Frankfurt a. M. 1967, S. 81) – Antoine<br />
de Condorcet (1793), <strong>der</strong> Gegner Robespierres und Anhänger <strong>der</strong> Girondisten,<br />
vertrat; über ihn vergleiche K. Löwith: Weltgeschichte und Heilsgeschehen,<br />
Stuttgart 1953, S. 87 ff. – Mit <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> relativen<br />
Tragik entgeht Hegel im übrigen <strong>der</strong> Gefahr <strong>der</strong> (seit Theognis immer wie<strong>der</strong><br />
geübten) desperaten Aufbauschung und Fixierung des Zerfalls, <strong>der</strong><br />
„Dekadenz“ o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Herausfor<strong>der</strong>ung einer bestimmten Entwicklungsstufe<br />
zum totalen Untergang. – Tragik liegt in gewisser Weise in je<strong>der</strong> endlichen<br />
Tätigkeit des Individuums, nämlich insofern, als das Individuum in<br />
seiner Tätigkeit zum Objektiven und zum Totalen im Gegensatz bleibt.<br />
110 Vgl. z. B. Enzyklopädie, § 254-261. Vorlesungen über die Geschichte<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 17, S. 329 ff. Phänomenologie, S. 81 f. – Es ist<br />
unbestreitbar: die Zeitbewegung zum Beispiel ist „Identität <strong>der</strong> Identität<br />
und Nichtidentität“: die auf eine bestimmte Sekunde folgende an<strong>der</strong>e Sekunde<br />
ist identisch mit <strong>der</strong> ersten – worin sollte nämlich ihre Differenz bestehen?<br />
–; und sie ist doch nicht identisch mit <strong>der</strong> ersten, denn die erste<br />
ist „vergangen“. Vgl. Logik, Bd II, S. 58: „... <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch... ist die Wurzel<br />
aller Bewegung und Lebendigkeit; nur insofern etwas in sich selbst einen<br />
Wi<strong>der</strong>spruch hat, bewegt es sich, hat Trieb und Tätigkeit.“<br />
111 Rechtsphilosophie, § 139, 18, Zusatz. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 258 ff. Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S.<br />
48, 107, 116 f., 158 ff., 218 f. Philosophische Propädeutik I, § 78. Phänomenologie,<br />
S. 537 ff.<br />
112 Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte, Werke, Bd. ll, S. 413<br />
113 Phänomenologie, S. 536<br />
114 Ebenda, S. 539: „Die an<strong>der</strong>e Seite, das Böse, nimmt das Vorstellen als<br />
ein dem göttlichen Wesen fremdes Geschehen; es in demselben selbst, als<br />
seinen Zorn zu fassen, ist die höchste, härteste Anstrengung des mit sich<br />
selbst ringenden Vorstellens, die, da sie des Begriffs entbehrt, fruchtlos<br />
bleibt.“
267<br />
115 Rechtsphilosophie, § 29, 258. Enzyklopädie, § 98. Vorlesungen über die<br />
Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 527 f., 552; S. 639: in <strong>der</strong><br />
mechanisch-abstrakten Bestimmung <strong>der</strong> Freiheit des Einzelnen und des<br />
Allgemeinen sieht Hegel eine Linie von Rousseau über Kant zu Fichte und<br />
dessen Naturrechtslehre, die Fichte unter dem Einfluss jakobinischer Anschauungen<br />
zusammenfasst in <strong>der</strong> „Grundlage des Naturrechts“ (1796) –<br />
in <strong>der</strong> die Institution des Ephorats eingeführt und das von Hegel abgelehnte<br />
Recht des Volkes auf Wi<strong>der</strong>stand begründet wird – und in <strong>der</strong> Utopie<br />
„Der geschlossene Handelsstaat“ (1800). – In diesem Zusammenhang ist<br />
zu berücksichtigen, dass Hegel die bürgerliche Gesellschaft – den „Not-<br />
und Verstandes-Staat“ (Rechtsphilosophie, § 183), <strong>der</strong> seinen Zweck in <strong>der</strong><br />
Sicherheit und dem Schutz „des Eigentums und <strong>der</strong> persönlichen Freiheit“<br />
hat (Rechtsphilosophie, § 258) – als „System <strong>der</strong> Atomistik“ charakterisiert<br />
(Enzyklopädie, § 523), d. h. als „Kampfplatz des individuellen Privatinteresses<br />
Aller gegen Alle“ im Sinne Hobbes’ (Rechtsphilosophie, § 289), über<br />
dem <strong>der</strong> Staat als die allgemeine wahre Vereinigung <strong>der</strong> Individuen zu stehen<br />
hat (Rechtsphilosophie, § 258). Zu Hegels Ablehnung <strong>der</strong> Konzeption<br />
des Gesellschaftsvertrags als „Einmischung... <strong>der</strong> Verhältnisse des Privateigentums...<br />
in das Staatsverhältnis“ (Rechtsphilosophie, § 75) vgl. schon<br />
den Naturrechtaaufsatz, Werke, Bd. 1, S. 525<br />
116 In diesem Sinne wurde Hegels Staatslehre vereinseitigt, verzerrt o<strong>der</strong><br />
umgefälscht von den faschistischen „Hegelianern“ S. Panunzio und G.<br />
Gentile, während sie dagegen von den nationalistischen Wortführern wie<br />
A. Rosenberg, E. Krieck, F. Böhm, C. Schmitt und A. Baeumler verworfen<br />
wurde, gerade weil sie mit dem Totalitarismus, <strong>der</strong> Glorifizierung des Völkischen<br />
und dem Führerkult unvereinbar ist; vgl. darüber H. Marcuse:<br />
Vernunft und Revolution, Neuwied am Rhein 1962, S. 354-368. Einen<br />
aussichtslosen Versuch, Hegel <strong>für</strong> den Nationalsozialismus aufzuwerten,<br />
unternehmen die Rechtstheoretiker J. Bin<strong>der</strong>, M. Busse, K. Larenz: Einführung<br />
in Hegels Rechtsphilosophie, Berlin 1931. Als Vermittlung zwischen<br />
einem antik platonischen und dem mo<strong>der</strong>nen Faschismus wird Hegels<br />
Staatslehre diffamiert von R. Popper: The open Society und its Enemies,<br />
Bd. 2, London 1945. Vgl. E. Topitsch: Hegel und das Dritte Reich; in:<br />
Der Monat, Juni 1966. – Auch auf eine an<strong>der</strong>e Seite des Problems sei hier<br />
nur hingewiesen: auf die fragwürdige Angleichung <strong>der</strong> Hegelschen Staatstheorie<br />
an den Bismarckschen Machtstaat sowie an seine theoretischen<br />
Repräsentanten – den späten Ranke und Treitschke –, und zwar durch H.<br />
Heller: Hegel und <strong>der</strong> rationale Machstaatgedanke in Deutschland, Berlin<br />
1921; F. Meinecke: Die Idee <strong>der</strong> Staatsraison in <strong>der</strong> neueren Geschichte,<br />
München 1924; F. Rosenzweig: Hegel und <strong>der</strong> Staat, 2 Bände, München,<br />
Berlin 1920 (S. XII: „Der harte und beschränkte Hegelsche Staatsgedanke...<br />
aus dem am 18. Januar 71 ,wie <strong>der</strong> Blitz aus dem Gewölke‘ die welt-
268<br />
geschichtliche Tat sprang...“). Als Macchiavellismus und Grundlegung des<br />
Imperialismus betrachtet Hegels Staatslehre – ähnlich wie Dewey und Santayana<br />
– F. Schnabel: Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />
Bd. 3, Freiburg 1950, S. 12 ff., ohne Beachtung dessen, dass <strong>der</strong> imperialistische<br />
Staat – im Gegensatz zu Hegels Auffassung vom Staat – sich typischerweise<br />
gerade zum Diener <strong>der</strong> Gesellschaftsinteressen macht (und<br />
zwar des Kampfes um den „Platz an <strong>der</strong> Sonne“ bei <strong>der</strong> Aufteilung <strong>der</strong><br />
Weltmärkte), was erst zum Beispiel Josiah Royce in seinem System des<br />
absoluten Idealismus gutheißt.<br />
117a Vgl. Kritik <strong>der</strong> praktischen Vernunft, Erstes Buch, Drittes Hauptstück,<br />
Gesammelte Schriften, Bd. V, Berlin 1908, S. 87. – Die auch als „Mittel“<br />
<strong>der</strong> Weltgeschichte bezeichneten Individuen sind <strong>für</strong> Hegel Selbstzweck<br />
„durch das Göttliche“, das in ihnen ist; Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte, S.<br />
76, 106<br />
117 Rechtsphilosophie, § 7, Zusatz<br />
118 Nohl, S. 26 f. – Dass Hegel die Praxis von vornherein unter gesellschaftlichem<br />
Aspekt sieht, heißt also: seine Fragestellung ist von vornherein<br />
nicht rein erkenntnistheoretisch orientiert.<br />
119 Ebenda, S. 223. Vgl. beson<strong>der</strong>s S. 227: „So hatte <strong>der</strong> Despotismus <strong>der</strong><br />
römischen Fürsten den Geist des Menschen von dem Erdboden verjagt,<br />
<strong>der</strong> Raub <strong>der</strong> Freiheit hatte ihn gezwungen, sein Ewiges, sein Absolutes in<br />
die Gottheit zu flüchten – das Elend, das er verbreitete, Glückseligkeit im<br />
Himmel zu suchen und zu erwarten. Die Objektivität <strong>der</strong> Gottheit ist mit<br />
<strong>der</strong> Verdorbenheit und Sklaverei <strong>der</strong> Menschen im gleichen Schritte gegangen...“<br />
– Beson<strong>der</strong>s sein Jugendfreund Höl<strong>der</strong>lin teilt mit Hegel den Enthusiasmus<br />
<strong>für</strong> die französische Revolution und die Hoffnung auf die Herstellung<br />
<strong>der</strong> Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft am Maßstab<br />
hellenischer Freiheit, und zwar nicht nur im „Hyperion“ („Ich kann kein<br />
Volk mir denken, das zerrissner wäre wie die Deutschen“, zitiert von Ruge<br />
im Brief an Marx in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“; Paris<br />
1844, S. 18), son<strong>der</strong>n darüberhinaus. Erinnert sei in diesem Zusammenhang<br />
an das Gedicht „An die Deutschen“: „... auch wir sind/ Tatenarm<br />
und gedankenvoll!/ Aber kommt, wie <strong>der</strong> Strahl aus dem Gewölke<br />
kommt,/ Aus Gedanken vielleicht, geistig und reif die Tat?“ (Sämtliche<br />
Werke, Bd. 2, Stuttgart 1951, S. 9).<br />
120 Vgl. z. B. Nohl, S. 211 f.; und S. 374 f., aus einem Entwurf, <strong>der</strong> schon<br />
aus <strong>der</strong> Frankfurter Zeit Hegels datiert: „Positiv wird ein Glauben genannt,<br />
in dem das Praktische theoretisch vorhanden ist – das ursprünglich Sub-
269<br />
jektive nur als ein Objektives, eine Religion, die Vorstellungen von etwas<br />
Objektivem, das nicht subjektiv werden kann, als Prinzip des Lebens und<br />
<strong>der</strong> Handlungen aufstellt... Der positive moralische Begriff ist fähig, den<br />
Charakter <strong>der</strong> Positivität zu verlieren, wenn die Tätigkeit, die er ausdrückt,<br />
selbst entwickelt wird und Kraft bekommt.“ Somit ist die Positivität zugleich<br />
ein Sediment <strong>der</strong> Zeit, eine Versteinerung <strong>der</strong> Vergangenheit, die mit<br />
<strong>der</strong> Hartnäckigkeit des Objektzwangs <strong>der</strong> lebendigen emanzipierenden<br />
Spontaneität wi<strong>der</strong>steht (und diese womöglich – so lässt sich extrapolieren<br />
– zur Funktion einer Konstellation degradiert). Auch <strong>der</strong> psychologischpädagogische<br />
Aspekt, dass autoritäre Erziehung die praktische Selbsttätigkeit<br />
zugunsten eines reaktiven sich einpassenden und „rollenkonformen“<br />
Verhaltens hemmt, ließe sich bruchlos in die Konzeption <strong>der</strong> Positivität<br />
hineinarbeiten. – In diesem Stadium seiner Entwicklung gesteht Hegel<br />
<strong>der</strong> Positivität noch nicht relative Notwendigkeit zu wie später <strong>der</strong> Entäußerung<br />
o<strong>der</strong> Entfremdung in ihrem voll ausgebildeten Begriff, d. h., um es<br />
paradox zu sagen; Hegel betrachtet noch nicht das Positive an dem Positiven.<br />
121 Nohl, S. 388 f. Über die Versöhnung des Schicksals durch die Liebe vgl.<br />
S. 283: „... Dies Gefühl des Lebens, das sich selbst wie<strong>der</strong>findet, ist die<br />
Liebe, und in ihr versöhnt sich das Schicksal...“ S. 293: „Die Liebe versöhnt<br />
aber nicht nur den Verbrecher mit dem Schicksal, sie versöhnt auch<br />
den Menschen mit <strong>der</strong> Tugend, d. h. wenn sie nicht das einzige Prinzip <strong>der</strong><br />
Tugend wäre, so wäre jede Tugend zugleich eine Untugend...“ Zuvor wird<br />
das Beispiel <strong>der</strong> Maria Magdalena angeführt, die kein „Automat ihrer Zeit“<br />
war und „durch Liebe zum schönsten Bewusstsein zurückkehren konnte.“<br />
– Vgl. W. Dilthey: Die Jugendgeschichte Hegels, in: Gesammelte Schriften,<br />
Bd. IV, Leipzig und Berlin 1921, S. 15: „Ähnlich hatte schon Schiller in<br />
seiner Rhapsodie die Liebe zum Mittelpunkt <strong>der</strong> moralischen Welt gemacht,<br />
und Höl<strong>der</strong>lin war ihm hierin gefolgt. Und in <strong>der</strong> Liebe hatte Lessing<br />
das Prinzip <strong>der</strong> Religion Christi erkannt.“ Dazu, dass Hegel in seinem<br />
Entwurf „Das Leben Jesu“ (1795) die Liebe noch dem moralischen Imperativ<br />
unterordnet (und nur diesen <strong>der</strong> äußeren positiven Autorität entgegen<br />
setzt, an <strong>der</strong> teilweise auch Jesus selbst noch im Unterschied zu Sokrates<br />
gehangen habe), vgl. a. a. 0., S. 21 ff. – Über den Zusammenhang von<br />
Handlung, Schuld und Schicksal siehe auch Phänomenologie, S. 330 ff.<br />
122 Nohl, S. 265 f.<br />
123 Ebenda, S. 387<br />
124 Ästhetik, Bd. I, S. 127: „Die Lebendigkeit muss erstens als Totalität eines<br />
leiblichen Organismus real sein, <strong>der</strong> aber zweitens nicht als ein Be-
270<br />
harrendes erscheint, son<strong>der</strong>n als in sich fortdauern<strong>der</strong> Prozess des Idealisierens,<br />
in welchem sich eben die lebendige Seele kundtut. Drittens ist diese<br />
Totalität nicht von außen her bestimmt und verän<strong>der</strong>lich, son<strong>der</strong>n aus<br />
sich heraus sich gestaltend und prozessierend und darin stets als subjektive<br />
Einheit und als Selbstzweck bezogen.“ Vgl. Enzyklopädie, § 216-222.<br />
Naturphilosophie, Werke, Bd. 9, S. 4.92 ff.<br />
125 Nohl, S. 346. Vgl. S. 383 f.<br />
126 Ebenda, S. 348. Vgl. Logik, Bd. I, S. 59<br />
127 Phänomenologie, S. 153<br />
128 „Phänomenologie, S. 157. Vgl. den Aufsatz über G. E. Schulze aus dem<br />
„Kritischen Journal <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>“: Verhältnis des Skeptizismus zur <strong>Philosophie</strong>,<br />
Werke, Bd. 1, S. 215 ff.<br />
129 Phänomenologie, S. 160. – Dass Jean Wahl in seiner Schrift „Le malheur<br />
de la conscience dans la <strong>Philosophie</strong> de Hegel“, Paris 1929, Hegel zu<br />
sehr von Kierkegaards Position her interpretierte, räumt er inzwischen<br />
selbst ein in: Quel avenir attend l’ homme?, Paris 1961, S. 313. In existentialistische<br />
Richtung geht generell auch die Interpretation von J. Hyppolite<br />
in: Genese et structure de la phénoménologie de l’ esprit de Hegel, Paris<br />
1956<br />
130 Ästhetik, Bd. I, S. 170; vgl. Bd. II, S. 256. – In <strong>der</strong> bürgerlichen Gesellschaft<br />
ist es das allgemeine Prinzip, dass die Individuen ihre Selbständigkeit<br />
durch eigene Arbeit erwerben (Rechtsphilosophie, § 244 f.). Dieses<br />
Prinzip tritt hervor mit <strong>der</strong> Auflösung des Mittelalters und dem Beginn de<br />
neuen Zeit, in <strong>der</strong> sich in den Städten Industrie, Gewerbe und Handel beleben<br />
und Vorrang vor dem Ackerbau gewinnen, und in <strong>der</strong> Buchdruckerkunst<br />
und Schießpulver – aber auch, so lässt sich hinzu fügen, die Mühlentriebwerke,<br />
die Destillationsapparate, das Achterru<strong>der</strong>, die Uhr und das<br />
Kummet – erfunden werden, Amerika entdeckt wird, das Studium des Altertums<br />
aufgenommen wird, <strong>der</strong> Tag <strong>der</strong> schönen Künste herein bricht<br />
und die Naturwissenschaften entstehen; vgl. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Geschichte, Werke, Bd. 11, S. 487 ff. Ausgesprochen nützlichen<br />
Projekten widmeten sich im übrigen auch die Akademien, darunter die im<br />
17. Jahrhun<strong>der</strong>t gegründeten Royal Society und Académie Royal des<br />
Sciences; die deutschen Akademien machten sich beson<strong>der</strong>s die Untersuchung<br />
des Bergbaus und <strong>der</strong> Landwirtschaft zur Aufgabe.<br />
131 Phänomenologie, S. 266
132 Ebenda, S. 270<br />
271<br />
133 Ästhetik, Bd. II, S. 574; Bd. I, S. 194<br />
134 Phänomenologie, S. 298<br />
135 Ebenda, S. 462 f. – Dass hiermit vor allem Novalis gemeint ist, <strong>der</strong><br />
Schüler Fichtes in Jena, <strong>der</strong> in seiner Schrift „Die Christenheit o<strong>der</strong> Europa“<br />
(1799) in geradezu unüberbietbarer Weise die Abkehr vom unschönen<br />
als gottlos diskreditierten Leben <strong>der</strong> Revolutionszeit proklamiert, geht hervor<br />
aus den Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd.<br />
19, S. 644. Aber den Typus <strong>der</strong> wirklichkeitsfremden romantischen Subjektivität<br />
und des verstiegenen Rückzugs aus <strong>der</strong> gegenwärtigen Welt<br />
(wenn nicht <strong>der</strong> Natur, so doch <strong>der</strong> Geschichte) – <strong>der</strong> als Rückzug aus <strong>der</strong><br />
Welt gerade die Bindung an sie ist – repräsentiert <strong>für</strong> Hegel auch beson<strong>der</strong>s<br />
Friedrich Schlegel, dessen „Lucinde“ (1799) von Hegels Antipoden<br />
Schleiermacher in einer anonymen Schrift verteidigt wird und <strong>für</strong> den sich<br />
später nach seiner Konversion Hegels <strong>Philosophie</strong> als „Verneinungsphilosophie“<br />
und atheistischer „philosophischer Satanismus“ darstellt (Philosophische<br />
Vorlesungen, Bonn 1837, Bd. II, S. 497). – In <strong>der</strong> Ablehnung <strong>der</strong><br />
romantischen welt- und substanzlosen und darum bildungswidrigen Innerlichkeit<br />
ist mit Hegel Goethe einig; er bezieht sich auf den enzyklopädischen<br />
Inhaltsreichtum <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>: „Wo Objekt und Subjekt<br />
sich berühren, da ist Leben; wenn Hegel mit seiner Identitätsphilosophie<br />
sich mitten zwischen Objekt und Subjekt hineinstellt und diesen<br />
Platz behauptet, so wollen wir ihn loben.“ (Goethes Gespräche, Bd. III,<br />
Leipzig 1909, S. 428. Vgl. K. Löwith, Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart<br />
1964, S. 20)<br />
136 Phänomenologie, S. 455<br />
137 Enzyklopädie, § 469; vgl. § 481, 485. Philosophische Propädeutik III, §<br />
180. Rechtsphilosophie, § 258, 21, 13<br />
138 Rechtsphilosophie, § 187<br />
139 Enzyklopädie, § 481: „Der wirkliche freie Wille ist die Einheit des theoretischen<br />
und praktischen Geistes...“ Vgl. § 485. Die <strong>Philosophie</strong> des Geistes,<br />
Werke, Bd. 10, § 481, S. 379; § 443, Zusatz, S. 303 f.<br />
140 Enzyklopädie, § 482<br />
141 Vgl. Enzyklopädie, § 386 483
272<br />
142 Ästhetik, Bd. I, S. 106 f. Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Einleitung, Werke, Bd. 17, S. 52: „. . . frei ist, was nicht auf ein An<strong>der</strong>es<br />
sich bezieht, nicht von ihm abhängig ist... Im Willen hat man bestimmte<br />
Zwecke, bestimmtes Interesse... Nur im Denken ist alle Fremdheit<br />
durchsichtig, verschwanden; <strong>der</strong> Geist ist hier auf absolute Weise frei.<br />
Damit ist das Interesse <strong>der</strong> Idee, <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> zugleich ausgesprochen.“<br />
Vgl. Logik, Vorrede, Bd. I, S. 14<br />
142a Rechtsphilosophie, § 22<br />
143 Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen zur Einleitung, § 7. Vgl.<br />
Enzyklopädie, § 469: „Der Geist als Wille weiß sich als sich in sich beschließend<br />
und sich aus sich erfüllend... Als sich selbst den Inhalt gebend,<br />
ist <strong>der</strong> Wille bei sich, frei überhaupt; dies ist sein bestimmter Begriff...“<br />
144 Philosophische Propädeutik I, Erläuterungen zur Einleitung, § 15; vgl. §<br />
7<br />
145 Ebenda; § 9<br />
146 Logik, Bd. II, S. 477 f.<br />
147 Ebenda, S. 479 f. Enzyklopädie, § 234: „Die Endlichkeit dieser Tätigkeit<br />
ist daher <strong>der</strong> Wi<strong>der</strong>spruch, dass in den selbst wi<strong>der</strong>sprechenden Bestimmungen<br />
<strong>der</strong> objektiven Welt <strong>der</strong> Zweck des Guten ebenso ausgeführt wird<br />
als auch nicht... Dieser Wi<strong>der</strong>spruch stellt sich als <strong>der</strong> unendliche Progress<br />
<strong>der</strong> Verwirklichung des Guten vor, das darin nur als ein Sollen fixiert ist...“<br />
Vgl. zur Stufe des subjektiven Geistes: Enzyklopädie, § 470<br />
148 Vgl. Logik, Bd. II, S. 481: „Der praktischen Idee dagegen gilt diese Wirklichkeit,<br />
die ihr zugleich als unüberwindliche Schranke gegenübersteht,<br />
als das an und <strong>für</strong> sich Nichtige, das erst seine wahrhafte Bestimmung<br />
und einzigen Wert durch die Zwecke des Guten erhalten solle. Der Wille<br />
steht daher <strong>der</strong> Erreichung seines Ziels nur selbst im Wege dadurch, dass<br />
er sich von dem Erkennen trennt und die äußerliche Wirklichkeit <strong>für</strong> ihn<br />
nicht die Form des wahrhaft Seienden erhält; die Idee des Guten kann daher<br />
ihre Ergänzung allein in <strong>der</strong> Idee des Wahren finden.“<br />
149 Vgl. K. Löwith: Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart 1960, S. 243 ff.<br />
150 Ästhetik, Bd. I, S. 41. Die hier zum Ausdruck kommende spezifisch teleologisch-idealistische<br />
Konzeption übergeht Ernst Fischer: Kunst und Koexistenz,<br />
Hamburg 1966, S. 38 f. – Vgl. Rechtsphilosophie, § 197: durch
273<br />
die Arbeit entwickelt sich „die Bildung des Verstandes überhaupt, damit<br />
auch <strong>der</strong> Sprache.“ Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Werke, Bd. 17, S. 50: „Alles Erkennen, Lernen, Wissenschaft, selbst Handeln<br />
beabsichtigt weiter nichts, als das was innerlich, an sich ist, aus sich<br />
heraus zu ziehen, und sich gegenständlich zu werden.“<br />
151 Vgl. z.B. Enzyklopädie, § 425. Philosophische Propädeutik II, § 23. Die<br />
<strong>Philosophie</strong> des Geistes, Werke, Bd. 10, § 443, Zusatz, S. 302<br />
152 Vgl. Phänomenologie, S. 558, 19. – Dass <strong>für</strong> Heidegger gerade in dieser<br />
„Herrschaft des Geistes“, in <strong>der</strong> das „Sein zur Gegenständlichkeit des Gegenstandes“<br />
und das „Wesen zur Wesentlichkeit <strong>für</strong> den Geist o<strong>der</strong> den<br />
Willen“ wird, <strong>der</strong> „Verfall“ des Denkens liegt, dazu siehe: M. Müller, Existenzphilosophie<br />
im geistigen Leben <strong>der</strong> Gegenwart, 2. Aufl., Heildelberg<br />
1958, S. 92 f.<br />
153 Phänomenologie, S. 32<br />
154 Ebenda, S. 290, 284. – Bedeutende För<strong>der</strong>nis durch ein einziges geistreiches<br />
Wort, Cotta-Ausgabe, Bd. 40, 1840, S. 444 f.<br />
154a Vgl. Nikomachische Ethik, III, 7. Durch das Handeln wird also aus <strong>der</strong><br />
unbestimmten Fähigkeit eine bestimmte konstitutionelle Fähigkeit, und<br />
zwar im Guten o<strong>der</strong> im Schlechten.<br />
155 Phänomenologie, S. 559, 20. Logik, Bd. I, S. 56. – Dazu, dass das „Vorwärtsgehen<br />
ein Rückgang in den Grund“ ist, vgl. auch: Logik, Bd. I, S. 55<br />
156 Vgl. dazu E. Bloch: Subjekt-Objekt, Berlin 1951, S. 467 ff.<br />
157 Vgl. Aristoteles, Physik, II, 8. – Nicolai Cusae Cardinalis Opera, Parisiis<br />
1514, I. Unverän<strong>der</strong>ter Nachdruck, Frankfurt a. M. 1962. Idiotae de mente<br />
liber tertius, cap. II. Dazu die Übersetzung: Der Laie über den Geist, Hamburg<br />
1949, S. 13: „Der Laie nahm einen Löffel in die in Hand und sagte:<br />
Der Löffel hat außer <strong>der</strong> Idee in unserem Geiste kein weiteres Urbild. Und<br />
wenn auch <strong>der</strong> Bildhauer o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Maler seine Vorbil<strong>der</strong> den Dingen entnimmt,<br />
die er nachzugestalten sich müht, so tue ich das doch nicht, ich,<br />
<strong>der</strong> ich aus Holzstücken Löffel, sowie Schalen und Töpfe aus Ton hervorbringe.<br />
Dabei ahme ich nämlich nicht die Gestalt irgendeines Naturdinges<br />
nach...“ Siehe auch: De Beryllo, a. a. 0., cap. VI. – Vgl. dazu: H. Blumenberg:<br />
Nachahmung <strong>der</strong> Natur, Zur Vorgeschichte <strong>der</strong> Idee des schöpferischen<br />
Menschen, in: Studium Generale 1957, Heft 2. Was die politischkirchliche<br />
Praxis des lebenslang tätigen Cusanus betrifft, so habe er sie
274<br />
immer weniger aus <strong>der</strong> umfassenden Theorie begründet, behauptet K.<br />
Jaspers: Nikolaus Cusanus, München 1968, S. 199 f., 227 f. Siehe dazu<br />
auch Gerhard Kallen: Die politische Theorie im philosophischen System<br />
des Nikolaus von Kues, Historische Zeitschrift, München 1942, Bd. 165, S.<br />
246 ff. – Man wird sagen können, dass Hegel letztlich die Vernunft wie ein<br />
Naturgesetz ansieht und die Geschichte noch in Analogie setzt mit <strong>der</strong> Natur<br />
– was Äußerungen zeigen wie diese: „... und wie <strong>der</strong> Keim die ganze Natur<br />
des Baumes... in sich trägt, so enthalten auch schon die ersten Spuren<br />
des Geistes virtualiter die ganze Geschichte“ (Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Geschichte, Einleitung, Werke, Bd. 11, S. 45) –, wenn Hegel<br />
auch immer wie<strong>der</strong> hervorhebt, dass nur <strong>der</strong> Mensch in seiner Verwirklichung<br />
das Subjekt ist, das seine Entwicklung begreift.<br />
158 Phänomenologie, S. 287. – Zur Problematik des Anfangs <strong>der</strong> künstlerisch<br />
darzustellenden Handlung vgl.: Ästhetik, Bd. I, S. 215 f.<br />
159 Phänomenologie, S. 288<br />
160 Logik, Bd. I, S. 52<br />
161 Ästhetik, Bd. I, S. 67. Vgl. Naturphilosophie, Einleitung, Werke, Bd. 9,<br />
S. 36 f.<br />
162 Vgl. Logik, Bd. II, S. 390. Enzyklopädie, § 212<br />
163 Glauben und Wissen, Werke, Bd. 1, S. 419 f. Vgl. auch Schiller: Über<br />
die ästhetische Erziehung des Menschen, 13. Brief<br />
164 Vgl. Enzyklopädie, § 55-60, 204. Logik, Bd. II, S. 387 ff. Phänomenologie,<br />
S. 22. Ästhetik, Bd. I, S. 65 ff. Glauben und Wissen, Werke, Bd. 1, S.<br />
315 ff.; ebenda, S. 419, zu Fichtes Teleologie: sie ist <strong>der</strong> Form nach <strong>der</strong><br />
älteren Teleologie <strong>der</strong> Endlichkeit verhaftet, insofern sie den Gegensatz von<br />
Zweckbestimmtheit und Naturkausalität nicht wahrhaft überwindet, son<strong>der</strong>n<br />
die Subjekt-Objekt-Einheit nur als die schlechte Unendlichkeit des<br />
Sollens bestehen lässt. (Vgl. zur endlichen Teleologie auch: Vorlesungen<br />
über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 638.) – Mit großer<br />
Berechtigung kann Hegel hinsichtlich seiner Konzeption <strong>der</strong> inneren<br />
Zweckmäßigkeit bis zu Aristoteles zurück gehen: <strong>der</strong> unbewegte Beweger,<br />
<strong>der</strong> „in <strong>der</strong> Weise eines Geliebten“ alles in Bewegung hält, und die inneren<br />
Formen <strong>der</strong> Natur sind das „zweckmäßige Tun“. „... <strong>der</strong> Zweck ist das Unmittelbare,<br />
Ruhende, das Unbewegte, welches selbst bewegend ist; so ist<br />
es Subjekt“ (Phänomenologie, Vorrede, S. 22). Vgl. Aristoteles: Metaphysik,<br />
XI, 7
275<br />
165 Kritik <strong>der</strong> Urteilskraft, § 76. Zu Hegels Beurteilung vgl.: Differenz des<br />
Fichteschen und Schellingschen Systems <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 1, S.<br />
132: „... Die Betrachtungsart bleibt also ein durchaus Subjektives und die<br />
Natur ein rein Objektives, ein bloß Gedachtes. Die Synthese <strong>der</strong> durch den<br />
Verstand bestimmten und zugleich unbestimmten Natur in einem sinnlichen<br />
Verstand soll zwar eine bloße Idee bleiben...“ – Dass <strong>für</strong> Hegel auch<br />
in Kants transzendentalem Prinzip <strong>der</strong> Deduktion <strong>der</strong> Kategorien <strong>der</strong> Geist<br />
<strong>der</strong> Spekulation zum Ausdruck kommt, dazu vgl.: ebenda, S. 33 f.<br />
166 Schelling: System des transzendentalen Idealismus, Hamburg 1957, S.<br />
36<br />
167 Ebenda, S. 297<br />
168 Ebenda, S. 36<br />
169 Phänomenologie, S. 16. Naturphilosophie, Einleitung, Werke, Bd. 9, S.<br />
41 f. – Vgl. Schelling: Vorlesungen über die Methode des akademischen<br />
Studiums (1802), 6. Vorlesung, Schellings Werke, Bd. 3, München 1927,<br />
S. 288 f. – An Schelling nähert die Hegelsche Dialektik N. Hartmann an,<br />
<strong>für</strong> den sich aus ihr „nicht eine allgemein zugängliche Methode <strong>der</strong> philosophischen<br />
Forschung machen lässt.“ (Die <strong>Philosophie</strong> des deutschen Idealismus,<br />
Berlin 1960, S. 380)<br />
170 Phänomenologie, S. 25<br />
171 Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Werke, Bd. 1, S. 35, 76. Zu Fichtes Versuch <strong>der</strong> Ableitung <strong>der</strong> Kategorien<br />
vgl.: Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S.<br />
615 ff.<br />
172 Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Werke, Bd. 1, S. 93 f.<br />
173 Glauben und Wissen, Werke, Bd. 1, S. 419. Vgl. Vorlesungen über die<br />
Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 637 f.<br />
174 Ebenda, S. 624 ff.<br />
175 Ebenda, S. 634<br />
176 Ästhetik, Bd. I, S. 69. Vgl. Enzyklopädie, § 55. Die Einseitigkeit <strong>der</strong><br />
Wendung ausschließlich nach innen o<strong>der</strong> nach außen wird im ästheti-
276<br />
schen Humanismus allgemein anerkannt und z. B. in den Gestalten von<br />
Tasso und Antonio in Goethes Drama beson<strong>der</strong>s manifest.<br />
177 Schiller: Über die ästhetische Erziehung des Menschen, Schillers Werke,<br />
Bd. 20, Weimar 1962, 14. und 15. Brief, S. 352-360. (Vgl. Ästhetik, Bd.<br />
1, S. 70)<br />
178 Ebenda, 6. Brief, S. 323. Vgl. S. 322: „... wir sehen nicht bloß einzelne<br />
Subjekte, son<strong>der</strong>n ganze Klassen von Menschen nur einen Teil ihrer Anlagen<br />
entfalten, während dass die übrigen, wie bei verkrüppelten Gewächsen,<br />
kaum mit matter Spur angedeutet sind.“<br />
179 Ebenda, 6. Brief, S. 332 ff.<br />
180 Vgl. Logik, Bd. II, S. 483 f., Enzyklopädie, § 235 f.<br />
181 Siehe Hegels Polemik gegen Schelling in <strong>der</strong> Vorrede <strong>der</strong> Phänomenologie,<br />
S. 19: das Absolute „<strong>für</strong> die Nacht auszugeben, worin, wie man zu sagen<br />
pflegt, alle Kühe schwarz sind, ist die Naivität <strong>der</strong> Leere an Erkenntnis.“<br />
Vgl. zu Schellings „Entfernung aller Gegensätze“ aus dem Absoluten:<br />
Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1802), 6. Vorlesung,<br />
Schellings Werke, Bd. 3, München 1927, S. 297; und: Bruno<br />
(1802), ebenda, S. 132 ff. – Zur Vorgeschichte des Koinzidenzprinzips siehe<br />
E. Hoffmann: Nikolaus von Cues, Über den Beryll, Einführung, Leipzig<br />
1938<br />
182 Enzyklopädie, § 215. Vgl. dazu die Stufe des subjektiven Geistes:,...Ich<br />
ist es selbst und greift über das Objekt als ein a n s i c h aufgehobenes<br />
über, ist E i n e Seite des Verhältnisses und das g a n z e Verhältnis...“<br />
(Ebenda, § 413)<br />
183 Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Einleitung, Werke,<br />
