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Berliner Seminare - Biomet

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<strong>Berliner</strong> <strong>Seminare</strong><br />

Prof. Dr. med. ……………<br />

Ergebnisqualität<br />

Qualitätsfaktoren 4<br />

Validität 8<br />

Register 12<br />

Effektivität 24<br />

Fortbildung 26<br />

Infektion 30<br />

Versorgungsprozess 32<br />

Ausgabe 1 | 2012


2<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

von ……………<br />

Editorial 3<br />

Qualitätsfaktoren: Dimensionen der Ergebnisqualität<br />

Prof. Dr. med. Heino Kienapfel 4<br />

Statistik: Validität wissenschaftlicher Ergebnisse<br />

PD Dr. med. Dirk Stengel, MSc(Epi) 8<br />

Entscheidungswege: Register steigern Qualität<br />

Prof. Dr. med. Steffen Breusch, FRCSEd 12<br />

Register: Erkenntnispotential von klinischen Studien<br />

und Registerdaten PD Dr. med. Gerold Labek 14<br />

Register: Unikondyläre Knieendoprothetik und Registerdaten<br />

Prof. Dr. med. David Murray 18<br />

KTEP: Vanguard-Kniesystem im Spiegel von klinischen<br />

Ergebnissen und Registerdaten Benjamin Hohaus 22<br />

Wirbelsäule: Qualität und Effektivität in der Wirbelsäulenchirurgie<br />

Prof. Dr. med. Friedrich Weber 24<br />

Fortbildung: Implantation nur nach spezifischem Training<br />

Prof. Dr. med. Bernd Fink 26<br />

Fortbildung: Train and Use Implantatspezifisches Training<br />

zur Sicherung der Ergebnisqualität Thomas Schüssler 28<br />

Infektion: Indikatoren der Ergebnisqualität in der Behandlung<br />

implantatassoziierter Knochen- und Gelenkinfektionen<br />

PD Dr. med. Dirk Stengel, MSc(Epi) 30<br />

Versorgungsprozess: Partizipative Entscheidungsfindung<br />

Prof. Dr. Edmund Neugebauer 32<br />

Versorgungsprozess: Evidenzbasierte Endoprothetik<br />

Dr. rer. pol. Philipp Schwegel 34


Editorial<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

das Streben nach dem bestmöglichen Behandlungsergebnis<br />

ist eine selbstverständliche Prämisse der Medizin. Sie gilt<br />

für Ärzte, Pflegepersonal und Krankenhausmanagement<br />

genauso wie für die Hersteller in der pharmazeutischen<br />

und medizintechnischen Industrie. Dieses Streben ist der<br />

ursprüngliche Beweggrund für alle Handlungen im Gesundheitswesen.<br />

Auf den medizinischen Kongressen stehen – völlig zu Recht<br />

– die klinischen Details im Vordergrund, die auf dem Weg zu<br />

besseren Ergebnissen eine Rolle spielen: Der Fortschritt in<br />

Richtung besserer Versorgung ist eine kollektive Aufgabe, zu<br />

der jeder Laborversuch, jeder Fallbericht, jede Studie einen<br />

Teil beiträgt. Auch die <strong>Berliner</strong> <strong>Seminare</strong> wurden konzipiert,<br />

um im Sinne der Fortbildung einen kleinen Beitrag für den<br />

klinischen Alltag zu leisten. Mit diesem Heft wollen wir aber<br />

einen Schritt zurücktreten und medizinisches Handeln im<br />

Bereich Orthopädie/Unfallchirurgie aus einem etwas größeren<br />

Abstand betrachten. Auf den folgenden Seiten sollen die<br />

Prämissen der Prämisse untersucht werden.<br />

Schon die Definition, was eigentlich ein gutes Ergebnis ausmacht,<br />

ergibt sich ja keineswegs aus sich selbst. Welche<br />

Parameter haben das größte Gewicht? Welche Fragen können<br />

mithilfe von Registerdaten, die weithin als die ultima ratio<br />

in der wissenschaftlichen Diskussion gelten, tatsächlich<br />

beantwortet werden und welche nicht? Wo können sie, nach<br />

oberflächlicher Analyse, vielleicht sogar in die Irre führen?<br />

Wo beginnt überhaupt die wissenschaftliche Validität? Wie<br />

beeinflusst der Patient das Ergebnis seiner Behandlung, und<br />

wie kann die Medizin diesen Einfluss zu einem positiv wirkenden<br />

Faktor machen?<br />

Dies sind nur einige der Fragen, mit denen sich unsere Autoren<br />

beschäftigt haben. Der rote Faden, der sich durch ihre<br />

Beiträge zieht, ist der genaue, differenzierende Blick, mit<br />

dem sie die Grundlagen in Augenschein nehmen, auf denen<br />

Ergebnisqualität definiert, analysiert und weiter verbessert<br />

werden kann. Ich habe die Aufsätze mit großem Gewinn<br />

gelesen und wünsche auch Ihnen eine anregende Lektüre.<br />

Dr. med. Hadi Saleh<br />

Geschäftsführer <strong>Biomet</strong> Deutschland<br />

3


4<br />

Qualitätsfaktoren<br />

Dimensionen der Ergebnisqualität<br />

von Prof. Dr. med. Heino Kienapfel<br />

Jeder Arzt strebt mit jeder Behandlung ein gutes Ergebnis an, und dasselbe<br />

wünscht sich natürlich auch der Patient. Das scheinbar Selbstverständliche bedarf<br />

aber gerade in der Endoprothetik des differenzierenden Blickes. Die gesamthafte<br />

Qualität des Ergebnisses wird nicht nur von zahlreichen medizinischen Faktoren<br />

beeinflusst, die in der Versorgung berücksichtigt werden müssen. Auch die Erwartungen<br />

des Patienten spielen eine wichtige Rolle und beeinflussen seine Ergebnisbeurteilung.<br />

Zunehmend rücken zudem Aspekte der Prozessoptimierung<br />

und systematischen Qualitätssicherung in den Vordergrund. Bei der Suche nach<br />

Möglichkeiten, die Ergebnisqualität weiter zu verbessern, müssen alle diese Dimensionen<br />

einbezogen werden.<br />

Aus der Sicht des Patienten<br />

ist die Lebensqualität entscheidend.<br />

Was ist ein gutes Ergebnis?<br />

Die unterschiedlichen Perspektiven von Arzt und Patient<br />

können zu durchaus abweichenden Antworten auf diese<br />

Frage führen. Im Rahmen der externen Qualitätssicherung<br />

wird in Deutschland bisher nur die Komplikationsrate bis<br />

zum Entlassungstag kontrolliert. Kommt es zu schwerwiegenden<br />

Frühkomplikationen wie einer Luxation, Infektion<br />

oder zu irreparablen neurologischen Defiziten, wird das<br />

nicht nur in den QS-Daten, sondern auch bei den Beteiligten<br />

als eindeutig schlechtes Ergebnis erkannt.<br />

Nach Eingriffen ohne Frühkomplikation – also der großen<br />

Mehrzahl – ergibt sich dagegen trotz des vordergründigen<br />

Erfolgs nicht selten ein diffuses oder gar widersprüchliches<br />

Bild.<br />

Bei der Beurteilung der Ergebnisqualität einer zunächst geglückten<br />

endoprothetischen Versorgung stehen aus ärztlicher<br />

Sicht der klinische Befund, die Bildgebung und Funktionsscores<br />

an erster Stelle. Aus der Sicht des Patienten<br />

ist aber ein anderer Wert entscheidend: die Lebensqualität.<br />

Auch diese wird inzwischen in Scores gemessen, die<br />

zunehmend Anwendung finden und an Bedeutung sicher<br />

gewinnen werden.<br />

Die Sicht des Patienten<br />

Selbstkritisch ist anzumerken, dass im klinischen Alltag die<br />

Ergebnisparameter, von den Scores zur Lebensqualität<br />

abgesehen, überwiegend aus der ärztlichen Perspektive<br />

definiert werden. In der primären Hüftendoprothetik ist die<br />

Übereinstimmung mit der Perspektive des Patienten meistens<br />

recht groß. Das gilt für die primäre Knieendoprothetik<br />

aber schon nicht mehr. Hier ist der Anteil der zufriedenen<br />

Patienten deutlich geringer, zwischen den beiden Perspektiven<br />

zeigt sich häufig eine große Diskrepanz. Nicht selten<br />

erleben wir, dass Röntgenbild, Implantantausrichtung und


Prof. Dr. med. Heino Kienapfel<br />

ist Chefarzt der Klinik für spezielle<br />

orthopädische Chirurgie und<br />

Unfallchirurgie am Vivantes<br />

Auguste-Viktoria-Klinikum in<br />

Berlin.<br />

Funktionsscores eine gelungene Behandlung ausweisen,<br />

die Erwartungen des Patienten aber trotzdem nicht erfüllt<br />

sind und er das Ergebnis als schlecht beurteilt. Wenn also<br />

die „Ergebnisqualität“ erhöht werden soll, muss zunächst<br />

die Patientensicht in der Endoprothetik einen größeren<br />

Stellenwert bekommen. Auch die Kostenträger werden<br />

dies zunehmend einfordern.<br />

Eine einfache Frage liefert hier eine verlässliche Orientierung:<br />

„Würden Sie diesen Eingriff wieder vornehmen lassen<br />

und ihn auch einer nahestehenden Person empfehlen?“<br />

Diese Frage sollte schon bei der Indikationsstellung als<br />

Leitmotiv dienen. Immer wieder sieht man Röntgenbilder<br />

mit schweren Arthrosen, doch der Patient lebt ohne wesentliche<br />

Beeinträchtigung im Alltag. Da wir nicht Röntgenbilder<br />

sondern Menschen operieren, müssen wir die Beeinträchtigung<br />

im Alltag und den tatsächlichen Leidensdruck<br />

als mindestens gleich wichtige Kriterien hinzuziehen. Es gehört<br />

nicht nur zur ärztlichen Aufgabe, die Erwartungen des<br />

Patienten möglichst genau zu verstehen, sondern auch, zu<br />

hohe Erwartungen frühzeitig zu relativieren.<br />

Standardisierung, Zertifizierung, Register<br />

Aus den Erfahrungen der Industrie wissen wir, dass standardisierte<br />

Abläufe entscheidend zur Qualitätssteigerung<br />

beitragen. Schon die selbstkritische Auseinandersetzung<br />

mit bestehenden Abläufen, die vor einer Standardisierung<br />

stattfinden muss, bringt Verbesserungsmöglichkeiten hervor.<br />

Die EndoCert-Initiative, die darüber hinaus eine Zertifizierung<br />

von Endoprothetik-Zentren anstrebt, bietet hier<br />

einen sinnvollen Weg an. Die freiwillige Verpflichtung auf<br />

Mindestmengen ist zu unterstützen, auch wenn die Literatur<br />

zu diesem Thema bisher noch nicht eindeutig ist.<br />

Mindestmengen können nur dann eine positive Wirkung<br />

entfalten, wenn sie nicht nur für die Klinik, sondern für den<br />

einzelnen Operateur gelten. Dass besonders komplexe<br />

Leidensdruck und Beeinträchtigung<br />

im Alltag sind mindestens<br />

so wichtige Kriterien für<br />

die Indikationsstellung wie die<br />

Bildgebung.<br />

5


6<br />

Qualitätsfaktoren<br />

Reaktionsgefäße für die<br />

Polymerase-Kettenreaktion<br />

Eingriffe nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden<br />

sollten, ist eine Forderung, die nicht erläutert werden muss.<br />

Die Standzeit eines Implantats ist ein eindeutiges und zentrales<br />

Qualitätskriterium, das in Deutschland bisher nicht<br />

systematisch erfasst wurde. Mit dem neuen Endoprothesenregister<br />

haben wir endlich ein Instrument, die bisher<br />

fehlende langfristige Qualitätskontrolle durchzuführen.<br />

Wünschenswert wäre, auch die Beurteilung des Patienten<br />

sowie des niedergelassenen Arztes standardisiert und bundesweit<br />

einheitlich einzubeziehen.<br />

Ein standardisiertes Vorgehen bei der Analyse von Explantaten<br />

ist ein wichtiger Baustein bei der Ermittlung von<br />

Versagensursachen. Definierte Standards 1 sind vorhanden<br />

aber leider immer noch nicht überall bekannt.<br />

Infektion, Hypersensitivität<br />

Die Infektionsraten in der Endoprothetik sind nach der<br />

Einführung antibiotikahaltiger Zemente gesunken, steigen<br />

seit einiger Zeit jedoch wieder an. Wir brauchen deshalb in<br />

Deutschland eine verbesserte Vorbeugung, etwa mit einem<br />

Screeningprogramm für die multiresistenten Erreger, wie es<br />

in den Niederlanden mit großem Erfolg durchgeführt wird.<br />

Mit der Polymerase-Kettenreaktion steht ein molekularbiologisches<br />

Verfahren zur Verfügung, das die Besiedlung mit<br />

bestimmten Mikroorganismen in relativ kurzer Zeit nachweisen<br />

kann und eine schnellere Reaktion ermöglicht.<br />

Hypersensitivität gegenüber Metallen oder Bestandteilen<br />

des Knochenzements ist ein weiteres Problem, das<br />

anscheinend immer häufiger auftritt. Auch hier ist neben<br />

erhöhter Aufmerksamkeit das Einhalten bestehender<br />

Vorgaben 2 der Grundstein der Qualitätssicherung. Neue<br />

Verfahren zur histologischen Testung können eine zielgenauere<br />

Reaktion ermöglichen, zumal mit ihnen die Abgrenzung<br />

zwischen allergischer Reaktion und Infekt zuverlässiger<br />

wird. 3<br />

Quelle: Wikipedia, Madprime


Technologie<br />

Patient Operateur<br />

Implantat<br />

Schließlich stellt sich die Frage, was die Implantate zur<br />

Verbesserung der Ergebnisqualität beitragen können. Eine<br />

Reihe von Beispielen belegt, dass Produktinnovationen<br />

nicht unbedingt helfen, chirurgische Probleme zu lösen.<br />

So können etwa randüberhöhte Pfannen zwar die Luxationsrate<br />

senken, doch geschieht dies mit dem Risiko häufigeren<br />

Impingements und dem daraus resultierenden erhöhten<br />

Abrieb oder gar Bruch des Inlays. Eine OP-Technik,<br />

die der Luxation entgegenwirkt, und eine angemessene<br />

Nachbehandlung sind dem Einsatz eines modifizierten Implantats<br />

vorzuziehen. Grundsätzlich sollte die chirurgischmedizinische<br />

vor der technischen Lösung in Betracht gezogen<br />

werden.<br />

Es gibt aber auch Bereiche, in denen Material und Technologie<br />

den entscheidenden Unterschied ausmachen.<br />

Das klassische Beispiel ist der Verschleiß in den Gleitpaarungen.<br />

Hochvernetzte Polyethylene und verbesserte<br />

Keramik-Werkstoffe haben zu einer starken Reduzierung<br />

des Abriebs beigetragen. Zu einer qualitativ hochwertigen<br />

Behandlung gehört deshalb auch, Technologien zu nutzen,<br />

die zugleich überlegen und bewährt sind. Einen weiteren<br />

technologischen Beitrag zur Qualitätssteigerung könnten in<br />

der näheren Zukunft funktionalisierte Oberflächen bieten,<br />

die einer Besiedlung mit Mikroorganismen entgegenwirken.<br />

1 Siebert H, Stockheim M, Kienapfel H, Blömer W. Meldeverfahren bei Vorkommnissen<br />

mit Implantaten. Unfallchirurg. 2011 Sep;114(9):786–93<br />

2 P. Thomas, A. Schuh, J. Ring, M. Thomsen, Orthopädisch-chirurgische Implantate<br />

und Allergien. Gemeinsame Stellungnahme des Arbeitskreises Implantatallergie (AK 20)<br />

