Leseprobe - beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
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Beck-Rechtsberater im dtv 5615<br />
Vom Bauleitplan zur Baugenehmigung<br />
Bauplanungsrecht, Bauordnungsrecht, Baunachbarrecht<br />
von<br />
Prof. Dr. Michael Hauth<br />
10. Auflage<br />
Vom Bauleitplan zur Baugenehmigung – Hauth<br />
schnell und portofrei erhältlich bei <strong>beck</strong>-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong> <strong>DIE</strong> <strong>FACHBUCHHANDLUNG</strong><br />
Thematische Glie<strong>de</strong>rung:<br />
Allgemeines<br />
Verlag C.H. Beck München 2011<br />
Verlag C.H. Beck im Internet:<br />
www.<strong>beck</strong>.<strong>de</strong><br />
ISBN 978 3 406 62615 9<br />
Inhaltsverzeichnis: Vom Bauleitplan zur Baugenehmigung – Hauth
eck-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
II. Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>n und Verwaltungsverfahren<br />
<strong>de</strong>n Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>n die Befugnis ein, gegen rechtswidrige<br />
Baumaßnahmen vorzugehen, und zwar bereits gegen die rechtswidrige<br />
Baumaßnahme selbst im Wege <strong>de</strong>r Baueinstellung (§ 64 LBO<br />
BW, Art. 75 BayBO) und gegen die vollen<strong>de</strong>te Baumaßnahme durch<br />
Anordnung <strong>de</strong>ren Beseitigung o<strong>de</strong>r durch Untersagung <strong>de</strong>r Benutzung<br />
(§ 80 SächsBO; Art. 76 BayBO; § 65 LBO BW). Dementsprechend<br />
verfügte auch das hier zuständige Landratsamt die vollständige<br />
Beseitigung <strong>de</strong>r zwischenzeitlich zum Wochenendhaus gewor<strong>de</strong>nen<br />
Hütte. Im Verwaltungsprozess berief sich B. darauf, die Hütte stamme<br />
je<strong>de</strong>nfalls in ihrem ursprünglichen Zustand bereits vom Vater;<br />
nach 50 Jahren genieße sie Bestandsschutz. Dass dieses Argument<br />
nicht greift, haben wir oben bereits gesehen (1. Kap., Abschn. X).<br />
Damit aber ist die Beseitigung <strong>de</strong>r Hütte noch nicht zwingend geboten.<br />
§ 65 LBO BW (Art. 76 BayBO) bestimmt nämlich, dass die teilweise<br />
o<strong>de</strong>r vollständige Beseitigung <strong>de</strong>r baulichen Anlage durch die<br />
Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> angeordnet wer<strong>de</strong>n kann. Es han<strong>de</strong>lt sich um<br />
einen sog. Ermessens-Tatbestand, <strong>de</strong>n wir im Rahmen von Ausnahmen<br />
und Befreiungen bereits kennen gelernt haben. In diesen Fällen<br />
ist die Behör<strong>de</strong> berechtigt, die entsprechen<strong>de</strong> Anordnung zu treffen,<br />
aber nicht verpflichtet. Die Handhabung <strong>de</strong>s Ermessens, auch und<br />
gera<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>r Anordnung <strong>de</strong>r Beseitigung, muss vom Grundsatz <strong>de</strong>r<br />
Verhältnismäßigkeit und <strong>de</strong>r Gleichheit beherrscht sein. Für die Beseitigung<br />
illegaler baulicher Anlagen be<strong>de</strong>utet dies allerdings, dass die<br />
Beseitigung in <strong>de</strong>r Regel angeordnet wer<strong>de</strong>n muss. Es liegt regelmäßig<br />
im öffentlichen Interesse, gesetzwidrige Zustän<strong>de</strong> zu beseitigen,<br />
also auch das entgegen <strong>de</strong>n bauplanungs- und/o<strong>de</strong>r bauordnungsrechtlichen<br />
Vorschriften erstellte Gebäu<strong>de</strong> (z. B. BVerwG BRS 36,<br />
Nr. 93). Darüber hinaus ist an die Bezugsfälle zu <strong>de</strong>nken, wenn es<br />
sich herumspricht, dass ein Landratsamt gegen solche Schwarzbauten<br />
nicht vorgeht. Gera<strong>de</strong> im Hinblick auf <strong>de</strong>n Gleichheitssatz wäre<br />