Bd. 17, S. 83<br />
184 Phänomenologie, Vorrede, S. 49 ff. Vgl. Enzyklopädie, § 215<br />
185 Phänomenologie, Vorrede, S. 50. – Da das Wesentliche im Prädikat erhalten<br />
ist, kann in <strong>der</strong> Logik auf die Form des Urteils verzichtet werden;<br />
wir finden dort dementsprechend Kategorien; vgl. Enzyklopädie, § 85, 31,<br />
169<br />
186 Phänomenologie, S. 69
187 Ebenda, S. 32<br />
188 Ebenda, S. 71 f.<br />
277<br />
189 Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 35. Vgl. zur Verbindung von Kreuz und<br />
Rose bei Hegel und Goethe sowie bei Luther und den Rosenkreuzern: K.<br />
Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 28 ff. – Zu Hegels<br />
Bestreitung <strong>der</strong> „Wirklichkeit <strong>der</strong> praktischen <strong>Philosophie</strong>“ siehe auch: K.<br />
H. Scheidler: Hegelsche <strong>Philosophie</strong> und Schule, in: Staatslexikon o<strong>der</strong><br />
Enzyklopädie <strong>der</strong> Staatswissenschaften, hrsg. v. Carl v. Rotteck und Carl<br />
Welcker, Bd. 7, Altona 1839, S. 634<br />
190 Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 36 f. – Zur Entstehung <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong><br />
aus dem Bedürfnis, eine wirkliche Entzweiung und Krise zu überwinden,<br />
vgl.: Differenz des Fichteschen und Schellingschen Systems <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Werke, Bd. 1, S. 46: „Wenn die Macht <strong>der</strong> Vereinigung aus dem Leben<br />
<strong>der</strong> Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung<br />
und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit gewinnen,<br />
entsteht das Bedürfnis <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>.“ Vorlesungen über die Geschichte<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 17, S. 32 f.: „Die <strong>Philosophie</strong> fängt an mit dem<br />
Untergange einer reellen Welt; wenn sie auftritt mit ihren Abstraktionen,<br />
Grau in Grau malend, so ist die Frische <strong>der</strong> Jugend, <strong>der</strong> Lebendigkeit<br />
schon fort; und es ist ihre Versöhnung eine Versöhnung nicht in <strong>der</strong> Wirklichkeit,<br />
son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> ideellen Welt.“ Vgl. Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 355<br />
191 Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 33<br />
192 Vgl. E. Weil: Hegel et l’ Etat, Paris 1950, S. 17 ff.<br />
193 R. Haym: Hegel und seine Zeit, Berlin 1857, S. 366. Vgl. dazu: J. Ritter:<br />
Hegel und die französische Revolution, Frankfurt 1965, S. 7 ff.<br />
194 Enzyklopädie, § 6. Rechtsphilosophie, § 270, Zusatz: „... was wirklich<br />
ist, ist in sich notwendig.“ Rechtsphilosophie, Vorrede, S. 34: „Die unendlich<br />
mannigfaltigen Verhältnisse aber, die sich in dieser Äußerlichkeit,<br />
durch das Scheinen des Wesens in sie, bilden, dieses unendliche Material<br />
und seine Regulierung, ist nicht Gegenstand <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>.“<br />
195 Rechtsphilosophie, § 258<br />
196 Rechtsphilosophie, § 209
197 Briefe, Bd. I, 3. 24<br />
278<br />
198 Aus den vertraulichen Briefen über das vormalige staatsrechtliche Verhältnis<br />
des Wadtlandes (Pays de Vaud) zur Stadt Bern. Politische Schriften,<br />
S. 8<br />
199 Vgl. J. Habermas: Nachwort, Politische Schriften, S. 353 ff. – Siehe aber<br />
dazu Hegels Brief vom 9. II. 1797 an Nanette Endel: „... und da ich finde,<br />
dass es eine völlig undankbare Arbeit sein würde, den Menschen hier ein<br />
Beispiel <strong>der</strong> Art zu geben, und dass <strong>der</strong> heilige Antonius von Padua sicherlich<br />
mehr ausgerichtet hat, da er den Fischen predigte, als ich hier durch<br />
ein solches Leben je ausrichten würde, so habe ich mich nach reiflicher<br />
Überlegung entschlossen, an diesen Menschen nicht bessern zu wollen, im<br />
Gegenteil mit den Wölfen zu heulen...“ (Briefe, Bd. I, S. 49)<br />
200 Politische Schriften, S. 12<br />
201 Vgl. dazu G. Lukács: Der junge Hegel, Berlin 1954, S. 169 f.<br />
202 Politische Schriften, S. 17. Die Kritik und die Belehrung knüpfen also –<br />
unter Ausschaltung subjektiver Willkür – an die beson<strong>der</strong>en Gegensätze<br />
an, die sich allmählich innerhalb des Bestehenden selbst entwickeln und<br />
die die Allgemeinheit des Bestehenden zur Beson<strong>der</strong>heit herab setzen (vor<br />
allem das Staatsrecht zum Privatrecht). Dies wird mit Recht betont von H.<br />
Popitz (Der entfremdete Mensch, Basel 1953, S. 37 ff.), <strong>der</strong> aber inhaltlich<br />
nicht differenziert, indem er behauptet – entsprechend seiner allgemeinen<br />
Tendenz, Marx auf Hegel zurück zu führen –, dass Marx „dieselben Fragen<br />
wie<strong>der</strong> aufnimmt und in ähnlicher Weise beantwortet“ (S. 37).<br />
203 Politische Schriften, S. 193. Vgl. auch Hegels Einschätzung Macchiavellis<br />
in Hinblick auf den geschichtlichen Zustand Italiens, nämlich die staatliche<br />
Zersplitterung und die Aufgabe <strong>der</strong> Herstellung <strong>der</strong> italienischen<br />
Einheit: „Schon <strong>der</strong> Zweck, den Macchiavell voransetzt, Italien zu einem<br />
Staat zu erheben, wird von <strong>der</strong> Blindheit verkannt, die nichts als eine<br />
Gründung von Tyrannei, einen goldnen Spiegel <strong>für</strong> einen ehrgeizigen Unterdrücker<br />
in Macchiavells Werk erkennt... Hier kann aber von keiner<br />
Wahl <strong>der</strong> Mittel die Rede sein, brandige Glie<strong>der</strong> können nicht mit Lavendelwasser<br />
geheilt werden.“ (Ebenda, S. 114)<br />
204 Ebenda, S. 25<br />
205 Briefe, Bd. I, S. 120 und S. 185. (Briefe an Niethammer vom 13. X.<br />
1806 und 29. VIII. 1807)
206 Phänomenologie, S. 15<br />
207 Dokumente, S. 352<br />
208 Phänomenologie, S. 422<br />
279<br />
209 Vgl. Vorrede, Werke, Bd. 17, S. 20 f.: „...die Not <strong>der</strong> Zeit und das Interesse<br />
<strong>der</strong> großen Weltbegenbenheiten... hat auch unter uns eine gründliche<br />
und ernste Beschäftigung mit <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> zurückbedrängt... Lassen<br />
Sie uns gemeinschaftlich die Morgenröte einer schöneren Zeit begrüßen,<br />
worin <strong>der</strong> bisher nach außen gerissene Geist in sich zurückkehren<br />
und zu sich selbst zu kommen vermag...“ Rede zum Antritt des philosophischen<br />
Lehramtes an <strong>der</strong> Universität Berlin, 22. Oktober 1818; Berliner<br />
Schriften, herausgegeben von J. Hoffmeister, Hamburg 1956, S. 4: „Nun,<br />
nachdem dieser Strom <strong>der</strong> Wirklichkeit gebrochen und die deutsche Nation<br />
überhaupt ihre Nationalität, den Grund alles lebendigen Lebens, gerettet<br />
hat, so ist dann die Zeit eingetreten, dass in dem Staate neben dem Regiment<br />
<strong>der</strong> wirklichen Welt auch das freie Reich des Gedankens selbständig<br />
emporblühe.“ (Im Original teilweise gesperrt.) – Vorrede zur zweiten<br />
Auflage <strong>der</strong> Logik (1831), Bd. I, S. 22: „So aber musste <strong>der</strong> Verfasser... sich<br />
mit dem begnügen, was es hat werden mögen... sogar unter dem Zweifel,<br />
ob <strong>der</strong> laute Lärm des Tages und die betäubende Geschwätzigkeit <strong>der</strong> Einbildung,<br />
die auf denselben sich zu beschränken eitel ist, noch Raum <strong>für</strong><br />
die Teilnahme an <strong>der</strong> leidenschaftslosen Stille <strong>der</strong> nur denkenden Erkenntnis<br />
offen lasse.“ – Vgl. auch Hegels Brief an Göschel vom 13. XII.<br />
1830 (Briefe, Bd. III, S. 323 f.) und den Brief-Entwurf an Rakow vom 30.<br />
III. 1831 (Briefe, Bd. III, S. 337) sowie die Charakterisierung des Jünglings<br />
und des Mannesalters in <strong>der</strong> Enzyklopädie, § 396 (mit Zusatz), und den<br />
Schluss <strong>der</strong> Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion: „Aber diese<br />
Versöhnung ist selbst nur eine partielle ohne äußere Allgemeinheit, die<br />
<strong>Philosophie</strong> ist in dieser Beziehung ein abgeson<strong>der</strong>tes Heiligtum und ihre<br />
Diener bilden einen isolierten Priesterstand, <strong>der</strong> mit <strong>der</strong> Welt nicht zusammengehen<br />
darf und das Besitztum <strong>der</strong> Wahrheit zu hüten hat. Wie<br />
sich die zeitliche, empirische Gegenwart aus ihrem Zwiespalt herausfinde,<br />
wie sie sich gestalte, ist ihr zu überlassen und ist nicht die unmittelbar<br />
praktische Sache und Angelegenheit <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>.“ (Werke, Bd. 16, S.<br />
356). – Vom Standpunkt <strong>der</strong> konstitutionellen Monarchie wirft Hegel in <strong>der</strong><br />
Schrift „Verhandlungen in <strong>der</strong> Versammlung <strong>der</strong> Landstände des Königreichs<br />
Württemberg im Jahre 1815 und 1816“ (1817) den Landständen<br />
vor, die Jahre seit <strong>der</strong> französischen Revolution „verschlafen“ zu haben<br />
und nichts gelernt zu haben aus <strong>der</strong> Erfahrung, „dass das Extrem des steifen<br />
Beharrens auf dem positiven Staatsrechte eines verschwundenen Zu-
280<br />
standes, und das entgegengesetzte Extrem einer abstrakten Theorie und<br />
eines seichten Geschwätzes, gleichmäßig die Verschanzungen <strong>der</strong> Eigensucht<br />
und die Quellen des Unglücks in jenem Lande und außer demselben<br />
gewesen sind.“ (Politische Schriften, S. 184 f.) – In Hegels letzter Schrift<br />
„Über die englische Reformbill“ (1831) werden die Reformen zwar als berechtigt<br />
allgemein anerkannt, obgleich ihr Prinzip „in seiner Konsequenz<br />
durchgeführt... mehr eine Revolution als eine bloße Reform“ sein würde<br />
(Politische Schriften, S. 302); zugleich aber werden sie angesehen als Ausdruck<br />
<strong>der</strong> Zurückgebliebenheit <strong>der</strong> englischen Verhältnisse im Vergleich<br />
zu den wirklichen Zuständen <strong>der</strong> kontinentalen Staaten, beson<strong>der</strong>s Preußens<br />
(ebenda, S. 283).<br />
210 Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte, Werke, Bd. 11, S.<br />
556<br />
211 Ebenda, S. 554 f.<br />
212 Ebenda, S. 562 f.: „Es ist so wie<strong>der</strong> ein Bruch geschehen, und die Regierung<br />
ist gestürzt worden... Der Wille <strong>der</strong> vielen stürzt das Minesterium<br />
und die bisherige Opposition tritt nunmehr ein; aber diese, insofern sie<br />
jetzt Regierung ist, hat wie<strong>der</strong> die vielen gegen sich. So geht die Bewegung<br />
und Unruhe fort. Diese Kollision, dieser Knoten, dieses Problem ist es, an<br />
dem die Geschichte steht, und den sie in künftigen Zeiten zu lösen hat.“ –<br />
Zu Hegels Kontroverse mit seinem liberalen Schüler Eduard Gans, dem<br />
Lehrer Marxens und Gegner Hugos und Savignys (vgl. Gans: Das Erbrecht<br />
in weltgeschichtlicher Entwicklung, Bd. I, Berlin 1824, S. XII f.), <strong>der</strong> sich<br />
dem Saint-Simonismus näherte (vgl. Gans: Rückblicke auf Personen und<br />
Zustände, Berlin 1836, S. 99 ff.), siehe F. Rosenzweig: Hegel und <strong>der</strong><br />
Staat, München/Berlin 1920, Bd. 11, S. 218 ff.<br />
213 Heines Schriften werden zitiert nach folgen<strong>der</strong> Ausgabe: Heinrich Heine:<br />
Werke und Briefe in zehn Bänden. Herausgegeben von H. Kaufmann,<br />
Berlin 1961-1964. (Später abgekürzt als: Werke) Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion<br />
und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke, Bd. 5, S. 303<br />
214 Vgl. die Rezension: „Die deutsche Literatur“. Von Wolfgang Menzel,<br />
Werke, Bd. 4, S: 236 ff.<br />
215 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 200-202. – Offensichtlich gründet Heines Entwurf des Spiritualismus<br />
in Hegels Unterscheidung zwischen <strong>der</strong> sinnlichen „Naturreligion“<br />
sowie <strong>der</strong> „Religion <strong>der</strong> Schönheit“ einerseits und <strong>der</strong> unsinnlichen jüdisch-christlichen<br />
Religion an<strong>der</strong>erseits.
281<br />
216 Ebenda, S. 193. Vgl. Die romantische Schule, Werke, Bd. 5, S. 16 ff.;<br />
Ludwig Börne, Werke, Bd. 6, S. 119 f.; Reisebil<strong>der</strong>, Die Stadt Lucca, Werke,<br />
Bd. 3, S. 376; Elementargeister, Werke, Bd. 5, S. 346, 353 f. Die Götter<br />
im Exil, Werke, Bd. 7, S. 57 ff. Siehe dazu auch: P. Meinhold, Heinrich<br />
Heine als Kritiker seiner Zeit, in: Zeitschrift <strong>für</strong> Religions- und Geistesgeschichte,<br />
VIII. Jahrg., 1956, S. 324 ff.; E. Benz: Hegels Religionsphilosophie<br />
und die Linkshegelianer, ebenda, VII. Jahrg., 1955, S. 247 ff.<br />
217 Vgl. Ludwig Börne (1839), Werke, Bd. 6, S.94 ff.<br />
218 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 230 f. – Dass Heines Sensualismus einen religiösen Kern behält,<br />
<strong>der</strong> ihm später seine „Bekehrung“ erleichtert, darüber vgl. G. Lukács:<br />
Heinrich Heine als nationaler Dichter, in: Deutsche Realisten des 19.<br />
Jahrhun<strong>der</strong>ts, Berlin 1952, S. 116 ff.<br />
219 Ebenda, S. 231<br />
220 Ebenda, S. 215<br />
221 Vgl. hiermit auch Heines Bestimmung <strong>der</strong> Aufgabe des Dichters, nämlich<br />
in die Zukunft hinaus zu blicken, in <strong>der</strong> Vorrede zu: William Ratcliff<br />
(1851), Werke, Bd. 2, S. 556<br />
222 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 307. – Dieser berühmte Schlussabschnitt wurde von <strong>der</strong> Zensur<br />
im Erstdruck gestrichen; vgl. Ludwig Marcuse: Heinrich Heine, Hamburg<br />
1951, S. 9<br />
223 Ebenda, S. 305. – Insofern die <strong>Philosophie</strong> nicht im Bereich <strong>der</strong> Kontemplation<br />
verharrt, son<strong>der</strong>n ins praktische Leben übergeht, muss sie ihre<br />
„Unschuld“ verlieren und ihre Verantwortlichkeit gesteigert finden. Aber<br />
die Problematik dieser Konsequenz expliziert Heine nicht.<br />
224 Werke, Bd. 1, S. 57. – Von dieser Auffassung Heines führt eine Linie zu<br />
den Folgerungen, die Marx aus dem Zwiespalt von Theorie und Praxis in<br />
Deutschland in <strong>der</strong> Einleitung „Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie“<br />
(1843) zieht: „Das gründliche Deutschland kann nicht revolutionieren,<br />
ohne von Grund aus zu revolutionieren. Die Emanzipation des Deutschen<br />
ist die Emanzipation des Menschen.“ (Karl Marx/Friedrich Engels,<br />
Werke, Bd. 1, Berlin 1961, S. 391)
282<br />
225 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 234. Vgl. Heines Brief vom 10. VII. 1833 an Laube, Werke, Bd. 8,<br />
S. 418 f.: „Sie stehen höher als alle die an<strong>der</strong>en, die nur das Äußerliche<br />
<strong>der</strong> Revolution und nicht die tieferen Fragen <strong>der</strong>selben verstehen. Diese<br />
Fragen betreffen we<strong>der</strong> Formen noch Personen, we<strong>der</strong> die Einführung einer<br />
Republik noch die Beschränkung einer Monarchie, son<strong>der</strong>n sie betreffen<br />
das materielle Wohlsein des Volkes. Die bisherige spiritualistische Religion<br />
war heilsam und notwendig, solange <strong>der</strong> größte Teil <strong>der</strong> Menschen<br />
im Elend lebten und sich mit <strong>der</strong> himmlischen Seligkeit vertrösten mussten.<br />
Seit aber, durch die Fortschritte <strong>der</strong> Industrie und <strong>der</strong> Ökonomie, es<br />
möglich geworden, die Menschen aus ihrem materiellen Elende herauszuziehen<br />
und auf Erden zu beseligen, seitdem – Sie verstehen mich. Und die<br />
heute werden uns schon verstehen, wenn wir ihnen sagen, dass sie in <strong>der</strong><br />
Folge alle Tage Rindfleisch statt Kartoffeln essen sollen und weniger arbeiten<br />
und mehr tanzen werden. – Verlassen Sie sich darauf, die Menschen<br />
sind keine Esel.“ – Vgl. auch das Gedicht „Die Wan<strong>der</strong>ratten“, Werke, Bd.<br />
2, S. 392, und die Kritik an den utopischen Kommunisten P. Leroux in <strong>der</strong><br />
„Lutetia“, Werke, Bd. 6, S. 530 f. sowie an Börnes „Durst nach Märtyrertum“,<br />
Werke, Bd. 6, S. 95. Allerdings ist auch das Interesse Ludwig Börnes,<br />
<strong>der</strong> den jungen Engels stark beeinflusst und dessen jakobinischen<br />
Radikalismus und „Nazarenertum“ – zum Beispiel die Antipathie gegen<br />
Goethe – Heine als zu beschränkt verurteilt, im großen Maße gerade auf<br />
die sozialen Verhältnisse gerichtet, wie seine „Briefe aus Paris“ zeigen (vgl.<br />
z. B. den 14. Brief vom 17. November 1830 und den 60. Brief über den Lyoner<br />
Seidenweberaufstand). – Börnes Bestreben, Theorie und Praxis zu<br />
verbinden, bekundet sich programmatisch in <strong>der</strong> „Ankündigung <strong>der</strong><br />
,Waage‘“ (1818): „Die Zeitschriften sind es, welche diese Münzen bilden;<br />
von <strong>der</strong> Ausbeute <strong>der</strong> Erkenntnis geprägt, unterhalten sie den Wechselverkehr<br />
zwischen Lehre und Ausübung. Nur sie führen die Wissenschaft ins<br />
Leben ein und das Leben zur Wissenschaft zurück.... ,Die Waage‘ ... wird<br />
besprechen: das bürgerliche Leben, die Wissenschaft und die Kunst, vorzüglich<br />
aber die heilige Einheit jener drei.“ Und in <strong>der</strong> „Ankündigung <strong>der</strong><br />
,Zeitschwingen‘“(1819) sagt Börne: „Das deutsche Volk hat noch zuwenig<br />
politische Aufklärung. Es kennt den Zusammenhang nicht zwischen einer<br />
repräsentativem Verfassung und seinem Magen... Und da auch ich... noch<br />
in <strong>der</strong> Zwitterzeit erzogen bin, wo die Wissenschaft sich vom Leben schied<br />
und man eine doppelte Sprache <strong>für</strong> beide Welten erlernte und gebrauchte;<br />
da man in Büchern an<strong>der</strong>s redete als mit dem Munde, so werde ich mich<br />
jener soviel als ausführbar enthalten.“ (Börnes Werke in zwei Bänden. Berlin<br />
und Weimar 1964. Erster Band, S. 78-80; S. 96)
283<br />
226 F. Engels: Ludwig Feuerbach und <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong> klassischen deutschen<br />
<strong>Philosophie</strong> (1888). Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 21, Berlin<br />
1962, S. 265<br />
227 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 307<br />
228 Ebenda, S. 256<br />
229 Ebenda, S. 260 f., 276, 302. Vgl. die Einleitung zu „Kahldorf über den<br />
Adel“, Werke, Bd. 4, S. 276, wo Hegel selbst in Parallele gesetzt wird mit<br />
Louis Philippe, insofern mit Recht, als auch dieser die Gegensätze noch<br />
zusammenhält und „die Flamme dämpft“. – Über die Julirevolution und<br />
das „juste Milieu“ ist Heine bald ernüchtert: „Nicht <strong>für</strong> sich... hat das Volk<br />
geblutet und gelitten, son<strong>der</strong>n <strong>für</strong> an<strong>der</strong>e. Im Juli 1830 erfocht es den Sieg<br />
<strong>für</strong> jene Bourgoisie, die ebensowenig taugt wie jene Noblesse, an <strong>der</strong>en<br />
Stelle sie trat, mit demselben Egoismus...“ Werke, Bd. 6, S. 140<br />
230 Vgl. Deutsche Ideologie, Karl Marx und Friedrich Engels, Werke, Bd. 4,<br />
Berlin 1962, S. 176 ff. – Dass Hegel die deutsche philosophische Theorie<br />
über die französische politische Praxis stellt, hin<strong>der</strong>t ihn nicht, bei einem<br />
Vergleich <strong>der</strong> Auffassung des Freiheitsprinzips in Frankreich und Deutschland<br />
mit Heineschem Witz zu sagen: „Wir haben allerhand Rumor im Kopfe<br />
und auf dem Kopfe; dabei lässt <strong>der</strong> deutsche Kopf eher seine Schlafmütze<br />
ganz ruhig sitzen, und operiert innerhalb seiner.“ (Vorlesungen über die<br />
Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Bd. 19, S. 553)<br />
231 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 300<br />
232 Werke, Bd. 4, S. 374 f. – Vgl. dazu Heines Umwertung <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Charakterisierung des Jünglings und Mannesalters in: Reisebil<strong>der</strong>, Die<br />
Stadt Lucca, Werke, Bd. 3, S. 410<br />
233 Werke, Bd. 5, S. 94 f.<br />
234 Werke, Bd. 7, S. 125 f.; ebenda, S. 306 f. Offensichtlich unter Marx’<br />
Einfluss steht Heine, wenn er in den „Briefen über Deutschland“ den Zusammenhang<br />
zwischen politisch-sozialer Praxis und idealistischer <strong>Philosophie</strong><br />
nunmehr bestimmter beschreibt als das Bündnis von proletarischer<br />
Bewegung und philosophisch-sozialer Theorie: „Es ist eine ebenso natürliche<br />
Erscheinung, dass die Proletarier in ihrem Ankampf gegen das Bestehende<br />
die fortgeschrittensten Geister, die Philosophen <strong>der</strong> großen Schule,
284<br />
als Führer besitzen; diese gehen über von <strong>der</strong> Doktrin zur Tat, dem letzten<br />
Zweck alles Denkens, und formulieren das Programm“ (S. 307). Vgl. dazu<br />
auch W. Harich: Heinrich Heine und die deutsche <strong>Philosophie</strong>, in: Sinn<br />
und Form, 8. Jahrg., 1956, 1. Heft, S. 46<br />
235 Werke, Bd. 7, S. 106. – Vgl. das erstmals 1844 im „Vorwärts“ in Paris<br />
veröffentlichte Gedicht „Doktrin“ aus <strong>der</strong> Sammlung „Neue Gedichte“<br />
(Werke, Bd. I, S. 319): „Trommle die Leute aus dem Schlaf,/ Trommle Reveille<br />
mit Jugendkraft,/ Marschiere trommelnd immer voran,/ Das ist die<br />
ganze Wissenschaft./ Das ist dien Hegelsche <strong>Philosophie</strong>...“ – Die Annahme<br />
einer esoterischen Lehre Hegels findet sich.wie<strong>der</strong> in Bruno Bauers<br />
„Posaune des jüngsten Gerichts“.<br />
236 Zur Geschichte <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland, Werke,<br />
Bd. 5, S. 233. – Heines und Marx’ unterschiedliche Stellung zur Dialektik<br />
Hegels übergeht W. Wieland, wenn er sagt: „Nicht übersehen sollte man<br />
bei alledem jedoch, dass Heine hier eine Konsequenz aus <strong>der</strong> idealistischen<br />
<strong>Philosophie</strong> zieht, wie sie später ganz ähnlich – nur viel radikaler,<br />
aber auch wirkungsvoller – von Karl Marx gezogen wurde.“ (W. Wieland:<br />
Heinrich Heine und die <strong>Philosophie</strong>. In: Deutsche Vierteljahresschrift <strong>für</strong><br />
Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte, 37. Band, 1963, S. 241.) –<br />
Offensichtlich schließt Heines Konzeption, die letztlich letztlich den Einfluss<br />
und die Wirksamkeit <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> in <strong>der</strong> gesellschaftlichgeschichtlichen<br />
Entwicklung überschätzt, einen vermittelnden Popularisierungsprozess<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ein, zu dem seine eigenen Schriften beitragen<br />
sollen und <strong>der</strong> tatsächlich auf dem Wege über Broschüren, Zeitschriften<br />
und Zeitungen mit <strong>der</strong> Tätigkeit <strong>der</strong> Junghegelianer, die alle keine Professoren<br />
sind, im großen Stil einsetzt. – Zu Heines „Über-den-Parteien-<br />
Stehen“ und Einsamkeit vgl. G. Lukács: Heinrich Heine als nationaler<br />
Dichter, a. a. 0., S. 96 f.; H. Lichtenberger: Heinrich Heine als Denker,<br />
Dresden 1921, S. 294: „... er stritt <strong>für</strong> die Freiheit, aber nur als Freischärler...“<br />
237 Geständnisse, Werke, Bd. 7, S. 127 ff., wo Heine seine frühere Darstellung<br />
<strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> lieber ungedruckt wissen würde und – nach Bekundung<br />
seines Schau<strong>der</strong>s vor dem philosophierenden Handwerkerkommunisten<br />
Weitling – die Geschichte vom Sturz des vermessenen Königs Nebukadnezar<br />
im Buch Daniel des Alten Testaments „dem guten Ruge“ und<br />
dem „noch viel verstocktern Freunde Marx, ja auch den Herren Feuerbach,<br />
Daumer, Bruno Bauer, Hengstenberg, und wie sie sonst heißen mögen,<br />
diese gottlosen Selbstgötter, zur erbaulichen Beherzigung“ empfiehlt. Siehe<br />
auch Vorwort zur französischen Ausgabe <strong>der</strong> „Lutetia“, Werke, Bd. 6, S.
285<br />
238 f. Ebenda, S. 432, 530. Vorrede <strong>der</strong> zweiten Auflage „Zur Geschichte<br />
<strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> in Deutschland“, Werke, Bd. 5, S. 168 ff.<br />
Brief an Laube vom 25. I. 1850, Werke, Bd. 9, S. 337 f.<br />
238 Cieszkowski: Prolegomena. zur Historiosophie, Berlin 1838, S. 101;<br />
vgl. S. 124, 129 f. (später abgekürzt als: Prolegomena).<br />
239 Brief an C. L. Michelet vom 10. X. 1836. Abgedruckt bei: W. Kühne:<br />
Graf August Cieszkowski, Leipzig 1938, S. 361<br />
240 Prolegomena, S. 8 f.: „Er hat nämlich in seinem Werke mit keiner Silbe<br />
<strong>der</strong> Zukunft erwähnt... Wir unsererseits müssen jedoch von vornherein<br />
behaupten, dass ohne die Erkennbarkeit <strong>der</strong> Zukunft als einen integrierenden<br />
Teil <strong>der</strong> Geschichte, welche die Realisation <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong><br />
Menschheit darstellt, unmöglich zum Erkennen <strong>der</strong> organischen und ideellen<br />
Totalität, so wie des apodiktischen Prozesses <strong>der</strong> Weltgeschichte zu gelangen<br />
ist.“<br />
241 Vgl. ebenda, S. 12 f., 21<br />
242 Vgl. G. Lukács: Moses Heß und die Probleme <strong>der</strong> idealistischen Dialektik,<br />
Leipzig 1926, S. 6 ff.<br />
243 J. G. Fichtes Sämtliche Werke, Bd. 7, Berlin 1846, S. 7 ff.<br />
244 Prolegomena, S. 146 ff.<br />
245 Ch. Fourier : Oeuvres complètes, Bd. II, Paris 1843, S. 197<br />
246 Vgl. H. Stuke: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, Stuttgart 1963, S. 90 f.<br />
247 C.-H. de Saint-Simon : Oeuvres choisies, Brüssel 1859, Bd. II, S. 13. –<br />
Auf Saint-Simon verweist Cieszkowskis For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> „Rehabilitation <strong>der</strong><br />
Materie“; Prolegomena, S. 127.<br />
248 Prolegomena, S. 58, 146, 149<br />
249 Ebenda, S. 100<br />
250 Ebenda, S. 34 ff.<br />
251 Ebenda, S. 51
252 Ebenda, S. 22<br />
286<br />
253 Ebenda, S. 24, 130 f. – Cieszkowskis konstruierendes Vorgehen zeigt<br />
sich auch in seiner Dissertation bei <strong>der</strong> Einteilung <strong>der</strong> ionischen <strong>Philosophie</strong><br />
in drei Stadien; vgl. W. Kühne: a. a. 0., S. 73 f.<br />
254 Vgl. Prolegomena, S. 124, 128<br />
255 Ebenda, S. 36. Vgl. Ojcze-Nasz, Bd. I, Paris 1848, S. 117. Aus dem polnischen<br />
„Ojcze-Nasz“ wird zitiert nach <strong>der</strong> Dissertation von A. Žółtowski:<br />
Graf August Cieszkowskis „<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat“, Posen 1904<br />
256 Prolegomena, S. 149<br />
257 Ebenda, S. 55 ff. Vgl. dazu: M. G. Lange: Der Junghegelianismus und<br />
die Anfänge des Marxismus, Jena 1946, S. 41 ff. – Cieszkowskis Vorgehen<br />
kritisiert schon J. Frauenstädt in <strong>der</strong> Rezension <strong>der</strong> „Prolegomena“ in den<br />
„Hallischen Jahrbüchern“, 1839, S. 480: solche Analogien „können recht<br />
geistreich sein, aber <strong>für</strong> die Erkenntnis <strong>der</strong> Sache ist durch sie nichts gewonnen...“<br />
Auch Michelet bemängelt in seiner Rezension den „schematisierenden<br />
Formalismus“; Jahrbücher <strong>für</strong> wissenschaftliche Kritik, 1838, S.<br />
790. – Cieszkowski steht hierin u. a. unter dem Einfluss des Schellingianers<br />
G. H. v. Schubert (vgl. Prolegomena, S. 54), dem er ein Exemplar <strong>der</strong><br />
„Prolegomena“ handschriftlich widmet, das sich jetzt in <strong>der</strong> Bayerischen<br />
Staatsbibliothek in München befindet.<br />
258 Prolegomena, S. 33<br />
259 Ebenda, S. 129-132<br />
260 Ebenda, S. 114: „Es soll jetzt <strong>der</strong> absolute Wille zu einer solchen Höhe<br />
<strong>der</strong> Spekulation emporgehoben werden, wie es bereits mit <strong>der</strong> Vernunft<br />
geschah, wozu sich schon sehr tiefe Andeutungen bei Fichte dem Ältern<br />
finden...“ (Im Original teilweise gesperrt)<br />
261 Ebenda, S. 145. Vgl. auch Cieszkowskis Beitrag zur Diskussion in <strong>der</strong><br />
Philosophischen Gesellschaft, die auf seine Anregung hin 1843 in Berlin<br />
gegründet wurde, über Gablers Thesen zu dem Thema „Über das Verhältnis<br />
<strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung zum Absoluten“: Jahrbücher <strong>für</strong> spekulative<br />
<strong>Philosophie</strong> und die philosophische Bearbeitung <strong>der</strong> empirischen<br />
Wissenschaften, hrsg. v. L. Noack, II. Jahrg., Darmstadt 1847, S. 230-233.<br />
– Dagegen wird Cieszkowski auf Fichte zurückgeführt von A. Cornu (Karl<br />
Marx und Friedrich Engels, Bd. I, Berlin 1854, S. 132): „Im Gegensatz zu
287<br />
Hegel, <strong>der</strong> Dogmatismus und Utopie aufs schärfste verurteilt hatte und<br />
stets bestrebt gewesen war, Denken und Sein aufs engste zu verbinden,<br />
löste Cieszkowski nach Fichteschem Vorbild diese Vereinigung auf, indem<br />
er das Denken als Wille in seinem steten Gegensatz zur bestehenden Wirklichkeit<br />
betrachtete.“ Ähnlich, aber differenzierter: H. Stuke, a. a. 0., S.<br />
121<br />
262 Prolegomena, S. 120<br />
263 Ebenda, S. 120. Vgl. Ojcze-Nasz, Bd. I, S. 234. In diesem Sinne heißt es<br />
in den Nachlassnotizen zu Cieszkowskis Sendschreiben an Michelet „Gott<br />
und Palingenesie“ (1842) : „Die Theorie ist das Vortrefflichste! sagen noch<br />
viele Blödsinnige, die nicht einsehen, dass die Theorie, insofern sie nur<br />
Theorie ist, nimmermehr das Vortrefflichste sein kann, denn jedes Nur<br />
deutet auf ein Noch. Das Vortrefflichste kann nicht eine Einseitigkeit, eine<br />
Abstraktion sein. Das Vortrefflichste... ist <strong>der</strong> Geist...“ Abgedruckt bei: W.<br />
Kühne, a. a. 0., S. 441<br />
264 Prolegomena, S. 115<br />
265 Ebenda, S. 103<br />
266 Ebenda, S. 100<br />
267 Vgl. Gott und Palingenesie, Berlin 1842, S. 41 f., 54 f. Ojcze-Nasz, Bd.<br />
III, S. 63 ff.<br />
268 Vgl. A. Žółtowski, a. a. 0., S. 167<br />
269 Vgl. Gott und Palingenesie, Berlin 1842, S. 54 f., 111, 113 f. Kühne, a.<br />
a. 0., S. 102, 117 ff., 263 ff.<br />
270 Prolegomena, S. 17 ff.<br />
271 Ebenda, S. 20<br />
272 Ebenda, S. 70. – Vgl. Constantin Frantz: Grundzüge des wahren und<br />
wirklichen absoluten Idealismus, Berlin 1843, S. 210 f. Siehe zur For<strong>der</strong>ung<br />
<strong>der</strong> praktischen Realisierung <strong>der</strong> philosophischen Prinzipien von<br />
nicht-junghegelianischer Seite auch E. Quinet: Allemagne et Italie, Bruxelles<br />
1839, Bd. 1, S. 44 ff.; K. Th. Bayrhoffer: Die Idee und Geschichte <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>, Leipzig 1838, S. 425 ff.