der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie (DGOOC), der<br />

Deutschen Kontaktallergie Gruppe (DKG) und der Deutschen Gesellschaft für Allergologie<br />

und Klinische Immunologie (DGAKI), Der Orthopäde, 1, 2008<br />

3 Krenn V, Morawietz L, Jakobs M, Kienapfel H, Ascherl R, Bause L, Kuhn H, Matziolis G,<br />

Skutek M, Gehrke T. Gelenkendoprothesenpathologie. Histopathologische Diagnostik<br />

und Klassifikation. Der Pathologe; 32 (3); p. 210–9, 5/2011<br />

Kostenträger Krankenhaus<br />

Hersteller<br />

Hauptfaktoren (links) und<br />

Interessensgruppen (rechts),<br />

die Struktur- , Prozess- und<br />

Ergebnisqualität beeinflussen<br />

Grundsätzlich sollte die<br />

chirurgisch-medizinische<br />

Lösung eines Problems<br />

vor der technischen in<br />

Betracht gezogen werden.<br />

7


8<br />

Validität<br />

Validität wissenschaftlicher Ergebnisse<br />

von PD Dr. med. Dirk Stengel, MSc(Epi)<br />

Der Begriff „Validität“ steht in der Wissenschaft für Richtigkeit, Glaubwürdigkeit<br />

und Vertrauenswürdigkeit einer ursächlichen Beziehung zwischen einer Variablen<br />

und einem Ereignis. Die explosionsartig wachsende und ständig verfügbare<br />

Informationsmenge im Gesundheitswesen stellt hohe Ansprüche an die Frustrationstoleranz<br />

des klinisch tätigen Arztes und verlangt zudem Kenntnisse in Wissenschaftstheorie<br />

und Methodik, um die Forschungsspreu vom validen Weizen zu<br />

trennen. Es mag ein wenig beruhigen, dass es auch den Methodik-Experten nicht<br />

anders ergeht.<br />

Es geht in jedem Forschungsprojekt immer<br />

und ausschließlich um die Wahrscheinlichkeit<br />

einer Ursache-Wirkung-Beziehung zwischen<br />

einer Variablen – etwa einem Risikofaktor<br />

oder einer bestimmten Therapie – und<br />

dem beobachteten Ergebnis. Ein Beispiel ist<br />

die wohl von niemandem ernsthaft bezweifelte<br />

Assoziation zwischen Rauchen und<br />

Lungenkrebs. Nicht immer ist eine augenscheinlich<br />

kausale Beziehung jedoch auch<br />

echt: Es gibt rein zufällige Zusammenhänge<br />

wie die belegte Korrelation zwischen der<br />

Anzahl von Storchenpaaren und der Geburtenrate.<br />

1 Sogenannte Confounder – eine<br />

bestimmte Art von Störvariablen im Hintergrund<br />

– spielen ebenfalls eine wesentliche<br />

Rolle. Ein Beispiel dafür ist die methodisch<br />

sehr saubere, multizentrische randomisierte<br />

Studie zur Wirksamkeit von Bone Morphogenetic<br />

Protein 2 (BMP-2) bei offenen Unterschenkelfrakturen.<br />

2 In ihr konnte eine<br />

klare Dosis-Wirkung-Beziehung zwischen<br />

der applizierten BMP-2-Konzentration und<br />

der Rate sekundärer Interventionen (wie autologe<br />

Spongiosaplastik, Re-Osteosynthese<br />

oder Verfahrenswechsel) nachgewiesen<br />

werden. Es bestand jedoch ein Ungleichgewicht<br />

in der Häufigkeit gebohrter Marknagelosteosynthesen<br />

zwischen den Gruppen,<br />

welches ebenfalls mit dem Risiko für<br />

sekundäre Interventionen vergesellschaftet<br />

war. Es konnte nicht klar entschieden werden,<br />

ob BMP-2, die gebohrte Nagelung<br />

oder beide Faktoren für die beobachtete<br />

Reduktion der sekundären Interventionsrate<br />

verantwortlich waren. In einer derartigen<br />

Situation gibt es nur eine konsequente<br />

Lösung: die Untersuchung zu wiederholen<br />

und die experimentellen Bedingungen dabei<br />

noch schärfer zu kontrollieren. In der Folge-<br />

studie, in der ausschließlich gebohrte Nägel<br />

verwendet wurden, konnte im Hinblick auf<br />

das Risiko für eine sekundäre Intervention<br />

kein Vorteil von BMP-2 gegenüber der Kontrolle<br />

ohne BMP-2 nachgewiesen werden. 3<br />

Dieses Beispiel zeigt eindrücklich, dass die<br />

Reproduzierbarkeit eines Ergebnisses ein<br />

wesentliches Merkmal für die Glaubwürdigkeit<br />

einer Beobachtung darstellt.<br />

Wahrscheinlichkeit<br />

Im brillanten Essay „Warum die meisten<br />

publizierten Forschungsergebnisse falsch<br />

sind“ beschreibt John Ioannidis die gegen<br />

unendlich strebende Zahl möglicher Assoziationen<br />

zwischen Variablen und dem<br />

Einfluss verschiedener Störgrößen. Sein<br />

überzeugender Schluss: Die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ein positives Forschungsergebnis,<br />

etwa die Wirksamkeit einer Therapie,<br />

tatsächlich positiv oder wahr ist, kann 85<br />

Prozent kaum übersteigen. 4 Ein gesunder<br />

Zweifel an der Richtigkeit einer Aussage<br />

ist also allein aufgrund dieser „natürlichen“<br />

Grenze gerechtfertigt.<br />

Neben der Reproduzierbarkeit postuliert Ioannidis<br />

einen Kriterienkatalog, welcher in die<br />

Wertung und Gewichtung von Forschungsresultaten<br />

einfließen sollte. Demnach ist die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass ein Forschungsergebnis<br />

richtig ist, umso geringer,<br />

1. je kleiner die Studien oder untersuchten<br />

Stichproben in einem wissenschaftlichen<br />

Gebiet sind (dies trifft leider in besonderem<br />

Maße auf die Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

zu)<br />

2. je kleiner der beobachtete Effekt ist (auch<br />

dies gilt ebenfalls für Orthopädie und Unfall-


PD Dr. med. Dirk Stengel,<br />

MSc(Epi), leitet das Zentrum für<br />

Klinische Forschung im Unfallkrankenhaus<br />

Berlin.<br />

chirurgie, denn die verfügbaren Materialien<br />

und Techniken sind bereits so ausgereift,<br />

dass eine wesentliche oder messbare Verbesserung<br />

der Ergebnisqualität nur noch<br />

mit großen und damit auch ressourcenintensiven<br />

Anstrengungen erzielt werden<br />

kann)<br />

3. je größer die Anzahl möglicher Assoziationen<br />

in einem Gebiet ist, und je weniger<br />

sie selektiv, gezielt und fokussiert untersucht<br />

werden (beispielhaft seien populäre<br />

Microarray- und andere Hochdurchsatzmethoden<br />

zur Untersuchung genetischer<br />

Polymorphismen genannt, welche hypothesenfrei<br />

arbeiten und aus einem riesigen<br />

Variablensatz multiple mögliche Assoziationen<br />

ableiten)<br />

4. je größer die Variabilität in Definitionen,<br />

Outcomes und analytischen Methoden ist<br />

5. je größer die monetären und nicht-monetären<br />

Interessenskonflikte in einem Forschungsfeld<br />

sind<br />

6. je aktueller und brennender ein Forschungsthema<br />

ist (es ist typisch, dass die<br />

anfängliche Euphorie über eine therapeutische<br />

Intervention durch vergleichende und<br />

Langzeit-Studien gedämpft wird).<br />

Beachtet man diesen Katalog, fällt die Entscheidung<br />

bereits leichter, ob man einem<br />

berichteten Forschungsergebnis trauen<br />

oder misstrauen sollte. Grundlage bildet<br />

in jedem Fall die durch Plausibilität und Erkenntnis<br />

aus Vorbeobachtungen geprägte<br />

Vortestwahrscheinlichkeit (gerne als „gesunder<br />

Menschenverstand“ bezeichnet),<br />

dass ein Ergebnis wahr sein könnte. Leider<br />

herrscht noch zu häufig der Irrglaube vor,<br />

dass sich durch eine einzelne Studie, sei<br />

sie noch so gut geplant, durchgeführt oder<br />

berichtet, diese Vortestwahrscheinlichkeit<br />

radikal ändern würde. Dies mag allenfalls für<br />

ausgesuchte Einzelfälle mit dramatischen<br />

Effekten gelten.<br />

Signifikanz<br />

Wohl kaum ein anderer Begriff in der Biomedizin<br />

wird so wenig verstanden und dabei<br />

so häufig missbraucht wie „Signifikanz“.<br />

Signifikanz beschreibt die Wichtigkeit oder<br />

Bedeutsamkeit einer Beobachtung, nicht<br />

den Schnittpunkt zwischen zutreffend und<br />

unzutreffend. Untrennbar damit verbunden<br />

ist der ebenso häufig fehlinterpretierte p-<br />

Wert. 5<br />

Der Zufall spielt immer eine Rolle, wie etwa<br />

im Storchen-Beispiel, aber auch bei der Entdeckung<br />

des Penicillins. Er lässt sich nicht<br />

ausmerzen, sondern lediglich auf ein akzeptables<br />

Maß verringern. In medizinstatistischer<br />

Bedeutung bezieht sich Signifikanz<br />

auf einen Korridor von Beobachtungen,<br />

Therapieerfolgen und -misserfolgen, diagnostischen<br />

Ergebnissen usw., die nicht<br />

mehr mit dem Zufall zu erklären sind.<br />

Der p-Wert ist die „Wahrscheinlichkeit der<br />

beobachteten oder noch extremeren Ergebnisse<br />

im Fall der zutreffenden Nullhypothese“,<br />

notiert als P (X ≥ x | H 0 ). Da spätestens<br />

jetzt die Lust auf das Weiterlesen<br />

stark eingeschränkt sein dürfte und der Disput<br />

hierüber bereits Bände füllt, soll lediglich<br />

das Grundverständnis darüber aufgefrischt<br />

werden, was der p-Wert nicht ist.<br />

Wann immer in einem Methodenteil eines<br />

wissenschaftlichen Artikels oder einer Kon-<br />

9


10<br />

Validität<br />

gresspräsentation der uniforme Satz „Statistische<br />

Signifikanz wurde bei p < 0,05<br />

angenommen“ auftaucht, umso weniger<br />

wahrscheinlich ist es, dass sich dahinter<br />

ein zwischen Klinikern und Methodikern abgestimmter<br />

Grenzwert verbirgt. Fragen Sie<br />

laut: „Warum 0,05 (oder 5 %) – warum nicht<br />

1 % oder 10 %?“<br />

Ein p-Wert von 5 % ist keine Naturkonstante,<br />

sondern eine reine Konvention. In der ursprünglichen<br />

Interpretation des Statistikers<br />

Ronald A. Fisher sollte der Wert 0,05 lediglich<br />

den Weg für weitere Untersuchungen<br />

bahnen, nicht jedoch als Beweis herangezogen<br />

werden. 6 Dahinter steckt eine rationale<br />

Überlegung: Tritt ein Ergebnis nur in einem<br />

von zwanzig (5 %) aller Experimente per Zufall<br />

auf, kann eine Ursache-Wirkung-Beziehung<br />

durchaus vermutet werden.<br />

Der p-Wert ist ein aus einem statistischen<br />

Testverfahren abgeleiteter Wert (also nachdem<br />

die Forschungsergebnisse vorliegen),<br />

welcher einen Hinweis darauf gibt, ob die<br />

Differenz zwischen einem erwarteten und<br />

dem tatsächlich beobachteten Ergebnis so<br />

groß ist, dass sie sich nicht mehr mit dem<br />

Zufall erklären lässt. Je kleiner der p-Wert,<br />

desto weniger ist das Ergebnis ein reines<br />

Zufallsprodukt.<br />

Ohne eine vor Durchführung einer Studie<br />

gestellte, qualitativ und quantitativ beantwortbare<br />

Hypothese (z.B. „Die lokale antimikrobielle<br />

Therapie einer Plattenlagerinfektion<br />

führt zu einer um 10 % höheren Rate<br />

klinischer Heilungen 3 Monate nach dem<br />

Eingriff als die systemische Therapie“) ist<br />

ein p-Wert praktisch nutzlos.<br />

Falsifikation<br />

Die typische Beweisführung in der Biomedizin<br />

führt über den Weg der Falsifikation:<br />

1. Es wird hierbei angenommen, dass, obwohl<br />

das Ziel der Untersuchung der Nachweis<br />

eines Effektes, Zusammenhanges<br />

oder Unterschiedes ist, dieser eben nicht<br />

existiert. Die Fragestellung wird als sogenannte<br />

Nullhypothese formuliert, beispielsweise<br />

„Die lokale antimikrobielle Therapie<br />

einer Plattenlagerinfektion führt 3 Monate<br />

nach dem Eingriff zur gleichen Rate klinischer<br />

Heilungen wie die systemische<br />

Therapie.“<br />

2. Zeigen die Daten im genannten Beispiel,<br />

dass die lokale und systemische Therapie<br />

nicht zu identischen 3-Monats-Heilungsraten<br />

führen, muss man sich von der Annahme<br />

der Gleichwertigkeit und der Nullhypothese<br />

verabschieden.<br />

3. Feststellbar ist mit diesem Ansatz lediglich,<br />

dass die Nullhypothese entweder<br />

abzulehnen oder nicht abzulehnen ist. Die<br />

etablierten Teststrategien zielen nicht darauf<br />

ab, die Alternativhypothese „Die lokale<br />

ist der systemischen antimikrobiellen Therapie<br />

überlegen“ zu beweisen – sie stellt<br />

lediglich eine mögliche Denkoption dar,<br />

wenn die Gleichwertigkeit ausgeschlossen<br />

ist.<br />

Beck-Bornholdt und Dubben haben 1996<br />

mit einer Korrespondenz im Fachblatt Nature<br />

unter der Überschrift „Ist der Papst ein<br />

Außerirdischer“ eine mehrmonatige Debatte<br />

in der wissenschaftlichen Gemeinschaft<br />

über die sperrig anmutende Logik hinter<br />

dem Falsifikationsansatz ausgelöst. 7 Ihre<br />

Argumentationskette (aktualisiert auf 2012)<br />

lautet wie folgt:<br />

1. Trifft man irgendwo auf der Welt einen<br />

Menschen, handelt es sich nur mit einer<br />

sehr geringen Wahrscheinlichkeit um den<br />

Papst (1/7 x 10 9 ).<br />

2. Benedikt XVI. ist der Papst.<br />

3. Folglich ist Benedikt XVI. nur mit sehr geringer<br />

Wahrscheinlichkeit ein Mensch.<br />

Über das blinde Vertrauen, welches in<br />

statistische Signifikanz, statistische Testverfahren<br />

und p-Werte ohne Berücksichtigung<br />

bereits verfügbaren Wissens, Ratio<br />

und tatsächlich beobachteter Effektgrößen<br />

gelegt wird, mag man den Kopf schütteln.<br />

Dennoch bleiben diese Methoden, richtig<br />

angewendet und interpretiert, ein wertvolles<br />

Instrumentarium der Forschung. In<br />

jedem Falle muss am Anfang jeder Studie<br />

eine präzise Hypothese stehen, und p <<br />

0,05 bedeutet nicht, dass das beobachtete<br />

Ergebnis mit einer Wahrscheinlichkeit von<br />

95 Prozent zutrifft!<br />

Ehrlichkeit<br />

Die genannten Aspekte treffen allerdings<br />

nur dann zu, wenn ein entscheidendes<br />

Validitätskriterium gewahrt wird, das nicht<br />

vom klinischen oder methodischen Konsumenten,<br />

sondern nur vom Produzenten


Ursprüngliche BESTT-Studie: gebohrte<br />

und ungebohrte Marknagelosteosynthesen.<br />

Govender et al. J Bone Joint Surg Am 2002;84:2123–34<br />

Rate (95% Konfidenzintervall)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