es unerträglich, solche Gesetzesverstöße zu tolerieren.<br />
Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite aber kann <strong>de</strong>r Grundsatz <strong>de</strong>r Verhältnismäßigkeit<br />
im Rahmen <strong>de</strong>r Ermessensausübung auch rechtfertigen o<strong>de</strong>r<br />
sogar verlangen, auf die Anordnung <strong>de</strong>r Beseitigung zu verzichten.<br />
Dies war es auch, was Herrn B. im Bezugsfall veranlasste, sich gegen<br />
die Beseitigungsanordnung mit <strong>de</strong>m Argument <strong>de</strong>s „Bestands-<br />
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2. KAPITEL Das Bauordnungsrecht<br />
<strong>beck</strong>-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
schutzes“ zur Wehr zu setzen. Die Rechtsprechung hat nämlich immer<br />
wie<strong>de</strong>r festgestellt, dass im Einzelfall die Beseitigungsanordnung<br />
ermessensfehlerhaft sein kann, wenn gegen die vorhan<strong>de</strong>ne<br />
rechtswidrige Anlage über einen längeren Zeitraum nicht vorgegangen<br />
wur<strong>de</strong>; ein Zeitraum von zehn o<strong>de</strong>r zwanzig Jahren reicht<br />
hierfür aber noch nicht aus (vgl. VGH Mannheim BRS 33, Nr. 182).<br />
Außer<strong>de</strong>m kann es gegen <strong>de</strong>n Gleichheitssatz verstoßen, wenn<br />
gegen <strong>de</strong>n einen „Schwarzbau“ vorgegangen wird, gegen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />
aber nicht (BVerwG NVwZ-RR 1992, 360). Schließlich wäre<br />
es ermessensfehlerhaft, die vollständige Beseitigung eines Gebäu<strong>de</strong>s<br />
anzuordnen, nur weil dieses wenige Zentimeter zu nahe an <strong>de</strong>r<br />
Grundstücksgrenze steht, also die gesetzlich vorgeschriebenen Abstandsflächen<br />
nicht einhält. Die Abwägung zwischen <strong>de</strong>m Interesse<br />
<strong>de</strong>r Öffentlichkeit, illegales Bauen zu verhin<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>s<br />
Nachbarn, durch Grenzabstandsverletzungen nicht beeinträchtigt<br />
zu wer<strong>de</strong>n, und <strong>de</strong>m Interesse <strong>de</strong>s Bauherrn kann und muss hier zu<br />
einem Verzicht auf die Beseitigungsanordnung führen (vgl. OVG<br />
Lüneburg BRS 23 Nr. 198 o<strong>de</strong>r DVBl. 1975, 915). Herrn B. konnte<br />
dies alles nicht helfen. Möglicherweise wäre eine Beseitigungsanordnung<br />
<strong>de</strong>r vom Vater errichteten Hütte ermessensfehlerhaft gewesen.<br />
Der Aus- und Umbau dieser Hütte aber zu einem Wochenendhaus<br />
machte es unmöglich, diesen rechtswidrigen Zustand zu belassen.<br />
Dieselben Überlegungen gelten auch für die Nutzungsuntersagung.<br />
Ein häufiges Beispiel ist hier die Umwandlung von Wohnraum in<br />
Büroräume. In Großstädten wie München, Hamburg o<strong>de</strong>r Berlin<br />
z. B. verstößt dies gegen das Verbot <strong>de</strong>r Zweckentfremdung von<br />
Wohnraum (siehe hierzu im Einzelnen 4. Kap., Abschn. VI). Die Benutzung<br />
dieser Räume als Büroräume steht also im Wi<strong>de</strong>rspruch zu<br />
öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Gemäß § 65 LBO BW (Art. 76<br />
S. 2 BayBO) kann <strong>de</strong>shalb diese Nutzung untersagt wer<strong>de</strong>n. Die<br />
Nutzungsuntersagung entspricht auch regelmäßig <strong>de</strong>m pflichtgemäßen<br />
Ermessen <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>. Gera<strong>de</strong> in <strong>de</strong>n Großstädten<br />
besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, <strong>de</strong>n vorhan<strong>de</strong>nen<br />
Wohnraum zu erhalten.<br />