273 Prolegomena, S. 122<br />
288<br />
274 Dagegen behauptet Cornu, a. a. 0., Bd. I, S. 133: „Wie alle Idealisten<br />
betrachtete Cieszkowski die Praxis nicht als revolutionäre Tätigkeit, die<br />
sich zum unmittelbaren Ziel die tatsächliche Umwälzung <strong>der</strong> bestehenden<br />
Gesellschaftsordnung setzt, son<strong>der</strong>n als Kritik, die die herrschenden Zustände<br />
dadurch verän<strong>der</strong>n soll, dass sie diese prinzipiell und theoretisch<br />
negiert.“<br />
275 Prolegomena, S. 19<br />
276 Ebenda, S. 143: „Man hat also ganz richtig gesagt, dass die revolutionären<br />
Bewegungen unserer Zeit aus <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> hervorgegangen sind;<br />
aber man hätte hinzufügen sollen, dass, nachdem die <strong>Philosophie</strong> ihre<br />
Klassizität erreicht haben werde, umgekehrt aus ihr eine Evolution zu erwarten<br />
wäre...“<br />
277 Vgl. Ojcze-Nasz, Bd. I, S. 229; Bd. II, S. 233. (A. Žółtowski, a. a. 0., S.<br />
110, 124.) De la pairie et de l’aristocratie mo<strong>der</strong>ne, Paris 1844, S. 161: „Es<br />
wäre wohl Zeit, das kritische Zeitalter <strong>der</strong> Revolutionen zu schließen, um<br />
in das <strong>der</strong> organischen Evolutionen einzutreten.“ (W. Kühne, a. a. 0., S.<br />
130 ff.) – Cieszkowskis Konservatismus macht H. Stuke, a. a. 0., S. 35 f.,<br />
mit Recht geltend gegenüber R. Lauth: Einflüsse slawischer Denker auf die<br />
Genesis <strong>der</strong> Marxschen Weltanschauung, in: Orientalia Christiana Periodica,<br />
XXI, Rom 1955, und in: Die „verwirtschaftete“ Humanität. Grundvoraussetzungen<br />
<strong>der</strong> philosophischen Weltanschauung von Karl Marx, in:<br />
Neue Deutsche Hefte, Jahrg. 2,1955/56<br />
278 Prolegomena, S. 148<br />
279 Ebenda, S. 147<br />
280 Ebenda, S. 29 f., 110, 112, 152 f.<br />
281 Vgl. A. Žółtowski: a. a. 0., S. 115 f. W. Kühne: a. a. p., 3. 77 ff., 179 ff.,<br />
326 ff. Zur Schrift über den Kredit vgl. Marx’ Brief an Engels vom 12. I.<br />
1882<br />
282 Prolegomena, S. 153: „Der Staat verlässt gleichfalls seine abstrakte Abgeson<strong>der</strong>theit<br />
und wird selbst zum Gliede <strong>der</strong> Menschheit und <strong>der</strong> konkreten<br />
Völkerfamilie... Die Menschheit wird zur organischen Menschheit, welche<br />
wohl in ihrer höchsten Bedeutung Kirche genannt werden könnte.“ –<br />
Vgl. über Cieszkowskis Beitrag zur Debatte über einen Vortrag Marheine-
289<br />
kes in <strong>der</strong> Philosophischen Gesellschaft im Februar 1843 W. Kühne: a. a.<br />
0., S. 159 ff.<br />
283 Mickiewicz’ Stellung zu Hegel und seine Kenntnis <strong>der</strong> Althegelianer erhellt<br />
aus seiner Auffassung, dass die „deutschen Philosophen“ „nur danach<br />
streben, das Bestehende zu erklären und zu rechtfertigen. Hegels<br />
Axiom: was vernünftig ist, das ist wirklich; und was wirklich ist, das ist<br />
vernünftig – stellt die Begründung aller ihrer Systeme dar“; Ausgewählte<br />
Werke fortschrittlicher polnischer Denker, Moskau 1956, Bd. II, S. 328<br />
(russisch)<br />
284 Vgl. Ojcze-Nasz, Bd. I, S. 224 (A. Žółtowski, a. a. 0., S. 57 f.). W. Kühne,<br />
a.a.O., S. 258 f.9 267<br />
285 Vgl. Gott und Palingenesie, Berlin 1842, S. 94 f.<br />
286 Strauß’ Brief an Vischer vom 15. III. 1838. Ausgewählte Briefe von David<br />
Friedrich Strauß. Herausgegeben und erläutert von Eduard Zeller,<br />
Bonn 1885, S. 55 f. Vgl. die Briefe an Vischer vom 24. X. 1844, S. 163, an<br />
Kaufmann vom 7. XII. 1851, S. 299 (später abgekürzt als: Briefe); Streitschriften<br />
zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu und zur<br />
Charakteristik <strong>der</strong> gegenwärtigen Theologie, zweites Heft, Tübingen 1837,<br />
S. 199 (später abgekürzt als: Streitschriften); Zwei friedliche Blätter, Altona<br />
1839, S. 100<br />
287 F. Engels: Ludwig Feuerbach und <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong> klassischen deutschen<br />
<strong>Philosophie</strong>. Karl Marx/ Friedrich Engels. Werke. Bd. 21. Berlin1962,<br />
S. 271<br />
288 Streitschriften, III, S. 95<br />
289 Streitschriften, III, S. 62<br />
290 Streitschriften, II, S. 205 f. – Strauß’ Bewusstsein über einen Zusammenhang<br />
von Politik und Religion bekundet sich auch in seiner Schrift<br />
„Der Romantiker auf dem Throne <strong>der</strong> Cäsaren, o<strong>der</strong> Julian <strong>der</strong> Abtrünnige“<br />
(1847), in <strong>der</strong> er die Auseinan<strong>der</strong>setzungen zwischen Heidentum und<br />
Christentum zur Zeit Julians und zwischen Christentum und „freiem Humanismus“<br />
zur Zeit Wilhelm IV. parallelisiert; Gesammelte Schriften, herausgegeben<br />
von E. Zeller, Bd. I, Bonn 1876, S. 177 ff. (später abgekürzt<br />
als: Gesammelte Schriften). In <strong>der</strong> Vorrede zu „Das Leben Jesu <strong>für</strong> das<br />
deutsche Volk bearbeitet“ (1864) versteht Strauß die Religionskritik in ide-
290<br />
alistischer Weise ausdrücklich als Grundlegung zur Lösung politischer<br />
Aufgaben: „... wir Deutsche können politisch nur in dem Maße frei werden,<br />
als wir uns geistig, religiös und sittlich frei gemacht haben“; achte Auflage,<br />
Bonn 1895, S. XXIX. Vgl. dagegen den Brief an Vischer vom 1. I. 1850,<br />
Briefe, S. 253: „Ohne Revolution bekommen wir keinen neuen Boden in<br />
<strong>der</strong> Religion...“<br />
291 Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und<br />
im Kampfe mit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wissenschaft, zweiter Band, Tübingen/Stuttgart<br />
1841, S. 616 ff. (später abgekürzt als; Glaubenslehre).<br />
292 Brief an Rapp vom 3. IV. 1848, Briefe, S. 206. Vgl. Brief an Vischer vom<br />
13. IV. 1848, Briefe, S. 207 f.; Brief an Rapp vom 23. VII. 1843, Briefe, S.<br />
153<br />
293 Vgl. Literarische Denkwürdigkeiten, Gesammelte Schriften, Bd. I, S. 18<br />
ff.; Sechs theologisch-politische Volksreden, ebenda, S. 237 ff.; Zwei Briefe<br />
an Ernest Renan nebst dessen Antwort auf den ersten, ebenda, S. 297 ff.<br />
(Vergleichbar ist <strong>der</strong> öffentliche Briefwechsel zwischen Romain Rolland<br />
und Gerhart Hauptmann im Jahre 1914.) – Dass Strauß „keine Kampfnatur“<br />
ist, betont F. Mehring, Philosophische Aufsätze, Gesammelte Schriften,<br />
Bd. 13, Berlin 1961, S. 120<br />
294 Streitschriften, III S. 75<br />
295 Vgl. Streitschriften, III, S. 57<br />
296 Vgl. z. B. H. Steussloff: Die Junghegelianer, Ausgewählte Texte, Berlin<br />
1963, David Friedrich Strauß, Einleitung, S. 19<br />
297 Das Leben Jesu kritisch bearbeitet, 2. Auflage, Bd. I, Tübingen 1837,<br />
Vorrede, S. XII; vgl. Bd. II, S. 691 ff. später abgekürzt als: Leben Jesu);<br />
Briefe an Märklin vom 6. II. 1832, Briefe, S. 12, und an Käferle vom 27. I.<br />
1836, Briefe, S. 16 ff.<br />
298 Vgl. K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 356<br />
299 Phänomenologie des Geistes, Werke, Bd. 2, S. 426; vgl. S. 582 f.; Vorlesungen<br />
über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 200 f. Siehe<br />
dazu: Strauß: Streitschriften, III, S. 76-94<br />
300 Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 297
291<br />
301 Ebenda, S. 282 ff.; Phänomenologie des Geistes, Werke, Bd. 2, S. 582<br />
302 Streitschriften, III, S. 120<br />
303 Vgl. K. Barth: Kirchliche Dogmatik, Zürich 1935, I, 1, S. 345; <strong>der</strong>s.:<br />
David Friedrich Strauß als Theologe, Theologische Studien, Heft 6, Zollikon<br />
1939 S. 31. R. Buhmann: Der Begriff <strong>der</strong> Offenbarung im Neuen Testament,<br />
Tübingen 1829, S. 30; <strong>der</strong>s.: Geschichte <strong>der</strong> synoptischen Tradition,<br />
Göttingen 1931, S. 396. Siehe auch: G. Backhaus: Kerygma und Mythos<br />
bei David Friedrich Strauß und Rudolf Bultmann, Theologische Forschung,<br />
12, Hamburg-Bergstedt 1956. H. Steussloff: Die Religionskritik<br />
von D. F. Strauß, in: Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>, Heft 6, 1962<br />
304 G. Bornkamm: Jesus von Nazareth, Stuttgart 1963, S. 20<br />
305 S. Kierkegaard: Einübung ins Christentum, Jena 1924, S. 28. Siehe<br />
dazu: G. Lukács: Die Zerstörung <strong>der</strong> Vernunft, Berlin 1955, S. 214<br />
306 Vgl. z. B. B. Bauer: Das entdeckte Christentum, Jena 1927, S. 120. L.<br />
Feuerbach: Das Wesen des Christentums, Bd. I, Berlin 1956, S. 246 f.; Bd.<br />
II, S. 325. K. Marx: Bemerkungen über die preußische Zensurinstruktion,<br />
Werke, Bd. I, S. 16: „Die eigentliche Unbescheidenheit besteht darin, die<br />
Vollendung <strong>der</strong> Gattung beson<strong>der</strong>n Individuen zuzuschreiben“ (gesagt gegen<br />
die Anmaßung <strong>der</strong> Regierung, <strong>der</strong> Zensur Gattungsvollkommenheit<br />
zuzuerkennen). Vgl. dazu auch Marx’ Kritik an Hegels Verkörperung <strong>der</strong><br />
Staatssouveränität in <strong>der</strong> einen Person des Monarchen, in: Zur Kritik <strong>der</strong><br />
Hegelschen Rechtsphilosophie, ebenda, S. 228<br />
307 Leben Jesu, Bd. II, S. 739 f. Vgl. Streitschriften, III, S. 71 ff. Zwei friedliche<br />
Blätter, Altona 1839, Vorwort, S. XX, XXXII; darin: Vergängliches<br />
und Bleibendes im Christentum, S. 98, 109 ff. Das Leben Jesu <strong>für</strong> das<br />
deutsche Volk bearbeitet, Bonn 1895, S. XXVIII, S. 388<br />
308 Streitschriften, III, S. 116<br />
309 Vgl. Leben Jesu, S. 736<br />
310 Glaubenslehre, Bd. 1, S. 53<br />
311 Streitschriften, III, S. 150 f., 70 f. – Zu dem Verhältnis <strong>der</strong> welthistorischen<br />
Individuen und <strong>der</strong> ihnen immermehr zuteil werdenden „geschichtlichen<br />
Unterstützung“ vgl.: Zwei friedliche Blätter, Altona 1838, S. 123 ff.<br />
Zu Strauß’ pseudoaristokratischer antisozialdemokratischer Umdeutung
292<br />
<strong>der</strong> Hegelschen Lehre vom welthistorischen Individuum und ihrer Anwendung<br />
auf Bismarck und Moltke siehe seine letzte Schrift: Der alte und <strong>der</strong><br />
neue Glaube, Leipzig 1872, S. 280 f.<br />
312 Die heilige Familie, Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Bd. 2, Berlin<br />
1959, S. 147. – Zu Bruno Bauers entgegengesetzter (von Marx ebenfalls als<br />
einseitig gekennzeichneten) Betrachtung <strong>der</strong> Evangelien als absichtlich-schriftstellerische<br />
„Schöpfung des Selbstbewusstseins“ und zu seiner<br />
entsprechenden Kritik an Strauß’ Mythentheorie und Traditionshypothese<br />
siehe vor allem: Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, Bd. I,<br />
Leipzig 1841, Vorrede, S. VII ff.<br />
313 Vgl. Streitschriften, II, S. 222 f.<br />
314 F. Nietzsche: Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück. David Friedrich<br />
Strauß, <strong>der</strong> Bekenner und Schriftsteller (1873). Friedrich Nietzsche,<br />
Gesammelte Werke, sechster Band, München 1922, S. 169 f. (Ebenda, S.<br />
173 f., verkennt Nietzsche die von Hegel in <strong>der</strong> Vorrede zur „Phänomenologie<br />
des Geistes“ entwickelte Dialektik des Wahren und Falschen, auf die<br />
Strauß in seiner Schrift anspielt.) Zu Strauß’ Reaktion auf Nietzsches Polemik<br />
vgl. den Brief an Rapp vom 19. XII. 1873, Briefe, S. 570: „... das eigentliche<br />
Motiv seines leidenschaftlichen Hasses begreife ich nicht.“<br />
315 Glaubenslehre, Bd. I, Vorrede, S. X<br />
316 Ebenda, Einleitung, S. 71<br />
317 Streitschriften, III, S. 65: „Zwischen das Dogma in seiner kirchlichen<br />
Fassung, die heilige Geschichte in ihrer biblischen Erscheinung einerseits,<br />
und den an und <strong>für</strong> sich wahren Begriff an<strong>der</strong>erseits, fällt eine ganze theologische<br />
Phänomenologie hinein, in welcher es jenen Anfängen des religiösen<br />
Bewusstseins nicht besser ergehen kann, als <strong>der</strong> sinnlichen Gewissheit<br />
in <strong>der</strong> philosophischen Phänomenologie“.<br />
318 Glaubenslehre, Bd. I, S. 71<br />
319 Zur Grundproblematik <strong>der</strong> dialektischen Unterscheidung zwischen<br />
Vorstellung und Begriff, Schein und Wesen, vgl. K. Kosík, Die Dialektik des<br />
Konkreten, Frankfurt 1967, S. 7 ff.<br />
320 Streitschriften, II, S. 58
293<br />
321 Vgl. Glaubenslehre, Bd. I, S. 4. Die Halben und die Ganzen, Gesammelte<br />
Schriften, Bd. 5, S. 181 f.: „Feuerbach... hat das Doppeljoch, worin bei<br />
Hegel <strong>Philosophie</strong> und Theologie noch gingen, zerbrochen. Er hat gezeigt,<br />
dass Religion und <strong>Philosophie</strong> mitnichten denselben Inhalt, nur unter verschiedenen<br />
Formen, haben. Er hat... je<strong>der</strong> <strong>der</strong> beiden Sphären ihren beson<strong>der</strong>en<br />
Schwerpunkt zurückgegeben. Er hat das Bestreben, in den einzelnen<br />
christlichen Dogmen entsprechende philosophische Wahrheiten<br />
verkörpert finden zu wollen, als ein verkehrtes nachgewiesen... und auf<br />
diesem Standpunkte, nun auch mit dem an<strong>der</strong>en Fuß aus <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Schule herausgeschritten, habe ich meine Glaubenslehre geschrieben.“<br />
Vgl. auch den Brief an Märklin vom 22. VII. 1846, Briefe, S. 184: „...seine<br />
Theorie ist die Wahrheit <strong>für</strong> diese Zeit.“ Feuerbach habe ihn, so gesteht<br />
Strauß, überholt. Siehe dazu: S. Eck (Anhänger <strong>der</strong> liberalen – von <strong>der</strong> Religion<br />
die Grundlegung <strong>der</strong> „sittlichen Organisation des Menschen“ erwartenden<br />
– Theologie A. Ritschls): David Friedrich Strauß, Stuttgart 1899, S.<br />
105 f.<br />
322 Vgl. Glaubenslehre, Bd. I, S. 13: „Wenn daher Hegel die Form <strong>der</strong> Vorstellung,<br />
in welcher ihm zufolge die Religion den absoluten Inhalt hat, ungescheut<br />
als eine untergeordnete, inandäquate bezeichnet: so fragt sich,<br />
ob in einer endlichen Form <strong>der</strong> Inhalt als absoluter vorhanden sein kann,<br />
und nicht vielmehr mit dieser Form selbst ein endlicher, <strong>der</strong> Idee unangemessener,<br />
wird?“<br />
323 So missverstanden im „Lexikon <strong>für</strong> Theologie und Kirche“, Bd. 9, Freiburg<br />
1964, S. 1109<br />
324 Vgl. Glaubenslehre, Bd. I, S. 70: „... Aber vermitteln ist ein schweres<br />
Amt: und doch nehmen es die meisten damit so erstaunlich leicht. Nicht<br />
je<strong>der</strong>mann besitzt den Apparat und die Ausdauer, womit Schleiermacher<br />
Christentum und Spinozismus zum Behuf <strong>der</strong> Mischung so fein pulverisierte,<br />
dass ein scharfes Auge dazu gehört, die vermischten Bestandteile zu<br />
unterscheieden...“ – Im übrigen streitet Strauß erfolgreich gegen die Bevorzugung<br />
des Johannes-Evangeliums durch Schleiermacher (<strong>der</strong> ihn von <strong>der</strong><br />
Theosophia Jakob Böhmes und dem Somnambulismus Justinus Kerners<br />
befreit; vgl. E. Zeller: David Friedrich Strauß in seinem Leben und seinen<br />
Schriften, Bonn 1874, S. 16 ff.), wobei er <strong>der</strong> Authentizität dieses Evangeliums<br />
nur in <strong>der</strong> dritten Auflage seines „Leben Jesu“ (1838; cfr. Vorrede, S.<br />
IV f.) – kurz darauf wi<strong>der</strong>rufene – Zugeständnisse macht, ohne dass<br />
Strauß allerdings erkennt, was Her<strong>der</strong> einsah: dass Markus das älteste<br />
Evangelium ist und Matthäus und Lukas von ihm abhängig sind, wie denn<br />
Strauß überhaupt auf die Quellenkritik erst im „Leben Jesu“ <strong>für</strong> das deutsche<br />
Volk bearbeitet“ (1864) näher eingeht; siehe dazu K. Fischer: Ge-
294<br />
sammelte Aufsätze, Über David Friedrich Strauß, Heidelberg 1908, S. 103<br />
ff. Aber auch <strong>der</strong> johanneische Jesus ist <strong>für</strong> Schleiermacher wie <strong>für</strong> Strauß<br />
ein Mensch, ausgezeichnet durch die „Kräftigkeit seines Gottesbewusstseins“,<br />
nicht „schlechthin übernatürlich o<strong>der</strong> übervernünftig“ (D. F.<br />
Schleiermacher: Der christliche Glaube nach den Grundsätzen <strong>der</strong> evangelischen<br />
Kirche, 1821, § 13 f.)<br />
325 Glaubenslehre, Bd. I, S. 659 f. Vgl. S. 617-660<br />
326 Vgl. Glaubenslehre, Bd. I, Einleitung, S. 66, Anmerkung 9<br />
327 A. Schweitzer: Geschichte <strong>der</strong> Leben-Jesu-Forschung, Tübingen 1913,<br />
S. 82. – Den (von Treitschke monierten) zerstörerischen Charakter <strong>der</strong> Kritik<br />
betont dagegen Th. Ziegler: D. F. Strauß, Bd. I, Straßburg 1908, S. 170<br />
328 M. Bakunin: Die Reaktion in Deutschland, in: Deutsche Jahrbücher <strong>für</strong><br />
Wissenschaft und Kunst, 1842, S.993 (unter dem Pseudonym Jules Elysard).<br />
Zu Bruno Bauers entsprechen<strong>der</strong> Umwandlung <strong>der</strong> Dialektik siehe<br />
H. Stuke: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, Stuttgart 1963, S. 139 ff. – Zu Bakunins<br />
Konzeption <strong>der</strong> Einheit <strong>der</strong> theoretischen <strong>Philosophie</strong> und des praktischen<br />
Kommunismus als „das eigentliche Wesen des Christentums“ siehe: Der<br />
Kommunismus, in: Schweizerischer Republikaner, 6. VI. 1843<br />
329 Glaubenslehre, Bd. I, Einleitung, S. 23<br />
330 Ebenda, S. 17 ff. Vgl. Literarische Denkwürdigkeiten, Gesammelte<br />
Schriften, Bd. I, S. 14<br />
331 Über Ruges anfängliche Stellung zu Strauß siehe: Leo und die Evangelische<br />
Kirchenzeitung gegen die <strong>Philosophie</strong>, Hallische Jahrbücher <strong>für</strong><br />
deutsche Wissenschaft und Kunst (später abgekürzt als: Hallische Jahrbücher),<br />
1838, S. 1888: „Die <strong>Philosophie</strong> bestreitet we<strong>der</strong> die biblische<br />
noch die dogmatische Wahrheit, im Gegenteil sie rehabilitiert dieselbe in<br />
dem gegenwärtigen Bewusstsein und in <strong>der</strong> Form dieses Bewusstseins.“<br />
Vgl. Hallische Jahrbücher, 1839, S. 985 ff. (David Friedrich Strauß: Zwei<br />
friedliche Blätter), wo Ruge den Schweizern hinsichtlich <strong>der</strong> Züricher Affäre<br />
vorwirft, sich politisch praktisch statt rein wissenschaftlich-theoretisch<br />
gegenüber Strauß verhalten zu haben. (Siehe auch: Der Freihafen, ebenda,<br />
S. 96 ff.) Hallische Jahrbücher, 1840, S. 2489 ff., hebt Ruge an Strauß’<br />
„Glaubenslehre“ die geschichtliche Behandlung <strong>der</strong> Dogmen hervor; dazu:<br />
W. Neher: Arnold Ruge als Politiker und politischer Schriftsteller, Heidelberger<br />
Abhandlungen, Heft 64, Heidelberg 1933, S. 57 f. Vgl. auch: Deutsche<br />
Jahrbücher <strong>für</strong> Wissenschaft und Kunst (später abgekürzt als: Deut-
295<br />
sche Jahrbücher), Leipzig 1842, S. 762 (Die Hegelsche Rechtsphilosophie<br />
und die Politik unsrer Zeit). Schließlich die Beurteilung Strauß’ vom Feuerbachschen<br />
Standpunkt her: Neue Wendung <strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong>.<br />
Kritik des Buches: Das Wesen des Christentums, in: Anekdota zur neuesten<br />
<strong>Philosophie</strong> und Publizistik, Zürich und Winterthur 1843. Zwei Jahre<br />
in Paris, Studien und Erinnerungen, zweiter Teil, Leipzig 1846 (später abgekürzt<br />
als: Zwei Jahre in Paris) S. 42-50<br />
331a Aus früherer Zeit, Berlin 1887, Bd. IV, S. 496 (später abgekürzt als:<br />
Aus früherer Zeit)<br />
331b Deutsch-Französische Jahrbücher, Paris 1844, S. 5 f.: „Wir werden<br />
damit anfangen, eine kritische Zeitschrift zu schreiben, und wir denken,<br />
ihr diesen Namen dadurch zu verdienen, dass wir in ihr eine philosophische<br />
und publizistische Darstellung <strong>der</strong> Krisen unserer Zeit geben.“<br />
331c Vgl. z. B. Deutsche Jahrbücher, 1843, Vorwort, S. 2, wo Ruge fragt, ob<br />
die Kritik dem Volk dazu verhelfen könne, „alle Herrlichkeiten des befreiten<br />
Innern... zur Gemüts- und Willenssache... zu verdichten... ist es nicht<br />
vielmehr ihr Begriff, dass sie nur scheidet, nicht verbindet, nur auflöst,<br />
nicht verdichtet? Das ist er...“ Vgl. Zwei Jahre in Paris, S. 17 nnd 33, wo<br />
die Kritik als „Auflösung“ allen Systemen entgegen gestellt wird. Allerdings<br />
sei die Auflösung „nur eine Metamorphose, nicht eine Vernichtung“ (ebenda,<br />
S.123)<br />
332 Die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Politik unsrer Zeit, Deutsche<br />
Jahrbücher, 1842, S. 763, 765<br />
333 Ebenda, S. 763. Vgl. Brief an Rosenkranz vom 17. XI. 1839, Briefwechsel,<br />
Bd. I, S. 185 f.<br />
334 Ebenda, S.761 (Im Original gesperrt außerhalb <strong>der</strong> Klammer)<br />
335 Brief an Marx vom 28. 3. 1841, in: Karl Marx und Friedrich Engels,<br />
Historisch-kritische Gesamtausgabe (später abgekürzt als: MEGA), Frankfurt<br />
a. M. und Berlin 1927, I, 1; 2, S. 247. (Siehe auch Ruge, Deutsche<br />
Jahrbücher, 1843, Vorwort, S. 1:,... man darf das Vertrauen zu dem Terrorismus<br />
<strong>der</strong> Vernunft nie verlieren, wenn man nicht den Boden unter seinen<br />
Füßen verlieren will.“) Vgl. dazu H. Stuke: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, Stuttgart<br />
1963, S. 162<br />
336 B. Bauer: Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten<br />
und Antichristen (1841), wie<strong>der</strong> abgedruckt in: Die Hegelsche Linke, Texte,
296<br />
ausgewählt und eingeleitet von K. Löwith, Stuttgart-Bad Cannstadt 1962,<br />
S. 172<br />
336a Aus früherer Zeit, S. 511 ff., 527. Siehe auch: W. Piechocki: Die kommunalpolitische<br />
Wirksamkeit A. Ruges in Halle während <strong>der</strong> Jahre<br />
1831-1841. Festschrift <strong>der</strong> M. Luther Universität Halle-Wittenberg, Halle<br />
1967<br />
337 Vgl. Ruges Brief an Fleischer vom 12. 12. 1842: „Die ,Freien‘ sind eine<br />
frivole und blasierte Clique... B. Bauer... heftete mir die lächerlichsten<br />
Dinge auf die Nase, z. B. <strong>der</strong> Staat und die Religion müssten im Begriff<br />
aufgelöst werden, das Eigentum und die Familie dazu...“ Arnold Ruges<br />
Briefwechsel und Tagebuchblätter aus den Jahren 1825-1880, herausg. v.<br />
P. Nerrlich, Berlin 1886 (später abgekürzt als: Briefwechsel), Bd. 1, S. 290.<br />
Auch Marx bricht mit den „Freien“ kurz nach Übernahme <strong>der</strong> Redaktion<br />
<strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“ im Oktober 1842 und tritt auf die Seite Ruges<br />
und Herweghs.<br />
337a Vgl. z. B. Ruges Begründung da<strong>für</strong>, dass seine reaktionären Gegner<br />
scheitern müssten: „Dies praktische Resultat führt sich allerdings von<br />
selbst aus. Der praktische Prozess ist aber hier zu langwierig. Ihr müsst<br />
gleich von vornherein erkannt werden, das volle Bewusstsein über euch ist<br />
aufzuwecken, d. h. ihr seid literarisch zu vernichten ... Wir sind <strong>der</strong> Blitz <strong>der</strong><br />
Wahrheit, <strong>der</strong> euch vernichtet, indem er euch beleuchtet.“ (Die Denunziation<br />
<strong>der</strong> Hallischen Jahrbücher, Hallische Jahrbücher 1838, S. 1427)<br />
338 Die Hegelsche <strong>Philosophie</strong> und <strong>der</strong>... Philosoph in <strong>der</strong> Augsburger Allgem.<br />
Zeitung, Deutsche Jahrbücher, 1841, S. 130. Vgl. Brief an Stahr vom<br />
23. 2. 1843, Briefwechsel, Bd. 1, S. 299: „Die durchgeführte Erklärung des<br />
Bestehenden ist ein dankbares Werk und die Notwendigkeit <strong>der</strong> radikalen<br />
Reform erfolgt dann von selbst.“<br />
338a Aus früherer Zeit, S. 599<br />
339 Siehe dazu M. Lange: Der Junghegelianismus und die Anfänge des<br />
Marxismus, Jena 1946, S. 61. – Deshalb ist es nicht haltbar, in Bezug auf<br />
Ruge von einer „voluntaristischen“ <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat zu sprechen, wie P.<br />
Wende: Arnold Ruge: Der Patriotismus, Frankfurt a.M. 1968, S. 118<br />
340 Aus früherer Zeit, S. 472. Siehe dazu: H. Rosenberg: Arnold Ruge und<br />
die Hallischen Jahrbücher, Archiv <strong>für</strong> Kulturgeschichte, Bd. 20, S. 285 ff.<br />
– Zu Ruges Einschätzung <strong>der</strong> zum Vorbild genommenen französischen<br />
Aufklärer vgl. den Brief an Stahr vom 7. XI. 1841, Briefwechsel, Bd. 1, S.
