13.09.2013 Aufrufe

Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de

Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de

Recht und Gerechtigkeit - stiftung-utz.de

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

THOMAS VON AQUIN<br />

RECHT UND GERECHTIGKEIT<br />

Theologische Summe II—II, Fragen 57—79<br />

Nachfolgefassung von Band 18 <strong>de</strong>r<br />

Deutschen Thomasausgabe<br />

Neue Übersetzung<br />

von<br />

Prof. Dr. Josef F. Groner<br />

Anmerkungen, sowie vollständig überarbeiteter<br />

<strong>und</strong> ergänzter Kommentar<br />

von<br />

Prof. Dr. Dr. h.c. Arthur F. Utz<br />

IfG VERLAGSGESELLSCHAFT MBH BONN


CIP-Kurztitelaufnahme <strong>de</strong>r Deutschen Bibliothek<br />

Thomas :<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>: Theol. Summe II—II,<br />

Fragen 57—79/Thomas von Aquin. Anm., sowie vollst, überarb.<br />

u. erg. Kommentar von Arthur F. Utz. —<br />

Nachfolgefassung von Bd. 18 d. Deutschen Thomasausgabe/<br />

neue Ubers, von Josef F. Groner. — Bonn: IfG-Verlagsgesellschaft, 1987.<br />

Einheitssacht.: Summa theologica Teiiausg.<br />

ISBN 3-922183-15-8<br />

NE: Utz, Arthur [Hrsg.]


VORWORT<br />

Der 18. Band <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe war kurze Zeit<br />

nach seinem Erscheinen (1953) vergriffen. Die Anfragen, ob ich<br />

noch irgendwo ein Exemplar dieses Ban<strong>de</strong>s auftreiben könne,<br />

häuften sich. Einige Bibliotheken teilten mir sogar mit, <strong>de</strong>r Band<br />

sei abhan<strong>de</strong>n gekommen. Der Verlag Styria/Graz konnte sich<br />

für eine Neuauflage nicht entschließen. Dankenswerterweise<br />

hat es nun <strong>de</strong>r Verlag <strong>de</strong>s Instituts für Gesellschaftswissen­<br />

schaften Walberberg in Bonn gewagt, diese Nachfolgefassung<br />

zu übernehmen.<br />

Die Nachfolgefassung unterschei<strong>de</strong>t sich bereits äußerlich<br />

von <strong>de</strong>r ersten Auflage innerhalb <strong>de</strong>r Deutschen Thomasaus­<br />

gabe. Sie bringt nicht mehr <strong>de</strong>n lateinischen Text. Ein Großteil<br />

<strong>de</strong>r Leser <strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aquin ist mit <strong>de</strong>m<br />

Lateinischen nicht mehr so vertraut, wie man es noch vor etwa<br />

fünfzig Jahren voraussetzen konnte. Die übrigen Leser können<br />

eine <strong>de</strong>r leicht zugänglichen lateinischen Summa-Ausgaben ein­<br />

sehen. Wer die <strong>de</strong>utsche Übersetzung <strong>de</strong>r ersten Auflage von<br />

Bd. 18 <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe zur Hand nimmt, ist<br />

zum vollen Verständnis sehr oft auf das Mitlesen <strong>de</strong>r lateinischen<br />

Parallele angewiesen. Darum bestand die Absicht, eine <strong>de</strong>utsche<br />

Übersetzung anzufertigen, die ohne Rückgriff auf <strong>de</strong>n lateini­<br />

schen Text voll <strong>und</strong> ganz verständlich sein sollte. Als neuen<br />

Übersetzer konnte ich meinen Mitbru<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong> Prof.<br />

Dr. Groner gewinnen. Mit sprachlichem Geschick <strong>und</strong> mit<br />

gründlicher Kenntnis <strong>de</strong>s Thomas-Lateins hat er nun einen<br />

<strong>de</strong>utschen Text erstellt, <strong>de</strong>r das Original adaequat auf <strong>de</strong>utsch<br />

wie<strong>de</strong>rgibt, weshalb man auf die lateinische Vorlage verzichten<br />

kann.<br />

Den Kommentar habe ich vollständig überarbeitet <strong>und</strong> zum<br />

Teil auch wesentlich ergänzt. Auch im Teil „Anmerkungen"<br />

wird <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die erste Auflage besitzt, manche Än<strong>de</strong>run­<br />

gen feststellen. Auf die allgemein in wissenschaftlichen Werken<br />

eingehaltene Gewohnheit, möglichst viel Literatur in Fußnoten<br />

V


anzuführen, habe ich verzichtet. Ein Kommentar zu Thomas<br />

von Aquin sollte nicht schon nach wenigen Jahren als veraltet<br />

beiseite gelegt wer<strong>de</strong>n, weil <strong>de</strong>r literarische Apparat <strong>de</strong>n wissen­<br />

schaftlichen Prestigenormen nicht mehr zu entsprechen scheint.<br />

Ich habe lediglich <strong>de</strong>n einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Titel, <strong>de</strong>r für <strong>de</strong>n Band<br />

von einiger Be<strong>de</strong>utung ist, im Literaturverzeichnis nachgetra­<br />

gen. Wer mehr wünscht, kann meine „Bibliographie <strong>de</strong>r Sozial­<br />

ethik" zu Rate ziehen. Die gr<strong>und</strong>sätzlichen Fragen über das<br />

Naturrecht bei Thomas von Aquin, die <strong>de</strong>m vorliegen<strong>de</strong>n Band<br />

thematisch vorausgehen (I—II 90—97), möchte ich auf gleiche<br />

Weise wie hier an absehbarer Zeit herausbringen, dies u. a. (vgl.<br />

Anm. 1 in <strong>de</strong>r Einleitung) <strong>de</strong>shalb, weil ich mich mit diesem<br />

Kommentar seit Jahrzehnten beschäftige.<br />

Übersetzer <strong>und</strong> Kommentator danken Dr. Brigitta Gräfin<br />

von Galen für die redaktionelle Überarbeitung <strong>de</strong>r Manu­<br />

skripte, die Lesung <strong>de</strong>r Korrekturen <strong>und</strong> die Erstellung <strong>de</strong>r<br />

Verzeichnisse.<br />

Mit <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Neufassung hoffen Übersetzer <strong>und</strong><br />

Kommentator, <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe einen Dienst<br />

erwiesen zu haben.<br />

VI<br />

A.F.Utz OP


INHALTSVERZEICHNIS<br />

VORWORT V<br />

EINLEITUNG XIX<br />

DER AUFBAU DER ARTIKEL XXVI<br />

TEXT 1<br />

57. FRAGE: DAS RECHT 3<br />

1. Artikel: Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>? .... 3<br />

2. Artikel: Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> posi­<br />

tives <strong>Recht</strong> eingeteilt? 5<br />

3. Artikel: Ist das Völkerrecht das gleiche wie das Naturrecht ? 7<br />

4. Artikel: Müssen väterliches <strong>und</strong> herrschaftliches <strong>Recht</strong><br />

beson<strong>de</strong>rs unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n? 9<br />

58. FRAGE: DIE GERECHTIGKEIT 12<br />

1. Artikel: Ist die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>: Der unwan­<br />

<strong>de</strong>lbare <strong>und</strong> feste Wille, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben,<br />

richtig? 12<br />

2. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen? 15<br />

3. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> Tugend? 17<br />

4. Artikel: Hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren Sitz im Willen? .... 18<br />

5. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend"? .... 20<br />

6. Artikel: Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> als allgemeine Tugend wesent­<br />

lich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend gleich? 21<br />

7. Artikel: Gibt es außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> noch<br />

eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong>? 23<br />

8. Artikel: Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit einen eigenen Wirk­<br />

bereich? 25<br />

9. Artikel: Hat die Gesetzesgerechtigkeit etwas mit <strong>de</strong>n Lei­<br />

<strong>de</strong>nschaften zu tun? 27<br />

10. Artikel: Ist die Tugendmitte gleich <strong>de</strong>r Sachmitte? 29<br />

VII


11. Artikel: Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m<br />

das Seine zu geben? 30<br />

12. Artikel: Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n? 32<br />

59. FRAGE: DIE UNGERECHTIGKEIT 34<br />

1. Artikel: Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster? . . 34<br />

2. Artikel: Heißt jemand ungerecht, weil <strong>de</strong>r Ungerechtes tut? 35<br />

3. Artikel: Kann jemand willentlich Unrecht lei<strong>de</strong>n? 37<br />

4. Artikel: Sündigt schwer, wer Unrecht tut? • 39<br />

60. FRAGE: DIE RECHTSPRECHUNG 41<br />

1. Artikel: Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ? 41<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen? 43<br />

3. Artikel: Ist ein Urteil auf bloßen Verdacht hin erlaubt? . . 45<br />

4. Artikel: Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin<br />

gelöst wer<strong>de</strong>n? 47<br />

5. Artikel: Muß man immer nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz<br />

<strong>Recht</strong> sprechen? 49<br />

6. Artikel: Wird die <strong>Recht</strong>sprechung durch Anmaßung beein­<br />

trächtigt? 50<br />

61. FRAGE: DIE TEILE DER GERECHTIGKEIT 53<br />

1. Artikel: Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, die austei­<br />

len<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong>? 53<br />

2. Artikel: Wird die „Mitte" bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> auf gleiche Weise<br />

bestimmt? 55<br />

3. Artikel: Haben die bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> ver­<br />

schie<strong>de</strong>ne Materien? 57<br />

4. Artikel: Ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin das gleiche wie Ver­<br />

geltung? 60<br />

62. FRAGE: DIE RÜCKERSTATTUNG 63<br />

1. Artikel: Ist die Rückerstattung ein Akt <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

VIII<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>? 63


2. Artikel: Ist die Rückgabe einer entwen<strong>de</strong>ten Sache zum<br />

ewigen Heil notwendig? 65<br />

3. Artikel: Genügt es, einfach das zurückzugeben, was zu<br />

Unrecht weggenommen wur<strong>de</strong>? 67<br />

4. Artikel: Muß jemand zurückgeben, was er nicht entwen<strong>de</strong>t<br />

hat? 68<br />

5. Artikel: Muß man immer <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m<br />

man etwas genommen hat? 70<br />

6. Artikel: Muß immer jener zurückerstatten, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat? 72<br />

7. Artikel: Sind die, die nichts entwen<strong>de</strong>t haben, zur Wie<strong>de</strong>r­<br />

erstattung verpflichtet? 74<br />

8. Artikel: Muß man sofort zurückgeben o<strong>de</strong>r darf man die<br />

Restitution hinauszögern? 77<br />

63. FRAGE: DAS „ANSEHEN DER PERSON" 79<br />

1. Artikel: Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>? 79<br />

2. Artikel: Spielt bei <strong>de</strong>r Verleihung von geistlichen Gütern<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Rolle? 81<br />

3. Artikel: Kommt es bei <strong>de</strong>r Erweisung von Ehre <strong>und</strong> Hoch­<br />

achtung zum „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ? 84<br />

4. Artikel: Gibt es bei Gerichtsentscheidungen die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

„Ansehens <strong>de</strong>r Person" ? 85<br />

64. FRAGE: DER MORD 87<br />

1. Artikel: Darf man irgendwelche Lebewesen töten? 87<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten? 89<br />

3. Artikel: Darf eine Privatperson einen Sün<strong>de</strong>r töten? .... 91<br />

4. Artikel: Ist es Geistlichen erlaubt, Verbrecher zu töten? . . 92<br />

5. Artikel: Darf man sich selber töten? . 94<br />

6. Artikel: Darf man in bestimmten Fällen einen Unschuldi­<br />

gen töten? 97<br />

7. Artikel: Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten? 99<br />

8. Artikel: Verstrickt sich, wer zufällig einen Menschen tötet,<br />

in Schuld? 101<br />

IX


65. FRAGE: ANDERE ARTEN VON UNRECHT GEGEN<br />

PERSONEN 103<br />

1. Artikel: Kann es gegebenenfalls erlaubt sein, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verstümmeln? 103<br />

2. Artikel: Dürfen Väter ihre Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Herren ihre<br />

Dienerschlagen? 105<br />

3. Artikel: Ist es erlaubt, einen Menschen einzukerkern? . . . 107<br />

4. Artikel: Wird die Sün<strong>de</strong> schwerer, wenn durch die gegen<br />

bestimmte Personen begangenen Unrechtstaten<br />

an<strong>de</strong>re mitbetroffen wer<strong>de</strong>n? 108<br />

66. FRAGE: DIEBSTAHL UND RAUB 111<br />

1. Artikel: Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von<br />

Natur aus zu ? 111<br />

2. Artikel: Ist Privateigentum erlaubt? 113<br />

3. Artikel: Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r geheimen Wegnahme<br />

einer frem<strong>de</strong>n Sache? 115<br />

4. Artikel: Sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub spezifisch verschie<strong>de</strong>ne<br />

Sün<strong>de</strong>n? 116<br />

5. Artikel: Ist Diebstahl immer Sün<strong>de</strong>? 118<br />

6. Artikel: Ist Diebstahl schwere Sün<strong>de</strong>? 120<br />

7. Artikel: Darf man aus Not stehlen? 121<br />

8. Artikel: Kann Raub Sün<strong>de</strong> sein? 123<br />

9. Artikel: Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl? . . . 125<br />

67. FRAGE: DIE MISSACHTUNG DER GERECHTIGKEIT<br />

X<br />

BEI DER AUSÜBUNG DES RICHTERAMTES 126<br />

1. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n<br />

er nicht zuständig ist? 126<br />

2. Artikel: Ist es erlaubt, angesichts <strong>de</strong>r vorgebrachten Aus­<br />

sagen ein Urteil gegen das eigene bessere Wissen<br />

Zufällen? 128<br />

3. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Richter tätig wer<strong>de</strong>n, auch wenn kein<br />

Kläger vorhan<strong>de</strong>n ist? 130<br />

4. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Richter die Strafe erlassen? 132


68. FRAGE: DIE UNGERECHTE ANKLAGE 134<br />

1. Artikel: Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben? 134<br />

2. Artikel: Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n? . . . 136<br />

3. Artikel: Wird die Anklage ungerecht durch Verleumdung,<br />

Verheimlichung (praevaricatio) <strong>und</strong> Wi<strong>de</strong>rruf (ter-<br />

giversatio)? 137<br />

4. Artikel: Verfällt ein Ankläger, <strong>de</strong>r in seiner Beweisführung<br />

versagt, <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung? 139<br />

69. FRAGE: DIE SÜNDEN DES ANGEKLAGTEN GEGEN<br />

DIE GERECHTIGKEIT 142<br />

1. Artikel: Kann <strong>de</strong>r Angeklagte, ohne eine Todsün<strong>de</strong> zu be­<br />

gehen, die Wahrheit leugnen, die seine Verurtei­<br />

lung zur Folge hätte? 142<br />

2. Artikel: Darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit unredlichen Mitteln<br />

verteidigen? 144<br />

3. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Schuldige Berufung einlegen, um <strong>de</strong>r Ver­<br />

urteilung zu entgehen? 146<br />

4. Artikel: Darf sich ein zum Tod Verurteilter verteidigen,<br />

wenn er kann? 148<br />

70. FRAGE: DIE VERSTÖSSE GEGEN DIE GERECHTIG­<br />

KEIT DURCH DEN ZEUGEN 150<br />

1. Artikel: Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet? 150<br />

2. Artikel-: Genügt die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen? 152<br />

3. Artikel: Kann die Aussage eines Zeugen, ohne daß bei ihm<br />

Schuld vorliegt, zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n? 155<br />

4. Artikel: Ist falsche Zeugenaussage immer Todsün<strong>de</strong>? .... 157<br />

71. FRAGE: DIE UNGERECHTIGKEITEN, DIE VOR<br />

GERICHT DURCH DIE ANWÄLTE BEGAN­<br />

GEN WERDEN 159<br />

1. Artikel: Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sbeistand im<br />

Prozeß eines Armen mitzuwirken? 159<br />

2. Artikel: Ist es in Ordnung, daß bestimmte Personen recht­<br />

mäßig vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer­<br />

<strong>de</strong>n? 161<br />

XI


3. Artikel: Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r eine ungerechte Sache<br />

vertritt? 163<br />

4. Artikel: Darf <strong>de</strong>r Anwalt für seinen <strong>Recht</strong>sbeistand Geld<br />

nehmen? 165<br />

72. FRAGE: DIE SCHMÄHUNG 167<br />

1. Artikel: Besteht die Schmähung in Worten? 167<br />

2. Artikel: Ist Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung Todsün<strong>de</strong>? . . 169<br />

3. Artikel: Muß man zugefügte Schmähung dul<strong>de</strong>n? 171<br />

4. Artikel: Entspringt die Schmähung <strong>de</strong>m Zorn? 173<br />

73. FRAGE: DIE EHRABSCHNEIDUNG 175<br />

1. Artikel: Besteht die Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Anschwärzung<br />

frem<strong>de</strong>n Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte? .... 175<br />

2. Artikel: Ist Ehrabschneidung Todsün<strong>de</strong>? 177<br />

3. Artikel: Ist Ehrabschneidung die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten, 179<br />

4. Artikel: Sündigt <strong>de</strong>r Zuhörer, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r ge­<br />

währen läßt, schwer? 182<br />

74. FRAGE: DIE OHRENBLÄSEREI 185<br />

1. Artikel: Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei<br />

von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung? 185<br />

2. Artikel: Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als<br />

die Ohrenbläserei? 186<br />

75. FRAGE: DIE VERSPOTTUNG 189<br />

1. Artikel: Ist die Verspottung eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>? 189<br />

2. Artikel: Kann Verspottung Todsün<strong>de</strong> sein? 191<br />

76. FRAGE: DIE VERFLUCHUNG 193<br />

1. Artikel: Darf man jemand verfluchen? 193<br />

2. Artikel: Darf man etwas Vernunftloses verfluchen? 195<br />

3. Artikel: Ist Verfluchen Todsün<strong>de</strong>? 197<br />

4. Artikel: Ist Verfluchen eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrab­<br />

xn<br />

schneidung? 198


77. FRAGE: DER BETRUG BEI KAUF UND VERKAUF . . 200<br />

1. Artikel: Darf man etwas über seinen Wert verkaufen? . . . 200<br />

2. Artikel: Wird <strong>de</strong>r Verkauf ungerecht <strong>und</strong> unerlaubt wegen<br />

Fehlerhaftigkeit <strong>de</strong>r verkauften Sache? 203<br />

3. Artikel: Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hin­<br />

weisen? 206<br />

4. Artikel: Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis<br />

höher sein als <strong>de</strong>r Einkaufspreis? 208<br />

78. FRAGE: DIE SÜNDE DES ZINSNEHMENS 211<br />

1. Artikel: Ist es Sün<strong>de</strong>, Zins für geliehenes Geld anzuneh­<br />

men? 211<br />

2. Artikel: Kann man für ein Darlehen irgen<strong>de</strong>ine an<strong>de</strong>re<br />

Gefälligkeit erbitten? 215<br />

3. Artikel: Muß man <strong>de</strong>n Gewinn aus Wucherzinsen zurück­<br />

erstatten? 219<br />

4. Artikel: Ist es erlaubt, gegen Zins ein Darlehen aufzuneh­<br />

men? 220<br />

79. FRAGE: DIE DER VERVOLLSTÄNDIGUNG DIENEN­<br />

DEN TEILTUGENDEN DER GERECHTIG­<br />

KEIT 223<br />

1. Artikel: Sind Das-Gute-tun <strong>und</strong> Das-Böse-mei<strong>de</strong>n Teile<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>? 223<br />

2. Artikel: Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art? . . 225<br />

3. Artikel: Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art? . 227<br />

4. Artikel: Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer als die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung? 229<br />

ANMERKUNGEN 233<br />

KOMMENTAR 263<br />

Zur Einführung 265<br />

ERSTER TEIL: DAS WESEN DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57-60) 267<br />

XIII


Erstes Kapitel: Das <strong>Recht</strong> als Gegenstand <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (Fr. 57) 267<br />

I. Der Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s (Art. 1) 267<br />

II. Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong> (Art. 2-4) 274<br />

1. Die Entstehung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Natur <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

positiven Satzung (Art. 2) 274<br />

2. Die Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>r­<br />

nen <strong>Recht</strong>sphilosophie 277<br />

a) Die Normen <strong>de</strong>s Naturrechts 277<br />

b) Der rechtslogische Prozeß von <strong>de</strong>n Normen zum<br />

konkreten <strong>Recht</strong> 289<br />

3. Das „jus gentium" (Art. 3) 292<br />

4. Vaterrecht <strong>und</strong> Herrschaftsrecht (Art. 4) 298<br />

Zweites Kapitel: <strong>Gerechtigkeit</strong> als Tugend (Fr.58) 302<br />

1. Die allgemeine Begriffsbestimmung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren sittliche Bewandtnis (Art. 1-4) 302<br />

2. Die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das Problem <strong>de</strong>r sozialen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 5 u. 6) 307<br />

3. Die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit (Art. 7-10) 312<br />

4. Das gerechte Tun (Art. 11) 313<br />

5. Die Werthöhe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 12) 314<br />

Drittes Kapitel: Die Ungerechtigkeit (Fr.59) 315<br />

Viertes Kapitel: Die <strong>Recht</strong>sprechung (Fr.60) 317<br />

ZWEITER TEIL: DIE TEILTUGENDEN DER GERECH­<br />

TIGKEIT (Fr. 61-79) 322<br />

Erstes Kapitel: Die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die austeilen<strong>de</strong> Ge­<br />

rechtigkeit (Fr. 61 u. 62) 322<br />

Zweites Kapitel: Die Sün<strong>de</strong>n gegen die austeilen<strong>de</strong> Gerech­<br />

tigkeit. Die falsche Rücksicht auf Personen<br />

(Fr. 63) 325<br />

Drittes Kapitel: Die Sün<strong>de</strong>n gegen die ausgleichen<strong>de</strong> Ge­<br />

XIV<br />

rechtigkeit (Fr. 64-78) 327


I. Der Mord (Fr. 64) 328<br />

1. Die To<strong>de</strong>sstrafe (Art. 1-4) 328<br />

a) Schuld <strong>und</strong> Strafe 329<br />

b) Staatsgewalt <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe 333<br />

2. Der Selbstmord (Art. 5) 338<br />

a) Der Selbstmord als Verbrechen gegen sich selbst . . . 340<br />

b) Der Selbstmord als Verbrechen gegen die Gesellschaft 341<br />

c) Der Selbstmord als Sün<strong>de</strong> gegen Gott 341<br />

3. Die Tötung unschuldigen Lebens (Art. 6) 342<br />

4. Die Tötung eines lebensgefährlichen Angreifers (Art. 7) 343<br />

II. Die an<strong>de</strong>rn Eingriffe in das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Person, wie Körper­<br />

verletzung, Züchtigung, Freiheitsberaubung (Fr. 65) 346<br />

1. Die Körperverstümmelung (Art. 1) 346<br />

2. Die Prügelstrafe (Art. 2) 348<br />

3. Kerkerhaft <strong>und</strong> Gewahrsam (Art. 3) 349<br />

4. Das Unrecht in seiner Aus<strong>de</strong>hnung auf einen weiteren<br />

Personenkreis (Art. 4) 350<br />

III. Diebstahl <strong>und</strong> Raub (Fr. 66) 351<br />

A. Das Eigentumsrecht (Art. 1 u. 2) 351<br />

1. Der Streit um die Auslegung <strong>de</strong>r thomasischen Texte 351<br />

2. Das Eigentum als Naturrecht in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Schau­<br />

weise 354<br />

3. Die Lehre vom Eigentum in <strong>de</strong>r christlichen Tradition . . 365<br />

4. Die Lehre über das Eigentum beim hl. Thomas 385<br />

a) Der Zweck <strong>de</strong>r Güterwelt. Ihre soziale Bestimmung 385<br />

b) Kommunismus o<strong>de</strong>r private Eigentumsordnung? . . . 389<br />

c) Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum ein Naturrecht? 394<br />

d) Die Reichweite <strong>de</strong>s Privaten 397<br />

e) Der Eigentumsbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft 398<br />

B. Die sittliche Bewertung <strong>de</strong>s Diebstahls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Raubes<br />

(Art. 3-9) 401<br />

XV


IV. Die Ungerechtigkeiten im gerichtlichen Prozeß (Art. 67-71) 405<br />

1. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Richters (Fr. 67) . . 405<br />

2. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Klägers (Fr. 68) . . . 406<br />

3. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Angeklagten (Fr. 69) 407<br />

4. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>r Zeugen (Fr. 70) . . 408<br />

5. Die Ungerechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Anwalts (Fr. 71) . . 409<br />

V. Die außergerichtlichen, durch Worte verursachten Unge­<br />

rechtigkeiten (Fr. 72-76) 411<br />

1. Die Schmähung (Fr. 72) 411<br />

2. Die Ehrabschneidung (Fr. 73) 412<br />

3. Die Ohrenbläserei (Fr. 74) 413<br />

4. Die Verspottung (Fr. 75) 413<br />

5. Die Verfluchung (Fr. 76) 414<br />

VI. Die Ungerechtigkeit in <strong>Recht</strong>sgeschäften (Fr. 77 u. 78) . . 414<br />

A. DerBetrug —die Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n gerechten Preis (Fr. 77) 416<br />

1. Der gerechte Preis 416<br />

2. Die Han<strong>de</strong>lsmoral 419<br />

B. Der Zins (Fr. 78) 424<br />

1. Die Beurteilung <strong>de</strong>r Rente (census) 426<br />

2. Der Darlehenszins 435<br />

Viertes Kapitel: Die Wesenselemente gerechten Han<strong>de</strong>lns<br />

(Fr. 79) 442<br />

Exkurs I: Die Anwendung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r Ganzheit auf die<br />

Gesellschaftslehre 444<br />

Exkurs II: Der Wan<strong>de</strong>l im Begriff <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit. Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> — soziale Liebe .... 448<br />

Exkurs III: Der Gemeinwohlbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> die<br />

XVI<br />

katholische Soziallehre 456<br />

1. Die Frage nach <strong>de</strong>r Systematik <strong>de</strong>r Sozialethik bei Tho­<br />

mas von Aquin <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre . . . 456<br />

2. Der Konsens in <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>thesen <strong>de</strong>r katholischen<br />

Soziallehre 457


3. Analyse <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r päpstlichen Ver­<br />

lautbarungen 461<br />

Unterscheidung von Wert- <strong>und</strong> Handlungsordnung . . 461<br />

Das Gemeinwohl als ethischer Wert 462<br />

Das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Handlungs­<br />

ordnung 469<br />

Das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> das ihm entsprechen<strong>de</strong><br />

Subsidiaritätsprinzip 472<br />

Zusammenfassung 475<br />

4. Die philosophische <strong>und</strong> theologische Interpretation <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r kirchlichen Soziallehre 477<br />

Das Objekt <strong>de</strong>r Interpretation 477<br />

a) Das Gemeinwohl bei Thomas von Aquin 479<br />

Zusammenfassung 484<br />

b) Das Gemeinwohl im Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach . 486<br />

c) Das Gemeinwohl bei Johannes Messner 493<br />

5. Die Anwendung <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffs <strong>de</strong>r katho­<br />

lischen Soziallehre auf die Bestimmung <strong>de</strong>r Wohlfahrt. . 495<br />

Abkürzungen 499<br />

Literaturverzeichnis 503<br />

Alphabetisches Sachverzeichnis 523<br />

Namenverzeichnis 541<br />

XVII


EINLEITUNG<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Band überrascht wohl <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Leser<br />

durch die Reichhaltigkeit an Themen, die unter <strong>de</strong>m Sammelbe­<br />

griff „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" zusammengefaßt wer<strong>de</strong>n.<br />

Thomas breitet hier eine <strong>Recht</strong>sphilosophie aus, die sich mit<br />

vielen Einzelheiten <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Zusammenseins<br />

befaßt <strong>und</strong> die darum schon rein äußerlich in die Richtung<br />

weist, nach welcher alle Einzeltraktate eingestellt sind: in die<br />

Richtung <strong>de</strong>s Naturrechts. Mit mo<strong>de</strong>rnen Begriffen ausge­<br />

drückt: es han<strong>de</strong>lt sich hier um eine „<strong>Recht</strong>sphilosophie", eine<br />

„Gesellschafts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie" <strong>und</strong> nicht zuletzt um<br />

eine „Wirtschaftsethik", wobei <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wirtschaftsethik<br />

nicht etwa nur ein allgemein sittlich-gutes Verhalten in wirt­<br />

schaftlichen Fragen besagen, son<strong>de</strong>rn das <strong>Recht</strong>sverhältnis aus­<br />

drücken will, das in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft geltend sein<br />

soll. Es gibt kaum ein Thema dieses Ban<strong>de</strong>s, das uns Mo<strong>de</strong>rne<br />

nicht zutiefst anspricht o<strong>de</strong>r wenigstens aufhorchen läßt <strong>und</strong> zu<br />

intensiverem Studium anregen wird. Neben <strong>de</strong>n gr<strong>und</strong>sätz­<br />

lichen Erörterungen über die Wesenheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, seine Ent­<br />

stehung, seine völkerumfassen<strong>de</strong> Spannweite, seine Beziehung<br />

zur Moral, vernehmen wir Wichtiges über die Gr<strong>und</strong>rechte <strong>de</strong>s<br />

Menschen, über das <strong>Recht</strong> auf Leben - in Verbindung damit<br />

über das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Staatsgewalt, die To<strong>de</strong>sstrafe zu verhängen -<br />

<strong>und</strong> über das <strong>Recht</strong> auf körperliche Unversehrtheit. Nicht<br />

zuletzt kommt auch das <strong>Recht</strong> auf Eigentum zur Sprache. Mit<br />

diesem letzten Fragenkomplex führt Thomas bereits ins Gebiet<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaftsethik ein. Hier sind es dann vor allem die mit<br />

<strong>de</strong>m Kapital <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Kapitalrendite, <strong>de</strong>m arbeitslosen Einkom­<br />

men, zusammenhängen<strong>de</strong>n Fragen, mit <strong>de</strong>nen sich Thomas<br />

beschäftigt. In Wahrheit also eine Summe <strong>de</strong>s Naturrechts als<br />

einer rechtlich friedlichen Regelung <strong>de</strong>r politischen, gesell­<br />

schaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Ordnung.<br />

Um nicht über all diese brennen<strong>de</strong>n Gegenwartsfragen nur<br />

Allgemeines zu sagen, sei kurz auf die aktuelle Be<strong>de</strong>utung<br />

zweier gr<strong>und</strong>legen<strong>de</strong>n Erkenntnisse hingewiesen, die <strong>de</strong>m<br />

mo<strong>de</strong>rnen Leser <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Ban<strong>de</strong>s als neu <strong>und</strong> unerwar­<br />

tet auffallen dürften <strong>und</strong> müßten:<br />

XIX


1. die thomasische Begründung <strong>de</strong>s Naturrechts, die durch<br />

die traditionelle Kommentierung manche Verschiebung, wenn<br />

nicht gar Verzeichnung erfahren hat 1 ;<br />

2. die Rückorientierung <strong>de</strong>r Eigentumslehre <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit<br />

zusammenhängen<strong>de</strong>n Probleme auf die altchristliche Tradition,<br />

die in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen wirtschaftsethischen Diskussion allzu<br />

leicht übersehen wird.<br />

1. An Naturrechtslehrern hat es bis heute nicht gefehlt. Und<br />

auch an <strong>de</strong>r Berufung auf Thomas von Aquin mangelt es nicht.<br />

Ob man sich aber jeweils <strong>de</strong>r Tragweite einer solchen Berufung<br />

auf Thomas bewußt war? So hoch auch die Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas von <strong>de</strong>n ewigen Normen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> von <strong>de</strong>m<br />

damit gegebenen erkenntnistheoretischen Standpunkt eines<br />

gemäßigten Realismus anzuschlagen ist, so wäre <strong>de</strong>r mensch­<br />

lichen Gesellschaft damit noch nicht viel gedient, da diese Lehre<br />

allein rechtsphilosophisch nur ein Bruchstück wäre, utopisch,<br />

unbrauchbar für die Wirklichkeit. Man re<strong>de</strong>t eigentlich noch gar<br />

nicht vom spezifisch thomasischen Naturrecht, solange man<br />

nur die ewig gelten<strong>de</strong>n Normen menschlichen Zusammenseins<br />

meint. Und <strong>de</strong>r Kampf mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>spositivismus wird von<br />

seiten <strong>de</strong>r Scholastiker mit papiernen Waffen ausgefochten,<br />

solange sie einzig auf absolute Sittennormen für die Menschen<br />

pochen, aber nicht beweisen, daß diese Sittennormen zugleich<br />

auch <strong>Recht</strong>snormen im Sinne <strong>de</strong>r Organisation <strong>de</strong>s äußeren<br />

Lebens <strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r sind, <strong>und</strong> dazu <strong>Recht</strong>snor­<br />

men, die nicht nur ewig gelten, son<strong>de</strong>rn vor allem hier <strong>und</strong> jetzt<br />

in dieser genau bestimmten Form.<br />

Die <strong>Recht</strong>spositivisten haben darum immer <strong>de</strong>n Finger auf<br />

<strong>de</strong>n w<strong>und</strong>en Punkt <strong>de</strong>r Naturrechtslehre vieler Scholastiker<br />

gelegt, in<strong>de</strong>m sie Antwort verlangten auf die Frage: Auf wel-<br />

1 Thomas setzt allerdings in diesem Traktat die allgemeine Lehre vom Naturrecht<br />

voraus, die er in I—II 94-97 dargestellt hat. Ich habe vor, diesen Traktat<br />

<strong>de</strong>r Summa in einem eigenen Band zu veröffentlichen, da gera<strong>de</strong> dieser Teil im<br />

Kommentar <strong>de</strong>s bereits erschienenen Ban<strong>de</strong>s 13 <strong>de</strong>r Deutschen Thomasausgabe<br />

spärlich behan<strong>de</strong>lt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>r Zinslehre <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>lsmoral <strong>de</strong>s hl. Thomas, die<br />

bei<strong>de</strong> in diesem Band zu Wort kommen, kann ich in dieser Einleitung nicht<br />

näher eingehen. Ich verweise auf <strong>de</strong>n Kommentar. Daß Thomas das Gewinnmotiv<br />

ablehnt, darf nicht überraschen. Wenn die Börsenspekulation (beson<strong>de</strong>rs<br />

auf <strong>de</strong>m Geldmarkt) keine sozialwirtschaftliche Funktion mehr ausübt,<br />

also einzig durch das individualistische Gewinnmotiv begrün<strong>de</strong>t ist, dann gilt<br />

das Verdikt, mit <strong>de</strong>m Thomas das Gewinnmotiv belegt, auch heute noch.<br />

XX


chem rechtslogischen Wege gelangt <strong>de</strong>r Mensch zu <strong>de</strong>m im kon­<br />

kreten Leben gelten<strong>de</strong>n Naturrecht, nicht also nur zu irgend­<br />

welchen Naturrechtsnormen, son<strong>de</strong>rn zu einem hier <strong>und</strong> jetzt<br />

gelten<strong>de</strong>n natürlichen <strong>Recht</strong>? Wo ist das Organ, welches rechts­<br />

erzeugend die ewigen Normen in konkret gelten<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong><br />

umformt? Den <strong>Recht</strong>spositivisten von heute geht es eigentlich<br />

nicht um die Leugnung ewiger Gewissensnormen, die unser<br />

Gemeinschaftsleben regeln sollen. Die mo<strong>de</strong>rne Soziologie<br />

beweist zur Genüge, daß das <strong>Recht</strong>liche bei weitem nicht die<br />

einzige Kategorie ist, welche das gesellschaftliche Leben ordnet.<br />

Und alle Juristen sind sich darüber im klaren, daß isoliertes<br />

<strong>Recht</strong> die Gesellschaft nicht erhält, son<strong>de</strong>rn ertötet, gemäß <strong>de</strong>m<br />

angeblichen Ausspruch Ferdinands L: Fiat justitia, pereat<br />

m<strong>und</strong>us. Die absolute Notwendigkeit einer wenigstens einiger­<br />

maßen standfesten Moral besagt aber noch nicht, daß die Moral<br />

schon eine <strong>Recht</strong>skategorie sei. Dem Mo<strong>de</strong>rnen will es nicht<br />

einleuchten, daß man hier das Gewissen in <strong>de</strong>n rechtslogischen<br />

Prozeß, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Normen zum gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong> führt, ein­<br />

schalten könne, zumal die Soziologie nachzuweisen glaubt, daß<br />

das Gewissen <strong>de</strong>r Menschen keine einheitliche Struktur besitze.<br />

W. Friedmann macht in seinem Buch „An introduction to world<br />

politics" (London 1951) die Feststellung, daß dasselbe Indivi­<br />

duum im politischen Raum mit einem ganz an<strong>de</strong>ren Gewissen<br />

urteile, als es im persönlichen Leben zu tun gewohnt sei. Der<br />

duldsamste <strong>und</strong> nachsichtigste Privatmann kann als Politiker in<br />

<strong>de</strong>r Verteidigung seiner nationalen Interessen über Menschen­<br />

leben, über ganze Nationen hinwegschreiten! Mit wieviel spöt­<br />

tischer Verachtung spricht nicht oft <strong>de</strong>r Christ von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn<br />

Nation, während er sich sonst im persönlichen Leben um die<br />

christliche Nächstenliebe zu bemühen glaubt! Und was Fried­<br />

mann vom Politiker auf internationaler Plattform sagt, das gilt<br />

entsprechend auch im nationalen Raum, hier allerdings oft in<br />

umgekehrtem Verhältnis: Das Gewissen <strong>de</strong>s einzelnen Men­<br />

schen schreckt meistens noch vor öffentlichen sittlichen Ver­<br />

brechen zurück, während es im geheimen Winkel <strong>de</strong>s privaten<br />

Lebens zu ähnlichen Untaten schon längst fähig <strong>und</strong> gewillt ist.<br />

Bei dieser Sachlage scheint es also unmöglich, das Gewissen<br />

als Richter über die rechtlich zu formulieren<strong>de</strong> Moral anzu­<br />

rufen. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: es fehlt an <strong>de</strong>r rechtserzeugen<strong>de</strong>n<br />

Kraft, welche die ewigen Normen menschlichen Han<strong>de</strong>lns <strong>und</strong><br />

menschlichen Zusammenseins in Form eines naturhaften Pro-<br />

XXI


zesses - <strong>de</strong>nn dies wäre für ein wirkliches Naturrecht unum­<br />

gänglich - auf die jeweilige Gegenwart anwen<strong>de</strong>t. Solange es<br />

nicht möglich ist, diesen natürlichen Prozeß bis ins konkrete<br />

<strong>Recht</strong> hinein durchzuführen, verbleiben die Naturrechtsfor<strong>de</strong>­<br />

rungen am Himmel <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>en, die höchstens für eine <strong>Recht</strong>s­<br />

politik, nicht aber für eine eigentliche <strong>Recht</strong>serzeugung in Frage<br />

kommen. In <strong>de</strong>r Ungewißheit, auf diese ernste Frage <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>spositivismus eine stichhaltige Antwort zu geben, haben<br />

sich eben die Scholastiker allzuoft mit <strong>de</strong>r unermüdlichen Wie­<br />

<strong>de</strong>rholung <strong>de</strong>r ewigen Gültigkeit <strong>de</strong>s Naturrechts begnügt,<br />

ohne zu beweisen, daß dieses <strong>Recht</strong> gera<strong>de</strong> in diesem Augen­<br />

blick <strong>und</strong> in dieser Situation nur in einmaliger Weise gelten<br />

kann.<br />

Hier ist eine ernste Besinnung auf die Naturrechtslehre <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas gefor<strong>de</strong>rt, wie er sie wirklich vorgetragen hat, <strong>und</strong><br />

nicht, wie sie als in seinem vermeintlichen „Geiste" von einigen<br />

Erklärern neueren <strong>und</strong> älteren Datums dargestellt wird. Diese<br />

genuin thomasische Naturrechtsauffassung ist sehr wohl<br />

imstan<strong>de</strong>, <strong>de</strong>n soziologischen Bef<strong>und</strong> einer Zeit mitaufzu­<br />

nehmen in die konkrete Formulierung eines wirklichen Natur­<br />

rechts, nicht bloß eines an <strong>de</strong>n ewigen natürlichen Sittennor­<br />

men gemessenen positiven <strong>Recht</strong>s. Thomas vermag dies, weil<br />

er erstens das <strong>Recht</strong> - auch das Naturrecht - wirklich als einen<br />

konkreten Inhalt erkennt <strong>und</strong> weil es ihm zweitens gelungen<br />

ist, das Gewissen trotz aller menschlichen Deka<strong>de</strong>nz <strong>und</strong><br />

Gewissensmißbildung im rechtslogischen Prozeß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

erzeugung zu retten. Nach Thomas bedarf beispielsweise <strong>de</strong>r<br />

Katalog <strong>de</strong>r Menschenrechte <strong>de</strong>r UNO zur konkreten Gültig­<br />

keit nicht unbedingt <strong>de</strong>r positiven Anerkennung durch die<br />

jeweiligen Verfassungen <strong>de</strong>r einzelnen Nationen (unter <strong>de</strong>r Vor­<br />

aussetzung, daß diese Menschenrechte <strong>de</strong>m eigentlichen<br />

Naturrecht entsprechen wür<strong>de</strong>n). Damit ist dann zugleich die<br />

Frage eines Kriegsverbrecherprozesses gelöst, mit <strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>r<br />

Thomaskommentar Victoria ausdrücklich auseinan<strong>de</strong>rsetzt 2 .<br />

Weitere Ausführungen über diese Probleme können wir uns mit<br />

<strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>n Kommentar zu Fr. 57 ersparen.<br />

2 Vgl. die ausgezeichnete Einleitung von PaulHadrossek zu: Francisco <strong>de</strong> Victoria,<br />

De Indis recenter inventis et <strong>de</strong> jure belli Hispanorum in Barbaras relectiones.<br />

Zur Deutung <strong>de</strong>r Völkerrechtslehre Victorias durch Paul Hadrossek<br />

vergleiche meine Besprechung in: Politeia 4 (1952) 226-228.<br />

XXII


2. In <strong>de</strong>r Eigentumsfrage sind wir heute durchweg <strong>de</strong>r<br />

selbstverständlich scheinen<strong>de</strong>n Anschauung, daß die Begrün­<br />

dung <strong>de</strong>s Eigentumsrechts <strong>de</strong>s einzelnen Menschen in erster<br />

Linie auf <strong>de</strong>m individual-personalen Charakter <strong>de</strong>s Menschen<br />

beruhe, so daß man von einem unabän<strong>de</strong>rlichen „Naturrecht"<br />

<strong>de</strong>s Einzelmenschen auf „sein" Eigentum re<strong>de</strong>t. Wenngleich<br />

sich auch aus <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre diese Schluß-<br />

folgerung bei folgerichtigem Weiter<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Naturrechtsauf­<br />

fassung <strong>de</strong>s hl. Thomas ergibt, so hätte Thomas selbst diese<br />

Schlußfolgerung niemals von vornherein als philosophischen<br />

Gr<strong>und</strong>satz aufgestellt. Für ihn ergibt sich die Legitimierung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s auf Privateigentum aus <strong>de</strong>m Gemeinwohl, ganz im Ein­<br />

klang mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition. Mit dieser An­<br />

schauung ist er, <strong>de</strong>r „Aristoteliker", <strong>de</strong>r auch in diesem Punkte<br />

beinahe alle Einzelheiten seinem philosophischen Lehrmeister<br />

verdankt, eben doch nicht Aristoteliker, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r<br />

christlichen Uberlieferung gebil<strong>de</strong>te Theologe. Dies hervorzu­<br />

heben dürfte beson<strong>de</strong>rs wichtig sein, weil man gemeiniglich die<br />

Abhängigkeit <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aristoteles allzusehr über­<br />

treibt. Der Geist <strong>und</strong> die Gr<strong>und</strong>auffassung <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Eigentumslehre ist durchaus altchristlich, nicht aristotelisch.<br />

Ganz im Gegensatz hierzu haben die christlichen Liberalisten<br />

<strong>de</strong>n aristotelischen Gedanken von einem apriorischen „Natur­<br />

recht" auf Privateigentum - nicht zwar als Gefolgsmänner <strong>de</strong>s<br />

Stagyriten, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Individualismus <strong>de</strong>s 19. Jahrh<strong>und</strong>erts -<br />

allzu leichtfertig <strong>und</strong> ohne Rückbesinnung auf <strong>de</strong>n eigentlich<br />

christlich-logischen Weg, <strong>de</strong>r in Wahrheit zu dieser Schlußfolge­<br />

rung führen kann, das „Naturrecht" auf Privateigentum zur un­<br />

umstößlichen Devise <strong>de</strong>r Wirtschaftsethik gemacht. Die Kor­<br />

rektur wur<strong>de</strong> durch die päpstlichen Verlautbarungen vor­<br />

genommen. Mit <strong>de</strong>r logischen Weichenstellung, die Thomas in<br />

diesem gesamten Fragenkomplex vorgenommen hat, stehen<br />

unsere wirtschaftsethischen Diskussionen über freie <strong>und</strong><br />

geb<strong>und</strong>ene Wirtschaft, über privatkapitalistische Wirtschafts­<br />

weise in einem ganz neuen Zusammenhang. Im Hinblick auf<br />

die Be<strong>de</strong>utung einer solchen Wie<strong>de</strong>rent<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s altchrist­<br />

lichen Gedankengutes bei Thomas - gegenüber einem Großteil<br />

bisheriger Kommentare - wird man es <strong>de</strong>m Kommentator nicht<br />

verübeln, wenn er in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m Eigentumsrecht (Fr. 66<br />

Art. 1 u. 2) die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Texte <strong>de</strong>r Kirchenväter so aus­<br />

führlich anführt. Die Texte sind vielleicht altbekannt, ihre Ver-<br />

XXIII


wertung bei <strong>de</strong>m „Aristoteliker" Thomas aber ist lei<strong>de</strong>r zu un­<br />

bekannt.<br />

Der Leser einer Summa theologica wird natürlich mit <strong>Recht</strong><br />

nach <strong>de</strong>m theologischen Gehalt dieses Traktates über <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> fragen. In <strong>de</strong>r Tat ist die innere Struktur<br />

dieses Traktates zunächst rein natürlich, da die natürliche Sach­<br />

lage das <strong>Recht</strong> bestimmt. Die Ordnung in <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Gemeinschaft wird, wie auch die päpstlichen Verlautbarungen<br />

immer wie<strong>de</strong>r betonen, durch das <strong>Recht</strong> erstellt. Wenigstens<br />

schwebt <strong>de</strong>m vernünftig Ordnen<strong>de</strong>n zunächst ein gedankliches<br />

Mo<strong>de</strong>ll einer Ordnung gemäß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> vor. Es ist<br />

gera<strong>de</strong> ein verdienstvolles Kennzeichen <strong>de</strong>r Denkweise <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas, die Ordnungen nicht zu verwischen. Nirgendwo fin­<br />

<strong>de</strong>t sich bei ihm auch nur ein Anflug von einem utopischen<br />

Gedanken an eine I<strong>de</strong>algemeinschaft unter Menschen auf<br />

Er<strong>de</strong>n, die einzig durch <strong>de</strong>n spontanen Impuls <strong>de</strong>r Liebe ein­<br />

gerichtet wer<strong>de</strong>n könnte. Da aber das <strong>Recht</strong> für eine Gesell­<br />

schaft gilt, <strong>de</strong>ren Einheits- <strong>und</strong> Lebensprinzip die in Gott ver­<br />

ankerte Ethik ist, darum eben öffnet sich für die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

die Sicht ins typisch Theologische. Zu wie<strong>de</strong>rholten Malen<br />

erklärt Thomas, daß mit <strong>de</strong>r Bedrohung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die<br />

christliche Existenz überhaupt bedroht ist. Nichts an<strong>de</strong>res als<br />

die Liebe hält das menschliche Auge für das <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Billige<br />

wach. Die göttliche Liebe ist es, die <strong>de</strong>m Menschen die Verant­<br />

wortung gegenüber <strong>de</strong>r gerechten Ordnung einschärft.<br />

Pius XII. hat diesen christlichen Gehalt <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> in seiner Osteransprache vom 9. April 1939 in die<br />

Worte gefaßt: „Freilich ist es das Anliegen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die Normen jener Weltordnung, die erstes <strong>und</strong> hauptsächliches<br />

F<strong>und</strong>ament eines festgefügten Frie<strong>de</strong>ns ist, aufzustellen <strong>und</strong><br />

unversehrt zu bewahren. Doch kann diese allein die schwie­<br />

rigen Hin<strong>de</strong>rnisse nicht überwin<strong>de</strong>n, die oft genug <strong>de</strong>r Verwirk­<br />

lichung <strong>und</strong> Festigung <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns sich entgegenstellen.<br />

Wenn sich darum zur starr <strong>und</strong> scharf abgegrenzten Gerechtig­<br />

keit nicht die Liebe zu brü<strong>de</strong>rlichem B<strong>und</strong>e gesellt, dann wird<br />

allzu leicht das geistige Auge vor Dunkelheit die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn nicht mehr sehen können, das Ohr wird taub gegenüber<br />

<strong>de</strong>r Stimme jener Billigkeit, die, wenn sie mit willigem <strong>und</strong> ver­<br />

ständigem Bemühen untersucht wird, auch die verworrensten<br />

<strong>und</strong> schwierigsten Streitfälle in vernünftiger Ordnung lösen<br />

XXIV


<strong>und</strong> beschwichtigen kann." (Utz-Groner, Soziale Summe<br />

Pius XII., Nr. 3641).<br />

Der vorliegen<strong>de</strong> Band will keine Patentlösung für die darin<br />

behan<strong>de</strong>lten Fragen bieten. Dem Leser könnte kein größeres<br />

MißVerständnis <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s hl. Thomas unter­<br />

laufen. Wohl aber wird je<strong>de</strong>r eifrig Studieren<strong>de</strong> sich eine sichere<br />

geistige Haltung aneignen können, die ihn instandsetzt, im<br />

echten Geiste <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>de</strong>n Weg zu einer konkreten<br />

Lösung <strong>de</strong>r brennen<strong>de</strong>n Gegenwartsfragen unserer aufgewühl­<br />

ten Gesellschaft zu fin<strong>de</strong>n.<br />

A. F. Utz<br />

XXV


DER AUFBAU DER ARTIKEL<br />

1. Die Titelfrage zum Artikel stammt nicht von Thomas<br />

selbst, son<strong>de</strong>rn ist <strong>de</strong>r Einleitung zum ersten Einwand ent­<br />

nommen, mit <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r Artikel beginnt („Es scheint, daß<br />

nicht..." o<strong>de</strong>r „Es scheint, daß..."). In <strong>de</strong>r Ubersetzung ist<br />

diese Einleitung weggelassen, weil sie in <strong>de</strong>r Titelfrage zum<br />

Ausdruck kommt.<br />

2. Auf die Titelfrage folgen mehrere in <strong>de</strong>r Thomas-Literatur<br />

als „Einwän<strong>de</strong>" bezeichnete Argumente, welche die Unter­<br />

suchung einleiten. In <strong>de</strong>r Übersetzung sind sie einfach mit<br />

Nummern versehen. Wenn auf solche Einwän<strong>de</strong> verwiesen<br />

wird, benützt die Übersetzung die Abkürzung E. (= Einwand).<br />

3. Im „Dagegen" (Sed contra) begrün<strong>de</strong>t Thomas die <strong>de</strong>n<br />

vorausgehen<strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n entgegengesetzte These mit einem<br />

o<strong>de</strong>r mehreren Autoritätsbeweisen, teilweise aus <strong>de</strong>r<br />

Hl. Schrift, teilweise aus Aristoteles <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren philosophi­<br />

schen o<strong>de</strong>r theologischen Autoren.<br />

In <strong>de</strong>r „Antwort" (wörtlich: „Meines Erachtens ist zu<br />

sagen") entwickelt Thomas seine eigene Doktrin. Dieser Teil<br />

wird in <strong>de</strong>r Thomasliteratur als „corpus articuli" bezeichnet.<br />

4. Auf die „Antwort" folgen die Erwi<strong>de</strong>rungen auf die Ein­<br />

wän<strong>de</strong>. In <strong>de</strong>r Übersetzung wer<strong>de</strong>n sie durch „Zu 1", „Zu 2",<br />

„Zu 3" usw. eingeleitet, entsprechend <strong>de</strong>m Lateinischen „Ad<br />

primum", „Ad sec<strong>und</strong>um", „Ad tertium" usw.<br />

XXVI


TEXT


57 FRAGE<br />

DAS RECHT<br />

Nach <strong>de</strong>r Klugheit ist nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Dabei kommt ein Vierfaches unter Betracht: 1. die Gerechtig­<br />

keit, 2. ihre Teile, 3. die entsprechen<strong>de</strong> Gabe <strong>de</strong>s Heiligen Gei­<br />

stes, 4. die zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören<strong>de</strong>n Gebote.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> umfaßt vier Themen: 1. das <strong>Recht</strong>, 2. die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als solche, 3. die Ungerechtigkeit, 4. das Urteil.<br />

Zum ersten Punkt stellen sich vier Fragen:<br />

1. Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> eingeteilt?<br />

3. Sind Völkerrecht <strong>und</strong> Naturrecht dasselbe?<br />

4. Muß das <strong>Recht</strong> noch beson<strong>de</strong>rs in herrschaftliches <strong>und</strong><br />

väterliches <strong>Recht</strong> unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Der <strong>Recht</strong>sgelehrte Celsus sagt: „Das <strong>Recht</strong> ist die Kunst<br />

<strong>de</strong>s Guten <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>en" (Dig.1,1; KR I,29a). Die Kunst ist<br />

aber nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn meint an sich<br />

intellektuelles Können. Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Nach Isidors Etymologie (V, 3; ML 82,199) ist das Gesetz<br />

„eine Art <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s". Das Gesetz ist aber nicht das Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn mehr <strong>de</strong>r Klugheit. Daher führt Aristo­<br />

teles (Eth.VI,8; 1141 b25) die Gesetzgebung auch als Teil <strong>de</strong>r<br />

Klugheit an. Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Vor allem ist es die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die <strong>de</strong>n Menschen<br />

Gott unterwirft. Augustinus sagt nämlich im Buch De moribus<br />

ecclesiae (c. 15; ML 32,1322): „Die Liebe, die Gott allein dient,<br />

ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> darum beherrscht sie vortrefflich auch<br />

alles, was <strong>de</strong>m Menschen unterworfen ist". Doch das <strong>Recht</strong><br />

gehört nicht zu <strong>de</strong>n göttlichen, son<strong>de</strong>rn nur zu <strong>de</strong>n mensch­<br />

lichen Dingen, sagt doch Isidor (Etym.V, 2; ML 82,198): „Sitt­<br />

lichkeit ist göttliches Gesetz, <strong>Recht</strong> aber ist menschliches<br />

Gesetz". Also ist das <strong>Recht</strong> nicht Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3


DAGEGEN steht, daß Isidor ebendort (c.3; ML 82,199)<br />

schreibt: „Es heißt etwas ,<strong>Recht</strong>', weil es gerecht ist". Doch das<br />

Gerechte ist das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Aristoteles sagt näm­<br />

lich im V. Buch seiner Ethik (c. 1; 1129 a 7): „Alle wollen jenen<br />

Habitus ,<strong>Gerechtigkeit</strong>' nennen, durch <strong>de</strong>n sie gerechte Werke<br />

vollbringen". Also ist das <strong>Recht</strong> Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

ANTWORT. Im Unterschied zu an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ist es<br />

eine beson<strong>de</strong>re Eigenart <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>n sachbezogenen<br />

Umgang <strong>de</strong>s Menschen mit an<strong>de</strong>ren in eine Ordnung zu brin­<br />

gen. Sie besagt nämlich, wie schon <strong>de</strong>r Name nahelegt, einen<br />

gewissen Ausgleich. In <strong>de</strong>r Umgangssprache heißt ja das, was<br />

ausgeglichen wird, „richtig"stellen. Ausgleich aber ist auf an<strong>de</strong>­<br />

res bezogen. Die übrigen Tugen<strong>de</strong>n hingegen vervollkommnen<br />

<strong>de</strong>n Menschen nur in Bezug auf ihn selbst. Was bei diesen<br />

Tugen<strong>de</strong>n das Richtige ist - worauf die Tugend als auf ihr<br />

wesenseigenes Objekt hinzielt -, versteht sich nur im Hinblick<br />

auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n. Das „Richtige" jedoch im Werk <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ergibt sich - abgesehen von <strong>de</strong>r subjektiven Sicht<br />

auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n - durch die Beziehung zu etwas an<strong>de</strong>rem.<br />

Was nämlich in unserem Tun als gerecht bezeichnet wird,<br />

berührt in Form irgen<strong>de</strong>ines Ausgleichs einen an<strong>de</strong>ren, z.B. die<br />

Bezahlung <strong>de</strong>s geschul<strong>de</strong>ten Lohnes für eine Dienstleistung.<br />

So heißt nun also etwas „gerecht", das sich durch die <strong>Recht</strong>­<br />

heit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, worin die gerechte Handlung besteht,<br />

auszeichnet. Auf welche Weise dies vom Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n zustan<strong>de</strong><br />

gebracht wird, bleibt dabei außer Betracht. Das <strong>Recht</strong>e bei <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n hingegen wird nicht unabhängig von <strong>de</strong>m<br />

bestimmt, was <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong> irgendwie tut. Deshalb wird <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Gegensatz zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n als<br />

eigentliches Objekt das zugewiesen, was wir das „<strong>Recht</strong>e"<br />

nennen. Und das ist das <strong>Recht</strong>. Somit wird klar, daß das <strong>Recht</strong><br />

Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist.<br />

Zu 1. Es ist ganz geläufig, daß die Namen von <strong>de</strong>m, was sie<br />

ursprünglich bezeichneten, auf an<strong>de</strong>res übertragen wer<strong>de</strong>n. So<br />

wird das Wort „Medizin" zunächst zur Bezeichnung <strong>de</strong>s Heil­<br />

mittels für <strong>de</strong>n Kranken, <strong>de</strong>r geheilt wer<strong>de</strong>n soll, gebraucht,<br />

dann jedoch wur<strong>de</strong> es auf die Kunst angewandt, durch die das<br />

geschieht. Ebenso wur<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m Namen „<strong>Recht</strong>" zunächst die<br />

rechte Sache belegt, sodann übertrug man ihn auf die Kunst,<br />

mittels <strong>de</strong>rer das <strong>Recht</strong>e erkannt wird, außer<strong>de</strong>m zur Kenn­<br />

zeichnung <strong>de</strong>s Ortes, wo <strong>Recht</strong> gesprochen wird, wie wenn<br />

4


man sagt, es müsse jemand vor „<strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>" (d. h. vor Gericht) 57. 2<br />

erscheinen, <strong>und</strong> schließlich heißt auch das noch „<strong>Recht</strong>", was<br />

vom amtlichen <strong>Recht</strong>spfleger gesprochen wird, selbst wenn<br />

seine Entscheidung ungerecht ist.<br />

Zu 2. Wie das sichtbare Kunstwerk zuerst als künstlerische<br />

Leiti<strong>de</strong>e im Geist <strong>de</strong>s Künstlers vorhan<strong>de</strong>n ist, so ist auch vom<br />

Werk <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> das, was von <strong>de</strong>r Vernunft bestimmt<br />

wird, zuvor im Geist als eine I<strong>de</strong>e vorhan<strong>de</strong>n, gleichsam als<br />

Richtschnur <strong>de</strong>r Klugheit. Wenn dies dann schriftlich festgelegt<br />

wird, spricht man von „Gesetz". Nach Isidor (Etym.V, 3;<br />

ML 82,199) be<strong>de</strong>utet nämlich Gesetz soviel wie „geschriebene<br />

Ordnung". Somit ist, genau gesagt, „Gesetz" nicht das gleiche<br />

wie „<strong>Recht</strong>", son<strong>de</strong>rn die Ursache <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s [1].<br />

Zu 3. Weil <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich be<strong>de</strong>utet, wir aber Gott<br />

nichts Gleichwertiges anbieten können, vermögen wir ihm<br />

gegenüber auch nicht vollen <strong>Recht</strong>sausgleich zu schaffen. Des­<br />

halb heißt das göttliche Gesetz im eigentlichen Sinn auch nicht<br />

einfach „<strong>Recht</strong>", son<strong>de</strong>rn eben „Göttliches <strong>Recht</strong>" („fas"), <strong>de</strong>nn<br />

Gott ist zufrie<strong>de</strong>n, wenn wir tun, was wir können. Dennoch<br />

strebt die <strong>Gerechtigkeit</strong> dahin, daß <strong>de</strong>r Mensch Gott soviel<br />

zurückerstattet, als er vermag, <strong>und</strong> dies geschieht dadurch, daß<br />

er sich ihm völlig unterwirft.<br />

2. ARTIKEL<br />

"Wird das <strong>Recht</strong> zutreffend in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> eingeteilt?<br />

1. Was naturhaft ist, ist unverän<strong>de</strong>rlich <strong>und</strong> bei allen gleich.<br />

So etwas fin<strong>de</strong>t man jedoch unter menschlichen Verhältnissen<br />

nicht, <strong>de</strong>nn alle menschlichen <strong>Recht</strong>sregeln versagen einmal da<br />

o<strong>de</strong>r dort <strong>und</strong> setzen sich nicht überall durch. Also gibt es kein<br />

Naturrecht.<br />

2. Was vom menschlichen Willen festgesetzt wird, heißt<br />

„positiv". Doch was vom Willen <strong>de</strong>s Menschen festgesetzt wird,<br />

ist <strong>de</strong>swegen nicht auch schon gerecht, sonst könnte <strong>de</strong>r Wille<br />

<strong>de</strong>s Menschen ja nie ungerecht sein. Da nun das Gerechte soviel<br />

ist wie <strong>Recht</strong>, gibt es also kein positives <strong>Recht</strong>.<br />

3. Göttliches <strong>Recht</strong> ist nicht gleich Naturrecht, da es über<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Natur liegt. Es ist aber auch kein positives<br />

<strong>Recht</strong>, weil es sich nicht auf menschliche, son<strong>de</strong>rn auf göttliche<br />

5


57. 2 Autorität stützt. Also ist die Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in natür­<br />

liches <strong>und</strong> positives unangebracht.<br />

DAGEGEN steht das Aristoteleswort (Eth. V, 10; 1134bl8):<br />

„Für <strong>de</strong>n gerechten Staatsmann ist das eine (<strong>Recht</strong>) natürlich,<br />

das an<strong>de</strong>re gesetzlich", d. h. durch Gesetz festgelegt.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 1) gesagt, ist das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das<br />

<strong>Recht</strong>e eine angemessene Leistung zugunsten eines an<strong>de</strong>ren<br />

gemäß einem Modus <strong>de</strong>s Ausgleichs. Auf zweifache Weise nun<br />

kann einem Menschen etwas angemesen sein. Einmal aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Sache, wie wenn z. B. jemand soviel gibt, um genau soviel<br />

zu erhalten. In diesem Fall spricht man von Naturrecht. - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise ist etwas angemessen aufgr<strong>und</strong> einer Abmachung<br />

o<strong>de</strong>r allgemeinen Ubereinkunft, wie wenn sich jemand zufrie­<br />

<strong>de</strong>n gibt bei so<strong>und</strong>soviel Gegenleistung. Auch dies kann auf<br />

doppelte Weise geschehen: einmal aufgr<strong>und</strong> einer privaten Ver­<br />

einbarung, wie sie durch einen Vertrag zwischen privaten Per­<br />

sonen abgeschlossen wird. Ein an<strong>de</strong>res Mal gemäß einer öffent­<br />

lichen Ubereinkunft, z. B. wenn ein ganzes Volk zustimmt, daß<br />

etwas mit einem an<strong>de</strong>ren als verglichen o<strong>de</strong>r angemessen gelten<br />

soll, o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sherr, <strong>de</strong>m die Sorge für das Volk<br />

obliegt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r es in seiner Person vertritt, dies anordnet. Dann<br />

ist von positivem <strong>Recht</strong> die Re<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Das Naturhafte, das einem Wesen mit unverän<strong>de</strong>r­<br />

licher Natur eigen ist, muß sich immer <strong>und</strong> überall gleich­<br />

bleiben. Die Natur <strong>de</strong>s Menschen aber ist verän<strong>de</strong>rlich. Darum<br />

kann das Natürliche <strong>de</strong>s Menschen bisweilen versagen. Z. B.<br />

entspricht es <strong>de</strong>m naturgemäßen Ausgleich, daß <strong>de</strong>m Hinter­<br />

leger das Hinterlegte zurückgegeben wer<strong>de</strong>, <strong>und</strong> wenn die<br />

menschliche Natur stets „recht" wäre, müßte man sich immer<br />

daran halten. Weil jedoch <strong>de</strong>r menschliche Wille bisweilen ver­<br />

<strong>de</strong>rbt ist, kommt es vor, daß man das Hinterlegte nicht zurück­<br />

geben darf, damit ein Mensch mit verwerflicher Absicht nicht<br />

schlechten Gebrauch davon macht, wie z. B. wenn ein Geistes­<br />

gestörter o<strong>de</strong>r ein Staatsfeind seine hinterlegten Waffen zurück­<br />

for<strong>de</strong>rn wollte [2].<br />

Zu 2. Der Mensch mit seinem freien Willen kann aufgr<strong>und</strong><br />

allgemeiner Abmachung in Dingen, die keinen Wi<strong>de</strong>rspruch zur<br />

natürlichen <strong>Gerechtigkeit</strong> besagen, etwas als gerecht bestim­<br />

men. Und hier nun fin<strong>de</strong>t das positive <strong>Recht</strong> sein Betätigungs­<br />

feld. Daher sagt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1134 b 20): „Das gesetzlich Gerechte ist das, was gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

6


an<strong>de</strong>rs sein kann. Ist es aber einmal festgelegt, dann hat es einen 57 3<br />

Unterschied zur Folge". Steht jedoch etwas zum Naturrecht im<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch, dann kann es durch menschlichen Willensent­<br />

scheid nicht als gerecht erklärt wer<strong>de</strong>n, wie z. B. wenn fest­<br />

gesetzt wür<strong>de</strong>, daß Diebstahl o<strong>de</strong>r Ehebruch erlaubt seien.<br />

Daher heißt es bei Isaias 10,1: „Weh <strong>de</strong>nen, die unheilvolle<br />

Gesetze erlassen!"<br />

Zu 3. Jenes <strong>Recht</strong> heißt „göttlich", das durch Gott k<strong>und</strong>­<br />

getan wird. Es bezieht sich teilweise auf das naturhaft Gerechte<br />

- seine <strong>Gerechtigkeit</strong> bleibt <strong>de</strong>m Menschen jedoch verborgen -,<br />

teilweise auf das, was durch göttliche Verfügung gerecht wird.<br />

Daher kann, wie das menschliche <strong>Recht</strong>, auch das göttliche<br />

nach diesen zwei Gesichtspunkten unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Denn auch im göttlichen Gesetz gibt es manches, das geboten<br />

wird, weil es in sich gut, <strong>und</strong> manches, das verboten wird, weil<br />

es in sich schlecht ist, wie auch etwas, das nur gut ist, weil es<br />

geboten, <strong>und</strong> nur schlecht, weil es verboten wird [3].<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist das Völkerrecht [4] das gleiche wie das Naturrecht?<br />

1. Die Menschen kommen nur in <strong>de</strong>m überein, was ihnen<br />

naturhaft innewohnt. Doch im Völkerrecht kommen alle<br />

Menschen überein, sagt doch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgelehrte (Dig. 1,1;<br />

KR 1,29 a): „Völkerrecht ist, was bei <strong>de</strong>n Völkern <strong>de</strong>r Menschen<br />

in Gebrauch steht". Also ist das Völkerrecht das gleiche wie das<br />

Naturrecht.<br />

2. Sklaverei ist unter <strong>de</strong>n Menschen etwas Naturgegebenes,<br />

sagt doch Aristoteles im I.Buch seiner Politik (c.4; 1254a 15):<br />

„Manche sind von Natur aus Sklaven". Nach Isidor (Etym.V, 6;<br />

ML 82,199) nun gehört die Sklaverei zum Völkerrecht. Also<br />

sind Völkerrecht <strong>und</strong> Naturrecht dasselbe.<br />

3. Das <strong>Recht</strong> wird, wie oben ausgeführt, in natürliches <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong> eingeteilt. Doch das Völkerrecht ist kein posi­<br />

tives, <strong>de</strong>nn niemals sind alle Völker übereingekommen, um auf­<br />

gr<strong>und</strong> gemeinsamer Abmachung etwas festzulegen. Also ist das<br />

Völkerrecht Naturrecht.<br />

DAGEGEN steht IsidorsWort (Etym.V, 6; ML 82,199): „Das<br />

<strong>Recht</strong> ist entwe<strong>de</strong>r ein natürliches o<strong>de</strong>r ein bürgerliches o<strong>de</strong>r<br />

7


57 3 Völkerrecht" - Und so wird das Völkerrecht vom Naturrecht<br />

unterschie<strong>de</strong>n.<br />

ANTWORT. Das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das naturhaft Gerechte ist<br />

jenes, das aufgr<strong>und</strong> seiner Natur einem an<strong>de</strong>ren angeglichen o<strong>de</strong>r<br />

angemessen ist (vgl.o. Art. 2). Dies kann auf zweifache Weise<br />

<strong>de</strong>r Fall sein. Einmal unter seinem absoluten Betracht so wie<br />

z.B. <strong>de</strong>m Männlichen eine naturhafte Hinordnung auf das Weib­<br />

liche zum Zweck <strong>de</strong>r Zeugung eigen ist <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mutter auf das<br />

Kind zum Zweck <strong>de</strong>s Nährens. Auf an<strong>de</strong>re Weise ist etwas <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren angemessen nicht aufgr<strong>und</strong> absolut gültigen Verhält­<br />

nisses, son<strong>de</strong>rn aufgr<strong>und</strong> von etwas, das sich aus diesem ergibt,<br />

z. B. die Eigenart <strong>de</strong>r Besitzaufteilung. Betrachtet man etwa<br />

diesen Acker absolut, dann spielt es keine Rolle, ob er diesem<br />

o<strong>de</strong>r jenem gehört. Faßt man ihn jedoch unter <strong>de</strong>m Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>r vorteilhaften Bearbeitung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r friedlichen Nut­<br />

zung ins Auge, dann zeigt sich eine gewisse Angemessenheit<br />

dafür, daß er diesem <strong>und</strong> nicht jenem gehöre (Aristoteles<br />

Pol.II,5; 1262a21) [5].<br />

Etwas absolut erfassen ist nicht nur <strong>de</strong>m Menschen, son<strong>de</strong>rn<br />

auch an<strong>de</strong>ren Sinnenwesen eigen. Darum ist das <strong>Recht</strong>, das<br />

„natürliches" im ersten Sinne meint, uns <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

Sinnenwesen gemeinsam. „Von einem so verstan<strong>de</strong>nen Natur­<br />

recht weicht das Völkerrecht ab", wie <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgelehrte<br />

(Dig. 1,1; KR 1,29 a) sagt, „weil jenes allen Sinnenwesen, dieses<br />

jedoch nur <strong>de</strong>n Menschen unter sich gemeinsam ist". Nur die<br />

Vernunft jedoch vermag etwas zu erfassen in seinem Verhältnis<br />

zu <strong>de</strong>m, was aus ihm folgt. Und <strong>de</strong>shalb ist das, was sie diktiert,<br />

für <strong>de</strong>n Menschen im Hinblick auf seine Vernunftnatur natür­<br />

lich [6]. Der <strong>Recht</strong>sgelehrte Gaius sagt darum auch: „Was die<br />

natürliche Vernunft aller Menschen festlegt <strong>und</strong> was von allen<br />

Menschen beachtet wird, heißt Völkerrecht" (Dig. 1,1;<br />

KR 1,29 b).<br />

Zu 1. Die Antwort ergibt sich aus <strong>de</strong>m oben Gesagten.<br />

Zu 2. In sich betrachtet, besteht kein natürlicher Gr<strong>und</strong><br />

dafür, daß ein bestimmter Mensch eher Sklave sei als ein an<strong>de</strong>­<br />

rer, son<strong>de</strong>rn er ergibt sich nur aus einem gewissen Nützlich­<br />

keitsstandpunkt, insofern es für <strong>de</strong>n einen vorteilhaft ist, von<br />

einem Klügeren gelenkt zu wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> für <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren, von<br />

jenem Hilfe zu erhalten (Aristoteles Pol. 1,6; 1255b 5). Darum<br />

ist die Sklaverei, die zum Völkerrecht gehört, natürlich nicht in<br />

seiner ersten, son<strong>de</strong>rn in seiner zweiten Be<strong>de</strong>utung.<br />

8


Zu 3. Weil die natürliche Vernunft möglichst übereinstim- 57. 4<br />

men<strong>de</strong>s als Völkerrecht erklärt, bedarf es keiner beson<strong>de</strong>ren<br />

Verfügung, son<strong>de</strong>rn die natürliche Vernunft selbst verfügt es,<br />

wie die oben angeführte Autorität bestätigt.<br />

4. ARTIKEL<br />

Müssen väterliches <strong>und</strong> herrschaftliches <strong>Recht</strong> beson<strong>de</strong>rs<br />

unterschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört es, „Je<strong>de</strong>m das Seine zu geben",<br />

wie Ambrosius in seiner Pflichtenlehre (1,24; ML 16,57)<br />

schreibt. Doch, wie gesagt, ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit. Also gehört das <strong>Recht</strong> in gleicher Weise zu je<strong>de</strong>rmann,<br />

<strong>und</strong> so braucht man nicht im beson<strong>de</strong>ren zwischen väterlichem<br />

<strong>und</strong> herrschaftlichem <strong>Recht</strong> zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

2. Das <strong>Recht</strong> geht aus <strong>de</strong>m Gesetz hervor (Art. 1 Zu 2).<br />

Doch das Gesetz betrifft das Gemeinwohl <strong>de</strong>s Staates <strong>und</strong><br />

Reiches (1-1190,2), nicht aber das Privatwohl einer einzelnen<br />

Person o<strong>de</strong>r einer einzigen Familie. Deshalb darf es auch kein<br />

herrschaftliches o<strong>de</strong>r väterliches <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r Gerechtes geben,<br />

da Herr <strong>und</strong> Vater zum selben Hauswesen gehören (Aristoteles<br />

Pol. 1,3; 1253 b 5).<br />

3. Es bestehen zahlreiche Gradunterschie<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Men­<br />

schen: die einen sind Soldaten, an<strong>de</strong>re Priester, wie<strong>de</strong>rum<br />

an<strong>de</strong>re Fürsten. Also muß auch für sie ein je verschie<strong>de</strong>nes<br />

<strong>Recht</strong> festgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 10; 1134 b 8) vom bürgerlichen <strong>Recht</strong> ein herrschaftliches<br />

<strong>und</strong> ein väterliches <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen.<br />

ANTWORT. Das <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das Gerechte wird in Beziehung<br />

auf etwas an<strong>de</strong>res ausgesagt. Dieses an<strong>de</strong>re kann nun zweifach<br />

sein. Einmal das schlechthin an<strong>de</strong>re <strong>und</strong> gänzlich unterschie­<br />

<strong>de</strong>ne, wie es z. B. bei zwei Menschen <strong>de</strong>r Fall ist, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren nicht untersteht, son<strong>de</strong>rn bei<strong>de</strong> einem ein­<br />

zigen Lan<strong>de</strong>sfürsten untenan sind. Zwischen diesen besteht<br />

nach Aristoteles (Eth.V, 10; 1134 a26) das Verhältnis <strong>de</strong>s<br />

schlechthin Gerechten. - Sodann gibt es ein nicht schlechthin<br />

an<strong>de</strong>res, son<strong>de</strong>rn ein in seiner Existenz vom an<strong>de</strong>ren Abhän­<br />

giges. Auf diese Weise ist unter <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r Sohn „etwas<br />

vom Vater", gleichsam ein „Teil" von ihm, wie es bei Aristoteles<br />

9


57 4 (Eth.VIII, 14; 1161 b 18) heißt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Sklave „etwas von<br />

seinem Herrn", weil er <strong>de</strong>ssen Werkzeug ist (Aristoteles Pol. 1,4;<br />

1253 b 32). Darum besteht zwischen <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> seinem<br />

Sohn kein Verhältnis wie zu einem schlechthin an<strong>de</strong>ren <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>swegen auch keine <strong>Recht</strong>sbeziehung absoluter Art, son<strong>de</strong>rn<br />

nur ein relatives <strong>Recht</strong>, nämlich das väterliche. Aus <strong>de</strong>m glei­<br />

chen Gr<strong>und</strong> ist dies auch nicht zwischen <strong>de</strong>m Herrn <strong>und</strong> seinem<br />

Sklaven <strong>de</strong>r Fall. Zwischen ihnen gilt das herrschaftliche <strong>Recht</strong>.<br />

Die Gattin hingegen unterschei<strong>de</strong>t sich von ihrem Mann<br />

mehr als <strong>de</strong>r Sohn vom Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Sklave von seinem Herrn,<br />

obwohl sie „etwas von ihrem Mann" ist - <strong>de</strong>r Apostel betrachtet<br />

sie im Epheserbrief 5,28 wie zu <strong>de</strong>ssen eigenem Leib gehörig -,<br />

wird sie doch in das gemeinschaftliche Leben <strong>de</strong>r Ehe auf­<br />

genommen. Daherbesteht nach Aristoteles (Eth.V, 10; 1134b 15)<br />

zwischen Mann <strong>und</strong> Frau ein strengeres <strong>Recht</strong>sverhältnis als<br />

wie zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn o<strong>de</strong>r Herr <strong>und</strong> Sklave [7]. Weil<br />

jedoch Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>r häuslichen Gemeinschaft un­<br />

mittelbar verb<strong>und</strong>en sind, gilt zwischen ihnen nicht absolut<br />

das bürgerliche, son<strong>de</strong>rn mehr das häusliche <strong>Recht</strong>.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> verlangt, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

Vorausgesetzt dabei wird allerdings <strong>de</strong>r Unterschied <strong>de</strong>s einen<br />

vom an<strong>de</strong>ren. Teilt sich nämlich jemand zu, was ihm selber<br />

gehört, dann kann von <strong>Recht</strong> keine Re<strong>de</strong> sein. Und weil das,<br />

was <strong>de</strong>r Sohn hat, <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> was <strong>de</strong>r Sklave hat, seinem<br />

Herrn gehört, darum besteht auch keine strenge <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn o<strong>de</strong>r Herr <strong>und</strong> Sklave.<br />

Zu 2. Der Sohn ist als solcher <strong>de</strong>m Vater zugeordnet <strong>und</strong><br />

ebenso <strong>de</strong>r Sklave als solcher seinem Herrn. Wird je<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n jedoch als Mensch betrachtet, so ist er ein selbständiges,<br />

von an<strong>de</strong>ren unterschie<strong>de</strong>nes Wesen. Als Menschen steht ihnen<br />

daher irgendwie die strenge <strong>Gerechtigkeit</strong> zu. [8]. Daher gibt es<br />

auch bestimmte Gesetze zum Verhältnis Vater-Sohn <strong>und</strong> Herr-<br />

Sklave. Doch insofern einer „etwas vom an<strong>de</strong>ren" ist, versagt<br />

hier <strong>de</strong>r vollkommene Begriff von <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>.<br />

Zu 3. Alle an<strong>de</strong>ren Unterschie<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen, die im Staate<br />

leben, weisen auf eine unmittelbare Beziehung zur Staatsge­<br />

meinschaft <strong>und</strong> ihrem Oberhaupt hin. Daher besteht zwischen<br />

ihnen ein <strong>Recht</strong>sverhältnis im strengen Sinn <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Dennoch gibt es <strong>Recht</strong>sunterschie<strong>de</strong> entsprechend <strong>de</strong>n ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen dienstlichen Stellungen. So spricht man von Militär-<br />

Justiz, Behör<strong>de</strong>nrecht o<strong>de</strong>r Klerikerrecht, nicht weil hier die<br />

10


strenge <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht in Frage käme wie beim väterlichen 57 4<br />

<strong>und</strong> herrschaftlichen <strong>Recht</strong>, son<strong>de</strong>rn weil <strong>de</strong>r jeweilige Per­<br />

sonenstand entsprechend seiner beson<strong>de</strong>ren Aufgabe eine<br />

beson<strong>de</strong>re Berücksichtigung verlangt.<br />

11


58. FRAGE<br />

DIE GERECHTIGKEIT<br />

Hierauf ist von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu han<strong>de</strong>ln. Dabei stellen<br />

sich zwölf Fragen:<br />

1. Was ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> stets auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen?<br />

3. Ist sie Tugend?<br />

4. Ist ihr Sitz im Willen?<br />

5. Ist sie „allgemeine Tugend"?<br />

6. Ist sie als „allgemeine Tugend" wesentlich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend gleich?<br />

7. Gibt es eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit?<br />

8. Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit eine eigene Materie?<br />

9. Richtet sie sich auf die Lei<strong>de</strong>nschaften o<strong>de</strong>r nur auf die<br />

Tätigkeiten?<br />

10. Ist die „Tugendmitte" gleich <strong>de</strong>r „Sachmitte"?<br />

11. Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m das Seine<br />

zu geben?<br />

12. Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze aller sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>: Der unwan<strong>de</strong>lbare<br />

<strong>und</strong> feste Wille, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben, richtig?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nach <strong>de</strong>m V.Buch <strong>de</strong>r Ethik <strong>de</strong>s<br />

Aristoteles (c. 1; 1129a7) „ein Habitus, <strong>de</strong>m das gerechte Tun<br />

<strong>de</strong>r Menschen entspringt <strong>und</strong> <strong>de</strong>r die Ursache dafür ist, daß<br />

sie es tun <strong>und</strong> wollen". Unter Wille versteht man jedoch Fähig­<br />

keit o<strong>de</strong>r auch Akt. Also läßt sich <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht ein­<br />

fach mit „Wille" gleichsetzen.<br />

2. Wille ist nicht gleich <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s Willens, sonst könnte<br />

es, wenn <strong>de</strong>r Wille soviel wie <strong>Recht</strong>heit wäre, keinen verkehrten<br />

Willen geben. Nach Anselms Buch Über die Wahrheit (c. 12;<br />

ML 148,480) aber ist „<strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>Recht</strong>heit". Also ist<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht Wille.<br />

3. Gottes Wille allein ist unwan<strong>de</strong>lbar. Setzt man also<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> mit unwan<strong>de</strong>lbarem Willen gleich, dann gibt es<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nur in Gott, <strong>und</strong> das ist falsch.<br />

12


4. Alles Unwan<strong>de</strong>lbare ist fest, weil es unabän<strong>de</strong>rlich ist. 58. 1<br />

Daher setzt man „unwan<strong>de</strong>lbar" <strong>und</strong> „fest" überflüssigerweise<br />

in die Definition <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ein.<br />

5. Je<strong>de</strong>m das Seine zu geben, ist Sache <strong>de</strong>s Fürsten. Wenn<br />

nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> darin besteht, je<strong>de</strong>m das Seine zuzu­<br />

teilen, folgt, daß nur <strong>de</strong>r Fürst gerecht sein kann, dies aber ist<br />

nicht zutreffend.<br />

6. Augustinus sagt im Buch De moribus ecclesiae (c. 15;<br />

ML 32,1322): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist Liebe, die nur Gott dient".<br />

Also gibt sie nicht je<strong>de</strong>m das Seine.<br />

ANTWORT. Die obige Definition stimmt, man muß sie nur<br />

recht verstehen. Da je<strong>de</strong> Tugend ein Habitus ist, Ausgang guten<br />

Tuns, muß man Tugend notwendigerweise mit <strong>de</strong>m Akt <strong>de</strong>fi­<br />

nieren, <strong>de</strong>r sich auf ihr Betätigungsfeld (ihre „Materie") bezieht.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> nun ist auf Dinge, die „<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren" an­<br />

gehen, ausgerichtet, sie sind ihre Materie (s. u. Art. 2 u. 8).<br />

Wenn es darum heißt, die <strong>Gerechtigkeit</strong> „gebe je<strong>de</strong>m sein<br />

<strong>Recht</strong>", so wird dadurch ihre Hinordnung auf ihre Materie <strong>und</strong><br />

ihr Objekt zum Ausdruck gebracht. So sagt auch Isidor'm seiner<br />

Etymologie (X,l; ML82,320): „Gerecht ist, wer das <strong>Recht</strong><br />

wahrt". Damit aber ein Akt auf irgen<strong>de</strong>inem Betätigungsfeld<br />

Akt <strong>de</strong>r Tugend sei, muß er <strong>de</strong>m Willen entspringen, fest <strong>und</strong><br />

beharrlich sein. Aristoteles schreibt nämlich im II. Buch seiner<br />

Ethik (c.3; 1105a31), zum Tugendakt gehöre 1. „daß man<br />

weiß, was man tut", 2. „daß man überlegt <strong>und</strong> wegen eines<br />

ehrenhaften Zieles entschei<strong>de</strong>t", 3. daß man „ohne Wanken<br />

han<strong>de</strong>lt". Das erste ist im zweiten enthalten, <strong>de</strong>nn „was aus<br />

Unwissenheit getan wird, ist unwillentlich", wie es im III. Buch<br />

<strong>de</strong>r Ethik (c.2; 1129 b 35) heißt. Daher steht in <strong>de</strong>r Definition<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> an erster Stelle <strong>de</strong>r Wille, um darzutun, daß<br />

ihr Akt aus freiem Entscheid hervorgehen muß. Standhaftigkeit<br />

<strong>und</strong> Unwan<strong>de</strong>lbarkeit kommen hinzu, um die Festigkeit <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns zu kennzeichnen. Und somit ist die vorgelegte Defi­<br />

nition eine vollständige Bestimmung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, nur daß<br />

anstelle von Habitus Akt eingesetzt wird, weil sie eben durch<br />

<strong>de</strong>n Akt ihr Gepräge erhält (spezifiziert wird), <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Habi­<br />

tus wird durch <strong>de</strong>n Akt <strong>de</strong>finiert. Wer die Definition in voll­<br />

kommene Form bringen wollte, könnte sagen: Die Gerechtig-<br />

. keit ist ein Habitus, kraft <strong>de</strong>ssen je<strong>de</strong>m das Seine mit festem<br />

<strong>und</strong> unwan<strong>de</strong>lbarem Willen zugeteilt wird. Diese Definition<br />

kommt <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.9;<br />

13


58. 1 1134a 1) ziemlich gleich, wo es heißt: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist ein<br />

Habitus, kraft <strong>de</strong>ssen jemand aus freier Entscheidung das<br />

Gerechte tut."<br />

Zu 1. Wille be<strong>de</strong>utet hier Akt, nicht Fähigkeit (Potenz). Die<br />

Autoren pflegen jedoch <strong>de</strong>n Habitus durch <strong>de</strong>n Akt zu <strong>de</strong>fi­<br />

nieren. So schreibt z. B. Augustinus in seinem Johanneskom­<br />

mentar (Tr. 40; ML 35,1690): Glaube heißt „annehmen, was du<br />

nicht siehst."<br />

Zu 2. Auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nicht gleich <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s<br />

Willens, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>ren Ursache, sie ist nämlich ein Habi­<br />

tus, aus <strong>de</strong>m heraus jemand richtig han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> will.<br />

Zu 3. Der Wille kann auf zweifache Weise „unwan<strong>de</strong>lbar"<br />

genannt wer<strong>de</strong>n. Einmal im Hinblick auf <strong>de</strong>n Akt, <strong>de</strong>r unwan­<br />

<strong>de</strong>lbar weiterdauert. So ist nur <strong>de</strong>r Wille Gottes unwan<strong>de</strong>lbar.<br />

Das an<strong>de</strong>re Mal im Hinblick auf das Objekt, insofern jemand<br />

unwan<strong>de</strong>lbar etwas tun will. Und dies gehört zum Wesen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Um gerecht zu sein, genügt es nicht, wenn<br />

jemand nur für eine St<strong>und</strong>e in irgen<strong>de</strong>iner geschäftlichen Sache<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> hochhalten will - kaum gibt es ja einen, <strong>de</strong>r<br />

stets <strong>und</strong> immer ungerecht han<strong>de</strong>ln möchte -, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Mensch muß <strong>de</strong>n Willen haben, unwan<strong>de</strong>lbar <strong>und</strong> in allem die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu wahren.<br />

Zu 4. Unter „unwan<strong>de</strong>lbar" versteht man nicht unwan<strong>de</strong>l­<br />

bare Dauer <strong>de</strong>s Willensaktes. Deshalb steht nicht überflüssig<br />

das Wörtchen „fest" dabei. Wie mit „unwan<strong>de</strong>lbarer Wille" aus­<br />

gedrückt wird, daß jemand unwan<strong>de</strong>lbar die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

wahren möchte, so mit <strong>de</strong>m Wort „fest", daß er diesen Vorsatz<br />

mit Festigkeit durchhält.<br />

Zu 5. Der Richter „gibt je<strong>de</strong>m das Seine" als Befehlen<strong>de</strong>r<br />

<strong>und</strong> Leiten<strong>de</strong>r, weil <strong>de</strong>r Richter nach <strong>de</strong>m V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 7<br />

u. 9; 1132a21,1134al) „die leben<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Fürst <strong>und</strong> Wächter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" ist. Die Untergebenen<br />

hingegen geben je<strong>de</strong>m das Seine als Ausführen<strong>de</strong>.<br />

Zu 6. Wie in <strong>de</strong>r Liebe zu Gott die Liebe zum Nächsten ein­<br />

geschlossen ist (vgl. o. Fr. 25, Art. 1), so gibt <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r<br />

Gott dient, auch je<strong>de</strong>m, was ihm gebührt.<br />

14


2. ARTIKEL 58. 2<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auf einen an<strong>de</strong>ren bezogen?<br />

1. Der Apostel schreibt im Römerbrief 3,22: „Die Gerech­<br />

tigkeit Gottes aus <strong>de</strong>m Glauben an Jesus Christus." Doch <strong>de</strong>r<br />

Glaube versteht sich nicht durch die Beziehung eines Menschen<br />

zum an<strong>de</strong>ren. Also auch nicht die <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Weil die <strong>Gerechtigkeit</strong> nach Augustinus (De mor. eccl.<br />

c. 15; ML 32,1322) alles in <strong>de</strong>n Dienst Gottes stellt, vermag sie<br />

auch das, was „<strong>de</strong>m Menschen unterworfen ist, gut zu beherr­<br />

schen." Doch das sinnliche Begehren ist <strong>de</strong>m Menschen unter­<br />

worfen gemäß Gn4,7, wo es heißt: „Ihre", nämlich <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

„Begier soll unter dir sein", „<strong>und</strong> du sollst sie beherrschen."<br />

Also gehört es zur Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, das eigene<br />

Begehren zu beherrschen. Und darum bezieht sich die Gerech­<br />

tigkeit auf einen selbst.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes dauert ewig. Doch gab es nie<br />

etwas, das zusammen mit Gott ebenso ewig gewesen wäre.<br />

Also gehört die Ausrichtung auf einen an<strong>de</strong>ren nicht zum<br />

Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

4. Wie die auf an<strong>de</strong>re ausgerichteten Tätigkeiten einer Norm<br />

zu unterwerfen sind, so auch die Handlungen, die einen selbst<br />

angehen. Doch durch die <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n Handlungen<br />

normiert gemäß Sprll,5: „Der Arglosen Weg lenkt die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>." Also richtet sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht nur auf<br />

das, was an<strong>de</strong>re, son<strong>de</strong>rn auch auf das, was einen selbst betrifft.<br />

DAGEGEN schreibt Cicero im I. Buch seiner Pflichtenlehre<br />

(c.7): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jenes Ordnungsprinzip, das die<br />

menschliche Gesellschaft <strong>und</strong> das Gemeinschaftsleben zusam­<br />

menhält." Dies jedoch besagt Bezug auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Also<br />

erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur auf die Beziehung zum<br />

an<strong>de</strong>ren.<br />

ANTWORT. Da <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich be<strong>de</strong>utet (vgl.<br />

Fr. 57, Art. 1), ergibt sich aus ihrem Wesen, daß sie auf einen<br />

an<strong>de</strong>ren ausgerichtet ist, nichts nämlich ist sich selbst gegen­<br />

über ausgeglichen, son<strong>de</strong>rn nur gegenüber einem an<strong>de</strong>ren. Und<br />

weil die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m menschlichen Tun Ausrichtung zu<br />

geben hat (vgl. 1-1160,2; 61,3), muß jene „An<strong>de</strong>rsheit", die sie<br />

verlangt, in zwei Handlungsmächtigen bestehen, die verschie­<br />

<strong>de</strong>n voneinan<strong>de</strong>r sind. Die Tätigkeiten aber gehen von Personen<br />

15


58. 2 <strong>und</strong> vom Ganzen aus, nicht aber streng genommen von <strong>de</strong>n<br />

Teilen <strong>und</strong> Formen o<strong>de</strong>r Fähigkeiten (Potenzen). Man sagt ja<br />

eigentlich nicht: „Die Hand schlägt", son<strong>de</strong>rn: <strong>de</strong>r Mensch mit<br />

seiner Hand. Auch heißt es nicht eigentlich, „die Hitze macht<br />

warm", son<strong>de</strong>rn: das Feuer durch seine Hitze. Doch dies sind<br />

bildliche Ausdrucksweisen. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> im eigentlichen<br />

Sinn verlangt also die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Subjekte, <strong>und</strong> darum<br />

kann es sie nur zwischen zwei Menschen geben. Wegen einer<br />

gewissen Ähnlichkeit jedoch läßt sich in einem <strong>und</strong> <strong>de</strong>mselben<br />

Menschen von verschie<strong>de</strong>nen Tätigkeitsprinzipien unterschied­<br />

licher Herkunft re<strong>de</strong>n: Vernunft, überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s, begehren<strong>de</strong>s<br />

Vermögen. Im übertragenen Sinn kann man daher sagen, in<br />

einem <strong>und</strong> <strong>de</strong>mselben Menschen gebe es <strong>Gerechtigkeit</strong>, inso­<br />

fern die Vernunft <strong>de</strong>m überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> begehren<strong>de</strong>n Ver­<br />

mögen befiehlt, <strong>und</strong> insofern diese <strong>de</strong>r Vernunft gehorchen,<br />

darüber hinaus ganz allgemein, insofern je<strong>de</strong>m Teil <strong>de</strong>s Men­<br />

schen zugeteilt wird, was ihm gebührt. Daher bezeichnet<br />

Aristoteles solcherlei <strong>Gerechtigkeit</strong> als „metaphorisch" (Eth.V,<br />

15; 1138b5).<br />

Zu 1. Unsere durch <strong>de</strong>n Glauben bewirkte <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r gerechtfertigt wird, besteht in <strong>de</strong>r rechten<br />

Ordnung <strong>de</strong>r Seelenteile, wie oben (1-11113,1) dargelegt<br />

wur<strong>de</strong>, wo von <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>fertigung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs die Re<strong>de</strong> war.<br />

Dies gehört jedoch zur <strong>Gerechtigkeit</strong> im übertragenen Sinne,<br />

die man auch bei einem einsam <strong>und</strong> allein Leben<strong>de</strong>n fin<strong>de</strong>n<br />

kann.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort auf <strong>de</strong>n 2. Einwand.<br />

Zu 3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> Gottes ist von Ewigkeit entspre­<br />

chend seinem ewigen Willen <strong>und</strong> Vorsatz, <strong>und</strong> darin besteht vor<br />

allem die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Von <strong>de</strong>r Wirkung aus gesehen, ist sie<br />

freilich nicht von Ewigkeit, weil es nichts gibt, das wie Gott<br />

gleich ewig ist.<br />

Zu 4. Die Tätigkeiten <strong>de</strong>s Menschen, die auf ihn selbst aus­<br />

gerichtet sind, stehen ausreichend unter einer Norm, wenn die<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften durch an<strong>de</strong>re sittliche Tugen<strong>de</strong>n in Ordnung<br />

gebracht wor<strong>de</strong>n sind. Doch die auf an<strong>de</strong>re bezogenen Tätig­<br />

keiten bedürfen einer beson<strong>de</strong>ren Regelung, <strong>und</strong> zwar nicht nur<br />

im Hinblick auf <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn auch im Hinblick auf<br />

<strong>de</strong>ssen Adressaten. Daher muß es diesbezüglich eine eigene<br />

Tugend geben, <strong>und</strong> dies ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

16


3. ARTIKEL 58. 3<br />

/st die <strong>Gerechtigkeit</strong> Tugend?<br />

1. Bei Lk 17,10 heißt es: „Wenn ihr alles getan habt, was<br />

euch befohlen wur<strong>de</strong>, sollt ihr sagen: wir sind unnütze Knechte,<br />

wir haben nur unsere Schuldigkeit getan." Doch ein Werk <strong>de</strong>r<br />

Tugend zu verrichten, ist nicht unnütz, sagt doch Ambrosius im<br />

II. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 6; ML 16,109): „Wir nennen<br />

nützlich nicht, was sich mit barer Münze ausdrücken läßt, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Erlangung <strong>de</strong>r Frömmigkeit." Was man machen muß,<br />

ist also kein Werk <strong>de</strong>r Tugend. Doch von dieser Art ist die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Also ist sie keine Tugend.<br />

2. Was aus Notwendigkeit geschieht, ist nicht verdienstlich.<br />

Doch je<strong>de</strong>m das Seine geben, worin die <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht,<br />

ist notwendig. Also ist es nicht verdienstlich. Durch Tugendakte<br />

jedoch erwerben wir Verdienste. Also ist die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

keine Tugend.<br />

3. Bei <strong>de</strong>n sittlichen Tugen<strong>de</strong>n geht es um das Tun. Was aber<br />

äußerlich geschieht, ist nicht tun, son<strong>de</strong>rn „machen" (vgl.<br />

Aristoteles, Metaphysik IX, c. 8; 1050 a 30). Da nun die Gerech­<br />

tigkeit darin besteht, äußerlich ein in sich gutes Werk zu<br />

„machen", kann sie keine sittliche Tugend sein.<br />

DAGEGEN erklärt Gregor im II. Buch seiner Moralia (2,49;<br />

ML 75,592): „Die ganze Struktur <strong>de</strong>s guten Werkes erhebt sich<br />

auf <strong>de</strong>n vier Tugen<strong>de</strong>n", nämlich <strong>de</strong>r Maßhaltung, <strong>de</strong>r Klugheit,<br />

<strong>de</strong>r Tapferkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

ANTWORT. Menschliche Tugend „macht das menschliche<br />

Tun <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Menschen selber gut" (Aristoteles, Eth. 11,6;<br />

1113 a26). Dies trifft auch für die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu. Das<br />

menschliche Tun wird nämlich dadurch gut, daß es mit <strong>de</strong>r<br />

Maßstab setzen<strong>de</strong>n Vernunft, die ihm seine Ausrichtung gibt,<br />

übereinstimmt. Da nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>n menschlichen<br />

Tätigkeiten Richtung verleiht, ist klar, daß sie damit das Tun <strong>de</strong>s<br />

Menschen gut macht. So erklärt auch Cicero im I. Buch seiner<br />

Pflichtenlehre (c.7): „Die Menschen wer<strong>de</strong>n hauptsächlich<br />

wegen ihrer <strong>Gerechtigkeit</strong> gut genannt." Daher ist, wie er eben-<br />

dort bemerkt, „<strong>de</strong>r Glanz <strong>de</strong>r Tugend in ihr am größten."<br />

Zu 1. Wenn jemand tut, was er tun muß, bringt er <strong>de</strong>m, für<br />

<strong>de</strong>n er tut, was er tun muß, keinen Gewinn, son<strong>de</strong>rn schützt ihn<br />

lediglich vor Scha<strong>de</strong>n. Dennoch hat er selber insofern N<strong>utz</strong>en,<br />

17


58. 4 als er spontan <strong>und</strong> entschlossen tut, was er tun muß, <strong>und</strong> das<br />

heißt tugendhaft han<strong>de</strong>ln. Darum steht im Buch <strong>de</strong>r Weisheit<br />

8,7: die Weisheit Gottes „lehrt Mäßigkeit <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

Klugheit <strong>und</strong> Starkmut, - nichts Nützlicheres gibt es im Leben<br />

<strong>de</strong>r Menschen", nämlich <strong>de</strong>r tugendhaften.<br />

Zu 2. Die Notwendigkeit ist eine zweifache. Einmal die <strong>de</strong>s<br />

Zwanges. Diese verschafft kein Verdienst, <strong>de</strong>nn sie hebt die<br />

Willenskraft auf. Die an<strong>de</strong>re Notwendigkeit grün<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Ver­<br />

pflichtung durch ein Gebot o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Notwendigkeit, ein Ziel<br />

zu erlangen, z. B. wenn jemand das Ziel einer Tugend nur unter<br />

dieser o<strong>de</strong>r jener Bedingung erreichen kann. Diese Art von<br />

Zwang schließt die Möglichkeit <strong>de</strong>s Verdienstes nicht aus, weil<br />

hier das Notwendige freiwillig getan wird. Dennoch fehlt ihm<br />

<strong>de</strong>r Ruhm <strong>de</strong>r Ubergebühr entsprechend <strong>de</strong>m Pauluswon im<br />

1. Korintherbrief 9,16: „Wenn ich das Evangelium verkün<strong>de</strong>,<br />

kann ich mich <strong>de</strong>swegen nicht rühmen, <strong>de</strong>nn ein Zwang liegt<br />

auf mir."<br />

Zu 3. <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht nicht darin, mit äußeren Dingen<br />

etwas zu „machen", - das ist Sache <strong>de</strong>r Kunst, son<strong>de</strong>rn hat<br />

etwas zu tun mit <strong>de</strong>r Art, wie die Dinge in Bezug auf einen<br />

an<strong>de</strong>ren zu gebrauchen sind.<br />

4. ARTIKEL<br />

Hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren Sitz im Willen?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> wird bisweilen auch Wahrheit genannt.<br />

Doch die Wahrheit ist nicht im Willen, son<strong>de</strong>rn im Verstand.<br />

Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht im Willen ihren Sitz.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> befaßt sich mit Dingen, die Bezug zu<br />

einem an<strong>de</strong>ren haben. Doch etwas auf einen an<strong>de</strong>ren hinordnen<br />

ist Sache <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s. Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht im<br />

Willen, son<strong>de</strong>rn vielmehr im Verstand ihren Sitz.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist keine Verstan<strong>de</strong>stugend (kein Ver­<br />

stan<strong>de</strong>shabitus), da sie nicht auf Erkenntnis ausgerichtet ist.<br />

Daher kann sie nur sittliche Tugend sein. Doch die sittliche<br />

Tugend wurzelt im „Vernünftigen durch Teilhabe", <strong>und</strong> dies ist<br />

das überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> das begehren<strong>de</strong> Vermögen (vgl.<br />

Aristoteles, Eth. 1,13; 1102b30). Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

nicht im Willen, son<strong>de</strong>rn im überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> im begeh­<br />

ren<strong>de</strong>n Vermögen ihren Sitz.<br />

18


DAGEGEN steht Anselms Wort (De veritate c. 12; ML 158, 58. 4<br />

482): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die um ihrer selbst willen bewahrte<br />

<strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s Willens."<br />

ANTWORT. Jenes Vermögen ist Sitz (Subjekt) <strong>de</strong>r Tugend,<br />

<strong>de</strong>ssen Akt durch die Tugend seine <strong>Recht</strong>heit erhalten soll. Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> aber hat nicht irgen<strong>de</strong>inen Erkenntnisakt zu<br />

lenken, heißen wir ja nicht gerecht, weil wir etwas richtig erken­<br />

nen. Daher ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch nicht im Verstand o<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Vernunft, d. h. im Erkenntnisvermögen, verwurzelt.<br />

Da wir jedoch „gerecht" heißen, weil wir etwas auf rechte<br />

Weise vollbringen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r unmittelbare Ausgangspunkt <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns in <strong>de</strong>r Strebekraft liegt, muß die <strong>Gerechtigkeit</strong> ihren<br />

Sitz notwendigerweise in irgen<strong>de</strong>iner Strebekraft haben. Es gibt<br />

nun ein doppeltes Strebe vermögen, nämlich <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Vernunft<br />

beheimatete Wille <strong>und</strong> das sinnliche Streben, das <strong>de</strong>r sinnlichen<br />

Wahrnehmung folgt <strong>und</strong> in das überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> das begeh­<br />

ren<strong>de</strong> Vermögen eingeteilt wird (vgl. 181,2). „Einem je<strong>de</strong>n das<br />

Seine geben" kann aber nicht aus <strong>de</strong>m sinnlichen Streben her­<br />

geleitet wer<strong>de</strong>n, da die sinnliche Wahrnehmung nicht zur Erfas­<br />

sung <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>s einen zum an<strong>de</strong>ren ausreicht. Diese<br />

Aufgabe löst allein <strong>de</strong>r Verstand. Daher kann die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ihren Sitz we<strong>de</strong>r im überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n noch im begehren<strong>de</strong>n Ver­<br />

mögen haben, son<strong>de</strong>rn nur im Willen. Deshalb <strong>de</strong>finiert Aristo­<br />

teles die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch mit <strong>de</strong>m Akt <strong>de</strong>s Willens (vgl.<br />

o.Art. 1,1. Einw.) [9].<br />

Zu 1. Der Wille ist ein Vernunftstreben, <strong>und</strong> darum behält<br />

die <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>r Vernunft - auch „Wahrheit" genannt -, wenn<br />

sie in <strong>de</strong>n Willen eindringt, wegen ihrer Nähe zur Vernunft <strong>de</strong>n<br />

Namen „Wahrheit". Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bisweilen „Wahrheit" genannt.<br />

Zu 2. Der Wille stellt sich auf sein Objekt nach voraus­<br />

gehen<strong>de</strong>r Vernunfterkenntnis ein. Weil nun <strong>de</strong>r Verstand die<br />

Hinordnung auf einen an<strong>de</strong>ren bewirkt, kann auch <strong>de</strong>r Wille<br />

etwas in Hinordnung auf einen an<strong>de</strong>ren wollen, <strong>und</strong> das ist<br />

Sache <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zu 3. Das Vernünftige durch Teilhabe fin<strong>de</strong>t sich nicht nur<br />

im Uberwindungs- <strong>und</strong> Begehrungsvermögen, son<strong>de</strong>rn „über­<br />

haupt allgemein im sinnenhaften Streben", wie es im I. Buch <strong>de</strong>r<br />

Ethik (c. 13; 1102b30) heißt, <strong>de</strong>nn jegliches Streben gehorcht<br />

<strong>de</strong>r Vernunft. Unter die Strebekräfte aber fällt auch <strong>de</strong>r Wille,<br />

<strong>und</strong> darum kann er Sitz einer moralischen Tugend sein.<br />

19


58. 5 5. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend"? [10]<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> steht in <strong>de</strong>r Einteilung <strong>de</strong>s Weisheits-<br />

buches 8,7 neben an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n: „Sie (die Weisheit) lehrt<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> Klugheit, <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Tapferkeit."<br />

Doch das Allgemeine kann man nicht mit an<strong>de</strong>ren teilen o<strong>de</strong>r<br />

mit <strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>m Allgemeinen Stehen<strong>de</strong>n zusammenzählen.<br />

Also ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> keine allgemeine Tugend.<br />

2. Gleichwie die <strong>Gerechtigkeit</strong> unter die Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

gerechnet wird, so auch Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit. Doch<br />

Maßhaltung o<strong>de</strong>r Tapferkeit gilt nicht als allgemeine Tugend.<br />

Also darf auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht irgendwie als allgemeine<br />

Tugend angesehen wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist immer auf einen an<strong>de</strong>ren ausge­<br />

richtet (o. Art. 2). Doch die Sün<strong>de</strong>, die sich gegen <strong>de</strong>n Nächsten<br />

richtet, ist nicht „allgemeine" Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn steht <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

durch die sich <strong>de</strong>r Mensch gegen sich selbst verfehlt, gegenüber.<br />

Also ist auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht allgemeine Tugend.<br />

DAGEGEN schreibt Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 1;<br />

1130 a 8): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine allgemeine Tugend."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 2), ordnet die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

<strong>de</strong>n Menschen in seinem Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>ren. Dies nun<br />

kann auf zweifache Weise geschehen. Einmal in seinem Verhält­<br />

nis zu einer Einzelperson, ein an<strong>de</strong>res Mal zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

„im allgemeinen". Dies ist <strong>de</strong>r Fall bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r im Dienst einer<br />

Gemeinschaft steht <strong>und</strong> somit allen Menschen dieser Gemein­<br />

schaft dienstbar ist. Unter dieser doppelten Sichtweise kann die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zum Zuge kommen. Es ist aber klar, daß alle, die<br />

einer Gemeinschaft angehören, sich zu dieser wie Teile zum<br />

Ganzen verhalten. Der Teil aber als solcher ist etwas vom<br />

Ganzen. Daher läßt sich das Wohl <strong>de</strong>s Teiles auf das Wohl <strong>de</strong>s<br />

Ganzen hinordnen. Danach also verbin<strong>de</strong>t sich das Gut je<strong>de</strong>r<br />

Tugend, bringe sie einen Menschen in sich selbst in Ordnung<br />

o<strong>de</strong>r in Bezug auf an<strong>de</strong>re Einzelmenschen, mit <strong>de</strong>m Gemein­<br />

wohl, <strong>de</strong>m die <strong>Gerechtigkeit</strong> verpflichtet ist. Und so können die<br />

Akte aller Tugen<strong>de</strong>n, insofern sie <strong>de</strong>n Menschen auf das<br />

Gemeinwohl ausrichten, zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören. In diesem<br />

Sinn heißt die <strong>Gerechtigkeit</strong> „allgemeine Tugend". Und weil es<br />

Aufgabe <strong>de</strong>s Gesetzes ist, die Hinordnung auf das Gemeinwohl<br />

20


sicherzustellen (vgl. 1-1190,2), erhält die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die, 58.6<br />

wie eben erklärt, „allgemein" ist, <strong>de</strong>n Namen „Gesetzesgerech­<br />

tigkeit", <strong>de</strong>nn durch sie unterwirft sich <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Gesetz,<br />

das die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Gemeinwohl dienstbar macht.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> steht in <strong>de</strong>r Einteilung zusammen<br />

mit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n nicht als allgemeine, son<strong>de</strong>rn als<br />

beson<strong>de</strong>re Tugend, wie unten dargelegt wer<strong>de</strong>n wird. (Art. 7).<br />

Zu 2. Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit haben ihren Sitz im sinn­<br />

lichen Strebevermögen, d. h. im begehren<strong>de</strong>n <strong>und</strong> im überwin­<br />

<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n. Diese Kräfte aber wen<strong>de</strong>n sich gewissen Einzelobjek­<br />

ten zu, wie auch die sinnliche Erkenntnis nur Einzelnes erfaßt.<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen hat ihren Sitz im rationalen Strebe­<br />

vermögen <strong>und</strong> ist <strong>de</strong>shalb imstan<strong>de</strong>, auf das vom Verstand<br />

erkannte Allgemeingut auszugehen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> kann<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch eher eine allgemeine Tugend sein als<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit.<br />

Zu 3. Was einen selbst angeht, läßt sich auch auf an<strong>de</strong>re<br />

beziehen, vor allem, wenn es um das Gemeinwohl geht. Daher<br />

kann die Gesetzesgerechtigkeit, weil sie auf das Gemeinwohl<br />

ausrichtet, „allgemeine Tugend" genannt wer<strong>de</strong>n. Und aus <strong>de</strong>m<br />

gleichen Gr<strong>und</strong> läßt sich die Ungerechtigkeit als „allgemeine<br />

Sün<strong>de</strong>" bezeichnen. Daher heißt es 1 Jo. 3,4: Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist<br />

Ungerechtigkeit."<br />

6. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> als allgemeine Tugend wesentlich<br />

je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend gleich?<br />

1. Aristoteles schreibt im V.Buch seiner Ethik (c.5; 1130<br />

al2), Tugend <strong>und</strong> Gesetzesgerechtigkeit „sind gleich je<strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren Tugend, ihr Begriff aber ist nicht dasselbe". Was jedoch<br />

nur begrifflich verschie<strong>de</strong>n ist, unterschei<strong>de</strong>t sich nicht im<br />

Wesen. Also ist <strong>Gerechtigkeit</strong> wesentlich gleich je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend.<br />

2. Eine Tugend, die nicht je<strong>de</strong>r Tugend wesentlich gleich­<br />

kommt, ist Teil einer Tugend. Doch die genannte <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ist nach <strong>de</strong>r obigen y4ratote7esstelle „nicht Teil <strong>de</strong>r Tugend,<br />

son<strong>de</strong>rn die ganze Tugend". Also unterschei<strong>de</strong>t sich die vor­<br />

genannte <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht wesentlich von je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren<br />

Tugend.<br />

21


58. 6 3. Dadurch, daß eine Tugend ihren Akt auf ein höheres Ziel<br />

ausrichtet, wird sie in ihrem Wesen als Habitus nicht verän<strong>de</strong>rt.<br />

So bleibt sich <strong>de</strong>r Habitus <strong>de</strong>r Maßhaltung wesentlich gleich,<br />

auch wenn ihr Akt auf Gott hinweist. Die Gesetzesgerechtigkeit<br />

jedoch ordnet alle Tugendakte auf ein höheres Ziel hin, nämlich<br />

auf das gemeinsame Wohl aller, das über <strong>de</strong>m Wohl einer Ein­<br />

zelperson liegt. Also ist die Gesetzesgerechtigkeit wesentlich<br />

gleich allen an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n.<br />

4. Je<strong>de</strong>r Teil ist auf das Ganze ausgerichtet, an<strong>de</strong>rnfalls ist es<br />

vergeblich <strong>und</strong> umsonst. Das Tugendhafte jedoch kann nicht so<br />

sein. Also kann es auch keinen Tugendakt geben, <strong>de</strong>r nicht zur<br />

allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört, <strong>de</strong>ren Objekt das Gemein­<br />

wohl ist. Und so erklärt sich, daß die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

wesentlich das gleiche ist wie je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Tugend.<br />

DAGEGEN behauptet Aristoteles im V.Buch seiner Ethik<br />

(c.3; 1129b33): „Viele können die Tugend in ihren eigenen<br />

Angelegenheiten ausüben, aber in <strong>de</strong>m, was an<strong>de</strong>re betrifft,<br />

können sie es nicht." Und im III. Buch <strong>de</strong>r Politik (c.4;<br />

1277a 22) schreibt er: „Die Tugend <strong>de</strong>s guten Mannes ist nicht<br />

einfach die Tugend <strong>de</strong>s guten Staatsbürgers." Denn die Tugend<br />

<strong>de</strong>s guten Bürgers ist die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>, die das<br />

Gemeinwohl ins Auge faßt. Also sind „allgemeine Gerechtig­<br />

keit" <strong>und</strong> Tugend im allgemeinen nicht das gleiche, <strong>de</strong>nn man<br />

kann die eine ohne die an<strong>de</strong>re haben.<br />

ANTWORT. „Allgemein" versteht sich zweifach. Einmal als<br />

Aussage, wie: „Sinnenwesen" gilt allgemein für Mensch <strong>und</strong><br />

Pferd u. dgl. Hierbei muß das Allgemeine bei <strong>de</strong>nen, auf welche<br />

die Aussage zutrifft, wesentlich das gleiche sein, <strong>de</strong>nn das<br />

Genus fin<strong>de</strong>t sich wesentlich gleich in <strong>de</strong>r Spezies wie<strong>de</strong>r <strong>und</strong><br />

bestimmt <strong>de</strong>ren Definition. - In an<strong>de</strong>rer Weise spricht man von<br />

„allgemein" <strong>de</strong>r Kraft nach. So ist die Universalursache „all­<br />

gemein" bezüglich aller Wirkungen, wie die Sonne in Bezug auf<br />

alle Körper, die beleuchtet o<strong>de</strong>r durch ihre Kraft verän<strong>de</strong>rt<br />

wer<strong>de</strong>n. Das <strong>de</strong>rart „Allgemeine" braucht in seinem Wesen<br />

nicht mit <strong>de</strong>m übereinzustimmen, für das es „allgemein" ist,<br />

<strong>de</strong>nn Ursache <strong>und</strong> Wirkung sind nicht gleichen Wesens.<br />

Auf diese zweite Art nun wird die oben (Art. 5) besprochene<br />

Gesetzesgerechtigkeit „allgemeine Tugend" genannt, nämlich<br />

insofern sie die Akte aller an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n auf ihr Ziel aus­<br />

richtet, was be<strong>de</strong>utet: unter ihrem Befehl alle an<strong>de</strong>ren Tugen­<br />

<strong>de</strong>n in Bewegung bringen. Wie man die Caritas (übernatürliche<br />

22


Liebe zu Gott) „allgemeine Liebe" nennen kann, insofern sie 58. 7<br />

die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n auf Gott als höchstes Gut ausrichtet, so<br />

auch die Gesetzesgerechtigkeit, insofern diese die Akte aller<br />

Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Gemeinwohl zuordnet. Wie nun die Caritas, die<br />

das göttliche Gut als ihr beson<strong>de</strong>res Objekt ins Auge faßt, ihrem<br />

Wesen nach eine eigene Tugend ist, so ist auch die Gesetzes­<br />

gerechtigkeit ihrem Wesen nach eine eigene Tugend mit <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl als ihrem beson<strong>de</strong>ren Objekt. Und so ist sie im<br />

Fürsten „haupt"-sächlich <strong>und</strong> gleichsam Richtung weisend, in<br />

<strong>de</strong>n Untergebenen aber in zweiter Linie <strong>und</strong> gleichsam aus­<br />

führend.<br />

Je<strong>de</strong> Tugend kann jedoch „Gesetzesgerechtigkeit" genannt<br />

wer<strong>de</strong>n, insofern sie, als zwar wesensverschie<strong>de</strong>ne, doch wegen<br />

ihrer Bewegkraft als „allgemein" wirksame, auf das Gemein­<br />

wohl hingeordnet ist. So gesehen kommt die Gesetzesgerech­<br />

tigkeit mit je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugend überein, unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

aber <strong>de</strong>m Begriff nach. In diesem Sinn spricht Aristoteles<br />

(Eth.V,3; 1130 a 12).<br />

Zu 1 <strong>und</strong> Zu 2: Die Antworten ergeben sich aus <strong>de</strong>r obigen<br />

Darlegung.<br />

Zu 3. Auch jener Einwand geht von <strong>de</strong>r in diesem Sinn<br />

gefaßten Gesetzesgerechtigkeit aus, wonach die von <strong>de</strong>r Geset­<br />

zesgerechtigkeit gelenkte Tugend selbst wie<strong>de</strong>rum Gesetzes­<br />

gerechtigkeit genannt wird.<br />

Zu 4. Je<strong>de</strong> Tugend richtet entsprechend ihrer Eigenart ihren<br />

Akt auf das ihr zugehörige Ziel. Daß sie aber einem weiteren<br />

Ziel zustrebt, sei es für immer, sei es bisweilen, liegt nicht in<br />

ihrer Wesensart. Es muß dazu eine an<strong>de</strong>re, höhere Tugend vor­<br />

han<strong>de</strong>n sein, die sie auf jenes Ziel einstellt. Und so muß es eine<br />

höhere Tugend geben, die alle Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl<br />

ausrichtet, <strong>und</strong> dies ist die Gesetzesgerechtigkeit - eine wesent­<br />

lich von je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren verschie<strong>de</strong>ne Tugend.<br />

7. ARTIKEL<br />

Gibt es außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

noch eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Im Reich <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n gibt es nichts überflüssiges. Nun<br />

setzt die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>n Menschen ausreichend<br />

23


58. 7 in <strong>de</strong>n Stand, um allem zu genügen, was <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren betrifft.<br />

Also ist eine beson<strong>de</strong>re <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht vonnöten.<br />

2. Eines <strong>und</strong> Vieles än<strong>de</strong>rn die Art einer Tugend nicht. Die<br />

Gesetzesgerechtigkeit aber ordnet <strong>de</strong>n Menschen auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren hin in all <strong>de</strong>m, was alle betrifft (vgl. o. Art. 5 u. 6). Also gibt<br />

es keine an<strong>de</strong>re Tugendart, die <strong>de</strong>n Menschen auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

in <strong>de</strong>m hinordnet, was nur eine einzelne Person angeht.<br />

3. Zwischen <strong>de</strong>r Einzelperson <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Menge <strong>de</strong>r Bürger<br />

gibt es ein Mittleres, nämlich die Familiengruppe. Wenn es nun<br />

außer <strong>de</strong>r allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> noch eine Son<strong>de</strong>rgerech­<br />

tigkeit für die Beziehung zu einer einzelnen Person gibt, dann<br />

muß es auch eine <strong>Gerechtigkeit</strong> für die Hausgemeinschaft<br />

geben, die das Wohl einer Familie sichert. Doch davon re<strong>de</strong>t<br />

niemand. Also gibt es neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit auch<br />

keine Einzelgerechtigkeit.<br />

DAGEGEN steht das Chrysostomuswort zu Mt 5,6 („Selig,<br />

die hungern <strong>und</strong> dürsten nach <strong>Gerechtigkeit</strong>"): „Mit Gerechtig­<br />

keit bezeichnet er (Christus) die allgemeine o<strong>de</strong>r die <strong>de</strong>m Geiz<br />

entgegengesetzte beson<strong>de</strong>re Tugend" (Horn. 15; MG57,227).<br />

ANTWORT. Wie (im vorigen Art.) gesagt, ist die Gesetzes­<br />

gerechtigkeit nicht je<strong>de</strong>r Tugend wesentlich gleich, son<strong>de</strong>rn<br />

außer <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die <strong>de</strong>n Menschen unmittelbar<br />

auf das Gemeinwohl hinordnet, muß es noch an<strong>de</strong>re Tugen<strong>de</strong>n<br />

geben, die ihn unmittelbar zu Einzelgütern in Beziehung brin­<br />

gen. Dies kann in bezug auf sich selbst o<strong>de</strong>r auf eine an<strong>de</strong>re<br />

Einzelperson zutreffen. Wie es nun neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerech­<br />

tigkeit Son<strong>de</strong>rtugen<strong>de</strong>n geben muß, die <strong>de</strong>n Menschen in sich in<br />

Ordnung halten, z. B. Maßhaltung <strong>und</strong> Tapferkeit, so auch<br />

neben <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, die<br />

<strong>de</strong>m Menschen in seinem Verkehr zu einer an<strong>de</strong>ren Einzelper­<br />

son die rechte Weisung gibt.<br />

Zu 1. Die Gesetzesgerechtigkeit gibt <strong>de</strong>m Menschen in sei­<br />

nen Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren im Hinblick auf das Gemeinwohl<br />

unmittelbar zwar genügend rechte Orientierung, bezüglich <strong>de</strong>s<br />

Wohls einer einzelnen Person jedoch nur mittelbar [11]. Daher<br />

muß es eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit geben, die <strong>de</strong>n Menschen<br />

unmittelbar auf das Wohl einer an<strong>de</strong>ren Einzelperson hinorien­<br />

tiert.<br />

Zu 2. Das Gemeinwohl <strong>de</strong>s Staates <strong>und</strong> das Einzelwohl<br />

einer Person unterschei<strong>de</strong>n sich nicht nur wie viel <strong>und</strong> wenig,<br />

son<strong>de</strong>rn wesenhaft („formal"). Etwas wesentlich an<strong>de</strong>res ist<br />