Selbstverständlich liegt es im Interesse <strong>de</strong>r Allgemeinheit und damit<br />
<strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>n, solche rechtswidrigen Zustän<strong>de</strong> gar<br />
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eck-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
II. Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong>n und Verwaltungsverfahren<br />
nicht erst entstehen zu lassen, rechtswidrige Baumaßnahmen also<br />
so früh wie möglich zu unterbin<strong>de</strong>n. Hierzu dient die Möglichkeit<br />
<strong>de</strong>r Baueinstellung. Wie streng dabei gera<strong>de</strong> auch die Rechtsprechung<br />
ist, zeigt <strong>de</strong>r nachstehen<strong>de</strong><br />
FALL 45: Baueinstellung trotz Bauplanän<strong>de</strong>rung. In G. errichtete<br />
<strong>de</strong>r S. ein Einfamilienhaus. Angeblich aufgrund eines Irrtums <strong>de</strong>r Baufirma<br />
wur<strong>de</strong> die Außenwand 20 cm höher als genehmigt und die Fußpfette<br />
(das untere waagerechte Traggebälk) <strong>de</strong>s Dachstuhles noch einmal<br />
20 cm stärker als geplant. Der Nachbar, <strong>de</strong>m dieses Gebäu<strong>de</strong> von<br />
Anfang an missfiel und <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Baufortschritt mit Argusaugen überwachte,<br />
rief sofort das Landratsamt an und veranlasste eine Nachmessung.<br />
Das Landratsamt stellte die planabweichen<strong>de</strong> Erhöhung um insgesamt<br />
40 cm fest – und <strong>de</strong>n Bau daraufhin ein. Der Bauherr reichte<br />
noch am selben Tag einen sog. Tektur-Bauantrag ein und zog gegen die<br />
Baueinstellung vor Gericht mit <strong>de</strong>r Begründung, dieser Tektur-Bauantrag<br />
könne und müsse genehmigt wer<strong>de</strong>n, weshalb die Baueinstellung<br />
ermessensfehlerhaft sei.<br />
Der BayVGH bestätigte die Baueinstellung. Im Gegensatz zur Baubeseitigung<br />
sei für die Baueinstellung ohne Be<strong>de</strong>utung, dass <strong>de</strong>r<br />
Tektur-Bauantrag wohl genehmigt wer<strong>de</strong>n müsse, weil sich das Vorhaben<br />
auch mit dieser Erhöhung in die umliegen<strong>de</strong> Bebauung nach<br />
§ 34 I BauGB einfüge. Allein die formelle Illegalität, also das Fehlen<br />
<strong>de</strong>r die planabweichen<strong>de</strong> Bauausführung rechtfertigen<strong>de</strong>n Tektur-<br />
Baugenehmigung, rechtfertige die Baueinstellung (BayVGH, Urt.<br />
vom 30. 8. 1991 – Az. 1 CS 91 2527).<br />
Beson<strong>de</strong>re Be<strong>de</strong>utung gewinnt die Baueinstellung dort, wo bauordnungsrechtliche<br />
Vorschriften, insbeson<strong>de</strong>re das Abstandsflächenrecht,<br />
nicht mehr zum Prüfprogramm im vereinfachten Genehmigungsverfahren<br />
gehört, und bei genehmigungsfreigestellten Vorhaben<br />
(siehe oben Ziff. 2). Die Behör<strong>de</strong> kann und muss also <strong>de</strong>n Bau<br />
einstellen, wenn dieser die Abstandsflächen nicht einhält, obwohl<br />
sie vorher eine Baugenehmigung erteilt hat. Dies ist eine Folge <strong>de</strong>s<br />
Auseinan<strong>de</strong>rfallens von formellem und materiellem Baurecht. Die<br />
Behör<strong>de</strong>n dürfen in diesen Fällen die Einhaltung <strong>de</strong>r Abstandsflächenvorschriften<br />
im Genehmigungsverfahren nicht mehr prüfen,<br />
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2. KAPITEL Das Bauordnungsrecht<br />
<strong>beck</strong>-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
müssen aber dafür sorgen, dass keine baurechtswidrigen Zustän<strong>de</strong><br />
entstehen, und <strong>de</strong>shalb die Bauvorhaben überwachen (§ 66 LBO<br />