Abbildung 1: Einfluss von BMP-2 auf die Rate sekundärer Interventionen<br />

nach Marknagelosteosynthese offener Unterschenkelbrüche.<br />

gewährleistet werden kann und muss:<br />

Ehrlichkeit. Der Vertrauensvorschuss der<br />

klinisch-wissenschaftlichen Gemeinschaft<br />

für dieses Grundprinzip ist enorm und darf<br />

nicht entwertet werden. Trotz zunehmend<br />

strengerer, überwachter Forschungsregularien*<br />

zeigen Beispiele aus der Vergangenheit,<br />

welche Blüten der Drang nach wissenschaftlichem<br />

Ruhm treiben kann. 8, 9 Leider<br />

sind es gerade die führenden internationalen<br />

Fachzeitschriften wie Lancet oder New<br />

England Journal of Medicine, welche gelegentlich<br />

Opfer derartiger Machenschaften<br />

werden.<br />

Literatur:<br />

Wie im Gerichtssaal gilt für jedes Forschungsergebnis,<br />

jeden wissenschaftlichen<br />

Fachartikel und jede Präsentation zunächst<br />

die Unschuldsvermutung. Wurden die Ergebnisse<br />

ehrlich erhoben und transparent<br />

dargestellt, müssen sie sich gegenüber der<br />

Wahrscheinlichkeitstheorie, zahlreichen zufälligen<br />

Fehlern und den Ergebnissen von<br />

vorausgegangenen und zukünftigen Studien<br />

behaupten. Hierfür bedarf es eines kritischen<br />

Lesers, der sich nicht von statistischen Fachtermini<br />

beeindrucken lässt sondern die Resultate<br />

im Kontext und mit dem gebotenen<br />

Sachverstand beurteilt und behutsam in die<br />

eigene Praxis einfließen lässt.<br />

1 Hofer T, Przyrembel H, Verleger S. New evidence for the theory of the stork. Paediatr Perinat Epidemiol 2004;18(1):88–92.<br />

2 Govender S, Csimma C, Genant HK et al. Recombinant human bone morphogenetic protein-2 for treatment of open tibial fractures:<br />

a prospective, controlled, randomized study of four hundred and fifty patients. J Bone Joint Surg Am 2002;84-A(12):2123–<br />

2134.<br />

3 Aro HT, Govender S, Patel AD et al. Recombinant human bone morphogenetic protein-2: a randomized trial in open tibial fractures<br />

treated with reamed nail fixation. J Bone Joint Surg Am 2011;93(9):801–808.<br />

4 Ioannidis JP. Why most published research findings are false. PLoS Med 2005;2(8):e124.<br />

5 Goodman S. A dirty dozen: twelve p-value misconceptions. Semin Hematol 2008;45(3):135–140.<br />

6 Fisher RA. Statistical Methods for Research Workers. Edinburgh: Oliver and Boyd; 1925.<br />

7 Beck-Bornholdt HP, Dubben HH. Is the pope an alien? Nature 1996;381(6585):730.<br />

8 Horton R. Retraction – Non-steroidal anti-inflammatory drugs and the risk of oral cancer: a nested case-control study. Lancet<br />

2006;367(9508):382.<br />

Standard BMP 0,75 mg/ml BMP 1,50 mg/ml Standard BMP 1,50 mg/ml<br />

9 Horton R. Expression of concern: non-steroidal anti-inflammatory drugs and the risk of oral cancer. Lancet 2006;367(9506):196.<br />

* vgl. http://www.equator-network.org<br />

Intervention Intervention<br />

Sekundäre Intervention Anteil gebohrter Nägel<br />

Wiederholungsstudie: ausschließlich<br />

gebohrte Marknagelosteosynthesen.<br />

Aro HT et al. J Bone Joint Surg Am 2011;93:801–8<br />

Rate (95% Konfidenzintervall)<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

11


12<br />

Entscheidungswege<br />

Register steigern Qualität<br />

Ein Gespräch mit Prof. Dr. med. Steffen Breusch, FRCSEd<br />

Endoprothesenregister entfalten auf mehreren Ebenen eine messbare Wirkung<br />

und tragen zur besseren Qualität der Versorgung bei. Der größte Nutzen entsteht<br />

in den Register-Ländern selbst, vor allem wenn die Rückkopplung bis zum einzelnen<br />

Operateur reicht.<br />

Kann das Register als Frühwarnsystem<br />

funktionieren? Das klassische Beispiel<br />

dafür ist der Boneloc-Zement, der 1991<br />

eingeführt wurde und bald hohe Versagensraten<br />

aufwies. Ein Bericht 1, 2 aus dem<br />

norwegischen Register führte dazu, dass er<br />

recht zügig wieder vom Markt genommen<br />

wurde. Heute erfahren wir dank Internet<br />

noch schneller von auffälligen Häufungen,<br />

wenn sie in einem Land mit Endoprothesenregister<br />

beobachtet werden. Prägnante Beispiele<br />

dafür sind die Metall/Metall-Gleitpaarung<br />

und der Oberflächenersatz der Hüfte.<br />

Die hohen Komplikationsraten für diese<br />

Implantate in den Registern Australiens und<br />

Englands haben inzwischen zu einem drastischen<br />

Rückgang in ihrer Verwendung und<br />

zu einer differenzierteren Indikationsstellung<br />

geführt. Der Oberflächenersatz wird fast nur<br />

noch bei jüngeren Männern eingesetzt, weil<br />

die Ergebnisse nur in dieser Gruppe eine vertretbare<br />

Qualität erreichen. Darüber hinaus<br />

sind zum Teil sehr große Unterschiede zwischen<br />

verschiedenen Modellen des Oberflächenersatzes<br />

offenbar geworden. Ein<br />

Hüfttotalendoprothesenmodell mit Metall/<br />

Metall-Großkopfartikulation (ASR), das in<br />

den Registerdaten durch besonders hohe<br />

Versagensquoten auffiel, wurde sogar per<br />

Produktrückruf vom Markt genommen. 3<br />

Wie kann ein Register eine optimale<br />

Rückkopplung entfalten? Neben dem<br />

Implantat muss zwingend auch die Leistung<br />

des Operateurs darin abgebildet sein. Im<br />

Scottish Arthroplasty Project (SAP) werden<br />

die Ergebnisse – in anonymisierter Form –<br />

für jeden einzelnen Operateur erfasst. Wer<br />

bei seiner Casemix-bereinigten Komplikationsrate<br />

deutlich negativ vom Durchschnitt<br />

abweicht, wird als „Outlier“ identifiziert und<br />

nach den möglichen Ursachen befragt. Das<br />

Siegel Outlier bedeutet aber nicht unbedingt<br />

schlechter! Der Operateur erhält eine Hilfestellung,<br />

die Ursachen für die erhöhte Komplikationsrate<br />

zu identifizieren und wenn<br />

möglich zu beseitigen. Typisches Beispiel ist<br />

der Anstieg der Luxationsrate nach einem<br />

Wechsel zum posterioren Zugang oder von<br />

der zementierten zur unzementierten Pfanne.<br />

Der Operateur kann reagieren, indem er etwa<br />

zum bewährten Verfahren zurückkehrt. Die<br />

individuelle Rückmeldung ist unerlässlich,<br />

wenn die Versorgungsqualität auf der ganzen<br />

Linie verbessert werden soll. Die Zahlen zeigen,<br />

dass die Ergebnisse in Schottland seit<br />

der Einführung des Registers und dieses<br />

Rückkopplungverfahrens signifikant besser<br />

geworden sind. 4 Nach schottischem Vorbild<br />

werden jetzt auch Schweden und Australien<br />

mit individuellem Feedback nachziehen.<br />

Was passiert, wenn ein Operateur dauerhaft<br />

ein Outlier bleibt? In den letzten<br />

zehn Jahren haben etwa acht schottische<br />

Operateure freiwillig aufgehört, Hüft- und<br />

Knieendoprothesen zu implantieren. Es findet<br />

also eine Selbstreinigung statt, welche<br />

die Versorgungsqualität verbessert. Interessanterweise<br />

gibt es in England und Wales<br />

(National Joint Registry) keinen Outlier unter<br />

den Anwendern zementierter Hüftendoprothesen.<br />

Welche anderen Schlüsse erlauben die<br />

Register zu diesem Thema? Beim Endpunkt<br />

Revision wegen aseptischer Lockerung<br />

haben die unzementierten Pfannen<br />

etwas bessere Ergebnisse. Wenn man aber<br />

die Revisionen wegen Luxation und Abriebkomplikationen,<br />

insbesondere Osteolysen,<br />

hinzunimmt, spricht die Gesamtüberlebensrate<br />

für die zementierte Pfanne, unabhängig<br />

vom Patientenalter – entgegen der verbreiteten<br />

und von der Industrie suggerierten<br />

„Datenlage“. Offensichtlich lässt diese sich<br />

reproduzierbarer positionieren als die unzementierte.<br />

Deshalb ist der Anteil der invershybriden<br />

Versorgung zum Beispiel in Norwegen<br />

und Schweden in den letzten Jahren<br />

kontinuierlich gestiegen. 5 Der Trend geht<br />

weg von der zementfreien Pfanne.


Warum geht in vielen Ländern der<br />

Trend trotzdem zu zementfrei? Ich<br />

sehe vor allem zwei Faktoren. Zum einen<br />

gibt es eine – vom Marketing gesteuerte –<br />

Überbewertung vermeintlich „innovativer“<br />

Implantate. Zum zweiten spart die zementfreie<br />

HTEP Operationszeit und erlaubt<br />

damit eine höhere Schlagzahl, respektive<br />

Fallpauschalenzahl, die für viele Kliniken<br />

finanziell unverzichtbar ist. Im deutschen<br />

System werden derzeit evidenzbasierte<br />

Endoprothetik und langfristige Versorgungsqualität<br />

nicht belohnt.<br />

Was lässt sich zum Thema unikondyläre<br />

Knieendoprothetik ableiten? Die<br />

Versagensrate hängt stark von der Erfahrung<br />

des Operateurs ab. Bei mehr als 20–25<br />

Eingriffen pro Jahr gibt es gute Ergebnisse.<br />

Liegt die Zahl darunter, sind die Ergebnisse<br />

unterdurchschnittlich und schlechter als bei<br />

der Totalendoprothese.<br />

1 Havelin LI, Espehaug B, Vollset SE, Engesaeter LB. The effect of the type of cement on early revision of Charnley total hip prostheses.<br />

A review of eight thousand five hundred and seventy-nine primary arthroplasties from the Norwegian Arthroplasty Register.<br />

J Bone Joint Surgery (1995), 77:10, 1543–1550<br />

2 Liebensteiner M, Janda W Williams A , Pawelka W , Labek G. Erfassung von minderwertigen Produkten in der Endoprothetik und<br />

Umsetzung der Erkenntnisse: eine retrospektive Analyse am Beispiel des Boneloc-Knochenzements. Z Orthop Unfall 2009; 147(6):<br />

683–688<br />

3 http://www.mhra.gov.uk/home/groups/dts-bs/documents/medicaldevicealert/con143787.pdf<br />

4 Macpherson GJ, Brenkel IJ, Smith R, Howie CR. Outlier Analysis in Orthopaedics: Use of CUSUM. The Scottish Arthroplasty<br />

Project: Shouldering the Burden of Improvement. J Bone Joint Surg Am. 2011;93 Suppl 3(E):81–8 d http://dx.doi.org/10.2106/<br />

JBJS.K.01010<br />

5 http://nrlweb.ihelse.net/eng/Report_2010.pdf<br />

Die Shewhart-Kurve zeigt die<br />

Luxationsraten schottischer<br />

Operateure im ersten postoperativen<br />

Jahr. 4<br />

x Einzelner Operateur (Consultant)<br />

Outlier im vergangenen, aber nicht<br />

mehr in diesem Jahr<br />

Vier Jahre durchgehend Outlier<br />

CUSUM-Kurve 2 bei HTEP eines<br />

Operateurs in Schottland: Der<br />

Wechsel vom transglutealen<br />

zum posterioren Zugang (2005)<br />

und von der zementierten zur<br />

unzementierten Endoprothese<br />

(2009) lassen die Komplikationsrate<br />

bis zum Outlier-Status<br />

ansteigen. 4 CUSUM = cumulative<br />

sum of outcomes<br />

Eingriff ohne Komplikation innerhalb 365 Tagen<br />

Eingriff mit Komplikation innerhalb 365 Tagen<br />

Grenzwert für überdurchschnittliche<br />

Komplikationsrate<br />

Die Komplikationsraten bei<br />

HTEP in Schottland sind seit der<br />

Einführung des Registers – mit<br />

Ausnahme der Infektionen –<br />

signifikant gesunken. 4<br />

Luxation innerhalb eines Jahres<br />

Tiefe Venenthrombose/<br />

Pulmonale Embolie innerhalb 90 Tagen<br />

Infektion innerhalb eines Jahres<br />

Tod innerhalb 90 Tagen<br />

13


14<br />

Register<br />

Erkenntnispotential von klinischen Studien<br />

und Registerdaten<br />

von PD Dr. med. Gerold Labek<br />

Die medizinische Wissenschaft strebt nach objektiven und reproduzierbaren Daten,<br />

aus denen sich klare Empfehlungen für die Behandlung des einzelnen Patienten<br />

ableiten lassen. In der Endoprothetik scheinen die Voraussetzungen dafür<br />

besonders günstig, denn wir verfügen über eine sehr breite Basis aus zahllosen<br />

klinischen Studien und vielen nationalen Implantatregistern. Allerdings unterliegt<br />

das Erkenntnispotential von Studien und Registern spezifischen Einflüssen und<br />