24


nämlich das Wohl <strong>de</strong>s Gemeinwesens <strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res das 58. 8<br />

Wohl <strong>de</strong>r einzelnen. Sie sind so gr<strong>und</strong>verschie<strong>de</strong>n wie das<br />

Ganze <strong>und</strong> sein Teil. Daher sagt Aristoteles im I. Buch seiner<br />

Politik (c. 1; 1252 a 7): „Unrichtig drückt sich aus, wer sagt, <strong>de</strong>r<br />

Staat <strong>und</strong> die Hausgemeinschaft <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res dgl. unterschie<strong>de</strong>n<br />

sich nur wie viel <strong>und</strong> wenig, <strong>und</strong> nicht ihrer Wesensart nach."<br />

Zu 3. Im Familienverband unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles (vgl.<br />

Pol.1,3; 1253b6) drei Beziehungsverhältnisse, nämlich „<strong>de</strong>r<br />

Gattin zu ihrem Mann, <strong>de</strong>s Vaters zu seinem Sohn <strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

Herrn zu seinem Sklaven", wobei die eine <strong>de</strong>r so verb<strong>und</strong>enen<br />

Personen jeweils „etwas von <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren" ist. Daher besteht<br />

bezüglich dieser Person nicht einfach das Verhältnis von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> schlechthin, son<strong>de</strong>rn eine beson<strong>de</strong>re Gerechtig­<br />

keit, nämlich die „häusliche" (vgl. Aristoteles Eth.V, 10;<br />

1134b8).<br />

8. ARTIKEL<br />

Hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit einen eigenen Wirkbereich?<br />

1. Zum Vers Gn2,14: „Der vierte Fluß ist <strong>de</strong>r Euphrat",<br />

bemerkt die Glosse (Augustinus, ML 34,204): „Euphrat heißt <strong>de</strong>r<br />

,Fruchtbare'. Und es wird nicht gesagt, wobin er fließt, <strong>de</strong>nn die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> erstreckt sich auf alle Teile <strong>de</strong>r Seele". Dies wäre<br />

aber nicht möglich, wenn sie einen beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich<br />

hätte, je<strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich entspricht nämlich ein<br />

beson<strong>de</strong>res Wirkvermögen (Potenz). Also steht <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>r­<br />

gerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Materie zu.<br />

2. Augustinus schreibt in seinem Buch Drei<strong>und</strong>achtzig Fragen<br />

(Fr. 61; ML 40,51): „Mit vier Tugen<strong>de</strong>n in unserer Seele bestrei-<br />

ten wir hinie<strong>de</strong>n unser geistiges Leben, nämlich mit <strong>de</strong>r Klug­<br />

heit, <strong>de</strong>r Maßhaltung, <strong>de</strong>m Starkmut <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Und er fügt hinzu: die vierte ist die <strong>Gerechtigkeit</strong>, „die alle<br />

durchdringt". Also hat die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit - eine <strong>de</strong>r vier<br />

Kardinaltugen<strong>de</strong>n - keine beson<strong>de</strong>re Materie.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> gibt <strong>de</strong>m Menschen genügend Orien­<br />

tierung in seinen Beziehungen zum an<strong>de</strong>ren. Doch alles im<br />

Leben hinie<strong>de</strong>n kann <strong>de</strong>n Menschen zu einem an<strong>de</strong>ren in Bezie­<br />

hung bringen. Also hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur einen allgemeinen<br />

<strong>und</strong> keinen beson<strong>de</strong>ren Wirkbereich.<br />

25


58. 8 DAGEGEN for<strong>de</strong>rt Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 5;<br />

1130 b 31) eine Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit für das beson<strong>de</strong>re Gebiet<br />

zwischenmenschlichen Verkehrs.<br />

ANTWORT. Alles, was sich durch die Vernunft regeln läßt,<br />

ist Materie <strong>de</strong>r sittlichen Tugend, die durch die „rechte Ver­<br />

nunft" <strong>de</strong>finiert wird, wie aus <strong>de</strong>m II. Buch <strong>de</strong>r aristotelischen<br />

Ethik (c. 6; 1107al) hervorgeht. Durch die Vernunft können<br />

nun sowohl die inneren Lei<strong>de</strong>nschaften als auch die äußeren<br />

Handlungen <strong>und</strong> ebenso die äußeren Dinge, die die Menschen<br />

in Gebrauch haben, in Ordnung gebracht wer<strong>de</strong>n. Doch durch<br />

die äußeren Handlungen wie durch die äußeren Dinge, welche<br />

die Menschen miteinan<strong>de</strong>r in Kontakt bringen können, tritt ein<br />

Mensch mit einem an<strong>de</strong>ren in Verkehr; im Bereich <strong>de</strong>r inneren<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften hingegen hat es je<strong>de</strong>r nur mit sich selbst zu tun.<br />

Da sich nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> im Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>ren<br />

abspielt, erstreckt sie sich nicht auf das ganze Wirkungsgebiet<br />

<strong>de</strong>r sittlichen Tugend, son<strong>de</strong>rn nur auf die äußeren Handlungen<br />

<strong>und</strong> Dinge unter <strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Blickwinkel, daß dadurch<br />

zwei Menschen einan<strong>de</strong>r zugeordnet wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört zwar wesenhaft zu einem be­<br />

stimmten Teil <strong>de</strong>r Seele, in <strong>de</strong>m sie ihren Sitz hat, nämlich zum<br />

Willen, dieser jedoch steuert durch seinen Befehl alle an<strong>de</strong>renTeile<br />

<strong>de</strong>r Seele. So erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht unmittel­<br />

bar, jedoch in einer Art von Ubergreifen auf alle Teile <strong>de</strong>r Seele.<br />

Zu 2. Wie oben (1-1161,3 u. 4) dargelegt, wer<strong>de</strong>n die Kardi­<br />

naltugen<strong>de</strong>n zweifach verstan<strong>de</strong>n. Einmal als beson<strong>de</strong>re Tugen­<br />

<strong>de</strong>n mit bestimmten Wirkungsfel<strong>de</strong>rn, sodann, insofern sie<br />

gewisse allgemeine Weisen <strong>de</strong>r Tugend bezeichnen. In diesem<br />

Sinne spricht dort Augustinus. Er schreibt nämlich, die Klugheit<br />

sei „Erkenntnis <strong>de</strong>ssen, was zu erstreben <strong>und</strong> zu fliehen ist", die<br />

Maßhaltung „Zügelung <strong>de</strong>r Begier<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m, was für kurze Zeit<br />

Lust verschafft", die Tapferkeit „Seelenstärke in vorübergehen­<br />

<strong>de</strong>n Beschwernissen", die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die Tugend, „die alle<br />

durchtränkt, sie ist Liebe zu Gott <strong>und</strong> zum Nächsten" <strong>und</strong> die<br />

gemeinsame Wurzel <strong>de</strong>r gesamten Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren.<br />

Zu 3. Die inneren Lei<strong>de</strong>nschaften - ein Teilbereich für sitt­<br />

liche Betätigring - sind in sich nicht auf einen an<strong>de</strong>ren ausgerich­<br />

tet - dies gehört spezifisch zur <strong>Gerechtigkeit</strong> -, doch ihre Wir­<br />

kungen, d. h. das durch sie ausgelöste Verhalten kann sich auf<br />

an<strong>de</strong>re richten. Daraus folgt also nicht, daß die Materie <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> allgemein ist.<br />

26


9. ARTIKEL 58. 9<br />

Hat die Gesetzesgerechtigkeit<br />

etwas mit <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun?<br />

1. Im II. Buch seiner Ethik (c.2; 1104b 8) schreibt Aristo­<br />

teles: „Sittliche Tugend hat mit Lust <strong>und</strong> Trauer zu tun." Lust, d.<br />

h. Begier<strong>de</strong>, <strong>und</strong> Trauer aber sind Lei<strong>de</strong>nschaften, wie oben im<br />

Traktat über die Lei<strong>de</strong>nschaften dargelegt wur<strong>de</strong> (I—II 24,4). Da<br />

nun die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine sittliche Tugend ist, bezieht sie sich<br />

auch auf die Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> schafft Ordnung in <strong>de</strong>n Beziehungen<br />

zu an<strong>de</strong>ren. Doch diese Ordnung läßt sich nicht schaffen,<br />

solange die Lei<strong>de</strong>nschaften nicht in Ordnung sind, <strong>de</strong>nn aus <strong>de</strong>r<br />

Unordnung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften folgt die Unordnung im<br />

erwähnten Bemühen. Die Begier<strong>de</strong> auf sexuellem Gebiet führt<br />

nämlich zum Ehebruch, <strong>und</strong> die übermäßige Liebe zum Geld<br />

verleitet zum Diebstahl. Also muß sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> auch<br />

auf die Lei<strong>de</strong>nschaften erstrecken.<br />

3. Wie die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, so bezieht sich auch die<br />

Gesetzesgerechtigkeit auf an<strong>de</strong>re. Doch die Gesetzesgerechtig­<br />

keit hat es mit <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun, sonst wäre sie nicht<br />

für alle Tugen<strong>de</strong>n zuständig, von <strong>de</strong>nen sich offensichtlich<br />

einige auf die Lei<strong>de</strong>nschaften beziehen. Also wirkt die Gerech­<br />

tigkeit auch auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>s Aristoteles in seiner Ethik<br />

(V, 1; 1129a 3), wonach sie nur die Tätigkeiten berührt.<br />

ANTWORT. Die Lösung <strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Frage ergibt sich<br />

aus zwei Tatsachen. 1. aus <strong>de</strong>m Träger (Sitz, Subjekt) <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>m Willen, <strong>de</strong>ssen Bewegungen o<strong>de</strong>r<br />

Akte nichts von Lei<strong>de</strong>nschaften an sich haben (vgl. I—II 22,3), -<br />

nur die Regungen <strong>de</strong>s sinnlichen Strebevermögens heißen<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften. Darum erstreckt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht<br />

auf die Lei<strong>de</strong>nschaften, wie es bei <strong>de</strong>r Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Tapferkeit <strong>de</strong>r Fall ist, die <strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften <strong>de</strong>s überwin<strong>de</strong>n­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s begehren<strong>de</strong>n Vermögens zugehören. - 2. aus <strong>de</strong>r<br />

Art <strong>de</strong>s Wirkungsbereichs (<strong>de</strong>r „Materie"). Die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ist nämlich auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren ausgerichtet, die im Inneren<br />

wohnen<strong>de</strong>n Lei<strong>de</strong>nschaften verweisen uns aber nicht unmittel­<br />

bar an einen an<strong>de</strong>ren. Daher hat die <strong>Gerechtigkeit</strong> nichts mit<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften zu tun.<br />

27


58.9 Zu 1. Nicht je<strong>de</strong> sittliche Tugend wirkt im Bereich von Lust<br />

<strong>und</strong> Trauer. Denn die Tapferkeit hat es mit Furcht <strong>und</strong> Übermut<br />

zu tun. Dennoch ist je<strong>de</strong> sittliche Tugend auf Freu<strong>de</strong> <strong>und</strong> Trauer<br />

als Folgeerscheinungen hingeordnet, wie Aristoteles im<br />

VII. Buch seiner Ethik (c. 12; 1152b2) sagt: „Lust <strong>und</strong> Unlust<br />

stehen im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> unseres Empfin<strong>de</strong>ns, wenn wir etwas<br />

mit schlecht o<strong>de</strong>r gut bezeichnen." Dies gilt auch für die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>nn „es gibt keinen Gerechten, <strong>de</strong>r über sein<br />

gerechtes Tun nicht Freu<strong>de</strong> empfän<strong>de</strong>" (Eth. 1,9; 1099 a 18).<br />

Zu 2. Die äußeren Handlungen liegen sozusagen in <strong>de</strong>r<br />

Mitte zwischen <strong>de</strong>n äußeren Dingen, auf die sie sich beziehen,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n inneren Lei<strong>de</strong>nschaften, <strong>de</strong>nen sie entspringen. Bis­<br />

weilen kann nun auf <strong>de</strong>r einen Seite etwas fehlen, was auf <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren nicht <strong>de</strong>r Fall ist, z. B. wenn jemand eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

wegnimmt, ohne sie behalten zu wollen, son<strong>de</strong>rn nur, um zu<br />

scha<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r, umgekehrt, wenn einer <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren Sachen be­<br />

gehrt, ohne sie wegnehmen zu wollen. Die rechte Ordnung also<br />

in <strong>de</strong>n Handlungen, die äußerlich vollzogen wer<strong>de</strong>n, ist Auf­<br />

gabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, doch was zur Ordnung <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>n­<br />

schaften gehört, untersteht an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n. Ihr<br />

Betätigungsfeld sind eben die Lei<strong>de</strong>nschaften. So verhin<strong>de</strong>rt die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die Wegnahme frem<strong>de</strong>n Gutes, insofern sie <strong>de</strong>m<br />

zu wahren<strong>de</strong>n Ausgleich in <strong>de</strong>r Sachwelt wi<strong>de</strong>rspricht; die<br />

Freigebigkeit hingegen, insofern sie <strong>de</strong>r übermäßigen Begier<strong>de</strong><br />

nach Reichtum entspringt. Weil jedoch die äußeren Handlun­<br />

gen ihr wesentliches Gepräge nicht von inneren Lei<strong>de</strong>nschaften,<br />

son<strong>de</strong>rn mehr von äußeren Dingen als von ihren Objekten<br />

erhalten, bil<strong>de</strong>n, an sich gesprochen, die äußeren Handlungen<br />

mehr <strong>de</strong>n Gegenstandsbereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n.<br />

Zu 3. Das Gemeinwohl ist das Ziel <strong>de</strong>r einzelnen in <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Personen, so wie das Ganze das Ziel<br />

je<strong>de</strong>s seiner Teile ist. Das Wohl einer einzelnen Person bil<strong>de</strong>t<br />

jedoch nicht das Ziel einer an<strong>de</strong>ren. Daher läßt sich die <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl zugeordnete Gesetzesgerechtigkeit eher auf die<br />

inneren Lei<strong>de</strong>nschaften, die <strong>de</strong>n Menschen irgendwie in sich<br />

selber zurechtrücken, aus<strong>de</strong>hnen, als die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit,<br />

die auf das Wohl einer an<strong>de</strong>ren Einzelperson bezogen ist.<br />

Dennoch erstreckt sich die Gesetzesgerechtigkeit hauptsächlich<br />

auf die Tätigkeiten <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n, insofern „das Gesetz<br />

vorschreibt, die Werke <strong>de</strong>s Mutigen zu verrichten, als auch die<br />

28


Werke <strong>de</strong>s Maßvollen <strong>und</strong> die <strong>de</strong>s Sanftmütigen", - so Aristo- 58.10<br />

teles in seiner Ethik (V,3; 1129b 19).<br />

10. ARTIKEL<br />

Ist die Tugendmitte gleich <strong>de</strong>r Sachmitte? [12]<br />

1. Der Wesensgehalt <strong>de</strong>r Gattung muß in allen ihren Arten<br />

wie<strong>de</strong>rkehren. Nun wird die sittliche Tugend <strong>de</strong>finiert als<br />

„Habitus <strong>de</strong>s Willens, <strong>de</strong>r die nach uns bemessene Mitte hält<br />

<strong>und</strong> durch die Vernunft bestimmt wird". Also gilt auch für die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die durch die Vernunft <strong>und</strong> nicht die durch die<br />

Sache bestimmte „Mitte".<br />

2. Bei <strong>de</strong>m, was schlechthin gut ist, gibt es keinen Gr<strong>und</strong>, ein<br />

Zuviel <strong>und</strong> ein Zuwenig anzunehmen, <strong>und</strong> folglich auch kein<br />

Mittleres, wie Aristoteles über die Tugen<strong>de</strong>n im II. Buch <strong>de</strong>r<br />

Ethik (c. 6; 1107a22) sagt. Bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> geht es jedoch<br />

um „schlechthin Gutes", wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik heißt (c. 2;<br />

1129b 5). Also gibt es bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> keine Sachmitte.<br />

3. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n spricht man von Vernunft- <strong>und</strong><br />

nicht von sachentsprechend, weil die Entsprechung je nach<br />

Person verschie<strong>de</strong>n ist: was für <strong>de</strong>n einen viel ist, ist für <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren wenig (Aristoteles, Eth.II,5; 1106 a 36). Doch dies läßt<br />

sich auch bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> beobachten: ungleich fällt die<br />

Strafe aus, wenn ein Fürst o<strong>de</strong>r wenn eine Privatperson geschla­<br />

gen wird. Also gilt für die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht die Sach-, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Vernunftmitte.<br />

DAGEGEN steht, daß Aristoteles in seiner Ethik (V,7;<br />

1132a 1) die „Mitte" <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nach <strong>de</strong>m arithme­<br />

tischen Verhälnis angibt, womit er die sachbezogene „Mitte"<br />

meint.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 2,4 u. Art. 8) dargelegt, bewe­<br />

gen sich die an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n hauptsächlich auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>r Lei<strong>de</strong>nschaften. Hier wird das rechte Verhalten nur<br />

nach <strong>de</strong>m Menschen, in <strong>de</strong>m sich die Lei<strong>de</strong>nschaften regen,<br />

bemessen, d. h. daß er in Zorn geraten <strong>und</strong> begehren darf je<br />

nach <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Umstän<strong>de</strong>n. Deshalb bestimmt sich die<br />

„Mitte" bei diesen Tugen<strong>de</strong>n nicht durch das Verhältnis <strong>de</strong>r<br />

einen Sache zur an<strong>de</strong>ren, son<strong>de</strong>rn allein durch das Verhältnis<br />

zur Person <strong>de</strong>s Tugendhaften. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird hier die<br />

„Mitte" allein von <strong>de</strong>r an uns gemessenen Vernunft festgelegt.<br />

29


58. Ii Die Materie <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen ist eine äußere Hand­<br />

lung, sofern sie o<strong>de</strong>r eine in Gebrauch genommene Sache in<br />

einem bestimmten Verhältnis zu einer an<strong>de</strong>ren Person steht.<br />

Deshalb besteht die „Mitte" bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in einem aus­<br />

geglichenen Verhältnis einer äußeren Sache zu einer äußeren<br />

Person. Der „Ausgleich" aber liegt sachlich in <strong>de</strong>r „Mitte"<br />

zwischem <strong>de</strong>m Mehr <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Weniger, wie es bei Aristoteles im<br />

X. Buch seiner Metaphysik (c. 5; 1056 a 22) heißt. Also wird die<br />

„Mitte" bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> von <strong>de</strong>r Sache her bestimmt.<br />

Zu 1. Jene sachbestimmte Mitte ist zugleich auch vernunft­<br />

bestimmte Mitte. Deshalb bleibt die <strong>Gerechtigkeit</strong> als sittliche<br />

Tugend unangetastet.<br />

Zu 2. Das schlechthin Gute ist ein zweifaches. Eimal jenes,<br />

das in je<strong>de</strong>r Hinsicht gut ist, - so sind die Tugen<strong>de</strong>n „gut". Und<br />

bei <strong>de</strong>m schlechthin Guten gibt es auch keine Mitte <strong>und</strong> keine<br />

Extreme. - Sodann heißt etwas schlechthin gut, weil es absolut,<br />

d. h. von seinem Wesen her gesehen, gut ist, wenngleich es<br />

durch Mißbrauch schlecht wer<strong>de</strong>n kann, wie dies beim Reich­<br />

tum <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r Ehre <strong>de</strong>r Fall ist. Hier kann man von Zuviel,<br />

von Zuwenig <strong>und</strong> von Mitte in Bezug auf die Menschen re<strong>de</strong>n,<br />

die davon guten o<strong>de</strong>r schlechten Gebrauch machen können.<br />

Und in diesem Sinne befaßt sich die <strong>Gerechtigkeit</strong> mit <strong>de</strong>m<br />

schlechthin Guten.<br />

Zu 3. Ein an<strong>de</strong>res Gewicht hat zugefügtes Unrecht gegen<br />

einen Fürsten <strong>und</strong> ein an<strong>de</strong>res gegen eine Privatperson. Daher<br />

muß es durch Strafe bei<strong>de</strong> Male an<strong>de</strong>rs ausgeglichen wer<strong>de</strong>n.<br />

Dies gehört also zum Unterschied in <strong>de</strong>r Sache, nicht zum Un­<br />

terschied in <strong>de</strong>r Vernunftgemäßheit.<br />

11. ARTIKEL<br />

Besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darin, je<strong>de</strong>m das<br />

Seine zu geben?<br />

1. Augustinus teilt in seinem Buch Uber die Dreifaltigkeit<br />

(14,9; ML42,1046) <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die Aufgabe zu, „<strong>de</strong>nen,<br />

die im Elend sind, zu helfen". Doch wenn wir <strong>de</strong>n Elen<strong>de</strong>n hel­<br />

fen, geben wir Ihnen nicht das Ihre, son<strong>de</strong>rn vielmehr das<br />

Unsrige. Also besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht darin,<br />

je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

30


2. Cicero schreibt im I. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 7): „Die 58.11<br />

Wohltätigkeit, die man Güte o<strong>de</strong>r Freigebigkeit nennen darf",<br />

gehört zur <strong>Gerechtigkeit</strong>. Doch freigebig sein heißt, einem<br />

an<strong>de</strong>ren vom Eigenen, nicht vom Seinigen etwas geben. Also<br />

be<strong>de</strong>utet <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht, je<strong>de</strong>m das Seine geben.<br />

3. Zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört nicht nur, die Dinge in angemes­<br />

sener Weise zu verteilen, son<strong>de</strong>rn auch, ungerechte Handlun­<br />

gen zu verhin<strong>de</strong>rn, z. B. Mord, Ehebruch u. dgl. Doch „Je<strong>de</strong>m<br />

das Seine geben" bezieht sich nur auf das Verteilen. Wenn also<br />

<strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nur darin bestehen soll, je<strong>de</strong>m das<br />

Seine zu geben, dann ist er damit nicht genügend gekenn­<br />

zeichnet.<br />

DAGEGEN schreibt Ambrosius im I. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c.24; ML 16,57): „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jene Tugend, die<br />

je<strong>de</strong>m gibt, was sein ist, sich frem<strong>de</strong>s Gut nicht aneignet <strong>und</strong><br />

nicht auf <strong>de</strong>n eigenen Vorteil schaut, um so die allgemeine<br />

<strong>Recht</strong>sgleichheit zu schützen."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 8,10), bil<strong>de</strong>t die äußere Hand­<br />

lung, insofern sie o<strong>de</strong>r eine Sache, die wir gebrauchen, auf eine<br />

an<strong>de</strong>re Person, mit <strong>de</strong>r wir rechtlich verb<strong>und</strong>en sind, hinge­<br />

ordnet ist, das Betätigungsfeld <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Was nun einer<br />

Person nach <strong>de</strong>m Verhältnis <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sgleichheit geschul<strong>de</strong>t<br />

wird, nennt man „das Seine". Daher besteht <strong>de</strong>r eigentliche Akt<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in nichts an<strong>de</strong>rem, als je<strong>de</strong>m das Seine zu<br />

geben.<br />

Zu 1. Der <strong>Gerechtigkeit</strong> als Kardinaltugend sind gewisse<br />

nachgeordnete Tugen<strong>de</strong>n zugesellt, wie Barmherzigkeit, Frei­<br />

gebigkeit u. dgl. (vgl. u. Fr. 80). Den Elen<strong>de</strong>n helfen, was zur<br />

Barmherzigkeit o<strong>de</strong>r zum Mitleid gehört, <strong>und</strong> reichlich Gutes<br />

tun, was zur Freigebigkeit gehört, wird daher <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

als Haupttugend zugerechnet.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort Zu 2.<br />

Zu 3. Nach Aristoteles (Eth.V, 7; 1132 b 11) wird alles Zuviel<br />

in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong> als „Gewinn" im weiteren Sinn<br />

bezeichnet, wie, umgekehrt, alles „Zuwenig" als „Verlust". Dies<br />

erklärt sich dadurch, daß die <strong>Gerechtigkeit</strong> früher, <strong>und</strong> auch<br />

jetzt noch, als Tauschgeschäft in Kauf <strong>und</strong> Verkauf ausgeübt<br />

wur<strong>de</strong>, wobei diese Ausdrücke in ihrer eigentlichen Be<strong>de</strong>utung<br />

gebraucht wur<strong>de</strong>n. Von da wur<strong>de</strong>n sie auf alles übertragen, was<br />

mit <strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun hat. Und <strong>de</strong>rselbe Gr<strong>und</strong> liegt vor bei<br />

<strong>de</strong>r Formel „Je<strong>de</strong>m das Seine geben".<br />

31


58. 12 12. ARTIKEL<br />

Steht die <strong>Gerechtigkeit</strong> an <strong>de</strong>r Spitze <strong>de</strong>r sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n?<br />

1. Aufgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

Die Freigebigkeit jedoch teilt vom Eigenen aus, <strong>und</strong> das ist viel<br />

tugendhafter. Also steht die Freigebigkeit über <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit.<br />

2. Der Schmuck ist von höherem Wert als das Geschmückte.<br />

Doch „die Hochherzigkeit ist Schmuck <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

aller Tugen<strong>de</strong>n", wie Aristoteles im IV. Buch seiner Ethik (c. 7;<br />

1124 a 1) schreibt. Also ist die Hochherzigkeit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

überlegen.<br />

3. „Das Schwierigere <strong>und</strong> das Gute" ist die Sache <strong>de</strong>r Tugend<br />

(Aristoteles, Eth.II,3; 1105a9). Doch die Tapferkeit steht viel<br />

Schwierigerem gegenüber, nämlich <strong>de</strong>n To<strong>de</strong>sgefahren (Aristoteles,<br />

Eth.III,9; 1115a24). Also übertrifft die Tapferkeit die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN meint Cicero in seiner Pflichtenlehre (1,7):<br />

„Tugendglanz umgibt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, ihretwegen heißen die<br />

Menschen gut."<br />

ANTWORT. Wenn wir von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> sprechen, ist es<br />

klar, daß sie alle sittlichen Tugen<strong>de</strong>n überragt, <strong>und</strong> zwar <strong>de</strong>s­<br />

halb, weil das Gemeinwohl über <strong>de</strong>m Einzelwohl einer Person<br />

steht. Dies meint Aristoteles, wenn er im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 1; 1094 b 7) schreibt: „Die herrlichste Tugend ist die Gerech­<br />

tigkeit, <strong>und</strong> we<strong>de</strong>r Abend- noch Morgenstern sind so w<strong>und</strong>er­<br />

bar wie sie."<br />

Doch auch die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit übertrifft die an<strong>de</strong>ren<br />

sittlichen Tugen<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> zwar aus zweifachem Gr<strong>und</strong>. 1. vom<br />

Subjekt aus gesehen: sie hat ihren Sitz im edleren Teil <strong>de</strong>r Seele,<br />

nämlich im geistigen Streben, im Willen, während die an<strong>de</strong>ren<br />

sittlichen Tugen<strong>de</strong>n im sinnlichen Strebevermögen verwurzelt<br />

sind, zu <strong>de</strong>m als Materie ebendieser Tugen<strong>de</strong>n die Lei<strong>de</strong>nschaf­<br />

ten gehören. - 2. Vom Objekt her gesehen: Die an<strong>de</strong>ren Tugen­<br />

<strong>de</strong>n erhalten ihr Ansehen allein von <strong>de</strong>m, was sie im Tugendhaf­<br />

ten selbst an Gutem bewirken, die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen<br />

dadurch, daß sich <strong>de</strong>r Tugendhafte einem an<strong>de</strong>ren gegenüber<br />

gut verhält, <strong>und</strong> so wird die <strong>Gerechtigkeit</strong> irgendwie ein Gut<br />

<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren, wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 3; 1130a 3) heißt.<br />

32


Darum bemerkt Aristoteles im I.Buch seiner Rhetorik (c.9; 58. 12<br />

1366b 3) auch: „Die größten Tugen<strong>de</strong>n sind notwendig jene, die<br />

für an<strong>de</strong>re das Beste bewirken, <strong>de</strong>nn die Tugend ist eine wohl­<br />

tätige Macht. Deshalb wer<strong>de</strong>n die Tapferen <strong>und</strong> die Gerechten<br />

am meisten geehrt, ist doch die Tapferkeit <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren im<br />

Kriege von N<strong>utz</strong>en, die <strong>Gerechtigkeit</strong> aber im Krieg <strong>und</strong> im<br />

Frie<strong>de</strong>n."<br />

Zu 1. Auch wenn die Freigebigkeit vom Eigenen austeilt, so<br />

tut sie das doch im Hinblick auf das eigene sittliche Wohl. Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch gibt <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren, was Sein ist, im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl. Außer<strong>de</strong>m wird die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

allen gegenüber gewahrt, die Freigebigkeit hingegen läßt sich<br />

nicht auf alle aus<strong>de</strong>hnen. Überdies grün<strong>de</strong>t die Freigebigkeit,<br />

die vom Ihrigen gibt, auf <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die darauf achtet,<br />

daß je<strong>de</strong>r das Seine behält.<br />

Zu 2. Sofern die Hochherzigkeit zur <strong>Gerechtigkeit</strong> hinzu­<br />

kommt, vermehrt sie <strong>de</strong>ren Wert. Ohne <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch<br />

besäße sie überhaupt nicht die Beschaffenheit einer Tugend.<br />

Zu 3. Die Tapferkeit hat es zwar mit <strong>de</strong>m Schwierigeren,<br />

jedoch nicht mit <strong>de</strong>m Besseren zu tun, da sie nur im Kriege<br />

nützlich ist. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist es im Krieg <strong>und</strong> im Frie<strong>de</strong>n,<br />

wie soeben betont wur<strong>de</strong>.<br />

33


59. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTIGKEIT<br />

Hierauf ist die Ungerechtigkeit zu betrachten. Dabei erge­<br />

ben sich vier Fragen:<br />

1. Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster?<br />

2. Ist das Unrechttun das Kennzeichen <strong>de</strong>s Ungerechten?<br />

3. Kann jemand mit seiner Zustimmung Unrecht erlei<strong>de</strong>n?<br />

4. Ist die Ungerechtigkeit Ihrer Art nach eine schwere<br />

Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Ungerechtigkeit ein beson<strong>de</strong>res Laster?<br />

1. In 1 Jo 3,4 heißt es: „Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist Gesetzwidrigkeit".<br />

Doch Gesetzwidrigkeit scheint das gleiche wie Ungerechtigkeit<br />

zu sein, <strong>de</strong>nn <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht in einem gewissen Aus­<br />

gleich, <strong>und</strong> so scheint die Ungerechtigkeit dasselbe wie Unaus­<br />

geglichenheit (inaequalitas) o<strong>de</strong>r Gesetzwidrigkeit (iniquitas)<br />

zu sein. Also ist Ungerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> steht nicht in Gegensatz zu allen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Doch Ungerechtigkeit wi<strong>de</strong>rspricht sämtlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. So ist das Unrecht <strong>de</strong>s Ehebruchs gegen die Keusch­<br />

heit, <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s gegen die Mil<strong>de</strong> usw. Also ist die Ungerechtig­<br />

keit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Die Ungerechtigkeit steht in Gegensatz zur Gerechtig­<br />

keit, die ihren Sitz im Willen hat. Doch „je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ist im<br />

Willen", wie Augustinus sagt (De duabus animabus c. 10;<br />

ML42,103). Also ist Ungerechtigkeit keine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: die Ungerechtigkeit ist das Gegenteil von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Doch die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine beson<strong>de</strong>re<br />

Tugend, also die Ungerechtigkeit auch ein beson<strong>de</strong>res Laster.<br />

ANTWORT. Die Ungerechtigkeit ist eine zweifache. Die eine<br />

ist gesetzeswidrig, weil sie <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, <strong>und</strong> sie ist ihrem Wesen nach ein beson<strong>de</strong>res Laster,<br />

weil sie ein beson<strong>de</strong>res Objekt hat, nämlich das Gemeinwohl,<br />

das sie verachtet. Von <strong>de</strong>r Absicht her gesehen, ist sie jedoch ein<br />

allgemeines Laster, <strong>de</strong>nn die Mißachtung <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

kann <strong>de</strong>n Menschen zu allen Sün<strong>de</strong>n verleiten. Daher tragen<br />

34


alle Laster, insofern sie <strong>de</strong>m Gemeinwohl wi<strong>de</strong>rsprechen, <strong>de</strong>n 59. 2<br />

Charakter <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit, gleichsam als seien sie von <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit abgeleitet (vgl. o. Fr. 58, Art. 6).<br />

Auf an<strong>de</strong>re Weise kann man von Ungerechtigkeit unter <strong>de</strong>m<br />

Gesichtspunkt einer gewissen Ungleichheit in <strong>de</strong>r Beziehung zu<br />

einem an<strong>de</strong>ren sprechen, wie wenn einer mehr Güter, z.B.<br />

Reichtum <strong>und</strong> Ehren, <strong>und</strong> weniger Übles, z.B. Arbeit <strong>und</strong><br />

Scha<strong>de</strong>n, haben möchte. Und so hat die Ungerechtigkeit eine<br />

beson<strong>de</strong>re Materie <strong>und</strong> ist ein beson<strong>de</strong>res, <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtig­<br />

keit entgegengesetztes Laster.<br />

Zu 1. Wie man von Gesetzesgerechtigkeit im Hinblick auf<br />

das Gemeingut spricht, so von göttlicher <strong>Gerechtigkeit</strong> im Hin­<br />

blick auf das Gut, das Gott ist, <strong>de</strong>m je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rstreitet.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> heißt je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> Gesetzwidrigkeit.<br />

Zu 2. Auch die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit steht - indirekt - im<br />

Gegensatz zu allen Tugen<strong>de</strong>n, insofern auch die äußeren Akte<br />

sowohl zur <strong>Gerechtigkeit</strong> wie auch zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n gehören, wenngleich auf verschie<strong>de</strong>ne Weise (vgl. Fr.<br />

58, Art. 2 Zu 2).<br />

Zu 3. Der Wille - wie auch die Vernunft - erstreckt sich auf<br />

die gesamte Materie <strong>de</strong>s Sittlichen, d. h. auf die Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

<strong>und</strong> auf die äußeren Handlungen, die sich auf an<strong>de</strong>re richten.<br />

Doch die <strong>Gerechtigkeit</strong> vervollkommnet <strong>de</strong>n Willen nur, soweit<br />

er sich auf Tätigkeiten, die auf an<strong>de</strong>re ausgerichtet sind,<br />

erstreckt. Und das gleiche gilt für die Ungerechtigkeit.<br />

2. ARTIKEL<br />

Heißt jemand ungerecht, weil er Ungerechtes tut?<br />

1. Der Habitus erhält seine spezifische Prägung durch sein<br />

Objekt (vgl. 1-1154,2). Nun ist das eigentliche Objekt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> das Gerechte <strong>und</strong> das eigentliche Objekt <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit das Ungerechte. Also muß einer, <strong>de</strong>r Gerechtes<br />

tut, „gerecht" genannt wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> „ungerecht", wer Ungerech­<br />

tes tut.<br />

2. Nach Aristoteles (Eth.V, 13; 1137a 17) ist die Meinung<br />

jener falsch, die glauben, es liege in <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>s Menschen, so<br />

einfachhin Ungerechtes zu tun <strong>und</strong> nicht weniger könne <strong>de</strong>r<br />

Gerechte ebenso Unrechtes tun wie <strong>de</strong>r Ungerechte. Dies wäre<br />

35


59. 2 nur <strong>de</strong>r Fall, wenn das Unrechttun eine Wesenseigenschaft <strong>de</strong>s<br />

Ungerechten wäre. Also ist jemand als Ungerechter einzustu­<br />

fen, weil er Ungerechtes tut.<br />

3. Je<strong>de</strong> Tugend verhält sich zu ihrem eigentümlichen Akt<br />

immer gleich, <strong>und</strong> dasselbe gilt von <strong>de</strong>n entgegengesetzten<br />

Lastern. Wer nun die Maßhaltung überschreitet, heißt „un­<br />

mäßig". Demnach heißt „ungerecht", wer Ungerechtes tut.<br />

DAGEGEN schreibt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik<br />

(c. 10; 1134a 17): „Es tut einer etwas Ungerechtes <strong>und</strong> ist trotz­<br />

<strong>de</strong>m nicht ungerecht".<br />

ANTWORT. Wie das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> Ausgleich in<br />

äußeren Dingen besagt, so ist das Objekt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

etwas Unausgeglichenes, insofern jeman<strong>de</strong>m mehr o<strong>de</strong>r auch<br />

weniger, als ihm zusteht, gegeben wird. Dieses Objekt ist auf<br />

<strong>de</strong>n Habitus <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit bezogen, <strong>und</strong> zwar durch<br />

<strong>de</strong>ssen eigentümlichen Akt, das Unrechttun. Es kann also auf<br />

zweifache Weise vorkommen, daß jemand Ungerechtes tut, <strong>und</strong><br />

doch nicht ungerecht ist. Einmal, weil es zwischen <strong>de</strong>r Tätigkeit<br />

<strong>und</strong> ihrem eigentümlichen Objekt keine Entsprechung gibt, -<br />

die Tätigkeit erhält ja Art <strong>und</strong> Namen vom Objekt, <strong>und</strong> zwar<br />

von ihrem An-sich-Objekt, nicht von <strong>de</strong>m, was nur „zufällig"<br />

einmal ihr Gegenstand sein kann. Bei <strong>de</strong>m, was Ziel (Objekt)<br />

einer Handlung ist, heißt „an sich", was sich mit absichtlichem<br />

Wollen verbin<strong>de</strong>t, „zufällig", was außerhalb <strong>de</strong>r Absicht liegt.<br />

Wer daher etwas Ungerechtes tut, ohne die Absicht, es zu tun,<br />

es z. B. aus Unwissenheit tut, ohne etwas Unrechtes zu ahnen,<br />

begeht nichts Unrechtes „an sich" <strong>und</strong> eigentlich („formell"),<br />

son<strong>de</strong>rn nur „zufällig" <strong>und</strong> beiläufig („per acci<strong>de</strong>ns"). - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise kann es vorkommen (daß jemand Unrecht tut,<br />

ohne ungerecht zu sein) wegen fehlen<strong>de</strong>r Übereinstimmung <strong>de</strong>r<br />

Tätigkeit mit <strong>de</strong>m Habitus. Das Unrechttun kann nämlich bis­<br />

weilen einer Lei<strong>de</strong>nschaft entspringen, z. B. <strong>de</strong>m Zorn o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Begehrlichkeit, bisweilen aber auch <strong>de</strong>r freien Wahl, wenn das<br />

Unrechttun in sich Wohlgefallen erregt. Dann geht es im eigent­<br />

lichen Sinn vom Habitus aus, <strong>de</strong>nn j e<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r einen Habitus hat,<br />

ist willkommen, was diesem Habitus entspricht. - Unrechttun<br />

mit Absicht <strong>und</strong> aus freier Wahl macht also das Eigentümliche<br />

<strong>de</strong>s Ungerechten aus, insofern „Ungerechter" heißt, wer <strong>de</strong>n<br />

Habitus <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit besitzt. Doch ohne Absicht o<strong>de</strong>r<br />

aus Lei<strong>de</strong>nschaft Unrechtes tun kann jemand ohne <strong>de</strong>n Habitus<br />

<strong>de</strong>r Ungerechtigkeit.<br />

36


Zu 1. Nur das im eigentlichen <strong>und</strong> formellen Sinn verstan- 59. 3<br />

<strong>de</strong>ne Objekt bestimmt die Art <strong>de</strong>s Habitus, nicht jedoch, wenn<br />

man es materiell <strong>und</strong> als etwas Zufälliges versteht.<br />

Zu 2. Es tut nicht leicht jemand absichtlich Unrecht aus rei­<br />

nem Vergnügen, son<strong>de</strong>rn eber aus an<strong>de</strong>ren Grün<strong>de</strong>n. Dies ist,<br />

wie Aristoteles ebendort (Eth.V, 10 u. 14; 1134al7 bzw.<br />

1137a 22) betont, bezeichnend für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r einen Habitus<br />

besitzt.<br />

Zu 3. Das Objekt <strong>de</strong>r Maßhaltung ist nicht wie bei <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> etwas äußerlich Festgelegtes, son<strong>de</strong>rn es ist das<br />

Maßvolle <strong>und</strong> ergibt sich allein aus seiner Bezogenheit zum<br />

Menschen. Das Beiläufige <strong>und</strong> Unbeabsichtigte kann daher<br />

we<strong>de</strong>r materiell noch formell „maßvoll" genannt wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong><br />

ebensowenig „unmäßig". Diesbezüglich besteht keine Ähnlich­<br />

keit zwischen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Bezüglich <strong>de</strong>s Verhältnisses <strong>de</strong>r Handlung zum<br />

Habitus jedoch gilt für sie wie bei allen das gleiche.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann jemand willentlich Unrecht erlei<strong>de</strong>n?<br />

1. Ungerecht ist soviel wie unausgeglichen (vgl. Art. 2).<br />

Doch wer sich selbst verletzt, bewirkt ebenso Unausgeglichen­<br />

heit wie durch Verletzung eines an<strong>de</strong>ren. Es kann also jemand<br />

sich selbst genau so wie einem an<strong>de</strong>ren Unrecht zufügen. Doch<br />

wer Unrecht tut, tut es willentlich. Also kann jemand willentlich<br />

Unrecht erlei<strong>de</strong>n, vor allem durch sich selbst.<br />

2. Das bürgerliche Gesetz straft nur wegen begangenen<br />

Unrechts. Doch Selbstmör<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n [wur<strong>de</strong>n] nach <strong>de</strong>n<br />

Staatsgesetzen dadurch bestraft, daß ihnen früher die Ehre<br />

eines Begräbnisses verweigert wur<strong>de</strong>, wie Aristoteles berichtet<br />

(Eth.V, 15; 1138 al2). Also kann sich jemand selbst Unrecht<br />

antun <strong>und</strong> so willentlich Ungerechtigkeit erlei<strong>de</strong>n.<br />

3. Unrecht geschieht nur, wenn es jemand erlei<strong>de</strong>t. Nun<br />

kommt es vor, daß jemand einem an<strong>de</strong>ren mit <strong>de</strong>ssen Zustim­<br />

mung Unrecht zufügt. Also kommt es vor, daß jemand willent­<br />

lich Unrecht erlei<strong>de</strong>t.<br />

DAGEGEN steht, daß Unrechterlei<strong>de</strong>n das Gegenteil ist von<br />

Unrechttun. Doch Unrecht tut man nur mit Willen. Also erlei-<br />

37


59. 3 <strong>de</strong>t, umgekehrt, niemand Unrecht, es sei <strong>de</strong>nn, gegen seinen<br />

Willen.<br />

ANTWORT. Eine Handlung geht begriffsgemäß vom Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n<br />

aus, das Erlei<strong>de</strong>n hingegen wird seiner Natur nach von<br />

einem an<strong>de</strong>ren bewirkt. Daher kann ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselbe nicht in<br />

gleicher Hinsicht Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r sein (vgl.<br />

Aristoteles, Physik III, 1 u. VIII, 5; 201 a 19 u. 256b20). Nun ist<br />

das eigentliche Tätigkeitsprinzip bei <strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r Wille,<br />

<strong>und</strong> daher tut <strong>de</strong>r Mensch eigentlich <strong>und</strong> an sich nur das, was er<br />

willentlich tut. Umgekehrt erlei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch im eigentlichen<br />

Sinn das, was er gegen seinen Willen erlei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn insofern er<br />

will, liegt <strong>de</strong>r Ausgangspunkt in ihm selbst, <strong>und</strong> insofern ist er<br />

mehr Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>r als Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r.<br />

Man muß also sagen: an sich <strong>und</strong> im eigentlichen Sinn (formell)<br />

gesprochen, kann niemand Unrecht tun, es sei <strong>de</strong>nn, er<br />

will, <strong>und</strong> niemand es erlei<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn gegen seinen Willen.<br />

Beiläufig (per acci<strong>de</strong>ns) jedoch <strong>und</strong> gleichsam materiell gesprochen,<br />

kann jemand etwas an sich Ungerechtes entwe<strong>de</strong>r, ohne<br />

es zu wollen, tun (z. B. wenn er es ohne Absicht tut) o<strong>de</strong>r etwas<br />

willentlich erlei<strong>de</strong>n, z. B. wenn jemand einem an<strong>de</strong>ren freiwillig<br />

mehr gibt, als er muß.<br />

Zu 1. Wer freiwillig einem gibt, was er ihm nicht schul<strong>de</strong>t,<br />

begeht we<strong>de</strong>r ein Unrecht, noch schafft er damit eine Ungleichheit.<br />

Das Besitzrecht <strong>de</strong>s Menschen hängt nämlich von seinem<br />

Willen ab, <strong>und</strong> so ergibt sich kein MißVerhältnis, wenn er etwas<br />

freiwillig abgibt o<strong>de</strong>r sich nehmen läßt.<br />

Zu 2. „Einzelperson" kann doppelt verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Einmal an sich, <strong>und</strong> wenn sich, so gesehen, jemand einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt, kann dies zwar <strong>de</strong>n Charakter einer Sün<strong>de</strong> annehmen,<br />

z. B. <strong>de</strong>r Unmäßigkeit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Unklugheit, nicht jedoch<br />

<strong>de</strong>r Ungerechtigkeit, <strong>de</strong>nn wie die <strong>Gerechtigkeit</strong> sich stets auf<br />

einen an<strong>de</strong>ren bezieht, so auch die Ungerechtigkeit. - Sodann<br />

läßt sich <strong>de</strong>r Mensch als zum Staatswesen gehörig als <strong>de</strong>ssen Teil<br />

betrachten o<strong>de</strong>r als Gott zugehörig, nämlich als <strong>de</strong>ssen<br />

Geschöpf <strong>und</strong> Ebenbild. Wer sich nun selbst tötet, begeht ein<br />

Unrecht, zwar nicht sich selbst, jedoch <strong>de</strong>m Staat <strong>und</strong> Gott gegenüber.<br />

Darum wird er sowohl vom göttlichen wie vom<br />

menschlichen Gesetz bestraft, so wie <strong>de</strong>r Apostel vom Unzüchtigen<br />

sagt (1 Kor 3,17): „Wer <strong>de</strong>n Tempel Gottes verdirbt, <strong>de</strong>n<br />

wird Gott ver<strong>de</strong>rben".<br />

38


Zu 3. Das Erlei<strong>de</strong>n wird durch eine äußere Handlung 59.4<br />

bewirkt. Beim Tun <strong>und</strong> Erlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Unrechts erscheint nun als<br />

materielles Element <strong>de</strong>r äußere Akt in sich betrachtet (vgl. o.<br />

Art. 2), das Formelle <strong>und</strong> Eigentliche jedoch ist im Willen <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Erlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n zu sehen (vgl. ebda.). Den­<br />

noch ist zu sagen, daß Unrechttun <strong>de</strong>s einen <strong>und</strong> Unrecht­<br />

erlei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren materiell gesehen immer zusammen sind.<br />

Re<strong>de</strong>n wir aber formell, so kann <strong>de</strong>r eine Unrecht tun, <strong>und</strong> zwar<br />

mit Absicht, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch erlei<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re kein Unrecht,<br />

weil er es willentlich hinnimmt. Umgekehrt kann einer Unrecht<br />

erlei<strong>de</strong>n, falls er das Unrecht gegen seinen Willen erlei<strong>de</strong>t, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>nnoch tut <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weil er aus Unwissenheit han<strong>de</strong>lt, kein<br />

Unrecht im formellen (eigentlichen) Sinn, son<strong>de</strong>rn nur mate­<br />

riell (äußerlich gesehen).<br />

4. ARTIKEL<br />

Sündigt schwer, wer Unrecht tut?<br />

1. Die läßliche Sün<strong>de</strong> steht im Gegensatz zur schweren.<br />

Doch bisweilen ist es nur läßliche Sün<strong>de</strong>, wenn jemand Unrecht<br />

tut. Aristoteles sagt nämlich im V.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1136 a 6), wenn er von solchen spricht, die Unrecht tun: „Nach­<br />

sicht verdienen fehlerhafte Handlungen, wenn sie nicht bloß in<br />

Unwissenheit, son<strong>de</strong>rn auch aus Unwissenheit geschehen".<br />

Also sündigt man nicht immer schwer, wenn man Unrecht tut.<br />

2. Wer in einer unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Sache Unrecht tut, weicht<br />

nur wenig von <strong>de</strong>r „Mitte" ab. Dies aber ist nach Aristoteles'<br />

Ethik (V, 9; 1109 b 18) erträglich <strong>und</strong> unter die kleinen Übel<br />

zu rechnen. Also sündigt nicht je<strong>de</strong>r schwer, <strong>de</strong>r Unrecht tut.<br />

3. Die Caritas (übernatürliche Gottesliebe) ist die „Mutter<br />

aller Tugen<strong>de</strong>n"; was zu ihr in Gegensatz steht, heißt Todsün<strong>de</strong>.<br />

Doch nicht alle Sün<strong>de</strong>n, die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>rsprechen,<br />

sind Todsün<strong>de</strong>n. Also ist Unrechttun auch nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: was sich gegen Gottes Gebot richtet, ist<br />

Todsün<strong>de</strong>. Doch wer Unrecht tut, han<strong>de</strong>lt gegen ein Gesetz<br />

Gottes, gehe es um Diebstahl, um Ehebruch, um Mord o<strong>de</strong>r<br />

etwas an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen, wie weiter unten auseinan<strong>de</strong>rgelegt<br />

wird (Fr. 64ff.). Wer Unrecht tut, begeht also eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

39


59. 4 ANTWORT. Wie oben (I-II72,5), als es um <strong>de</strong>n Unterschied<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n ging, gesagt wur<strong>de</strong>, ist Todsün<strong>de</strong>, was <strong>de</strong>r Caritas,<br />

die <strong>de</strong>r Seele das Leben verleiht, wi<strong>de</strong>rspricht. Je<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n<br />

aber, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Nächsten zugefügt wird, wi<strong>de</strong>rstreitet an sich <strong>de</strong>r<br />

Caritas, die dazu antreibt, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Gutes zu wollen. Da<br />

nun Unrecht immer in <strong>de</strong>r Schädigung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren besteht, ist<br />

offensichtlich, daß Unrechttun seiner Art nach Todsün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Jenes Aristoteleswort versteht sich vom Nichtwissen<br />

<strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s, das er selbst (Eth. 111,2; 1110b31) mit<br />

„Nichtwissen <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren Umstän<strong>de</strong>" bezeichnet. Dieses<br />

verdient Nachsicht, nicht jedoch das Nichtwissen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

lage. Dieses entschuldigt nicht. Wer aber unwissentlich Unrecht<br />

tut, tut es nur beiläufig (per acci<strong>de</strong>ns; vgl. o. Art. 2).<br />

Zu 2. Wer in Kleinigkeiten Unrecht tut, erfüllt nicht <strong>de</strong>n<br />

Vollbegriff <strong>de</strong>s Unrechttuns, insofern man annehmen darf, sol­<br />

ches sei nicht gänzlich gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r es erlei<strong>de</strong>t,<br />

z.B. wenn jemand einem einen Apfel o<strong>de</strong>r etwas <strong>de</strong>rgleichen<br />

wegnimmt, wodurch <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re wohl kaum Scha<strong>de</strong>n erlei<strong>de</strong>t<br />

o<strong>de</strong>r sich <strong>de</strong>swegen ungehalten zeigt.<br />

Zu 3. Die Sün<strong>de</strong>n gegen die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n verursachen<br />

beim an<strong>de</strong>ren nicht immer Scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn tragen eine<br />

gewisse Unordnung in die menschlichen Lei<strong>de</strong>nschaften hinein.<br />

Die Gesichtspunkte sind also verschie<strong>de</strong>n.<br />

40


60. FRAGE<br />

DIE RECHTSPRECHUNG<br />

Hierauf ist die <strong>Recht</strong>sprechung zu betrachten. Dazu gibt es 6<br />

Fragen:<br />

1. Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen?<br />

3. Darf man auf Verdachtsgrün<strong>de</strong> hin <strong>Recht</strong> sprechen?<br />

4. Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin gelöst<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

5. Muß man immer nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong><br />

sprechen?<br />

6. Wird die <strong>Recht</strong>sprechnung durch Anmaßung beeinträch­<br />

tigt?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. Aristoteles schreibt im I. Buch seiner Ethik (c. 1; 1094 b 27):<br />

„Je<strong>de</strong>r beurteilt gut, was er kennt." Die <strong>Recht</strong>sprechung ist<br />

<strong>de</strong>mnach also Sache <strong>de</strong>r Erkenntniskraft. Die Erkenntniskraft<br />

wird jedoch durch die Klugheit vervollkommnet. Also gehört<br />

die <strong>Recht</strong>sprechung mehr zur Klugheit als zur <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die im Willen ihren Sitz hat (Fr. 58,4).<br />

2. Der Apostel schreibt im 1. Korintherbrief 2,15: „Der<br />

geisterfüllte Mensch urteilt über alles". Doch am meisten<br />

geisterfüllt wird <strong>de</strong>r Mensch durch die Tugend <strong>de</strong>r Caritas<br />

(übernatürliche Gottesliebe), die „ausgegossen ist in unsere<br />

Herzen durch <strong>de</strong>n Heiligen Geist, <strong>de</strong>r uns gegeben ist", wie es<br />

im Römerbrief 5,5 heißt. Also gehört die <strong>Recht</strong>sprechung eher<br />

zur Caritas als zur <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Je<strong>de</strong> Tugend muß sich ein richtiges Urteil über ihre eigene<br />

Materie bil<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik (111,6;<br />

1113a 32) „urteilt <strong>de</strong>r Tugendhafte über alles <strong>und</strong> je<strong>de</strong>s richtig".<br />

Die <strong>Recht</strong>sprechung gehört also nicht in höherem Maß zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n.<br />

4. Die <strong>Recht</strong>sprechung scheint einzig Sache <strong>de</strong>r Richter zu<br />

sein. Gerechtes Han<strong>de</strong>ln jedoch gibt es bei allen Gerechten. Da<br />

nun nicht nur die Richter allein gerecht sind, ist wohl auch die<br />

<strong>Recht</strong>sprechung kein <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> eigener Akt.<br />

41


60.1 DAGEGEN heißt es im Ps93,15: „... bis zur <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

das Gerichtswesen zurückkehrt."<br />

ANTWORT. „<strong>Recht</strong>sprechung" be<strong>de</strong>utet im eigentlichen<br />

Sinn <strong>de</strong>n Akt <strong>de</strong>s Richters, insofern er Richter ist. „Richter"<br />

(ju<strong>de</strong>x) aber heißt soviel wie „<strong>Recht</strong> sprechend" (jus dicens).<br />

Nun ist das <strong>Recht</strong> das Objekt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, wie oben<br />

(Fr. 57,1) dargelegt wur<strong>de</strong>. Und so besagt „<strong>Recht</strong>sprechung"<br />

nach ihrem unmittelbaren Wortsinn Bestimmung o<strong>de</strong>r Fest­<br />

legung <strong>de</strong>s Gerechten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Die Fähigkeit aber, ge­<br />

nau richtig sagen zu können, was tugendhaft ist, hängt ent­<br />

schei<strong>de</strong>nd vom Habitus <strong>de</strong>r Tugend ab. So vermag z.B. <strong>de</strong>r<br />

Keusche genau anzugeben, was zur Keuschheit gehört. In glei­<br />

cher Weise unterliegt die <strong>Recht</strong>sprechung, die in <strong>de</strong>r richtigen<br />

Bestimmung <strong>de</strong>ssen, was recht ist, besteht, <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Daher schreibt Aristoteles im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik<br />

(c.7; 1132a 20): Die Menschen „nehmen ihre Zuflucht zum<br />

Richter wie zu einer Art von lebendiger <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Zu 1. Das Wort „<strong>Recht</strong>sprechung" wur<strong>de</strong> zunächst für die<br />

richtige Bestimmung <strong>de</strong>ssen gebraucht, was gerecht ist, sodann<br />

jedoch auf die richtige Bestimmung an<strong>de</strong>rer Dinge übertragen,<br />

sowohl im Bereich <strong>de</strong>s reinen Denkens als auch <strong>de</strong>s praktischen<br />

Tuns. Immer jedoch setzt eine sachgemäße <strong>Recht</strong>sprechung<br />

zwei Dinge voraus: einmal die Fähigkeit, ein Urteil zu bil<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> so ist die <strong>Recht</strong>sprechung ein Akt <strong>de</strong>r Vernunft; etwas aus­<br />

zusprechen o<strong>de</strong>r zu <strong>de</strong>finieren, ist nämlich Sache <strong>de</strong>r Vernunft.<br />

Das an<strong>de</strong>re Erfor<strong>de</strong>rnis besteht in <strong>de</strong>r persönlichen Eignung<br />

<strong>de</strong>s Richten<strong>de</strong>n zum richtigen Urteil. In Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

geht die <strong>Recht</strong>sprechung also aus <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

hervor, wie das, was zur Tapferkeit gehört, <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

Tapferkeit entspringt. Die <strong>Recht</strong>sprechung ist daher ein Akt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern diese zum richtigen Urteilen geneigt<br />

macht, ein Akt <strong>de</strong>r Klugheit jedoch, insofern sie das Urteil<br />

ausspricht. Daher heißt auch die „Synesis" (<strong>de</strong>r „hausbackene<br />

Verstand"), die zur Klugheit gehört, „treffen<strong>de</strong> Urteilskraft"<br />

(vgl. Fr. 51,3).<br />

Zu 2. Der geistliche Mensch [13] besitzt kraft <strong>de</strong>r Tugend<br />

Caritas die Geneigtheit, alles nach göttlichen Normen zu beur­<br />

teilen. Im Blick auf sie spricht er, gelenkt durch die Gabe <strong>de</strong>r<br />

Weisheit, sein Urteil aus, so wie <strong>de</strong>r Gerechte, gelenkt durch die<br />

Tugend <strong>de</strong>r Klugheit, im Blick auf die Normen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s sein<br />

Urteil ausspricht.<br />

42


Zu 3. Die übrigen Tugen<strong>de</strong>n schaffen Ordnung im Men- 60. 2<br />

sehen selbst, die <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch in seinen Beziehungen zu<br />

an<strong>de</strong>ren (vgl. Fr. 58,2). Nun ist <strong>de</strong>r Mensch Herr über das, was<br />

ihn selber, nicht jedoch über das, was an<strong>de</strong>re betrifft. Daher<br />

verlangen die an<strong>de</strong>ren Tugendbereiche nur das Urteil <strong>de</strong>s per­<br />

sönlich Tugendhaften, freilich in <strong>de</strong>r erweiterten Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s<br />

Wortes (vgl. Zu 1). Doch in Sachen <strong>Gerechtigkeit</strong> ist darüber<br />

hinaus das Urteil eines Höheren vonnöten, „<strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> zurecht­<br />

weisen <strong>und</strong> seine Hand auf bei<strong>de</strong> legen darf" (Job 9,33). Daher<br />

gehört die <strong>Recht</strong>sprechung im eigentlichen Sinn viel eher zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> als zu irgen<strong>de</strong>iner an<strong>de</strong>ren Tugend.<br />

Zu 4. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist im Fürsten als schöpferische<br />

Tugend, sie befiehlt <strong>und</strong> schreibt gleichsam vor, was gerecht ist.<br />

In <strong>de</strong>n Untergebenen hingegen ist sie ausführen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die­<br />

nen<strong>de</strong> Tugend. Daher gehört die <strong>Recht</strong>sprechung, durch die das<br />

Gerechte festgelegt wird, zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern sie auf<br />

höhere Weise im Staatsoberhaupt ist.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen?<br />

1. Strafe wird nur für Unerlaubtes verhängt. Doch <strong>de</strong>n<br />

Richten<strong>de</strong>n droht Strafe, <strong>de</strong>r Nichtrichten<strong>de</strong> entgehen gem. Mt<br />

7,1: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet wer<strong>de</strong>t!" Also ist<br />

<strong>Recht</strong>sprechen unerlaubt.<br />

2. Rom 14,4 heißt es: „Wie kannst du <strong>de</strong>n Diener eines<br />

an<strong>de</strong>ren richten? Sein Herr entschei<strong>de</strong>t, ob er steht o<strong>de</strong>r fällt."<br />

Der Herr aller aber ist Gott. Also steht es keinem Menschen zu,<br />

<strong>Recht</strong> zu sprechen.<br />

3. Kein Mensch ist ohne Sün<strong>de</strong> gem. 1 Jol,8: „Wenn wir<br />

sagen, daß wir keine Sün<strong>de</strong> haben, führen wir uns selber in die<br />

Irre." Doch nach Rom 2,1 darf <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r nicht richten: „Du<br />

bist unentschuldbar - wer du auch bist, Mensch -, wenn du<br />

richtest. Denn worin du <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren richtest, darin verurteilst<br />

du dich selber, da du, <strong>de</strong>r Richten<strong>de</strong>, dasselbe tust." Also ist es<br />

nieman<strong>de</strong>m erlaubt, <strong>Recht</strong> zu sprechen.<br />

DAGEGEN steht Dt 16,18: „Innerhalb aller <strong>de</strong>iner Tore<br />

sollst du Richter <strong>und</strong> Vorsteher einsetzen, damit sie das Volk<br />

mit gerechtem Gerichte richten."<br />

43


60. 2 ANTWORT. <strong>Recht</strong>sprechen ist insoweit erlaubt, als es einen<br />

Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> darstellt. Damit aber das <strong>Recht</strong>sprechen<br />

ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, sind nach <strong>de</strong>m oben Gesagten<br />

(Art. 1 Zu 1 u. 3) drei Dinge nötig: 1. es muß aus <strong>de</strong>r Bereit­<br />

schaft zur <strong>Gerechtigkeit</strong> hervorgehen, 2. es muß die Autorität<br />

<strong>de</strong>r Obrigkeit dahinterstehen, 3. es muß mit richtig bedachter<br />

Klugheit vorgetragen wer<strong>de</strong>n. Fehlt einer dieser Punkte, ist die<br />

<strong>Recht</strong>sprechung fehlerhaft <strong>und</strong> unerlaubt. Verstößt sie gegen<br />

die ein<strong>de</strong>utige <strong>Gerechtigkeit</strong>, dann ist sie „pervers" o<strong>de</strong>r „unge­<br />

recht". Fällt <strong>de</strong>r Mensch Urteile auf Gebieten, für die er nicht<br />

zuständig ist, spricht man von „angemaßter" <strong>Recht</strong>sprechung.<br />

Fehlt es an rationaler Sicherheit, z. B. wenn jemand aufgr<strong>und</strong><br />

leichter Mutmaßungen über Zweifelhaftes o<strong>de</strong>r Verborgenes<br />

urteilt, dann heißt man dies „Verdachts"- o<strong>de</strong>r „Unbesonnen­<br />

heitsurteil".<br />

Zu 1. Der Herr verbietet dort leichtsinniges Urteilen über<br />

innere Absichten o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re unsichere Dinge (vgl. Augustinus:<br />

Bergpredigt II, 18; ML 34,1237). - O<strong>de</strong>r er verbietet das Urteil<br />

über göttliche Dinge, die wir nicht beurteilen dürfen, weil sie<br />

uns übersteigen o<strong>de</strong>r weil wir sie schlicht <strong>und</strong> einfach glauben<br />

müssen, wie Hilarius sagt (Matthäuskommentar c.5; ML 9,<br />

950). - O<strong>de</strong>r er verbietet das Urteil, das nicht aus Wohlwollen,<br />

son<strong>de</strong>rn aus bitterer Gesinnung gefällt wird (so <strong>de</strong>r Unvoll­<br />

en<strong>de</strong>te Matthäuskommentar <strong>de</strong>s Cbrysostomus, Horn. 17;<br />

MG 56,725).<br />

Zu 2. Der Richter wird eingesetzt als Diener Gottes. Daher<br />

heißt es im Buch Deuteronomium 1,16: „Richtet, was recht<br />

ist!" <strong>und</strong> weiter (17): „Denn Gottes ist das Gericht".<br />

Zu 3. Wer im Zustand schwerer Sün<strong>de</strong> lebt, darf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r in<br />

gleiche o<strong>de</strong>r weniger schwere Sün<strong>de</strong>n verstrickt ist, nicht rich­<br />

ten, wie Cbrysostomus zu Mt7,1: „Richtet nicht!" (Horn. 23;<br />

MG57,310) sagt. Dies gilt vor allem dann, wenn die Sün<strong>de</strong>n<br />

öffentlich sind, <strong>de</strong>nn dies erregt Ärgernis in <strong>de</strong>n Herzen <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>ren. Sind sie jedoch nicht öffentlich, son<strong>de</strong>rn geheim, <strong>und</strong><br />

erweist sich ein Urteil von Amts wegen als notwendig, kann er<br />

(<strong>de</strong>r sündige Richter) in Demut <strong>und</strong> Furcht zurechtweisen o<strong>de</strong>r<br />

richten. Darum schreibt Augustinus im Buch Uber die Berg­<br />

predigt (11,19; ML34,1299): „Wenn wir uns in <strong>de</strong>mselben<br />

Fehler befin<strong>de</strong>n, laßt uns ihn bedauern <strong>und</strong> uns zu gemeinsamer<br />

Anstrengung aufmuntern." - Damit verurteilt sich <strong>de</strong>r Mensch<br />

nicht selbst, wodurch er sich etwa ein neues Verdienst erwerben<br />

44


wür<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn er beweist, daß er selbst, in<strong>de</strong>m er einen 60.3<br />

an<strong>de</strong>ren verurteilt, wegen <strong>de</strong>r gleichen o<strong>de</strong>r einer ähnlichen<br />

Sün<strong>de</strong> ebenso verurteilungswürdig ist.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist ein Urteil auf bloßen Verdacht hin unerlaubt?<br />

1. Unter Verdacht versteht man eine unsichere Meinung<br />

über etwas Böses. Daher wen<strong>de</strong>t sich <strong>de</strong>r Verdacht nach<br />

Aristoteles (Etil.VI,3; 1139b 17) <strong>de</strong>m wahren <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Falschen<br />

zu. Doch in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>s Zufälligen läßt sich nur eine<br />

unsichere Meinung bil<strong>de</strong>n. Da sich nun das Urteil <strong>de</strong>s Men­<br />

schen auf das menschliche Tun bezieht, das sich im Einzelnen<br />

<strong>und</strong> Zufälligen abspielt, scheint jegliches Urteil unerlaubt zu<br />

sein, wenn man überhaupt nicht auf Verdacht hin urteilen darf.<br />

2. Ein unerlaubtes Urteil fügt <strong>de</strong>m Nächsten Unrecht zu.<br />

Doch böse Verdächtigung existiert nur in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>s<br />

Menschen, <strong>und</strong> so wirkt sie sich nicht als Unrecht gegen einen<br />

an<strong>de</strong>ren aus. Also ist Urteil auf Verdacht hin nicht unerlaubt.<br />

3. Ist es unerlaubt, muß es auf die Ungerechtigkeit zurück­<br />

geführt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn das Urteil ist ein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

(Art. 1). Doch Ungerechtigkeit ist ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong><br />

(Fr. 59,4). Also wäre Urteil auf Verdacht hin immer Todsün<strong>de</strong>,<br />

wenn es unerlaubt wäre. Dies jedoch ist falsch, <strong>de</strong>nn „Verdacht<br />

läßt sich nicht vermei<strong>de</strong>n", wie die Glosse Augustins zu 1 Kor.<br />

4,5: „Richtet nicht vor <strong>de</strong>r Zeit!" (ML 191,1566) sagt. Also<br />

scheint ein Urteil auf Verdacht hin nicht unerlaubt zu sein.<br />

DAGEGEN schreibt Cbrysostomus zum Matthäuswort (7,1)<br />

„Richtet nicht!": „Der Herr verbietet mit diesem Befehl nicht,<br />

aus Wohlwollen an<strong>de</strong>re zurechtzuweisen, son<strong>de</strong>rn daß sie aus<br />

Einbildung auf ihre <strong>Gerechtigkeit</strong> als Christen die an<strong>de</strong>ren<br />

Christen verachten, in<strong>de</strong>m sie meist auf bloße Verdachtsgrün<strong>de</strong><br />

hin die an<strong>de</strong>ren hassen <strong>und</strong> verurteilen" (Unvollen<strong>de</strong>ter Mt-<br />

Kommentar, Horn. 17; MG 56,725).<br />

ANTWORT. Wie Cicero sagt, be<strong>de</strong>utet Verdächtigung, wenn<br />

sie schwach begrün<strong>de</strong>t ist, soviel wie Vermutung von etwas<br />

Bösem (Tuscul. 4,7). Und dies geschieht aus dreifachem<br />

Gr<strong>und</strong>. Einmal <strong>de</strong>shalb, weil jemand selber schlecht ist <strong>und</strong><br />

darum im Bewußtsein seiner Schlechtigkeit von an<strong>de</strong>ren leicht<br />

etwas Schlechtes <strong>de</strong>nkt gemäß Prd 10,3: „Wenn <strong>de</strong>r Tor auf<br />

45


60. 3 seinem Wege wan<strong>de</strong>lt, hält er, da er selbst ein Tor ist, alle für<br />

Toren". - Sodann kommt es daher, daß sich jemand mit einem<br />

an<strong>de</strong>ren schlecht versteht. Verachtet o<strong>de</strong>r haßt jemand einen<br />

an<strong>de</strong>ren o<strong>de</strong>r hegt er Zorn- o<strong>de</strong>r Neidgefühle gegen ihn, dann<br />

genügen geringe An<strong>de</strong>utungen, um ihn <strong>de</strong>s Bösen zu verdäch­<br />

tigen, <strong>de</strong>nn, was man wünscht, das glaubt man gern. - Drittens<br />

spielt lange Erfahrung noch eine Rolle, weshalb Aristoteles im<br />

II. Buch seiner Rhetorik (c. 13; 1389 b 21) schreibt: „Greise sind<br />

aufs höchste argwöhnisch, da sie oftmals das Versagen ihrer<br />

Mitmenschen erlebt haben".<br />

Die ersten bei<strong>de</strong>n Ursachen <strong>de</strong>s Argwohns sind offensicht­<br />

lich <strong>de</strong>r Verkehrtheit <strong>de</strong>r Affekte zuzuschreiben. Die dritte<br />

Ursache jedoch schwächt <strong>de</strong>n Grad <strong>de</strong>r Verdächtigung ab,<br />

in<strong>de</strong>m die Erfahrung die Gewißheit, die ja <strong>de</strong>n Verdacht auf­<br />

hebt, wachsen läßt. Verdächtigung trägt also <strong>de</strong>n Makel <strong>de</strong>s<br />

Sündhaften an sich, <strong>und</strong> je mehr sie sich steigert, umso schlim­<br />

mer wird sie.<br />

Der Argwohn hat drei Gra<strong>de</strong>. Beim ersten fängt <strong>de</strong>r Mensch<br />

an, auf leichte Grün<strong>de</strong> hin an <strong>de</strong>r Ta<strong>de</strong>llosigkeit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn zu<br />

zweifeln. Dies ist läßliche <strong>und</strong> leichte Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn „es gehört<br />

nun einmal zur menschlichen Versuchung, ohne die unser<br />

Leben nicht vonstatten geht", wie es in <strong>de</strong>r Glosse zu 1 Kor 4,5<br />

(„Richtet nicht vor <strong>de</strong>r Zeit!") heißt (ML 191,1566). - Beim<br />

zweiten Grad nimmt jemand aufgr<strong>und</strong> schwacher Anhalts­<br />

punkte Bösartigkeit bei seinem Nächsten als sichere Tatsache<br />

an. Dies ist im Falle schweren Vorwurfs eine Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn es<br />

geht nicht ohne Verachtung <strong>de</strong>s Nächsten ab. Die Glosse fährt<br />

darum dort weiter: „Wenn wir <strong>de</strong>shalb auch nicht allen Arg­<br />

wohn mei<strong>de</strong>n können, weil wir Menschen sind, so müssen wir<br />

uns doch mit <strong>de</strong>m endgültigen <strong>und</strong> bestimmten Urteil zurück­<br />

halten." - Der dritte Grad wird erreicht, wenn ein Richter auf­<br />

gr<strong>und</strong> von Verdacht zur Verurteilung schreitet. Dies fällt unmit­<br />

telbar in das Gebiet <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit. Daher ist es schwere<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Beim menschlichen Tun gibt es eine gewisse Sicher­<br />

heit, nicht zwar so wie in <strong>de</strong>n streng beweisbaren Wissenschaf­<br />

ten, son<strong>de</strong>rn entsprechend <strong>de</strong>r gegebenen Materie, z. B. wenn<br />

etwas durch geeignete Zeugenaussagen bewiesen wird.<br />

Zu 2. Dadurch, daß sich jemand über einen ohne hinrei­<br />

chen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> eine schlechte Meinung bil<strong>de</strong>t, verachtet er ihn<br />

zu Unrecht. Und somit beleidigt er ihn.<br />

46


Zu 3. Weil sich <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Unrecht auf äußere Handlungen 60. 4<br />

beziehen (Fr. 58,8.10.11), fällt das Verdächtigungsurteil, falls<br />

es zum äußeren Akt kommt, direkt in das Gebiet <strong>de</strong>r Ungerech­<br />

tigkeit. Und dann ist es, wie soeben gesagt, schwere Sün<strong>de</strong>. Das<br />

innere Urteil jedoch gehört zur <strong>Gerechtigkeit</strong> durch seine Bezo-<br />

genheit zum äußeren Urteil wie <strong>de</strong>r innere Akt zum äußeren,<br />

vergleichbar <strong>de</strong>m-Verhältnis Begier<strong>de</strong> - Unzucht <strong>und</strong> Zorn -<br />

Mord.<br />

4. ARTIKEL<br />

Müssen Zweifel nach <strong>de</strong>r günstigeren Seite hin gelöst<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Die <strong>Recht</strong>sprechung muß sich nach <strong>de</strong>m richten, was in<br />

<strong>de</strong>n meisten Fällen vorkommt. Doch meistens ist es so, daß die<br />

Leute schlecht han<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>nn, wie <strong>de</strong>r Prediger 1,15 sagt, ist<br />

„die Zahl <strong>de</strong>r Toren unendlich groß", <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Genesis 8,21<br />

heißt es: „Der Sinn <strong>de</strong>s Menschen ist zum Bösen geneigt von<br />

Jugend an." Also müssen wir die Zweifel eher nach <strong>de</strong>r schlech­<br />

ten als nach <strong>de</strong>r guten Seite hin lösen.<br />

2. Augustinus schreibt (Uber die christliche Lehre 1,27;<br />

ML 34,29): „Fromm <strong>und</strong> gerecht lebt, wer die Dinge unbe­<br />

stechlich beurteilt" <strong>und</strong> nach keiner Seite hin abirrt. Jener aber,<br />

<strong>de</strong>r im Zweifel nach <strong>de</strong>r besseren Seite hin auslegt, geht nach<br />

einer Seite hin fehl. Dies darf man nicht tun.<br />

3. Der Mensch muß seinen Nächsten lieben wie sich selbst.<br />

Doch für sich selbst muß er seine Zweifel im ungünstigeren<br />

Licht sehen gemäß Job 9,28: „Ich fürchte alle meine Werke."<br />

Also muß man, was beim Nächsten zweifelhaft erscheint, wohl<br />

im schlechteren Sinne auslegen.<br />

DAGEGEN schreibt die Glosse zu Rom 14,3 („Wer kein<br />

Fleisch ißt, richte <strong>de</strong>n nicht, <strong>de</strong>r es ißt"): „Zweifel müssen nach<br />

<strong>de</strong>r günstigeren Seite hin ausgelegt wer<strong>de</strong>n" (ML 191,1512).<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 3,2) gesagt, fügt jemand, <strong>de</strong>r<br />

sich ohne genügen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> von einem an<strong>de</strong>ren eine schlechte<br />

Meinung bil<strong>de</strong>t, diesem Unrecht zu <strong>und</strong> verachtet ihn. Nie­<br />

mand jedoch darf einen an<strong>de</strong>ren ohne zwingen<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> ver­<br />

achten o<strong>de</strong>r ihm irgen<strong>de</strong>inen Scha<strong>de</strong>n zufügen. Und darum<br />

müssen wir, solange von einem keine sicheren Beweise für seine<br />

47


60. 4 Schlechtigkeit vorliegen, ihn als gut ansehen <strong>und</strong> einen auf­<br />

kommen<strong>de</strong>n Zweifel nach <strong>de</strong>r guten Seite hin auslegen.<br />

Zu 1. Es kann vorkommen, daß häufig getäuscht wird, wer<br />

sich von <strong>de</strong>r guten Auslegung leiten läßt. Doch ist es besser, daß<br />

jemand, <strong>de</strong>r von einem schlechten Menschen eine gute Meinung<br />

hat, häufig hereinfällt, als daß er seltener getäuscht wird, in<strong>de</strong>m<br />

er von einem guten Menschen eine schlechte Meinung hat, <strong>de</strong>nn<br />

dadurch wird einem Unrecht getan, nicht jedoch im ersteren<br />

Fall.<br />

Zu 2. Etwas an<strong>de</strong>res ist das Urteil über Sachen <strong>und</strong> etwas<br />

. an<strong>de</strong>res über Menschen. Beim Urteil über Sachen spielen gut<br />

<strong>und</strong> bös auf Seiten <strong>de</strong>r Sache, die wir beurteilen, keine Rolle, sie<br />

trägt keinen Scha<strong>de</strong>n davon, gleich wie wir über sie urteilen.<br />

Hier kommt nur die geistige Verfassung <strong>de</strong>s Urteilen<strong>de</strong>n in<br />

Frage; sie ist gut, falls er richtig, sie ist schlecht, falls er falsch<br />

urteilt, <strong>de</strong>nn „das Wahre ist das Gut <strong>de</strong>s Verstan<strong>de</strong>s, das Falsche<br />

sein Übel", wie Aristoteles im VI. Buch seiner Ethik schreibt<br />

(c. 2; 1130a27). Daher muß ein je<strong>de</strong>r darauf bedacht sein, die<br />

Dinge sachgemäß zu beurteilen. - Doch beim Urteil über Men­<br />

schen fällt <strong>de</strong>r Blick vor allem auf das Wohl <strong>und</strong> Wehe <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>r beurteilt wird: ergibt sich ein günstiges Urteil, gilt er als<br />

Ehrenmann, kommt er schlecht davon, ist er verachtenswert.<br />

Daher müssen wir bei einer solchen Richtertätigkeit eher<br />

danach streben, <strong>de</strong>n Menschen gut zu beurteilen, es sei <strong>de</strong>nn<br />

ein<strong>de</strong>utig ein Gr<strong>und</strong> für das Gegenteil vorhan<strong>de</strong>n. Für <strong>de</strong>n rich­<br />

ten<strong>de</strong>n Menschen jedoch wirkt sich ein falsch getroffenes gutes<br />

Urteil nicht negativ auf seine geistige Verfassung aus, <strong>de</strong>nn ihr<br />

guter Zustand hängt nicht von <strong>de</strong>r Erkenntnis zufälliger Einzel­<br />

wahrheiten, son<strong>de</strong>rn vielmehr von <strong>de</strong>r richtigen affektiven Ein­<br />

stellung ab.<br />

Zu 3. Auf zweifache Weise geschieht die Auslegung nach <strong>de</strong>r<br />

schlechten o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r guten Seite hin. Einmal dadurch, daß wir<br />

von einer bestimmten Annahme ausgehen. So ist es von Vorteil,<br />

bei <strong>de</strong>r Anwendung eines Heilmittels, sei es bei uns, sei es bei<br />

an<strong>de</strong>ren, das Schlechtere anzunehmen, um so ein wirksameres<br />

Mittel einzusetzen, <strong>de</strong>nn eine Medizin, die gegen ein größeres<br />

Übel hilft, hilft noch viel mehr gegen ein kleineres. - Auf an<strong>de</strong>re<br />

Weise legen wir etwas zum Guten o<strong>de</strong>r Schlechten aus durch<br />

genaue Bestimmung o<strong>de</strong>r durch Entscheidung. So muß man bei<br />

<strong>de</strong>r Beurteilung von Sachen danach trachten, je<strong>de</strong>s Ding so<br />

einzuschätzen, wie es wirklich ist, sich beim Urteil über Men-<br />

48


sehen jedoch für die bessere Seite entschei<strong>de</strong>n (vgl. Antwort u. 60. 5<br />

Zu 2).<br />

5. ARTIKEL<br />

Muß man immer nur nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong><br />

sprechen?<br />

1. Ein ungerechtes Urteil ist stets zu vermei<strong>de</strong>n. Doch bis­<br />

weilen enthalten die geschriebenen Gesetze Unrecht gemäß<br />

Is 10,1: „Weh <strong>de</strong>nen, die ungerechte Gesetze erlassen <strong>und</strong><br />

Ungerechtigkeiten nie<strong>de</strong>rschreiben!" Also darf man nicht<br />

immer nach <strong>de</strong>n geschriebenen Gesetzen <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

2. Die <strong>Recht</strong>sprechung muß sich mit einzelnen Vorkomm­<br />

nissen beschäftigen. Doch ein geschriebenes Gesetz kann nicht<br />

alle einzelnen Vorkommnisse berücksichtigen, wie Aristoteles<br />

im V.Buch seiner Ethik (c. 14; 1137b 13) schreibt. Also darf<br />

man nicht immer nach geschriebenen Gesetzen <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

3. Das Gesetz wird schriftlich festgelegt, damit <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s<br />

Gesetzgebers <strong>de</strong>utlich zum Ausdruck gelangt. Doch bisweilen<br />

kommt es vor, daß <strong>de</strong>r Gesetzgeber, wäre er selbst zugegen,<br />

an<strong>de</strong>rs urteilen wür<strong>de</strong>. Also darf man nicht immer nach <strong>de</strong>m<br />

geschriebenen Gesetz <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus in seinem Buch Uber die<br />

wahre Religion (c. 3; ML34,148): „So ist es mit <strong>de</strong>n zeitlichen<br />

Gesetzen: obgleich die Menschen, wenn sie sie verfassen, über<br />

sie urteilen, so steht es, sobald sie verfaßt <strong>und</strong> bestätigt sind,<br />

keinem Richter mehr zu, über sie zu urteilen, vielmehr hat er<br />

nach ihnen zu urteilen."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 1), ist <strong>de</strong>r Richterspruch nichts<br />

an<strong>de</strong>res als die Bestimmung <strong>und</strong> Begrenzung <strong>de</strong>ssen, was<br />

gerecht ist. Gerecht aber wird etwas auf zweifache Weise. Ein­<br />

mal aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Sache heraus, <strong>und</strong> dies heißt „Natur­<br />

recht". Auf an<strong>de</strong>re Weise durch Vereinbarung unter <strong>de</strong>n Men­<br />

schen, <strong>und</strong> dies nennt man „positives <strong>Recht</strong>" (vgl. Fr. 57,2). Zur<br />

Erklärung bei<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sarten wer<strong>de</strong>n nun schriftlich Gesetze<br />

erlassen, freilich in verschie<strong>de</strong>nem Sinn. Denn das geschriebene<br />

Gesetz enthält zwar das Naturrecht, doch es hat es nicht<br />

begrün<strong>de</strong>t: es schöpft seine Kraft nämlich nicht aus <strong>de</strong>m<br />

Gesetz, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Natur. Das positive <strong>Recht</strong> aber ist im<br />

schriftlichen Gesetz enthalten, wur<strong>de</strong> durch es begrün<strong>de</strong>t <strong>und</strong><br />

49


60. 6 erhält von ihm seine autoritative Kraft. Der Richterspruch muß<br />

also nach <strong>de</strong>m geschriebenen Gesetz erfolgen, sonst nämlich<br />

wür<strong>de</strong> er entwe<strong>de</strong>r vom Naturrecht o<strong>de</strong>r vom positiven <strong>Recht</strong><br />

abweichen.<br />

Zu 1. Wie das geschriebene Gesetz <strong>de</strong>m Naturrecht nicht<br />

seine verpflichten<strong>de</strong> Kraft verleiht, so kann es auch seine Kraft<br />

nicht min<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r aufheben, <strong>de</strong>r menschliche Wille vermag die<br />

Natur nicht zu verän<strong>de</strong>rn. Wenn daher das geschriebene Gesetz<br />

etwas Naturrechtswidriges enthält, dann ist es ungerecht <strong>und</strong><br />

besitzt keine Verbindlichkeit: das postive <strong>Recht</strong> kommt näm­<br />

lich nur dort infrage, wo es <strong>de</strong>m Naturrecht gegenüber „keine<br />

Rolle spielt, ob es so o<strong>de</strong>r so gefaßt wird", wie oben (Fr. 57,2,2)<br />

erklärt wor<strong>de</strong>n ist. Daher sind <strong>de</strong>rartige schriftliche Festlegun­<br />

gen auch nicht „Gesetze", son<strong>de</strong>rn vielmehr Zerrüttung <strong>de</strong>r<br />

Gesetze zu nennen (vgl. 1-1195,2). Aus diesem Gr<strong>und</strong> darf<br />

man nach ihnen auch nicht <strong>Recht</strong> sprechen.<br />

Zu 2. Wie die ungerechten Gesetze von sich aus <strong>de</strong>m Natur­<br />

recht wi<strong>de</strong>rsprechen, sei es immer, sei es in <strong>de</strong>n meisten Fällen,<br />

so bewähren sich auch ordnungsgemäß erlassene positive<br />

Gesetze in gewissen Fällen nicht, <strong>und</strong> wür<strong>de</strong>n sie befolgt, wäre<br />

es gegen das Naturrecht. Daher ist in <strong>de</strong>rartigen Fällen nicht<br />

nach <strong>de</strong>m Buchstaben <strong>de</strong>s Gesetzes <strong>Recht</strong> zu sprechen, son<strong>de</strong>rn<br />

auf die Billigkeit, die <strong>de</strong>r Gesetzgeber im Auge hat, zurück­<br />

zugreifen. Der Gesetzesgelehrte sagte <strong>de</strong>nn auch (Dig. 1,3;<br />

KRI, 34): „Keine <strong>Recht</strong>sauffassung o<strong>de</strong>r die Mil<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Billigkeit<br />

dul<strong>de</strong>t es, daß wir das, was zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Menschen heilsam<br />

eingeführt wird, durch eine härtere Auslegung gegen ihren Vor­<br />

teil verschärfen." In solchen Fällen wür<strong>de</strong> auch <strong>de</strong>r Gesetzgeber<br />

an<strong>de</strong>rs urteilen, <strong>und</strong>, hätte er es in Betracht gezogen, auch<br />

gesetzlich so festgelegt haben.<br />

Daraus ergibt sich die Antwort Zu 3.<br />

6. ARTIKEL<br />

Wird die <strong>Recht</strong>sprechung durch Anmaßung beeinträchtigt?<br />

1. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht in einer gewissen <strong>Recht</strong>heit <strong>de</strong>s<br />

Han<strong>de</strong>lns. Der Wahrheit geschieht nun kein Eintrag, gleich von<br />

wem sie ausgesprochen wird, sie ist vielmehr von je<strong>de</strong>m anzu­<br />

nehmen. Also wird auch die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht beeinträchtigt,<br />

50


gleich von wem immer das Gerechte bestimmt wird, was ja zum 60. 6<br />

Wesen <strong>de</strong>s Urteilsspruches gehört.<br />

2. Die Sün<strong>de</strong>n zu bestrafen gehört zur <strong>Recht</strong>sprechung. Von<br />

manchen liest man jedoch in loben<strong>de</strong>r Weise, sie hätten Sün<strong>de</strong>n<br />

bestraft, obwohl sie über die Strafwürdigen keine Befugnis<br />

besessen hätten, wie z. B. Moses, <strong>de</strong>r einen Ägypter erschlug<br />

(Ex2,llff.), <strong>und</strong> Phinees, <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>s Eleazar, <strong>de</strong>n Cambri,<br />

<strong>de</strong>n Sohn Saloms (Nm25,7ff.), „<strong>und</strong> es wur<strong>de</strong> ihm als Tat <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> angerechnet", wie es im Ps 106,31 heißt. Also hat<br />

Anmaßung <strong>de</strong>r richterlichen Funktion nichts mit Unge­<br />

rechtigkeit zu tun.<br />

3. Geistliche <strong>und</strong> weltliche Gewalt sind verschie<strong>de</strong>n. Doch<br />

bisweilen mischen sich kirchliche Vorgesetzte mit geistlicher<br />

Gewalt in weltliche Angelegenheiten ein. Also ist angemaßte<br />

richterliche Tätigkeit nicht unerlaubt.<br />

4. Der ordnungsgemäße Urteilsspruch setzt nicht nur ent­<br />

sprechen<strong>de</strong> Befugnis voraus, son<strong>de</strong>rn verlangt vom Richter<br />

auch Wissen <strong>und</strong> die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 1, Zu 1 u.<br />

Zu 2; Art. 2). Doch spricht man nicht von ungerechtem Urteil,<br />

wenn einem Richter die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> abgeht o<strong>de</strong>r<br />

ihm die nötige <strong>Recht</strong>skenntnis fehlt. Also wird auch angemaß­<br />

tes Richten, das trotz mangeln<strong>de</strong>r Autorität ausgeübt wircj,<br />

nicht immer ungerecht sein.<br />

DAGEGEN heißt es Rom 14,4: „Wie kannst du <strong>de</strong>n Diener<br />

eines an<strong>de</strong>ren richten?"<br />

ANTWORT. Da ein Urteil gemäß <strong>de</strong>n geschriebenen Gesetzen<br />

gefällt wer<strong>de</strong>n muß (Art. 5), interpretiert <strong>de</strong>r Richter<br />

irgendwie <strong>de</strong>n Gesetzestext dadurch, daß er ihn auf <strong>de</strong>n Einzel­<br />

fall anwen<strong>de</strong>t. Da es nun Sache <strong>de</strong>rselben Autorität ist, ein<br />

Gesetz auszulegen <strong>und</strong> es vorzuschreiben, so kann, wie das<br />

Gesetz nur durch die öffentliche Autorität erlassen wer<strong>de</strong>n<br />

kann, auch ein Urteil nur kraft öffentlicher Autorität - die sich<br />

auf alle Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft erstreckt - gefällt wer<strong>de</strong>n. Und<br />

wie es ungerecht wäre, jeman<strong>de</strong>n zur Befolgung eines Gesetzes,<br />

das nicht durch die öffentliche Autorität ge<strong>de</strong>ckt ist, zu zwin­<br />

gen, so ist es auch ungerecht, wenn jemand einen dazu bringen<br />

wollte, ein Urteil anzunehmen, das nicht von <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Autorität getragen wird.<br />

Zu 1. Die Verkündigung <strong>de</strong>r Wahrheit nötigt nieman<strong>de</strong>n, ihr<br />

beizustimmen, es steht je<strong>de</strong>m frei, sie nach Gutdünken anzu­<br />

nehmen o<strong>de</strong>r nicht anzunehmen. Ein Richterspruch hingegen<br />

51


60. 6 übt einen gewissen Druck aus. Darum ist es unrecht, wenn<br />

einer von jeman<strong>de</strong>m gerichtet wird, <strong>de</strong>r nicht öffentlich autori­<br />

siert ist.<br />

Zu 2. Moses hat <strong>de</strong>n Ägypter wohl aufgr<strong>und</strong> einer durch<br />

göttliche Eingebung mitgeteilten Befugnis getötet. Dies scheint<br />

Apg 7,24 f. nahezulegen: „Nach<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Ägypter erschlagen<br />

hatte, dachte Moses, seine Brü<strong>de</strong>r wür<strong>de</strong>n begreifen, daß Gott<br />

<strong>de</strong>n Israeliten durch seine Hand Rettung bringen wolle." - O<strong>de</strong>r<br />

man kann sagen, Moses habe <strong>de</strong>n Ägypter getötet, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>r Unrecht gelitten hatte, mit <strong>de</strong>m gebotenen Maß <strong>de</strong>r Not­<br />

wehr verteidigte. Daher schreibt Ambrosius in seiner Pflichten­<br />

lehre (1,36; ML 16,75): „Wer Unrecht von seinem Gefährten<br />

nicht abwehrt, obwohl er kann, ist ebenso in Schuld wie jener,<br />

<strong>de</strong>r es zufügt." - O<strong>de</strong>r es läßt sich mit Augustinus (QQ in<br />

Exod. II; ML 34,597) die Meinung vertreten: „Wie die Er<strong>de</strong> vor<br />

<strong>de</strong>m Aufgehen nützlicher Samen wegen <strong>de</strong>r Fruchtbarkeit<br />

unnützer Kräuter gelobt wird, so war jene Tat <strong>de</strong>s Moses zwar an<br />

sich fehlerhaft, doch barg sie das Zeichen großerFruchtbarkeit",<br />

insofern sie nämlich das Zeichen seiner Kraft war, mit <strong>de</strong>r er<br />

sein Volk befreien sollte.<br />

Von Phinees aber ist zu sagen, daß er das, vom Eifer für Gott<br />

getrieben, auf göttliche Eingebung hin tat. - O<strong>de</strong>r weil er, zwar<br />

nicht Hoherpriester, so doch immerhin sein Sohn war, <strong>und</strong> ihm<br />

dadurch dieses Gericht ebenso zustand wie <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Rich­<br />

tern, die zu so etwas verpflichtet waren.<br />

Zu 3. Die weltliche Gewalt ist <strong>de</strong>r geistlichen untenan wie<br />

<strong>de</strong>r Leib <strong>de</strong>r Seele. Es gilt daher nicht als <strong>Recht</strong>sanmaßung,<br />

wenn ein geistlicher Vorgesetzter sich in zeitliche Dinge ein­<br />

mischt, soweit ihm die weltliche Gewalt untersteht, o<strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>m, was ihm diese überläßt.<br />

Zu 4. Der Habitus von Wissenschaft <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> sind<br />

Vollkommenheiten <strong>de</strong>r einzelnen Person. Fehlen sie, dann kann<br />

man nicht von angemaßter <strong>Recht</strong>sprechung re<strong>de</strong>n wie im Fall<br />

von fehlen<strong>de</strong>r öffentlicher Autorität, auf <strong>de</strong>r die zwingen<strong>de</strong><br />

Kraft <strong>de</strong>s Urteils beruht.<br />

52


61. FRAGE<br />

DIE TEILE DER GERECHTIGKEIT<br />

Hierauf sind die Teile [14] <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu betrachten.<br />

Und zwar erstens die subjektiven Teile. Dies sind die Arten <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die austeilen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong><br />

[Tausch-, Verkehrs-] <strong>Gerechtigkeit</strong> [15]. Zweitens die vervoll­<br />

ständigen<strong>de</strong>n Teile. Drittens die potentiellen Teile, nämlich die<br />

verwandten Tugen<strong>de</strong>n.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r erstgenannten Teile ergibt sich eine doppelte<br />

Betrachtung: 1. <strong>de</strong>r Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> selbst, 2. <strong>de</strong>r ent­<br />

gegenstehen<strong>de</strong>n Laster. Und weil die Rückerstattung (Resti­<br />

tution) ein Akt <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit ist, ist zunächst über<br />

<strong>de</strong>n Unterschied von ausgleichen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, sodann über die Restitution nachzu<strong>de</strong>nken.<br />

Zum Ersten ergeben sich 4 Fragen:<br />

1. Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die aus­<br />

teilen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

2. Ist die „Mitte" bei bei<strong>de</strong>n gleich?<br />

3. Haben sie die gleiche o<strong>de</strong>r eine verschie<strong>de</strong>ne Materie?<br />

4. Be<strong>de</strong>utet gerecht bei einer <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Arten soviel wie ein­<br />

fach Wie<strong>de</strong>rvergeltung?<br />

1. ARTIKEL<br />

Gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, die austeilen<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> die ausgleichen<strong>de</strong>?<br />

1. Es kann keine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> geben, die <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft scha<strong>de</strong>t, da die <strong>Gerechtigkeit</strong> ja auf das Gemein­<br />

wohl ausgerichtet ist. Doch die gemeinsamen Güter auf viele<br />

verteilen scha<strong>de</strong>t <strong>de</strong>m gemeinen Wohl aller, weil dadurch<br />

sowohl die gemeinsamen Subsistenzmittel erschöpft wer<strong>de</strong>n,<br />

als auch beson<strong>de</strong>rs weil so die Moral <strong>de</strong>r Menschen untergraben<br />

wird. Cicero sagt nämlich in seiner Pflichtenlehre (II, 15): „Wer<br />

empfängt, wird schlechter <strong>und</strong> möchte dauernd dasselbe erwar­<br />

ten." Also kann das Verteilen nicht eine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bil<strong>de</strong>n.<br />

2. Wie oben (Fr. 58,2) dargelegt, besteht <strong>de</strong>r Akt <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit darin, je<strong>de</strong>m zu geben, was sein ist. Doch beim Verteilen<br />

53


61. l wird nicht je<strong>de</strong>m gegeben, was sein ist, son<strong>de</strong>rn es eignet sich<br />

dabei einer etwas an, was gemeinsam war. Dies gehört nicht zur<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist nicht nur im Fürsten, son<strong>de</strong>rn auch<br />

in <strong>de</strong>n Untertanen (vgl. Fr. 58,6). Doch das Verteilen ist immer<br />

Sache <strong>de</strong>s Fürsten. Also gehört es nicht zur <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

4. „Das Austeilunsgerechte betrifft die gemeinsamen Gü­<br />

ter", sagt Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.7; 1131 b27).<br />

Doch das Gemeinsame fällt unter die Gesetzesgerechtigkeit.<br />

Also ist die Verteilungsgerechtigkeit keine Art <strong>de</strong>r beson<strong>de</strong>ren<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit.<br />

5. Eins <strong>und</strong> Viel bewirkt in <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r Tugend keinen Un­<br />

terschied. Nun besteht die Tauschgerechtigkeit darin, daß etwas<br />

einem einzigen gegeben wird, die Verteilungsgerechtigkeit dar­<br />

in, daß viele etwas bekommen. Also sind es nicht zwei verschie­<br />

<strong>de</strong>ne Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN spricht Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 5;<br />

1130b 31) von zwei Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> sagt: „die eine<br />

ist für das Zuteilen zuständig, die an<strong>de</strong>re für die Tauschhand­<br />

lungen".<br />

ANTWORT. Wie erwähnt (Fr. 58,7), ist die Son<strong>de</strong>rgerechtig­<br />

keit auf eine private Person, die sich zur Gemeinschaft wie ein<br />

Teil zum Ganzen verhält, hingeordnet. Der Teil kann jedoch un­<br />

ter einem doppelten Ordnungsbezug gesehen wer<strong>de</strong>n. Einmal<br />

als Teil zum Teil, was <strong>de</strong>r Ordnung einer Privatperson zu einer<br />

an<strong>de</strong>ren entspricht. Diese Ordnung regelt die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, die in einer Tauschhandlung unter zwei Personen<br />

besteht. Die an<strong>de</strong>re Ordnung beruht auf <strong>de</strong>m Verhältnis <strong>de</strong>s<br />

Ganzen zu seinen Teilen <strong>und</strong> entspricht <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaftsgüter zu <strong>de</strong>n einzelnen Personen. Diese Ord­<br />

nung untersteht <strong>de</strong>r Verteilungsgerechtigkeit, die das Gemein­<br />

same in angemessener Weise auf die einzelnen verteilt. Und so<br />

gibt es zwei Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich die ausglei­<br />

chen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die zuteilen<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Wie beim Geschenkemachen privater Personen Maß­<br />

haltung empfohlen <strong>und</strong> Verschwendung geta<strong>de</strong>lt wird, so ist<br />

auch bei <strong>de</strong>r Verteilung <strong>de</strong>r gemeinsamen Güter Mäßigung zu<br />

beachten. Und hierbei greift die Verteilungsgerechtigkeit<br />

regelnd ein.<br />

Zu 2. Wie Teil <strong>und</strong> Ganzes gleichsam Eines sind, so gehört<br />

auch <strong>de</strong>m Teil, was <strong>de</strong>s Ganzen ist. Wenn daher von <strong>de</strong>n<br />

54


gemeinsamen Gütern etwas <strong>de</strong>m Einzelnen zugeteilt wird, so 61. 2<br />

erhält je<strong>de</strong>r in gewisser Weise das, „was sein ist".<br />

Zu 3. Das Verteilen <strong>de</strong>r gemeinschaftlichen Güter steht<br />

allein <strong>de</strong>m Verantwortlichen für die Gemeinschaftsgüter zu.<br />

Dennoch ist die Verteilungsgerechtigkeit auch eine Tugend <strong>de</strong>r<br />

Untergebenen, insofern sie mit <strong>de</strong>r gerechten Verteilung zufrie­<br />

<strong>de</strong>n sind. Bisweilen freilich kommt es vor, daß die zur Verteilung<br />

anstehen<strong>de</strong>n Güter nicht <strong>de</strong>m Gemeinwesen, son<strong>de</strong>rn einer<br />

einzelnen Familie gehören. In diesem Fall kann die Verteilung<br />

autoritativ durch eine private Person erfolgen.<br />

Zu 4. Bewegungen wer<strong>de</strong>n spezifisch geprägt durch ihre<br />

Ziele. Und so ist es Sache <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die<br />

Belange <strong>de</strong>r Privatpersonen auf das Gemeinwohl hinzuordnen.<br />

Doch, umgekehrt, das Gemeinwohl durch Verteilung auf die<br />

Einzelpersonen auszurichten, ist Sache <strong>de</strong>r Verteilungsgerech­<br />

tigkeit.<br />

Zu 5. Verteilungs- <strong>und</strong> Tauschgerechtigkeit unterschei<strong>de</strong>n<br />

sich nicht nur wie Eins <strong>und</strong> Viel, son<strong>de</strong>rn auch nach ihrem ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Geschul<strong>de</strong>tsein: etwas an<strong>de</strong>res ist es nämlich,<br />

jeman<strong>de</strong>m etwas vom Gemeingut, etwas an<strong>de</strong>res, ihm sein<br />

Eigengut zu schul<strong>de</strong>n.<br />

2. ARTIKEL<br />

Wird die „Mitte" bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> auf gleiche Weise bestimmt?<br />

1. Bei<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten fallen unter die Son<strong>de</strong>rgerech­<br />

tigkeit (vgl. Art. 1). Nun wird bei allen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Maßhal­<br />

tung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit die „Mitte" in gleicherweise bestimmt.<br />

Also gilt dasselbe auch für die „Mitte" von verteilen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> aus­<br />

gleichen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

2. Die Wesensform <strong>de</strong>r sittlichen Tugend ist die von <strong>de</strong>r Ver­<br />

nunft bestimmte „Mitte". Da nun eine Tugend nur eine einzige<br />

Wesensform hat, muß die „Mitte" bei bei<strong>de</strong>n in gleicher Weise<br />

bestimmt wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wird die „Mitte" im<br />

Hinblick auf die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen bestimmt. Doch die<br />

Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Personen fin<strong>de</strong>t auch bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> Berücksichtigung, wie z. B. im Fall <strong>de</strong>r Bestra­<br />

fung: strenger wird bestraft, wer einen Fürsten geschlagen, als<br />

55


61. 2 jemand, <strong>de</strong>r sich an einer Privatperson vergriffen hat. Also wird<br />

bei bei<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten die „Mitte" in <strong>de</strong>rselben Weise<br />

bestimmt.<br />

DAGEGEN steht <strong>de</strong>s Aristoteles Erklärung im V. Buch seiner<br />

Ethik (c.6u. 7; 1131 a 29, b 32), wonach die Tugendmitte bei <strong>de</strong>r<br />

verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> nach <strong>de</strong>m „geometrischen", bei <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n jedoch nach <strong>de</strong>m „arithmetischen Verhältnis"<br />

bestimmt wird.<br />

ANTWORT. Die verteilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> weist einer Pri­<br />

vatperson etwas zu, was vonseiten <strong>de</strong>s Ganzen <strong>de</strong>m Teil<br />

zusteht. Dies ist umso größer, je be<strong>de</strong>utsamer die Stellung <strong>de</strong>s<br />

Teils im Ganzen ist. Daher wird bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n Gerechtig­<br />

keit einem umso mehr von <strong>de</strong>n gemeinsamen Gütern gegeben,<br />

eine je höhere Stellung jene Person in <strong>de</strong>r Gemeinschaft ein­<br />

nimmt. In <strong>de</strong>r aristokratischen Gesellschaft wird diese Vorrang­<br />

stellung <strong>de</strong>r Tüchtigkeit zuerkannt, in <strong>de</strong>r oligarchischen <strong>de</strong>m<br />

Reichtum, in <strong>de</strong>r <strong>de</strong>mokratischen <strong>de</strong>r Freiheit <strong>und</strong> in an<strong>de</strong>ren<br />

an<strong>de</strong>rs. Und so wird bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> die<br />

„Mitte" nicht nach <strong>de</strong>m Gleichmaß von Sache zu Sache, son­<br />

<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>m Verhältnis von Sachen zu Personen bestimmt,<br />

<strong>und</strong> zwar in <strong>de</strong>r Art, daß, wie eine Person eine an<strong>de</strong>re überragt,<br />

so auch die Sache, die <strong>de</strong>r einen Person gegeben wird, die Sache,<br />

die eine an<strong>de</strong>re erhält, überragt. Daher sagt Aristoteles (vgl.<br />

DAGEGEN), diese „Mitte" bestimme sich nach <strong>de</strong>m „geome­<br />

trischen Verhältnis", bei <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Ausgleich nicht nach Quanti­<br />

tät, son<strong>de</strong>rn nach Proportionalität erfolge. Es ist das gleiche,<br />

wie wenn wir sagen: wie sich 6 zu 4 verhält, so verhält sich 3 zu<br />

2, <strong>de</strong>nn hier wie dort haben wir das Verhältnis von an<strong>de</strong>rthalb,<br />

wobei das Größere das Ganze <strong>de</strong>s Kleineren <strong>und</strong> dazu noch<br />

<strong>de</strong>ssen Hälfte enthält; nicht jedoch besteht eine Gleichheit <strong>de</strong>s<br />

quantitativen Mehr, <strong>de</strong>nn 6 ist um 2 mehr als 4 <strong>und</strong> 3 um 1 mehr<br />

als 2.<br />

Im Tauschverkehr hingegen gibt man einer einzelnen Person<br />

etwas als Ausgleich für eine von ihr erhaltene Sache. Dies zeigt<br />

sich am <strong>de</strong>utlichsten bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf, wo die Gr<strong>und</strong>struk­<br />

tur <strong>de</strong>s Tausches zutagetritt. Und darum muß Sache mit Sache<br />

zur Übereinstimmung gebracht wer<strong>de</strong>n, so daß, was <strong>de</strong>r eine<br />

vom an<strong>de</strong>ren zu viel hat, <strong>de</strong>m zurückgegeben wer<strong>de</strong>, <strong>de</strong>m es<br />

gehört. Auf diese Weise entsteht ein Ausgleich entsprechend <strong>de</strong>r<br />

„arithmetischen" Mitte, die auf <strong>de</strong>m gleichen quantitativen<br />

Überhang beruht: so wie 5 die Mitte zwischen 6 <strong>und</strong> 4 ist, also<br />

56


um 1 Einheit darunter- <strong>und</strong> darübergeht. Wenn also bei Beginn 61. 3<br />

je<strong>de</strong>r 5 hatte <strong>und</strong> <strong>de</strong>r eine eine Einheit vom an<strong>de</strong>ren erhielt,<br />

dann hat einer, nämlich <strong>de</strong>r Empfangen<strong>de</strong>, 6 <strong>und</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

verbleiben noch 4. Es wird also erst dann <strong>Gerechtigkeit</strong> sein,<br />

wenn bei<strong>de</strong> zur Mitte zurückkehren, so daß, wer 6 hat, eine Ein­<br />

heit <strong>de</strong>m abgibt, <strong>de</strong>r 4 besitzt; dann haben bei<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r 5, <strong>und</strong><br />

das ist die Mitte [16].<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n wird die Mitte<br />

von <strong>de</strong>r Vernunft <strong>und</strong> nicht von <strong>de</strong>r Sache her bestimmt. Doch<br />

bei <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist die Sachmitte maßgeblich. Die Mitte<br />

än<strong>de</strong>rt sich also mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Sachbereichen.<br />

Zu 2. Ausgeglichenheit ist die allgemeine Wesensgestalt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>und</strong> darin kommen Verteilungs- <strong>und</strong> Tausch­<br />

gerechtigkeit überein. Bei <strong>de</strong>r einen jedoch herrscht geome­<br />

trische, bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren arithmetische Proportionalität.<br />

Zu 3. Bei <strong>de</strong>n Handlungen <strong>und</strong> Lei<strong>de</strong>nschaften spielt die<br />

Stellung <strong>de</strong>r Person in <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s Quantums eine<br />

Rolle: größer nämlich ist das Unrecht, wenn ein Fürst, als wenn<br />

eine Privatperson geschlagen wird. Daher fin<strong>de</strong>t die Stellung<br />

<strong>de</strong>r Person bei <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> an sich Berück­<br />

sichtigung, bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n jedoch nur insoweit, als sich<br />

dadurch eine Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Sache ergibt.<br />

3. ARTIKEL<br />

Haben die bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> verschie<strong>de</strong>ne<br />

Materien?<br />

1. Die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Materien bil<strong>de</strong>t die Gr<strong>und</strong>lage für<br />

die verschie<strong>de</strong>nen Tugen<strong>de</strong>n, wie dies bei Maßhaltung <strong>und</strong><br />

Tapferkeit leicht zu ersehen ist. Wäre nun die Materie bei aus­<br />

teilen<strong>de</strong>r <strong>und</strong> ausgleichen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> verschie<strong>de</strong>n, dann<br />

könnten sie nicht ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselben Tugend, nämlich <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, zugewiesen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Die Zuteilung, die zur distributiven <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört,<br />

bezieht sich auf „Geld, Ehre <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res, was unter die Mitglie<strong>de</strong>r<br />

eines Gemeinwesens verteilt wer<strong>de</strong>n kann", wie Aristoteles<br />

im V. Buch seiner Ethik (c.6; 1130 b 31) schreibt. Bei diesen gibt<br />

es aber auch gegenseitige Tauschgeschäfte, <strong>und</strong> dies fällt<br />

unter die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also besteht zwischen<br />

57


61.3 <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> kein<br />

Unterschied in <strong>de</strong>r Materie.<br />

3. Entspricht <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wegen ihres spezifischen Unterschie<strong>de</strong>s auch<br />

eine verschie<strong>de</strong>ne Materie, dann darf es dort, wo kein spezifi­<br />

scher Unterschied vorhan<strong>de</strong>n ist, auch keine verschie<strong>de</strong>ne<br />

Materie geben. Doch Aristoteles nimmt für die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, die doch eine vielgestaltige Materie hat, nur eine<br />

einzige Art an. Den genannten <strong>Gerechtigkeit</strong>sarten entspricht<br />

also wohl keine vielgestaltige Materie.<br />

DAGEGEN steht im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c.5; 1130b31): „Die<br />

eine Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> hat die Leitung beim Verteilen, die<br />

an<strong>de</strong>re beim Tauschen."<br />

ANTWORT. Wie oben erklärt, hat es die <strong>Gerechtigkeit</strong> mit<br />

gewissen äußeren Handlungen zu tun, nämlich mit Verteilen<br />

<strong>und</strong> Tauschen. Dabei geht es um <strong>de</strong>n Umgang mit äußeren<br />

Gegebenheiten, seien es Sachen, Personen o<strong>de</strong>r Arbeitsleistun­<br />

gen: Sachen, wie z. B. wenn jemand einem seine Sache stiehlt<br />

o<strong>de</strong>r gibt; Personen, wenn jemand einer Person Unrecht antut,<br />

z.B. sie schlägt o<strong>de</strong>r lästert o<strong>de</strong>r auch ihr seine Hochachtung<br />

erweist; Leistungen, wenn z.B. jemand von einem gerechter­<br />

weise Arbeit verlangt o<strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m einen Dienst erweist.<br />

Nehmen wir nun als Materie das an, worüber bei<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keitsarten bei ihren Funktionen verfügen, so ist ihre Materie ein<br />

<strong>und</strong> dieselbe, <strong>de</strong>nn Sachen können sowohl vom gemeinsamen<br />

Besitz einzelnen zugeteilt wer<strong>de</strong>n als auch durch Tausch vom<br />

einen zum an<strong>de</strong>ren übergehen. Ebenso gibt es Zuteilung von<br />

beschwerlichen Arbeiten <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Vergütung.<br />

Nehmen wir jedoch als Materie <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>s­<br />

arten ihre Haupthandlungen selbst, mittels <strong>de</strong>rer wir Personen,<br />

Sachen <strong>und</strong> Arbeitsleistungen in Dienst nehmen, so kommt<br />

jeweils eine an<strong>de</strong>re Materie zum Vorschein. Denn die vertei­<br />

len<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> ist führend bei <strong>de</strong>r Verteilung, die aus­<br />

gleichen<strong>de</strong> bei <strong>de</strong>n Tauschhandlungen, die zwischen zwei Per­<br />

sonen stattfin<strong>de</strong>n können.<br />

Manche ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sbeziehungen sind unfreiwil­<br />

lig, manche freiwillig. Unfreiwilligkeit liegt vor, wenn sich<br />

jemand eine frem<strong>de</strong> Sache, eine Person o<strong>de</strong>r die Arbeit eines<br />

an<strong>de</strong>ren gegen seinen Willen zun<strong>utz</strong>e macht. Dies geschieht bis­<br />

weilen heimlich durch Betrug, bisweilen offen durch Gewalt.<br />

Bei<strong>de</strong>s richtet sich gegen eine Sache o<strong>de</strong>r gegen eine Person, die<br />

58


Person selbst o<strong>de</strong>r gegen eine gemeinschaftlich verb<strong>und</strong>ene Per- 61.3<br />

son. Gegen eine Sache: wenn jemand die Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />

heimlich wegnimmt; dies nennt man Diebstahl. Geschieht es<br />

offen, heißt es Raub. Gegen die Person selbst: entwe<strong>de</strong>r durch<br />

Angriff auf ihre leibliche Existenz o<strong>de</strong>r auf ihre Wür<strong>de</strong>. Die leib­<br />

liche Existenz einer Person wird heimlich verletzt durch hinter­<br />

listiges Töten, Schlagen o<strong>de</strong>r Darreichen von Gift; offen durch<br />

Töten vor aller Augen o<strong>de</strong>r Gefangensetzung, durch Schlagen<br />

<strong>und</strong> Verstümmelung. Die Wür<strong>de</strong> einer Person verletzt man<br />

heimlich durch falsche Aussagen o<strong>de</strong>r Verleumdung, wodurch<br />

jemand ihren guten Ruf schädigt, <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen;<br />

offen durch falsche Anklage vor Gericht o<strong>de</strong>r durch Beschimp-<br />

f u n §-<br />

Bezüglich einer in Gemeinschaft mit ihm stehen<strong>de</strong>n Person<br />

erlei<strong>de</strong>t jemand Scha<strong>de</strong>n in seiner Gattin durch meist heim­<br />

lichen Ehebruch (vonseiten eines an<strong>de</strong>ren), im Knecht, wenn<br />

jemand <strong>de</strong>n Knecht dahin bringt, daß er seinen Herrn verläßt.<br />

Und auch dies kann offen geschehen. Das gleiche gilt von an<strong>de</strong>­<br />

ren gemeinschaftlich verb<strong>und</strong>enen Personen, gegen die eben­<br />

falls auf alle Weise Unrecht begangen wer<strong>de</strong>n kann als ein<br />

Unrecht gegen <strong>de</strong>n hauptsächlich Betroffenen. Doch Ehebruch<br />

<strong>und</strong> Verführung <strong>de</strong>s Knechtes ist eigentlich Unrecht gegen diese<br />

Personen selbst, weil jedoch <strong>de</strong>r Knecht gewissermaßen zum<br />

Eigentum gehört, fällt dies unter Diebstahl.<br />

Freiwillig sind Tauschgeschäfte, wenn jemand seine Sache<br />

aus eigenem Antrieb einem an<strong>de</strong>ren aushändigt. Und wenn er<br />

sie ohne Schuldverpflichtung überträgt wie bei einer Schen­<br />

kung, so ist dies kein Akt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Frei­<br />

gebigkeit. Insoweit allerdings gehört die freiwillige Eigentums­<br />

übertragung zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, als dabei ein Geschul<strong>de</strong>tsein<br />

vorliegt. Dies kommt in drei Fällen vor. 1. wenn jemand sein<br />

Eigentum schlechthin als Gegenleistung für eine an<strong>de</strong>re Sache<br />

überträgt, wie dies bei Verkauf <strong>und</strong> Kauf zutrifft. - 2. wenn<br />

jemand sein Eigentum einem an<strong>de</strong>ren zur N<strong>utz</strong>ung überläßt<br />

mit <strong>de</strong>r Auflage, es zurückzuerstatten. Gewährt er freie Nut­<br />

zung, dann spricht man bei Dingen, die Frucht bringen, von<br />

Nießbrauch, bei Dingen, die keine Frucht bringen, einfach von<br />

Darlehen o<strong>de</strong>r Leihgut, wie bei Münzen, Gefäßen u. dgl. Wird<br />

<strong>de</strong>r Gebrauch jedoch nicht umsonst gewährt, spricht man von<br />

Vermietung <strong>und</strong> Verpachtung. - 3. wenn jemand sein Eigentum<br />

einem anvertraut mit <strong>de</strong>r Absicht, es zurückzunehmen, nicht<br />

59


61. 4 zur N<strong>utz</strong>ung, son<strong>de</strong>rn entwe<strong>de</strong>r zum Verwahren wie bei <strong>de</strong>r<br />

Hinterlegung o<strong>de</strong>r als Ausdruck seiner Verpflichtung, wie wenn<br />

einer sein Eigentum als Pfand o<strong>de</strong>r als Bürgschaft für einen<br />

an<strong>de</strong>ren einsetzt.<br />

In allen diesen Aktionen, seien sie freiwillig, seien sie unfrei­<br />

willig, geht es immer um die „Mitte" gemäß <strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>r<br />

Gegenleistung. Daher sind sie auch alle einer einzigen Art von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n, zuzurechnen.<br />

Daraus ergeben sich die Antworten zu <strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin das gleiche wie Vergeltung?<br />

1. Das göttliche Gericht ist schlechthin gerecht. Doch das<br />

göttliche Gericht besteht wesentlich darin, daß jemand Vergel­<br />

tung erlei<strong>de</strong>t entsprechend <strong>de</strong>m, was er getan hat, gem. Mt 7,2:<br />

„Wie ihr richtet, so wer<strong>de</strong>t ihr gerichtet wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>m<br />

Maß, mit <strong>de</strong>m ihr meßt, wird euch zugemessen wer<strong>de</strong>n." Also<br />

ist <strong>Gerechtigkeit</strong> einfach das gleiche wie Vergeltung.<br />

2. Bei bei<strong>de</strong>n Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> wird etwas nach <strong>de</strong>m<br />

Gr<strong>und</strong>satz <strong>de</strong>s Ausgleichs gegeben: bei <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Hinblick auf die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Person, eine<br />

Wür<strong>de</strong>, die sich hauptsächlich nach <strong>de</strong>n Leistungen bemißt, die<br />

einer für die Gesellschaft erbracht hat; bei <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> im Hinblick auf die Sache, in <strong>de</strong>r jemand geschä­<br />

digt wur<strong>de</strong>. Bei je<strong>de</strong>r dieser Ausgleichsformen wird vergolten<br />

nach <strong>de</strong>m, was einer getan hat. Also scheint die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

einfachhin in <strong>de</strong>r Vergeltung zu bestehen.<br />

3. Gewollt <strong>und</strong> ungewollt spielen in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Vergel­<br />

tung eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Wer nämlich ungewollt ein<br />

Unrecht getan hat, wird weniger bestraft. Gewollt <strong>und</strong> unge­<br />

wollt nun sind subjektive Größen, die die „Mitte" <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, die eine sachbestimmte <strong>und</strong> nicht subjektbestimmte ist,<br />

nicht verän<strong>de</strong>rn. Also drückt sich <strong>Gerechtigkeit</strong> einfachhin<br />

durch Vergeltung aus.<br />

DAGEGEN beweist Aristoteles im V. Buch seiner Ethik (c. 8;<br />

1132b23), daß nicht je<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>shandlung auf Vergeltung<br />

beruhe.<br />

ANTWORT. „Vergeltung" besagt gleichwertige Reaktion auf<br />

eine leidzufügen<strong>de</strong> Aktion. In seiner eigentlichsten Be<strong>de</strong>utung<br />

60


kommt dies zum Ausdruck, wenn jemand seinem Nächsten 61.4<br />

durch ungerechte Handlungen Leid zufügt, z. B., er hat ihn<br />

geschlagen, - also soll er einen Gegenschlag erlei<strong>de</strong>n! Dieses<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis fin<strong>de</strong>t im Gesetz (Ex 21,23) seine Bestäti­<br />

gung: „Leben für Leben, Auge für Auge" usw. - Und weil auch<br />

Stehlen ein Tun ist, so spricht man in zweiter Linie hier ebenfalls<br />

von Vergeltung insofern, als, wer Scha<strong>de</strong>n zugefügt hat, an sei­<br />

nem Eigentum Scha<strong>de</strong>n erlei<strong>de</strong>n soll. Auch dieser <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>­<br />

satz fin<strong>de</strong>t sich im Gesetz (Ex22,l): „Wenn jemand ein Rind<br />

o<strong>de</strong>r ein Schaf stiehlt <strong>und</strong> schlachtet es o<strong>de</strong>r verkauft es, so soll<br />

er fünf Rin<strong>de</strong>r für ein Rind zurückgeben <strong>und</strong> vier Schafe für ein<br />

Schaf." - Drittens wird das Wort „Vergeltung" auf freiwillige<br />

Tauschhandlungen übertragen, wo von bei<strong>de</strong>n Seiten Leistung<br />

<strong>und</strong> Gegenleistung erbracht wird, doch wegen <strong>de</strong>r Freiwilligkeit<br />

kann von „Erlei<strong>de</strong>n" kaum die Re<strong>de</strong> sein.<br />

In allen diesen Fällen muß jedoch gemäß <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>satz <strong>de</strong>r<br />

Tauschgerechtigkeit Vergeltung durch Ausgleich erfolgen, d. h.<br />

die Reaktion muß <strong>de</strong>r Aktion entsprechen. Nicht immer jedoch<br />

wäre Gleichmaß gegeben, wenn einer für seine Tat einen spezi­<br />

fisch gleichen Vergeltungsschlag erlei<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Denn wenn<br />

einer die Person eines höher Gestellten verletzt, so ist die Untat<br />

größer als was er durch die Vergeltung <strong>de</strong>rselben Art erlei<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>. Daher wird, wer einen Fürsten schlägt, nicht nur einfach<br />

selber ebenso geschlagen, son<strong>de</strong>rn viel schärfer bestraft. -<br />

Ebenso ist die Untat, durch die jemand <strong>de</strong>m Eigentum eines<br />

an<strong>de</strong>ren gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zufügt, größer, als die<br />