BW; Art. 77 BayBO), <strong>de</strong>n Bau einstellen und ggf. sogar die Beseitigung<br />
verfügen, wenn das entstehen<strong>de</strong> Gebäu<strong>de</strong> gegen öffentlichrechtliche<br />
Vorschriften, also das Bauordnungsrecht und damit z. B.<br />
das Abstandsflächenrecht verstößt.<br />
III. Das materielle Bauordnungsrecht<br />
Die Bauordnungen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r enthalten nicht nur die eben dargestellten<br />
formellen Bestimmungen, also Verfahrensvorschriften. In<br />
<strong>de</strong>n Bauordnungen fin<strong>de</strong>t sich auch eine Vielzahl von materiellen<br />
Vorschriften, also solchen, die im Interesse <strong>de</strong>r öffentlichen Sicherheit<br />
und Ordnung liegen (früher: Baupolizeirecht). Dementsprechend<br />
fin<strong>de</strong>n sich in <strong>de</strong>n Bauordnungen Vorschriften über die Höhe<br />
<strong>de</strong>r Aufenthaltsräume ebenso wie über die Ausführung <strong>de</strong>r Treppen<br />
und Treppenräume, über Aufzüge ebenso wie über Feuerungsanlagen.<br />
Abgesehen davon, dass diese Bestimmungen mehr aus<br />
technischer als aus juristischer Sicht interessant sind, wür<strong>de</strong> die vollständige<br />
Darstellung <strong>de</strong>n Rahmen dieser Darstellung sprengen.<br />
Einige dieser bauordnungsrechtlichen Bestimmungen aber sind von<br />
so grundsätzlicher Be<strong>de</strong>utung, dass auf sie wenigstens kurz eingegangen<br />
wer<strong>de</strong>n soll. Dies gilt insbeson<strong>de</strong>re für die Vorschriften über<br />
Zugänge und Zufahrten, über Stellplätze und Garagen, über Abstandsflächen<br />
und schließlich über die Baulast. Auch wenn die Vorschriften<br />
<strong>de</strong>s Bauordnungsrechts grundsätzlich „nur“ bestimmen,<br />
wie ein Grundstück bebaut wer<strong>de</strong>n kann, äußerstenfalls also eine<br />
an<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Bauausführung o<strong>de</strong>r Gestaltung notwendig machen,<br />
sind einzelne Vorschriften durchaus geeignet, die Bebauung eines<br />
Grundstücks überhaupt zu verhin<strong>de</strong>rn.<br />
1. Zugänge und Zufahrten auf <strong>de</strong>n Grundstücken<br />
Diese Problematik haben wir im Rahmen <strong>de</strong>r bauplanungsrechtlichen<br />
Erschließung bereits kennen gelernt, ohne die ein Vorhaben<br />
nicht zulässig ist (1. Kap., Abschn. VIII). Die bauordnungsrecht-<br />
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eck-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
III. Das materielle Bauordnungsrecht<br />
lichen Vorschriften z. B. in §§ 3 und 4 LBO BW (Art. 4 BayBO), bekräftigen<br />
und ergänzen diese Notwendigkeit. Gebäu<strong>de</strong> dürfen nur<br />
errichtet wer<strong>de</strong>n, wenn das Grundstück in angemessener Breite an<br />
einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche liegt o<strong>de</strong>r wenn das<br />
Grundstück eine befahrbare, öffentlich-rechtlich gesicherte Zufahrt<br />
zu einer ebenfalls befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche hat<br />
(§ bzw. Art. 4 I). Allerdings verzichtet die BayBO in Art. 4 II (ähnlich<br />
§ 4 LBO BW) inzwischen auf die Befahrbarkeit von Wohnwegen begrenzter<br />
Länge, wenn keine Be<strong>de</strong>nken wegen <strong>de</strong>s Brandschutzes o<strong>de</strong>r<br />
<strong>de</strong>s Rettungsdienstes bestehen; die Widmung solcher Wohnwege ist<br />
nicht mehr erfor<strong>de</strong>rlich, wenn von diesem nur Wohngebäu<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />
Gebäu<strong>de</strong>klassen 1 bis 3 erschlossen und die Benutzbarkeit öffentlich-rechtlich<br />