297<br />
247: „Die Kerle schreiben Schwerter und Dolche, sie sind mächtiger als<br />
Kanonen und Bajonette.“<br />
341 Grundsätze <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Zukunft (1843), § 24, Ludwig Feuerbach,<br />
Kleine Schriften, Frankfurt a. M. 1966, S. 182<br />
342 MEGA I, 1; 1, S. 64<br />
343 Deutsche Jahrbücher, 1841, S. 594 (Rezension über Bauers „Posaune“)<br />
344 Hallische Jahrbücher, 1841, Vorwort, S. 2. Vgl. Brief an Prutz vom 8. 1.<br />
1842, Briefwechsel, Bd. 1, S. 259; Zur Kritik des gegenwärtigen Staats-<br />
und Völkerrechts, Hallische Jahrbücher, 1840, S. 1202: „Die Theorie<br />
bleibt immer <strong>der</strong> oberste bewegende Gott und sitzt im Rate aller Entschlüsse,<br />
denen ein mehr als zufälliger Charakter beiwohnt...“ – In Halle<br />
arbeitet Ruge einen Plan aus „Zur Gründung einer rein wissenschaftlichen<br />
Universität in Dresden im Gegensatz zu den Seminarien <strong>für</strong> die Praxis,<br />
welche die alten Universitäten darstellen.“ (Aus früherer Zeit, S. 525.) Dabei<br />
lehnt sich Ruge nicht nur auf gegen die Dienstbarkeit <strong>der</strong> Theorie gegenüber<br />
einer pragmatistisch verstandenen Alltagspraxis.<br />
345 Vgl. Deutsche Jahrbücher, 1842, Vorwort, S. 1: „Der Wi<strong>der</strong>stand wie<br />
<strong>der</strong> Sieg, den die Wissenschaft will, ist zunächst ein rein geistiger, sie will<br />
durch ihre Wahrheit gelten und nur durch ihre Unwahrheit wi<strong>der</strong>legt<br />
sein.“<br />
346 Zwei Jahre in Paris, S. 28. Siehe auch: Deutsch-Französische Jahrbücher,<br />
Paris 1844, S. 8. Vgl. Feuerbach: Vorläufige Thesen zur Reform <strong>der</strong><br />
<strong>Philosophie</strong>, Ludwig Feuerbach, Kleine Schriften, Frankfurt a. M. 1966, S.<br />
226: „Alles was auf Erden, findet sich wie<strong>der</strong> im Himmel <strong>der</strong> Theologie – so<br />
auch Alles, was in <strong>der</strong> Natur, im Himmel <strong>der</strong> göttlichen Logik...“ Zwar stellt<br />
auch Schelling die Priorität des Seins fest – „In dieser Einheit aber ist die<br />
Priorität nicht auf seiten des Denkens, das Sein ist das erste, das Denken<br />
erst das zweite o<strong>der</strong> folgende“ (Sämtliche Werke, Stuttgart 1856 ff., II. Abt.,<br />
Bd. I, S. 587) – aber er verbindet sie in schroffem Gegensatz zu den Junghegelianern<br />
mit dem Theismus seiner „positiven <strong>Philosophie</strong>“. – Im Gegensatz<br />
zu Feuerbach hält Ruge an <strong>der</strong> Dialektik als dem Prinzip <strong>der</strong> revolutionären<br />
Entwicklung fest; vgl. Zwei Jahre in Paris, S. 31 f.; Aus früherer<br />
Zeit, S. 598 ff.<br />
347 Siehe K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 96 ff., 224
298<br />
348 Die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit, Deutsche<br />
Jahrbücher, 1842, S. 763: „Die Theorie hat aber die Aufgabe, streng zu<br />
unterscheiden, wo sie sich als Metaphysik und wo sie sich als Kritik verhält,<br />
wo sie eine logische und wo eine historische Kategorie vor sich hat.<br />
Die Hegelsche Rechtsphilosophie, um sich als ,Spekulation‘ o<strong>der</strong> als absolute<br />
Theorie zu verhalten, also die,Kritik‘ nicht hervortreten zu lassen, erhebt<br />
die Existenzen o<strong>der</strong> die historischen Bestimmtheiten zu logischen Bestimmtheiten...“<br />
349 Vgl. den Brief an Stahr vom 23. II. 1843, Briefwechsel, Bd. I, S. 299<br />
350 Ebenda, S. 762. Vgl. Der Protestantismus und die Romantik, Hallische<br />
Jahrbücher, 1840, S. 417 f. Zur Kritik des gegenwärtigen Staats und Völkerrechts<br />
ebenda, S. 1211. Politik und <strong>Philosophie</strong>, ebenda, S. 2331. Vorwort<br />
zum 1. Jahrg. <strong>der</strong> Deutschen Jahrbücher, 1841, S. 2. Vorwort zum<br />
letzten Jahrg. <strong>der</strong> Deutschen Jahrbücher, 1843, S. 6<br />
351 Die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit, Deutsche<br />
Jahrbücher, 1842 S. 764<br />
352 Zur Kritik des gegenwärtigen Staats- und Völkerrechts, Hallische Jahrbücher,<br />
1840, S. 1211 f.<br />
353 Die Allgemeine Literaturzeitung über Strauß, o<strong>der</strong> <strong>der</strong> alte und <strong>der</strong><br />
neue Rationalismus, Hallische Jahrbücher, 1841, S. 271: „Die Hegelsche<br />
<strong>Philosophie</strong> hört bei sich, bei <strong>der</strong> theoretischen Systematisierung von Geist<br />
und Natur, von Geschichte und Dasein auf, sie besinnt sich über alles,<br />
nur nicht über sich selbst, denn es entgeht ihr, dass sie mit diesem ihrem<br />
System <strong>der</strong> bisherigen Vernunft nun die For<strong>der</strong>ung des zukünftigen vernünftigen<br />
Werdens ist. “ Vgl.: Der Protestantismus und die Romantik, Hallische<br />
Jahrbücher, 1840, S. 417. f. : „... die absolute Tatenlust des befreiten<br />
Geistes, <strong>der</strong> reformatorische Enthusiasmus, <strong>der</strong> unsere Mitwelt überall<br />
ergreift, begnügt sich nicht mit <strong>der</strong> Hegelschen Beschaulichkeit, welche in<br />
theoretischer Selbstzufriedenheit dem Prozesse bloß zusieht und jede Absurdität<br />
konstruiert, son<strong>der</strong>n handelt, for<strong>der</strong>t, gestaltet...“<br />
354 Vorwort zum letzten Jahrgang <strong>der</strong> Deutschen Jahrbücher, 1843, S. 6<br />
355 Der Protestantismus und die Romantik, Hallische Jahrbücher, 1840, S.<br />
417; vgl. Zur Kritik des gegenwärtigen Staats- und Völkerrechts, ebenda,<br />
S. 2111<br />
356 Zwei Jahre in Paris, S. 31
299<br />
357 Die Hegelsche Rechtsphilosophie und die Politik unserer Zeit, Deutsche<br />
Jahrbücher, 1842, S. 760<br />
358 David Friedrich Strauß, „Zwei friedliche Blätter“, Hallische Jahrbücher,<br />
1839, S. 993 f.<br />
359 Julius Schaller, Die <strong>Philosophie</strong> unserer Zeit, Hallische Jahrbücher,<br />
1838, S. 769 ff., 780<br />
360 Die Denunziation <strong>der</strong> Hallischen Jahrbücher, 1838, S. 1433. (Der letzte<br />
Satzteil des Zitats ist im Original gesperrt.) Vgl. dazu; A. Rosenberg, a. a.<br />
0., S. 291. Siehe auch Ruge: Deutscher Musenalmanach <strong>für</strong> das Jahr<br />
1839, Hallische Jahrbücher, 1839, S. 661 f.; Nachträgliches zur Reformationsfeier,<br />
Hallische Jahrbücher, 1839, S. 1336; Gedichte von J. P. Eckermann,<br />
Hallische Jahrbücher, 1838, S. 869 f.; Literarische Zustände<br />
und Zeitgenossen, Hallische Jahrbücher, 1838, S. 2,98 ff.; Das Wesen und<br />
Treiben <strong>der</strong> Berliner Evangelischen Kirchenzeitung, Hallische Jahrbücher,<br />
1839, S. 1409; K. Gutzkow, Blasedow und seine Freunde, Hallische Jahrbücher,<br />
1839, S. 1047 ff., S. 1054: „Die Erkenntnis hat sich das untergeordnete<br />
Gebiet des Lebens nicht zum Zweck zu setzen, son<strong>der</strong>n nur sich<br />
selbst. Die Jahrbücher lehnen daher die Zumutung ab, sich mit Parteiinteresse<br />
ins praktische Gebiet einzulassen...“<br />
361 Sendschreiben an Görres von Heinrich Leo, Hallische Jahrbücher,<br />
1838, S. 1183; zu Ruges Bezug auf Hegels Auffassung <strong>der</strong> Reformation<br />
siehe S. 1195 f. Gegen Görres’ „Mystik“ und „Romantik“ ist auch die Rezension<br />
von dessen Schrift „Die Triarier“ gerichtet: ebenda, S. 1913 ff.<br />
362 Siehe H. Leo: Die Hallischen Jahrbücher <strong>für</strong> deutsche Wissenschaft<br />
und Kunst, in: Berliner politisches Wochenblatt, Juli 1838; <strong>der</strong>s.: Die Hegelingen,<br />
Halle 1838, Vorwort, S. 4 f. Vgl. auch E. W. Hengstenberg: Wi<strong>der</strong><br />
die Hallischen Jahrbücher, in: Die evangelische Kirchenzeitung, 1838, Nr.<br />
69<br />
363 Die Denunziation <strong>der</strong> Hallischen Jahrbücher, Hallische Jahrbücher,<br />
1838, S. 1425-1440; S.1437: „Wird nun aber die Entwicklung nicht aufgehalten<br />
und gehemmt, im Gegenteile, hat <strong>der</strong> Staat das reformierende<br />
Prinzip wie Preußen, so gibt es keine Notwendigkeit, ja nicht einmal eine<br />
Möglichkeit <strong>der</strong> Revolution.“ Dem Vorwurf, die Revolution werde in Preußen<br />
durch die Junghegelianer verursacht so wie die französische Revolution<br />
durch die französischen Aufklärer hervorgerufen sei, hält Ruge hier<br />
noch entgegen, dass die revolutionären Bewegungen kein primäres Resul-
300<br />
tat <strong>der</strong> Literatur sind (S. 135 f.). Vgl. auch: Leo und die Evangelische Kirchenzeitung<br />
gegen die <strong>Philosophie</strong>, Hallische Jahrbücher, 1838, S. 1881-<br />
1896; Aufgabe <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ist <strong>für</strong> Ruge hier die Vermittlung des gegebenen<br />
Inhalts <strong>der</strong> Religion in neuer begrifflicher Form ganz im Sinne von<br />
Strauß’ „Leben Jesu“ (S. 1888). – Siehe auch E. Meyen: Heinrich Leo. Der<br />
verhallerte Pietist, Leipzig 1838; K. F. Köppen: Noch ein Wort über Leos<br />
Geschichte <strong>der</strong> französischen Revolution, Deutsche Jahrbücher, 1842, S.<br />
513 ff.<br />
364 Heinrich Heine, charakterisiert nach seinen Schriften, Hallische Jahrbücher,<br />
1838, S. 193-227; S. 219: „So ist die ganze Poesie <strong>der</strong> Koketterie,<br />
die sich immer nur scheinbar auf die Substanz einlässt, nur mit ihr buhlt<br />
um des Scheins willen, ihrem innersten Begriff nach eine Poesie <strong>der</strong> Lüge.“<br />
Vgl. Ruges Briefe an seinen Bru<strong>der</strong> Ludwig vom 28. VIII. 1843, an seine<br />
Gattin vom 11. VII. 1843 und an Stahr vom 11. VII. 1844, Briefwechsel,<br />
Bd. I, S. 331, 334 ff., 363 f. – Gegen die pietistische Innerlichkeit als Weltfremdheit<br />
ist <strong>der</strong> Artikel gerichtet: Der Pietismus und die Jesuiten, Hallische<br />
Jahrbücher, 1839, S. 241 ff.<br />
365 Aus früherer Zeit, a. a. p., S. 487. – Das Manifest, Hallische Jahrbücher,<br />
1839, S. 1953 ff., schreibt Ruge zusammen mit Echtermeyer, mit<br />
dem er sich aus Streit über das „Ideeneigentum“ entzweit; vgl. dazu: Aus<br />
früherer Zeit, a. a. 0., S. 541 ff. Im Manifest wird Schiller als Praktiker und<br />
Goethe als Theoretiker bezeichnet, insofern <strong>der</strong> eine „sein Denken realisiert,<br />
hinausbildet“, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e „die Welt auf sich eindringen lässt“. „Das<br />
einseitige theoretische Verhalten führt zur Ironie, zur zwecklosen Absorption<br />
<strong>der</strong> Welt in den Abgrund. des wi<strong>der</strong>standslosen Ich, das sich damit<br />
zur affektlosen Camera obscura <strong>der</strong> Objektivität herabsetzt. Goethe erkannte<br />
daher Schiller als seine an<strong>der</strong>e Seite vollkommen an.“ (S. 422)<br />
366 Karl Streckfuß und das Preußentum, Hallische Jahrbücher, 1839, S.<br />
2100, Anmerkung: „Der gegenwärtige Zustand o<strong>der</strong> die Existenz unseres<br />
Staates ist allerdings gegen seine Entwicklung das Unhaltbare und gegen<br />
seine Idee und sein Wesen das Mangelhafte und Unwahre...“ - Vgl. G.<br />
Mayer: Die Junghegelianer und <strong>der</strong> preußische Staat, in: Historische Zeitschrift,<br />
1920, Heft 3, S. 423 ff.<br />
367 Sämtliche Werke, Berlin 1867, Bd. V, S. 78 f.: „Die Kritik in den Jahrbüchern<br />
zeigte sich damals aber noch zu sehr in <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong><br />
befangen. Indessen war es gerade die philosophische Umhüllung,<br />
welche die Veröffentlichung <strong>der</strong> Kritik möglich machte. Direkt politische<br />
Kritik war noch verfänglicher als direkt religiöse, musste daher anfangs<br />
vermieden werden... Indessen gelang es in einem Aufsatz über das
301<br />
,Preußentum‘, das Prinzip <strong>der</strong> Regierung, wenn auch wie<strong>der</strong> nur verhüllt,<br />
auszusprechen. Wir nannten Preußen ,katholisch‘, das freie Prinzip dagegen,<br />
von dem es abfiele, den Protestantismus.“<br />
368 Karl Streckfuß und das Preußentum, a. a. 0.<br />
368a Vgl. dazu M. Lange: Arnold Ruge und die Entwicklung des Parteilebens<br />
im Vormärz, in: Einheit, 1848, Heft 7, S. 637<br />
369 Siehe A. Cornu: Karl Marx und Friedrich Engels, Berlin 1954, S. 141<br />
370 Hallische Jahrbücher, 1840, S. 673 ff., 2241 ff. Vgl. auch die Kritik an<br />
dem „System <strong>der</strong> Nichtbeteiligung des Volks“ in: Die Leipziger Zeitung und<br />
die öffentliche Meinung, Hallische Jahrbücher, 1841, S. 150 ff.<br />
371 Deutsche Jahrbücher, 1842, S. 673<br />
372 Ebenda, S. 682. Vgl. zu Ruges Negation des Christentums und des Absolutismus<br />
den Brief an Prutz vom 8. I. 1842, Briefwechsel, Bd. I, S. 259.<br />
Siehe auch: Zwei Jahre in Paris, S. 291, wo die Religion als „ein Produkt<br />
<strong>der</strong> Not“ bezeichnet wird.<br />
373 Brief an Stahr vom 7. XI. 1841, Briefwechsel, Bd. I, S. 246. – Zu Ruges<br />
Abrücken vom Protestantismus und Konstitutionalismus trägt auch die<br />
Aufhebung <strong>der</strong> Venia legendi Bruno Bauers bei; siehe Ruges Artikel in den<br />
„Anekdota“: Bruno Bauer und die Lehrfreiheit<br />
374 Deutsche Jahrbücher, 1843, S. 12<br />
375 Ebenda, S. 5. Vgl. Zwei Jahre in Paris, S. 12: „Mit dem Scheitern <strong>der</strong><br />
Bauernkriege verlor <strong>der</strong> deutsche Protestantismus seinen demokratischen<br />
und tatkräftigen Herzschlag; er machte seitdem alle Menschen zu Mönchen<br />
,in <strong>der</strong> Gemeinde <strong>der</strong> Heiligen‘, zu Spießbürgern im Leben und zu<br />
Theologen in <strong>der</strong> Wissenschaft.“<br />
376 Ebenda, S. 11. – Ruges Rede in <strong>der</strong> 45. Sitzung <strong>der</strong> Deutschen Nationalversammlung<br />
in <strong>der</strong> Frankfurter Paulskirche mit <strong>der</strong> For<strong>der</strong>ung, das<br />
<strong>für</strong> das Militär ausgegebene Geld „zu Zwecken <strong>der</strong> Industrie und <strong>der</strong> Bildung<br />
des Volkes anzuwenden“, ist abgedruckt in Arnold Ruge: Der Patriotismus,<br />
Frankfurt a. M. 1968, S.99 ff.<br />
377 Zwei Jahre in Paris, Leipzig 1846, Bd. I, S. 76. Darüber, dass nach Ruges<br />
an Kant erinnernden Ansicht <strong>der</strong> Mensch stets Zweck, nie Mittel sein
302<br />
darf, vgl.: Hoffmann von Fallersleben: Mein Leben, Hannover 1868, Bd. IV,<br />
S. 59 ff.<br />
378 Deutsch-Französische Jahrbücher, Paris 1844, S. 6 ff.<br />
379 Vgl. Aus früherer Zeit, S. 360; Zwei Jahre in Paris, S. 304 f. Siehe dazu:<br />
K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 335<br />
380 Aus früherer Zeit, S. 360, 365 f., 72, 84; Ruges Brief an seine Mutter<br />
vom 28. III. 1844, Brief an Fleischer vom 9. VII. 1844, Briefwechsel, Bd. I,<br />
S. 342, 359; Brief an Feuerbach vom 15. V. 1844, Briefwechsel, Bd. I, S.<br />
352: „We<strong>der</strong> die komplizierten Vorschläge <strong>der</strong> Fourieristen noch die Eigentumsaufhebung<br />
<strong>der</strong> Kommunisten sind klar zu formulieren. Beides läuft<br />
immer auf einen förmlichen Polizei- und Sklavenstaat hinaus. Um das Proletariat<br />
von <strong>der</strong> Not und von dem Druck <strong>der</strong> Not geistig und körperlich zu<br />
befreien, denkt man an eine Organisation, die alle Menschen an dieser Not<br />
und diesem Druck teilnehmen lässt.“<br />
381 Zwei Jahre in Paris, Leipzig 1846, Bd. I, S. 60 ff.; Studien und Erinnerungen,<br />
Mannheim 1847, S. 39. Zu Heß’ Kritik an Ruge, die ursprünglich<br />
in <strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“ erscheinen sollte, siehe Moses Heß: Philosophische<br />
und sozialistische Schriften 1837-1850, herausg. u. eingel. v. A.<br />
Cornu u. W. Mönke, Berlin 1961, S. 403 ff., 479 f.<br />
381a Zwei Jahre in Paris, Der Egoismus und die Praxis: Ich und die Welt, S.<br />
125 ff. Vgl. den Brief an seine Mutter vom 17. XII. 1844, Briefwechsel, Bd.<br />
I, S. 386. Auf Stirner beruft sich Ruge auch in seiner Polemik gegen den<br />
Kommunismus: „Er kritisiert den Kommunismus sehr gut und entwickelt,<br />
dass erst <strong>der</strong> erwachte Egoismus <strong>der</strong> Unterdrückten die wahre Quelle <strong>der</strong><br />
Bewegung ist.“ (Brief an Fröbel vom 6. XII. 1844, Briefwechsel, Bd. I, S.<br />
382)<br />
382 Vgl. Ruges Briefe über Marx an seine Mutter vom 6. X. und 23. X.<br />
1844, an Fröbel vom November 1844 und vom 6. XXI. 1844, Briefwechsel,<br />
Bd. I, S. 367 ff., 371, 380 ff.; über Bakunin siehe die Briefe an Fröbel vom<br />
16. X. 1844, an Fleischer vom 23. XI. 1844, an seine Mutter vom 17. XII.<br />
1844, Briefwechsel, Bd. I, S. 369, 374 ff., 385<br />
383 „Vorwärts“, 27. Juli 1844. Vgl. Ruges Brief an Fleischer vom 9. Juli<br />
1844, Briefwechsel, Bd. I, S. 359. Siehe auch J. Fröbel: Das Verbrechen<br />
<strong>der</strong> Religionsstörung nach den Gesetzen des Kantons Zürich, Zürich und<br />
Winterthur 1844, S. 119. Vgl. E. Feuz: Julius Fröbel, Bern 1932
303<br />
384 Offener Brief an Herrn Börnstein, „Vorwärts“, 3. VII. 1844. Vgl. auch<br />
Ruges Entgegnung auf Marx’ Polemik im „Vorwärts“ vom 17. VIII. 1844.<br />
Siehe dazu: D. J. Rosenberg: Die Entwicklung <strong>der</strong> ökonomischen Lehre<br />
von Marx und Engels in den vierziger Jahren des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Berlin<br />
1958, S. 207 ff. – Nach dem Erscheinen <strong>der</strong> „Heiligen Familie“ von Marx<br />
und Engels schreibt Ruge (auch mit Bezug auf Moses Heß) im Brief an<br />
Fleischer vom 27. V. 1845, Briefwechsel, Bd. I, S. 396: „Übrigens ist es ein<br />
großer Irrtum, dass die materiellen, reellen Interessen <strong>für</strong> sich ein Agens<br />
abgeben und Geschichte machen könnten.“<br />
385 Vgl. Polemische Briefe, Mannheim 1847, S. 252 ff. Zwei Jahre in Paris,<br />
S. 294: „Die Aufhebung des Patriotismus in Humanismus ist eine Form<br />
des gegenwärtigen Freiheitsproblems...“<br />
386 Vgl. Zwei Jahre in Paris, Bd. II., S. 133 f.: „Die theoretische Befreiung<br />
ist nirgends in <strong>der</strong> Welt so gründlich vorhanden und fortdauernd im Werke<br />
als in Deutschland Die Geburt <strong>der</strong> wirklichen, <strong>der</strong> praktischen Freiheit ist<br />
<strong>der</strong> Übergang ihrer For<strong>der</strong>ung an die Masse. Diese For<strong>der</strong>ung ist das Symptom<br />
<strong>der</strong> verdauten Theorie und ihres Durchbruchs in die Existenz... Das<br />
Ende <strong>der</strong> theoretischen Befreiung ist die praktische. Die Praxis ist aber<br />
nichts an<strong>der</strong>s, als die Bewegung <strong>der</strong> Massen im Sinne <strong>der</strong> Theorie, <strong>der</strong><br />
Herzschlag <strong>der</strong> ewig jungen Welt.“ – Gegen das Zitat Goethes, die Masse sei<br />
nur im Zuschlagen respektabel (in Hegels Rechtsphilosophie, § 317, Anmerkung),<br />
siehe: Zur Kritik des gegenwärtigen Staats- und Völkerrechts,<br />
Hallische Jahrbücher, 1840, S. 1235 f. Dagegen hatte Ruge in dem Aufsatz<br />
„Unsere gelehrte kritische Journalistik“ (1837) behauptet, die <strong>Philosophie</strong><br />
sei „ihrem Begriff nach unpopulär“: Aus früherer Zeit, S. 461<br />
387 Deutsch-Französische Jahrbücher, Paris 1844, S. 4. Vgl. Ruges Brief<br />
an Feuerbach vom 15. V. 1844, Briefwechsel, Bd. I, S. 346 f.: „... es wäre<br />
wohl möglich..., dass eine wirkliche, wenn auch nur teilweise, sporadische,<br />
städtische Bildung <strong>der</strong> Ouvriers (das sind alle Arbeiter) eine wirkliche Reform<br />
<strong>der</strong> Gesellschaft herbeiführte. Aber die Frage ist dann immer noch die<br />
alte: Wie ist die Bildung allgemein zu machen, wie die Befreiung jedes<br />
Menschen zu realisieren? Es ist nach meiner Meinung das ewige Problem<br />
<strong>der</strong> Geschichte, es ist etwas Großes, dass man jetzt so direkt darauf losgeht...<br />
Die Gesellschaftsreform ist <strong>der</strong> praktische Pendant zum theoretischen<br />
Humanismus in <strong>der</strong> Religionskritik.“ Sämtliche Schriften, 2. Auflage,<br />
V. Band, Studien und Erinnerungen, Mannheim 1847, S. 60: „Sobald<br />
die Prinzipien in Frankreich die Höhe <strong>der</strong> deutschen <strong>Philosophie</strong> erreicht<br />
haben, wird die ganze Religionsfrage eine Erziehungsfrage, nur durch Bildung<br />
befreit man die Menschen.“
304<br />
388 Vgl.: Der Protestantismus und die Romantik, Hallische Jahrbücher,<br />
1840, S. 2113 ff.<br />
389 Bruno Bauer: Vollständige Geschichte <strong>der</strong> Parteikämpfe in Deutschland<br />
während <strong>der</strong> Jahre 1842-1846, 3 Bde. Charlottenburg 1847 (später abgekürzt<br />
als: Parteikämpfe), Bd. I, S. 155. Vgl. Die Deutschen Jahrbücher und<br />
Dr. Ruges Beschwerde, in: Allgemeine Literatur-Zeitung, Charlottenburg<br />
1844 (später abgekürzt als: Literatur-Zeitung), Heft 2, S. 29: „Herr Ruge<br />
also unterwirft nicht den Begriff des Bestehenden einer Untersuchung,<br />
nein, er stellt nur sein Bestehendes, sein Heiligstes dem Bestehendem und<br />
Heiligsten des sächsischen Ministeriums gegenüber...“ Siehe auch L. Buhl,<br />
Berliner Monatsschrift, Mannheim 1844, S. 2 ff.<br />
390 Vgl. Ruge: Zwei Jahre in Paris, Leipzig 1846, S. 59 f.<br />
391 B. Bauer: Parteikämpfe, Bd. I, S. 155<br />
392 Ebenda, Bd. III, S. 170 f. ; Literatur-Zeitung, Heft 89 S. 6<br />
393 Parteikämpfe, Bd. III, S. 173; vgl. S. 28 mit Bezug auf Moses Heß<br />
394 Literatur-Zeitung, Heft 6, S. 34: „Die Kritik hat, wie gesagt, aufgehört,<br />
politisch zu sein. Früher Ansichten durch Ansichten, Systeme durch Systeme,<br />
Gesinnung durch Gesinnung bekämpfend, ist sie jetzt ansicht-, system-,<br />
gesinnungslos geworden.“ Vgl. dagegen Ruge: Wer ist und wer ist<br />
nicht Partei, Deutsche Jahrbücher 1842, S. 190 ff., sowie Herweghs Gedicht<br />
„Die Partei“<br />
395 Vgl. Th. W. Adorno: Negative Dialektik, Frankfurt 1966. – Zu Bauers<br />
„revolutionärer Antithetik“ siehe auch: H. Stuke: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat,<br />
Stuttgart 1963, S. 139 ff.<br />
396 Enzyklopädie, § 81, Zusatz 2, Werke, Bd. 8, S. 194<br />
397 Edgar Bauer: Bruno Bauer und seine Gegner, Berlin 1842, S. 89. Vgl.<br />
dagegen Marx: Das Elend <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (1847), Werke, Bd. 4, S. 133:<br />
„Sowie man sich nur das Problem stellt, die schlechte Seite auszumerzen,<br />
schneidet man die dialektische Bewegung entzwei.“<br />
398 Das entdeckte Christentum. Eine Erinnerung an das achtzehnte Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
und ein Beitrag zur Krisis des neunzehnten, Zürich und Winterthur<br />
1843, herausg. von E. Barnikol, Jena 1927, S. 160 f. (später abgekürzt<br />
als: Das entdeckte Christentum)
305<br />
399 Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen.<br />
Ein Ultimatum. Leipzig 1841, in: Die Hegelsche Linke, Texte,<br />
ausgewählt und eingeleitet von K. Löwith, Stuttgart-Bad Cannstatt 1962,<br />
S. 164 (später abgekürzt als: Die Posaune). Vgl. Das entdeckte Christentum,<br />
S. 155: „In dem echten Hegelschen System wenigstens hat <strong>der</strong> Begriff<br />
noch zum Teil den Anschein einer hypostatischen Macht, die abgeson<strong>der</strong>t<br />
vom Selbstbewusstsein ihr Leben zu führen imstande ist...“ Siehe dazu<br />
Marx’ Kritik an <strong>der</strong> Begriffsverselbständigung – aber nicht gegenüber dem<br />
Selbstbewusstsein, son<strong>der</strong>n gegenüber <strong>der</strong> sinnlichen geschichtlichen und<br />
natürlichen Welt – in <strong>der</strong> „Heiligen Familie“ unter <strong>der</strong> Überschrift „Das Geheimnis<br />
<strong>der</strong> spekulativen Konstruktion“<br />
400 Ebenda, S. 168 f.<br />
401 Ebenda, S. 151. Vgl. Bauers Rezension: Einleitung in die Dogmengeschichte<br />
von Th. Klieforth, in: Anekdota zur neuesten <strong>Philosophie</strong> und Publizistik,<br />
Zürich und Winterthur 1843, Bd. II, S. 158<br />
402 Literatur-Zeitung, Heft 4, S. 14 f.<br />
403 Werke, Bd. 17, S. 82<br />
404 Die Posaune, S. 171<br />
405 Werke, Bd. 17, S. 86<br />
406 K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 56: „Das Wissen<br />
revolutioniert durch seine freie Form auch den substantiellen Gehalt.“ Allerdings<br />
ist nicht anzunehmen, dass Hegel mit „wirklicher Gestaltung“ die<br />
„Gestaltung einer neuen <strong>Philosophie</strong>“ meinen kann, wie Stuke behauptet<br />
(a. a. 0., S. 65, Anm. 52)<br />
407 Werke, Bd. 17, S. 85<br />
408 Die Posaune, S. 170<br />
409 Ebenda, S. 171<br />
410 Brief an Marx vom 31. III. 1841, MEGA I, I, 2, S. 250<br />
411 Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S.<br />
510
306<br />
412 Die Posaune, S. 174. Vgl. Bauers Berufung auf die Aufklärung, beson<strong>der</strong>s<br />
auf Joh. Christ. Edelmann, in: Das entdeckte Christentum, S. 89 ff.,<br />
sowie in: Hegels Lehre von <strong>der</strong> Religion und Kunst von dem Standpunkte<br />
des Glaubens aus beurteilt, Leipzig 1842, S. 44, 70 ff., wo eine Linie Voltaire,<br />
Hegel, Bauer konstruiert wird; ferner: Geschichte <strong>der</strong> Politik, Kultur<br />
und Aufklärung des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts, 2 Bde., Charlottenburg 1843/45;<br />
über Edelmann siehe Bd. I, S. 204 ff. In <strong>der</strong> „Allgemeinen Literatur-<br />
Zeitung“ wird Bauers Einstellung zur Aufklärung ablehnen<strong>der</strong>.<br />
413 Die Posaune, S. 194. Vgl. Der christliche Staat und unsere Zeit, in:<br />
Deutsche Jahrbücher, 1841, S. 537 ff.<br />
414 Rechtsphilosophie, § 270, Werke, Bd 7, S. 353; vgl. S. 358: „Es ist philosophische<br />
Einsicht, welche erkennt, dass Kirche und Staat nicht im Gegensatze<br />
des Inhalts <strong>der</strong> Wahrheit und Vernünftigkeit, aber im Unterschied<br />
<strong>der</strong> Form stehen.“<br />
415 Rechtsphilosophie, § 348, Werke, Bd. 7, S. 450<br />
416 Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 19, S. 96.<br />
Vgl. Die Posaune, S. 170. Siehe auch: D. Koigen: Zur Vorgeschichte des<br />
mo<strong>der</strong>nem philosophischen Sozialismus in Deutschland, Bern 1901 S. 59<br />
ff.<br />
417 Literatur-Zeitung, Heft 8, S. 20<br />
418 Siehe dazu: Rechtsphilosophie, § 302, § 316-318, Werke, Bd. 7, S. 411,<br />
424 ff.<br />
419 Literatur-Zeitung, Heft 8, S. 25; Heft 1, S. 3. Vgl. dagegen Marx: „Die<br />
,Idee‘ blamierte sich immer, soweit sie von dem ,Interesse‘ unterschieden<br />
war.“ (Die Heilige Familie. Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 2, S. 85)<br />
420 Vgl. auch: Denkwürdigkeiten zur Geschichte <strong>der</strong> neueren Zeit seit <strong>der</strong><br />
Revolution, 7 Bde., Charlottenburg 1843/44. Die Kritik an <strong>der</strong> Masse verbindet<br />
Bauer auch mit <strong>der</strong> Kritik an Feuerbachs Begriff <strong>der</strong> Gattung als<br />
einer Macht, die <strong>der</strong> Mensch „<strong>der</strong> Kritik nicht unterwerfen darf“ und die<br />
„seinem Einfluss und seiner Tätigkeit schlechthin entzogen ist“; Literatur-Zeitung,<br />
Heft 7, S. 45; Vgl. Charakteristik Ludwig Feuerbachs, in: Wigands<br />
Vierteljahresschrift, Leipzig 1845 Bd. 3, S. 95: „Bei Feuerbach hat<br />
die Hegelsche Substanz das Selbstbewusstsein besiegt.“
307<br />
421 Vorlesungen über die Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Werk Bd. 18, S. 428<br />
f.<br />
422 Vgl. Aristoteles’ Politik, 1333 a 30 ff. Siehe dazu H. Marcuse: Über den<br />
affirmativen Charakter <strong>der</strong> Kultur, in: Kultur und Gesellschaft I, Frankfurt<br />
1965, S. 56 ff. Erneuert findet sich die asketische Trennung von Bewusstseinserhellung<br />
und Praxis u. a. in Aldous Huxleys „Brave New World“ und<br />
erst recht in seiner späteren „buddhistischen“ „Philosophia perennis“; dazu<br />
siehe: Th. W. Adorno, Aldous Huxley und die Utopie, in: Prismen, München<br />
1963, S. 105<br />
423 Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, Bd. I, Leipzig 1841,<br />
S. XV; Hegels Lehre von <strong>der</strong> Religion und Kunst, Leipzig 1842, S. 59. (Dazu<br />
siehe: Vorläufiges über Bruno Bauer, in: Deutsche Jahrbücher, 1841, S.<br />
418.) Vgl. Bauers Rezension über Strauß’ „Christliche Glaubenslehre“,<br />
Deutsche Jahrbücher, 1843, S. 81-95; S. 84 in Anlehnung an Feuerbach:<br />
„Sobald es entschieden ausgesprochen ist, dass <strong>der</strong> Standpunkt <strong>der</strong> Religion<br />
<strong>der</strong> praktische, <strong>der</strong> <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> theoretische ist, dass es sich<br />
in <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> um die Natur <strong>der</strong> Sache, in <strong>der</strong> Religion um die Bedürfnisse<br />
des Subjekts handele, so ist damit die letzte Entscheidung über das<br />
Verhältnis <strong>der</strong> Religion und <strong>Philosophie</strong> gegeben.“ – Zu Bauers Religionskritik<br />
siehe: G. Runze: Bruno Bauer redivivus, Berlin 1934, S. XIII f.; S.<br />
Hook: From Hegel to Marx, London 1936, S. 90 ff.; H. Steußloff: Bruno<br />
Bauer als Junghegelianer und Kritiker <strong>der</strong> christlichen Religion, in: Deutsche<br />
Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>, Heft 9/ 1963; M. Kegel: Bruno Bauer und<br />
seine Theorien über die Entstehung des Christentums, Leipzig 1908; D.<br />
Hertz-Eichenrode: Der Junghegelianer Bruno Bauer im Vormärz, Berlin<br />
1959, S. 13 ff.; A. Schweitzer: Geschichte <strong>der</strong> Leben-Jesu-Forschung, Tübingen<br />
1913, S. 141 ff.<br />
424 Die Posaune, S. 170<br />
425 Die Posaune, S. 172<br />
426 Die Judenfrage, Braunschweig 1843, S. 115. Vgl. Die gute Sache <strong>der</strong><br />
Freiheit und meine eigene Angelegenheit, Zürich und Winterthur 1842, S.<br />
209: „Die Theorie, die uns so weit geholfen hat, bleibt auch jetzt noch unsere<br />
einzige Hilfe, um uns und an<strong>der</strong>e frei zu machen. Die Geschichte, über<br />
die wir nicht gebieten und <strong>der</strong>en entscheidende Wendungen über die<br />
absichtliche Berechnung hinausliegen, wird den Schein stürzen und die<br />
Freiheit, die uns die Theorie gegeben hat, zur Macht erheben, die <strong>der</strong> Welt<br />
eine neue Gestalt gibt.“
308<br />
427 Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, Bd. I, Leipzig 1841,<br />
S. XXIV<br />
428 Literatur-Zeitung, Heft 11/12, S. 45<br />
429 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. Karl<br />
Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 1, Berlin 1964, S. 385<br />
430 Deutsche Jahrbücher, 1843, S. 85; hinsichtlich <strong>der</strong> Religion sagt Bauer:<br />
„Gegen ein Wesen, welches mir durchaus fremd bleiben soll, kann ich<br />
mich nicht theoretisch verhalten, d. h. ich kann mich mit ihm nicht verständigen...“<br />
431 Bekenntnisse einer schwachen Seele, Deutsche Jahrbücher, 1842, S.<br />
594<br />
432 Vgl. Das entdeckte Christentum, S. 92: „Um theoretische Ausgleichung<br />
<strong>der</strong> Gegensätze, d. h. um Fortschritt des allgemeinen Bewusstseins, wie in<br />
den wissenschaftlichen Kämpfen, ist es den religiösen Sekten nicht zu tun,<br />
son<strong>der</strong>n um die praktische Frage <strong>der</strong> völligen Ausschließung handelt es<br />
sich...“<br />
433 Ebenda, S. 94<br />
434 Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 15, S. 108<br />
435 Siehe: Jahrbücher <strong>für</strong> wissenschaftliche Kritik, Kritik von D. F. Strauß,<br />
Berlin 1835, Nr. 109-113; 1836, Nr. 86-88. Zeitschrift <strong>für</strong> spekulative<br />
Theologie, Berlin 1836; Der mosaische Ursprung <strong>der</strong> Gesetzgebung des<br />
Pentateuch, 1837; Die neueren Kommentare zu den Psalmen, 1838; Apologetisches<br />
und Kritisches zum biblischen Bericht von <strong>der</strong> Urgeschichte<br />
<strong>der</strong> Menschheit<br />
436 Kritik <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Offenbarung, Bd. I, Berlin 1838, Einleitung,<br />
S. XXIII; S. LI: „An seinem Nichtsein hat das Selbstbewusstsein des absoluten<br />
Geistes, so lange es im Werden begriffen ist, die Schranke, welche<br />
seine Allgemeinheit begrenzt und zu endlichen Gestalten herabzieht.“<br />
437 Herr Dr. Hengstenberg. Kritische Briefe über den Gegensatz des Gesetzes<br />
und des Evangeliums, Berlin 1839, S. 70: „Das gesetzliche Bewusstsein<br />
ist an dieses bestimmte Volk geknüpft... ist also gegen die an<strong>der</strong>n<br />
Völker ausschließend.“
309<br />
438 Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker und des Johannes,<br />
Bd. III, Braunschweig 1842, S. 315; Bd. II, S. 157. Vgl. Die Judenfrage,<br />
Deutsche Jahrbücher, 1842, S. 1100, 1113 ff.<br />
439 Das entdeckte Christentum, S. 109, 92, 149. Vgl. Hegels Lehre von <strong>der</strong><br />
Religion und Kunst von dem Standpunkt des Glaubens aus beurteilt, Leipzig<br />
1842, S. 48; Theologische Schamlosigkeiten, Deutsche Jahrbücher<br />
1841, S. 465<br />
440 Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, Bd. III, S. 309 f.<br />
441 Die Judenfrage, Deutsche Jahrbücher, 1842, S. 1101. – Dazu, dass die<br />
Christen eher als die Juden emanzipiert werden könnten, siehe: Die Fähigkeit<br />
<strong>der</strong> heutigen Juden und Christen, frei zu werden, in: Einundzwanzig<br />
Bogen aus <strong>der</strong> Schweiz, Zürich und Winterthur 1843, S. 69. Vgl. auch:<br />
G. Julius: Bruno Bauer und die Judenfrage, in: Wigands Vierteljahresschrift,<br />
Bd. I, Leipzig 1844, S. 282 ff.<br />
442 Deutsche Jahrbücher, 1842, S. 1125 f.<br />
443 Siehe auch: Das entdeckte Christentum, S. III: „... soll o<strong>der</strong> kann <strong>der</strong><br />
Leisten o<strong>der</strong> die Stecknadel die ganze Seele des Menschen ausfüllen? Soll<br />
<strong>der</strong> Mensch darin seine Religion finden, dass er zeitlebens nichts an<strong>der</strong>es<br />
tut, als diese bestimmte Maschine <strong>für</strong> die Zubereitung einer bestimmten<br />
Schraube zu beaufsichtigen? Soll den Menschen noch etwas Ausschließliches<br />
beherrschen? Soll er nicht dazu gebildet werden, das er von keiner<br />
allgemeinen Angelegenheit <strong>der</strong> Menschheit und Geschichte mehr ausgeschlossen<br />
ist?“ Vgl. S. 132 die „Prophezeiung von <strong>der</strong> totalen Umwandlung<br />
aller Lebensverhältnisse“ und Edgar Bauers Ausführungen über die „Revolution<br />
<strong>der</strong> Menschheit“ in: Bruno Bauer und seine Gegner, Berlin 1842, S.<br />
89 ff.<br />
444 Zur Judenfrage. Karl Marx/ Friedrich Engels, Werke, Bd. I, Berlin<br />
1964, S. 350 f.<br />
445 Die Judenfrage, Deutsche Jahrbücher 1842, S. 1096<br />
446 Der christliche Staat und unsere Zeit, Deutsche Jahrbücher, 1841, S.<br />
553<br />
447 Vgl. Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, Bd. III, S. 309;<br />
Marx’ Brief an Ruge vom Mai 1843 in den „Deutsch-Französischen Jahrbüchern“,<br />
Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. I, Berlin 1961, S. 342
310<br />
448 Kritik <strong>der</strong> Evangelien und Geschichte ihres Ursprungs, Bd. I, Berlin<br />
1850, S. V<br />
449 Vgl. Die Judenfrage, Braunschweig 1843, S. 88: „... selbst diejenigen,<br />
denen Staatsbürgerrechte durch die Geburt o<strong>der</strong> durch beson<strong>der</strong>e Gnade<br />
verliehen zu sein scheinen, sind dem allgemeinen Elend nicht entnommen.<br />
Ihr Elend ist nur ein glänzendes, also um so miserabler.“<br />
450 Ebenda, S. 96<br />
451 Das entdeckte Christentum, S. 138<br />
452 Die Judenfrage, Braunschweig 1843, S. 81<br />
453 Zu Stirner siehe John Henry Mackay: Max Stirner. Sein Leben und<br />
sein Werk, Berlin 1898, S. 67 ff. Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig.<br />
Gesammelte Werke, Bd. 2, Berlin 1920, S. 45 ff.<br />
454 Rezensenten Stirners. Entgegnung an Feuerbach, Szeliga und Heß, in:<br />
Max Stirners kleinere Schriften und seine Entgegnungen auf die Kritik<br />
seines Werkes „Der Einzige und sein Eigentum“. Aus den Jahren 1842-<br />
1847. Herausg. v. J. H. Mackay, Berlin 1898 (später abgekürzt als: Kleinere<br />
Schriften), S. 147. Diese Entgegnung erschien zuerst in: Wigands Vierteljahresschrift,<br />
Bd. 3, 1845, S. 147-194<br />
455 Der Einzige und sein Eigentum, Leipzig 1892 (später abgekürzt als: Der<br />
Einzige), S. 164<br />
456 Ebenda, S. 174<br />
457 Charakteristik Ludwig Feuerbachs, in: Wigands Vierteljahresschrift,<br />
Bd. 3, S. 124; S. 138 ff. behauptet Bauer, auch Marx und Engels hätten in<br />
<strong>der</strong> „Heiligen Familie“ nur Feuerbachs Dogmatismus weiterentwickelt.<br />
458 Rezension <strong>der</strong> „Posaune“ im „Telegraph <strong>für</strong> Deutschland“, Januar 1842<br />
(wie<strong>der</strong> abgedruckt im „Literaturmagazin“, 17. Febr. 1900)<br />
459 Gegenwort eines Mitgliedes <strong>der</strong> Berliner Gemeinde wi<strong>der</strong> die Schrift <strong>der</strong><br />
siebenundfünfzig Berliner Geistlichen: Die christliche Sonntagsfeier, ein<br />
Wort <strong>der</strong> Liebe an unsere Gemeinden (Leipzig 1842), in: G. Mayer: Die Anfänge<br />
des politischen Radikalismus im vormärzlichen Preußen, Zeitschrift<br />
<strong>für</strong> Politik, Bd. 6, 1913, Anhang, S. 98, 105
460 Der Einzige, S. 175<br />
311<br />
461 Vgl. Kurt Adolf Mauzt: Die <strong>Philosophie</strong> Max Stirners im Gegensatz zum<br />
Hegelschen Idealismus, Berlin 1936, S. 57. – Diese Abhandlung dringt am<br />
tiefsten in Stirners Theorie ein; unkritisch sind dagegen die älteren Schriften<br />
von R. Schellwein, A. Ruest, M. Messer, B. Lachmann, H. Schultheiß,<br />
A. v. Winterfeld, H. Engert, M. J. P. Lucchesi, G. Lehmann (siehe Literaturverzeichnis)<br />
462 Szeliga: Der Einzige und sein Eigentum, in: Norddeutsche Blätter <strong>für</strong><br />
Kritik, Literatur und Unterhaltung, März 1845; M. Heß: Die letzten Philosophen,<br />
Darmstadt 1845; K. Fischer: Mo<strong>der</strong>ne Sophisten, in: Die Epigonen,<br />
Bd. V, 1848, S. 277 ff.; K. Schmidt: Das Verstandestum und das Individuum,<br />
Wigands Vierteljahresschrift 1845<br />
463 Kleine Schriften, S, 113; vgl. S. 118, 180<br />
464 Der Einzige, S. 177, 397 f. Siehe auch Willy Moog: Hegel und die Hegelsche<br />
Schule, München 1930, S. 467<br />
465 Der Einzige, S. 405; vgl. S. 176, 198, 389 f., 408, 410 f., 415; Kleine<br />
Schriften, S. 134, 172<br />
466 Kleine Schriften, S. 30; vgl. S. 19 f. – Dieser Artikel erschien in Beiblättern<br />
zu vier Nummern <strong>der</strong> „Rheinischen Zeitung“ im April 1842, als Marx<br />
zwar schon ihr Mitarbeiter, aber noch nicht ihr leiten<strong>der</strong> Redakteur war,<br />
was übersehen wird von George Woodcock (dem Verfasser von „Anarchism“,<br />
London 1962) in „The Encyclopedia of Philosophy“, Bd. 8, New York/London<br />
1967, S. 17<br />
467 Dieser Terminus wird zur Bezeichnung des Individuums in <strong>der</strong> Hauptschrift<br />
wie<strong>der</strong>holt gebraucht.<br />
468 Kleine Schriften, S. 21, 24, 25 f.; Der Einzige, S. 429<br />
469 John Locke: An essay concercing human un<strong>der</strong>standig, III, 3, § 11, The<br />
Works of John Locke, Vol. II, London 1823, S. 172<br />
470 Jenseits von Gut und Böse, Nietzsches Gesammelte Werke, Bd. 15,<br />
München 1925, S. 29; Aus dem Nachlaß, Bd. 16, S. 99. (Zu Nietzsches von<br />
Overbeck bezeugter Kenntnis Stirners siehe: K. Löwith: Von Hegel zu<br />
Nietzsche, a. a. 0., S. 204. An<strong>der</strong>s Egon Friedell, <strong>der</strong> Stirner missversteht
312<br />
und sogar in die Nähe von Novalis rückt, und zwar in seiner „Kulturgeschichte<br />
<strong>der</strong> Neuzeit“, München 1960, S. 1073 f.) Zu Nietzsches Zurückführung<br />
des Erkenntnistriebs auf „Instinkte“ und einen „Aneignungs- und<br />
Uberwältigungstrieb“ siehe auch zum Beispiel: Der Wille zur Macht, ebenda,<br />
Bd. 18, München 1926, S. 295<br />
471 Der Einzige, S. 159, 410<br />
472 Kleine Schriften, S. 77 f.<br />
473 Ebenda, S. 102; vgl. Der Einzige, S. 273<br />
474 Der Einzige, S. 22<br />
475 Ebenda, S. 420; vgl. S. 150: „Ich brauche den Menschen nicht erst in<br />
Mir herzustellen, denn er gehört mir schon, wie alle meine Eigenschaften“;<br />
siehe auch: Kleine Schriften, S. 138, 154<br />
476 Der Einzige, S. 385. Siehe auch Anmerkung 109<br />
477 Der Einzige, S. 382 f.<br />
478 Vgl. K. Marx/F. Engels: Die deutsche Ideologie, Karl Marx, Friedrich<br />
Engels, Werke, Bd. 3, Berlin 1962 (später abgekürzt als: Die deutsche Ideologie),<br />
S. 415<br />
479 Der Einzige, S. 132, S. 370. Vgl. auch Stirner: Geschichte <strong>der</strong> Reaktion,<br />
2 Bde., Berlin 1852. Trotz mancher Übereinstimmung mit Stirner bewertet<br />
Camus Revolte und Revolution gerade umgekehrt: „Die Revolte geht vom<br />
Nein aus, das sich auf ein Ja stützt, die Revolution geht von <strong>der</strong> absoluten<br />
Verneinung aus... Die eine ist schöpferisch, die an<strong>der</strong>e nihilistisch.“ (A.<br />
Camus: Der Mensch in <strong>der</strong> Revolte, Hamburg 1953, S. 256; vgl. S. 67 ff.)<br />
480 Siehe dazu Daniel Guérin: Anarchismus, Frankfurt am Main 1967, S. 8<br />
ff.; Max Nettlau: Der Vorfrühling <strong>der</strong> Anarchie, Berlin 1925, S. 169 ff.; Victor<br />
Basch: L’ individualisme anarchiste, Paris 1904, S. 225 ff.; Julius<br />
Braunthal: Geschichte <strong>der</strong> Internationale, Bd. 1, Hannover 1961, S. 184<br />
ff.; Werner Hofmann: Ideengeschichte <strong>der</strong> sozialen Bewegung des 19. und<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Berlin 1962, S. 16 ff., 197 ff. Vgl. auch Stirners Kritik<br />