Beschränkungen, die berücksichtigt werden müssen, um belastbare Schlussfolgerungen<br />

ziehen zu können. Bei den Studien sind zum Teil sehr große Qualitätsunterschiede<br />

und Verzerrungen zu beachten. Nationale Register bieten zwar verlässliche<br />

Daten, bilden aber nur bestimmte Aspekte ab, deren valide Interpretation<br />

eine präzise Differenzierung erfordert.<br />

Methodische Probleme<br />

klinischer Studien<br />

Das Prinzip der klinischen Studie ist die<br />

Betrachtung einer Stichprobe, aus der<br />

Schlüsse für die Grundgesamtheit gezogen<br />

werden. Dieser Ansatz hat einige systemimmanente<br />

Schwächen, etwa wenn die Studienkohorte<br />

nicht der durchschnittlichen Patientenpopulation<br />

entspricht (selection bias)<br />

oder ausgewählte Studien – mit bestimmten<br />

Ergebnissen – in den Publikationen überrepräsentiert<br />

sind. Die Kliniken, in denen die<br />

meisten Studien durchgeführt werden, sind<br />

zudem für die durchschnittliche Patientenversorgung<br />

nicht immer repräsentativ.<br />

Im Vergleich zu Untersuchungen mit Pharmazeutika<br />

ist in der Endoprothetik grundsätzlich<br />

ein sehr langer Studienverlauf<br />

vonnöten. Die Patienten müssen über viele<br />

Jahre nachuntersucht werden. Bei zentralen<br />

Fragen bräuchte man für statistisch signifikante<br />

Aussagen sehr große Fallzahlen.<br />

So würde man für eine prospektiv randomisierte<br />

Studie mindestens 13.000 Fälle<br />

benötigen, um nach zehn Jahren einen<br />

Unterschied von einem Prozentpunkt zwischen<br />

zwei Implantaten zu ermitteln. Das ist<br />

schon allein aus organisatorischen Grü nden<br />

nicht zu schaffen.<br />

Auffällige Häufungen<br />

in der Literatur<br />

Um die Qualität klinischer Studien in der<br />

Endoprothetik zu überprüfen, haben die<br />

EFORT und das European Arthroplasty<br />

Register (EAR) eine umfassende Untersuchung<br />

durchgeführt: Im QoLA-Projekt (Quality<br />

of Literature in Arthroplasty) 1 wurden alle<br />

verfügbaren Studien zu Implantaten, die in<br />

Endoprothesenregistern erfasst sind, einer<br />

Metaanalyse unterzogen. Beim Vergleich<br />

der klinischen Ergebnisse der Studien mit<br />

den Registerdaten wurden große Auffälligkeiten<br />

erkennbar:<br />

• Zu 21 von insgesamt 95 untersuchten<br />

Produkten (= 22 Prozent) konnte keine einzige<br />

Studie mit Daten zur Revisionsrate gefunden<br />

werden.<br />

• Die in klinischen Studien publizierten Revisionsraten<br />

zu etwa der Hälfte der anderen<br />

Produkte sind in Registern signifikant und<br />

relevant nicht reproduzierbar. Zumeist sind<br />

die publizierten Ergebnisse unplausibel positiv.<br />

• Etwa 30 Prozent aller Fälle in klinischen<br />

Studien stammen von den Implantatentwicklern,<br />

die damit in der wissenschaftlichen<br />

Literatur deutlich überrepräsentiert<br />

sind. Auch hier sind etwa 50 Prozent der<br />

Datensätze aus klinischen Studien in den<br />

Registern nicht reproduzierbar.<br />

• Man kann davon ausgehen, dass Implantatentwickler<br />

in jahrelanger Beschäftigung<br />

mit der Materie über eine besondere Kompetenz<br />

verfügen, das Produkt und die In-


PD Dr. med. Gerold Labek ist<br />

Oberarzt an der Universitätsklinik<br />

Innsbruck für Orthopädie,<br />

EFORT European Arthroplasty<br />

Register Coordinator und Vice<br />

President EFORT-EAR.<br />

strumente für sie „maßgeschneidert“ sind,<br />

ein besonderes Interesse an der Nachuntersuchung<br />

vorliegt und durch die Kooperation<br />

mit einem Hersteller zusätzliche Ressourcen<br />

für Studien und Publikationen zur<br />

Verfügung stehen.<br />

• Zu einem Drittel derjenigen Produkte, die<br />

in Registern signifikant unterdurchschnittliche<br />

Ergebnisse aufweisen, wurde keine<br />

einzige Studie publiziert.<br />

• Bei der Mehrzahl der Produkte, welche<br />

in Registern schlecht abschnitten, waren<br />

die publizierten Ergebnisse gut oder durchschnittlich.<br />

• Bei keinem einzigen Produkt kann aus<br />

klinischen Studien auf Probleme oder eine<br />

mögliche Ursache für die in Registern beobachteten<br />

hohen Revisionsraten geschlossen<br />

werden.<br />

QoLA zeigt transatlantisches<br />

Gefälle<br />

Ein unerwartetes Ergebnis des QoLA-Projekts<br />

war die Entdeckung signifikanter Unterschiede<br />

zwischen den Publikationen aus<br />

den USA und Kontinentaleuropa. Während<br />

in Europa die publizierten Ergebnisse im<br />

Durchschnitt sehr gute Qualität haben, ist<br />

die Mehrzahl an Datensätzen aus den USA<br />

nicht reproduzierbar. In den USA zeigt sich<br />

zudem eine interessante Korrelation. Hinter<br />

fast allen Implantaten mit auffällig positiven<br />

Ergebnissen steht ein wissenschaftlich sehr<br />

aktiver Entwickler, der die Publikationen zu<br />

diesem Produkt beherrscht.<br />

So sind etwa die durchschnittlich publizierten<br />

Revisionsraten von Knieendoprothesen<br />

in US-Journalen deutlich niedriger als<br />

in Europa. Aber auch die US-Journale sind<br />

keineswegs homogen. Während weltweit<br />

etwa 30 Prozent aller Fälle von Entwicklern<br />

publiziert werden, stammen in US-Journalen<br />

60 Prozent aus dieser Gruppe. Die Publikationen<br />

akkumulieren zu 97 Prozent (!) in zwei<br />

Journalen, dem Journal of Arthroplasty und<br />

dem Clinical Orthopaedics and Related Research.<br />

Die in diesen Journalen publizierten<br />

durchschnittlichen Revisionsraten würden<br />

eine Überlebensrate nach 10 Jahren zwischen<br />

98 und 99 Prozent ergeben. Die<br />

Revisionsrate läge damit bei nur etwa 10<br />

Prozent des Wertes, der in Registern ausgewiesen<br />

ist.<br />

Register – verlässliche<br />

Datenbasis<br />

Registerdaten werden nicht durch solche<br />

Faktoren beeinflusst und bieten inzwischen<br />

eine sehr breite Datenbasis von weltweit<br />

über 3.500.000 Fällen. Die ältesten Register<br />

bieten Daten aus einem Zeitraum von mehr<br />

als 20 Jahren. Sie liefern globale Aussagen<br />

mit einer hohen Treffsicherheit, weisen<br />

frühzeitig auf eine mögliche Häufung von<br />

Problemfällen hin und können damit erheblich<br />

zur Schadensbegrenzung beitragen.<br />

Allerdings besitzen sie in der Regel nur eine<br />

geringe Tiefenschärfe für die Untersuchung<br />

der Ursachen. Auch hier ist diese wichtigste<br />

Einschränkung systemimmanent: Eine Voll-<br />

15


16<br />

Register<br />

Zeitschriften mit den höchsten akkumulierten veröffentlichten Fallzahlen<br />

Journal of Arthroplasty (US) 33.728 Primärimplantationen<br />

Clinical Orthopaedics and<br />

Related Research (US)<br />

erhebung der Daten ist nur zu erreichen,<br />

wenn ihre Eingabe zeitökonomisch verläuft.<br />

Deshalb sind Register und klinische Studien<br />

nicht als konkurrierende, sondern als einander<br />

ergänzende Erkenntnisgrundlagen zu<br />

sehen. Klinische Studien sind nicht zuletzt<br />

notwendig, um die Fragen zu beantworten,<br />

die durch Registerdaten aufgeworfen werden,<br />

etwa indem sie die aufgedeckten Problemfälle<br />

im Detail untersuchen.<br />

Eine weitere wichtige Einschränkung des<br />

Registers darf ebenfalls nicht übersehen<br />

werden: Es bildet die Wirklichkeit nur in<br />

jenem Bereich ab, in dem die Daten gesammelt<br />

werden. Endoprothesenregister<br />

erfassen die Ergebnisse bestimmter Behandlungsmethoden<br />

vor einem bestimmten<br />

Hintergrund sehr genau. Wenn dieser<br />

Hintergrund mit dem Umfeld des behandelnden<br />

Arztes gut übereinstimmt, sind<br />

die Registerdaten valide Bezugsgrößen.<br />

Schwedische Daten bieten etwa in Hamburg<br />

– wo die Patienten nach vergleichbaren<br />

Standards in einem ähnlichen Sozialsystem<br />

behandelt werden – einen guten<br />

Orientierungsrahmen. Das gilt aber mit<br />

wachsender geographischer und kultureller<br />

Entfernung immer weniger. Je mehr der<br />

Hintergrund abweicht, desto größer ist die<br />

Gefahr verzerrter Interpretation.<br />

18.356 Primärimplantationen<br />

Acta Orthopaedica (EU) 15.919 Primärimplantationen<br />

JBJS-Br (EU) 6.625 Primärimplantationen<br />

JBJS-Am (US) 5.967 Primärimplantationen<br />

Im Rahmen des QoLA-Projekts wurde auch die Häufung von Veröffentlichungen in bestimmten Zeitschriften<br />

untersucht. Für diese Teilstudie wurden mehr als 200 Publikationen mit insgesamt über<br />

100.000 veröffentlichten Fällen primärer Endoprothetik ausgewertet. Sie betrafen 12 Implantate und<br />

wurden in 26 Zeitschriften veröffentlicht. 1<br />

Die Fallen der<br />

Fehlinterpretation<br />

Die Auswertungsverfahren für die inzwischen<br />

zahlreichen nationalen Register sind<br />

nicht standardisiert, jedes Register nutzt<br />

hier eigene, zum Teil deutlich abweichende<br />

Methoden. Zudem zielen die Registerberichte<br />

primär auf die Chirurgen des eigenen<br />

Landes, die mit dem jeweiligen Hintergrund<br />

vertraut sind. Sie enthalten naturgemäß unausgesprochene<br />

Prämissen, die bei diesem<br />

Zielpublikum zwar als bekannt vorausgesetzt<br />

werden können, einem ausländischen Leser<br />

aber häufig nicht vertraut sind. Dies kann<br />

ebenfalls zu Fehlinterpretationen führen.<br />

Das klassische Beispiel hierfür ist die mit<br />

Referenz auf das Schwedenregister getroffene<br />

Aussage, zementierte Hüftendoprothesen<br />

seien den zementfreien überlegen.<br />

Die schwedischen Operateure sind ausgewiesene<br />

Experten im Zementieren. Weniger<br />

erfolgreiche zementierte Implantate sind<br />

außerdem längst vom schwedischen Markt<br />

verschwunden. Bei den zementfreien Implantaten<br />

ist dieser Selektionsprozess dagegen<br />

noch nicht abgeschlossen. Zudem<br />

beeinträchtigt die anhaltende Lernkurve der<br />

Operateure im Umgang mit den zementfreien<br />

Implantaten deren Ergebnisse. Im<br />

bereinigten Vergleich erfolgreicher Implantate<br />

ist kein nennenswerter Unterschied<br />

zwischen beiden Gruppen zu erkennen.<br />

Die scheinbar eindeutige Überlegenheit der<br />

zementierten Hüftimplantate ist bei genauer<br />

Analyse der Daten nicht mehr vorhanden.


Implantatentwickler<br />

nicht zu identifizieren<br />

Implantatentwickler<br />

nicht zu identifizieren<br />

Nicht zuletzt ist der Casemix-Faktor zu<br />

beachten, der in den Registerdaten meist<br />

nur sehr eingeschränkt abgebildet werden<br />

kann. Auch hier gibt es ein typisches<br />

Beispiel. Ein in Europa sehr erfolgreicher<br />

Hüftschaft wies in Australien auffällig<br />

schlechte Ergebnisse auf. 2 Die Registerdaten<br />

allein bieten dafür keine Erklärung.<br />

Erst die nähere Untersuchung fördert die<br />

offensichtliche Ursache der Abweichung<br />

zutage: In der Auswertungskohorte wurde<br />

überproportional häufig schon in der Primärversorgung<br />

die für die Revision vorgesehene<br />

Version des Schaftes eingesetzt.<br />

Es muss also unabhängig vom Implantat<br />

eine überdurchschnittliche Häufung von<br />

Problemfällen gegeben haben, die dann<br />

fälschlicherweise mit dem Implantat assoziiert<br />

wurden.<br />

Solche Fehlschlüsse sind nach wie vor ein<br />

ungelöstes Problem. Eine Bewertung der<br />

Registerergebnisse nach Evidenzgrad wie<br />

bei klinischen Studien gibt es bisher nicht.<br />

Das macht ihre Beurteilung schwierig,<br />

wenn man sich nicht sehr weit in die Materie<br />

vertieft. Die Bemühungen um solche<br />

Bewertungssysteme und eine größere internationale<br />

Standardisierung sind deshalb<br />

in letzter Zeit verstärkt worden.<br />

1 Quality of Publications regarding the Outcome of Revision Rate after Arthroplasty, Final Report of the QoLA Project, presented<br />

at the EFFORT Congress 2011 in Copenhagen, http://www.ear.efort.org/downloads/EAR-EFORT%20QoLA%20Project.pdf<br />

2 Labek G, Stoica CI, Böhler N. Comparison of the information in arthroplasty registers from different countries.<br />

J Bone Joint Surg Br. 2008 Mar;90(3):288–91<br />

17 Veröffentlichungen 2.185 Fälle<br />

Implantatentwickler 7 Veröffentlichungen<br />

11 Veröffentlichungen 1.581 Fälle<br />

Implantatentwickler 31 Veröffentlichungen<br />

2.342 Fälle<br />

(7,5%)<br />

Unabhängig 58 Veröffentlichungen 26.739 Fälle<br />

36.806 Fälle<br />

(54,6%)<br />

Unabhängig 70 Veröffentlichungen 29.010 Fälle<br />

0,41 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

0,47 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

0,47 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

In europäischen Zeitschriften wurden durchschnittlich 7,5 Prozent der Fälle von Implantatentwicklern<br />

veröffentlicht. Die durchschnittlichen Ergebnisse unterschieden sich nicht von denen anderer Autoren. 1<br />

0,28 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

0,19 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

0,56 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre<br />

In US-amerikanischen Zeitschriften wurden 55 Prozent der Fälle (primäre Endoprothetik) von Implantatentwicklern<br />

veröffentlicht. Die Überlebensrate von 98 Prozent oder 0,19 Revisionen je 100 beobachtete<br />

Komponentenjahre nach 10 Jahren lag um den Faktor 2,6 niedriger als in Veröffentlichungen von anderen<br />

Anwendern und um den Faktor 10 niedriger als in den Registern. 1<br />

Das deutsche Endoprothesenregister<br />

wird meines Erachtens für die weltweite<br />

Entwicklung der Register und ihre Aussagekraft<br />

äußerst wichtig werden: Es wird<br />

seitens der Fachgesellschaft von einem<br />

sehr kompetenten und schlagkräftigen<br />

Team koordiniert; es wird in relativ kurzer<br />

Zeit sehr große Datenmengen sammeln.<br />

Deutschland verfügt über einen bedeutenden<br />

Markt, auf dem fast alle Produkte,<br />

die weltweit häufig verwendet werden, zu<br />

finden sind. Damit werden direkte Vergleiche<br />

möglich, die etwa in den skandinavischen<br />

Ländern nicht gemacht werden<br />

können. Da die USA und die asiatischen<br />

Länder auf absehbare Zeit wahrscheinlich<br />

keine Register haben werden, könnte das<br />

deutsche Register in einer Phase entscheidender<br />

Weichenstellungen zu einem der<br />

wichtigsten Bezugspunkte werden.<br />

17


18<br />

Register<br />

Unikondyläre Knieendoprothetik<br />

und Registerdaten<br />

von Prof. Dr. med. David Murray<br />

Unikondyläre Knieendoprothesen (UKEP) haben gegenüber Totalendoprothesen<br />

(KTEP) viele Vorteile: Sie bieten eine nahezu natürliche Kinematik, da sie den Erhalt<br />

der Kreuzbänder ermöglichen, während die Kinematik nach einer KTEP nicht mehr<br />

der natürlichen entspricht. Daraus resultierend lassen die UKEP einen größeren<br />

Bewegungsumfang und eine bessere Funktion zu, insbesondere bei anspruchsvollen<br />

Bewegungen wie dem Treppenabstieg. Die Schmerzminderung ist mindestens<br />

so groß, das Gefühl ist besser. Es kommt seltener zu Komplikationen, die im<br />