Vergeltung durch bloße Wegnahme <strong>de</strong>r [gestohlenen] Sache<br />

wäre, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>nsstifter hätte dann an seinem Eigentum<br />

keine Einbuße erlitten. Daher muß er zur Strafe ein vielfaches<br />

herausrücken, hat er doch auch nicht nur eine Privatperson<br />

geschädigt, son<strong>de</strong>rn auch die Sch<strong>utz</strong>funktion <strong>de</strong>s Staates in<br />

Frage gestellt. - Desgleichen wäre auch in <strong>de</strong>n freiwilligen<br />

Tauschgeschäften die Gleichheit <strong>de</strong>r Entschädigung nicht<br />

gewährleistet, wenn unter zweien einfach Sache gegen Sache<br />

ausgewechselt wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn die Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren könnte viel­<br />

leicht viel wertvoller sein als die seine. Deshalb müssen<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung bei Tauschgeschäften nach einem<br />

ausgewogenen Maßstab ins Gleichgewicht gebracht wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> das Geld erf<strong>und</strong>en. Kurzum: Vergel­<br />

tung ist das Tauschgerechte.<br />

61


61.4 Dies gilt jedoch nicht für die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Denn<br />

hier kommt nicht ein abgewogener Ausgleich zwischen Sache<br />

<strong>und</strong> Sache o<strong>de</strong>r zwischen Aktion <strong>und</strong> Gegenaktion in Betracht,<br />

weswegen man von Vergeltung spricht, son<strong>de</strong>rn das Verhältnis<br />

von Sachen zu Personen, wie oben gesagt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Das göttliche Gericht weist die Struktur <strong>de</strong>r ausglei­<br />

chen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> auf: sie vergilt Verdienst mit Belohnung<br />

<strong>und</strong> Sün<strong>de</strong> mit Strafe.<br />

Zu 2. Wenn jemand, <strong>de</strong>r sich um das Gemeinwohl verdient<br />

gemacht hat, für seine Dienste belohnt wür<strong>de</strong>, erfolgte dies<br />

nicht nach <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Denn die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> schaut nicht<br />

auf <strong>de</strong>n Ausgleich zwischen Belohnung <strong>und</strong> Leistung, son<strong>de</strong>rn<br />

achtet darauf, daß entsprechend <strong>de</strong>n persönlichen Verhältnissen<br />

zugeteilt wird [17].<br />

Zu 3. Ist ein ungerechtes Vorgehen willentlich, so ist das<br />

Unrecht umso größer <strong>und</strong> wird als schwerwiegen<strong>de</strong> Sache<br />

betrachtet. Daher muß es durch eine schwerere Strafe ausgegli­<br />

chen wer<strong>de</strong>n, allerdings nicht entsprechend unserer subjektiven<br />

Einstellung, son<strong>de</strong>rn gemäß <strong>de</strong>n sachlichen Unterschie<strong>de</strong>n.<br />

62


62. FRAGE<br />

DIE RÜCKERSTATTUNG [18]<br />

Hierauf ist die Rückerstattung zu betrachten. Dazu ergeben<br />

sich 8 Fragen:<br />

1. Wessen Akt ist sie?<br />

2. Ist es zum ewigen Heil notwendig, alles Entwen<strong>de</strong>te zu­<br />

rückzugeben?<br />

3. Muß man ein Vielfaches zurückerstatten?<br />

4. Muß man zurückgeben, was man nicht entwen<strong>de</strong>t hat?<br />

5. Muß man <strong>de</strong>m zurückgeben, von <strong>de</strong>m es stammt?<br />

6. Muß es <strong>de</strong>r zurückgeben, <strong>de</strong>r es weggenommen hat?<br />

7. O<strong>de</strong>r ein an<strong>de</strong>rer?<br />

8. Muß man sofort zurückgeben?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Rückerstattung ein Akt <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. <strong>Gerechtigkeit</strong> verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>s<br />

Geschul<strong>de</strong>tseins. Doch wie man etwas schenken kann, ohne es<br />

zu schul<strong>de</strong>n, so verhält es sich auch mit <strong>de</strong>r Rückerstattung.<br />

Also hat die Rückerstattung nichts mit irgen<strong>de</strong>iner Art von<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun.<br />

2. Was vorbei ist <strong>und</strong> nicht mehr existiert, läßt sich nicht zu­<br />

rückgeben. Nun beziehen sich <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Ungerechtig­<br />

keit auf gewisse Handlungen <strong>und</strong> Leidzufügungen, die nicht<br />

anhalten, son<strong>de</strong>rn vorübergehen. Also hat Rückerstattung wohl<br />

nichts mit irgen<strong>de</strong>iner Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> zu tun.<br />

3. Rückerstattung ist eine Art von Ausgleich für eine weg­<br />

genommene Sache. Nun kann man einem nicht nur beim Tausch,<br />

son<strong>de</strong>rn auch bei <strong>de</strong>r Zuteilung etwas wegnehmen, z. B. wenn<br />

jemand beim Zuteilen einem weniger gibt, als diesem gebührt.<br />

Also ist Rückgabe ebensosehr ein Akt <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

DAGEGEN ist zu sagen: die Rückerstattung steht in Gegen­<br />

satz zur Wegnahme, doch die Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

ist ein Akt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s Tausches.<br />

63


62.1 Also gehört die Rückgabe zu jener <strong>Gerechtigkeit</strong>, die im<br />

Tauschgeschäft maßgeblich ist.<br />

ANTWORT. Zurückerstatten (restituere) be<strong>de</strong>utet nichts<br />

an<strong>de</strong>res als jeman<strong>de</strong>n wie<strong>de</strong>rum (iterato) in sein Besitztum o<strong>de</strong>r<br />

ihn als Eigentümer einsetzen (statuere). Und so kommt bei <strong>de</strong>r<br />

Rückerstattung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sausgleich im Ersatz einer Sache<br />

durch eine Sache zum Ausdruck, <strong>und</strong> das gehört zur ausglei­<br />

chen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Darum ist die Rückerstattung ein Akt<br />

<strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, sei die Sache <strong>de</strong>s einen mit <strong>de</strong>ssen<br />

Zustimmung im Besitz <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wie bei Tausch o<strong>de</strong>r Hinter­<br />

legung, sei es gegen seinen Willen wie bei Raub <strong>und</strong> Diebstahl.<br />

Zu 1. Was einem nicht geschul<strong>de</strong>t wird, gehört ihm streng<br />

genommen nicht, auch wenn es ihm einmal gehört hat. Daher<br />

han<strong>de</strong>lt es sich auch mehr um eine neue Schenkung als um Rück­<br />

erstattung, wenn jemand einem gibt, was er ihm nicht zu<br />

geben braucht. Eine gewisse Ähnlichkeit mit <strong>de</strong>r Rückgabe liegt<br />

allerdings vor, da die Sache materiell die gleiche ist. Doch unter<br />

<strong>de</strong>m eigentlichen Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, wonach sie<br />

jeman<strong>de</strong>s Eigentum sein muß, ist sie nicht die gleiche.<br />

Zu 2. Rückerstattung setzt, da sie in gewissem Sinn Wie<strong>de</strong>r­<br />

holung be<strong>de</strong>utet, das Gleichbleiben <strong>de</strong>r Sache voraus. Darum<br />

kommt Rückgabe in ihrer ersten Be<strong>de</strong>utung vornehmlich bei<br />

materiellen Dingen in Betracht, die, weil sie substantiell <strong>und</strong><br />

eigentumsrechtlich gleichbleiben, von einem zum an<strong>de</strong>ren<br />

übergehen können. Doch weil <strong>de</strong>r Ausdruck „Tausch" von hier<br />

auf Handlungen o<strong>de</strong>r Leidzufügungen, die mit Ehrung o<strong>de</strong>r<br />

Beleidigung, also mit Nachteil o<strong>de</strong>r Vorteil für eine Person zu<br />

tun haben, übertragen wur<strong>de</strong>, so wird auch das Wort „Rücker­<br />

stattung" dafür gebraucht, wenngleich [jene Handlungen] in<br />

Wirklichkeit nicht mehr vorhan<strong>de</strong>n sind <strong>und</strong> höchstens als<br />

Nachwirkung weiterdauern, sei es körperlicher Art, z. B. wenn<br />

jemand bei einer Schlägerei verw<strong>und</strong>et wird, sei es als Vorstel­<br />

lung in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r Menschen, z. B. wenn jemand wegen<br />

eines Schimpfwortes seinen Leum<strong>und</strong> verliert o<strong>de</strong>r in seinem<br />

Ansehen geschmälert wird.<br />

Zu 3. Die Zugabe, die <strong>de</strong>r Verteilen<strong>de</strong> <strong>de</strong>m nachreicht, <strong>de</strong>r<br />

weniger als recht von ihm erhalten hat, erfolgt nach <strong>de</strong>m Ver­<br />

hältnis von Sache zu Sache, insofern er ihm um so viel mehr<br />

geben muß, als er weniger, als ihm geschul<strong>de</strong>t war, erhalten<br />

hatte.<br />

64


2. ARTIKEL<br />

Ist die Rückgabe einer entwen<strong>de</strong>ten Sache zum ewigen Heil<br />

notwendig?<br />

1. Was unmöglich ist, ist zum ewigen Heil nicht nötig. Nun<br />

ist es bisweilen unmöglich, die weggenommene Sache zurück­<br />

zugeben, z. B. wenn jemand einen eines Glie<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />

Lebens beraubt hat. Also ist es zum Heil nicht notwendig, zu­<br />

rückzuerstatten, was man einem an<strong>de</strong>ren weggenommen hat.<br />

2. Eine Sün<strong>de</strong> begehen ist zum Heil nicht notwendig, weil<br />

<strong>de</strong>r Mensch sonst nicht wüßte, was er tun soll. Nun läßt sich<br />

bisweilen, was einem genommen wur<strong>de</strong>, nicht ohne Sün<strong>de</strong> zu­<br />

rückgeben, z. B. wenn jemand einem durch Ausplau<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit <strong>de</strong>n guten Ruf geraubt hat. Daher ist es zum Heil<br />

nicht nötig, das Weggenommene zurückzugeben.<br />

3. Was geschehen ist, läßt sich nicht ungeschehen machen.<br />

Nun kommt es vor, daß einer seine persönliche Ehre verliert,<br />

weil ihn jemand ungerecht ta<strong>de</strong>lt. Also kann ihm nicht zurück­<br />

gegeben wer<strong>de</strong>n, was ihm geraubt wur<strong>de</strong>. Und so ist es eben<br />

auch zum ewigen Heil nicht notwendig, das Weggenommene<br />

zu restituieren.<br />

4. Wer einen daran hin<strong>de</strong>rt, ein Gut zu erlangen, nimmt es<br />

ihm weg. Nun sagt Aristoteles zwar im II. Buch seiner Physik<br />

(c.5; 197a2): „Fehlt nur wenig, so ist das soviel wie nichts."<br />

Wenn aber jemand einen daran hin<strong>de</strong>rt, eine Pfrün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r dgl.<br />

zu erhalten, ist er nicht verpflichtet, die Pfrün<strong>de</strong> zu erstatten,<br />

<strong>de</strong>nn manchmal könnte er dies gar nicht. Also ist es zum Heil<br />

nicht notwendig, die weggenommene Sache zurückzugeben.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus (Briefl53; ML33,662):<br />

„Die Sün<strong>de</strong> wird nicht vergeben, wenn Weggenommenes nicht<br />

zurückgegeben."<br />

ANTWORT. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung ist, wie gesagt (Art. 1) ein<br />

Akt <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, die in einem gewissen Ausgleich<br />

besteht. Daher be<strong>de</strong>utet Wie<strong>de</strong>rerstatten die Rückgabe jener<br />

Sache, die weggenommen wur<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn durch ihre erneute<br />

Übereignung wird <strong>de</strong>r Ausgleich wie<strong>de</strong>rhergestellt. Ist die<br />

Sache jedoch rechtmäßig weggenommen wor<strong>de</strong>n, dann ergäbe<br />

sich durch die Rückgabe Ungleichheit, <strong>de</strong>nn <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

besteht in Gleichheit. Da nun die Beobachtung <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit zum Heil notwendig ist, ist folglich auch die Rückgabe <strong>de</strong>s-<br />

65<br />

62. 2


62. 2 sen, was ungerechterweise einem weggenommen wur<strong>de</strong>, zum<br />

Heil notwendig.<br />

Zu 1. In Fällen, wo <strong>de</strong>r volle Ausgleich nicht möglich ist,<br />

genügt es, das Mögliche zu erstatten, wie dies „bei <strong>de</strong>r Bekun­<br />

dung <strong>de</strong>r Ehre gegenüber Gott <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Eltern" offensichtlich ist<br />

(vgl. <strong>de</strong>s Aristoteles Eth.VIII,16; 1163b 16). Wenn daher das<br />

Weggenommene durch etwas Gleichwertiges nicht zu ersetzen<br />

ist, muß man wie<strong>de</strong>rgutmachen, soweit möglich. Wenn z. B.<br />

jemand einen eines Glie<strong>de</strong>s beraubt hat, muß er ihn mit Geld<br />

o<strong>de</strong>r Ehre entschädigen unter Beachtung - nach <strong>de</strong>m Urteil<br />

eines rechtschaffenen Mannes - <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>rseitigen Verhältnisse.<br />

Zu 2. Den guten Ruf kann jemand auf dreifache Weise zer­<br />

stören. Einmal, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit sagt, <strong>und</strong> zwar mit <strong>Recht</strong>,<br />

z. B. wenn jemand ordnungsgemäß ein Verbrechen zur Anzeige<br />

bringt. In diesem Fall besteht keine Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>r­<br />

herstellung <strong>de</strong>s Leum<strong>und</strong>s. - Zweitens, in<strong>de</strong>m jemand unbe­<br />

rechtigterweise Falsches aussagt, <strong>und</strong> dann ist er gehalten, <strong>de</strong>n<br />

guten Ruf wie<strong>de</strong>rherzustellen, in<strong>de</strong>m er eingesteht, Falsches<br />

verbreitet zu haben. - Drittens durch ungerechtfertigtes Ver­<br />

breiten <strong>de</strong>r Wahrheit, z. B. wenn jemand entgegen <strong>de</strong>r bestehen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sordnung ein Verbrechen auf<strong>de</strong>ckt. In diesem Fall ist<br />

er verpflichtet, <strong>de</strong>n guten Ruf, soweit wie möglich - jedoch ohne<br />

Lüge - wie<strong>de</strong>rherzustellen, z. B. in<strong>de</strong>m er erklärt, er habe ihn<br />

böswillig o<strong>de</strong>r ungerechterweise um seinen guten Ruf gebracht.<br />

O<strong>de</strong>r es muß ihm, falls sich <strong>de</strong>r gute Ruf nicht wie<strong>de</strong>rherstellen<br />

läßt, auf an<strong>de</strong>re Weise Genugtuung verschafft wer<strong>de</strong>n, wie oben<br />

(Zu 1) für an<strong>de</strong>re Fälle ange<strong>de</strong>utet wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 3. Beschimpfung kann nicht ungeschehen gemacht wer­<br />

<strong>de</strong>n, doch ist es möglich, ihre Wirkung, nämlich die Min<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>s Ansehens einer Person in <strong>de</strong>r Meinung <strong>de</strong>r Menschen, durch<br />

Erweis von Hochachtung zu mil<strong>de</strong>rn.<br />

Zu 4. Jeman<strong>de</strong>n an <strong>de</strong>r Erlangung einer Pfrün<strong>de</strong> zu hin<strong>de</strong>rn,<br />

ist auf vielfache Weise möglich. Einmal mit vollem <strong>Recht</strong>, z. B.<br />

wenn jemand, von <strong>de</strong>r Sorge für die Ehre Gottes o<strong>de</strong>r das Wohl<br />

<strong>de</strong>r Kirche bewogen, dafür sorgt, daß sie einer würdigeren Per­<br />

son verliehen wer<strong>de</strong>. Dann besteht in keiner Weise die Pflicht<br />

zur Restitution o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>iner Art von Ersatz. - Sodann un­<br />

gerechterweise, z. B. wenn man <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>n man hin<strong>de</strong>rt, aus Haß<br />

o<strong>de</strong>r Rachsucht o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rgleichen Scha<strong>de</strong>n zufügen möchte.<br />

Falls er dadurch die Verleihung <strong>de</strong>r Pfrün<strong>de</strong> an einen Würdigen<br />

hintertreibt, in<strong>de</strong>m er, bevor die Verleihung bestätigt ist, rät, sie<br />

66


ihm nicht zu geben, ist er zwar, unter Beachtung <strong>de</strong>r persön- 62. 3<br />

liehen Verhältnisse <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ganzen Vorgangs nach <strong>de</strong>m Urteil<br />

eines klugen Ratgebers, zu einer gewissen Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

verpflichtet, nicht jedoch zum vollen Ersatz, weil jener die<br />

Pfrün<strong>de</strong> noch nicht in Besitz hatte <strong>und</strong> auf mancherlei Weise<br />

daran gehin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n konnte. Wenn die Pfrün<strong>de</strong>nverleihung<br />

jedoch bereits bestätigt war <strong>und</strong> einer aus nichtigem Gr<strong>und</strong><br />

ihren Wi<strong>de</strong>rruf bewirkte, so ist das soviel, als ob er ihm die<br />

bereits in Besitz genommene entrissen hätte. Dann ist er zur<br />

Erstattung <strong>de</strong>s gleichen Wertes verpflichtet, freilich entspre­<br />

chend seinen Möglichkeiten.<br />

3. ARTIKEL<br />

Genügt es, einfach das zurückzugehen, was zu Unrecht<br />

genommen wur<strong>de</strong>?<br />

1. Ex22,l (21,37) heißt es: „Wenn einer ein Rind o<strong>de</strong>r ein<br />

Schaf stiehlt <strong>und</strong> es schlachtet o<strong>de</strong>r verkauft, soll er fünf Rin<strong>de</strong>r<br />

für ein Rind <strong>und</strong> vier Schafe für ein Schaf als Ersatz geben". Nun<br />

soll je<strong>de</strong>r das Gebot <strong>de</strong>s göttlichen Gesetzes beobachten. Wer<br />

stiehlt, muß also das Vier- o<strong>de</strong>r Fünffache zurückerstatten.<br />

2. „Was geschrieben wur<strong>de</strong>, ist zu unserer Belehrung<br />

geschrieben wor<strong>de</strong>n", heißt es im Römerbrief 15,4. Und bei<br />

Lkl9,8 sagt Zachäus zum Herrn: „Wenn ich jeman<strong>de</strong>n betro­<br />

gen habe, gebe ich es vierfach zurück". Also muß <strong>de</strong>r Mensch<br />

das Vielfache <strong>de</strong>ssen, was er ungerecht an sich genommen hat,<br />

zurückerstatten.<br />

3. Keinem darf man gerechterweise nehmen, was er nicht<br />

herzugeben braucht. Doch <strong>de</strong>r Richter nimmt vom Dieb als<br />

Buße mehr, als er gestohlen hat. Also muß <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m<br />

nachkommen. Und <strong>de</strong>shalb genügt die einfache Gegenleistung<br />

nicht.<br />

DAGEGEN steht, daß die Rückgabe das gestörte Gleichmaß<br />

wie<strong>de</strong>rherstellt. Wer nun einfach das, was er genommen hat, zu­<br />

rückgibt, stellt das Gleichmaß tatsächlich wie<strong>de</strong>r her. Somit<br />

braucht man nur genau das zu restituieren, was man sich<br />

angeeignet hat.<br />

ANTWORT. Wenn jemand unrechtmäßig eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

an sich nimmt, sind zwei Dinge zu beachten. Das eine ist die<br />

Ungleichheit auf <strong>de</strong>r sachlichen Seite, - was bisweilen mit<br />

67


62. 4 Unrecht nichts zu tun hat, wie z. B. beim Tausch. Das an<strong>de</strong>re ist<br />

die persönliche Schuld <strong>de</strong>s Unrechts. Diese kann auch bei sach­<br />

licher Ausgeglichenheit bestehen, z. B. wenn jemand Gewalt<br />

anzuwen<strong>de</strong>n versucht, jedoch dabei keinen Erfolg hat. Bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>s ersten Punktes wird durch Rückerstattung Abhilfe<br />

geschaffen, insofern dadurch die Gleichheit wie<strong>de</strong>rhergestellt<br />

wird, <strong>und</strong> dazu genügt es, wenn genau das zurückgegeben wird,<br />

was einer an frem<strong>de</strong>m Besitz hatte. Doch <strong>de</strong>r Schuld wird durch<br />

Strafe begegnet, <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren Verhängung obliegt <strong>de</strong>m Richter.<br />

Bis zur richterlichen Verurteilung braucht also einer als Restitu­<br />

tion nur zurückzugeben, was er weggenommen hat, nach <strong>de</strong>r<br />

Verurteilung jedoch hat er die Strafe abzubüßen.<br />

Zu 1. ist die Antwort also klar, <strong>de</strong>nn jenes Gesetz bestimmt<br />

die vom Richter aufzuerlegen<strong>de</strong> Strafe. Und obwohl nach <strong>de</strong>r<br />

Ankunft Christi niemand mehr zur Beobachtung eines [alt-<br />

testamentlichen] richterlichen Gebotes verpflichtet ist (vgl. I-<br />

11104,3), kann das menschliche Gesetz, für das die gleiche<br />

Überlegung gilt, solches o<strong>de</strong>r ähnliches bestimmen.<br />

Zu 2. Zachäus wollte mit jenem Wort einem Werk <strong>de</strong>r Über­<br />

gebühr Ausdruck verleihen. Daher schickte er voraus: „Sieh',<br />

die Hälfte meines Besitzes gebe ich <strong>de</strong>n Armen."<br />

Zu 3. Der Richter kann bei seiner Verurteilung zur Buße mit<br />

<strong>Recht</strong> etwas mehr abnehmen, doch vor <strong>de</strong>r Verurteilung durfte<br />

er es nicht.<br />

4. ARTIKEL<br />

Muß jemand zurückgeben, was er nicht entwen<strong>de</strong>t hat? [19]<br />

1. Wer Scha<strong>de</strong>n zugefügt hat, muß ihn auch beheben. Nun<br />

verursacht bisweilen jemand einen Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r über das<br />

unmittelbar Weggenommene hinausgeht, z. B. wenn einer die<br />

Saat verwüstet, macht er die ganze zukünftige Ernte <strong>de</strong>ssen<br />

zunichte, <strong>de</strong>r sie ausgebracht hat, <strong>und</strong> diese muß er dann eben­<br />

falls ersetzen. Also besteht die Verpflichtung, zu erstatten, was<br />

man nicht weggenommen hat.<br />

2. Wer das Geld <strong>de</strong>s Gläubigers über <strong>de</strong>n abgemachten<br />

Rückzahlungstermin hinaus behält, beeinträchtigt ihn am gan­<br />

zen Gewinn, <strong>de</strong>n er mit seinem Geld hätte machen können.<br />

Und doch nimmt er ihm diesen nicht weg. Also ist einer ver­<br />

pflichtet, für etwas aufzukommen, was er nicht weggenommen<br />

hat.<br />

68


3. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> ist von <strong>de</strong>r göttlichen ab- 62. 4<br />

geleitet. Doch Gott schul<strong>de</strong>t man mehr als man von ihm emp­<br />

fangen hat gemäß Mt25,26: „Du hast gewußt, daß ich ernte,<br />

wo ich nicht gesät, <strong>und</strong> sammle, wo ich nicht ausgestreut habe."<br />

Demnach ist es recht, auch einem Menschen zu erstatten, was<br />

man ihm nicht genommen hat.<br />

DAGEGEN steht, daß die Rückgabe zur <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

gehört, insofern sie Ausgleich schafft. Doch wenn jemand zu­<br />

rückgäbe, was er nicht genommen hat, diente dies nicht <strong>de</strong>m<br />

Ausgleich. Eine solche Restitution entspricht nicht <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit.<br />

ANTWORT. Wer jeman<strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n zufügt, nimmt ihm das,<br />

um was er ihn geschädigt hat, weg. Von Scha<strong>de</strong>n spricht man<br />

nämlich nach <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik (V, 7; 1132 b 14), wenn einer<br />

weniger hat, als er haben sollte. Daher ist <strong>de</strong>r Mensch für <strong>de</strong>n<br />

angerichteten Scha<strong>de</strong>n restitutionspflichtig. Doch Scha<strong>de</strong>n<br />

erlei<strong>de</strong>t einer auf zweifache Weise. Einmal, wenn ihm, was er<br />

tatsächlich besaß, weggenommen wur<strong>de</strong>. Und dieser Scha<strong>de</strong>n<br />

ist durch Erstattung von etwas Gleichwertigem stets g<strong>utz</strong>u­<br />

machen, z. B. wenn jemand einen durch Zerstörung seines<br />

Hauses geschädigt hat, muß er ihm <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Hauses erset­<br />

zen. - Auf an<strong>de</strong>re Weise schädigt jemand einen, wenn er ihn<br />

daran hin<strong>de</strong>rt, eine aussichtsreiche Sache an sich zu bringen.<br />

Für einen <strong>de</strong>rartigen Scha<strong>de</strong>n braucht er nicht vollständig auf­<br />

zukommen, <strong>de</strong>nn etwas nur in Aussicht haben, ist weniger, als<br />

es wirklich besitzen. Wer sich nämlich erst daranmacht, etwas<br />

zu erlangen, besitzt es nur <strong>de</strong>r Erwartung o<strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

nach. Und wenn es ihm zurückgegeben wür<strong>de</strong>, so daß er es<br />

tatsächlich hätte, wür<strong>de</strong> ihm nicht <strong>de</strong>r einfache Wert <strong>de</strong>s Weg­<br />

genommenen erstattet, son<strong>de</strong>rn ein Vielfaches davon. Dies ist<br />

jedoch kein unbedingtes Erfor<strong>de</strong>rnis <strong>de</strong>r Restitution (Art. 3).<br />

Eine gewisse Wie<strong>de</strong>rgutmachung entsprechend <strong>de</strong>n persön­<br />

lichen <strong>und</strong> sachlichen Verhältnissen ist jedoch angebracht.<br />

Zu 1 <strong>und</strong> Zu 2 ist somit die Antwort klar. Denn wer die<br />

Saat auf <strong>de</strong>m Acker ausgebracht hat, besitzt die Ernte noch<br />

nicht in Wirklichkeit, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>r Möglichkeit nach.<br />

Ebenso hat, wer Geld besitzt, <strong>de</strong>n Gewinn noch nicht in seiner<br />

Tasche, son<strong>de</strong>rn erst in Aussicht, <strong>und</strong> bei<strong>de</strong>s kann auf vielfache<br />

Weise mißlingen.<br />

Zu 3. Gott verlangt vom Menschen nur das Gute, das er<br />

selbst in uns gesät hat. Daher ist jenes Wort entwe<strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>r<br />

69


62. 5 törichten Ansicht <strong>de</strong>s faulen Knechtes zu verstehen, <strong>de</strong>r meinte,<br />

er habe nichts empfangen, o<strong>de</strong>r so, daß Gott von uns die<br />

Früchte von <strong>de</strong>n Gaben erwartet, die sowohl von ihm als auch<br />

von uns sind, obwohl die Gaben selbst allein von Gott<br />

herkommen ohne unser Zutun.<br />

5. ARTIKEL<br />

Muß man immer <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m man etwas<br />

genommen hat? [20]<br />

1. Man darf nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>n. Doch manchmal fiele es<br />

zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Betreffen<strong>de</strong>n aus o<strong>de</strong>r auch an<strong>de</strong>rer, wenn<br />

man ihm das Weggenommene zurückgäbe, z.B. wenn man<br />

einem Geistesgestörten ein hinterlegtes Schwert aushändigte.<br />

Also braucht man nicht immer <strong>de</strong>m Eigentümer zu restituieren.<br />

2. Wer unerlaubterweise etwas hergegeben hat, ist nicht<br />

würdig, es zurückzuerhalten. Doch bisweilen gibt einer uner­<br />

laubterweise her, was ein an<strong>de</strong>rer unerlaubterweise annimmt,<br />

wie dies beim simonistischen [21] Geben <strong>und</strong> Nehmen offen­<br />

sichtlich <strong>de</strong>r Fall ist. Also braucht man nicht immer <strong>de</strong>m zu­<br />

rückzugeben, von <strong>de</strong>m man etwas hat.<br />

3. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet. Nun ist es<br />

bisweilen unmöglich, <strong>de</strong>m zu restituieren, von <strong>de</strong>m man etwas<br />

hat, etwa weil er gestorben o<strong>de</strong>r zu weit weg o<strong>de</strong>r unbekannt<br />

ist. Also braucht man nicht <strong>de</strong>m zurückzuerstatten, von <strong>de</strong>m<br />

man etwas in Besitz hat.<br />

4. Der Mensch muß eher <strong>de</strong>m zurückerstatten, von <strong>de</strong>m er<br />

die größere Wohltat empfangen hat. Doch von an<strong>de</strong>ren hat <strong>de</strong>r<br />

Mensch mehr Wohltaten empfangen als etwa von einem Han­<br />

<strong>de</strong>ls- o<strong>de</strong>r Hinterlegungspartner, z. B. von seinen Eltern. Also<br />

muß man bisweilen einer an<strong>de</strong>ren Person eher etwas zuwen<strong>de</strong>n<br />

als <strong>de</strong>m restituieren, von <strong>de</strong>m man etwas in Besitz hat.<br />

5. Überflüssig ist es, das zurückzugeben, was durch Restitu­<br />

tion in die Hand <strong>de</strong>s Restituieren<strong>de</strong>n zurückkehrt. So kommt,<br />

wenn ein Prälat <strong>de</strong>r Kirche auf Unrechte Weise etwas entzogen<br />

hat, dies durch seine Restitution wie<strong>de</strong>rum in seine Hand, da er<br />

ja selber Verwalter <strong>de</strong>r Kirchengüter ist. Also muß er <strong>de</strong>r Kirche,<br />

die er beraubt hat, nicht restituieren.<br />

DAGEGEN steht Rom 13,7: „Gebt allen, was ihr ihnen<br />

schuldig seid, sei es Steuer o<strong>de</strong>r Zoll."<br />

70


ANTWORT. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung stellt das Gleichgewicht 62. 5<br />

<strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit, die, wie gesagt (Art. 2), im Ausgleich<br />

<strong>de</strong>r Sachen besteht, wie<strong>de</strong>r her. Dieser Ausgleich <strong>de</strong>r Sachen<br />

kann nur erfolgen, wenn <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zu wenig, als ihm zusteht,<br />

hat, ergänzt wird, was ihm fehlt. Und damit diese Ergänzung<br />

zustan<strong>de</strong>kommt, muß <strong>de</strong>m Geschädigten Restitution geleistet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Wenn die Rückgabe einer Sache für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m wie<strong>de</strong>r­<br />

zuerstatten ist, o<strong>de</strong>r für einen an<strong>de</strong>ren sehr gefährlich zu sein<br />

scheint, dann darf ihm nicht restituiert wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn die Resti­<br />

tution dient <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m sie geleistet wird. Alles<br />

Eigentum untersteht nämlich <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s N<strong>utz</strong>ens.<br />

Der an<strong>de</strong>re darf sich die frem<strong>de</strong> Sache allerdings nicht aneignen,<br />

son<strong>de</strong>rn muß sie bis zu einem geeigneten Zeitpunkt <strong>de</strong>r Rück­<br />

gabe bei sich behalten o<strong>de</strong>r sie irgendwohin weggeben, wo sie<br />

sicherer aufbewahrt wird.<br />

Zu 2. Auf zweifache Weise gibt jemand etwas unerlaubter­<br />

weise. Einmal, weil das Geben in sich unerlaubt <strong>und</strong> gegen das<br />

Gesetz ist, wie bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r simonistisch etwas gibt. Ein solcher<br />

verliert mit Fug <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>, was er gegeben hat, man braucht es<br />

ihm also nicht wie<strong>de</strong>rzuerstatten. Doch auch <strong>de</strong>r Empfänger<br />

darf es nicht behalten, weil er es gesetzwidrig angenommen<br />

hat, son<strong>de</strong>rn muß es für fromme Zwecke weitergeben. - Auf<br />

an<strong>de</strong>re Weise gibt jemand unerlaubt, nicht weil das Geben als<br />

solches, son<strong>de</strong>rn die Sache unerlaubt ist, wie bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r für<br />

Unzuchtsgewähr einer Dirne etwas gibt. Daher kann die Frau<br />

das Dargereichte behalten. Hätte sie jedoch auf betrügerische<br />

o<strong>de</strong>r hinterlistige Weise zuviel herausgepreßt, müßte sie dieses<br />

zurückerstatten.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m man zu restituieren hat, vollkommen<br />

unbekannt ist, muß man zurückerstatten soweit eben möglich,<br />

in<strong>de</strong>m man, sorgfältige Umfrage nach <strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s<br />

Restitutionsempfängers vorausgesetzt, für sein Seelenheil<br />

Almosen gibt, sei er gestorben o<strong>de</strong>r noch am Leben. - Ist er<br />

gestorben, muß sein Erbe, <strong>de</strong>r mit ihm sozusagen wie eine<br />

Person zu betrachten ist, bedacht wer<strong>de</strong>n. - Lebt er weit weg,<br />

muß ihm die Sache übersandt wer<strong>de</strong>n, vor allem, wenn sie sehr<br />

wertvoll ist <strong>und</strong> bequem transportiert wer<strong>de</strong>n kann. An<strong>de</strong>rn­<br />

falls ist sie an einen sicheren Ort zu verbringen <strong>und</strong> dort für ihn<br />

aufzubewahren, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Eigentümer hat man hierüber Bericht<br />

zu erstatten.<br />

71


62. 6 Zu 4. Mit seinem eigenen Besitz muß man eher für die<br />

Eltern o<strong>de</strong>r seine größeren Wohltäter etwas tun. Nicht aber darf<br />

man seinen Wohltäter mit frem<strong>de</strong>m Eigentum be<strong>de</strong>nken. Dies<br />

läge vor, wenn man <strong>de</strong>m einen gäbe, was <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gehört.<br />

Eine Ausnahme bil<strong>de</strong>t höchstens <strong>de</strong>r Fall äußerster Not. Hier<br />

dürfte, ja müßte man mit frem<strong>de</strong>m Gut seinem Vater zu Hilfe<br />

kommen.<br />

Zu 5. Ein kirchlicher Oberer kann Kirchengut auf dreifache<br />

Weise an sich bringen, l.wenn er nicht ihm, son<strong>de</strong>rn einem<br />

an<strong>de</strong>ren zugewiesenes Kirchengut sich selber aneignet, z.B.<br />

wenn ein Bischof das Kapitelsvermögen an sich reißen wür<strong>de</strong>.<br />

Dann ist es klar, daß er restituieren muß, in<strong>de</strong>m er die Sache <strong>de</strong>n<br />

rechtmäßigen Eigentümern zurückgibt. - 2. wenn er das ihm<br />

anvertraute Kirchengut in eines an<strong>de</strong>ren Besitz überführt, z. B.<br />

seines Verwandten o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>es. Dann muß er es <strong>de</strong>r Kirche<br />

zurückerstatten <strong>und</strong> dafür besorgt sein, daß es einmal an seinen<br />

Nachfolger übergeht. - 3. kann sich ein Prälat <strong>de</strong>r bloßen<br />

Absicht nach Kirchengut aneignen, wenn er nämlich mit <strong>de</strong>m<br />

Gedanken spielt, es persönlich <strong>und</strong> nicht im Namen <strong>de</strong>r Kirche<br />

zu besitzen. In diesem Fall besteht die Restitution darin, <strong>de</strong>rlei<br />

Absichten aufzugeben.<br />

6. ARTIKEL<br />

Muß immer jener zurückerstatten, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t hat?<br />

1. Durch die Rückgabe wird das Gleichmaß <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit wie<strong>de</strong>rhergestellt. Dies geschieht dadurch, daß <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r<br />

mehr hat, genommen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r weniger hat, gegeben wird.<br />

Bisweilen jedoch kommt es vor, daß einer die entwen<strong>de</strong>te Sache<br />

nicht mehr besitzt, da sie in die Hand eines an<strong>de</strong>ren gelangt ist.<br />

Es braucht also nicht mehr <strong>de</strong>r Dieb zu restituieren, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re, <strong>de</strong>r die Sache in Besitz hat.<br />

2. Niemand braucht seine Untat aufzu<strong>de</strong>cken. Doch biswei­<br />

len kommt beim Restituieren die Untat ans Licht, wie dies beim<br />

Diebstahl <strong>de</strong>r Fall ist. Also muß <strong>de</strong>r Dieb die gestohlene Sache<br />

nicht mehr zurückgeben.<br />

3. Eine Sache braucht man nicht mehrmals zurückzuerstat­<br />

ten. Manchmal jedoch stehlen viele zusammen etwas, <strong>und</strong> einer<br />

von ihnen gibt alles zurück. Also ist nicht immer je<strong>de</strong>r Dieb zur<br />

Rückgabe verpflichtet.<br />

72


DAGEGEN gilt: <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r ist zur Genugtuung verpflichtet. 62. 6<br />

Nun gehört die Rückgabe zur Genugtuung. Also muß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r<br />

entwen<strong>de</strong>t hat, zurückgeben.<br />

ANTWORT. Bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r eine frem<strong>de</strong> Sache an sich genom­<br />

men hat, sind zwei Dinge ins Auge zu fassen, nämlich die ent­<br />

wen<strong>de</strong>te Sache <strong>und</strong> die Wegnahme als solche. Bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Sache ist er verpflichtet, sie zurückzugeben, solange er sie bei<br />

sich hat, <strong>de</strong>nn was einer mehr hat, als sein ist, muß ihm abge­<br />

nommen <strong>und</strong> nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n Gerechtig­<br />

keit <strong>de</strong>m gegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m es fehlt.<br />

Mit <strong>de</strong>r Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache selbst kann es sich<br />

dreifach verhalten. Bisweilen ist sie ungerecht, nämlich gegen<br />

<strong>de</strong>n Willen ihres Eigentümers gerichtet wie beim Diebstahl <strong>und</strong><br />

Raub. Die Restitutionspflicht ergibt sich dann nicht nur wegen<br />

<strong>de</strong>r Sache, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r ungerechten Handlung,<br />

selbst wenn die Sache nicht mehr bei ihm verblieben ist. Wie<br />

nämlich jemand, <strong>de</strong>r einen geschlagen hat, verpflichtet ist, <strong>de</strong>m<br />

Leidtragen<strong>de</strong>n für das Unrecht Genugtuung zu leisten, obwohl<br />

er nichts vom Betroffenen in Besitz hat, so muß auch <strong>de</strong>r Dieb<br />

o<strong>de</strong>r Räuber für <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n einstehen, auch<br />

wenn er nichts behalten hat, <strong>und</strong> überdies muß er für das zuge­<br />

fügte Unrecht bestraft wer<strong>de</strong>n.<br />

Zweitens nimmt jemand frem<strong>de</strong>s Gut ohne Unrecht in sei­<br />

nen Gebrauch, nämlich mit Zustimmung seines Eigentümers,<br />

wie dies bei Leihgeschäften <strong>de</strong>r Fall ist. Der Empfänger ist dann<br />

zur Restitution für die erhaltene Sache verpflichtet - <strong>und</strong> dies<br />

selbst, wenn er sie verloren hat -, nicht allein wegen <strong>de</strong>r Sache,<br />

son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r Annahme [als solcher], <strong>de</strong>nn er muß<br />

<strong>de</strong>m Genugtuung leisten, <strong>de</strong>r ihm die Gefälligkeit [<strong>de</strong>r Leihe]<br />

erwiesen hat, was nicht geschehen wäre, hätte er <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n<br />

vorausgesehen.<br />

Drittens nimmt jemand ohne Unrecht eine frem<strong>de</strong> Sache an<br />

sich, doch nicht zum eigenen N<strong>utz</strong>en, wie dies bei <strong>de</strong>r Hinter­<br />

legung <strong>de</strong>r Fall ist. Aus einer <strong>de</strong>rartigen Übernahme erfließt für<br />

<strong>de</strong>n Annehmen<strong>de</strong>n keinerlei Verpflichtung, vielmehr erweist er<br />

damit eine Gefälligkeit. Verpflichtung ergibt sich jedoch aus <strong>de</strong>r<br />

Sache. Kommt sie ihm ohne eigene Schuld abhan<strong>de</strong>n, braucht er<br />

keine Wie<strong>de</strong>rgutmachung zu leisten. An<strong>de</strong>rs läge hingegen <strong>de</strong>r<br />

Fall, wenn er die hinterlegte Sache aus eigener schwerer Schuld<br />

verlieren wür<strong>de</strong>.<br />

73


62. 7 Zu 1. Die Rückgabe zielt nicht in erster Linie darauf, daß,<br />

wer mehr hat, als ihm gebührt, dies nun verliert, son<strong>de</strong>rn daß<br />

<strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zu wenig hat, das Fehlen<strong>de</strong> ergänzt wird. Daher hat<br />

dort, wo jemand vom an<strong>de</strong>ren etwas nehmen kann, ohne ihm<br />

zu scha<strong>de</strong>n, die Restitution keinen Platz, z.B. wenn einer sein<br />

Licht an <strong>de</strong>r Kerze eines an<strong>de</strong>ren entzün<strong>de</strong>t. Wenn daher ein<br />

Dieb das gestohlene Gut nicht mehr besitzt, weil er es weiter­<br />

gegeben hat, müssen, da <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re seiner Sache beraubt ist,<br />

sowohl <strong>de</strong>r Dieb - wegen seiner ungerechten Handlung -, als<br />

auch <strong>de</strong>r Besitzer <strong>de</strong>s Gestohlenen - <strong>de</strong>r Sache wegen - resti­<br />

tuieren [22].<br />

Zu 2. Auch wenn niemand verpflichtet ist, an<strong>de</strong>ren seine<br />

Untat aufzu<strong>de</strong>cken, so ist man doch gehalten, sie Gott in <strong>de</strong>r<br />

Beichte zu offenbaren. Somit kann man durch Vermittlung <strong>de</strong>s<br />

Beichtvaters die Rückgabe <strong>de</strong>r frem<strong>de</strong>n Sache veranlassen.<br />

Zu 3. Weil die Wie<strong>de</strong>rerstattung hauptsächlich <strong>de</strong>n Zweck<br />

verfolgt, Scha<strong>de</strong>n vom zu Unrecht Beraubten abzuwen<strong>de</strong>n,<br />

brauchen, wenn einer genügend wie<strong>de</strong>rgutgemacht hat, die<br />

an<strong>de</strong>ren nicht auch noch zu restituieren, son<strong>de</strong>rn müssen viel­<br />

mehr <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r die Rückgabe auf sich genommen, einen Aus­<br />

gleich verschaffen, doch kann dieser auch darauf verzichten.<br />

7. ARTIKEL<br />

Sind die, die nichts entwen<strong>de</strong>t haben, zur Wie<strong>de</strong>rerstattung<br />

verpflichtet?<br />

1. Die Wie<strong>de</strong>rerstattung ist eine Art Strafe für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r etwas<br />

entwen<strong>de</strong>t hat. Doch keiner darf bestraft wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht<br />

gesündigt hat. Also muß nur <strong>de</strong>r zurückgeben, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat.<br />

2. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> verpflichtet nicht, das Eigentum <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren zu mehren. Wenn jedoch nicht nur jener, <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>t<br />

hat, son<strong>de</strong>rn auch alle, die irgendwie mitmachen, restituieren<br />

müßten, dann wür<strong>de</strong> das Eigentum <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m etwas weg­<br />

genommen wur<strong>de</strong>, vermehrt, <strong>und</strong> zwar einmal, weil ihm viel­<br />

fache Restitution zuteil wür<strong>de</strong>, sodann aber auch, weil manche<br />

bisweilen alles versuchen, um einem etwas wegzunehmen, was<br />

dann aber nicht gelingt. Also sind an<strong>de</strong>re nicht zur Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung verpflichtet.<br />

74


3. Niemand braucht sich einer Gefahr auszusetzen, um das 62. 7<br />

Eigentum eines an<strong>de</strong>ren zu retten. Doch durch die Anzeige<br />

eines Räubers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rstand gegen ihn wür<strong>de</strong> sich<br />

jemand in To<strong>de</strong>sgefahr bringen. Also ist nicht zur Restitution<br />

verpflichtet, wer einen Räuber nicht anzeigt o<strong>de</strong>r ihm keinen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand leistet.<br />

DAGEGEN steht im Römerbrief 1,32: „Des To<strong>de</strong>s würdig<br />

sind nicht allein, die [Böses] tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>nen<br />

zustimmen, die es tun". Also müssen aus gleichem Gr<strong>und</strong> auch<br />

die Zustimmen<strong>de</strong>n restituieren.<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 6), ist jemand zur Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung nicht nur wegen <strong>de</strong>r entwen<strong>de</strong>ten Sache verpflichtet,<br />

son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r ungerechten Wegnahme als solcher.<br />

Daher unterliegt je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r an <strong>de</strong>r Entwendung ursächlich betei­<br />

ligt ist, <strong>de</strong>r Restitutionspflicht. Dies ergibt sich auf doppelte<br />

Weise: direkt <strong>und</strong> indirekt. Direkt, wenn jemand einen zum<br />

Entwen<strong>de</strong>n verführt. Und dies ist dreifach möglich. 1. in<strong>de</strong>m er<br />

ihn zur Wegnahme anstiftet, was durch Befehl, Rat, ausdrück­<br />

liche Zustimmung <strong>und</strong> dadurch geschieht, daß man einen als<br />

„tüchtigen Kerl" lobt, weil er etwas entwen<strong>de</strong>t hat. 2. mit Blick<br />

auf <strong>de</strong>n Dieb, in<strong>de</strong>m er ihn bei sich aufnimmt o<strong>de</strong>r ihm sonstwie<br />

Hilfe gewährt. 3. vom entwen<strong>de</strong>ten Gut aus gesehen, in<strong>de</strong>m er<br />

sich gleichsam als Kumpan <strong>de</strong>r Freveltat am Diebstahl o<strong>de</strong>r<br />

Raub beteiligt. - Indirekt, in<strong>de</strong>m einer die Tat nicht verhin<strong>de</strong>rt,<br />

obwohl er es könnte o<strong>de</strong>r müßte, sei es durch Wie<strong>de</strong>rruf <strong>de</strong>s<br />

Befehls o<strong>de</strong>r Rats, wodurch <strong>de</strong>r Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub verhin<strong>de</strong>rt<br />

wird, sei es durch Entzug seiner Hilfe, was die Untat ebenfalls<br />

verhüten könnte, o<strong>de</strong>r sie nachher totschweigt. Dies alles wird<br />

[auf Latein] in <strong>de</strong>m Vers ausgedrückt: „Befehlen, raten, zustim­<br />

men, lobhu<strong>de</strong>ln, Sch<strong>utz</strong> bieten, mitmachen, verschweigen,<br />

nicht wi<strong>de</strong>rstehen, nicht ans Licht bringen".<br />

Fünf von diesen Verhaltensweisen verpflichten stets zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rerstattung. 1. <strong>de</strong>r Befehl, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Befehlen<strong>de</strong> setzt die<br />

Aktion an erster Stelle in Gang, daher ist er auch an erster Stelle<br />

gehalten, Wie<strong>de</strong>rgutmachung zu leisten. 2. die Zustimmung,<br />

je<strong>de</strong>nfalls bei <strong>de</strong>m, ohne <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Raub nicht Zustan<strong>de</strong>kommen<br />

könnte. 3. <strong>de</strong>r Sch<strong>utz</strong>, wobei <strong>de</strong>r gemeint ist, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Räuber<br />

bei sich aufnimmt <strong>und</strong> seine Hand über ihn hält. 4. die Teil­<br />

nahme, wenn nämlich einer am Verbrechen <strong>de</strong>s Raubes <strong>und</strong> an<br />

<strong>de</strong>r Beute teilhat. 5. ist jener restitutionspflichtig, <strong>de</strong>r keinen<br />

Wi<strong>de</strong>rstand leistet, obwohl er müßte. So sind die Fürsten,<br />

75


62. 7 <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Sch<strong>utz</strong> <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> auf Er<strong>de</strong>n obliegt, zur<br />

Restitution verpflichtet, wenn durch ihre Nachlässigkeit das<br />

Räuberwesen überhand nimmt, <strong>de</strong>nn die Einkünfte, die sie<br />

beziehen, sind gleichsam <strong>de</strong>r Lohn dafür, daß sie auf Er<strong>de</strong>n die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> unter ihren Sch<strong>utz</strong> nehmen.<br />

In <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aufgezählten Fällen besteht nicht immer die<br />

Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rerstattung. Rat <strong>und</strong> Lob <strong>und</strong> <strong>de</strong>rgleichen sind<br />

nämlich nicht immer wirksame Ursache von Raub. Daher müs­<br />

sen Ratgeber o<strong>de</strong>r Schmeichler nur dann für die Wie<strong>de</strong>rerstat­<br />

tung einstehen, wenn aus <strong>de</strong>rartigen Einwirkungen aller Wahr­<br />

scheinlichkeit nach eine ungerechte Entwendung erfolgt ist.<br />

Zu 1. Nicht nur jener sündigt, <strong>de</strong>r die sündige Tat ausführt,<br />

son<strong>de</strong>rn auch, wer auf irgen<strong>de</strong>ine Weise Ursache <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> ist,<br />

sei es durch Rat, Befehl o<strong>de</strong>r sonstwie.<br />

Zu 2. In erster Linie muß wie<strong>de</strong>rerstatten, wer bei <strong>de</strong>r<br />

Aktion <strong>de</strong>r Ausschlaggeben<strong>de</strong> ist, also zuerst <strong>de</strong>r Befehlen<strong>de</strong>,<br />

dann <strong>de</strong>r Ausführen<strong>de</strong> <strong>und</strong> dann weiter die an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r Reihe<br />

nach. Erhält <strong>de</strong>r Geschädigte von Einem Genugtuung, dann<br />

braucht ein an<strong>de</strong>rer nicht auch noch zu restituieren. Doch die<br />

Haupträ<strong>de</strong>lsführer bei <strong>de</strong>r Tat, die auch die Beute eingesteckt<br />

haben, müssen <strong>de</strong>nen etwas geben, die restituiert haben. -<br />

Befiehlt aber einer eine ungerechte Entwendung, die jedoch<br />

nicht zustan<strong>de</strong>kommt, so ist keine Restitution zu leisten, <strong>de</strong>nn<br />

sie hat ja hauptsächlich <strong>de</strong>n Zweck, das Eigentum <strong>de</strong>s ungerecht<br />

Geschädigten zu vervollständigen.<br />

Zu 3. Wer <strong>de</strong>n Räuber nicht anzeigt, ihm keinen Wi<strong>de</strong>rstand<br />

leistet o<strong>de</strong>r ihn nicht festhält, braucht nicht immer zu restituie­<br />

ren, son<strong>de</strong>rn nur, wenn er von Amts wegen dazu verpflichtet ist,<br />

wie dies bei <strong>de</strong>n Fürsten <strong>de</strong>r Welt zutrifft. Diesen droht daraus<br />

ja auch keine große Gefahr, besitzen sie doch die öffentliche<br />

Gewalt, damit sie die Hüter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> sein können.<br />

76


8. ARTIKEL<br />

Muß man sofort zurückgeben o<strong>de</strong>r darf man die Restitution<br />

hinauszögern?<br />

1. Die affirmativen Gebote [23] verpflichten nicht je<strong>de</strong>rzeit.<br />

Nun leitet sich die Notwendigkeit <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung aus<br />

einem affirmativen Gebot her, also ist <strong>de</strong>r Mensch nicht zur<br />

sofortigen Rückgabe verpflichtet.<br />

2. Niemand ist zum Unmöglichen verpflichtet. Doch bis­<br />

weilen ist es einem unmöglich, sogleich zurückzugeben. Also<br />

braucht niemand sogleich zu restituieren.<br />

3. Die Rückgabe ist ein Akt <strong>de</strong>r Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit. Der Zeitumstand ist nun eine <strong>de</strong>r Gegebenheiten, die<br />

zum Tugendakt notwendig gehören. Da jedoch die an<strong>de</strong>ren<br />

Umstän<strong>de</strong> für die Tugendakte nicht festgelegt, son<strong>de</strong>rn nach<br />

klugem Ermessen zu bestimmen sind, gibt es auch für die Resti­<br />

tution keine Zeitbestimmung, wonach die Rückgabe sofort<br />

erfolgen müßte.<br />

DAGEGEN steht, daß bei je<strong>de</strong>r Restitution die gleiche Über­<br />

legung gilt. Doch wer Lohnarbeiter dingt, kann die Aushändi­<br />

gung <strong>de</strong>s Lohnes nicht verschieben, wie aus Lv 19,13 ersichtlich<br />

ist: „Der Lohn <strong>de</strong>s Taglöhners soll nicht über Nacht bis zum<br />

Morgen bei dir bleiben." Also darf es auch bei an<strong>de</strong>ren Abgel­<br />

tungen kein Hinauszögern geben, son<strong>de</strong>rn die Übergabe muß<br />

sogleich erfolgen.<br />

ANTWORT. Wie die Entwendung einer frem<strong>de</strong>n Sache eine<br />

Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist, so auch, wenn man sie<br />

behält. Denn dadurch, daß einer die frem<strong>de</strong> Sache gegen <strong>de</strong>n<br />

Willen <strong>de</strong>s Eigentümers behält, wird dieser am Gebrauch seines<br />

Eigentums gehin<strong>de</strong>rt, <strong>und</strong> so fügt er ihm Unrecht zu. Es ist aber<br />

klar, daß man auch nicht einen Augenblick lang im Zustand <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> verweilen darf, son<strong>de</strong>rn je<strong>de</strong>r ist gehalten, die Sün<strong>de</strong><br />

sofort aufzugeben gemäß Sir 21,2: „Flieh vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wie vor<br />

<strong>de</strong>r Schlange!" Daher muß ein je<strong>de</strong>r sogleich wie<strong>de</strong>rerstatten<br />

o<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache erlauben kann, um<br />

Aufschub bitten.<br />

Zu 1. Das Restitutionsgebot ist zwar affirmativ formuliert,<br />

doch enthält es das negative Gebot [Verbot], eine frem<strong>de</strong> Sache<br />

zu behalten.<br />

77<br />

62. 8


62. 8 Zu 2. Wenn jemand nicht sogleich zurückgeben kann, ent­<br />

schuldigt ihn die Unmöglichkeit von <strong>de</strong>r sofortigen Restitution,<br />

wie er gänzlich von <strong>de</strong>r Rückgabepflicht befreit wäre, wenn er<br />

sich dazu absolut außerstan<strong>de</strong> sähe. Er muß dann allerdings sel­<br />

ber o<strong>de</strong>r durch einen an<strong>de</strong>ren die entsprechen<strong>de</strong> Person um<br />

Nachlaß o<strong>de</strong>r Aufschub bitten.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r Umstand, <strong>de</strong>ssen Mißachtung sich mit <strong>de</strong>r<br />

Tugend nicht vereinbaren läßt, ist als festgelegt zu betrachten<br />

<strong>und</strong> zu beachten. Und weil durch Hinauszögern <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rer­<br />

stattung die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s ungerechtfertigten <strong>und</strong> ungerechten<br />

Behaltens begangen wird, muß <strong>de</strong>r Umstand <strong>de</strong>r Zeit festgelegt<br />

sein, damit die Restitution sogleich geleistet wird.<br />

78


63. FRAGE<br />

DAS „ANSEHEN DER PERSON"<br />

Nunmehr ist von <strong>de</strong>n Lastern zu re<strong>de</strong>n, die zu <strong>de</strong>n erwähn­<br />

ten Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> im Gegensatz stehen.<br />

Dabei geht es zunächst um das „Ansehen <strong>de</strong>r Person", das<br />

<strong>de</strong>r zuteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht, sodann um die<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zum ersten Punkt ergeben sich 4 Fragen:<br />

1. Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>?<br />

2. Spielt es auch bei <strong>de</strong>r Zuteilung geistlicher Güter eine<br />

Rolle?<br />

3. Auch beim Erweis von Ehrungen?<br />

4. Und vor Gericht?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person " eine Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Unter <strong>de</strong>m Namen „Person" versteht man die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Person. Doch die Wür<strong>de</strong> von Personen in Betracht ziehen<br />

(„ansehen") gehört zur austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also ist das<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" keine Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Im Bereich <strong>de</strong>s Menschlichen steht die Person über <strong>de</strong>n<br />

Dingen, <strong>de</strong>nn die Dinge sind wegen <strong>de</strong>r Menschen da <strong>und</strong> nicht<br />

umgekehrt. Doch die Dinge in Betracht ziehen („ansehen") ist<br />

keine Sün<strong>de</strong>, also noch viel weniger, das gleiche bei Personen zu<br />

tun.<br />

3. Bei Gott kann es keine Ungerechtigkeit noch Sün<strong>de</strong><br />

geben. Doch scheint bei ihm das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" zu gel­<br />

ten, <strong>de</strong>nn bisweilen nimmt er von zwei Menschen <strong>de</strong>r gleichen<br />

Lebenslage <strong>de</strong>n einen gna<strong>de</strong>nhaft an <strong>und</strong> läßt <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren in<br />

seiner Sün<strong>de</strong> zurück gemäß <strong>de</strong>m Wort bei Mt 24,40: „Zwei sind<br />

auf einem Lager [Acker], <strong>de</strong>r eine wird mitgenommen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re zurückgelassen." Also ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN wird im Gesetz Gottes nichts verboten außer <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>. Doch das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" wird im Buche Dt 1,17<br />

untersagt, wo es heißt: „Ihr sollt auf keines Menschen Person<br />

schauen". Also ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Sün<strong>de</strong>.<br />

79


63. l ANTWORT. Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht im Gegensatz<br />

zur austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. Das Gleichmaß <strong>de</strong>r austeilen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> ergibt sich nämlich daraus, daß verschie<strong>de</strong>­<br />

nen Personen entsprechend ihrer Wür<strong>de</strong> Verschie<strong>de</strong>nes zuge­<br />

teilt wird. Zieht man also jene Eigenschaft einer Person in<br />

Betracht, weshalb ihr das gebührt, was sie erhält, so spielt dabei<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" keine Rolle, son<strong>de</strong>rn die Sachlage.<br />

Daher schreibt die Glosse (ML 192,218) zum Wort <strong>de</strong>s Ephe-<br />

serbriefs (6,9) „Bei Gott gibt es kein Ansehen <strong>de</strong>r Person":<br />

„Der gerechte Richter entschei<strong>de</strong>t nach Sachgrün<strong>de</strong>n, nicht<br />

nach Personen." Beruft z. B. jemand einen wegen seiner wissen­<br />

schaftlichen Eignung zum Lehramt, dann ist dabei ein sach­<br />

licher Gr<strong>und</strong>, nicht die Person ausschlaggebend. Wer hingegen<br />

bei einem, <strong>de</strong>m er etwas verleiht, nicht darauf sieht, ob es ange­<br />

messen o<strong>de</strong>r geschul<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn ihm nur zuspricht, weil er<br />

dieser bestimmte Mensch ist, sagen wir Peter o<strong>de</strong>r Martin, dann<br />

kommt hier das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ins Spiel, <strong>de</strong>nn es wird<br />

ihm nicht etwas aus einem sachlichen Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>r ihn würdig<br />

machte, zugeteilt, son<strong>de</strong>rn einfach, weil er diese Person ist.<br />

Zur „Person" aber gehört alles, was mit <strong>de</strong>n sachlichen<br />

Grün<strong>de</strong>n für die Verleihung dieser o<strong>de</strong>r jener Auszeichnung<br />

nichts zu tun hat; wenn z. B. jemand einen zur Prälatur o<strong>de</strong>r<br />

zum Lehramt beför<strong>de</strong>rt, weil er reich o<strong>de</strong>r sein Verwandter ist,<br />

dann heißt dies „Ansehen <strong>de</strong>r Person". Es kommt jedoch vor,<br />

daß eine persönliche Eigenschaft jeman<strong>de</strong>n für die eine Sache<br />

geeignet macht, für die an<strong>de</strong>re nicht, wie wegen <strong>de</strong>r Blutsver­<br />

wandtschaft einer für würdig erachtet wird, als Erbe <strong>de</strong>s väter­<br />

lichen Vermögens eingesetzt zu wer<strong>de</strong>n, nicht jedoch ein kirch­<br />

liches Amt zu erhalten. So wirkt sich die gleiche persönliche<br />

Eigenschaft bei <strong>de</strong>r einen Angelegenheit als „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" aus, bei <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren nicht.<br />

Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht also zur verteilen<strong>de</strong>n<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> dadurch in Gegensatz, daß gegen die Verhältnis-<br />

gemäßheit verstoßen wird. Gegen die Tugend jedoch verstößt<br />

nur die Sün<strong>de</strong>. Daraus ergibt sich, daß das „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" Sün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n die Eigen­<br />

schaften <strong>de</strong>r Person ins Auge gefaßt, die ihre Wür<strong>de</strong> ausmachen<br />

o<strong>de</strong>r für eine moralische Verpflichtung sprechen. Beim „Anse­<br />

hen <strong>de</strong>r Person" hingegen kommen Eigenschaften zum Zuge,<br />

die nichts zur sachlichen Begründung beitragen.<br />

80


Zu 2. Die Personen wer<strong>de</strong>n geeignet <strong>und</strong> würdig für das, 63. 2<br />

was ihnen zugeteilt wird, wegen gewisser Dinge, die zu ihrer<br />

Stellung gehören, <strong>und</strong> dies ist daher als eigentlicher Gr<strong>und</strong> (für<br />

die Zuteilung) zu betrachten. Schaut man jedoch auf die Perso­<br />

nen (als solche), dann nimmt man als Gr<strong>und</strong>, was keiner ist. So<br />

erklärt sich, daß bestimmte Leute an sich gesehen würdiger<br />

sind, nicht jedoch für eine bestimmte Aufgabe.<br />

Zu 3. Die Gabenzuteilung ist eine zweifache. Bei <strong>de</strong>r einen<br />

gibt jemand einem, was ihm geschul<strong>de</strong>t wird; dies fällt in das<br />

Gebiet <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Bei <strong>de</strong>rlei Gabenzuteilungen spielt<br />

das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine Rolle. Die an<strong>de</strong>re Gabenzutei­<br />

lung untersteht <strong>de</strong>r Freigebigkeit, die einem umsonst gibt, was<br />

man ihm nicht schul<strong>de</strong>t. Von solcher Art ist die Zuteilung <strong>de</strong>r<br />

Gna<strong>de</strong>ngeschenke, durch die die Sün<strong>de</strong>r von Gott angenom­<br />

men wer<strong>de</strong>n. Und bei dieser Gabenzuteilung ist kein Platz für<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person", <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r kann ohne Ungerechtigkeit<br />

von <strong>de</strong>m Seinen geben, soviel er will <strong>und</strong> wem er will, gemäß<br />

Mt20,14f.: „Darf ich mit <strong>de</strong>m, was mir gehört, nicht tun, was<br />

ich will? Nimm was Dein ist, <strong>und</strong> geh'!"<br />

2. ARTIKEL<br />

Spielt bei <strong>de</strong>r Verleihung von geistlichen Gütern das „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person " eine Rolle?<br />

1. Eine kirchliche Wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r eine Pfrün<strong>de</strong> jeman<strong>de</strong>m<br />

wegen Blutsverwandtschaft verleihen gehört zum „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person", <strong>de</strong>nn Blutsverwandtschaft ist nichts, was <strong>de</strong>n Men­<br />

schen eines Kirchengutes würdig macht. Doch dies ist keine<br />

Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn die Kirchenprälaten haben dies schon immer so<br />

gemacht. Also spielt „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei <strong>de</strong>r Verleihung<br />

geistlicher Güter keine Rolle.<br />

2. „Ansehen <strong>de</strong>r Person" liegt vor, wenn ein Reicher einem<br />

Armen vorgezogen wird, wie aus Jak2,1 ff. hervorgeht. Nun<br />

erhalten Reiche <strong>und</strong> Mächtige leichter Dispens, wenn sie jeman­<br />

<strong>de</strong>n aus einem verbotenen Verwandtschaftsgrad heiraten wol­<br />

len, als an<strong>de</strong>re. Also spielt die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

bei diesen Dispensen keine Rolle.<br />

3. Nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssammlung (FrdbII,79) genügt es, einen<br />

Guten zu wählen, nicht aber wird verlangt, einem Besseren <strong>de</strong>n<br />

Vorzug zu geben. Doch einen weniger Guten für etwas Höhe-<br />

81


63. 2 res zu wählen, ist ein Fall von „Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" in geistlichen Dingen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

4. Nach <strong>de</strong>n kirchlichen Bestimmungen (FrdbII,78) muß<br />

<strong>de</strong>r Wahlkandidat aus „<strong>de</strong>m Schoß <strong>de</strong>r (Kapitels-) Kirche" stam­<br />

men. Doch dies sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus, <strong>de</strong>nn bis­<br />

weilen wür<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rswo Geeignetere gef<strong>und</strong>en. Also ist<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" in geistlichen Dingen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht Jak2,l: „Haltet <strong>de</strong>n Glauben an unseren<br />

Herrn Jesus Christus frei von je<strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Person."<br />

Dazu bemerkt die GlosseAugustins (ML33,740): „Wer kann es<br />

ertragen, daß einer einen Reichen auf eine kirchliche Ehrenstelle<br />

wählt <strong>und</strong> einen Armen, <strong>de</strong>r gebil<strong>de</strong>ter <strong>und</strong> heiliger ist, über­<br />

geht?"<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 1), ist das „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" eine Sün<strong>de</strong>, weil es <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht. Umso<br />

schwerer versündigt sich nun, in je be<strong>de</strong>utsameren Dingen<br />

jemand die <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt. Da nun die geistlichen Güter<br />

höher stehen als die weltlichen, ist es eine schwerere Sün<strong>de</strong>, bei<br />

<strong>de</strong>r Zuteilung geistlicher Güter Rücksicht auf die Person zu<br />

nehmen, als bei <strong>de</strong>r Zuteilung weltlicher Güter.<br />

Und weil „Ansehen <strong>de</strong>r Person" darin besteht, zugunsten <strong>de</strong>r<br />

Person außer <strong>de</strong>m Gewicht ihrer Wür<strong>de</strong> sonst noch etwas zu<br />

berücksichtigen, muß diese ihre Wür<strong>de</strong> nach zwei Gesichts­<br />

punkten betrachtet wer<strong>de</strong>n. Einmal schlechthin <strong>und</strong> an sich,<br />

<strong>und</strong> so gesehen zeichnet sich jener durch größere Wür<strong>de</strong> aus,<br />

<strong>de</strong>r die größere Fülle geistlicher Gna<strong>de</strong>ngaben besitzt. Sodann<br />

im Hinblick auf das Gemeinwohl. Da kann es vorkommen, daß<br />

<strong>de</strong>r weniger Heilige <strong>und</strong> weniger Gelehrte für das Gemeinwohl<br />

wegen seiner weltlichen Macht <strong>und</strong> seiner Geschäftstüchtigkeit<br />

o<strong>de</strong>r wegen sonst etwas dieser Art mehr zu leisten vermag. Und<br />

weil die Zuteilung geistlicher Güter auf <strong>de</strong>n gemeinen N<strong>utz</strong>en<br />

ausgerichtet ist gemäß 1 Kor 12,7: „Einem je<strong>de</strong>n wird die<br />

Offenbarung <strong>de</strong>s Geistes geschenkt, damit sie an<strong>de</strong>ren nützt",<br />

wer<strong>de</strong>n bisweilen bei <strong>de</strong>r Verleihung geistlicher Güter die an<br />

sich weniger Guten <strong>de</strong>n Besseren ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

vorgezogen. Ähnlich teilt ja auch Gott manchmal seine unver­<br />

dienten Gna<strong>de</strong>n an weniger Gute aus.<br />

Zu 1. In Sachen Blutsverwandte eines Prälaten ist zu unter­<br />

schei<strong>de</strong>n. Bisweilen sind sie sowohl an sich, als auch im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl weniger würdig, <strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>n<br />

Würdigeren <strong>de</strong>nnoch vorgezogen, ist dies eine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

82


„Ansehens <strong>de</strong>r Person" bei <strong>de</strong>r Verleihung geistlicher Güter. 63. 2<br />

Über diese ist <strong>de</strong>r kirchliche Obere ja nicht Herr, so daß er sie<br />

nach Belieben zuteilen könnte, son<strong>de</strong>rn nur Verwalter gemäß 1<br />

Kor 4,1: „So erachte man uns als Diener Christi <strong>und</strong> Verwalter<br />

<strong>de</strong>r Geheimnisse Gottes." - Bisweilen jedoch sind die Blutsver­<br />

wandten eines Kirchenprälaten genau so würdig wie an<strong>de</strong>re.<br />

Darum kann er sie ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person" erlaubterweise<br />

vorziehen, <strong>de</strong>nn darin wenigstens besteht ihr Vorzug, daß er<br />

mehr darauf vertrauen darf, daß sie mit ihm zusammen ein­<br />

mütig die Geschäfte <strong>de</strong>r Kirche besorgen. Sollten jedoch irgend­<br />

welche darin ein schlechtes Beispiel dafür sehen, daß Kirchen­<br />

güter nicht nur wegen vorhan<strong>de</strong>ner Würdigkeit an Verwandte<br />

vergeben wer<strong>de</strong>n, dann müßte man <strong>de</strong>s Ärgernisses wegen<br />

davon absehen.<br />

Zu 2. Dispens zur Eheschließung pflegt hauptsächlich<br />

erteilt zu wer<strong>de</strong>n, um <strong>de</strong>n B<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns zu festigen. Dies<br />

ist bei hochgestellten Personen im Hinblick auf das Gemein­<br />

wohl von dringen<strong>de</strong>rer Notwendigkeit. Daher gewährt man<br />

ihnen ohne „Ansehen <strong>de</strong>r Person" leichter Dispens.<br />

Zu 3. Damit eine Wahl gerichtlich nicht angefochten wer<strong>de</strong>n<br />

kann, genügt es, einen Guten zu wählen, <strong>de</strong>r Bessere braucht es<br />

nicht zu sein, <strong>de</strong>nn sonst könnte je<strong>de</strong> Wahl in Zweifel gezogen<br />

wer<strong>de</strong>n. Vor seinem Gewissen jedoch muß man <strong>de</strong>n Besseren<br />

wählen, <strong>de</strong>n Besseren schlechthin o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Besseren im Hin­<br />

blick auf das Gemeinwohl. Denn steht einer zur Verfügung, <strong>de</strong>r<br />

für eine Wür<strong>de</strong> geeigneter ist <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>nnoch ein an<strong>de</strong>rer vor­<br />

gezogen, so muß dafür ein sachlicher Gr<strong>und</strong> vorhan<strong>de</strong>n sein.<br />

Liegt dieser in <strong>de</strong>r Eignung für das Amt, dann ist in dieser Hin­<br />

sicht <strong>de</strong>r Gewählte auch <strong>de</strong>r Geeignetere. Hat <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong> für die<br />

Wahl mit <strong>de</strong>m Amt jedoch nichts zu tun, dann liegt ein<strong>de</strong>utig<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person" vor.<br />

Zu 4. Wer bei <strong>de</strong>r Wahl aus <strong>de</strong>m Personenkreis <strong>de</strong>r (Kapitels-)<br />

Kirche hervorgeht, wird für das Gemeinwohl meist nützlicher<br />

sein, weil er die Kirche, in <strong>de</strong>r er groß gewor<strong>de</strong>n ist, mehr liebt.<br />

Deshalb wird in Dt 17,15 befohlen: „Nur aus <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>iner<br />

Brü<strong>de</strong>r darfst du einen König über dich einsetzen."<br />

83


63. 3 3. ARTIKEL<br />

Kommt es bei <strong>de</strong>r Erweisung von Ehre <strong>und</strong> Hochachtung<br />

zum „Ansehen <strong>de</strong>r Person "?<br />

1. Ehre ist nichts an<strong>de</strong>res als Ehrfurcht, die man einem zum<br />

Zeugnis seiner Tugend erweist, wie Aristoteles im I. Buch seiner<br />

Ethik (c. 3; 1095 b26) bemerkt. Nun muß man die kirchlichen<br />

Vorgesetzten <strong>und</strong> die Fürsten ehren, selbst wenn sie schlecht<br />

sind, ebenso auch die Eltern, wie in Ex20,12 geboten wird:<br />

„Ehre <strong>de</strong>inen Vater <strong>und</strong> <strong>de</strong>ine Mutter"; nicht weniger müssen<br />

die Bediensteten ihre Herren ehren, selbst wenn sie schlecht<br />

sind, gemäß <strong>de</strong>m 1. Brief an Tim 6,1: „Die das Joch <strong>de</strong>r Sklave­<br />

rei zu tragen haben, sollen ihren Herren alle Ehre erweisen."<br />

Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" beim Erweis von Ehre keine<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Im Buch Lvl9,32 wird geboten: „Vor einem ergrauten<br />

Haupt stehe auf <strong>und</strong> ehre die Person <strong>de</strong>s Greises." Doch dies<br />

sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus, <strong>de</strong>nn manchmal sind die<br />

Greise nicht tugendhaft, wie Dn 13,5 schreibt: „Die Ungerech­<br />

tigkeit ging aus von <strong>de</strong>n Ältesten <strong>de</strong>s Volkes." Also ist „An­<br />

sehen <strong>de</strong>r Person" bei Erweis von Ehre keine Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Zum Jakobuswort 2,1: „Haltet <strong>de</strong>n Glauben frei von<br />

je<strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Person", steht in <strong>de</strong>r Glosse Augustins<br />

(ML 33,740): „Gilt das Wort <strong>de</strong>s Jakobus ,Wenn ein Mann mit<br />

gol<strong>de</strong>nem Ring in euere Versammlung kommt usw.', von <strong>de</strong>n<br />

täglichen Zusammenkünften, wer sündigt dann nicht, wenn er<br />

überhaupt sündigt?" Doch „Ansehen <strong>de</strong>r Person" ist es, die Rei­<br />

chen wegen ihres Reichtums zu ehren. Gregor sagt nämlich in<br />

einer Homilie (In Evang., hom. 28; ML 76, 1211): „Wie<br />

schwach gewor<strong>de</strong>n ist doch unser Stolz, da wir in <strong>de</strong>n Men­<br />

schen nicht die nach <strong>de</strong>m Bil<strong>de</strong> Gottes geschaffene Natur, son­<br />

<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Reichtum ehren!" Und da <strong>de</strong>r Reichtum kein ange­<br />

messener Gr<strong>und</strong> für Erweis von Ehre ist, gehört dies zum<br />

„Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei Ehr­<br />

erweisung keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>r Glosse zu Jak2,l (ML33,<br />

740): „Wer einen Reichen wegen seines Reichtums ehrt, <strong>de</strong>r sün­<br />

digt." Dies gilt ebenso, wenn jemand aus Grün<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>r<br />

Ehrung nicht würdig machen, geehrt wird, - es fällt unter<br />

84


„Ansehen <strong>de</strong>r Person". Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" beim 63. 4<br />

Erweis von Ehre sündhaft.<br />

ANTWORT. Ehre be<strong>de</strong>utet Anerkennung <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>s<br />

Geehrten. Daher ist nur die Tugend <strong>de</strong>r maßgebliche Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Ehre. Man muß freilich be<strong>de</strong>nken, daß jemand nicht nur wegen<br />

<strong>de</strong>r eigenen Tugend geehrt wer<strong>de</strong>n kann, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r<br />

Vollkommenheit eines an<strong>de</strong>ren. So wer<strong>de</strong>n auch die schlechten<br />

Fürsten <strong>und</strong> Prälaten geehrt, insofern sie Stellvertreter Gottes<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinschaft sind, die sie leiten, gemäß Spr 26,8: „Wie<br />

einer, <strong>de</strong>r einen Stein auf Merkurs Steinhaufen wirft, ist, wer<br />

einem Toren Ehre erweist." Weil die Hei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Merkur das<br />

Rechnungswesen zuschreiben, be<strong>de</strong>utet „Haufe <strong>de</strong>s Merkur"<br />

soviel wie „Geldhaufen". Auf ihn wirft <strong>de</strong>r Kaufmann hie <strong>und</strong><br />

da ein kleines Steinchen anstelle von h<strong>und</strong>ert Mark. So wird<br />

auch <strong>de</strong>m Toren Ehre gezollt, weil er die Stelle Gottes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

ganzen Gemeinschaft vertritt. - Desgleichen muß man die<br />

Eltern <strong>und</strong> Dienstherren ehren, <strong>de</strong>nn sie nehmen teil an <strong>de</strong>r<br />

Wür<strong>de</strong> Gottes, <strong>de</strong>r aller Vater <strong>und</strong> Herr ist. - Den Greisen<br />

jedoch gebührt Ehre, weil ihr Alter Zeugnis <strong>de</strong>r Tugend ist, mag<br />

das Zeugnis bisweilen auch versagen. Daher heißt es im Buch<br />

<strong>de</strong>r Weisheit 4,8: „Ehrenvolles Alter besteht nicht in einem lan­<br />

gen Leben <strong>und</strong> wird nicht an <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r Jahre gemessen. Mehr<br />

als graue Haare be<strong>de</strong>utet für die Menschen die Klugheit <strong>und</strong><br />

mehr als Greisenalter wiegt ein Leben ohne Ta<strong>de</strong>l." - Die<br />

Reichen aber sind <strong>de</strong>shalb zu ehren, weil sie in <strong>de</strong>n Gemein­<br />

schaften eine höhere Stellung einnehmen. Wer<strong>de</strong>n sie aber nur<br />

wegen ihres Reichtums geehrt, ist dies Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehens<br />

<strong>de</strong>r Person".<br />

Daraus ergibt sich die Lösung zu <strong>de</strong>n Einwän<strong>de</strong>n.<br />

4. ARTIKEL<br />

Gibt es bei Gerichtsentscheidungen die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s „Ansehens<br />

<strong>de</strong>r Person "?<br />

1. Das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" steht in Gegensatz zur vertei­<br />

len<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> (Art. 1). Doch die Gerichtsentscheidun­<br />

gen betreffen vor allem die ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>. Also<br />

steht „Ansehen <strong>de</strong>r Person" hier nicht in Frage.<br />

2. Strafen wer<strong>de</strong>n aufgr<strong>und</strong> eines Urteils verhängt. Doch bei<br />

<strong>de</strong>r Strafzumessung gibt es „Ansehen <strong>de</strong>r Person", ohne daß<br />

85


63. 4 damit gesündigt wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn schwerer wird bestraft, wer einen<br />

Fürsten, als wer eine an<strong>de</strong>re Person beleidigt. Also gibt es bei<br />

richterlichen Urteilen kein „Ansehen <strong>de</strong>r Person".<br />

3. Sir 4,10 sagt: „Wenn du <strong>Recht</strong> sprichst, sei gegen Waisen<br />

barmherzig". Doch dies sieht nach „Ansehen <strong>de</strong>r Person" aus.<br />

Also ist „Ansehen <strong>de</strong>r Person" bei Gerichtsurteilen keine<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Sprichwörtern 18,5: „Ansehen<br />

<strong>de</strong>r Person bei Gericht ist nicht gut".<br />

ANTWORT. Wie gesagt (60,1), ist das Urteil ein Akt <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern <strong>de</strong>r Richter das ins gerechte Gleich­<br />

gewicht bringt, was zu Ungleichheit führen kann. Das „Anse­<br />

hen <strong>de</strong>r Person" jedoch hat eine gewisse Ungleichheit zur Folge,<br />

insofern einer Person entgegen <strong>de</strong>m ihr Angemessenen - darin<br />

besteht das Gleichmaß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> - etwas zugesprochen<br />

wird. Somit ist es ein<strong>de</strong>utig, daß durch „Ansehen <strong>de</strong>r Person"<br />

die richterliche Entscheidung verfälscht wird.<br />

Zu 1. Die richterliche Entscheidung kann man unter zwei­<br />

fachem Gesichtspunkt betrachten. Einmal in Bezug auf die be­<br />

urteilte Sache, <strong>und</strong> so gilt sie gleicherweise für die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> die verteilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>nn durch richterliche Ent­<br />

scheidung kann festgelegt wer<strong>de</strong>n, was vom Gemeingut an die<br />

einzelnen zu verteilen ist, aber auch, was <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

zum Ausgleich geben muß. - Sodann kann die Form <strong>de</strong>r richter­<br />

lichen Entscheidung ins Auge gefaßt wer<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter auch im Bereich <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m<br />

einen nimmt <strong>und</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren gibt. Dies jedoch fällt in die<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>r verteilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>. So kann bei je<strong>de</strong>r<br />

richterlichen Entscheidung das „Ansehen <strong>de</strong>r Person" eine<br />

Rolle spielen.<br />

Zu 2. Wird jemand wegen Beleidigung einer höher gestellten<br />

Person schwerer bestraft, dann hat dies mit „Ansehen <strong>de</strong>r Per­<br />

son" nichts zu tun, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Personen liegt<br />

in dieser Beziehung auch ein sachlicher Unterschied zugr<strong>und</strong>e,<br />

wie oben (61,2,3) ausgeführt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Zu 3. Man muß vor Gericht <strong>de</strong>m Armen, soweit möglich, zu<br />

Hilfe kommen, jedoch ohne Verletzung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Sonst tritt das Exoduswort 23,3 in Kraft: „Du sollst auch <strong>de</strong>n<br />

Armen vor Gericht nicht begünstigen".<br />

86


64. FRAGE<br />

DER MORD<br />

Nun sind die <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> entgegen­<br />

gesetzten Laster zu behan<strong>de</strong>ln. Dabei stellen sich 1. die Sün<strong>de</strong>n<br />

zur Besprechung an, die auf unfreiwilliger Gegenseitigkeit<br />

beruhen, 2. die Sün<strong>de</strong>n, die in freiwilliger Gegenseitigkeit be­<br />

gangen wer<strong>de</strong>n (Fr. 77-78). Bei unfreiwilliger Gegenseitigkeit<br />

wer<strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong>n dadurch begangen, daß <strong>de</strong>m Nächsten<br />

gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird, <strong>und</strong> dies kann auf<br />

zweifache Weise geschehen: durch Tat <strong>und</strong> durch Wort. Durch<br />

Tat dadurch, daß <strong>de</strong>r Mitmensch in eigener Person o<strong>de</strong>r in<br />

einem seiner Angehörigen o<strong>de</strong>r in seinem Eigentum Scha<strong>de</strong>n<br />

erlei<strong>de</strong>t. Diese Punkte sind <strong>de</strong>r Reihe nach zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Zunächst stellt sich das Thema Mord, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Mitmenschen<br />

am meisten scha<strong>de</strong>t.<br />

Dabei erheben sich 8 Fragen:<br />

1. Ist das Vernichten von Tieren <strong>und</strong> Pflanzen eine Sün<strong>de</strong>?<br />

2. Ist es erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten?<br />

3. Darf dies ein Privatmann o<strong>de</strong>r nur eine Amtsperson?<br />

4. Darf es ein Geistlicher?<br />

5. Darf man sich selber töten?<br />

6. Darf man einen Gerechten töten?<br />

7. Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten?<br />

8. Ist unbeabsichtigte Tötung schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man irgendwelche Lebewesen töten?<br />

1. Der Apostel schreibt im Römerbrief 13,2: „Wer sich <strong>de</strong>r<br />

Ordnung Gottes wi<strong>de</strong>rsetzt, zieht sich selbst sein Gericht zu".<br />

Nun wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r göttlichen Vorsehung alle<br />

Wesen am Leben erhalten gemäß Psalm 146,8: „Er läßt Gras<br />

wachsen auf <strong>de</strong>n Höhen <strong>und</strong> gibt <strong>de</strong>m Vieh seine Nahrung".<br />

Also ist es nicht erlaubt, irgendwelche Lebewesen zu vernich­<br />

ten.<br />

2. Mord ist <strong>de</strong>shalb Sün<strong>de</strong>, weil dabei ein Mensch seines Le­<br />

bens beraubt wird. Doch Leben ist auch in allen Tieren <strong>und</strong><br />

87


64. l Pflanzen. Also ist es in gleicher Weise Sün<strong>de</strong>, Tiere <strong>und</strong> Pflanzen<br />

zu vernichten.<br />

3. Das göttliche Gesetz spricht nur für die Sün<strong>de</strong> eine beson­<br />

<strong>de</strong>re Strafe aus. Nun wird aber dort für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r eines an<strong>de</strong>ren<br />

Schaf o<strong>de</strong>r Rind tötet, eine bestimmte Strafe ausgesprochen,<br />

wie aus Ex22,1 hervorgeht. Also ist das Töten von Tieren<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(c.20; ML41,35): „Wenn wir hören ,Du sollst nicht töten', so<br />

geht es bei diesem Wort nicht um Fruchtpflanzen, <strong>de</strong>nn sie<br />

haben keinerlei Empfin<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> auch nicht um unvernünftige<br />

Tiere, <strong>de</strong>nn sie stehen mit uns nicht auf gleicher Ebene. Das<br />

Wort ,Du sollst nicht töten' können wir sinnvoll also nur auf<br />

Menschen anwen<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Von Sün<strong>de</strong> ist keine Re<strong>de</strong>, wenn man eine Sache<br />

entsprechend ihrem Zweck gebraucht. Nun ist in <strong>de</strong>r Hierar­<br />

chie <strong>de</strong>r Dinge das Unvollkommene wegen <strong>de</strong>s Vollkommenen<br />

da: so schreitet auch die Natur auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Wer<strong>de</strong>ns vom<br />

Unvollkommenen zum Vollkommenen voran. Wie es daher bei<br />

<strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s Menschen zuerst mit etwas Lebendigem<br />

beginnt, hierauf das Sinnenwesen erscheint, <strong>und</strong> schließlich <strong>de</strong>r<br />

Mensch kommt [24], so ist auch das, was bloß Leben hat wie<br />

die Pflanzen im ganzen gesehen wegen <strong>de</strong>r Tiere da, <strong>und</strong> die<br />

Tiere sind wegen <strong>de</strong>r Menschen da. Wenn daher <strong>de</strong>r Mensch die<br />

Pflanzen zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Tiere gebraucht <strong>und</strong> die Tiere zum<br />

N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r Menschen, so ist hier nichts Unerlaubtes zu fin<strong>de</strong>n,<br />

wie auch Aristoteles im I.Buch seiner Politik (c. 8; 1256b 15)<br />

meint. Neben an<strong>de</strong>ren Zwecken besteht <strong>de</strong>r wichtigste darin,<br />

daß die Tiere die Pflanzen <strong>und</strong> die Menschen die Tiere als Nah­<br />

rung benützen, <strong>und</strong> dies kann nicht geschehen, ohne daß man<br />

ihrem Leben ein En<strong>de</strong> macht. Daher darf man Pflanzen als Tier­<br />

futter gebrauchen <strong>und</strong> Tiere zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Menschen töten,<br />

<strong>und</strong> zwar nach göttlicher Anordnung, wie es in Gnl,29f.<br />

geschrieben steht: „Seht, ich gebe euch alle Kräuter <strong>und</strong> alle<br />

Bäume, damit sie euch <strong>und</strong> allen Tieren als Nahrung dienen".<br />

Und Gn9,3 heißt es: „Alles, was sich regt <strong>und</strong> lebt, soll eure<br />

Speise sein".<br />

Zu 1. Nach göttlicher Ordnung wird das Leben von Tier<br />

<strong>und</strong> Pflanze nicht um ihrer selbst willen erhalten, son<strong>de</strong>rn<br />

wegen <strong>de</strong>s Menschen. Daher schreibt Augustinus im I. Buch sei­<br />

nes Gottesstaates (a. a. O.): „Nach <strong>de</strong>r höchsten Ordnung <strong>de</strong>s<br />

88


Schöpfers stehen Leben <strong>und</strong> Tod dieser Wesen zu unserer Ver- 64. 2<br />

fügung".<br />

Zu 2. Tiere <strong>und</strong> Pflanzen besitzen kein Vernunftleben, mit<br />

<strong>de</strong>m sie sich selbst leiten könnten, son<strong>de</strong>rn sie wer<strong>de</strong>n stets<br />

gleichsam von einem an<strong>de</strong>ren, einem gewissen naturhaften<br />

Antrieb, gelenkt. Dies ist ein Zeichen dafür, daß sie von Natur<br />

aus zum Dienst <strong>und</strong> Gebrauch an<strong>de</strong>rer bestimmt sind.<br />

Zu 3. Wer das Rind eines an<strong>de</strong>ren tötet, sündigt, nicht weil er<br />

das Rind getötet, son<strong>de</strong>rn weil er jeman<strong>de</strong>n an seinem Eigen­<br />

tum geschädigt hat. Daher fällt dies nicht unter die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Mor<strong>de</strong>s, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Diebstahls o<strong>de</strong>r Raubes.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten?<br />

1. Der Herr verbietet in jenem Gleichnis Mt 13,29f.,<br />

Unkraut - das sind die „Söhne <strong>de</strong>s Bösen", wie es dort (V. 38)<br />

heißt - auszureißen. Nun ist alles, was Gott verbietet, Sün<strong>de</strong>.<br />

Also ist es auch Sün<strong>de</strong>, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten.<br />

2. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> gleicht sich <strong>de</strong>r göttlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> an. Doch nach göttlicher <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n<br />

die Sün<strong>de</strong>r geschont, damit sie Buße tun gemäß <strong>de</strong>m Ezechielwort<br />

(18,23; 33,11): „Ich will nicht <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Tod, son<strong>de</strong>rn<br />

daß er sich bekehre <strong>und</strong> lebe". Also ist es durchaus unrecht,<br />

wenn Sün<strong>de</strong>r getötet wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Etwas in sich Schlechtes darf auch wegen eines noch so<br />

guten Zweckes nicht getan wer<strong>de</strong>n, wie aus Augustins Buch<br />

Gegen die Lüge (c. 7; ML 40,528) <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>s Aristoteles Ethik,<br />

Buch V (c. 6; 1107al4), hervorgeht. Doch einen Menschen<br />

töten ist in sich schlecht, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>m Menschen müssen wir uns<br />

in Liebe zuwen<strong>de</strong>n, unsere Fre<strong>und</strong>e aber „sollen leben <strong>und</strong><br />

sein", wie Aristoteles im IX.Buch seiner Ethik (c.4; 1166a4)<br />

bemerkt. Also ist es in keinem Fall erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu<br />

töten.<br />

DAGEGEN heißt es Ex22,18: „Zauberer sollst du nicht am<br />

Leben lassen", <strong>und</strong> im Psalm 101,8: „Am Morgen will ich alle<br />

Frevler im Lan<strong>de</strong> töten".<br />

ANTWORT. Wie (Art. 1) gesagt,ist es erlaubt,Tiere zu töten,<br />

insofern sie von Natur aus, so wie das Unvollkommene auf das<br />

Vollkommene, auf die Bedürfnisse <strong>de</strong>r Menschen hingeordnet<br />

89


64. 2 sind. Je<strong>de</strong>r Teil nun ist auf das Ganze wie das Unvollkommene<br />

auf das Vollkommene ausgerichtet. Daher ist je<strong>de</strong>r Teil natürli­<br />

cherweise wegen <strong>de</strong>s Ganzen da. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird ein<br />

Glied, wenn es z. B. faulig ist <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re anzustecken droht,<br />

zum Wohl <strong>de</strong>s ganzen menschlichen Körpers mit Fug <strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong> abgeschnitten. Je<strong>de</strong> Einzelperson aber steht zur gesamten<br />

Gemeinschaft im Verhältnis <strong>de</strong>s Teils zum Ganzen. Wenn sich<br />

daher ein Mensch wegen einer Sün<strong>de</strong> als gefährlich <strong>und</strong> ver<strong>de</strong>rb­<br />

lich für die Gemeinschaft herausstellt, wird er zur Erhaltung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls mit Fug <strong>und</strong> <strong>Recht</strong> getötet, <strong>de</strong>nn, wie es im<br />

1. Korintherbrief 5,6 heißt, „verdirbt ein wenig Sauerteig die<br />

ganze Masse".<br />

Zu 1. Der Herr befahl, das Ausreißen <strong>de</strong>s Unkrauts zu<br />

unterlassen, um <strong>de</strong>n Weizen, d. h. die Guten, zu schonen. Dies<br />

ist <strong>de</strong>r Fall, wenn sich die Schlechten nicht ausrotten lassen,<br />

ohne daß man dabei auch die Guten vernichtet, da sie sich unter<br />

die Guten verstecken o<strong>de</strong>r weil sie viele Anhänger haben, so<br />

daß sie ohne Gefahr für die Guten nicht unschädlich gemacht<br />

wer<strong>de</strong>n können, wie Augustinus in seiner Schrift Gegen<br />

Parmenianus (III, 2; ML 43,89) sagt. Daher lehrt <strong>de</strong>r Herr, man<br />

solle die Schlechten lieber am Leben lassen <strong>und</strong> die Vergeltung<br />

auf <strong>de</strong>n Jüngsten Tag aufsparen, als die Guten zugleich <strong>de</strong>m Tod<br />

ausliefern. - Wenn jedoch die Tötung <strong>de</strong>r Bösen keine Gefahr<br />

für die Guten mit sich bringt, son<strong>de</strong>rn eher ihrem Sch<strong>utz</strong> <strong>und</strong><br />

ihrer Rettung dient, da dürfen die Schlechten mit <strong>Recht</strong> getötet<br />

wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 2. Nach <strong>de</strong>r Ordnung seiner Weisheit tötet Gott die Sün­<br />

<strong>de</strong>r bisweilen sofort, um die Guten zu befreien, bisweilen aber<br />

gewährt er ihnen eine Frist <strong>de</strong>r Buße, wie es nach seiner Vor­<br />

sehung für seine Auserwählten dienlich ist. So verhält sich nach<br />

Möglichkeit ja auch die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong>: die<br />

Gemeingefährlichen tötet sie, die Sün<strong>de</strong>r, die an<strong>de</strong>ren keinen<br />

schweren Scha<strong>de</strong>n zufügen, schont sie, damit sie Buße tun.<br />

Zu 3. Der Mensch steigt durch sein Sündigen aus <strong>de</strong>r Ord­<br />

nung <strong>de</strong>r Vernunft aus, <strong>und</strong> damit wirft er auch seine mensch­<br />

liche Wür<strong>de</strong> von sich, in <strong>de</strong>r seine natürliche Freiheit <strong>und</strong> ein<br />

Leben um seiner selbst willen beschlossen liegen, <strong>und</strong> sinkt hin­<br />

ab in die Sklaverei <strong>de</strong>s Tieres, damit entsprechend seinem Nut­<br />

zen für an<strong>de</strong>re über ihn verfügt wird gemäß Ps49,21: „Der<br />

Mensch in Ehren, doch ohne Einsicht, er gleicht <strong>de</strong>m Vieh <strong>und</strong><br />

wird ihm ähnlich", <strong>und</strong> Sprll,29 heißt es: „Der Tor wird <strong>de</strong>s<br />

90


Weisen Knecht". Obwohl es daher in sich schlecht ist, einen 64. 3<br />

seine Wür<strong>de</strong> hochhalten<strong>de</strong>n Menschen zu töten, kann es doch<br />

gut sein, einen sündhaften Menschen ebenso zu töten wie ein<br />

Tier, <strong>de</strong>nn ein schlechter Mensch ist noch schlechter als ein Tier<br />

<strong>und</strong> richtet größeren Scha<strong>de</strong>n an, wie Aristoteles im I. Buch sei­<br />

ner Politik (c.2; 1253 a 32) <strong>und</strong> im VII. Buch <strong>de</strong>r Ehtik (c.7;<br />

1150 a 7) schreibt.<br />

3. ARTIKEL<br />

Darf eine Privatperson einen Sün<strong>de</strong>r töten?<br />

1. Im göttlichen Gesetz wird nichts Unerlaubtes befohlen.<br />

Doch Ex 32,27 ordnet Moses an: „Ein je<strong>de</strong>r töte seinen Näch­<br />

sten, seinen Bru<strong>de</strong>r <strong>und</strong> seinen Fre<strong>und</strong>" um <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

gegossenen Kalbes willen. Also ist es auch Privatpersonen<br />

erlaubt, Sün<strong>de</strong>r zu töten.<br />

2. Wegen seiner Sün<strong>de</strong>n wird ein Mensch mit <strong>de</strong>n Tieren ver­<br />

glichen (vgl. Art. 2 Zu 3). Doch ein schweren Scha<strong>de</strong>n verursa­<br />

chen<strong>de</strong>s wil<strong>de</strong>s Tier darf je<strong>de</strong> Privatperson töten. Also mit glei­<br />

chem Gr<strong>und</strong> auch einen sündigen Menschen.<br />

3. Lobenswert ist, wenn sich ein Mensch auch als Privatper­<br />

son zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Gemeinwohls einsetzt. Nun schlägt aber<br />

das Töten von Übeltätern zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Gemeinwohls aus<br />

(vgl. o.). Also ist es lobenswert, wenn auch Privatpersonen<br />

Übeltäter töten.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(vgl. Frdbl, 965): „Wer ohne öffentlichen Auftrag einen Verbre­<br />

cher tötet, wird wie ein Mör<strong>de</strong>r verurteilt, <strong>und</strong> dies umso mehr,<br />

als er sich nicht scheute, sich eine Vollmacht anzumaßen, die er<br />

von Gott nicht erhalten hat."<br />

ANTWORT. Wie gesagt (Art. 2), darf man einen Menschen<br />

töten, insofern dies auf das Wohl <strong>de</strong>r ganzen Gemeinschaft hin­<br />

geordnet ist [25]. Daher steht dies nur jenem zu, in <strong>de</strong>ssen Hän­<br />

<strong>de</strong>n die Sorge für das Gemeinwohl ruht, wie es Sache <strong>de</strong>s Arztes<br />

ist, ein fauliges Glied abzuschnei<strong>de</strong>n, wenn ihm die Sorge für<br />

<strong>de</strong>n ganzen Körper übertragen wur<strong>de</strong>. Die Sorge für das<br />

Gemeinwohl nun liegt in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r regieren<strong>de</strong>n Fürsten,<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb steht es nur ihnen zu, Übeltäter zu töten, nicht aber<br />

Privatpersonen.<br />

91


64. 4 Zu 1. Wer autoritativ befiehlt, ist <strong>de</strong>r wahre Täter, so Diony­<br />

sius in seiner Caelestis hierarchia c. 13 (MG 3,305). Augustinus<br />

bemerkt daher im I.Buch seines Gottesstaates (c. 21;<br />

ML 41,35): „Nicht <strong>de</strong>r tötet, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Befehlen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Dienst<br />

schul<strong>de</strong>t wie ein Schwert <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es führt." Daher haben jene,<br />

die auf göttlichen Befehl hin ihre Nächsten <strong>und</strong> Fre<strong>und</strong>e töte­<br />

ten, dies nicht selber getan, son<strong>de</strong>rn vielmehr jener, in <strong>de</strong>ssen<br />

Namen sie es ausgeführt, so wie ein Soldat im Auftrag <strong>de</strong>s Für­<br />

sten <strong>de</strong>n Feind tötet, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Henker <strong>de</strong>n Räuber im Namen<br />

<strong>de</strong>s Richters.<br />

Zu 2. Das Tier unterschei<strong>de</strong>t sich von Natur aus vom Men­<br />

schen. Daher bedarf es keines richterlichen Urteils, ob es, falls<br />

frei lebend, getötet wer<strong>de</strong>n darf. Bei Haustieren jedoch ist ein<br />

Urteil nötig, zwar nicht wegen ihrer selbst, son<strong>de</strong>rn wegen <strong>de</strong>s<br />

Scha<strong>de</strong>ns für <strong>de</strong>n Eigentümer. Ein sündiger Mensch hingegen<br />

unterschei<strong>de</strong>t sich nicht <strong>de</strong>r Natur nach von <strong>de</strong>n gerechten<br />

Menschen <strong>und</strong> daher ist ein öffentliches Gerichtsverfahren not­<br />

wendig, um zu entschei<strong>de</strong>n, ob er wegen <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

getötet wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Zu 3. Etwas Unschädliches für das Wohl <strong>de</strong>r Allgemeinheit<br />

zu tun, ist je<strong>de</strong>r Privatperson erlaubt. Doch wenn dabei Scha­<br />

<strong>de</strong>n entsteht, darf es nicht ohne richterliches Urteil <strong>de</strong>ssen<br />

geschehen, <strong>de</strong>m es zusteht, abzuschätzen, was zum Wohl <strong>de</strong>s<br />

Ganzen <strong>de</strong>n Teilen entzogen wer<strong>de</strong>n darf.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist es Geistlichen erlaubt, Verbrecher zu töten?<br />

1. Geistliche müssen ihr Leben gestalten nach <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s<br />

Apostels (1 Kor4,6): „Seid meine Nachahmer, wie ich Christi<br />

Nachahmer bin." Damit wird uns nahegelegt, <strong>de</strong>m Beispiel<br />

Gottes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Heiligen nachzueifern. Doch Gott selbst, <strong>de</strong>n<br />

wir verehren, tötet Verbrecher gemäß Psalm 135,10: „Erschlug<br />

<strong>de</strong>n Ägypter samt seiner Erstgeburt." Auch Moses ließ von <strong>de</strong>n<br />

Leviten 23 000 Menschen töten, weil sie vor <strong>de</strong>m gol<strong>de</strong>nen Kalb<br />

nie<strong>de</strong>rgekniet waren, wie in Ex 32,28 nachzulesen ist. Und <strong>de</strong>r<br />

Priester Pbinees schlug einen Israeliten nie<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r sich mit einer<br />

Midianiterin eingelassen hatte (Nm25,6ff.). Samuel tötete <strong>de</strong>n<br />

König Agag von Amalek (1 Sam 15,33) <strong>und</strong> Elias die Baalsprie­<br />

ster (3 Kön 18,40) <strong>und</strong> Mathathias <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r gera<strong>de</strong> opfern wollte<br />

92


(1 Makk2,24), <strong>und</strong> im Neuen Testament Petrus das Ehepaar 64.4<br />

Ananias <strong>und</strong> Saphira (Apg5,3ff.). Also ist es auch <strong>de</strong>n Geistlichen<br />

erlaubt, Übeltäter zu töten.<br />

2. Die geistliche Macht steht über <strong>de</strong>r weltlichen <strong>und</strong> ist Gott<br />

mehr verb<strong>und</strong>en. Nun darf die weltliche Macht als „Dienerin<br />

Gottes", wie es im Römerbrief 13,4 heißt, die Verbrecher töten.<br />

Also steht es noch viel mehr <strong>de</strong>n Geistlichen zu, die als Diener<br />

Gottes geistliche Vollmacht besitzen, Verbrecher zu töten.<br />

3. Wer rechtmäßig ein Amt übernimmt, darf erlaubterweise<br />

tun, was in die Zuständigkeit dieses Amtes fällt. Nun ist es die<br />

amtliche Aufgabe <strong>de</strong>r Fürsten <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>, die Verbrecher zu töten<br />

(vgl. Art. 3), also dürfen auch jene Geistliche, die zugleich Für­<br />

sten sind, Verbrecher töten.<br />

DAGEGEN heißt es im 1.Brief an Timotheus 3,2f.: „Der<br />

Bischof soll ohne Ta<strong>de</strong>l, <strong>de</strong>m Trunk nicht ergeben <strong>und</strong> kein Tot­<br />

schläger sein."<br />

ANTWORT. Aus zwei Grün<strong>de</strong>n dürfen die Geistlichen nicht<br />

töten. Erstens, weil sie für <strong>de</strong>n Dienst am Altar ausersehen sind,<br />

an <strong>de</strong>m das Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s getöteten Christus dargestellt wird, <strong>de</strong>r,<br />

„da er geschlagen wur<strong>de</strong>, selbst nicht schlug", wie es im<br />

1. Petrusbrief 2,23 heißt. Daher geziemt es sich nicht, daß<br />

Geistliche schlagen o<strong>de</strong>r töten, <strong>de</strong>nn die Diener müssen sich<br />

ihren Herrn zum Vorbild nehmen gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Jesus<br />

Sirach 10,2: „Wie die Richter <strong>de</strong>s Volkes, so seine Diener" [26].<br />

Zweitens, weil <strong>de</strong>n Geistlichen <strong>de</strong>r Dienst <strong>de</strong>s Neuen B<strong>und</strong>es<br />

obliegt, in <strong>de</strong>m Töten <strong>und</strong> Körperverletzung nicht als Strafe<br />

festgesetzt sind. Sie müssen daher, um „würdige Diener <strong>de</strong>s<br />

Neuen Testamentes zu sein" (2 Kor 3,6), solches unterlassen.<br />

Zu 1. Gott wirkt überall in allem das Gute, für <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen jedoch das, was ihm angemessen ist. Daher muß je<strong>de</strong>r Gott<br />

in <strong>de</strong>m nachahmen, was für ihn beson<strong>de</strong>rs angemessen ist.<br />

Wenn nun Gott die Missetäter körperlich tötet, ist es nicht<br />

nötig, daß ihn alle hierin nachahmen. - Petras hat nicht aus eigener<br />

Vollmacht o<strong>de</strong>r mit eigener Hand Ananias <strong>und</strong> Saphira<br />

getötet, son<strong>de</strong>rn damit vielmehr <strong>de</strong>n göttlichen Urteilsspruch<br />

über ihren Tod verkün<strong>de</strong>t. - Priester <strong>und</strong> Leviten waren im<br />

Alten Testament Diener <strong>de</strong>s Alten Gesetzes, das körperliche<br />

Strafen verhängte, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb stand es ihnen auch zu, mit eige­<br />

ner Hand zu töten.<br />

Zu 2. Der geistliche Dienst ist auf einen höheren Zweck als<br />

auf Vollstreckung von To<strong>de</strong>sstrafen ausgerichtet, nämlich auf<br />

93


64. 5 das, was zum Seelenheil gehört. Daher ist es für sie unpassend,<br />

sich mit etwas weniger Wichtigem abzugeben.<br />

Zu 3. Kirchenprälaten übernehmen ein fürstliches Amt<br />

nicht, um selber Bluturteile zu vollstrecken, sie geben dazu<br />

an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n obrigkeitlichen Auftrag [27].<br />

5. ARTIKEL<br />

Darf man sich selber töten? [28]<br />

1. Mord ist Sün<strong>de</strong>, insofern er <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht. Doch niemand kann sich selber Unrecht antun, wie im<br />

V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1138a4) bewiesen wird. Also sündigt<br />

nicht, wer sich selber tötet.<br />

2. Wer öffentliche Vollmacht besitzt, darf Verbrecher töten.<br />

Doch bisweilen ist <strong>de</strong>r Inhaber öffentlicher Vollmacht selbst ein<br />

Verbrecher. Also darf er sich auch selber töten.<br />

3. Es ist erlaubt, sich aus eigenem Entschluß in eine gerin­<br />

gere Gefahr zu begeben, um eine größere zu vermei<strong>de</strong>n, wie es<br />

z. B. erlaubt ist, sich zum Wohl <strong>de</strong>s ganzen Körpers selbst ein<br />

fauliges Glied abzuschnei<strong>de</strong>n. Nun kann es sein, daß einer<br />

durch Selbsttötung einem größeren Übel, einem elen<strong>de</strong>n Leben<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schan<strong>de</strong> einer Sün<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m Weg geht. Also ist es<br />

erlaubt, sich selbst zu töten.<br />

4. Samson tötete sich selber wie im Buch <strong>de</strong>r Richter (16,30)<br />

steht, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch zählt er zu <strong>de</strong>n Heiligen (Hebr 11,32). Also<br />

ist es erlaubt, sich selbst zu töten.<br />

5. Im 2. Makkabäerbuch 14,41 ff. wird berichtet, daß ein<br />

gewisser Razias (Rasis) sich selbst das Leben nahm, „<strong>de</strong>nn er<br />

wollte lieber in Ehren sterben, als <strong>de</strong>n Frevlern in die Hän<strong>de</strong> fal­<br />

len <strong>und</strong> eine schimpfliche Behandlung erfahren, die seiner edlen<br />

Herkunft unwürdig war". Nichts aber, was e<strong>de</strong>lmütig <strong>und</strong> tap­<br />

fer getan wird, ist unerlaubt. Also ist gegen Selbstmord nichts<br />

einzuwen<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus im I. Buch <strong>de</strong>s Gottesstaates<br />

(c.20; ML41,35): „Es bleibt nur übrig, das Verbot ,Du sollst<br />

nicht töten' vom Menschen zu verstehen: we<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren<br />

noch dich selbst sollst du töten. Denn wer sich selbst tötet, tötet<br />

eben auch einen Menschen."<br />

ANTWORT. Sich selbst zu töten ist aus dreifachem Gr<strong>und</strong><br />

ganz <strong>und</strong> gar unerlaubt.<br />

94


1. Weil sich je<strong>de</strong>s Wesen von Natur aus liebt, <strong>und</strong> dazu 64. 5<br />

gehört, daß es aus naturhaftem Drang sich seine Existenz<br />

sichert <strong>und</strong> sich allem Zerstörerischen nach Kräften entgegen­<br />

stellt. Daher ist Selbstmord gegen <strong>de</strong>n Naturtrieb <strong>und</strong> die Cari­<br />

tas gerichtet, mit <strong>de</strong>r ein je<strong>de</strong>r sich selber lieben muß. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> ist Selbstmord auch immer schwere Sün<strong>de</strong>, eben<br />

weil er gegen das Naturgesetz <strong>und</strong> gegen die Caritas verstößt.<br />

2. Weil je<strong>de</strong>r Teil als Teil <strong>de</strong>m Ganzen gehört. Der Mensch<br />

jedoch ist Teil <strong>de</strong>r Gemeinschaft, <strong>und</strong> so gehört er als solcher ihr<br />

an. Daher fügt er <strong>de</strong>r Gemeinschaft, wenn er sich das Leben<br />

nimmt, einen Scha<strong>de</strong>n zu, wie Aristoteles im V.Buch seiner<br />

Ethik (c. 15; 1138all) erklärt.<br />

3. Weil das Leben ein Geschenk Gottes für <strong>de</strong>n Menschen ist<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>ssen unterworfen bleibt, „<strong>de</strong>r tötet <strong>und</strong> leben­<br />

dig macht". Wer sich das Leben nimmt, sündigt daher gegen<br />

Gott genau so, wie sich einer, <strong>de</strong>r einen frem<strong>de</strong>n Sklaven tötet,<br />

gegen <strong>de</strong>n Herrn <strong>de</strong>s Sklaven versündigt, <strong>und</strong> wie einer sündigt,<br />

<strong>de</strong>r sich ein Urteil über eine Sache anmaßt, für die er nicht<br />

zuständig ist. Gott allein nämlich steht das Urteil über Tod <strong>und</strong><br />

Leben zu gemäß <strong>de</strong>m Wort in Dt 32,39: „Ich bin es, <strong>de</strong>r tötet<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r lebendig macht."<br />

Zu 1. Der Mord ist nicht nur Sün<strong>de</strong>, weil er sich gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn auch weil er sich gegen die Liebe richtet,<br />

die man zu sich selber haben muß. Und so gesehen be<strong>de</strong>utet<br />

Selbstmord Sün<strong>de</strong> gegen sich selbst. In Bezug auf die Gemein­<br />

schaft <strong>und</strong> auf Gott ist er aber auch eine Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zu 2. Der Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt kann einen Mis­<br />

setäter erlaubterweise töten, weil er ihn richten kann. Niemand<br />

aber ist Richter seiner selbst. Daher darf sich <strong>de</strong>r Inhaber <strong>de</strong>r<br />

öffentlichen Gewalt nicht selber töten, was auch immer sein<br />

Vergehen sein mag. Doch bleibt es ihm unbenommen, sich <strong>de</strong>m<br />

Gericht an<strong>de</strong>rer zu stellen.<br />

Zu 3. Der Mensch wird Herr seiner selbst durch seine Wil­<br />

lensfreiheit. Er kann daher frei über sich verfügen in allen Berei­<br />

chen <strong>de</strong>s Lebens, die seiner freien Entscheidung unterliegen.<br />

Doch <strong>de</strong>r Übergang von diesem Leben in ein an<strong>de</strong>res glückli­<br />

cheres fällt nicht in die Kompetenz <strong>de</strong>r menschlichen Willens­<br />

freiheit, son<strong>de</strong>rn hängt von <strong>de</strong>r Macht Gottes ab. Deshalb darf<br />

<strong>de</strong>r Mensch nicht Hand an sich legen, um in ein glücklicheres<br />

Leben hinüberzugehen.<br />

95


64. 5 Ebensowenig, um <strong>de</strong>m Elend <strong>de</strong>r irdischen Existenz zu ent­<br />

gehen. Denn „das letzte" aller Übel dieses Lebens <strong>und</strong> „das<br />

schrecklichste" ist <strong>de</strong>r Tod, wie Aristoteles im III. Buch seiner<br />

Ethik (c.9; 1115 a 26) bemerkt. Und daher be<strong>de</strong>utet, sich <strong>de</strong>n<br />

Tod antun, um <strong>de</strong>r Drangsal dieses Lebens zu entfliehen, ein<br />

größeres Übel auf sich nehmen, um ein kleineres zu vermei<strong>de</strong>n.<br />

Ebensowenig ist es erlaubt, seinem Leben wegen einer be­<br />

gangenen Sün<strong>de</strong> freiwillig ein En<strong>de</strong> zu setzen. Denn einmal fügt<br />

man sich dadurch <strong>de</strong>n größten Scha<strong>de</strong>n zu, daß man sich <strong>de</strong>r<br />

nötigen Zeit zur Buße beraubt, <strong>und</strong> sodann darf man einen Mis­<br />

setäter ja auch nur aufgr<strong>und</strong> eines Urteils <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Gewalt seines Lebens berauben.<br />

Ebensowenig ist es einer Frau erlaubt, sich zu töten, um einer<br />

Vergewaltigung zu entrinnen. Denn sie darf nicht selbst das<br />

größte Verbrechen begehen - nämlich Selbstmord -, um das<br />

Verbrechen eines an<strong>de</strong>ren zu verhin<strong>de</strong>rn. Sie selber macht sich<br />

durch die Vergewaltigung ja keines Verbrechens schuldig, wenn<br />

sie ihr nicht zustimmt, <strong>de</strong>nn „nur das innere Einverständnis<br />

befleckt <strong>de</strong>n Leib", sagt die heilige Luzia (vgl. Jacobus <strong>de</strong> Vora-<br />

gine: Legenda aurea 4,1). Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch sind aber<br />

sicher weniger schlimm als Mord, vor allem seiner selbst, er ist<br />

eine sehr schwere Sün<strong>de</strong>, weil man <strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>m man doch<br />

die größte Liebe schul<strong>de</strong>t. Zu<strong>de</strong>m ist sie höchst gefährlich, weil<br />

keine Zeit mehr bleibt, um sie durch Buße zu sühnen.<br />

Ebensowenig ist Selbstmord erlaubt aus Furcht, man könnte<br />

in eine Sün<strong>de</strong> einwilligen. Denn „man darf nichts Schlechtes<br />

tun, damit etwas Gutes daraus entspringt" (Rom 3,8), o<strong>de</strong>r um<br />

Übel zu verhüten, beson<strong>de</strong>rs kleinere <strong>und</strong> weniger wahrschein­<br />

liche. Es ist nämlich keineswegs sicher, daß man <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> spä­<br />

ter zustimmen wird, ist Gott doch mächtig genug, <strong>de</strong>n Men­<br />

schen, wenn die Versuchung über ihn kommt, vor <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> zu<br />

bewahren.<br />

Zu 4. Im I.Buch seines Gottesstaates (c.21; ML41,35)<br />

schreibt Augustinus: „Auch Samson, <strong>de</strong>r sich selbst mitsamt <strong>de</strong>n<br />

Fein<strong>de</strong>n unter <strong>de</strong>n Trümmern seines Hauses begrub, fin<strong>de</strong>t nur<br />

darin eine Entschuldigung, daß ihm <strong>de</strong>r Geist, <strong>de</strong>r durch ihn<br />

W<strong>und</strong>er tat, dies heimlich befahl." Die gleiche Begründung<br />

führt er zugunsten gewisser heiliger Frauen, die sich in <strong>de</strong>r Ver­<br />

folgungszeit selbst das Leben nahmen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren An<strong>de</strong>nken in<br />

<strong>de</strong>r Kirche gefeiert wird.<br />

96


Zu 5. Die Tapferkeit verlangt, sich um <strong>de</strong>r Tugend willen 64. 6<br />

<strong>und</strong> um die Sün<strong>de</strong> zu vermei<strong>de</strong>n, von einem an<strong>de</strong>ren töten zu<br />

lassen. Doch selber Hand an sich zu legen, um Grausamkeiten<br />

zu entrinnen, sieht zwar nach Tapferkeit aus, <strong>und</strong> manche<br />

haben Selbstmord begangen in <strong>de</strong>r Meinung, damit eine Hel­<br />

<strong>de</strong>ntat zu begehen - in diese Reihe gehört auch Razias -, doch in<br />

Wirklichkeit han<strong>de</strong>lt es sich dabei nicht um echte Tapferkeit,<br />

son<strong>de</strong>rn eher um seelische Schwäche, die nicht imstan<strong>de</strong> ist,<br />

Grausamkeiten zu ertragen (vgl. Aristoteles: Eth. III, 11;<br />

1116a 12. Augustinus: Gottesstaat 1,22 u.23; ML41,35ff.).<br />

6. ARTIKEL<br />

Darf man in bestimmten Fällen einen Unschuldigen töten?<br />

1. Sün<strong>de</strong> ist gewiß kein Zeichen von Gottesfurcht, <strong>de</strong>nn<br />

„Gottesfurcht vertreibt vielmehr die Sün<strong>de</strong>", wie es bei Jesus<br />

Sirach 1,27 heißt. Doch Abraham wur<strong>de</strong> als gottesfurchtig<br />

gepriesen, weil er seinen unschuldigen Sohn töten wollte. Also<br />

kann jemand einen Unschuldigen töten, ohne zu sündigen.<br />

2. Eine Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n Nächsten wiegt umso schwerer, je<br />

größer <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n ist, <strong>de</strong>n man einem an<strong>de</strong>ren zufügt. Doch<br />

schlimmeren Scha<strong>de</strong>n fügt man durch Tötung einem Sün<strong>de</strong>r als<br />

einem Unschuldigen zu, <strong>de</strong>nn dieser geht aus <strong>de</strong>m Jammertal<br />

dieses Lebens nach <strong>de</strong>m Tod in die himmlische Glorie ein. Da<br />

man nun gegebenenfalls einen Sün<strong>de</strong>r töten darf, ist es noch viel<br />

mehr erlaubt, einen Unschuldigen o<strong>de</strong>r Gerechten zu töten.<br />

3. Was nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung geschieht, ist keine Sün<strong>de</strong>.<br />

Doch bisweilen wird jemand gezwungen, entsprechend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sordnung einen Unschuldigen zu töten, z.B. wenn ein<br />

Richter, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>n vorgebrachten Aussagen richten muß,<br />

einen, von <strong>de</strong>ssen Unschuld er überzeugt ist, unter <strong>de</strong>r Beweis­<br />

last falscher Zeugen zum Tod verurteilt. Also kann jemand ohne<br />

Sün<strong>de</strong> einen Unschuldigen töten.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 23,7: „Wer unschuldig <strong>und</strong><br />

im <strong>Recht</strong> ist, <strong>de</strong>n bring' nicht um sein Leben."<br />

ANTWORT. Der Mensch kann unter einem zweifachen Ge­<br />

sichtspunkt betrachtet wer<strong>de</strong>n: einmal an sich, <strong>und</strong> sodann in<br />

Beziehung zu etwas an<strong>de</strong>rem. Betrachtet man ihn an sich, so<br />

darf man keinen Menschen töten, <strong>de</strong>nn in je<strong>de</strong>m, auch im Sün­<br />

<strong>de</strong>r, müssen wir die von Gott geschaffene Natur lieben, die<br />

97


64. 6 durch Tötung zerstört wird. Doch, wie oben (Art. 2) dargelegt,<br />

wird die Tötung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs im Hinblick auf das Gemeinwohl,<br />

das die Sün<strong>de</strong> zugr<strong>und</strong>erichtet, erlaubt. Das Leben <strong>de</strong>r Gerech­<br />

ten hingegen erhält das Gemeinwohl <strong>und</strong> bringt es zur Blüte,<br />

<strong>de</strong>nn sie bil<strong>de</strong>n die Elite <strong>de</strong>r Gesellschaft. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist<br />

es niemals erlaubt, einen Unschuldigen zu töten.<br />

Zu 1. Gott hält Leben <strong>und</strong> Tod in seiner Hand, <strong>de</strong>nn nach<br />

seinem Willen sterben Sün<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Gerechte. Wer darum auf<br />

Befehl Gottes einen Unschuldigen tötet, sündigt so wenig wie<br />

Gott selbst, <strong>de</strong>ssen Vollstrecker er ist, <strong>und</strong> in<strong>de</strong>m er seinen<br />

Geboten gehorcht, erweist er sich als gottesfürchtig.<br />

Zu 2. Bei <strong>de</strong>r Beurteilung <strong>de</strong>r Schwere einer Sün<strong>de</strong> muß<br />

man mehr die Sache an sich als das zufällig Hinzukommen<strong>de</strong><br />

ins Auge fassen. Daher sündigt schwerer, wer einen Unschuldi­<br />

gen als wer einen Sün<strong>de</strong>r tötet, <strong>und</strong> zwar 1. weil er <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt, <strong>de</strong>n er mehr lieben muß, <strong>und</strong> so verstößt er auch mehr<br />

gegen das Gebot <strong>de</strong>r Liebe. 2. weil er <strong>de</strong>m Unrecht antut, <strong>de</strong>r es<br />

am wenigsten verdient. Er versündigt sich also in erhöhtem<br />

Maße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>. 3. weil er dadurch die Gemein­<br />

schaft eines wertvolleren Gutes beraubt. 4. weil er Gott<br />

dadurch mehr verachtet gemäß <strong>de</strong>m Lukaswort 10,16: „Wer<br />

euch verachtet, verachtet mich." - Daß Gott <strong>de</strong>n getöteten<br />

Gerechten in die ewige Herrlichkeit geleitet, hat mit <strong>de</strong>r Tötung<br />

nur zufällig etwas zu tun.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r Richter von <strong>de</strong>r Unschuld eines Angeklag­<br />

ten, <strong>de</strong>r durch falsche Zeugen überführt wur<strong>de</strong>, überzeugt ist,<br />

muß er die Zeugen, um <strong>de</strong>n Unschuldigen zu retten, nach­<br />

drücklicher verhören, so wie es Daniel gemacht hat (Dnl3,<br />

51 ff.). Gelingt ihm dies nicht, hat er <strong>de</strong>n Angeklagten an die<br />

höhere Instanz zu überweisen. Läßt sich auch dies nicht<br />

machen, sündigt er nicht, wenn er sein Urteil nach <strong>de</strong>n vorlie­<br />

gen<strong>de</strong>n Beweisen fällt, <strong>de</strong>nn nicht er ist es dann, <strong>de</strong>r einen<br />

Unschuldigen ums Leben bringt, son<strong>de</strong>rn jene sind es, die seine<br />