gesichert ist. Voraussetzung ist, dass das Vorhaben im<br />
Geltungsbereich eines qualifizierten o<strong>de</strong>r vorhabenbezogenen Bebauungsplans<br />
o<strong>de</strong>r im Bereich <strong>de</strong>s § 34 BauGB liegt. Für Ba<strong>de</strong>n-<br />
Württemberg hat <strong>de</strong>r VGH Mannheim diese bloße Zugänglichkeit<br />
für eine kurze Wegstrecke ebenfalls bejaht (BauR 1997, 89). Darüber<br />
hinaus hat er sogar für ein Mehrfamilienhaus eine 2,75 m breite Zufahrt<br />
für ausreichend erachtet (VGH Mannheim BRS 54, Nr. 100).<br />
Diese Vorschriften stellen zunächst eine Einschränkung <strong>de</strong>r Bebaubarkeit<br />
dar, gleichzeitig aber auch eine Erleichterung. Auf <strong>de</strong>r einen<br />
Seite unterstreichen sie die Tatsache, dass ein Grundstück nur und<br />
erst dann als Baugrundstück anzusehen ist, wenn es an einer befahrbaren<br />
öffentlichen Verkehrsfläche liegt und damit die Erschließung<br />
im Sinne <strong>de</strong>r §§ 30 ff. BauGB gesichert ist (vgl. oben 1. Kap.,<br />
Abschn. VIII). Auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite lassen sie einen Privatweg als<br />
Zufahrt (o<strong>de</strong>r sogar nur Zugang) genügen, allerdings unter <strong>de</strong>r Voraussetzung,<br />
dass dieser öffentlich-rechtlich gesichert ist. Allein die<br />
privatrechtliche Gestattung eines Grundstückseigentümers, <strong>de</strong>n<br />
„hinterliegen<strong>de</strong>n“ Nachbarn über sein Grundstück gehen und fahren<br />
zu lassen, reicht nicht aus, auch wenn dieses Geh- und Fahrtrecht<br />
mit einer Grunddienstbarkeit im Grundbuch abgesichert ist.<br />
Die Begründung hierfür ist einfach: Die bei<strong>de</strong>n Vertragspartner<br />
könnten dieses Recht ebenso einfach aufheben, wie sie es bestellt<br />
haben und damit <strong>de</strong>m Grundstück die Zufahrtsmöglichkeit wie<strong>de</strong>r<br />
nehmen. Da diese Erreichbarkeit, insbeson<strong>de</strong>re für Feuerwehr und<br />
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2. KAPITEL Das Bauordnungsrecht<br />
<strong>beck</strong>-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
Rettungsfahrzeuge, auch im öffentlichen Interesse liegt, ist die öffentlich-rechtliche<br />
Sicherung <strong>de</strong>r Zufahrt Voraussetzung für die Bebaubarkeit<br />
<strong>de</strong>s Grundstücks. Diese Sicherung erfolgt in Bayern in<br />
<strong>de</strong>r Weise, dass zugunsten <strong>de</strong>r Stadt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Freistaates eine beschränkt-persönliche<br />
Dienstbarkeit am Zufahrtsgrundstück eingetragen<br />
wird. Ohne <strong>de</strong>ren Zustimmung kann dann das Geh- und<br />
Fahrtrecht nicht mehr beseitigt wer<strong>de</strong>n. Die an<strong>de</strong>ren Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r<br />
arbeiten hier mit Baulasten.<br />
2. Baulasten und Baulastenverzeichnis<br />
Alle Bun<strong>de</strong>slän<strong>de</strong>r mit Ausnahme von Bayern und Bran<strong>de</strong>nburg<br />
kennen dieses Rechtsinstitut. Durch Erklärung gegenüber <strong>de</strong>r Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong><br />
können Grundstückseigentümer solche öffentlich-rechtlichen<br />
Verpflichtungen, also etwa diejenige, <strong>de</strong>n Nachbarn<br />
über das eigene Grundstück fahren zu lassen, übernehmen. Eine<br />
solche Baulast bedarf <strong>de</strong>r Schriftform, muss öffentlich beglaubigt<br />
und im Baulastenverzeichnis eingetragen wer<strong>de</strong>n (vgl. z. B. § 71<br />
LBO BW). Die Baulast geht nur durch schriftlichen Verzicht <strong>de</strong>r<br />