Falle ihres Auftretens zudem weniger schwer ausfallen. Der minimalinvasive Eingriff<br />

ermöglicht eine deutlich schnellere Genesung, was das Verfahren insgesamt<br />

kostengünstiger macht.<br />

Bei einem Oxford Knee Score<br />

unter 20 wird nach KTEP nur in<br />

10 Prozent der Fälle eine Revision<br />

durchgeführt, nach UKEP<br />

in 60 Prozent der Fälle.<br />

Funktionsscore<br />

Als Hauptnachteil der UKEP wird eine höhere Revisionsrate<br />

als bei der KTEP angegeben. Diese ist in allen nationalen<br />

Endoprothesenregistern ersichtlich. Diese höhere<br />

Revisionsrate wird in der Regel so interpretiert, dass mit<br />

UKEP mehr schlechte Ergebnisse erzielt werden als mit<br />

KTEP. Auf dieser Grundlage denken viele Operateure,<br />

dass von der Implantation unikondylärer Knieendoprothesen<br />

besser abzusehen sei, und einige Experten sprechen<br />

sogar entsprechende Empfehlungen aus. Eine Analyse<br />

der Daten des neuseeländischen Endoprothesenregisters<br />

zeigt aber, dass dies nicht die korrekte Erklärung der höheren<br />

Revisionsrate darstellt 1 und eine solche Empfehlung<br />

somit unbegründet ist. Das neuseeländische Register gibt<br />

neben den Revisionen auch den Oxford Knee Score (OKS)<br />

an. Sechs Monate postoperativ ist der OKS bei UKEP<br />

höher als nach KTEP. Darüber hinaus weisen bei UKEP<br />

30 Prozent mehr Patienten hervorragende Ergebnisse<br />

auf, bei 40 Prozent weniger Patienten wurden schlechte<br />

Ergebnisse erzielt. Somit kann die höhere Revisionsrate<br />

nicht darauf zurückzuführen sein, dass mit UKEP schlechtere<br />

Ergebnisse erzielt werden. Tatsächlich ist das Gegenteil<br />

der Fall.<br />

Revisionsraten<br />

Das neuseeländische Endoprothesenregister hat zudem<br />

gezeigt, dass die OKS-Werte nach sechs Monaten<br />

auf die spätere Revisionsrate schließen lassen. Sind die<br />

OKS-Werte nach sechs Monaten sehr schlecht (unter 20,<br />

was in etwa dem durchschnittlichen präoperativen Wert<br />

entspricht), ist die anschließende Revisionsrate etwa 30mal<br />

höher als bei sehr guten OKS-Werten. Jedoch ist zu<br />

beobachten, dass, wenn der OKS nach einer KTEP sehr<br />

schlecht ist, nur in 10 Prozent der Fälle eine Revision


Prof. Dr. med. David Murray MA,<br />

MD, FRCS (Orth) ist Facharzt für<br />

Orthopädie am Nuffield Orthopaedic<br />

Centre NHS Trust in Oxford.<br />

durchgeführt wird, während bei 60 Prozent der UKEP mit<br />

vergleichbar schlechten Ergebnissen eine Revision erfolgt.<br />

Daran ist zu erkennen, dass die Entscheidungsschwelle für<br />

eine Revision bei KTEP viel höher ist als bei UKEP.<br />

Dafür gibt es zahlreiche mögliche Gründe: Die Revision einer<br />

UKEP bedeutet im Normalfall einen einfachen Wechsel zu<br />

einer primären KTEP, der deutlich leichter durchzuführen ist<br />

als die Revision einer KTEP, die in der Regel komplex ist und<br />

die Verwendung von Revisionskomponenten erfordert. Darüber<br />

hinaus sind die Ergebnisse beim Wechsel von UKEP<br />

zu KTEP üblicherweise besser als die Ergebnisse von KTEP-<br />

Revisionen. Die niedrigere Entscheidungsschwelle bei der<br />

Revision und damit auch die höhere Revisionsrate unikondylärer<br />

Knieendoprothesen erklären sich durch diese relative<br />

Einfachheit der Revision. Wir sehen sie als klaren Vorteil an,<br />

da auch bei sehr schlechten Ergebnissen etwas getan werden<br />

kann, während bei sehr schlechten KTEP-Ergebnissen<br />

im Allgemeinen nichts getan wird.<br />

Revisionsrate<br />

80%<br />

70%<br />

60%<br />

50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

≤ 20<br />

21 to 25 26 to 30 31 to 35 36 to 40 41 to 45 > 45<br />

OKS nach sechs Monaten<br />

UKEP<br />

KTEP<br />

Revisionsraten von UKEP und<br />

KTEP nach zwei Jahren im Verhältnis<br />

zum Oxford Knee Score<br />

(gemessen sechs Monate nach<br />

dem Eingriff)<br />

19


20<br />

Register<br />

Die Inzidenz schwerer Komplikationen<br />

wie tiefe Infektionen<br />

und Thromboembolien ist bei<br />

UKEP deutlich geringer als bei<br />

KTEP.<br />

Die Mortalitätsrate nach<br />

Implantation einer UKEP ist<br />

kurzfristig um zwei Drittel,<br />

langfristig um ein Drittel niedriger<br />

als nach KTEP.<br />

Komplikationen<br />

Die Daten nationaler Endoprothesenregister können auch<br />

für andere Vergleiche zwischen UKEP und KTEP herangezogen<br />

werden. Beispielsweise zeigt das Register von<br />

England und Wales, dass der stationäre Aufenthalt von<br />

UKEP-Patienten etwa zwei Tage kürzer ist als von KTEP-<br />

Patienten. Diese Zahlen bestätigen, dass die Genesung<br />

nach Implantation einer UKEP schneller verläuft als nach<br />

einer KTEP und dass das Verfahren geringere stationäre<br />

Kosten verursacht. Den Registern sind auch Informationen<br />

über Komplikationen zu entnehmen. Die Inzidenz schwerer<br />

Komplikationen wie tiefe Infektionen und Thromboembolien<br />

ist bei UKEP deutlich geringer als bei KTEP.<br />

Mortalität<br />

Die vielleicht wichtigsten Registerdaten zum Vergleich von<br />

UKEP und KTEP betreffen die Mortalität. Nach einem totalen<br />

Kniegelenkersatz kommt es häufiger zum Tod als zu<br />

einer Revision – was den Patienten angeht, ist dies wohl<br />

der wichtigere Aspekt. Die Sterblichkeitsrate nach KTEP ist<br />

zudem höher als die nach UKEP. Die herkömmliche Erklärung<br />

dafür lautet, dass Patienten, die mit einer UKEP versorgt<br />

werden, tendenziell jünger sind als Patienten, die eine<br />

KTEP erhalten. In neueren Analysen von Registerdaten aus<br />

Australien, England und Wales wurden Faktoren wie das<br />

Alter statistisch bereinigt, und trotzdem blieb die Todesrate<br />

nach KTEP höher. Sie ist beispielsweise in den ersten 90<br />

Tagen nach der OP 2,8-mal höher (95 % Konfidenzintervall,<br />

1,7–4,5) als bei UKEP und in den ersten fünf Jahren 1,6mal<br />

höher (95 % Konfidenzintervall 1,4–1,7). Diese höhere<br />

Mortalität bei KTEP überrascht in Anbetracht der höheren<br />

Rate schwerer Komplikationen nicht. Es ist jedoch erstaunlich,<br />

dass sie auch langfristig höher bleibt. Selbst wenn man<br />

eine inadäquate statistische Bereinigung unterstellt, legen<br />

diese Daten nahe, dass bei der Operation etwas geschieht,<br />

das langfristige Auswirkungen haben könnte. So könnten<br />

beispielsweise Embolien, die von intramedullären Stäben<br />

ausgelöst wurden, langfristige Lungenschäden nach sich<br />

ziehen oder andere frühe Komplikationen zu weiteren langfristigen<br />

Problemen führen.<br />

Damit lässt sich der Schluss ziehen, dass die Registerdaten<br />

für die Verwendung von UKEP sprechen. Den Registern zufolge<br />

sind die funktionellen Ergebnisse bei UKEP besser als<br />

bei KTEP, da bei mehr Patienten hervorragende Ergebnisse<br />

erzielt werden und bei weniger Patienten schlechte Ergebnisse.<br />

Revisionen von UKEP sind einfacher und gehen mit<br />

besseren Ergebnissen einher als Revisionen von KTEP.<br />

Aus diesem Grund wird in der Regel nichts unternommen,<br />

wenn die Ergebnisse einer KTEP sehr schlecht sind und<br />

die Patienten leiden nach wie vor, während bei vergleichbar<br />

schlechtem Ergebnis mit einer UKEP ein Wechsel zu einer


50%<br />

40%<br />

30%<br />

20%<br />

10%<br />

0%<br />

< 27<br />

schlecht<br />

KTEP vorgenommen wird. Die Inzidenz schwerer Komplikationen<br />

ist bei UKEP kleiner als bei KTEP. Außerdem liegt<br />

die Mortalitätsrate nach Implantation einer UKEP kurzfristig<br />

bei einem Drittel und langfristig bei zwei Dritteln der Mortalitätsrate<br />

nach KTEP.<br />

Literaturhinweis<br />

27 bis 33<br />

befriedigend<br />

1 Goodfellow JW, O’Connor JJ, Murray DW. A critique of revision rate as an outcome<br />

measure: re-interpretation of knee joint registry data. J Bone Joint Surg Br 2010; 92-<br />

12: 1628-31<br />

2 New Zealand Orthopaedic Association, The New Zealand Joint Registry, Ten Year<br />

Report, January 1999 to December 2008<br />

34 bis 41<br />

gut<br />

3 National Joint Registry for England and Wales, 7 th Annual Report 2010<br />

> 41<br />

sehr gut<br />

Anteile von sehr guten, guten, befriedigenden und schlechten<br />

Ergebnissen (Oxford Knee Score, OKS) sechs Monate nach<br />

dem Eingriff, auf Grundlage der Daten des Zehnjahresberichts<br />

des New Zealand Joint Registry 2<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

Durchschnittliche Dauer des<br />

Klinikaufenthalts in Tagen<br />

UKEP<br />

(n=16.393)<br />

OKS nach sechs Monaten<br />

TKEP zementiert<br />

(n=201.244)<br />

UKEP<br />

Patienten bleiben nach Primärimplantation einer KTEP<br />

deutlich länger in der Klinik als nach der einer UKEP. 3<br />

KTEP<br />

21


22<br />

KTEP<br />

Vanguard-Kniesystem im Spiegel von<br />

klinischen Ergebnissen und Registerdaten<br />

von Benjamin Hohaus<br />

Sechs Jahre nach der Einführung des Vanguard-Kniesystems in Deutschland und<br />

neun Jahre nach dessen erster Implantation in den USA erreicht diese Knieendoprothese<br />

durchgängig gute bis überdurchschnittliche klinische Ergebnisse. Dies<br />

geht aus einer systematischen Vergleichsstudie der Standzeiten des Vanguard-<br />

Kniesystems im Vergleich mit anderen Knietotalendoprothesen hervor. 1<br />

Insgesamt wurden 15 Datenquellen, darunter<br />

sowohl veröffentlichte als auch noch<br />

nicht veröffentlichte klinische Studien sowie<br />

die Jahresberichte der englischen, schwedischen,<br />

australischen und dänischen Endoprothesenregister,<br />

analysiert.<br />

Im Detail kommt der systematische Vergleich<br />

zu folgenden Ergebnissen:<br />

• Eine Überlebenszeitanalyse nach Kaplan-<br />

Meier von weltweit insgesamt 16.201 Vanguard-Implantationen<br />

ergab eine Überlebensrate<br />

von 97,7 Prozent nach fünf Jahren<br />

(Tabelle 1).<br />

Tabelle 1:<br />

• Der Vergleich der Revisionsrate des Vanguard-Kniesystems<br />

mit den durchschnittlichen<br />

Werten der genannten nationalen Endoprothesenregister<br />

nach fünf Jahren ergibt<br />

mit nur 2,3 Prozent ein überdurchschnittlich<br />

gutes Ergebnis (Tabelle 2).<br />

• Im aktuellen Jahresbericht 2011 des<br />

„National Joint Registry for England and<br />

Wales“ schneidet das Vanguard-Kniesystem<br />

mit einer Revisionsrate von 0,98<br />

Prozent nach fünf Jahren besonders erfolgreich<br />

ab. 17 Vanguard erreicht damit<br />

das beste Ergebnis der zehn in England<br />

und Wales am häufigsten implantierten<br />

Kniesysteme.<br />

2, 4–6, 8–11, 14, 16<br />

Kaplan-Meier Überlebenszeitanalyse – Pooled Survivorship (95% CI)<br />

Fallzahl<br />

Überlebensrate<br />

nach 1 Jahr (%)<br />

Überlebensrate<br />

nach 3 Jahren (%)<br />

Überlebensrate<br />

nach 5 Jahren (%)<br />

16.201 99,5 (99 – 100) 98,7 (97,9 – 99,5) 97,7 (95,8 – 99,7)<br />

Tabelle 2:<br />

Kumulative Revisionsrate<br />

in % (95% CI)<br />

n [gesamt] Revisionsrate<br />

nach 1 Jahr<br />

Revisionsrate<br />

nach 3 Jahren<br />

Revisionsrate<br />

nach 5 Jahren<br />

Vanguard Knie (weltweit) 2–16 16.201 0,5 (0,0 – 1,0) 1,3 (0,4 – 2,1) 2,3 (0,3 – 4,2)<br />

AOANJRR 11 TKA 2010 (Australien):<br />

alle Kniesysteme<br />

NJR 10 TKA 2010 (England & Wales):<br />

alle Kniesysteme<br />

SKAR 12 TKA 2010 (Schweden):<br />

alle Kniesysteme<br />

DNR 14 TKA 2010 (Dänemark):<br />

alle Kniesysteme, zementfrei<br />

DNR 14 TKA 2010 (Dänemark):<br />

alle Kniesysteme, zementiert<br />

DNR 14 TKA 2010 (Dänemark):<br />

alle Kniesysteme, hybrid<br />

231.409 0,8 (0,2 – 1,4) 2,2 (0,74 – 3,61) 2,9 (0,94 – 4,81)<br />

39.970 – 2,0 (2,0 – 2,1) 2,8 (2,7 – 3,0)<br />

unbekannt 0,6 2,4 2,6<br />

49.169<br />

2,5 5,0 7,0<br />

1,5 3,5 4,5<br />

1,0 3,0 4,0


• Die Werte des American Knee Society<br />

Score, die Patienten mit einer Vanguard-<br />

Endoprothese erreichen, zeigen eine deutliche<br />

Verbesserung der funktionellen Ergebnisse<br />

innerhalb eines Jahres nach der<br />

Implantation (Abb. 1). Dieser Analyse liegen<br />

die Daten aus sechs verschiedenen Studien<br />

zugrunde.<br />

Neben kontrollierten multizentrischen Studien<br />

und der weltweit publizierten Literatur<br />

verfolgt <strong>Biomet</strong> auch die in den Jahresberichten<br />

verschiedener Endoprothesenregister<br />

publizierten Ergebnisse für das Vanguard-Kniesystem.<br />

Wir freuen uns, dass in<br />

diesem Jahr mit dem Endoprothesenregi-<br />

100%<br />

80%<br />

60%<br />

40%<br />

20%<br />

0%<br />

Literatur:<br />

1 Xie J. A Systematic Review on Performance of the Vanguard ®<br />

Complete Knee System. White Paper. <strong>Biomet</strong> Inc.<br />

2 <strong>Biomet</strong> Comparison of MIS/Usual Technique for Vanguard (DS1)<br />

3 <strong>Biomet</strong> Regenerex Tibial Tray Multi center Data Collection (DS4)<br />