Schuld behaupten. - Enthält <strong>de</strong>r Richterspruch einen unerträg­<br />

lichen Irrtum, dann muß <strong>de</strong>r Vollstreckungsbeamte <strong>de</strong>s Rich­<br />

ters, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Unschuldigen verurteilt hat, <strong>de</strong>n Gehorsam ver­<br />

weigern, <strong>de</strong>nn sonst gingen die Henker schuldlos aus, die Glau­<br />

benszeugen zu To<strong>de</strong> gebracht haben. Liegt jedoch keine offen­<br />

bare Ungerechtigkeit vor, dann sündigt er durch die Ausfüh­<br />

rung <strong>de</strong>r richterlichen Anordnung nicht, <strong>de</strong>nn er hat <strong>de</strong>n Spruch<br />

98


seines Vorgesetzten nicht <strong>de</strong>r Prüfung zu unterziehen, <strong>und</strong> 64. 7<br />

schließlich tötet nicht er, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Richter, in <strong>de</strong>ssen<br />

Diensten er steht.<br />

7. ARTIKEL<br />

Darf man in Notwehr jeman<strong>de</strong>n töten?<br />

1. Augustinus schreibt an Publicola (Brief 47; ML 33,186):<br />

„Der Rat, Menschen zu töten, damit man von diesen nicht<br />

selbst ums Leben gebracht wird, gefällt mir keineswegs, es<br />

handle sich <strong>de</strong>nn um einen Soldaten o<strong>de</strong>r einen Beamten, <strong>de</strong>r<br />

dies nicht im eigenen Interesse, son<strong>de</strong>rn für an<strong>de</strong>re tut, <strong>und</strong><br />

zwar mit legitimer, ihm angemessener Vollmacht." Doch wer in<br />

Notwehr jeman<strong>de</strong>n tötet, tut dies, damit nur er selbst nicht ums<br />

Leben kommt. Also ist dies unerlaubt.<br />

2. Im I. Buch Über die Willensfreiheit (c.5; ML 32,1228)<br />

schreibt Augustinus: „Wie sollen die vor <strong>de</strong>r göttlichen Vor­<br />

sehung von Sün<strong>de</strong> frei sein, die sich wegen Dingen, die man ver­<br />

achten soll, mit Mord beflecken?"Jene Dinge aber seien zu ver­<br />

achten, sagt er entsprechend <strong>de</strong>m Zusammenhang, welche die<br />

Menschen gegen ihren Willen verlieren können. Dazu aber<br />

gehört das leibliche Leben. Also darf niemand, um sein leib­<br />

liches Leben zu retten, einen Menschen töten.<br />

3. Papst Nikolaus I. sagt (ML 119,1131) - das Zitat fin<strong>de</strong>t<br />

sich in <strong>de</strong>n Dekreten (dist. 50; Frdbl, 179) - : „Du hast mich um<br />

Rat gefragt, ob jene Geistlichen, die in Notwehr einen Hei<strong>de</strong>n<br />

getötet haben, nach verrichteter Buße ihren früheren Rang wie­<br />

<strong>de</strong>r einnehmen o<strong>de</strong>r in einen höheren aufsteigen könnten.<br />

Wisse nun, daß Wir es für keinen Fall rechtfertigen <strong>und</strong> ihnen in<br />

keiner Weise gestatten können, irgen<strong>de</strong>inen Menschen auf<br />

irgen<strong>de</strong>ine Weise zu töten." Doch allgemein sind Geistliche wie<br />

Laien auf die Einhaltung <strong>de</strong>r sittlichen Gebote verpflichtet. Also<br />

ist es auch Laien nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>r Selbstverteidi­<br />

gung zu töten.<br />

4. Mord ist schlimmer als einfache Unzucht o<strong>de</strong>r Ehebruch.<br />

Doch niemand darf Unzucht treiben o<strong>de</strong>r Ehebruch o<strong>de</strong>r eine<br />

an<strong>de</strong>re schwere Sün<strong>de</strong> begehen, um sein Leben zu retten, <strong>de</strong>nn<br />

das Leben <strong>de</strong>r Seele ist <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Leibes vorzuziehen. Also darf<br />

niemand in Notwehr einen an<strong>de</strong>ren töten, um selber mit <strong>de</strong>m<br />

Leben davonzukommen.<br />

99


64. 7 5. Ist <strong>de</strong>r Baum schlecht, dann auch die Frucht, wie es bei Mt<br />

7,17 heißt. Doch die Selbstverteidigung als solche ist schlecht<br />

gemäß Rom 12,19: „Ihr sollt euch nicht selbst verteidigen, liebe<br />

Brü<strong>de</strong>r." Also ist das Töten eines Menschen, das sich dabei<br />

ergibt, unerlaubt.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 22,2: „Wenn ein Dieb in ein<br />

Haus einbricht o<strong>de</strong>r es untergräbt <strong>und</strong> dabei ertappt wird <strong>und</strong><br />

an einer zugefügten Verletzung stirbt, zieht sich, wer ihn<br />

erschlagen, keine Blutschuld zu." Doch noch viel mehr als sein<br />

Haus darf man sein Leben verteidigen. Also ist jemand, <strong>de</strong>r in<br />

Verteidigung seines Lebens einen an<strong>de</strong>ren tötet, keines Mor<strong>de</strong>s<br />

schuldig.<br />

ANTWORT. Ein einziger Akt kann durchaus zwei Wirkun­<br />

gen hervorbringen, von <strong>de</strong>nen nur die eine beabsichtigt, die<br />

an<strong>de</strong>re jedoch nicht gewollt ist. Die Art einer sittlichen Hand­<br />

lung wird jedoch von <strong>de</strong>m geprägt, was beabsichtigt ist, <strong>und</strong><br />

nicht von <strong>de</strong>m, was ihr fern liegt, <strong>de</strong>nn dies stellt sich nur als un­<br />

gewollte Nebenwirkung ein, wie oben auseinan<strong>de</strong>rgelegt wur<strong>de</strong><br />

(43,3; I-II72,1). Die Selbstverteidigung kann nun zwei Wir­<br />

kungen zur Folge haben: die eine ist die Erhaltung <strong>de</strong>s eigenen<br />

Lebens, die an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s Angreifers. Ein solcher Akt hat,<br />

weil die Erhaltung <strong>de</strong>s eigenen Lebens dabei beabsichtigt wird,<br />

nichts Unerlaubtes an sich, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r möchte sich natürlich<br />

nach Kräften in seiner Existenz erhalten. Eine gut gemeinte<br />

Handlung kann jedoch fragwürdig wer<strong>de</strong>n, wenn sie ihrem<br />

Zweck nicht angepaßt ist. Daher ist es unerlaubt, bei <strong>de</strong>r Vertei­<br />

digung <strong>de</strong>s eigenen Lebens mehr Gewalt einzusetzen als nötig.<br />

Wird <strong>de</strong>r Angriff jedoch maßvoll abgewehrt, dann ist die Vertei­<br />

digung moralisch in Ordnung, <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssammlung<br />

(Frdbll, 801) „ist es erlaubt, ,mit moralisch abgewogener<br />

Sch<strong>utz</strong>maßnahme' Gewalt zurückzuweisen". Dabei ist es nicht<br />

heilsnotwendig, die moralisch abgewogene Sch<strong>utz</strong>maßnahme<br />

zu unterlassen, um <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>de</strong>r Mensch muß mehr für das eigene als für ein frem<strong>de</strong>s Leben<br />

Sorge tragen.<br />

Weil das Töten eines Menschen nur <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt<br />

um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen zusteht (vgl. Art. 3), darf nur <strong>de</strong>r<br />

Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität <strong>de</strong>n Tod eines Menschen bei<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidigung beabsichtigen, <strong>de</strong>nn jener richtet sein<br />

Tun auf das öffentliche Wohl aus. Dies trifft auf <strong>de</strong>n Soldaten,<br />

<strong>de</strong>r gegen <strong>de</strong>n Feind kämpft, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Justizbeamten bei seinem<br />

100


Einsatz gegen Räuber zu. Ist bei ihnen jedoch persönliche Will- 64. 8<br />

kür im Spiel, dann versündigen sich auch diese [29].<br />

Zu 1. Augustins Worte gelten für <strong>de</strong>n Fall <strong>de</strong>r absichtlichen<br />

Tötung zur Befreiung aus eigener To<strong>de</strong>sgefahr.<br />

Auf <strong>de</strong>n gleichen Fall <strong>de</strong>utet die zitierte Bemerkung aus<br />

Augustins Buch Über die Willensfreiheit. Daher wird dort das<br />

„für diese Fälle" unterstrichen, um damit die Absicht zu<br />

bezeichnen.<br />

Daraus ergibt sie die Antwort Zu 2.<br />

Zu 3. Auch wenn Tötung ohne Sün<strong>de</strong> ist, folgt daraus Irre­<br />

gularität (Weiheunwürdigkeit), wie dies beim Richter <strong>de</strong>r Fall<br />

ist, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>n gerechterweise zum To<strong>de</strong> verurteilt. So ist<br />

auch <strong>de</strong>r Kleriker, <strong>de</strong>r in Notwehr jeman<strong>de</strong>n getötet hat, irregu­<br />

lär, obwohl er nicht töten, son<strong>de</strong>rn nur sich verteidigen wollte<br />

[30].<br />

Zu 4. Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch haben nicht notwendig etwas<br />

mit Rettung <strong>de</strong>s eigenen Lebens zu tun, wie im Fall einer Hand­<br />

lung mit möglicher To<strong>de</strong>sfolge [31].<br />

Zu 5. Mit <strong>de</strong>r angeführten Bibelstelle wird nur jene Selbst­<br />

verteidigung verboten, die <strong>de</strong>n Makel <strong>de</strong>r Rache an sich trägt.<br />

Daher sagt die Glosse (ML 191,1502): „Ihr sollt euch nicht<br />

verteidigen", d. h. „ihr sollt eueren Gegnern nicht heimzahlen."<br />

8. ARTIKEL<br />

Verstrickt sich, wer zufällig einen Menschen tötet, in Schuld?<br />

1. Gn 4,23 (Midrosch) lesen wir, Lantech habe, in <strong>de</strong>r Mei­<br />

nung, ein Tier zu erlegen, einen Menschen getötet, <strong>und</strong> dies<br />

wur<strong>de</strong> ihm als Schuld angerechnet. Also macht sich schuldig,<br />

wer zufällig einen Menschen tötet.<br />

2. Ex 21,22 f. steht geschrieben: „Wer eine schwangere Frau<br />

schlägt, <strong>und</strong> sie wegen einer dadurch erfolgten Fehlgeburt<br />

stirbt, soll Leben für Leben geben." Dies kann aber geschehen,<br />

ohne die Absicht zu töten. Also ist, wer durch Zufall jeman<strong>de</strong>n<br />

tötet, als schuldig zu erklären.<br />

3. In <strong>de</strong>n Dekreten (dist. 50; Frdbl, 178 ff.), wer<strong>de</strong>n mehrere<br />

Canones angeführt, in <strong>de</strong>nen unbeabsichtigte Tötung unter<br />

Strafe gestellt wird. Doch Strafe gibt es nicht ohne Schuld. Also<br />

macht sich schuldig, wer zufällig einen Menschen tötet.<br />

101


64. 8 DAGEGEN schreibt Augustinus an Publicola (Brief 47;<br />

ML 33,167): „Nie soll uns als Schuld angerechnet wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn bei <strong>de</strong>m, was wir in guter Absicht <strong>und</strong> erlaubterweise tun,<br />

gegen unseren Willen etwas Schlechtes entsteht." Nun kommt<br />

es tatsächlich vor, daß <strong>de</strong>nen, die etwas Gutes tun, durch Zufall<br />

die Tötung eines Menschen unterläuft. Also wird ihnen dies<br />

nicht als Schuld angerechnet.<br />

ANTWORT. Nach Aristoteles (Phys Al, 6; 197b 18) geht <strong>de</strong>r<br />

Zufall von einer Ursache aus, die in keinem Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n steht. Daher ist das zufällig<br />

Geschehen<strong>de</strong> an sich eben we<strong>de</strong>r beabsichtigt noch gewollt.<br />

Und weil nach Augustinus (Uber die wahre Religion, c. 14;<br />

ML 34,133) je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> aus <strong>de</strong>m freien Willen hervorgeht, ist<br />

das zufällig Geschehen<strong>de</strong> als solches auch keine Sün<strong>de</strong>. Das tat­<br />

sächlich <strong>und</strong> an sich nicht Gewollte o<strong>de</strong>r Beabsichtigte kann<br />

jedoch unter Umstän<strong>de</strong>n als Nebenfolge gewollt <strong>und</strong> beabsich­<br />

tigt sein, insofern die Nebenursache nach einem Aristoteleswon<br />

(Phys. VIII, 4; 255 b 24) „hin<strong>de</strong>rnisbeseitigend" wirkt. Daher<br />

führt, wer das, woraus <strong>de</strong>r Tod folgt, nicht vermei<strong>de</strong>t, obwohl er<br />

es müßte, in gewissem Sinne willentlich <strong>de</strong>n Tod eines Men­<br />

schen herbei.<br />

Der Fall stellt sich in doppelter Weise. Einmal, wenn sich<br />

jemand mit unerlaubten Dingen, die er lassen müßte, abgibt<br />

<strong>und</strong> dabei <strong>de</strong>n Tod verursacht. Ein an<strong>de</strong>res Mal, wenn er es an<br />

<strong>de</strong>r nötigen Sorgfalt fehlen läßt. Wer sich daher - so die <strong>Recht</strong>s­<br />

sammlung (Frdbl, 197 u. II, 803) - mit erlaubten Dingen abgibt<br />

<strong>und</strong> dabei trotz aufgewandter Sorgfalt <strong>de</strong>r Tod eintritt, entgeht<br />

<strong>de</strong>m Vorwurf schuldhafter Tötung. Beschäftigt er sich jedoch<br />

mit etwas Unerlaubtem o<strong>de</strong>r auch mit etwas Erlaubtem, jedoch<br />

ohne die nötige Sorgfalt, dann ist er von Schuld nicht frei, falls<br />

sein Tun <strong>de</strong>n Tod eines Menschen zur Folge hat.<br />

Zu 1. Lantech hat nicht genügend Sorgfalt aufgewandt, um<br />

<strong>de</strong>n Tod eines Menschen zu verhüten, <strong>und</strong> darum ist er für die<br />

Tötung verantwortlich.<br />

Zu 2. Wer eine schwangere Frau schlägt, tut damit etwas<br />

Unerlaubtes. Wenn daraus <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>r Frau o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r belebten<br />

Leibesfrucht folgt, ist er dafür verantwortlich, vor allem, wenn<br />

<strong>de</strong>r Tod sehr rasch nach seiner Mißhandlung eintritt.<br />

Zu 3. Nach <strong>de</strong>n Canones wer<strong>de</strong>n die mit Strafe belegt, die<br />

bei unerlaubtem Tun o<strong>de</strong>r fehlen<strong>de</strong>r Sorgfalt <strong>de</strong>n Tod eines<br />

Menschen zufällig verursachen [32].<br />

102


65. FRAGE<br />

ANDERE ARTEN VON UNRECHT<br />

GEGEN PERSONEN<br />

Nun muß noch von an<strong>de</strong>ren Unrechtssün<strong>de</strong>n gegen Perso­<br />

nen die Re<strong>de</strong> sein. Dabei stellen sich 4 Fragen:<br />

1. Die Verstümmelung.<br />

2. Die körperliche Züchtigung.<br />

3. Die Einkerkerung.<br />

4. Wird eine <strong>de</strong>rartige Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

dadurch schwerer, daß sie sich gegen eine mit an<strong>de</strong>ren<br />

verb<strong>und</strong>ene Person richtet?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann es gegebenenfalls erlaubt sein, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verstümmeln?<br />

1. Der Damaszener schreibt im II. Buch (De fi<strong>de</strong> orth. 4,20;<br />

MG94,1196), die Sün<strong>de</strong> bestehe „in <strong>de</strong>r Abwendung vom<br />

Naturgemäßen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Hinwendung zum Naturwidrigen".<br />

Nun ist <strong>de</strong>r von Gott eingerichteten Natur gemäß, daß <strong>de</strong>r Kör­<br />

per alle seine Glie<strong>de</strong>r besitzt, gegen die Natur ist es, wenn er ein<br />

Glied verliert. Also ist es immer Sün<strong>de</strong>, jeman<strong>de</strong>n eines Glie<strong>de</strong>s<br />

zu berauben.<br />

2. Wie sich die ganze Seele zum ganzen Leib verhält, so ver­<br />

halten sich nach <strong>de</strong>m II. Buch <strong>de</strong>s Aristoteles Uber die Seele (c. 1;<br />

412 b 23) die Teile <strong>de</strong>r Seele zu <strong>de</strong>n Teilen <strong>de</strong>s Leibes. Doch nie­<br />

mand darf einen seiner Seele berauben, in<strong>de</strong>m er ihn tötet, es sei<br />

<strong>de</strong>nn die öffentliche Gewalt. Also ist auch Verstümmelung nicht<br />

erlaubt außer mit Zustimmung <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt.<br />

3. Das Heil <strong>de</strong>r Seele ist <strong>de</strong>m Heil <strong>de</strong>s Leibes vorzuziehen.<br />

Doch wegen <strong>de</strong>s Seelenheils darf sich niemand verstümmeln.<br />

Nach <strong>de</strong>n Bestimmungen <strong>de</strong>s Konzils von Nizäa (Mansi<br />

II, 667) wer<strong>de</strong>n die bestraft, die sich verstümmelt haben, um die<br />

Keuschheit zu bewahren. Also ist es auch aus an<strong>de</strong>rem Gr<strong>und</strong><br />

nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verstümmeln.<br />

DAGEGEN heißt es im Buch Ex 21,24: „Aug um Auge, Zahn<br />

um Zahn, Hand um Hand, Fuß um Fuß."<br />

103


65. 1 ANTWORT. Ein Glied als Glied ist Teil im Gesamt <strong>de</strong>s<br />

menschlichen Körpers. Darum steht es auch im Dienst <strong>de</strong>s<br />

Ganzen, so wie eben das Unvollkommene im Dienst <strong>de</strong>s Voll­<br />

kommenen steht. Daher muß man mit einem Glied <strong>de</strong>s Körpers<br />

so umgehen, wie es für das Ganze gut ist. An sich nun dient ein<br />

Glied <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>s ganzen Körpers, doch unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

kann es auch einmal Scha<strong>de</strong>n stiften, z. B. wenn es wegen Fäul­<br />

nis <strong>de</strong>n übrigen Körper zu ver<strong>de</strong>rben droht. Ist also ein Glied<br />

ges<strong>und</strong> <strong>und</strong> funktionstüchtig, kann es ohne Beeinträchtigung<br />

<strong>de</strong>s ganzen Körpers nicht entfernt wer<strong>de</strong>n. Weil aber <strong>de</strong>r ganze<br />

Mensch auf die ganze Gemeinschaft, <strong>de</strong>ren Teil er ist, zielhaft<br />

ausgerichtet ist (vgl. 61,1), mag es vorkommen, daß die Beseiti­<br />

gung eines Glie<strong>de</strong>s, obwohl sie zum Nachteil <strong>de</strong>s ganzen Kör­<br />

pers ausschlägt, <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>r Gemeinschaft dient,<br />

insofern sie einem als Strafe zur Verhin<strong>de</strong>rung von Sün<strong>de</strong>n auf­<br />

erlegt wird. Wie daher einer durch die öffentliche Gewalt wegen<br />

größerer Schuld erlaubterweise sein Leben verliert, so wird er<br />

auch wegen geringerer Schuld eines Glie<strong>de</strong>s beraubt. Eine Pri­<br />

vatperson darf dies jedoch nicht tun, auch nicht mit Einver­<br />

ständnis <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>m das Glied gehört, <strong>de</strong>nn dadurch geschieht<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft, in die <strong>de</strong>r Mensch mit allen seinen Teilen ein­<br />

geb<strong>und</strong>en ist, Unrecht.<br />

Droht jedoch ein fauliges Glied <strong>de</strong>n ganzen Körper anzustek-<br />

ken, dann darf das infizierte Glied mit Einverständnis <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>m es gehört, um <strong>de</strong>r Ges<strong>und</strong>heit <strong>de</strong>s ganzen Körpers willen<br />

entfernt wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn einem je<strong>de</strong>n ist die Sorge für die eigene<br />

Ges<strong>und</strong>heit anvertraut. Die gleiche Überlegung gilt für <strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>m die Ges<strong>und</strong>heitsüberwachung für einen Menschen, <strong>de</strong>r ein<br />

schadhaftes Glied hat, obliegt. Sonst jedoch ist es ganz <strong>und</strong> gar<br />

unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verstümmeln.<br />

Zu 1. Was im einzelnen Fall gegen die Natur ist, kann im ge­<br />

samten gesehen durchaus <strong>de</strong>r Natur entsprechen. So sind Tod<br />

<strong>und</strong> Auflösung in <strong>de</strong>r Welt <strong>de</strong>r natürlichen Dinge zwar gegen die<br />

Natur <strong>de</strong>s Einzeldinges, das davon betroffen wird, sie fügen<br />

sich jedoch in das Geschehen <strong>de</strong>r Gesamtnatur harmonisch ein.<br />

Ähnlich verhält es sich mit <strong>de</strong>r Verstümmelung: sie ist zwar im<br />

einzelnen gegen die körperliche Natur <strong>de</strong>s Verstümmelten, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>nnoch entspricht sie im Hinblick auf das Gesamtwohl <strong>de</strong>r<br />

vernünftigen Ordnung <strong>de</strong>r Natur.<br />

Zu 2. Das Leben <strong>de</strong>s Menschen als Ganzes ist nicht auf<br />

etwas <strong>de</strong>m Menschen zu eigen Gehöriges hingeordnet, son<strong>de</strong>rn<br />

104


vielmehr dient alles, was zum Menschen gehört, seinem Leben. 65. 2<br />

Daher steht es einzig <strong>und</strong> allein <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt zu,<br />

jeman<strong>de</strong>m das Leben zu nehmen, <strong>de</strong>nn ihr ist die Sorge für das<br />

Gemeinwohl aufgetragen. Doch die Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s<br />

kann <strong>de</strong>m persönlichen Wohl eines einzelnen Menschen dienen,<br />

<strong>und</strong> darum auch ihm persönlich zustehen.<br />

Zu 3. Man darf ein Glied wegen <strong>de</strong>r körperlichen Ges<strong>und</strong>­<br />

heit <strong>de</strong>s Ganzen nur dann entfernen, wenn sonst nicht zu helfen<br />

ist. Für die geistige Ges<strong>und</strong>heit jedoch läßt sich immer an<strong>de</strong>rs<br />

als durch Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s sorgen, <strong>de</strong>nn die Sün<strong>de</strong><br />

hängt vom Willen ab. Daher ist die Entfernung eines Glie<strong>de</strong>s<br />

zur Vermeidung irgendwelcher Sün<strong>de</strong>n in keinem Fall erlaubt.<br />

Cbrysostomus schreibt <strong>de</strong>shalb in seiner Auslegung <strong>de</strong>s Mat­<br />

thäuswortes (19,12) „Es gibt Eunuchen, die sich wegen <strong>de</strong>s<br />

Himmelreiches selber kastriert haben" in <strong>de</strong>r Homilie 62<br />

(MG 58,599): „Dabei han<strong>de</strong>lt es sich nicht um das Abschnei­<br />

<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn um das Ausmerzen <strong>de</strong>r schlechten<br />

Gedanken. Denn <strong>de</strong>m Fluch verfällt, wer sich ein Glied<br />

abschnei<strong>de</strong>t. Ein solcher nämlich nimmt sich heraus, was die<br />

Mör<strong>de</strong>r tun." Und dann fügt er noch bei (MG 58,600): „Auch<br />

wird die Begier<strong>de</strong> damit nicht etwa gebändigt, son<strong>de</strong>rn nur<br />

noch heftiger. Denn <strong>de</strong>r Same hat seine Quelle ganz woan<strong>de</strong>rs<br />

in uns, er kommt vor allem aus einem ungezügelten Gemüt <strong>und</strong><br />

einem ungeregelten Gedankenleben. Das Abschnei<strong>de</strong>n eines<br />

Glie<strong>de</strong>s dämpft die Versuchungen viel weniger als die Beherr­<br />

schung <strong>de</strong>r Gedanken."<br />

2. ARTIKEL<br />

Dürfen die Väter ihre Kin<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r die Herren ihre Diener<br />

schlagen?<br />

1. Der Apostel schreibt im Epheserbrief 6,4: „Ihr Väter, reizt<br />

eure Kin<strong>de</strong>r nicht zum Zorn." Und später (V. 9) fügt er hinzu:<br />

„Und ihr Herren, han<strong>de</strong>lt in gleicher Weise gegen eure Sklaven,<br />

ohne zu drohen." Nun wird mancheiner wegen körperlicher<br />

Züchtigungen zum Zorn gereizt. Auch sind sie schwerwiegen­<br />

<strong>de</strong>r als Drohungen. Also dürfen we<strong>de</strong>r Väter ihre Kin<strong>de</strong>r, noch<br />

Herren ihre Diener schlagen.<br />

I.Aristoteles schreibt im X.Buch seiner Ethik (c. 10;<br />

1180 a 18): „Das Wort <strong>de</strong>s Vaters be<strong>de</strong>utet nur Mahnung, nicht<br />

105


65. 2 aber Zwang." Doch bisweilen wird Zwang mit Schlägen ausge­<br />

übt. Also ist es <strong>de</strong>n Eltern nicht erlaubt, ihre Kin<strong>de</strong>r zu schlagen.<br />

3. Je<strong>de</strong>r darf einen an<strong>de</strong>ren in Zucht nehmen, dies gehört<br />

nämlich zum Austeilen geistlicher Almosen, wie oben (32,2)<br />

erwähnt wur<strong>de</strong>. Wenn also die Eltern <strong>de</strong>r Zucht wegen ihre Kin­<br />

<strong>de</strong>r schlagen dürfen, dann ist es aus gleichem Gr<strong>und</strong> je<strong>de</strong>rmann<br />

erlaubt, je<strong>de</strong>n zu schlagen. Doch das ist offensichtlich falsch.<br />

Also auch das erste.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Sprichwörtern 13,24: „Wer die<br />

Rute spart, haßt seinen Sohn", <strong>und</strong> weiter (23,13): „Versäume<br />

an einem Knaben die Zucht nicht! Wenn du ihn nämlich mit <strong>de</strong>r<br />

Rute schlägst, wird er davon nicht sterben. Du wirst ihn mit <strong>de</strong>r<br />

Rute schlagen <strong>und</strong> seine Seele vor <strong>de</strong>r Hölle bewahren." Und<br />

Jesus Sirach schreibt 33,28: „Einem böswilligen Sklaven gebühren<br />

Folter <strong>und</strong> Fußeisen."<br />

ANTWORT. Durch Schläge wird <strong>de</strong>m Körper <strong>de</strong>s Geschla­<br />

genen ein gewisser Scha<strong>de</strong>n zugefügt, an<strong>de</strong>rs jedoch als bei <strong>de</strong>r<br />

Verstümmelung. Denn die Verstümmelung zerstört die Unver­<br />

sehrtheit <strong>de</strong>s Körpers, Schläge jedoch fügen nur sinnliche<br />

Schmerzen zu. Daher entsteht ein viel geringerer Scha<strong>de</strong>n als<br />

bei <strong>de</strong>r Verstümmelung. Einen Scha<strong>de</strong>n darf man jeman<strong>de</strong>m<br />

jedoch nur als gerechte Strafe zufügen. Gerechterweise kann<br />

man aber nur einen Untergebenen strafen. Daher darf nur stra­<br />

fen, wer Machtbefugnis über <strong>de</strong>n zu Bestrafen<strong>de</strong>n besitzt. Und<br />

weil <strong>de</strong>r Sohn <strong>de</strong>r väterlichen Gewalt untersteht <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Diener<br />

<strong>de</strong>r Gewalt seines Herrn, darf <strong>de</strong>r Vater seinen Sohn <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Herr seinen Diener aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Besserung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zucht<br />

erlaubterweise schlagen.<br />

Zu 1. Weil <strong>de</strong>r Zorn Rachgier in sich schließt, wird er beson­<br />

<strong>de</strong>rs entfacht, wenn sich jemand ungerecht verletzt fühlt, wie<br />

Aristoteles im II. Buch seiner Rhetorik (c.2; 1378a31) bemerkt.<br />

Wenn daher <strong>de</strong>n Vätern untersagt wird, ihre Kin<strong>de</strong>r zum Zorn<br />

zu reizen, be<strong>de</strong>utet dies kein Verbot, sie aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zucht<br />

zu schlagen, son<strong>de</strong>rn nur, sie nicht maßlos mit Schlägen zu trak­<br />

tieren. -Wenn aber Herren nahegelegt wird, Drohungen zu un­<br />

terlassen, so kann dies auf zweifache Weise verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Einmal als Empfehlung, mit Drohungen sparsam umzugehen, -<br />

dies gehört zur pädagogischen Selbstbeherrschung; in an<strong>de</strong>rer<br />

Weise, daß man die Drohung nicht immer wahr macht, - dies<br />

be<strong>de</strong>utet, daß die ausgesprochene Strafandrohung bisweilen<br />

durch barmherzige Unterlassung gemil<strong>de</strong>rt wird.<br />

106


Zu 2. Die größere Gewalt muß auch größeren Zwang aus- 65. 3<br />

üben können. Wie nun aber <strong>de</strong>r Staat die vollkommene<br />

Gemeinschaft darstellt, so hat das Staatsoberhaupt die voll­<br />

kommene Zwangsgewalt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb kann sie auch unwi<strong>de</strong>r­<br />

rufliche Strafen verhängen, nämlich Tod <strong>und</strong> Verstümmelung.<br />

Der Vater jedoch o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Herr, die <strong>de</strong>r unvollkommenen<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>s Hauswesens vorstehen, besitzen nur die un­<br />

vollkommene Zwangsgewalt leichter Bestrafung, die keinen<br />

nichtwie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n mit sich bringt. Und von<br />

dieser Art ist körperliche Züchtigung.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r darf einen an<strong>de</strong>ren in Zucht nehmen, vorausge­<br />

setzt, daß dieser zustimmt. Doch einen, <strong>de</strong>r nicht will, in Zucht<br />

zu nehmen, steht nur <strong>de</strong>m zu, <strong>de</strong>ssen Obsorge jener anvertraut<br />

ist. Und dazu gehört es, ihn mit Schlägen zu züchtigen.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, einen Menschen einzukerkern?<br />

1. Wie oben (I—II 18,2) bemerkt, ist ein Akt, <strong>de</strong>r sich auf ein<br />

unangemessenes Objekt bezieht, seiner Art nach schlecht. Nun<br />

ist <strong>de</strong>r Mensch mit seiner naturgegebenen Willensfreiheit ein<br />

unangemessenes Objekt <strong>de</strong>r Einkerkerung, <strong>de</strong>nn diese läuft <strong>de</strong>r<br />

Freiheit zuwi<strong>de</strong>r. Also ist es unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n einzukerkern.<br />

2. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> muß sich nach <strong>de</strong>r gött­<br />

lichen ausrichten. Nun heißt es aber bei Jesus Sirach 15,14:<br />

„Gott hat <strong>de</strong>n Menschen seiner eigenen Entscheidung über­<br />

lassen." Also darf man nieman<strong>de</strong>n mit Ketten o<strong>de</strong>r Kerker zur<br />

Ordnung zwingen.<br />

3. Nur vom schlechten Tun darf jemand abgehalten wer<strong>de</strong>n;<br />

daran einen zu hin<strong>de</strong>rn, steht je<strong>de</strong>rmann zu. Wäre nun das Ein­<br />

kerkern zur Verhin<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Bösen erlaubt, dürfte je<strong>de</strong>r sei­<br />

nen Nächsten ins Gefängnis bringen. Dies ist offensichtlich<br />

falsch. Also auch das erste.<br />

DAGEGEN liest man bei Lv24,11 f., jemand sei wegen <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gotteslästerung eingekerkert wor<strong>de</strong>n.<br />

ANTWORT. Bei <strong>de</strong>n Gütern <strong>de</strong>s Körpers müssen drei Dinge<br />

<strong>de</strong>r Ordnung nach beachtet wer<strong>de</strong>n. 1. die Unversehrtheit <strong>de</strong>s<br />

Körpers als solchen: ihm wird durch Tötung o<strong>de</strong>r Verstümme­<br />

lung Scha<strong>de</strong>n zugefügt. 2. das Wohlsein o<strong>de</strong>r die Ruhe <strong>de</strong>r<br />

Sinne: <strong>de</strong>m entgegen steht körperliche Züchtigung <strong>und</strong> alles,<br />

107


65. 4 was sinnlichen Schmerz bereitet. 3. die Bewegungsfreiheit <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r: dies wird unterb<strong>und</strong>en durch Fesse­<br />

lung o<strong>de</strong>r Einkerkerung o<strong>de</strong>r durch irgendwelches Festhalten.<br />

Daher ist es unerlaubt, jeman<strong>de</strong>n einzukerkern o<strong>de</strong>r irgendwie<br />

festzuhalten, es sei <strong>de</strong>nn gemäß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung o<strong>de</strong>r zur<br />

Strafe o<strong>de</strong>r als Vorbeugung eines Übels.<br />

Zu 1. Wer die ihm übertragene Gewalt mißbraucht, ver­<br />

dient, daß er sie verliert. Daher ist <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r durch Sündi­<br />

gen das freie Verfügungsrecht über seine Glie<strong>de</strong>r mißbraucht<br />

hat, ein geeignetes Objekt <strong>de</strong>r Einkerkerung.<br />

Zu 2. Bisweilen hin<strong>de</strong>rt Gott nach <strong>de</strong>r Ordnung seiner<br />

Weisheit die Sün<strong>de</strong>r daran, ihre sündhaften Pläne auszuführen<br />

gemäß Job 5,12: „ ... <strong>de</strong>r die Anschläge <strong>de</strong>r Boshaften zunichte<br />

macht, daß ihre Hän<strong>de</strong> nicht ausführen können, was sie begon­<br />

nen haben." Bisweilen jedoch läßt er sie tun, was sie wollen.<br />

Und ähnlich wer<strong>de</strong>n die Menschen nach <strong>de</strong>r menschlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht für je<strong>de</strong>s schuldhafte Vergehen eingesperrt,<br />

son<strong>de</strong>rn nur für bestimmte.<br />

Zu 3. Je<strong>de</strong>r darf einen, <strong>de</strong>r im nächsten Augenblick etwas<br />

Unerlaubtes tun möchte, sogleich von seinem Vorhaben zu­<br />

rückhalten, z. B. packen, damit er sich nicht irgendwo hinab­<br />

stürzt o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren schlägt. Doch schlechthin einen ein­<br />

zusperren o<strong>de</strong>r zu fesseln, steht nur <strong>de</strong>m zu, <strong>de</strong>r allgemein über<br />

Tun <strong>und</strong> Leben <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu bestimmen hat. Denn durch<br />

Einkerkerung wird er nicht nur daran gehin<strong>de</strong>rt, Böses, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch Gutes zu tun.<br />

4. ARTIKEL<br />

Wird die Sün<strong>de</strong> schwerer, wenn durch die gegen bestimmte<br />

Personen begangenen Unrechtstaten an<strong>de</strong>re mitbetroffen<br />

wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Unrechtstaten dieser Art sind insofern Sün<strong>de</strong>, als jeman­<br />

<strong>de</strong>m gegen seinen Willen Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird. Nun ist das<br />

Böse, das einen selber trifft, mehr gegen <strong>de</strong>n Willen als das<br />

Unrecht gegen eine irgendwie verb<strong>und</strong>ene Person. Also ist das<br />

Unrecht gegen eine verb<strong>und</strong>ene Person geringer.<br />

2. In <strong>de</strong>r Hl. Schrift wird vor allem geta<strong>de</strong>lt, wer Waisen <strong>und</strong><br />

Witwen Unrecht antut. Daher heißt es bei Jesus Sirach 35,17:<br />

„Er mißachtet die Bitten <strong>de</strong>r Waisen nicht, noch auch die Witwe,<br />

108


wenn sie sich in Klagen ergeht." Doch Witwen <strong>und</strong> Waisen sind 65.4<br />

keine mit an<strong>de</strong>ren verb<strong>und</strong>ene Personen. Also wird durch das<br />

Unrecht, das auch noch an<strong>de</strong>re trifft, die Sün<strong>de</strong> nicht schwerer.<br />

3. Die mitbetroffene Person hat einen eigenen Willen wie<br />

auch die Hauptperson. Sie kann also mit etwas einverstan<strong>de</strong>n<br />

sein, was <strong>de</strong>r Hauptperson wi<strong>de</strong>rstrebt, wie dies beim Ehe­<br />

bruch zutagetritt, an <strong>de</strong>m die Ehefrau Gefallen fin<strong>de</strong>t, während<br />

er <strong>de</strong>m Mann mißfällt. Nun sind <strong>de</strong>rlei Unrechtstaten insofern<br />

Sün<strong>de</strong>, als sie in unfreiwilliger Wechselseitigkeit bestehen. Also<br />

sind solche Unrechtstaten weniger sündhaft [33].<br />

DAGEGEN heißt es in Dt 28,32 mit einer gewissen Übertrei­<br />

bung: „Deine Söhne <strong>und</strong> Töchter wer<strong>de</strong>n vor <strong>de</strong>inen Augen<br />

einem an<strong>de</strong>ren Volk gegeben wer<strong>de</strong>n."<br />

ANTWORT. Je mehr ein Unrecht an<strong>de</strong>re mitbetrifft, umso<br />

schwerer ist - unter sonst gleichen Voraussetzungen - die<br />

Sün<strong>de</strong>. Daher ist es schwerer sündhaft, einen Fürsten als eine<br />

Privatperson zu schlagen, <strong>de</strong>nn dadurch wird die ganze<br />

Gemeinschaft mitbetroffen, wie oben erklärt wur<strong>de</strong> (I—II 73,9).<br />

Wenn ein Unrecht gegen eine irgendwie mit an<strong>de</strong>ren zusam­<br />

mengehören<strong>de</strong> Person begangen wird, erstreckt sich das<br />

Unrecht eben auf zwei Personen. Daher verschärft sich - unter<br />

sonst gleichen Voraussetzungen - die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Bis­<br />

weilen jedoch ist eine Sün<strong>de</strong> gegen eine unabhängige Person<br />

unter gewissen Umstän<strong>de</strong>n schwerer, sei es wegen ihrer Wür<strong>de</strong>,<br />

sei es wegen <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>s zugefügten Scha<strong>de</strong>ns.<br />

Zu 1. Das Unrecht, das eine an<strong>de</strong>re Person mitbetrifft, ver­<br />

ursacht bei dieser weniger Scha<strong>de</strong>n, als wenn es ihr unmittelbar<br />

angetan wür<strong>de</strong>, <strong>und</strong> insoweit ist es eine geringere Sün<strong>de</strong>. Doch<br />

dies alles, was mit <strong>de</strong>m Unrecht gegen die mittelbar betroffene<br />

Person zusammenhängt, häuft sich auf die Sün<strong>de</strong>, die jemand<br />

dadurch begeht, daß er einer Person unmittelbaren Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügt.<br />

Zu 2. Unrechtstaten gegen Witwen <strong>und</strong> Waisen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s­<br />

halb so stark hervorgehoben, weil sie <strong>de</strong>r Barmherzigkeit schär­<br />

fer wi<strong>de</strong>rsprechen, wie auch <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n für diese Personen<br />

schwerer wiegt, da sie nieman<strong>de</strong>n haben, <strong>de</strong>r ihnen hilft.<br />

Zu 3. Dadurch daß die Gattin <strong>de</strong>m Ehebruch freiwillig<br />

zustimmt, wird die Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> das Unrecht auf seiten <strong>de</strong>r Frau<br />

geringer. Es wäre nämlich schwerer, wenn <strong>de</strong>r Ehebrecher mit<br />

Gewalt gegen sie vorginge. Dennoch wird dadurch das Unrecht<br />

vonseiten <strong>de</strong>s Mannes nicht aufgehoben, <strong>de</strong>nn „die Frau hat",<br />

109


65. 4 wie es im 1. Korintherbrief 7,4 heißt, „kein Verfügungsrecht<br />

über ihren Leib, son<strong>de</strong>rn ihr Mann". Und gleiches gilt für ähn­<br />

liche Fälle. Vom Ehebruch, <strong>de</strong>r nicht nur <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>r Keuschheit wi<strong>de</strong>rspricht, wird später, im Traktat<br />

über die Maßhaltung, die Re<strong>de</strong> sein.<br />

110


66. FRAGE<br />

DIEB STAHL UND RAUB<br />

Nunmehr sind die <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> entgegengesetzten Sün­<br />

<strong>de</strong>n zu betrachten, durch die <strong>de</strong>m Nächsten Sachscha<strong>de</strong>n zuge­<br />

fügt wird, nämlich Diebstahl <strong>und</strong> Raub. Dazu ergeben sich 9<br />

Fragen:<br />

1. Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von Natur aus<br />

zu?<br />

2. Ist Privateigentum erlaubt?<br />

3. Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r heimlichen Wegnahme einer<br />

frem<strong>de</strong>n Sache?<br />

4. Unterschei<strong>de</strong>t sich Raub spezifisch vom Diebstahl?<br />

5. Ist je<strong>de</strong>r Diebstahl Sün<strong>de</strong>?<br />

6. Ist Diebstahl Todsün<strong>de</strong>?<br />

7. Darf man in Not stehlen?<br />

8. Ist je<strong>de</strong>r Raub Todsün<strong>de</strong>?<br />

9. Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kommt materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen von Natur aus zu?<br />

[34]<br />

1. Niemand darf sich aneignen, was Gott gehört. Doch Gott<br />

gebührt das Eigentumsrecht über alles Geschaffene gemäß <strong>de</strong>m<br />

Psalmwort (23) 24,1: „Des Herrn ist die Er<strong>de</strong>" usw. Also steht<br />

materieller Besitz <strong>de</strong>m Menschen nicht von Natur aus zu.<br />

2. Bei Auslegung jener Stelle Lkl2,18, wo <strong>de</strong>r Reiche sagt:<br />

„Ich wer<strong>de</strong> (in meinen Scheunen) mein ganzes Getrei<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

meine Vorräte unterbringen", schreibt Basilius (Horn. sup.<br />

Luc. 12,18sq.; MG31.276): „Sag' mir, was ist Dein? Woher<br />

hast du es genommen <strong>und</strong> ins Leben mitgebracht?" Von <strong>de</strong>m,<br />

was <strong>de</strong>r Mensch jedoch von Natur aus besitzt, kann er mit<br />

<strong>Recht</strong> sagen: es gehört mir. Also besitzt <strong>de</strong>r Mensch nicht von<br />

Natur aus äußere Güter.<br />

3. Ambrosius schreibt in seinem Buch Über die Dreifaltigkeit<br />

(ML 16,530): ,„Herr' ist Name <strong>de</strong>r Macht." Doch <strong>de</strong>r Mensch<br />

besitzt keine Macht über die materiellen Dinge, kann er doch<br />

111


66. l ihr Wesen nicht verän<strong>de</strong>rn. Also ist <strong>de</strong>r Besitz äußerer Güter für<br />

<strong>de</strong>n Menschen nicht natürlich.<br />

DAGEGEN heißt es im Psalm 8,8: „Alles hast du unter seine<br />

- nämlich <strong>de</strong>s Menschen - Füße gelegt."<br />

ANTWORT. Eine materielle Sache kann auf zweifache Weise<br />

betrachtet wer<strong>de</strong>n. Einmal im Hinblick auf ihr Wesen. Dieses<br />

unterliegt nicht <strong>de</strong>r menschlichen Macht, son<strong>de</strong>rn allein <strong>de</strong>r<br />

Macht Gottes, <strong>de</strong>m alles auf seinen Wink hin gehorcht. Sodann<br />

im Hinblick auf <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache. So gesehen besitzt <strong>de</strong>r<br />

Mensch ein natürliches Herrschaftsrecht über die materiellen<br />

Dinge, <strong>de</strong>nn mit Vernunft <strong>und</strong> freiem Willen kann er sie gleich­<br />

sam als für ihn bereitgestellte Schöpfung zu seinem N<strong>utz</strong>en<br />

gebrauchen, - immer nämlich hat das Unvollkommenere <strong>de</strong>m<br />

Vollkommeneren zu dienen, wie oben (64,1) bemerkt wur<strong>de</strong>.<br />

Von dieser Überlegung ausgehend beweist Aristoteles im<br />

I. Buch seiner Politik (c. 8; 1256 b 7), daß <strong>de</strong>r Besitz materieller<br />

Güter für <strong>de</strong>n Menschen natürlich ist. Dieses natürliche<br />

Herrschaftsrecht über die unter ihm stehen<strong>de</strong> Kreatur, das <strong>de</strong>m<br />

Menschen aufgr<strong>und</strong> seiner Geistigkeit, in <strong>de</strong>r seine Gotteben­<br />

bildlichkeit beschlossen liegt, zusteht, offenbart sich bei <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung <strong>de</strong>s Menschen selbst, wo es Gnl,26 heißt: „Laßt<br />

uns <strong>de</strong>n Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich, <strong>und</strong> er<br />

soll herrschen über die Fische <strong>de</strong>s Meeres" usw.<br />

Zu 1. Gott, <strong>de</strong>r die Oberherrschaft über alle Dinge innehat,<br />

bestimmte davon in seiner Vorsehung einen gewissen Teil für<br />

<strong>de</strong>n leiblichen Unterhalt <strong>de</strong>s Menschen. Daher besitzt <strong>de</strong>r<br />

Mensch die natürliche Herrschaft über diese Dinge im Sinn <strong>de</strong>r<br />

seinem N<strong>utz</strong>en dienen<strong>de</strong>n Verfügungsmacht.<br />

Zu 2. Jener Reiche wird geta<strong>de</strong>lt, weil er glaubte, die mate­<br />

riellen Güter gehörten ihm als ursprünglichem Besitzer <strong>und</strong> er<br />

habe sie nicht von einem an<strong>de</strong>ren, nämlich von Gott, erhalten.<br />

Zu 3. Jene Überlegung geht aus von <strong>de</strong>r Herrschaft über die<br />

Natur <strong>de</strong>r materiellen Dinge, doch diese Herrschaft steht, wie<br />

gesagt, Gott allein zu.<br />

112


2. ARTIKEL 66. 2<br />

Ist Privateigentum erlaubt?<br />

1. Alles, was <strong>de</strong>m Naturrecht wi<strong>de</strong>rspricht, ist unerlaubt.<br />

Nun gehört nach <strong>de</strong>m Naturrecht alles allen. Zu diesem<br />

Gemeinschaftsbesitz steht Eigenbesitz in Wi<strong>de</strong>rspruch. Also ist<br />

es keinem Menschen erlaubt, sich irgen<strong>de</strong>ine materielle Sache<br />

anzueignen.<br />

2. Basilius schreibt bei <strong>de</strong>r Auslegung <strong>de</strong>s erwähnten Wortes<br />

jenes Reichen (Lkl2,18; MG 31,276): „Die Reichen, die, je<strong>de</strong>m<br />

zuvorkommend, als Privateigentum betrachten, was allen<br />

gehört, gleichen <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r zuerst am Theater anlangt <strong>und</strong> die<br />

an<strong>de</strong>ren am Eintritt hin<strong>de</strong>rn wollte, in<strong>de</strong>m er für sich allein<br />

genießen möchte, was für alle vorgesehen ist" [35]. Doch wäre<br />

es unerlaubt, an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Weg zu <strong>de</strong>n gemeinsamen Gütern zu<br />

verlegen. Also ist es unerlaubt, sich eine materielle Sache als<br />

Privateigentum anzueignen.<br />

3. Ambrosius sagt (Sermo 81; ML 17,613) - zu fin<strong>de</strong>n auch in<br />

<strong>de</strong>n Dekreten (dist. 47; Frdbl,171) -: „Keiner nenne Privat­<br />

eigentum, was gemeinsam ist". Er bezeichnet aber als Gemein­<br />

besitz die materiellen Dinge, wie aus <strong>de</strong>m Zusammenhang<br />

ersichtlich ist. Also ist es unerlaubt, sich irgen<strong>de</strong>ine materielle<br />

Sache anzueignen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus in seinem Buch Uber die Irr­<br />

lehren (Haeres.40; ML 42,32): „Mit einer Anmaßung son<strong>de</strong>r­<br />

gleichen nennen sie sich ,apostolisch', weil sie in ihre Gemein­<br />

schaft keine Verheirateten <strong>und</strong> Leute mit Privatbesitz aufneh­<br />

men, wo es doch in <strong>de</strong>r katholischen Kirche eine große Anzahl<br />

von solchen unter <strong>de</strong>n Mönchen <strong>und</strong> Klerikern gibt" [36]. Doch<br />

sie sind Häretiker <strong>und</strong> haben sich von <strong>de</strong>r Kirche getrennt, weil<br />

ihrer Meinung nach jene, die Dinge gebrauchen, auf die sie sel­<br />

ber verzichten, keine Hoffnung haben auf das ewige Heil. Es ist<br />

also falsch, zu behaupten, es sei <strong>de</strong>m Menschen nicht erlaubt,<br />

Privateigentum zu besitzen.<br />

ANTWORT. In bezug auf eine materielle Sache steht <strong>de</strong>m<br />

Menschen zweierlei zu. Das ist einmal die Berechtigung <strong>de</strong>s Er­<br />

werbs <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verwaltung. Und im Hinblick darauf ist es <strong>de</strong>m<br />

Menschen erlaubt, Privateigentum zu besitzen. Dies ist zum<br />

menschlichen Leben auch nötig, <strong>und</strong> zwar aus drei Grün<strong>de</strong>n,<br />

113


66. 2 1. weil jemand mit einer Sache sorgfältiger umgeht, wenn sie<br />

ihm allein, als wenn sie allen o<strong>de</strong>r vielen gehört. Gerne überläßt<br />

man nämlich aus Bequemlichkeit die Arbeit am gemeinsamen<br />

Eigentum an<strong>de</strong>ren, wie das bekanntlich vorkommt, wo die Ver­<br />

antwortung auf viele verteilt ist. - 2. weil die Dinge ordnungsge­<br />

mäßer an die Hand genommen wer<strong>de</strong>n, wenn <strong>de</strong>r einzelne für<br />

ihre Beschaffung selber sorgen muß. Es entstün<strong>de</strong> nämlich ein<br />

heilloses Durcheinan<strong>de</strong>r, falls je<strong>de</strong>r unbekümmert alles besor­<br />

gen wür<strong>de</strong>. - 3. weil <strong>de</strong>r friedliche Zustand unter <strong>de</strong>n Menschen<br />

besser gewahrt bleibt, wenn je<strong>de</strong>r mit seiner Sache zufrie<strong>de</strong>n ist.<br />

Wir stellen ja fest, daß dort, wo gemeinsamer <strong>und</strong> unterschieds­<br />

loser Besitz herrscht, häufig Streitigkeiten ausbrechen.<br />

Das an<strong>de</strong>re, was <strong>de</strong>m Menschen in bezug auf die materiellen<br />

Dinge zusteht, ist ihre N<strong>utz</strong>ung. In dieser Hinsicht darf <strong>de</strong>r<br />

Mensch die materiellen Güter nicht als Privateigentum, son­<br />

<strong>de</strong>rn muß er sie als Gemeingut betrachten, so daß er sie ohne<br />

weiteres für <strong>de</strong>n Bedarf an<strong>de</strong>rer ausgibt. Daher sagt <strong>de</strong>r Apostel<br />

im letzten Kapitel 1 Tim 17f: „Den Reichen dieser Welt gebiete,<br />

... sie sollen freigebig sein <strong>und</strong> mit an<strong>de</strong>ren teilen".<br />

Zu 1. Die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Dinge geht auf das Natur­<br />

recht zurück, nicht weil es gebieten wür<strong>de</strong>, alles gemeinsam zu<br />

besitzen <strong>und</strong> nichts als Privateigentum zu betrachten, son<strong>de</strong>rn<br />

weil es keinen Unterschied in <strong>de</strong>n Besitzweisen kennt: diese<br />

hängen vielmehr von menschlicher Ubereinkunft ab, die Sache<br />

<strong>de</strong>s positiven <strong>Recht</strong>s ist, wie oben (57,2.3) erklärt wur<strong>de</strong>. Daher<br />

richtet sich das Privateigentum nicht gegen das Naturrecht,<br />

son<strong>de</strong>rn es be<strong>de</strong>utet eine Ausweitung <strong>de</strong>s Naturrechts, welche<br />

die menschliche Vernunft herausgef<strong>und</strong>en hat. [37].<br />

Zu 2. Wer auf <strong>de</strong>m Weg zum Theater an<strong>de</strong>ren vorauseilt,<br />

han<strong>de</strong>lt nicht unerlaubt, doch fragwürdig wird sein Verhalten,<br />

wenn er an<strong>de</strong>re am Eintritt hin<strong>de</strong>rt. Ahnlich han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Reiche<br />

nicht unerlaubt, wenn er von <strong>de</strong>m, was zu Anfang Gemein­<br />

besitz war, etwas als Eigentum vorwegnimmt, um an<strong>de</strong>re daran<br />

teilnehmen zu lassen. Er sündigt aber, falls er an<strong>de</strong>re vom<br />

Genuß jener Sache rücksichtslos ausschließt. Daher schreibt<br />

Basilius an <strong>de</strong>r erwähnten Stelle (MG 31,276): „Warum lebst<br />

du im Überfluß, während <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re betteln geht? Nicht etwa<br />

<strong>de</strong>shalb, damit du das Verdienst für gute Verwaltung erlangst,<br />

während jener mit <strong>de</strong>m Lohn <strong>de</strong>r Geduld gekrönt wer<strong>de</strong>?"<br />

Zu 3. Wenn Ambrosius sagt: „Niemand soll als Privateigen­<br />

tum erklären, was allen gehört" (Sermo 81; ML17,613f),<br />

114


spricht er vom Eigentum im Hinblick auf seinen Genuß. Darum 66. 3<br />

fügt er hinzu: „Was über die Lebenskosten hinausgeht, ist mit<br />

Gewalt erworben".<br />

3. ARTIKEL<br />

Besteht Diebstahl in <strong>de</strong>r geheimen Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n<br />

Sache?<br />

1. Was die Sündhaftigkeit verringert, gehört nicht zum<br />

Wesen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Doch im Geheimen sündigen be<strong>de</strong>utet Ver­<br />

ringerung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, wie es umgekehrt, um die Größe gewisser<br />

Sün<strong>de</strong>n zu zeigen, bei Is 3,9 heißt: „Sie re<strong>de</strong>n von ihren Sün<strong>de</strong>n<br />

wie Sodoma in aller Öffentlichkeit <strong>und</strong> verbergen sie nicht".<br />

Also gehört die geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache nicht<br />

zum Wesen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Ambrosius sagt (ML 17,613-614) - das Wort fin<strong>de</strong>t sich<br />

auch in <strong>de</strong>n Dekreten dist.47 (Frdbl,171): „Auch ist es kein<br />

kleineres Verbrechen, <strong>de</strong>m Besitzer etwas zu nehmen, als -<br />

wenn du kannst <strong>und</strong> Überfluß hast - <strong>de</strong>m Bedürftigen etwas zu<br />

verweigern". Wie also <strong>de</strong>r Diebstahl in <strong>de</strong>r Wegnahme einer<br />

frem<strong>de</strong>n Sache besteht, so nicht weniger darin, sie zu behalten.<br />

3. Man kann heimlich jeman<strong>de</strong>m etwas wegnehmen, was<br />

einem selbst gehört, z. B. eine Sache, die man bei einem hinter­<br />

legt hat, o<strong>de</strong>r die von ihm ungerechterweise entwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>.<br />

Geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache gehört also nicht<br />

zum Wesen <strong>de</strong>s Diebstahls.<br />

DAGEGEN steht das Wort in Isidors Etymologie (X, ad F;<br />

ML82,378): „Für (das Wort ,Dieb') kommt von furvus, das<br />

heißt ,dunkel', <strong>de</strong>nn er nützt die Zeit <strong>de</strong>r Nacht" [38].<br />

ANTWORT. Im Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls fließen drei Dinge zu­<br />

sammen. Das erste besteht in seinem Gegensatz zur Gerechtig­<br />

keit, die je<strong>de</strong>m das Seine gibt <strong>und</strong> läßt. Von hier aus gesehen<br />

besagt Diebstahl Aneignung einer frem<strong>de</strong>n Sache. - Das zweite<br />

gehört zum Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls, insofern er sich von <strong>de</strong>n<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen Personen unterschei<strong>de</strong>t, wie etwa von Mord o<strong>de</strong>r<br />

Ehebruch. Dabei geht es immer um eine Sache im Besitzver­<br />

hältnis. Wer nämlich etwas wegnimmt, was nicht <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren<br />

Besitz, son<strong>de</strong>rn ein Teil von ihm ist, wie z. B. wenn er ihn eines<br />

Glie<strong>de</strong>s beraubt, o<strong>de</strong>r als verwandte Person mit ihm verb<strong>und</strong>en<br />

ist, z.B. wenn er die Tochter o<strong>de</strong>r Gattin entführt, dann liegt<br />

115


66. 4 hier nicht <strong>de</strong>r strenge Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls vor. - Der dritte<br />

Unterschied macht <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls vollständig,<br />

nämlich daß die frem<strong>de</strong> Sache heimlich entwen<strong>de</strong>t wird. So<br />

stellt sich das eigentliche Wesen <strong>de</strong>s Diebstahls dar als: „Heim­<br />

liche Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache" [39].<br />

Zu 1. Bisweilen ist die Verheimlichung Ursache <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>,<br />

z.B. wenn jemand Verheimlichung als Mittel zum Sündigen<br />

einsetzt, wie bei Betrug <strong>und</strong> List. Dadurch wird die Sün<strong>de</strong> kei­<br />

neswegs gemil<strong>de</strong>rt, son<strong>de</strong>rn die Heimlichkeit begrün<strong>de</strong>t viel­<br />

mehr die Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. - Doch kann die Verheimlichung auch<br />

ein einfacher Umstand <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> sein <strong>und</strong> sie dadurch<br />

abschwächen, weil sie entwe<strong>de</strong>r Zeichen <strong>de</strong>r Scham ist o<strong>de</strong>r<br />

Ärgernis verhütet.<br />

Zu 2. Eine Sache behalten, die einem an<strong>de</strong>ren gehört, ist,<br />

vom Scha<strong>de</strong>n her gesehen, soviel wie Diebstahl. Daher versteht<br />

man unter ungerechter Wegnahme auch ungerechtes Behalten.<br />

Zu 3. Was jeman<strong>de</strong>m schlechthin gehört, kann ohne weite­<br />

res in gewisser Hinsicht einem an<strong>de</strong>ren gehören. So gehört eine<br />

hinterlegte Sache schlechthin <strong>de</strong>m Hinterleger, doch bezüglich<br />

<strong>de</strong>s Aufbewahrens gehört sie <strong>de</strong>m, bei <strong>de</strong>m sie hinterlegt ist.<br />

Und was durch Raub entwen<strong>de</strong>t wur<strong>de</strong>, gehört <strong>de</strong>m Räuber,<br />

zwar nicht schlechthin, so doch in Bezug auf das Innehaben<br />

[40].<br />

4. ARTIKEL<br />

Sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub spezifisch verschie<strong>de</strong>ne Sün<strong>de</strong>n?<br />

1. Diebstahl <strong>und</strong> Raub unterschei<strong>de</strong>n sich durch geheim <strong>und</strong><br />

offen. Diebstahl be<strong>de</strong>utet nämlich heimliche Wegnahme, Raub<br />

gewaltsame <strong>und</strong> offene. Doch bei an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>narten spielt<br />

geheim <strong>und</strong> offen für die spezifische Unterscheidung keine<br />

Rolle. Also sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub keine <strong>de</strong>r Art nach ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Sün<strong>de</strong>n.<br />

2. Sittliche Akte wer<strong>de</strong>n durch ihr Ziel spezifiert, wie oben<br />

(I—II 1,3; 18,6) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun verfolgen Diebstahl <strong>und</strong><br />

Raub das gleiche Ziel, nämlich Besitznahme frem<strong>de</strong>n Gutes.<br />

Also besteht zwischen ihnen kein Artunterschied.<br />

3. Wie etwas geraubt wird, um es zu besitzen, so wird eine<br />

Frau geraubt, um sich an ihr zu ergötzen. Daher schreibt<br />

Isidor in seiner Etymologie (X, adR; ML 82,392): „Raptor (<strong>de</strong>r<br />

116


Räuber) heißt soviel wie corruptor (Ver<strong>de</strong>rber) <strong>und</strong> rapta (die 66. 4<br />

Geraubte) corrupta (die Verdorbene)." Von „Raub" spricht man<br />

aber, gleich ob die Frau offen o<strong>de</strong>r im Geheimen geraubt wur<strong>de</strong>.<br />

Also heißt es auch „Raub", ob eine Sache nun heimlich o<strong>de</strong>r<br />

offen geraubt wor<strong>de</strong>n ist. Somit unterschei<strong>de</strong>t sich Diebstahl<br />

nicht von Raub.<br />

DAGEGEN unterschei<strong>de</strong>t Aristoteles im V. Buch seiner Ethik<br />

(c. 5; 1131 a6) Diebstahl vom Raub, in<strong>de</strong>m er Diebstahl als<br />

etwas Geheimes, Raub als etwas Gewaltsames kennzeichnet.<br />

ANTWORT. Die Sün<strong>de</strong>n Diebstahl <strong>und</strong> Raub stehen insofern<br />

in Gegensatz zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, als dabei einer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren<br />

Unrecht zufügt. „Niemand" jedoch „erlei<strong>de</strong>t Unrecht, wenn er<br />

einverstan<strong>de</strong>n ist", wie im V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1138al2)<br />

bewiesen wird. Daher sind Diebstahl <strong>und</strong> Raub Sün<strong>de</strong>n, weil<br />

die Wegnahme ohne Willen <strong>de</strong>ssen geschieht, <strong>de</strong>m etwas<br />

genommen wird. „Ungewollt" aber be<strong>de</strong>utet etwas Zweifaches,<br />

nämlich einmal „ohne Wissen" <strong>und</strong> sodann „mit Gewalt", wie<br />

im II. Buch <strong>de</strong>r Ethik steht (c. 1; 1109 b 35). Daher ist Raub be­<br />

grifflich etwas an<strong>de</strong>res als Diebstahl, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb unterschei­<br />

<strong>de</strong>n sie sich auch <strong>de</strong>r Art nach.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>narten spielt das Ungewollt­<br />

sein für <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> keine Rolle, dies ist nur bei <strong>de</strong>n<br />

Sün<strong>de</strong>n gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>r Fall. Wo daher ein verschie­<br />

<strong>de</strong>nes Ungewolltsein gegeben ist, liegt auch eine verschie<strong>de</strong>ne<br />

Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> vor.<br />

Zu 2. Das weitere Ziel ist bei Raub <strong>und</strong> Diebstahl das<br />

gleiche, doch dieses genügt zur Bildung spezifisch gleicher<br />

Akte nicht, <strong>de</strong>nn es bleibt <strong>de</strong>r Unterschied in <strong>de</strong>n unmittelbaren<br />

Zielen. Der Räuber nämlich möchte durch Gewalt erlangen, <strong>de</strong>r<br />

Dieb hingegen durch List.<br />

Zu 3. Frauenraub kann für die geraubte Frau keine heim­<br />

liche Angelegenheit sein. Wenn daher auch die an<strong>de</strong>ren, <strong>de</strong>nen<br />

sie geraubt wird, davon nichts merken, so han<strong>de</strong>lt es sich für die<br />

gewaltsam ergriffene Frau <strong>de</strong>nnoch um eigentlichen Raub.<br />

117


66. 5 5. ARTIKEL<br />

Ist Diebstahl immer Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Eine Sün<strong>de</strong> wird nie von Gott befohlen, heißt es doch bei<br />

Jesus Sirach 15,21: „Niemand hat er geboten, gottlos zu han­<br />

<strong>de</strong>ln." Doch fin<strong>de</strong>t sich im Buche Exl2,35f. eine Stelle, wo<br />

Gott <strong>de</strong>n Diebstahl vorschreibt: „Die Söhne Israels taten, wie<br />

<strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Moses befohlen hatte, <strong>und</strong> raubten die Ägypter<br />

aus." Also ist Diebstahl nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Wer eine gef<strong>und</strong>ene Sache, die ihm nicht gehört, an sich<br />

nimmt, scheint einen Diebstahl zu begehen, <strong>de</strong>nn er eignet sich<br />

eine frem<strong>de</strong> Sache an. Doch ist dies, wie die Juristen sagen (s. u.<br />

Zu 2), aufgr<strong>und</strong> natürlicher Billigkeit erlaubt. Also ist Diebstahl<br />

nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Wer an sich nimmt, was ihm gehört, sündigt nicht, da er<br />

nicht gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ren Gleichmaß er nicht<br />

aufhebt. Doch wer sein Eigentum, das ein an<strong>de</strong>rer aufbewahrt<br />

o<strong>de</strong>r bewacht, heimlich wegnimmt, begeht auch einen Dieb­<br />

stahl. Also ist Diebstahl nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es im Buche Ex20,15: „Du sollst nicht<br />

stehlen."<br />

ANTWORT. Wer <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s Diebstahls untersucht, wird<br />

dabei zwei Grün<strong>de</strong> für seine Sündhaftigkeit ent<strong>de</strong>cken.<br />

Zunächst trifft man auf <strong>de</strong>n Wi<strong>de</strong>rspruch zur <strong>Gerechtigkeit</strong>, die<br />

je<strong>de</strong>m gibt <strong>und</strong> läßt, was sein ist. Und so steht <strong>de</strong>r Diebstahl zu<br />

ihr in Gegensatz, insofern er Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

be<strong>de</strong>utet. Weiter zeigt sich noch <strong>de</strong>r Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Arglist<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Betrugs, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Dieb begeht, in<strong>de</strong>m er sich heimlich<br />

<strong>und</strong> gleichsam aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus einer frem<strong>de</strong>n Sache<br />

bemächtigt. Mithin ist es offensichtlich, daß je<strong>de</strong>r Diebstahl<br />

Sün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Wer eine frem<strong>de</strong> Sache heimlich o<strong>de</strong>r offen aufgr<strong>und</strong><br />

eines autoritativen Entscheids <strong>de</strong>s Richters wegnimmt, begeht<br />

keinen Diebstahl, <strong>de</strong>nn sie ist ihm geschul<strong>de</strong>t, weil durch rich­<br />

terliches Urteil ihm zugesprochen. Daher war es noch viel weni­<br />

ger Diebstahl, als die Söhne Israels die Ägypter auf Befehl <strong>de</strong>s<br />

Herrn beraubten, <strong>de</strong>r ihnen dies zuerkannte für die Drangsale,<br />

mit <strong>de</strong>nen die Ägypter sie ohne Gr<strong>und</strong> heimgesucht hatten.<br />

Daher sagt Weish. 10,19 ausdrücklich: „Die Gerechten trugen<br />

<strong>de</strong>n Raub von <strong>de</strong>n Gottlosen hinweg" [41].<br />

118


Zu 2. Bei gef<strong>und</strong>enen Sachen ist zu unterschei<strong>de</strong>n. Manche 66. 5<br />

waren nie Eigentum von irgendjemand, wie Perlen <strong>und</strong> E<strong>de</strong>l­<br />

steine, die man am Meeresstrand fin<strong>de</strong>t. Diese wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Fin­<br />

<strong>de</strong>r überlassen (Dig. 1,8,3; Inst. 2,1,18). Das gleiche gilt von<br />

<strong>de</strong>n Schätzen, die in alter Zeit in <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> vergraben wur<strong>de</strong>n;<br />

auch sie haben keinen Besitzer, es sei <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Fin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong><br />

nach <strong>de</strong>m Zivilgesetz gehalten, die Hälfte <strong>de</strong>m Eigentümer <strong>de</strong>s<br />

Gr<strong>und</strong>stücks zu überlassen, falls er <strong>de</strong>n F<strong>und</strong> auf frem<strong>de</strong>m<br />

Bo<strong>de</strong>n gemacht hat (Inst. 2,1,39; Cod. 10,15). Daher heißt es<br />

auch im Gleichnis <strong>de</strong>s Evangeliums nach Mt 13,44 vom Fin<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>s „verborgenen Schatzes im Acker", er habe „<strong>de</strong>n Acker<br />

gekauft", um damit <strong>de</strong>n ganzen Schatz rechtmäßig zu besitzen.<br />

- Manche Dinge befan<strong>de</strong>n sich jedoch bis vor kurzem in irgend­<br />

eines Besitz. Wer sie dann an sich nimmt ohne Absicht, sie zu<br />

behalten, son<strong>de</strong>rn um sie <strong>de</strong>m Besitzer, <strong>de</strong>r sie nicht als „verlas­<br />

sen" betrachtet, zurückzugeben, begeht keinen Diebstahl<br />

(Inst. 2,1,47). Ebenso begeht <strong>de</strong>r Fin<strong>de</strong>r keinen Diebstahl, <strong>de</strong>r<br />

Sachen behält, von <strong>de</strong>nen er annimmt, daß sie aufgegeben wur­<br />

<strong>de</strong>n. Sonst versündigt er sich durch Diebstahl (Dig. XLI, 1,9;<br />

Inst. 2,1,48). Daher sagt Augustinus in einer Predigt<br />

(Sermol78; ML38,965): „Hast du etwas gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht<br />

zurückgegeben, hast du geraubt."<br />

Zu 3. Wer heimlich sein hinterlegtes Eigentum an sich<br />

nimmt, belastet <strong>de</strong>n Verwahrer, <strong>de</strong>nn er ist zur Restitution o<strong>de</strong>r<br />

zum Beweis seiner Unschuld verpflichtet. Daher versündigt er<br />

sich ohne Zweifel <strong>und</strong> ist gehalten, <strong>de</strong>r Beschwernis <strong>de</strong>s Ver­<br />

wahrers ein En<strong>de</strong> zu machen. - Wer jedoch sein Eigentum heim­<br />

lich bei einem, <strong>de</strong>r es zu Unrecht besitzt, wegnimmt, sündigt<br />

zwar nicht, weil er <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es ihm vorenthält, Beschwer<strong>de</strong>n<br />

verschafft - <strong>de</strong>shalb ist er auch nicht zur Restitution verpflichtet<br />

-, son<strong>de</strong>rn er sündigt gegen die allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>, da er<br />

sich unter Umgehung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung ein Gerichtsurteil in<br />

eigener Sache anmaßt. Daher muß er Gott Genugtuung leisten<br />

<strong>und</strong> nach Kräften das Ärgernis, das etwa dadurch entstan<strong>de</strong>n<br />

ist, beseitigen [42].<br />

119


66. 6 6. ARTIKEL<br />

Ist Diebstahl schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. In <strong>de</strong>n Sprichwörtern 6,30 heißt es: „So groß ist die<br />

Schuld nicht, wenn jemand stiehlt. "Doch je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> besagt<br />

große Schuld. Also ist Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Der Todsün<strong>de</strong> gebührt To<strong>de</strong>sstrafe.Doch für <strong>de</strong>nDiebstahl<br />

wird nach <strong>de</strong>m Gesetz keine To<strong>de</strong>sstrafe verhängt, son<strong>de</strong>rn nur<br />

Buße gemäß Ex 22,1: „Wenn jemand ein Rind o<strong>de</strong>r Schaf<br />

stiehlt,... so soll er fünf Rin<strong>de</strong>r für ein Rind zurückgeben <strong>und</strong><br />

vier Schafe für ein Schaf." Also ist Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

3. Stehlen kann man im kleinen wie im großen. Es wäre<br />

jedoch unangemessen, jeman<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Diebstahl einer gerin­<br />

gen Sache, z. B. einer Na<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r einer Fe<strong>de</strong>r, mit <strong>de</strong>m ewigen<br />

Tod zu bestrafen. Also ist <strong>de</strong>r Diebstahl keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN verdammt das göttliche Gericht nieman<strong>de</strong>n, es<br />

sei <strong>de</strong>nn wegen einer Todsün<strong>de</strong>. Nach Zach 5,3 wird jedoch ein<br />

Verdammungsurteil wegen Diebstahls ausgesprochen: „Dies ist<br />

<strong>de</strong>r Fluch, <strong>de</strong>r ausgeht über das ganze Land: je<strong>de</strong>r Dieb, wie<br />

dort geschrieben steht, wird verdammt wer<strong>de</strong>n." Also ist Dieb­<br />

stahl eine schwere Sün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Die Caritas erfüllt die Seele mit geistlichem<br />

Leben. Darum ist ein Tun, das ihm wi<strong>de</strong>rspricht, Todsün<strong>de</strong>. Die<br />

Caritas besteht nun in erster Linie in <strong>de</strong>r Liebe zu Gott, in zwei­<br />

ter in <strong>de</strong>r Liebe zum Nächsten, <strong>und</strong> dazu gehört es, ihm Gutes<br />

zu wollen <strong>und</strong> anzutun. Durch <strong>de</strong>n Diebstahl fügt <strong>de</strong>r Mensch<br />

seinem Nächsten jedoch Scha<strong>de</strong>n an seinen Gütern zu, <strong>und</strong><br />

wenn die Menschen einan<strong>de</strong>r unterschiedslos bestehlen wür­<br />

<strong>de</strong>n, wäre es um die menschliche Gesellschaft geschehen. Daher<br />

ist Diebstahl, als Gegensatz zur Caritas, Todsün<strong>de</strong>.<br />

Zu 1. Mit geringer Schuld ist Diebstahl aus doppeltem<br />

Gr<strong>und</strong> behaftet. Erstens wegen einer Notlage, die zum Dieb­<br />

stahl führt, was die Schuld min<strong>de</strong>rt o<strong>de</strong>r gänzlich aufhebt, wie<br />

weiter unten ausgeführt wird (Art. 7). Daher heißt es dort<br />

(Spr 6,30) weiter: „Er stiehlt ja, um seinen Hunger zu stillen." -<br />

Zweitens läßt sich bei Diebstahl von geringer Schuld sprechen<br />

im Vergleich zum Vergehen <strong>de</strong>s Ehebruchs, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Tod<br />

bestraft wird (Lv20,10; Dt22,22). Daher heißt es vom Dieb<br />

weiter (V.31 f.): „Wenn er ertappt wird, soll er es siebenfach<br />

ersetzen, wer aber Ehebrecher ist, wird sein Leben verlieren."<br />

120


Zu 2. Die Strafen im gegenwärtigen Leben dienen mehr <strong>de</strong>r 66. 7<br />

Besserung als <strong>de</strong>r Vergeltung. Die Vergeltung nämlich bleibt<br />

<strong>de</strong>m göttlichen Gericht vorbehalten, das „<strong>de</strong>r Wahrheit gemäß"<br />

(Rom 2,2) über die Sün<strong>de</strong>r ergehen wird. Daher verhängt das<br />

irdische Gericht nicht für je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> die To<strong>de</strong>sstrafe, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur für jene, die unwie<strong>de</strong>rbringlichen Scha<strong>de</strong>n verursa­<br />

chen, o<strong>de</strong>r auch für jene, die Ausdruck höchster Verkommen­<br />

heit sind. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird für Diebstahl, <strong>de</strong>r wie<strong>de</strong>rgut­<br />

zumachen<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n verursacht, im irdischen Gericht keine<br />

To<strong>de</strong>sstrafe ausgesprochen, außer wenn die Schwere <strong>de</strong>s Dieb­<br />

stahls durch irgen<strong>de</strong>inen Umstand be<strong>de</strong>utend verschärft wird,<br />

wie dies offenk<strong>und</strong>ig beim Diebstahl einer gottgeweihten<br />

Sache, bei Unterschlagung öffentlicher Gel<strong>de</strong>r (vgl. Augustinus,<br />

Johanneskommentar, Tr. 50; ML 35,1762) <strong>und</strong> bei Menschen­<br />

raub <strong>de</strong>r Fall ist, worauf die To<strong>de</strong>sstrafe steht, wie aus Ex 21,16<br />

hervorgeht.<br />

Zu 3. Etwas Geringwertiges betrachtet die Vernunft gleich­<br />

sam als Nichts. Daher fühlt sich <strong>de</strong>r Mensch durch Verlust von<br />

ganz wenigem nicht geschädigt, <strong>und</strong> wer dieses wegnimmt, darf<br />

voraussetzen, daß ihm <strong>de</strong>r Eigentümer sein Verhalten nicht<br />

übelnimmt. Insoweit kann <strong>de</strong>r Dieb solch geringer Dinge von<br />

Todsün<strong>de</strong> freigesprochen wer<strong>de</strong>n. Hat er aber die Absicht, zu<br />

stehlen <strong>und</strong> dabei zu schädigen, dann kann sogar <strong>de</strong>r Diebstahl<br />

von <strong>de</strong>rlei Kleinigkeiten Todsün<strong>de</strong> sein, wie ja auch ein<br />

bloßer Gedanke dazu genügt, falls man ihm zustimmt.<br />

7. ARTIKEL<br />

Darf man aus Not stehlen?<br />

1. Buße wird nur einem Sün<strong>de</strong>r auferlegt. Doch in <strong>de</strong>r Extra<br />

(Frdbll, 810) heißt es: „Wer durch Not <strong>de</strong>s Hungers o<strong>de</strong>r Klei­<br />

<strong>de</strong>rmangels Speise, Kleidung o<strong>de</strong>r Vieh gestohlen hat, soll drei<br />

Wochen Buße tun." Also ist es nicht erlaubt, aus Not zu stehlen.<br />

2. Im II. Buch seiner Ethik (c. 6; 1107a9) schreibt Aristote­<br />

les: „Manche Handlungen besagen schon ihrem Namen nach<br />

etwas Schlechtes", <strong>und</strong> dabei nennt er <strong>de</strong>n Diebstahl. Was<br />

jedoch in sich schlecht ist, kann wegen eines guten Zweckes<br />

nicht gut wer<strong>de</strong>n. Also kann man auch nicht erlaubterweise<br />

stehlen, um seiner Not abzuhelfen.<br />

121


66. 7 3. Der Mensch muß seinen Nächsten lieben wie sich selbst.<br />

Nun darf man, wie Augustinus in seinem Buch Gegen die Sün<strong>de</strong><br />

(c. 7; ML 40,528) bemerkt, nicht stehlen, um seinem Nächsten<br />

mit einem Almosen zu helfen. Also ist es auch nicht erlaubt,<br />

sich durch Diebstahl selber zu helfen.<br />

DAGEGEN lautet <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>satz: Im Notfall gehört alles<br />

allen. Somit ist es keine Sün<strong>de</strong>, sich eines an<strong>de</strong>ren Eigentum an­<br />

zueignen, <strong>de</strong>nn die Not hat es zu einer Sache für alle gemacht.<br />

ANTWORT. Menschliches <strong>Recht</strong> kann <strong>de</strong>m natürlichen o<strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m göttlichen <strong>Recht</strong> keinen Abbruch tun. Nach <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Vorsehung eingerichteten Naturordnung nun sind<br />

die niedrigen Dinge dazu bestimmt, <strong>de</strong>r menschlichen Bedürf­<br />

tigkeit zu dienen. Daher hin<strong>de</strong>rn Verteilung <strong>und</strong> Besitznahme<br />

<strong>de</strong>r Dinge - ein Werk <strong>de</strong>s menschlichen <strong>Recht</strong>s - nicht, eben-<br />

diese Dinge zur Lin<strong>de</strong>rung menschlicher Not einzusetzen. Des­<br />

halb ist das, was einige im Uberfluß besitzen, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts, <strong>de</strong>n Armen zu ihrem Lebensunterhalt geschul<strong>de</strong>t.<br />

So sagt Ambrosius (ML 17,613-614) - es steht auch in <strong>de</strong>n<br />

Dekreten dist. 47 (Frdbl, 171) -: „Was du zurückhältst, ist Brot<br />

<strong>de</strong>r Hungrigen, was du einschließest, Kleidung <strong>de</strong>r Nackten,<br />

das Geld, das du im Bo<strong>de</strong>n vergräbst, Loskauf <strong>und</strong> Befreiung<br />

<strong>de</strong>r Elen<strong>de</strong>n." Weil es jedoch viele Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> gibt <strong>und</strong> einer<br />

mit <strong>de</strong>m, was er hat, nicht allen zu helfen vermag, bleibt es <strong>de</strong>m<br />

einzelnen überlassen, seine Sachen so einzuteilen, daß er damit<br />

<strong>de</strong>n Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n beispringen kann. Ist die Not jedoch einmal<br />

ein<strong>de</strong>utig so groß, daß man im drängen<strong>de</strong>m Fall mit <strong>de</strong>m, was<br />

sich gera<strong>de</strong> anbietet, offenk<strong>und</strong>ig Abhilfe schaffen muß, z. B.<br />

wenn einer Person Gefahr droht <strong>und</strong> an<strong>de</strong>rs nicht geholfen wer­<br />

<strong>de</strong>n kann, dann darf man mit einer frem<strong>de</strong>n Sache, sei sie nun<br />

offen o<strong>de</strong>rheimlich weggenommen, ihre Not beheben. VonDieb-<br />

stahl o<strong>de</strong>r Raub kann dann eigentlich nicht die Re<strong>de</strong> sein [43].<br />

Zu 1. Jene Bestimmung <strong>de</strong>r Dekrete faßt <strong>de</strong>n Fall ins Auge,<br />

wo keine dringen<strong>de</strong> Not vorliegt.<br />

Zu 2. Eine heimlich weggenommene frem<strong>de</strong> Sache zur<br />

Behebung äußerster Not gebrauchen, hat streng genommen<br />

mit Diebstahl nichts zu tun. Denn eine <strong>de</strong>rartige Lebenslage<br />

bewirkt, daß das, was jemand an sich nimmt, um sich am Leben<br />

zu halten, „das Seine" wird.<br />

Zu 3. Im Falle ähnlicher Not kann man heimlich etwas ent­<br />

wen<strong>de</strong>n, um auch seinem in Schwierigkeit geratenen Nächsten<br />

zu helfen.<br />

122


8. ARTIKEL 66. 8<br />

Kann Raub Sün<strong>de</strong> sein?<br />

1. Beute wird gewaltsam weggenommen, dies gehört zum<br />

Wesen <strong>de</strong>s Raubes (vgl. Art.4). Doch Beute machen bei <strong>de</strong>n<br />

Fein<strong>de</strong>n ist erlaubt, wie bei Ambrosius in seinem Buch über die<br />

Patriarchen (ML 14,427) steht: „Wenn die Beute in die Hand<br />

<strong>de</strong>s Siegers gefallen ist, verlangt die soldatische Zucht, alles <strong>de</strong>m<br />

König zu übergeben", nämlich zur Verteilung. Also ist Raub in<br />

gewissen Fällen erlaubt.<br />

2. Was einem nicht gehört, darf man ihm nehmen. Nun ist<br />

<strong>de</strong>r Besitz <strong>de</strong>r Ungläubigen nicht ihr Eigentum. Augustinus<br />

schreibt nämlich im Brief an <strong>de</strong>n Donatisten Vincentius (Brief<br />

33; ML 33,345): „Ihr nennt Dinge fälschlich euer eigen, doch<br />

besitzt ihr sie nicht rechtmäßig <strong>und</strong> müßtet sie nach <strong>de</strong>n Geset­<br />

zen <strong>de</strong>r weltlichen Könige herausgeben." Also dürfte man die<br />

Ungläubigen erlaubterweise berauben.<br />

3. Die Lan<strong>de</strong>sfürsten pressen aus ihren Untertanen mit<br />

Gewalt viel heraus, <strong>und</strong> dies ist doch wohl nichts an<strong>de</strong>res als<br />

Raub. Es wäre jedoch be<strong>de</strong>nklich, zu sagen, daß sie damit sün­<br />

digen, <strong>de</strong>nn sonst kämen fast alle Fürsten in die Hölle. Also ist<br />

Raub in gewissen Fällen erlaubt.<br />

DAGEGEN steht, daß von allem rechtmäßig Erworbenen<br />

Gott ein Opfer o<strong>de</strong>r eine Gabe dargebracht wer<strong>de</strong>n kann. Mit<br />

Raubgut darf dies jedoch nicht geschehen gemäß Is61,8:<br />

„Denn ich, <strong>de</strong>r Herr, liebe das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> hasse <strong>de</strong>n Raub als<br />

Brandopfer." Also ist es nicht erlaubt, sich durch Raub etwas zu<br />

verschaffen.<br />

ANTWORT. Raub be<strong>de</strong>utet Gewalt <strong>und</strong> Zwang, wodurch,<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zuwi<strong>de</strong>r, jeman<strong>de</strong>m weggenommen wird, was<br />

sein ist. In <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft besitzt jedoch<br />

Zwangsrecht nur die öffentliche Gewalt. Wer daher jeman<strong>de</strong>m<br />

als Privatperson ohne öffentliche Gewalt eigenmächtig etwas<br />

nimmt, han<strong>de</strong>lt unerlaubt <strong>und</strong> begeht einen Raub genau so wie<br />

die Räuber.<br />

Den Fürsten jedoch wird öffentliche Gewalt übertragen,<br />

damit sie Hüter <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> seien. Daher dürfen sie nur<br />

nach Maßgabe <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> Gewalt <strong>und</strong> Zwang anwen­<br />

<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> das heißt entwe<strong>de</strong>r im Kampf gegen die Fein<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r<br />

bei Strafaktionen gegen verbrecherische Bürger. Was bei <strong>de</strong>rar-<br />

123


66.8 tigen Gewaltanwendungen weggenommen wird, ist nicht<br />

Raub, da dies nicht gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt. Wird<br />

jedoch gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> von irgendwelchen im Namen<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt frem<strong>de</strong>s Gut entwen<strong>de</strong>t, so han<strong>de</strong>ln<br />

diese unerlaubt <strong>und</strong> begehen Raub <strong>und</strong> sind zur Restitution<br />

verpflichtet [44].<br />

Zu 1. In Sachen Beute ist zu unterschei<strong>de</strong>n. Führen die<br />

Beutemacher einen gerechten Krieg, dann geht, was sie dabei<br />

gewaltsam an sich reißen, in ihr Eigentum über. Es han<strong>de</strong>lt sich<br />

dann streng genommen nicht um Beute, <strong>und</strong> zur Restitution<br />

besteht darum auch kein Anlaß. Freilich können sich die Beute­<br />

macher in einem gerechten Krieg in schlechter Absicht durch<br />

Besitzgier versündigen, wenn sie hauptsächlich nicht wegen <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>r Beute willen kämpfen. Augustinus<br />

sagt nämlich in seinem Buch über die Worte <strong>de</strong>s Herrn<br />

(Sermo 82; ML 39,1904): „Um <strong>de</strong>r Beute willen Kriegsdienst<br />

zu leisten ist Sün<strong>de</strong>." - Wer jedoch in einem ungerechten Krieg<br />

Beute macht, begeht Raub <strong>und</strong> ist zur Restitution verpflichtet.<br />

Zu 2. Gewisse Ungläubige besitzen ihr Eigentum insofern<br />

ungerechterweise, als sie es „nach <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r Lan<strong>de</strong>sfür­<br />

sten abtreten müssen." Daher kann es ihnen gewaltsam abge­<br />

nommen wer<strong>de</strong>n, jedoch nicht mit privater, son<strong>de</strong>rn nur mit<br />

öffentlicher Autorität.<br />

Zu 3. Wenn die Fürsten von ihren Untertanen verlangen,<br />

was ihnen zur Erhaltung <strong>de</strong>s Gemeinwohls gerechterweise<br />

zusteht, so ist dies kein Raub, auch wenn dabei mit Gewalt vor­<br />

gegangen wird. Erpressen die Fürsten jedoch etwas ungerech­<br />

terweise mit Gewalt, dann ist dies genauso Raub, wie an<strong>de</strong>re<br />

Räuberei. Daher schreibt Augustinus im 4. Buch seines Gottes­<br />

staates (c.4; ML41,115): „Was sind die Königreiche ohne<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> an<strong>de</strong>res als große Räuberban<strong>de</strong>n? Denn auch die<br />

Räuberban<strong>de</strong>n, - sind sie nicht etwa kleine Königreiche?" Und<br />

bei Ez22,27 steht: „Die Fürsten in seiner Mitte gleichen Beute<br />

rauben<strong>de</strong>n Wölfen." Daher sind sie genau wie die Räuber zu<br />

Restitution verpflichtet. Dabei sündigen sie umso mehr als die<br />

Räuber, je ver<strong>de</strong>rblicher <strong>und</strong> allgemeiner sie die <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

als <strong>de</strong>ren Hüter sie berufen wur<strong>de</strong>n, mit Füßen treten.<br />

124


9. ARTIKEL 66. 9<br />

Ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl?<br />

1. Zur Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache kommt beim Dieb­<br />

stahl noch Betrug <strong>und</strong> Arglist hinzu, was beim Raub nicht <strong>de</strong>r<br />

Fall ist. Nun sind Betrug <strong>und</strong> Arglist schon für sich genommen<br />

Sün<strong>de</strong>, wie oben (55,4.5) dargelegt wur<strong>de</strong>. Also ist Diebstahl<br />

eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Raub.<br />

2. Scham ist Furcht vor schimpflichem Tun, wie es im<br />

IV. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 15; 1128 b 11) heißt. Doch die Menschen<br />

empfin<strong>de</strong>n mehr Scham über Diebstahl als über Raub. Also ist<br />

Diebstahl schimpflicher als Raub [45].<br />

3. Je mehr Menschen eine Sün<strong>de</strong> scha<strong>de</strong>t, umso schwerer scheint<br />

sie zu sein. Nun kann Diebstahl Große <strong>und</strong> Kleine treffen, Raub<br />

jedoch nur Schwache, gegen die man mit Gewalt vorgehen kann.<br />

Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Diebstahls schwerer als die <strong>de</strong>s Raubes.<br />

DAGEGEN steht, daß nach <strong>de</strong>m Gesetz Raub schwerer<br />

bestraft wird als Diebstahl.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 4) erklärt wur<strong>de</strong>, sind Raub <strong>und</strong><br />

Diebstahl Sün<strong>de</strong>n, weil dabei je<strong>de</strong>smal gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s<br />

Eigentümers etwas weggenommen wird, jedoch mit <strong>de</strong>m Un­<br />

terschied, daß beim Diebstahl Ungewolltsein wegen Nichtwis­<br />

sens, beim Raub hingegen Ungewolltsein wegen offener<br />

Gewalt vorliegt. Bei Gewaltanwendung wird <strong>de</strong>r Wille aber<br />

wirksamer ausgeschaltet als durch Nichtwissen, weil Gewalt<br />

unmittelbarer als Nichtwissen auf <strong>de</strong>n Willen einwirkt. Und<br />

<strong>de</strong>shalb ist Raub eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Diebstahl.<br />

Dazu kommt noch ein an<strong>de</strong>rer Gesichtspunkt. Beim Raub<br />

wird nicht nur Sachscha<strong>de</strong>n angerichtet, son<strong>de</strong>rn er wen<strong>de</strong>t sich<br />

auch schmachvoll <strong>und</strong> entehrend gegen die Person. Und dies ist<br />

schlimmer als Betrug o<strong>de</strong>r Arglist, die <strong>de</strong>n Diebstahl begleiten.<br />

Daraus ergibt sich die Lösung Zu 1.<br />

Zu 2. Auf Äußerlichkeiten eingestellte Menschen begeistern<br />

sich mehr für körperliche Kraftakte, wie sie beim Raub in<br />

Erscheinung treten, als für die innere Kraft <strong>de</strong>r Tugend, die<br />

durch die Sün<strong>de</strong> verlorengeht. Daher empfin<strong>de</strong>n sie über <strong>de</strong>n<br />

Raub weniger Scham als über <strong>de</strong>n Diebstahl.<br />

Zu 3. Durch Diebstahl kann wohl eine größere Anzahl als<br />

durch Raub geschädigt wer<strong>de</strong>n, doch <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n durch Raub<br />

ist größer als <strong>de</strong>r durch Diebstahl. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e ist <strong>de</strong>r<br />

Raub auch verabscheuungswürdiger.<br />

125


67 FRAGE<br />

DIE MISSACHTUNG<br />

DER GERECHTIGKEIT BEI DER<br />

AUSÜBUNG DES RICHTERAMTES<br />

Nunmehr sind die Verfehlungen gegen die ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zu behan<strong>de</strong>ln, die zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Nächsten<br />

durch Worte begangen wer<strong>de</strong>n. Dabei sind zunächst die Tätig­<br />

keiten beim Gerichtsverfahren zu untersuchen (Fr. 67-71),<br />

sodann die Verbalinjurien außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung<br />

(Fr. 72-76).<br />

Bezüglich <strong>de</strong>s ersten Punktes drängen sich 5 Themen auf:<br />

1. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Richters bei <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung.<br />

2. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Anklägers bei seiner Anklage.<br />

3. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Angeklagten bei seiner Verteidi-<br />

4. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Zeugen bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage.<br />

5. Die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Anwalts bei <strong>de</strong>r Verteidigung.<br />

Zum ersten Thema ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist?<br />

2. Ist es erlaubt, im Hinblick auf die vorgelegten Aussagen<br />

gegen das eigene bessere Wissen ein Urteil zu fällen?<br />

3. Kann <strong>de</strong>r Richter einen Nichtangeklagten gerechterweise<br />

verurteilen?<br />

4. Ist es erlaubt, eine Strafe zu erlassen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Richter über jeman<strong>de</strong>n urteilen, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist?<br />

1. Dn 13,45 ff. ist zu lesen, daß Daniel die <strong>de</strong>s falschen<br />

Zeugnisses überführten Ältesten verurteilte. Nun waren diese<br />

Ältesten nicht Daniels Untergebene, im Gegenteil, sie waren<br />

Richter <strong>de</strong>s Volkes. Also darf jemand erlaubterweise einen rich­<br />

ten, für <strong>de</strong>n er nicht zuständig ist.<br />

2. Christus, „<strong>de</strong>r König <strong>de</strong>r Könige <strong>und</strong> Herr <strong>de</strong>r Herren"<br />

(Apkl7,14) war keinem Menschen Untertan, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch<br />

126


stellte er sich einem menschlichen Gericht. Also darf man 67 1<br />

jeman<strong>de</strong>n richten, für <strong>de</strong>n man nicht zuständig ist.<br />

3. Nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> ist ein Fall vor jenem Gericht zu verhan­<br />

<strong>de</strong>ln, in <strong>de</strong>ssen Bereich die Verfehlung begangen wur<strong>de</strong>. Doch<br />

bisweilen untersteht <strong>de</strong>r Delinquent nicht <strong>de</strong>m Gericht jenes<br />

Ortes, z. B. wenn er einer an<strong>de</strong>ren Diözese angehört o<strong>de</strong>r<br />

exempt ist. Also kann jemand einen richten, für <strong>de</strong>n er nicht<br />

zuständig ist.<br />

DAGEGEN steht das Wort Gregors zur Stelle Dt23,25:<br />

„Wenn du auf <strong>de</strong>n Fruchtacker kommst [darfst du Ähren abrei­<br />

ßen, aber nichts mit <strong>de</strong>r Sichel abschnei<strong>de</strong>n]": „Er kann mit <strong>de</strong>r<br />

Sichel <strong>de</strong>s Richterspruches nicht in eine Sache eingreifen, die<br />

<strong>de</strong>r Zuständigkeit eines an<strong>de</strong>ren untersteht" (Regist. XI, ep. 64;<br />

ML 77,1192; Frdb 1,561).<br />

ANTWORT. Der Spruch <strong>de</strong>s Richters ist gleichsam ein auf<br />

<strong>de</strong>n Einzelfall zugeschnittenes Gesetz. Wie daher das allge­<br />

meine Gesetz nach Aristoteles (Eth.X,10; 1180 a 21) Zwangs­<br />

gewalt haben muß, so auch <strong>de</strong>r Spruch <strong>de</strong>s Richters. Dadurch<br />

wer<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong> Teile gezwungen, sich an das Urteil zu halten,<br />

<strong>de</strong>nn sonst wäre es wirkungslos. Erzwingungsgewalt besitzt<br />

im Staat jedoch nur <strong>de</strong>r Inhaber <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt. Und<br />

die sie ausüben, gelten als Vorgesetzte jener, über die sie, wie<br />

über Untergebene, Macht erhalten haben. So ist es klar, daß nie­<br />

mand einen richten kann, wenn ihm dieser nicht irgendwie un­<br />

tergeben ist, entwe<strong>de</strong>r aufgr<strong>und</strong> einer Vollmachtsübertragung<br />

o<strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlicher Amtsbefugnis.<br />

Zu 1. Daniel wur<strong>de</strong> die Vollmacht, jene Ältesten zu richten,<br />

gewissermaßen durch göttliche Eingebung übertragen. Dies<br />

wird ange<strong>de</strong>utet durch das Wort (V. 45): „Der Herr erweckte<br />

<strong>de</strong>n Geist eines noch jungen Mannes."<br />

Zu 2. In menschlichen Dingen kann sich jemand freiwillig<br />

<strong>de</strong>m Urteil an<strong>de</strong>rer unterstellen, auch wenn sie nicht seine Vor­<br />

gesetzten sind. Dies trifft z. B. bei jenen zu, die einen Schieds­<br />

richter anrufen. Freilich muß dann <strong>de</strong>r Schiedsspruch durch<br />

eine Strafe gesichert wer<strong>de</strong>n; die Schiedsrichter, die nicht Vor­<br />

gesetzte sind, besitzen von sich aus ja keine Erzwingungsge­<br />

walt. So unterwarf sich auch Christus freiwillig <strong>de</strong>m menschli­<br />

chen Gericht, <strong>de</strong>sgleichen Papst Leo (IV.) <strong>de</strong>m Gericht <strong>de</strong>s Kai­<br />

sers (MansiXIV,887; Frdbl,496).<br />

Zu 3. Der Bischof, in <strong>de</strong>ssen Diözese sich einer vergangen<br />

hat, wird <strong>de</strong>ssen Vorgesetzter aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Deliktes, selbst<br />

127


67. 2 wenn er exempt ist, es sei <strong>de</strong>nn, er habe sich in einer exempten<br />

Sache vergangen, z. B. in <strong>de</strong>r Verwaltung eines exempten Klo­<br />

sters. Hat ein Exempter jedoch Diebstahl, Mord o<strong>de</strong>r ähnliches<br />

verschul<strong>de</strong>t, kann er durch <strong>de</strong>n Bischof rechtmäßig verurteilt<br />

wer<strong>de</strong>n [46].<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, angesichts <strong>de</strong>r vorgebrachten Aussagen ein Urteil<br />

gegen das eigene bessere Wissen zu fällen?<br />

1. Dt 17,9 heißt es: „Du sollst vor die Priester vom<br />

Geschlecht Levi treten <strong>und</strong> vor <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>r dann im Amte<br />

ist, <strong>und</strong> Umfragen anstellen lassen; so wer<strong>de</strong>n sie dir das <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit gemäße Urteil verkün<strong>de</strong>n." Doch bisweilen wird<br />

Unwahres vorgebracht, wie z. B. wenn etwas durch falsche<br />

Zeugen bewiesen wird. Also ist es <strong>de</strong>m Richter nicht erlaubt,<br />

nach <strong>de</strong>m, was vorgebracht <strong>und</strong> bewiesen wird, gegen sein eige­<br />

nes besseres Wissen ein Urteil zu fällen.<br />

2. Der richten<strong>de</strong> Mensch muß sich <strong>de</strong>m Gericht Gottes an­<br />

gleichen, <strong>de</strong>nn „Gottes ist das Gericht", wie es Dt 1,7 heißt. Nun<br />

„ist Gottes Gericht <strong>de</strong>r Wahrheit gemäß" (Rom 2,2) <strong>und</strong><br />

Is 11,3 f. wird von Christus geweissagt: „Er richtet nicht nach<br />

<strong>de</strong>m Augenschein, noch urteilt er nach <strong>de</strong>m Hörensagen, son­<br />

<strong>de</strong>rn er richtet die Armen nach <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> urteilt mit<br />

Billigkeit über die Demütigen <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>." Also darf <strong>de</strong>r Richter<br />

angesichts <strong>de</strong>r ihm vorgelegten Beweise nicht ein Urteil gegen<br />

sein eigenes besseres Wissen fällen.<br />

3. Vor Gericht wer<strong>de</strong>n Beweise verlangt, damit sich <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter eine Meinung vom wahren Sachverhalt bil<strong>de</strong>n kann. Zur<br />

Klarstellung bekannter Dinge bedarf es daher keines Gerichts­<br />

verfahrens gemäß 1 Tim 5,24: „Die Sün<strong>de</strong>n mancher Leute lie­<br />

gen offen zutage, sie laufen ihnen gleichsam voraus zum<br />

Gericht." Kennt <strong>de</strong>r Richter also von sich aus die Wahrheit, darf<br />

er auf die vorgebrachten Beweise keine Rücksicht nehmen, son­<br />

<strong>de</strong>rn muß seinen Spruch nach <strong>de</strong>r ihm bekannten Wahrheit fäl­<br />

len.<br />

4. „Gewissen" heißt soviel wie Anwendung <strong>de</strong>s Wissens auf<br />

das Tun (vgl.I 79,13). Doch gegen das Gewissen han<strong>de</strong>ln ist<br />

Sün<strong>de</strong>. Also sündigt <strong>de</strong>r Richter, wenn er entgegen seinem Wis-<br />

128


sen um die Wahrheit nach <strong>de</strong>n vorliegen<strong>de</strong>n Prozeßakten sein 67 2<br />

Urteil fällt.<br />

DAGEGEN steht, was Ambrosius in einer Homilie zum<br />

Psalm 118 (ML15,1571) schreibt: „Ein guter Richter entschei­<br />

<strong>de</strong>t nicht nach eigenem Gutdünken, son<strong>de</strong>rn er fällt seinen<br />

Spruch nach Gesetz <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>." Dies be<strong>de</strong>utet aber nach <strong>de</strong>m<br />

urteilen, was im Gericht vorgebracht <strong>und</strong> bewiesen wird. Also<br />

muß sich <strong>de</strong>r Richter daran halten <strong>und</strong> darf nicht seiner eigenen<br />

Meinung folgen.<br />

ANTWORT. Wie (60,6) gesagt, kommt das <strong>Recht</strong>sprechen<br />

<strong>de</strong>m Richter zu als bestelltem Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Macht.<br />

Deshalb darf ihn bei seiner Tätigkeit nicht das leiten, was er als<br />

Privatperson weiß, son<strong>de</strong>rn die Kenntnis, die er als öffentliche<br />

Person besitzt. Diese Kenntnis nun wird ihm vermittelt im all­<br />

gemeinen <strong>und</strong> im beson<strong>de</strong>ren. Im allgemeinen durch die öffent­<br />

lichen Gesetze, göttliche <strong>und</strong> menschliche: gegen sie darf er<br />

keine Beweise gelten lassen. Im beson<strong>de</strong>ren, d. h. im einzelnen<br />

Fall, durch Beweismittel, Zeugen <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>rgleichen recht­<br />

mäßige Bürgschaften. Diesen muß er bei <strong>de</strong>r Verhandlung mehr<br />

folgen als seinem Wissen als Privatperson. Er kann jedoch seine<br />

eigene Uberzeugung mitspielen lassen, in<strong>de</strong>m er die vor­<br />

gebrachten Beweise einer schärferen Prüfung unterzieht, um<br />

ihre Schwachstellen herauszustellen. Kann er sie jedoch recht­<br />

lich nicht zurückweisen, dann muß er, wie gesagt (DAGEGEN),<br />

sein Urteil darauf stützen [47].<br />

Zu 1. Jener Text über die Umfrage durch die Richter wird<br />

vorausgeschickt, um klarzustellen, daß die Richter nach <strong>de</strong>m<br />

urteilen müssen, was ihnen vorgelegt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 2. Gott fällt seine Urteile aus eigener Machtbefugnis,<br />

<strong>und</strong> daher richtet er sich dabei nach <strong>de</strong>r Wahrheit, die er selber<br />

weiß, <strong>und</strong> nicht nach <strong>de</strong>m, was er von an<strong>de</strong>ren erfährt. Das<br />

gleiche gilt von Christus, <strong>de</strong>r wahrer Gott <strong>und</strong> wahrer Mensch<br />

ist. Die übrigen Richter j edoch fällen ihre Urteile nicht aus eigener<br />

Machtbefugnis. Daher sind die bei<strong>de</strong>n Fälle nicht vergleichbar.<br />

Zu 3. Der Apostel spricht von <strong>de</strong>m Fall, daß <strong>de</strong>r Tatbestand<br />

nicht nur <strong>de</strong>m Richter, son<strong>de</strong>rn auch an<strong>de</strong>ren bekannt ist.<br />

Daher kann <strong>de</strong>r Schuldige auf keine Weise sein Verbrechen in<br />

Abre<strong>de</strong> stellen, son<strong>de</strong>rn er wird sogleich durch <strong>de</strong>n offenk<strong>und</strong>i­<br />

gen Tatbestand überführt. Ist er aber nur <strong>de</strong>m Richter, jedoch<br />

nicht an<strong>de</strong>ren bekannt o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>m Richter,<br />

dann läßt sich ein Prozeßverfahren nicht umgehen.<br />

129


67 3 Zu 4. Für sich selber muß <strong>de</strong>r Mensch sein Gewissen nach<br />

eigenem Wissen bil<strong>de</strong>n. Han<strong>de</strong>lt er jedoch in öffentlicher Funk­<br />

tion, dann gilt für seine Gewissensinformation nur, was in<br />

einem öffentlichen Gerichtsverfahren herauskommen kann<br />

usw.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Richter tätig wer<strong>de</strong>n, auch wenn kein Kläger<br />

vorhan<strong>de</strong>n ist?<br />

1. Die menschliche <strong>Gerechtigkeit</strong> leitet sich von <strong>de</strong>r göttli­<br />

chen ab. Doch Gott richtet die Sün<strong>de</strong>r auch dann, wenn es kei­<br />

nen Ankläger gibt. Also kann in gleicher Weise <strong>de</strong>r Mensch<br />

gerichtlich jeman<strong>de</strong>n verurteilen, wenn kein Kläger vorhan<strong>de</strong>n<br />

ist.<br />

2. Der Ankläger ist bei einem Gerichtsverfahren nötig,<br />

damit das Verbrechen <strong>de</strong>m Richter vorgetragen wird. Doch bis­<br />

weilen kann das Verbrechen auf an<strong>de</strong>re Weise als auf <strong>de</strong>m<br />

Anklageweg vor <strong>de</strong>n Richter gelangen, z. B. durch Anzeige,<br />

durch üblen Ruf o<strong>de</strong>r wenn <strong>de</strong>r Richter selbst darauf stößt. Also<br />

kann <strong>de</strong>r Richter jeman<strong>de</strong>n ohne Ankläger verurteilen.<br />

3. Die Taten <strong>de</strong>r Heiligen wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Hl. Schrift als Vor­<br />

bil<strong>de</strong>r für das menschliche Leben erzählt. Nun war Daniel zu­<br />

gleich Ankläger <strong>und</strong> Richter im Fall <strong>de</strong>r ruchlosen Ältesten, wie<br />

bei Dn 13,45 ff. geschrieben steht. Also ist es nicht gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn jemand als Richter einen verurteilt <strong>und</strong> zu­<br />

gleich als Ankläger gegen ihn auftritt.<br />

DAGEGEN steht, was Ambrosius bei <strong>de</strong>r Auslegung von<br />

1 Kor 5,2 (ML 17,208) zur Ansicht <strong>de</strong>s Apostels über <strong>de</strong>n<br />

Unzüchtigen schreibt: „Der Richter darf nicht ohne Ankläger<br />

verurteilen, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr hat <strong>de</strong>n Judas, <strong>de</strong>r ein Dieb war, in<br />

keiner Weise von sich gestoßen, <strong>und</strong> zwar <strong>de</strong>shalb, weil er nicht<br />

angeklagt war."<br />

ANTWORT. Der Richter sagt, was im einzelnen Gerechtig­<br />

keit ist. „Daher nehmen die Leute", wie Aristoteles im V. Buch<br />

seiner Ethik (c.4; 1132 a 20) bemerkt, „ihre Zuflucht zum Rich­<br />

ter wie zur lebendigen <strong>Gerechtigkeit</strong>." Die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bezieht sich jedoch, wie oben (58,2) betont, nicht auf einen<br />

selbst, son<strong>de</strong>rn regelt die Beziehungen zu an<strong>de</strong>ren. Daher muß<br />

<strong>de</strong>r Richter zwischen Zweien entschei<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dies setzt vor-<br />

130


aus, daß <strong>de</strong>r eine Kläger <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Angeklagter ist. Aus 67 3<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e kann <strong>de</strong>r Richter jeman<strong>de</strong>n in Kriminalfällen<br />

nur verurteilen, wenn ein Kläger auftritt gemäß jenem Wort<br />

Apg25,16: „Bei <strong>de</strong>n Römern ist es nicht üblich, einen Men­<br />

schen zu verurteilen, bevor <strong>de</strong>r Angeklagte <strong>de</strong>n Anklägern ge­<br />

genübergestellt <strong>und</strong> ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben<br />

wur<strong>de</strong>, um sich von <strong>de</strong>n Verbrechen, die ihm vorgeworfen wer­<br />

<strong>de</strong>n, zu entlasten" [48].<br />

Zu 1. In seinem Gericht weist Gott <strong>de</strong>m Gewissen <strong>de</strong>s Sün­<br />

<strong>de</strong>rs die Funktion <strong>de</strong>s Anklägers zu gemäß Röm2,15: „Ihre<br />

Gedanken klagen sich gegenseitig an <strong>und</strong> verteidigen sich."<br />

Auch spielt die Evi<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>r Tatsachen die gleiche Rolle gemäß<br />

Gn 4,10: „Das Blut <strong>de</strong>ines Bru<strong>de</strong>rs Abel schreit auf zu mir von<br />

<strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>."<br />

Zu 2. Der schlechte Ruf in <strong>de</strong>r Öffentlichkeit übt das<br />

Geschäft <strong>de</strong>s Anklägers aus. Daher schreibt die Glosse (interlin.<br />

1,45 v) zu Gn 4,10 „Das Blut <strong>de</strong>ines Bru<strong>de</strong>rs Abel" usw.: „Die<br />

Offenk<strong>und</strong>igkeit <strong>de</strong>s Verbrechens braucht keinen Ankläger." -<br />

Die Anzeige jedoch hat, wie oben (33,7) erwähnt, nicht die<br />

Bestrafung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs zum Ziel, son<strong>de</strong>rn seine Besserung.<br />

Daher geschieht nichts gegen <strong>de</strong>n angezeigten Sün<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn<br />

man tut etwas für ihn. Aus diesem Gr<strong>und</strong> bedarf es hier eben­<br />

falls keines Anklägers. Wi<strong>de</strong>rspenstigkeit gegen die Kirche wird<br />

hingegen ohne beson<strong>de</strong>ren Ankläger bestraft, <strong>de</strong>nn dieses Ver­<br />

gehen ist ebenfalls offenk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> klagt sich selber an. - Ent­<br />

<strong>de</strong>ckt <strong>de</strong>r Richter persönlich ein Verbrechen, so kann er ein<br />

Urteil nur nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r offiziellen <strong>Recht</strong>sordnung<br />

fällen.<br />

Zu 3. Gott steht für sein Gericht die eigene Kenntnis <strong>de</strong>r<br />

Wahrheit zur Verfügung, nicht aber <strong>de</strong>m Menschen (Art. 2,3).<br />

Daher kann <strong>de</strong>r Mensch nicht wie Gott zugleich Ankläger,<br />

Richter <strong>und</strong> Zeuge sein. Daniel jedoch war in seiner Person<br />

Ankläger <strong>und</strong> Richter <strong>und</strong> vollzog unter Gottes Eingebung<br />

gleichsam an <strong>de</strong>ssen Stelle das Gericht (Art. 1,1).<br />

131


4. ARTIKEL<br />

Darf <strong>de</strong>r Richter die Strafe erlassen?<br />

1. Bei Jak2,13 steht: „Ein Gericht ohne Erbarmen hat zu<br />

erwarten, wer kein Erbarmen kennt." Doch niemand wird<br />

bestraft, weil er nicht tut, was er erlaubterweise nicht tun kann.<br />

Also kann je<strong>de</strong>r Richter Barmherzigkeit üben, in<strong>de</strong>m er die<br />

Strafe erläßt.<br />

2. Menschliches Richten muß das göttliche Gericht nachah­<br />

men. Nun läßt Gott <strong>de</strong>n reuigen Sün<strong>de</strong>rn die Strafe nach, <strong>de</strong>nn<br />

„er will nicht <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Tod", wie es bei Ez 18,23 heißt. Also<br />

kann auch <strong>de</strong>r menschliche Richter <strong>de</strong>m reuigen Angeklagten<br />

die Strafe erlassen.<br />

3. Je<strong>de</strong>r kann tun, was ihm nützt <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren nicht scha<strong>de</strong>t.<br />

Dem Schuldigen die Strafe erlassen ist jedoch für diesen von<br />

N<strong>utz</strong>en <strong>und</strong> scha<strong>de</strong>t keinem. Also kann <strong>de</strong>r Richter <strong>de</strong>m Schul­<br />

digen erlaubterweise die Strafe erlassen.<br />

DAGEGEN heißt es Dt 13,8 f. von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Rat gibt,<br />

an<strong>de</strong>ren Göttern zu dienen: „Dein Auge schone seiner nicht,<br />

daß du vielleicht Mitleid habest <strong>und</strong> ihn verbergen möchtest,<br />

son<strong>de</strong>rn töte ihn auf <strong>de</strong>r Stelle." Und vom Mör<strong>de</strong>r heißt es<br />

Dt 19,12 f: „Er soll sterben <strong>und</strong> du sollst kein Erbarmen mit<br />

ihm haben."<br />

ANTWORT. Wie aus <strong>de</strong>m obigen (2,3) hervorgeht, sind in<br />

<strong>de</strong>r vorliegen<strong>de</strong>n Frage beim Richter zwei Gesichtspunkte zu<br />

be<strong>de</strong>nken. Einmal muß er zwischen Ankläger <strong>und</strong> Schuldigem<br />

richten, sodann aber fällt er seinen Spruch nicht aus eigener<br />

Machtbefugnis, son<strong>de</strong>rn als Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität.<br />

Zwei Grün<strong>de</strong> also verbieten es <strong>de</strong>m Richter, <strong>de</strong>m Schuldigen die<br />

Strafe zu erlassen. Erstens die Rücksicht auf <strong>de</strong>n Ankläger, <strong>de</strong>r<br />

die Bestrafung wegen eines erlittenen Unrechts mit gutem<br />

Gr<strong>und</strong> erwarten kann. Ein Nachlaß liegt nicht im Belieben <strong>de</strong>s<br />

Richters, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r muß je<strong>de</strong>m sein <strong>Recht</strong> geben.<br />

Zweitens verwehrt es ihm <strong>de</strong>r Staat, in <strong>de</strong>ssen Namen er sein<br />

Amt ausübt <strong>und</strong> zu <strong>de</strong>ssen Gemeinwohl es gehört, daß die<br />

Übeltäter bestraft wer<strong>de</strong>n. Dennoch gibt es hier einen Unter­<br />

schied zwischen <strong>de</strong>n untergeordneten Richtern <strong>und</strong> <strong>de</strong>m ober­<br />

sten Richter, nämlich <strong>de</strong>m Fürsten, <strong>de</strong>m die öffentliche Gewalt<br />

in vollem Umfang anvertraut ist. Der untergeordnete Richter<br />

nämlich besitzt keine Befugnis, einem Schuldigen gegen die von<br />

132


seinem Vorgesetzten im auferlegten Gesetze die Strafe zu erlas- 67. 4<br />

sen. Daher bemerkt Augustinus zum Johanneswort (19,11) „Du<br />

hättest keine Macht über mich": „Gott hat <strong>de</strong>m Pilatus nur eine<br />

<strong>de</strong>rart <strong>de</strong>m Kaiser untergeordnete Macht verliehen, daß es nicht<br />

in seinem Belieben stand, <strong>de</strong>n Angeklagten freizugeben" (In<br />

Joh.,Tr. 116; ML35,1943). Doch <strong>de</strong>r Fürst, <strong>de</strong>rvolle Macht im<br />

Staate besitzt, kann, wenn das Opfer <strong>de</strong>r Untat damit einver­<br />

stan<strong>de</strong>n ist <strong>und</strong> es <strong>de</strong>m Gemeinwohl nicht zum Scha<strong>de</strong>n aus­<br />

schlägt, <strong>de</strong>n Schuldigen erlaubterweise ohne Strafe davonkom­<br />

men lassen.<br />

Zu 1. Barmherzigkeit kann <strong>de</strong>r Richter in Dingen walten<br />

lassen, die seinem Ermessen freistehen, wo es nach <strong>de</strong>n Worten<br />

<strong>de</strong>s Aristoteles (Eth.V, 14; 1138 a 1) „Zeichen <strong>de</strong>s guten Men­<br />

schen ist, die Strafe zu mil<strong>de</strong>rn." Wo jedoch die Bestimmungen<br />

<strong>de</strong>s göttlichen o<strong>de</strong>r menschlichen Gesetzes herrschen, steht es<br />

ihm nicht zu, Nachsicht zu üben.<br />

Zu 2. Gott besitzt die höchste richterliche Gewalt, <strong>und</strong> ihm<br />

unterliegt alles, was gegen irgendjemand gesündigt wird. Daher<br />

steht es ihm frei, die Strafe zu erlassen, zumal die Sün<strong>de</strong> vor<br />

allem <strong>de</strong>shalb die Strafe verdient, weil sie gegen ihn gerichtet ist.<br />

Doch verzichtet er nur <strong>de</strong>shalb auf Bestrafung, weil dies seiner<br />

Güte, diesem Quellgr<strong>und</strong> all seiner Gesetze, entspricht.<br />

Zu 3. Wenn <strong>de</strong>r Richter unter Mißachtung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sord­<br />

nung Strafe erließe, fügte er <strong>de</strong>r Gemeinschaft Scha<strong>de</strong>n zu, für<br />

die es gut ist, wenn die Übeltäter bestraft wer<strong>de</strong>n, damit das<br />

Sündigen unterbleibt. Daher fährt Dt 13,11 nach <strong>de</strong>r Erwäh­<br />

nung <strong>de</strong>r Strafe für <strong>de</strong>n Verführer fort: „Damit ganz Israel es<br />

höre <strong>und</strong> sich fürchte <strong>und</strong> fernerhin nicht mehr etwas <strong>de</strong>rglei­<br />

chen tue." Der Richter scha<strong>de</strong>te aber auch <strong>de</strong>m Opfer <strong>de</strong>r Un­<br />

gerechtigkeit, das in <strong>de</strong>r Bestrafung <strong>de</strong>s Übeltäters eine gewisse<br />

Wie<strong>de</strong>rherstellung seiner Ehre erblickt.<br />

133


68. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTE ANKLAGE<br />

Nun steht das Thema „ungerechte Anklage" zur Behandlung<br />

an. Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben?<br />

2. Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n?<br />

3. Wodurch wird eine Anklage verwerflich?<br />

4. Wie sind böswillige Ankläger zu bestrafen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist man verpflichtet, Anklage zu erheben ?<br />

1. Niemand wird wegen einer Sün<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Erfüllung eines<br />

göttlichen Gebotes entschuldigt, <strong>de</strong>nn sonst zöge er aus seiner<br />

Sün<strong>de</strong> einen Vorteil. Doch manche wer<strong>de</strong>n wegen einer Sün<strong>de</strong><br />

unfähig, als Kläger aufzutreten, wie z. B. die Exkommunizier­<br />

ten, die Ehrlosen <strong>und</strong> die größerer Verbrechen Angeklagten,<br />

bevor ihre Unschuld erwiesen ist. Also ist man durch göttliches<br />

Gebot nicht gehalten, Anklage zu erheben.<br />

2. Je<strong>de</strong> Pflicht hängt von <strong>de</strong>r Liebe ab, die „das Ziel <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes ist". Daher heißt es Rom 13,8: „Bleibt niemand etwas<br />

schuldig, nur die Liebe schul<strong>de</strong>t ihr einan<strong>de</strong>r immer." Doch die<br />

Liebe schul<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch allen, <strong>de</strong>n Großen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kleinen,<br />

<strong>de</strong>n Untergebenen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Vorgesetzten. Da nun die Unterge­<br />

benen nicht die Vorgesetzten <strong>und</strong> die Kleinen nicht die Großen<br />

anklagen sollen, wie durch mehrere Kapitel in <strong>de</strong>n Dekreten<br />

II, q. 7 (Frdb1,483 ff.) dargelegt wird, ist offenbar niemand ver­<br />

pflichtet, Klage zu erheben.<br />

3. Niemand ist verpflichtet, gegen die Treue zu han<strong>de</strong>ln, die<br />

er <strong>de</strong>m Fre<strong>und</strong> schul<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>nn er darf einem an<strong>de</strong>ren nicht<br />

antun, was er selbst von ihm nicht zugefügt haben möchte. Nun<br />

be<strong>de</strong>utet jeman<strong>de</strong>n anklagen bisweilen einen Verstoß gegen die<br />

Treue, die man <strong>de</strong>m Fre<strong>und</strong> schul<strong>de</strong>t, wie es Sprll,13 heißt:<br />

„Wer trügerisch wan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ckt Geheimnisse auf, wer aber treu<br />

ist, schweigt über das, was <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ihm anvertraut hat." Also<br />

ist man nicht gehalten, Anklage zu erheben.<br />

134


DAGEGEN heißt es Lv 5,1: „Wenn jemand dadurch sündigt, 68. 1<br />

daß er einem Fluchen<strong>de</strong>n zuhört <strong>und</strong> also Augenzeuge ist, es<br />

jedoch nicht anzeigt, macht er sich schuldig."<br />

ANTWORT. Wie oben (67,3,2) dargelegt, besteht <strong>de</strong>r Unter­<br />

schied zwischen Anzeige <strong>und</strong> Anklage darin, daß die Anzeige<br />

die Besserung <strong>de</strong>s Mitbru<strong>de</strong>rs im Auge hat, während die<br />

Anklage auf die Bestrafung <strong>de</strong>s Verbrechens ausgeht. Die Stra­<br />

fen <strong>de</strong>s gegenwärtigen Lebens jedoch sind nicht an sich gefor­<br />

<strong>de</strong>rt - <strong>de</strong>nn hienie<strong>de</strong>n ist nicht die endgültige Zeit <strong>de</strong>r Vergel­<br />

tung -, son<strong>de</strong>rn als Heilmittel zur Besserung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs o<strong>de</strong>r<br />

zum Wohl <strong>de</strong>s Gemeinwesens, <strong>de</strong>ssen Frie<strong>de</strong> durch die Bestra­<br />

fung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r gesichert wird. Das erste hat, wie gesagt, die<br />

Anzeige im Sinn, das zweite bezweckt man mit <strong>de</strong>r Anklage.<br />

Wenn daher ein Verbrechen ein Ausmaß angenommen hat, daß<br />

es <strong>de</strong>n Staat bedroht, besteht die Verpflichtung zur Klageerhe­<br />

bung - ausreichen<strong>de</strong>r Beweis vorausgesetzt; sich <strong>de</strong>ssen zu ver­<br />

sichern, ist Pflicht <strong>de</strong>s Anklägers -, z. B. wenn jeman<strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong><br />

zum leiblichen o<strong>de</strong>r geistlichen Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>s Volkes aus­<br />

schlägt. Erreicht die Sün<strong>de</strong> aber nicht eine <strong>de</strong>rartige soziale<br />