an Proudhon: Der Einzige, S. 290 ff.<br />
481 W. I. Lenin, Werke, Bd. 31, Berlin 1959, S. 5 ff.
482 Der Einzige, S. 301<br />
483 Ebenda, S. 303<br />
313<br />
484 Ebenda, S. 299. Vgl. K. A. Mautz: Die <strong>Philosophie</strong> Max Stirners, a. a. 0.,<br />
S. 128 f.<br />
485 Der Einzige, S. 358 ff.<br />
486 Siehe dazu: Die deutsche Ideologie, S. 425<br />
487 Der Einzige, S. 317 ff.<br />
488 Ebenda, S. 370<br />
489 Ebenda, S. 372 ff.<br />
490 Ebenda, S. 164 f. Vgl. Die deutsche Ideologie, S. 393 ff., 277<br />
491 Der Einzige, S. 175; vgl. S. 177: „Der theoretische Kampf kann nicht<br />
den Sieg vollenden... Nur <strong>der</strong> egoistische Kampf... bringt alles ins Klare.“<br />
492 Ebenda, S. 302<br />
493 Ebenda, S. 138<br />
494 Die deutsche Ideologie, S. 263; vgl. S. 346: „Sankt Sancho kennt nur<br />
,Dinge‘ und ,Iche‘, und von allem, was nicht unter diese Rubriken passt,<br />
von allen Verhältnissen kennt er nur die abstrakten Begriffe, die sich ihm<br />
daher auch in ,Gespenster‘ verwandeln.“ Siehe im beson<strong>der</strong>en zu Stirners<br />
abstrakter Bestimmung <strong>der</strong> Freiheit als Lossein und Machthaben (Der Einzige,<br />
S. 185 f.), S. 282 ff. und S. 420: „Nähme Sancho indes das<br />
,Freiwerden‘ einmal so, dass er nicht bloß von den Kategorien, son<strong>der</strong>n<br />
von den wirklichen Fesseln frei werden wollte, so setzt diese Befreiung<br />
wie<strong>der</strong> eine ihm mit einer großen Masse an<strong>der</strong>er gemeinsame Verän<strong>der</strong>ung<br />
voraus...“ – Zu Marx’ und Engels’ Kritik speziell an Stirners – von Girardin<br />
wie<strong>der</strong> aufgenommenen – Projekt <strong>der</strong> Abschaffung des Staats ohne Abschaffung<br />
<strong>der</strong> Klassen siehe auch: MEW, Bd. 7, S. 288 f., 417 ff. – Marx’<br />
Kritik an Stirner ist <strong>für</strong> Mackay das „Äußerste an alberner und leerer<br />
Wortspielerei“ (Max Stirner, Berlin 1910, 2. Auflage, S. 251). Ähnlich urteilen<br />
Rudolf Hirsch in <strong>der</strong> „Zeitschrift <strong>für</strong> Religions- und Geistesgeschichte“,<br />
Jahrg. 9, 1957, S. 246 ff., und Paul Kägi: Genesis des historischen Materialismus,<br />
Wien 1965, S. 338
314<br />
495 Vgl. Der Einzige, S. 205, Anmerkung; Kleine Schriften, S. 158: „... Dies<br />
lässt Heß aus, weil er von den mit sich einigen Egoisten nichts weiter versteht,<br />
als was Marx über den Krämer und die allgemeinen Menschenrechte<br />
(z. B. in den deutsch-französischen Jahrbüchern) früher ausgesprochen<br />
hat; er wie<strong>der</strong>holt das, ohne jedoch im mindesten die scharfsinnige Gewandtheit<br />
seines Vorgängers zu erreichen.“<br />
496 Moses Heß: Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850, herausgegegeben<br />
und eingeleitet von Auguste Cornu und Wolfgang Mönke,<br />
Berlin 1961, S. 1961, S. 385 f. Vgl. Sozialistische Aufsätze 1841-1847, herausg.<br />
v. Theodor Zlocisti, Berlin 1921, S. 194 f.<br />
497 Ebenda, S. 386: „Stirner hätte nichts an <strong>der</strong> bestehenden Ausbeutung<br />
des einen durch den an<strong>der</strong>n zu tadeln, wenn diese gegenseitige Ausbeutung<br />
eine unmittelbare, persönliche wäre... Stirner hat nichts gegen den<br />
bestehenden praktischen Egoismus einzuwenden, als dass ihm das<br />
,Bewusstsein‘ des Egoismus fehle.“ Vgl. Über das Geldwesen (1845), ebenda,<br />
S. 335: „Das Geld ist das Produkt <strong>der</strong> gegenseitig entfremdeten Menschen,<br />
<strong>der</strong> entäußerte Mensch“; Kommunistisches Bekenntnis in Fragen<br />
und Antworten (1846), ebenda, S. 361 f. – Zu Heß’ Kritik <strong>der</strong> Bauerschen<br />
abstrakten Entgegensetzung von Selbstbewusstsein und Masse am Maßstab<br />
des einheitlichen „selbsttätigen Zeitgeistes“ und <strong>der</strong> Negation des Gegensatzes<br />
von Gebildeten und Ungebildeten siehe den posthum veröffentlichten<br />
Artikel „Was wir wollen“ (1843), ebenda, S. 240 ff. – Dass Heß „vor<br />
allem nicht Stirners ideologische Funktion enthüllen“ könne, behauptet<br />
dagegen Guntolf Herzberg: Die Bedeutung <strong>der</strong> Kritik von Marx und Engels<br />
an Max Stirner, in: Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>, 16. Jahrg., 1968,<br />
S. 1465<br />
498 Ebenda, S. 384. Vgl. Über die sozialistische Bewegung in Deutschland,<br />
veröffentlicht 1845 in Karl Grüns „Neue Anekdota“, ebenda, S. 295: „Das<br />
philosophische Verhältnis... das Verhältnis <strong>der</strong> vollendeten deutschen <strong>Philosophie</strong>,<br />
d. h. Feuerbachs, zum Sozialismus ist das Verhältnis des theoretischen<br />
Humanismus zum praktischen.“<br />
499 Die heilige Geschichte <strong>der</strong> Menschheit; von einem Jünger Spinozas, ebenda,<br />
S.72. Auf die messianischen Vorstellungen dieser Schrift kommt<br />
Heß später wie<strong>der</strong> in seinem Buch „Rom und Jerusalem“ (1862) zurück,<br />
mit dem er lange vor Theodor Herzl den Zionismus begründet. – Zu Heß’<br />
Interpretation <strong>der</strong> Weltgeschichte als Heilsgeschichte siehe H. Stuke: <strong>Philosophie</strong><br />
<strong>der</strong> Tat, Stuttgart 1963, S. 196 ff.
315<br />
500 Die europäische Triarchie, Vorwort, ebenda, S. 77<br />
501 Ebenda, S. 120<br />
502 <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, ebenda, S. 211: „Leben ist Tätigkeit. Tätigkeit aber<br />
ist Herstellung einer Identität durch Setzen und Aufheben seines Gegenteils,<br />
Erzeugung seines Gleichen... mit einem Worte ,Selbsterzeugung‘“.<br />
503 Ebenda, S. 222; vgl. S. 225: „Das materielle Eigentum ist das zur fixen<br />
Idee gewordene Fürsichsein des Geistes.“ Dazu, dass <strong>für</strong> Heß zwischen<br />
geistiger und sozialer Freiheit ein Wechselwirkungsverhältnis besteht, siehe:<br />
Die eine und die ganze Freiheit, ebenda, S. 227<br />
504 Vgl. <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, ebenda, S. 220. – Auf die Kategorie des Habens<br />
bei Heß verweist Marx in den „Ökonomisch-philosophischen Manuskripten“.<br />
505 Die letzten Philosophen, ebenda, S. 386<br />
506 Kleine Schriften, S. 159<br />
507 Vgl. Die deutsche Ideologie, S. 362, 454<br />
508 Vgl. Kleine Schriften, S. 156-158<br />
509 Ebenda, S. 160<br />
510 Feuerbach: Das Wesen des Christentums in Beziehung auf den „Einzigen<br />
und sein Eigentum“, Ludwig Feuerbachs Sämtliche Werke, neu herausgegeben<br />
von Wilhelm Bolin und Friedrich Jodl, 10 Bände, Stuttgart<br />
1903-1911 (später abgekürzt als: Werke), Bd. 7, S. 301, 308, 310. Vgl.<br />
auch K. Löwith: Das Individuum in <strong>der</strong> Rolle des Mitmenschen, München<br />
1928, S. 13 ff. – Zu Marx’ und Engels’ Zurückweisung <strong>der</strong> Selbstbezeichnung<br />
Feuerbachs als Kommunist (wegen <strong>der</strong> ungeschichtlichen Abstraktheit<br />
<strong>der</strong> Verwendung dieses Wortes) siehe: Die deutsche Ideologie, Werke,<br />
Bd. 3, Berlin 1959, S. 41<br />
510a Zu Feuerbachs Eudämonismus siehe auch die Spätschrift „Über Spiritualismus<br />
und Materialismus“, Werke, Bd. 10, S. 91 ff. Vgl. F. Jodl: Geschichte<br />
<strong>der</strong> Ethik, Bd. 2, Stuttgart und Berlin 1923, S. 246 f.<br />
511 Vgl. Ergänzungen und Erläuterungen zum „Wesen <strong>der</strong> Religion“ (1845),<br />
Werke, Bd. 7, S. 392: „Leben ist Egoismus. Wer keinen Egoismus will, <strong>der</strong>
316<br />
will, dass kein Leben sei.“ (Teilweise gesperrt im Original.) Vorlesungen<br />
über das Wesen <strong>der</strong> Religion (1848/49), Werke, Bd., 8, S. 63: „Ich verstehe<br />
unter Egoismus das seiner Natur und folglich... seiner Vernunft gemäße<br />
sich selbst Geltendmachen, sich selbst Behaupten...“<br />
512 Das Wesen des Christentums, Ausgabe in zwei Bänden, herausgegeben<br />
von Werner Schuffenhauer Berlin 1956 (später abgekürzt als: Wesen des<br />
Christentums), Bd. I, S. 188, 190 f.<br />
513 Wesen des Christentums, Bd. II, S. 305 f., Bd. I, S. 188<br />
514 Ebenda, Bd. I, S. 188<br />
515 Ebenda, Bd. I, S. 192 f. Vgl. Grundsätze <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Zukunft<br />
(1843; später abgekürzt als: Grundsätze), § 29, Werke, Bd. 2, S. 289: „Die<br />
Vernunft hatte an <strong>der</strong> Materie ihre Grenze.“<br />
516 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 194. Vgl. zu <strong>der</strong> von Leibniz zuerst<br />
aufgeworfenen auch von Schelling, Marx und Heidegger behandelten Frage,<br />
warum überhaupt etwas ist und nicht nichts, S. 94 Anmerkung, und:<br />
Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong> (1839), Werke, Bd. 2, S. 196: „Das<br />
Denken des Nichts ist ein sich selbst wi<strong>der</strong>legendes Denken.“<br />
517 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 186, 194, 172 ff. ; Bd. II, S. 304. Das<br />
Wesen <strong>der</strong> Religion (1845; Werke, Bd. 7, S. 476 ff. – Wegen <strong>der</strong> Auffassung<br />
des Wun<strong>der</strong>s tritt Marx auf Feuerbachs Seite in dem Artikel „Luther als<br />
Schiedsrichter zwischen Strauß und Feuerbach“, Werke, Bd. 1, Berlin<br />
1961, S. 26 f.<br />
518 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 216, 221, 238 ff.<br />
519 Vorlesungen über die <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 16, S. 62<br />
520 Vorläufige Thesen zur Reform <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (1842; später abgekürzt<br />
als: Thesen), Werke, Bd. 2, S. 231 (Im Original gesperrt)<br />
521 Vgl. Wesen des Christentums, Bd. I, S. 36 f.<br />
522 Ebenda, S. 56 (Im Original teilweise gesperrt)<br />
523 Ebenda, S. 202<br />
524 Ebenda, S. 215 f., 227
317<br />
525 Ebenda, S. 216; Bd. II, S. 293, Anmerkung. (Im Original teilweise ge-<br />
sperrt)<br />
526 Ebenda, Bd. II, S. 334 (Im Original gesperrt)<br />
527 Vorläufige Thesen zur Reform <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (1842; später abgekürzt<br />
als: Thesen), Werke, Bd. 2, S. 222. – Zu Feuerbachs früher, aber dilettantisch<br />
bleiben<strong>der</strong> Beschäftigung mit den Naturwissenschaften siehe beson<strong>der</strong>s<br />
den Brief an Johann Adam Karl Roux vom Mai 1837, in: Ludwig Feuerbach,<br />
Briefwechsel, Leipzig 1962 (später abgekürzt als: Briefwechsel), S.<br />
107 f.<br />
528 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 183<br />
529 Vgl. ebenda, S. 268 f.<br />
530 Ebenda, Bd. II, S. 335, 339<br />
531 Ebenda, Bd. I, S. 258<br />
532 Grundsätze, § 53, Werke, Bd. 2, S. 315; vgl. Wesen des Christentums,<br />
Bd. II, S. 390 f., 403 f.<br />
533 Wesen des Christentums, Bd. II, S. 407<br />
534 Grundsätze, § 63, 57, Werke, Bd. 2, S. 319, 317 f.<br />
535 Grundsätze, § 25, Werke, Bd. 2, S. 283<br />
536 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 16. – Dazu, dass Feuerbach Kants<br />
moralische Interpretation <strong>der</strong> Religion als partiell zutreffend akzeptiert,<br />
und zur Betrachtung des Willens unter moralischem Aspekt siehe: Bd. I,<br />
S. 99 ff.<br />
537 Vgl. Kritik des Antihegel (1835), Werke, Bd. 2, S. 77 ff. Wesen des Christentums,<br />
Bd. I, S. 43; S. 148: „Beschränkt ist das Wissen des einzelnen,<br />
aber unbeschränkt die Vernunft, unbeschränkt die Wissenschaft...“<br />
538 Kritische Bemerkungen zu den Grundsätzen <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> (aus dem<br />
Nachlass), Werke, Bd. 2, S. 324. Vgl. Grundsätze, § 42, ebenda, S. 305. –<br />
Dagegen wird in dem Lehrbuch Marxistische <strong>Philosophie</strong>, Berlin 1967, S.<br />
497 f. behauptet: hinsichtlich des Erfassens <strong>der</strong> qualitativen Eigenart <strong>der</strong>
318<br />
rationalen Erkenntnis, des Denkens, „ging nur die Erkenntnistheorie Feuerbachs<br />
über die Anschauungen des englischen und französischen Materialismus<br />
hinaus.“<br />
539 Siehe Thesen, Werke, Bd. 2, S. 238<br />
540 Grundsätze, § 43, Werke, Bd. 2, S. 305 f. Vgl. dazu: Die deutsche Ideologie,<br />
Werke, Bd. 3, Berlin 1962, S. 45<br />
541 Kritik des Idealismus. Von F. Dorguth (1838), Werke, Bd. 2, S. 135 f.<br />
(Im Original gesperrt). Hier führt Feuerbach berechtigte antizipierende<br />
Einwände an gegen die Auffassungen <strong>der</strong> späteren Vulgärmaterialisten<br />
vom Denken als bloßem materiellen, physikalisch-chemischen Prozess,<br />
darunter diesen: „Wäre das Denken selbst ein physiologischer Akt, so wären<br />
auch die Gedanken physiologische Objekte, die sich ebenso gut <strong>der</strong><br />
Experimentalphysik o<strong>der</strong> Chemie unterwerfen ließen wie <strong>der</strong> Magensaft...“<br />
(So in <strong>der</strong> Erstveröffentlichung in den Hallischen Jahrbüchern, 1838, S.<br />
599.) Zu Feuerbachs späterer Stellung zu Moleschott siehe die Schrift „Die<br />
Naturwissenschaft und die Revolution“ (1850)“, in <strong>der</strong> er – nicht in vollem<br />
Ernst – das Scheitern <strong>der</strong> Revolution auf die falsche Diät des Volkes zurückführt<br />
und im Geiste Brillat-Savarins sagt: „Der Mensch ist, was er<br />
isst.“ (Bd. 10, S. 22 ff.; vgl. Das Geheimnis des Opfers o<strong>der</strong> Der Mensch<br />
ist, was er isst, ebenda, S. 41ff.)<br />
542 Grundsätze, § 27, Werke, Bd. 2, S. 287 f. – In <strong>der</strong> „Deutschen Ideologie“<br />
wird diese Stelle als „Beispiel von <strong>der</strong> Anerkennung und zugleich Verkennung<br />
des Bestehenden“ angeführt (Werke, Bd. 3, Berlin 1959, S. 42)<br />
543 Feuerbachs Einstellung wird prinzipiell auch nicht dadurch geän<strong>der</strong>t,<br />
dass er gelegentlich in den nachgelassenen Aphorismen äußert: „Die Freiheit<br />
ist allerdings das Höchste; aber sie ist ebenso wenig wie die Idee Anfang,<br />
son<strong>der</strong>n Ziel; kein physisches, angeborenes Vermögen - <strong>der</strong> Mensch<br />
ist nicht freigeboren – sie ist Resultat <strong>der</strong> Bildung, freilich auch auf Grund<br />
angeborener, entsprechen<strong>der</strong> Anlagen.“ (Werke, Bd. 10, S. 314)<br />
544 Grundsätze, § 32, Werke, Bd. 2, S. 296. – Vgl. auch Feuerbachs Kritik<br />
an <strong>der</strong> spekulativen Auffassung <strong>der</strong> Natur als des an<strong>der</strong>en des Geistes in:<br />
Das Wesen <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 7, S. 457. - Von den durch Feuerbach<br />
beeinflussten, aber die Dialektik nicht preisgebenden russischen Materialisten<br />
hält A. I. Herzen die Vernunft <strong>für</strong> das Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit (siehe<br />
seine „Briefe über das Studium <strong>der</strong> Natur“), Tschernyschewski aber – ähnlich<br />
wie Marx – die Praxis (vgl. Ausgewählte philosophische Schriften,<br />
Moskau 1953, S. 689).
319<br />
545 Grundsätze, § 25, Werke, Bd. 2, S. 283 (Im Original teilweise gesperrt)<br />
546 Ebenda, § 33, S. 297<br />
547 Ebenda, § 28, S. 287. Vgl. Darstellung, Entwicklung und Kritik <strong>der</strong><br />
Leibnizschen <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 4, S. 256 f.: „Auf diese Gewissheit,<br />
auf die Wahrheit des alter ego, des Menschen außer mir, auf die Wahrheit<br />
<strong>der</strong> Liebe, des Lebens, <strong>der</strong> Praxis, nicht auf die theoretische Bedeutung <strong>der</strong><br />
Sinne,... nicht auf Locke und Condillac gründet sich auch bei mir... die<br />
Wahrheit <strong>der</strong> Sinne.“ Vgl. den Brief an Ruge vom Juni 1843, Briefwechsel,<br />
S. 177: „Was ist Theorie, was Praxis? Worin besteht ihr Unterschied? Theoretisch<br />
ist, was nur in meinem Kopfe steckt, praktisch, was in vielen Köpfen<br />
spukt. Was viele Köpfe eint, macht Masse, macht sich breit und damit<br />
Platz in <strong>der</strong> Welt.“<br />
548 Das Wesen des Christentums, Bd. I, S. 122; vgl. S. 117 ff., 226 f.; Bd.<br />
II, S. 408, Fußnote. Siehe auch Thesen, Werke, Bd. 2, S. 233 ff. Zur Unterscheidung<br />
zwischen „Herz“ und „Gemüt“ siehe: Simon Rawidowicz,<br />
Ludwig Feuerbachs <strong>Philosophie</strong>, Ursprung und Schicksal, Berlin 1931<br />
(später abgekürzt als: Rawidowicz), S. 91, Anm. 4: „Während das Herz beson<strong>der</strong>s<br />
aktiv auf das Wirkliche. gerichtet ist, ist das Gemüt ganz und gar<br />
passiver Natur.“<br />
549 Das Wesen des Christentums, Bd. I, S. 251 f.; siehe zur Vermittlung<br />
<strong>der</strong> Erkenntnis natürlicher Gegenstände durch das Dasein und das übereinstimmende<br />
Urteil an<strong>der</strong>er Menschen auch S. 148. Vgl. weiter Grundsätze,<br />
§ 41, Werke, Bd. 2, S. 304: „Die Gewissheit selbst von dem Dasein an<strong>der</strong>er<br />
Dinge außer mir ist <strong>für</strong> mich vermittelt durch die Gewissheit von<br />
dem Dasein eines an<strong>der</strong>en Menschen außer mir. Was ich allein sehe, daran<br />
zweifle ich; was <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e sieht, das erst ist gewiss. Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen<br />
<strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 2, S. 171: „Was wahr, ist we<strong>der</strong> mein,<br />
noch dein ausschließlich, son<strong>der</strong>n allgemein. Der Gedanke, in dem sich Ich<br />
und Du vereinigen, ist ein wahrer.“<br />
550 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 2, S. 165 ff.<br />
551 Ebenda, S. 175 (vgl. über den „unkritischen Objektivismus“ Hegels S.<br />
202); Ruge: Aus früherer Zeit, S. 602; Marx: Nationalökonomie und <strong>Philosophie</strong>,<br />
in Karl Marx: Die Frühschriften, herausg. v. Siegfried Landshut,<br />
Stuttgart 1964, S. 278<br />
552 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 53 (Im Original teilweise gesperrt)
320<br />
553 Ebenda, Bd. II, S. 409. – Vgl. dagegen Rawidowicz, S. 312<br />
554 Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter, Bd. I, S. 224, 258 ff., 275<br />
(vgl. Albert Lévy: La <strong>Philosophie</strong> de Feuerbach et son influence sur la littérature<br />
allemande, Paris 1904, S. 215 ff.); F. Engels: Schelling und die Offenbarung<br />
(1842), MEGA, Bd. 2, S. 225: „Und so ist Feuerbachs Kritik des<br />
Christentums eine notwendige Ergänzung zu <strong>der</strong> von Hegel begründeten<br />
spekulativen Religionslehre.“<br />
555 Zur Beurteilung <strong>der</strong> Schrift: „Das Wesen des Christentums“, Werke, Bd.<br />
7, S. 265 f. Zu Feuerbachs Abgrenzung von Bauers <strong>Philosophie</strong> des<br />
Selbstbewusstseins vgl.: Thesen, Werke, Bd. 2, S. 242. – Zu Feuerbachs<br />
früher antitheologischer Tendenz und zu seiner im Gegensatz zu Hegel<br />
auch inhaltlichen Trennung von <strong>Philosophie</strong> und Religion vor dem Erscheinen<br />
des „Wesen. des Christentums“ siehe beson<strong>der</strong>s: Satirisch theologische<br />
Distichen (1830), Werke, Bd. 1, S. 367 ff.; Kritik <strong>der</strong> christlichen<br />
o<strong>der</strong> „positiven“ <strong>Philosophie</strong> (1838), Werke, Bd. 7, S. 128 ff.; Über <strong>Philosophie</strong><br />
und Christentum... (1839), Werke, Bd. 7, S. 47: „Ungeachtet aller<br />
Vermittlungsversuche ist die Differenz zwischen (positiver) Religion und<br />
<strong>Philosophie</strong> eine unaustilgbare... Die Basis <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> ist das Denken,<br />
die Basis <strong>der</strong> Religion das Gemüt und die Phantasie.“<br />
556 Vgl. Auguste Cornu: Karl Marx und Friedrich Engel Bd. 2, Berlin 1962,<br />
S. 198; Max Gustav Lange in: Ludwig Feuerbach, Kleine philosophische<br />
Schriften, Leipzig 1950, Einleitung, S. 20; Werner Schuffenhauer in: Briefwechsel,<br />
Einleitung, S. XXXIV<br />
557 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 101. Vgl. auch K. Löwith: Von Hegel<br />
zu Nietzsche, Stuttgart, S. 189<br />
558 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 37<br />
559 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 46 f. Vgl. Zur Beurteilung <strong>der</strong><br />
Schrift: Das Wesen des Christentums, Werke, Bd. 7, S. 266: „Ich tadle<br />
Schleiermacher nicht deswegen, wie Hegel, dass er die Religion zu einer<br />
Gefühlssache machte, son<strong>der</strong>n nur deswegen, dass er aus theologischer<br />
Befangenheit nicht dazu kam und kommen konnte, die notwendigen Konsequenzen<br />
seines Standpunktes zu ziehen, dass er nicht den Mut hatte,<br />
einzusehen und einzugestehen, dass objektiv Gott selbst nichts an<strong>der</strong>es ist<br />
als das Wesen des Gefühls, wenn subjektiv das Gefühl die Hauptsache <strong>der</strong><br />
Religion ist.“ – Zu Feuerbachs Stellung zu Schleiermacher, Lavater und<br />
Jacobi siehe auch: Rawidowicz, S. 263
321<br />
560 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 49; vgl. S. 91<br />
561 Ebenda, S. 92; vgl. S. 50: „Im Verhältnis zu den sinnlichen Gegenständen<br />
ist das Bewusstsein des Gegenstandes wohl unterscheidbar vom<br />
Selbstbewusstsein, aber bei dem religiösen Gegenstand fällt das Bewusstsein<br />
mit dem Selbstbewusstsein unmittelbar zusammen.“ Vgl. auch folgende<br />
wi<strong>der</strong>sprüchliche Äußerungen: „Wirkliches, sinnliches Sein ist solches,<br />
welches nicht abhängt... von meiner Tätigkeit, son<strong>der</strong>n... welches ist,<br />
wenn ich auch gar nicht bin, es gar nicht denke, fühle.“ (Bd. II, S. 312.) „...<br />
wenn keine Vernunft, kein Bewusstsein wäre, Alles Nichts, das Sein gleich<br />
Nichtsein wäre.“ (Bd. I, S. 93)<br />
562 Ebenda, Bd. I, S. 40<br />
563 Vgl. Rawidowicz, S. 104, 108 f.<br />
564 Vgl. Thesen, Werke, Bd. 2, S. 239: „Das wahre Verhältnis vom Denken<br />
zum Sein ist nur dieses: das Sein ist Subjekt, das Denken Prädikat. Das<br />
Denken ist aus dem Sein, aber das Sein nicht aus dem Denken. Sein ist<br />
aus sich und durch sich – Sein wird nur durch Sein gegeben...“ – Diese<br />
Auffassung übernimmt Marx und macht sie zum Angelpunkt seiner anfänglichen<br />
Auseinan<strong>der</strong>setzung mit Hegel, vor allem mit dessen Rechtsphilosophie<br />
in <strong>der</strong> „Kritik des Hegelschen Staatsrechts“ (1843), indem er das<br />
Individuum als wirkliches Subjekt <strong>der</strong> Familie, die Individuen und die Familie<br />
als wirkliches Subjekt <strong>der</strong> Gesellschaft und die Gesellschaft als wirkliches<br />
Subjekt des Staats bestimmt und nicht vice versa wie Hegel; siehe<br />
Kritik des Hegelschen Staatsrechts, Werke, Bd. 1, Berlin 1964 S. 203 ff.<br />
565 Vgl. Grundsätze, § 7, Werke, Bd. 2, S. 249 ff. Siehe auch: Werner Schilling:<br />
Feuerbach und die Religion, München 1957, S. 16 f.<br />
566 Pierre Bayle, ein Beitrag zur Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> und Menschheit,<br />
Werke, Bd. 5, S. 214<br />
567 Ebenda, S. 192<br />
568 Vgl. Werke, Bd. 2, S. 363: „Gäbe es keine Natur, nimmermehr brächte<br />
die unbefleckte Jungfer Logik eine aus sich hervor.“<br />
569 Siehe Rawidowicz, S. 72<br />
570 Brief an Hegel vom 22. XI. 1828, Werke, Bd.4, S. 358
322<br />
571 Über meine „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“, Werke, Bd. 1, S.<br />
192. – Wenn J. E. Erdmann und im Anschluss H. Glockner bemängeln,<br />
dass Feuerbachs „Gedanken über Tod und Unsterblichkeit“ „ganz auf dem<br />
Gegensatz des Unendlichen und des Endlichen, des Wesens und <strong>der</strong> Erscheinung<br />
usw. beruhte, über den nach Hegel nur <strong>der</strong> abstrakte Verstand<br />
nicht hinauskommt“ (J. E. Erdmann, Grundriss <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
2. Aufl. 1870, § 366; vgl. Wesen des Christentums, Bd. II, S. 661),<br />
so ist <strong>für</strong> Feuerbach charakteristisch, dass er diese Gegensätze tatsächlich<br />
unversöhnt nebeneinan<strong>der</strong> bestehen lässt, nämlich unversöhnt in <strong>der</strong><br />
Theorie, um sie später praktisch – mittels <strong>der</strong> Liebe – zur Vereinigung<br />
bringen zu wollen.<br />
572 Fragmente zur Charakteristik meines philosophische Entwicklungsganges<br />
(1827-28), Werke, Bd. 2, S. 364<br />
573 Vgl. Wesen des Christentums, Bd. II, S. 376<br />
574 Ebenda, Bd. I, S. 19<br />
575 Ebenda, Bd. II, S. 409<br />
576 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 2, S. 194; vgl. Brief<br />
an Otto Wigand vom 5. 1. 1841, Briefwechsel, S. 142. Siehe dazu auch:<br />
Hermann Henne: Die religionsphilosophische Methode Feuerbachs, Borna-<br />
Leipzig 1918, S. 40 ff.<br />
577 Vgl. zu Feuerbachs Stellung zu Strauß und Bauer beson<strong>der</strong>s die Vorrede<br />
zum Wesen des Christentums, Bd. I, S. 26 f. Siehe auch Rawidowicz, S.<br />
97 ff.<br />
578 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 75 Anm.<br />
579 Siehe Grundsätze, § 47, Werke, Bd. 2, S. 309 f.<br />
580 Grundsätze, § 1, Werke, Bd. 2, S. 245<br />
581 Grundsätze, § 15, Werke, Bd. 2, S. 266<br />
582 F. Engels: Ludwig Feuerbach und <strong>der</strong> Ausgang <strong>der</strong> klassischen deutschen<br />
<strong>Philosophie</strong>, Werke, Bd. 21, Berlin 1962, S. 286<br />
583 Thesen, Werke, Bd. 2, S. 225 (Im Original teilweise gesperrt)
323<br />
584 Vgl. Wi<strong>der</strong> den Dualismus von Leib und Seele, Werke, Bd. 2, S. 336,<br />
339 ff.<br />
585 Wesen des Christentums, Bd. I, S. 17<br />
586 Grundsätze, § 64, Werke, Bd. 2, S. 319<br />
587 Thesen, Werke, Bd. 2, S. 235. Vgl. Über den „Anfang <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>r<br />
(1841), Werke, Bd. 2, 5.208. – Den Glauben meint dagegen mit dem Ausdruck<br />
„Nicht philosophie“ <strong>der</strong> Schellinganhänger K. A. Eschenmayer in<br />
seiner Schrift „Die <strong>Philosophie</strong> in ihrem Übergang zur Nichtphilosophie.“<br />
588 Grundsätze, § 51, Werke, Bd. 2, S. 314<br />
589 Vgl. Zur Beurteilung <strong>der</strong> Schrift: „Das Wesen des Christentums“, Werke,<br />
Bd. 7, S. 273. – Vgl. Karl Rosenkranz: Hegel, Der <strong>Fakultät</strong>sphilosoph,<br />
und L. Feuerbach, Der Menschheitsphilosoph, in: Studien, V, Leipzig<br />
1848, S. 325 ff.<br />
590 Siehe auch: Wesen des Christentums, Bd. I, S. 7; Brief an Otto Wigand<br />
vom 5. I. 1841: „So theoretisch o<strong>der</strong> spekulativ aber <strong>der</strong> Gegenstand ist, so<br />
liegt doch zugleich <strong>der</strong> Schrift ein tief praktisches Interesse zugrunde:<br />
das... sowohl im Leben <strong>der</strong> Individuen als im Leben <strong>der</strong> Völker so unheilvolle<br />
theologische – ja, nennen wir es offen – religiöse Prinzip, das die Köpfe<br />
unserer Regenten und selbst unserer großen Philosophen betört hat,<br />
sollte hier... verfolgt und beleuchtet werden...“<br />
591 Vorlesungen über das Wesen <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 8, S. 29; vgl. S.<br />
358: „Allein die Verneinung des Jenseits hat die Bejahung des Diesseits<br />
zur Folge; die Aufhebung eines besseren Lebens im Himmel schließt die<br />
For<strong>der</strong>ung in sich: es soll, es muss besser werden auf <strong>der</strong> Erde; sie verwandelt<br />
die bessere Zukunft aus dem Gegenstand eines müßigen, tatlosen<br />
Glaubens in einen Gegenstand <strong>der</strong> Pflicht, <strong>der</strong> menschlichen Selbsttätigkeit.<br />
Allerdings ist es eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, dass, während<br />