4 Schroer Vanguard MIS Approach (DS6)<br />

5 <strong>Biomet</strong> Korea Vanguard Study (DS7)<br />

6 <strong>Biomet</strong> Vanguard DDRP IDE Study (DS9)<br />

7 <strong>Biomet</strong> UK Vanguard DDRP Study (DS10)<br />

8 <strong>Biomet</strong> Vanguard Study (DS11)<br />

9 <strong>Biomet</strong> UK Vanguard Study (DS12)<br />

Benjamin Hohaus, Dipl.-Wi.-Ing.<br />

(FH), ist Produktmanager<br />

Knieendoprothetik bei <strong>Biomet</strong><br />

Deutschland.<br />

ster Deutschland (EPRD) eine weitere qualitativ<br />

hochwertige Datenquelle entsteht.<br />

Weitere Information:<br />

Zur weiterführenden Information<br />

steht das detaillierte White Paper<br />

„A Systematic Review on Performance<br />

of the Vanguard Complete<br />

Knee System“ 1 zur Verfügung. Bei<br />

Interesse kann dies über das beiliegende<br />

Faxformular angefordert<br />

werden.<br />

Preop 6 m 1 y 2 y 3 y 5 y<br />

AKS – Function Score<br />

Abb. 1: American Knee Society Objective und Function Scores nach<br />

Implantation einer Vanguard-Endoprothese mit fixiertem Inlay<br />

10 The England and Wales National Joint Registry Data Extract<br />

(DS14)<br />

11 Australian National Joint Registry Annual Report 2010 (DS15)<br />

12 Swedish Knee Arthroplasty Annual Report 2010 (DS16)<br />

13 <strong>Biomet</strong> France Vanguard Study (DS17)<br />

14 Danish Knee Registry 2010 (DS19)<br />

15 New Zealand National Joint Registry, 11 years<br />

16 <strong>Biomet</strong> Vanguard DDRP IDE Feasibility (DS21)<br />

17 National Joint Registry for England and Wales 8 th Annual<br />

Report 2011<br />

AKS – Objective Score<br />

23


24<br />

Effektivität<br />

Qualität und Effektivität<br />

in der Wirbelsäulenchirurgie<br />

von Prof. Dr. med. Friedrich Weber<br />

Die rasante medizinische Entwicklung und der Wandel der Bevölkerungsstruktur<br />

stellen eine zunehmende Herausforderung für alle dar, die eine hohe Versorgungsqualität<br />

anstreben. Das gilt ganz besonders bei Erkrankungen der Wirbelsäule:<br />

Sie konkurrieren mit den onkologischen Erkrankungen um den Platz zwei auf der<br />

Häufigkeitsliste. Die Ergebnisqualität bei ihrer Behandlung ist eine Frage mit hoher<br />

Priorität für das ganze Gesundheitswesen. Studien im Sinne einer „Comparative<br />

Effectiveness Research“ können helfen, gleichzeitig die Qualität zu steigern und<br />

zu einem effizienten Einsatz der Mittel beizutragen.<br />

Bei operativen Eingriffen an der Wirbelsäule besteht grundsätzlich<br />

das Risiko schwerwiegender Konsequenzen für<br />

den Patienten. Diese können, etwa beim Auftreten einer<br />

Querschnittssymptomatik, die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen<br />

und die Kosten explodieren lassen. Aber auch<br />

ohne solche Fälle steigen die Kosten stetig. Die exponentielle<br />

Entwicklung der Wirbelsäulenerkrankungen, die Vielfalt<br />

der technischen Innovationen, die veränderte Erwartungshaltung<br />

der Patienten sowie die differenziertere Diagnostik<br />

tragen zu einem starken Kostendruck bei, der kanalisiert<br />

und kontrolliert werden muss.<br />

In den USA erhielt die Agency for Healthcare and Quality<br />

ein Mandat vom Kongress, die sogenannte Comparative<br />

Effectiveness Research (CER) zu unterstützen. Das<br />

Institute of Medicine definiert diese folgendermaßen: Die<br />

Generierung und Synthese von Evidenz, die den Nutzen<br />

mit den Nachteilen verschiedener Behandlungsmethoden<br />

darstellt, um klinischen Syndromen vorzubeugen, sie zu<br />

diagnostizieren, zu überwachen und ihre Behandlung zu<br />

verbessern. 1 Damit soll Patienten, Ärzten, Herstellern und<br />

Kostenträgern geholfen werden, Entscheidungen evidenzbasiert<br />

zu treffen. Insgesamt hat Washington 2,2 Milliarden<br />

US-Dollar für CER zur Verfügung gestellt. 2<br />

Ein besonderes Augenmerk sollte bei CER im Bereich<br />

Wirbelsäule auf den neuen Technologien in der Wirbelsäulenchirurgie<br />

liegen. Zu nennen sind hier Cages, Bandscheibenprothesen,<br />

dynamische Stabilisierung und neue<br />

Materialien. Sie haben völlig neue Versorgungsoptionen<br />

geschaffen und bieten eine potentiell bessere individuelle<br />

Behandlung. Auf viele Fragen gibt es aber noch keine validen<br />

evidenzbasierten Antworten. Es fehlen Daten über die<br />

Langzeitergebnisse der einzelnen Implantate bezüglich ihrer<br />

Standzeit sowie zur Lebensqualität der Patienten.<br />

Bei der Generierung evidenzbasierter Fakten zeigt sich in<br />

der Wirbelsäulenchirurgie das besondere Problem, dass<br />

die Durchführung prospektiv randomisierter Studien sehr


Prof. Dr. med. Friedrich Weber<br />

ist Chefarzt der Neurochirurgischen<br />

Klinik Köln-Merheim –<br />

Lehrkrankenhaus der Universität<br />

Köln.<br />

teuer und aufwendig ist, die meisten Studien deshalb retrospektiv<br />

angelegt sind. Das macht es für die Wirbelsäulenfachgesellschaften<br />

schwierig, evidenzbasierte Empfehlungen<br />

herauszugeben. Selbst bestehende Empfehlungen<br />

werden von vielen Wirbelsäulenchirurgen mangels tatsächlicher<br />

Evidenz ignoriert und haben somit für den klinischen<br />

Alltag wenig Bedeutung.<br />

Kontrollierte randomisierte Studien sind nach wie vor der<br />

goldene EBM-Standard. Allerdings sind sie im Rahmen<br />

der Wirbelsäulenchirurgie schwer zu realisieren, da sie<br />

homogene Populationen benötigen, die nur mit stark selektionierten<br />

Patientengruppen möglich sind. Cross-Over-<br />

Designs, in denen bis zu 40 Prozent der Patienten wechseln,<br />

wie bei der SPORTS-Studie, 3 machen die Situation<br />

zusätzlich problematisch. Im Gegensatz dazu fokussiert<br />

der CER-Ansatz ähnlich wie ein Register auf die Effektivität<br />

in großen Patientengesamtpopulationen, um so dank deren<br />

Größe und Heterogenität den Einfluss einzelner Faktoren<br />

bestimmen zu können.<br />

Die Kosten der Behandlung von Rückenschmerzen betragen<br />

in den USA jährlich 80 Milliarden US-Dollar. Die Anzahl<br />

der Operationen hat sich innerhalb der letzten zehn Jahre<br />

verdreifacht. Prospektive Multicenter-Datenbankstudien<br />

sollten wertvolle Ergebnisse liefern, damit sich Patienten,<br />

Therapeuten, Krankenhäuser und Kostenträger auf evidenzbasierte<br />

Therapien stützen können. Hierbei sollten<br />

veränderte Behandlungsmuster, Outcome-Parameter wie<br />

die Wiederaufnahme der Arbeit oder die gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität herangezogen werden.<br />

Comparative Effectiveness Research braucht im Gegensatz<br />

zur traditionellen klinischen Forschung mehr Beteiligte.<br />

So kann es dazu kommen, dass Studien nicht nur vom<br />

Medizinwissenschaftler geplant werden, sondern auch von<br />

Versicherungen oder Behörden, mit dem Ziel, Kosten zu<br />

limitieren und Veränderungen im Bereich der bisherigen<br />

Behandlungsverfahren herbeizuführen.<br />

Auf dem Spine-Tango-Fragebogen<br />

baut das Dokumentationssystem<br />

für Wirbelsäulenchirurgie der<br />

European Spine Society auf,<br />

das als internationales Register<br />

fungiert.<br />

1 Initial National Priorities for Comparative<br />

Effectiveness Research Committee on<br />

Comparative Effectiveness Research<br />

Prioritization Institute of Medicine, 2009,<br />

S. 13<br />

http://www.nap.edu/openbook.<br />

php?record_id=12648<br />

2 http://www.hhs.gov/recovery/programs/<br />

cer/index.html<br />

3 Tosteson ANA, Tosteson TD, Lurie JD,<br />

Abdu W, Herkowitz H, Andersson G,<br />

Albert T, Bridwell K, Zhao W, Grove MR,<br />

Weinstein MC, Weinstein JN. Comparative<br />

effectiveness evidence from the spine<br />

patient outcomes research trial: surgical<br />

versus nonoperative care for spinal stenosis,<br />

degenerative spondylolisthesis,<br />

and intervertebral disc herniation. Spine<br />

2011;36:2061–8.<br />

25


26<br />

Fortbildung<br />

Implantation nur nach spezifischem Training<br />

von Prof. Dr. med. Bernd Fink<br />

Gute Schulung, ausreichendes Training und möglichst viel Routine sind die wichtigsten<br />

Voraussetzungen für gute Operationsergebnisse. Diese Aussage erscheint<br />

banal und selbstverständlich. Der Grundsatz „No train, no use“ wird aber nicht<br />

immer konsequent befolgt. Zunehmender Zeitdruck, steigende ökonomische Anforderungen,<br />

der Wunsch nach Innovation und ein stetiger Strom neuer Implantate<br />

werden hierfür als Gründe angeführt. Sie dürfen aber keine Rolle spielen, wenn es<br />

darum geht, das Risiko für den Patienten zu minimieren. Deshalb sollten Implantate<br />

nur nach ausreichendem produktspezifischem Training eingesetzt werden dürfen.<br />

Das Schwedenregister zeigt<br />

zum Beispiel für die Oxford-<br />

Knieendoprothese deutlich<br />

geringere Revisionsraten,<br />

wenn die Implantation in<br />

einer Klinik mit hohen Fallzahlen<br />

erfolgt ist.<br />

Im vergangenen Herbst hat das Landessozialgericht Brandenburg<br />

die Mindestmengen für die Knieendoprothetik gekippt.<br />

Die Begründung: Es ließ sich nicht wissenschaftlich<br />

valide feststellen, ab welcher Mindestmenge die Implantationsqualität<br />

tatsächlich besser sei. 1 Tatsächlich sind belastbare<br />

Zahlen rar, die für gut trainierte und/oder routinierte<br />

Operateure eindeutig bessere Ergebnisse ausweisen. Das<br />

liegt jedoch vor allem daran, dass der Evidenzgrad 1 hier<br />

aus ethischen Gründen nicht zu erreichen ist: Es ist völlig<br />

ausgeschlossen, Patienten in einer doppelblinden randomisierten<br />

Studie zwischen Neulingen und erfahrenen<br />

Operateuren aufzuteilen. Evidenzbasierte Medizin verlangt<br />

aber nicht nach dem höchsten, sondern nach dem höchstmöglichen<br />

Evidenzgrad. Unter dieser Maßgabe liegen genügend<br />

klare Beweise für das ohnehin Offensichtliche vor.<br />

So zeigt das Schwedenregister zum Beispiel für die Oxford-<br />

Knieendoprothese deutlich geringere Revisionsraten, wenn<br />

die Implantation in einer Klinik mit hohen Fallzahlen erfolgt<br />

ist. 2 In klinischen Studien, an denen die Autoren des untersuchten<br />

Implantats beteiligt sind, sind die Revisionsraten<br />

um bis zu zehnmal besser als in den Registerdaten. 3 Selbst<br />

wenn man solchen Studien einen deutlichen Bias unterstellen<br />

darf, gibt es einen wichtigen mitentscheidenden Faktor:<br />

die große Vertrautheit der Operateure mit dem Implantat.<br />

Zudem belegt jede in zahllosen Studien ausgewiesene<br />

Lernkurve die Wirksamkeit des Trainingseffekts.<br />

Trotzdem begegnen wir in Zentren für Revisionsendoprothetik<br />

immer wieder Patienten, bei denen das Implantatversagen<br />

offensichtlich durch die ungenügende Kenntnis<br />

produktspezifischer Besonderheiten zumindest mitverursacht<br />

wurde. Neben den eingangs genannten Faktoren<br />

mag hier auch eine Rolle spielen, dass die Endoprothetik<br />

gelegentlich – als scheinbar simple Routine – unterschätzt<br />

wird. Ein gutes Beispiel für die Wichtigkeit genauer Produktkenntnis<br />

bietet die Revisionsendoprothetik der Hüfte.<br />

Hier gibt es distal verklemmende modulare Schäfte unterschiedlicher<br />

Hersteller, die auf den ersten Blick sehr ähnlich<br />

erscheinen, aber deutlich unterschiedlichen Verankerungs-


Prof. Dr. med. Bernd Fink ist<br />

Chefarzt der Klinik für Endoprothetik,<br />

Allgemeine und<br />

Rheumaorthopädie an der<br />

Ortho pä dischen Klinik Markgröningen.<br />

prinzipien folgen. Modell 1 setzt etwa auf eine Konus-in-<br />

Konus-Verklemmung und benötigt dementsprechend ein<br />

konisches Implantatbett. Modell 2 ist ebenfalls konisch<br />

geformt, erfordert aber ein zylindrisches Implantatbett für<br />

eine Konus-in-Zylinder-Verklemmung. Modell 3 ist weniger<br />

konisch geformt und benötigt eine Zylinder-in-Zylinder-<br />

Verklemmung. Nicht nur die Form des Implantatbettes ist<br />

jeweils eine andere, von Modell 1 bis 3 braucht es auch<br />

eine zunehmend längere Verankerungsstrecke. Werden<br />

diese Unterschiede bei der Präparation nicht beachtet, ist<br />

das Versagen quasi vorprogrammiert.<br />

Dieses Beispiel macht deutlich, warum ein implantatspezifisches<br />

Training notwendig ist. Natürlich sollte sich der<br />

Umfang dieser Schulung nach der Komplexität des Implantates<br />

richten. Eine grobe Einteilung könnte so aussehen:<br />

1. Sehr einfaches Implantat, das einem verbreiteten Prinzip<br />

entspricht und keine davon abweichenden wesentlichen<br />

Besonderheiten ausweist: Für den routinierten Operateur<br />

genügt eine gründliche Einweisung durch den Medizinprodukteberater.<br />

2. Standardimplantat für die Primärversorgung, mittlerer<br />

Schwierigkeitsgrad: theoretische Schulung und praktisches<br />

Training am Kunstknochen<br />

3. Komplexe und modulare Implantate, Revisionsendoprothetik:<br />

theoretische Schulung, praktisches Training am<br />

Kunstknochen und Kadaverworkshop oder Hospitation<br />

Neben dem Operateur muss auch das OP-Personal geschult<br />

werden. Eine komplexe Knierevision mit demselben<br />

Implantatsystem dauert mit einer ungeschulten OP-Schwester<br />

eine ganze Stunde länger als mit einer spezifisch geschulten<br />

Fachkraft. Das wissen wir aus einem direkten<br />

Vergleich in unserer Klinik. Ein guter Trainingsstand ist also<br />

nicht nur medizinisch, sondern auch betriebswirtschaftlich<br />

geboten.<br />

Es gibt heute genügend Schulungs- und Trainingsprogramme,<br />

nicht zuletzt der Implantathersteller, um alle Neuanwender<br />

eines Produkts gründlich auszubilden. Auch hier<br />

sei das Oxford-Knie als beispielhaft genannt. Die hervorragend<br />

strukturierten Oxford-Kurse sind ein wesentlicher<br />

Grund für die 35-jährige Erfolgsgeschichte dieses Implantats.<br />

Zugleich sind die Implantathersteller auch als Kontrollinstanz<br />

gefordert. Sie wissen, wer vor einer Erstbestellung<br />

ihre Kurse und Workshops besucht hat. Dies sollte, entsprechend<br />

dem neudeutschen „No train, no use“, Vorbedingung<br />

für die Belieferung sein.<br />

Auch das OP-Personal muss<br />

gründlich geschult werden.<br />

Eine komplexe Knierevision<br />

dauert mit einer ungeschulten<br />

OP-Schwester eine Stunde<br />

länger als mit einer spezifisch<br />

trainierten Fachkraft.<br />

1 Landessozialgericht Berlin-Brandenburg,<br />

Aktenzeichen: L 7 KA 77/08 KL<br />

2 Robertsson O, Knutson K, Lewold<br />

S, Lidgren L. The routine of surgical<br />

management reduces failure after unicompartmental<br />

knee arthroplasty. J Bone<br />

Joint Surg Br. 2001 Jan;83(1):45–9<br />

3 Quality of Publications regarding the<br />

Outcome of Revision Rate after Arthroplasty,<br />

Final Report of the QoLA Project,<br />

presented at the EFFORT Congress 2011<br />

in Copenhagen, http://www.ear.efort.org/<br />

downloads/EAR-EFORT%20QoLA%20<br />

Project.pdf<br />

27


28<br />

Fortbildung<br />

Train and Use<br />

Implantatspezifisches Training zur<br />

Sicherung der Ergebnisqualität<br />

Fundierte Kenntnis des Implantatsystems und gründliches Training sind entscheidende<br />