Auswirkung o<strong>de</strong>r läßt sie sich nicht genügend beweisen, so<br />

besteht keine Verpflichtung, eine Klage anzustrengen, <strong>de</strong>nn nie­<br />

mand ist zu etwas verpflichtet, was er nicht sachgerecht zu lei­<br />

sten vermag.<br />

Zu 1. Es stimmt tatsächlich, daß <strong>de</strong>r Mensch wegen einer<br />

Sün<strong>de</strong> unfähig wird, zu tun, was alle tun müssen, z. B. das<br />

ewige Leben verdienen o<strong>de</strong>r die Sakramente empfangen. Doch<br />

zieht <strong>de</strong>r Mensch daraus keineswegs einen Vorteil, in Wirklich­<br />

keit nämlich be<strong>de</strong>utet nicht tun können, was man tun sollte,<br />

schwerste Strafe, <strong>de</strong>nn seine Vollkommenheit erlangt <strong>de</strong>r<br />

Mensch durch tugendhaftes Tun.<br />

Zu 2. Untergebene, die das Leben ihrer Vorgesetzten „nicht<br />

aus Liebe, son<strong>de</strong>rn in bösartiger Absicht in Verruf bringen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Kritik aussetzen wollen", dürfen gegen sie keine Klage erhe­<br />

ben (Frdbl,488). Das gleiche gilt nach <strong>de</strong>n Dekreten II,q. 7<br />

(Frdbl,488) für verbrecherische Untergebene. Sonst jedoch<br />

dürfen Untergebene ihre Vorgesetzten aus Liebe anklagen, falls<br />

sie die nötigen Voraussetzungen dazu haben.<br />

Zu 3. Geheimnisse zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r betreffen<strong>de</strong>n Person<br />

enthüllen, verstößt gegen die Treue, nicht aber wenn sie ans<br />

Licht <strong>de</strong>r Öffentlichkeit gezogen wer<strong>de</strong>n zum Vorteil <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls, das <strong>de</strong>m Wohl <strong>de</strong>s einzelnen stets vorgeht. Des-<br />

135


68. 2 halb darf man sich auch auf kein Geheimnis einlassen, das sich<br />

gegen das Gemeinwohl richtet. - Jedoch ist das, was sich durch<br />

vollgültige Zeugen beweisen läßt, kein Geheimnis [49].<br />

2. ARTIKEL<br />

Muß die Anklage schriftlich abgefaßt wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Die Schrift wur<strong>de</strong> zur Unterstützung <strong>de</strong>s Gedächtnisses<br />

erf<strong>und</strong>en, damit es das Vergangene besser behalten kann. Doch<br />

eine Anklage hat Gegenwärtiges zum Thema. Also ist es nicht<br />

nötig, sie schriftlich abzufassen.<br />

2. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 8 (Frdbl,503) steht: „Ein Abwe­<br />

sen<strong>de</strong>r kann we<strong>de</strong>r anklagen noch von jemand angeklagt wer­<br />

<strong>de</strong>n." Die Schrift aber dient gera<strong>de</strong> dazu, Abwesen<strong>de</strong>n etwas<br />

mitzuteilen (vgl. Augustinus: Über die Dreifaltigkeit, 10,1;<br />

ML 42,972). Also ist eine schriftliche Abfassung <strong>de</strong>r Anklage<br />

überflüssig, zumal ein Kanon bestimmt, daß „keine Anklage<br />

schriftlich angenommen wer<strong>de</strong>n darf" (Frdb 1,503).<br />

3. Man kann jemand eines Verbrechens überführen sowohl<br />

durch Anklage wie durch Anzeige. Doch eine Anzeige braucht<br />

man nicht schriftlich abzufassen. Also auch nicht eine Anklage.<br />

DAGEGEN heißt es in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,503):<br />

„Ankläger ohne schriftlich aufgesetzten Text dürfen nicht zuge­<br />

lassen wer<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Wie oben (67,3) bemerkt, ist <strong>de</strong>r Ankläger in<br />

einem Kriminalprozeß Partei, so daß <strong>de</strong>r Richter zur Prüfung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>slage in <strong>de</strong>r Mitte zwischen <strong>de</strong>m Ankläger <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

Angeklagten steht. Dabei muß er zu möglichst sicheren<br />

Erkenntnissen gelangen. Weil jedoch nur mündlich Vorgebrach­<br />

tes leicht vergessen wird, stün<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Richter bei seiner Urteils­<br />

verkündung das Was- <strong>und</strong> Wie-Gesagte nicht sicher vor Augen.<br />

Daher gibt es die kluge Bestimmung, daß die Anklage, wie<br />

überhaupt alles, was zu einer Gerichtsverhandlung gehört,<br />

schriftlich abzufassen ist [50].<br />

Zu 1. Es ist schwer, sich bei <strong>de</strong>r Menge <strong>und</strong> Mannigfaltigkeit<br />

<strong>de</strong>s Gesprochenen einzelne Worte zu merken. Beweis dafür ist<br />

die Tatsache, daß viele, die das gleiche gehört haben, schon nach<br />

kurzer Zeit, wenn man sie danach fragt, verschie<strong>de</strong>ne Antwor­<br />

ten geben. Und doch än<strong>de</strong>rt schon ein geringer Unterschied in<br />

<strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>n Sinn! Daher ist es für die Sicherheit <strong>de</strong>s Urteils,<br />

136


auch wenn es <strong>de</strong>r Richter schon bald nach Abschluß <strong>de</strong>r Ver- 68. 3<br />

handlung verkün<strong>de</strong>n muß, von Vorteil, wenn die Anklage<br />

schriftlich abgefaßt wird.<br />

Zu 2. Schriftliche Abfassung ist nicht nur nötig, wenn die<br />

Person, die etwas mitteilt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r etwas mitgeteilt wer<strong>de</strong>n<br />

muß, abwesend ist, son<strong>de</strong>rn auch wenn die Sache sich zeitlich<br />

hinzieht (Zul). Wenn daher <strong>de</strong>r Kanon sagt, daß „keine<br />

Anklage schriftlich angenommen wer<strong>de</strong>n darf", so ist dies vom<br />

Abwesen<strong>de</strong>n zu verstehen, <strong>de</strong>r seine Anklage brieflich ein­<br />

reicht. Dies schließt jedoch nicht aus, daß, wenn <strong>de</strong>r Ankläger<br />

anwesend ist, ein Schriftsatz verlangt wird.<br />

Zu 3. Wer anzeigt, verpflichtet sich nicht, Beweise vorzule­<br />

gen. Deshalb wird er auch nicht bestraft, wenn er keine hat. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> ist für die Anzeige auch keine Nie<strong>de</strong>rschrift<br />

nötig, son<strong>de</strong>rn ausreichend, wenn die Anzeige <strong>de</strong>r kirchlichen<br />

Autorität mündlich vorgetragen wird, die dann von Amts<br />

wegen zusieht, daß <strong>de</strong>r Mitbru<strong>de</strong>r auf bessere Wege kommt<br />

[51].<br />

3. ARTIKEL<br />

Wird die Anklage ungerecht durch Verleumdung, Verheimlichung<br />

(praevaricatio) <strong>und</strong> Wi<strong>de</strong>rruf (tergiversatio)? [52]<br />

1. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,453) steht: „Verleum<strong>de</strong>n<br />

heißt falsche Verbrechen angeben". Doch bisweilen wirft<br />

jemand einem aus entschuldbarer Unkenntnis <strong>de</strong>r Tatsachen ein<br />

falsches Verbrechen vor. Also wird die Anklage im Fall von Ver­<br />

leumdung nicht immer ungerecht.<br />

2. Ebendort heißt es: „Praevaricari be<strong>de</strong>utet: wahre Verbre­<br />

chen verheimlichen". Doch dies scheint nicht unerlaubt zu sein,<br />

<strong>de</strong>nn man ist nicht gehalten, alle Verbrechen aufzu<strong>de</strong>cken, wie<br />

oben (Art. 1; 33,7) gesagt wur<strong>de</strong>. Also wird die Anklage durch<br />

eine <strong>de</strong>rartige Verheimlichung nicht ungerecht.<br />

3. Ebenfalls steht dort: „Tergiversari heißt: gänzlich von <strong>de</strong>r<br />

Anklage zurücktreten". Doch dies kann ohne Ungerechtigkeit<br />

geschehen; man liest dort nämlich weiter: „Reut es einen, über<br />

etwas nicht Beweisbares eine Strafklage eingereicht <strong>und</strong> schrift­<br />

lich nie<strong>de</strong>rgelegt zu haben, so soll er sich mit <strong>de</strong>m Angeklagten<br />

verständigen, <strong>und</strong> die Sache ist beigelegt". Also wird die<br />

Anklage durch Wi<strong>de</strong>rruf nicht ungerecht.<br />

137


68. 3 DAGEGEN heißt es an <strong>de</strong>r gleichen Stelle: „Die Unbedacht­<br />

samkeit <strong>de</strong>s Anklägers zeigt sich auf dreierlei Weise: entwe<strong>de</strong>r<br />

verleum<strong>de</strong>t er o<strong>de</strong>r er verheimlicht o<strong>de</strong>r er leistet Wi<strong>de</strong>rruf".<br />

ANTWORT. Wer eine Klage erhebt, möchte durch die<br />

Bekanntmachung <strong>de</strong>s Verbrechens <strong>de</strong>m Gemeinwohl einen<br />

Dienst erweisen. Niemand aber darf einem ungerecht Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügen, um das Gemeinwohl zu för<strong>de</strong>rn. Daher wird die<br />

Anklage aus zweifachem Gr<strong>und</strong> sündhaft. Einmal durch unge­<br />

rechtes Vorgehen gegen <strong>de</strong>n Angeklagten, in<strong>de</strong>m man ihn<br />

erf<strong>und</strong>ener Verbrechen bezichtigt, <strong>und</strong> das heißt „verleum<strong>de</strong>n".<br />

- Sodann im Hinblick auf <strong>de</strong>n Staat, <strong>de</strong>ssen Wohl man durch die<br />

Anklage hauptsächlich dienen will: eine solche Absicht wird<br />

zunichte, wenn man böswillig die Bestrafung <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> hinter­<br />

treibt, was wie<strong>de</strong>rum auf zweifache Weise geschehen kann. Ein­<br />

mal durch betrügerische Machenschaften in <strong>de</strong>r Anklage; dies<br />

fällt unter „Verheimlichung (praevaricatio) zugunsten <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten", <strong>de</strong>nn „ein praevaricator ist gewissermaßen einer,<br />

<strong>de</strong>r, auf krummen Wegen geht', in<strong>de</strong>m er die eigene Sache verrät<br />

<strong>und</strong> es heimlich mit <strong>de</strong>r Gegenpartei hält" (ebda.). - Auf an<strong>de</strong>re<br />

Weise dadurch, daß man die Anklage völlig wi<strong>de</strong>rruft, <strong>und</strong> dies<br />

heißt „tergiversari", „<strong>de</strong>n Rücken wen<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>nn wi<strong>de</strong>rruft<br />

jemand das, was er begonnen hat, so „wen<strong>de</strong>t er gleichsam <strong>de</strong>n<br />

Rücken".<br />

Zu 1. Man darf eine Anklage nur dann erheben, wenn man<br />

seiner Sache unbedingt sicher ist <strong>und</strong> keine Zweifel über die Tat­<br />

sachen bestehen. Doch verleum<strong>de</strong>t nicht je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r einem<br />

fälschlich ein Verbrechen zur Last legt, son<strong>de</strong>rn nur, wer sich<br />

böswillig zu einer falschen Anklage hinreißen läßt. Es kommt<br />

nämlich bisweilen vor, daß jemand aus Leichtsinn zur Anklage<br />

schreitet, weil er in seiner Unbesonnenheit allzu leicht glaubt,<br />

was er hört. Bisweilen jedoch wird jemand auch durch einen un­<br />

vermeidlichen Irrtum zur Klage veranlaßt. All dies hat ein klu­<br />

ger Richter auseinan<strong>de</strong>rzuhalten, damit er nicht voreilig Ver­<br />

leumdung vermutet, wo es sich nur um Leichtsinn han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r<br />

um falsche Anklage aufgr<strong>und</strong> unvermeidlichen Irrtums [53].<br />

Zu 2. Nicht je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r über wahre Verbrechen schweigt, ver­<br />

heimlicht sie im vorliegen<strong>de</strong>n Sinn, son<strong>de</strong>rn nur, wenn er betrü­<br />

gerisch verschweigt, was zu seiner Anklage gehört, <strong>und</strong> mit<br />

<strong>de</strong>m Angeklagten gemeinsame Sache macht, in<strong>de</strong>m er zu <strong>de</strong>s­<br />

sen Gunsten Beweise unterschlägt <strong>und</strong> falsche Entlastungen<br />

zuläßt.<br />

138


Zu 3. „Wi<strong>de</strong>rrufen" heißt die Anklage zurückziehen, in<strong>de</strong>m 68.4<br />

man die Absicht anzuklagen völlig aufgibt, <strong>und</strong> zwar nicht<br />

irgendwie, son<strong>de</strong>rn auf eine rechtswidrige Weise. Einwandfrei<br />

kann jemand eine Anklage auf zweifache Art aufgeben. Einmal,<br />

wenn er im Verlauf <strong>de</strong>s Prozesses erkennt, daß seine Anklage<br />

nicht stimmt <strong>und</strong> Kläger <strong>und</strong> Angeklagter dann durch gegensei­<br />

tige Übereinkunft die Sache für erledigt erklären. Sodann, wenn<br />

<strong>de</strong>r Fürst in seiner Sorge um das Gemeinwohl, <strong>de</strong>m ja die<br />

Anklage dienen wollte, das Verfahren einstellt.<br />

4. ARTIKEL<br />

Verfällt ein Ankläger, <strong>de</strong>r in seiner Beweisführung versagt, <strong>de</strong>r<br />

Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung? [54]<br />

1. Es kommt bisweilen vor, daß jemand aus unvermeidli­<br />

chem Irrtum zur Anklage schreitet. In diesem Fall muß <strong>de</strong>r<br />

Richter <strong>de</strong>n Ankläger straflos ausgehen lassen, wie in <strong>de</strong>n<br />

Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,454) gesagt wird. Der Ankläger, <strong>de</strong>r in<br />

<strong>de</strong>r Beweisführung versagt, unterliegt also nicht <strong>de</strong>r Strafe <strong>de</strong>r<br />

Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

2. Sollte die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung <strong>de</strong>m ungerechten<br />

Ankläger auferlegt wer<strong>de</strong>n, dann wegen eines gegen jemand be­<br />

gangenen Unrechts. Nicht aber wegen eines Unrechts gegen die<br />

Person <strong>de</strong>s Anklagten, <strong>de</strong>nn dann könnte <strong>de</strong>r Fürst diese Strafe<br />

nicht erlassen. Aber auch nicht wegen eines Unrechts gegen das<br />

Gemeinwesen, <strong>de</strong>nn dann könnte ihn <strong>de</strong>r Angeklagte nicht frei­<br />

geben. Also gebührt <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Anklage versagt hat, nicht<br />

die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

3. Ein<strong>und</strong>dieselbe Sün<strong>de</strong> darf nicht mit doppelter Strafe ge­<br />

ahn<strong>de</strong>t wer<strong>de</strong>n. So gemäß Nah 1,9: „Gott wird nicht zweimal<br />

verurteilen für dasselbe Vergehen" (Septuagintatext). Doch<br />

wer in <strong>de</strong>r Beweisführung versagt, zieht sich die Strafe <strong>de</strong>r Ehr­<br />

losigkeit zu, die, wie es scheint, selbst <strong>de</strong>r Papst nicht erlassen<br />

kann gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Papstes Gelasius: „Wenn wir auch<br />

die Seelen durch Buße retten können, am Verlust <strong>de</strong>r Ehre kön­<br />

nen wir nichts än<strong>de</strong>rn". Also verdient <strong>de</strong>r Ankläger nicht auch<br />

noch die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung.<br />

DAGEGEN steht das Wort <strong>de</strong>s Papstes Hadrian (In capitu-<br />

lari, c. 52; MansiXII,912): „Wer seinen Vorwurf nicht beweisen<br />

139


68. 4 kann, soll die <strong>de</strong>m Angeklagten zugedachte Strafe selbst erlei­<br />

<strong>de</strong>n".<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 2) besprochen, gehört <strong>de</strong>r<br />

Ankläger im Klageprozeß zur Partei, die eine Bestrafung <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten durchsetzen will. Die Aufgabe <strong>de</strong>s Richters jedoch<br />

besteht darin, <strong>de</strong>n rechtlichen Ausgleich zwischen bei<strong>de</strong>n her­<br />

zustellen. Dies nun verlangt, daß einer <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren zugedacht hat, selbst erlei<strong>de</strong>t gemäß Ex 21,24: „Aug'<br />

um Auge, Zahn um Zahn". Somit ist es nur gerecht, daß, wer<br />

jeman<strong>de</strong>n durch seine Anklage in die Gefahr schwerer Bestra­<br />

fung gebracht hat, selbst eine ähnliche Strafe erlei<strong>de</strong>t.<br />

Zu 1. Wie es bei Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c.8;<br />

1132 b 31) heißt, ist „Wie<strong>de</strong>rvergeltung" auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> schlechthin nicht immer angebracht, <strong>de</strong>nn viel<br />

kommt darauf an, ob einer <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren absichtlich o<strong>de</strong>r unfrei­<br />

willig geschädigt hat. Was mit Absicht geschieht, verdient<br />

Strafe, <strong>de</strong>m Unfreiwilligen jedoch gebührt Nachsicht. Wenn<br />

daher <strong>de</strong>r Richter feststellt, daß einer jeman<strong>de</strong>n fälschlich ange­<br />

klagt hat, ohne <strong>de</strong>n Willen zu scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn aus Unkenntnis<br />

aufgr<strong>und</strong> von unverschul<strong>de</strong>tem Irrtum <strong>und</strong> somit unabsicht­<br />

lich, legt er ihm die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergeltung nicht auf.<br />

Zu 2. Wer böswillig anklagt, sündigt gegen die Person <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten <strong>und</strong> auch gegen das Gemeinwesen. Daher wird er<br />

für bei<strong>de</strong>s bestraft. In diesem Sinn ist Dt 19,18 ff. zu verstehen:<br />

„Wenn sie (die Priester <strong>und</strong> Richter) nach sorgfältiger Untersu­<br />

chung gef<strong>und</strong>en haben, daß <strong>de</strong>r falsche Zeuge gegen seinen<br />

Bru<strong>de</strong>r eine Lüge gesprochen hat, so sollen sie ihm antun, was<br />

er seinem Bru<strong>de</strong>r anzutun gedachte". Dies zum Unrecht gegen<br />

die Person; sodann zum Unrecht gegen das Gemeinwesen:<br />

„Und so sollst du das Böse aus <strong>de</strong>iner Mitte fortschaffen, damit<br />

die übrigen es hören <strong>und</strong> sich fürchten <strong>und</strong> nie mehr solches zu<br />

tun wagen". Insbeson<strong>de</strong>re jedoch geschieht bei falscher Anklage<br />

<strong>de</strong>r Person <strong>de</strong>s Angeklagten Unrecht. Daher kann <strong>de</strong>r Ange­<br />

klagte, wenn er unschuldig ist, <strong>de</strong>m Kläger sein Unrecht verzei­<br />

hen, vor allem, wenn dieser nicht verleum<strong>de</strong>risch, son<strong>de</strong>rn aus<br />

Gedankenlosigkeit gegen ihn vorgegangen ist. Verzichtet er<br />

nach Verabredung mit seinem Gegner auf Erhebung <strong>de</strong>r<br />

Anklage, bleibt aber <strong>de</strong>nnoch das Unrecht gegen das Gemein­<br />

wesen, <strong>und</strong> dieses kann vom Angeklagten nicht vergeben wer­<br />

<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur vom Fürsten, <strong>de</strong>r die Sorge für das Gemein­<br />

wohl trägt.<br />

140


Zu 3. Der Ankläger verdient die Strafe <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rvergel- 68. 4<br />

tung als Ausgleich für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n er <strong>de</strong>m Nächsten antun<br />

wollte. Die Strafe <strong>de</strong>s Ehrverlusts jedoch gebührt ihm wegen<br />

<strong>de</strong>r Bosheit seiner verleum<strong>de</strong>rischen Anklage. Bisweilen ver­<br />

zichtet <strong>de</strong>r Fürst auf Bestrafung, läßt jedoch die Ehrlosigkeit<br />

weiter bestehen; manchmal aber hebt er auch diese auf. Daher<br />

kann auch <strong>de</strong>r Papst die Ehrlosigkeit aufheben, <strong>und</strong> jenes Wort<br />

<strong>de</strong>s Papstes Gelasius: „Ehrlosigkeit können wir nicht aufheben",<br />

ist zu verstehen entwe<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r tatbezogenen Ehrlosigkeit<br />

(infamia facti), o<strong>de</strong>r weil es bisweilen nicht ratsam ist, sie auf­<br />

zuheben. O<strong>de</strong>r er spricht dort von <strong>de</strong>r Ehrlosigkeit, die <strong>de</strong>r<br />

weltliche Richter verhängt hat, wie Gratian sagt (Frdb 1,453)<br />

[55].<br />

141


69. FRAGE<br />

DIE SÜNDEN DES ANGEKLAGTEN<br />

GEGEN DIE GERECHTIGKEIT<br />

Nun ist über die Sün<strong>de</strong>n zu re<strong>de</strong>n, die vom Angeklagten<br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> begangen wer<strong>de</strong>n. Dabei stellen sich<br />

vier Fragen:<br />

1. Begeht einer eine Todsün<strong>de</strong> durch Leugnen <strong>de</strong>r Wahrheit,<br />

die seine Verurteilung zur Folge hätte?<br />

2. Darf man sich mit unredlichen Mitteln verteidigen?<br />

3. Ist es erlaubt, Berufung einzulegen, um <strong>de</strong>r Verurteilung<br />

zu entgehen?<br />

4. Darf sich ein Verurteilter mit Gewalt wehren, wenn er die<br />

Möglichkeit dazu hat?<br />

1. ARTIKEL<br />

Kann <strong>de</strong>r Angeklagte, ohne eine Todsün<strong>de</strong> zu begehen, die<br />

Wahrheit leugnen, die seine Verurteilung zur Folge hätte?<br />

1. Cbrysostomus schreibt (Horn. 31 zum Hebräerbrief;<br />

MG 63,216): „Ich sage dir nicht, du sollest dich öffentlich bloß­<br />

stellen o<strong>de</strong>r dich bei einem anklagen." Wenn jedoch ein Ange­<br />

klagter vor Gericht mit <strong>de</strong>r Wahrheit herausrückte, wür<strong>de</strong> er<br />

sich bloßstellen <strong>und</strong> anklagen. Also ist er nicht gehalten, die<br />

Wahrheit zu sagen, <strong>und</strong> darum sündigt er auch nicht schwer,<br />

wenn er vor Gericht lügt.<br />

2. Wie es eine Gefälligkeitslüge ist, wenn jemand die<br />

Unwahrheit sagt, um einen vor <strong>de</strong>m Tod zu retten, so ist es auch<br />

eine Gefälligkeitslüge, wenn jemand lügt, um dadurch selbst<br />

<strong>de</strong>m Tod zu entgehen, <strong>de</strong>nn man ist sich selber mehr schuldig<br />

als an<strong>de</strong>ren. Die Gefälligkeitslüge wird jedoch nicht als Tod­<br />

sün<strong>de</strong> angesehen, son<strong>de</strong>rn gilt als läßlich. Also sündigt ein<br />

Angeklagter nicht schwer, wenn er vor Gericht die Wahrheit<br />

leugnet, um <strong>de</strong>m Tod zu entgehen.<br />

3. Je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> ist gegen die Caritas gerichtet (vgl. 24,12).<br />

Wenn nun ein Angeklagter lügt, in<strong>de</strong>m er die Verantwortung für<br />

ein ihm vorgeworfenes Vergehen von sich weist, richtet sich dies<br />

nicht gegen die Caritas, d. h. we<strong>de</strong>r gegen die Liebe zu Gott,<br />

142


noch gegen die Liebe zum Nächsten. Also ist eine <strong>de</strong>rartige 69. l<br />

Lüge keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: alles, was <strong>de</strong>r Ehre Gottes zuwi<strong>de</strong>rläuft,<br />

ist Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn wir sind verpflichtet, „alles zur Ehre Gottes<br />

zu tun", wie es 1 Kor 10,31 heißt. Nun han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Angeklagte<br />

zur Ehre Gottes, wenn er bekennt, was gegen ihn steht. Dies<br />

drückt ganz <strong>de</strong>utlich das Wort <strong>de</strong>s Josue an Achar aus (Jos 7,19):<br />

„Mein Sohn, gib <strong>de</strong>m Herrn, <strong>de</strong>m Gott Israels, die Ehre <strong>und</strong><br />

bekenne <strong>und</strong> zeige mir an, was du getan hast, <strong>und</strong> verheimliche<br />

es nicht." Wer also mit einer Falschaussage seine Sün<strong>de</strong> leugnet,<br />

begeht eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Wer immer gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt,<br />

begeht eine Todsün<strong>de</strong>, wie oben (59,4) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun<br />

verlangt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>m Vorgesetzten in <strong>de</strong>m, was zu<br />

<strong>de</strong>ssen Amtsbereich gehört, Gehorsam zu leisten. Der Richter<br />

aber ist, wie bemerkt (67,1), Vorgesetzter <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r gerichtet<br />

wird. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist <strong>de</strong>r Angeklagte verpflichtet, <strong>de</strong>m<br />

Richter die Wahrheit, wie er sie in rechtlicher Form verlangt,<br />

offenzulegen [56]. Wenn er also die Wahrheit, die er zu sagen<br />

hat, nicht preisgeben will o<strong>de</strong>r sie lügenhaft leugnet, sündigt er<br />

schwer. Stellt <strong>de</strong>r Richter jedoch Fragen außerhalb <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

ordnung, so braucht ihm <strong>de</strong>r Angeklagte nicht zu antworten,<br />

son<strong>de</strong>rn kann sich entwe<strong>de</strong>r durch Berufung o<strong>de</strong>r auf eine<br />

an<strong>de</strong>re einwandfreie Weise aus seiner Lage herauswin<strong>de</strong>n.<br />

Lügen jedoch darf er nicht.<br />

Zu 1. Wer vom Richter <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung gemäß gefragt<br />

wird, stellt sich nicht selber bloß, son<strong>de</strong>rn wird von einem an<strong>de</strong>­<br />

ren bloßgestellt, insofern ihm <strong>de</strong>r, <strong>de</strong>m er gehorchen muß, die<br />

Antworten abnötigt.<br />

Zu 2. Lügen, um einen aus To<strong>de</strong>snot zu retten, in<strong>de</strong>m man<br />

einem Dritten Unrecht tut, ist keine schlichte Gefälligkeitslüge,<br />

son<strong>de</strong>rn hat etwas Bösartiges an sich. Wenn nun jemand vor<br />

Gericht zu seiner Entlastung lügt, tut er <strong>de</strong>m Unrecht, <strong>de</strong>m er<br />

zum Gehorsam verpflichtet ist, in<strong>de</strong>m er ihm verweigert, was er<br />

ihm schul<strong>de</strong>t, nämlich das Bekenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit.<br />

Zu 3. Wer vor Gericht zu seiner Entschuldigung lügt, han­<br />

<strong>de</strong>lt sowohl gegen die Liebe zu Gott, „<strong>de</strong>ssen das Gericht ist"<br />

[Dt 1,17], als auch gegen die Liebe zum Nächsten, <strong>und</strong> dies ein­<br />

mal im Hinblick auf <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>m er das Geschul<strong>de</strong>te ver­<br />

weigert, sodann im Hinblick auf <strong>de</strong>n Ankläger, <strong>de</strong>r bestraft<br />

wird, wenn er in seiner Beweisführung versagt. Daher heißt es<br />

143


69.2 im Ps 140,4: „Laß mein Herz sich nicht boshaften Dingen<br />

zuneigen, um Entschuldigungen zu suchen für meine Sün<strong>de</strong>n."<br />

Dazu bemerkt die Glosse (ML 70,1001): „Dies ist bei <strong>de</strong>n Un­<br />

verschämten Sitte, daß sie sich, wenn sie ertappt wer<strong>de</strong>n, mit<br />

irgendwelchen Lügen herausre<strong>de</strong>n." Und Gregor schreibt in<br />

seinen Moralia (22,15; ML 76,230) bei <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>r Job­<br />

stelle 31,33 „Nicht verhehlte ich nach Menschenweise meine<br />

Sün<strong>de</strong>": „Es ist ein Gewohnheitslaster <strong>de</strong>r Menschen, heimlich<br />

Sün<strong>de</strong>n zu begehen <strong>und</strong> sie dann durch Leugnen zu vertuschen<br />

<strong>und</strong>, wenn sie überführt sind, sie bei <strong>de</strong>r Verteidigung noch zu<br />

vermehren."<br />

2. ARTIKEL<br />

Darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit unredlichen Mitteln verteidigen?<br />

1. Nach <strong>de</strong>m bürgerlichen <strong>Recht</strong> (KRII, 96 a) darf im<br />

<strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Missetaten je<strong>de</strong>r seinen<br />

Gegner bestechen. Doch dies be<strong>de</strong>utet, sich im höchsten Grad<br />

mit allen Schikanen verteidigen. Also sündigt <strong>de</strong>r Angeklagte<br />

nicht, wenn er sich mit unredlichen Mitteln zur Wehr setzt.<br />

2. „Der Ankläger, <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Angeklagten gemeinsame<br />

Sache macht, erhält die vom Gesetz bestimmte Strafe", wie es in<br />

<strong>de</strong>n Dekreten II,q. 3 (Frdbl,453) heißt. Dem Angeklagten<br />

jedoch wird keine Strafe auferlegt, wenn er mit <strong>de</strong>m Ankläger<br />

gemeinsame Sache macht. Also darf sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit<br />

unredlichen Mitteln verteidigen.<br />

3. Spr 14,16 heißt es: „Der Weise fürchtet <strong>und</strong> mei<strong>de</strong>t das<br />

Böse; <strong>de</strong>r Tor setzt sich darüber hinweg <strong>und</strong> fühlt sich sicher."<br />

Was aber aus Weisheit geschieht, ist keine Sün<strong>de</strong>. Also sündigt<br />

nicht, wer mit welchen Mitteln auch immer sich ein Übel vom<br />

Hals zu schaffen sucht.<br />

DAGEGEN steht, daß man auch in einem Strafprozeß <strong>de</strong>n<br />

Kalumnieneid [57] ablegen muß (Extra; FrdbII,265). Dies<br />

wäre nicht <strong>de</strong>r Fall, wenn sich <strong>de</strong>r Angeklagte mit allen Schika­<br />

nen verteidigen dürfte.<br />

ANTWORT. Etwas an<strong>de</strong>res ist die Wahrheit verschweigen,<br />

<strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res Falsches behaupten. Das erste geht in gewis­<br />

sen Fällen hin, <strong>de</strong>nn niemand muß alle Wahrheit sagen, son<strong>de</strong>rn<br />

nur jene, die <strong>de</strong>r Richter entsprechend <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung von<br />

ihm verlangen kann <strong>und</strong> muß. So z. B. wenn üble Nachre<strong>de</strong><br />

144


vorausgegangen ist o<strong>de</strong>r ein<strong>de</strong>utige Verdachtsgrün<strong>de</strong> vorliegen 69. 2<br />

o<strong>de</strong>r die Sache schon halbwegs bewiesen ist. Etwas Falsches<br />

behaupten darf man jedoch auf keinen Fall.<br />

Was aber erlaubt ist, kann entwe<strong>de</strong>r auf einwandfreien <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m erstrebten Zweck angemessenen Wegen unternommen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> dies gehört zur Klugheit; o<strong>de</strong>r auf unerlaubten<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m beabsichtigten Zweck unangemessenen Wegen, <strong>und</strong><br />

dies gehört zur Schläue, die sich durch Betrug <strong>und</strong> List aus­<br />

zeichnet (55,3 ff.). Der erste Weg ist lobenswert, <strong>de</strong>r zweite ist<br />

sündhaft. So darf sich also <strong>de</strong>r schuldige Angeklagte verteidi­<br />

gen, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit, die er nicht zu bekennen braucht,<br />

auf unta<strong>de</strong>lige Weise verschweigt, z. B. dadurch, daß er nicht<br />

antwortet, worauf er nicht zu antworten braucht. Dies hat mit<br />

unredlicher Verteidigung nichts zu tun, son<strong>de</strong>rn heißt einfach,<br />

sich mit Klugheit in Sicherheit bringen. - Nicht jedoch darf er<br />

Falsches aussagen o<strong>de</strong>r die Wahrheit verschweigen, die er<br />

pflichtgemäß bekennen muß; auch darf er nicht Betrug o<strong>de</strong>r<br />

List anwen<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn Betrug <strong>und</strong> List kommen <strong>de</strong>r Lüge gleich,<br />

<strong>und</strong> das heißt, sich mit unredlichen Mitteln aus <strong>de</strong>r Gefahr zie­<br />

hen.<br />

Zu 1. Die menschlichen Gesetze lassen vieles ungestraft,<br />

was nach <strong>de</strong>m göttlichen Gericht Sün<strong>de</strong> ist, wie dies z. B. bei <strong>de</strong>r<br />

Unzucht unter Ledigen <strong>de</strong>r Fall ist. Das menschliche Gesetz<br />

verlangt nämlich vom Menschen nicht vollen<strong>de</strong>te Tugend, die<br />

nur Sache von wenigen ist <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r großen Masse, wie das<br />

menschliche Gesetz sie notwendig ertragen muß, nicht durch­<br />

wegs gef<strong>und</strong>en wer<strong>de</strong>n kann. Daß aber jemand in einem<br />

<strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Verbrechen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

wi<strong>de</strong>rsteht, die <strong>de</strong>n Schuldigen vor <strong>de</strong>m leiblichen Tod retten<br />

könnte, ist wahrlich vollen<strong>de</strong>te Tugend, <strong>de</strong>nn „das Schreck­<br />

lichste von allem auf <strong>de</strong>r Welt ist <strong>de</strong>r Tod", heißt es im III. Buch<br />

<strong>de</strong>r Ethik (c.9; 1115 a26). Wenn nun <strong>de</strong>r Schuldige in einem<br />

solchen Verfahren seinen Gegner besticht, sündigt er zwar, weil<br />

er ihn zu einer unsauberen Sache verführt, doch im bürgerlichen<br />

Gesetz ist dafür keine Strafe vorgesehen. Und insofern läßt sich<br />

sagen, es sei erlaubt.<br />

Zu 2. Der Ankläger, <strong>de</strong>r mit einem schuldigen Angeklagten<br />

gemeinsame Sache macht, verfällt <strong>de</strong>r Strafe. Dies ist ein klarer<br />

Beweis dafür, daß er sündigt. Da es nun Sün<strong>de</strong> ist, jeman<strong>de</strong>n zur<br />

Sün<strong>de</strong> zu verführen o<strong>de</strong>r sonstwie an einer Sün<strong>de</strong> teilzuhaben -<br />

<strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig seien, die <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>rn zustimmen, sagt <strong>de</strong>r<br />

145


69. 3 Apostel [Rom 1,32] -, sündigt offensichtlich auch <strong>de</strong>r Ange­<br />

klagte, wenn er mit <strong>de</strong>m Gegner gemeinsame Sache macht.<br />

Dennoch zieht er sich nach <strong>de</strong>n menschlichen Gesetzen aus<br />

<strong>de</strong>m erwähnten Gr<strong>und</strong> keine Strafe zu.<br />

Zu 3. Der Weise braucht we<strong>de</strong>r List noch Tücke, um etwas<br />

zu verbergen, er bringt das mit Klugheit zuwege [58].<br />

3. ARTIKEL<br />

Darf <strong>de</strong>r Schuldige Berufung einlegen, um <strong>de</strong>r Verurteilung zu<br />

entgehen?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 13,1: „Je<strong>de</strong>rmann unterwerfe<br />

sich <strong>de</strong>n obrigkeitlichen Gewalten." Doch <strong>de</strong>r Schuldige, <strong>de</strong>r<br />

Berufung einlegt, lehnt es ab, sich <strong>de</strong>r obrigkeitlichen Gewalt -<br />

das ist hier <strong>de</strong>r Richter - zu unterwerfen. Also sündigt er.<br />

2. Stärker ist die bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Autorität <strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Gewalt als die eines selbst gewählten Richters. In <strong>de</strong>n Dekreten<br />

II,q. 6 (Frdbl,478) aber steht zu lesen: „Es ist nicht erlaubt,<br />

über die Köpfe <strong>de</strong>r gemeinsam (von bei<strong>de</strong>n Parteien) gewählten<br />

Richter hinweg Berufung einzulegen." Also ist dies noch viel<br />

weniger <strong>de</strong>n or<strong>de</strong>ntlichen Richtern gegenüber erlaubt.<br />

3. Was einmal erlaubt ist, ist immer erlaubt. Doch ist nicht<br />

erlaubt, noch nach <strong>de</strong>m zehnten Tag Berufung einzulegen<br />

(Frdb 1,474), <strong>und</strong> auch nicht, dreimal in <strong>de</strong>r gleichen Sache<br />

(Frdbl,481). Also ist Berufung an sich nicht erlaubt.<br />

DAGEGEN steht, daß Paulus Berufung beim Kaiser eingelegt<br />

hat (Apg25,ll).<br />

ANTWORT. Aus zwei Grün<strong>de</strong>n kann jemand Berufung ein­<br />

legen. Einmal im Vertrauen auf die gerechte Sache nach unge­<br />

rechter Verurteilung durch <strong>de</strong>n Richter. In diesem Fall ist Beru­<br />

fung erlaubt, <strong>de</strong>nn dies heißt, sich in kluger Weise <strong>de</strong>r Verurtei­<br />

lung entziehen. Daher steht in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6<br />

(Frdb 1,467): „Je<strong>de</strong>r Unterdrückte kann nach Belieben frei das<br />

Gericht <strong>de</strong>r Priester anrufen, <strong>und</strong> niemand darf ihn daran hin­<br />

<strong>de</strong>rn."<br />

Sodann legt jemand Berufung ein, um Zeit zu gewinnen <strong>und</strong><br />

die gerechte Verurteilung hinauszuzögern. Dies ist schikanöse<br />

Verteidigungstaktik <strong>und</strong>, wie oben bemerkt, unerlaubt. Sie<br />

be<strong>de</strong>utet nämlich Unrecht sowohl gegen <strong>de</strong>n Richter, <strong>de</strong>m er in<br />

<strong>de</strong>r Ausübung seines Amtes Schwierigkeiten macht, als auch<br />

146


gegen seinen Kontrahenten, <strong>de</strong>ssen <strong>Recht</strong>sansprüche er zu ver- 69. 3<br />

wirren sucht. Deshalb ist nach <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6 (Frdbl, 473)<br />

„unbedingt zu bestrafen, wer eine ungerechtfertigte Berufung<br />

eingereicht hat".<br />

Zu 1. Einer untergeordneten Gewalt muß man sich insoweit<br />

fügen, als sie die über ihr stehen<strong>de</strong> Ordnung beachtet. Sobald<br />

sie davon abrückt, ist die Unterordnung zu been<strong>de</strong>n, z. B.<br />

„wenn <strong>de</strong>r Prokonsul etwas an<strong>de</strong>res befiehlt als <strong>de</strong>r Kaiser", wie<br />

die Glosse zu Rom 13 (ML 191,1505) bemerkt. Wenn nun ein<br />

Richter jeman<strong>de</strong>n ungerecht verurteilt, so verläßt er hierin die<br />

Ordnung <strong>de</strong>r übergeordneten Gewalt, die ihn beauftragt hat,<br />

unbedingt nach <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> zu richten. Daher ist<br />

es <strong>de</strong>m ungerecht Verurteilten erlaubt, die höher stehen<strong>de</strong><br />

Instanz anzurufen, sei es vor, sei es nach <strong>de</strong>r Verkündung <strong>de</strong>s<br />

Urteils. - Und weil anzunehmen ist, daß dort, wo <strong>de</strong>r wahre<br />

Glaube fehlt, auch kein richtiges Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was gerecht<br />

ist, besteht, darf ein Katholik nicht an einen ungläubigen Rich­<br />

ter Berufung einlegen gemäß <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 6 (Frdb 1,478):<br />

„Ein Katholik, <strong>de</strong>r seine Klage, sei sie gerecht o<strong>de</strong>r ungerecht,<br />

vor das Gericht eines an<strong>de</strong>rsgläubigen Richters zieht, sei <strong>de</strong>m<br />

Banne verfallen" (verliert seine kirchlichen <strong>Recht</strong>e). Denn auch<br />

<strong>de</strong>r Apostel ta<strong>de</strong>lt jene, die ihre Streitsachen vor <strong>de</strong>m Gericht<br />

<strong>de</strong>r Ungläubigen austrugen [1 Kor 6,1].<br />

Zu 2. Wer sich einem Gericht unterwirft, <strong>de</strong>ssen <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung er nicht traut, hat dies seiner eigenen Sorglosigkeit<br />

zuzuschreiben. Auch scheint es mit <strong>de</strong>r Standfestigkeit <strong>de</strong>ssen<br />

nicht weit her zu sein, <strong>de</strong>r nicht bei <strong>de</strong>m bleibt, was er einmal für<br />

gut bef<strong>und</strong>en hat. Daher wird ihm das Hilfsmittel <strong>de</strong>r Berufung<br />

gegen die selbstgewählten Richter, die ihre Vollmacht nur aus<br />

<strong>de</strong>r Ubereinkunft <strong>de</strong>r streiten<strong>de</strong>n Parteien besitzen, verweigert.<br />

- Die Vollmacht <strong>de</strong>s or<strong>de</strong>ntlichen Richters jedoch hängt nicht<br />

von <strong>de</strong>r Zustimmung <strong>de</strong>ssen ab, <strong>de</strong>r sich seinem Gericht unter­<br />

wirft, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s berufen<strong>de</strong>n Königs o<strong>de</strong>r<br />

Fürsten. Daher gewährt das Gesetz gegen seine ungerechte<br />

Entscheidung das Hilfsmittel <strong>de</strong>r Berufung, so daß man, auch<br />

wenn er or<strong>de</strong>ntlicher <strong>und</strong> selbstgewählter Richter zugleich ist,<br />

gegen ihn Berufung einlegen kann. Denn die or<strong>de</strong>ntliche Voll­<br />

macht scheint <strong>de</strong>r Anlaß dazu zu sein, ihn zum Schiedsrichter<br />

zu wählen. Und es darf <strong>de</strong>m kein Nachteil entstehen, <strong>de</strong>r sich<br />

für <strong>de</strong>n als Schiedsrichter entschei<strong>de</strong>n wollte, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Fürst<br />

mit or<strong>de</strong>ntlicher Vollmacht ausgestattet hat.<br />

147


69. 4 Zu 3. Der Ausgleich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s kommt <strong>de</strong>r einen Partei so<br />

zugute, daß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren kein Nachteil entsteht. Daher gewährt<br />

es zur Berufung eine Frist von zehn Tagen, während <strong>de</strong>r man<br />

genügsam überlegen kann, ob sich eine Berufung lohnt. Gäbe<br />

es jedoch für die Berufung keine Zeitbeschränkung, bliebe die<br />

endgültige Entscheidung zum Nachteil <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite end­<br />

los in <strong>de</strong>r Schwebe. - Niemand darf ein drittes Mal in <strong>de</strong>r glei­<br />

chen Sache Berufung einlegen, weil es unwahrscheinlich ist, daß<br />

die Richter so oft das richtige Urteil verfehlen.<br />

4. ARTIKEL<br />

Darf sich ein zum Tod Verurteilter verteidigen, wenn er kann?<br />

1. Das, wozu die Natur uns hintreibt, ist immer erlaubt, es<br />

besitzt gleichsam <strong>de</strong>n Charakter eines Naturrechts. Nun wen­<br />

<strong>de</strong>t sich die Natur instinktiv gegen das Zerstörerische, nicht nur<br />

bei Menschen <strong>und</strong> Tieren, son<strong>de</strong>rn auch bei nicht sinnbegabten<br />

Wesen. Also ist es <strong>de</strong>m Verurteilten erlaubt, sich zu wehren,<br />

wenn er kann, damit er nicht <strong>de</strong>m Tod ausgeliefert wird.<br />

2. Wie sich jemand <strong>de</strong>m To<strong>de</strong>surteil durch Wi<strong>de</strong>rstand ent­<br />

ziehen kann, so auch durch Flucht. Doch durch Flucht darf man<br />

sich aus To<strong>de</strong>sgefahr befreien gemäß <strong>de</strong>m Wort Sir 9,18: „Halte<br />

dich fern von einem Menschen, <strong>de</strong>r die Macht hat zu töten, aber<br />

nicht, lebendig zu machen." Also ist es auch erlaubt, Wi<strong>de</strong>r­<br />

stand zu leisten.<br />

3. Spr24,11 heißt es: „Rette, die man zum To<strong>de</strong> führt, <strong>und</strong><br />

unterlaß nicht, die zu befreien, die man zum Untergang<br />

schleppt." Nun schul<strong>de</strong>t man sich selbst mehr als an<strong>de</strong>ren. Also<br />

ist es einem Verurteilten erlaubt, sich zu wehren, daß er nicht<br />

<strong>de</strong>m Tod ausgeliefert wird.<br />

DAGEGEN sagt <strong>de</strong>r Apostel Rom 13,2: „Wer sich <strong>de</strong>r staatli­<br />

chen Gewalt wi<strong>de</strong>rsetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes,<br />

<strong>und</strong> wer sich ihm entgegenstellt, wird <strong>de</strong>m Gericht verfallen."<br />

Nun leistet <strong>de</strong>r Verurteilte, <strong>de</strong>r sich wehrt, <strong>de</strong>r staatlichen<br />

Gewalt gera<strong>de</strong> darin Wi<strong>de</strong>rstand, wozu sie von Gott eingesetzt<br />

wur<strong>de</strong>, nämlich „zur Bestrafung <strong>de</strong>r Bösen <strong>und</strong> zur Belobigung<br />

<strong>de</strong>r Guten" [IPetr 2,14]. Also sündigt er, wenn er sich ver­<br />

teidigt.<br />

ANTWORT. Die Verurteilung zum Tod ist auf zweifache<br />

Weise möglich. Einmal gerecht, <strong>und</strong> dann darf sich <strong>de</strong>r Ver-<br />

148


urteilte nicht dagegen zur Wehr setzen. Tut er es <strong>de</strong>nnoch, ist es 69. 4<br />

<strong>de</strong>m Richter erlaubt, seinen Wi<strong>de</strong>rstand zu brechen, <strong>de</strong>nn vom<br />

Verbrecher aus gesehen han<strong>de</strong>lt es sich um einen ungerechten<br />

Krieg. Daher versündigt er sich ohne Zweifel.<br />

An<strong>de</strong>rs liegt <strong>de</strong>r Fall bei ungerechter Verurteilung. Ein sol­<br />

ches Urteil gleicht einem Gewaltakt nach Räuberart, so wie es<br />

bei Ez 22,27 steht: „Die Fürsten in seiner Mitte, sind wie Beute<br />

rauben<strong>de</strong> Wölfe, nur darauf bedacht, Blut zu vergießen." Wie<br />

man nun <strong>de</strong>n Räubern Wi<strong>de</strong>rstand leisten darf, so ist es auch<br />

erlaubt, sich gegen schlechte Fürsten zur Wehr zu setzen, es sei<br />

<strong>de</strong>nn, ein Ärgernis, in <strong>de</strong>ssen Gefolge schwere Verwirrung zu<br />

befürchten wäre, müßte vermie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Der Mensch besitzt die Gabe <strong>de</strong>r Vernunft, damit er<br />

seinen natürlichen Neigungen nicht nur irgendwie, son<strong>de</strong>rn mit<br />

Überlegung nachgeht. Daher ist Selbstverteidigung nicht auf<br />

jedwe<strong>de</strong> Art <strong>und</strong> Weise erlaubt, son<strong>de</strong>rn nur nach <strong>de</strong>n Regeln<br />

einer abgewogenen Sch<strong>utz</strong>maßnahme.<br />

Zu 2. Keiner wird dazu verurteilt, sich selbst <strong>de</strong>n Tod zu<br />

geben, son<strong>de</strong>rn daß er <strong>de</strong>n Tod erlei<strong>de</strong>. Daher braucht er nicht<br />

zu tun, was <strong>de</strong>n Tod nach sich zöge,z. B. an <strong>de</strong>m Ort zu bleiben,<br />

von <strong>de</strong>m aus er zur Hinrichtung geführt wird. Jedoch darf er<br />

sich <strong>de</strong>m Henker nicht wi<strong>de</strong>rsetzen, um nicht zu erlei<strong>de</strong>n, was<br />

er nach <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> zu erlei<strong>de</strong>n hat. Doch sündigt<br />

ein zum Hungertod Verurteilter nicht, wenn er heimlich ihm<br />

zugesteckte Speise annimmt, <strong>de</strong>nn nicht annehmen wäre soviel<br />

wie Selbstmord.<br />

Zu 3. Jener Spruch <strong>de</strong>s Weisen will nicht dazu verleiten,<br />

jeman<strong>de</strong>n gegen die <strong>Recht</strong>sordnung vom Tod zu erretten.<br />

Daher darf sich auch niemand selbst durch Wi<strong>de</strong>rstand <strong>de</strong>r Hin­<br />

richtung entziehen.<br />

149


70. FRAGE<br />

DIE VERSTÖSSE<br />

GEGEN DIE GERECHTIGKEIT<br />

DURCH DEN ZEUGEN.<br />

Hierauf sind die Verstöße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, die <strong>de</strong>r<br />

Zeuge begeht, ins Auge zu fassen. Dabei ergeben sich vier Fra­<br />

gen:<br />

1. Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet?<br />

2. Genügen zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen?<br />

3. Kann man die Aussage eines Zeugen zurückweisen, ohne<br />

daß bei diesem ein schuldhaftes Vergehen vorliegt?<br />

4. Ist falsches Zeugnis Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist man zur Zeugenaussage verpflichtet?<br />

1. Augustinus schreibt in seinen „Fragen zur Genesis [zum<br />

Heptateuch]" (1,26; ML 34,554), daß Abraham, als er von sei­<br />

ner Frau sagte: „Es ist meine Schwester", nicht log, son<strong>de</strong>rn nur<br />

die Wahrheit verbergen wollte. Wer aber die Wahrheit verbirgt,<br />

legt kein Zeugnis ab. Also ist man nicht verpflichtet, Zeugen­<br />

aussage zu machen.<br />

2. Niemand ist verpflichtet, trügerisch zu han<strong>de</strong>ln. Doch<br />

Spr 11,13 heißt es: „Wer trügerisch wan<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ckt Geheimnisse<br />

auf, wer aber treu ist, verbirgt, was <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ihm anvertraut<br />

hat". Also ist man nicht immer zur Zeugenaussage verpflichtet,<br />

beson<strong>de</strong>rs über Dinge, die einem <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> unter vier Augen<br />

anvertraut hat.<br />

3. Kleriker <strong>und</strong> Priester sind mehr als an<strong>de</strong>re zu <strong>de</strong>m ver­<br />

pflichtet, was zum ewigen Heil notwendig ist. Doch ist es ihnen<br />

nicht gestattet, in <strong>Recht</strong>sverfahren über to<strong>de</strong>swürdige Misseta­<br />

ten Zeugnis abzulegen. Also ist Zeugnisgeben zum ewigen Heil<br />

nicht notwendig.<br />

DAGEGEN sagt Augustinus (Frdbl,665; 11,817): „Wer die<br />

Wahrheit verheimlicht <strong>und</strong> wer eine Lüge sagt, ist schuldig; <strong>de</strong>r<br />

eine, weil er nicht helfen will, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re, weil er scha<strong>de</strong>n<br />

möchte".<br />

150


ANTWORT. Bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage ist zu unterschei<strong>de</strong>n. 70. 1<br />

Denn bisweilen wird sie verlangt, bisweilen nicht. Wird die Zeu­<br />

genaussage eines Untergebenen aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autorität <strong>de</strong>s<br />

Vorgesetzten verlangt, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Untergebene im <strong>Recht</strong>sbereich<br />

Gehorsam schul<strong>de</strong>t, so ist dieser ohne Zweifel zur Zeugnisab­<br />

gabe über alles verpflichtet, was im Rahmen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung<br />

diesbezüglich von ihm erwartet wer<strong>de</strong>n kann, z. B. über offen­<br />

k<strong>und</strong>ige Verbrechen o<strong>de</strong>r über solche, <strong>de</strong>nen üble Nachre<strong>de</strong><br />

vorausging. Wür<strong>de</strong> man von ihm aber Zeugenaussage über<br />

an<strong>de</strong>re Dinge verlangen, z. B. über geheime Tatsachen o<strong>de</strong>r<br />

solche, die noch nicht durch üble Nachre<strong>de</strong> in die Öffentlichkeit<br />

gedrungen sind, dann ist er zur Zeugenaussage nicht verpflich­<br />

tet.<br />

Wird er jedoch nicht aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autorität eines Vorgesetz­<br />

ten, <strong>de</strong>m er Gehorsam schul<strong>de</strong>t, um Zeugenaussage ersucht, so<br />

muß man wie<strong>de</strong>rum unterschei<strong>de</strong>n. Ist sein Zeugnis erfor<strong>de</strong>r­<br />

lich, um ungerechten Tod o<strong>de</strong>r irgen<strong>de</strong>ine Strafe, verleum<strong>de</strong>ri­<br />

schen Leum<strong>und</strong> o<strong>de</strong>r auch ungerecht zugefügten Scha<strong>de</strong>n von<br />

jeman<strong>de</strong>m abzuwen<strong>de</strong>n, so wird Zeugenaussage zur Pflicht.<br />

Verlangt niemand sein Zeugnis, muß er sein Möglichstes tun,<br />

um die Wahrheit einer Person anzuvertrauen, die in <strong>de</strong>r Sache<br />

nützlich sein kann. Es steht ja im Ps81,4 geschrieben: „Rettet<br />

<strong>de</strong>n Armen <strong>und</strong> befreit <strong>de</strong>n Hilflosen aus <strong>de</strong>r Hand <strong>de</strong>s Sün­<br />

<strong>de</strong>rs", <strong>und</strong> Spr24,11: „Errette die, welche zum To<strong>de</strong> geführt<br />

wer<strong>de</strong>n." Und Rom 1,32 heißt es: „Den Tod verdienen nicht<br />

nur, die solches tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>n Übeltätern noch<br />

Beifall spen<strong>de</strong>n." Dazu bemerkt die Glosse (ML 191,1337):<br />

„Schweigen, wo du einen Gegenbeweis führen könntest, heißt<br />

zustimmen."<br />

Über das jedoch, was zur Verurteilung eines Menschen führt,<br />

braucht niemand eine Zeugenaussage zu machen, höchstens<br />

wenn er nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung von seinem Vorgesetzten<br />

dazu gedrängt wird. Denn ein Verschweigen <strong>de</strong>r Wahrheit wirkt<br />

sich in einem solchen Fall zu keines Menschen beson<strong>de</strong>rem<br />

Scha<strong>de</strong>n aus. Auch braucht man sich um das Risiko für <strong>de</strong>n<br />

Ankläger nicht zu kümmern, <strong>de</strong>nn er ist es ja aus freien Stücken<br />

eingegangen. An<strong>de</strong>rs verhält es sich, wenn es um <strong>de</strong>n Ange­<br />

klagten geht, <strong>de</strong>nn er ist gegen seinen Willen in Gefahr ge­<br />

raten.<br />

Zu 1. Augustinus spricht von <strong>de</strong>r Verheimlichung <strong>de</strong>r Wahr­<br />

heit für <strong>de</strong>n Fall, daß jemand nicht durch obrigkeitlichen Befehl<br />

151


70. 2 zur Offenlegung <strong>de</strong>r Wahrheit veranlaßt wird <strong>und</strong> das Ver­<br />

schweigen keinem zu beson<strong>de</strong>rem Scha<strong>de</strong>n ausschlägt.<br />

Zu 2. Was einem Menschen unter <strong>de</strong>m Siegel <strong>de</strong>s Beichtge­<br />

heimnisses anvertraut wur<strong>de</strong>, darf niemals in einer Zeugenaus­<br />

sage preisgegeben wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn das dort Gesagte weiß <strong>de</strong>r<br />

Beichtvater nicht als Mensch, son<strong>de</strong>rn als Diener Gottes, <strong>und</strong><br />

strenger ist die sakramentale Schweigepflicht als je<strong>de</strong>s mensch­<br />

liche Gebot.<br />

Bei <strong>de</strong>n Geheimnissen, die einem sonstwie unter <strong>de</strong>m Siegel<br />

<strong>de</strong>r Verschwiegenheit k<strong>und</strong>getan wer<strong>de</strong>n, ist zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

Bisweilen sind sie von <strong>de</strong>r Art, daß man sie gleich nach Kennt­<br />

nisnahme bekanntgeben muß, z. B. wenn ein Geheimnis zum<br />

geistlichen o<strong>de</strong>r materiellen Ver<strong>de</strong>rben <strong>de</strong>s Volkes o<strong>de</strong>r zum<br />

großen Scha<strong>de</strong>n irgen<strong>de</strong>iner Person führen wür<strong>de</strong>, o<strong>de</strong>r um was<br />

<strong>de</strong>rgleichen es sich auch immer handle, das man durch Zeugen­<br />

aussage o<strong>de</strong>r Anzeige offenbaren muß. Diese Pflicht kann<br />

durch das anvertraute Geheimnis nicht außer Kraft gesetzt wer­<br />

<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn sonst wür<strong>de</strong> man gegen die Loyalität verstoßen, die<br />

man <strong>de</strong>m Mitmenschen schul<strong>de</strong>t. - Es gibt aber auch Geheim­<br />

nisse, die man nicht unbedingt weitergeben muß. Die Tatsache,<br />

daß sie jeman<strong>de</strong>m unter <strong>de</strong>m Siegel <strong>de</strong>r Verschwiegenheit<br />

anvertraut wur<strong>de</strong>n, verpflichtet, <strong>und</strong> dann darf er sie auf keinen<br />

Fall preisgeben, auch nicht auf Befehl eines Vorgesetzten,<br />

<strong>de</strong>nn Treue wahren ist Naturrecht. Es kann <strong>de</strong>m Menschen aber<br />

nichts befohlen wer<strong>de</strong>n, was <strong>de</strong>m Naturrecht wi<strong>de</strong>rspricht.<br />

Zu 3. Die Diener <strong>de</strong>s Altars haben nicht die Tötung eines<br />

Menschen zu besorgen o<strong>de</strong>r dabei mitzuhelfen, wie oben (64,4;<br />

40,2) betont wur<strong>de</strong>. Daher können sie nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung<br />

nicht dazu veranlaßt wer<strong>de</strong>n, in einem Verfahren über to<strong>de</strong>s­<br />

würdige Missetaten als Zeugen aufzutreten.<br />

2. Artikel<br />

Genügt die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen?<br />

1. Das Urteil verlangt Sicherheit, doch sichere Wahrheit ist<br />

durch die Aussage von zwei Zeugen nicht zu erreichen. 3 Kön<br />

21,9 ff. liest man nämlich, daß Nabotb auf die Aussage von zwei<br />

Zeugen hin unschuldig zum Tod verurteilt wur<strong>de</strong>. Also genügen<br />

die Aussagen von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen nicht.<br />

152


2. Damit das Zeugnis glaubwürdig sei, müssen die Aussagen 70.2<br />

übereinstimmen. Doch meistens gehen die Aussagen von zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen auseinan<strong>de</strong>r. Also reichen sie nicht aus, um die<br />

Wahrheit vor Gericht zu beweisen.<br />

3. In <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 4 (Frdbl,466) steht: „Ein Bischof<br />

soll nur auf die Aussagen von 72 Zeugen hin verurteilt wer<strong>de</strong>n.<br />

Ein Kardinalpriester ist nur bei 44 Zeugenaussagen abzuset­<br />

zen. Zur Verurteilung eines Kardinaldiakons <strong>de</strong>r Stadt Rom<br />

müssen 28 Zeugenaussagen zusammenkommen. Ein Subdia-<br />

kon, Akolyth, Exorzist, Lektor <strong>und</strong> Ostiarius soll nur aufgr<strong>und</strong><br />

von 7 Zeugenaussagen verurteilt wer<strong>de</strong>n." Doch die Sün<strong>de</strong><br />

eines in höherer Wür<strong>de</strong> Stehen<strong>de</strong>n ist unheilvoller <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb<br />

weniger zu dul<strong>de</strong>n. Also genügt auch zur Verurteilung <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren die Zeugenaussage von zwei o<strong>de</strong>r drei nicht.<br />

DAGEGEN heißt es Dt 17,6: „Wenn es um Leben o<strong>de</strong>r Tod<br />

eines Angeklagten geht, darf er nur auf die Aussagen von zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen hin zum Tod verurteilt wer<strong>de</strong>n." Und weiter<br />

19,15: „Auf die Aussage von zwei o<strong>de</strong>r drei Zeugen hin darf<br />

eine Sache <strong>Recht</strong> bekommen."<br />

ANTWORT. Nach <strong>de</strong>s AristotelesEthik (1,1 u.7; 1094b 12 u.<br />

1098 a 26) „darf man in verschie<strong>de</strong>nen Bereichen nicht <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Grad von Sicherheit verlangen". Die menschlichen Hand­<br />

lungen nun, über die Gericht gehalten wird <strong>und</strong> Zeugenaussa­<br />

gen entschei<strong>de</strong>n, lassen sich nicht mit absoluter Sicherheit beur­<br />

teilen, <strong>de</strong>nn sie wirken auf <strong>de</strong>m Feld <strong>de</strong>s Zufälligen <strong>und</strong> Ver­<br />

än<strong>de</strong>rlichen. Es genügt hier <strong>de</strong>swegen eine wahrscheinliche<br />

Sicherheit, wie sie in <strong>de</strong>n meisten Fällen gegeben ist, auch wenn<br />

sie sich ausnahmsweise mit <strong>de</strong>r Wahrheit einmal nicht <strong>de</strong>ckt. Es<br />

ist aber wahrscheinlich, daß die Aussage vieler <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

näher kommt, als die Aussage nur einer Person. Weil nun <strong>de</strong>r<br />

Angeklagte <strong>de</strong>r einzige ist, <strong>de</strong>r leugnet, viele Zeugen in ihren<br />

Aussagen mit <strong>de</strong>m Ankläger jedoch einig gehen, ist es vom gött­<br />

lichen <strong>und</strong> menschlichen <strong>Recht</strong> vernünftigerweise so bestimmt<br />

wor<strong>de</strong>n, daß man sich an die Aussage <strong>de</strong>r Zeugen halten muß.<br />

Je<strong>de</strong> Vielheit ist in ihren drei Elementen beschlossen, näm­<br />

lich in Anfang, Mitte <strong>und</strong> En<strong>de</strong>. Daher schreibt Aristoteles im<br />

I.Buch seiner Himmelsk<strong>und</strong>e (c. 1; 268a9): „In <strong>de</strong>r Zahl drei<br />

lassen wir Universalität <strong>und</strong> Totalität sich grün<strong>de</strong>n." Nun wird<br />

die Dreizahl <strong>de</strong>r Aussagen erreicht, wenn zwei Zeugen mit <strong>de</strong>m<br />

Ankläger übereinstimmen. Daher sind zwei Zeugen erfor<strong>de</strong>r­<br />

lich o<strong>de</strong>r zur größeren Sicherheit drei, um die Dreiheit zu errei-<br />

153


70. 2 chen, in <strong>de</strong>r die vollkommene Vielheit beruht. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong> heißt es auch Prd4,12: „Eine dreifache Schnur reißt<br />

nicht so leicht." Augustinus aber sagt zum Wort bei Joh 8,17<br />

„Das Zeugnis von zwei Menschen ist wahr" : „Dadurch wird<br />

symbolisch an das Geheimnis <strong>de</strong>r Dreifaltigkeit erinnert, in <strong>de</strong>r<br />

ewig unverän<strong>de</strong>rlich die Wahrheit ruht" (In Joh, Tr. 36; ML 35,<br />

1669).<br />

Zu 1. Wie hoch auch immer die Anzahl <strong>de</strong>r Zeugen<br />

bestimmt wird, es kann <strong>de</strong>nnoch zu einer falschen Bezeugung<br />

kommen, steht doch Ex 23,2 geschrieben: „Du sollst <strong>de</strong>r gro­<br />

ßen Menge nicht folgen, um Böses zu tun." Und trotz<strong>de</strong>m darf<br />

man, da hier eine unfehlbare Sicherheit eben nicht erreicht wer­<br />

<strong>de</strong>n kann, auf die wahrscheinliche Sicherheit, die durch zwei<br />

o<strong>de</strong>r drei Zeugen zu erlangen ist, nicht verzichten.<br />

Zu 2. Stimmen die Zeugen in <strong>de</strong>n Aussagen über einige<br />

wichtige Umstän<strong>de</strong>, die <strong>de</strong>n Sachverhalt wesentlich berühren,<br />

z. B. in <strong>de</strong>r Frage <strong>de</strong>r Zeit, <strong>de</strong>s Ortes o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r beteiligten Perso­<br />

nen, nicht überein, so besitzt ihr Zeugnis keinen Wert. Denn<br />

wenn sie in diesen Punkten nicht einig sind, haben ihre Aus­<br />

sagen nichts miteinan<strong>de</strong>r zu tun <strong>und</strong> beziehen sich augen­<br />

scheinlich auf verschie<strong>de</strong>ne Ereignisse, z.B. wenn <strong>de</strong>r eine<br />

behauptet, dieser Vorfall habe zu dieser Zeit o<strong>de</strong>r an diesem Ort<br />

stattgef<strong>und</strong>en, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erklärt, zu an<strong>de</strong>rer Zeit <strong>und</strong> an<br />

einem an<strong>de</strong>ren Ort, dann re<strong>de</strong>n sie wohl nicht von <strong>de</strong>r gleichen<br />

Sache. Die Zeugenaussage wird jedoch nicht wertlos, wenn sich<br />

<strong>de</strong>r eine mit einer Erinnerungslücke entschuldigt, während <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re Zeit <strong>und</strong> Ort genau angeben kann.<br />

Wenn sich bei diesen Aussagen die Zeugen <strong>de</strong>s Anklägers<br />

<strong>und</strong> die <strong>de</strong>s Angeklagten völlig wi<strong>de</strong>rsprechen, dann wird, falls<br />

sie an Zahl <strong>und</strong> Gewicht gleich sind, zugunsten <strong>de</strong>s Angeklag­<br />

ten entschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Richter muß eher zu Freispruch als<br />

zu Verurteilung neigen, es sei <strong>de</strong>nn, es handle sich um Fälle von<br />

Vergünstigung, wie Befreiung o<strong>de</strong>r dgl. [59]. - Sind sich die<br />

Zeugen <strong>de</strong>rselben Partei jedoch nicht einig, dann muß <strong>de</strong>r Rich­<br />

ter entsprechend ihrer Zahl o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Gewicht ihrer Aussagen<br />

o<strong>de</strong>r mit Rücksicht auf mil<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> Umstän<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r die Lage <strong>de</strong>s<br />

Falles <strong>und</strong> all <strong>de</strong>ssen, was vorgebracht wur<strong>de</strong>, herausfin<strong>de</strong>n, für<br />

welche Partei zu entschei<strong>de</strong>n ist.<br />

Noch viel mehr ist die Aussage eines Zeugen zurückzuwei­<br />

sen, <strong>de</strong>r sich auf die Frage, was er gesehen habe <strong>und</strong> wisse,<br />

selbst wi<strong>de</strong>rspricht. Nicht jedoch, wenn er sich, nach seiner<br />

154


Meinung <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Hörensagen befragt, in Wi<strong>de</strong>rsprüche ver- 70.3<br />

wickelt, <strong>de</strong>nn er kann je nach <strong>de</strong>m Gesehenen <strong>und</strong> Gehörten<br />

innerlich zu verschie<strong>de</strong>nen Antworten gedrängt wer<strong>de</strong>n.<br />

Beziehen sich wi<strong>de</strong>rsprüchliche Aussagen auf nebensäch­<br />

liche Dinge, z. B. ob das Wetter neblich o<strong>de</strong>r schön gewesen, das<br />

Haus bemalt war o<strong>de</strong>r nicht o<strong>de</strong>r dgl., so spielen solche<br />

Unstimmigkeiten für <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Zeugnisses keine Rolle,<br />

<strong>de</strong>nn auf <strong>de</strong>rlei achten die Leute meist nicht beson<strong>de</strong>rs, weshalb<br />

sie es auch leicht vergessen. Ein wenig Unstimmigkeit macht im<br />

Gegenteil das Zeugnis umso glaubhafter, wie Chrysostomus in<br />

seinem Matthäuskommentar (Horn. 1; MG 57,16) bemerkt.<br />

Denn wi<strong>de</strong>rsprächen sie sich auch in <strong>de</strong>n geringsten Neben­<br />

sächlichkeiten nicht, dann könnte es <strong>de</strong>n Anschein haben, als<br />

hätten sie ihre gleichlauten<strong>de</strong>n Aussagen untereinan<strong>de</strong>r abge­<br />

macht.<br />

Zu 3. Jene Vorschrift ist eine Son<strong>de</strong>rregelung für Bischöfe,<br />

Priester, Diakone <strong>und</strong> Kleriker <strong>de</strong>r Römischen Kirche mit<br />

Rücksicht auf <strong>de</strong>ren Wür<strong>de</strong>. Und zwar aus dreifachem Gr<strong>und</strong>.<br />

1. weil in ihr nur solche ein Amt erlangen dürfen, <strong>de</strong>ren Heilig­<br />

keit mehr Glaube verdient als die Einwendungen vieler Zeugen.<br />

- 2. weil Menschen, die an<strong>de</strong>re richten müssen, um <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit willen oft viele Gegner haben. Daher soll man <strong>de</strong>n gegen<br />

sie auftreten<strong>de</strong>n Zeugen nicht so einfach Glauben schenken, es<br />

sei <strong>de</strong>nn, sie erschienen in großer Zahl. - 3. weil die Verurteilung<br />

eines von ihnen in <strong>de</strong>n Augen <strong>de</strong>r Menschen <strong>de</strong>r Wür<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Ansehen jener Teilkirche Abbruch tun wür<strong>de</strong>. Und dies<br />

hätte dort Schlimmeres zur Folge als das Ertragen eines Sün­<br />

<strong>de</strong>rs, es sei <strong>de</strong>nn sein unmoralisches Verhalten dringe in die<br />

breite Öffentlichkeit <strong>und</strong> verursache schweres Ärgernis.<br />

3. ARTIKEL<br />

Kann die Aussage eines Zeugen, ohne daß bei ihm Schuld<br />

vorliegt, zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Uber manche wird als Strafe verhängt, daß sie als Zeugen<br />

nicht zugelassen wer<strong>de</strong>n, wie dies bei <strong>de</strong>n (rechtlich) Ehrlosen<br />

zutrifft. Doch Strafe darf nur für schuldhaftes Vergehen auf­<br />

erlegt wer<strong>de</strong>n. Also ist niemand von <strong>de</strong>r Zeugenaussage aus­<br />

zuschließen, es sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

155


70. 3 2. „Je<strong>de</strong>r ist bis zum Beweis <strong>de</strong>s Gegenteils als ehrenhaft zu<br />

betrachten" (Gregor IX., c. Dudum <strong>de</strong> Praesumpt.; Frdb<br />

II, 359). Doch ein ehrenhafter Mensch gibt ein wahres Zeugnis<br />

ab. Weil also das Gegenteil nur bei erwiesener Schuld <strong>de</strong>r Fall<br />

sein kann, darf niemand als Zeuge zurückgewiesen wer<strong>de</strong>n, es<br />

sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

3. Nur die Sün<strong>de</strong> macht <strong>de</strong>n Menschen unfähig, das zu tun,<br />

was zum ewigen Heil notwendig ist. Doch Zeugnis für die<br />

Wahrheit ablegen ist notwendig zum ewigen Heil (vgl. Art. 1).<br />

Also darf niemand vom Zeugnisgeben ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, wegen einer Schuld.<br />

DAGEGEN steht das Wort Gregors (Regist. XIII, ep. 45;<br />

ML 77,1299) - es fin<strong>de</strong>t sich auch in <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 1<br />

(Frdbl, 442): „Wird ein Bischof von seinen Dienern verklagt, so<br />

ist zu wissen, daß diese auf keinen Fall gehört wer<strong>de</strong>n dürfen."<br />

ANTWORT. Eine Zeugenaussage besitzt, wie betont, keine<br />

unfehlbare Sicherheit, son<strong>de</strong>rn nur eine wahrscheinliche. Daher<br />

macht alles, was die Wahrscheinlichkeit ins Gegenteil verkehrt,<br />

die Zeugenaussage wertlos. Nun wird die Festigkeit in <strong>de</strong>r<br />

Bezeugung <strong>de</strong>r Wahrheit bisweilen in Frage gestellt, <strong>und</strong> zwar<br />

trifft dies einmal bei <strong>de</strong>n schuldhaft Ungläubigen zu, bei Leuten<br />

mit schlechtem Leum<strong>und</strong> sowie bei <strong>de</strong>nen, die ein öffentliches<br />

Verbrechen begangen haben; alle diese können auch nicht als<br />

Ankläger auftreten. Bisweilen liegt jedoch auch keine Schuld<br />

vor. So im Fall mangeln<strong>de</strong>r Vernunft wie bei Kin<strong>de</strong>rn, Geistes­<br />

kranken <strong>und</strong> Frauen, o<strong>de</strong>r wenn Lei<strong>de</strong>nschaften mit ins Spiel<br />

kommen, wie bei Fein<strong>de</strong>n, verwandten Personen <strong>und</strong> Dienst­<br />

personal, o<strong>de</strong>r auch bei Leuten in gewissen sozialen Verhältnis­<br />

sen, wie <strong>de</strong>n Armen, <strong>de</strong>n Sklaven <strong>und</strong> <strong>de</strong>nen, die Befehle emp­<br />

fangen, die alle, wie zu befürchten, leicht zu unwahren Zeugen­<br />

aussagen zu bringen sind. Somit ist also verständlich, daß<br />

sowohl Schuldige wie auch Menschen ohne persönliche Schuld<br />

von <strong>de</strong>r Zeugenaussage ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Die Zurückweisung eines Zeugen ist weniger Strafe<br />

als vielmehr Sicherung gegen falsche Aussagen. Also ist <strong>de</strong>r Ein­<br />

wand nicht stichhaltig.<br />

Zu 2. Bis zum Gegenbeweis ist je<strong>de</strong>r als ehrenhaft zu<br />

betrachten, solange bei dieser Annahme ein Dritter nicht in<br />

Gefahr kommt. Denn dann muß man Vorsicht walten lassen<br />

<strong>und</strong> darf nicht leicht je<strong>de</strong>m Glauben schenken gemäß 1JO4, 1:<br />

„Traue nicht je<strong>de</strong>m Geist."<br />

156


Zu 3. Bezeugen ist heilsnotwendig, vorausgesetzt <strong>de</strong>r 70.4<br />

Zeuge ist geeignet <strong>und</strong> wird <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung entsprechend<br />

aufgerufen. Es steht also nichts im Weg, daß einige zum Zeug­<br />

nisgeben nicht zugelassen wer<strong>de</strong>n, wenn sie <strong>de</strong>n gesetzlichen<br />

Bedingungen nicht entsprechen.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist falsche Zeugenaussage immer Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Falsche Zeugenaussage kann auf Unkenntnis <strong>de</strong>s Tatbe­<br />

stands beruhen. Doch solche Unkenntnis entschuldigt von <strong>de</strong>r<br />

Todsün<strong>de</strong>. Also ist falsche Zeugenaussage nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

2. Eine Lüge, die nützt <strong>und</strong> nieman<strong>de</strong>m scha<strong>de</strong>t, ist Gefällig­<br />

keitslüge, <strong>und</strong> diese ist keine Todsün<strong>de</strong>. Doch bisweilen besteht<br />

ein falsches Zeugnis aus einer solchen Lüge, z. B. wenn jemand<br />

ein falsches Zeugnis ablegt, um einen vom Tod zu erretten o<strong>de</strong>r<br />

vor einem ungerechten Urteil zu bewahren, das an<strong>de</strong>re falsche<br />

Zeugen o<strong>de</strong>r ein verkommener Richter durchbringen möchten.<br />

Also ist falsches Zeugnis dieser Art keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

3. Vom Zeugen wird ein Eid verlangt, damit er sich bei sei­<br />

nem feierlichen Schwur davor hüte, schwer zu sündigen. Dies<br />

wür<strong>de</strong> sich jedoch erübrigen, wenn das falsche Zeugnis selbst<br />

Todsün<strong>de</strong> wäre. Also ist falsches Zeugnis nicht immer Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht Sprl9,5: „Ein falscher Zeuge bleibt nicht<br />

ungestraft."<br />

ANTWORT. Eine falsche Zeugenaussage ist auf dreifache<br />

Weise eine entstellte Aussage. Einmal durch <strong>de</strong>n Meineid. Zeu­<br />

gen wer<strong>de</strong>n ja erst nach Ablegung <strong>de</strong>s Zeugenei<strong>de</strong>s zugelassen.<br />

Und <strong>de</strong>swegen ist ihre falsche Aussage immer Todsün<strong>de</strong>. -<br />

Sodann durch die Verletzung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Und <strong>de</strong>shalb ist<br />

sie ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong>, wie je<strong>de</strong> Ungerechtigkeit. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> wird das falsche Zeugnis in <strong>de</strong>n Zehn Geboten<br />

(Ex20,16) in folgen<strong>de</strong>r Form untersagt: „Du sollst kein fal­<br />

sches Zeugnis geben gegen <strong>de</strong>inen Nächsten." Denn jeman<strong>de</strong>n<br />

daran hin<strong>de</strong>rn, Unrecht zu tun, be<strong>de</strong>utet nicht, gegen ihn han­<br />

<strong>de</strong>ln: dies trifft nur zu, wenn man ihm nimmt, was ihm rechtens<br />

zusteht. - Drittens durch die Falschaussage als solche, die<br />

157


70. 4 Sün<strong>de</strong> ist wie je<strong>de</strong> Lüge. Doch daraus folgt nicht, daß falsches<br />

Zeugnis immer Todsün<strong>de</strong> ist.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>r Zeugenaussage darf man nicht etwas als siche­<br />

res Wissen ausgeben, was man in Wirklichkeit doch nicht genau<br />

kennt, son<strong>de</strong>rn was zweifelhaft ist, muß als Zweifel vor­<br />

gebracht, <strong>und</strong> was sicher ist, als sicher vorgetragen wer<strong>de</strong>n.<br />

Wegen <strong>de</strong>r Unzuverlässigkeit <strong>de</strong>s Gedächtnisses jedoch meint<br />

man bisweilen, etwas sicher zu wissen, was tatsächlich nicht<br />

stimmt. Wenn nun jemand nach sorgfältiger Prüfung für sicher<br />

wahr hält, was jedoch falsch ist, so begeht er durch eine entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Behauptung keine Todsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn er macht an sich <strong>und</strong><br />

seiner Absicht nach keine falsche Aussage, sie hat nur rein<br />

äußerlich <strong>und</strong> zufällig etwas damit zu tun <strong>und</strong> ist gegen das, was<br />

er eigentlich will.<br />

Zu 2. Ein ungerechtes Urteil ist überhaupt kein Urteil.<br />

Daher ist eine falsche Zeugenaussage, die in einer ungerechten<br />

Gerichtsverhandlung gemacht wird, um eine Ungerechtigkeit<br />

zu verhüten, keine Todsün<strong>de</strong> (gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, weil<br />

keine vorhan<strong>de</strong>n), aber <strong>de</strong>nnoch Todsün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> zwar wegen<br />

<strong>de</strong>s gebrochenen Ei<strong>de</strong>s.<br />

Zu 3. DieMenschenschreckenammeistenvorSün<strong>de</strong>ngegen<br />

Gott zurück, sind sie ja doch die schwersten. Darunter fällt auch<br />

<strong>de</strong>r Meineid. Die Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten verabscheuen sie<br />

nicht so sehr. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wird zur größeren Sicherheit<br />

<strong>de</strong>r gerichtlichen Aussage <strong>de</strong>r Zeugeneid verlangt.<br />

158


71. FRAGE<br />

DIE UNGERECHTIGKEITEN,<br />

DIE VOR GERICHT DURCH DIE<br />

ANWÄLTE BEGANGEN WERDEN<br />

Nun ist noch von Ungerechtigkeiten zu re<strong>de</strong>n, die vor<br />

Gericht durch die <strong>Recht</strong>sanwälte begangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Hierbei stellen sich vier Fragen:<br />

1. Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sbeistand im Prozeß<br />

eines Armen mitzuwirken?<br />

2. Darf jemand vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer­<br />

<strong>de</strong>n?<br />

3. Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r als Verteidiger einer ungerechten<br />

Sache auftritt?<br />

4. Sündigt er, wenn er für seinen Beistand Geld nimmt?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, als <strong>Recht</strong>sheistand im Prozeß eines<br />

Armen mitzuwirken?<br />

1. Ex 25,5 heißt es: „Wenn du <strong>de</strong>n Esel <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r dich haßt,<br />

unter seiner Last liegen siehst, so sollst du nicht vorübergehen,<br />

son<strong>de</strong>rn ihm helfen, <strong>de</strong>n Esel aufzurichten." Doch nicht weni­<br />

ger Gefahr droht <strong>de</strong>m Armen, wenn seine Sache vor Gericht<br />

gegen alle <strong>Gerechtigkeit</strong> in Bedrängnis gerät, als seinem Esel,<br />

wenn die Last ihn zu Bo<strong>de</strong>n drückt. Also ist <strong>de</strong>r Anwalt ver­<br />

pflichtet, die Sache <strong>de</strong>s Armen in seine Hand zu nehmen.<br />

2. In einer Homilie (In Evang., hom9; ML76,1100) sagt<br />

Gregor. „Wer Verstand <strong>und</strong> Wissen hat, schweige nicht; wer<br />

Überfluß an Hab <strong>und</strong> Gut besitzt, lasse <strong>de</strong>r Barmherzigkeit<br />

großzügigen Lauf; wer die Kunst <strong>de</strong>s Regierens versteht, wirke<br />

damit zum Wohl <strong>de</strong>s Nächsten; wer mit <strong>de</strong>n Reichen ins<br />

Gespräch kommt, verwen<strong>de</strong> sich für die Armen! Je<strong>de</strong> Bega­<br />

bung, <strong>und</strong> sei sie noch so gering, wird nämlich einem je<strong>de</strong>n als<br />

,Talent' angerechnet." Sein anvertrautes Talent darf man aber<br />

nicht vergraben, son<strong>de</strong>rn muß es treu verwalten. Dies beweist<br />

<strong>de</strong>utlich die Strafe <strong>de</strong>s Knechts, <strong>de</strong>r sein Talent vergrub<br />

159


71. l (Mt 25,24 ff.). Also ist <strong>de</strong>r Anwalt verpflichtet, Fürsprecher <strong>de</strong>r<br />

Armen zu sein.<br />

3. Das Gebot, die Werke <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zu tun, ist posi­<br />

tiv <strong>und</strong> daher entsprechend Ort <strong>und</strong> Zeit verpflichtend, vor<br />

allem im Fall <strong>de</strong>r Not. Dies ist nun gegeben, wenn die Sache<br />

eines Armen in Schwierigkeiten kommt. Also ist <strong>de</strong>r Anwalt in<br />

einem solchen Fall gehalten, <strong>de</strong>n Armen mit seiner <strong>Recht</strong>shilfe<br />

beizuspringen.<br />

DAGEGEN steht: <strong>de</strong>r Arme, <strong>de</strong>r Nahrung braucht, ist in<br />

einer nicht geringeren Not als <strong>de</strong>r Arme, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sbei­<br />

stand <strong>de</strong>s Anwalts braucht. Wer jedoch <strong>de</strong>s Armen Hunger zu<br />

stillen vermag, ist nicht verpflichtet, dies immer zu tun. Also ist<br />

auch <strong>de</strong>r Anwalt nicht immer verpflichtet, <strong>de</strong>r Sache <strong>de</strong>s Armen<br />

seinen Beistand zu gewähren.<br />

ANTWORT. Da <strong>Recht</strong>shilfe für die Armen zu <strong>de</strong>n Werken<br />

<strong>de</strong>r Barmherzigkeit gehört, ist hier das gleiche zu sagen wie<br />

oben, wo von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit die Re<strong>de</strong><br />

war (32,5.9). Keiner vermag nämlich allen Armen mit einem<br />

Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zu Hilfe zu kommen. Daher sagt<br />

Augustinus im I.Buch seiner Christlichen Lehre (c.28;<br />

ML 34,30): „Da du nicht allen helfen kannst, mußt du <strong>de</strong>nen<br />

vor allem beispringen, die dir nach Ort <strong>und</strong> Zeit <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren<br />

günstigen Umstän<strong>de</strong>n näher stehen <strong>und</strong> gleichsam schicksal­<br />

haft mit dir verb<strong>und</strong>en sind." Er spricht also vom „günstigen<br />

Umstand <strong>de</strong>s Ortes", das heißt: man braucht nicht in <strong>de</strong>r gan­<br />

zen Welt die Armen zusammenzusuchen, son<strong>de</strong>rn es genügt,<br />

<strong>de</strong>nen, die einem gera<strong>de</strong> begegnen, das Werk <strong>de</strong>r Barmherzig­<br />

keit zuzuwen<strong>de</strong>n. Daher heißt es Ex23,4: „Wenn du zufällig<br />

<strong>de</strong>ines Fein<strong>de</strong>s verirrten Ochsen o<strong>de</strong>r Esel siehst, dann bring sie<br />

ihm zurück." - Er fügt auch hinzu: „nach Zeit", <strong>de</strong>nn niemand<br />

braucht für die zukünftige Not <strong>de</strong>s Nächsten Vorsorge zu tref­<br />

fen, son<strong>de</strong>rn es genügt, jetzt <strong>und</strong> heute etwas für ihn zu tun.<br />

Deshalb heißt es 1JO3, 17: „Wer seinen Bru<strong>de</strong>r Not lei<strong>de</strong>n sieht<br />

<strong>und</strong> sein Herz vor ihm verschließt" usw. - Schließlich bemerkt<br />

er noch: „nach an<strong>de</strong>ren günstigen Umstän<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>nn man muß<br />

seinen Verwandten in je<strong>de</strong>r Not am meisten seine Fürsorge<br />

ange<strong>de</strong>ihen lassen gemäß 1 Tim 5,8: „Wer aber für seine Ver­<br />

wandten, beson<strong>de</strong>rs für die eigenen Hausgenossen, nicht sorgt,<br />

<strong>de</strong>r verleugnet damit <strong>de</strong>n Glauben."<br />

Wenn dies alles zutrifft, bleibt <strong>de</strong>nnoch zu sehen, ob sich<br />

jemand in einer <strong>de</strong>rartigen Notlage befin<strong>de</strong>t, daß man nicht<br />

160


weiß, wie ihm rasch in an<strong>de</strong>rer Weise zu helfen sei. In diesem 71. 2<br />

Fall ist ihm das Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit zuzuwen<strong>de</strong>n. -<br />

Erblickt man aber eine an<strong>de</strong>re Möglichkeit, etwas für ihn zu<br />

tun, sei es im Sinn <strong>de</strong>r Hilfe zur Selbsthilfe, sei es, daß eine noch<br />

näher stehen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r eine vermögen<strong>de</strong>re Person bereitsteht, so<br />

braucht man <strong>de</strong>m Armen nicht unbedingt beizuspringen, so<br />

daß man sich bei Unterlassung versündigen wür<strong>de</strong>, obwohl es<br />

löblich ist, dies auch ohne eine beson<strong>de</strong>re Notlage zu tun.<br />

Daher ist <strong>de</strong>r Anwalt nicht verpflichtet, <strong>de</strong>m Armen immer<br />

seinen <strong>Recht</strong>sbeistand zu gewähren, son<strong>de</strong>rn nur unter <strong>de</strong>n<br />

oben angeführten Bedingungen. Sonst müßte er nämlich alle<br />

an<strong>de</strong>ren Geschäfte liegen lassen <strong>und</strong> sich nur <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbeihilfe<br />

für die Armen widmen. - Das gleiche wäre vom Arzt in Sachen<br />

Armenfürsorge zu sagen.<br />

Zu 1. Liegt <strong>de</strong>r Esel zusammengebrochen unter seiner Last,<br />

können ihm nur gera<strong>de</strong> Vorbeikommen<strong>de</strong> wie<strong>de</strong>r auf die Beine<br />

helfen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb müssen sie es auch tun. Sie brauchten es<br />

aber nicht, wenn von an<strong>de</strong>rswoher Hilfe käme.<br />

Zu 2. Der Mensch muß das ihm anvertraute Talent hilfreich<br />

einsetzen, doch, wie betont, unter Berücksichtigung von Ort,<br />

Zeit <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Gegebenheiten.<br />

Zu 3. Nicht je<strong>de</strong> Not for<strong>de</strong>rt notwendig Hilfe heraus, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur jene, wie oben beschrieben.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist es in Ordnung, daß bestimmte Personen rechtmäßig vom<br />

Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n?<br />

1. Von Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit darf niemand ferngehal­<br />

ten wer<strong>de</strong>n. Doch <strong>Recht</strong>sbeistand leisten gehört, wie gesagt, zu<br />

<strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>r Barmherzigkeit. Also darf niemand von diesem<br />

Amt ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Aus zwei entgegengesetzten Ursachen kann nicht die<br />

gleiche Wirkung hervorgehen. Doch sich göttlichen Dingen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Sündigen hingeben sind Gegensätze. Es ist also ungereimt,<br />

wenn vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts manche, wie die Mönche <strong>und</strong> Kle­<br />

riker, wegen <strong>de</strong>r Religion, manche aber wegen Sün<strong>de</strong>nschuld,<br />

wie die Ehrlosen <strong>und</strong> Irrlehrer, ausgeschlossen wer<strong>de</strong>n.<br />

3. Man muß <strong>de</strong>n Nächsten lieben wie sich selbst. Nun<br />

drängt die Liebe <strong>de</strong>n Anwalt, sich <strong>de</strong>r Sache seines Nächsten<br />

161


71. 2 anzunehmen. So ist es also nicht in Ordnung, wenn manche<br />

zwar ihre eigene Angelegenheit vor Gericht vertreten können,<br />

die Fälle an<strong>de</strong>rer jedoch nicht übernehmen dürfen.<br />

DAGEGEN steht in <strong>de</strong>n Dekreten III, q.7 (Frdbl,525),<br />

wonach viele Personen vom Amt <strong>de</strong>s Anwalts ausgeschlossen<br />

sind.<br />

ANTWORT. Aus doppeltem Gr<strong>und</strong> wird jeman<strong>de</strong>m eine<br />

Tätigkeit untersagt. Einmal wegen Unfähigkeit <strong>und</strong> sodann<br />

wegen Unschicklichkeit. Bei Unfähigkeit kommt das <strong>Recht</strong> auf<br />

gewisse Handlungen überhaupt nicht in Frage. Unschicklich­<br />

keit hingegen schließt sie nicht völlig aus, weil Notwendigkeit<br />

die Unschicklichkeit aufheben kann. So wer<strong>de</strong>n manche vom<br />

Amt <strong>de</strong>s Anwalts wegen Unfähigkeit ausgeschlossen, weil<br />

ihnen an ihrer sinnhaften Ausstattung etwas abgeht, sei es<br />

innerlich, wie bei <strong>de</strong>n Geisteskranken <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>rn, sei es<br />

äußerlich, wie bei <strong>de</strong>n Tauben <strong>und</strong> Stummen. Der Anwalt muß<br />

nämlich geistig imstan<strong>de</strong> sein, in angemessener Weise die recht­<br />

liche Seite <strong>de</strong>s übernommenen Falles aufzuzeigen, <strong>und</strong> die<br />

nötige Ausdrucksfähigkeit <strong>und</strong> das aufmerksame Ohr besitzen,<br />

um genau hinzuhören <strong>und</strong> wie<strong>de</strong>rzugeben, was ihm vorgetra­<br />

gen wird. Wer hier also Mängel aufweist, kann als Anwalt nie­<br />

mals in Frage kommen, we<strong>de</strong>r für sich selbst, noch für an<strong>de</strong>re.<br />

Aus zwei Grün<strong>de</strong>n schickt es sich für gewisse Personengrup­<br />

pen nicht, das Amt <strong>de</strong>s Anwalts auszuüben. Einmal für jemand,<br />

<strong>de</strong>r durch höhere Verpflichtungen geb<strong>und</strong>en ist. So geziemt es<br />

sich für Mönche <strong>und</strong> Priester nicht, in irgen<strong>de</strong>iner Sache als<br />

Anwälte zu wirken, ebensowenig für Kleriker vor einem weltli­<br />

chen Gericht, <strong>de</strong>nn alle diese Leute haben für Gott <strong>und</strong> seine<br />

Sache da zu sein. - Sodann für Personen, die an gewissen Män­<br />

geln lei<strong>de</strong>n, seien sie körperlicher Art, wie dies bei <strong>de</strong>n Blin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Fall ist, die vernünftigerweise nicht vor <strong>de</strong>m Richter erschei­<br />

nen können, seien sie geistiger Art, weil es sich für einen, <strong>de</strong>r die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> für sich selbst verachtet hat, nicht geziemt, für<br />

an<strong>de</strong>re <strong>de</strong>n Anwalt zu spielen. Daher können Ehrlose, Ungläu­<br />

bige <strong>und</strong> wegen schwerer Verbrechen Verurteilte geziemen<strong>de</strong>r­<br />

weise nicht als <strong>Recht</strong>sanwälte auftreten.<br />

Zu 1. Manche wer<strong>de</strong>n wegen Unfähigkeit, manche aus<br />

Schicklichkeitsgrün<strong>de</strong>n daran gehin<strong>de</strong>rt, Werke <strong>de</strong>rBarmherzig-<br />

keit zu tun. Denn es ziemt sich nicht für alle, alle Werke <strong>de</strong>r Barm­<br />

herzigkeit auszuüben, wie etwa für die Einfältigen, Ratschläge<br />

zu geben, <strong>und</strong> für die Nichtswisser, Unterricht zu erteilen.<br />

162


Zu 2. Wie die Tugend durch ein Zuviel o<strong>de</strong>r ein Zuwenig 71.3<br />

aufgehoben wird, so ergibt sich das Unangemessene durch ein<br />

Zuhoch <strong>und</strong> ein Zunie<strong>de</strong>r. Aus diesem Gr<strong>und</strong> wer<strong>de</strong>n manche<br />

vom Anwaltsamt ausgeschlossen, weil sie zu hoch über dieser<br />

Tätigkeit stehen, wie die Or<strong>de</strong>nsleute <strong>und</strong> die Kleriker, an<strong>de</strong>re<br />

wie<strong>de</strong>rum, weil sie unterhalb <strong>de</strong>r Erfor<strong>de</strong>rnisse für dieses Amt<br />

stehen, wie die Ehrlosen <strong>und</strong> die Ungläubigen.<br />

Zu 3. Der Mensch hat eine größere Verpflichtung, sich sei­<br />

ner eigenen <strong>Recht</strong>sangelegenheiten anzunehmen als <strong>de</strong>r Sache<br />

an<strong>de</strong>rer. Denn die an<strong>de</strong>ren können selber sehen, wie sie weiter­<br />

kommen. Der Einwand gilt daher nicht.<br />

3. ARTIKEL<br />

Sündigt <strong>de</strong>r Anwalt, <strong>de</strong>r eine ungerechte Sache vertritt?<br />

1. Wie ein Arzt seine Tüchtigkeit dadurch beweist, daß er<br />

einen hoffnungslos Kranken heilt, so <strong>de</strong>r Anwalt sein Können<br />

dadurch, daß er auch eine ungerechte Sache zu verteidigen ver­<br />

steht. Nun wird <strong>de</strong>r Arzt gelobt, wenn er einen hoffnungslos<br />

Kranken heilt. Also sündigt auch <strong>de</strong>r Anwalt nicht, son<strong>de</strong>rn ist<br />

noch mehr zu loben, wenn er eine ungerechte Sache verteidigt.<br />

2. Eine sündhafte Handlung darf man abbrechen. Nun wird<br />

nach <strong>de</strong>n Dekreten II, q. 3 (Frdb 1,454) <strong>de</strong>r Anwalt bestraft,<br />

wenn er seinen Fall aufgibt. Also sündigt <strong>de</strong>r Anwalt nicht,<br />

wenn er eine ungerechte Sache, die er zur Verteidigung über­<br />

nommen hat, weiterführt.<br />

3. Schwerer sündigt, wer Ungerechtigkeit zur Verteidigung<br />

einer gerechten Sache einsetzt, in<strong>de</strong>m er z. B. falsche Zeugen<br />

vorführt o<strong>de</strong>r falsche Gesetze heranzieht, als wer eine unge­<br />

rechte Sache verteidigt, <strong>de</strong>nn jene Sün<strong>de</strong> bezieht sich auf die<br />

Form, die zweite auf <strong>de</strong>n Inhalt. Doch <strong>de</strong>m Anwalt sind <strong>de</strong>rlei<br />

Winkelzüge wohl erlaubt, wie es auch <strong>de</strong>m Soldaten erlaubt ist,<br />

aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus zu kämpfen. Also sündigt <strong>de</strong>r<br />

Anwalt nicht, wenn er eine ungerechte Sache verteidigt.<br />

DAGEGEN heißt es 2 Chrl9,2: „Du leistest <strong>de</strong>m Gottlosen<br />

Hilfe..., darum verdienst du <strong>de</strong>n Zorn <strong>de</strong>s Herrn." Nun<br />

gewährt <strong>de</strong>r Anwalt durch die Verteidigung einer ungerechten<br />

Sache <strong>de</strong>m Gottlosen Hilfe. Also verdient er wegen dieser<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Zorn Gottes.<br />

163


71. 3 ANTWORT. Es ist unerlaubt, zum Bösen mitzuwirken, sei es<br />

durch Rat, sei es durch Hilfe o<strong>de</strong>r durch irgen<strong>de</strong>ine Art von<br />

Zustimmung, <strong>de</strong>nn wer rät <strong>und</strong> mithilft, ist irgendwie selbst <strong>de</strong>r<br />

Täter. Und <strong>de</strong>r Apostel schreibt Rom 1,32: „Nicht nur die,<br />

welche die Sün<strong>de</strong> tun, sind <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig, son<strong>de</strong>rn auch alle,<br />

die damit einverstan<strong>de</strong>n sind." Daher wur<strong>de</strong> auch oben (62,7)<br />

betont, daß alle diese zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung verpflichtet sind.<br />

Es ist nun offensichtlich, daß <strong>de</strong>r Anwalt <strong>de</strong>m Hilfe <strong>und</strong> Rat<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n läßt, <strong>de</strong>ssen Sache er vertritt. Wenn er daher<br />

bewußt ein ungerechtes Anliegen verteidigt, so begeht er ohne<br />

Zweifel eine schwere Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> ist verpflichtet, <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n die an<strong>de</strong>re Seite durch seine Hilfe gegen alle <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

erlitten hat, wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Verteidigt er jedoch unwis­<br />

send eine ungerechte Sache in <strong>de</strong>r Meinung, sie sei gerecht,<br />

dann ist er entschuldigt, soweit Unwissenheit entschuldigen<br />

kann.<br />

Zu 1. Wenn sich <strong>de</strong>r Arzt mit einem hoffnungslos Kranken<br />

abgibt, tut er nieman<strong>de</strong>m Unrecht. Der Anwalt jedoch, <strong>de</strong>r eine<br />

ungerechte Sache übernimmt, verletzt die <strong>Gerechtigkeit</strong> jenem<br />

gegenüber, gegen <strong>de</strong>n er zugunsten seines Mandanten auftritt.<br />

Daher sind bei<strong>de</strong> Fälle nicht zu vergleichen. So lobenswert sein<br />

juristisches Talent auch erscheinen mag, - sein ungerechtes Wol­<br />

len zeiht ihn <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn er gebraucht seine Mei­<br />

sterschaft zum Bösen.<br />

Zu 2. Wenn ein Anwalt zunächst <strong>de</strong>r Meinung ist, seine<br />

Sache sei gerecht, <strong>und</strong> im Verlauf <strong>de</strong>s Prozesses die Ungerechtig­<br />

keit zutage tritt, darf er sie nicht aufgeben, um <strong>de</strong>r Gegenpartei<br />

zu helfen o<strong>de</strong>r ihr die Geheimnisse seiner Akten zuzuspielen.<br />

Er kann <strong>und</strong> muß jedoch seine Teilnahme am Verfahren einstel­<br />

len o<strong>de</strong>r seinen Mandanten zur Aufgabe o<strong>de</strong>r zu einem Ver­<br />

gleich ohne Scha<strong>de</strong>n für <strong>de</strong>n Gegner veranlassen.<br />

Zu 3. Wie oben (40,3) erklärt, darf ein Soldat o<strong>de</strong>r Heerfüh­<br />

rer in einem gerechten Krieg aus <strong>de</strong>m Hinterhalt heraus manö­<br />

vrieren, in<strong>de</strong>m er seine Bewegungen klug verschleiert, es darf<br />

jedoch nicht in gemeine Hinterhältigkeit ausarten, <strong>de</strong>nn „auch<br />

<strong>de</strong>m Feind ist noch die Treue zu wahren", wie Cicero im<br />

III. Buch seiner Pflichtenlehre (c. 29) schreibt. Daher darf auch<br />

ein Anwalt in <strong>de</strong>r Verteidigung einer gerechten Sache klug ver­<br />

bergen, was seinem Vorgehen scha<strong>de</strong>n könnte, zu Betrügereien<br />

allerdings darf es nicht kommen.<br />

164


4. ARTIKEL 71. 4<br />

D


71.4 zufor<strong>de</strong>rn, nicht jedoch, was nach erträglicher Gewohnheit<br />

gegeben wor<strong>de</strong>n ist."<br />

Zu 1. Nicht alles, was man aus Barmherzigkeit tun kann,<br />

braucht man immer umsonst zu machen, sonst dürfte ja nie­<br />

mand etwas verkaufen, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>n Dienst kann man aus Barm­<br />

herzigkeit erweisen. Leistet er ihn aber aus reiner Barmherzig­<br />

keit, dann soll er nicht menschlichen, son<strong>de</strong>rn göttlichen Lohn<br />

erwarten. Ahnliches gilt für <strong>de</strong>n Anwalt, wenn er aus Barm­<br />

herzigkeit die Sache <strong>de</strong>r Armen vertritt: er soll dann nicht mit<br />

menschlicher, son<strong>de</strong>rn mit göttlicher Vergeltung rechnen. Doch<br />

ist er nicht verpflichtet, seine Anwaltsarbeit stets gratis zu ver­<br />

richten.<br />

Zu 2. Obwohl die <strong>Recht</strong>swissenschaft etwas Geistiges ist,<br />

setzt sie sich in <strong>de</strong>r Praxis in körperliche Leistung um. Daher<br />

darf man als Ausgleich Geld annehmen, sonst wäre es ja auch<br />

keinem Künstler erlaubt, aus seiner Kunst Gewinn zu ziehen.<br />

Zu 3. Richter <strong>und</strong> Zeugen sind für bei<strong>de</strong> Parteien in gleicher<br />

Weise da, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Richter muß ein gerechtes Urteil fällen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Zeuge eine wahre Aussage machen. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong><br />

Wahrheit dürfen sich jedoch nicht stärker nach <strong>de</strong>r einen als<br />

nach <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Seite neigen. Daher wer<strong>de</strong>n für die Richter als<br />

Arbeitsentschädigung Gehälter aus öffentlichen Mitteln bereit­<br />

gestellt, <strong>und</strong> die Zeugen erhalten - nicht als Lohn für ihre Aus­<br />

sage, son<strong>de</strong>rn als Entgelt für ihre Mühe - eine finanzielle<br />

Zuwendung entwe<strong>de</strong>r von bei<strong>de</strong>n Parteien o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Seite,<br />

die sie eingeführt hat, <strong>de</strong>nn, so heißt es 1 Kor 9,7: „Niemand<br />

leistet Kriegsdienst auf eigene Kosten." Der Anwalt jedoch ver­<br />

tritt nur die eine Seite. Daher kann er erlaubterweise von <strong>de</strong>r<br />

Partei, die seine <strong>Recht</strong>shilfe erfährt, Honorar beanspruchen.<br />

166


72. FRAGE<br />

DIE SCHMÄHUNG<br />

Nun sind die Verstöße gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> zu untersu­<br />

chen, die durch Worte außerhalb <strong>de</strong>s Gerichtsverfahrens began­<br />

gen wer<strong>de</strong>n. Dabei han<strong>de</strong>lt es sich erstens um Schmähung,<br />

zweitens um Ehrabschneidung, drittens um Ohrenbläserei,<br />

viertens um Verspottung <strong>und</strong> fünftens um Verwünschung.<br />

Zum ersten Punkt stellen sich vier Fragen:<br />

1. Worin besteht die Schmähung?<br />

2. Ist je<strong>de</strong> Schmähung Todsün<strong>de</strong>?<br />

3. Muß man Schmähungen zurückweisen?<br />

4. Woraus entspringt die Schmähung?<br />

1. ARTIKEL<br />

Besteht die Schmähung in Worten?<br />

1. Durch Schmähung wird <strong>de</strong>m Nächsten Scha<strong>de</strong>n zuge­<br />

fügt, <strong>de</strong>nn sie gehört in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit. Doch<br />

Worte bewirken für <strong>de</strong>n Nächsten keinerlei Scha<strong>de</strong>n, we<strong>de</strong>r an<br />

seinen Sachen noch an seiner Person. Also besteht Schmähung<br />

nicht in Worten.<br />

2. Schmähung ist eine Art von Entehrung. Doch durch<br />

Handlungen kann man mehr entehren o<strong>de</strong>r schmähen, als<br />

durch Worte. Also drückt sich Schmähung nicht in Worten, son­<br />

<strong>de</strong>rn eher in Handlungen aus.<br />

3. Entehrung durch Worte nennt man Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Vorhaltung. Doch Schmähung unterschei<strong>de</strong>t sich von Be­<br />

schimpfung <strong>und</strong> Vorhaltung. Also besteht Schmähung nicht in<br />

Worten.<br />

DAGEGEN nimmt das Gehör nichts an<strong>de</strong>res wahr als das<br />

Wort. Nun wird Schmähung mit <strong>de</strong>m Gehör wahrgenommen<br />

gemäß Jr20,10: „Ich hörte die Schmähungen ringsum." Also<br />

drückt sich Schmähung in Worten aus.<br />

ANTWORT. Schmähung be<strong>de</strong>utet Entehrung eines Men­<br />

schen, <strong>und</strong> dies geschieht auf doppelte Weise. Da Ehre eine<br />

überragen<strong>de</strong> Eigenschaft zur Voraussetzung hat, entehrt man<br />

jeman<strong>de</strong>n einmal dadurch, daß man ihn <strong>de</strong>s Vorzuges beraubt,<br />

<strong>de</strong>r ihm die Ehre einbrachte. Dies geschieht durch die Tatsün-<br />

167


72.1 <strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen oben (Fr. 64 ff.) die Re<strong>de</strong> war. - Sodann<br />

dadurch, daß man ihm Dinge, die gegen die Ehre sprechen, vor­<br />

hält o<strong>de</strong>r vor an<strong>de</strong>ren ausbreitet. Und darin besteht im eigentli­<br />

chen Sinn die Schmähung. Dies geschieht nun durch gewisse<br />

Zeichen. Doch, wie Augustinus im II. Buch seiner Christlichen<br />

Lehre (c.3; ML 34,37) bemerkt, „sind im Vergleich zu <strong>de</strong>n<br />

Worten alle Zeichen von geringerer Be<strong>de</strong>utung, <strong>de</strong>nn die Worte<br />

stehen bei <strong>de</strong>n Menschen an erster Stelle, wenn es gilt, die<br />

innere Gesinnung zum Ausdruck zu bringen". Daher besteht<br />

die Schmähung, genau genommen, in Worten. Isidor schreibt<br />

<strong>de</strong>nn auch im X. Buch seiner Etymologie (ad C; ML 82,372),<br />

schmähsüchtig heiße jemand, „weil er rasch mit schwülstigen<br />

Worten <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit zur Hand ist".<br />

Weil jedoch auch durch Handlungen etwas bezeichnet wer­<br />

<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> sie dadurch die Ausdruckskraft von Worten<br />

erhalten, wird „Schmähung" im weiteren Sinn auch von Hand­<br />

lungen ausgesagt. Daher schreibt die Glosse (ML 191,1335)<br />

zum Wort <strong>de</strong>s Römerbriefs (1,30) „...schmähsüchtig, hoch­<br />

mütig...": schmähsüchtig sind jene, „die mit Worten o<strong>de</strong>r<br />

Handlungen jeman<strong>de</strong>m Schmähungen <strong>und</strong> Schimpflichkeiten<br />

zufügen."<br />

Zu 1. Von Ihrem Wesen her gesehen, also insofern Worte<br />

nichts an<strong>de</strong>res als hörbare Töne sind, verursachen sie bei nie­<br />

man<strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn, sie belasten das Gehör, falls<br />

jemand zu laut re<strong>de</strong>t. Insofern sie jedoch Zeichen darstellen, die<br />

an<strong>de</strong>ren etwas zur Kenntnis bringen, können sie vielseitigen<br />

Scha<strong>de</strong>n anrichten. Darunter fällt auch die Schmälerung <strong>de</strong>r<br />

geschul<strong>de</strong>ten Ehre o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Ehrerbietung. Deshalb ist die<br />

Schmähung größer, wenn jemand einem an<strong>de</strong>ren seine Fehler in<br />

<strong>de</strong>r Öffentlichkeit vorhält. Doch kann auch von Schmähung die<br />

Re<strong>de</strong> sein, wenn dies unter vier Augen geschieht, insofern <strong>de</strong>r<br />

Re<strong>de</strong>n<strong>de</strong> gegen die Ehrfurcht vor <strong>de</strong>m Hören<strong>de</strong>n verstößt.<br />

Zu 2. Handlungen haben entehren<strong>de</strong>n Charakter, insofern<br />

sie das bewirken o<strong>de</strong>r bezeichnen, was sich gegen die Ehre rich­<br />

tet. Das erste fällt nicht unter Schmähung, son<strong>de</strong>rn unter<br />

an<strong>de</strong>re Arten von Ungerechtigkeit, von <strong>de</strong>nen oben (Fr. 64 ff.)<br />

die Re<strong>de</strong> war. Das zweite jedoch gehört zur Schmähung, inso­<br />

fern Handlungen die Aussagekraft von Worten haben.<br />

Zu 3. Beschimpfung <strong>und</strong> Vorhaltung [60] bestehen ebenso<br />

wie die Schmähung in Worten, <strong>de</strong>nn durch all dies wird <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren zum Scha<strong>de</strong>n seiner Ehre ein Gebrechen vorgehalten.<br />

168


Das Gebrechen aber ist dreifach. Einmal das Gebrechen <strong>de</strong>r 72. 2<br />

Schuld; dieses wird durch Schmähworte gebrandmarkt. Dann<br />

allgemein das Gebrechen von Schuld <strong>und</strong> Strafe, das in <strong>de</strong>r<br />

Beschimpfung zum Ausdruck kommt, <strong>de</strong>nn „Schimpfliches"<br />

wird nicht nur von <strong>de</strong>r Seele, son<strong>de</strong>rn auch vom Körper aus­<br />

gesagt. Wenn daher jemand in beleidigen<strong>de</strong>r Weise zu einem<br />

sagt, er sei blind, so spricht er eine Beschimpfung, aber nicht<br />

eine Schmähung aus. Wirft er jedoch einem vor, er sei ein Dieb,<br />

dann ist dies nicht nur eine Beschimpfung, son<strong>de</strong>rn auch eine<br />

Schmähung. - Schließlich erinnert jemand einen an seine nie­<br />

<strong>de</strong>re Herkunft o<strong>de</strong>r seine Armut; auch dies tut <strong>de</strong>r Ehre<br />

Abbruch, die ja auf irgen<strong>de</strong>inem Vorzug beruht. Und dies<br />

geschieht durch ein Wort <strong>de</strong>r „Vorhaltung", wodurch jemand<br />

einen auf beleidigen<strong>de</strong> Art an die Unterstützung erinnert, die er<br />

ihm in seiner Not ange<strong>de</strong>ihen ließ. Daher heißt es Sir 20,15:<br />

„Wenig gibt er <strong>und</strong> viel hält er einem vor." Bisweilen jedoch wird<br />

das eine Wort für das an<strong>de</strong>re genommen.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Todsün<strong>de</strong> ist nie Akt einer Tugend. Doch Schimpfen ist<br />

Akt einer Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Geselligkeit. Dazu gehört nach<br />

Aristoteles (Eth. IV, 14; 1128 a32), „tüchtig" zu schimpfen. Also<br />

ist Schimpfen o<strong>de</strong>r Schmähen keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Todsün<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t sich nicht bei vollkommenen Menschen.<br />

Diese aber sprechen bisweilen Beschimpfungen <strong>und</strong> Schmä­<br />

hungen aus, wie dies beim Apostel <strong>de</strong>r Fall ist, <strong>de</strong>r an die Gala-<br />

ter schreibt (3,1): „O ihr unvernünftigen Galater! "Und <strong>de</strong>r Herr<br />

selbst sagt bei Lk 24,25: „O ihr Unverständigen <strong>und</strong> langsamen<br />

Herzens!" Also ist Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung keine Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

3. Was seiner Art nach läßliche Sün<strong>de</strong> ist, kann zwar Tod­<br />

sün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, nicht jedoch kann eine <strong>de</strong>r Art nach schwere<br />

Sün<strong>de</strong> sich in eine leichte verwan<strong>de</strong>ln, wie oben (1-1188,4.6)<br />

dargelegt wur<strong>de</strong>. Wenn also Schimpfen o<strong>de</strong>r Schmähen seiner<br />

Art nach Todsün<strong>de</strong> wäre, dann folgte, daß es immer schwer<br />

sündhaft wäre. Dies scheint jedoch falsch zu sein, wie bei <strong>de</strong>m<br />

ins Auge springt, <strong>de</strong>r nur eben leichthin <strong>und</strong> aus Überraschung<br />

169


72. 2 o<strong>de</strong>r ein bißchen zornig ein Schmähwort von sich gibt. Schmä­<br />

hung o<strong>de</strong>r Beschimpfung ist also nicht ihrer Art nach Todsün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht: Nichts verdient die ewige Strafe <strong>de</strong>r Hölle<br />

außer <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>. Doch Schmähung o<strong>de</strong>r Beschimpfung ver­<br />

dient die Strafe <strong>de</strong>r Hölle gemäß Mt 5,22: „Wer zu seinem Bru­<br />

<strong>de</strong>r sagt: ,Du Narr!', soll <strong>de</strong>m höllischen Feuer verfallen." Also<br />

ist Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Wie oben (Art. 1,2) bemerkt, richten die Worte<br />

als reine Töne bei an<strong>de</strong>ren keinen Scha<strong>de</strong>n an, son<strong>de</strong>rn nur<br />

insofern sie etwas be<strong>de</strong>uten. Diese Be<strong>de</strong>utung kommt ihnen<br />

aus <strong>de</strong>r inneren Gesinnung zu. Daher muß man bei <strong>de</strong>n Wort­<br />

sün<strong>de</strong>n vor allem darauf achten, aus welcher Gesinnung<br />

heraus jemand seine Worte vorbringt. Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung besagt nun ihrer Natur nach eine gewisse Ent­<br />

ehrung, <strong>und</strong> wenn die Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n darauf ausgeht,<br />

durch seine Worte <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren die Ehre zu nehmen, dann<br />

heißt dies eigentlich <strong>und</strong> an sich beschimpfen o<strong>de</strong>r schmähen.<br />

Dies ist nicht weniger Todsün<strong>de</strong> als Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub, <strong>de</strong>nn<br />

<strong>de</strong>r Mensch liebt seine Ehre nicht weniger als seinen Besitz.<br />

Sagt jedoch jemand einem ein Wort <strong>de</strong>r Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung ohne Absicht zu entehren, son<strong>de</strong>rn vielleicht als<br />

Zurechtweisung o<strong>de</strong>r aus einem ähnlichen Gr<strong>und</strong>, dann spricht<br />

er im eigentlichen Sinn <strong>und</strong> an sich keine Beschimpfung o<strong>de</strong>r<br />

Schmähung aus, son<strong>de</strong>rn nur zufällig <strong>und</strong> materiell, insofern er<br />

Worte gebraucht, die Beschimpfung o<strong>de</strong>r Schmähung sein<br />

könnten. Daher kann dies bisweilen läßliche, bisweilen jedoch<br />

überhaupt keine Sün<strong>de</strong> sein. - Doch ist hier Zurückhaltung <strong>und</strong><br />

maßvoller Umgang mit <strong>de</strong>rlei Worten geboten. Denn unbe­<br />

dacht könnte eine so schwerwiegen<strong>de</strong> Beschimpfung heraus­<br />

kommen, daß die Ehre <strong>de</strong>s Betroffenen zugr<strong>und</strong>egerichtet<br />

wäre. Dann könnte jemand schwer sündigen, auch wenn die<br />

Entehrung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren nicht in seiner Absicht lag. Sowenig ist<br />

ja auch einer von Schuld frei, <strong>de</strong>r einen beim Spiel unvorsichtig<br />

schlägt <strong>und</strong> dabei schwer verletzt.<br />

Zu 1. Zum Spaßmacher gehört es, ein bißchen zu schimp­<br />

fen, nicht um <strong>de</strong>n Angesprochenen zu entehren o<strong>de</strong>r zu krän­<br />

ken, son<strong>de</strong>rn mehr zur Belustigung <strong>und</strong> zum Scherz. Dies kann<br />

ohne Sün<strong>de</strong> sein, wenn die nötigen Umstän<strong>de</strong> beachtet wer<strong>de</strong>n.<br />

Scheut sich aber jemand nicht, <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>rlei witzige<br />

Beschimpfung gilt, zu betrüben, während er die an<strong>de</strong>ren zum<br />

170


Lachen bringt, so ist er von Schuld nicht frei, wie es dort Ii. 3<br />

(Eth.IV,14; 1128a4) heißt.<br />

Zu 2. Wie es aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Zucht erlaubt ist, jeman<strong>de</strong>n<br />

zu schlagen o<strong>de</strong>r an seinem Eigentum zu schädigen, so darf<br />

man aus gleichem Gr<strong>und</strong> einem, <strong>de</strong>n es zurechtzuweisen gilt,<br />

ein Schimpfwort zurufen. In diesem Sinn nannte unser Herr<br />

seine Jünger „unverständig" <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Apostel die Galater „un­<br />

vernünftig". - Nach Augustins Wort im Buch Über die Berg­<br />

predigt (II, 19; ML 34,1299) „sind Schimpfworte jedoch nur im<br />

äußersten Notfall zu gebrauchen <strong>und</strong> nicht mit <strong>de</strong>r Absicht,<br />

unserem Vorteil, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Herrn zu dienen".<br />

Zu 3. Weil die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Beschimpfung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Schmä­<br />

hung von <strong>de</strong>r Gesinnung <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n abhängt, ist sie läß-<br />

lich, falls es sich nur um eine geringe, <strong>de</strong>n Menschen wenig ent­<br />

ehren<strong>de</strong> Beschimpfung han<strong>de</strong>lt <strong>und</strong> sie ohne viel Überlegung<br />

o<strong>de</strong>r aus einer leichten Zornesanwandlung dahergere<strong>de</strong>t wird<br />

ohne festen Entschluß, jeman<strong>de</strong>n zu entehren, z. B. wenn<br />

jemand einen mit einem solchen Wort nur leicht kränken will.<br />

3. ARTIKEL<br />

Muß man zugefügte Schmähung dul<strong>de</strong>n?<br />

1. Wer eine zugefügte Schmähung hinnimmt, unterstützt die<br />

Frechheit <strong>de</strong>s Beschimpfen<strong>de</strong>n. Doch so etwas soll man nicht<br />

tun. Also darf man eine zugefügte Schmähung nicht dul<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn muß <strong>de</strong>m Schmähen<strong>de</strong>n vielmehr eine Abfuhr erteilen.<br />

2. Der Mensch muß sich selbst mehr als an<strong>de</strong>re lieben. Nun<br />

darf man nicht zulassen, daß ein an<strong>de</strong>rer geschmäht wird, wes­<br />

halb es Spr 26,10 heißt: „Wer einen Toren zum Schweigen<br />

bringt, besänftigt Erbitterung." Also darf man auch die uns<br />

selbst zugefügten Schmähungen nicht dul<strong>de</strong>n.<br />

3. Entsprechend <strong>de</strong>m Wort (Hebrl0,30) „Mein ist die<br />

Rache, ich wer<strong>de</strong> vergelten" darf man sich selbst nicht rächen.<br />

Wenn jedoch jemand <strong>de</strong>r Schmähung nicht wi<strong>de</strong>rsteht, rächt er<br />

sich gemäß <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>s Chrysostomus (Horn. 22 in ep. ad<br />

Rom.; MG 60,612): „Willst du dich rächen, dann schweige,<strong>und</strong><br />

du hast ihm einen tödlichen Schlag versetzt." Also darf man<br />

Schmähworte nicht mit Schweigen übergehen, son<strong>de</strong>rn muß<br />

vielmehr mit einer Antwort entgegentreten.<br />

171


72. 3 DAGEGEN steht das Psalmwort 37,13 f.: „Die mir Böses<br />

wünschten, re<strong>de</strong>ten Eitles", <strong>und</strong> weiter: „Ich aber hörte einem<br />

Tauben gleich nicht hin <strong>und</strong> war wie ein Stummer, <strong>de</strong>r seinen<br />

M<strong>und</strong> nicht auf tut."<br />

ANTWORT. Wie man gegen uns gerichtete Machenschaften<br />

aushalten muß, so auch gegen uns gerichtetes Geschwätz. Die<br />

Verpflichtung, zu ertragen, was uns wi<strong>de</strong>rfährt, versteht sich<br />

jedoch nur als innere Bereitschaft, entsprechend <strong>de</strong>r Auslegung<br />

<strong>de</strong>s Herrengebotes „Schlägt dich einer auf die eine Wange, dann<br />

halt' ihm auch die an<strong>de</strong>re hin" (Mt 5,30) bei Augustinus in sei­<br />

nem I.Buch Über die Bergpredigt (c.19; ML34,1260): Der<br />

Mensch muß bereit sein, dies zu tun, wenn es nötig ist; er ist<br />

jedoch nicht verpflichtet, es immer so zu tun, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Herr<br />

selbst hat es auch nicht immer getan, son<strong>de</strong>rn sagte, als er einen<br />