die einen Menschen alles haben, die an<strong>der</strong>en nichts haben... Die<br />
notwendige Folgerung aus den bestehenden Ungerechtigkeiten und Übeln<br />
des menschlichen Lebens ist einzig <strong>der</strong> Wille, das Bestreben, sie abzuän<strong>der</strong>n,<br />
aber nicht <strong>der</strong> Glaube an ein Jenseits, <strong>der</strong> vielmehr die Hände in den<br />
Schoß legt und die Übel bestehen lässt.“ Vgl. S. 1: „Die Religion, <strong>der</strong> Gegenstand<br />
dieser Vorlesungen, hängt nun allerdings mit <strong>der</strong> Politik aufs Innigste<br />
zusammen...“
324<br />
592 Notwendigkeit einer Verän<strong>der</strong>ung (1842/43), in: Ludwig Feuerbach,<br />
Kleine Schriften, Frankfurt 1966, S. 231 f. (Unvollständig ediert von Karl<br />
Grün: Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlass sowie in<br />
seiner philosophischen Charakterentwicklung, Bd. 1, Leipzig und Heidelberg<br />
1874, S. 406 ff.)<br />
593 Ebenda, S. 221, 223, 233 f. – Vgl. Feuerbachs zweiseitige Antwort auf<br />
die selbst gestellte Frage: „Wie hängt die Religion mit <strong>der</strong> Politik zusammen?<br />
Ist sie <strong>der</strong> Freiheit o<strong>der</strong> dem Despotismus günstig?“ Ergänzungen<br />
und Erläuterungen zu „Das Wesen <strong>der</strong> Religion“, Werke, Bd. 7, S. 427. –<br />
Die negative Seite wird beson<strong>der</strong>s hervorgehoben in dem Brief an Christian<br />
Kapp vom 2. VIII. 1842: „Der Protestantismus hat, ohne Basis, ohne Leben<br />
in sich, die Rolle übernommen, die einst <strong>der</strong> Katholizismus hatte, nur dass<br />
er seinem Prinzip... nach keine kirchliche, son<strong>der</strong>n weltliche Macht zur<br />
Stütze seiner inneren Abgelebtheit, Hohlheit und Machtlosigkeit macht.“<br />
Ausgewählte Briefe von und an Ludwig Feuerbach, herausgegeben und<br />
biographisch eingeleitet von Wilhelm Bolin, Bd. 2, Leipzig 1904, S.105<br />
594 Nachgelassene Aphorismen, Werke, Bd. 10, S. 314. Vgl. das Brieffragment<br />
vom Jahre 1844, Briefwechsel, S. 382: „Übrigens gehört zu den Aufgaben,<br />
die mir im Kopf noch spuken und keine Ruhe lassen auch die, die<br />
praktischen Grundsätze <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Zukunft zu geben... Aber<br />
gleichwohl dürfen wir nur auf die Reformation zurückgehen, sie nur auflösen<br />
in ihr Prinzip – so haben wir, was wir wollen: Keine Götzen mehr im<br />
Himmel und keine mehr auf Erden.“ – Zu Feuerbachs zurückhalten<strong>der</strong> politischer<br />
Tätigkeit im Frankfurter Parlament vgl. beson<strong>der</strong>s die Briefe vom<br />
3. III. 48 und 16. VIII. 48 an Otto Wigand sowie vom 30. VI. 48 und 14.<br />
VII. 48 an seine Frau, Briefwechsel, S. 210, 226 ff., 219 ff.; siehe auch Rawidowicz,<br />
S. 314 f.<br />
595 Thesen, Werke, Bd. 2, S. 244. Siehe auch: Klaus Bockmühl: Leiblichkeit<br />
und Gesellschaft, Göttingen 1961, S. 38 f. Zu Feuerbachs Stellungnahme<br />
gegen die einseitige Unterordnung <strong>der</strong> Freiheit des Individuums<br />
unter den als Selbstzweck gefassten Staat siehe: Nachgelassene Aphorismen,<br />
Werke, Bd. 10, S. 312<br />
596 Thesen, Werke, Bd. 2, S. 236. Siehe auch S. 233 Feuerbachs Verknüpfung<br />
des von ihm abgelehnten „antigeschichtlichen Stabilitätsprinzips“ in<br />
<strong>der</strong> politischen Praxis mit <strong>der</strong> Annahme außergeschichtlicher Existenz. –<br />
Zu Feuerbachs Auffassung von Zeit und Raum als Wesensbestimmungen<br />
von Sein und Denken siehe beson<strong>der</strong>s: Grundsätze, § 44, Werke, Bd. 2, S.<br />
306 ff. Gegen das Entstehenlassen <strong>der</strong> Dinge aus Raum und Zeit vgl.: Vorlesungen<br />
über das Wesen <strong>der</strong> Religion, Werke, Bd. 8, S. 148 f. Wenn Feu-
325<br />
erbach außerdem dem Sein wesentlich die Bewegung zuschreibt, so nicht<br />
als mechanische, son<strong>der</strong>n durchaus als dynamische, als „Qual“ im Sinne<br />
Jakob Böhmes.<br />
597 Brief von Marx an Ruge vom 13. III. 1843, Werke, Bd. 27, Berlin 1963,<br />
S. 417; Brief von Ruge an Marx vom 19. III. 1843, A. Ruge: Briefwechsel<br />
und Tagebuchblätter, Bd. 1, Berlin 1886, S. 309<br />
598 Brief an Arnold Rage vom 10. III. 1843, Briefwechsel, S. 172<br />
599 Brief an A. Ruge vom 20. VI. 1843, Briefwechsel, S.175. Zu Feuerbachs<br />
Stellung zu Marx und Ruge, ihrer Auseinan<strong>der</strong>setzung und zu den Kommunisten<br />
siehe: Briefwechsel, S.371 ff.; Rawidowicz, S. 448 f.<br />
600 Brieffragment vom Jahre 1844, Briefwechsel S. 383; vgl. Brief an Ruge<br />
vom Juni 1843 (veröffentlicht in den Deutsch-Französischen Jahrbüchern<br />
Paris 1844, S. 35), Briefwechsel, S. 177: „Neue Liebe, neues Leben, sagt<br />
Goethe; neue Lehre, neues Leben heißt es bei uns.“<br />
601 Karl Marx: Brief an den Vater vom 10. Nov. 1837, in: Karl<br />
Marx/Friedrich Engels, Werke, Berlin 1964-68 (später abgekürzt als:<br />
MEW), Ergänzungsband, Erster Teil, S. 4 ff. – Von Marx’ dichterischen<br />
Versuchen ist beson<strong>der</strong>s diese Strophe beachtenswert: „Nur nicht brütend<br />
hingegangen/Ängstlich in dem nie<strong>der</strong>n Joch,/Denn das Sehnen und Verlangen/Und<br />
die Tat, sie blieb uns doch“. (F. Mehring: Aus dem literarischen<br />
Nachlass von Karl Marx, Friedrich Engels und Ferdinand Lassalle,<br />
Bd. I, Berlin 1923, S. 28)<br />
602 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 326. – Zu Marx’ späterer grundsätzlich<br />
positiver Einstellung zu seiner Dissertation vgl. die Briefe an Lassalle<br />
vom 22. II. 1858 und 3. IV. 1858, MEW, Bd. 29, S. 549, 561<br />
603 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 214<br />
604 Ebenda, S. 327 f.<br />
605 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 294, 283 f.<br />
606 Siehe hierzu auch Dieter Henrich: Kant, Gentz, Rehberg, Über Theorie<br />
und Praxis, Frankfurt a. M. 1967, Einleitung, S. 15. – Theorie und Praxis<br />
bleiben bei Aristoteles getrennt, <strong>für</strong> sich gleichsam wie die beiden symbolischen<br />
Skulpturen Michelangelos in <strong>der</strong> Grabkapelle <strong>der</strong> Mediceer.
326<br />
607 Eduard Zeller: Die <strong>Philosophie</strong> und die Praxis, in: Jahrbücher <strong>der</strong> Gegenwart,<br />
1843, S. 321 ff., 328. – Ähnlich will Michelet die Wissenschaft ins<br />
„Leben“, die gedankliche Einheit von Wirklichkeit und Vernunft in die<br />
Wirklichkeit einführen; vgl. Entwicklungsgeschichte <strong>der</strong> neuesten deutschen<br />
<strong>Philosophie</strong>, Berlin 1843, S. 315 ff., 397 ff. (K. Löwith: Von Hegel zu<br />
Nietzsche, a, a. 0., S. 77)<br />
608 MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 328. - Zu Marx’ Unterscheidung<br />
von den Junghegelianern siehe auch A. Cornu: Karl Marx und Friedrich<br />
Engels, Bd. I, Berlin 1954, S. 159 ff.<br />
609 F. Engels: Ernst Moritz Arndt (1841), MEW, Ergänzungsband, Zweiter<br />
Teil, S. 125; vgl. Immermanns „Memorabilien“ (1841), ebenda, S. 148 f.;<br />
Alexan<strong>der</strong> Jung, Vorlesungen über die mo<strong>der</strong>ne Literatur <strong>der</strong> Deutschen<br />
(1842), MEW, Bd 1, S. 436 f.<br />
610 Hegel: Über das Wesen <strong>der</strong> philosophischen Kritik überhaupt und ihr<br />
Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> insbeson<strong>der</strong>e,<br />
Werke, Bd. 1, S. 188 f.<br />
611 Die Verhandlungen des 6. rheinischen Landtags. Debatten über Preßfreiheit<br />
und Publikation <strong>der</strong> Landständischen Verhandlungen, MEW, (Mai<br />
1842) Bd. 1, S. 50. – Zu Marx’ For<strong>der</strong>ung <strong>der</strong> Verwirklichung <strong>der</strong> Theorie<br />
siehe auch S. 68: „Die Deutschen sind von Natur devotest, alleruntertänigst,<br />
ehrfurchtsvollst. Aus lauter Respekt vor den Ideen verwirklichen sie<br />
dieselben nicht. Sie weihen ihnen einen Kultus <strong>der</strong> Anbetung, aber sie kultivieren<br />
dieselben nicht. – Zu Marx’ Stellungnahme gegen die Zensur siehe<br />
auch: Das Verbot <strong>der</strong> „Leipziger Allgemeinen Zeitung“, ebenda, S. 153-171.<br />
– Von bleiben<strong>der</strong> Relevanz ist Marx’ Feststellung in den „Bemerkungen über<br />
die neueste preußische Zensurinstruktion“, dass „Gesetze, die nicht<br />
die Handlung als solche, son<strong>der</strong>n die Gesinnung des Handelnden zu ihren<br />
Hauptkriterien machen,... nichts als positive Sanktionen <strong>der</strong> Gesetzlosigkeit“<br />
sind; ebenda, S. 14<br />
612 Debatten über die Pressfreiheit, MEW, Bd. 1, S. 47 f.<br />
613 Ebenda, S. 75. – Zu Marx’ Einleitung <strong>der</strong> Sinnesorgane in praktische<br />
(Nase, Mund) und theoretische (Auge, Ohr), die er aus Hegels Ästhetik und<br />
Naturphilosophie übernommen hat (vgl. oben Anm. 47), siehe ebenda, S.<br />
31, 69<br />
614 Vgl. Das philosophische Manifest <strong>der</strong> historischen Rechtsschule (August<br />
1842), MEW, Bd. 1, S. 79: „Wie das Prinzip, so ist die Argumentation
327<br />
Hugos positiv, d. h. unkritisch. Er kennt keine Unterschiede. Jede Existenz<br />
gilt ihm <strong>für</strong> eine Autorität, jede Autorität gilt ihm <strong>für</strong> einen Grund.“<br />
(Im Original teilweise gesperrt.) Zu Marx’ Einstellung zur historischen<br />
Rechtsschule siehe auch: Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie.<br />
Einleitung, ebenda, S. 380. Zu Engels’ Kritik an <strong>der</strong> historischen Rechtsschule<br />
und ihrer Auffassung von „historischer, organischer, naturgemäßer<br />
Entwicklung“ siehe: Tagebuch eines Hospitanten (1842), MEW, Ergänzungsband,<br />
Zweiter Teil, S. 253, wo er Preußens Heil noch „allein in <strong>der</strong><br />
Theorie, <strong>der</strong> Wissenschaft, <strong>der</strong> Entwickelung aus dem Geiste“ liegen sieht<br />
und damit die anfängliche Überzeugung aller Junghegelianer teilt, <strong>der</strong><br />
preußische Staat sei die Verkörperung des reformatorischen Prinzips <strong>der</strong><br />
freiwilligen Entwicklung <strong>der</strong> Vernunft.<br />
615 Der leitende Artikel in Nr. 179 <strong>der</strong> „Kölnischen Zeitung“ (Juli 1842),<br />
MEW, Bd. 1, S. 97 f.<br />
616 Ebenda, S. 17. – Vergleiche hiermit „Phänomenologie des Geistes“,<br />
Werke, Bd. 2, S. 531: „Der Geist erscheint also hier als <strong>der</strong> Werkmeister,<br />
und sein Tun, wodurch er sich selbst als Gegenstand hervorbringt, aber<br />
den Gedanken seiner noch nicht erfasst hat, ist ein instinktartiges Arbeiten,<br />
wie die Bienen ihre Zellen bauen... Die Kristalle <strong>der</strong> Pyramiden und<br />
Obelisken... sind die Arbeiten dieses Werkmeisters <strong>der</strong> strengen Form.“ –<br />
Siehe auch S. 101 ff., wo Marx einen Wi<strong>der</strong>streit zwischen dem theoretischen<br />
Anspruch und dem praktischen Leben <strong>der</strong> Christen sieht und in<br />
diesem Wi<strong>der</strong>streit von Theorie und Praxis einen Beweis <strong>der</strong> Unwahrheit<br />
erblickt.<br />
617 Brief an Dagobert Oppenheim vom 25. VIII. 1842, MEW, Bd. 27, S. 409<br />
618 Siehe dazu Werner Hofmann: Stalinismus und Antikommunismus,<br />
Frankfurt a. M. 1968, S. 65; Henri Lefèbvre: Probleme des Marxismus,<br />
heute, Frankfurt a. M. 1965, S. 128. – Aus diesem Grunde müssen die<br />
frühen Versuche H. Marcuses, Sartres und Merleau-Pontys scheitern, geschichtliche<br />
Dialektik und phänomenologische Ontologie zu einer Synthese<br />
zu bringen; vgl. dazu Alfred Schmidt: Existential-Ontologie und historischer<br />
Materialismus bei Herbert Marcuse, in: Antworten auf Herbert Marcuse,<br />
Frankfurt a. M. 1968, S. 48 f.<br />
619 Der Kommunismus und die Augsburger „Allgemeine Zeitung“ (Oktober<br />
1842), MEW, Bd. 1, S. 108<br />
620 Siehe Einleitung zur Kritik <strong>der</strong> politischen Ökonomie, MEW, Bd. 13, S.<br />
631 f.
328<br />
621 Debatten über das Holzdiebstahlsgesetz (Oktober/November 1842),<br />
MEW, Bd. 1, S. 147. – Siehe dazu K. Löwith: Gesammelte Abhandlungen,<br />
Stuttgart 1960, S. 47<br />
622 Vgl. Das Kapital, MEW, Bd. 23, S. 87 ff., S. 99 f.<br />
623 Rechtfertigung des ++ -Korrespondenten von <strong>der</strong> Mosel, MEW, Bd. 1, S.<br />
177; vgl. S. 189, 195; Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 33<br />
624 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Kritik des Hegelschen<br />
Staatsrechts (1843), MEW, Bd. 1, S. 283 f., S. 232. – Während <strong>für</strong> Marx<br />
die nachrevolutionären Zustände durch nur formale Gleichheit und formale<br />
Freiheit gekennzeichnet sind, findet dagegen Alexis de Tocqueville in ihnen<br />
wirkliche Gleichheit und vermisst allein wirkliche Freiheit, obschon er<br />
selbst die wirkliche Ungleichheit im zweiten Band <strong>der</strong> „Demokratie in Amerika“<br />
in dem Kapitel „Die Aristokratie des Geldes“ beschreibt.<br />
625 Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW, Bd. 1, 5. 265. – Dazu, dass<br />
Marx im Gegensatz zu Hegel die Gesellschaft als „Schlüssel zum Verständnis<br />
des geschichtlichen Entwicklungsprozesses <strong>der</strong> Menschheit“ dem Staat<br />
überordnet, siehe auch F. Engels: Karl Marx, MEW, Bd. 16, S. 361 ff. Ähnlich<br />
spricht Lorenz von Stein in seiner Schrift „Der Sozialismus und Kommunismus<br />
des heutigen Frankreichs“, Leipzig 1842, S. 446 f., von dem<br />
„Versuch, jetzt den Staat durch den Begriff und das wirkliche Leben <strong>der</strong><br />
Gesellschaft gestalten und bedingen zu lassen.“<br />
626 Vgl. auch Th. W. Adorno: Zur Metakritik <strong>der</strong> Erkenntnistheorie, Stuttgart<br />
1956, S. 27<br />
627 Kritik des Hegelschen Staatsrechts, MEW, Bd. 1, S. 216 f., 241<br />
628 Ebenda, S. 296, 213<br />
629 Marx an Ruge im Mai 1843, MEW, Bd. 1, S. 342<br />
630 Marx an Ruge im September 1843, ebenda, S. 344<br />
631 Ebenda, S. 345 f.<br />
632 Ebenda, S. 346<br />
633 Zur Judenfrage, MEW, Bd. 1, S. 354 f.
329<br />
634 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW, Bd. 1,<br />
S. 382 f.<br />
635 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW, Bd. 1,<br />
S. 384. Vgl. Engels: Die Lage Englands (1844), MEW, Bd. 1, S. 548 f.: „Die<br />
englischen Sozialisten sind rein praktisch... sie verzweifeln an <strong>der</strong> Theorie<br />
und halten sich <strong>für</strong> die Praxis an den Materialismus... Die Sozialisten sind<br />
eben noch Englän<strong>der</strong>, wo sie bloß Menschen sein sollten, sie kennen...<br />
nicht auch die deutsche <strong>Philosophie</strong>, das ist all ihr Mangel...“ Den Praktizismus,<br />
die „reine Praxis“, betrachtet Engels als eine <strong>der</strong> Folgen <strong>der</strong> „Verzweiflung<br />
an <strong>der</strong> Vernunft“ und <strong>der</strong> „Unfähigkeit, die Wi<strong>der</strong>sprüche, auf<br />
die man in letzter Instanz geraten ist, zu lösen.“ (ebenda, S. 542, 553)<br />
636 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW, Bd. 1,<br />
S. 386<br />
637 Die heilige Familie o<strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> kritischen Kritik, MEW, Bd. 2, S. 85<br />
f.<br />
638 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW, Bd. 1,<br />
S. 381<br />
639 Hegel: Enzyklopädie, Die Wissenschaft <strong>der</strong> Logik, § 204 (Hamburg<br />
1959, S. 178)<br />
640 Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844, MEW,<br />
Ergänzungsband, Erster Teil, S. 584. – Es ließe sich nicht sagen, dass in<br />
Marx’ Materialismus dadurch wie<strong>der</strong> – trotz <strong>der</strong> Umkehrung – eine Identität<br />
konzipiert würde, dass die Materie im menschlichen Geist zu sich<br />
selbst käme, sich selbst anschaute und wie <strong>der</strong> Hegelsche absolute Geist<br />
wie<strong>der</strong>um bei sich und somit frei wäre; denn geistlose Materie kann nicht<br />
zur Selbstanschauung gelangen, d. h. <strong>der</strong> Kreis kann sich nicht schließen,<br />
wenn <strong>der</strong> Ausgangspunkt selbst, das An sich, nicht geistig ist, abgesehen<br />
davon, dass es „die“ Materie <strong>für</strong> Marx ebensowenig gibt wie „den“ Menschen.<br />
641 Ebenda, S. 570<br />
642 Ebenda, S. 573<br />
643 Zur Kritik <strong>der</strong> Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung, MEW, Bd. 1,<br />
S. 391
330<br />
644 Johannes Hirschberger (Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, II. Teil, Freiburg/Basel/Wien<br />
1965, S. 436) erklärt kurzweg alle Junghegelianer zu<br />
Materialisten auf folgende Weise: „Und weil Geist und Natur auch identisch<br />
sind, die ,Natur‘ aber vielen Menschen näher zu liegen scheint, bestimmt<br />
die Hegelsche Linke den Inhalt des Identischen von dieser Seite her<br />
und entwickelt jetzt einen pointierten Materialismus.“<br />
645 Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 18 f., 20; vgl. S. 27 f.; Ökonomisch-philosophische<br />
Manuskripte, MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S.<br />
468, 568 f.; Engels: Die Kommunisten und Herr Heinzen (1847), MEW, Bd.<br />
4, S. 321 f.: „Herr Heinzen bildet sich ein, <strong>der</strong> Kommunismus sei eine gewisse<br />
Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern<br />
ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich<br />
sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, son<strong>der</strong>n eine Bewegung; er<br />
geht nicht von Prinzipien, son<strong>der</strong>n von Tatsachen aus. Die Kommunisten<br />
haben nicht diese o<strong>der</strong> jene <strong>Philosophie</strong>, son<strong>der</strong>n die ganze bisherige Geschichte<br />
und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den<br />
zivilisierten Län<strong>der</strong>n zur Voraussetzung... Der Kommunismus, soweit er<br />
theoretisch ist, ist <strong>der</strong> theoretische Ausdruck <strong>der</strong> Stellung des Proletariats...“<br />
– Löwith, <strong>der</strong> Marx, die Junghegelianer und auch Kierkegaard nebeneinan<strong>der</strong><br />
stellt, verfehlt also das Spezifische <strong>der</strong> Marxschen Praxiskonzeption,<br />
indem er es darin erblickt, dass Marx „die Welt auf Grund einer<br />
umfassenden geschichtsphilosophischen Interpretation und theoretischen<br />
Kritik verän<strong>der</strong>n wollte.“ (Die Hegelsche Linke, Stuttgart-Bad Cannstatt<br />
1962, S. 36)<br />
646 K. Löwith: Von Hegel zu Nietzsche, Stuttgart 1964, S. 111. – Dass Marx<br />
wie die Aufklärer die Religion als solche kritisiert, nicht nur wie die Frühsozialisten<br />
das Christentum o<strong>der</strong> die Kirche, dass aber an<strong>der</strong>erseits <strong>für</strong> ihn<br />
die Religionskritik nicht im Zentrum steht, dazu vgl. H. Gollwitzer: Marxistische<br />
Religionskritik und marxistischer Glaube, in: Marxismusstudien,<br />
Tübingen 1962, S. 23 f.<br />
647 Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 35; vgl. Ökonomischphilosophische<br />
Manuskripte, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 546: „Der<br />
Kommunismus ist die notwendige Gestalt und das energische Prinzip <strong>der</strong><br />
nächsten Zukunft, aber <strong>der</strong> Kommunismus ist nicht als solcher das Ziel<br />
<strong>der</strong> menschlichen Entwicklung – die Gestalt <strong>der</strong> menschlichen Gesellschaft.“<br />
648 Heinrich Popitz: Der entfremdete Mensch, Basel 1953, S. 129
331<br />
649 Jürgen Habermas: Zur philosophischen Diskussion um Marx und den<br />
Marxismus, in: Theorie und Praxis, Neuwied am Rhein und Berlin 1967, S.<br />
285 f., 279. Vgl. auch Karl Korsch: Karl Marx, Frankfurt a. M. 1967, S. 3<br />
ff., 204<br />
650 Vgl. Werner Sombart: Der proletarische Sozialismus, 1924, Bd. I,<br />
S.121; Johannes Plenge: Marx und Hegel, 1911, S. 15 ff.; Jakob Hommes:<br />
Der technische Eros, Freiburg 1955,5.23 ff.; Pierre Bigo: Marxisme et humanisme,<br />
Paris 1953,5.34; Erich Thier: Das Menschenbild des jungen<br />
Marx, Göttingen 1957, S. 29 ff.; Jean-Yves Calvez: Karl Marx, Olten/Freiburg<br />
1964, S. 111 ff.; Jean Hyppolite: Études sur Marx et Hegel,<br />
Paris 1955, S. 147<br />
651 Ludwig Landgrebe: Das Problem <strong>der</strong> Dialektik, in: Marxismusstudien,<br />
Tübingen 1960, Bd. 3, S. 8<br />
652 Siegfried Landshut: Karl Marx, Frühschriften, Stuttgart 1964, Einleitung,<br />
S. XXXVI; Max Gustav Lange: Der Junghegelianismus und die Anfänge<br />
des Marxismus, Jena 1946, S. 183: „Die Herrschaft <strong>der</strong> verdinglichten<br />
,Verhältnisse‘ über den Menschen kann nur von dem als Wi<strong>der</strong>spruch<br />
empfunden werden, <strong>der</strong> eine bestimmte Auffassung von dem Wesen des<br />
Menschen voraussetzt.“<br />
653 Leszek Kolakowski: Aktuelle und nichtaktuelle Begriffe des Marxismus,<br />
in: Der Mensch in <strong>der</strong> Alternative, München 1961, S. 25<br />
654 F. Engels: Fortschritte <strong>der</strong> Sozialreform auf dem Kontinent (1843),<br />
MEW, Bd. 1, S. 480 f., 494 f.; vgl. Die Lage Englands. Das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
(1844), ebenda, 5.552. – Zu Engels’ Bestimmung <strong>der</strong> Theorie als „Anleitung<br />
zum Handeln“ siehe: Brief an F. A. Sorge vom 29. XI. 1886, MEW Bd. 36,<br />
S. 578<br />
655 Vgl. Werner Hofmann: Ideengeschichte <strong>der</strong> sozialen Bewegung des 19.<br />
und 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Berlin 1962, S. 11<br />
656 Vgl. Jakob Hommes: Der technische Eros, Freiburg 1955, S. 267. Siehe<br />
auch: Jean Hyppolite : Études sur Marx et Hegel, Paris 1955, S. 147. Auf<br />
dieser Linie liegt auch die Reduktion <strong>der</strong> Entfremdung auf die (klassenindifferente)<br />
Technik und das Außerachtlassen <strong>der</strong> Produktionsverhältnisse<br />
(oft – wie bei H. Freyer – unter Anknüpfung an die Tradition <strong>der</strong> lebensphilosophischen<br />
Technophobie).
332<br />
657 Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Ergänzungsband, Erster<br />
Teil, S. 572; 574, 584. Siehe dazu Georg Lukács: Der junge Hegel, Zürich/Wien<br />
1948, S. 699<br />
658 Die heilige Familie, MEW, Bd. 28. 60 ff.; vgl. S. 144 ff.<br />
659 Brief von Marx an Feuerbach vom 3. X. 1843, MEW, Bd. 27, S. 420<br />
660 F. Engels: Schelling und die Offenbarung (1842), MEW, Ergänzungsband,<br />
Zweiter Teil, S. 176<br />
661 Thesen über Feuerbach, MEW, Bd. 3, S. 6<br />
662 Ebenda, S. 5<br />
663 Ebenda, S. 6. – Siehe hierzu auch: Ernst Bloch: Keim und Grundlinie.<br />
Zu Marx’ Feuerbach-Thesen, in: Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
1953, 2<br />
664 Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 45<br />
665 Ebenda, S. 44<br />
666 Ebenda, S. 43<br />
667 Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Ergänzungsband, Erster<br />
Teil, S. 540 ff.<br />
668 Ebenda, S. 579<br />
669 K. Löwith: Gesammelte Abhandlungen, Stuttgart 1960, S. 233<br />
670 Mao Tse-tung: Über die Praxis (1937), in: Ausgewählte Schriften,<br />
Frankfurt a. M. 1963, S. 35<br />
671 Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 44. – Dementsprechend ist es<br />
nicht im Sinne Marxens, wenn zwar eine naiv-realistische gesellschaftlich<br />
unvermittelte Kosmologie vermieden wird, aber <strong>der</strong> außermenschlichen an<br />
sich seienden Natur die Dialektik völlig abgesprochen und nur <strong>für</strong> die geschichtliche<br />
<strong>für</strong> uns seiende Wirklichkeit reserviert wird, wie dies in Nachfolge<br />
von Lukács’ Schrift „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (Berlin-<br />
Halensee 1923, S. 240) <strong>für</strong> Sartre, Hyppolite und A. Schmidt typisch ist;<br />
vgl. Existentialismus und Marxismus. Eine Kontroverse zwischen Sartre,
333<br />
Garaudy, Hyppolite, Vigier und Orcel, Frankfurt a. M. 1965 (beson<strong>der</strong>s S.<br />
105 ff.). – Nur eine Paraphrase Hegels ist insbeson<strong>der</strong>e Marx’ Satz: „Aber<br />
auch die Natur, abstrakt genommen, <strong>für</strong> sich, in <strong>der</strong> Trennung vom Menschen<br />
fixiert, ist <strong>für</strong> den Menschen nichts.“ (Ökonomisch-philosophische<br />
Manuskripte, MEW, Ergänzungsband, Erster Teil, S. 587)<br />
672 Ökonomisch-philosophische Manuskripte, MEW, Ergänzungsband, Erster<br />
Teil, S. 543; vgl. Die heilige Familie, MEW, Bd. 2, S. 159; Die deutsche<br />
Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 30, 43. Siehe auch: MEW, Bd. 19, S. 362 f.<br />
673 Die deutsche Ideologie, MEW, Bd. 3, S. 378<br />
674 Ebenda, S. 31 f., 46 ff.<br />
675 Siehe dazu Joachim Ritter: Die Lehre vom Ursprung und Sinn <strong>der</strong> Theorie<br />
bei Aristoteles, in: Arbeitsgemeinschaft <strong>für</strong> Forschung des Landes<br />
Nordrhein-Westfalen, 1953; Karl Löwith: Die Hegelsche Linke, Stuttgart-<br />
Bad Cannstatt 1962, S. 36 ff.<br />
676 Das Kapital, Dritter Band, MEW, Bd. 25, S. 828<br />
677 Diese Schwierigkeit wird erörtert in: Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
Heft 11/1961 bis Heft 9/1963; M. N. Rutkewitsch: Die Praxis als<br />
Grundlage <strong>der</strong> Erkenntnis und als Kriterium <strong>der</strong> Wahrheit, Berlin 1957, S.<br />
226 ff. – Die Schwierigkeit wird we<strong>der</strong> behoben, wenn die Theorie einfach<br />
in die als gesellschaftliche Gesamttätigkeit definierte Praxis einbezogen<br />
wird (so von Branko Bosnjak, <strong>der</strong> in seinem Artikel „Betrachtungen über<br />
die Praxis“ behauptet, im marxistischen Sinne wären „das Kriterium <strong>der</strong><br />
Praxis... die positiven Ideale“; in: Praxis, Philosophische Zeitschrift, Nr. 1,<br />
Zagreb 1965, S. 24), noch wenn das „Gegenständlich-sein“ als „Gegenbegriff<br />
zum Selbst-sein“ gefasst wird wie von H. Marcuse: Über die philosophischen<br />
Grundlagen des wirtschaftswissenschaftlichen Arbeitsbegriffs, in:<br />
Kultur und Gesellschaft 2, Frankfurt a. M. 1965, S. 28<br />
678 Thesen über Feuerbach, MEW, Bd. 3, S. 7<br />
679 Ebenda, S. 5<br />
680 G. A. Wetter: Der dialektische Materialismus, Freiburg 1960, S. 590. –<br />
Von einer „petitio principii“ in diesem Sinne spricht auch Josef de Vries:<br />
Die Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus, München/ Salzburg/Köln<br />
1958, S. 104 f. Die entscheidende Schwäche dieses Arguments
334<br />
wird nicht durchschaut in dem Lehrbuch „Marxistische <strong>Philosophie</strong>“, Berlin<br />
1967, S. 597 f.<br />
681 Vgl. zum pragmatistischen Wahrheitsbegriff beson<strong>der</strong>s Ch. S. Peirce:<br />
Collected Papers of Ch. S. Peirce, Harvard 1931-1935, Bd. 5, S. 247; <strong>der</strong>s.:<br />
Chance, Love and Logic, New York 1949, S. 16 ff. – Zu Mussolinis Berufung<br />
auf den Pragmatismus von James siehe die Schrift des Marxisten<br />
Harry K. Wells: Der Pragmatismus, Berlin 1957, S. 170 – Marx’ Praxisauffassung<br />
wird pragmatisch gedeutet von Bertrand Russel Freedom versus<br />
Organization, New York 1934, S. 194, und von Alfred G. Meyer: Marxism,<br />
The Unity of Theory and Practice, Cambridge 1954, S. 105<br />
682 Hannah Arendt: Vita activa o<strong>der</strong> vom tätigen Leben, München 1967, S.<br />
287 ff.