Bauaufsichtsbehör<strong>de</strong> unter. Gegenstand einer solchen Baulast können<br />
die vielfältigsten Verpflichtungen sein, um ein ohne Bestellung<br />
einer solchen Baulast unzulässiges Vorhaben rechtmäßig wer<strong>de</strong>n zu<br />
lassen. Eine Baulast kann auch vom Bauwerber selbst und für das<br />
eigene Grundstück bestellt wer<strong>de</strong>n. Eine solche Möglichkeit sieht<br />
z. B. § 35 VI BauGB vor, etwa um sicherzustellen, dass nur <strong>de</strong>r bisherige<br />
Eigentümer o<strong>de</strong>r seine Familienangehörigen das neu errichtete<br />
Ersatz-Wohngebäu<strong>de</strong> im Außenbereich bewohnen, § 35 IV<br />
Nr. 2 BauGB. Vor allem im Bereich <strong>de</strong>s Bauordnungsrechtes ist die<br />
Baulast geeignet, die Genehmigungsfähigkeit eines Bauvorhabens<br />
herbeizuführen: Hierzu gehört die Sicherung <strong>de</strong>r Zufahrt über ein<br />
Privatgrundstück zur öffentlichen Straße ebenso wie die Übernahme<br />
von Abstandsflächen durch <strong>de</strong>n Nachbarn (siehe dazu nachstehend<br />
Ziff. 4) und die Bereitstellung von Stellplätzen auf einem in<br />
<strong>de</strong>r Nähe gelegenen Grundstück (siehe nachstehend Ziff. 3). Der<br />
Grundstückseigentümer, <strong>de</strong>r ein zivilrechtliches Geh- und Fahrtrecht<br />
am Nachbargrundstück besitzt, <strong>de</strong>m aber die öffentlich-rechtliche<br />
Sicherung fehlt, kann seinen Nachbarn sogar auf Bewilligung<br />
144
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III. Das materielle Bauordnungsrecht<br />
dieser Sicherung, insbeson<strong>de</strong>re durch eine Baulast, verklagen (BGH<br />
NJW 1989, 1607). Mit einer „Flächenbaulast“ kann man die für die<br />
Berechnung <strong>de</strong>r GFZ maßgebliche Grundstücksfläche erweitern<br />
und damit die Voraussetzungen für eine Überschreitung bzw. Befreiung<br />
von <strong>de</strong>r im Bebauungsplan festgesetzten GFZ erreichen<br />
(VGH Mannheim BauR 2003, 1554).<br />
3. Stellplätze und Garagen<br />
Um bebaubar zu sein, benötigt ein Grundstück nicht nur eine ausreichen<strong>de</strong><br />
Zufahrt; darüber hinaus müssen die Fahrzeuge auf <strong>de</strong>m<br />
Grundstück auch abgestellt wer<strong>de</strong>n können. Bauliche Anlagen dürfen<br />
<strong>de</strong>shalb nur errichtet wer<strong>de</strong>n, wenn für <strong>de</strong>n zu erwarten<strong>de</strong>n<br />
Zugangsverkehr Stellplätze o<strong>de</strong>r Garagen in ausreichen<strong>de</strong>r Größe<br />
und Anzahl hergestellt wer<strong>de</strong>n können. Ihre Zahl und Größe richtet<br />
sich nach Art und Zahl <strong>de</strong>r zu erwarten<strong>de</strong>n Kraftfahrzeuge, <strong>de</strong>r<br />
ständigen Benutzer wie <strong>de</strong>r Besucher <strong>de</strong>r Anlage (z. B. Art. 47<br />
BayBO, § 37 LBO BW). Von entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung sind hier<br />
die Stellplatzverordnungen und Richtzahlen <strong>de</strong>r Län<strong>de</strong>r; aber auch<br />
die Kommunen gehen zunehmend dazu über, eigene Stellplatzrichtlinien<br />
zu erlassen. Diese Stellplätze und Garagen sind auf <strong>de</strong>m<br />
Baugrundstück selbst herzustellen o<strong>de</strong>r allenfalls in zumutbarer<br />
Entfernung davon, dann aber nur auf einem Grundstück, „<strong>de</strong>ssen<br />
Benutzung für diesen Zweck öffentlich-rechtlich gesichert wird“<br />
(§ 37 IV LBO BW; Art. 47 III BayBO). Ein Pachtvertrag allein genügt<br />
nicht. Hier kann wie<strong>de</strong>r die Baulast helfen, wie <strong>de</strong>r nachstehen<strong>de</strong><br />
Fall zeigt.<br />
FALL 46: Baulast für fehlen<strong>de</strong> Stellplätze. A. ist Eigentümer eines<br />