Backenstreich erhielt: „Warum schlägst du mich?" (fol8,23).<br />

Das gleiche gilt auch für <strong>de</strong>n Fall, daß Schmähworte gegen uns<br />

gerichtet wer<strong>de</strong>n. Wir müssen innerlich bereit sein, Schmähun­<br />

gen zu ertragen, wenn es angebracht ist. Bisweilen jedoch gilt<br />

es, eine Schmähung zurückzuweisen, hauptsächlich aus zwei<br />

Grün<strong>de</strong>n. Erstens zum Vorteil <strong>de</strong>s Schmähen<strong>de</strong>n selbst, damit<br />

seine Frechheit einen Dämpfer bekomme <strong>und</strong> er so etwas nicht<br />

noch einmal versuche. Dazu paßt Spr26,5: „Antworte <strong>de</strong>m<br />

Toren nach seiner Torheit, damit er sich nicht weise dünke."<br />

Zweitens um <strong>de</strong>s Wohles vieler willen, <strong>de</strong>ren geistlicher Fort­<br />

schritt durch die uns zugefügten Schmähungen gefähr<strong>de</strong>t wird.<br />

Daher sagt Gregor (Sup.Ezech.,hom. 9; ML76,877): „Jene,<br />

die als lebendige Vorbil<strong>de</strong>r für an<strong>de</strong>re bestellt sind, müssen,<br />

wenn sie können, die Vorwürfe ihrer Verleum<strong>de</strong>r zum Schwei­<br />

gen bringen, damit, wer hören kann, ihre Predigt hört, <strong>und</strong> wer<br />

im Sumpf seiner Laster steckt, ein tugendhaftes Leben nicht<br />

verschmäht."<br />

Zu 1. Die Frechheit <strong>de</strong>s schmähen<strong>de</strong>n Beschimpfers muß<br />

man gelassen zurückweisen als Erfüllung einer Liebespflicht,<br />

nicht im Interesse persönlicher Ehre. Daher heißt es Spr 26,4:<br />

„Antworte <strong>de</strong>m Toren nicht nach seiner Torheit, damit du ihm<br />

nicht gleich wer<strong>de</strong>st."<br />

Zu 2. Weist jemand die gegen einen an<strong>de</strong>ren gerichteten<br />

Schmähungen zurück, ist das Streben nach persönlicher Ehre<br />

nicht so zu fürchten, als wenn jemand die gegen ihn selbst erho­<br />

benen Schmähungen abwehrt; vielmehr scheint jenes <strong>de</strong>m<br />

Beweggr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Caritas zu entspringen.<br />

172


Zu 3. Wenn jemand nur <strong>de</strong>shalb schwiege, um durch sein 72. 4<br />

Schweigen <strong>de</strong>n Schmähen<strong>de</strong>n zum Zorn zu reizen, dann<br />

geschähe dies aus Rache. Schweigt aber jemand, um „<strong>de</strong>m Zorn<br />

[Gottes] Raum zu geben" [Rom 12,19], dann ist das lobens­<br />

wert. Daher heißt es Sir 8,4: „Streite nicht mit einem zungen­<br />

fertigen Menschen, <strong>und</strong> lege nicht Holz in sein Feuer."<br />

4. ARTIKEL<br />

Entspringt die Schmähung <strong>de</strong>m Zorn?<br />

1. Spr. 11,2 heißt es: „Wo Hochmut, da ist Schmähung."<br />

Doch das Laster <strong>de</strong>s Zornes ist etwas an<strong>de</strong>res als Hochmut.<br />

Also entspringt die Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

2. Spr. 20,3 heißt es: „Alle Toren lassen sich zu Schmähre­<br />

<strong>de</strong>n hinreißen." Doch die Torheit ist ein <strong>de</strong>r Weisheit entgegen­<br />

gesetztes Laster, wie oben (46,1) dargelegt wur<strong>de</strong>. Der Zorn<br />

hingegen steht zur Sanftmut in Gegensatz. Also entspringt die<br />

Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

3. Keine Sün<strong>de</strong> wird je nach ihrer Ursache geringer. Doch<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schmähung wird geringer, wenn sie im Zorn<br />

ihren Ursprung hat. Schwerer sündigt nämlich, wer aus Haß als<br />

wer aus Zorn eine Schmähung ausstößt. Also entspringt die<br />

Schmähung nicht <strong>de</strong>m Zorn.<br />

DAGEGEN schreibt Gregor in seinen Moralia (31,45;<br />

ML 76,621), aus <strong>de</strong>m Zorn entspringe Schmähung.<br />

ANTWORT. Eine Sün<strong>de</strong> kann verschie<strong>de</strong>ne Ursachen<br />

haben. Ihre hauptsächliche Quelle jedoch liegt dort, wo sie in<br />

<strong>de</strong>n meisten Fällen zu entspringen pflegt, <strong>und</strong> zwar wegen <strong>de</strong>r<br />

Nähe zu ihrem Ziel. Nun liegen die Ziele von Schmähung <strong>und</strong><br />

Zorn ganz nah beieinan<strong>de</strong>r: bei<strong>de</strong>n geht es um Rache. Keine<br />

Form <strong>de</strong>r Rache liegt <strong>de</strong>m Zornigen nämlich näher, als gegen<br />

<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Schmähungen auszustoßen. Also entspringt die<br />

Schmähung hauptsächlich <strong>de</strong>m Zorn.<br />

Zu 1. Die Schmähung ist nicht auf das Ziel <strong>de</strong>s Hochmuts,<br />

das in <strong>de</strong>r Selbstüberhebung liegt, ausgerichtet. Deshalb ent­<br />

springt die Schmähung auch nicht unmittelbar <strong>de</strong>m Hochmut.<br />

Doch bereitet <strong>de</strong>r Hochmut auf die Schmähung vor, insofern<br />

jene, die sich über an<strong>de</strong>re erhaben dünken, diese leicht verach­<br />

ten <strong>und</strong> beleidigen. Sie geraten auch rascher in Zorn, weil sie<br />

sich über alles entrüsten, was gegen ihren Willen geschieht.<br />

173


72.4 Zu 2. Nach Aristoteles (Eth.VII,7; 1149a25) „hört <strong>de</strong>r<br />

Zorn nicht genügend auf die Vernunft", <strong>und</strong> so setzt sich beim<br />

Zornigen die Vernunft nicht immer durch, - genau so verhält es<br />

sich auch mit <strong>de</strong>r Torheit. Deshalb entspringt die Schmähung<br />

aus <strong>de</strong>r Torheit wegen ihrer Nachbarschaft zum Zorn.<br />

Zu 3. Nach^rato£e/es(Rhet.II,2; 1378a31) „geht <strong>de</strong>r Zor­<br />

nige auf die offene Beleidigung aus; <strong>de</strong>r Hassen<strong>de</strong> kümmert<br />

sich darum nicht". Daher ist die Schmähung, die offene Beleidi­<br />

gung be<strong>de</strong>utet, mehr <strong>de</strong>m Zorn als <strong>de</strong>m Haß zuzurechnen.<br />

174


73. FRAGE<br />

DIE EHRABSCHNEIDUNG<br />

Nun ist die Ehrabschneidung zu betrachten. Dabei ergeben<br />

sich vier Fragen:<br />

1. Was ist Ehrabschneidung?<br />

2. Ist sie Todsün<strong>de</strong>?<br />

3. Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n.<br />

4. Sündigt, wer Ehrabschneidung anhört?<br />

1. ARTIKEL<br />

Besteht die Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Anschwärzung frem<strong>de</strong>n<br />

Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte?<br />

1. Es scheint, daß Ehrabschneidung nicht „Anschwärzung<br />

frem<strong>de</strong>n Leum<strong>und</strong>s durch heimliche Worte" ist, wie sie von<br />

einigen <strong>de</strong>finiert wird. Denn „heimlich" <strong>und</strong> „offen" sind keine<br />

Gegebenheiten, die eine Sün<strong>de</strong>nart begrün<strong>de</strong>n. Für die Sün<strong>de</strong><br />

spielt es ja keine Rolle, ob sie vielen o<strong>de</strong>r nur wenigen bekannt<br />

ist. Doch was die Art einer Sün<strong>de</strong> nicht begrün<strong>de</strong>t, gehört nicht<br />

zu ihrem Wesen <strong>und</strong> darf auch nicht in ihrer Definition erschei­<br />

nen. Also darf auch die Ehrabschneidung nicht damit <strong>de</strong>finiert<br />

wer<strong>de</strong>n, daß sie durch heimliche Worte geschieht.<br />

2. Zum Begriff <strong>de</strong>s Leum<strong>und</strong>s gehört seine öffentliche<br />

Bekanntheit. Soll er nun durch Ehrabschneidung angeschwärzt<br />

wer<strong>de</strong>n, so kann dies nicht durch heimliche Worte geschehen,<br />

son<strong>de</strong>rn nur durch öffentlich ausgesprochene.<br />

3. Ehrabschnei<strong>de</strong>r ist, wer von <strong>de</strong>m, was vorhan<strong>de</strong>n ist,<br />

etwas „abschnei<strong>de</strong>t" o<strong>de</strong>r wegnimmt. Doch bisweilen schwärzt<br />

jemand <strong>de</strong>n guten Ruf an, ohne von <strong>de</strong>r Wahrheit etwas „weg­<br />

zunehmen", z. B. wenn einer die wahren Untaten seines Näch­<br />

sten verbreitet. Also ist nicht je<strong>de</strong> Anschwärzung <strong>de</strong>s Leu­<br />

m<strong>und</strong>s Ehrabschneidung.<br />

DAGEGEN steht PrdlO,ll: „Wer heimlich verleum<strong>de</strong>t, un­<br />

terschei<strong>de</strong>t sich in nichts von einer Schlange, die heimlich<br />

beißt." Also heißt ehrabschnei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n Ruf an<strong>de</strong>rer heimlich<br />

zugr<strong>und</strong>erichten.<br />

ANTWORT. Wie man durch die Tat jeman<strong>de</strong>n auf doppelte<br />

Weise schädigt: offen wie bei Raub o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer Gewalteinwir-<br />

175


73. 1 kung, heimlich wie bei Diebstahl <strong>und</strong> heimtückischem Schla­<br />

gen, so kann man auch durch das Wort jeman<strong>de</strong>n auf doppelte<br />

Weise verletzen: einmal offen durch Schmähung (vgl. oben)<br />

<strong>und</strong> einmal heimlich, <strong>und</strong> dies geschieht durch Ehrabschnei­<br />

dung. Tritt einer offen mit Worten gegen jemand auf, so be<strong>de</strong>u­<br />

tet dies Geringschätzung <strong>und</strong> daraus ergibt sich ohne weiteres<br />

Entehrung, <strong>und</strong> so bewirken Schmähworte für <strong>de</strong>n Geschmäh­<br />

ten Verlust <strong>de</strong>r Ehre. Wer sich jedoch im geheimen gegen jeman­<br />

<strong>de</strong>n ausläßt, scheint ihn mehr zu fürchten als geringzuscbätzen.<br />

Daher schädigt er nicht direkt seine Ehre, son<strong>de</strong>rn seinen Leu­<br />

m<strong>und</strong>, insofern sich durch <strong>de</strong>rlei hinter seinem Rücken vor­<br />

gebrachte Re<strong>de</strong>n - soweit es an ihnen liegt - bei <strong>de</strong>n Zuhörern<br />

eine schlechte Meinung von <strong>de</strong>m Betroffenen bil<strong>de</strong>t. Dies<br />

scheint er zu beabsichtigen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r tut alles,<br />

damit man seinen Worten glaubt.<br />

Die Ehrabschneidung unterschei<strong>de</strong>t sich also von <strong>de</strong>r Schmä­<br />

hung auf doppelte Weise. Einmal durch die Art <strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>ns: <strong>de</strong>r<br />

Schmähen<strong>de</strong> geht gegen seinen Wi<strong>de</strong>rsacher offen vor, <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r im geheimen. Sodann durch <strong>de</strong>n angestrebten<br />

Zweck bzw. <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n: <strong>de</strong>r Schmähredner reißt<br />

die Ehre herunter, <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r macht <strong>de</strong>n guten Ruf<br />

zunichte.<br />

Zu 1. Bei <strong>de</strong>n unfreiwilligen Tauschhandlungen, zu <strong>de</strong>nen<br />

alles gehört, was beim Nächsten durch Wort o<strong>de</strong>r Tat Scha<strong>de</strong>n<br />

verursacht, bewirkt „heimlich" <strong>und</strong> „offen" einen wesentlichen<br />

Unterschied in <strong>de</strong>r Qualität <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Jeweils an<strong>de</strong>rs liegt ja<br />

<strong>de</strong>r Fall von Unfreiwilligkeit unter Gewalteinwirkung bzw. bei<br />

Unwissenheit, wie oben (66,4) erklärt wur<strong>de</strong>.<br />

Zu 2. Die Worte <strong>de</strong>r Ehrabschneidung sind nicht schlecht­<br />

hin geheim, son<strong>de</strong>rn nur in bezug auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m sie gelten: sie<br />

wer<strong>de</strong>n nämlich in <strong>de</strong>ssen Abwesenheit <strong>und</strong> ohne sein Wissen<br />

ausgesprochen. Im Gegensatz dazu schleu<strong>de</strong>rt <strong>de</strong>r Schmähred­<br />

ner seine Worte <strong>de</strong>m Gegner gera<strong>de</strong>wegs ins Gesicht. Re<strong>de</strong>t<br />

daher jemand vor vielen Leuten Schlechtes über einen an<strong>de</strong>ren<br />

hinter <strong>de</strong>ssen Rücken, so ist dies Ehrabschneidung; geschieht es<br />

mit ihm unter vier Augen, dann heißt es Schmähung. Aber auch<br />

wenn einer nur mit einem einzigen über einen Abwesen<strong>de</strong>n<br />

schlecht re<strong>de</strong>t, schädigt er <strong>de</strong>ssen guten Ruf, zwar nicht gänz­<br />

lich, so doch zum Teil.<br />

Zu 3. „Ehrabschnei<strong>de</strong>r" heißt einer nicht, weil er die Wahr­<br />

heit, son<strong>de</strong>rn weil er <strong>de</strong>n guten Ruf schmälert. Bisweilen<br />

176


geschieht dies indirekt, bisweilen direkt. Direkt auf vierfache 73. 2<br />

Weise: 1. wenn man jeman<strong>de</strong>m etwas Falsches zur Last legt,<br />

2. wenn man seine Sün<strong>de</strong> mit Worten übertreibt, 3. wenn man<br />

Geheimes ausplau<strong>de</strong>rt <strong>und</strong> 4. wenn man guten Taten schlechte<br />

Absichten unterschiebt. Indirekt, in<strong>de</strong>m man <strong>de</strong>m Nächsten<br />

Gutes abspricht o<strong>de</strong>r es böswillig verschweigt.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist Ehrabschneidung Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Ein Tugendakt ist keine Todsün<strong>de</strong>. Doch eine geheime<br />

Sün<strong>de</strong> offenbaren, was, wie gesagt (1,3), zur Ehrabschneidung<br />

gehört, ist ein Akt <strong>de</strong>r Tugend, entwe<strong>de</strong>r nämlich <strong>de</strong>r Caritas,<br />

im Fall, daß einer die Sün<strong>de</strong> seines Bru<strong>de</strong>rs anzeigt mit <strong>de</strong>r<br />

Absicht, seine Besserung herbeizuführen, o<strong>de</strong>r auch <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn jemand seinen Bru<strong>de</strong>r anklagt. Also ist<br />

Ehrabschneidung keine Todsün<strong>de</strong>.<br />

2. Zum Wort Spr24,21 „Mache mit <strong>de</strong>m Ehrabschnei<strong>de</strong>r<br />

keine gemeinsame Sache" schreibt die Glosse (ML 111,759):<br />

„Vor allem durch dieses Laster kommt das ganze Menschenge­<br />

schlecht in Gefahr." Doch fin<strong>de</strong>t sich keine Todsün<strong>de</strong>, die über<br />

das ganze Menschengeschlecht verbreitet wäre. Viele nämlich<br />

mei<strong>de</strong>n die Todsün<strong>de</strong>, die läßlichen Sün<strong>de</strong>n hingegen sind es,<br />

die überall vorkommen. Also ist Ehrabschneidung eine läßliche<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

3. In seiner Homilie über das Fegfeuer (Serm. 104;<br />

ML 39,1947) zählt Augustinus unter die „kleinen Sün<strong>de</strong>n",<br />

„wenn wir höchst gedankenlos o<strong>de</strong>r leichtfertig üble Nachre<strong>de</strong><br />

führen", also das tun, was Ehrabschneidung ist. Somit ist<br />

Ehrabschneidung läßliche Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es im Römerbrief 1,30: „Ehrabschnei<strong>de</strong>r,<br />

Gotteshasser", was, wie die Glosse (ML 191,1335) sagt, <strong>de</strong>shalb<br />

beigefügt wird, „damit man ihre Sün<strong>de</strong> nicht für gering erachtet,<br />

nur weil sie mit Worten begangen wird".<br />

ANTWORT. Wie oben (72,2) bemerkt, muß man die Wort­<br />

sün<strong>de</strong>n vor allem nach <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n beurteilen.<br />

Die Ehrabschneidung aber bezweckt ihrer Natur nach die<br />

Anschwärzung <strong>de</strong>s guten Rufes. Daher ist, an sich gesprochen,<br />

jener Ehrabschnei<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r über einen Abwesen<strong>de</strong>n re<strong>de</strong>t, um<br />

seinen guten Ruf zu schädigen. Den guten Ruf eines Menschen<br />

177


73. 2 zerstören ist jedoch eine sehr schwerwiegen<strong>de</strong> Sache, <strong>de</strong>nn un­<br />

ter <strong>de</strong>n zeitlichen Gütern bil<strong>de</strong>t er etwas höchst Kostbares. Ist<br />

er verloren, sieht sich <strong>de</strong>r Mensch weithin nicht mehr in <strong>de</strong>r<br />

Lage, Gutes zu tun. Deshalb heißt es Sir 41,15: „Trage Sorge für<br />

<strong>de</strong>inen guten Namen, <strong>de</strong>nn dieser bleibt dir länger als tausend<br />

große <strong>und</strong> kostbare Schätze". Und darum ist Ehrabschneidung<br />

eine Todsün<strong>de</strong>.<br />

Es kommt jedoch bisweilen vor, daß jemand mit irgen<strong>de</strong>inem<br />

Wort <strong>de</strong>n Ruf eines an<strong>de</strong>ren beeinträchtigt, ohne dies zu beab­<br />

sichtigen, er hatte nämlich etwas ganz an<strong>de</strong>res im Sinn. An sich<br />

<strong>und</strong> genau genommen ist dies dann keine Ehrabschneidung,<br />

höchstens materiell <strong>und</strong> zufällig. Und wenn jemand Worte, die<br />

<strong>de</strong>n guten Ruf schädigen, wegen eines Gutes o<strong>de</strong>r um einer<br />

Notwendigkeit willen <strong>und</strong> unter Beachtung <strong>de</strong>r erfor<strong>de</strong>rlichen<br />

Umstän<strong>de</strong> ausspricht, dann kann von Sün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong> sein,<br />

<strong>und</strong> man darf es nicht Ehrabschneidung nennen. - Re<strong>de</strong>t er aber<br />

leichtsinnig daher o<strong>de</strong>r ohne notwendigen Gr<strong>und</strong>, dann ist es<br />

keine Todsün<strong>de</strong>, es sei <strong>de</strong>nn, das ausgesprochene Wort habe ein<br />

solches Gewicht, daß es jeman<strong>de</strong>s Ruf beträchtlich schädigt,<br />

<strong>und</strong> beson<strong>de</strong>rs in Dingen, die zur Ehrenhaftigkeit <strong>de</strong>s Lebens<br />

gehören; solche Worte tragen nämlich schon ihrer Art nach die<br />

Todsün<strong>de</strong> in sich.<br />

Im übrigen ist man gehalten, <strong>de</strong>n guten Ruf wie<strong>de</strong>rherzustel­<br />

len entsprechend <strong>de</strong>r aügemeinen Verpflichtung, angerichteten<br />

Scha<strong>de</strong>n an frem<strong>de</strong>m Eigentum wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Vgl. dazu<br />

im einzelnen, was oben im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Restitution<br />

gesagt wur<strong>de</strong> (62,2,2).<br />

Zu 1. Die geheime Sün<strong>de</strong> von jeman<strong>de</strong>m offenbaren, in<strong>de</strong>m<br />

man durch Anzeige seine Besserung erreichen will, o<strong>de</strong>r<br />

Anklage erheben wegen <strong>de</strong>s Gutes <strong>de</strong>r öffentlichen Ordnung<br />

ist, wie gesagt, nicht Ehrabschneidung.<br />

Zu 2. Jene Glosse behauptet nicht, Ehrabschneidung sei<br />

über das ganze Menschengeschlecht verbreitet, son<strong>de</strong>rn<br />

schränkt ein mit <strong>de</strong>m Wörtchen „beinah". So heißt es auch<br />

[Prd 1,15]: „Die Zahl <strong>de</strong>r Toren ist unendlich", <strong>und</strong> nur wenige<br />

sind es, die auf <strong>de</strong>m Weg <strong>de</strong>s Heiles wan<strong>de</strong>ln. Und es gibt nur<br />

wenige o<strong>de</strong>r überhaupt keine, die nicht bisweilen aus Unbe­<br />

dachtsamkeit etwas sagen, wodurch bei einem, wenn auch nur<br />

leicht, <strong>de</strong>r gute Ruf getrübt wird. In diesem Sinn heißt es bei Jak<br />

3,2: „Wer sich in seinen Worten nicht verfehlt, ist ein vollkom­<br />

mener Mann".<br />

178


Zu 3. Augustinus hat dort <strong>de</strong>n Fall im Auge, wo jemand 73. 3<br />

einen an<strong>de</strong>ren ein wenig schlecht macht, jedoch nicht in <strong>de</strong>r<br />

Absicht zu scha<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn aus Unüberlegtheit o<strong>de</strong>r mit<br />

einem Wort, das ihm eben so entschlüpft ist.<br />

3. ARTIKEL<br />

Ist Ehrabschneidung die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n<br />

Nächsten?<br />

1. Zum Psalmwort 108,4: „Statt mich zu lieben, nehmen sie<br />

mir die Ehre", schreibt die Glosse (ML 191,988): „Mehr scha­<br />

<strong>de</strong>n jene, die Christus in seinen Glie<strong>de</strong>rn herabsetzen - <strong>de</strong>nn sie<br />

töten die Seelen seiner Gläubigen - als die Mör<strong>de</strong>r seines Leibes,<br />

<strong>de</strong>r bald wie<strong>de</strong>r auferstehen sollte." Daraus geht hervor, daß<br />

Ehrabschneidung eine schwerere Sün<strong>de</strong> ist als Mord: die Seele<br />

töten ist ja wahrlich viel schlimmer als <strong>de</strong>n Leib vernichten.<br />

Doch Mord ist die schwerste aller Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten.<br />

Also ist Ehrabschneidung schlechthin unter allen Sün<strong>de</strong>n die<br />

schwerste.<br />

2. Die Ehrabschneidung ist eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Schmä­<br />

hung, <strong>de</strong>nn gegen diese kann <strong>de</strong>r Mensch sich wehren, gegen die<br />

im Verborgenen wirken<strong>de</strong> Ehrabschneidung jedoch nicht. Nun<br />

ist die Schmähung schlimmer als Ehebruch, <strong>de</strong>nn dieser einigt<br />

zwei zu einem Fleisch, während Schmähung die Geeinten in<br />

viele auseinan<strong>de</strong>rbringt. Also ist Ehrabschneidung eine größere<br />

Sün<strong>de</strong> als Ehebruch, <strong>de</strong>r doch zum Schlimmsten gehört, was<br />

man seinem Nächsten antun kann.<br />

3. Die Schmähung geht aus <strong>de</strong>m Zorn hervor, die Ehrab­<br />

schneidung jedoch aus <strong>de</strong>m Neid, wie Gregor'm seinen Moralia<br />

(31,45; ML 76,621) sagt. Doch <strong>de</strong>r Neid ist eine größere Sün<strong>de</strong><br />

als <strong>de</strong>r Zorn. Also ist auch Ehrabschneidung eine größere<br />

Sün<strong>de</strong> als Schmähung. Und so haben wir dasselbe wie zuvor.<br />

4. Eine Sün<strong>de</strong> ist umso schwerer, je schlimmer <strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n<br />

ist, <strong>de</strong>n sie anrichtet. Die Ehrabschneidung nun bringt <strong>de</strong>n<br />

schlimmsten Scha<strong>de</strong>n mit sich, nämlich die Erblindung <strong>de</strong>s Gei­<br />

stes. Gregor sagt nämlich [Regist. XI, ep. 2; ML 77,1120]: „Was<br />

tun die Ehrabschnei<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>res als Staub aufwirbeln <strong>und</strong> sich<br />

Sand in die Augen blasen, so daß sie, je mehr sie ihre verleum<strong>de</strong>­<br />

rischen Behauptungen verbreiten, umso weniger die Wahrheit<br />

179


73. 3 sehen." Also ist die Ehrabschneidung die schwerste aller Sün­<br />

<strong>de</strong>n, die gegen <strong>de</strong>n Nächsten begangen wer<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN steht: man sündigt schwerer durch die Tat, als<br />

durch das Wort. Doch Ehrabschneidung ist Wort-Sün<strong>de</strong>, Ehe­<br />

bruch, Mord <strong>und</strong> Diebstahl hingegen sind Tat-Sün<strong>de</strong>n. Also ist<br />

Ehrabschneidung nicht schlimmer als die an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten.<br />

ANTWORT. Die Sün<strong>de</strong>n gegen an<strong>de</strong>re sind an sich (objek­<br />

tiv) nach <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n zu beurteilen, <strong>de</strong>n sie beim Nächsten<br />

anrichten, <strong>de</strong>nn daraus ergibt sich ihr Schuldcharakter. Der<br />

Scha<strong>de</strong>n aber ist umso größer, ein je höheres Gut zerstört wird.<br />

Nun besitzt <strong>de</strong>r Mensch ein dreifach gestuftes Gut, nämlich das<br />

Gut <strong>de</strong>r Seele, das Gut <strong>de</strong>s Leibes <strong>und</strong> das Gut äußeren Besit­<br />

zes. Das Gut <strong>de</strong>r Seele - das höchste - kann einem nicht genom­<br />

men wer<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn indirekt, z. B. durch Überredung zum<br />

Bösen, wodurch jedoch kein Zwang entsteht. Die bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Güter hingegen - Leib <strong>und</strong> äußerer Besitz - können einem<br />

gewaltsam entrissen wer<strong>de</strong>n. Weil aber das Gut <strong>de</strong>s Leibes über<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>s äußeren Besitzes steht, sind die Sün<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m Leib<br />

Scha<strong>de</strong>n zufügen, schwerer als an<strong>de</strong>re, die nur die äußeren<br />

Dinge beeinträchtigen. Daher ist unter allen Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n<br />

Nächsten <strong>de</strong>r Mord, <strong>de</strong>r das Leben eines bereits existieren<strong>de</strong>n<br />

Menschen vernichtet, die schwerste. Danach folgt <strong>de</strong>r Ehe­<br />

bruch, <strong>de</strong>r sich gegen die rechte Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Zeugung - das ist <strong>de</strong>n Weg zum Leben - richtet. Schließlich fol­<br />

gen die äußeren Güter. Hier kommt <strong>de</strong>r gute Ruf vor <strong>de</strong>m<br />

Reichtum, weil er <strong>de</strong>n geistigen Gütern näher steht. Daher heißt<br />

es Spr 22,1: „Ein guter Name ist mehr wert als viele Reichtü­<br />

mer." Und aus diesem Gr<strong>und</strong> ist die Ehrabschneidung ihrer Art<br />

nach auch eine schwerere Sün<strong>de</strong> als <strong>de</strong>r Diebstahl, weniger<br />

schwer jedoch als Mord o<strong>de</strong>r Ehebruch. - Es kann sich aber<br />

wegen erschweren<strong>de</strong>r bzw. erleichtern<strong>de</strong>r Umstän<strong>de</strong> auch eine<br />

an<strong>de</strong>re Reihenfolge ergeben.<br />

Die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> ist auch noch (subjektiv) vom Sün<strong>de</strong>r<br />

her zu beurteilen. Er sündigt schwerer, wenn er aus Überlegung,<br />

als wenn er aus Schwachheit o<strong>de</strong>r Unvorsichtigkeit sündigt.<br />

Unter diesem Gesichtspunkt ist <strong>de</strong>n Wortsün<strong>de</strong>n eine gewisse<br />

Geringfügigkeit eigen, weil sie leicht <strong>und</strong> ohne viel Nach<strong>de</strong>nken<br />

von <strong>de</strong>r Zunge gehen.<br />

Zu 1. Wer Christus in Verruf bringt <strong>und</strong> dadurch <strong>de</strong>n Glau­<br />

ben seiner Glie<strong>de</strong>r erschwert, vergreift sich an seiner Gottheit,<br />

180


auf die sich <strong>de</strong>r Glaube stützt. Daher geht es hier nicht um ein- 73. 3<br />

fache Ehrabschneidung, son<strong>de</strong>rn um Gotteslästerung.<br />

Zu 2. Schwerer als Ehrabschneidung ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn in dieser drückt sich mehr Menschenverach­<br />

tung aus, vergleichbar <strong>de</strong>m Raub, <strong>de</strong>r auch schwerer ist als<br />

Diebstahl, wie oben (66,9) dargelegt wur<strong>de</strong>. Hingegen ist<br />

Schmähung nicht sündhafter als Ehebruch, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>ssen<br />

Schwere ergibt sich nicht aus <strong>de</strong>r Vereinigung <strong>de</strong>r Leiber, son­<br />

<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Unordnung in <strong>de</strong>r menschlichen Zeugung. Der<br />

Schmähen<strong>de</strong> ist auch keine eigentliche Ursache für ein Feind­<br />

schafts Verhältnis, son<strong>de</strong>rn lediglich Anlaß von Entzweiung,<br />

insofern er durch Ausplau<strong>de</strong>rn von eines an<strong>de</strong>ren Schlechtigkei­<br />

ten vorhan<strong>de</strong>ne Fre<strong>und</strong>schaftsban<strong>de</strong>, soweit es an ihm liegt,<br />

zerstört, obgleich dazu aufgr<strong>und</strong> seiner Worte kein echter<br />

Gr<strong>und</strong> besteht. So ist <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r indirekt auch Mör<strong>de</strong>r,<br />

insofern er durch seine Worte jeman<strong>de</strong>n veranlaßt, <strong>de</strong>n Näch­<br />

sten zu hassen o<strong>de</strong>r zu verachten. Daher sagt <strong>de</strong>r Klemens-<br />

brief (Mansi 1,505; Frdbl, 1164), „die Ehrabschnei<strong>de</strong>r seien<br />

Mör<strong>de</strong>r", nämlich indirekt, <strong>de</strong>nn „wer seinen Bru<strong>de</strong>r haßt, ist<br />

ein Mör<strong>de</strong>r", wie bei 1 Jo 3,15 steht.<br />

Zu 3. Nach Aristoteles (Rhet.11,2; 1378a31) „sucht <strong>de</strong>r<br />

Zorn, offen Rache zu nehmen". Somit ist die Ehrabschneidung,<br />

die im Verborgenen geschieht, keine Tochter <strong>de</strong>s Zornes wie die<br />

Schmähung, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>s Nei<strong>de</strong>s, die auf je<strong>de</strong> Weise das<br />

Ansehen <strong>de</strong>s Nächsten herabsetzen möchte. Daraus folgt<br />

jedoch nicht, daß die Ehrabschneidung schwerer ist als die<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn aus einem geringeren Laster kann eine grö­<br />

ßere Sün<strong>de</strong> hervorgehen, wie z. B. Mord <strong>und</strong> Gotteslästerung<br />

aus <strong>de</strong>m Zorn entstehen. Die Herkunft <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>n ist nämlich<br />

aus ihrer Zielrichtung ersichtlich, d. h. aus ihrer „Hinwendung",<br />

ihre Schwere hingegen mehr aus ihrer „Abkehr" [61].<br />

4. Weil „sich <strong>de</strong>r Mensch freut am Ausspruch seines Mun­<br />

<strong>de</strong>s", wie es Spr 15,23 heißt, ist <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r geneigt,<br />

immer mehr zu lieben <strong>und</strong> zu glauben, was er sagt, <strong>und</strong> infolge­<br />

<strong>de</strong>ssen seinen Nächsten immer mehr zu hassen <strong>und</strong> sich so<br />

immer mehr von <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Wahrheit zu entfernen.<br />

Diese Wirkung kann sich allerdings auch aus an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n,<br />

die zum Nächstenhaß gehören, ergeben.<br />

181


73.4 4. ARTIKEL<br />

Sündigt <strong>de</strong>r Zuhörer, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r gewähren läßt,<br />

schwer?<br />

1. Niemand ist einem an<strong>de</strong>ren gegenüber mehr verpflichtet,<br />

als sich selbst. Doch selber mit Geduld seine Verleum<strong>de</strong>r ertra­<br />

gen ist etwas Lobenswertes, sagt doch Gregor (Sup.<br />

Ezech.,hom. 9; ML76,877): „Wie wir die Zungen <strong>de</strong>r Ver­<br />

leum<strong>de</strong>r nicht absichtlich reizen dürfen, damit sie nicht verloren<br />

gehen, so müssen wir die durch ihre eigene Bosheit aufgebrach­<br />

ten ertragen, damit unser Verdienst wächst." Also sündigt nicht,<br />

wer die Ehrabschneidungen an<strong>de</strong>rer nicht unterbin<strong>de</strong>t.<br />

2. Sir 4,30 heißt es: „Du sollst <strong>de</strong>m Wort <strong>de</strong>r Wahrheit in<br />

keiner Weise wi<strong>de</strong>rsprechen." Zuweilen aber wird jemand zum<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m er die Wahrheit sagt, wie oben (1,3)<br />

erklärt wur<strong>de</strong>. Also ist man nicht immer verpflichtet, <strong>de</strong>n<br />

Ehrabschneidungen zu wi<strong>de</strong>rstehen.<br />

3. Was an<strong>de</strong>ren nützt, soll man nicht verhin<strong>de</strong>rn. Doch oft<br />

dient die Ehrabschneidung <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>rer, gegen die sie<br />

gerichtet ist. Papst Pius [L] sagt nämlich (Frdb 1,556): „Biswei­<br />

len wer<strong>de</strong>n ehrenhafte Leute in Verruf gebracht, damit sie,<br />

<strong>de</strong>nen die Schmeicheleien <strong>de</strong>r Hausgenossen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rer<br />

Gunst <strong>de</strong>n Kamm schwellen ließ, durch Ehrabschneidung zur<br />

Demut zurückfin<strong>de</strong>n." Also braucht man Ehrabschneidung<br />

nicht zu unterbin<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN schreibt Hieronymus (ML 22,538): „Hüte dich<br />

vor lüsterner Zunge <strong>und</strong> gierigen Ohren, das heißt: du sollst<br />

we<strong>de</strong>r selbst an<strong>de</strong>re herunterreißen, noch zuhören, wie an<strong>de</strong>re<br />

das tun."<br />

ANTWORT. Nach <strong>de</strong>m Römerbrief <strong>de</strong>s Apostels (1,32)<br />

„sind <strong>de</strong>s To<strong>de</strong>s würdig nicht nur, die Sün<strong>de</strong>n tun, son<strong>de</strong>rn<br />

auch, die <strong>de</strong>n Übeltätern noch Beifall spen<strong>de</strong>n." Dies geschieht<br />

nun auf zweifache Weise. Einmal direkt durch Verführung zur<br />

Sün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r durch Wohlgefallen an <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Sodann indirekt,<br />

wenn man nicht dagegen auftritt, obwohl man könnte. Und die­<br />

ses Versagen hat seinen Gr<strong>und</strong> nicht etwa im Wohlgefallen an<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Menschenfurcht. Es ist also zu sagen:<br />

Wer sich Ehrabschnei<strong>de</strong>reien anhört, ohne dagegen aufzutre­<br />

ten, stimmt <strong>de</strong>m Ehrabschnei<strong>de</strong>r zu, <strong>und</strong> damit macht er sich an<br />

seiner Sün<strong>de</strong> mitschuldig. Verführt er ihn zur Ehrabschneidung<br />

182


o<strong>de</strong>r fin<strong>de</strong>t er aus Haß gegen <strong>de</strong>n Betroffenen daran Gefallen, 73. 4<br />

dann sündigt er nicht weniger als <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r selbst, bis­<br />

weilen sogar noch mehr. Daher schreibt Bernhard (ML 182,<br />

756). „Ehrabschnei<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r anhören, - ich<br />

kann nicht leicht sagen, was von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n das Schlimmere<br />

ist." - Empfin<strong>de</strong>t er jedoch keinen Gefallen an <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn scheut aus Furcht o<strong>de</strong>r Gleichgültigkeit o<strong>de</strong>r auch aus<br />

einer gewissen Scham davor zurück, <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r in die<br />

Schranken zu weisen, so sündigt er, doch weit weniger als <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r, <strong>und</strong> gewöhnlich nur läßlich. Bisweilen jedoch<br />

kann es auch schwere Sün<strong>de</strong> sein, sei es für <strong>de</strong>n Fall, daß jemand<br />

amtlich verpflichtet ist, <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r eines besseren zu<br />

belehren, sei es wegen einer daraus entstehen<strong>de</strong>n Gefahr, sei es<br />

schließlich, daß sein Stillschweigen in einer Menschenfurcht be­<br />

grün<strong>de</strong>t ist, die, wie oben (19,3) dargelegt wur<strong>de</strong>, Todsün<strong>de</strong><br />

sein kann.<br />

Zu 1. Keiner hört selbst die gegen ihn ausgesprochenen<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>reien. Das Schlechte nämlich, das in seiner<br />

Gegenwart von ihm gesagt wird, ist nicht Ehrabschneidung,<br />

son<strong>de</strong>rn, streng genommen, Schmähung (vgl. 1,2). Doch kön­<br />

nen die gegen jemand ausgesprochenen Ehrverletzungen durch<br />

Dritte zu seiner Kenntnis gelangen. Dann mag er selbst ent­<br />

schei<strong>de</strong>n, ob er die Schädigung seines Leum<strong>und</strong>s zulassen will,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, sie wer<strong>de</strong> zur Gefahr für an<strong>de</strong>re (72,3). Je<strong>de</strong>nfalls<br />

verdient er volles Lob, wenn er die angetane Verunglimpfung<br />

mit Gelassenheit erträgt. - Es steht jedoch nicht in seinem Belie­<br />

ben, die Rufschädigung eines an<strong>de</strong>ren geduldig hinzunehmen.<br />

Daher macht er sich schuldig, wenn er nicht dagegen auftritt,<br />

falls er kann, <strong>und</strong> zwar aus <strong>de</strong>m gleichen Gr<strong>und</strong>, wie jemand<br />

gehalten ist, „<strong>de</strong>m Esel seines Nächsten, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>r Last zu­<br />

sammengesunken ist, wie<strong>de</strong>r auf die Beine zu helfen", wie es<br />

Dt 22,4 geboten ist.<br />

Zu 2. Man braucht <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>r nicht immer<br />

dadurch zum Schweigen zu bringen, daß man ihm die Unwahr­<br />

heit nachweist. Dies erübrigt sich von vornherein, wenn er die<br />

Wahrheit sagt. Doch muß man ihm beibringen, daß er eine<br />

Sün<strong>de</strong> begeht, wenn er seinen Bru<strong>de</strong>r so heruntermacht, o<strong>de</strong>r<br />

man muß ihm wenigstens durch einen traurigen Blick sein Miß-<br />

fallen an <strong>de</strong>r Ehrabschneidung k<strong>und</strong>geben. Denn wie es<br />

Spr25,23 heißt, „vertreibt <strong>de</strong>r Nordwind <strong>de</strong>n Regen <strong>und</strong> ein<br />

finsteres Gesicht die verleum<strong>de</strong>rische Zunge".<br />

183


73. 4 Zu 3. Der N<strong>utz</strong>en, <strong>de</strong>n die Ehrabschneidung mit sich bringt,<br />

fließt nicht aus <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Ehrabschnei<strong>de</strong>rs, son<strong>de</strong>rn aus<br />

<strong>de</strong>m Willen Gottes, <strong>de</strong>r alles Böse zum Guten wen<strong>de</strong>n kann.<br />

Dennoch muß man <strong>de</strong>n Ehrabschnei<strong>de</strong>rn entgegentreten, ge­<br />

nau wie <strong>de</strong>n Räubern <strong>und</strong> Unterdrückern, mag auch bei <strong>de</strong>n<br />

Unterdrückten <strong>und</strong> Beraubten wegen ihrer standhaften Geduld<br />

das Verdienst sich mehren.<br />

184


74. FRAGE<br />

DIE OHRENBLÄSEREI<br />

Nunmehr ist die Ohrenbläserei zu behan<strong>de</strong>ln. Und hier stel­<br />

len sich zwei Fragen:<br />

1. Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei von <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung ?<br />

2. Welche von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n ist die schwerere?<br />

1. ARTIKEL<br />

Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei von <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung?<br />

1. Im X.Buch seiner Etymologie (adS; ML 82,394) schreibt<br />

Isidor. „Susurro (<strong>de</strong>r Ohrenbläser) ist ein lautmalen<strong>de</strong>s Wort,<br />

<strong>de</strong>nn da spricht jemand einem verleum<strong>de</strong>risch nicht ins Gesicht,<br />

son<strong>de</strong>rn ins Ohr." Doch in herabsetzen<strong>de</strong>r Weise über einen<br />

re<strong>de</strong>n ist Ehrabschneidung. Also unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Ohrenbläserei nicht von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

2. Lvl9,16 heißt es: „Du sollst kein Verleum<strong>de</strong>r noch<br />

Ohrenbläser im Volke sein." Doch verleum<strong>de</strong>n scheint das<br />

gleiche wie ehrabschnei<strong>de</strong>n zu sein. Also unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

auch die Ohrenbläserei nicht von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

3. Sir 28,15 steht: „Ohrenbläser <strong>und</strong> Doppelzüngige sollen<br />

verflucht sein." Doch <strong>de</strong>r Doppelzüngige ist das gleiche wie <strong>de</strong>r<br />

Verleum<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>nn ehrabschnei<strong>de</strong>n heißt mit doppelter Zunge<br />

re<strong>de</strong>n: an<strong>de</strong>rs in Abwesenheit, an<strong>de</strong>rs in Gegenwart <strong>de</strong>s Betrof­<br />

fenen. Also ist Ohrenbläserei das gleiche wie Ehrabschneidung.<br />

DAGEGEN schreibt die Glosse (ML 191,1335) zu Rom 1,29<br />

f. „Ohrenbläserei, Verleum<strong>de</strong>r": „Ohrenbläser säen Zwietracht<br />

unter Fre<strong>und</strong>en, Ehrabschnei<strong>de</strong>r streiten bei an<strong>de</strong>ren das Gute<br />

ab o<strong>de</strong>r setzen es herunter."<br />

ANTWORT. Ohrenbläserei <strong>und</strong> Ehrabschneidung kommen<br />

in <strong>de</strong>r Sache wie auch in <strong>de</strong>r Form, d. h. in <strong>de</strong>r Art <strong>und</strong> Weise zu<br />

re<strong>de</strong>n, überein: bei<strong>de</strong> Male wird nämlich vom Nächsten etwas<br />

Schlechtes ausgesagt. Wegen dieser Ähnlichkeit nimmt man bis­<br />

weilen auch eins für das an<strong>de</strong>re. Darum schreibt die Glosse (in-<br />

terlin. III, 393 r) zum Sirachwort (5,16) „Laß dich nicht Ohren­<br />

bläser nennen": „das heißt,Ehrabschnei<strong>de</strong>r'". Der Unterschied<br />

185


74. 2 liegt jedoch im Zweck. Der Ehrabschnei<strong>de</strong>r will nämlich <strong>de</strong>n<br />

guten Ruf <strong>de</strong>s Nächsten anschwärzen, weshalb er von ihm vor<br />

allem jenes Schlechte vorbringt, das seinen Leum<strong>und</strong> zugrun­<br />

<strong>de</strong>richten o<strong>de</strong>r wenigstens beeinträchtigen kann. Der Ohren­<br />

bläser hingegen möchte Fre<strong>und</strong>e auseinan<strong>de</strong>rbringen, wie die<br />

erwähnte Glosse bemerkt <strong>und</strong> Spr26,20 an<strong>de</strong>uten: „Ist <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläser weg, hören die Streitereien auf." Daher flüstert <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläser jenes Schlechte vom Nächsten zu, das <strong>de</strong>n Hören­<br />

<strong>de</strong>n gegen ihn aufbringt gemäß Sir 28,11: „Ein Mann <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

bringt Fre<strong>und</strong>e gegeneinan<strong>de</strong>r auf <strong>und</strong> stiftet Feindschaft unter<br />

<strong>de</strong>nen, die in Frie<strong>de</strong>n leben."<br />

Zu 1. Insofern <strong>de</strong>r Ohrenbläser von an<strong>de</strong>ren Schlechtes<br />

sagt, ist er Ehrabschnei<strong>de</strong>r. Er unterschei<strong>de</strong>t sich jedoch von<br />

ihm, weil er nicht ausgesprochen etwas Schlechtes sagen will,<br />

son<strong>de</strong>rn nur, was <strong>de</strong>n einen gegen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren aufbringen<br />

kann, auch wenn es sich dabei um etwas an sich Gutes han<strong>de</strong>lt,<br />

was jedoch insofern als schlecht erscheint, als es <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r es<br />

hört, mißfällt.<br />

Zu 2. Der Verleum<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>t sich vom Ohrenbläser<br />

<strong>und</strong> vom Ehrabschnei<strong>de</strong>r. Der Verleum<strong>de</strong>r legt an<strong>de</strong>ren ent­<br />

we<strong>de</strong>r durch Anklage o<strong>de</strong>r durch Lästerung öffentlich Verbre­<br />

chen zur Last. Dies jedoch ist bei Ehrabschneidung <strong>und</strong> Ohren­<br />

bläserei nicht <strong>de</strong>r Fall.<br />

Zu 3. Der Doppelzüngige wird recht <strong>und</strong> eigentlich Ohren­<br />

bläser genannt. Besteht nämlich zwischen Zweien ein Fre<strong>und</strong>­<br />

schaftsverhältnis, so sucht <strong>de</strong>r Ohrenbläser, es von bei<strong>de</strong>n Sei­<br />

ten aus zu zerstören. Darum spricht er zu bei<strong>de</strong>n mit zwei ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen Zungen, in<strong>de</strong>m er jeweils beim einen Schlechtes<br />

über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren re<strong>de</strong>t. Daher heißt es Sir 28,15: „Fluch <strong>de</strong>m<br />

Ohrenbläser <strong>und</strong> Doppelzüngigen!", <strong>und</strong> weiter: „Denn viele,<br />

die in Frie<strong>de</strong>n leben, entzweit er."<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als die<br />

Ohrenbläserei?<br />

1. Die Wortsün<strong>de</strong>n bestehen darin, daß jemand Böses re<strong>de</strong>t.<br />

Der Ehrabschnei<strong>de</strong>r nun re<strong>de</strong>t vom Nächsten, was schlechthin<br />

böse ist, <strong>de</strong>nn daraus entsteht Ehrlosigkeit o<strong>de</strong>r Min<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

guten Rufes. Dem Ohrenbläser jedoch liegt nur daran, schein-<br />

186


ar Böses, etwas nämlich, das <strong>de</strong>m Hören<strong>de</strong>n mißfällt, vor- 74. 2<br />

zubringen. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung schwerer als<br />

die Ohrenbläserei.<br />

2. Wer einem <strong>de</strong>n guten Ruf nimmt, nimmt ihm nicht nur<br />

einen Fre<strong>und</strong>, son<strong>de</strong>rn viele Fre<strong>und</strong>e, <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong>r mei<strong>de</strong>t die<br />

Fre<strong>und</strong>schaft mit Leuten von schlechtem Ruf. Darum heißt es<br />

2 Chr 19,2 gegen irgendjeman<strong>de</strong>n: „Du schließest Fre<strong>und</strong>schaft<br />

mit <strong>de</strong>nen, die <strong>de</strong>n Herrn hassen." Durch Ohrenbläserei verliert<br />

man hingegen nur einen einzigen Fre<strong>und</strong>. Schwerer also ist die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung als die Ohrenbläserei.<br />

3. Jak4,ll heißt es: „Wer seinen Bru<strong>de</strong>r herabsetzt, setzt<br />

das Gesetz herab", <strong>und</strong> folglich Gott, <strong>de</strong>n Gesetzgeber. So ist<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung gegen Gott gerichtet, <strong>und</strong> das<br />

ist das allerschlimmste, wie oben (20,3; 1-1173,3) dargelegt<br />

wur<strong>de</strong>. Die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ohrenbläserei hingegen richtet sich<br />

gegen <strong>de</strong>n Nächsten. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ehrabschneidung<br />

schwerer als die Ohrenbläserei.<br />

DAGEGEN heißt es Sir 5,17: „Über <strong>de</strong>n Doppelzüngigen<br />

kommt schärfster Ta<strong>de</strong>l, über <strong>de</strong>n Ohrenbläser jedoch Haß,<br />

Feindschaft <strong>und</strong> Schan<strong>de</strong>."<br />

ANTWORT. Wie oben (73,3; 1-1173,8) dargelegt, ist die<br />

Sün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n Nächsten umso schwerer, je größerer Scha<strong>de</strong>n<br />

ihm zugefügt wird. Die Größe <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns jedoch bemißt sich<br />

nach <strong>de</strong>m Gut, das verlorengeht. Unter <strong>de</strong>n äußeren Gütern<br />

nun steht <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> an <strong>de</strong>r Spitze, <strong>de</strong>nn „ohne Fre<strong>und</strong>e kann<br />

man nicht leben", wie Aristoteles im VIII. Buch seiner Ethik<br />

(c. 1; 1155a5) sagt. Daher heißt es auch Sir6,15: „Mit einem<br />

treuen Fre<strong>und</strong> ist nichts zu vergleichen." Ein guter Leum<strong>und</strong> -<br />

durch Ehrabschneidung zerstörbar - ist nun unbedingt nötig,<br />

damit ein Mensch <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft würdig sei. Darum ist<br />

Ohrenbläserei eine größere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung <strong>und</strong><br />

auch als Schmähung, <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong> ist mehr wert als Ehre<br />

<strong>und</strong> geliebt wer<strong>de</strong>n mehr als geehrt wer<strong>de</strong>n", wie Aristoteles<br />

schreibt (Eth.VIII,9; 1159a25).<br />

Zu 1. Art <strong>und</strong> Schwere einer Sün<strong>de</strong> sind mehr von ihrem<br />

Zweck als von ihren materiellen Gegebenheiten her zu beurtei­<br />

len. Von ihrem Zweck aus gesehen, ist die Ohrenbläserei darum<br />

auch schwerer, wenngleich <strong>de</strong>r Ehrabschnei<strong>de</strong>r bisweilen zu<br />

schlimmeren Aussagen greift.<br />

Zu 2. Guter Ruf ist Voraussetzung zu Fre<strong>und</strong>schaft, schlech­<br />

ter Ruf zu Feindschaft. Die Voraussetzung aber steht tiefer im<br />

187


74. 2 Rangais das, wozusie Voraussetzungist. Daher sündigt weniger,<br />

wer nur etwas tut, um die Voraussetzung zur Feindschaft<br />

zu schaffen, als wer diese direkt herbeizuführen trachtet.<br />

Zu 3. Wer seinen Bru<strong>de</strong>r herabsetzt, setzt insoweit auch das<br />

Gesetz herab, als er das Gebot <strong>de</strong>r Nächstenliebe verachtet.<br />

Gegen sie han<strong>de</strong>lt direkter, wer Fre<strong>und</strong>schaft zu zerstören<br />

sucht. Daher richtet sich diese Sün<strong>de</strong> am meisten gegen Gott,<br />

<strong>de</strong>nn „Gott ist Liebe" (1JO4,8.16). Und <strong>de</strong>shalb heißt es<br />

Spr6,16: „Sechs Dinge sind's, die <strong>de</strong>r Herr haßt,<strong>und</strong> das siebte<br />

verabscheut seine Seele"; <strong>und</strong> als dieses Siebte nennt er (19)<br />

„<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r unter Brü<strong>de</strong>rn Zwietracht sät."<br />

188


75. FRAGE<br />

DIE VERSPOTTUNG<br />

Hierauf ist über die Verspottung zu re<strong>de</strong>n. Dabei stellen sich<br />

zwei Fragen?<br />

1. Unterschei<strong>de</strong>t sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Verspottung spezifisch<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n, durch die <strong>de</strong>m Nächsten durch<br />

Worte Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird?<br />

2. Ist Verspottung schwere Sün<strong>de</strong>?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist die Verspottung eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>?<br />

1. Verhöhnung ist das gleiche wie Verspottung. Doch Ver­<br />

höhnung gehört zur Schmähung. Also unterschei<strong>de</strong>t sich Ver­<br />

spottung nicht von Schmähung.<br />

2. Verspottet wird jemand nur wegen einer schimpflichen<br />

Sache, über die <strong>de</strong>r Mensch errötet, <strong>und</strong> von solcher Art ist die<br />

Sün<strong>de</strong>. Spricht man sie offen aus, dann han<strong>de</strong>lt es sich um<br />

Schmähung, wird sie im geheimen weitererzählt, dann ist es<br />

Ehrabschneidung o<strong>de</strong>r Ohrenbläserei. Also ist die Verspottung<br />

keine von <strong>de</strong>n vorgenannten verschie<strong>de</strong>ne Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Diese Sün<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m Scha<strong>de</strong>n unterschie<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>n sie <strong>de</strong>m Nächsten zufügen. Doch durch Verspottung wird<br />

<strong>de</strong>m Nächsten auch an nichts an<strong>de</strong>rem als an <strong>de</strong>r Ehre, <strong>de</strong>m<br />

guten Ruf o<strong>de</strong>r durch Beeinträchtigung <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft<br />

gescha<strong>de</strong>t. Verspottung unterschei<strong>de</strong>t sich also nicht von <strong>de</strong>n<br />

vorgenannten Sün<strong>de</strong>n.<br />

DAGEGEN steht, daß Verspottung auf lustige Weise<br />

geschieht [vgl. Aristoteles, Eth.IV,14; 1128a4], weshalb man<br />

auch sagt: „sich über einen lustig machen". Die vorgenannten<br />

Sün<strong>de</strong>n haben jedoch mit Sich-lustig-machen nichts zu tun, sie<br />

geschehen im Ernst. Also unterschei<strong>de</strong>t sich Verspottung von<br />

allem Vorgenannten.<br />

ANTWORT. Wie oben (72,2) bemerkt, sind die Wortsün<strong>de</strong>n<br />

vor allem nach <strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s Sprechen<strong>de</strong>n zu beurteilen. Und<br />

so wer<strong>de</strong>n die Sün<strong>de</strong>n je nach <strong>de</strong>m, was einer mit seinen gegen<br />

<strong>de</strong>n Nächsten gerichteten Worten bezweckt, unterschie<strong>de</strong>n.<br />

Wie nun aber jemand mit seinen Beschimpfungen die Ehre <strong>de</strong>s<br />

189


75. 1 Beschimpften herabsetzen, durch Ehrabschneidung seinen<br />

guten Ruf schädigen <strong>und</strong> durch Ohrenbläserei Fre<strong>und</strong>schaft<br />

zerstören möchte, so hat auch <strong>de</strong>r Spötter die Absicht, <strong>de</strong>n Ver­<br />

spotteten zum Erröten zu bringen. Und weil sich dieser Zweck<br />

von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Zwecken unterschei<strong>de</strong>t, ist auch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Verspottung von <strong>de</strong>n vorgenannten Sün<strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Verhöhnung <strong>und</strong> Verspottung haben <strong>de</strong>n gleichen<br />

Zweck, doch sie unterschei<strong>de</strong>n sich durch die Art <strong>und</strong> Weise,<br />

<strong>de</strong>nn „die Verspottung geschieht mit <strong>de</strong>r Zunge", d. h. mit Wor­<br />

ten <strong>und</strong> schallen<strong>de</strong>m Gelächter, „die Verhöhnung hingegen<br />

durch Naserümpfen" [62], wie die Glosse (ML 191,71) zum<br />

Psalmwort (2,4) „Der im Himmel thront, lacht über sie",<br />

schreibt. Aus einem solchen Unterschied ergibt sich aber keine<br />

An<strong>de</strong>rsartigkeit. Bei<strong>de</strong> jedoch (Verspottung <strong>und</strong> Verhöhnung)<br />

unterschei<strong>de</strong>n sich von <strong>de</strong>r Schmähung wie die Scham von <strong>de</strong>r<br />

Entehrung, <strong>de</strong>nn die Scham ist die „Furcht vor Entehrung", wie<br />

Johannes von Damaskus sagt (MG94,932).<br />

Zu 2. Eine tugendhafte Tat bringt Hochachtung <strong>und</strong> guten<br />

Ruf bei an<strong>de</strong>ren ein, bei sich selbst <strong>de</strong>n Ruhm eines guten<br />

Gewissens gemäß 2 Kor 1,12: „Das ist unser Ruhm: das Zeug­<br />

nis unseres Gewissens." Umgekehrt verliert <strong>de</strong>r Mensch durch<br />

schimpfliche, d. h. lasterhafte Handlungen bei an<strong>de</strong>ren Ehre<br />

<strong>und</strong> guten Namen. Und um dieses zu bewirken, sagt <strong>de</strong>r<br />

Schmähsüchtige <strong>und</strong> Ehrabschnei<strong>de</strong>r Schimpfliches von an<strong>de</strong>­<br />

ren aus. Der Betroffene verliert jedoch wegen <strong>de</strong>r Verbreitung<br />

seiner Schandtaten <strong>de</strong>n „Ruhm <strong>de</strong>s Gewissens", in<strong>de</strong>m er in<br />

Verwirrung gerät <strong>und</strong> Scham empfin<strong>de</strong>t. Und um dies zu errei­<br />

chen, spricht <strong>de</strong>r Spötter von schimpflichen Dingen. So ist klar,<br />

daß die Verspottung mit <strong>de</strong>n vorgenannten Sün<strong>de</strong>n materiell<br />

übereinstimmt, sich in <strong>de</strong>r Zwecksetzung jedoch davon abhebt<br />

Zu 3. Sicherheit <strong>und</strong> Ruhe <strong>de</strong>s Gewissens sind ein hohes<br />

Gut gemäß Spr 15,15: „Ein ruhiger Geist ist ein beständiges<br />

Freu<strong>de</strong>nmahl". Wer darum das Gewissen <strong>de</strong>s Nächsten durch<br />

Verwirrung beunruhigt, fügt ihm einen beson<strong>de</strong>ren Scha<strong>de</strong>n zu.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist die Verspottung auch eine beson<strong>de</strong>re<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

190


2. ARTIKEL 75. 2<br />

Kann Verspottung Todsün<strong>de</strong> sein?<br />

1. Je<strong>de</strong> Todsün<strong>de</strong> wi<strong>de</strong>rspricht <strong>de</strong>r Caritas. Doch bei <strong>de</strong>r<br />

Verspottung ist dies nicht <strong>de</strong>r Fall, han<strong>de</strong>lt es sich dabei doch<br />

meist nur um Spaß unter Fre<strong>und</strong>en, weshalb es ja auch „Spaß-<br />

macherei" heißt. Also kann Verspottung keine Todsün<strong>de</strong> sein.<br />

2. Jener Spott ist <strong>de</strong>r schlimmste, mit <strong>de</strong>m jemand Gott<br />

beleidigen will. Doch nicht je<strong>de</strong>r Spott, durch <strong>de</strong>n Gott belei­<br />

digt wird, ist schwere Sün<strong>de</strong>. Denn sonst sündigte je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r in<br />

eine bereute läßliche Sün<strong>de</strong> zurückfällt, schwer. Isidor sagt näm­<br />

lich (II De summo Bono, 16; ML83,619): „Spötter ist ein<br />

Unbußfertiger, <strong>de</strong>r weitertut, was er bereut." Desgleichen<br />

wür<strong>de</strong> folgen, daß jegliche Heuchelei Todsün<strong>de</strong> wäre, <strong>de</strong>nn, wie<br />

Gregor schreibt (Moralia 31,15; ML 76,588), mit <strong>de</strong>m „Strauß"<br />

[Job 39,13.18] ist <strong>de</strong>r Heuchler gemeint, <strong>de</strong>r das „Roß", d. h.<br />

<strong>de</strong>n gerechten Menschen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n „Reiter", d. h. Gott, verlacht.<br />

Also kann Verspottung keine Todsün<strong>de</strong> sein.<br />

3. Schmähung <strong>und</strong> Ehrabschneidung sind schwerere Sün­<br />

<strong>de</strong>n als Verspottung, <strong>de</strong>nn es ist schlimmer, etwas (Böses) im<br />

Ernst als im Scherz zu tun. Doch nicht je<strong>de</strong> Ehrabschneidung<br />

o<strong>de</strong>r Schmähung ist schwere Sün<strong>de</strong>. Also viel weniger noch Ver­<br />

spottung.<br />

DAGEGEN heißt es Spr3,34: „Er spottet <strong>de</strong>r Spötter". Der<br />

Spott Gottes besteht jedoch darin, daß er die Todsün<strong>de</strong> ewig<br />

bestraft, wie sich klar aus <strong>de</strong>m Psalmwort 2,4 ergibt: „Der im<br />

Himmel thront, lacht über sie." Also ist Verspottung Todsün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Man verspottet nur irgen<strong>de</strong>in Übel o<strong>de</strong>r Gebre­<br />

chen. Ist das Übel groß, wird es freilich nicht als Spaß genom­<br />

men, son<strong>de</strong>rn als ernste Sache. Zieht man es ins Spaßhafte o<strong>de</strong>r<br />

Lächerliche - daher „Spaßmacherei" <strong>und</strong> „auslachen" -, so <strong>de</strong>s­<br />

halb, weil es für etwas Unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s gehalten wird. Als „un­<br />

be<strong>de</strong>utend" läßt sich nun etwas auf zweifache Weise verstehen:<br />

einmal an sich, <strong>und</strong> dann in Bezug auf die Person. Verspöttelt<br />

<strong>und</strong> verlacht jemand das Übel o<strong>de</strong>r Gebrechen einer Person,<br />

weil es an sich dabei um etwas Unbe<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>s geht, so ist dies<br />

seiner Art nach nur eine läßliche <strong>und</strong> leichte Sün<strong>de</strong>. - Hält man<br />

jedoch etwas für unbe<strong>de</strong>utend wegen <strong>de</strong>r Person, wie wir etwa<br />

Mängel bei Kin<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> Beschränkten leicht zu nehmen pfle­<br />

gen, so be<strong>de</strong>utet verspotten <strong>und</strong> auslachen, ihn völlig gering-<br />

191


75. 2 schätzen <strong>und</strong> ihn für so nichtig halten, daß man sich um sein<br />

Gebrechen nicht zu kümmern braucht, son<strong>de</strong>rn es sozusagen<br />

als Spaßobjekt ben<strong>utz</strong>en darf. Eine <strong>de</strong>rartige Verspottung ist<br />

Todsün<strong>de</strong>. Und sie ist, was auf <strong>de</strong>r Hand liegt, schwerer als<br />

Schmähung, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Schmähen<strong>de</strong> nimmt das Gebrechen <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>ren wenigstens ernst, <strong>de</strong>r Spötter aber zieht es ins Lächer­<br />

liche. Deshalb liegt darin eine größere Verachtung <strong>und</strong> Ent­<br />

ehrung.<br />

Demnach ist Verspottung schwere Sün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> umso schwe­<br />

rer, eine je größere Ehrfurcht <strong>de</strong>r Person gebührt, die verspottet<br />

wird. Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es eine sehr schwere Sün<strong>de</strong>, Gott<br />

<strong>und</strong> was Gottes ist, zu verspotten gemäß Is 37,23: „Wen hast du<br />

beschimpft <strong>und</strong> verhöhnt? Und gegen wen die Stimme erho­<br />

ben?" Und dann fügt er hinzu: „Gegen <strong>de</strong>n Heiligen Israels!" -<br />

An zweiter Stelle kommt dann die Verspottung <strong>de</strong>r Eltern.<br />

Daher heißt es Spr 30,17: „Das Auge, das <strong>de</strong>n Vater verspottet<br />

<strong>und</strong> die alte Mutter verachtet, hacken die Raben am Bache aus<br />

<strong>und</strong> die Adlerjungen fressen es." - Sodann ist auch die Verspot­<br />

tung <strong>de</strong>r Gerechten schwer sündhaft, <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>r Tugend Lohn<br />

ist die Ehre" [Aristoteles, Eth.IV,7; 1123 b 35]. Auch Job 12,4<br />

beklagt sich: „Die Aufrichtigkeit <strong>de</strong>r Gerechten wird verlacht."<br />

Derlei Verspottung ist höchst verhängnisvoll, <strong>de</strong>nn dadurch<br />

wer<strong>de</strong>n die Menschen davon abgehalten, Gutes zu tun gemäß<br />

Gregor (Moralia 20,14; ML 76,155): „Die da im Wirken an<strong>de</strong>rer<br />

das Gute aufkeimen sehen, reißen es mit <strong>de</strong>r Hand ihres gif­<br />

tigen Spottes bald heraus."<br />

Zu 1. Spaßmachen verstößt nicht gegen die Liebe zu <strong>de</strong>m,<br />

mit <strong>de</strong>m Spaß gemacht wird, es kann jedoch Lieblosigkeit<br />

gegen <strong>de</strong>n ins Spiel kommen, über <strong>de</strong>n man lacht, wegen <strong>de</strong>r<br />

Verachtung, wie soeben bemerkt.<br />

Zu 2. Wer in die bereute Sün<strong>de</strong> zurückfällt <strong>und</strong> wer heu­<br />

chelt, verspottet Gott nicht ausdrücklich, son<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>m<br />

Anschein nach, insofern er sich wie ein Spötter verhält. Auch ist<br />

nicht schlechthin rückfällig o<strong>de</strong>r heuchlerisch, wer läßlich sün­<br />

digt, son<strong>de</strong>rn es liegt nur eine Bereitschaft <strong>und</strong> eine unvollkom­<br />

mene Regung dazu vor.<br />

Zu 3. Die Verspottung ist ihrer Natur nach etwas weniger<br />

Belangvolles als Ehrabschneidung <strong>und</strong> Schmähung, <strong>de</strong>nn sie<br />

be<strong>de</strong>utet nicht Verachtung, son<strong>de</strong>rn Spiel. Bisweilen jedoch<br />

schließt sie größere Verachtung ein als selbst Schmähung, wie<br />

oben (ANTW.) dargelegt wur<strong>de</strong>. Und dann ist sie Todsün<strong>de</strong>.<br />

192


76. FRAGE<br />

DIE VERFLUCHUNG<br />

Nunmehr ist die Verfluchung zu besprechen. Hierbei stellen<br />

sich vier Fragen:<br />

1. Ist es erlaubt, jemand zu verfluchen?<br />

2. Darf man etwas Vernunftloses verfluchen?<br />

3. Ist Verfluchung Todsün<strong>de</strong>?<br />

4. Vergleich mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n.<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man jemand verfluchen?<br />

1. Es ist nicht erlaubt, das Gebot <strong>de</strong>s Apostels zu übertreten,<br />

<strong>de</strong>r im Namen Christi sprach, wie es 2 Kor 13.3 heißt. Der<br />

Apostel selbst aber befiehlt Rom 12,14: „Segnet, <strong>und</strong> flucht<br />

nicht!" Also ist es nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu verfluchen.<br />

2. Alle sind verpflichtet, Gott zu segnen (preisen) gemäß<br />

Dn3,82: „Segnet (preiset), ihr Menschenkin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Herrn!"<br />

Aus <strong>de</strong>mselben M<strong>und</strong> kann aber nicht zugleich Segnung (Prei­<br />

sung) Gottes <strong>und</strong> Verfluchung <strong>de</strong>s Menschen hervorgehen, wie<br />

Jakobus (3,9ff) darlegt. Also ist es nicht erlaubt, jeman<strong>de</strong>n zu<br />

verfluchen.<br />

3. Wer jeman<strong>de</strong>n verflucht, wünscht ihm das Übel <strong>de</strong>r<br />

Schuld o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Strafe, <strong>de</strong>nn Verfluchung ist eine Art von Ver­<br />

wünschung. Doch darf man einem an<strong>de</strong>ren nicht Böses wün­<br />

schen, vielmehr muß man für alle beten, damit sie vom Bösen<br />

befreit wer<strong>de</strong>n. Also ist es nieman<strong>de</strong>m erlaubt, zu fluchen.<br />

4. Der Teufel ist wegen seiner Verstocktheit am meisten <strong>de</strong>r<br />

Bosheit ausgeliefert. Doch niemand darf <strong>de</strong>n Teufel verfluchen,<br />

so wenig wie sich selbst. Es heißt nämlich Sir21,30: „Wenn <strong>de</strong>r<br />

Gottlose <strong>de</strong>n Teufel verflucht, verflucht er seine Seele (sich<br />

selbst)". Also darf man noch viel weniger einen Menschen ver­<br />

fluchen.<br />

5. Zu Nm23,8 „Wie soll ich <strong>de</strong>n verfluchen, <strong>de</strong>n Gott nicht<br />

verflucht?" sagt die Glosse (MG 12,687): „Wo die Gesinnung<br />

<strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs nicht bekannt ist, liegt da ein gerechter Gr<strong>und</strong> zur<br />

Verfluchung vor?" Nun kann niemand die Gesinnung eines<br />

an<strong>de</strong>ren Menschen kennen, <strong>und</strong> auch nicht wissen, ob er von<br />

193


76. l Gott verflucht ist. Also ist es nieman<strong>de</strong>m erlaubt, einem Men­<br />

schen zu fluchen.<br />

DAGEGEN steht Dt27,26: „Verflucht sei, wer die Gebote<br />

dieses Gesetzes nicht hält." Auch Elisäus verfluchte die Knaben,<br />

die ihn verspotteten (4Kön2,24).<br />

ANTWORT. Verfluchen (maledicere = malum dicere=Böses<br />

sagen) ist soviel wie „Böses aussagen". Aussagen steht nun in<br />

einem dreifachen Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was ausgesagt wird. Ein­<br />

mal nämlich als schlichte Aussage, wie dies durch Indikativform<br />

ausgedrückt wird. So be<strong>de</strong>utet „Böses aussagen" nichts an<strong>de</strong>res<br />

als Böses über <strong>de</strong>n Nächsten berichten. Dies gehört zur Ehr­<br />

abschneidung. Daher nennt man die, welche Übles re<strong>de</strong>n, auch<br />

Ehrabschnei<strong>de</strong>r. - Zweitens wird das Wort „sagen" zur Bezeich­<br />

nung <strong>de</strong>r Verursachung gebraucht. So steht es in erster Linie<br />

<strong>und</strong> hauptsächlich Gott zu, <strong>de</strong>r alles durch sein Wort erschaffen<br />

hat, gemäß Ps32,9: „Er sagte (sprach), <strong>und</strong> es ward." In <strong>de</strong>r<br />

Folge kommt es auch <strong>de</strong>n Menschen zu, die durch ihr Befehls­<br />

wort an<strong>de</strong>re veranlassen, etwas zu tun. In diesem Sinn gibt es<br />

die imperativische Aussageform. - Drittens wird „sagen" noch<br />

gebraucht, um die in einem Wort enthaltenen Wünsche zum<br />

Ausdruck zu bringen. Und zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> die Optative<br />

Wortform eingeführt.<br />

Die erste Weise, durch die schlicht <strong>und</strong> einfach Böses ausge­<br />

sagt wird, sei übergangen, <strong>und</strong> es sei nur von <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren die Re<strong>de</strong>. Dabei muß man wissen, daß „etwas tun" <strong>und</strong> „es<br />

wollen" sich moralisch nicht unterschei<strong>de</strong>n: bei<strong>de</strong> Akte sind<br />

jeweils gut o<strong>de</strong>r böse, wie oben (1-1120,3) dargelegt wur<strong>de</strong>.<br />

Folglich gilt auch für die imperative wie für die Optative Aus­<br />

sageform das gleiche bezüglich erlaubt <strong>und</strong> unerlaubt. Wenn<br />

nämlich einer Böses für seinen Nächsten befiehlt o<strong>de</strong>r wünscht,<br />

<strong>und</strong> zwar absichtlich Böses als Böses, dann ist solches „Böses<br />

aussagen" auf je<strong>de</strong> Art unerlaubt. Und dies heißt im eigentli­<br />

chen Sinn „verfluchen". - Befiehlt o<strong>de</strong>r wünscht jedoch einer<br />

Böses für seinen Nächsten unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s<br />

Guten, dann ist es erlaubt. Dies ist eigentlich auch gar kein ver­<br />

fluchen, son<strong>de</strong>rn sieht nur danach aus, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Sprechen<strong>de</strong> hat<br />

in erster Linie nicht das Böse, son<strong>de</strong>rn das Gute im Auge.<br />

Böses kann man jedoch unter einem doppelten Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>s Guten befehlen o<strong>de</strong>r wünschen. Bisweilen nämlich<br />

unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Gerechten. So „verdammt" <strong>de</strong>r<br />

Richter erlaubterweise einen, <strong>de</strong>m er gerechte Strafe aufzuerle-<br />

194


gen befiehlt. Und in dieser Weise „verurteilt" auch die Kirche, 76. 2<br />

in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n Kirchenbann (das Anathem) ausspricht. Ebenso<br />

haben auch die Propheten <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>rn bisweilen Böses ange­<br />

droht, in<strong>de</strong>m sie gleichsam ihren Willen mit <strong>de</strong>r göttlichen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> gleichsetzten, - doch kann man <strong>de</strong>rlei Verwün­<br />

schungen auch als Verkündigung kommen<strong>de</strong>n Unheils verste­<br />

hen. - Bisweilen wird etwas Böses unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>s Nützlichen ausgesprochen, z. B. wenn jemand einem Sün­<br />

<strong>de</strong>r Krankheit o<strong>de</strong>r sonst eine hin<strong>de</strong>rliche Sache wünscht, damit<br />

er sich entwe<strong>de</strong>r bessert o<strong>de</strong>r wenigstens aufhört, an<strong>de</strong>ren zu<br />

scha<strong>de</strong>n.<br />

Zu 1. Der Apostel verbietet das eigentliche Verfluchen, d. h.<br />

jenes, das mit schlechter Absicht verb<strong>und</strong>en ist.<br />

Die gleiche Antwort gilt für Zu 2.<br />

Zu 3: Jeman<strong>de</strong>m etwas Böses unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s<br />

Guten wünschen wi<strong>de</strong>rspricht nicht <strong>de</strong>r Absicht, einem<br />

schlechthin Gutes zu erweisen, son<strong>de</strong>rn steht damit vielmehr in<br />

Einklang.<br />

Zu 4. Beim Teufel ist zwischen Natur <strong>und</strong> Schuld zu unter­<br />

schei<strong>de</strong>n. Seine Natur ist gut <strong>und</strong> stammt von Gott, darum darf<br />

man sie auch nicht verfluchen. Seine Schuld jedoch ist zu verflu­<br />

chen gemäß Job 3,8: „Es sollen ihr (nämlich <strong>de</strong>r Nacht, in <strong>de</strong>r er<br />

geboren wur<strong>de</strong>) fluchen, die <strong>de</strong>m Tag fluchen." Wenn aber <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Teufel flucht wegen <strong>de</strong>ssen Schuld, so hält er sich<br />

selbst aus ähnlichem Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verfluchung wert. In diesem<br />

Sinn ist auch das Wort „Seine Seele verfluchen" zu verstehen.<br />

Zu 5. Auch wenn die Gesinnung <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs an sich nicht<br />

zu sehen ist, so läßt sie sich aus einer offenk<strong>und</strong>igen Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n­<br />

noch erkennen, <strong>und</strong> dafür wird ihm die Strafe auferlegt. Ebenso<br />

gilt: wenngleich man nicht wissen kann, wen Gott im Hinblick<br />

auf die endgültige Verwerfung verflucht, so kann man immer­<br />

hin wissen, wen Gott angesichts einer hier <strong>und</strong> jetzt vorliegen­<br />

<strong>de</strong>n Schuld verflucht.<br />

2. ARTIKEL<br />

Darf man etwas Vernunftloses verfluchen?<br />

1. Die Verfluchung scheint vor allem als Strafe für ein Vergehen<br />

erlaubt zu sein. Doch die vernunftlose Kreatur ist we<strong>de</strong>r einer<br />

Schuld noch Strafe fähig. Also darf man sie nicht verfluchen.<br />

195


76. 2 2. Bei <strong>de</strong>r vernunftlosen Schöpfung fin<strong>de</strong>t sich nichts an<strong>de</strong>­<br />

res als die Natur, die Gott geschaffen hat. Diese jedoch darf<br />

man selbst beim Teufel nicht verfluchen (o. Zu 4). Also darf<br />

man die vernunftlose Kreatur überhaupt nicht verfluchen.<br />

3. Das Vernunftlose ist entwe<strong>de</strong>r etwas Bleiben<strong>de</strong>s, wie die<br />

Körper, o<strong>de</strong>r etwas Vorübergehen<strong>de</strong>s, wie die Zeit. Nach Gre­<br />

gor (Moralia4,2; ML 75,634) ist es nun „müßig, zu verfluchen,<br />

was nicht existiert, sündhaft jedoch, wenn es existierte". Also<br />

darf man etwas Vernunftloses überhaupt nicht verfluchen.<br />

DAGEGEN steht, daß <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Feigenbaum verflucht<br />

hat (Mt21,19), <strong>und</strong> „Job verfluchte seinen Tag" (Job 3,1).<br />

ANTWORT. Nur etwas, <strong>de</strong>m Gutes o<strong>de</strong>r Böses wi<strong>de</strong>rfahren<br />

kann, läßt sich streng genommen segnen o<strong>de</strong>r verfluchen, <strong>und</strong><br />

das ist die vernunftbegabte Kreatur. Den vernunftlosen Wesen<br />

jedoch wird „gut" <strong>und</strong> „böse" zugeschrieben im Hinblick auf<br />

die vernunftbegabte Kreatur, <strong>de</strong>r sie zu dienen hat. In vielfacher<br />

Weise nun sind sie auf diese hingeordnet. Einmal als Hilfe, inso­<br />

fern die Bedürfnisse <strong>de</strong>s Menschen durch die vernunftlosen<br />

Geschöpfe befriedigt wer<strong>de</strong>n. In diesem Sinn sprach Gott zum<br />

Menschen Gn3,17: „Die Er<strong>de</strong> sei verflucht wegen <strong>de</strong>iner<br />

Taten", nämlich auf daß <strong>de</strong>r Mensch durch ihre Unfruchtbarkeit<br />

bestraft wer<strong>de</strong>. So ist auch Dt28,5 zu verstehen: „Gesegnet<br />

seien <strong>de</strong>ine Scheuern", <strong>und</strong> danach: „Verflucht sei <strong>de</strong>ine<br />

Scheuer". In diesem Sinn auch verfluchte David die Berge Gel­<br />

boes, [2 Sam 1,21] gemäß <strong>de</strong>r Auslegung Gregors (Moralia 4,4;<br />

ML 75,636). - Sodann dienen die vernunftlosen Dinge <strong>de</strong>r ver­<br />

nunftbegabten Kreatur als Sinnbil<strong>de</strong>r. Auf diese Weise verfluch­<br />

te <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>n Feigenbaum als Zeichen für Juda. - Drittens<br />

nimmt die vernünftige Kreatur vernunftlose Dinge als zeitli­<br />

chen o<strong>de</strong>r ortsbestimmen<strong>de</strong>n Rahmen. So verfluchte Job <strong>de</strong>n<br />

Tag seiner Geburt, weil ihn da, bei seiner Geburt, die Erbschuld<br />

traf, <strong>und</strong> wegen <strong>de</strong>r daraus folgen<strong>de</strong>n Strafen. Aus <strong>de</strong>mselben<br />

Gr<strong>und</strong> verfluchte David - so kann man 2 Sam 1,21 verstehen -<br />

die Berge Gelboes, weil sein Volk dort eine Nie<strong>de</strong>rlage erlitten<br />

hatte.<br />

Vernunftlose Dinge zu verfluchen, insofern sie Schöpfung<br />

Gottes sind, ist eine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gotteslästerung . - Sie verflu­<br />

chen, weil sie sind, wie sie sind, ist müßig <strong>und</strong> sinnlos <strong>und</strong> daher<br />

unerlaubt.<br />

196<br />

Daraus ergibt sich die Lösung <strong>de</strong>r Einwän<strong>de</strong>.


3. ARTIKEL 76. 3<br />

Ist Verfluchen Todsün<strong>de</strong>?<br />

1. Augustinus rechnet in seiner Homilie Über das Fegfeuer<br />

(Sermol04; ML 30,1947) die Verfluchung unter die leichten<br />

Sün<strong>de</strong>n. Solcher Art aber sind die läßlichen. Also ist Verflu­<br />

chung nicht Todsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur läßliche.<br />

2. Was einer flüchtigen Geistesregung entspringt, ist nicht<br />

Todsün<strong>de</strong>. Doch Verfluchung entsteht zuweilen aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>. Also ist sie nicht Todsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur läßliche.<br />

3. Schlimmer ist Böses tun als „Böses sagen" (fluchen).<br />

Doch Böses tun ist nicht immer Todsün<strong>de</strong>. Also noch viel weni­<br />

ger „Böses sagen".<br />

DAGEGEN steht, daß nichts vom Reich Gottes ausschließt<br />

außer <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>. Doch Verfluchung schließt vom Reich<br />

Gottes aus gemäß lKor6,10: „We<strong>de</strong>r Verflucher noch Räuber<br />

wer<strong>de</strong>n das Reich Gottes besitzen". Also ist Verfluchung Tod­<br />

sün<strong>de</strong>.<br />

ANTWORT. Die Verfluchung, von <strong>de</strong>r hier die Re<strong>de</strong> ist,<br />

besteht im Aussprechen von etwas Bösem gegen jemand, sei es<br />

in Befehls-, sei es in Wunschform. Dem Nächsten aber etwas<br />

Böses wünschen o<strong>de</strong>r durch Befehl dazu bewegen wi<strong>de</strong>rspricht<br />

an sich <strong>de</strong>r Caritas, mit <strong>de</strong>r wir <strong>de</strong>n Nächsten lieben, in<strong>de</strong>m wir<br />

Gutes für ihn wollen. Daher ist jenes Han<strong>de</strong>ln seiner Art nach<br />

Todsün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> eine umso schwerere, je mehr wir die Person, die<br />

wir verfluchen, lieben <strong>und</strong> verehren müssen. Daher heißt es<br />

Lv20,9: „Wer seinem Vater o<strong>de</strong>r seiner Mutter flucht, soll <strong>de</strong>s<br />

To<strong>de</strong>s sterben".<br />

Es kommt jedoch vor, daß ein Verfluchungswort nur läßliche<br />

Sün<strong>de</strong> ist, sei es wegen <strong>de</strong>r Geringfügigkeit <strong>de</strong>s Übels, das<br />

jemand einem an<strong>de</strong>ren verfluchend wünscht, sei es wegen <strong>de</strong>r<br />

Geistesverfassung <strong>de</strong>s Verfluchen<strong>de</strong>n, wenn er aus flüchtiger<br />

Erregung o<strong>de</strong>r im Spaß o<strong>de</strong>r irgendwie spontan <strong>de</strong>rlei Worte<br />

von sich gibt. Wortsün<strong>de</strong>n sind ja, wie oben (72,2) bemerkt, vor<br />

allem nach <strong>de</strong>r Gesinnung zu beurteilen.<br />

Daraus ergibt sich die Lösung <strong>de</strong>r Einwän<strong>de</strong>.<br />

197


76. 4 4. ARTIKEL<br />

Ist Verfluchen eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung?<br />

1. Verfluchung ist eine Art Lästerung, wie aus <strong>de</strong>m Judasbrief<br />

(V. 9) hervorgeht: „Als <strong>de</strong>r Erzengel Michael mit <strong>de</strong>m Teu­<br />

fel rechtete <strong>und</strong> um <strong>de</strong>n Leib <strong>de</strong>s Moses stritt, hat er nicht<br />

gewagt, ein lästerliches Urteil zu fällen". Und „Lästerung"<br />

nimmt die Glosse (interlin.VI,238r) hier für Verfluchung.<br />

Lästerung aber ist eine schwerere Sün<strong>de</strong> als Ehrabschneidung.<br />

Also auch Verfluchung.<br />

2. Mord ist schwerer als Ehrabschneidung, wie oben (73,3)<br />

erklärt wur<strong>de</strong>. Doch Verfluchung <strong>und</strong> Mord sind gleich schwer.<br />

Cbrysostomus schreibt nämlich in seinem Matthäuskommentar<br />

(Horn. 19; MG57,285): „Wenn du sagst: ,Fluch ihm, reiße sein<br />

Haus ein <strong>und</strong> laß alles zugr<strong>und</strong>egehen', so bist du nichts an<strong>de</strong>res<br />

als ein Mör<strong>de</strong>r". Also ist Verfluchung schwerer als Ehrabschnei­<br />

dung.<br />

3. Eine Ursache ist wirksamer als ein Zeichen. Doch wer<br />

verflucht, verursacht durch seinen Befehl ein Übel. Wer hinge­<br />

gen die Ehre abschnei<strong>de</strong>t, zeigt nur ein bereits bestehen<strong>de</strong>s<br />

Übel an. Also sündigt <strong>de</strong>r Verfluchen<strong>de</strong> mehr als <strong>de</strong>r Ehrab­<br />

schnei<strong>de</strong>r.<br />

DAGEGEN steht, daß Ehrabschneidung niemals gut wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Die Verfluchung hingegen läßt sich, wie dargelegt wur<strong>de</strong>,<br />

im guten <strong>und</strong> schlechten Sinn anwen<strong>de</strong>n. Also ist Ehrabschnei­<br />

dung schwerer sündhaft als Verfluchung.<br />

ANTWORT. Wie im I. Buch (148,5) erklärt wur<strong>de</strong>, gibt es ein<br />

zweifaches Übel: das <strong>de</strong>r Schuld <strong>und</strong> das <strong>de</strong>r Strafe. Das Übel<br />

<strong>de</strong>r Schuld aber ist schlimmer (ebda). Und so ist das Aussagen<br />

von Schuld auch schlimmer als das Aussagen von Strafe, vor­<br />

ausgesetzt, die Art <strong>de</strong>s Aussagens ist die gleiche. Bei Schmä­<br />

hung nun wie auch bei Ohrenbläserei <strong>und</strong> Ehrabschneidung<br />

sowie bei Verspottung wird Schuld ausgesagt, doch <strong>de</strong>r Verflu­<br />

cher, wie jetzt von ihm die Re<strong>de</strong> ist, spricht Strafübel, aber kein<br />

Schuldübel aus, - dieses höchstens unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>r Strafe. Die Art <strong>und</strong> Weise <strong>de</strong>s Sprechens ist jedoch verschie­<br />

<strong>de</strong>n. Denn um die vier vorgenannten Laster auszusprechen,<br />

genügt es, die Schuld einfach zu nennen; bei <strong>de</strong>r Verfluchung<br />

jedoch wird Strafe ausgesprochen, in<strong>de</strong>m man sie entwe<strong>de</strong>r in<br />

Form eines Befehls o<strong>de</strong>r eines Wunsches verursacht. Das Aus-<br />

198


sagen von Schuld ist nun Sün<strong>de</strong>, insofern dadurch <strong>de</strong>m Nach- 76. 4<br />

sten Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird. Schwerer jedoch wiegt Scha<strong>de</strong>n<br />

zufügen als - unter gleichen Voraussetzungen - Scha<strong>de</strong>n nur<br />

wünschen. Daher ist Ehrabschneidung nach gemeinem Ver­<br />

ständnis eine schwerere Sün<strong>de</strong> als jene Verfluchung, die nur<br />

einen einfachen Wunsch zum Ausdruck bringt. Die Verfluchung<br />

jedoch in Form eines Befehls kann wegen ihres Ursachecharak­<br />

ters schwerer als Ehrabschneidung sein, falls sie mehr Scha<strong>de</strong>n<br />

bewirkt als es Anschwärzung ist, - o<strong>de</strong>r bei geringem Scha<strong>de</strong>n<br />

auch leichter.<br />

All dies versteht sich entsprechend <strong>de</strong>m, was zu <strong>de</strong>n wesent­<br />

lichen Elementen dieser Sün<strong>de</strong>n gehört. Es können freilich auch<br />

noch zufällige Umstän<strong>de</strong> in Betracht kommen, wodurch sich<br />

die Sündhaftigkeit verschlimmert o<strong>de</strong>r abschwächt.<br />

Zu 1. Die Verfluchung <strong>de</strong>r Schöpfung, insofern sie Schöp­<br />

fung ist, fällt auf Gott zurück <strong>und</strong> nimmt dadurch <strong>de</strong>n Charak­<br />

ter <strong>de</strong>r Gotteslästerung an. Nicht so verhielte es sich, wenn die<br />

Schöpfung verflucht wür<strong>de</strong> wegen einer Schuld. Und das<br />

gleiche gilt von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung.<br />

Zu 2. Wie gesagt (s. o.), verbin<strong>de</strong>t sich eine Form von Verflu­<br />

chung mit <strong>de</strong>m Wunsch, daß Böses geschehe. Wenn daher<br />

jemand in seinen Fluch <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s an seinem<br />

Nächsten miteinbezieht, so unterschei<strong>de</strong>t er sich <strong>de</strong>r Absicht<br />

nach nicht von einem Mör<strong>de</strong>r. Ein Unterschied besteht freilich<br />

darin, daß durch die äußere Ausführung zum reinen Willensakt<br />

noch etwas hinzukommt.<br />

Zu 3. Diese Überlegung gilt nur für die imperative Verflu­<br />

chung.<br />

199


77. FRAGE<br />

DER BETRUG<br />

BEI KAUF UND VERKAUF<br />

Nun sind die Sün<strong>de</strong>n zu besprechen, die bei freiwilligen<br />

Tauschhandlungen vorkommen.<br />

Dabei geht es erstens um Betrug bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf, zwei­<br />

tens um <strong>de</strong>n Wucher bei Leihgeschäften. Bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren frei­<br />

willigen Tauschhandlungen gibt es nämlich keine von Raub<br />

o<strong>de</strong>r Diebstahl verschie<strong>de</strong>nen Arten von Sün<strong>de</strong>.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>s ersten Punktes ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Der Preis beim ungerechten Verkauf, d. h. darf man etwas<br />

über seinen Wert verkaufen?<br />

2. Der ungerechte Verkauf von <strong>de</strong>r Ware her gesehen.<br />

3. Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hinweisen?<br />

4. Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis höher sein<br />

als <strong>de</strong>r Einkaufspreis?<br />

1. ARTIKEL<br />

Darf man etwas über seinen Wert verkaufen?<br />

1. Das Gerechte bei <strong>de</strong>n Tauschgeschäften wird in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gesellschaft nach bürgerlichen Gesetzen be­<br />

stimmt. Doch danach (KRII,179b u. 180a) ist es Käufer <strong>und</strong><br />

Verkäufer erlaubt, sich gegenseitig zu hintergehen. Dies ge­<br />

schieht dadurch, daß <strong>de</strong>r Verkäufer seine Ware über Wert ver­<br />

kauft, <strong>de</strong>r Käufer sie hingegen unter Wert bezahlt. Also darf<br />

man eine Sache über Wert verkaufen.<br />

2. Was unter <strong>de</strong>n Menschen allgemein verbreitet ist, scheint<br />

etwas Natürliches zu sein. Augustinus gibt nun im XIII. Buch<br />

Über die Dreifaltigkeit (c. 3; ML 42,1017) das Wort eines von<br />

allen beklatschten Schauspielers wie<strong>de</strong>r: „Ihr wollt billig ein­<br />

kaufen <strong>und</strong> teuer verkaufen." Damit stimmt auch Spr20,14<br />

überein: „,Schlecht, schlecht!' sagt je<strong>de</strong>r Käufer, ist er aber weg,<br />

dann prahlt er." Also ist es erlaubt, etwas teurer zu verkaufen<br />

<strong>und</strong> billiger einzukaufen, als es wert ist.<br />

3. Es scheint nicht unerlaubt, auf-Vereinbarung hin zu tun,<br />

was man schon nach <strong>de</strong>n Regeln <strong>de</strong>r Ehrbarkeit tun muß. Nun<br />

200


hat nach Aristoteles (Eth.VIII, 15; 1163 a 16) unter Fre<strong>und</strong>en 77 1<br />

jener, <strong>de</strong>r eine Wohltat empfangen hat, entsprechend <strong>de</strong>m<br />

erlangten N<strong>utz</strong>en einen Ausgleich zugunsten <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren zu<br />

leisten [64]. Diese Gegenleistung übersteigt bisweilen <strong>de</strong>n Wert<br />

<strong>de</strong>r erhaltenen Sache, z. B. wenn jemand etwas sehr nötig hat,<br />

um einer Gefahr zu begegnen o<strong>de</strong>r einen Vorteil zu erlangen.<br />

Also ist es erlaubt, im Kauf- <strong>und</strong> Verkaufsvertrag etwas um<br />

höheren Preis, als es wert ist, abzugeben.<br />

DAGEGEN steht bei Mt7,12: „Alles, was ihr von an<strong>de</strong>ren<br />

erwartet, das tut auch ihnen." Niemand aber will, daß ihm eine<br />

Sache teurer verkauft wer<strong>de</strong>, als sie wert ist. Also darf niemand<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren eine Sache über Wert verkaufen.<br />

ANTWORT. Betrug anwen<strong>de</strong>n, um etwas über <strong>de</strong>m gerech­<br />

ten Preis zu verkaufen, ist unter allen Umstän<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn<br />

dadurch wird <strong>de</strong>r Nächste zu seinem Scha<strong>de</strong>n hintergangen.<br />

Daher sagt auch Cicero im III. Buch seiner Pflichtenlehre<br />

(c. 15): „Von Verträgen ist je<strong>de</strong> Lüge fernzuhalten; <strong>de</strong>r Verkäu­<br />

fer soll keinen Mehrbieten<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Käufer keinen, <strong>de</strong>r ihn unter­<br />

bietet, zulassen."<br />

Sehen wir vom Betrug einmal ab, so können wir über Kauf<br />

<strong>und</strong> Verkauf in doppelter Weise sprechen. Einmal an sich. Und<br />

so scheinen Kauf <strong>und</strong> Verkauf zum gemeinsamen N<strong>utz</strong>en bei­<br />

<strong>de</strong>r Teile eingeführt wor<strong>de</strong>n zu sein, in<strong>de</strong>m nämlich <strong>de</strong>r eine die<br />

Sache <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren nötig hat <strong>und</strong> umgekehrt, wie Aristoteles im<br />

I.Buch seiner Politik (c.9; 1257a6) bemerkt. Was nun zum<br />

gemeinsamen N<strong>utz</strong>en eingeführt wur<strong>de</strong>, darf <strong>de</strong>n einen nicht<br />

mehr belasten als <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren. Daher muß <strong>de</strong>r Vertrag zwi­<br />

schen ihnen unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s sachlichen Aus­<br />

gleichs abgeschlossen wer<strong>de</strong>n. Der Wert <strong>de</strong>r Dinge aber, die<br />

zum N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s Menschen in Umlauf kommen, wird nach <strong>de</strong>m<br />

bezahlten Preis bemessen. Zu diesem Zweck wur<strong>de</strong> das Geld<br />

erf<strong>und</strong>en, wie es im V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 8; 1133a29) heißt.<br />

Wenn daher <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>n Sachwert übersteigt o<strong>de</strong>r, umgekehrt,<br />

<strong>de</strong>r Sachwert <strong>de</strong>n Preis übersteigt, ist von ausgleichen<strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> keine Re<strong>de</strong> mehr. Teurer verkaufen o<strong>de</strong>r billiger<br />

einkaufen, als eine Sache wert ist, ist also an sich ungerecht <strong>und</strong><br />

unerlaubt.<br />

In an<strong>de</strong>rer Weise können wir von Kauf <strong>und</strong> Verkauf spre­<br />

chen, sofern daraus zufällig <strong>de</strong>m einen ein Vorteil <strong>und</strong> <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>ren ein Nachteil entsteht, z. B. wenn einer etwas sehr nötig<br />

hat <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re geschädigt wür<strong>de</strong>, wenn er es entbehren<br />

201


77. l müßte. In diesem Fall ergibt sich <strong>de</strong>r gerechte Preis nicht nur im<br />

Hinblick auf die Sache, die verkauft wird, son<strong>de</strong>rn auch im Hin­<br />

blick auf <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Verkäufer aus <strong>de</strong>m Verkauf ent­<br />

steht. Und so kann etwas teurer verkauft wer<strong>de</strong>n, als es an sich<br />

wert ist, obwohl es nicht teurer verkauft wer<strong>de</strong>n sollte, als es<br />

<strong>de</strong>m Besitzer wert ist.<br />

Hat aber jemand einen großen N<strong>utz</strong>en von <strong>de</strong>r erhaltenen<br />

Sache, <strong>de</strong>r Verkäufer durch die Weggabe jedoch keinen Nach­<br />

teil, so darf er sie nicht teurer verkaufen. Denn <strong>de</strong>r Vorteil, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren zufällt, entsteht nicht aus <strong>de</strong>m Verkauf, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>r Lage <strong>de</strong>s Käufers. Niemand aber darf jeman<strong>de</strong>m etwas<br />

verkaufen, was ihm nicht gehört, wenn er ihm auch <strong>de</strong>n Scha­<br />

<strong>de</strong>n berechnen kann, <strong>de</strong>n er erlei<strong>de</strong>t. Wer hingegen durch die<br />

erhaltene Sache eine große Hilfe erfährt, kann <strong>de</strong>m Verkäufer<br />

freiwillig etwas dreingeben, - dies wäre eine ehrenhafte Geste.<br />

Zu 1. Wie oben (1-1196,2) bemerkt, beansprucht das<br />

menschliche Gesetz seine Gültigkeit für die ganze Gesellschaft,<br />

in <strong>de</strong>r es viele lasterhafte Glie<strong>de</strong>r gibt, <strong>und</strong> nicht nur für die<br />

Tugendhaften. Daher konnte es nicht alles verhin<strong>de</strong>rn, was <strong>de</strong>r<br />

Tugend wi<strong>de</strong>rspricht, es genügt ihm, das zu verhin<strong>de</strong>rn, was das<br />

Zusammenleben <strong>de</strong>r Menschen unmöglich macht. An<strong>de</strong>re<br />

Dinge hingegen gelten ihm als „erlaubt", nicht weil es sie gut­<br />

hieße, son<strong>de</strong>rn nur, weil es sie nicht bestraft. So hält es gleich­<br />

sam auch für erlaubt <strong>und</strong> for<strong>de</strong>rt dafür keine Bestrafung, wenn<br />

<strong>de</strong>r Verkäufer, ohne zu betrügen, seine Sache teurer verkauft<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Käufer billiger einkauft, immer vorausgesetzt, <strong>de</strong>r Un­<br />

terschied ist nicht zu groß, <strong>de</strong>nn dann zwingt auch das mensch­<br />

liche Gesetz zur Restitution, z. B. wenn jemand um mehr als die<br />

Hälfte <strong>de</strong>s gerechten Preises betrogen wur<strong>de</strong> (KRII, 179 b). Das<br />

göttliche Gesetz jedoch läßt nichts, was <strong>de</strong>r Tugend wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, ungestraft. Daher gilt nach ihm als unerlaubt, wenn bei<br />

Kauf <strong>und</strong> Verkauf <strong>de</strong>r gerechte Ausgleich nicht gewahrt wird.<br />

Und wer zuviel an sich genommen hat, muß <strong>de</strong>m Geschädigten<br />

Ersatz leisten, falls es sich um nennenswerten Scha<strong>de</strong>n han<strong>de</strong>lt.<br />

Ich sage dies <strong>de</strong>shalb, weil sich <strong>de</strong>r gerechte Preis nicht immer<br />

auf <strong>de</strong>n i-Punkt genau ausmachen läßt, son<strong>de</strong>rn mehr auf Schät­<br />

zung beruht, so daß ein geringes Mehr o<strong>de</strong>r Weniger <strong>de</strong>n<br />

gerechten Ausgleich nicht aufzuheben scheint.<br />

Zu 2. Augustinus sagt ebendort: „Beim Gedanken an sich<br />

selbst o<strong>de</strong>r die Erfahrung mit an<strong>de</strong>ren vor Augen meinte jener<br />

Schauspieler, billig einkaufen <strong>und</strong> teuer verkaufen wollen sei<br />

202


allgemein verbreitet. Weil dies aber tatsächlich Sün<strong>de</strong> ist, kann 77. 2<br />

hier je<strong>de</strong>r dadurch <strong>Gerechtigkeit</strong> erlangen, daß er <strong>de</strong>m siegreich<br />

wi<strong>de</strong>rsteht." Und er bringt ein Beispiel von einem, <strong>de</strong>r, obgleich<br />

ihm jemand aus Unwissenheit nur eine geringe Summe für ein<br />

Buch abverlangte, <strong>de</strong>n gerechten Preis bezahlte. Daraus folgt,<br />

daß jenes allgemeine Bestreben nicht aus <strong>de</strong>r Natur, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>m Laster folgt. Es ist nur jenen vielen allgemein geläufig,<br />

die auf <strong>de</strong>r breiten Straße <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> einhergehen.<br />

Zu 3. Bei <strong>de</strong>r Tauschgerechtigkeit wird vor allem auf <strong>de</strong>n<br />

sachlichen Ausgleich geachtet. Doch die auf N<strong>utz</strong>en beruhen<strong>de</strong><br />

Fre<strong>und</strong>schaft sieht eben auf <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en, <strong>und</strong> daher muß sich<br />

die Gegenleistung nach <strong>de</strong>m herausgekommenen N<strong>utz</strong>en rich­<br />

ten, beim Kauf hingegen entsprechend <strong>de</strong>m Ausgleich in <strong>de</strong>r<br />

Sache.<br />

2. ARTIKEL<br />

Wird <strong>de</strong>r Verkauf ungerecht <strong>und</strong> unerlaubt wegen Fehlerhaftigkeit<br />

<strong>de</strong>r verkauften Sache?<br />

1. Ist <strong>de</strong>r wesentliche Bestand einer Sache vorhan<strong>de</strong>n, so fällt<br />

das übrige weniger mehr ins Gewicht. Nun scheint <strong>de</strong>r Verkauf<br />

nicht unerlaubt zu sein, selbst wenn <strong>de</strong>r wesentliche Bestand<br />

nicht vorhan<strong>de</strong>n ist, z. B. wenn jemand Alchimiesilber o<strong>de</strong>r<br />

-gold anstelle von echtem verkauft, das man für alle Gebrauchs­<br />

gegenstän<strong>de</strong> aus Silber <strong>und</strong> Gold benötigt, z. B. zur Herstellung<br />

von Gefäßen <strong>und</strong> <strong>de</strong>rgleichen. Also ist <strong>de</strong>r Verkauf noch viel<br />

weniger unerlaubt, wenn es sich um an<strong>de</strong>re Mängel han<strong>de</strong>lt.<br />

2. Mengenmäßige Mängel in <strong>de</strong>r Sache scheinen <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, die im Gleichmaß besteht, am meisten zu wi<strong>de</strong>rspre­<br />

chen. Die Menge aber wird durch das Maß festgestellt. Die<br />

Meßgrößen für die Dinge, die <strong>de</strong>m Menschen zum Gebrauch<br />

dienen, sind jedoch nicht genau festgelegt, son<strong>de</strong>rn hier größer,<br />

dort kleiner, wie aus <strong>de</strong>s Aristoteles V.Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 10;<br />

1135a 1) hervorgeht. Ein quantitativer Mangel bei <strong>de</strong>r verkauf­<br />

ten Sache läßt sich also nicht vermei<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> darum wird <strong>de</strong>r<br />

Verkauf <strong>de</strong>swegen wohl nicht unerlaubt sein.<br />

3. Ein Mangel an <strong>de</strong>r Sache liegt vor, wenn ihr die entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Qualität fehlt. Wer jedoch über Qualität einer Sache<br />

Bescheid wissen will, braucht umfassen<strong>de</strong> Kenntnisse, die <strong>de</strong>n<br />

meisten Kaufleuten abgehen. Also wird <strong>de</strong>r Verkauf nicht uner­<br />

laubt wegen eines Fehlers <strong>de</strong>r Sache. .<br />

203


77. 2 DAGEGEN schreibt Ambrosius im III. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c. 11; ML 16,175): „Es ist eine klare Regel <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, daß es sich für <strong>de</strong>n rechtschaffenen Mann nicht geziemt,<br />

vom Wahren abzuweichen, noch irgendwem einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zuzufügen, noch seine Sache irgendwie mit Betrug in Verbin­<br />

dung zu bringen."<br />

ANTWORT. Eine Sache, die verkauft wird, kann einen dreifa­<br />

chen Mangel aufweisen. Der erste bezieht sich auf ihren<br />

Wesensbestand. Ist ein solcher Mangel <strong>de</strong>m Verkäufer beim<br />

Verkauf <strong>de</strong>r Sache bekannt, dann begeht er dabei einen Betrug;<br />

daher wird <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt. Und das ist es, was bei<br />

Is 1,22 gegen gewisse Leute gesagt wird: „Dein Silber wur<strong>de</strong> zu<br />

Schlacke, <strong>de</strong>in Wein ist mit Wasser vermischt." Was vermischt<br />

ist, verliert nämlich seinen spezifischen Wesensbestand. - Der<br />

zweite Mangel liegt in <strong>de</strong>r Quantität, die durch Messung festge­<br />

stellt wird. Wer darum wissentlich beim Verkauf zu wenig mißt,<br />

begeht Betrug, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkauf ist unerlaubt. Daher heißt es<br />

Dt 25,13 f.: „Du sollst nicht zweierlei Gewicht im Beutel haben,<br />

ein größeres <strong>und</strong> ein kleineres; auch sollst du in <strong>de</strong>inem Hause<br />

nicht einen größeren <strong>und</strong> einen kleineren Scheffel haben." Und<br />

nachher (V. 16) wird hinzugefügt: „Denn <strong>de</strong>r Herr verabscheut<br />

<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r solches tut, <strong>und</strong> ist ein Feind aller Ungerechtigkeit." -<br />

Der dritte Mangel bezieht sich auf die Qualität, z. B. wenn einer<br />

ein krankes Tier als ges<strong>und</strong>es verkauft. Wer dies bewußt tut, be­<br />

geht Betrug beim Verkauf, <strong>de</strong>shalb ist <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt.<br />

Und bei alle<strong>de</strong>m sündigt einer nicht nur durch ungerechten<br />

Verkauf, son<strong>de</strong>rn er ist auch zur Restitution verpflichtet. Fin<strong>de</strong>t<br />

sich aber ohne sein Wissen einer <strong>de</strong>r erwähnten Mängel in <strong>de</strong>r<br />

verkauften Sache, sündigt <strong>de</strong>r Verkäufer zwar nicht, weil er nur<br />

materiell etwas Ungerechtes tut, auch ist sein Verhalten nicht<br />

ungerecht, wie aus <strong>de</strong>m Obigen (59,2) hervorgeht. Doch<br />

sobald <strong>de</strong>r Mangel bekannt wird, ist er verpflichtet, <strong>de</strong>m Käufer<br />

<strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n zu ersetzen.<br />

Was vom Verkäufer gesagt wur<strong>de</strong>, gilt auch für <strong>de</strong>n Käufer.<br />

Es kommt nämlich zuweilen vor, daß <strong>de</strong>r Verkäufer seine Sache<br />

für weniger wertvoll hält, als sie in Wirklichkeit ist. So kauft<br />

jemand, <strong>de</strong>m Gold anstelle von Messing angeboten wird, unge­<br />

recht ein, falls er es merkt, <strong>und</strong> ist zur Restitution verpflichtet.<br />

Dasselbe gilt bei qualitativen <strong>und</strong> quantitativen Mängeln.<br />

Zu 1. Gold <strong>und</strong> Silber sind nicht nur teuer wegen <strong>de</strong>s Nut­<br />

zens <strong>de</strong>r Gefäße, die daraus hergestellt wer<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r wegen<br />

204


an<strong>de</strong>rer <strong>de</strong>rgleichen Dinge, son<strong>de</strong>rn auch wegen <strong>de</strong>r Schönheit 77. 2<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Reinheit ihrer natürlichen Beschaffenheit. Wenn daher<br />

das von Alchimisten hergestellte Gold o<strong>de</strong>r Silber <strong>de</strong>n Charakter<br />

von echtem Gold o<strong>de</strong>r Silber nicht besitzt, so ist <strong>de</strong>r Verkauf<br />

betrügerisch <strong>und</strong> ungerecht. Dies vor allem auch <strong>de</strong>shalb, weil<br />

es für echtes Gold <strong>und</strong> Silber wegen ihrer natürlichen Wirksam­<br />

keit Verwendungszwecke gibt, die alchimistisch vorgetäusch­<br />

tem Gold nicht zukommen, wie z. B. daß es die Eigenschaft hat,<br />

Freu<strong>de</strong> zu wecken o<strong>de</strong>r medizinisch gegen gewisse Krankheiten<br />

zu helfen. Außer<strong>de</strong>m läßt sich echtes Gold auch in vielfältiger<br />

Weise verwen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> bewahrt seine Reinheit länger als Schein­<br />

gold. - Käme jedoch bei alchimistischen Verfahren echtes Gold<br />

heraus, dann dürfte man es auch als echtes verkaufen, <strong>de</strong>nn<br />

nichts steht im Weg, daß ein künstliches Verfahren mit Hilfe<br />

natürlicher Ursachen natürliche <strong>und</strong> echte Wirkungen hervor­<br />

bringt, wie Augustinus im III. Buch Über die Dreifaltigkeit<br />

(c. 8; ML42, 875) zu <strong>de</strong>m bemerkt, was die Dämonen zu­<br />

stan<strong>de</strong>bringen.<br />

Zu 2. Die Maße für die Han<strong>de</strong>lswaren müssen an verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Orten wegen <strong>de</strong>s verschie<strong>de</strong>n großen Angebots verschie­<br />

<strong>de</strong>n sein; <strong>de</strong>nn wo es mehr Ware gibt, sind die Maßeinheiten<br />

meist größer. An je<strong>de</strong>m Ort jedoch ist es Sache <strong>de</strong>r Gemein<strong>de</strong>­<br />

vorsteher, in Anbetracht <strong>de</strong>r örtlichen Verhältnisse <strong>und</strong> <strong>de</strong>r vor­<br />

han<strong>de</strong>nen Dinge die richtigen Maße für die Waren zu bestim­<br />

men. Daher darf man diese von <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität o<strong>de</strong>r<br />

durch Gewohnheit festgelegten Maße nicht außer acht lassen.<br />

Zu 3. Wie Augustinus im XI. Buch seines Gottesstaates<br />

(c. 16; ML 41,331) schreibt, richtet sich <strong>de</strong>r Preis von Han<strong>de</strong>ls­<br />

waren nicht nach ihrem natürlichen Rang, da bisweilen ein<br />

Pferd teurer zu stehen kommt als ein Sklave, son<strong>de</strong>rn danach,<br />

welchen N<strong>utz</strong>wert eine Sache für <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Menschen<br />

besitzt. Daher braucht <strong>de</strong>r Verkäufer o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Käufer die ver­<br />

borgene Qualität <strong>de</strong>r verkauften Sache nicht zu kennen, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur jene, die sie für <strong>de</strong>n menschlichen Gebrauch geeignet<br />

machen, z. B. daß ein Pferd kräftig sei <strong>und</strong> tüchtig laufe, <strong>und</strong> so<br />

in ähnlichen Fällen. Diese Eigenschaften können Käufer <strong>und</strong><br />

Verkäufer jedoch leicht erkennen.<br />

205


3. ARTIKEL<br />

Muß <strong>de</strong>r Verkäufer auf einen Warenfehler hinweisen?<br />

1. Da <strong>de</strong>r Verkäufer <strong>de</strong>n Käufer zum Kauf nicht zwingt,<br />

scheint er die Ware, die er verkauft, <strong>de</strong>ssen Urteil zu überlassen.<br />

Doch eine Ware beurteilen <strong>und</strong> sich genaue Kenntnis von ihr<br />

verschaffen, ist Sache <strong>de</strong>rselben Person. Also ist es wohl nicht<br />

<strong>de</strong>m Verkäufer anzurechnen, wenn <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>e wegen über­<br />

stürzten Kaufs <strong>und</strong> ohne sorgfältige Prüfung <strong>de</strong>s Warenzustands<br />

in seinem Urteil fehlgeht.<br />

2. Töricht ist, wer durch ein bestimmtes Han<strong>de</strong>ln sein Vor­<br />

haben zunichte macht. Doch wenn einer die Mängel seiner Ware<br />

auf<strong>de</strong>ckt, macht er <strong>de</strong>n Verkauf zunichte. So führt Cicero in sei­<br />

ner Pflichtenlehre (111,13) einen an, <strong>de</strong>r sagt: „Was gäbe es<br />

Wi<strong>de</strong>rsinnigeres, als wenn auf Befehl <strong>de</strong>s Eigentümers <strong>de</strong>r Aus­<br />

rufer ankündigen wür<strong>de</strong>: Ich biete ein verseuchtes Haus zum<br />

Kaufe an!" Also ist <strong>de</strong>r Verkäufer nicht verpflichtet, die Mängel<br />

<strong>de</strong>r verkauften Sache anzugeben.<br />

3. Für einen Menschen ist es wichtiger, <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>r Tugend<br />

zu kennen als die Mängel von Han<strong>de</strong>lswaren. Doch man ist<br />

nicht verpflichtet, einem je<strong>de</strong>n Ratschläge zu erteilen <strong>und</strong> über<br />

<strong>de</strong>n Tugendweg Aufklärung zu verschaffen, - wenngleich man<br />

nieman<strong>de</strong>m etwas Falsches sagen darf. Viel weniger also ist <strong>de</strong>r<br />

Verkäufer gehalten, auf Mängel einer verkauften Sache hinzu­<br />

weisen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Käufer gleichsam guten Rat erteilt.<br />

4. Wäre man verpflichtet, Warenmangel anzugeben, so<br />

könnte dies nur eine Senkung <strong>de</strong>s Preises zur Folge haben.<br />

Doch bisweilen fällt <strong>de</strong>r Preis auch ohne Warenmängel aus<br />

einem an<strong>de</strong>ren Gr<strong>und</strong>, z. B. wenn <strong>de</strong>r Verkäufer, <strong>de</strong>r seinen<br />

Weizen an einen Ort bringt, wo Getrei<strong>de</strong>mangel herrscht, weiß,<br />

daß da viele mit ihren Erzeugnissen hinkommen können; wenn<br />

die Käufer dies wüßten, wür<strong>de</strong>n sie einen geringeren Preis zah­<br />

len. Einen diesbezüglichen Hinweis braucht <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

jedoch wohl nicht zu geben. Also aus gleichem Gr<strong>und</strong> auch<br />

keine Auskunft über Mängel seiner verkauften Ware.<br />

DAGEGEN schreibt Ambrosius im III. Buch seiner Pflichten­<br />

lehre (c. 10; ML 16,173): „Bei Kaufverträgen muß auf Waren­<br />

mängel hingewiesen wer<strong>de</strong>n. Und falls <strong>de</strong>r Verkäufer dies un-<br />

terläßt, ist <strong>de</strong>r Verkauf, obwohl die Ware an <strong>de</strong>n Käufer überge­<br />

gangen ist, wegen Betrugs hinfällig."<br />

206


ANTWORT. Jeman<strong>de</strong>n in Gefahr bringen o<strong>de</strong>r einem Scha- 77. 3<br />

<strong>de</strong>n aussetzen ist immer unerlaubt, obwohl <strong>de</strong>r Mensch einem<br />

an<strong>de</strong>ren nicht immer notwendigerweise Hilfe gewähren o<strong>de</strong>r<br />

einen Ratschlag erteilen muß, um ihm irgendwelche För<strong>de</strong>rung<br />

zuteil wer<strong>de</strong>n zu lassen; dies ist nur in einem bestimmten Fall<br />

vonnöten, z. B. wenn jemand seiner Obhut anvertraut ist o<strong>de</strong>r<br />

wenn ihm kein an<strong>de</strong>rer zu Hilfe kommen kann. Der Verkäufer<br />

nun, <strong>de</strong>r eine Ware anbietet, bringt <strong>de</strong>n Käufer dadurch, daß er<br />

ihm ein fehlerhaftes Produkt anbietet, in eine scha<strong>de</strong>ndrohen<strong>de</strong><br />

o<strong>de</strong>r gefährliche Lage, falls ihm <strong>de</strong>r Fehler tatsächlich zum<br />

Scha<strong>de</strong>n ausschlagen o<strong>de</strong>r eine Gefahr für ihn be<strong>de</strong>uten kann.<br />

Ein Scha<strong>de</strong>n entsteht dadurch, daß die Ware wegen solchen<br />

Mangels im Wert gemin<strong>de</strong>rt wird, <strong>de</strong>r Verkäufer jedoch <strong>de</strong>n<br />

Preis <strong>de</strong>nnoch nicht herabsetzt. Eine Gefahr, z. B. wenn ein <strong>de</strong>r­<br />

artiger Mangel <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>r Sache unmöglich macht o<strong>de</strong>r<br />

Scha<strong>de</strong>n verursacht, so etwa, wenn jemand einem ein lahmen­<br />

<strong>de</strong>s Pferd für ein schnelles, ein baufälliges Haus für eine soli<strong>de</strong>s<br />

o<strong>de</strong>r eine verdorbene o<strong>de</strong>r vergiftete Speise für eine gute ver­<br />

kauft. Sind <strong>de</strong>rlei Fehler verborgen <strong>und</strong> gibt sie <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

nicht an, dann ist <strong>de</strong>r Verkauf unerlaubt <strong>und</strong> betrügerisch, <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Verkäufer ist zu Scha<strong>de</strong>nersatz verpflichtet.<br />

Ist <strong>de</strong>r Fehler jedoch offensichtlich, z.B. wenn das Pferd ein­<br />

äugig ist o<strong>de</strong>r wenn die Ware zwar für <strong>de</strong>n Verkäufer keinen<br />

Wert hat, jedoch an<strong>de</strong>ren nützlich sein kann <strong>und</strong> wenn er wegen<br />

eines <strong>de</strong>rartigen Fehlers vom Preis entsprechend heruntergeht,<br />

ist er nicht verpflichtet, <strong>de</strong>n Fehler aufzu<strong>de</strong>cken, weil <strong>de</strong>r Käufer<br />

dann <strong>de</strong>n Preis wegen dieses Fehlers mehr als angemessen her­<br />

unterdrücken möchte. Daher darf <strong>de</strong>r Verkäufer sich vor Scha­<br />

<strong>de</strong>n schützen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n Fehler verschweigt.<br />

Zu 1. Beurteilen kann man nur, was offen zutage liegt.<br />

Denn, wie es im I. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 1; 1094 b27) heißt, „rich­<br />

tet sich ein Urteil eines je<strong>de</strong>n nach <strong>de</strong>m, was er kennt". Wenn<br />

daher die Warenmängel verborgen sind <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkäufer sie<br />

nicht erwähnt, wird <strong>de</strong>m Käufer nicht genügend Möglichkeit<br />

zur Beurteilung gegeben. An<strong>de</strong>rs wäre es im Fall, wo die Män­<br />

gel auf <strong>de</strong>r Hand liegen.<br />

Zu 2. Es ist nicht nötig, daß jemand durch einen Ausrufer<br />

die Mängel seiner Ware bekanntmachen läßt. Ankündigungen<br />

dieser Art wür<strong>de</strong>n die Käufer nur vom Kauf abschrecken <strong>und</strong><br />

sie über die Güte <strong>und</strong> Nützlichkeit <strong>de</strong>r Sache in Unkenntnis las­<br />

sen. Doch im einzelnen ist je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r mit Kaufabsichten heran-<br />

207


77. 4 tritt, auf <strong>de</strong>n Mangel hinzuweisen, damit er dann alle Eigen­<br />

schaften, die guten <strong>und</strong> die schlechten, miteinan<strong>de</strong>r vergleichen<br />

kann, <strong>de</strong>nn nichts steht im Weg, daß etwas in einem Punkt feh­<br />

lerhaft, in vielen an<strong>de</strong>ren aber nützlich sein kann.<br />

Zu 3. Obwohl <strong>de</strong>r Mensch nicht gehalten ist, schlechthin<br />

je<strong>de</strong>n bezüglich <strong>de</strong>ssen, was zur Tugend gehört, aufzuklären, so<br />

wäre er <strong>de</strong>nnoch für <strong>de</strong>n Fall dazu verpflichtet, daß durch sein<br />

Tun einem an<strong>de</strong>ren Gefahr zum Scha<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tugend drohte,<br />

wenn er die Wahrheit verschwiege. Und so liegt die Sache hier.<br />

Zu 4. Ein Fehler an einer Sache bewirkt, daß sie im Augen­<br />

blick von geringerem Wert ist, als es <strong>de</strong>n Anschein hat. Doch im<br />

erwähnten Fall wird eine Wertmin<strong>de</strong>rung erst in Zukunft<br />

erwartet wegen <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r herbeiströmen<strong>de</strong>n Händler, von<br />

<strong>de</strong>nen die Käufer nichts wissen. Daher han<strong>de</strong>lt <strong>de</strong>r Verkäufer,<br />

<strong>de</strong>r seine Ware zum augenblicklich gültigen Preis absetzt, nicht<br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn er sich über die zukünftigen Ver­<br />

hältnisse nicht ausläßt. Käme er jedoch darauf zu sprechen o<strong>de</strong>r<br />

ginge er im Preis herunter, dann wäre dies ein Zeichen vollkom­<br />

menerer Tugend. Doch scheint er dazu aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit nicht verpflichtet zu sein.<br />

4. ARTIKEL<br />

Darf bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften <strong>de</strong>r Verkaufspreis höher sein als <strong>de</strong>r<br />

Einkaufspreis?<br />

1. Cbrysostomus schreibt zu Mt21,12 (MG56,840): „Wer<br />

immer eine Sache kauft, um sie, wie sie ist, mit Gewinn wie<strong>de</strong>r<br />

zu verkaufen, <strong>de</strong>r ist <strong>de</strong>r Händler, <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>m Tempel Gottes<br />

hinausgetrieben wird". Und das gleiche sagt Cassiodor (ML 700,<br />

500) zum Psalmwort 70,15 „Weil ich unerfahren bin in <strong>de</strong>r Wis­<br />

senschaft" o<strong>de</strong>r, nach einer an<strong>de</strong>ren Leseart (Septuaginta), „in<br />

Han<strong>de</strong>lsgeschäften" [65]: „Was - sagt er - ist <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l an<strong>de</strong>­<br />

res als billig einkaufen <strong>und</strong> teurer verkaufen wollen?" <strong>und</strong> fügt<br />

hinzu: „Derlei Händler treibt <strong>de</strong>r Herr aus <strong>de</strong>m Tempel hinaus".<br />