A. Que11en<br />
335<br />
Literaturverzeichnis<br />
Allgemeine Literaturzeitung. Monatsschrift, hrsg. v. Bruno Bauer, 2 Bde.,<br />
Charlottenburg 1844<br />
Anekdota zur neuesten deutschen <strong>Philosophie</strong> und Publizistik, hrsg. v. Arnold<br />
Ruge, 2 Bde., Zürich und Winterthur 1843<br />
Aristoteles: Opera, ed. I. Bekker, vol. 1 und 2, Berlin 1831<br />
Athenäum. Zeitschrift <strong>für</strong> das gebildete Deutschland. Redigiert von Karl<br />
Riedel, 1. Jahrgang, Berlin 1841<br />
Bacon, Francis: Novum Organon. The Works of Francis Bacon, Bd. XIV,<br />
London 1825<br />
Bakunin, Michail: Die Reaktion in Deutschland, in: Deutsche Jahrbücher<br />
<strong>für</strong> Wissenschaft und Kunst, Nr. 247-251, 17.-21. 10. 1842<br />
Bayrhoffer, Karl Theodor: Die Idee und Geschichte <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong>, Leipzig<br />
1838<br />
Bauer, Bruno:<br />
– Herr Dr. Hengstenberg. Kritische Briefe über den Gegensatz des Gesetzes<br />
und des Evangeliums, Berlin 1839<br />
– Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft, Leipzig<br />
1840<br />
– Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte des Johannes, Bremen 1840<br />
– Kritik <strong>der</strong> evangelischen Geschichte <strong>der</strong> Synoptiker, 3 Bde., Leipzig<br />
1841/42<br />
– Die Posaune des jüngsten Gerichts über Hegel den Atheisten und Antichristen.<br />
Ein Ultimatum, Leipzig 1841<br />
– Hegels Lehre von <strong>der</strong> Religion und Kunst. Von dem Standpunkte des<br />
Glaubens aus beurteilt, Leipzig 1842
336<br />
– Die gute Sache <strong>der</strong> Freiheit und meine eigene Angelegenheit, Zürich<br />
und Winterthur 1842<br />
– Die Judenfrage, Braunschweig 1843 (Deutsche Jahrbücher, November<br />
1842)<br />
– Das entdeckte Christentum. Eine Erinnerung an das achtzehnte Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
und ein Beitrag zur Krisis des neunzehnten, Zürich und Winterthur<br />
1843. Neudruck hrsg. v. Ernst Barnikol, Jena 1927<br />
– Geschichte <strong>der</strong> Politik, Kultur und Aufklärung des 18. Jahr hun<strong>der</strong>ts; 2<br />
Bde., Charlottenburg 1843/45<br />
– Vollständige Geschichte <strong>der</strong> Parteikämpfe in Deutschland während <strong>der</strong><br />
Jahre 1842-46, 3 Bde., Charlottenburg 1847<br />
– Die bürgerliche Revolution in Deutschland seit dem Anfang <strong>der</strong><br />
deutsch-katholischen Bewegung bis zur Gegenwart, Berlin 1849<br />
– Rußland und das Germanentum, 2. Abt., Charlottenburg 1853<br />
– Christus und die Caesaren. Der Ursprung des Christentums aus dem<br />
römischen Griechentum (1874/76), 2. Aufl., Berlin 1879<br />
– Zur Orientierung über die Bismarcksche Ära, Chemnitz 1880<br />
– Der christliche Staat und unsere Zeit, in: Hallische Jahr bücher, 7.-12.<br />
6. 1841, Nr. 135 bis 140<br />
– Theologische Schamlosigkeiten, in: Deutsche Jahrbücher, 15.-18. 11.<br />
1841, Nr. 117 bis 120<br />
– Bekenntnisse einer schwachen Seele, in: Deutsche Jahrbücher, 23. u.<br />
24. 6. 1842, Nr. 148 u. 149<br />
– Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Ent wicklung<br />
und im Kampf mit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wissenschaft. Darge stellt von D. F.<br />
Strauß, in: Deutsche Jahrbücher, 25.-28. 1. 1843, Nr. 21-24<br />
– Leiden und Freuden des theologischen Bewußtseins, in: Anekdota zur<br />
neuesten deutschen <strong>Philosophie</strong> und Publizistik, Bd. 2<br />
– Rezension zu „Bremisches Magazin“, ebenda
337<br />
– Was ist jetzt <strong>der</strong> Gegenstand <strong>der</strong> Kritik, in: Allgemeine Literaturzeitung,<br />
Bd. II, H. 8, Juli 1844<br />
– Die Gattung und die Masse, in: Allgemeine Literaturzeitung, Bd. II, Heft<br />
7, September 1844<br />
– Ludwig Feuerbach, in: Beiträge zum Feldzug <strong>der</strong> Kritik, ebenda, Heft 4<br />
– Charakteristik Ludwig Feuerbachs, in: Wigands Vierteljahresschrift,<br />
Leipzig 1845, 3. Band<br />
– Briefwechsel zwischen Bruno Bauer und Edgar Bauer während <strong>der</strong><br />
Jahre 1839 bis 1842 aus Bonn und Berlin, Charlottenburg 1844<br />
– Der Aufstand und Fall des deutschen Radikalismus vom Jahre 1842, 3<br />
Bde., 2. Aufl., Berlin 1850<br />
– Die theologische Erklärung <strong>der</strong> Evangelien, Berlin 1852<br />
– Denkwürdigkeiten zur Geschichte <strong>der</strong> neueren Zeit seit <strong>der</strong> Revolution,<br />
7 Bände, Charlottenburg 1843/44<br />
– Kritik <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Offenbarung I: Die Religion des alten Testaments<br />
in <strong>der</strong> geschichtlichen Entwicklung ihrer Prinzipien dargestellt,<br />
Berlin 1838<br />
– „Jahrbücher <strong>für</strong> wissenschaftliche Kritik“. Hrsg. v. d. Sozietät <strong>für</strong> wiss.<br />
Kritik zu Berlin. Kritik von D. F. Strauß Dezember 1835, Nr. 109-113,<br />
8. Mai 1836, Nr. 86-88<br />
– „Zeitschrift <strong>für</strong> spekulative Theologie“. In Gemeinschaft mit einem Verein<br />
von Gelehrten,hrg. v. B. Bauer: 1836: Der mosaische Ursprung <strong>der</strong><br />
Gesetzgegung des Pentateuch; Der alttestamentliche Hintergrund im<br />
Evangelium des Johannes. 1837: Die neueren Kommentare zu den<br />
Psalmen, Die Prinzipien <strong>der</strong> mosaischen Rechts- und Religionsverfassung,<br />
Der Begriff <strong>der</strong> göttlichen Gerechtigkeit im II. Teil des Jesaias.1838:<br />
Apologetisches und Kritisches zum biblischen Berichte von<br />
<strong>der</strong> Urgeschichte <strong>der</strong> Menschheit<br />
– Rezension: Einleitung in die Dogmengeschichte v. Th. Klieforth, in: Anekdota<br />
zur neuesten <strong>Philosophie</strong> und Publizistik, Zürich und Winterthur<br />
1843, Bd. II<br />
– Kritik <strong>der</strong> Evangelien und Geschichte ihres Ursprungs, Berlin 1850
Bauer, Edgar<br />
338<br />
– Bruno Bauer und seine Gegner, Berlin 1842<br />
– Der Streit <strong>der</strong> Kritik mit Kirche und Staat (1843), Bern 1844<br />
– Das Juste-Milieu. Erster Artikel, in: Rheinische Zeitung, Beiblatt zu Nr.<br />
156 vom 5. 6. 1842. Das Juste-Milieu. Zweiter Artikel, in: Rheinische<br />
Zeitung, Beiblatt zu Nr. 228, 230, 233, 235 v. 16., 18., 21.,23. 8. 1842<br />
– Geschichte Europas seit <strong>der</strong> ersten französischen Revolution, v. Archibald<br />
Alison (Rezension), in: Deutsche Jahrbücher, Nr. 297-299, vom 14.<br />
12. - 16. 12. 1842<br />
– Proudhon, in: Allgemeine Literaturzeitung, Bd. I, H. 5, April 1844<br />
– „1842“, in: Allg. Literaturzeitung, Bd. II, H. 8, Juli 1844<br />
– Die Reise auf öffentliche Kosten, in: Die Epigonen, Bd. 5, Leipzig 1848<br />
– Die liberalen Bestrebungen in Deutschland. I.: Die Ostpreußische Opposition.<br />
II.: Die Badische Opposition. Zürich und Winterthur 1843<br />
– Beiträge zum Feldzug <strong>der</strong> Kritik. Norddeutsche Blätter <strong>für</strong> 1844 und<br />
1845, 2 Bde., Berlin 1846<br />
Börne, Ludwig: Werke in zwei Bänden, Berlin und Weimar 1964<br />
Buhl, Ludwig: Hegels Lehre vom Staat und seine <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Geschichte<br />
in ihren Hauptresultaten, Berlin 1837<br />
– Der Beruf <strong>der</strong> preußischen Presse, Berlin 1842. Berliner Monatsschrift,<br />
Mannheim 1844<br />
– Der Patriot. Inländische Fragen. Hrsg. v. L. Buhl. Hefte i, II, III, IV, Berlin<br />
1841<br />
Cieszkowski, August von<br />
– Prolegomena zur Historiosophie, Berlin 1838<br />
– Du Crédit et de la Circulation, Paris 1839<br />
– Gott und Palingenesie, Berlin 1842<br />
– De la Pairie et de l’Aristocratie mo<strong>der</strong>ne, Paris 1844
339<br />
– Zur Verbesserung <strong>der</strong> Lage <strong>der</strong> Arbeiter auf dem Lande. Ein Vortrag gehalten...<br />
am 17. 5. 1845, Berlin 1846<br />
– The Desire of all Nations. Being an English edition abridged of A. C.’s<br />
„Our father“ (Ojcze Nasz); Prep. by W. J. Rose, London 1919<br />
Carové, Friedrich Wilhelm: Neorama, 3 Bde, Leipzig 1838<br />
Cues, Nikolaus von: Opera, Paris 1514. Unverän<strong>der</strong>ter Nachdruck, Frankfurt<br />
a. M. 1962<br />
Deutsche Jahrbücher <strong>für</strong> Wissenschaft und Kunst, hrsg. v. Arnold Ruge<br />
und Theodor Echtermeyer, 3 Bde, Leipzig 184I-1843<br />
Die Triarier, D. F. Strauß, L. Feuerbach und A. Ruge und ihr Kampf <strong>für</strong> die<br />
mo<strong>der</strong>ne Geistesfreiheit. Ein Beitrag zur letztvergangenen deutschen Geistesbewegung.<br />
Von einem Epigonen. Kassel 1852<br />
Einundzwanzig Bogen aus <strong>der</strong> Schweiz, hrsg. v. Georg Herwegh, Zürich<br />
und Winterthur 1843<br />
Feuerbach, Ludwig<br />
– Sämtliche Werke, neu hrsg. v. Wilhelm Bolin und Friedrich Jodl, 10<br />
Bde., Stuttgart 1903/1911<br />
– Das Wesen des Christentums, Ausgabe in zwei Bänden, hrsg. v. Werner<br />
Schuffenhauer, Berlin 1956<br />
– Feuerbach, Ludwig: Ausgewählte Briefe von und an Ludwig Feuerbach,<br />
hrsg. und biographisch eingel. v. Wilhelm Bolin, 2 Bde., Leipzig 1904<br />
– Kleine philosophische Schriften (1842-1845). Hrsg. v. M. G. Lange,<br />
Leipzig 1950<br />
– Briefwechsel zwischen L. Feuerbach und Chr. Kapp. Hrsg. v. A. Kapp,<br />
Leipzig 1876. Ludwig Feuerbach. Briefwechsel. Hrsg. v. W. Schuffenhauer,<br />
Leipzig 1962<br />
– Kleine Schriften, Frankfurt a. M. 1966<br />
Fichte, Johann Gottlieb: Sämtliche Werke, 8 Bde., Berlin 1845/46<br />
Fischer, Kuno: Arnold Ruge und <strong>der</strong> Humanismus, in: Wigands Epigonen,<br />
IV,1847
340<br />
Fourier, Charles : Oeuvres complètes, Bd. II, Paris 1843<br />
Frantz, Constantin: Grundzüge des wahren und wirklichen absoluten Idealismus,<br />
Berlin 1843<br />
Fröbel, Julius: Das Verbrechen <strong>der</strong> Religionsstörung nach den Gesetzen<br />
des Kantons Zürich, Zürich und Winterthur 1844<br />
Gans, Eduard<br />
– Das Erbrecht in weltgeschichtlicher Entwicklung, 2 Bde., Berlin<br />
1824/25<br />
– Rückblicke auf Personen und Zustände, Berlin 1836. Vermischte<br />
Schriften, Berlin 1834<br />
Görres, Joseph:<br />
– Athanasius, Regensburg 1838<br />
– Die Triarier, Regensburg 1838<br />
Grün, Karl<br />
– Feuerbach und die Sozialisten, in: Deutsches Bürgerbuch <strong>für</strong> 1845<br />
– Politik und Sozialismus, in: Rheinische Jahrbücher zur gesellschaftlichen<br />
Reform, hrsg. v. Hermann Püttmann, 1. Band, Darmstadt 1845<br />
Gutachten <strong>der</strong> Ev.-theolog. <strong>Fakultät</strong>en <strong>der</strong> Kgl. Preuß. Universitäten über<br />
den Lic. Bruno Bauer in Beziehung auf dessen Kritik <strong>der</strong> ev. Geschichte<br />
<strong>der</strong> Synoptiker. Im Auftrage des vorgesetzten hohen Ministeriums hrsg. v.<br />
<strong>der</strong> ev.-theolog. <strong>Fakultät</strong> <strong>der</strong> Rhein.-Friedrich-Wilhelms-Universität, Berlin<br />
1842<br />
Hallische Jahrbücher <strong>für</strong> deutsche Wissenschaft und Kunst, hrsg. v. Arnold<br />
Ruge und Theodor Echtermeyer, 3 Bde., Leipzig 1838-41<br />
Haym, Rudolf: Hegel und seine Zeit, Berlin 1857<br />
Hegel, Friedrich Georg Wilhelm<br />
– Sämtliche Werke (Jubiläums-Ausgabe), 20 Bde., hrsg. v. Hermann<br />
Glockner, Stuttgart 1927-1940
341<br />
– Briefe von und an Hegel, hrsg. v. J. Hoffmeister und R. Flechzig, Bd.<br />
1-4, Hamburg 1952 bis 1960<br />
– Ästhetik, hrsg. v. Friedrich Bassenge, 2 Bde., Berlin 1955<br />
– Berliner Schriften 1818-1831, hrsg. v. Johannes Hoffmeister, Hamburg<br />
1956<br />
– Hegels theologische Jugendschriften. Hrsg. v. H. Nohl, Tübingen 1907<br />
– Schriften zur Politik und Rechtsphilosophie. Hrsg. v. G. Lasson, 2.<br />
Aufl., Leipzig 1923<br />
– Politische Schriften. Nachwort von J. Habermas, Frankfurt a. M. 1966<br />
– Jenenser Logik, Metaphysik und Naturphilosophie Hegels. Hrsg. v. G.<br />
Lasson, Leipzig 1923<br />
– Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg. v. J. Hoffmeister, Stuttgart<br />
1936<br />
– Phänomenologie des Geistes. Hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1952<br />
– Enzyklopädie <strong>der</strong> philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Neu<br />
hrsg. v. F. Nicolin und 0. Pöggeler, Hamburg 1958<br />
– Die Vernunft in <strong>der</strong> Geschichte. Hrsg. v. J. Hoffmeister, Hamburg 1955<br />
– Wissenschaft <strong>der</strong>. Logik. Hrsg. v. G. Lasson. Erster und zweiter Teil,<br />
Hamburg 1963<br />
Heine, Heinrich: Werke und Briefe in zehn Bänden. Hrsg. v. H. Kaufmann,<br />
Berlin 1961-1964<br />
Hengstenberg, Ernst Wilhelm: Wi<strong>der</strong> die Hallischen Jahrbücher, in: Evangelische<br />
Kirchenzeitung, 1838, Nr. 69<br />
Her<strong>der</strong>, Johann Gottfried: Sämtliche Werke, hrsg. v. B. Suphan, Bde.<br />
1-33a, Berlin 1877-1913<br />
Herwegh, Georg: Gedichte eines Lebendigen, Zürich und Winterthur 1841
Heß, Moses<br />
342<br />
– Philosophische und sozialistische Schriften 1837-1850. Eine Auswahl.<br />
Hrsg. v. A. Cornu und W. Mönke, Berlin 1961<br />
– Rom und Jerusalem. Die letzte Nationalitätenfrage (1862), Wien und Jerusalem<br />
1935. Briefwechsel, hrsg. v. Edmund Silberner, ’s Gravenhage<br />
1959<br />
– La correspondance Moses Heß - Louis Krolikowski 1850-1853, hrsg. v.<br />
Edmund Silberner, in: Annali, III (1960)<br />
Holbach, Paul Heinrich Dietrich: System <strong>der</strong> Natur o<strong>der</strong> Von den Gesetzen<br />
<strong>der</strong> physischen und <strong>der</strong> moralischen Welt, Berlin 1960<br />
Jahrbücher <strong>für</strong> wissenschaftliche Kritik. Hrsg. v. <strong>der</strong> Sozietät <strong>für</strong> wissenschaftliche<br />
Kritik zu Berlin, Jahrgang 1834-1842<br />
Julius, Gustav<br />
– Der Streit <strong>der</strong> sichtbaren mit <strong>der</strong> unsichtbaren Menschenkirche o<strong>der</strong><br />
Kritik <strong>der</strong> Kritik <strong>der</strong> kritischen Kritik, in: Wigands Vierteljahresschrift,<br />
1845, 2. Band<br />
– Bruno Bauer und die Entwicklung des theologischen Humanismus unserer<br />
Tage. Eine Kritik und Charakteristik. „Wigands Vierteljahresschrift“,<br />
Leipzig 1845, Bd. III S. 52-85<br />
Kant, Immanuel: Gesammelte Schriften, hrsg. v. d. Königlischen Preußischen<br />
Akademie <strong>der</strong> Wissenschaften, Berlin 1902 ff.<br />
Kant, Gentz, Rehberg: Über Theorie und Praxis, Frankfurt a. M. 1967<br />
Köppen, Karl Friedrich<br />
– Friedrich <strong>der</strong> Große und seine Wi<strong>der</strong>sacher, Leipzig 1840<br />
– Fichte und die Revolution, in: Anekdota zur neuesten deutschen <strong>Philosophie</strong><br />
und Publizistik, Bd. 1<br />
– Über Schubarths Unvereinbarkeit <strong>der</strong> Hegelschen Lehre mit dem preußischen<br />
Staat. Telegraph <strong>für</strong> Deutschland, 1839, S. 441-444, 457 bis<br />
463<br />
– Die Berliner Historiker. „Hallische Jahrbücher“, 1841, S. 421-439
343<br />
– Geschichte des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts und des 19. bis zum Sturz des französischen<br />
Kaisertums, v. Schlosser. Deutsche Jahrbücher, 4. Januar<br />
1842<br />
Leo, Heinrich<br />
– Die Hegelingen. 2. Auflage, Halle 1839<br />
– Sendschreiben an Görres, Halle 1838<br />
– Die Hallischen Jahrbücher <strong>für</strong> deutsche Wissenschaft und Kunst, in:<br />
Berliner politisches Wochenblatt, Juli 1838<br />
Lessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts,<br />
Sämtliche Schriften, Bd. 13, Leipzig 1897<br />
Karl Marx, Friedrich Engels<br />
Historisch-kritische Gesamtausgabe. Werke/Schriften/Briefe (MEGA). Erste<br />
Abteilung<br />
– Bd. I. Karl Marx: Werke und Schriften bis Anfang 1844. Erster Halbband,<br />
Frankfurt a. M., Marx-Engels-Archiv 1927. Zweiter Halbband,<br />
Berlin 1929<br />
– Bd. II. Friedrich Engels: Werke und Schriften bis Anfang 1844, Berlin<br />
1930<br />
– Bd. III. Die heilige Familie und Schriften von Marx von Anfang 1844 bis<br />
Anfang 1845, Berlin 1932<br />
– Bd. IV. Friedrich Engels: Die Lage <strong>der</strong> arbeitenden Klasse in England<br />
und an<strong>der</strong>e Schriften von August 1844 bis Juni 1846, Berlin 1932<br />
– Bd. V. Karl Marx, Friedrich Engels: Die deutsche Ideologie, Berlin 1932.<br />
Werke, Berlin 1964/68<br />
Mehring, Franz: Aus dem literarischen Nachlass von Karl Marx, Friedrich<br />
Engels und Ferdinand Lassalle, 4. Aufl., Berlin 1923. Bd. I, von März 1841<br />
bis März 1844<br />
Meyen, Eduard: Heinrich Leo. Der verhallerte Pietist, Leipzig 1839
Michelet, Carl Ludwig<br />
344<br />
– Geschichte <strong>der</strong> letzten Systeme <strong>der</strong> <strong>Philosophie</strong> in Deutschland von Kant<br />
bis Hegel, 2 Bde., Berlin 1837-38<br />
– Entwicklungsgeschichte <strong>der</strong> neuesten deutschen <strong>Philosophie</strong> mit beson<strong>der</strong>er<br />
Rücksicht auf den gegenwärtigen Kampf Schellings mit <strong>der</strong> Hegelschen<br />
Schule, Berlin 1843<br />
Neue Anekdota, hrsg. v. Karl Grün, Darmstadt 1845<br />
Nietzsche, Friedrich: David Friedrich Strauß, <strong>der</strong> Bekenner und Schriftsteller.<br />
Unzeitgemäße Betrachtungen. Erstes Stück. Gesammelte Werke,<br />
Bd. 6, München 1922<br />
Rheinische Zeitung <strong>für</strong> Politik, Handel und Gewerbe. Köln (vom 1. Januar<br />
1842 bis Ende März 1843)<br />
Rosenkranz, Karl<br />
– Georg Wilhelm Friedrich Hegels Leben, Berlin 1844<br />
– Hegel, Der <strong>Fakultät</strong>sphilosoph, und L. Feuerbach, Der Menschheitsphilosoph,<br />
in: Königsberger Literaturblatt, 1841, Nr. 24 (Rosenkranz: Studien,<br />
V, Leipzig 1848)<br />
Ruge, Arnold<br />
– Sämtliche Werke, 10 Bde., 2. Aufl., Mannheim 1847-48<br />
– Der Patriotismus. Hrsg. v. Peter Wende, Frankfurt a. M. 1968<br />
– Politische Bil<strong>der</strong> aus <strong>der</strong> Zeit. 2 Bde., Mannheim 1847/48<br />
– Akademie, Philosophisches Tagebuch, Leipzig 1848<br />
– Polemische Briefe, Mannheim 1847. Unser System. Bd. I-III, Leipzig<br />
1850<br />
– Die Loge des Humanismus, Leipzig 1851<br />
– Manifest „An die deutsche Nation“, Hamburg 1866<br />
– Geschichte unserer Zeit, Leipzig 1881
345<br />
– Briefwechsel und Tagebuchblätter aus den Jahren 1825-1880, 2 Bde.,<br />
hrsg. v. Paul Nerrlich Berlin 1886.<br />
– Aus früherer Zeit, 4 Bde., Berlin 1863-67. Erinnerungen an Michail<br />
Bakunin. Neue Freie Presse, Wien, 28. und 29. September 1876<br />
– Zwei Jahre in Paris, Studien und Erinnerungen, zweiter Teil<br />
– Unsere letzten zehn Jahre, Leipzig 1846<br />
Schaller, Julius: Die <strong>Philosophie</strong> unserer Zeit, in: Hallische Jahrbücher,<br />
1838<br />
Schmidt, Karl: Das Verstandestum und das Individuum. „Wigands Vierteljahresschrift“,<br />
Leipzig 1845<br />
Schmidt, Franz: Die deutsche <strong>Philosophie</strong> in ihrer Entwicklung zum Sozialismus.<br />
Streit zwischen Feuerbach und B. Bauer. „Deutsches Bürgerbuch“,<br />
hrsg. v. H. Püttmann, Darmstadt 1846<br />
Stein, Lorenz von<br />
– Der Sozialismus und Kommunismus des heutigen Frankreichs, Leipzig<br />
1842<br />
– Blicke auf den Sozialismus und Kommunismus in Deutschland und<br />
ihre Zukunft, in: Deutsche Vierteljahresschrift, Stuttgart und Tübingen<br />
1844, 2. H.<br />
Stirner, Max (Johann Caspar Schmidt)<br />
– Der Einzige und sein Eigentum (1844), Leipzig 1892<br />
– Rezension <strong>der</strong> „Posaune“ im „Telegraph <strong>für</strong> Deutschland“, Januar 1842<br />
– Geschichte <strong>der</strong> Reaktion, 2 Bde., Berlin 1852<br />
– Max Stirners kleinere Schriften und seine Entgegnung auf die Kritik<br />
seines Werkes: „Der Einzige und sein Eigentum“. Aus den Jahren 1842<br />
bis 1847. Hrsg. v. J. H. Mackay, Berlin 1898<br />
– Die Nationalökonomen <strong>der</strong> Franzosen und Englän<strong>der</strong>, Leipzig 1845/47
346<br />
– Gegenwort eines Mitglieds <strong>der</strong> Berliner Gemeinde wi<strong>der</strong> die Schrift <strong>der</strong><br />
siebenundfünfzig Berliner Geistlichen. Die christliche Sonntagsfeier.<br />
Ein Wort <strong>der</strong> Liebe an unsere Gemeinden, Leipzig 1842<br />
– Der Einzige und sein Eigentum und an<strong>der</strong>e Schriften, hrsg. v. Hans G.<br />
Helms, München 1968<br />
Strauß, David Friedrich<br />
– Das Leben Jesu. Kritisch bearbeitet. 2 Bde., Tübingen 1835/36<br />
– Streitschriften zur Verteidigung meiner Schrift über das Leben Jesu<br />
und zur Charakteristik <strong>der</strong> gegenwärtigen Theologie, Tübingen 1837/38<br />
– Zwei friedliche Blätter, Altona 1839<br />
– Die christliche Glaubenslehre in ihrer geschichtlichen Entwicklung und<br />
im Kampfe mit <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Wissenschaft, 2 Bde., Tübingen/Stuttgart<br />
1840/41<br />
– Gesammelte Schriften, hrsg. v. E. Zeller, 12 Bde., Bonn 1876-1881<br />
– Ausgewählte Briefe, hrsg. v. E. Zeller, Bonn 1895<br />
Szeliga (Franz Zychlin v. Zychlinski)<br />
– Der Einzige und sein Eigentum, in: Norddeutsche Blätter <strong>für</strong> Kritik, Literatur<br />
und Unterhaltung, März 1845<br />
– Die Kritik, in: Allgemeine Literaturzeitung, Bd. II, H. 11/12, Oktober<br />
1844<br />
Wigands Vierteljahresschrift, Leipzig 1844-1845<br />
Zeitschrift <strong>für</strong> spekulative Theologie. In Gemeinschaft mit einem Verein<br />
von Gelehrten, hrsg. v. Bruno Bauer, Bd. 1-3, Berlin 1836-1838<br />
Zeller, Eduard: Die <strong>Philosophie</strong> und die Praxis, in: Jahrbücher <strong>der</strong> Gegenwart,<br />
hrsg. v. A. Schwegler, Jahrg. I, Stuttgart 1843, Nr. 81-84
B. Sekundärliteratur<br />
347<br />
Adams, Henry Packwood: Karl Marx in his earlier writings, London 1940<br />
Adler, Max: Wegweiser. Studien zur Geistesgeschichte des Sozialismus,<br />
Stuttgart 1914<br />
Adorno, Theodor W.<br />
– Aspekte <strong>der</strong> Hegelschen <strong>Philosophie</strong>, Frankfurt a. M. 1957<br />
– Drei Studien zu Hegel, Frankfurt 1963<br />
– Negative Dialektik, Frankfurt a. M. 1966<br />
Arendt, Hannah: Vita activa o<strong>der</strong> vom tätigen Leben, Stuttgart 1960<br />
Arvon, Henri : La pensée de Max Stirner, Paris 1951<br />
Backhaus, Gunther: Kerygma und Mythos bei David Fr. Strauß, Theologische<br />
Forschung, 12, Hamburg-Bergstedt 1956<br />
Baran, Paul Alexan<strong>der</strong>: Marxismus und Psychoanalyse, in: Unterdrückung<br />
und Fortschritt, Frankfurt a. M. 1966<br />
Barion, Jakob<br />
– Die philosophischen Grundlagen des Marxismus im System Hegels, in:<br />
Historischer Materialismus und europäisches Geschichtsdenken, Düsseldorf<br />
1954<br />
– Hegel und die marxistische Staatslehre, Bonn 1963<br />
Barnikol, Ernst<br />
– Bruno Bauers Kampf gegen Religion und Christentum und die Spaltung<br />
<strong>der</strong> vormärzlichen preußischen Opposition, in: Zeitschrift <strong>für</strong> Kirchengeschichte,<br />
XLVI, N. F. IX, Gotha 1928<br />
– Das Leben Jesu <strong>der</strong> Heilsgeschichte, Halle (Saale) 1958<br />
– Art. Bruno Bauer, in: Die Religion in Geschichte und Gegenwart,<br />
Handwörterbuch <strong>für</strong> Theologie und Religionswissenschaft, Bd. 1, 3.<br />
Aufl., Tübingen 1957
Barth, Karl<br />
348<br />
– Die protestantische Theologie im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, 2. Aufl., Zürich 1952<br />
– Kirchliche Dogmatik, Zürich 1935 ff.<br />
– David Friedrich Strauß als Theologe, in: Theolog. Studien, Heft 6, Zollikon<br />
1939<br />
Basch, Victor : L’ individualisme anarchiste, Paris 1904<br />
Beyer, Wilhelm Raimund:<br />
– Zwischen Phänomenologie und Logik, Frankfurt a. M. 1955<br />
– Hegels Begriff <strong>der</strong> Praxis, in: Zeitschrift <strong>für</strong> deutsche <strong>Philosophie</strong>, 6.<br />
Jahrgang (1958), Heft 5<br />
Bekker, Konrad: Marx’ philosophische Entwicklung, sein Verhältnis zu<br />
Hegel, Zürich und New York 1940<br />
Benz, Ernst: Hegels Religionsphilosophie und die Linkshegelianer, in:<br />
Zeitschr. f. Religions- u. Geistesgesch., VII (1955)<br />
Bergh van Eysinga, Gustav Adolf van den:<br />
– Godsdienst-Wetenschappelijke Studien, II, VII, VIII, IX, XII, XIV, XVII,<br />
Haarlem 1947, 1950-53, 1955; darin Bruno Bauers Afscheid van de<br />
Theologie (II); Hoe Bruno Bauer van Rechts-Hegeliaan tot Radicaal is<br />
geworden (XVII); Bettina von Arnim en Bruno Bauer (IX); De jonge Hegel<br />
en de „Junghegelianer“ (VII); Het Jodenvraagstuk (XII); Heeft Marx meegewerkt<br />
aan de Posaune en aan het vervolg daarop (XIV); De Vrijen bij<br />
Nippel (VIII)<br />
Bigo, Pierre : Marxisme et humanisme, Paris 1953.<br />
Blaschke, Friedrich: Das Verhältnis Arnold Ruges zu Hegel, Leipzig 1919<br />
Bloch, Ernst<br />
– Subjekt-Objekt. Erläuterungen zu Hegel, Berlin 1952<br />
– Keim und Grundlinie. Zu den elf Thesen von Marx über Feuerbach, in:<br />
Deutsche Zeitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>, 1. Jahrg., Berlin 1953
349<br />
Blumenberg, Hans: Nachahmung <strong>der</strong> Natur. Zur Vorgeschichte <strong>der</strong> Idee<br />
des schöpferischen Menschen, in: Studium Generale 1957, Heft 2<br />
Bockmühl, Klaus Erich: Leiblichkeit und Gesellschaft. Studien zur Religionskritik<br />
und Anthropologie im Frühwerk von Ludwig Feuerbach und Karl<br />
Marx, Göttingen 1961<br />
Bolin, Wilhelm: L. Feuerbach. Sein Wirken und seine Zeitgenossen, Stuttgart<br />
1891<br />
Bornkamm, Günther: Jesus von Nazareth, Stuttgart 1963<br />
Brenner, Dietrich: Theorie und Praxis. Systemtheoretische Betrachtungen<br />
zu Hegel und Marx, Wien und München 1966<br />
Breuer, Karl Heinz: Der junge Marx. Sein Weg zum Kommunismus, Köln<br />
1954<br />
Bultmann, Rudolf<br />
– Geschichte und Eschatologie, Tübingen 1958.<br />
– Der Begriff <strong>der</strong> Offenbarung im Neuen Testament, Tübingen 1929<br />
– Geschichte <strong>der</strong> synoptischen Tradition, Göttingen 1931<br />
Calvez, Jean-Yves : La pensée de Karl Marx, Paris 1956<br />
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– Die „verwirtschaftete“ Humanität. Grundvoraussetzungen <strong>der</strong> philosophischen<br />
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Lenin, Wladimir Iljitsch<br />
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Löwith, Karl<br />
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– Gesammelte Abhandlungen. Zur Kritik <strong>der</strong> geschichtlichen Existenz,<br />
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– Die Hegelache Linke, Stuttgart-Bad Cannstadt 1962
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Lübbe, Hermann: Die politische Theorie <strong>der</strong> Hegelschen Rechten, in: Archiv<br />
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– Zur philosophischen Entwicklung des jungen Marx (1840/44), in:<br />
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Mende, Georg: Karl Marx’ Entwicklung vom revolutionären Demokraten<br />
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Metzke, Erwin<br />
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– Das bürgerliche Leben. Zur aristotelischen Theorie des Glücks, in: Ehrengabe<br />
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32. Jg., Bochum 1956<br />
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Scheler, Max: Erkenntnis und Arbeit, in: Die Wissensformen und die Gesellschaft,<br />
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Schellwein, Robert: Max Stirner und Friedrich Nietzsche, Leipzig 1892<br />
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– Die Religionskritik von D. F. Strauß, in: Deutsche Leitschrift <strong>für</strong> <strong>Philosophie</strong>,<br />
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– Bruno Bauer als Junghegelianer und Kritiker <strong>der</strong> christlichen Religion,<br />
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Ruges, in: Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte, Bd. 12, 1954<br />