La<strong>de</strong>ns in B. Diesen La<strong>de</strong>n möchte er zu einem Café umbauen. Hierfür<br />
benötigt er nach <strong>de</strong>n vorgeschriebenen Richtzahlen zwei zusätzliche<br />
Stellplätze, die er auf <strong>de</strong>m Grundstück selbst nicht nachweisen kann. Er<br />
besitzt aber in einer Entfernung von ca. 50 m ein größeres Grundstück,<br />
auf <strong>de</strong>m Platz für die Anlage dieser zwei zusätzlichen Stellplätze ist.<br />
Gleichwohl verweigert die Stadt die beantragte Nutzungsän<strong>de</strong>rung. Die<br />
Än<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Nutzung selbst sei zwar nach § 34 BauGB genehmigungsfähig,<br />
weil sich das Grundstück in einem Mischgebiet befin<strong>de</strong>t, in <strong>de</strong>m<br />
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2. KAPITEL Das Bauordnungsrecht<br />
<strong>beck</strong>-<strong>shop</strong>.<strong>de</strong><br />
Lä<strong>de</strong>n ebenso zulässig sind wie Gaststätten und Cafés. Die Bereitstellung<br />
<strong>de</strong>r zwei zusätzlichen Stellplätze auf <strong>de</strong>m 50 m entfernten Grundstück<br />
aber könne man nicht akzeptieren.<br />
Auf seine Klage hin verpflichtete das Berufungsgericht die Stadt, die<br />
beantragte Genehmigung zur Nutzungsän<strong>de</strong>rung zu erteilen. Das<br />
eine Grundstück liege noch in zumutbarer Entfernung von <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />
(vgl. Hessischer VGH BauR 1982, 267). Außer<strong>de</strong>m stelle die<br />
Baulast in geeigneter Weise sicher, dass diese Stellplätze auf Dauer<br />
<strong>de</strong>m Baugrundstück zur Verfügung stün<strong>de</strong>n (OVG Lüneburg NJW<br />
1984, 380).<br />
Eine an<strong>de</strong>re, in <strong>de</strong>r Praxis häufige Möglichkeit, trotz fehlen<strong>de</strong>r<br />
Stellplätze zu bauen, eröffnet die Möglichkeit <strong>de</strong>r Stellplatzablöse.<br />
FALL 47: Der Neubau <strong>de</strong>r V-Bank. Die V-Bank will in <strong>de</strong>r Innenstadt<br />
von M. eine neue Zweigstelle errichten. Nach <strong>de</strong>n bauordnungsrechtlichen<br />
Vorschriften und <strong>de</strong>n Stellplatzrichtlinien sind hierfür 30 Stellplätze<br />
nötig, die die V-Bank in zwei Tiefgaragenebenen unterbringen<br />
will. Die Stadt M. erteilt die Baugenehmigung für das Gebäu<strong>de</strong>, nicht<br />
aber für die Tiefgarage, und verlangt statt<strong>de</strong>ssen 200.000 EUR Stellplatzablöse.<br />
Rechtsgrundlage für diese For<strong>de</strong>rung ist Art. 47 III BayBO (§ 37<br />
LBO BW).<br />
Ausgangspunkt ist zunächst einmal die in allen Lan<strong>de</strong>sbauordnungen<br />
vorgesehene Möglichkeit, fehlen<strong>de</strong> Stellplätze durch Geldzahlung<br />
abzulösen. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich um eine durchaus positive<br />
Überlegung <strong>de</strong>s Gesetzgebers. Wer auf seinem Grundstück Stellplätze<br />
in natura nicht herstellen kann, aber auch kein geeignetes<br />
Grundstück in <strong>de</strong>r Nachbarschaft fin<strong>de</strong>t, wo er die fehlen<strong>de</strong>n Stellplätze<br />
nachweisen kann (vgl. oben Fall 46), kann <strong>de</strong>r Kommune<br />
anbieten, die Kosten für die Herstellung <strong>de</strong>r vorgeschriebenen<br />
Stellplätze o<strong>de</strong>r Garagen in angemessener Höhe zu übernehmen,<br />
und zwar aufgrund eines Vertrags zu <strong>de</strong>n Sätzen, die die Kommune<br />
in einer entsprechen<strong>de</strong>n Satzung o<strong>de</strong>r Verordnung festgeschrieben<br />
hat.<br />
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