Doch niemand wird aus <strong>de</strong>m Tempel hinausgetrieben, es sei<br />

<strong>de</strong>nn wegen einer Sün<strong>de</strong>. Also ist ein so ausgeübter Han<strong>de</strong>l<br />

sündhaft.<br />

2. Gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> verstößt, wer etwas teurer ver­<br />

kauft o<strong>de</strong>r billiger einkauft, als es wert ist (vgl. Art. 1). Doch wer<br />

im Han<strong>de</strong>l teurer verkauft als einkauft, hat entwe<strong>de</strong>r unter Wert<br />

208


eingekauft o<strong>de</strong>r zu teuer verkauft. Eine Sün<strong>de</strong> läßt sich dabei 77. 4<br />

nicht vermei<strong>de</strong>n.<br />

3. Hieronymus schreibt an Nepotian (ML22,531): „Einen<br />

Kleriker, <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>l treibt, <strong>de</strong>r aus einem Armen ein Reicher,<br />

aus einem Unbekannten ein berühmter Mann wird, <strong>de</strong>n fliehe<br />

wie die Pest". Doch Han<strong>de</strong>lsgeschäfte sind für die Kleriker nur<br />

zu verbieten wegen <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Also ist es Sün<strong>de</strong>, im Han<strong>de</strong>l<br />

etwas billig einzukaufen <strong>und</strong> teurer zu verkaufen.<br />

DAGEGEN schreibt Augustinus (ML 36,886) zum Psalm­<br />

wort 70,15 „Weil ich in <strong>de</strong>r Wissenschaft nicht bewan<strong>de</strong>rt bin":<br />

„Ein Kaufmann, <strong>de</strong>r darauf aus ist, zum Scha<strong>de</strong>n [<strong>de</strong>s Näch­<br />

sten] Gewinn zu erzielen, lästert Gott; um <strong>de</strong>r Preise willen<br />

lügt <strong>und</strong> schwört er. Doch dies sind Mängel <strong>de</strong>s Menschen,<br />

nicht <strong>de</strong>r kaufmännischen Kunst, die ohne diese Laster ausgeübt<br />

wer<strong>de</strong>n kann". Also ist Han<strong>de</strong>ltreiben an sich nicht unerlaubt.<br />

ANTWORT. Die Aufgabe <strong>de</strong>r Kaufleute besteht darin, sich<br />

mit <strong>de</strong>m Tausch von Waren zu beschäftigen. Wie nun Aristoteles<br />

im I.Buch seiner Politik (c.9; 1257a 19) schreibt, gibt es eine<br />

doppelte Art von Warentausch. Die eine ist gleichsam natürlich<br />

<strong>und</strong> notwendig. Bei ihr wird Sache gegen Sache o<strong>de</strong>r Sache<br />

gegen Geld getauscht um <strong>de</strong>r Bedürfnisse <strong>de</strong>s Lebens willen.<br />

Diese Art von Tausch ist nicht eigentlich Angelegenheit <strong>de</strong>r<br />

Händler, son<strong>de</strong>rn eher <strong>de</strong>r Haushaltsvorstän<strong>de</strong> <strong>und</strong> staatlichen<br />

Stellen, die sich um die lebensnotwendigen Dinge im Haus o<strong>de</strong>r<br />

Gemeinwesen zu kümmern haben. Die an<strong>de</strong>re Art von Tausch<br />

besteht darin, Geld gegen Geld o<strong>de</strong>r irgendwelche Waren gegen<br />

Geld zu tauschen, <strong>und</strong> zwar nicht wegen notwendiger Lebens­<br />

bedürfnisse, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>m Ziel, Gewinn zu machen. Und in<br />

diesen Geschäften liegt das eigentliche Betätigungsfeld <strong>de</strong>r<br />

Kaufleute. Nach Aristoteles nun (Pol. 1,10; 1258 a 38) gebührt<br />

<strong>de</strong>r ersten Art von Tauschgeschäft Lob, <strong>de</strong>nn sie dient einer<br />

natürlichen Notwendigkeit. Die zweite jedoch wird aus gutem<br />

Gr<strong>und</strong> geta<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>nn an sich gesehen dient sie <strong>de</strong>m Gewinn­<br />

streben, das keine Grenzen kennt, son<strong>de</strong>rn endlos weitergeht.<br />

Daher haftet am Han<strong>de</strong>lsgeschäft, in sich betrachtet, eine<br />

gewisse Schimpflichkeit, insofern es seiner Natur nach keine<br />

ehrenhafte o<strong>de</strong>r notwendige Zweckbestimmung besitzt.<br />

Der Gewinn jedoch - Ziel <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>ls - hat, obwohl er in<br />

seinem Begriff nichts über ehrenhaft o<strong>de</strong>r notwendig aussagt,<br />

<strong>de</strong>nnoch nicht etwas Lasterhaftes o<strong>de</strong>r Tugendwidriges in sich.<br />

Daher besteht keine Schwierigkeit, ihn einem notwendigen<br />

209


77 4 o<strong>de</strong>r auch einem ehrenhaften Ziel dienstbar zu machen. Und<br />

somit wird das Han<strong>de</strong>lsgeschäft eine erlaubte Sache, z. B. wenn<br />

einer <strong>de</strong>n maßvollen Gewinn, <strong>de</strong>n er beim Han<strong>de</strong>l sucht, für die<br />

Erhaltung seines Hauses verwen<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r wenn er damit die<br />

Armen unterstützt o<strong>de</strong>r auch, wenn er Han<strong>de</strong>l treibt zum öffent­<br />

lichen N<strong>utz</strong>en, damit seinem Land das Notwendige zum Leben<br />

nicht fehle, <strong>und</strong> er <strong>de</strong>n Gewinn dabei weniger als Ziel, son<strong>de</strong>rn<br />

sozusagen als Arbeitsentgelt auffaßt.<br />

Zu 1. Das Chrysostomuswort ist vom Han<strong>de</strong>l zu verstehen,<br />

<strong>de</strong>r sein letztes Ziel im Gewinn sieht, was vor allem dann <strong>de</strong>r<br />

Fall ist, wenn einer eine unverän<strong>de</strong>rte Sache teurer verkauft.<br />

Verkauft er nämlich seine zum besseren verän<strong>de</strong>rte Sache um<br />

höheren Preis, dann nimmt er damit einfach <strong>de</strong>n Lohn für seine<br />

Arbeit entgegen. Doch darf man <strong>de</strong>n Gewinn auch selbst<br />

erlaubterweise erstreben, zwar nicht als letztes Ziel, aber, wie ge­<br />

sagt, wegen eines an<strong>de</strong>ren notwendigen o<strong>de</strong>r ehrenhaften Zieles.<br />

Zu 2. Nicht wer etwas teurer verkauft, als er eingekauft hat,<br />

treibt schon Han<strong>de</strong>l, son<strong>de</strong>rn nur, wer mit <strong>de</strong>r bewußten<br />

Absicht einkauft, teurer zu verkaufen. Kauft aber jemand etwas<br />

ein, nicht um es zu verkaufen, son<strong>de</strong>rn um es zu behalten,<br />

möchte es aber später aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong> abstoßen, so<br />

treibt er nicht Han<strong>de</strong>l, auch wenn er es teurer verkauft. Er kann<br />

dies nämlich erlaubterweise tun, weil er entwe<strong>de</strong>r die Sache<br />

irgendwie aufgewertet hat o<strong>de</strong>r weil <strong>de</strong>r Preis entsprechend <strong>de</strong>n<br />

Umstän<strong>de</strong>n von Ort o<strong>de</strong>r Zeit gestiegen ist o<strong>de</strong>r auch wegen<br />

<strong>de</strong>r Gefahr, <strong>de</strong>r er sich o<strong>de</strong>r seine Beauftragten beim Transport<br />

<strong>de</strong>r Sache von einem zum an<strong>de</strong>ren Ort ausgesetzt hat. Und<br />

<strong>de</strong>mentsprechend ist we<strong>de</strong>r Kauf noch Verkauf ungerecht.<br />

Zu 3. Die Kleriker müssen nicht nur das an sich Schlechte,<br />

son<strong>de</strong>rn auch das scheinbar Schlechte mei<strong>de</strong>n. Dies ist <strong>de</strong>r Fall<br />

bei Han<strong>de</strong>lsgeschäften, <strong>und</strong> zwar sowohl weil sie auf irdischen<br />

Gewinn hingeordnet sind, <strong>de</strong>n die Kleriker verachten müssen,<br />

als auch wegen <strong>de</strong>r häufigen Laster <strong>de</strong>r Han<strong>de</strong>ltreiben<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn<br />

„nur schwer bleibt ein Händler frei von Zungensün<strong>de</strong>n", wie es<br />

Sir26,28 heißt. Dazu kommt noch, daß das Han<strong>de</strong>lsgeschäft<br />

<strong>de</strong>n Geist zu sehr in irdische Sorgen verstrickt <strong>und</strong> in Folge<br />

davon vom geistlichen Leben abhält. Daher schreibt <strong>de</strong>r Apo­<br />

stel 2Tim2,4: „Keiner, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Krieg zieht, läßt sich in All­<br />

tagsgeschäfte verwickeln". - Erlaubt ist jedoch <strong>de</strong>n Klerikern<br />

die erste Art von Tauschgeschäften, wo bei Kauf <strong>und</strong> Verkauf<br />

<strong>de</strong>n Bedürfnissen <strong>de</strong>s Lebens Rechnung getragen wird.<br />

210


78. FRAGE<br />

DIE SÜNDE DES ZINSNEHMENS [66]<br />

Nun ist von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Zinsnehmens, die bei Leihge­<br />

schäften begangen wird, zu re<strong>de</strong>n.<br />

Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Ist es Sün<strong>de</strong>, Geld als Bezahlung für geliehenes Geld<br />

anzunehmen, was dasselbe wie Zinsnehmen ist?<br />

2. Ist es erlaubt, dafür als Gegenleistung irgen<strong>de</strong>ine Gefällig­<br />

keit entgegenzunehmen?<br />

3. Muß einer <strong>de</strong>n Gewinn restituieren, <strong>de</strong>n er aus <strong>de</strong>m Zins<br />

auf gerechtem Weg gemacht hat?<br />

4. Darf man Geld gegen Zins ausleihen?<br />

1. ARTIKEL<br />

Ist es Sün<strong>de</strong>, Zins für geliehenes Geld anzunehmen?<br />

1. Niemand sündigt, wenn er <strong>de</strong>m Beispiel Christi folgt.<br />

Doch <strong>de</strong>r Herr sagt von sich selbst Lkl9,23: „Bei meiner<br />

Rückkehr hätte ich es mit Zinsen zurückgefor<strong>de</strong>rt", nämlich das<br />

ausgeliehene Geld. Also ist es keine Sün<strong>de</strong>, für geliehenes Geld<br />

Zins zu nehmen.<br />

2. Im Psalm 18,8 heißt es: „Das Gesetz <strong>de</strong>s Herrn ist unbe­<br />

fleckt", weil es die Sün<strong>de</strong> verbietet. Doch im Gesetz Gottes wird<br />

ein gewisser Zins gestattet gemäß Dt23,19f.: „Du sollst <strong>de</strong>i­<br />

nem Bru<strong>de</strong>r we<strong>de</strong>r Geld noch Früchte noch irgen<strong>de</strong>twas an<strong>de</strong>­<br />

res auf Zins leihen, wohl aber <strong>de</strong>m Frem<strong>de</strong>n." Und, was noch<br />

mehr ist: für die Beobachtung <strong>de</strong>s Gesetzes wird sogar eine<br />

Belohnung versprochen gemäß Dt 28,12: „Du wirst vielen Völ­<br />

kern Darlehen geben können <strong>und</strong> selbst von nieman<strong>de</strong>m entlei­<br />

hen müssen." Also ist Zinsnehmen keine Sün<strong>de</strong>.<br />

3. In <strong>de</strong>n Beziehungen unter <strong>de</strong>n Menschen wird die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> durch bürgerliche Gesetze bestimmt. Nach ihnen<br />

ist das Zinsnehmen jedoch gestattet. Also scheint dies nicht un­<br />

erlaubt zu sein.<br />

4. Die Beobachtung <strong>de</strong>r Räte verpflichtet nicht unter Sün<strong>de</strong>.<br />

Doch Lk6,35 steht unter an<strong>de</strong>ren Räten: „Leiht aus, ohne<br />

etwas dafür zu erhoffen." Also kann man, ohne zu sündigen,<br />

Zins entgegennehmen.<br />

211


78.1 5. Lohn für etwas annehmen, das man zu tun nicht ver­<br />

pflichtet ist, scheint an sich keine Sün<strong>de</strong> zu sein. Doch wer Geld<br />

hat, ist nicht in je<strong>de</strong>m Fall verpflichtet, es seinem Nächsten zu<br />

leihen. Also ist es irgendwann einmal erlaubt, Entgelt für ein<br />

Darlehen zu nehmen.<br />

6. Zwischen zu Münzen geprägtem <strong>und</strong> zu Gefäßen ver­<br />

arbeitetem Silber besteht kein wesentlicher Unterschied. Doch<br />

für ausgeliehene Silbergefäße darf man Geld annehmen. Also<br />

gilt das gleiche auch für ausgeliehene Silbermünzen. Zinsneh­<br />

men ist also an sich keine Sün<strong>de</strong>.<br />

7. Je<strong>de</strong>rmann darf erlaubterweise eine Sache annehmen, die<br />

ihm <strong>de</strong>ssen Besitzer freiwillig überläßt. Wer nun ein Darlehen<br />

entgegennimmt, übergibt dafür freiwillig Zins. Also darf ihn <strong>de</strong>r<br />

Entleiher erlaubterweise annehmen.<br />

DAGEGEN steht Ex22,25: „Leihst du einem aus meinem<br />

Volk, einem Armen, <strong>de</strong>r neben dir wohnt, Geld, dann sollst du<br />

dich gegen ihn nicht wie ein Wucherer benehmen. Ihr sollt von<br />

ihm keinen Wucherzins for<strong>de</strong>rn."<br />

ANTWORT. Für geliehenes Geld Zins verlangen ist in sich<br />

unrecht, <strong>de</strong>nn es wird dabei verkauft, was nicht existiert.<br />

Dadurch ergibt sich ein<strong>de</strong>utig eine Ungleichheit, die <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rspricht. Hierzu muß man wissen, daß es<br />

gewisse Dinge gibt, <strong>de</strong>ren Gebrauch in ihrem Verbrauch<br />

besteht. So verbrauchen wir <strong>de</strong>n Wein, in<strong>de</strong>m wir ihn als Trank<br />

gebrauchen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Weizen verbrauchen wir, in<strong>de</strong>m wir ihn als<br />

Speise gebrauchen. Bei diesen Dingen darf man also <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch <strong>de</strong>r Sache nicht von <strong>de</strong>r Sache selbst trennen, son<strong>de</strong>rn<br />

wem immer <strong>de</strong>r Gebrauch zugestan<strong>de</strong>n wird, <strong>de</strong>m wird auch<br />

die Sache zugestan<strong>de</strong>n. Deshalb be<strong>de</strong>utet hier Leihe zugleich<br />

Besitzübertragung. Wollte daher jemand <strong>de</strong>n Wein verkaufen<br />

<strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m noch <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Weines, dann wür<strong>de</strong> er<br />

diesselbe Sache zweimal verkaufen, o<strong>de</strong>r er wür<strong>de</strong> etwas ver­<br />

kaufen, das nicht vorhan<strong>de</strong>n ist. Damit versündigt er sich ein­<br />

<strong>de</strong>utig gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>. In gleicher Weise begeht ein<br />

Unrecht, wer Wein o<strong>de</strong>r Weizen leiht <strong>und</strong> dafür zweifaches Ent­<br />

gelt verlangt, eines als Gegenleistung zum sachlichen Ausgleich<br />

<strong>und</strong> eines als Preis für <strong>de</strong>n Gebrauch, was soviel be<strong>de</strong>utet wie<br />

„Zins".<br />

Es gibt jedoch Dinge, <strong>de</strong>ren Gebrauch nicht in ihrem Ver­<br />

brauch liegt. So besteht <strong>de</strong>r Gebrauch eines Hauses im Bewoh­<br />

nen, nicht jedoch im Zerstören. Daher kann bei <strong>de</strong>rlei Dingen<br />

212


ei<strong>de</strong>s getrennt gestattet wer<strong>de</strong>n, z.B. wenn jemand sein Haus 78. l<br />

einem an<strong>de</strong>ren zu Eigentum überträgt <strong>und</strong> für sich eine Zeit­<br />

lang <strong>de</strong>n Gebrauch vorbehält, o<strong>de</strong>r, umgekehrt, wenn jemand<br />

einem <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Hauses einräumt, es aber als Eigen­<br />

tum behält. Und <strong>de</strong>shalb darf man einen Preis für <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

<strong>de</strong>s Hauses for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> außer<strong>de</strong>m das geliehene Haus zurück­<br />

verlangen, wie dies bei Verpachtung o<strong>de</strong>r Vermietung eines<br />

Hauses <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Das Geld aber wur<strong>de</strong> nach Aristoteles (Eth.V,8; 1133a20,<br />

<strong>und</strong> Pol. 1,9; 1257a35) hauptsächlich erf<strong>und</strong>en, um Tausch­<br />

handlungen vorzunehmen. Daher besteht <strong>de</strong>r eigentliche <strong>und</strong><br />

vorrangige Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s in seinem Verbrauch o<strong>de</strong>r sei­<br />

ner Verausgabung, wie dies bei Tauschgeschäften getätigt wird.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> ist es in sich unerlaubt, für <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

geliehenen Gel<strong>de</strong>s eine Entschädigung anzunehmen, die „Zins"<br />

heißt. Und wie an<strong>de</strong>res unrechtmäßig Erworbenes zurückgege­<br />

ben wer<strong>de</strong>n muß, so auch das Geld, das man als Zins erhaltenhat.<br />

Zu 1. „Zins" wird dort im übertragenen Sinn als Zuwachs<br />

an geistigen Gütern genommen, <strong>de</strong>n Gott erwartet. Er will<br />

nämlich, daß wir einen immer besseren Gebrauch von <strong>de</strong>n von<br />

ihm empfangenen Gaben machen, - dies zu unserem, nicht zu<br />

seinem Gewinn.<br />

Zu 2. Den Ju<strong>de</strong>n war es verboten, „von ihren Brü<strong>de</strong>rn" Zins<br />

zu nehmen, nämlich eben von <strong>de</strong>n Ju<strong>de</strong>n. Damit wird zu verste­<br />

hen gegeben, daß Zins von irgendjeman<strong>de</strong>m zu verlangen abso­<br />

lut schlecht ist, müssen wir doch je<strong>de</strong>n Menschen „gleichsam als<br />

Nächsten <strong>und</strong> Bru<strong>de</strong>r" betrachten, vor allem wir, die unter <strong>de</strong>m<br />

Gesetz <strong>de</strong>s Evangeliums stehen, zu <strong>de</strong>m alle berufen sind [67].<br />

Daher heißt es im Psalm 14,5 ohne Einschränkung: „Er gibt<br />

sein Geld nicht auf Zins", <strong>und</strong> Ezl8,17: „Er nimmt keinen<br />

Zins." Daß sie (die Ju<strong>de</strong>n) aber von <strong>de</strong>n Volksfrem<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Zins<br />

nahmen, war ihnen nicht als erlaubt zugestan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn nur<br />

zur Vermeidung größeren Übels gestattet, nämlich damit sie<br />

nicht aus Geiz, <strong>de</strong>m sie nach Is 56,11 verfallen waren, von <strong>de</strong>n<br />

Ju<strong>de</strong>n, die Gott verehren, Zins nahmen. - Wenn aber Lohn ver­<br />

sprochen wird mit <strong>de</strong>n Worten: „Du wirst vielen Völkern Dar­<br />

lehen geben usw.", so ist dort „Darlehen" im weiteren Sinn zu<br />

verstehen, wie es auch Sir29,10 heißt: „Viele geben nicht aus<br />

Bosheit kein Darlehen", d. h. sie leihen nicht. Den Ju<strong>de</strong>n wird<br />

also als Belohnung Fülle <strong>de</strong>s Reichtums versprochen, <strong>de</strong>r es<br />

ihnen möglich macht, an<strong>de</strong>ren auszuleihen.<br />

213


78. l Zu 3. Die menschlichen Gesetze lassen wegen <strong>de</strong>s Zustan-<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r unvollkommenen Menschen manche Sün<strong>de</strong>n ungestraft<br />

durchgehen. Wür<strong>de</strong>n nämlich alle Sün<strong>de</strong>n mit Strafen streng<br />

unterdrückt, dann wür<strong>de</strong> bei ihnen mancher gute Dienst unge­<br />

tan bleiben. Daher hat das menschliche Gesetz das Zinsnehmen<br />

erlaubt, nicht als ob es dieses als gerecht ansähe, son<strong>de</strong>rn um<br />

vielen einen Vorteil zu verschaffen. Deshalb heißt es auch im<br />

bürgerlichen <strong>Recht</strong> (Inst.,KR1,13b): „Dinge, die durch <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch verzehrt wer<strong>de</strong>n, lassen we<strong>de</strong>r vom natürlichen noch<br />

vom zivilrechtlichen Standpunkt aus eine N<strong>utz</strong>nießung zu",<br />

<strong>und</strong>: „Der Senat hat die N<strong>utz</strong>nießung dieser Dinge nicht zuge­<br />

lassen, er konnte es auch gar nicht, son<strong>de</strong>rn er gewährte nur<br />

eine Art von N<strong>utz</strong>nießung", in<strong>de</strong>m er nämlich <strong>de</strong>n Zins gestat­<br />

tete. Und von natürlicher Überlegung geleitet, schreibt Aristote­<br />

les im I. Buch <strong>de</strong>r Politik (c. 10; 1258b7): „Gel<strong>de</strong>rwerb durch<br />

Zinsnehmen ist in höchstem Maße gegen die Natur."<br />

Zu 4. Der Mensch ist nicht immer verpflichtet zu leihen,<br />

<strong>und</strong> darum wird von <strong>de</strong>r Leihe nur in <strong>de</strong>n Räten gesprochen.<br />

Doch das Verbot, aus <strong>de</strong>m Darlehen Gewinn zu ziehen, fällt<br />

unter das Gebot. - Es kann aber als „Rat" bezeichnet wer<strong>de</strong>n im<br />

Hinblick auf die Aussprüche <strong>de</strong>r Pharisäer, die meinten, ein<br />

gewisser Zins sei erlaubt; in diesem Sinn ist auch die Fein<strong>de</strong>s­<br />

liebe ein „Rat". - O<strong>de</strong>r er (Christus) spricht dort nicht von <strong>de</strong>r<br />

Aussicht auf Zinsgewinn, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Erwartung, die man<br />

an einen Menschen stellt. Wir dürfen nämlich kein Darlehen<br />

geben o<strong>de</strong>r sonst etwas Gutes tun in <strong>de</strong>r erwartungsvollen<br />

Hoffnung auf einen Menschen, son<strong>de</strong>rn nur wegen <strong>de</strong>r Hoff­<br />

nung auf Gott.<br />

Zu 5. Wer leiht, ohne dazu verpflichtet zu sein, kann eine<br />

Vergütung für seine Leistung annehmen, aber nichts darüber<br />

hinaus. Diese Vergütung entspricht <strong>de</strong>m Gleichmaß <strong>de</strong>r Ge­<br />

rechtigkeit, wenn er genau so viel zurückerhält, als er ausgelie­<br />

hen hat. Verlangt er mehr für die N<strong>utz</strong>nießung einer Sache,<br />

<strong>de</strong>ren Gebrauch ausschließlich im Verbrauch besteht, dann ver­<br />

langt er einen Preis für etwas, das nicht existiert. Dies ist <strong>de</strong>m­<br />

nach eine ungerechte For<strong>de</strong>rung.<br />

Z u 6. Die vorzügliche Verwendung silberner Gefäße besteht<br />

nicht in ihrem Verbrauch <strong>und</strong> daher kann für ihre Ben<strong>utz</strong>ung<br />

unter Vorbehalt <strong>de</strong>s Eigentumsrechts erlaubterweise Geld ver­<br />

langt wer<strong>de</strong>n. Silbergeld hingegen dient in erster Linie <strong>de</strong>m Ver­<br />

brauch bei Tauschgeschäften. Daher darf man seinen Gebrauch<br />

214


nicht verkaufen <strong>und</strong> dann auch noch die Rückgabe <strong>de</strong>ssen ver- 78. 2<br />

langen, was man einem als Darlehen gegeben hat.<br />

Es ist jedoch zu be<strong>de</strong>nken, daß Silbergefäße auch noch als<br />

Objekte im Tauschhan<strong>de</strong>l gebraucht wer<strong>de</strong>n können. Einen sol­<br />

chen Gebrauch dürfte man nicht verkaufen. Und in gleicher<br />

Weise kann es auch noch einen zweiten Gebrauch von Silber­<br />

geld geben, z. B. wenn jemand geprägte Münzen für eine Schau­<br />

stellung hergibt o<strong>de</strong>r sie anstelle eines Pfan<strong>de</strong>s verwen<strong>de</strong>t.<br />

Einen solchen Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s kann man erlaubterweise<br />

verkaufen [68].<br />

Zu 7. Wer Zins gibt, gibt ihn nicht schlechthin freiwillig, son­<br />

<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>m Druck einer gewissen Notwendigkeit, insofern<br />

er ein Darlehen nötig hat, das <strong>de</strong>r Darlehensgeber nicht ohne<br />

Zins gewähren will.<br />

2. ARTIKEL<br />

Kann man für ein Darlehen irgen<strong>de</strong>ine an<strong>de</strong>re Gefälligkeit<br />

erbitten?<br />

1. Je<strong>de</strong>r kann erlaubterweise dafür sorgen, daß ihm kein<br />

Scha<strong>de</strong>n entsteht. Doch bisweilen erlei<strong>de</strong>t jemand einen Scha­<br />

<strong>de</strong>n durch Gewährung eines Darlehens. Also darf er zum gelie­<br />

henen Geld noch etwas für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n erbitten o<strong>de</strong>r verlan­<br />

gen.<br />

2. Je<strong>de</strong>r ist aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Anständigkeit gehalten, „<strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>r ihm eine Gefälligkeit erwiesen hat, mit einer Gegenleistung<br />

zu vergelten", wie es im V. Buch <strong>de</strong>r Ethik (c. 8; 1133 a 4) heißt.<br />

Nun erweist, wer einem, <strong>de</strong>r sich in Bedrängnis befin<strong>de</strong>t, Geld<br />

leiht, eine Gefälligkeit, daher gebührt ihm ein Zeichen <strong>de</strong>s Dan­<br />

kes. Also ist <strong>de</strong>r Empfänger aus natürlicher Pflicht gehalten,<br />

irgen<strong>de</strong>ine Gegenleistung zu erbringen. Es scheint aber nicht<br />

unerlaubt zu sein, sich zu etwas zu verpflichten, wozu jemand<br />

durch das Naturrecht gehalten ist. Also scheint es auch nicht<br />

unerlaubt, wenn einer, <strong>de</strong>r jeman<strong>de</strong>m ein Darlehen gibt, von<br />

ihm eine gewisse Gegenleistung verlangt.<br />

3. Wie es ein „Handgeld" gibt, so gibt es auch ein „M<strong>und</strong>­<br />

geld" <strong>und</strong> ein „Dienstgeld" [69], wie die Glosse zu Is33,15:<br />

„Selig, wer seine Hän<strong>de</strong> von je<strong>de</strong>m Geschenk rein hält" (inter-<br />

lin. IV, 61 r) schreibt. Doch ist es erlaubt, einen Dienst o<strong>de</strong>r auch<br />

ein Lob von <strong>de</strong>m anzunehmen, <strong>de</strong>m man ein Gelddarlehen<br />

215


78. 2 gewährt hat. Also ist es aus gleichem Gr<strong>und</strong> erlaubt, irgen<strong>de</strong>in<br />

an<strong>de</strong>res Geschenk anzunehmen.<br />

4. Das Verhältnis von einer Gabe zu einer an<strong>de</strong>ren ist das<br />

gleiche wie von einem Darlehen zu einem an<strong>de</strong>ren Darlehen.<br />

Nun ist es erlaubt, Geld gegen an<strong>de</strong>res Geld anzunehmen. Also<br />

ist es auch erlaubt, für ein gewährtes Darlehen als Gegenlei­<br />

stung ein an<strong>de</strong>res Darlehen entgegenzunehmen.<br />

5. Wer durch Darlehensgewährung sein Besitzrecht über­<br />

trägt, trennt sich mehr von seinem Geld, als wer es einem Kauf­<br />

mann o<strong>de</strong>r Handwerker anvertraut. Nun ist es erlaubt, aus <strong>de</strong>m<br />

Geld, das man einem Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker anvertraut,<br />

Gewinn zu ziehen. Also ist es auch erlaubt, mit einem Gelddar­<br />

lehen Gewinn zu machen.<br />

6. Für ein Gelddarlehen kann man ein Pfand nehmen, <strong>de</strong>s­<br />

sen Gebrauch sich für einen gewissen Preis verkaufen ließe, so,<br />

wenn ein Acker o<strong>de</strong>r ein bewohntes Haus verpfän<strong>de</strong>t wird.<br />

Also darf man auch aus geliehenem Geld einen gewissen<br />

Gewinn haben.<br />

7. Es kommt bisweilen vor, daß jemand seine Sachen wegen<br />

eines Darlehens teurer verkauft o<strong>de</strong>r die eines an<strong>de</strong>ren billiger<br />

einkauft, o<strong>de</strong>r wegen Zahlungsverzögerung <strong>de</strong>n Preis erhöht<br />

o<strong>de</strong>r für frühzeitige Rückzahlung senkt. In all diesen Fällen<br />

ergibt sich sozusagen ein vorteilhafter Ausgleich für das Auslei­<br />

hen <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s. Dies nun scheint nicht ein<strong>de</strong>utig unerlaubt zu<br />

sein. Also ist es wohl auch erlaubt, für das ausgeliehene Geld<br />

eine Vergünstigung zu erwarten o<strong>de</strong>r zu verlangen.<br />

DAGEGEN steht Ezl8,17 unter an<strong>de</strong>rem, was von einem<br />

gerechten Mann verlangt wird: „Zins <strong>und</strong> Zuschlag nimmt er<br />

nicht."<br />

ANTWORT. Nach Aristoteles (Eth.IV,l; 1119 b 26) gilt als<br />

Geld alles, „<strong>de</strong>ssen Wert sich mit Geld messen läßt". Wie daher<br />

je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r für ein Gelddarlehen o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res, das im<br />

Gebrauch verbraucht wird, Geld annimmt, sei es nach still­<br />

schweigen<strong>de</strong>r o<strong>de</strong>r ausdrücklicher Abmachung, gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> sündigt (Art. 1), so begeht die gleiche Sün<strong>de</strong>, wer<br />

nach stillschweigen<strong>de</strong>ro<strong>de</strong>rausdrücklicherÜbereinkunft irgend­<br />

etwas an<strong>de</strong>res annimmt, <strong>de</strong>ssen Wert mit Geld gemessen wer­<br />

<strong>de</strong>n kann. Nimmt er etwas <strong>de</strong>rgleichen jedoch we<strong>de</strong>r als For<strong>de</strong>­<br />

rung noch als stillschweigen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ausdrückliche Verpflich­<br />

tung, son<strong>de</strong>rn als freiwilliges Geschenk an, so sündigt er nicht,<br />

<strong>de</strong>nn bereits vor <strong>de</strong>r Gewährung <strong>de</strong>s Darlehens konnte er<br />

216


erlaubterweise ein Geschenk umsonst annehmen, <strong>und</strong> er 78.2<br />

kommt wegen seiner Darlehensvergabe nicht in eine schlech­<br />

tere Lage. - Eine Gegenleistung jedoch, die man mit Geld nicht<br />

messen kann, darf man für ein Darlehen verlangen, z.B. Wohl­<br />

wollen o<strong>de</strong>r Zuneigung <strong>de</strong>s Darlehensnehmers o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>rglei­<br />

chen.<br />

Zu 1. Der Darlehensgeber kann mit <strong>de</strong>m Darlehensnehmer<br />

ohne Sün<strong>de</strong> eine Entschädigung für <strong>de</strong>n Nachteil vereinbaren,<br />

<strong>de</strong>n er durch die Weggabe <strong>de</strong>ssen, was sein ist, erlei<strong>de</strong>t. Dies<br />

heißt nämlich nicht, <strong>de</strong>n Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s verkaufen, son­<br />

<strong>de</strong>rn Scha<strong>de</strong>n von sich fernhalten. Dabei ist es möglich, daß <strong>de</strong>r<br />

Darlehensnehmer einen größeren Scha<strong>de</strong>n vermei<strong>de</strong>t als <strong>de</strong>r<br />

Geber riskiert. Der Darlehensnehmer gleicht also mit seiner<br />

Gefälligkeit <strong>de</strong>n Verlust <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren aus. - Der Ersatz <strong>de</strong>s Scha­<br />

<strong>de</strong>ns jedoch, <strong>de</strong>r darin besteht, daß dieser mit seinem Geld kei­<br />

nen Gewinn macht, kann nicht vertraglich abgesichert wer<strong>de</strong>n,<br />

<strong>de</strong>nn er darf nicht verkaufen, was er noch nicht hat <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen<br />

Erwerb sich vielfache Hin<strong>de</strong>rnisse in <strong>de</strong>n Weg stellen können.<br />

Zu 2. Der Ausgleich für eine empfangene Wohltat kann auf<br />

zweifache Weise geschehen. Einmal unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

rechtlicher Verpflichtung, an die jemand aufgr<strong>und</strong> eines ge­<br />

nauen Vertrags geb<strong>und</strong>en sein kann, <strong>und</strong> diese Verpflichtung<br />

richtet sich nach <strong>de</strong>r Größe <strong>de</strong>r empfangenen Wohltat. Daher<br />

braucht <strong>de</strong>r Empfänger eines Gelddarlehens o<strong>de</strong>r von etwas<br />

an<strong>de</strong>rem <strong>de</strong>rgleichen, <strong>de</strong>ssen Gebrauch im Verbrauch besteht,<br />

nicht mehr zu erstatten, als er im Darlehen erhalten hat. Es ver­<br />

stößt also gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, ihn zu einer größeren<br />

Gegenleistung zu verpflichten. - In an<strong>de</strong>rer Weise ist einer zum<br />

Entgelt einer Wohltat aus fre<strong>und</strong>schaftlicher Verb<strong>und</strong>enheit<br />

verpflichtet. Hierbei ist mehr die Zuneigung zu beachten, aus<br />

<strong>de</strong>r die Wohltat entsprungen ist, als die Größe <strong>de</strong>r erwiesenen<br />

Gefälligkeit selbst. Eine Schuld von dieser Art liegt nicht auf <strong>de</strong>r<br />

Ebene bürgerlicher Verpflichtung, <strong>de</strong>nn diese übt einen gewis­<br />

sen Zwang aus, so daß sich eine spontane Bezeugung <strong>de</strong>r Dank­<br />

barkeit nicht mehr entfalten kann.<br />

Zu 3. Wenn jemand für sein dargeliehenes Geld gleichsam<br />

als stillschweigen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r ausdrückliche Vertragspflicht eine<br />

Entschädigung in Form von körperlicher o<strong>de</strong>r geistiger Lei­<br />

stung erwartet o<strong>de</strong>r verlangt, so ist dies soviel, als erwarte o<strong>de</strong>r<br />

verlange er ein „Handgeld", <strong>de</strong>nn bei<strong>de</strong>s läßt sich mit Geld<br />

bemessen, wie dies <strong>de</strong>utlich bei <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Fall ist, die ihre mit<br />

217


78. 2 Körperkraft o<strong>de</strong>r mit geistigen Mitteln ausgeübte Arbeit ver­<br />

dingen. Bietet <strong>de</strong>r Darlehensnehmer seine körperlichen Dienste<br />

o<strong>de</strong>r seine geistigen Fähigkeiten nicht als Verpflichtung an, son­<br />

<strong>de</strong>rn aus Fre<strong>und</strong>lichkeit, die man mit Geld nicht bemessen<br />

kann, so darf man sie annehmen, for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> erwarten [70].<br />

Zu 4. Geld kann nicht um mehr Geld verkauft wer<strong>de</strong>n als<br />

um die Summe <strong>de</strong>s Darlehens, das man zurückzahlen muß.<br />

Auch ist dabei nichts zu for<strong>de</strong>rn o<strong>de</strong>r zu erwarten als Wohlwol­<br />

len, das sich nicht mit Geld berechnen läßt, jedoch Ursache für<br />

ein frei angebotenes Darlehen sein kann. Dies zieht aber keines­<br />

wegs die Verpflichtung für ein Darlehen in <strong>de</strong>r Zukunft nach<br />

sich, <strong>de</strong>nn auch eine solche Verpflichtung könnte mit Geld<br />

bemessen wer<strong>de</strong>n. Und so ist es zwar <strong>de</strong>m Darlehensgeber<br />

erlaubt, zugleich von seinem Darlehensnehmer ein Darlehen<br />

aufzunehmen, er darf diesen aber nicht verpflichten, ihm auch<br />

in Zukunft ein Darlehen zu gewähren.<br />

Zu 5. Wer ein Gelddarlehen gibt, überträgt das Besitzrecht<br />

<strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m er es leiht. Daher liegt es nun beim<br />

Empfänger auf seine Gefahr, <strong>und</strong> dieser ist verpflichtet, es voll­<br />

ständig zurückzubezahlen. Aus diesem Gr<strong>und</strong> darf <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber nichts darüber hinaus verlangen. Doch wer sein Geld<br />

einem Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker etwa wie einem Gesell­<br />

schafter zur Verfügung stellt, überträgt diesem sein Eigentums­<br />

recht nicht, son<strong>de</strong>rn behält es, so daß <strong>de</strong>r Kaufmann auf <strong>de</strong>s<br />

Geldgebers Gefahr Han<strong>de</strong>l treibt o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Handwerker damit<br />

arbeitet. Und <strong>de</strong>shalb darf er auch einen Teil <strong>de</strong>s Gewinns, <strong>de</strong>r<br />

dabei herauskommt, als etwas, das ihm gehört, für sich bean­<br />

spruchen [71].<br />

Zu 6. Wenn jemand für sein Gelddarlehen etwas verpfän<strong>de</strong>t,<br />

<strong>de</strong>ssen Gebrauch sich mit Geld bemessen läßt, muß <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber <strong>de</strong>n Gebrauch dieser Sache bei <strong>de</strong>r Rückzahlung <strong>de</strong>s<br />

Darlehens miteinberechnen. Wollte er nämlich <strong>de</strong>n Gebrauch<br />

jener Sache gleichsam als Gratiszulage behalten, so wäre dies<br />

soviel, als nähme er Geld für das Darlehen, also Zins, an. Frei­<br />

lich mag es hingehen, wenn es sich um eine Sache han<strong>de</strong>lt, mit<br />

<strong>de</strong>ren Gebrauch man unter Fre<strong>und</strong>en ohne Entgelt einverstan­<br />

<strong>de</strong>n ist, wie etwa bei <strong>de</strong>r Ausleihe eines Buches [72].<br />

Zu 7. Wer seine Waren über <strong>de</strong>n gerechten Preis verkaufen<br />

wollte, um <strong>de</strong>m Käufer einen Zahlungsaufschub einzuräumen,<br />

versündigt sich ohne Zweifel durch Wucher, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Zahlungs­<br />

aufschub be<strong>de</strong>utet soviel wie ein Darlehen. Was immer also<br />

218


über die gerechte Vergütung für einen solchen Aufschub ver- 78. 3<br />

langt wird, hat die Be<strong>de</strong>utung von Wucherzins. - Das gleiche<br />

gilt, wenn ein Käufer etwas um einen geringeren als <strong>de</strong>n gerech­<br />

ten Preis einkaufen wollte mit <strong>de</strong>r Begründung, daß er bereits<br />

vor <strong>de</strong>r Übergabe <strong>de</strong>r Ware bezahlt habe: auch dies wäre Sün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Wuchers, weil diese Vorauszahlung ebenfalls <strong>de</strong>n Charakter<br />

eines Darlehens aufweist, <strong>de</strong>ssen Preis in <strong>de</strong>r vom or<strong>de</strong>ntlichen<br />

Zahlungsbetrag abgezogenen Summe besteht. - Wer jedoch <strong>de</strong>n<br />

gerechten Preis herabsetzt, um schneller an sein Geld zu kom­<br />

men, verfehlt sich nicht durch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wuchers.<br />

3. ARTIKEL<br />

Muß man <strong>de</strong>n Gewinn aus Wucherzinsen zurückerstatten?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 11,16: „Ist die Wurzel heilig,<br />

dann sind es auch die Zweige." Also gilt gleicherweise: Ist die<br />

Wurzel vergiftet, dann sind es auch die Zweige. Nun war die<br />

Wurzel wucherisch, also ist alles, was aus ihr gezogen wird,<br />

wucherisch, <strong>und</strong> folglich muß man dies restituieren.<br />

2. Im Buch Extra „Über <strong>de</strong>n Wucher" steht in jener Dekre­<br />

tale „Da du, wie du sagst" (Frdbll, 812): „Besitz, <strong>de</strong>r mit<br />

Wucherzinsen gekauft wur<strong>de</strong>, muß veräußert wer<strong>de</strong>n, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Erlös ist <strong>de</strong>nen zurückzugeben, von <strong>de</strong>nen die Zinsen erpreßt<br />

wur<strong>de</strong>n." Also muß aus gleichem Gr<strong>und</strong> alles restituiert wer­<br />

<strong>de</strong>n, was sonstwie aus Wucherzinsen erworben wur<strong>de</strong>.<br />

3. Was jemand mit Wucherzinsen kauft, gehört ihm auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Geldausgabe, die er dafür geleistet hat. Er besitzt also<br />

kein größeres <strong>Recht</strong> auf die Sache als auf das Geld, daß er dafür<br />

aufwandte. Doch dieses Wuchergeld muß er zurückerstatten,<br />

also auch das, was er dafür gekauft hat.<br />

DAGEGEN steht: Je<strong>de</strong>r darf erlaubterweise behalten, was er<br />

rechtmäßig erworben hat. Doch was mit Wuchergeld erworben<br />

wird, ist bisweilen zu <strong>Recht</strong> erworben. Also kann man es<br />

erlaubterweise behalten.<br />

ANTWORT. Wie oben betont, besteht <strong>de</strong>r Gebrauch gewis­<br />

ser Dinge in ihrem Verbrauch, <strong>und</strong> sie lassen daher nach <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>ssammlung (Inst.,KR1,13b) keinen Nießbrauch zu.<br />

Wenn nun solche Dinge, wie z. B. Geld, Weizen, Wein <strong>und</strong><br />

an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen, als Zinsen erpreßt wur<strong>de</strong>n, muß man nur<br />

zurückgeben, was man erhalten hat, <strong>de</strong>nn das Weitere, was<br />

219


78. 4 damit erstan<strong>de</strong>n wur<strong>de</strong>, ist nicht Frucht jener Dinge, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Geschäftstüchtigkeit, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

erlei<strong>de</strong> durch ihre Zurückhaltung Scha<strong>de</strong>n wegen teilweisen<br />

Verlusts seiner Güter. Dann muß für <strong>de</strong>n Scha<strong>de</strong>n Ersatz gelei­<br />

stet wer<strong>de</strong>n.<br />

Es gibt jedoch Dinge, <strong>de</strong>ren Gebrauch nicht in ihrem Ver­<br />

brauch besteht, <strong>und</strong> diese lassen Nießbrauch zu, wie z. B. ein<br />

Haus, ein Acker <strong>und</strong> an<strong>de</strong>res <strong>de</strong>rgleichen. Wenn nun jemand<br />

eines an<strong>de</strong>ren Haus o<strong>de</strong>r Acker als Zins erpreßt hätte, wäre er<br />

nicht nur gehalten, das Haus o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Acker zurückzugeben,<br />

son<strong>de</strong>rn auch die Früchte von Dingen, <strong>de</strong>ren Herr <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re<br />

ist, <strong>und</strong> die folglich diesem gehören [73].<br />

Zul. Die Wurzel ist nicht nur „Materie" nach Art <strong>de</strong>s<br />

Wucherzinses, son<strong>de</strong>rn hat in etwa auch die Funktion einer<br />

Wirkursache, insofern sie <strong>de</strong>r Ernährung (<strong>de</strong>s Baumes) dient.<br />

Daher ist es nicht das gleiche.<br />

Zu 2. Besitz, <strong>de</strong>r aus Wucherzins erworben wur<strong>de</strong>, gehört<br />

nicht <strong>de</strong>nen, von <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Wucherzins stammt, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>nen, die ihn gekauft haben. Er bleibt jedoch <strong>de</strong>n Zinsgebern<br />

verpfän<strong>de</strong>t gleich wie auch alle an<strong>de</strong>ren Güter <strong>de</strong>s Wucherers.<br />

Deshalb besteht keine Vorschrift, jenen Besitz auf die Zinsgeber<br />

zu übertragen, <strong>de</strong>nn vielleicht ist er mehr Wert als die Zinsen,<br />

die sie bezahlt haben. Doch wird vorgeschrieben, <strong>de</strong>n Besitz<br />

zu verkaufen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Erlös davon entsprechend <strong>de</strong>r Höhe<br />

<strong>de</strong>s eingenommenen Wucherzinses zurückzuerstatten.<br />

Zu 3. Was jemand mit Wucherzins erwirbt, gehört <strong>de</strong>m Käu­<br />

fer, zwar nicht wegen <strong>de</strong>s dafür ausgegebenen Wuchergel<strong>de</strong>s<br />

gleichsam als <strong>de</strong>r Instrumentalursache, son<strong>de</strong>rn wegen seiner<br />

Geschäftstüchtigkeit als Hauptursache. Daher besitzt er mehr<br />

<strong>Recht</strong> an <strong>de</strong>r mit Wucherzins bezahlten Sache als am Wucher­<br />

geld selbst.<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist es erlaubt, gegen Zins ein Darlehen aufzunehmen?<br />

1. Der Apostel schreibt Rom 1,32: „Des To<strong>de</strong>s würdig sind<br />

nicht nur, die Sün<strong>de</strong> tun, son<strong>de</strong>rn auch, die <strong>de</strong>nen bereitwillig<br />

zustimmen, die sie tun." Doch wer ein Darlehen gegen Zinsen<br />

aufnimmt, stimmt <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wucherers zu <strong>und</strong> veranlaßt<br />

ihn zu sündigen. Also sündigt auch er.<br />

220


2. Man darf einem an<strong>de</strong>ren um keines zeitlichen Vorteils 78. 4<br />

willen Gelegenheit zur Sün<strong>de</strong> geben, dies be<strong>de</strong>utet nämlich<br />

aktives Ärgernisgeben [74], was, wie oben [11-1143,2)<br />

bemerkt, immer Sün<strong>de</strong> ist. Nun gibt, wer ein Darlehen vom<br />

Wucherer verlangt, ausdrücklich Gelegenheit zur Sün<strong>de</strong>. Also<br />

ist er durch keinen zeitlichen Vorteil entschuldigt.<br />

3. Die Notwendigkeit, sein Geld bisweilen beim Wucherer<br />

zu hinterlegen, ist wohl nicht geringer, als bei ihm ein Darlehen<br />

aufzunehmen. Doch sein Geld <strong>de</strong>m Wucherer anzuvertrauen<br />

scheint ebenso gänzlich unerlaubt zu sein wie ein Schwert bei<br />

einem Wahnsinnigen aufzubewahren o<strong>de</strong>r eine Jungfrau einem<br />

Wüstling zu überlassen o<strong>de</strong>r Nahrungsmittel einem Schlem­<br />

mer. Also ist es auch nicht erlaubt, ein Darlehen beim Wucherer<br />

aufzunehmen.<br />

DAGEGEN verfehlt sich, nach Aristoteles (Eth.V, 15;<br />

1138 a 34) nicht, wer Unrecht erlei<strong>de</strong>t. Daher steht die Gerech­<br />

tigkeit auch nicht in <strong>de</strong>r Mitte zwischen zwei Lastern, wie es<br />

dort (c.9; 1138b32) heißt. Doch <strong>de</strong>r Wucherer sündigt, inso­<br />

fern er <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r gegen Zins ein Darlehen aufnimmt, Unrecht<br />

tut. Also sündigt, wer ein Darlehen gegen Zins aufnimmt, nicht.<br />

ANTWORT. Einen Menschen zum Sündigen verleiten ist in<br />

keiner Weise erlaubt. Die Sün<strong>de</strong> eines an<strong>de</strong>ren zum Guten<br />

gebrauchen ist hingegen erlaubt. Auch Gott gebraucht alle Sün­<br />

<strong>de</strong>n zu etwas Gutem, aus je<strong>de</strong>m Bösen lockt er etwas Gutes<br />

hervor, wie es im Enchiridion heißt (Augustinus: Enchiridion <strong>de</strong><br />

fi<strong>de</strong>, spe et caritate, c. 11; ML 40,236). Daher antwortet<br />

Augustinus <strong>de</strong>m Publicola (Ep. 47; ML 33,184) auf die Frage, ob<br />

es erlaubt sei, sich <strong>de</strong>n Eid <strong>de</strong>ssen zun<strong>utz</strong>e zu machen, <strong>de</strong>r bei<br />

falschen Göttern schwört, (wobei er offenk<strong>und</strong>ig sündigt,<br />

in<strong>de</strong>m er ihnen göttliche Ehrung erweist): „Wer sich die Über­<br />

zeugung <strong>de</strong>ssen, <strong>de</strong>r bei falschen Göttern schwört, zun<strong>utz</strong>e<br />

macht, nicht zum Bösen, son<strong>de</strong>rn zum Guten, verstrickt sich<br />

nicht in seine Sün<strong>de</strong>, durch die er bei <strong>de</strong>n bösen Geistern<br />

geschworen hat, son<strong>de</strong>rn verbin<strong>de</strong>t sich nur mit <strong>de</strong>r guten Seite<br />

seiner Ei<strong>de</strong>sformel, durch die jener sich verpflichtet hat, die<br />

Treue zu wahren." Wür<strong>de</strong> er ihn aber dazu verleiten, bei fal­<br />

schen Göttern zu schwören, dann beginge er eine Sün<strong>de</strong>.<br />

So ist auch im vorliegen<strong>de</strong>n Fall zu sagen, daß es unter kei­<br />

nen Umstän<strong>de</strong>n erlaubt ist, jeman<strong>de</strong>n zu veranlassen, Darlehen<br />

gegen Zins zu geben. Man darf jedoch bei einem, <strong>de</strong>r dazu<br />

bereit ist <strong>und</strong> Zinsen nimmt, um eines Gutes willen, d. h. um<br />

221


78. 4 sich selbst o<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>ren aus einer Notlage zu befreien,<br />

ein Darlehen gegen Zins aufnehmen. So darf ja auch einer, um<br />

<strong>de</strong>m Tod zu entgehen, die Räuber, unter die er gefallen ist, auf<br />

seine mitgeführten Sachen hinweisen, obwohl die Banditen<br />

durch <strong>de</strong>ren Raub eine Sün<strong>de</strong> begehen. Dies entspricht genau<br />

<strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>r zehn Männer, die zu Ismael sagten: „Töte uns<br />

nicht, <strong>de</strong>nn wir haben einen versteckten Schatz im Acker"<br />

(Jer41,8).<br />

Zu 1. Wer ein Darlehen gegen Zins aufnimmt, stimmt <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Wucherers nicht zu, son<strong>de</strong>rn macht sie sich nur<br />

zun<strong>utz</strong>e. Auch fin<strong>de</strong>t er keinen Gefallen am Einheimsen <strong>de</strong>s<br />

Zinses, son<strong>de</strong>rn am Darlehen, <strong>und</strong> das ist eine gute Sache.<br />

Zu 2. Wer ein Darlehen gegen Zins entgegennimmt, ver­<br />

anlaßt <strong>de</strong>n Wucherer nicht, Zinsen zu verlangen, son<strong>de</strong>rn nur,<br />

ein Darlehen auszuhändigen. Für <strong>de</strong>n Wucherer hingegen ist<br />

dies eine Gelegenheit, aus Bosheit zu sündigen. Daher liegt die<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Ärgernisses auf seiner Seite, <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

jedoch hat damit ursächlich nichts zu tun. Er braucht sich<br />

wegen eines solchen Ärgernisses von einem dringlichen Darle­<br />

hensgesuch auch nicht abhalten zu lassen, <strong>de</strong>nn jenes Ärgernis<br />

kommt nicht aus Schwäche o<strong>de</strong>r Unwissenheit, son<strong>de</strong>rn aus<br />

Bosheit.<br />

Zu 3. Wenn einer sein Geld <strong>de</strong>m Wucherer brächte, <strong>de</strong>r sonst<br />

nichts hätte, womit er sich Zinsen verschaffen könnte, o<strong>de</strong>r es<br />

ihm mit <strong>de</strong>r Absicht übergäbe, damit größeren Zinsgewinn<br />

zu erzielen, dann böte er ihm das „Material" zur Sün<strong>de</strong>. Daher<br />

wür<strong>de</strong> er auch sich selbst in die Schuld verstricken. Ubergäbe<br />

aber jemand einem Wucherer, <strong>de</strong>r sonst genug hat, um damit<br />

sein Wuchergeschäft zu betreiben, sein Geld, damit es bei ihm<br />

sicherer aufgehoben ist, so sündigt er nicht, son<strong>de</strong>rn gebraucht<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>r nur für einen guten Zweck.<br />

222


79. FRAGE<br />

DIE DER VERVOLLSTÄNDIGUNG<br />

DIENENDEN TEILTUGENDEN<br />

DER GERECHTIGKEIT.<br />

Schließlich sind noch die Teiltugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

behan<strong>de</strong>ln, die ihrer Vervollständigung dienen, nämlich: das<br />

Gute tun <strong>und</strong> das Böse mei<strong>de</strong>n, sowie die entgegenstehen<strong>de</strong>n<br />

Laster.<br />

Dabei ergeben sich vier Fragen:<br />

1. Sind die bei<strong>de</strong>n vorgenannten Tugen<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit?<br />

2. Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

3. Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

4. Vergleich zwischen Unterlassung <strong>und</strong> Übertretung.<br />

1. ARTIKEL<br />

Sind Das-Gute-tun <strong>und</strong> Das-Böse-mei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>?<br />

1. „Das Gute tun" <strong>und</strong> „das Böse mei<strong>de</strong>n" gehören zu je<strong>de</strong>r<br />

Tugend. Die Teile aber gehen nicht über das Ganze hinaus. Also<br />

dürfen „Das Böse mei<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> „Das Gute tun" nicht als Teile<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die eine Tugend beson<strong>de</strong>rer Art ist, ange­<br />

sehen wer<strong>de</strong>n.<br />

2. Zum Psalmwort 33,15 „Mei<strong>de</strong> das Böse <strong>und</strong> tue das<br />

Gute" sagt die Glosse (ML191,343): „Jenes vermei<strong>de</strong>t die<br />

Schuld", nämlich das Mei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Bösen, „dieses verdient Leben<br />

<strong>und</strong> Siegespalme", nämlich das Tun <strong>de</strong>s Guten. Doch je<strong>de</strong>r Teil<br />

<strong>de</strong>r Tugend verdient Leben <strong>und</strong> Siegespalme. Also ist „das Böse<br />

mei<strong>de</strong>n" nicht Teil <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

3. Wenn die eine Sache in <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren enthalten ist, unter­<br />

schei<strong>de</strong>n sie sich nicht voneinan<strong>de</strong>r wie Teile eines Ganzen.<br />

„Das Böse mei<strong>de</strong>n" aber ist im „das Gute tun" enthalten, <strong>de</strong>nn<br />

niemand tut zugleich Böses <strong>und</strong> Gutes. Also sind „Böses mei­<br />

<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> „Gutes tun" nicht Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

223


79. l DAGEGEN hält Augustinus im Buch De correptione et gratia<br />

(c. 1; ML 44,917) dafür, daß zur Gesetzesgerechtigkeit „Böses<br />

mei<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Gutes tun" gehören.<br />

ANTWORT. Wenn wir vom Guten <strong>und</strong> Bösen im allgemei­<br />

nen sprechen dann gehören „Gutes tun" <strong>und</strong> „Böses mei<strong>de</strong>n"<br />

zu je<strong>de</strong>r Tugend. Und so gesehen können sie nicht Teile <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> sein, es sei <strong>de</strong>nn, man nehme <strong>Gerechtigkeit</strong> im<br />

Sinn von „je<strong>de</strong> Tugend" („je<strong>de</strong> Tugend ist <strong>Gerechtigkeit</strong>").<br />

Gleichwohl stellt sich das Gute auch in einer so verstan<strong>de</strong>nen<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> von einer beson<strong>de</strong>ren Seite dar, nämlich in seiner<br />

Hinordnung auf das göttliche o<strong>de</strong>r das menschliche Gesetz.<br />

Doch als beson<strong>de</strong>re Tugend erfaßt die <strong>Gerechtigkeit</strong> das<br />

Gute unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Geschul<strong>de</strong>tseins gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Nächsten. Und so gehört es zur Einzelgerechtigkeit, das<br />

Gute als Geschul<strong>de</strong>tes gegenüber <strong>de</strong>m Nächsten zu tun <strong>und</strong> das<br />

entgegengesetzte Böse zu unterlassen, nämlich das, was <strong>de</strong>m<br />

Nächsten scha<strong>de</strong>t. Zur allgemeinen <strong>Gerechtigkeit</strong> jedoch<br />

gehört es, das geschul<strong>de</strong>te Gute in Hinordnung auf das<br />

Gemeinwesen o<strong>de</strong>r auf Gott zu tun <strong>und</strong> das entgegengesetzte<br />

Böse zu mei<strong>de</strong>n.<br />

Nun wer<strong>de</strong>n diese bei<strong>de</strong>n Teile <strong>de</strong>r allgemeinen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Son­<br />

<strong>de</strong>rgerechtigkeit als „gleichsam vervollständigen<strong>de</strong> Teile"<br />

bezeichnet, weil sie für die Vollkommenheit <strong>de</strong>s gerechten<br />

Aktes unerläßlich sind. <strong>Gerechtigkeit</strong> muß bekanntlich <strong>de</strong>n<br />

Ausgleich in <strong>de</strong>n sachlichen Beziehungen zu <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren her­<br />

stellen, wie oben (58,2) dargelegt wur<strong>de</strong>. Nun ist beim Herstel­<br />

len <strong>und</strong> beim Erhalten <strong>de</strong>s Hergestellten das gleiche Prinzip<br />

wirksam. Das Gleichmaß <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> stellt aber einer<br />

dadurch her, daß er das Gute tut, d. h. <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren läßt <strong>und</strong><br />

gibt, was sein ist. Er bewahrt <strong>de</strong>n Ausgleich <strong>de</strong>r bereits her­<br />

gestellten <strong>Gerechtigkeit</strong>, in<strong>de</strong>m er das Böse mei<strong>de</strong>t, d. h. seinem<br />

Nächsten keinerlei Scha<strong>de</strong>n zufügt.<br />

Zu 1. Gut <strong>und</strong> böse wer<strong>de</strong>n hier unter einem beson<strong>de</strong>ren<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zugeordnet. Die bei<strong>de</strong>n<br />

erscheinen nämlich wegen einer eigenen Art von gut <strong>und</strong> böse<br />

als Teile nur <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> nicht einer an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugend, weil die an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n sich auf die Lei­<br />

<strong>de</strong>nschaften beziehen, wobei es beim Tun <strong>de</strong>s Guten um das<br />

Erreichen <strong>de</strong>r Tugendmitte geht, d. h. um das Vermei<strong>de</strong>n eines<br />

fragwürdigen Extremverhaltens. Und so kommt bei diesen<br />

an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n Gutes tun <strong>und</strong> Böses lassen auf dasselbe her-<br />

224


aus. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> hingegen hat es mit Handlungen <strong>und</strong> 79. 2<br />

äußeren Dingen zu tun, wobei es etwas an<strong>de</strong>res ist, das Gleich­<br />

maß herzustellen, <strong>und</strong> etwas an<strong>de</strong>res, das hergestellte nicht zu<br />

gefähr<strong>de</strong>n.<br />

Zu 2. Sich vom Bösen abwen<strong>de</strong>n be<strong>de</strong>utet als Teil <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht reine Verneinung im Sinn von „Böses nicht<br />

tun", <strong>de</strong>nn dies verdiente nicht die Siegespalme (ewigen Lohn),<br />

son<strong>de</strong>rn vermie<strong>de</strong> nur Strafe; es be<strong>de</strong>utet vielmehr einen positi­<br />

ven Willensakt, <strong>de</strong>r das Böse von sich weist, wie dies ja auch im<br />

Wort „sich abwen<strong>de</strong>n" zum Ausdruck kommt. So etwas ist ver­<br />

dienstlich, vor allem, wenn jemand angefochten wird, das Böse<br />

zu tun, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m dann wi<strong>de</strong>rsteht.<br />

Zu 3. Im Tun <strong>de</strong>s Guten liegt die Vollendung <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, es ist gleichsam ihr hauptsächlichster Teil. Sich vom Bösen<br />

abwen<strong>de</strong>n hingegen ist <strong>de</strong>r unvollkommenere Akt <strong>und</strong> ihr zweit­<br />

rangiger Teil. Er bil<strong>de</strong>t daher sozusagen die materielle Seite,<br />

ohne die <strong>de</strong>r eigentliche <strong>und</strong> vollen<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Teil nicht sein kann.<br />

2. ARTIKEL<br />

Ist die Übertretung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

1. Die Art wird nicht in die Definition <strong>de</strong>r Gattung auf­<br />

genommen. „Übertretung" aber fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r allgemeinen<br />

Definition <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>. Ambrosius schreibt nämlich (De Paradiso,<br />

c.8; ML 14,292), die Sün<strong>de</strong> bestehe in <strong>de</strong>r „Übertretung <strong>de</strong>s<br />

göttlichen Gesetzes". Also bietet die Übertretung keine beson­<br />

<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>.<br />

2. Keine Art geht über ihre Gattung hinaus. Doch die Über­<br />

tretung geht über <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> hinaus, <strong>de</strong>nn nach<br />

Augustins Contra Faustum, BuchXXII (c.27; ML42,418) ist<br />

die Sün<strong>de</strong> „Wort o<strong>de</strong>r Tat o<strong>de</strong>r ein Begehren gegen das Gesetz<br />

Gottes". Übertretung aber gibt es auch gegen die Natur o<strong>de</strong>r die<br />

Gewohnheit. Also ist Übertretung keine beson<strong>de</strong>re Art von<br />

Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Die Art enthält in sich nicht alle Teile, aus <strong>de</strong>r die Gattung<br />

besteht. Doch die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung erstreckt sich auf alle<br />

Hauptsün<strong>de</strong>n <strong>und</strong> auch auf die Gedanken-, Wort- <strong>und</strong> Tatsün­<br />

<strong>de</strong>n. Also ist die Übertretung keine beson<strong>de</strong>re Art von Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN steht, daß sie einer beson<strong>de</strong>ren Tugend wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht, nämlich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

225


ANTWORT. Der Ausdruck „Übertretung" wur<strong>de</strong> von kör­<br />

perlichen Bewegungen auf sittliche Akte übertragen. Wenn nun<br />

jemand in körperlicher Bewegung „übertritt", so heißt dies, er<br />

„tritt über" die für ihn bestimmte Grenze. Auf sittlichem Gebiet<br />

sind es die negativen Gebote, die <strong>de</strong>m Menschen eine Grenze<br />

vorschreiben, die er nicht überschreiten darf. Daher spricht man<br />

im eigentlichen Sinn von Übertretung, wenn jemand gegen ein<br />

negatives Gebot han<strong>de</strong>lt.<br />

Materiell gesehen kann dies bei allen Sün<strong>de</strong>narten ebenso<br />

sein, <strong>de</strong>nn bei je<strong>de</strong>r Art von Todsün<strong>de</strong> übertritt <strong>de</strong>r Mensch ein<br />

göttliches Gebot. - Nimmt man es aber im eigentlichen Sinn,<br />

nämlich unter <strong>de</strong>m beson<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Verstoßes<br />

gegen ein negatives Gebot, so han<strong>de</strong>lt es sich in zweifacher<br />

Weise um eine beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong>. Einmal, insofern sie sich von<br />

<strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>narten unterschei<strong>de</strong>t, die <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ent­<br />

gegengesetzt sind: wie nämlich die Gesetzesgerechtigkeit ihren<br />

eigentlichen Ausdruck darin fin<strong>de</strong>t, daß sie auf die Verpflich­<br />

tung gegenüber <strong>de</strong>m Gesetz achtet, so ist die Übertretung<br />

wesentlich dadurch gekennzeichnet, daß sie auf die Verachtung<br />

<strong>de</strong>s Gesetzes hinausläuft. Sodann, insofern sie sich von <strong>de</strong>r<br />

„Unterlassung" abhebt, die <strong>de</strong>m positiven Gebot gegenüber­<br />

steht.<br />

Zu 1. Wie die Gesetzesgerechtigkeit von ihrem Subjekt<br />

(Willen) <strong>und</strong> gewissermaßen von ihrem materiellen Umfang<br />

her gesehen „allumfassen<strong>de</strong> Tugend" ist, so liegt in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

ein Verstoß gegen die Gesetzesgerechtigkeit. Und so hat<br />

Ambrosius die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>finiert, nämlich nach <strong>de</strong>m Gesichtspunkt<br />

<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit [75].<br />

Zu 2. Die naturhafte Neigung gehört zu <strong>de</strong>n Geboten <strong>de</strong>s<br />

Naturgesetzes. Auch ehrenhafte Gewohnheit hat das Gewicht<br />

eines Gebotes, <strong>de</strong>nn, wie Augustinus in seinem Brief über das<br />

Samstagsfasten schreibt (ep.33; ML 33,136), „sind die Sitten<br />

<strong>de</strong>s Volkes Gottes als Gesetze zu betrachten". Daher kann es<br />

sowohl Sün<strong>de</strong> als auch Übertretung gegen die ehrenhafte<br />

Gewohnheit <strong>und</strong> gegen die naturhafte Neigung geben.<br />

Zu 3. Bei allen aufgezählten Sün<strong>de</strong>narten kann eine Über­<br />

tretung vorkommen, zwar nicht gemäß ihrer spezifischen<br />

Natur, son<strong>de</strong>rn unter einem beson<strong>de</strong>ren Gesichtspunkt, wie<br />

gesagt wur<strong>de</strong>. - Die Unterlassungssün<strong>de</strong> jedoch ist unbedingt<br />

von <strong>de</strong>r Übertretung zu unterschei<strong>de</strong>n.<br />

226


3. ARTIKEL<br />

Ist die Unterlassung eine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art?<br />

1. Die Sün<strong>de</strong> ist entwe<strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r persönliche<br />

Sün<strong>de</strong>. Doch die Unterlassung ist nicht Erbsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>nn man<br />

bekommt sie nicht durch die Geburt, sie ist aber auch nicht per­<br />

sönlich getan, weil sie ohne unser Zutun entstehen kann, wie<br />

oben dargelegt wur<strong>de</strong>, als es um die Sün<strong>de</strong>n im allgemeinen<br />

ging (I-II71,5). Also ist Unterlassung keine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer<br />

Art.<br />

2. Je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> wird freiwillig getan. Doch die Unterlassung<br />

ist bisweilen nicht freiwillig, son<strong>de</strong>rn ergibt sich ohne willentli­<br />

ches Zutun, z. B. wenn eine nicht mehr jungfräuliche Frau,<br />

Jungfräulichkeit gelobt hat, o<strong>de</strong>r wenn jeman<strong>de</strong>m eine Sache,<br />

die er zurückgeben muß, abhan<strong>de</strong>n gekommen ist, o<strong>de</strong>r wenn<br />

ein Priester Messe lesen sollte <strong>und</strong> durch irgen<strong>de</strong>twas daran<br />

gehin<strong>de</strong>rt wird. Also ist die Unterlassung nicht immer Sün<strong>de</strong>.<br />

3. Für je<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> kann man <strong>de</strong>n Zeitpunkt ange­<br />

ben, wann sie beginnt. Doch dies ist bei <strong>de</strong>r Unterlassung nicht<br />

möglich, weil sie während <strong>de</strong>r ganzen Zeit, in <strong>de</strong>r das Han<strong>de</strong>ln<br />

ruht, andauert, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nnoch sündigt man nicht ohne Unterlaß.<br />

Also ist die Unterlassung keine Sün<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>rer Art.<br />

4. Je<strong>de</strong> beson<strong>de</strong>re Sün<strong>de</strong> ist einer beson<strong>de</strong>ren Tugend entge­<br />

gengesetzt. Doch gibt es keine beson<strong>de</strong>re Tugend, die <strong>de</strong>r Un­<br />

terlassung entgegengesetzt wäre, einmal, weil das Gut je<strong>de</strong>r<br />

Tugend Objekt von Unterlassung sein kann, <strong>und</strong> sodann, weil<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong>, <strong>de</strong>r sie am meisten entgegensetzt zu sein<br />

scheint, stets einen Akt verlangt, selbst um sich vom Bösen<br />

abzuwen<strong>de</strong>n (Art. 1,2). Die Unterlassung jedoch kann ohne<br />

je<strong>de</strong>n Akt geschehen. Also ist sie keine Sün<strong>de</strong>.<br />

DAGEGEN heißt es bei Jak4,17: „Wer das Gute tun kann<br />

<strong>und</strong> es nicht tut, <strong>de</strong>r sündigt."<br />

ANTWORT. Unterlassung be<strong>de</strong>utet Auslassung <strong>de</strong>s Guten,<br />

jedoch nicht irgendwelchen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s geschul<strong>de</strong>ten Guten.<br />

Das Gute als etwas Geschul<strong>de</strong>tes gehört jedoch im eigentlichen<br />

Sinn zur <strong>Gerechtigkeit</strong>: zur Gesetzesgerechtigkeit, falls das<br />

Geschul<strong>de</strong>te aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s göttlichen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s menschlichen<br />

Gesetzes zu leisten ist, zur Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, wenn sich das<br />

Geschul<strong>de</strong>te auf eine Verpflichtung gegenüber <strong>de</strong>m Nächsten<br />

bezieht. Ebenso also wie die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine beson<strong>de</strong>re<br />

227<br />

79. 3


79. 3 Tugend ist (vgl. 58,5), ist auch die Unterlassung eine beson<strong>de</strong>re<br />

Sün<strong>de</strong>, die sich von <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>n gegen an<strong>de</strong>re Tugen<strong>de</strong>n unter­<br />

schei<strong>de</strong>t. In <strong>de</strong>rselben Weise aber wie „Das Gute tun", <strong>de</strong>m die<br />

Unterlassung gegenübersteht, ein beson<strong>de</strong>rer Teil <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit ist - unterschie<strong>de</strong>n vom „Das Böse mei<strong>de</strong>n", <strong>de</strong>m<br />

Gegensatz zur Übertretung -, unterschei<strong>de</strong>t sich auch die Un­<br />

terlassung von <strong>de</strong>r Übertretung.<br />

Zu 1. Die Unterlassung ist nicht Erbsün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn persön­<br />

lich begangene Sün<strong>de</strong>, nicht weil sie aus einem ihr wesentlich<br />

eigenen Akt bestün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn weil <strong>de</strong>r NichtVollzug einer<br />

Handlung <strong>de</strong>r Gattung <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns zugerechnet wird. Dem<br />

entsprechend wird, wie oben erklärt, Nichttun als eine Art Tun<br />

genommen.<br />

Zu 2. Die Unterlassung bezieht sich, wie erklärt, nurauf das<br />

Gute, das man hätte tun müssen. Niemand aber ist zum<br />

Unmöglichen verpflichtet. Daher sündigt niemand durch Un­<br />

terlassung, <strong>de</strong>r nicht tut, was er nicht tun kann. Die Frau also,<br />

die Jungfräulichkeit gelobt hat, ohne sie noch zu besitzen, be­<br />

geht dadurch, daß sie nicht mehr Jungfrau ist, keine Unterlas­<br />

sungssün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn nur dann, wenn sie ihre begangene Sün<strong>de</strong><br />

nicht bereut o<strong>de</strong>r wenn sie nicht durch Beobachtung <strong>de</strong>r<br />

Keuschheit nach Kräften ihr Gelüb<strong>de</strong> zu erfüllen trachtet. Auch<br />

<strong>de</strong>r Priester ist nur zur Meßfeier verpflichtet, wenn die nötigen<br />

Voraussetzungen gegeben sind; fehlen sie, dann begeht er keine<br />

Unterlassungssün<strong>de</strong>. Ebenso ist nur zur Restitution verpflich­<br />

tet, wer die Möglichkeit dazu besitzt; hat er sie nicht <strong>und</strong> kann<br />

er sie nicht haben, ist, falls er nur sein Möglichstes tut, von Un­<br />

terlassungssün<strong>de</strong> nicht die Re<strong>de</strong>. Und ähnliches gilt für an<strong>de</strong>re<br />

Fälle.<br />

Zu 3. Wie die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung <strong>de</strong>n negativen Gebo­<br />

ten, die sich auf das „Sich vom Bösen abwen<strong>de</strong>n" beziehen, ent­<br />

gegengesetzt ist, so bil<strong>de</strong>t die Unterlassungssün<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gegen­<br />

satz zu <strong>de</strong>n positiven Geboten, die „Das Gute tun" vorschrei­<br />

ben. Die positiven Gebote verpflichten jedoch nicht ununter­<br />

brochen, son<strong>de</strong>rn nur, wenn es darauf ankommt. Han<strong>de</strong>lt man<br />

dann nicht, beginnt die Unterlassungssün<strong>de</strong>.<br />

Es kann jedoch vorkommen, daß sich einer dann nicht<br />

imstan<strong>de</strong> sieht, zu tun, was er soll. Trägt er daran keine Schuld,<br />

dann ist, wie gesagt, von Unterlassungssün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong>. -<br />

Beruht die Unterlassung jedoch auf vorausgehen<strong>de</strong>r Schuld,<br />

z. B. wenn sich einer am Abend betrunken hat <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>shalb<br />

228


zu <strong>de</strong>n pflichtgemäßen Metten nicht erheben kann, dann fängt 79. 4<br />

nach einigen die Unterlassungssün<strong>de</strong> in <strong>de</strong>m Augenblick an, wo<br />

er <strong>de</strong>n unerlaubten <strong>und</strong> mit seiner Pflicht nicht zu vereinbaren­<br />

<strong>de</strong>n Akt begeht. Doch dies scheint nicht richtig zu sein. Denn<br />

angenommen, er wür<strong>de</strong> mit Gewalt aus <strong>de</strong>m Schlaf gerissen<br />

<strong>und</strong> ginge zu <strong>de</strong>n Metten, dann wür<strong>de</strong> er keine Unterlassungs­<br />

sün<strong>de</strong> begehen. Somit ist es klar, daß <strong>de</strong>r vorausgehen<strong>de</strong> Trun­<br />

kenheitszustand nicht die Unterlassungssün<strong>de</strong> selbst, son<strong>de</strong>rn<br />

<strong>de</strong>ren Ursache war. - Man muß daher sagen: die Unterlassung<br />

wird ihm erst dann als Schuld angerechnet, wenn die Zeit zum<br />

Han<strong>de</strong>ln gekommen ist, allerdings wegen <strong>de</strong>r vorausgehen<strong>de</strong>n<br />

Ursache, wodurch die nachfolgen<strong>de</strong> Unterlassung zur freiwilli­<br />

gen wird.<br />

Zu 4. Die Unterlassung ist, wie gesagt, direkt <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit entgegengesetzt, <strong>de</strong>nn es gibt Unterlassung <strong>de</strong>s Guten<br />

irgen<strong>de</strong>iner Tugend nur, wenn dieses Gut <strong>de</strong>n Charakter <strong>de</strong>s<br />

Geschul<strong>de</strong>ten trägt, <strong>und</strong> dadurch fällt es unter die Gerechtig­<br />

keit. Mehr aber verlangt <strong>de</strong>r verdienstliche Tugendakt als das<br />

Mißverdienst <strong>de</strong>r Schuld, <strong>de</strong>nn „das Gute kommt nur zustan<strong>de</strong><br />

durch Erfüllung sämtlicher Bedingungen, das Schlechte ergibt<br />

sich aus jeglichem Versagen" (Dionysius Areopagita: De div.<br />

nom.; MG 3,729).<br />

4. ARTIKEL<br />

Ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer als die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Übertretung?<br />

1. Verfehlung ist das gleiche wie „Fehlen", <strong>und</strong> folglich das­<br />

selbe wie Unterlassung. Doch eine Verfehlung ist schwerer als<br />

eine sündhafte Übertretung, weil sie nach Lv 5,15 größerer<br />

Sühne bedurfte. Also ist die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unterlassung schwerer<br />

als die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Übertretung.<br />

2. Dem größeren Gut steht das größere Übel gegenüber, wie<br />

Aristoteles im V.Buch seiner Ethik (c. 12; 1160b9) erklärt.<br />

Doch „Das Gute tun", <strong>de</strong>m die Unterlassung entgegensteht, ist<br />

ein vornehmerer Teil <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als „Das Böse mei<strong>de</strong>n",<br />

<strong>de</strong>m als Gegensatz die Übertretung entspricht (Art. 1,3). Also<br />

ist die Unterlassung eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Übertretung.<br />

3. Die Tatsün<strong>de</strong> kann leicht <strong>und</strong> schwer sein. Doch die Un­<br />

terlassungssün<strong>de</strong> scheint immer schwer zu sein, <strong>de</strong>nn sie wi<strong>de</strong>r-<br />

229


79. 4 setzt sich einem positiven Gebot. Also ist die Unterlassung<br />

wohl eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Übertretung.<br />

4. Die ewige Verdammnis, d. h. <strong>de</strong>r Ausschluß von Gottes<br />

Anschauung, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Unterlassungssün<strong>de</strong>r droht, ist eine grö­<br />

ßere Strafe als die Qual <strong>de</strong>r Sinne, die <strong>de</strong>m Übertretungssün<strong>de</strong>r<br />

bevorsteht, wie Cbrysostomus in seinem Matthäuskommentar<br />

(Horn. 23; MG57,317) schreibt. Doch die Strafe entspricht <strong>de</strong>r<br />

Schuld. Also ist die Unterlassung schwerer sündhaft als die<br />

Übertretung.<br />

DAGEGEN steht: es ist leichter, das Böse zu lassen als das<br />

Gute zu tun. Also sündigt schwerer, wer das Böse nicht läßt,<br />

also durch Übertretung sündigt, als wer das Gute nicht tut,<br />

was sündhafte Unterlassung be<strong>de</strong>utet.<br />

ANTWORT. Die Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> wächst mit ihrem<br />

Abstand von <strong>de</strong>r Tugend. „Gegensätzlichkeit" ist jedoch „<strong>de</strong>r<br />

größte Abstand", wie es (bei Aristoteles) im X. Buch <strong>de</strong>r Meta­<br />

physik (c.4; 1055a9) heißt. Daher steht das Entgegengesetzte<br />

von seinem Entgegengesetzten weiter ab als seine bloße Vernei­<br />

nung, wie etwa schwarz weiter absteht von weiß als das bloße<br />

nicht-weiss. Alles Schwarze ist nämlich nicht weiß, aber nicht<br />

umgekehrt. Ganz ein<strong>de</strong>utig ist nun die Übertretung <strong>de</strong>m Akt<br />

<strong>de</strong>r Tugend entgegengesetzt, die Unterlassung hingegen besagt<br />

nur seine Verneinung. Wer z. B. <strong>de</strong>n Eltern die geschul<strong>de</strong>te Ehr­<br />

erbietung nicht erweist, begeht eine Unterlassungssün<strong>de</strong>, eine<br />

Übertretungssün<strong>de</strong> aber, wenn er sie schmäht o<strong>de</strong>r sonstwie<br />

beleidigt. Schlechthin <strong>und</strong> absolut gesagt ist die Übertretung<br />

ohne Zweifel eine schwerere Sün<strong>de</strong> als die Unterlassung, wenn­<br />

gleich gegebenenfalls eine Unterlassung schwerer wiegen kann<br />

als eine Übertretung.<br />

Zu 1. Das Wort „Verfehlung" be<strong>de</strong>utet in seinem allgemei­<br />

nen Sinn Unterlassung irgendwelcher Art. Bisweilen aber wird<br />

es streng genommen für die Unterlassung unserer Pflichten<br />

gegen Gott, z. B. wenn <strong>de</strong>r Mensch wissentlich <strong>und</strong> mit einer<br />

gewissen Verachtung das unterläßt, was er tun sollte. So erhält<br />

die Verfehlung eine beson<strong>de</strong>re Schwere <strong>und</strong> bedarf daher grö­<br />

ßerer Sühne.<br />

Zu 2. Dem Tun <strong>de</strong>s Guten ist sowohl das Nichttun <strong>de</strong>s<br />

Guten, d. h. das Unterlassen, als auch das Bösestun, d. h. die<br />

Übertretung, entgegengesetzt, doch das erstere kontradikto­<br />

risch, das zweite konträr, <strong>und</strong> dies be<strong>de</strong>utet einen größeren<br />

Abstand. Daher ist die Übertretung eine schwerere Sün<strong>de</strong>.<br />

230


Zu 3. Wie die Unterlassung positiven Geboten entgegenge- 79. 4<br />

setzt ist, so die Übertretung negativen. Und daher fallen bei<strong>de</strong>,<br />

nimmt man sie im strengen Sinn, in die Kategorie <strong>de</strong>r Todsün<strong>de</strong>.<br />

„Übertretung" o<strong>de</strong>r „Unterlassung" lassen sich jedoch auch<br />

weiter fassen: als etwas, das einfach außerhalb positiver o<strong>de</strong>r<br />

negativer Gebote liegt <strong>und</strong> zu ihren Gegensätzen disponiert.<br />

Und so gesehen können bei<strong>de</strong> läßliche Sün<strong>de</strong> sein.<br />

Zu 4. Der Übertretungssün<strong>de</strong> entspricht die Strafe <strong>de</strong>r Ver­<br />

dammnis wegen ihrer Abwendung von Gott <strong>und</strong> die <strong>de</strong>r Sinne<br />

wegen ihrer Hinwendung zu vergänglichen Dingen. In gleicher<br />

Weise gebührt auch <strong>de</strong>r Unterlassung nicht nur die Strafe <strong>de</strong>r<br />

Verdammnis, son<strong>de</strong>rn auch die Strafe <strong>de</strong>r Sinne gemäß Mt 7,19:<br />

„Je<strong>de</strong>r Baum, <strong>de</strong>r keine guten Früchte bringt, wird ausgehauen<br />

<strong>und</strong> ins Feuer geworfen." Und dies wegen <strong>de</strong>r Wurzel, aus <strong>de</strong>r<br />

die Unterlassung hervorgeht, wenngleich sie nicht notwendi­<br />

gerweise eine tatsächliche Hinwendung zu vergänglichen Din­<br />

gen besagt.<br />

231


ANMERKUNGEN


[1] Thomas macht hier auf <strong>de</strong>n Unterschied zwischen <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> Gesetz aufmerksam. Das Gesetz ist die Begründung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s. Der Inhalt <strong>de</strong>s Gesetzes wird durch das Soll <strong>de</strong>s Geset­<br />

zes zum <strong>Recht</strong>. Das <strong>Recht</strong> be<strong>de</strong>utet also <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s Geset­<br />

zes, insofern er zwischen zwei Ansprüchen die Frie<strong>de</strong>nsord­<br />

nung herstellt o<strong>de</strong>r, wie Thomas im Artikel sagt, <strong>de</strong>n Ausgleich<br />

schafft. Es ist nun be<strong>de</strong>utsam, daß Thomas nicht irgen<strong>de</strong>ine<br />

logische Deduktion als solche bereits zur rechtsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

Instanz macht, son<strong>de</strong>rn eben das Gesetz. Die <strong>Recht</strong>spositivi-<br />

sten, so vor allem Kelsen, werfen es <strong>de</strong>r Naturrechtslehre vor, sie<br />

operiere mit logischen Ableitungen, um das <strong>Recht</strong> zu begrün­<br />

<strong>de</strong>n. Damit aber wür<strong>de</strong> ein außerjuristischer Prozeß eingeleitet,<br />

<strong>de</strong>r niemals zu <strong>Recht</strong> führen könne. Thomas stimmt ganz mit<br />

<strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophen überein, daß nur das Gesetz<br />

<strong>Recht</strong> begrün<strong>de</strong>n kann. Der logische Prozeß hat bei ihm nicht<br />

als solcher rechtsbegrün<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Funktion, son<strong>de</strong>rn insofern er<br />

gesetzbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Bewandtnis hat. Es han<strong>de</strong>lt sich nämlich in <strong>de</strong>n<br />

naturrechtlichen Ableitungen nicht um irgendwelche Deduk­<br />

tionen unserer Vernunft, son<strong>de</strong>rn um die Deduktionen <strong>de</strong>r<br />

praktischen Vernunft. Die praktische Vernunft aber hat bei<br />

Thomas, sofern sie allgemeine sittliche Ableitungen aus <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur im Hinblick auf das geordnete Zusam­<br />

menleben <strong>de</strong>r Menschen macht, gesetzgeben<strong>de</strong> Bewandtnis. Es<br />

ist also auch nicht einfach die Finalität <strong>de</strong>s geordneten Zusam­<br />

menlebens als solche, welche rechtserzeugend wirkt. Auch hie­<br />

rin wur<strong>de</strong> die scholastische Naturrechtslehre miß<strong>de</strong>utet, als ob<br />

sie annähme, die Zweckdienlichkeit irgendwelcher Einsicht<br />

bewirke das <strong>Recht</strong>." Gewiß spielt diese Zweckdienlichkeit eine<br />

Rolle, insofern sie nämlich im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r gesell­<br />

schaftlichen Ordnung steht. Aber nicht die Zweckdienlichkeit<br />

als solche bewirkt das Gesetz, son<strong>de</strong>rn die praktische Vernunft,<br />

welche diese Zweckdienlichkeit in naturhaftem Soll zur For<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>s Zusammenseins erhebt. Die thomasische Natur­<br />

rechtslehre verbleibt also voll <strong>und</strong> ganz im reotelogischen Pro­<br />

zeß. Vgl. hierzu Kommentar zu Art. 2.<br />

[2] Unter <strong>de</strong>r menschlichen Natur, die als „verän<strong>de</strong>rlich"<br />

bezeichnet wird, ist hier nicht etwa die spezifische Wesenheit<br />

<strong>de</strong>s Menschen verstan<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn die konkrete Natur, wie sie<br />

entsprechend <strong>de</strong>r geschichtlichen Befindlichkeit sich wan<strong>de</strong>lt.<br />

Das Naturrecht, sofern es auf <strong>de</strong>r allgemeinen Natur, d. h. <strong>de</strong>r<br />

235


spezifischen Wesenheit <strong>de</strong>s Menschen, aufbaut, ist unwan<strong>de</strong>l­<br />

bar. Was gegen diese Natur verstößt, be<strong>de</strong>utet einen Wi<strong>de</strong>r­<br />

spruch gegen das Naturrecht „an sich", wovon Thomas in <strong>de</strong>r<br />

Lösung <strong>de</strong>s zweiten Einwan<strong>de</strong>s spricht. Thomas will also das<br />

Naturrecht nicht nur im allgemeinen Sinn verstan<strong>de</strong>n wissen,<br />

son<strong>de</strong>rn auch im konkreten Sachbestand, als <strong>Recht</strong>, das sich<br />

hier <strong>und</strong> jetzt aus <strong>de</strong>r Sachanalyse ergibt. Natürlich wird die<br />

sachliche Analyse nach Normen beurteilt. Diese Normen sind<br />

<strong>de</strong>r Natur „an sich" entnommen. Da diese Normen zweckbe­<br />

stimmte Normen sind, nämlich Normen im Hinblick auf die<br />

Vervollkommnung <strong>de</strong>r menschlichen Natur, wird <strong>de</strong>r konkrete<br />

Fall, d. h. die sachliche Analyse <strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit nach<br />

dieser Zweckbestimmung o<strong>de</strong>r Zweckentsprechung beurteilt.<br />

<strong>Recht</strong> wird also entsprechend dieser Finalität, d. h. dasjenige ist<br />

Naturrecht im konkreten Sinne, was <strong>de</strong>n Sinn, die innere<br />

Zweckhaftigkeit <strong>de</strong>r Normen am besten erfüllt. Es wur<strong>de</strong> aber<br />

bereits in <strong>de</strong>r Anmerkung [1] gesagt, daß nicht eigentlich die<br />

Finalität als solche die rechts erzeugen<strong>de</strong> Kraft besitzt, son<strong>de</strong>rn<br />

die Vernunft, welche diese Finalität erkennt <strong>und</strong> als Norm aus­<br />

spricht. Das Naturrecht in diesem konkreten Sinn ist also etwas<br />

Wan<strong>de</strong>lbares. Es ist kein Schema, son<strong>de</strong>rn wird je <strong>und</strong> je neu<br />

geformt von <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft, die nach Thomas, wie<br />

bereits gesagt, rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft ist, sofern sie wahrheits­<br />

getreu <strong>de</strong>n objektiven Sachverhalt trifft. Damit ist spekulativ<br />

(wenngleich noch nicht praktisch) <strong>de</strong>r Vorwurf beseitigt, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Naturrechts<strong>de</strong>nken namentlich von Seiten <strong>de</strong>r Positivisten<br />

gemacht wur<strong>de</strong>, daß nämlich das Naturrecht zu allem nütze sei<br />

<strong>und</strong> je<strong>de</strong>r politischen Zielsetzung dienen könne. Das Natur­<br />

recht <strong>de</strong>s hl. Thomas ist weit entfernt von dieser subjektiven<br />

Zielsetzung. Seine Sachanalyse ist außerhalb <strong>de</strong>r politischen<br />

Zielsetzung. Diese ergibt sich erst aus jener.<br />

Um das Gesagte, das für ein richtiges Verständnis <strong>de</strong>r thoma­<br />

sischen Naturrechtslehre so überaus wichtig ist, etwas auf­<br />

zuhellen, sei ein Beispiel angeführt. Thomas hält dafür, daß die<br />

„Sklavenschaft", d.h. bei ihm das Verhältnis <strong>de</strong>r Leibeigen­<br />

schaft (vgl. Kommentar zu 57,4), ein „naturrechtlicher"<br />

Zustand sei. Wir wür<strong>de</strong>n uns heute über diese Ausdrucksweise<br />

entsetzen, da für uns das Naturrecht nur im Sinne <strong>de</strong>r unwan­<br />

<strong>de</strong>lbaren Normen genommen wird. Thomas aber — Aristoteles<br />

folgend — analysiert die konkrete Befindlichkeit <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft <strong>und</strong> erklärt, daß tatsächlich viele Menschen von Natur<br />

236


einfach keine Veranlagung haben, sich selbst zü regieren <strong>und</strong> ihr<br />

Leben nach eigener Verantwortung einzurichten. Wenn sie<br />

darum in lebenslänglichem Dienstverhältnis unter <strong>de</strong>r<br />

Herrschaft eines an<strong>de</strong>ren stehen, erfüllen sie in <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gesellschaft noch einen nützlichen Beruf. Die Feststel­<br />

lung, daß manche Menschen einfach nicht fähig sind, ein völlig<br />

freies Leben zu führen, son<strong>de</strong>rn besser immer in Abhängigkeit<br />

<strong>und</strong> Unterordnung bleiben, wer<strong>de</strong>n wir wohl auch heute noch<br />

nicht abstreiten können, wenngleich wir darum nicht zum<br />

Schluß kommen, daß <strong>de</strong>swegen alle diese Menschen natur­<br />

rechtlich ins Verhältnis <strong>de</strong>r Leibeigenschaft gehören. Im allge­<br />

meinen gelangen bei uns heute solche Menschen von selbst in<br />

untergeordnete Stellungen, da sie <strong>de</strong>n Konkurrenzkampf nicht<br />

bestehen. Sofern diese nie<strong>de</strong>re Stellung im sozialen Ganzen<br />

nicht menschenunwürdig ist, wer<strong>de</strong>n doch wohl auch wir sagen<br />

müssen, daß damit <strong>de</strong>n betreffen<strong>de</strong>n Menschen <strong>de</strong>r ihrer Natur<br />

entsprechen<strong>de</strong> Platz eingeräumt wor<strong>de</strong>n sei. Thomas wür<strong>de</strong><br />

diesen „naturentsprechen<strong>de</strong>n" Platz als <strong>de</strong>n „naturrechtlichen"<br />

Ort bezeichenen, naturrechtlich entsprechend ihrer Natur <strong>und</strong><br />

entsprechend <strong>de</strong>m soziologischen Bestand <strong>de</strong>r Gesellschaft. So<br />

ist das konkrete Naturrecht nichts Starres, son<strong>de</strong>rn ungeheuer<br />

beweglich, an<strong>de</strong>rerseits aber auch nichts durch irgendwelche<br />

politischen Willensbildungen willkürlich Bestimmbares, son­<br />

<strong>de</strong>rn zu bestimmen gemäß <strong>de</strong>m objektiven Sachverhalt.<br />

Dieser objektive Sachverhalt kann allerdings auch die Wil­<br />

lensbildung <strong>de</strong>r Menschen miteinschließen, aber nicht, weil<br />

etwa diese Willensbildung <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong> für die nähere Bestim­<br />

mung <strong>de</strong>s Naturrechts wäre, son<strong>de</strong>rn weil die Willensbildung<br />

ein objektiver, unabän<strong>de</strong>rlicher soziologischer Sachverhalt ist.<br />

So nimmt z.B. Thomas die Willensbildung <strong>de</strong>s Tyrannen in<br />

Kauf <strong>und</strong> bestimmt danach das, was Naturrecht ist, nicht weil<br />

<strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Tyrannen das Naturrecht festlegen wür<strong>de</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn weil dieser Wille in seiner Unabän<strong>de</strong>rlichkeit einen sozio­<br />

logischen Bef<strong>und</strong> darstellt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Sachanalyse ins Gewicht<br />

fällt. Darum kann sich Thomas die Erlaubtheit <strong>de</strong>s Tyrannen­<br />

mor<strong>de</strong>s nicht vorstellen, wenn sich daraus eine größere soziale<br />

Unordnung ergeben wür<strong>de</strong>, als sie schon besteht. Es wird also<br />

nicht irgen<strong>de</strong>in politisches Ziel (etwa gar <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>s Tyran­<br />

nen) zum Bestimmungsgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts gemacht, son­<br />

<strong>de</strong>rn einzig die objektive Sachanalyse in Hinordnung auf die<br />

ewigen Normen <strong>de</strong>r menschlichen Natur.<br />

237


[3] Wie das menschliche <strong>Recht</strong> viele Dinge enthält, die an<br />

sich schon von Natur <strong>Recht</strong> sind, so ist auch im göttlichen <strong>Recht</strong><br />

vieles enthalten, was nicht vom göttlichen Willen her die innere<br />

Bestimmung empfängt, son<strong>de</strong>rn bereits „an sich" gut <strong>und</strong><br />

gerecht ist. Mit dieser Feststellung will <strong>de</strong>r hl. Thomas keines­<br />

wegs die rationalistische Auffassung von Hugo Grotius vertre­<br />

ten, nach <strong>de</strong>r es ein Naturrecht gäbe, das besteht, auch wenn es<br />

Gott nicht gäbe. Nach Thomas wird das Naturrecht von Gott<br />

nicht frei erf<strong>und</strong>en. Es ist vielmehr wie die Wesenheiten <strong>de</strong>r<br />

Dinge im Wesen Gottes selbst begrün<strong>de</strong>t. In<strong>de</strong>m Gott, vor Sei­<br />

nem Wollen <strong>und</strong> Lieben, Sein eigenes Wesen erkennt, erkennt<br />

Er auch alle möglich seien<strong>de</strong>n Wesenheiten. Sie auszuwählen ist<br />

selbstre<strong>de</strong>nd Seinem freien Entscheid anheimgestellt. Aber ihre<br />

innere Formung haben sie bereits vor <strong>de</strong>m Wollen Gottes, nicht<br />

aber — wie <strong>de</strong>r Ausspruch von Grotius es nahelegt — vor Gott.<br />

Im göttlichen Wesen <strong>und</strong> im göttlichen Selbsterkennen liegt im<br />

tiefsten die Rationalität <strong>de</strong>s Naturrechts begrün<strong>de</strong>t. Sie ist also<br />

niemals eine Rationalität außerhalb Gottes. Wenngleich Gott<br />

die Welt schaffen, d.h. ins Dasein rufen mußte, damit das<br />

Naturrecht überhaupt da sei, so ist doch nicht <strong>de</strong>r Schöpferwille<br />

Gottes die Ursache <strong>de</strong>s Naturrechts. Es ist vielmehr seine prak­<br />

tische Erkenntnis, welche allen Wesenheiten die ihnen eigene<br />

Finalität vorschreibt <strong>und</strong> so zu ihrem Gesetzgeber wird. Die<br />

thomasische Naturrechtsauffassung bleibt also auch hier, wo sie<br />

in die göttliche Begründung hineinsteigt, voll <strong>und</strong> ganz auf <strong>de</strong>n<br />

Bahnen <strong>de</strong>s rechtslogischen Prozesses. Gott wird nicht einge­<br />

führt als irgen<strong>de</strong>in allmächtiges Wesen, son<strong>de</strong>rn als <strong>de</strong>r ewige<br />

Gesetzgeber. Wenn es nur <strong>de</strong>r Wille Gottes wäre, welcher das<br />

Naturrecht begrün<strong>de</strong>t, dann allerdings könnte nur <strong>de</strong>r religiöse<br />

Glaube die Erkenntnis <strong>de</strong>s Naturrechts vermitteln. Und dann<br />

könnte man es begreifen, wenn ein Nicht-Gläubiger, wie z. B.<br />

Kelsen, erklärt, daß das Naturrecht eine primitive Auffassung<br />

von <strong>Recht</strong> sei, da rechtsfrem<strong>de</strong> Kategorien eingeführt wür<strong>de</strong>n.<br />

Selbstre<strong>de</strong>nd kann Gott, wie <strong>de</strong>r hl. Thomas hier ausdrücklich<br />

erklärt, durch Seinen freien Entscheid <strong>Recht</strong> schaffen. Er kann<br />

aber auf diese Weise nicht Autorrecht schaffen, weil das Natur­<br />

recht in sich inhaltlich bestimmt ist, ehe <strong>de</strong>r Schöpferwille die<br />

Welt schafft. Während <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Schöpferwillen Ehr­<br />

furcht <strong>und</strong> Furcht entgegenbringt, bringt er Gott als <strong>de</strong>m ewi­<br />

gen Gesetzgeber Gehorsam entgegen. Es ist darum falsch,<br />

wenn Kelsen meint, daß die Naturrechtsauffassung nichts<br />

238


an<strong>de</strong>res sei als die Äußerung einer primitiven Furcht vor einem<br />

überweltlichen Wesen, das Blitz <strong>und</strong> Donner zu schicken<br />

imstan<strong>de</strong> ist.<br />

[4] Unter <strong>de</strong>m jus gentium, das wir hier mit „Völkerrecht"<br />

übersetzen, ist nicht das mo<strong>de</strong>rne Völkerrecht zu verstehen.<br />

Wie im Kommentar dargelegt wird, be<strong>de</strong>utet dieser Ausdruck<br />

„das bei allen Völkern gelten<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>", ein <strong>Recht</strong>, das als<br />

ursprüngliches Gewohnheitsrecht zum positiven römischen<br />

<strong>Recht</strong> erhoben wur<strong>de</strong>. Der Inhalt dieses bei allen Völkern gel­<br />

ten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s bestand durchwegs aus Sachverhalten, die sich<br />

aus <strong>de</strong>r naturgemäß <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Vernunft ergaben, also in <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Sicht als Naturrecht zu gelten hatten. Für Tho­<br />

mas bestand nun das spekulativ schwere <strong>und</strong> historisch überaus<br />

wichtige Problem, dieses jus gentium entsprechend einzuord­<br />

nen. Vgl. hierzu <strong>de</strong>n Kommentar.<br />

Lei<strong>de</strong>r konnte in <strong>de</strong>r Ubersetzung nicht die sinngemäßere<br />

Formulierung „das bei allen Völkern gelten<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>" gebraucht<br />

wer<strong>de</strong>n, weil sich sonst Tautologien ergeben hätten.<br />

[5] Während die Güter aus sich keine Zueignung an private<br />

Personen haben, so erklärt Thomas hier, wer<strong>de</strong>n sie doch klu­<br />

gerweise im Hinblick auf die konkrete Befindlichkeit <strong>de</strong>r Men­<br />

schen von <strong>de</strong>n einzelnen in verschie<strong>de</strong>ner <strong>und</strong> verteilter Weise<br />

verwaltet, um so eine bessere Verwendung, d. h. eine größere<br />

Produktivität zu erzielen. Es ist dies die Begründung <strong>de</strong>s Privat­<br />

eigentums, von <strong>de</strong>r Thomas in 66,2 eingehen<strong>de</strong>r sprechen wird<br />

(vgl. <strong>de</strong>n Kommentar dazu). Es ist nun eigentümlich, daß dort<br />

nicht auf Aristoteles zurückgegriffen wird, während hier die<br />

eigentliche Quelle <strong>de</strong>r Befürwortung <strong>de</strong>s Privateigentums ange­<br />

geben wird. Es ist daher hier <strong>de</strong>r Ort, um näher auf die Bezie­<br />

hung <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre zu Aristoteles einzuge­<br />

hen.<br />

Aristoteles (Pol. 2,5) hat sich schon sehr präzis die Frage<br />

gestellt, „ob es besser ist, daß Besitzungen <strong>und</strong> N<strong>utz</strong>nießungen<br />

gemeinsam sind, nämlich entwe<strong>de</strong>r so, daß die Gr<strong>und</strong>stücke<br />

Privateigentum bleiben, die Erträgnisse aber als Gemeingut zu­<br />

sammengetan <strong>und</strong> verbraucht wer<strong>de</strong>n — wie dies einige Völker­<br />

stämme tun —, o<strong>de</strong>r umgekehrt so, daß das Land gemeinsam ist<br />

<strong>und</strong> seine Bestellung gemeinsam geschieht, dagegen die Erträg­<br />

nisse zum Privatverbrauch verteilt wer<strong>de</strong>n — auch diese Art<br />

239


von Gemeinschaft soll sich bei einigen Barbarenvölkern fin<strong>de</strong>n<br />

—, o<strong>de</strong>r endlich so, daß Gr<strong>und</strong>stücke so gut wie Erträgnisse<br />

Gemeingut sind".<br />

Aristoteles setzt sich mit <strong>de</strong>m von Plato befürworteten Kom­<br />

munismus auseinan<strong>de</strong>r. Er meint zwar, daß trotz <strong>de</strong>r privaten<br />

Aufteilung eine gewisse Gemeinsamkeit im Gebrauch <strong>und</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Ben<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Güter das Gemeinschaftsgefühl steigern<br />

wür<strong>de</strong>. Er verweist dabei auch auf die Verwirklichung einer<br />

gewissen Gütergemeinschaft in Lazedämon (vgl. <strong>de</strong>n Text im<br />

Kommentar zu 66,2). Er fin<strong>de</strong>t aber doch, daß Plato sehr über­<br />

trieben hat. Außer<strong>de</strong>m meint er, daß die Befürwortung <strong>de</strong>s<br />

Kommunismus bei Plato doch nur bei reichlich allgemeinen<br />

Angaben stehengeblieben sei. Wenn man <strong>de</strong>r Sache einmal auf<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> gehe, dann sei nicht abzusehen, wie im einzelnen die<br />

Durchführung gedacht sei. „Man darf aber auch nicht überse­<br />

hen, daß die lange Zeit <strong>und</strong> die vielen Jahre be<strong>de</strong>nklich machen<br />

müssen, in <strong>de</strong>nen es nicht verborgen geblieben wäre, wenn<br />

solche Einrichtungen wirklich etwas für sich hätten. Denn man<br />

ist schon so ziemlich auf alles verfallen, aber manches hat man<br />

nicht gesammelt, <strong>und</strong> manches war zwar gesammelt <strong>und</strong><br />

bekannt, aber es wird doch nicht eingeführt. Die Sache wür<strong>de</strong><br />

aber am klarsten wer<strong>de</strong>n, wenn man eine solche Verfassung ein­<br />

mal tatsächlich durchgeführt sähe. Denn man wür<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>r<br />

Einrichtung <strong>de</strong>s Staates nicht zurechtkommen ohne Teilung<br />

<strong>und</strong> Son<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r gemeinsamen Güter, einmal unter Tischge­<br />

nossenschaften <strong>und</strong> dann unter Geschlechterverbän<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

Stämmen, so daß bei dieser Gesetzgebung keine an<strong>de</strong>re beson­<br />

<strong>de</strong>re Bestimmung sich ergäbe als die, daß die Wächter <strong>de</strong>s Staa­<br />

tes keinen Ackerbau treiben sollen, was ja auch die Lazedämo-<br />

nier schon jetzt bei sich einführen wollen". Aristoteles ist also<br />

gegenüber Plato sehr skeptisch. Er nimmt <strong>de</strong>n Menschen, wie er<br />

nun einmal ist, <strong>und</strong> meint, daß das Zusammenleben <strong>und</strong> die<br />

Gemeinschaft in allen menschlichen Dingen schwer sei, beson­<br />

<strong>de</strong>rs aber hinsichtlich <strong>de</strong>r materiellen Güter. „Man sieht das an<br />

<strong>de</strong>n Gesellschaften <strong>de</strong>r Reisegefährten, wo fast die meisten über<br />

Kleinigkeiten <strong>und</strong> das erste beste, was ihnen in <strong>de</strong>n Weg<br />

kommt, sich entzweien <strong>und</strong> aneinan<strong>de</strong>rgeraten." Aristoteles<br />

schätzt auch das ganz eigene Gefühl, das <strong>de</strong>r Mensch empfin­<br />

<strong>de</strong>t, wenn er etwas als sein eigen bezeichnen kann: „Es ist auch<br />

mit Worten nicht zu sagen, welche eigenartige Befriedigung es<br />

gewährt, wenn man etwas sein eigen nennen kann. Sicherlich<br />

240


nicht umsonst hat je<strong>de</strong>r die Liebe zu sich selbst, son<strong>de</strong>rn es ist<br />

uns von <strong>de</strong>r Natur so eingepflanzt, <strong>und</strong> nur die egoistische Liebe<br />

erfährt <strong>de</strong>n gerechten Ta<strong>de</strong>l; sie ist aber auch nicht dasselbe wie<br />

die Selbstliebe, son<strong>de</strong>rn ist die übertriebene Liebe zu sich<br />

selbst, wie man auch <strong>de</strong>n Habsüchtigen ta<strong>de</strong>lt, obgleich doch im<br />

einzelnen je<strong>de</strong>r an seiner Habe Freu<strong>de</strong> hat." Nur in einer gesell­<br />

schaftlichen Ordnung, in welcher das Privateigentum ordnen­<br />

<strong>de</strong>s Prinzip ist, kann auch, so meint Aristoteles, die Tugend <strong>de</strong>r<br />

Freigebigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gastfre<strong>und</strong>schaft geübt wer<strong>de</strong>n: „Aber<br />

auch das bereitet hohe Lust, <strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>en <strong>und</strong> Gästen o<strong>de</strong>r<br />

Gefährten Gunst <strong>und</strong> Hilfe zu erweisen, was nur geschehen<br />

kann, wenn es ein Eigentum gibt." Darum bleibt Gr<strong>und</strong>gesetz<br />

<strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung für Aristoteles das Privateigen­<br />

tum.<br />

Allerdings solle zugleich <strong>de</strong>r Eigentümer aus sittlicher Ver­<br />

antwortung, d. h. „um <strong>de</strong>r Tugend willen", gerne von seinem<br />

Eigentum an an<strong>de</strong>re abgeben <strong>und</strong> vor allem die Ben<strong>utz</strong>ung <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>n Gebrauch seiner Güter als etwas Gemeinsames betrachten:<br />

„Fre<strong>und</strong>en ist alles gemein." Und Aristoteles meint sogar, daß<br />

die Gesetzgeber eine solche Gesinnung in <strong>de</strong>n Bürgern wachru­<br />

fen sollten.<br />

Den Einwand, daß mit <strong>de</strong>r Teilung in Privateigentum die<br />

<strong>Recht</strong>shän<strong>de</strong>l sich mehren <strong>und</strong> Unfrie<strong>de</strong> entstän<strong>de</strong>, erledigt<br />

Aristoteles mit <strong>de</strong>r Bemerkung, daß solche Hän<strong>de</strong>l nicht von <strong>de</strong>r<br />

fehlen<strong>de</strong>n Gütergemeinschaft, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Schlechtheit herrühren, „da ja doch erfahrungsgemäß solche,<br />

die etwas gemeinsam haben <strong>und</strong> n<strong>utz</strong>en, viel mehr Streit mit­<br />

einan<strong>de</strong>r bekommen als die Inhaber von Privateigentum".<br />

Thomas hat nun diese aristotelische Lehre in ihren Einzelhei­<br />

ten übernommen, ohne allerdings sich ihr ganz zu ergeben. Er<br />

nimmt die allgemeine menschliche Schwäche, wie sie nun ein­<br />

mal besteht, zur Kenntnis als einen soziologischen Bef<strong>und</strong>, um<br />

danach die soziale Ordnung einzurichten. Das Argument man­<br />

cher Kirchenväter (vgl. Kommentar zu 66,2), daß die Aneig­<br />

nung privaten Gutes eigentlich einem egoistischen Triebe folge<br />

<strong>und</strong> somit gr<strong>und</strong>sätzlich ein moralisches Übel sei, <strong>de</strong>m man zu<br />

Leibe rücken müsse, wird abgeschwächt zugunsten eines Be­<br />

griffs von Selbstliebe, <strong>de</strong>r je<strong>de</strong> egoistische Note fehlt, im Hin­<br />

blick darauf, daß das Eigenwohl leichter gesucht wird als das<br />

Gemeinwohl. Thomas konnte hierfür aus <strong>de</strong>r Theologie <strong>de</strong>r<br />

Erbsün<strong>de</strong>, <strong>de</strong>ren physische <strong>und</strong> moralische Folgen nun einmal<br />

241


nicht aus <strong>de</strong>r Welt zu schaffen sind, eine noch tiefere Begrün­<br />

dung für die Befürwortung <strong>de</strong>r privaten Ordnung schöpfen.<br />

Thomas hat von Aristoteles gelernt, die Selbstliebe, die zunächst<br />

das eigene Individuum betrachtet <strong>und</strong> erst in <strong>de</strong>r Folge das<br />

Gemeinwohl, als einen ganz natürlichen Bef<strong>und</strong> einzuschätzen.<br />

Mit Aristoteles betont dann Thomas die gemeinsame Nut­<br />

zung <strong>de</strong>r Güter. Mit ihm unterstreicht er ebenfalls die sittliche<br />

Gestalt <strong>de</strong>r Verpflichtung, welche je<strong>de</strong>m Besitzer in dieser Hin­<br />

sicht obliegt. Hier greift er allerdings zu schärferen Formulie­<br />

rungen als etwa Aristoteles, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß <strong>de</strong>r Uberfluß<br />

<strong>de</strong>n Armen vom Naturrecht her geschul<strong>de</strong>t sei (66,7). Damit<br />

spricht nun eigentlich <strong>de</strong>r Theologe in Thomas, <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n<br />

Vätern <strong>de</strong>n negativen Kommunismus (vgl. Kommentar zu<br />

66,2) kennen <strong>und</strong> schätzen gelernt hat <strong>und</strong> mit ihnen für <strong>de</strong>n<br />

ethischen Kommunismus <strong>de</strong>s Paradiesesmenschen eintritt (vgl.<br />

hierzu Anm. [34]).<br />

So bringt die Übernahme <strong>de</strong>s negativen Kommunismus, wie<br />

die Väter ihn lehrten, in die aristotelisch-thomasische Eigen­<br />

tumslehre eine ganz neue Note, <strong>de</strong>rgestalt, daß die aristote­<br />

lische Sicht im Gr<strong>und</strong>e doch verlassen ist, wenngleich die ein­<br />

zelnen Elemente noch <strong>de</strong>utlich erkennbar bleiben. In<strong>de</strong>m näm­<br />

lich Thomas mit <strong>de</strong>n Vätern dafür einsteht, daß die Güter aus<br />

sich nieman<strong>de</strong>m gehören <strong>und</strong> daß auch die menschliche Natur<br />

als solche eine Aufteilung nicht for<strong>de</strong>rt, wird <strong>de</strong>r aristotelische<br />

Gedanke, daß das Privateigentum <strong>de</strong>r „Natur" <strong>de</strong>s Menschen<br />

entspräche, zurückgestellt. Das — im Zustand <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> lei­<br />

<strong>de</strong>r nicht durchführbare — I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Natur bleibt für Thomas<br />

eben doch <strong>de</strong>r freie Kommunismus. Zwar hat auch Aristoteles<br />

um <strong>de</strong>s Guten <strong>de</strong>r Tugend willen die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Güter<br />

gepriesen. Thomas kommt aber zu diesem Gedanken aus einer<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Richtung, nicht etwa nur wegen irgendwelcher<br />

Übung sittlicher Tugen<strong>de</strong>n wie <strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>schaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Frei­<br />

gebigkeit, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>r Überlegung, daß <strong>de</strong>r innere Sinn <strong>de</strong>r<br />

Güter niemals auf diesen o<strong>de</strong>r jenen Menschen abzielen kann,<br />

son<strong>de</strong>rn nur auf <strong>de</strong>n Menschen überhaupt. Er kommt daher zur<br />

Formulierung, daß es nach <strong>de</strong>m „Naturrecht" keine Unter­<br />

scheidung im Besitz gäbe (66,2 Zu 1). Und da für Thomas, <strong>de</strong>n<br />

Theologen, die innere Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Güter einer ewi­<br />

gen Absicht Gottes entspricht, lastet in seiner Lehre die soziale<br />

Verpflichtung auf <strong>de</strong>m Menschen zugleich als eine religiöse Ver­<br />

antwortung. So hat es Thomas verstan<strong>de</strong>n, Aristoteles auf-<br />

242


zunehmen <strong>und</strong> im Sinne <strong>de</strong>s christlichen Denkens weiterzufüh­<br />

ren.<br />

[6] Dasjenige, was durch die menschliche Vernunft erschlos­<br />

sen wird, zählt nach Thomas zu <strong>de</strong>n naturgegebenen Sachver­<br />

halten. Nimmt man nun die Lehre <strong>de</strong>s zweiten Artikels hinzu,<br />

dann muß man sagen, daß das durch die Vernunft Erschlossene<br />

zum Naturrecht gehört. Thomas aber kann hier, wo es um die<br />

Erklärung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s „jus gentium" geht, diese Formulie­<br />

rung nicht anwen<strong>de</strong>n, weil es ja nun gera<strong>de</strong> darauf ankommt,<br />

jenes Eigentümliche herauszuheben, das gemäß <strong>de</strong>r Tradition<br />

im jus gentium enthalten ist, nämlich ein <strong>Recht</strong> zu sein, das bei<br />

allen Menschen „im Gebrauch" ist. Da <strong>de</strong>m jus gentium <strong>de</strong>r<br />

stoische Naturrechtsbegriff gegenübersteht, wonach Natur­<br />

recht alles das ist, was unmittelbar im animalischen Trieb <strong>de</strong>s<br />

Menschen beschlossen ist, kann Thomas nicht sagen, das jus<br />

gentium sei Naturrecht. Denn das stoische Naturrecht ist da,<br />

bevor die Menschen <strong>de</strong>nken, es ist also nicht erst <strong>de</strong>swegen<br />

<strong>Recht</strong>, weil die Menschen irgendwie im vernünftigen Verkehr es<br />

gestalten, also „gebrauchen". Die vernünftige <strong>Recht</strong>sgestaltung<br />

<strong>de</strong>s Menschen ist aber ebenfalls als etwas Natürliches für <strong>de</strong>n<br />

Menschen zu bezeichnen. Und sofern diese Vernunft auf einer<br />

objektiven Sachanalyse beruht, ist dieses <strong>Recht</strong> Naturrecht.<br />

Das jus gentium ist aber kein an<strong>de</strong>res als das vernünftige, auf<br />

objektiver Sachanalyse beruhen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>, darum Naturrecht.<br />

[7] Die Ehe be<strong>de</strong>utet zwar eine Liebesgemeinschaft <strong>und</strong><br />

insofern begrün<strong>de</strong>t sie eine Gemeinschaft, die über die <strong>Recht</strong>s­<br />

ordnung herausragt. An<strong>de</strong>rerseits baut dieses gemeinschaft­<br />

liche Leben auf einem gegenseitigen Vertrag auf. Und zwar<br />

bestimmt dieser Vertrag das Wesen <strong>de</strong>r Ehe. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e bewahrheitet sich hier die Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aus­<br />

geprägter als etwa im Verhältnis vom Vater zum Sohn.<br />

[8] Aus diesem Gr<strong>und</strong>e sprechen wir auch vom Menschen­<br />

recht <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s gegenüber <strong>de</strong>n Eltern. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

auf eine angemessene Erziehung ist darum nicht nur ein <strong>Recht</strong>,<br />

das sich an die Gesellschaft o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Staat, son<strong>de</strong>rn in erster<br />

Linie an die Eltern richtet. Der Staat hat darum in subsidiärer<br />

Dienstleistung zunächst Maßnahmen zu ergreifen, daß von Sei­<br />

ten <strong>de</strong>r Eltern die Pflicht <strong>de</strong>r Erziehung erfüllt wer<strong>de</strong>n kann. Die<br />

243


Eltern ihrerseits haben wie<strong>de</strong>rum mit ihrer Pflicht gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Kin<strong>de</strong> zugleich auch ein <strong>Recht</strong>, die Erziehung ihres Kin<strong>de</strong>s<br />

selbst zu bestimmen. (Näheres bei A. F. Utz, Sozialethik, Teil<br />

III, Bonn 1986, 131 ff.)<br />

[9] Wie Th. Graf (De subjecto psychico gratiae et virtutum<br />

sec. doctrinam scholasticorum usque ad medium saeculum<br />

XIV. Pars prima, De subjecto virtutum cardinalium, Roma<br />

1935, 27f.) nachwies, hat Aristoteles mit größter Wahrschein­<br />

lichkeit die <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht in <strong>de</strong>n Willen, son<strong>de</strong>rn in das<br />

sinnliche Strebevermögen verlegt. Daß dabei in <strong>de</strong>r aristoteli­<br />

schen Definition <strong>de</strong>s Willens Erwähnung getan wird, kann diese<br />

Ansicht von Graf nicht entkräften, weil dies auch bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Tugen<strong>de</strong>n geschieht. Dem thomasischen Schema <strong>de</strong>r Tugen­<br />

<strong>de</strong>n lag es näher, die <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>m Willen zuzuteilen. Im<br />

sinnlichen Strebevermögen war in <strong>de</strong>r thomasischen Vorstel­<br />

lung für die <strong>Gerechtigkeit</strong> kein Raum mehr. Darum wird <strong>de</strong>r in<br />

Art. 1, Einwand 1 zitierte aristotelische Text nach <strong>de</strong>m thomasi­<br />

schen Schema ausgelegt. Allerdings ergeben sich für die Erklä­<br />

rung, warum <strong>de</strong>r Wille einer Tugend bedarf <strong>und</strong> nicht schon von<br />

Natur auf das Gute <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ausgerichtet sei, beson­<br />

<strong>de</strong>re Schwierigkeiten. Die Frage wur<strong>de</strong> eingehend besprochen<br />

in meinem Kommentar zu I—II 56,6 (DT, Bd. 11, S. 545 ff.).<br />

[10] Der Artikel han<strong>de</strong>lt von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Dabei ist <strong>de</strong>r Zugang zu diesem Objekt bei Thomas ein ganz<br />

an<strong>de</strong>rer als etwa bei uns heute. Wir wür<strong>de</strong>n das Problem formu­<br />

lieren: Gibt es eine Gemeinwohlgerechtigkeit? Thomas aber<br />

kommt hier vom aristotelischen Gedankengut her (das seiner­<br />

seits platonische Elemente enthält) <strong>und</strong> fragt: In welchem Sinne<br />

kann die <strong>Gerechtigkeit</strong> eine umfassen<strong>de</strong> Tugend sein? Nach<br />

platonischer Auffassung mün<strong>de</strong>te je<strong>de</strong> Tugend in die Gerechtig­<br />

keit, ja im Gr<strong>und</strong>e war je<strong>de</strong> Tugend <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nach Aristo­<br />

teles ist die <strong>Gerechtigkeit</strong> die überragen<strong>de</strong>, alle Tugen<strong>de</strong>n um­<br />

greifen<strong>de</strong> sittliche Haltung. Es stellt sich also für Thomas, <strong>de</strong>r<br />

bisher von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als einer eigenen, nämlich einer<br />

Kardinaltugend gesprochen hat, die Frage, in welchem Sinne<br />

diese nun eine allgemeine Tugend sein könne. Bei <strong>de</strong>r Untersu­<br />

chung <strong>de</strong>s Begriffes „allgemein" stellt sich sodann heraus, daß<br />

man in einem doppelten Sinn von einer allgemeinen Gerechtig­<br />

keit sprechen kann: 1. im Sinne von Gemeinwohlgerechtigkeit,<br />

244


die <strong>de</strong>swegen allgemein genannt wird, weil ihr eigentümlicher<br />

Gegenstand ein vielen gemeinsames Objekt ist, die aber um<br />

ihres eigenen, nur ihr zugehörigen Gegenstan<strong>de</strong>s willen zu­<br />

gleich von <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n klar unterschie<strong>de</strong>n ist; 2. im<br />

Sinne einer Tugend mit universalem, allgemeinem Einfluß auf<br />

das gesamte sittliche Leben. In dieser Weise ist die Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit zugleich auch „allgemein", da sie alle Tugen­<br />

<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl ausrichtet. Die Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit ist ihrer Kraft nach gewissermaßen in allen Tugen<strong>de</strong>n<br />

„investiert", da sie allen ihre sittliche Stärke leiht, wie ähnlich<br />

die göttliche Liebe in alle Tugen<strong>de</strong>n einfließt. Vom ersten Ge­<br />

sichtspunkt spricht Thomas hier im fünften Artikel, vom zwei­<br />

ten in Art. 6.<br />

[11] Die Gesetzesgerechtigkeit (= Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit) regelt mittelbar, wie Thomas hier ausführt, auch die<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnisse zwischen <strong>de</strong>n einzelnen Menschen. Dage­<br />

gen bezieht sich die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, z.B. die Verkehrsge­<br />

rechtigkeit, nur auf das Verhältnis zum einzelnen Menschen.<br />

Die Gesetzesgerechtigkeit ist darum ein umspannen<strong>de</strong>res Ord­<br />

nungsprinzip als die Verkehrsgerechtigkeit. Mit an<strong>de</strong>ren Wor­<br />

ten: Die Verkehrsgerechtigkeit mit ihrem Aquivalenzprinzip<br />

hat sich <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unterzuordnen. Damit<br />

ist <strong>de</strong>m Liberalismus <strong>und</strong> Individualismus <strong>de</strong>r Kampf angesagt.<br />