Stuke, Horst: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat, Stuttgart 1963<br />
Taubes, Jakob: Abendländische Eschatologie, Bern 1947<br />
Thier, Erich<br />
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– Das Menschenbild des jungen Marx, Göttingen 1957<br />
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t, 5<br />
Bde., Leipzig 1917-20<br />
Tschižewskij, Dmitrij: Hegel bei den slavischen Völkern, in: Verhandlungen<br />
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Vogel, Paul: Hegels Gesellschaftsbegriff und seine geschichtliche Fortbildung<br />
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1925, Ergänzungsheft 59<br />
Wahl, Jean : Le malheur de la conscience dans la philosophie de Hegel,<br />
Paris 1929<br />
Weil, Eric: Hegel et l’ Etat, Paris 1950<br />
Wieland, Wolfgang: Heinrich Heine und die <strong>Philosophie</strong>. In: Deutsche Vierteljahresschrift<br />
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(1963)<br />
Winterfeld, Achim von: Stirner, Gautzsch 1911<br />
Wojtczak, Albert: <strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Freiheit bei Graf August Cieszkowski,<br />
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Woodcock, George: Anarchism, London 1962, in: The Encyclopedia of Philosophy,<br />
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Zaleski, Zygmunt L. : Edgar Quinet et Auguste Cieszkowski, in: Mélanges<br />
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Zeller, Eduard: David Friedrich Strauß in seinem Leben und seinen Schriften,<br />
Bonn 1874<br />
Ziegler, Theodor: D. F. Strauß, Straßburg 1908<br />
Zlocisti, Theodor: Moses Heß. Der Vorkämpfer des Sozialismus und Zionismus<br />
(1812-75), 2. Aufl., Berlin 1921<br />
Zółtowski, Adam: Graf August Cieszkowskis „<strong>Philosophie</strong> <strong>der</strong> Tat“, Posen<br />
1904
Text (Seitenzahlen)<br />
A<br />
Adorno, Theodor W. 129<br />
Alexan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Große 137<br />
Arendt, Hannah 219<br />
Aristoteles 17, 32, 33, 40, 49, 61,<br />
62, 63, 65, 89, 139, 152, 189, 196,<br />
201, 202, 214, 236, 241, 242, 243<br />
Aristotelisch 30, 42, 58, 62, 74,<br />
116, 223, 228, 187<br />
B<br />
Baa<strong>der</strong>, Franz Xaver von 96<br />
Bachmann, Karl Friedrich 119<br />
Bacon, Francis 30, 176, 219<br />
Bakunin, Michail 111, 124, 153,<br />
236<br />
Barth, Karl 103, 105<br />
Bauer, Bruno 6, 105, 114, 117, 122,<br />
125, 127, 128, 129, 130, 131, 132,<br />
133, 134, 135, 136, 137, 138, 139,<br />
140, 141, 142, 143, 145, 146, 147,<br />
150, 151, 158, 174, 178, 187, 190,<br />
192, 193, 200, 201, 229, 230, 231,<br />
232, 233, 234<br />
Bauersche 130, 146, 155, 156<br />
Bauer, Edgar 129<br />
Baur, Ferdinand Christian 104<br />
Beaumarchais, Pierre Augustin<br />
Caron 115<br />
Beer, Heinrich 87<br />
Bentham, Jeremy 155<br />
Berdjajew, Nikolai Alexandrowitsch<br />
205<br />
Bernstein, Eduard 195<br />
Beyer, Wilhelm R. 250<br />
Bigo, Pierre 206<br />
Bismarckschen 120<br />
Blanc, Louis 85<br />
363<br />
Personenverzeichnis<br />
Blanqui, Louis-Auguste 199<br />
Blum, Robert 102<br />
Börne, Ludwig 84, 85, 191<br />
Braniß, Julius 119<br />
Bruno, Giordano 70<br />
Buchez, Philippe Joseph Benjamin<br />
84, 91<br />
Büchner, Georg 135<br />
Bultmann, Rudolf 105, 106, 136<br />
Burke, Edmund 193<br />
C<br />
Cabet, Etienne 124, 199<br />
Calvez, Jean-Yves 206<br />
Carlyle, Thomas 135<br />
Cieszkowski, August von 6, 89, 90,<br />
91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99,<br />
100, 101, 113, 116, 158, 159, 177,<br />
183, 187, 199, 224, 225<br />
Comte, Auguste 205<br />
Condorcet, Antoine de 91<br />
Considérant, Victor 124<br />
Cousin, Victor 83<br />
Croce, Benedetto 42<br />
D<br />
Dembowski, Edward 95<br />
Descartes, René 29, 62, 64, 171,<br />
218, 219<br />
Dewey, John 218<br />
Dézamy, Theodor 199<br />
Dibelius, Martin 136<br />
Dilthey, Wilhelm 42<br />
E<br />
Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich<br />
104<br />
Enfantin, Prosper 85
Engels, Friedrich 86, 87, 101, 127, 151,<br />
157, 172, 181, 191, 193, 208, 210, 237<br />
F<br />
Feuerbach, Ludwig 6, 103, 109, 112,<br />
113, 115, 117, 122, 123, 131, 146,<br />
161, 162, 163, 164, 165, 166, 167,<br />
168, 169, 170, 171, 172, 173, 174,<br />
175, 176, 177, 178, 179, 180, 181,<br />
182, 183, 184, 186, 187, 190, 191,<br />
198, 199, 200, 203, 204, 206, 207,<br />
210, 211, 215, 216, 217, 229, 226,<br />
228, 234, 237, 238, 239, 240<br />
Feuerbachsche 158, 176, 179,<br />
181, 183, 204, 240<br />
Fichte, Immanuel Hermann 119<br />
Fichte, Johann Gottlieb 16, 37, 42,<br />
66, 67, 68, 69, 83, 86, 90, 94, 96,<br />
119, 131, 159, 176<br />
Fichtesche 38, 50, 67, 68, 131,<br />
167, 186, 222<br />
Fiore, Joachim von 100<br />
Fischer, Karl Philipp 119<br />
Fischer, Kuno 147<br />
Fourier, Charles 85, 90, 98, 99<br />
Fourieristen 99<br />
Franklin, Benjamin 31<br />
Frantz, Constantin 97<br />
Fries, Jakob Friedrich 75<br />
Fröbel, Julius 125<br />
G<br />
Gabler, Georg Andreas 104<br />
Gall, Franz Joseph 17<br />
Gans, Eduard 98<br />
Gesenius, Wilhelm 104<br />
Glockner, Hermann 42<br />
Godwin, William 153<br />
Goethe 22, 28, 35, 42, 50, 61, 102,<br />
107, 121<br />
Goethezeit 83<br />
Görres, Joseph 120<br />
Göschel, Karl Friedrich 109<br />
Gutzkow, Karl 85<br />
364<br />
H<br />
Habermas, Jürgen 206<br />
Haym, Rudolf 42, 75<br />
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1, 2,<br />
6, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15,<br />
16, 17, 18, 20, 21, 22, 23, 24, 25,<br />
26, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34,<br />
35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43,<br />
44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 54,<br />
55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 63, 64,<br />
65, 66, 67, 68, 69, 70, 72, 73, 74,<br />
75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83,<br />
84, 86, 87, 89, 91, 95, 96, 98, 99,<br />
101, 102, 103, 104, 105, 106, 107,<br />
108, 113, 114, 115, 116, 117, 118,<br />
119, 120, 128, 129, 130, 131, 132,<br />
133, 134, 135, 136, 137, 139, 140,<br />
142, 146, 148, 149, 150, 151, 152,<br />
154, 163, 164, 167, 168, 169, 171,<br />
172, 173, 176, 177, 179, 180, 181,<br />
182, 183, 186, 187, 189, 191, 193,<br />
196, 197, 198, 202, 203, 204, 206,<br />
207, 208, 209, 210, 211, 212, 213,<br />
214, 215, 216, 217, 219, 221, 222,<br />
223, 224, 225, 226, 227, 228, 229,<br />
230, 232, 233, 234, 235, 236, 239,<br />
240, 241, 242, 243, 244<br />
Hegelsche 7, 16, 30, 41, 45, 51,<br />
64, 73, 83, 87, 88, 89, 90, 91, 92,<br />
93, 94, 99, 101, 103, 104, 108,<br />
109, 110, 111, 113, 115, 118, 119,<br />
121, 122, 124, 125, 129, 130, 131,<br />
132, 133, 134, 140, 143, 148, 155,<br />
159, 160, 167, 168, 169, 170, 172,<br />
173, 177, 178, 181, 182, 186, 187,<br />
189, 191, 192, 200, 204, 205, 209,<br />
224, 225, 226, 227, 228, 229, 231,<br />
232, 233, 235, 237, 238, 239, 240,<br />
241<br />
Heidegger, Martin 213<br />
Heine, Heinrich 6, 65, 83, 84, 85,<br />
86, 87, 88, 89, 97, 98, 101, 120,<br />
121, 145, 158, 182, 183, 187, 195,<br />
224<br />
Hengstenberg, Ernst Wilhelm 104,<br />
112, 141<br />
Heraklit 36
Her<strong>der</strong>, Johann Gottfried 11, 12,<br />
110, 169, 239, 143, 152, 234<br />
Hermes, Karl Heinrich 194<br />
Herwegh, Georg 125<br />
Herzen, Alexan<strong>der</strong> Iwanowitsch 50,<br />
84, 87, 160, 173, 183<br />
Heß, Moses 85, 124, 127, 147, 156,<br />
157, 158, 159, 160, 183, 208, 237<br />
Hinrichs, Hermann Friedrich<br />
Wilhelm 120<br />
Hobbes, Thomas 171<br />
Holz, Arno 153<br />
Hommes, Jakob 206<br />
Hugo, Gustav 193<br />
Humboldt, Wilhelm von 76, 121<br />
Husserl, Edmund 213, 218<br />
Hyppolite, Jean 206<br />
J<br />
James, William 218<br />
Jacobi, Friedrich Heinrich 49<br />
K<br />
Kant, Immanuel 12, 16, 33, 37, 39,<br />
40, 42, 45, 47, 65, 69, 72, 83, 86,<br />
89, 119, 155, 167, 176, 207, 209,<br />
213<br />
Kantisch 38, 45, 46, 47, 50, 67,<br />
68, 69, 90, 106, 152, 164, 167,<br />
173, 186, 208, 213, 222, 236<br />
Keller, Gottfried 182<br />
Kierkegaard, Sören 42, 43, 106, 115,<br />
227<br />
Kierkegaardsche 207<br />
Kolakowski, Leszek 207<br />
Kopernikus, Nikolaus<br />
Kopernikanisch 45, 156, 237<br />
Köppen, Karl Friedrich 121, 122<br />
Kroner, Richard 42<br />
Kropotkin, Peter 153, 236<br />
Krug, Wilhelm Traugott 119<br />
Lamartine, Alphonse de 124<br />
Lamennais, Félicité-Robert de 84,<br />
124<br />
L<br />
365<br />
Landgrebe, Ludwig 206<br />
Landshut, Siegfried 206<br />
Lange, Max Gustav 206<br />
Laube, Heinrich 85<br />
Lavater, Johann Kaspar 17<br />
Le Bon, Gustave 135<br />
Ledru-Rollin, Alexandre-Auguste<br />
120<br />
Leibniz, Gottfried Wilhelm von 176<br />
Leibnizsche 43, 145<br />
Lenin, Wladimir Iljitsch 153, 202<br />
Leo, Heinrich 120, 121<br />
Lessing, Gotthold Ephraim 100, 121<br />
Lichtenberg, Georg Christoph 18<br />
Locke, John 21, 48, 62, 77, 148,<br />
149, 217<br />
Löwith, Karl 117, 133, 212, 213<br />
Luther, Martin 83<br />
M<br />
Malebranche, Nicolas<br />
Malebranche 174<br />
Malthus, Thomas Robert<br />
Malthussche 107<br />
Mann, Thomas 47, 83, 137, 151<br />
Mao Tse-tung 213<br />
Marcuse, Herbert 199<br />
Marheineke, Philipp Konrad 109<br />
Marx, Karl 6, 54, 74, 85, 86, 87,<br />
107, 114, 115, 121, 124, 125, 127,<br />
130, 134, 138, 142, 143, 151, 153,<br />
157, 158, 159, 170, 171, 177, 179,<br />
181, 183, 184, 186, 187, 188, 189,<br />
190, 191, 192, 193, 194, 195, 196,<br />
197, 198, 200, 201, 202, 203, 204,<br />
205, 206, 207, 208, 209, 210, 211,<br />
212, 213, 214, 215, 216, 217, 218,<br />
219, 224, 230, 237, 240, 241, 242,<br />
243, 244<br />
Marxismus 206<br />
Marxsche 172, 191, 192, 195,<br />
204, 206, 208, 212, 218, 239, 243<br />
Mazzini, Giuseppe 120<br />
Menzel, Wolfgang 107, 122<br />
Metternich, Clemens Wenzel Lothar,<br />
Fürst von 193<br />
Metzke, Erwin 206
Meyen, Eduard 122<br />
Michelet, Carl Ludwig 90<br />
Mickiewicz, Adam 100<br />
Mignet, François 85<br />
Mill, James 155<br />
Mörser, Justus 193<br />
Mundt, Theodor 85<br />
N<br />
Napoleon I. Bonaparte 79, 80, 83,<br />
86, 90, 115<br />
Nean<strong>der</strong>, Johann August Wilhelm<br />
112<br />
Niebuhr, Barthold Georg 104<br />
Nietzsche, Friedrich 107, 149, 198<br />
Nohl, Hermann 95, 97, 108, 118-123,<br />
125, 126<br />
O<br />
Olshausen, Justus 104<br />
Ortega y Gasset, José 135<br />
Pareto, Vilfredo 135<br />
Parmenides 36<br />
Paulus, Heinrich Eberhard Gottlob<br />
104<br />
Peirce, Charles 218<br />
Platon 62, 209<br />
Plenge, Johannes 206<br />
Popitz, Heinrich 205, 206<br />
Proudhon, Pierre Joseph 153, 236<br />
Pythagoras 137<br />
P<br />
R<br />
Raffaelo Santi 214<br />
Rawidowicz, Simon 177<br />
Renan, Ernest 102<br />
Riedel, Manfred 1a, 3<br />
Robespierre, Maximilien de 86<br />
Rousseau, Jean-Jacques 43, 44, 45,<br />
86<br />
Ruge, Arnold 6, 85, 113, 114, 115,<br />
116, 117, 118, 119, 120, 121, 122,<br />
123, 124, 125, 127, 128, 129, 171,<br />
366<br />
172, 183, 184, 187, 198, 228, 229,<br />
230, 231<br />
S<br />
Sade, Donatien-Alphonse-François<br />
de 155, 236<br />
Saint-Simon, Claude Henri de 91<br />
Savigny, Karl von 193<br />
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph<br />
49, 66, 67, 69, 70, 78, 83, 86, 96,<br />
109, 122, 209, 210<br />
Schiller, Friedrich 35, 50, 65, 69, 70<br />
Schillersche 99, 151<br />
Schleiermacher, Friedrich Ernst<br />
Daniel 174<br />
Schmidt, Karl 147<br />
Schopenhauer, Arthur 155<br />
Schweitzer, Albert 111<br />
Scotus, Duns 149<br />
Sokrates 41, 43<br />
Solon 18<br />
Sombart, Werner 206<br />
Sorel, George 205<br />
Spengler, Oswald 93, 121<br />
Spinoza, Benedictus de 12, 62, 83,<br />
158, 171, 176, 180, 210, 218<br />
Stahl, Friedrich Julius 119<br />
Stein, Karl, Freiherr vom und zum<br />
75, 121<br />
Stirner, Max (Johann Caspar<br />
Schmidt) 6, 124, 145, 146, 147,<br />
148, 149, 150, 151, 152, 153, 154,<br />
155, 156, 157, 158, 160, 161, 169,<br />
197, 214, 234, 235, 236, 237, 239<br />
Strauß, David Friedrich 6, 101, 102,<br />
103, 104, 105, 106, 107, 108, 109,<br />
110, 111, 112, 113, 117, 119, 121,<br />
129, 136, 138, 140, 178, 193, 198,<br />
226, 227, 228, 229, 231, 240<br />
Straußsche 108, 110, 227<br />
Streckfuß, Karl 121<br />
Sue, Eugène 151<br />
Szeliga (Franz Zychlin v. Zychlinski)<br />
137, 147, 151
Thales 149<br />
Thier, Erich 206<br />
Tholuck, August 112<br />
Thomas von Aquin 209<br />
Tillich, Paul 205<br />
Topitsch, Ernst 205<br />
Treitschke, Heinrich von 135<br />
Trendelenburg, Friedrich Adolf 42<br />
Vico, Giovanni Battista 30<br />
Vinci, Leonardo da 39<br />
Vischer, Friedrich Theodor 120<br />
Voegelin, Eric 205<br />
Voltaire, François Marie Arouet 65<br />
T<br />
V<br />
367<br />
W<br />
Wegschei<strong>der</strong>, Julius August Ludwig<br />
104<br />
Weierstraß, Karl 62<br />
Weiße, Christian Hermann 96, 119<br />
Weitling, Christian Wilhelm 199<br />
Wette, Wilhelm Martin Leberecht de<br />
104<br />
Wetter, Gustav A. 217<br />
Wienbarg, Ludolf 85<br />
Wilhelm IV., König von Preußen 127<br />
Windelband, Wilhelm 42<br />
Wolff, Christian<br />
Wolffsche 65<br />
Wöllner, Johann Christoph<br />
Wöllnersche 119<br />
Z<br />
Zeller, Eduard 190
Anmerkungen (Endnotenzahlen)<br />
Adorno, Theodor W. 70, 395, 422,<br />
626<br />
Ammon, Otto 72<br />
Antonius von Padua 199<br />
Arendt, Hannah 57, 682<br />
Aristoteles 19, 73, 78, 109, 157,<br />
164, 422,606, 675<br />
Aristotelische 101a<br />
Arndt, Ernst Moritz 509<br />
A<br />
B<br />
Backhaus, Gunther 303<br />
Bacon, Francis 56<br />
Baeumler, Alfred 100, 116<br />
Bakunin, Michail 328, 382<br />
Barnikol, Ernst 398<br />
Barth, Karl 303<br />
Basch, Victor 480<br />
Bauer, Bruno 235, 237, 306, 312,<br />
328, 336, 337, 343, 373, 389,<br />
391, 395, 397, 401, 412, 420,<br />
423, 430, 441, 457, 555, 577<br />
Bauer, Edgar 397, 443<br />
Bauersche 497<br />
Bayrhoffer, Karl Theodor 272<br />
Beckett, Samuel 79<br />
Benz, Ernst 216<br />
Beyer, Wilhelm R. 1a<br />
Bigo, Pierre 650<br />
Bin<strong>der</strong>, Julius 116<br />
Bismarck, Otto von 311<br />
Bismarcksche 116<br />
Bloch, Ernst 156, 663<br />
Blumenberg, Hans 157<br />
Bockmühl, Klaus Erich 595<br />
Böhm, Franz 116<br />
Böhme, Jakob 21, 324, 596<br />
Bolin, Wilhelm 510, 593<br />
Börne, Ludwig 284, 285<br />
Bornkamm, Günther 304<br />
Börnstein, Heinrich 384<br />
368<br />
Personenverzeichnis<br />
Bosnjak, Branko 677<br />
Braunthal, Julius 480<br />
Brecht, Bertold 79<br />
Brillat-Savarin, Anthelme 541<br />
Buhl, Ludwig 389<br />
Bultmann, Rudolf 303<br />
Busse, Martin 116<br />
C<br />
Calvez, Jean-Yves 650<br />
Camus, Albert 89, 479<br />
Carlyle, Thomas 19<br />
Cäsar 19<br />
Chamberlain, Houston Stewart 72<br />
Chamley, Paul 62<br />
Cicero Marcus Tullius 100<br />
Cieszkowski, August von 238, 247,<br />
253, 255, 257, 261, 263, 274,<br />
277, 282<br />
Condillac, Etienne Bonnot de 547<br />
Condorcet, Antoine de 109<br />
Cornu, Auguste 261, 274, 369,<br />
381, 496, 556, 608<br />
Cues, Nikolaus von 181<br />
D<br />
Daumer, Georg Friedrich 237<br />
Descartes, René 66<br />
Dewey, John 116<br />
Di<strong>der</strong>ot, Denis 79<br />
Dilthey, Wilhelm 221<br />
Diogenes Laertius 100<br />
Dorguth, Friedrich 541<br />
Dshang Ssüä-tschöng 261<br />
E<br />
Echtermeyer, Ernst Theodor 365<br />
Eck, Siegfried 321<br />
Eckermann, Johann Peter 361<br />
Edelmann, Johann Christian 412<br />
Endel, Nanette 199<br />
Engels, Friedrich 45, 63, 224, 225,<br />
226, 230, 261, 281, 287, 312,
335, 369, 384, 419, 429, 444,<br />
447, 457, 478, 494, 497, 510,<br />
554, 582, 601, 608, 609, 614,<br />
625, 635, 645, 654, 660<br />
Erdmann, Johann Eduard 571<br />
Eschenmayer, Karl Adolf 587<br />
Euripides 78<br />
F<br />
Feuerbach, Ludwig 87, 226, 237,<br />
287, 306, 321, 341, 346, 380,<br />
387, 420, 423, 454, 457, 498,<br />
510, 510a, 517, 527, 536, 538,<br />
541, 543, 544, 548, 554, 555,<br />
556, 559, 565, 571, 576, 577,<br />
582, 589, 592, 593, 594, 595,<br />
596, 599, 659, 661, 663, 678<br />
Feuerbachsche 331<br />
Feuz, Ernst 383<br />
Fichte, Johann Gottlieb 36, 72, 91,<br />
115, 135, 164, 171, 243, 260,<br />
261<br />
Fichtesche 91, 165, 171, 172,<br />
190, 261<br />
Fischer, Ernst 150<br />
Fischer, Kuno 324,462<br />
Fleischer, Karl Moritz 337, 380,<br />
382, 383, 384<br />
Fourier, Charles 92, 245<br />
Fourieristen 380<br />
Franck, Sebastian 21<br />
Frantz, Constantin 272<br />
Frauenstädt, Julius 257<br />
Freyer, Hans 100, 656<br />
Friedell, Egon 470<br />
Fröbel, Julius 381a<br />
G<br />
Gabler, Georg Andreas 261<br />
Gans, Eduard 212<br />
Garaudy, Roger 81, 671<br />
Gehlen, Arnold 12<br />
Gentile, Giovanni 116<br />
George, Stefan 100<br />
Girardin, Émile de 494<br />
Glockner, Hermann 109, 571<br />
Gobineau, Joseph Arthur 72<br />
Goethe, Johann Wolfgang von 12,<br />
18, 20, 54, 87, 135, 176, 189,<br />
225, 365, 386, 600<br />
369<br />
Gollwitzer, Helmut 646<br />
Görres, Joseph 361<br />
Göschel, Karl Friedrich 209<br />
Grün, Karl 498, 592<br />
Guérin, Daniel 480<br />
Gumplowicz, Ludwig 72<br />
Gutzkow, Karl 360<br />
H<br />
Habermas, Jürgen 67, 199, 649<br />
Haller, Karl Ludwig von 3, 72<br />
Harich, Wolfgang 234<br />
Hartmann, Nicolai 109, 169<br />
Haug, Wolfgang Fritz 89<br />
Hauptmann, Gerhart 293<br />
Haym, Rudolf 193<br />
Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1a,<br />
3, 8, 11, 12, 18, 21, 32, 47, 61,<br />
62, 63, 65, 70, 72, 73, 75, 76,<br />
78, 79, 89, 95, 101, 102, 107,<br />
109, 115, 116, 117a, 118, 119,<br />
120, 121, 129, 135, 157,164,<br />
165, 181, 189, 192, 193, 199,<br />
201, 202, 203, 209, 212, 215,<br />
216, 229, 230, 235, 236, 261,<br />
283, 298, 306, 314, 321, 322,<br />
336, 347, 361, 379, 386, 399,<br />
406, 412, 423, 439, 464, 470,<br />
551, 554, 555, 557, 559, 564,<br />
570, 571, 589, 607, 610, 613,<br />
624, 639, 646, 650, 656, 657,<br />
671<br />
Hegelianer 116<br />
Hegelianismus 95<br />
Hegelsche 1a, 19, 65, 79, 116,<br />
135, 169, 189, 224, 232, 235,<br />
306, 311, 321, 331, 332, 336,<br />
338, 348, 351, 353, 357, 367,<br />
339, 420, 429, 461, 464, 516,<br />
549, 550, 564, 576, 614, 624,<br />
627, 634, 635, 636, 638, 640,<br />
643, 644, 645, 675<br />
Heidegger, Martin 6, 152, 516<br />
Heine, Heinrich 213, 215, 216,<br />
218, 221, 222, 223, 224, 225,<br />
229, 232, 234, 236, 237, 365,<br />
Heinesche 230<br />
Heinzen, Karl 645<br />
Heiss, Robert 1a<br />
Helvetius, Claude Adrien 18
Hengstenberg, Ernst Wilhelm 237,<br />
362, 437<br />
Henne, Hermann 322<br />
Henrich, Dieter 606<br />
Her<strong>der</strong>, Johann Gottfried 12, 324<br />
Hertz-Eichenrode, Dieter 423<br />
Herwegh, Georg 337, 394<br />
Herzen, Alexan<strong>der</strong> Iwanowitsch<br />
544<br />
Herzl, Theodor 315<br />
Heß, Moses 242, 381, 384, 393,<br />
454, 462, 495, 496, 497, 499,<br />
503, 504<br />
Hirschberger, Johannes 644<br />
Hobbes, Thomas 18, 67, 515<br />
Hoffmann, Ernst 181<br />
Hoffmann, August Heinrich (Hoffmann<br />
v. Fallersleben) 377<br />
Hoffmeister, Johannes 209<br />
Hofmann, Werner 480, 618, 655<br />
Holbach, Paul Heinrich Dietrich 58<br />
Höl<strong>der</strong>lin, Friedrich 119, 121<br />
Hommes, Jakob 650, 656<br />
Hook, Sidney 423<br />
Horkheimer, Max 70,<br />
Hugo, Gustav 212, 614<br />
Husserl 32<br />
Huxley, Aldous 422<br />
Hyppolite, Jean 129, 650, 656, 671<br />
Ibsen, Henrik 92<br />
Immermann, Karl 325<br />
Jacobi, Friedrich Heinrich 559<br />
Jacobisch 91<br />
Jaspers, Karl 157<br />
Jodl, Friedrich 510<br />
Jung, Alexan<strong>der</strong> 609<br />
I<br />
J<br />
K<br />
Käferle, Christian 297<br />
Kallen, Gerhard 157<br />
Kant, Immanuel 12, 18, 72, 95,<br />
101, 101a, 102, 107, 109, 115,<br />
165<br />
Kantisch 92, 109<br />
Kapp, Christian 593<br />
Kaufmann, Hans 213, 286<br />
370<br />
Kegel, Martin 423<br />
Kerner, Justinus 324<br />
Kierkegaard, Sören 89, 129, 305,<br />
645<br />
Koigen, David 416,<br />
Kojève, Alexandre 79<br />
Kolakowski, Leszek 653<br />
Konfuzius 66<br />
Köppen, Karl Friedrich 363<br />
Korsch, Karl 649<br />
Kosík, Karel 319<br />
Krieck, Ernst 116<br />
Kuhn, Helmut 68<br />
Kühne, Walter 239, 253, 263, 269,<br />
277, 281, 282, 284<br />
L<br />
Lachmann, Benedict 461<br />
Landgrebe, Ludwig 651<br />
Landshut, Siegfried 551, 652<br />
Lange, Max Gustav 257, 339,<br />
368a, 556, 652<br />
Larenz, Karl 116<br />
Lassalle, Ferdinand 601<br />
Laube, Heinrich 225, 237<br />
Lauth, Reinhard 277<br />
Lavater, Johann Kaspar 559<br />
Lefèbvre, Henri 618<br />
Lehmann, Gerhard 461<br />
Leibniz, Gottfried Wilhelm von 3,<br />
516<br />
Leibnizsche 547<br />
Lenin, Wladimir Iljitsch 65, 481<br />
Leo, Heinrich 331, 361, 362, 363<br />
Leonardo da Vinci 100<br />
Leroux, Pierre 225<br />
Lessing, Gotthold Ephraim 109,<br />
121<br />
Lévy, Albert 554<br />
Lichtenberger, Henri 236<br />
Litt, Theodor 12<br />
Locke, John 469, 547<br />
Löwith, Karl 101a, 109, 135, 149,<br />
189, 298, 336, 347, 379, 399,<br />
406, 470, 510, 557, 607, 621,<br />
645, 646, 669, 675<br />
Lukács, Georg 62, 201, 218, 236,<br />
242, 305, 657, 671<br />
Luther, Martin 21, 189, 336a, 517
M<br />
Macchiavelli, Niccolò 67, 203<br />
Macchiavellismus 116<br />
Mackay, John Henry 453, 454, 494<br />
Mandeville, Bernard de 18<br />
Mann, Thomas 100<br />
Mao Tse-tung 670<br />
Marcuse, Herbert 12, 116, 422,<br />
618, 677<br />
Marcuse, Ludwig 222<br />
Marheineke, Philipp Konrad 282<br />
Märklin, Christian 297, 321<br />
Marx, Karl 45, 63, 89, 119, 202,<br />
212, 224, 226, 230, 234, 236,<br />
237, 257, 261, 277, 281, 287,<br />
306, 312, 335, 337, 369, 382,<br />
384, 397, 399, 410, 419, 423,<br />
429, 444, 447, 457, 466, 478,<br />
494, 495, 497, 504, 510, 516,<br />
517, 544, 551, 556, 564, 597,<br />
599, 601, 602, 608, 611, 613,<br />
614, 616, 624, 625, 629, 630,<br />
640, 645, 646, 649, 650, 652,<br />
656, 659, 663, 671, 681<br />
Marxismus 12, 257, 339, 618,<br />
646, 649, 650, 651, 652, 653,<br />
671<br />
Marxist 681<br />
Marxistische 12, 538, 646, 677,<br />
680<br />
Marxsche 277, 645<br />
Mautz, Kurt Adolf 484<br />
Mayer, Gustav 366, 459<br />
Mehring, Franz 293, 601<br />
Meinecke, Friedrich 116<br />
Meinhold, Peter 216<br />
Mendelssohn 109<br />
Menzel, Moses 214<br />
Merleau-Ponty, Maurice 618<br />
Messer, Max 461<br />
Meyen, Eduard 363<br />
Michelangelo di Buonarotti 606<br />
Michelet, Carl Ludwig 239, 257,<br />
263<br />
Mickiewicz, Adam 283<br />
Mo Di 66<br />
Moleschott, Jakob 541<br />
Moltke, Helmuth von 311<br />
Mönke 381, 496<br />
Montesquieu, Charles de 102, 107<br />
371<br />
Moog, Willy 464<br />
Morus, Thomas 67<br />
Müller, Adam 3, 152<br />
Mussolini, Benito 681<br />
N<br />
Napoleon 19<br />
Neher, Walter 331<br />
Nerrlich, Paul 337<br />
Nettlau, Max 480<br />
Niethammer, Friedrich Immanuel<br />
205<br />
Nietzsche, Friedrich 19, 78, 100,<br />
135, 189, 298, 314, 347, 379,<br />
406, 470, 557, 607, 646<br />
Noack, Ludwig 261<br />
Nohl, Hermann 95, 97, 108, 118,<br />
120, 121, 122, 125<br />
Novalis (Friedrich von Hardenberg)<br />
135, 170<br />
O<br />
Oppenheim, Dagobert 617<br />
Overbeck, Franz 470<br />
Panunzio, Sergio 116<br />
Peirce, Charles 681<br />
Philippe, Louis 229<br />
Piechocki, Werner 336a<br />
Piontowski, A. A. 107<br />
Platon 6, 61, 78<br />
Platonisch 116<br />
Plenge, Johannes 650<br />
Plessner, Helmut 12<br />
Popitz, Heinrich 202, 648<br />
Popper, Karl Raimund 616<br />
Portmann, Adolf 12<br />
Proudhon, Pierre Joseph 480<br />
Prutz, Robert Eduard 344, 372<br />
P<br />
Q<br />
Quinet, Edgar 272
R<br />
Ranke, Leopold von 116<br />
Rapp, Ernst 292, 314<br />
Ratcliff, William 221<br />
Ratzenhofer, Gustav 72<br />
Rawidowicz, Sinion 548, 553, 559,<br />
563, 569<br />
Renan, Ernest 293<br />
Richelieu, Armand-Jean du Plessis<br />
19<br />
Riedel, Manfred 1a, 3<br />
Ritschl, Albrecht 321<br />
Ritter, Joachim 193, 675<br />
Robespierre, Maximilien de 109<br />
Rolland, Romain 293<br />
Rosenberg, Alfred 116, 360<br />
Rosenberg, David Jochelevic 384<br />
Rosenberg, Hans 340<br />
Rosenkranz, Karl 62, 89, 95, 333,<br />
589<br />
Rosenzweig, Franz 116, 212<br />
Rothacker, Erich 12<br />
Rousseau, Jean-Jaque 115<br />
Roux, Johann Adam 527<br />
Royce, Josiah 116<br />
Ruest, Anselm 461<br />
Ruge, Ludwig 119, 237, 331, 331c,<br />
335, 336a, 337, 337a, 339, 340,<br />
344, 346, 360, 361, 363, 364,<br />
365, 368a, 372, 373, 376, 377,<br />
380, 381, 381a, 382, 383, 384,<br />
386, 387, 389, 390, 394, 447,<br />
547, 551, 554, 597, 599, 600,<br />
629, 630<br />
Runze, Georg 423<br />
Russel, Bertrand 681<br />
Rutkewitsch, M. N. 677<br />
S<br />
Saint-Simon, Claude Henri de 92,<br />
247<br />
Saint-Simonismus 212<br />
Santayana, George 116<br />
Sartre, Jean-Paul 89, 618, 671<br />
Savigny, Friedrich Karl von 3, 212<br />
Schaller, Julius 359<br />
Scheidler, Karl Hermann 289<br />
Scheler, Max 12<br />
372<br />
Schelling, Friedrich Wilhelm Joseph<br />
1a, 18, 89, 166, 169, 181, 346,<br />
516, 554, 660<br />
Schellinganhänger 587<br />
Schellingianer 257<br />
Schellingsche 165, 171, 172 190<br />
Schellwein, Robert 461<br />
Schiller, Friedrich 7, 12, 47, 87,<br />
121, 163, 177, 365<br />
Schilling, Werner 565<br />
Schlegel, Friedrich 135<br />
Schleiermacher, Friedrich Ernst<br />
Daniel 135, 324, 559<br />
Schmidt, Alfred 618, 671<br />
Schmidt, Karl 462<br />
Schmitt, Carl 72, 116<br />
Schnabel, Franz 116<br />
Schubert, Gotthilf Heinrich 257<br />
Schuffenhauer, Werner 512, 556<br />
Schultheiß, Hermann 461<br />
Schulze, Gottlob Ernst 128<br />
Schweitzer, Albert 327, 423<br />
Smith, Adam 18<br />
Snell, Bruno 78<br />
Sokrates 121<br />
Sombart, Werner 650<br />
Spengler, Oswald 72<br />
Spinoza, Benedictus de 499<br />
Stahr, Adolf 338, 340, 349, 364,<br />
373<br />
Staiger, Emil 108<br />
Stein, Lorenz von 625<br />
Steuart, James Denham 62<br />
Steussloff, Hans 296, 303<br />
Stirner, Max (Johann Caspar<br />
Schmidt) 381a, 453, 454, 461,<br />
470, 479, 480, 484, 494, 497<br />
Strauß, David Friedrich 286, 290,<br />
293, 296, 299, 303, 311, 312,<br />
314, 321, 324, 327, 331, 353,<br />
358, 363, 423, 435, 517, 577<br />
Streckfuß, Karl 366<br />
Stuke, Horst 246, 261, 277, 328,<br />
335, 395, 406, 499<br />
Szeliga (Franz Zychlin von Zychlinski)<br />
454, 462<br />
Theognis 109<br />
Thier, Erich 650<br />
T
Tocqueville, Alexis de 624<br />
Topitsch, Ernst 116<br />
Treitschke, Heinrich von 19, 116,<br />
326, 327<br />
Tschernyschewski, Nikolai Gawrilowitsch<br />
544<br />
U<br />
Uexküll, Jakob von 12<br />
V<br />
Vico, Giovanni Battista 18, 66<br />
Vinci, Leonardo da 100<br />
Vischer, Friedrich Theodor 266,<br />
290, 292<br />
Voltaire, François Marie Arouet<br />
412<br />
Vries, Josef de 680<br />
373<br />
W<br />
Wahl, Jean 129, 203<br />
Wee Jüän 66<br />
Weil, Eric 192<br />
Weitling, Christian Wilhelm 237<br />
Wende, Peter 339<br />
Wetter, Gustav A. 680<br />
Wieland, Wolfgang 236<br />
Wigand, Otto 420, 441, 454, 457,<br />
462, 576, 590, 594<br />
Wilhelm IV., König von Preußen<br />
290<br />
Winterfeld, Achim von 461<br />
Woodcock, George 466<br />
Zeller, Eduard 286, 290, 324, 607<br />
Ziegler, Theodor 21, 327<br />
Zlocisti, Theodor 496<br />
Žółtowski, Adam 255, 268, 277,<br />
281, 284<br />
Z
Danksagung<br />
Mein herzlicher Dank gilt Frau Dr. Yara Lizárraga-Mehringer. Sie erstellte<br />
die Personenverzeichnisse und sorgte da<strong>für</strong>, dass die mit <strong>der</strong> mechanischen<br />
Maschine geschriebene Arbeit überhaupt ins Internet gestellt werden konnte.