Voraussetzungen für durchgängig gute Langzeitergebnisse in der Endoprothetik.<br />

Die große Nachfrage nach praktischer Fortbildung wird aber nur zum<br />

Teil befriedigt, was die Einführung verbesserter Verfahren wesentlich behindert. 1<br />

<strong>Biomet</strong> bietet Operateuren und OP-Personal seit jeher ein breites Schulungsprogramm.<br />

Um die Ergebnisqualität nachhaltig zu sichern, erhalten Erstanwender<br />

von <strong>Biomet</strong>-Produkten implantatspezifische Tainingsangebote. Ein differenziertes<br />

Punktesystem sorgt für eine nachweislich gründliche Vorbereitung von Erstimplantationen<br />

und für die Verkürzung der Lernkurve. Business Unit Director Thomas<br />

Schüssler erläutert das Konzept von „Train and Use“ im Gespräch.<br />

Warum setzt <strong>Biomet</strong> auf Train and Use?<br />

Jede Lernkurve zeigt, dass Training und Routine die Ergebnisse<br />

verbessern. Produktspezifisches Training in Theorie<br />

und Praxis ist allein schon wegen der Verpflichtung<br />

gegenüber dem Patienten unerlässlich, vor allem wenn ein<br />

für den Anwender neues Implantatsystem verwendet wird.<br />

Von den besseren Ergebnissen profitieren aber natürlich<br />

auch der Operateur und die Klinik.<br />

Wie groß ist der Trainingsumfang?<br />

Er richtet sich nach dem Schwierigkeitsgrad, den wir gemeinsam<br />

mit erfahrenen Ärzten für bestimmte Eingriffsarten<br />

in einfach, mittel und schwer eingeteilt haben. Die<br />

Implantation eines Geradschafts ist nach dieser Klassifizierung<br />

„einfach“, die eines modularen Revisionsimplantats<br />

„schwer“. Jeder Kategorie ist ein Punktwert zugeordnet,<br />

der die gründliche Vorbereitung auf eine Erstimplantation<br />

ausweist. Der Operateur kann diese Punktzahl in spezifischen<br />

Schulungsmaßnahmen ansammeln.<br />

Wie werden die Punkte vergeben?<br />

Jede Kursform bringt eine bestimmte Punktzahl. Bonuspunkte<br />

gibt es, wenn der Operateur große Fallzahlen mit<br />

einem ähnlichen Implantat vorweisen kann. Beim Ersteinsatz<br />

eines Nachfolgemodells reicht ein Workshop aus. In<br />

jedem Fall ist aber die Anwesenheit eines qualifizierten <strong>Biomet</strong>-Mitarbeiters<br />

bei der ersten Implantation eines Systems<br />

erforderlich.<br />

1 http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/20148184


Hierarchie der Trainingsmaßnahmen:<br />

Workshops<br />

OP Begleitungen<br />

Hospitationen<br />

Instructional- und Masterkurse<br />

Kurse am Humanpräparat<br />

Thomas Schüssler ist Business<br />

Unit Director für die Bereiche<br />

Gelenkersatz, Sportmedizin,<br />

Extremitäten und Trauma bei<br />

<strong>Biomet</strong> Deutschland.<br />

Wie funktioniert Train and Use in der Praxis?<br />

Nehmen wir an, ein Operateur möchte das Oxford-Kniesystem<br />

verwenden. Bisher hat er pro Jahr fünf bis zehn<br />

unikondyläre Implantate eines anderen Systems eingesetzt.<br />

Das erforderliche Training umfasst einen Instruktionskurs,<br />

einen Workshop und die Begleitung der ersten Implantation.<br />

Aus den drei Modulen zusammen ergibt sich die definierte<br />

Punktzahl.<br />

Was passiert, wenn diese Punktzahl<br />

noch nicht erreicht wurde?<br />

Wir bieten immer die dafür benötigten Trainings- und Begleitungsmaßnahmen<br />

an. Bevor die Punktzahl erreicht ist,<br />

können wir das Implantatsystem allerdings nicht ausliefern.<br />

<strong>Berliner</strong> Programmheft<br />

Frühling | Sommer 2012<br />

Training und Fortbildung<br />

für medizinisches Fachpersonal<br />

Schultersystem Comprehensive 4<br />

Gutes Ergebnis: GTS-Hüftschaft 7<br />

Neuer Oxford-Masterkurs 10<br />

Zementmischsystem<br />

Optipac fürs Knie 13<br />

Vanguard-Kniesystem bewährt sich 14<br />

Rapid Recovery Symposium 16<br />

niedriger Schwierigkeitsgrad<br />

hoher Schwierigkeitsgrad<br />

Das aktuelle Trainingsprogramm<br />

von <strong>Biomet</strong> ist im <strong>Berliner</strong><br />

Programmheft dargestellt.<br />

Darin finden Sie auch eine<br />

Übersicht über das breite Angebot<br />

von Kursen am Humanpräparat.<br />

Sie können es mit<br />

dem beiliegenden Faxformular<br />

kostenlos abonnieren.<br />

29


30<br />

Infektion<br />

Indikatoren der Ergebnisqualität in<br />

der Behandlung implantatassoziierter<br />

Knochen- und Gelenkinfektionen<br />

von PD Dr. med. Dirk Stengel, MSc(Epi)<br />

Dass implantatassoziierte Knochen- und Gelenkinfektionen für die Betroffenen<br />

von erheblicher Konsequenz und im Einzelfall auch mit dem Risiko des Extremitätenverlusts<br />

oder lebenslanger Behinderung vergesellschaftet sind, wird kaum<br />

jemand anzweifeln. Dennoch ist in diesem komplexen medizinischen Szenario die<br />

Quantifizierung der gesundheitlichen Belastung ebenso schwierig wie die Messung<br />

des Therapieerfolgs. Letztere stellt jedoch die Basis für die Entwicklung,<br />

klinische Prüfung, Gesundheitstechnologiebewertung und Vergütung innovativer<br />

Therapieverfahren dar.<br />

Wie in allen Gebieten der Gesundheitsversorgung<br />

setzt sich auch in der septischen<br />

Chirurgie des Bewegungsapparates ein<br />

Therapieerfolg aus verschiedenen Komponenten<br />

zusammen. Diese sind:<br />

1. Mikrobiologische (M) und laborchemische<br />

(L) Surrogate: Hierzu zählen unter<br />

anderem die Eradikation des wahrscheinlich<br />

kausalen Erregers und die Normalisierung<br />

von Entzündungsparametern wie CRP und<br />

Leukozytenzahl.<br />

2. Radiologische (R) Surrogate: Im Zeitalter<br />

moderner Schnittbildverfahren, insbesondere<br />

natürlich der MRT, welche eine longitudinale<br />

Abbildung der Entzündungsaktivität<br />

erlaubt, umfassen diese zum Besispiel<br />

den Rückgang von Ödemen in Knochen<br />

und Weichteilgewebe, aber auch die zunehmende<br />

knöcherne Konsolidierung.<br />

3. Das klinische Bild (B): Beispiele sind Abschwellung<br />

und Abklingen einer Rötung,<br />

Schmerzreduktion, das Sistieren einer Fistelsekretion,<br />

der Nachweis von Granulationsgewebe<br />

oder ein intraoperativ stabiles<br />

Implantat<br />

4. Funktion (F) und gesundheitsbezogene<br />

Lebensqualität (Q): Neben der Belastbarkeit<br />

der Extremität und Gelenkbeweglichkeit gehören<br />

hierzu spezifische muskuloskelettale<br />

Score-Systeme wie zum Beispiel der Disability<br />

of the Arm, Shoulder and Hand (DASH)<br />

oder der Lower Extremity Functional Score<br />

(LEFS). Die wohl bekanntesten generischen<br />

Instrumente sind der EuroQol 5D (EQ-5D)<br />

oder der Short Form 36 (SF-36).<br />

5. Dauerhaftigkeit (D): Diese wird durch das<br />

Intervall bestimmt, in dem der Therapieerfolg<br />

fortbesteht.<br />

6. Zeit (Z): Bei akuten Infektionen wird der<br />

drohende Verlust von Implantat, Extremität<br />

oder Leben zum zeitbestimmenden Faktor.<br />

Bei chronischen Infektionen hingegen muss<br />

die Wahrscheinlichkeit, einen oder mehr<br />

der unter 1. bis 4. genannten Zielgrößen zu<br />

erreichen, mit der hierfür aufzubringenden<br />

Zeit ins Verhältnis gesetzt werden.<br />

7. Kosten (K): Diese sind entweder tangibel<br />

(monetär) oder intangibel (den Betroffenen<br />

zusätzlich durch Schmerz, Invasivität, unerwünschte<br />

Therapieeffekte oder ähnliches<br />

belastend), direkt (mit den Therapiekosten<br />

vergesellschaftet) oder indirekt (aus dem Verlust<br />

der Arbeitskraft, sozialer Kontakte, des<br />

Familiengefüges und so weiter resultierend).<br />

Die perfekte Therapie würde alle diese<br />

Komponenten berücksichtigen und die<br />

Ziele 1. bis 5. mit optimalem Einsatz der<br />

Ressourcen 6. und 7. erreichen. Es bleibt<br />

die Frage: Ist das überhaupt realistisch?<br />

Nach heutigem Stand der medizinischen<br />

Forschung ist es das nicht, vermutlich<br />

auch nicht nach gesundem Menschenverstand.<br />

Die einfachste denkbare Korrelationsmatrix<br />

umfasst erstens wirts-,<br />

keim- und implantatspezifische Variablen<br />

(Exposition), zweitens therapiespezifische<br />

Faktoren (Intervention) und schließlich<br />

drittens die genannten Komponenten des<br />

Therapieerfolges (Outcome). Die Zahl der<br />

Interaktionen zwischen allen drei Ebenen<br />

– ungeachtet möglicher weiterer – geht offensichtlich<br />

gegen unendlich.<br />

In der S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft<br />

für Unfallchirurgie „Prothesenwechsel<br />

am Hüftgelenk“ 1 heißt es: „Die Infektion


einer Prothese stellt eine durch evidenzbasierte<br />

Medizin oder Leitlinien nicht abbildbare<br />

Problematik dar. Die Therapie muss<br />

individuell erfolgen.“ Bedeutet dies, dass<br />

wir lediglich ernüchtert feststellen müssen,<br />

keinen einheitlichen Ergebnismaßstab definieren<br />

zu können – und damit auch keinen<br />

Versorgungsstandard, der sich an diesem<br />

Maßstab orientieren muss? Die Antwort ist<br />

nein, beinhaltet jedoch das konditionale<br />

„aber“, dass nämlich die Entwicklung einer<br />

einheitlichen Ergebnisgröße in der septischen<br />

Chirurgie die konstruktive und vorbehaltlose<br />

Zusammenarbeit aller Verantwortlichen<br />

im Gesundheitswesen erfordert.<br />

Ein erster Schritt wäre es, für die Messung<br />

des Therapieerfolges zwingend einen der<br />

unter Punkt 4 genannten patientenorientierten<br />

Outcome-Parameter (PRO) zu fordern.<br />

Leider sind die Endpunktdefinitionen<br />

in vielen klinischen Studien zur Behandlung<br />

von Knochen- und Gelenkinfektionen (wie<br />

auch anderer Infektionen) schwer reproduzierbar<br />

und umfassen Begriffe wie „klinische<br />

Besserung“, „klinische Heilung“, „mikrobiologische<br />

Eradikation“ und so weiter. Ähnlich<br />

problematisch verhält es sich in der Onkologie<br />

mit der rezidiv- oder progressionsfreien<br />

Überlebenszeit, die häufig mit dem Gesamtüberleben<br />

nicht oder nur schwach korreliert.<br />

Könnte man sich hierauf einigen, und würde<br />

zudem der Nachhaltigkeit eines günstigen<br />

Outcome über eine beobachtbare Zeitspanne<br />

(zum Beispiel von zwei bis fünf<br />

Jahren) eine gleichwertige Bedeutung beigemessen<br />

werden, erhielte man eine relativ<br />

1 http://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/012-007.html<br />

PD Dr. med. Dirk Stengel,<br />

MSc(Epi), leitet das Zentrum<br />

für Klinische Forschung,<br />

Unfallkrankenhaus Berlin.<br />

simple Gleichung für den Therapieerfolg E<br />

einer bestimmten Maßnahme:<br />

(1) E = (F + Q + D) / Z x K<br />

Der Therapieerfolg setzt sich aus PRO und<br />

der Zeitspanne zusammen, in welcher der<br />

Erfolg anhaltend zu beobachten ist. Bilanziert<br />

werden muss der Erfolg gegen die<br />

aufzubringenden Ressourcen Zeit und Kosten.<br />

Sind letztere größer als die günstigen<br />

Auswirkungen auf PRO, ergibt sich ein ungünstiges<br />

Nutzen-Kosten-Verhältnis für die<br />

entsprechende Intervention.<br />

In Situationen, in denen das Outcome in<br />

ferner Zukunft liegt, oder Betroffene nicht<br />

nachuntersucht werden, könnten sich Surrogate<br />

dann als wertvoll erweisen, wenn sie<br />

nachgewiesen mit PRO korrelieren. In diesem<br />

Fall, und nur in diesem Fall, könnte E<br />

wie folgt gemessen werden:<br />

(2) E = (M + L + R + B) / Z x K<br />

Diese Gleichungen sind lediglich als Denkanstoß<br />

zu verstehen – sie haben keine gesundheitsökonomische,klinisch-epidemiologische<br />

oder biostatistische Begründung.<br />

Es fehlen die minimal relevanten Effekte der<br />

unzähligen Messinstrumente von Funktion<br />

und Lebensqualität, Gewichtungsfaktoren<br />

und so weiter. Ob die einzelnen Komponenten<br />

additiv, exponentiell oder in anderer<br />

Form synergistisch wirken, ist ebenfalls<br />

unklar. Klar ist lediglich, dass die oben<br />

genannten bekannten Größen in ein messbares<br />

Format gebracht werden müssen, um<br />

die Ergebnisqualität in der septischen Chirurgie<br />

darstellen und optimieren zu können.<br />

31


32<br />

Versorgungsprozess<br />

Partizipative Entscheidungsfindung<br />

von Prof. Dr. Edmund Neugebauer<br />

Der Patient kann aktiv dazu beitragen, das Behandlungsergebnis zu verbessern.<br />

Voraussetzung dafür ist, dass er in die Entscheidungen über seine Versorgung einbezogen<br />

wird. Dann steigt seine Zufriedenheit, er erreicht ein insgesamt besseres<br />

Ergebnis und erholt sich schneller. 1 Das belegen Studien und das zeigt die Erfahrung<br />

von Kliniken, die bereits heute auf partizipative Entscheidungsfindung (Shared<br />

Decision Making) setzen. Shared Decision Making (SDM), das gemeinsame<br />

Vorgehen von Arzt und Patient, ist jedoch nur möglich, wenn der Patient seinen Zustand<br />

fundiert beurteilen kann. Hierfür muss er auf der Grundlage evidenzbasierter<br />

Medizin professionell aufgeklärt und über seine Krankheit, die Versorgungs- und<br />

Rehabilitationsmöglichkeiten informiert werden (Patient Empowerment). Besonders<br />

effektiv ist die gemeinsame Entscheidungsfindung als Teil eines umfassenden<br />

Patientenbetreuungsprogramms.<br />

Das Interesse an Shared Decision Making ist groß. Eine<br />

Studie aus England zeigt, dass sowohl Patienten als auch<br />

Ärzte zunehmend davon ausgehen, dass sie die Verantwortung<br />

für Entscheidungen künftig gemeinsam übernehmen<br />

werden 2 : Der Arzt stellt Wissen und Expertise zur<br />

Verfügung, der informierte Patient legt seine Vorstellungen<br />

dar, und gemeinsam gelangen sie zu einer wohlbegründeten<br />

Entscheidung für einen individuellen Behandlungsweg.<br />

Sinnvoll ist SDM vor allem bei elektiven Operationen. Für<br />

die Endoprothetik ist SDM geradezu prädestiniert.<br />

Therapeutische Wirkung<br />

von Patienteninformation<br />

Ausschlaggebend für den Erfolg der partizipativen Entscheidungsfindung<br />

ist die Qualität der Information, die<br />

der Patient erhält. Eine rudimentär gehaltene Aufklärung<br />

verbessert das Behandlungsergebnis weniger deutlich als<br />

eine umfassende. 3 Die Information sollte daher unbedingt<br />

detailliert, wissenschaftlich aktuell und auf die Verständnisfähigkeit<br />

des Patienten zugeschnitten sein. Da unser<br />

Gesundheitssystem für lange Gespräche zwischen Arzt<br />

und Patient bisher kaum Zeit lässt, sind für die Patientenaufklärung<br />

und -information zusätzliche Maßnahmen nötig:<br />

evidenzbasierte Infobroschüren (EBPI), Vorträge und/oder<br />

Patientenschulungen.<br />

In den USA gibt es bereits Kliniken, die eigens Zentren für<br />

das Shared Decision Making unterhalten. In diesen erhält<br />

der Patient schon vor dem ersten Gespräch mit dem Arzt<br />

fundierte Information über Krankheitsbild und mögliche<br />

Behandlung. Gut informiert geht er selbstbewusst in die<br />

Sprechstunde, kann die richtigen Fragen stellen und auf<br />

einer soliden Grundlage mitentscheiden. Da er jetzt weiß,<br />

wie er das Behandlungsergebnis beeinflussen kann, beteiligt<br />

er sich aktiver an seiner Behandlung. 4 In der Folge


Prof. Dr. Edmund Neugebauer ist Lehrstuhlinhaber<br />

für Chirurgische Forschung und Direktor<br />

des Instituts für Forschung in der Operativen<br />

Medizin (IFOM) an der Fakultät für Gesundheit<br />

der Universität Witten/Herdecke, Campus Köln-<br />

Merheim, sowie Prodekan für Forschung an der<br />

Fakultät für Gesundheit der Universität Witten/<br />

Herdecke.<br />

fühlt sich der Patient wohler, seine Lebensqualität steigt<br />

und er kann früher wieder an seinen gewohnten Aktivitäten<br />

teilnehmen. Die Qualität der Interaktion zwischen Arzt und<br />

Patient sowie das Vertrauensverhältnis verbessern sich.<br />

Systemische Vorteile<br />

Eine Beteiligung des Patienten nach diesem Vorbild findet<br />

in Deutschland bisher leider kaum statt, obwohl die vorhandenen<br />

Studien die Vorteile klar belegen. Weitere Untersuchungen<br />

könnten Effektivität und Wirkung der partizipativen<br />

Entscheidungsfindung noch deutlicher nachweisen und damit<br />

einen Wandlungsprozess in Gang setzen. Dies ist das<br />

Feld der Versorgungsforschung. Bedauerlicherweise hinkt<br />

die Förderung der Versorgungsforschung dem steigenden<br />

Bedarf hinterher.<br />

Patientenbasierte Konzepte auf Basis des Shared Decision<br />

Making zu installieren bedeutet zwar zunächst einen<br />

zeitlichen wie finanziellen Mehraufwand für eine Klinik. In<br />

Summe überzeugen integrierte Programme wie etwa Rapid<br />

Recovery jedoch nicht nur aus medizinischer Sicht, sondern<br />

sind auch wirtschaftlich profitabel – zum Beispiel wenn die<br />

optimierten Abläufe dazu führen, dass die Mindestverweildauer<br />

tatsächlich eingehalten werden kann, Patienten sich<br />

wohler fühlen und ihre Zufriedenheit kommunizieren. Von<br />

der Qualitätssteigerung, die der gesamte Versorgungsprozess<br />

durch den intensiv einbezogenen Patienten erfährt,<br />

profitiert die Klinik in jedem Fall.<br />

1 Yoon RS, Nellans KW, Geller JA, Kim AD, Jacobs MR, Macaulay W. Patient education<br />

before hip or knee arthroplasty lowers length of stay. Journal of Arthroplasty 2010<br />

Jun, 25(4):547–51. Epub 2009 May 8<br />

2 Adam JA, Khaw F-M, Thomason RG, Gregg PJ, Llewellyn-Thomas HA. Patient<br />

decision aids in joint replacement surgery: a literature review and an opinion survey<br />

of consultant orthopaedic surgeons. Ann R Coll Surg Engl 2008; 90:198–207<br />

3 Stacey D, Bennett CL, Barry MJ, Col NF, Eden KB, Holmes-Rovner M, Llewellyn-<br />

Thomas H, Lyddiatt A, Légaré F, Thomson R. Decision aids for people facing health<br />

treatment or screening decisions (Review). The Cochrane Library 2011, Issue 10<br />

4 Slover J, Shue J, Koenig K. Shared Decision-making in Orthopaedic Surgery.<br />

Clin Orthop Relat Res DOI 10.1007/s11999-011-2156-8<br />

Weitere Literatur:<br />

Ballantyne PJ, Gignac MAM, Hawker GA. A Patient-Centered Perspective on Surgery<br />

Avoidance for Hip or Knee Arthritis: Lessons for the Future. Arthritis & Rheumatism<br />

(Arthritis Care & Research) Vol. 57, No. 1, February 15, 2007, pp 27–34<br />

Beispiele für Patient Decision Aids des Ottawa Hospital Research Institutes für<br />

Patienten mit Hüftarthrose: http://decisionaid.ohri.ca/AZsumm.php?ID=1112<br />

und Kniearthrose: http://decisionaid.ohri.ca/AZsumm.php?ID=1191.<br />

33


34<br />

Versorgungsprozess<br />

Evidenzbasierte Endoprothetik<br />

von Dr. rer. pol. Philipp Schwegel<br />

Evidenzbasierte Medizin ist auch in der Endoprothetik ein wichtiger Faktor, um die<br />

Qualität der Ergebnisse weiter zu verbessern. In der Praxis kommt es dabei auf die<br />

Kombination aus der klinischen Erfahrung des Arztes, der aktiven Einbindung des<br />

Patienten in die Behandlung und der Anwendung des aktuellen Wissensstandes<br />

an. Entscheidend für die Umsetzung im klinischen Alltag sind die kritische Auseinandersetzung<br />

mit dem täglichen Tun und der Abgleich bestehender medizinischer<br />

Verfahren mit der aktuellen Studienlage.<br />

Derzeit überwiegen bei der Behandlung<br />

von Gelenkersatzpatienten übernommene<br />

Traditionen und die Intuition des Arztes.<br />

Schwenk et al. (2005) verweisen auf internationale<br />

Untersuchungen, nach denen<br />

nur 30 bis 40 Prozent aller medizinischen<br />

Behandlungen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />

beruhen. Vor diesem Hintergrund<br />

hat <strong>Biomet</strong> beim Deutschen Kongress<br />

für Orthopädie und Unfallchirurgie<br />

(DKOU) 2011 eine Befragung von 101<br />

ärztlichen Teilnehmern über die aktuelle<br />

Versorgungssituation bei der Behandlung<br />

von Knie- und Hüftgelenkersatzpatienten in<br />

Deutschland durchgeführt.<br />

Tradition Wunddrainage<br />

Metaanalysen von Parker et al. (2008)<br />

und Omonbude et al. (2010) sowie die<br />

aktuelle S3-Schmerzleitlinie zeigen, dass<br />

auf Wunddrainagen beim Knie- und Hüftgelenkersatz<br />

verzichtet werden kann, da<br />

diese dem Patienten keinen Nutzen bringen.<br />

Ganz im Gegenteil: Wunddrainagen<br />

fördern das Infektionsrisiko und behindern<br />

die frühe Mobilisierung. Wie weitverbreitet<br />

die Anwendung von Wunddrainagen beim<br />

Knie- und Hüftgelenkersatz in Deutschland<br />

trotzdem noch ist, zeigen die Befragungsergebnisse.<br />

Beim Hüftgelenkersatz legen<br />

99 Prozent der befragten Ärzte Drainagen.<br />

Beim Kniegelenkersatz sind es 95 Prozent.<br />

Entfernt werden die Wunddrainagen beim<br />

Hüftgelenkersatz von 71 Prozent und beim<br />

Kniegelenkersatz sogar von rund 73 Prozent<br />

der Befragten erst am zweiten Tag<br />

nach der Operation.<br />

Aktive Rolle des Patienten<br />

Die aktive Einbindung des Patienten in die<br />

Behandlung ist zentraler Bestandteil einer<br />

evidenzbasierten Endoprothetik. So zeigen<br />

beispielsweise die Studien von Jones et al.<br />

(2011), Vulcomanovic et al. (2008) und Yoon<br />

et al. (2009) den positiven Einfluss von präoperativen<br />

Schulungen auf den Behandlungsverlauf<br />

von Knie- und Hüftgelenkersatzpatienten.<br />

Trotz dieser Daten zeigt die Umfrage<br />

auf dem DKOU, dass lediglich 15 Prozent<br />

der Befragten auch tatsächlich eine präoperative<br />

Patientenschulung durchführen.<br />

Lokale Infiltrationsanästhesie<br />

Die evidenzbasierte Endoprothetik fördert<br />

innovative Therapieverfahren. Ein gutes<br />

Beispiel hierfür ist die lokale Infiltrationsanästhesie<br />

(LIA), die erstmals vor zehn Jahren<br />

in Australien angewendet wurde. Die mit<br />

ihr hervorgerufene Betäubung des lokalen<br />

Gewebes unterstützt unter anderem die<br />

frühe Mobilisierung des Patienten. Morin/<br />

Wulf (2011) zeigen in ihrer Übersichtsarbeit,<br />

dass die LIA ein sicheres Anästhesieverfahren<br />

für Knie- und Hüftgelenkersatzpatienten<br />

darstellt, das keine besonderen<br />

technischen Fertigkeiten des Anwenders<br />

erfordert. Auch im Vergleich zur systemischen<br />

Analgesie, zur Epidural- oder peripheren<br />

Regionalanästhesie, zeigt die LIA<br />

positive Ergebnisse. Die DKOU-Umfrage<br />

verdeut licht, dass nur 22 Prozent der Befragten<br />

mit der lokalen Infiltrationsanästhesie<br />

arbeiten. Möglicherweise liegt es daran,<br />

dass die S3-Schmerzleitlinie die LIA bisher<br />

nur für die Schulter endoprothetik empfiehlt<br />

und für die Knie- und Hüftendoprothetik<br />

weitere Studien fordert.


Optimierte Behandlungsprogramme<br />

Die vorausgegangenen Ausführungen haben<br />

gezeigt, dass die evidenzbasierte Endoprothetik<br />

ein Umsetzungsproblem zu<br />

bewältigen hat. Die Behandlung von Gelenkersatzpatienten<br />

leidet nicht unter zu<br />

wenig Wissen, sondern unter der täglichen<br />

Herausforderung, die aktuelle Studienlage in<br />

den klinischen Alltag zu überführen. Hierfür<br />

sind insbesondere interdisziplinäre Teammeetings<br />

notwendig, die bisher nur von 34<br />

Prozent der Befragten regelmäßig durchgeführt<br />

werden. Das optimierte Behandlungsprogramm<br />

Rapid Recovery setzt an dieser<br />

Umsetzungslücke an. Es basiert auf Fast-<br />

Track- und Enhanced-Recovery-Konzepten.<br />

Bei seiner Anwendung werden die medizinischen<br />

Prozesse optimiert (Stufe 1). Die so<br />

geordneten Prozesse bilden wiederum die<br />

Grundlage für die kontinuierliche klinische<br />

Verbesserung nach evidenzbasierten Protokollen<br />

(Stufe 2). Durch ständige Evaluation<br />

(Stufe 3) wird überprüft, ob die ergriffenen<br />

Maßnahmen zu den gewünschten Ergebnissen<br />

führen. Die Evaluation, unter anderem<br />

mit Qualitätscores, ist ein wichtiger<br />

Bestandteil für den Aufbau von Reputation<br />

und einer glaubwürdigen Gesundheitskommunikation<br />

(Stufe 4) gegenüber Patienten,<br />

Krankenkassen, Rehabilitationseinrichtungen<br />

und niedergelassenen Ärzten. Die<br />

Erfahrungen mit Rapid Recovery zeigen,<br />

dass das strukturierte und interdisziplinäre<br />

Vorgehen die Patientenzufriedenheit erhöht,<br />

die klinischen Ergebnisse verbessert und<br />

gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit optimiert.<br />

Literatur:<br />

Dr. Philipp Schwegel ist<br />

Health Care Manager bei<br />

<strong>Biomet</strong> Deutschland.<br />

Versorgung von Knie- und Hüftgelenkersatzpatienten<br />

(Ausgewählte Ergebnisse einer Umfrage<br />

unter Teilnehmern des DKOU 2011)<br />

Jones S et al. Pre-operative patient education reduces length of stay after knee joint arthroplasty. Ann R Coll Surg Engl 2011,<br />

93(1):71–5<br />

Morin AM, Wulf H. Lokale Infiltrationsanästhesie (LIA) für Hüft- und Kniegelenksendoprothesen – Eine kurze Übersicht über den aktuellen<br />

Stand. Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2011; 46(2): 84–86 DOI: 10.1055/s-0031-1272875<br />

Omonbude D, Calder SJ et al. Measurement of joint effusion and haematoma formation by ultrasound in assessing the effectiveness<br />

of drains after total knee replacement. J Bone Joint Surg (Br) 2010, 92-B: 51–5<br />

Parker MJ et al. Closed suction surgical wound drainage after orthopaedic surgery. The Cochrane Collaboration 2008<br />

S3-Leitlinie. Behandlung akuter perioperativer und posttraumatischer Schmerzen. AWMF-Register Nr. 041/001<br />

Schwenk W et al. Beschleunigte Frührehabilitation in der operativen Medizin – “Fast-track“-Rehabilitation. Schlusswort, Dtsch<br />

Arztebl 2005; 102(51–52): A-3594 / B-3046 / C-2549<br />

Vulcomanovic A et al. The effect of short-term physiotherapy and education on early functional recovery of patients younger then 70<br />

undergoing Total Hip Arthroplasty. Vojnosanit Preql. 2008 Apr;65(4):291–7<br />

Yoon RS et al. Patient education before hip or knee arthroplasty lowers length of stay. Journal of Arthroplasty 2010 Jun, 25(4):547–<br />

51. Epub 2009 May 8<br />

ja<br />

11%<br />

85%<br />

7%<br />

5%<br />

95%<br />

1%<br />

99%<br />

78%<br />

73%<br />

71%<br />

1. Tag<br />

15%<br />

22%<br />

16%<br />

22%<br />

nein<br />

1. Interdisziplinäre<br />

Patientenschulung<br />

präoperativ<br />

2. Wunddrainagen<br />

bei Knie-TEP<br />

3. Wunddrainagen<br />

bei Hüft-TEP<br />

4. Lokale Infiltrationsanästhesie<br />

(LIA) perioperativ<br />

5. Entfernung der<br />

Wunddrainage am Knie,<br />

postoperativ<br />

6. Entfernung der<br />

Wunddrainage an der<br />

Hüfte, postoperativ<br />

2. Tag 3. Tag<br />

35


M855079 • 01/2012<br />

von ……………<br />

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