Es ist <strong>de</strong>r Gedanke ausgesprochen, <strong>de</strong>n Leo XIII. in „Rerum<br />

novarum" <strong>und</strong> Pius XL in „Quadragesimo anno" unterstrichen<br />

haben, daß vom Gemeinwohl her jegliche individualrechtliche<br />

Freiheit ihre Begrenzung erhält. Wir fin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>nselben Gedan­<br />

ken noch schärfer in Art. 9 Zu 3 formuliert. Und es könnte dort<br />

scheinen, daß das Kollektiv über die Person gestellt wür<strong>de</strong>.<br />

Jedoch ist zu be<strong>de</strong>nken, daß das Gemeinwohl bei Thomas das<br />

gemeinsame Wohl vieler Personen ist. Dieses Gut geht über das<br />

Gut einer einzelnen Person.<br />

[12] Die Tugendmitte ist ein altes <strong>und</strong> beliebtes Thema <strong>de</strong>r<br />

Moral. Thomas hat es bereits in I—II 64 (vgl. meinen Kommen­<br />

tar in DT, Bd. 11, S. 606ff.) behan<strong>de</strong>lt. Für die <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

ergibt sich hier eine beson<strong>de</strong>re Schwierigkeit, weil sie, streng<br />

genommen, keine Mitte hat, da sie nicht zwischen zwei Lastern<br />

als Extremen steht. Denn gibt man <strong>de</strong>m Nächsten wissentlich<br />

mehr, als ihm zusteht, so ist dies Liebe. Gibt man ihm weniger,<br />

245


als ihm zusteht, dann ist dies Ungerechtigkeit. Dennoch kann<br />

man, so erklärt Thomas, sagen, die <strong>Gerechtigkeit</strong> sei zwischen<br />

zwei Extremen, insofern <strong>de</strong>r Sachverhalt, nämlich das<br />

Gerechte, zwischen mehr <strong>und</strong> zu wenig liegt. Die Tugendmitte<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>mnach eine sachbestimmte Mitte.<br />

[13] Gemeint ist <strong>de</strong>r übernatürlich leben<strong>de</strong> Mensch, <strong>de</strong>r sein<br />

„geistliches Leben" pflegt. Die göttliche Liebe ist die Wurzel <strong>de</strong>r<br />

Gaben <strong>de</strong>s Heiligen Geistes, wie Thomas in I—II 68,5 ausführt.<br />

In beson<strong>de</strong>rer Weise wird die Weisheit als die höchste Gabe <strong>de</strong>r<br />

vornehmsten Tugend, nämlich <strong>de</strong>r Liebe, zugeteilt (vgl. Fr. 45,<br />

Art. 1 u. 2).<br />

[14] Der Ausdruck „Teile" wird hier analog gebraucht (vgl.<br />

hierzu meinen Kommentar in DT, Bd. 11, S. 519). Der Begriff<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist ein Sammelbegriff, in <strong>de</strong>m eine Vielheit<br />

von sittlichen Haltungen <strong>und</strong> Kräften enthalten ist, die als<br />

„Teile" bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Je nach<strong>de</strong>m nun <strong>de</strong>r Denkprozeß<br />

von <strong>de</strong>m allgemeinen Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen, dazu gehören<strong>de</strong>n Elementen fortschreitet, spricht man in<br />

verschie<strong>de</strong>ner Weise von „Teilen" <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Geht <strong>de</strong>r<br />

logische Prozeß vom Gattungsbegriff zu <strong>de</strong>n Arten, dann<br />

kommt man, wie Thomas mit Aristoteles sagt, zu <strong>de</strong>n subjekti­<br />

ven Teilen. Geht er aber von <strong>de</strong>r noch unklaren zur klareren,<br />

„<strong>de</strong>taillierten" Betrachtung ein <strong>und</strong> <strong>de</strong>rselben Tugend, dann<br />

spricht Thomas von vervollständigen<strong>de</strong>n (integralen) Teilen.<br />

Wen<strong>de</strong>t sich schließlich die Betrachtung zu <strong>de</strong>n seelischen Ver­<br />

haltensweisen, die wohl mit <strong>de</strong>m Allgemeinbegriff <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit in Beziehung stehen, weil sie in irgen<strong>de</strong>iner, wenn auch<br />

abgeschwächten Weise noch etwas von <strong>Gerechtigkeit</strong> besagen,<br />

die aber doch nicht im strengen Sinn <strong>Gerechtigkeit</strong> sind, dann<br />

spricht man von potentiellen Teilen <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Hierzu<br />

gehören z. B. die Gottesverehrung, die Pietät u. a. (vgl. DT,<br />

Bd. 11, a.a.O.).<br />

[15] Das lateinische Wort „justitia commutativa" kann in<br />

dreifacher Weise sinngemäß übersetzt wer<strong>de</strong>n: 1. ausgleichen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, 2.Verkehrsgerechtigkeit, 3.Tauschgerechtigkeit.<br />

„Ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" drückt das eigentliche Wesen<br />

<strong>de</strong>ssen aus, was unter <strong>de</strong>r „kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong>" be­<br />

griffen ist, <strong>de</strong>nn das Eigene <strong>de</strong>r kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

246


esteht in <strong>de</strong>r vollen Äquivalenz, im mathematischen Ausgleich<br />

zwischen Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung. Diese Art <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit heißt Verkehrsgerechtigkeit, insofern dieses strenge<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen <strong>de</strong>n Menschen untereinan<strong>de</strong>r im<br />

gegenseitigen Verkehr von Individuum zu Individuum her­<br />

gestellt wird. Sie heißt Tauschgerechtigkeit, weil dieser individu­<br />

alrechtliche Verkehr in <strong>de</strong>r überwiegen<strong>de</strong>n Mehrheit sich in<br />

Form <strong>de</strong>r Tauschgeschäfte abspielt.<br />

[16] Thomas setzt hier <strong>de</strong>n strengen Begriff <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit auseinan<strong>de</strong>r, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß bei <strong>de</strong>r Verkehrsgerech­<br />

tigkeit das Äquivalenzprinzip im eigentlichen Sinne gelte, so<br />

daß die Verkehrsgerechtigkeit <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in<br />

ausgeprägtester Weise wie<strong>de</strong>rgibt. Eine an<strong>de</strong>re Frage aber ist<br />

nun, ob dieser Begriff in solch reiner Form in <strong>de</strong>r Wirklichkeit<br />

auch vorkommt. Die Beantwortung dieser Frage hängt davon<br />

ab, ob <strong>de</strong>r Mensch überhaupt als Nur-Individuum <strong>de</strong>nkbar ist<br />

o<strong>de</strong>r ob er nicht wesentlich das Verhältnis zum Nächsten <strong>und</strong><br />

zu einem Ganzen, in welchem er lebt, einschließt. Wie bereits<br />

aus Anm.[11] hervorgeht, gibt es keine Verkehrsgerechtigkeit,<br />

die von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unabhängig wäre. Dar­<br />

aus wird klar, daß die Vorstellung <strong>de</strong>r reinen Verkehrsgesell­<br />

schaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s sich aus ihr ergeben<strong>de</strong>n Äquivalenzprinzips eine<br />

reine Abstraktion be<strong>de</strong>utet, wie etwa in <strong>de</strong>r Wirtschaftstheorie<br />

<strong>de</strong>r sogenannte homo oeconomicus.<br />

[17] Wenngleich <strong>de</strong>r Mensch sein ganzes Tun auf das<br />

Gemeinwohl abstellen muß, kann er an<strong>de</strong>rerseits nicht erwar­<br />

ten, daß er die ganze Leistung durch die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit wie<strong>de</strong>rum zurückerhalte. Der Reiche zahlt mehr Steuern<br />

als <strong>de</strong>r Arme, während <strong>de</strong>r Arme mehr empfängt als <strong>de</strong>r Reiche.<br />

Man erkennt hier <strong>de</strong>utlich die Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Bewe­<br />

gung, welche <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, eigen ist:<br />

vom einzelnen zum Gemeinwohl (Gesetzesgerechtigkeit) <strong>und</strong><br />

von dort zum einzelnen (austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>). Diese Ver­<br />

schie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Bewegung, die sich in einer Verschie<strong>de</strong>nheit<br />

<strong>de</strong>r Leistung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Empfangens ausdrückt, ist für uns heute<br />

unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>r Sozialgerechtigkeit in einem begriffen<br />

(vgl. Exkurs II). Denn im Gr<strong>und</strong>e ist es bei<strong>de</strong> Male das Gemein­<br />

wohl, welches die Verschie<strong>de</strong>nheit in <strong>de</strong>r Leistung <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r<br />

Gegenleistung for<strong>de</strong>rt.<br />

247


[18] Der Traktat <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung bereitet, so einfach er<br />

in <strong>de</strong>r Theorie sein mag, in <strong>de</strong>r Praxis vielfältige Schwierigkei­<br />

ten. Alphonsv. Liguori schreibt, daß er in diesem Traktat wohl<br />

kaum <strong>de</strong>m Wertempfin<strong>de</strong>n aller entsprechen könne, obwohl er<br />

sich die größte Mühe gebe, das Gerechte zu treffen. Und er<br />

übertreibt nicht, wenn er schreibt: „Manchmal habe ich zur<br />

Ermittlung eines gerechten Urteils tagelang daran gearbeitet"<br />

(Theologia Moralis, Editio Leon. Gau<strong>de</strong>, II Nr. 547). Vor allem<br />

heikel <strong>und</strong> verwickelt wird die Frage nach <strong>de</strong>r Pflicht zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rerstattung dort, wo keine Schuld vorliegt: beim gutgläubi­<br />

gen Besitzer frem<strong>de</strong>n Eigentums, bei Schädigung durch Unge­<br />

schicklichkeit, Versehen, bei leichter Fahrlässigkeit.<br />

[19] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>r Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung in folgen<strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n Fällen: bei Schädigung am bereits<br />

bestehen<strong>de</strong>n Eigentum durch Diebstahl <strong>und</strong> bei Schädigung an<br />

<strong>de</strong>m zu erwarten<strong>de</strong>n Eigentumszuwachs (vgl. <strong>de</strong>n Text). Es<br />

wäre aber noch <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>nkbar, daß einer einem an<strong>de</strong>rn einen<br />

Scha<strong>de</strong>n zufügt, ohne sittlich schwer o<strong>de</strong>r überhaupt verant­<br />

wortlich zu sein (leichte Fahrlässigkeit o<strong>de</strong>r überhaupt völlige<br />

Schuldlosigkeit). Der Moralist kann die Verpflichtung zur Wie­<br />

<strong>de</strong>rgutmachung nur im Verhältnis zur schuldhaften Handlung<br />

for<strong>de</strong>rn. Darum kann nach ihm aus einer leichten Schuld — un­<br />

besehen <strong>de</strong>s dadurch entstan<strong>de</strong>nen großen Scha<strong>de</strong>ns — niemals<br />

eine schwere Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung entstehen.<br />

Aus einer völlig schuldlosen Schädigung ergibt sich überhaupt<br />

keine Restitutionspflicht. Solche schuldlose Schädigung fällt<br />

unter das Kapitel „Betriebsunfall <strong>de</strong>r Menschlichkeit". Mit sol­<br />

chen Betriebsunfällen muß je<strong>de</strong>rmann ebensogut rechnen wie<br />

mit einer rein naturhaften Einwirkung wie Blitz <strong>und</strong> Hagel.<br />

Die Sachlage än<strong>de</strong>rt sich allerdings, wenn das richterliche Urteil<br />

dazwischengreift, weil dann im Hinblick auf eine allgemeine<br />

Ordnung <strong>de</strong>r einzelne um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen zu einem<br />

Scha<strong>de</strong>nersatz sittlich <strong>und</strong> rechtlich verpflichtet wird, wozu er<br />

sonst nicht gehalten wäre. Die diesbezüglichen Ausführungen<br />

bei Alphonsv. Liguori sind klar <strong>und</strong> tief durchdacht.<br />

[20] Es ist hier nicht nur von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rerstattung gestohle­<br />

nen Gutes die Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn überhaupt von <strong>de</strong>r Rückgabe jeg­<br />

lichen Gutes, wie immer man es erhalten hat, selbst auch als<br />

Gut <strong>de</strong>r Aufbewahrung. Ein Gut ist, wie im Artikel dargelegt<br />

wird, <strong>de</strong>m zurückzuerstatten, von <strong>de</strong>m es rechtlich stammt.<br />

248


[21] Unter Simonie versteht man <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l mit geistlichen<br />

Dingen.<br />

[22] Im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r hier besprochenen Rück­<br />

gabe steht die Frage nach <strong>de</strong>r Rückerstattung von frem<strong>de</strong>n<br />

Gütern, die man guten Glaubens übernommen hat. Es sei hier­<br />

für auf die Moralbücher verwiesen. D. Prümmer (Manuale<br />

Theologiae Moralis, II, Ed. 9,Friburgi 1940, pg. 187f.) erklärt<br />

mit <strong>Recht</strong>, daß es wenige moraltheologische Traktate gäbe, in<br />

welchen die Autoren unter sich so uneins seien wie in diesem.<br />

[23] Die Scholastik unterschei<strong>de</strong>t die Gebote in for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong><br />

Gebote <strong>und</strong> Verbote. Das for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r affirmative Gebot<br />

verlangt von <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihm unterworfen ist, eine ganz<br />

bestimmte Handlung, unter Umstän<strong>de</strong>n, sogar eventuell zu<br />

einer bestimmten Zeit, einem bestimmten Ort (z. B. Sonntags­<br />

heiligung durch Besuch <strong>de</strong>r heiligen Messe). Das Verbot unter­<br />

sagt bestimmte Handlungen, verlangt also eine Unterlassung<br />

von bestimmten Akten (nicht stehlen, nicht töten.)<br />

[24] Über diese Meinung, die Thomas im Anschluß an Ari­<br />

stoteles auch sonst vorträgt, vergleiche beson<strong>de</strong>rs I 118,2 Zu 2,<br />

DT, Bd. 8, S. 301 ff., ebendort in Anm. [94] S.383 die Lite­<br />

ratur zu dieser Frage <strong>und</strong> im Kommentar S. 596 die heutige<br />

Auffassung.<br />

[25] Es ist wohl zu beachten, daß es sich um einen Verbre­<br />

cher han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>ssen To<strong>de</strong>sstrafe <strong>de</strong>m Gemeinwohl zugeordnet<br />

wird. Es wi<strong>de</strong>rspräche völlig <strong>de</strong>m Gedanken <strong>de</strong>s hl. Thomas,<br />

wollte man <strong>de</strong>n Satz dahin auslegen, daß überhaupt je<strong>de</strong><br />

Tötung, „sofern sie auf das Wohl <strong>de</strong>r ganzen Gemeinschaft hin­<br />

geordnet ist", erlaubt sei.<br />

[26] Vgl. hierzu Canon 9 <strong>de</strong>s 4. Laterankonzils (1215): „Kein<br />

Kleriker darf ein To<strong>de</strong>surteil befehlen o<strong>de</strong>r fällen, auch darf er<br />

die To<strong>de</strong>sstrafe nicht ausführen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Vollstreckung beiwoh­<br />

nen."<br />

[27] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>r doppelten <strong>Recht</strong>sausrü­<br />

stung eines Klerikers (Bischofs o<strong>de</strong>r Abtes): <strong>de</strong>r kirchlichen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r weltlichen. Ein Bischof konnte damals als weltlicher Fürst<br />

249


auch die Jurisdiktion in weltlichen Dingen haben. Er hätte also<br />

an sich auch die rechtliche Befugnis haben müssen, die To<strong>de</strong>s­<br />

strafe zu verhängen. „Dennoch", so sagt Cajetan, <strong>de</strong>r diese<br />

Stelle im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas erklärt, „war es klar, daß ein<br />

Bischof als weltlicher Herr nicht ein To<strong>de</strong>surteil fällen, Krieg<br />

führen <strong>und</strong> ähnliches vollführen kann, was er zwar könnte,<br />

wenn er nur weltlicher Herr wäre. Jedoch wird die weltliche<br />

Herrschaft durch die geistliche gemäßigt, so daß, was immer<br />

sich für <strong>de</strong>n Prälaten nicht ziemt, auch <strong>de</strong>m Herrn nicht ziemt,<br />

<strong>de</strong>r zugleich Prälat <strong>und</strong> Herr ist."<br />

[28] Der Artikel hat seine beson<strong>de</strong>re geschichtliche Be<strong>de</strong>u­<br />

tung im Hinblick auf die Sekte <strong>de</strong>r Katharer. Manche „Vollkom­<br />

menen" (die Vollkommenen bil<strong>de</strong>ten <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Sekte),<br />

namentlich solche, die in schwerer Krankheit die sogenannte<br />

Geistestaufe empfangen hatten, suchten die Gefahr <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

<strong>und</strong> damit eine Verletzung <strong>de</strong>s Sakramentes dadurch zu ver­<br />

mei<strong>de</strong>n, daß sie sich <strong>de</strong>m Hungertod (Endura) preisgaben. Vgl.<br />

Bihlmeyer-Tüchle, Kirchengeschichte, 2.Teil: Das Mittelalter,<br />

1948 12 , S.212.<br />

[29] Cajetan gibt in seinem Kommentar <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels treffend wie<strong>de</strong>r: „Auf zweifache Weise kann die Tötung <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn auf die Bewahrung <strong>de</strong>s eigenen Lebens hingeordnet<br />

sein: 1. als Mittel zum Ziel, 2. als Folge aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit<br />

<strong>de</strong>s Zieles ... Sowohl das Ziel wie das Mittel zum Ziele fallen<br />

unter die Absicht, wie dies beim Arzt offenbar ist, <strong>de</strong>r durch<br />

einen Trunk o<strong>de</strong>r eine Diät die Ges<strong>und</strong>heit beabsichtigt. Das<br />

aber, was aus <strong>de</strong>r Notwendigkeit <strong>de</strong>s Zieles sich ergibt, fällt<br />

nicht unter die Absicht, son<strong>de</strong>rn ergibt sich als etwas Nicht-<br />

Beabsichtigtes, wie dies z.B. bezüglich <strong>de</strong>r Schwächung <strong>de</strong>s<br />

Kranken, die aus <strong>de</strong>r heilen<strong>de</strong>n Medizin folgt, offenbar ist.<br />

Gemäß diesen bei<strong>de</strong>n Arten kann je verschie<strong>de</strong>n eine Amtsper­<br />

son <strong>und</strong> eine Privatperson erlaubterweise töten. Die Amtsper­<br />

son ordnet wie <strong>de</strong>r Soldat die Tötung <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s als Mittel auf<br />

das <strong>de</strong>m Gemeinwohl untergeordnete Ziel hin... Die Privat­<br />

person hat nicht die Absicht zu töten, um sich zu retten, son­<br />

<strong>de</strong>rn beabsichtigt, sich zu retten <strong>und</strong> sich <strong>de</strong>r Selbstverteidigung<br />

nicht zu enthalten, auch wenn aus dieser sich <strong>de</strong>r Tod <strong>de</strong>s<br />

an<strong>de</strong>rn notwendigerweise ergeben wür<strong>de</strong>. Und so tötet dieser<br />

nur beiläufig, jener aber an sich."<br />

250


[30] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>n Irregularitäten, wodurch<br />

<strong>de</strong>rjenige, welcher ihnen verfallen ist, sowohl von <strong>de</strong>m Empfang<br />

einer Weihevollmacht ausgeschlossen wie auch an <strong>de</strong>ren Aus­<br />

übung gehin<strong>de</strong>rt ist. Abgesehen von gewissen schuldhaften<br />

Handlungen, auf welche eine Irregularität folgt, anerkennt das<br />

kanonische <strong>Recht</strong> auch Irregularitäten auf Gr<strong>und</strong> irgendwel­<br />

cher äußerer, <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>s Klerikers wi<strong>de</strong>rsprechen<strong>de</strong>r<br />

Unziemlichkeiten. Unter diese gehörte zu Thomas' Zeiten<br />

auch die unfreiwillige Tötung in <strong>de</strong>r Selbstverteidigung. Heute<br />

jedoch nicht mehr, ebenso wenig <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re von Thomas<br />

erwähnte Fall.<br />

[31] Unzucht <strong>und</strong> Ehebruch sind an sich schlecht, können<br />

also niemals auf ein gutes Ziel hingeordnet wer<strong>de</strong>n. Dagegen ist<br />

die Tötung eines Menschen in sich nicht schlecht; <strong>de</strong>nn sie<br />

geschieht auch auf gerechte Weise, wie z. B. in <strong>de</strong>r Vollstrek-<br />

kung eines gerechten To<strong>de</strong>surteils.<br />

[32] /. Le Foyer (Expose du droit penal normand au XIIP<br />

siecle, Paris 1931,53) berichtet von einer Bestimmung <strong>de</strong>s nor­<br />

mannischen <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>s 13. Jahrh<strong>und</strong>erts, wonach <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r einen an<strong>de</strong>rn durch Zufall getötet hat, zwar keiner Strafe<br />

unterliegt, jedoch die von <strong>de</strong>r Kirche verhängte Buße überneh­<br />

men muß.<br />

[33] Der Einwand ist in seinem logischen Aufbau ziemlich<br />

verwickelt. Es han<strong>de</strong>lt sich in diesem Artikel um die Beleidigun­<br />

gen, die man jeman<strong>de</strong>m zufügt, <strong>de</strong>r mit einer an<strong>de</strong>rn Person<br />

(Hauptperson) als verwandt angenommen wird. Z.B. sei <strong>de</strong>r<br />

Ehemann die in Frage stehen<strong>de</strong> Hauptperson. Wer nun die Ehe­<br />

frau beleidigt, beleidigt zugleich <strong>de</strong>n Mann. Nun ist aber die<br />

Frau, wenn sie freiwillig mit einem frem<strong>de</strong>n Manne Unzucht<br />

treibt, selbst nicht beleidigt (<strong>de</strong>nn gemäß 59,3 ist niemand<br />

Opfer einer Beleidigung, wenn er mit <strong>de</strong>r Handlung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn<br />

einverstan<strong>de</strong>n ist). Also, so scheint es, kann auch <strong>de</strong>r Mann<br />

nicht beleidigt sein, weil <strong>de</strong>r Mann als verwandte Hauptperson<br />

nur beleidigt wird, sofern seine Verwandte, d. h. in diesem Falle<br />

die Ehefrau, wirklich beleidigt ist.<br />

[34] Der Ausdruck „Besitz" darf nicht etwa schon im Sinne<br />

von Privateigentum aufgefaßt wer<strong>de</strong>n. Im Vergleich zu <strong>de</strong>n Be-<br />

251


griffenproprietas (Eigentum) <strong>und</strong> dominium (Herrschaft) ist <strong>de</strong>r<br />

Begriff possessio (Besitz) <strong>de</strong>r allgemeinste bei Thomas (vgl.<br />

hierzu: C. Spicq, Notes <strong>de</strong> lexicographie philosophique medie-<br />

vale: „Dominium, possessio, proprietas" chez S.Thomas et<br />

chez les juristes romains, RSPTh 18, 1929, 269-281; <strong>de</strong>rs., La<br />

notion analogique <strong>de</strong> „Dominium" et le droit <strong>de</strong> propriete,<br />

RSPTh 20,1931,52-76). Wenn also Thomas hier erklärt, daß es<br />

<strong>de</strong>m Menschen natürlich sei, die äußeren Güter zu besitzen,<br />

dann hat dies noch nichts mit einer Verteidigung <strong>de</strong>s Naturrech­<br />

tes auf Privateigentum zu tun. Der Artikel ist keineswegs ari­<br />

stotelisch (vgl. Anm. [5]). Er hält sich voll <strong>und</strong> ganz in <strong>de</strong>r Linie<br />

<strong>de</strong>r Väter. Eine aristotelische Auslegung allerdings müßte aus<br />

diesem Artikel herauslesen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe eine natür­<br />

liche Veranlagung, die Dinge für sich selbst zu besitzen, ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>m aristotelischen Gedanken, daß <strong>de</strong>r Mensch von<br />

Natur (!) zunächst auf das eigene Wohl <strong>und</strong> dann erst auf das<br />

Gemeinwohl abziele. Doch kann hiervon in unserem Artikel<br />

keine Re<strong>de</strong> sein, wenngleich Thomas <strong>de</strong>n Philosophen Aristote­<br />

les als Gewährsmann heranzieht. Thomas bleibt hier <strong>de</strong>m alt­<br />

christlichen Gedankengut treu, daß Gott die Welt für <strong>de</strong>n Men­<br />

schen geschaffen habe, damit <strong>de</strong>r Mensch, nicht irgen<strong>de</strong>in ein­<br />

zelner, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch überhaupt, sie zu Seiner Ehre<br />

„benütze", d. h. über die Dinge herrsche, sie sich zu eigen mache,<br />

soweit die Dinge überhaupt <strong>de</strong>m Menschen gehorchen können.<br />

Es ist also auch nicht, wie man es gemeint hat, davon die Re<strong>de</strong>,<br />

daß <strong>de</strong>r Einzelmensch nur ein N<strong>utz</strong>recht habe. Denn sobald man<br />

<strong>de</strong>n Einzelmenschen einführt, steigt man ins Private hinab.<br />

Thomas will aber hier nicht vom Individuellen <strong>und</strong> Privaten<br />

re<strong>de</strong>n. Der Einzelne wird gegen <strong>de</strong>n Einzelnen nicht abgeho­<br />

ben. Es ist nur die Re<strong>de</strong> vom Menschen als solchem. Dieser<br />

Mensch ist eine abstrakte, i<strong>de</strong>elle Größe, die zwar potentiell die<br />

einzelnen in sich birgt, aber nicht ausspricht. Es ist daher meta­<br />

physisch unmöglich, daß im ersten Artikel von Privateigentum<br />

gesprochen wer<strong>de</strong>. Aus <strong>de</strong>mselben Gr<strong>und</strong> ist es aber auch aus­<br />

geschlossen, daß irgendwie ein Kollektiv gemeint sei; <strong>de</strong>nn die<br />

Vorstellung <strong>de</strong>s Kollektivs schließt bereits <strong>de</strong>n ausdrücklichen<br />

Gedanken an die vielen in sich, die als viele eins sein sollen. Der<br />

Universalbegriff „Mensch" ist kein Kollektivbegriff, er ist eine<br />

Einheit, die potentiell viele einschließt. In diesem Zusammen­<br />

hang ist es zu begreifen, daß Thomas, <strong>de</strong>r die ganze Ethik <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s unter <strong>de</strong>m Gesichtspunkt <strong>de</strong>r universalen natura<br />

252


humana sieht, nicht sagen konnte, das „Privateigentum" sei<br />

„naturrechtlich" im Sinne <strong>de</strong>r natura humana. In <strong>de</strong>r natura<br />

humana gibt es eben noch kein „privat", wie ebensowenig ein<br />

„kollektiv".<br />

Dieses nach <strong>de</strong>m Privaten <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Kommunistischen (Kol­<br />

lektiven) hin noch Indifferentsein <strong>de</strong>r materiellen Güter<br />

bezeichnet man als negativen Kommunismus.<br />

Von hier aus ergeben sich nun zunächst zwei Möglichkeiten<br />

<strong>de</strong>s Abstiegs ins Individuelle:<br />

X.Privateigentum, 2.Gütergemeinschaft (Kollektivbesitz),<br />

d. h. positiver Kommunismus, <strong>de</strong>r natürlich verschie<strong>de</strong>n stark<br />

ausgeprägt sein kann (bezüglich <strong>de</strong>r Produktionsgüter <strong>und</strong><br />

Konsumgüter). Der positive Kommunismus aber ist wie<strong>de</strong>rum<br />

doppelt möglich: a) als ethischer Kommunismus, insofern alle<br />

Einzelglie<strong>de</strong>r aus innerer Freiheit <strong>und</strong> I<strong>de</strong>alismus alles ins<br />

Gemeinwohl tragen (in diesem Sinne sprachen die Kirchenväter<br />

im allgemeinen von <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft <strong>de</strong>s Paradiesesmen­<br />

schen <strong>und</strong> sprachen sich manche Väter für das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Kom­<br />

munismus auch nach <strong>de</strong>m Sün<strong>de</strong>nfalle aus); b) als rechtlicher<br />

Zwangskommunismus. Thomas nimmt nun erst hier, wo es<br />

darum geht, vom negativen Kommunismus aus sich für eine <strong>de</strong>r<br />

potentiell <strong>de</strong>nkbaren Formen <strong>de</strong>r konkreten Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>r Eigentumsordnung zu entschei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>n aristotelischen<br />

Gedanken auf. Das Privateigentum wird darum bei ihm erst<br />

zum Naturrecht in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Natur, nicht schon in <strong>de</strong>r natura humana als solcher (vgl. <strong>de</strong>n<br />

Kommentar).<br />

[35] Die Stelle stammt aus Cicero, <strong>de</strong>r sie seinerseits Chrysipp<br />

entleiht (vgl. Kommentar).<br />

[36] Thomas zitiert diesen Augustinustext wohl im Hinblick<br />

auf die damals die Kirche stark beunruhigen<strong>de</strong>n Apostoliker<br />

o<strong>de</strong>r Apostelbrü<strong>de</strong>r, die auf Gerard Segarelli von Parma zurück­<br />

gehen. Dieser versuchte, von <strong>de</strong>n Franziskanern abgewiesen,<br />

seit 1260 in eigener Institution <strong>und</strong> unabhängig von <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Obrigkeit mit Gleichgesinnten das apostolische Leben in<br />

Armut <strong>und</strong> Wan<strong>de</strong>rpredigt zu erneuern. Honorius IV. (1286)<br />

<strong>und</strong> Nikolaus IV (1290) haben gegen die Bru<strong>de</strong>rschaft dieser<br />

„Pseudoapostel" scharfe Verbote erlassen. Gerard Segarelli<br />

wur<strong>de</strong> 1294 von <strong>de</strong>r Inquisition zu dauern<strong>de</strong>m Kerker verurteilt<br />

253


<strong>und</strong> 1300 als „rückfälliger Häretiker" verbrannt. Vgl. Bihlmeyer-<br />

Tüchle, a. a. 0.309.<br />

[37] Daß das Privateigentum durch eine „Ausweitung", d. h.<br />

einen logischen Denkprozeß zum allgemeinen Naturrecht<br />

erschlossen wird, läßt sich leicht begreifen, wenn man sich an<br />

das in Anm. [34] Gesagte erinnert, daß nämlich im allgemeinen<br />

Naturrecht (d. h. in jenem <strong>Recht</strong>, das in <strong>de</strong>r allgemeinen natura<br />

humana unmittelbar enthalten ist) nur <strong>de</strong>r negative Kommunis­<br />

mus steht.<br />

[38] Die isidorische Wort<strong>de</strong>utung stützt sich auf die Institu­<br />

tionen Justinians (IV. I §2). Etymologisch ist sie nicht richtig.<br />

Der Stamm von furtum ist für, <strong>und</strong> für kommt vom griechischen<br />

phor (= Dieb). Was nun die inhaltliche Verwandtschaft angeht,<br />

so steht, wie Thomas in Fr. 108,8 Zu 3 sagt, furtum (Diebstahl)<br />

<strong>de</strong>m Begriff fraus (Betrug) nahe.<br />

[39] Thomas gibt hier eine Erklärung <strong>de</strong>r Justinianischen<br />

Institutionen (IV, I §9). Dort wird nämlich als Gegenstand <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls dasjenige bezeichnet, was in <strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn<br />

steht. Da die Gattin nicht als willenlose Sache unter <strong>de</strong>r Gewalt<br />

<strong>de</strong>s Mannes steht, kann die Entführung <strong>de</strong>r Gattin nicht als<br />

Diebstahl bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Dagegen haben die Justiniani­<br />

schen Institutionen die heimliche Entführung eines Kin<strong>de</strong>s als<br />

Diebstahl angesehen.<br />

[40] Es klingt vielleicht eigenartig, wenn Thomas hier <strong>de</strong>m<br />

Dieb einer Sache ein gewisses <strong>Recht</strong> auf die Sache einräumt.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch hat <strong>de</strong>r Dieb die Sache nicht ganz rechtsunab­<br />

hängig in Besitz, insofern er, solange er die gestohlene Sache<br />

nicht zurückgegeben hat, die Pflicht hat, dieselbe im Interesse<br />

<strong>de</strong>s Eigentümers unversehrt zu bewahren. Wenn also ein Eigen­<br />

tümer seine Sache auf geheimem Wege zurückholen wollte,<br />

dann wür<strong>de</strong> er damit die innere sittliche Verpflichtung <strong>de</strong>s Die­<br />

bes zur Rückgabe nicht beheben, da <strong>de</strong>r Dieb immer noch sitt­<br />

lich als Dieb zu betrachten ist, wenngleich er es vielleicht posi­<br />

tivrechtlich nicht mehr sein mag. Vgl. Art. 5 Zu 1.<br />

[41] Das Beispiel vom Raub <strong>de</strong>r Israeliten in Ägypten fin<strong>de</strong>t<br />

sich bereits bei Irenaus. Vgl. Kommentar zu 66,2.<br />

254


[42] Vgl. Anm. [40]. Thomas beweist hier wie<strong>de</strong>rum seinen<br />

Sinn für die Ordnung in <strong>de</strong>r Gesellschaft. Der or<strong>de</strong>ntliche Weg,<br />

seine Habe aus Diebeshand zurückzuholen, ist nicht die<br />

geheime Heimholung, son<strong>de</strong>rn, sofern <strong>de</strong>r Dieb sie nicht frei­<br />

willig zurückerstattet, <strong>de</strong>r gerichtliche Prozeß.<br />

[43] Die Lehre <strong>de</strong>s Artikels wird leicht einsichtig, wenn man<br />

sich vergegenwärtigt, daß <strong>de</strong>r ursprüngliche Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt<br />

nicht <strong>de</strong>r einzelne, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch überhaupt ist. Vgl.<br />

Anm. [34] <strong>und</strong> [37] sowie Kommentar zu 66,2. Auch hier wird<br />

wie<strong>de</strong>r einmal mehr <strong>de</strong>utlich, wie stark Thomas es mit <strong>de</strong>r<br />

Väterlehre vom negativen Kommunismus hält.<br />

[44] Die augustinische Auffassung hängt mit <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r<br />

Stoa beeinflußten Lehre zusammen, daß man nur das in Wirk­<br />

lichkeit als sein Eigentum betrachten könne, wovon man einen<br />

sittlich-guten Gebrauch macht. Da nun die Ungläubigen keinen<br />

für das ewige Leben gültigen Gebrauch von <strong>de</strong>n Gütern<br />

machen können, so scheinen sie vom Eigentumsrecht ausge­<br />

schlossen zu sein. Vgl. Kommentar zu 66,2, wo die Väterlehre<br />

<strong>de</strong>s näheren dargestellt ist.<br />

[45] Thomas sieht in <strong>de</strong>r Scham eine Furchtempfindung, die<br />

sowohl vor wie nach <strong>de</strong>r schlechten Tat steht. Denn theologisch<br />

gesehen ist es je<strong>de</strong>smal dieselbe Furcht vor <strong>de</strong>m einen ewigen<br />

Richter, <strong>de</strong>r vor einer schlechten Tat warnt, wie Er auch nachher<br />

sie zu strafen willens ist.<br />

[46] Ein Kloster ist exemt, wenn es <strong>de</strong>r bischöflichen Juris­<br />

diktion entzogen ist.<br />

[47] Wie <strong>de</strong>r Kommentar von Cajetan beweist, wur<strong>de</strong> die<br />

Frage <strong>de</strong>s Artikels viel diskutiert. Die rechtsformalistische<br />

Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas, wonach <strong>de</strong>r Richter nicht nach eige­<br />

nem, wenn auch noch so sicherem Wissen, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n<br />

Zeugenaussagen, d.h. nach <strong>de</strong>r rechtlichen Form zu urteilen<br />

habe, scheint in <strong>de</strong>r Tat gegen das Naturrecht zu stehen, gemäß<br />

welchem ein Unschuldiger ein naturgegebenes <strong>Recht</strong> auf Frei­<br />

spruch hat. Heute tritt ein Richter, <strong>de</strong>r nach privatem Wissen<br />

„gerechter" zu urteilen versteht als nach <strong>de</strong>m Wissen, das er<br />

durch die Zeugenaussagen gewinnt, in <strong>de</strong>n Ausstand. Auch<br />

255


Thomas kennt diese Pflicht <strong>de</strong>s Richters, wie aus 64,6 Zu 3 her­<br />

vorgeht. Damit ist <strong>de</strong>m Artikel je<strong>de</strong> Härte genommen.<br />

[48] Vgl. hierzu E. Chenon, Histoire generale du Droit fran-<br />

cais publique et prive <strong>de</strong>s origines ä 1815,1, Paris 1926, 663:<br />

„Das Prozeßverfahren war dasselbe in Zivil- <strong>und</strong> in Strafsa­<br />

chen. In Strafsachen gab es nämlich keine amtliche Klage. Das<br />

Verfahren ging immer vom Kläger aus, d. h. die rechtliche Ver­<br />

folgung war einzig Sache <strong>de</strong>s Beleidigten o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>ssen Ver­<br />

wandten. Wenn diese nicht eingriffen, gab es keinen Prozeß,<br />

auch nicht in Strafsachen". Dagegen steht die Entwicklung zum<br />

Inquisitionsverfahren. Vgl. Anmerkung [51].<br />

[49] Wir übersetzen hier „sufficiens" sinngemäß mit „voll­<br />

gültig", nicht mit „genügend". Denn es ist Thomas hier um eine<br />

wirksame, nicht etwa nur hinlängliche Zeugenaussage zu<br />

tun. Vgl. zum Begriff „sufficiens" M.-D. Chenu, Sufficiens, in<br />

RSPTh 22, 1933, 251-259.<br />

[50] Das gerichtliche Verfahren war bis ins 12. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

hinein nur mündlich. Erst gegen En<strong>de</strong> <strong>de</strong>s 12. Jahrh<strong>und</strong>erts tritt<br />

<strong>de</strong>r Gerichtsschreiber auf. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.663.<br />

[51] Thomas <strong>de</strong>utet hier bereits das Verfahren <strong>de</strong>s Inquisi­<br />

tionsprozesses an. Im Gegensatz zum Anklageprozeß über­<br />

nimmt hier das Gericht selbst die Aufspürung <strong>de</strong>s strafwürdi­<br />

gen Gegenstan<strong>de</strong>s, meist geführt durch eine Anzeige (nicht also<br />

durch eine eigentliche Klage). Vgl. E. Chenon, a. a. 0.712f. All­<br />

gemein über die Entwicklung <strong>de</strong>s Inquisitionsverfahrens orien­<br />

tiert <strong>de</strong>r Artikel „Inquisition" von G. Schnürerim LThK V, 1933,<br />

419ff.<br />

[52] Durch die Anklage tritt nach Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>de</strong>r<br />

Kläger nach Art eines Prozeßkontraktes mit <strong>de</strong>m Angeklagten<br />

in das Verhältnis <strong>de</strong>r strengen <strong>Gerechtigkeit</strong> (Verkehrsgerech­<br />

tigkeit) . Der Kläger verstößt gegen diese <strong>Gerechtigkeit</strong>, wenn er<br />

<strong>de</strong>n Angeklagten entwe<strong>de</strong>r verleum<strong>de</strong>t o<strong>de</strong>r mit ihm gemein­<br />

same Sache macht o<strong>de</strong>r unbegrün<strong>de</strong>terweise vom begonnenen<br />

Prozeß zurücksteht. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.711.<br />

[53] Mit <strong>de</strong>m Freispruch <strong>de</strong>s Angeklagten war die richter­<br />

liche Aufgabe noch nicht erschöpft. Der Richter hatte ebenfalls<br />

256


zu untersuchen, auf welcher Gesinnung die falsche Anklage<br />

eigentlich beruhte. Vgl. E. Chenon, a.a.O.712.<br />

[54] Das jus talionis, von <strong>de</strong>m hier die Re<strong>de</strong> ist, be<strong>de</strong>utet die<br />

Vergeltung durch Gleiches. Sosehr auch dieses <strong>Recht</strong> sich aus<br />

<strong>de</strong>r Geschichte entwickelt haben mag, so ist es doch in <strong>de</strong>r<br />

Metaphysik von Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe begrün<strong>de</strong>t, wie im Kommen­<br />

tar von 64,2 ausgeführt ist.<br />

[55] Der „Ehrverlust" ist doppelt: entwe<strong>de</strong>r vom Richter<br />

ausgesprochen o<strong>de</strong>r auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r öffentlichen Tat selbst. Von<br />

letzterem spricht Thomas in 67,3 Zu 2.<br />

[56] Die Antworten <strong>de</strong>s Angeklagten hatten nach <strong>de</strong>r stren­<br />

gen Form <strong>de</strong>r Frage zu erfolgen. Vgl. E. Chenon, a. a. 0.667f.<br />

[57] Calumnia ist im Prozeßrecht die Schikane, d. h. das<br />

bewußte Vorgehen mit unwahren Behauptungen o<strong>de</strong>r unge­<br />

rechtfertigten Anträgen. Als Sch<strong>utz</strong> gegen die Schikane wur<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r hier erwähnte Kalumnieneid auferlegt, d. h. <strong>de</strong>r Schwur, daß<br />

man nicht aus Schikane handle. Vgl. „calumnia" in Heumanns<br />

Handlexikon zu <strong>de</strong>n Quellen <strong>de</strong>s Römischen <strong>Recht</strong>s. 9. Auflage<br />

von E. Seckel, Jena 1914, 52.<br />

[58] Unter „Klugheit" ist hier nicht etwa die „Gerissenheit",<br />

son<strong>de</strong>rn die sittliche Klugheit zu verstehen.<br />

[59] Es han<strong>de</strong>lt sich hier um Befreiung jeglicher Art, z. B. von<br />

väterlicher Gewalt, von einem bisher bestan<strong>de</strong>nen Dienstver­<br />

hältnis.<br />

[60] Bezüglich <strong>de</strong>r Unterscheidung <strong>de</strong>r Begriffe vgl. Kom­<br />

mentar zu diesem Artikel.<br />

[61] Die Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet eine zweifache Bewegung: eine<br />

Hinwendung auf ein verbotenes Gut <strong>und</strong> eine Abkehr vom<br />

guten Ziel. Im Anschluß an diese doppelte Betrachtungsweise<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> haben die Scholastiker lange Traktate über <strong>de</strong>n<br />

Wesensbestandteil <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> geschrieben. Es ging dabei um die<br />

Frage, ob die Sün<strong>de</strong> zunächst <strong>und</strong> zuerst wesentlich in <strong>de</strong>r Hin­<br />

wendung auf ein verbotenes Gut o<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Abkehr von <strong>de</strong>m<br />

257


guten Ziel bestehe. Das Textmaterial weist bei Thomas nach<br />

bei<strong>de</strong>n Richtungen. Auch <strong>de</strong>r Text hier ist nicht ein<strong>de</strong>utig.<br />

[62] Thomas macht hier <strong>de</strong>n etwas spitzfindig erscheinen<strong>de</strong>n<br />

Unterschied zwischen Verhöhnung <strong>und</strong> Verspottung. Die Ver­<br />

höhnung äußert sich in überheblichem Naserümpfen, die Ver­<br />

spottung dagegen in Worten <strong>und</strong> tönen<strong>de</strong>m Lachen. In <strong>de</strong>r Tat<br />

aber steckt hierin eine feinsinnige Psychologie. Gera<strong>de</strong> im<br />

Naserümpfen kann ein Mensch wortlos seine Verachtung ge­<br />

genüber <strong>de</strong>m Nächsten in sehr empfindlicher Weise zum Aus­<br />

druck bringen. Wir sprechen in etwas an<strong>de</strong>rem Zusammenhang<br />

auch von „Hochnäsigkeit".<br />

[63] Man könnte meinen, es scha<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Nächsten weiter<br />

nicht, wenn man ihm persönlich unter vier Augen die Fehler<br />

vorhalte, <strong>de</strong>nn we<strong>de</strong>r guter Ruf noch Ehre stän<strong>de</strong>n im Spiel.<br />

Dagegen bemerkt Thomas — <strong>und</strong> hier verrät er wie<strong>de</strong>r einmal<br />

mehr <strong>de</strong>n feinsinnigen Psychologen —, daß <strong>de</strong>r Nächste in sei­<br />

nem seelischen Gleichgewicht <strong>de</strong>nnoch schwerstens getroffen<br />

wer<strong>de</strong>, was schon sein Erröten anzeige. Wieviel seelisches<br />

Unheil hat falscher Ta<strong>de</strong>l schon angerichtet in <strong>de</strong>r Erziehung!<br />

Uberaus treffend setzt Thomas diese durch unangebrachten<br />

Ta<strong>de</strong>l zerstörte Selbstsicherheit <strong>de</strong>s eigenen Gewissens <strong>de</strong>m<br />

Verlust <strong>de</strong>r „gloria conscientiae", d. h. <strong>de</strong>s Ruhmes <strong>de</strong>s Gewis­<br />

sens gleich.<br />

[64] Thomas unterschei<strong>de</strong>t mit Aristoteles drei Arten von<br />

Fre<strong>und</strong>schaften (vgl. Kommentar in Eth.VIII, lectio 3, Ed.<br />

Marietti 1563ff.): die vollkommene Fre<strong>und</strong>schaft, die auf Nut­<br />

zen beruhen<strong>de</strong> Fre<strong>und</strong>schaft <strong>und</strong> die auf geistigen Gewinn<br />

bedachte Fre<strong>und</strong>schaft. Fre<strong>und</strong>schaft ist immer gegenseitige<br />

Liebe, gemäß Augustinus „amicus amico amicus". In <strong>de</strong>r voll­<br />

kommenen Fre<strong>und</strong>schaft nun ist das Gut, das von bei<strong>de</strong>n Seiten<br />

her geliebt wird, die wahre sittliche Größe <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn. In <strong>de</strong>r<br />

auf N<strong>utz</strong>en beruhen<strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>schaft ist das bei<strong>de</strong>rseits<br />

geliebte Gut <strong>de</strong>r Vorteil, <strong>de</strong>n je<strong>de</strong>r vom an<strong>de</strong>rn hat. Diese ist die<br />

kaufmännische o<strong>de</strong>r Geschäftsfre<strong>und</strong>schaft, von <strong>de</strong>r im Text die<br />

Re<strong>de</strong> ist. In <strong>de</strong>r auf geistigen Gewinn bedachten wird das Ver­<br />

gnügen <strong>und</strong> die persönliche Freu<strong>de</strong> gesucht, welche die Fre<strong>und</strong>e<br />

einan<strong>de</strong>r bereiten.<br />

258


[65] Vgl. DT, Bd.24, Anm [111] zu 188,5, Einw. 1.<br />

[66] Der Darlehenszins galt als Sün<strong>de</strong>. Um diesen Sachver­<br />

halt auszudrücken, übersetzen wir nicht: „Von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Wuchers", wenngleich usura gleich Wucher ist; <strong>de</strong>nn es ist hier<br />

bei Thomas mit Wucher die For<strong>de</strong>rung eines Darlehenszinses<br />

gemeint. Vgl. Näheres im Kommentar.<br />

[67] Vgl. DT, Bd.24, Anm [97], S. 319.<br />

[68] Hier wird Geld nicht mehr als Tauschmittel betrachtet,<br />

son<strong>de</strong>rn als Schmuck o<strong>de</strong>r Gegenstand <strong>de</strong>r Numismatik. Man<br />

kann also unter diesem zweiten Zweck, von <strong>de</strong>m Thomas hier<br />

spricht, nicht etwa die Investition verstehen, wie C. Spicq es tut<br />

(S.Thomas d' Aquin, Somme Theologique, La Justice III, Paris-<br />

Tournai-Rome 1935, 345).<br />

[69] Thomas spricht hier von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Formen,<br />

gemäß <strong>de</strong>nen man sich für ein Darlehen einen Mehrwert aus­<br />

bitten könnte: als Handleistung (Geld für Geld), Leistung<br />

durch Worte (Lob, Gunst, wir wür<strong>de</strong>n heute sagen: „Bezie­<br />

hung"), Dienstleistung (Mithilfe im Haushalt, in <strong>de</strong>r Landbe­<br />

stellung, jegliche Arbeitsleistung).<br />

[70] Selbstre<strong>de</strong>nd kann je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>rn einen Gefal­<br />

len erweist, von diesem die Gesinnung <strong>de</strong>r Dankbarkeit erwar­<br />

ten <strong>und</strong> sogar for<strong>de</strong>rn. Jedoch ist diese For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Dankbar­<br />

keit nie rechtlich erzwingbar. Sie bleibt immer eine moralische<br />

For<strong>de</strong>rung. In diesem Sinne sagt Thomas hier, daß <strong>de</strong>rjenige,<br />

<strong>de</strong>r einem an<strong>de</strong>rn in Form eines an sich unentgeltlichen Darle­<br />

hens einen Gefallen erweist, von <strong>de</strong>m Darlehensnehmer Dank­<br />

barkeit „for<strong>de</strong>rn" (exigere) könne.<br />

[71] Die Antwort könnte vielleicht die Meinung nahelegen,<br />

daß Thomas <strong>de</strong>n eigentlichen Mehrgewinn ausschlösse <strong>und</strong> nur<br />

die Risikoprämie zulasse. Vgl. hierzu <strong>de</strong>n Kommentar.<br />

[72] Für Gelddarlehen mußte <strong>de</strong>r Darlehensempfänger zur<br />

Garantieleistung oft ein Pfand hinterlegen. Wenn dieses Pfand<br />

einen eigenen N<strong>utz</strong>wert bot, <strong>de</strong>r in Geld meßbar war, war <strong>de</strong>r<br />

259


Darlehensgeber verpflichtet, diesen N<strong>utz</strong>preis nachher zu Gun­<br />

sten <strong>de</strong>s Darlehensempfängers zu berechnen. Sonst hätte ein<br />

reiner Mehrgewinn durch Darlehen vorgelegen, was Wucher<br />

gleichkam.<br />

[73] Der Gedankengang dieses Artikels ist etwas verwickelt.<br />

Thomas nimmt zunächst <strong>de</strong>n Fall an, daß A <strong>de</strong>m B Konsum­<br />

güter (Weizen, Wein usw.) leihe <strong>und</strong> dafür Zins verlange in<br />

Form einer größeren als <strong>de</strong>r geliehenen Menge. Nun ist B an<br />

sich zur Rückgabe dieser Mehrmenge verpflichtet. B arbeitet<br />

aber mit diesem Mehr (z. B. durch Anpflanzen <strong>de</strong>s Weizens,<br />

durch Verkauf <strong>de</strong>s Weines im Kleinhan<strong>de</strong>l), wodurch er einen<br />

weiteren Mehrwert erzielt. Muß nun B dieses durch eigenen<br />

Fleiß dazuerworbene Quantum ebenfalls zurückerstatten?<br />

Thomas antwortet: Er brauche <strong>de</strong>m A nur die Darlehensgröße<br />

plus <strong>de</strong>m gefor<strong>de</strong>rten Mehr zurückzuerstatten, weil es sich um<br />

eine Sache handle, die in sich nicht produktiv sei. Produktiv war<br />

nach seiner Ansicht nur die Arbeit, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>m Eigentümer<br />

wäre irgendwie ein Scha<strong>de</strong>n entstan<strong>de</strong>n.<br />

Thomas führt nun weiter aus: Gesetzt <strong>de</strong>n Fall, <strong>de</strong>r Darle­<br />

hensgeber A verlange als Zins für die <strong>de</strong>m B geliehenen Kon­<br />

sumgüter irgendwelche Produktivgüter, wie ein Haus, einen<br />

Acker. Wie verhält es sich dann? Muß A nur das Haus zurücker­<br />

statten, das er auf Gr<strong>und</strong> eines „Wuchers" erworben hat, o<strong>de</strong>r<br />

auch <strong>de</strong>n Gewinn, <strong>de</strong>n er daraus gezogen hat? Thomas erklärt:<br />

er muß bei<strong>de</strong>s zurückerstatten, weil die Natur <strong>de</strong>s Hauses <strong>und</strong><br />

die <strong>de</strong>s Ackers produktiv ist.<br />

[74] Gemeint ist eine Tat, die unmittelbar aus sich eine Ver­<br />

führung zur Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet, die also ein Ärgernis hervorruft.<br />

An<strong>de</strong>rs bei irgen<strong>de</strong>iner Tat, die unmittelbar keinen Zusammen­<br />

hang mit einem Ärgernis hat, die aber doch tatsächlich zum<br />

Ärgernis für an<strong>de</strong>re wird, weil die äußeren Umstän<strong>de</strong> ein sol­<br />

ches herbeiführen. Z. B. kann ein Journalist an sich aus Berufs­<br />

grün<strong>de</strong>n glaubensfeindliche Zeitungen lesen müssen. Er wür<strong>de</strong><br />

aber Ärgernis geben, wenn er es in <strong>de</strong>r Eisenbahn vor <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>­<br />

ren Fahrgästen tun wür<strong>de</strong>, weil die Mitfahren<strong>de</strong>n <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong><br />

nicht kennen. In diesem Fall ist die Tat zwar aus sich nicht auf<br />

Ärgernis eingestellt. Das Ärgernis entsteht erst im an<strong>de</strong>rn, nicht<br />

vom Täter aus.<br />

260


[75] Die Gesetzesgerechtigkeit hat einen allgemeinen Wirk­<br />

kreis, da sie alle Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl ausrichtet.<br />

Darum be<strong>de</strong>utet sie für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r sie besitzt, also für ihren „Trä­<br />

ger", jegliche Tugend. Sowohl von <strong>de</strong>r sittlichen Verpflichtung<br />

<strong>de</strong>s Menschen wie auch vom umfassen<strong>de</strong>n Wirkkreis (Objekt)<br />

<strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit her wird also die Geset­<br />

zesgerechtigkeit zur universalen Tugend. Dies ist gemeint,<br />

wenn Thomas hier sagt, die Gesetzesgerechtigkeit sei sowohl<br />

für <strong>de</strong>n Träger wie gleichsam nach außen „je<strong>de</strong> Tugend". Die<br />

Ungerechtigkeit ist nun, wenn auch nicht vom Subjekt, so doch<br />

im äußeren Wirkkreis, d. h. im Objekt, eine allgemein umfas­<br />

sen<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong>.<br />

261


KOMMENTAR


ZUR EINFÜHRUNG<br />

Dem mo<strong>de</strong>rnen Denken kommt bereits die Überschrift <strong>de</strong>s<br />

Traktats bei Thomas überraschend, wenn nicht gar befrem<strong>de</strong>nd<br />

vor. Denn „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" meint bei Thomas etwas<br />

an<strong>de</strong>res als in <strong>de</strong>r heutigen <strong>Recht</strong>sphilosophie. Wer heute von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> spricht, versteht darunter das beste­<br />

hen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong> in seiner Beziehung zur I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ist dabei das I<strong>de</strong>al, das je<strong>de</strong>m gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong><br />

vorschweben soll, um „richtiges <strong>Recht</strong>" zu sein, ein I<strong>de</strong>al also,<br />

an <strong>de</strong>m alle <strong>Recht</strong>sbildung sich orientieren soll.<br />

Dagegen wird hier bei Thomas „<strong>Gerechtigkeit</strong>" in einem<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Sinn verstan<strong>de</strong>n. Der Begriff ist tief verankert im<br />

ethischen Gefüge <strong>de</strong>s Traktats. <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine Tugend,<br />

eine persönliche Vollkommenheit, eine Festigkeit unseres Wil­<br />

lens, gerecht han<strong>de</strong>ln zu wollen <strong>und</strong> wirklich, d. h. durch die<br />

Tat, gerecht zu sein, wo immer wir es mit <strong>de</strong>m „<strong>Recht</strong>" als<br />

Gegenstand zu tun haben. Wir wer<strong>de</strong>n also mitten in die Ethik<br />

versetzt, in die Lehre von <strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>n seelischen<br />

Verhaltensweisen im Hinblick auf das Gute. Das <strong>Recht</strong><br />

erscheint <strong>de</strong>mnach schon bei seinem ersten Auftreten in <strong>de</strong>r<br />

Summa als ein Gegenstand <strong>de</strong>s sittlich guten Willens. Das ist<br />

zwar nicht ganz überraschend, <strong>de</strong>nn auch die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>s­<br />

philosophie hält dafür, daß das <strong>Recht</strong> ein wahres Gut sei, ein<br />

Gut <strong>de</strong>r Ordnung, ein Gut <strong>de</strong>r Gesellschaft. Daß aber <strong>de</strong>r ein­<br />

zelne dieses Gut zum Gegenstand eigenen persönlichen sittli­<br />

chen Strebens macht, kümmert sie dann weniger o<strong>de</strong>r über­<br />

haupt nicht mehr. Der Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> kann daher, wo<br />

er in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie verwandt wird, nicht<br />

diesen „Sprung" ins Persönlich-Verantwortliche <strong>de</strong>s einzelnen<br />

machen. Bei Thomas aber wird er gera<strong>de</strong> dorthin verlegt, <strong>und</strong><br />

dies nicht ohne Absicht, wie sich in <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s erweisen wird. Was die Mo<strong>de</strong>rnen unter <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

begreifen ist bei Thomas nicht ein i<strong>de</strong>alisiertes Gut, das hoch<br />

über <strong>de</strong>m Horizont <strong>de</strong>s Lebens als Leitstern voranleuchtet <strong>und</strong><br />

so vor <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> steht; vielmehr kann er das I<strong>de</strong>al, wonach<br />

<strong>Recht</strong> gebil<strong>de</strong>t wird, nur verstehen als etwas, das in sich selbst<br />

schon <strong>Recht</strong> ist.<br />

Von dieser Gr<strong>und</strong>schau <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> als sittlicher<br />

Tugend her ist erst die Einteilung <strong>de</strong>s Traktats verständlich: die<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in sich (Fr. J7—60)<br />

265


<strong>und</strong> in ihren Teilen (Fr. 61—120), entsprechend <strong>de</strong>r Art <strong>de</strong>r<br />

Behandlung, wie sie Thomas sonst bei je<strong>de</strong>r sittlichen Tugend<br />

eingehalten hat. Es sei dabei in Erinnerung gerufen (vgl. DT,<br />

Bd. 11), daß <strong>de</strong>r Ausdruck „Teile <strong>de</strong>r Tugend" nichts zu tun hat<br />

mit einer quantitativen Auffassung, son<strong>de</strong>rn die verschie<strong>de</strong>nen<br />

Verwirklichungsweisen <strong>de</strong>r Tugend, entsprechend <strong>de</strong>r jeweili­<br />

gen Lagerung <strong>de</strong>s Objekts, be<strong>de</strong>utet. Das Nähere ergibt sich<br />

aus <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r einzelnen Teile.<br />

266


ERSTER TEIL<br />

DAS WESEN DER TUGEND<br />

DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57-60)<br />

Erstes Kapitel<br />

DAS RECHT ALS GEGENSTAND<br />

DER TUGEND DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 57)<br />

I. Der Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

(Art. 1)<br />

Die Schlußfolgerung auf die <strong>de</strong>r erste Artikel in anscheinend 57. l<br />

umständlichen Wendungen hinausläuft, klingt für einen unbe­<br />

fangenen, nicht tiefer loten<strong>de</strong>n Leser selbstverständlich, kaum<br />

wert, daß darüber überhaupt ein Wort verloren wird: Gegen­<br />

stand <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> ist das <strong>Recht</strong>. Und doch verbirgt sich<br />

hinter diesem einfachen Schlußsatz das Problem, um das sich<br />

die <strong>Recht</strong>sphilosophie aller Jahrh<strong>und</strong>erte bemüht hat: Einheit<br />

o<strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

Der Positivismus faßt seine sämtlichen Gewinnchancen im<br />

Kampf mit <strong>de</strong>r Naturrechtslehre zusammen in <strong>de</strong>m monisti­<br />

schen Apriori: es gibt nur ein einziges <strong>Recht</strong>. Dieser Satz ergibt<br />

sich notwendig aus <strong>de</strong>r Auffassung <strong>de</strong>r Gesellschaft als einer<br />

rechtlich geordneten Gemeinschaft. Innerhalb einer rechtlichen<br />

Gemeinschaft kann doch nur ein einziges <strong>Recht</strong> gelten, sonst<br />

wür<strong>de</strong> die Einheit <strong>de</strong>r Gemeinschaft zerbrechen. Selbst die<br />

Naturrechtslehre kann auf dieses Apriori nicht verzichten,<br />

wenngleich sie vorstaatliche <strong>Recht</strong>e, also <strong>Recht</strong>e verteidigt, die<br />

vor <strong>de</strong>r faktischen <strong>und</strong> positiv gebil<strong>de</strong>ten <strong>Recht</strong>sgemeinschaft<br />

liegen, insofern sie im Fall einer <strong>Recht</strong>skollision <strong>de</strong>m einen,<br />

nämlich <strong>de</strong>m natürlichen <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>n Vorzug geben muß. Man<br />

mag dabei von einer „Intoleranz", von einer Selbstüberhebung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts re<strong>de</strong>n. Aber sowohl das rein begriffliche als<br />

auch das praktische Denken zwingen zu diesem Schluß auf die<br />

Einheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s: das begriffliche Denken, insofern „<strong>Recht</strong>"<br />

als solches nicht zwei gegensätzliche Inhalte in gleicher Weise<br />

qualifizieren kann, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n einen als <strong>Recht</strong>, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren als<br />

Unrecht bezeichnen muß; das praktische Denken, insofern wir<br />

in <strong>de</strong>r Praxis zu irgen<strong>de</strong>iner Frie<strong>de</strong>nsordnung kommen müssen,<br />

267


57. l wenn zwei Parteien sich streiten. Mit einer Doppelspurigkeit<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s kämen wir niemals zur Ruhe. In diesem Sinne mag,<br />

allerdings mit <strong>de</strong>r Verwahrung gegen die Anschuldigung <strong>de</strong>r<br />

Intoleranz <strong>de</strong>s Naturrechts, stimmen, was <strong>de</strong>r Positivist<br />

W. R. Beyer 1 sagt: „Es kann begrifflich nur ei« <strong>Recht</strong> geben. Der<br />

Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s steht über <strong>de</strong>r Erscheinungsform <strong>de</strong>sselben.<br />

Die Unteilbarkeit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sbegriffs zwingt das Naturrecht ja,<br />

im Wege einer Intoleranz sich selbst überzuordnen <strong>und</strong> alles<br />

positive <strong>Recht</strong> nur als Ausfluß, als Ausdruck, als Teil seiner<br />

selbst zu betrachten". Allerdings verrät dieser Text klar <strong>de</strong>n<br />

positivistischen, naturrechtlich unhaltbaren Gedanken, daß die<br />

Bestimmung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s an sich überhaupt nichts mit <strong>de</strong>r<br />

Erscheinungsform, d. h. mit <strong>de</strong>r inhaltlichen Bestimmung <strong>de</strong>s­<br />

sen, was recht ist, zu tun habe. Wohl kann die Nominal<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s allgemeinen Begriffs „<strong>Recht</strong>" von <strong>de</strong>n Inhalten, die als<br />

recht bezeichnet wer<strong>de</strong>n, absehen, niemals aber die Real<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Das bolschewistische <strong>Recht</strong> erfüllt nur die<br />

Nominal<strong>de</strong>finition, nicht aber die Real<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong>. Es<br />

wird sogleich noch darauf eingegangen wer<strong>de</strong>n.<br />

Das Gr<strong>und</strong>anliegen einer konsequent <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>swis­<br />

senschaft ist also damit erfüllt, daß Thomas klar <strong>und</strong> bestimmt<br />

herausstellt: Gegenstand <strong>de</strong>s gerechten Verhaltens ist einzig<br />

<strong>und</strong> allein das <strong>Recht</strong>. Nicht das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> eine <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

d. h. nicht ein gelten<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> eine diesem vorschweben<strong>de</strong><br />

i<strong>de</strong>ale <strong>Gerechtigkeit</strong> sind Gegenstand einer gerechten Hand­<br />

lung, son<strong>de</strong>rn einzig das <strong>Recht</strong>. Dieses <strong>Recht</strong> ist so ein<strong>de</strong>utig,<br />

wie je<strong>de</strong>s Maß, wonach zwei Dinge zu messen sind, ein<strong>de</strong>utig<br />

sein muß.<br />

Was ist nun das wesentliche Merkmal <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? O<strong>de</strong>r bes­<br />

ser: Wie lautet die Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? 2 Bereits hier stellt sich<br />

die <strong>Recht</strong>swissenschaft als ein ziemlich <strong>und</strong>urchsichtiges<br />

Gebil<strong>de</strong> dar. Außer in <strong>de</strong>r Soziologie wur<strong>de</strong> wohl in keiner Wis­<br />

senschaft so um die Definition <strong>de</strong>s eigentlichen Gegenstands<br />

gestritten. Pascal bemerkt darum nicht ohne Gr<strong>und</strong>: „Eine<br />

Ortsverän<strong>de</strong>rung um drei Breitengra<strong>de</strong> macht die ganze<br />

<strong>Recht</strong>swissenschaft zunichte". Wohl hat er dabei mehr an das,<br />

was man als inhaltliches <strong>Recht</strong> bestimmt, als etwa an das <strong>Recht</strong><br />

1 W.R. Beyer, <strong>Recht</strong>sphilosophische Besinnung. Eine Warnung vor <strong>de</strong>r ewigen<br />

Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Naturrechts. 1947, 69.<br />

2 Vgl. hierzu A.F.Utz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie, 19—56.<br />

268


selbst gedacht. Die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie macht ganz 57. l<br />

richtig eine klare Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m,<br />

was recht ist. Ebenso bemüht sie sich heute, aus einem bereits<br />

in dieser Anfangsfrage sich vordrängen<strong>de</strong>n Positivismus heraus,<br />

um die Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

Diese letzte Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s hängt, wie wir sehen wer<strong>de</strong>n, zuinnerst mit <strong>de</strong>r Frage<br />

zusammen, ob das „richtige" <strong>Recht</strong> aus sich schon <strong>Recht</strong> sei.<br />

Zur Abklärung <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist zuvor<strong>de</strong>rst die<br />

Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>, d. h. <strong>de</strong>m, was<br />

recht ist, also <strong>de</strong>m Gerechten vonnöten. W.R. Beyer' drückt dies<br />

in <strong>de</strong>r Weise aus, daß er sagt, <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> gehe die<br />

Frage nach <strong>Recht</strong> voraus; es sei erheblich, ob <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r das<br />

jeweilige <strong>Recht</strong> in Frage gestellt sei. Bereits hier verbirgt sich ein<br />

gefährlicher Positivismus, sofern man es darauf absieht, <strong>Recht</strong><br />

von <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r Gerechten nicht nur zu unterschei<strong>de</strong>n,<br />

son<strong>de</strong>rn zu trennen. Das Naturrechts<strong>de</strong>nken kann mit einer<br />

Trennung nicht einverstan<strong>de</strong>n sein. Es kann sich nur für eine<br />

Unterscheidung erklären.<br />

Sehen wir also einmal davon ab, was als <strong>Recht</strong> zu gelten hat<br />

<strong>und</strong> was darum — im Naturrechts<strong>de</strong>nken — überhaupt erst ein<br />

<strong>Recht</strong> sein kann, so müssen wir trotz aller wirklichen Bindung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s an einen Inhalt zu einer allgemeinen Begriffsbestim­<br />

mung von <strong>Recht</strong> gelangen, in <strong>de</strong>r eben nicht Moral, nicht Reli­<br />

gion o<strong>de</strong>r was sonst immer, son<strong>de</strong>rn eben nur <strong>Recht</strong> begriffen<br />

wird. Das heißt, es geht um eine Begriffsabgrenzung von <strong>Recht</strong>,<br />

welche gilt, wo immer von <strong>Recht</strong> die Re<strong>de</strong> ist <strong>und</strong> wie immer<br />

auch <strong>de</strong>r Inhalt <strong>de</strong>ssen, was man als <strong>Recht</strong> bezeichnet, aussehen<br />

mag.<br />

Ganz im Sinne <strong>de</strong>s aristotelisch-thomasischen Denkens ist<br />

hierbei von <strong>de</strong>r Erfahrung auszugehen; <strong>de</strong>nn je<strong>de</strong> Begriffsbe­<br />

stimmung beginnt bei <strong>de</strong>r Festlegung <strong>de</strong>s Namens, wie er tat­<br />

sächlich im Gebrauch ist. Freilich sind wir damit erst bei <strong>de</strong>r<br />

Nominal<strong>de</strong>finition. Und eben daran kranken die Begriffsbe­<br />

stimmungen <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophen durchweg, daß<br />

sie diese als eine Realbestimmung ausgeben. Sind wir aber in<br />

<strong>de</strong>r Erkenntnis so weit, daß wir die Vorläufigkeit <strong>de</strong>r Definition<br />

von <strong>Recht</strong>, im Unterschied zum <strong>Recht</strong>en, zugeben, dann wird<br />

es wohl kein allzugroßer Schritt mehr sein bis zur Anerkennung<br />

3 W.R.Beyer, <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>s-Ordnung. Meisenheim-Glan 1951.<br />

269


einer Bestimmung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, das vom Inhalt <strong>und</strong> zu guter<br />

Letzt auch von einer <strong>Recht</strong>si<strong>de</strong>e, somit einem <strong>Recht</strong>si<strong>de</strong>al be­<br />

griffen wer<strong>de</strong>n muß.<br />

Welches aber ist nun die Nominal<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong>? Im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Denken wird <strong>Recht</strong> stets als mit Zwang durchsetz­<br />

bare gesellschaftliche Ordnung verstan<strong>de</strong>n. In diesem Sinne<br />

sagt z. B. H. Lauterpacht:* „<strong>Recht</strong> ist das Werkzeug einer gel­<br />

ten<strong>de</strong>n Gesellschaftsordnung". Obwohl <strong>de</strong>r Sinn, <strong>de</strong>r sich hinter<br />

dieser Begriffsbestimmung verbirgt, einen unzwei<strong>de</strong>utigen<br />

Positivismus verrät, können wir diese Definition als reine<br />

Nominal<strong>de</strong>finition ruhig gelten lassen, wobei dann die Frage<br />

offen bleibt, was nun als gelten<strong>de</strong> Gesellschaftsordnung ange­<br />

sprochen wer<strong>de</strong>n kann. <strong>Recht</strong> ist immer Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r in<br />

Gemeinschaft zusammenleben<strong>de</strong>n Menschen. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

genommen kommt diese Sicht auf das hinaus, was Thomas hier<br />

in unserem Artikel sagt: Das <strong>Recht</strong> ist ein Ausgleich zwischen<br />

verschie<strong>de</strong>nen Personen.<br />

Es fragt sich dann weiter, wie nun die Real<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s lautet. Mit dieser Frage verbin<strong>de</strong>t sich notwendig die<br />

Vorstellung eines „<strong>Recht</strong>s an sich", also gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>ssen, was die<br />

mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie aus <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aus­<br />

schließen möchte. Die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie, die die Re­<br />

alität <strong>de</strong>r Universalien leugnet, muß notwendigerweise beim<br />

rein Nominalen stehen bleiben. Sie erklärt das, was naturrecht­<br />

liches Denken notwendigerweise nur als „nominal" bezeichnen<br />

kann, als <strong>de</strong>n „Begriff". Für das thomasische Denken aber gilt es<br />

als eine Selbstverständlichkeit, daß wir aus <strong>de</strong>n Erscheinungen,<br />

die als <strong>Recht</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n, das Allgemeine herauslösen<br />

können, ja noch mehr, daß wir aus <strong>de</strong>m, was überhaupt als<br />

<strong>Recht</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n darf, die allgemeine Realbestimmung<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s gewinnen. In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Tätigkeit kann Tho­<br />

mas sich nun die Definition nur <strong>de</strong>nken entsprechend einer vor­<br />

gegebenen Teleologie; d.h. die Real<strong>de</strong>finition wird nicht etwa<br />

aus <strong>de</strong>m genommen, was man als solches bezeichnet <strong>und</strong> was<br />

vielleicht allen bezeichneten Erscheinungen faktisch zugr<strong>und</strong>e­<br />

liegt, son<strong>de</strong>rn aus <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r Begriff enthalten muß, um die<br />

Bezeichnung <strong>Recht</strong> zu verdienen. Schon hier in <strong>de</strong>r Real<strong>de</strong>fini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s stoßen wir auf das schwierige Problem von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral. Das <strong>Recht</strong> steht in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Sollens<br />

4 H. Lauterpacht, Recognition in International Law. Cambridge 1947, 154.<br />

270


<strong>und</strong> wird darum real auch nur von einem Sollen, also von einer 57. l<br />

absolut gültigen Norm her bestimmt. Es ist eigenartig, daß<br />

nicht einmal Del Vecchio, <strong>de</strong>r sich selbst mit Eifer für ein Natur­<br />

recht einsetzt, dies gespürt hat. Er unterschei<strong>de</strong>t sich daher<br />

trotz aller Bemühungen, über das „richtige <strong>Recht</strong>" von Rudolf<br />

Stammler hinauszukommen, gr<strong>und</strong>sätzlich nicht von ihm.<br />

Gleich diesem bleibt er I<strong>de</strong>alist, bei <strong>de</strong>m die I<strong>de</strong>alvorstellung<br />

von <strong>Recht</strong> stets von <strong>de</strong>m fernbleibt, was zum Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

gehört. Kant, <strong>de</strong>ssen Definition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zwar insofern posi­<br />

tivistisch gefärbt war, als darin das <strong>Recht</strong> an die kontingente,<br />

positive Willensbildung <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r geb<strong>und</strong>en war,<br />

steht trotz allem <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl. Thomas noch näher als die<br />

neueren <strong>Recht</strong>sphilosophen: „Das <strong>Recht</strong> ist <strong>de</strong>r Inbegriff <strong>de</strong>r<br />

Bedingungen, unter <strong>de</strong>nen die Willkür <strong>de</strong>s einen mit <strong>de</strong>r Willkür<br />

<strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn nach einem allgemeinen Gesetz <strong>de</strong>r Freiheit zusam­<br />

men vereinigt wer<strong>de</strong>n kann" (WWIX, 33 fi.).Del Vecchio hat zu<br />

dieser Bestimmung nicht mehr zu sagen als dies: „Diese Be­<br />

griffsbestimmung bezieht sich in Wirklichkeit auf das Natur­<br />

recht, also das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, aber sie gibt keineswegs <strong>de</strong>n Be­<br />

griff, die Vorstellung von <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> als logischer Kategorie.<br />

Wollte man sie in diesem Sinne verstehen, so könnte sie zu <strong>de</strong>r<br />

Schlußfolgerung veranlassen, daß das <strong>Recht</strong> in Wirklichkeit nie<br />

<strong>und</strong> nirgends vorhan<strong>de</strong>n gewesen ist. Denn die <strong>Recht</strong>ssysteme,<br />

welche wir als solche gelten lassen, sind mehr o<strong>de</strong>r weniger weit<br />

von dieser Höchstform entfernt. Das Ergebnis wäre, daß man<br />

ohne weiteres aus <strong>de</strong>m Begriffsbereiche <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s alle die<br />

Systeme ausschließen müßte, in <strong>de</strong>nen die Gleichheit <strong>de</strong>r Frei­<br />

heit nicht die volle Anerkennung gef<strong>und</strong>en hat". 5 Die Kritik Del<br />

Vecchios an <strong>de</strong>r kantischen Definition beweist die Begrenztheit<br />

mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens, weil sie meint, mit <strong>de</strong>r „logischen"<br />

Begriffsbestimmung schon <strong>de</strong>n wissenschaftlichen Bo<strong>de</strong>n für<br />

eine Diskussion über <strong>Recht</strong> geschaffen zu haben. Denn in <strong>de</strong>r<br />

Tat glaubt diese <strong>Recht</strong>sphilosophie, daß in ihrer logischen<br />

Bestimmung mehr ausgedrückt sei, als was etwa Thomas unter<br />

einer reinen Nominal<strong>de</strong>finition versteht. Sie meint nämlich, daß<br />

überall das, was man als <strong>Recht</strong> erklärt, auch <strong>Recht</strong> sei <strong>und</strong> als<br />

solches darum bezeichnet wer<strong>de</strong>n müsse, während Thomas<br />

diesen „dämonischen" Sprachgebrauch am Inhalt selbst wie<strong>de</strong>r<br />

5 G. Del Veccio, Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2. Aufl., hrsg. von F. Darm-<br />

staedter. Basel 1951, 342.<br />

271


57. l zurechtbiegt. Und dieser Inhalt ist nun einmal in <strong>de</strong>r Ordnung<br />

<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns nichts an<strong>de</strong>res als eine real gültige I<strong>de</strong>e von <strong>Recht</strong>.<br />

Es bleibt darum bestehen: eine Real<strong>de</strong>finition von <strong>Recht</strong> ist nur<br />

aufzustellen im Hinblick auf die I<strong>de</strong>e von <strong>Recht</strong>, wobei die I<strong>de</strong>e<br />

keine i<strong>de</strong>alistische Vorstellung ist, son<strong>de</strong>rn eine <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen entnommene Norm.<br />

Folgenschwer wird allerdings die Erkenntnis, die sich daraus<br />

ergibt: alles, was nicht ausgerichtet ist nach dieser absolut gülti­<br />

gen Norm, ist kein <strong>Recht</strong>. Damit wird die Begriffsbestimmung<br />

von Lauterpacht umgekehrt: eine gelten<strong>de</strong> Gesellschaftsord­<br />

nung gibt es überhaupt nicht, wo nicht „i<strong>de</strong>ales" <strong>Recht</strong> verwirk­<br />

licht ist.<br />

So verstehen wir, daß Thomas die be<strong>de</strong>utsame Gleichset­<br />

zung von <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Gerechtem, d. h. <strong>de</strong>m, was recht ist, voll­<br />

ziehen muß. Dies besagt nichts an<strong>de</strong>res, als daß <strong>de</strong>r Inhalt selbst<br />

auf Gr<strong>und</strong> seines inneren Bezuges zur absoluten Norm <strong>Recht</strong><br />

ist. Das auf Gr<strong>und</strong> menschlicher Bestimmung in Rußland gül­<br />

tige <strong>Recht</strong> kann darum kein <strong>Recht</strong> sein, son<strong>de</strong>rn ist <strong>und</strong> bleibt<br />

Gewalt. Das ist <strong>de</strong>r erkenntnistheoretische Hintergr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s<br />

ersten Artikels. Die Real<strong>de</strong>finition <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s lautet also nach<br />

Thomas: Das <strong>Recht</strong> ist ein Ausgleich zwischen verschie<strong>de</strong>nen<br />

Personen entsprechend <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Natur. Dabei kann<br />

diese Entsprechung zu <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Natur auch mittelbar<br />

geschehen auf <strong>de</strong>m Wege über das positive Gesetz, sofern die­<br />

ses <strong>de</strong>r Natur entspricht.<br />

Thomas bemüht sich nun weiterhin in diesem Artikel um die<br />

Abgrenzung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Gerechten von <strong>de</strong>m, was<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ist. Maß für das<br />

<strong>Recht</strong> ist, so sagt er, nicht eine Gewissensentscheidung, son­<br />

<strong>de</strong>rn die Abmessung von Ansprüchen mehrerer Personen. Die<br />

Zuständigkeit <strong>de</strong>s subjektiven Gewissensspruchs als <strong>de</strong>s Maßes<br />

<strong>de</strong>r menschlichen Handlungen wird nur dort anerkannt, wo es<br />

um Handlungen geht, die in ihrer ganzen inneren Bestimmung<br />

vom sittlichen Streben <strong>de</strong>s Menschen abhängig sind. So ent­<br />

schei<strong>de</strong>t z.B. das jeweilige sittlich gute Streben, inwieweit wir<br />

uns Opfer <strong>und</strong> Entsagung aufzuerlegen haben. Es gibt da kein<br />

absolut bestimmen<strong>de</strong>s äußeres Maß, wenngleich äußere<br />

Bestimmungsgrün<strong>de</strong> nicht ausgeschlossen sind, insofern auch<br />

sachliche Überlegungen, wie z.B. Alter, Beruf, Geschlecht, in<br />

die sittliche Wertung mithineinbezogen wer<strong>de</strong>n müssen. Ent­<br />

schei<strong>de</strong>nd aber ist einzig, wie Thomas mit Aristoteles immer<br />

272


wie<strong>de</strong>r betont, das rechtschaffene, d. h. das sittlich gute Stre- 57. 1<br />

ben, <strong>de</strong>r gute Wille in eben diesem Augenblick, in welchem die<br />

Handlung Vollzogen wer<strong>de</strong>n soll. Die sittliche „Situation" kann<br />

je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>n sein. Entsprechend fühlt sich das gute,<br />

zielhaft auf Gott gerichtete Wollen in das konkrete Sollen ein.<br />

Ganz an<strong>de</strong>rs verhält es sich auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r ihm entsprechen<strong>de</strong>n Haltung. Hier ist nicht das konkrete<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n, die Werteinfühlung in die sittliche Situation<br />

das Maßgeben<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn die äußerlich geregelte Beziehung<br />

zwischen Mensch <strong>und</strong> Mensch. <strong>Recht</strong> ist also wirklich Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung zwischen mehreren Personen. Es unterschei<strong>de</strong>t sich<br />

darum gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r sittlichen Zumessung, die <strong>de</strong>r ein­<br />

zelne Mensch für seine eigene Person vornimmt. Wir haben also<br />

insofern auch eine gewisse Abgrenzung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

Moral vorgenommen, wenngleich sich zeigen wird, daß Tho­<br />

mas zur Erkenntnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s auch eine sittliche Ausrüstung<br />

verlangt, so vor allem beim Richter. Diese ist aber nicht die<br />

Bedingung <strong>de</strong>s Gegenstands wie bei <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n, etwa <strong>de</strong>r Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit, son<strong>de</strong>rn<br />

die Voraussetzung <strong>de</strong>r Erkenntnis eines sachlich vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Gegenstands, wobei wir allerdings nicht <strong>de</strong>n ausgefallenen<br />

Gedanken heraufbeschwören wollen, daß es nur ein fertiges<br />

<strong>und</strong> nicht auch ein noch zu setzen<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> gäbe.<br />

Damit ist noch nichts über das eigentliche Problem von<br />

<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral gesagt, wie wir es heute verstehen. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

ist nur eine Unterscheidung vorgenommen zwischen <strong>de</strong>m<br />

Gegenstand <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n. Wenn wir heute von <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral sprechen,<br />

dann meinen wir die heikle Frage, ob rein sittliche Normen zu<br />

<strong>Recht</strong>snormen erhoben wer<strong>de</strong>n können, d.h., ob <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

irgendwelche politisch-pädagogische Zielhaftigkeit innewohnt.<br />

Kann das <strong>Recht</strong> irgendwelche sittlichen Zweckbestimmungen<br />

verfolgen, z.B. <strong>de</strong>n sittlichen Stand einer Gesellschaft heben<br />

wollen? Es ist klar, daß je<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> irgenwie Ausdruck <strong>de</strong>s sitt­<br />

lichen Stan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Gesellschaft ist. Es fragt sich aber, ob das<br />

<strong>Recht</strong> darüber hinaus auch noch höhere ethische Normen in<br />

sich begreift, so daß es die Zwangsinstitution wäre, um einen<br />

I<strong>de</strong>alstand <strong>de</strong>r Gesellschaft zu schaffen. Die Frage ist folgen­<br />

schwer. Es geht dabei z. B. auch darum, ob eine christliche<br />

Autorität gegen das heidnische Schwergewicht <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

auf rechtlichem Wege, also mit <strong>de</strong>n Zwangsmitteln <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s,<br />

273


57. l das sittliche Gepräge <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens bestimmen<br />

könne. Dabei wird noch ganz abgesehen von <strong>de</strong>r Frage, ob ein<br />

solches Unternehmen klug sei o<strong>de</strong>r nicht. Es han<strong>de</strong>lt sich ledig­<br />

lich darum, ob ein <strong>Recht</strong> dazu bestehe, d. h., ob eine sittliche<br />

For<strong>de</strong>rung potentiell rechtliche Qualität habe.<br />

Diese Fragen sind von Thomas im ersten Artikel noch nicht<br />

behan<strong>de</strong>lt. Geht es ihm hier doch zunächst nur um die Defini­<br />

tion, also um <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Es ist dabei noch keines­<br />

wegs von einem I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s die Re<strong>de</strong>, somit auch nicht<br />

vom eigentlichen Problem „<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral". Selbstre<strong>de</strong>nd<br />

drängt sich unmittelbar nach <strong>de</strong>r Begriffsbestimmung die Frage<br />

auf: Woher stammt die Begründung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s? Welche Fakto­<br />

ren bestimmen es? Irgen<strong>de</strong>ine ethische Norm o<strong>de</strong>r ein fakti­<br />

scher Zustand o<strong>de</strong>r vielleicht sogar nur ein faktischer Willensbe-<br />

schluß? Hierüber spricht Thomas in <strong>de</strong>n Artikeln 2—4.<br />

IL Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong><br />

(Art. 2-4)<br />

1. DIE ENTSTEHUNG DES RECHTS AUFGRUND DER NATUR UND DER<br />

POSITIVEN SATZUNG<br />

(Art. 2)<br />

57. 2 Es ist sehr bezeichnend, daß Thomas nicht vom Gedanken<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm her <strong>de</strong>n Weg zur Unterscheidung zwischen<br />

Naturrecht <strong>und</strong> positivem <strong>Recht</strong> sucht, son<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>r Frage<br />

aus, auf welche Weise <strong>Recht</strong> entstehe. Gera<strong>de</strong> die mo<strong>de</strong>rne<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie müßte daran ihre Freu<strong>de</strong> haben, da es ihr<br />

doch darum zu tun ist, die <strong>Recht</strong>sentstehung von <strong>de</strong>r Normie­<br />

rung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zu unterschei<strong>de</strong>n. Mit dieser Unterscheidung<br />

glaubt ja die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie, soweit sie nicht völlig<br />

im Positivismus erstickt ist, son<strong>de</strong>rn noch <strong>de</strong>n i<strong>de</strong>alistischen<br />

Standpunkt <strong>de</strong>r Vorstellung einer I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bewahrt hat, ihre Unterscheidung zwischen Geltung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> richtigem o<strong>de</strong>r besserem <strong>Recht</strong> stützen zu können.<br />

Allerdings kommt für das mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong><strong>de</strong>nken sogleich die<br />

Ernüchterung, wenn wir dann durch Thomas belehrt wer<strong>de</strong>n,<br />

daß die Natur, die als rechtsetzend bezeichnet wird, eben<br />

gera<strong>de</strong> jenen Himmel <strong>de</strong>r Normen in die Sphäre <strong>de</strong>r Geltung<br />

herunterholt, <strong>de</strong>n die i<strong>de</strong>alistische <strong>Recht</strong>sphilosophie stets als<br />

außerhalb <strong>de</strong>s gelten<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s befindlich betrachtet. Es wird<br />

274


sich nämlich noch zeigen, daß die Natur, welche <strong>Recht</strong> konsti- 57. 2<br />

tuiert, in sich vielschichtig ist, also real gültige I<strong>de</strong>engehalte<br />

überzeitlicher Gültigkeit in sich beschließt, die darum nicht nur<br />

normierend, son<strong>de</strong>rn zugleich rechtschaffend sind.<br />

Es ist also hier nicht mehr die Re<strong>de</strong> von <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>sbegriff, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Weg, wie konkre­<br />

tes, wirkliches <strong>Recht</strong> entsteht. Thomas sieht hier eine doppelte<br />

Möglichkeit: l.die rein sachliche Bestimmtheit, 2.die freie<br />

Konvention. Auf eine zweifache Weise, so sagt er in Art. 2, kann<br />

zwischen zwei o<strong>de</strong>r mehreren Personen das Gleichgewicht her­<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n, erstens, in<strong>de</strong>m die Natur, zweitens, in<strong>de</strong>m die<br />

freie willentliche Abmachung <strong>Recht</strong> setzt. Bemerkenswert sind<br />

dabei die Beispiele, die Thomas für die naturhafte Setzung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s angibt. Er nennt hierbei nicht etwa, wie die mo<strong>de</strong>rne<br />

Naturrechtslehre es erwarten wür<strong>de</strong>, die menschliche Natur im<br />

allgemeinen, son<strong>de</strong>rn einen ganz konkreten Sachverhalt: soviel<br />

wur<strong>de</strong> geleistet, soviel also muß wie<strong>de</strong>rgeleistet o<strong>de</strong>r bezahlt<br />

wer<strong>de</strong>n. Selbst dann also, wenn es sich um ein wirtschaftliches<br />

Geschäft aus freiem Willen han<strong>de</strong>lt, muß man sich fragen: Wie<br />

liegt <strong>de</strong>r natürliche Sachverhalt? Was ist <strong>de</strong>r Gegenstand wert?<br />

Wenngleich Verkauf <strong>und</strong> Kauf einen freien Vertrag be<strong>de</strong>uten, so<br />

kann dieses Geschäft doch nach <strong>de</strong>r vor je<strong>de</strong>r Konvention lie­<br />

gen<strong>de</strong>n sachlichen Inhaltlichkeit betrachtet wer<strong>de</strong>n. Diese<br />

Form <strong>de</strong>r Betrachtung ist die naturgerechte Betrachtung.<br />

Darum wird das so statuierte <strong>Recht</strong> Afoter-<strong>Recht</strong> genannt. Es<br />

sei auf diese Sicht <strong>de</strong>s Naturrechts beson<strong>de</strong>rs geachtet. Wir nei­<br />

gen heute dazu, Naturrecht nur als jenes <strong>Recht</strong> zu bezeichnen,<br />

das sich aus <strong>de</strong>r Wesenheit <strong>de</strong>s Menschen ergibt. Wir kommen<br />

darum im so gefaßten Naturrecht nicht weiter als zu allgemei­<br />

nen Normen, die ihre Anwendung auf Gr<strong>und</strong> eines eigenen<br />

„rechtslogischen" Prozesses suchen. Das so universal gefaßte<br />

Naturrecht verbleibt darum immer noch im i<strong>de</strong>alistischen<br />

Raum, im Bereich <strong>de</strong>r reinen Norm. Für Thomas dagegen ist<br />

Naturrecht ein bis in die konkrete Sachlage hineinreichen<strong>de</strong>s<br />

Soll. Wir könnten seinen Gedanken auch so ausdrücken, daß<br />

wir sagen: Alles das hat als Naturrecht zu gelten, was objektiv<br />

rational, d. h. sachlich analysierbar ist. Ob es nun immer mög­<br />

lich sein wird, auf rationalem Wege die an sich rationale,<br />

genauer gesagt, rationable <strong>und</strong> intelligible, weil sachlich vorlie­<br />

gen<strong>de</strong>, <strong>Recht</strong>slage zu analysieren, ist eine an<strong>de</strong>re Frage. Thomas<br />

selbst hat (I—II 94,4; DT, Bd. 13) verschie<strong>de</strong>ne Stufen <strong>de</strong>r<br />

275


57. 2 Erkennbarkeit <strong>de</strong>s Naturgesetzes unterschie<strong>de</strong>n: einmal die all­<br />

gemeinen Prinzipien, die von allen leicht erkannt wer<strong>de</strong>n kön­<br />

nen; dann die vielfältigen, daraus erschlossenen For<strong>de</strong>rungen,<br />

die erfahrungsgemäß vielen verborgen bleiben. Tatsächlich wird<br />

die objektiv an sich erkennbare Inhaltlichkeit <strong>de</strong>r Natursachlage<br />

von unserer Seite oft nur durch eine entsprechend ethisch unter­<br />

baute Ratio erschlossen. Wir kommen also <strong>de</strong>m nahe, was die<br />

mo<strong>de</strong>rne Philosophie Werterkenntnis nennt, wenngleich bei<br />

Thomas diese Werterkenntnis eine etwas an<strong>de</strong>re Struktur zeigt,<br />

als es im mo<strong>de</strong>rnen Denken <strong>de</strong>r Fall ist.<br />

Thomas hält also daran fest: Es gibt ein Naturrecht, das kon­<br />

kret als solches formuliert wer<strong>de</strong>n kann. Und da <strong>Recht</strong> immer<br />

ein konkreter Bestand ist, ist Natur-<strong>Recht</strong> immer mit konkre­<br />

ter Inhaltlichkeit gefüllt. Darin gera<strong>de</strong> liegt einer <strong>de</strong>r be<strong>de</strong>uten­<br />

<strong>de</strong>n Unterschie<strong>de</strong> zwischen <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Gesetz. Das<br />

Gesetz kann sich in allgemeinen Normen bewegen, während<br />

das <strong>Recht</strong> eben wesentlich eine Situation im Hier <strong>und</strong> Jetzt ent­<br />

schei<strong>de</strong>t. Es wäre daher an <strong>de</strong>r Zeit, daß die Naturrechts<strong>de</strong>nker,<br />

die sich auf Thomas berufen, diesen Unterschied zwischen<br />

Naturgesetz <strong>und</strong> Naturrecht voll <strong>und</strong> ganz ernstnehmen<br />

wür<strong>de</strong>n.<br />

Dem mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken kommt diese konkrete Sicht<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, wie bereits gesagt, sehr entgegen. Nur <strong>de</strong>r Positivis­<br />

mus sieht die Gestaltungsursache dieses konkreten <strong>Recht</strong>s<br />

nicht in <strong>de</strong>r Natur, son<strong>de</strong>rn allein in <strong>de</strong>r positiven Setzung. Das<br />

positive Gesetz ist aber noch weit entfernt vom konkreten<br />

<strong>Recht</strong> im Hier <strong>und</strong> Jetzt. Darum hatte die Freirechtsschule die<br />

eigentliche <strong>Recht</strong>sbildung in <strong>de</strong>n richterlichen Spruch verlegt.<br />

Immerhin wur<strong>de</strong> im europäischen Positivismus noch ein Weg<br />

gesucht von irgendwelchen übergeordneten Normen zur kon­<br />

kreten <strong>Recht</strong>ssetzung. Auch Kelsen, <strong>de</strong>r konsequenteste Positi­<br />

vist, geht von einem Normensystem aus. Um das <strong>Recht</strong> noch<br />

als konkreten Entscheid zu retten, zieht auch er <strong>de</strong>n rechts er­<br />

zeugen<strong>de</strong>n Prozeß folgerichtig durch bis in das richterliche<br />

Urteil. Dagegen gibt es gemäß <strong>de</strong>m vom Darwinismus stark<br />

beeinflußten Amerikaner Oliver Wen<strong>de</strong>il Holmes überhaupt<br />

kein geschlossenes <strong>Recht</strong>ssystem mehr. Im gleichen Materialis­<br />

mus bewegen sich die Amerikaner J.Frank, Th.W.Arnold,<br />

EdwinN. Garlan. Hier heißt es: <strong>Recht</strong> ist; es wird also eigent­<br />

lich nicht; <strong>und</strong> zwar ist es je<strong>de</strong>smal neu im Urteilsspruch <strong>de</strong>s<br />

Richters.<br />

276


Im Hinblick auf die konkrete Formung <strong>de</strong>s Naturrechts 57. 2<br />

kann es dann nicht mehr w<strong>und</strong>ernehmen, wenn Thomas (Art. 2<br />

Zu 1) erklärt: „Die Natur <strong>de</strong>s Menschen ist verän<strong>de</strong>rlich". Die<br />

Sachlage än<strong>de</strong>rt sich nach <strong>de</strong>n konkrten Umstän<strong>de</strong>n. Die allge­<br />

meinen Normen gehören zum Gesetz. Sie sind <strong>de</strong>m konkreten<br />

<strong>Recht</strong> einverleibt. Dennoch aber sind sie mit diesem nicht i<strong>de</strong>n­<br />

tisch, sonst wür<strong>de</strong>n sie ihre Allgemeinheit <strong>und</strong> Unverän<strong>de</strong>rlich-<br />

keit verlieren.<br />

Damit läßt sich das Naturrecht, also das, was konkret von<br />

Natur recht ist, als ein Sollen erkennen, das in sich vielschichtig<br />

ist. Es sind darin die Normen enthalten, die, mit einem konkre­<br />

ten Sachverhalt zusammengebracht, eben das <strong>Recht</strong> ergeben.<br />

Und das alles soll, wie Thomas im zweiten Artikel erklärt, ohne<br />

Dazwischentreten irgen<strong>de</strong>iner positiven Gesetzesgewalt ge­<br />

schehen, so daß das Naturrecht seine Existenz einem, wenn<br />

man so sagen darf, „Naturprozeß" verdankt. Damit sind wir<br />

beim Kern <strong>de</strong>r thomasischen Naturrechtslehre angelangt. Um<br />

seinen Inhalt aufzubrechen <strong>und</strong> in seiner Be<strong>de</strong>utung für uns<br />

heute erst richtig zu erkennen, bringen wir die thomasische<br />

Naturrechtslehre mit <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie in Ver­<br />

gleich.<br />

2. DIE NATURRECHTS LEHRE DES HL. THOMAS UND DIE DER<br />

MODERNEN RECHTSPHILOSOPHIE 6<br />

a) Die Normen <strong>de</strong>s Naturrechts<br />

Thomas anerkennt, wie gesagt, trotz <strong>de</strong>r konkreten Fassung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts allgemeine Naturrechtsprinzipien. So spricht<br />

er in Art. 2 Zu 2 von einem „Wi<strong>de</strong>rspruch an sich", <strong>de</strong>n eine<br />

<strong>Recht</strong>sbehauptung besagt, z. B. ist die Behauptung, <strong>de</strong>r Dieb­<br />

stahl sei erlaubt, in sich ein Wi<strong>de</strong>rspruch, weil das Wesen <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls immer <strong>und</strong> überall <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sprinzipien wi<strong>de</strong>r­<br />

spricht (a. a. 0.). Die mo<strong>de</strong>rne Scholastik bezeichnet durchweg<br />

dieses An-sich als „das Naturrecht" <strong>und</strong> sieht in <strong>de</strong>r konkreten<br />

6 Die umfangreiche Literatur zu diesem Thema habe ich besprochen in: Die<br />

Neue Ordnung 5 (1951) 201-219,313-329. Eine erweiterte Besprechung in<br />

Bulletin Thomiste 8 (1947/53) 650—664. Weitere Literaturangaben in<br />

A.F. Utz, Sozialethik,Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie; ebenso in <strong>de</strong>rs., Bibliographie<br />

<strong>de</strong>r Sozialethik (11 B<strong>de</strong>) unter II. 10.3.<br />

277


57. 2 Formulierung nur mehr eine Anwendung <strong>de</strong>s Naturrechts. So<br />

meint z.B./. Messner (Das Naturrecht. 1950, 345): „Im Natur­<br />

recht ist in <strong>de</strong>r Tat nur ein Gr<strong>und</strong>riß von <strong>Recht</strong>sbeziehungen<br />

gegeben, alles übrige ist <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>r Gesellschaftsmitglie<strong>de</strong>r<br />

überlassen, sobald die Demokratie rechtmäßige Staatsform<br />

gewor<strong>de</strong>n ist". Thomas hätte diese Formulierung nicht<br />

gebracht. Er hätte im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Teil <strong>de</strong>s zitierten Textes<br />

gesagt: „alles übrige ist <strong>de</strong>r Vernunft überlassen..." In <strong>de</strong>r neue­<br />

sten, 7. Auflage (1984, 623) ist dieser Text allerdings geän<strong>de</strong>rt<br />

wor<strong>de</strong>n im Hinblick auf die staatliche Verfassung. Die Vernunft<br />

ist das Maßgeben<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Analyse <strong>de</strong>s Sachbereichs. So weit sie<br />

dringt, ebenso weit dringt das Naturrecht. Wo <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rne<br />

Scholastiker schon eine willentliche, interessenmäßige Anwen­<br />

dung <strong>de</strong>s Naturrechts (bei Thomas <strong>de</strong>r Naturrechtsprinzipien)<br />

sehen möchte, da sieht Thomas noch Vernunft. Allerdings aner­<br />

kennt er, wie aus <strong>de</strong>m zweiten Artikel ersichtlich ist, auch die<br />

rein willensmäßige Festlegung. Jedoch hat diese bei Thomas<br />

nicht <strong>de</strong>n Raum wie im Denken <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Scholastiker.<br />

Freilich behält Messner im Hinblick auf die mo<strong>de</strong>rne Gesell­<br />

schaft, in <strong>de</strong>r eine allgemeingültige Vernunft nicht mehr aner­<br />

kannt wird, <strong>de</strong>nnoch <strong>Recht</strong>. In <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Schau aber<br />

ist Thomas beizupflichten, sofern man <strong>de</strong>m thomasischen<br />

Erkenntnisoptimismus folgt, gemäß <strong>de</strong>m die menschliche Ver­<br />

nunft fähig genug ist, eine konkrete Sachanalyse vorzunehmen,<br />

ohne voreilig zu rein willentlicher Festlegung zu greifen. Die<br />

protestantische Naturrechtsauffassung krankt eben daran, daß<br />

sie <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft um <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> willen kaum<br />

Vertrauen o<strong>de</strong>r teilweise sogar in je<strong>de</strong>r Hinsicht Mißtrauen ent­<br />

gegenbringt <strong>und</strong> so zu einem übernatürlichen Erkenntnisprin­<br />

zip, nämlich <strong>de</strong>m Glauben, als <strong>de</strong>m einzigen Maßstab <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts greifen muß (vgl. E. Brunner, <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Zürich 1943).<br />

Auch außerhalb <strong>de</strong>r Scholastik läßt sich heute, so vor allem<br />

im Arbeitsrecht 7 , ein starker Ruf nach naturrechtlicher F<strong>und</strong>ie­<br />

rung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s erkennen. Die Wandlung, welche die <strong>Recht</strong>s­<br />

philosophie durch die Abkehr vom Positivismus <strong>und</strong> die Hin­<br />

wendung zum Naturrechts<strong>de</strong>nken durchmacht, darf aber durch­<br />

aus nicht in übereiltem Optimismus als eine Rückkehr zur<br />

christlichen Naturrechtslehre ge<strong>de</strong>utet wer<strong>de</strong>n. Zwar wer<strong>de</strong>n<br />

278<br />

Vgl. auch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Fußnote 6 angegebenen Artikel <strong>de</strong>r Neuen Ordnung.


Normen proklamiert, gemäß <strong>de</strong>nen sich das konkrete <strong>Recht</strong> zu 57. 2<br />

bil<strong>de</strong>n habe. Und diese Normen wer<strong>de</strong>n als Naturrechtsnor­<br />

men bezeichnet. Es ist aber sorgsam zu untersuchen, ob es sich<br />

wirklich um Naturrechtsnormen han<strong>de</strong>lt o<strong>de</strong>r schließlich doch<br />

nur um „das richtige <strong>Recht</strong>" Stammlers, „das Kulturrecht" Koh­<br />

lers, „die apriorischen Gr<strong>und</strong>lagen" Reinachs, „das autonome<br />

<strong>Recht</strong>" o<strong>de</strong>r „die Autonomie <strong>de</strong>s Gewissens" Laims. W. G. Bek-<br />

ker* glaubt — wenn auch in sehr eigenwilliger Weise — nicht<br />

weniger als sechs Definitionen <strong>de</strong>s Naturrechts zusammen­<br />

stellen zu können. Man scheut sich nicht, von Naturrecht zu<br />

sprechen <strong>und</strong> dabei im Neukantianismus steckenzubleiben. Wer<br />

die Geschichte <strong>de</strong>s Naturrechts von <strong>de</strong>r Stoa bis in die Neuzeit<br />

verfolgt, dürfte über die Vielgestalt <strong>de</strong>s Begriffs „Naturrecht"<br />

nicht mehr im Zweifel sein.<br />

Das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> für eine naturrechtliche Auffassung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>snormen ist, daß diese Normen wirklich als gültige Nor­<br />

men konkreten <strong>Recht</strong>s anerkannt wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht nur als<br />

metajuristische Kategorien, die in irgen<strong>de</strong>iner Weise für die<br />

<strong>Recht</strong>sbildung als notwendig bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Auch <strong>de</strong>r<br />

Positivismus hat Normen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbildung verlangt, abge­<br />

sehen vielleicht von <strong>de</strong>m materialistischen Suprarealismus ame­<br />

rikanischer <strong>Recht</strong>sphilosophen. Man wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Positivisten<br />

Unrecht tun, wollte man ihm vorwerfen, er leugne <strong>de</strong>n wirkli­<br />

chen Einfluß irgendwelcher Naturrechtsi<strong>de</strong>en von seiten <strong>de</strong>r<br />

Menschen, die das <strong>Recht</strong> gestalten. Nach ihm ist es durchaus<br />

möglich, daß eine Gesellschaft, die überwiegend naturrechtlich<br />

<strong>de</strong>nkt, auf Gr<strong>und</strong> dieser soziologischen Struktur <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s im Sinne <strong>de</strong>s Naturrechts gestaltet. Für <strong>de</strong>n Positivisten<br />

sind aber diese Entstehungsgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, also alle sittli­<br />

chen <strong>und</strong> politischen Absichten, die etwa zur <strong>Recht</strong>schaffung<br />

führen können, außerrechtlich, ohne je<strong>de</strong> rechtliche Bewandt­<br />

nis. Sie sind einfach Daten, die zur <strong>Recht</strong>sbildung führen, die<br />

politisch sogar gefor<strong>de</strong>rt sind, mit „<strong>Recht</strong>" aber nichts zu tun<br />

haben, d. h. keine rechtlichen Sollenssätze darstellen. Die tat­<br />

sächliche Gültigkeit in einer konkreten Gesellschaft ist im<br />

<strong>Recht</strong> das Entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>. Alles an<strong>de</strong>re gehört in die <strong>Recht</strong>spoli­<br />

tik.<br />

1 WG. Becker, Die symptomatische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Naturrechts im Rahmen<br />

<strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s. In: Archiv für die zivilistische Praxis 150 (1948) 97—<br />

130. Vgl. ebenso E.Wolf, Das Problem <strong>de</strong>r Naturrechtslehre, Karlsruhe 1964,<br />

bes. 193-201. A.Elitz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphilosophie, 119-124.<br />

279


57. 2 Nicht viel an<strong>de</strong>rs verhält es sich mit <strong>de</strong>n meisten mo<strong>de</strong>rnen<br />

Verteidigern <strong>de</strong>s Naturrechts. Wer die <strong>Recht</strong>snorm zwar als<br />

einen — wenn auch noch so starken — rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Faktor<br />

auffaßt, in ihr aber nur die Bedingung für richtiges <strong>Recht</strong> aner­<br />

kennt, kann nicht als Vertreter <strong>de</strong>r Naturrechtslehre angesehen<br />

wer<strong>de</strong>n. Stammler mit seinem „richtigen <strong>Recht</strong>" als einen Ver­<br />

fechter <strong>de</strong>s Naturrechts zu bezeichnen, wäre daher höchst irr­<br />

tümlich. Becker (a. a. 0.117) hat die Wahrheit getroffen, wenn er<br />

sagt, daß Stammler durchaus Positivist im technischen Sinne sei.<br />

Auf folgen<strong>de</strong>s kommt es an: Eine echte Naturrechtslehre aner­<br />

kennt reale, allgemeingültige Normen, die aus sich, ohne Rück­<br />

griff auf die bestehen<strong>de</strong> Gesellschaft, konkret rechtliche Aner­<br />

kennung for<strong>de</strong>rn <strong>und</strong> darum in <strong>de</strong>r durch die Vernunft (nicht<br />

<strong>de</strong>n Willen) vorgenommenen Konkretisierung <strong>Recht</strong> sind.<br />

Von <strong>de</strong>n „realen, allgemeingültigen Normen" ist hier zu­<br />

nächst die Re<strong>de</strong>. Es han<strong>de</strong>lt sich hierbei um die For<strong>de</strong>rungen<br />

<strong>de</strong>r Naturrechtsprinzipien an die lex ferenda, an das erst in <strong>de</strong>r<br />

Bildung begriffene <strong>Recht</strong>. Die Konkretisierung durch die Ver­<br />

nunft kommt nachher zur Sprache. Es geht dann dort um <strong>de</strong>n<br />

rechtslogischen Prozeß, mit Hilfe <strong>de</strong>ssen Naturrecht gebil<strong>de</strong>t<br />

wird.<br />

Becker (a. a. 0.121) unterschei<strong>de</strong>t das Naturrecht im direkten<br />

Sinne (sensu proprio) vom Naturrecht im symptomatischen<br />

Sinne (sensu symbolico o<strong>de</strong>r allegorico). Unter <strong>de</strong>m Natur­<br />

recht im direkten Sinne versteht er die Naturrechtsnormen, wie<br />

sie von Thomas als rechtliche For<strong>de</strong>rungen an das zu bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

<strong>Recht</strong> aufgefaßt wer<strong>de</strong>n. Er nennt diese Art, das Naturrecht zu<br />

sehen, einen „naiven Naturrechtsbegriff". Nach Becker ist<br />

Naturrecht nur haltbar als ein symbolischer Begriff, <strong>de</strong>r unmit­<br />

telbar mit <strong>de</strong>r Natur als solcher nichts zu tun hat. In dieser Fas­<br />

sung ist Naturrecht „ein Inbegriff von historisch geschehenen,<br />

positiv registrierbaren, in <strong>Recht</strong>sakten zum Ausdruck gelan­<br />

gen<strong>de</strong>n Erkenntnissen von Menschen, welche von <strong>de</strong>m Gedan­<br />

ken einer effektiven <strong>Recht</strong>sbesserung motiviert <strong>und</strong> dirigiert<br />

sind, damit von <strong>de</strong>m Bedürfnis, ein nach logischen <strong>und</strong> ethi­<br />

schen Maßstäben unbefriedigen<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong> ohne Rücksicht auf<br />

seine staatliche Sanktionierung bei seiner konkreten Anwen­<br />

dung durch die dazu berufenen Menschen nur in verbesserter<br />

<strong>und</strong> befriedigen<strong>de</strong>r Gestalt zur Wirkung gelangen zu lassen"<br />

(a. a. 0.). Es han<strong>de</strong>lt sich hierbei nicht um eine <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Vernunft <strong>und</strong> erst recht nicht <strong>de</strong>m menschlichen Werterleben<br />

280


vorgegebene Norm in Sinn <strong>de</strong>r überzeitlichen natura humana, 57. 2<br />

son<strong>de</strong>rn lediglich um die am gesellschaftlichen Leben gemes­<br />

sene, aus ihm erst entstehen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>sauffassung. <strong>Recht</strong>sbesse­<br />

rung ist also nach Becker, <strong>de</strong>r Stärkstens von Stammler <strong>und</strong> teil­<br />

weise von Kierkegaard beeinflußt ist, keine Besserung gemäß<br />

Annäherung an eine objektive, von <strong>de</strong>m menschlichen Wollen<br />

unabhängige Normenordnung, son<strong>de</strong>rn nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

von <strong>de</strong>n konkret leben<strong>de</strong>n Menschen gewertete Lebensord­<br />

nung. Die Naturrechtsordnung ist so eine Ordnung <strong>de</strong>r „norma­<br />

len" — richtiger wäre es zu sagen: <strong>de</strong>r durchschnittlich leben<strong>de</strong>n<br />

— Menschen in <strong>de</strong>r Gesellschaft, im Gr<strong>und</strong>e: <strong>de</strong>r Mehrheit im<br />

formal<strong>de</strong>mokratischen Sinn.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r Natur wird also aus <strong>de</strong>m „naiven Realismus"<br />

<strong>de</strong>r philosophischen Abstraktion in die konkrete Willensord­<br />

nung verlagert. Allerdings ist auch diese Natur in gewissem<br />

Sinn eine vorgegebene Größe, vorgegeben aber nicht als on-<br />

tisch-metaphysische Realität, son<strong>de</strong>rn als soziologischer<br />

Bef<strong>und</strong>. Ähnlich ist auch <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „conscientia", <strong>de</strong>s<br />

Gewissens, umge<strong>de</strong>utet. Conscientia ist nicht mehr das prak­<br />

tische Wissen um die Verwirklichung ewiger Normen, son<strong>de</strong>rn<br />

ein con-scire, ein Wissen mit an<strong>de</strong>ren zusammen um gemein­<br />

sam erkannte Gr<strong>und</strong>sollenssätze. Ein solches Naturrecht ent­<br />

spricht in etwa <strong>de</strong>r „kommunikativen Kompetenz" bei/. Haber­<br />

mas?<br />

Die Verlagerung <strong>de</strong>s Begriffs „Natur" ist bezeichnend für die<br />

gesamte Naturrechtsauffassung unserer Tage. Wer „Natur" nur<br />

im Sinn <strong>de</strong>s realistischen Optimismus <strong>de</strong>r Erkenntnis zu neh­<br />

men gewohnt ist, wird durch die stets anwachsen<strong>de</strong> Natur­<br />

rechtsliteratur geblen<strong>de</strong>t <strong>und</strong> zur Annahme verleitet, es voll­<br />

ziehe sich heute eine allgemeine Rückkehr zur alten Natur­<br />

rechtsauffassung <strong>de</strong>s hl. Thomas. Bei Ed. Spranger 10 ist <strong>de</strong>r Cha­<br />

rakter <strong>de</strong>s Universalen <strong>de</strong>rart außer Kraft gesetzt, daß das<br />

Naturrecht im Sinn einer ewig gelten<strong>de</strong>n Norm ausdrücklich<br />

als „Utopie" bezeichnet wird, da es für neu auftreten<strong>de</strong> kritische<br />

Situationen keine bestimmten Anwendungen enthalte. Das<br />

Naturrecht, das jeweils in Kraft sein mag, wird nur im Sinn<br />

einer Zukunftsnorm anerkannt, d. h. im zeitlichen Fluß <strong>de</strong>rTra-<br />

9 /. Habermai, Vorbereiten<strong>de</strong> Bemerkungen zu einer Theorie <strong>de</strong>r kommunikativen<br />

Kompetenz, in: J. Habermas/N. Luhmann, Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />

o<strong>de</strong>r Sozialtechnologie — Was leistet die Systemforschung?, 101—141.<br />

1 0 E. Spranger, Zur Frage <strong>de</strong>s Naturrechts, in: Universitas 3 (1948) 405—420.<br />

281


57. 2 dition, <strong>und</strong> zwar hier nur richtunggebend auf das Kommen<strong>de</strong><br />

hin. Wir begegnen hier einer existentiellen <strong>Recht</strong>sphilosophie,<br />

wie sie auch <strong>de</strong>r bereits zitierte Autor Beyer vertritt.<br />

Immerhin wirken in <strong>de</strong>r heutigen Naturrechtsauffassung<br />

noch stark einige Überreste <strong>de</strong>r christlichen Tradition <strong>und</strong> vor<br />

allem auch die auf <strong>de</strong>n jüngsten Bankrott <strong>de</strong>s Positivismus<br />

erfolgte Neubesinnung auf die ursprünglichen <strong>Recht</strong>san­<br />

sprüche <strong>de</strong>s Menschen, so daß sich die Ergebnisse dieses heuti­<br />

gen „versubjektivierten" Naturrechts oft in auffallen<strong>de</strong>r Ähn­<br />

lichkeit mit <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r alten christlichen Naturrechtslehre tref­<br />

fen.<br />

Dasjenige, woran eigentlich die mo<strong>de</strong>rnste Naturrechtsauf­<br />

fassung, soweit sie sich nicht in <strong>de</strong>n Bahnen <strong>de</strong>r thomistischen<br />

Tradition bewegt, Anstoß nimmt, ist <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r „vorstaatli­<br />

chen" <strong>Recht</strong>e. Das <strong>Recht</strong> kann man sich nach mo<strong>de</strong>rner An­<br />

schauung nur in <strong>de</strong>r existenten Gesellschaft vorstellen, <strong>und</strong><br />

auch da nur, insofern diese organisiert ist. Die Gesellschaft wird<br />

ihrerseits durch an<strong>de</strong>re Motive als die <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s aufgerufen,<br />

sich <strong>de</strong>r menschlichen Lebenswerte bewußt zu sein <strong>und</strong> ihnen<br />

entsprechend <strong>Recht</strong>spolitik zu betreiben zur Schaffung <strong>de</strong>s<br />

„richtigen" <strong>Recht</strong>s. So kommt man heute durchweg auf die<br />

Werte als Normen von zu bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>. Und zwar sind<br />

diese Werte in ihrer Allgemeingültigkeit <strong>und</strong> Allgemeinver­<br />

pflichtung anerkannt. Der Gedanke J.Tammelos 1 , daß die<br />

<strong>Recht</strong>snorm jeweils nur <strong>de</strong>m Forscher intuitiv gegeben sei,<br />

nähert sich stark einem individualistischen Wert<strong>de</strong>nken.<br />

Im weitaus größeren Teil <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Literatur ist Vorfeld<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s das Feld <strong>de</strong>r Werte im Sinne <strong>de</strong>r materiellen Werte<br />

M. Schelers <strong>und</strong> N. Hartmanns. Ph. Heck hatte in seinem um­<br />

strittenen Buch „Begriffs- <strong>und</strong> Interessenjurispru<strong>de</strong>nz" (1932)<br />

die Notwendigkeit einer Wertforschung, also einer Wertlehre,<br />

für die <strong>Recht</strong>swissenschaft verteidigt. Dabei aber verwies er<br />

diese Wertforschung in die <strong>Recht</strong>sphilosophie, die ihm keine<br />

Wissenschaft vom <strong>Recht</strong>, son<strong>de</strong>rn eine „Vorwissenschaft" ist.<br />

Die Literatur <strong>de</strong>r Nachkriegszeit legt Gewicht darauf, diese<br />

Wertforschung, wie sie für die <strong>Recht</strong>sbildung von Be<strong>de</strong>utung<br />

ist, nicht mehr in <strong>de</strong>n Vorhof <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft zu verwei­<br />

sen, son<strong>de</strong>rn sie unmittelbar als Gegenstand <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissen­<br />

schaft anzuerkennen. Ob aber diese Annäherung an altes<br />

11 J.Tammelo, Untersuchungen zum Wesen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. 1947.<br />

282


Naturrechts<strong>de</strong>nken wirklich so viel be<strong>de</strong>utet, wie es <strong>de</strong>n 57. 2<br />

Anschein hat?<br />

H. Mitteis 12 hebt als einen zentralen Wert das Ethos <strong>de</strong>r Persönlichkeit<br />

hervor. Im selben Sinne fin<strong>de</strong>n wir bei H. Coing 13<br />

dieses Persönlichkeitsi<strong>de</strong>al als einen Gr<strong>und</strong>ton <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen<br />

<strong>Recht</strong>sempfin<strong>de</strong>ns. Durchweg hat man sich damit abgef<strong>und</strong>en,<br />

<strong>und</strong> mehr als das, man hat es sogar befürwortet, daß die morali­<br />

schen Kategorien zu <strong>de</strong>n rechtsbestimmen<strong>de</strong>n Faktoren gehören.<br />

So auch, nach langer Entwicklung, selbst G. Radbruch.<br />

Und doch sind diese Werte nicht eigentlich aus sich <strong>Recht</strong>s­<br />

normen; <strong>de</strong>r Weg von <strong>de</strong>r Moral o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Werten geht nicht<br />

direkt zum Inhalt <strong>de</strong>ssen, was <strong>Recht</strong> sein soll, son<strong>de</strong>rn über das<br />

<strong>Recht</strong>sbewußtsein <strong>de</strong>r Gesellschaft; nicht <strong>de</strong>r objektive Wert als<br />

solcher hat rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur das Bewußtsein von diesen Werten, <strong>und</strong> zwar das<br />

Bewußtsein, sofern es sich in <strong>de</strong>r Gesellschaft ausbreitet. Auch<br />

bei Thomas begegnen wir etwas Ähnlichem, insofern nicht <strong>de</strong>r<br />

Inhalt aus sich die Bewandtnis <strong>de</strong>s Sollens hat, son<strong>de</strong>rn nur,<br />

insofern er ins menschliche Bewußtsein eintritt <strong>und</strong> von diesem<br />

als For<strong>de</strong>rung gestellt wird. Wir wer<strong>de</strong>n darauf noch bei <strong>de</strong>r<br />

Besprechung <strong>de</strong>s rechtslogischen Prozesses zurückkommen.<br />

Aber Thomas erkennt in diesem Bewußtsein noch eine allge­<br />

meingültige menschliche Vernunft <strong>und</strong> nicht bloß ein Wertge­<br />

fühl. In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sphilosophie wer<strong>de</strong>n aber die<br />

Werte als <strong>Recht</strong>snormen nivelliert entsprechend <strong>de</strong>m Kultur-<br />

<strong>und</strong> Moralniveau <strong>de</strong>r Gesellschaft. Im Gr<strong>und</strong>e genommen<br />

kommt man also auf die alten Auffassungen vom <strong>Recht</strong>sgefühl<br />

zurück. Die Ethik wird im <strong>Recht</strong>sbereich zu <strong>de</strong>m, was die<br />

Gemeinschaft als solche empfin<strong>de</strong>t, entsprechend <strong>de</strong>r Defini­<br />

tion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, das nichts an<strong>de</strong>res als „eine soziale Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung" sein soll, <strong>und</strong> zwar eine Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r exi­<br />

stenten Gesellschaft, wie sie augenblicklich <strong>de</strong>nkt <strong>und</strong> fühlt.<br />

Diese Nivellierung <strong>de</strong>r Ethik im Bereich <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snormen<br />

<strong>und</strong> entsprechend die Verbannung <strong>de</strong>r Ethik aus <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

selbst haben nicht zuletzt ihren Gr<strong>und</strong> in <strong>de</strong>r inhaltlich völlig<br />

entleerten Fassung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. Aus <strong>de</strong>m i<strong>de</strong>alistischen Be-<br />

1 2 H. Mitteis, Über das Naturrecht. Deutsche Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften zu<br />

Berlin, Vorträge <strong>und</strong> Schriften, Heft 26, 1948.<br />

13 H. Coing, Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Ein Versuch <strong>de</strong>r Neubegründung<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts. Schriften <strong>de</strong>r „Süd<strong>de</strong>utschen Juristenzeitung", Heft 4,<br />

1947.<br />

283


57. 2 griff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wer<strong>de</strong>n die Achtung vor <strong>de</strong>r Persönlich­<br />

keit sowie die verschie<strong>de</strong>nen <strong>Recht</strong>snormen abgeleitet. Es<br />

bedarf also einer ganz bestimmten <strong>und</strong> vorgefaßten I<strong>de</strong>e <strong>und</strong><br />

Wertempfindung, wenn man aus <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Menschenrechte ableiten will. Im Gr<strong>und</strong>e han<strong>de</strong>lt es sich<br />

daher nicht um eine Analyse <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft entnommenen I<strong>de</strong>e „Gerechtig­<br />

keit", son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s Wertempfin<strong>de</strong>ns in bezug auf die Gerechtig­<br />

keit. Bereits die oberste <strong>Recht</strong>snorm läßt wegen ihrer kategoria-<br />

len Leere eine verschie<strong>de</strong>ne Aus<strong>de</strong>utung im konkreten <strong>Recht</strong>s­<br />

empfin<strong>de</strong>n zu, so daß es nur an<strong>de</strong>rer Menschen mit an<strong>de</strong>rer<br />

Erziehung <strong>und</strong> an<strong>de</strong>ren Erfahrungen bedarf, um sogleich einen<br />

Wan<strong>de</strong>l in <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>snormen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge im <strong>Recht</strong> herbei­<br />

zuführen.<br />

Doch sei nicht verschwiegen, daß die Scholastik selbst Anlaß<br />

zu einer solch entleerten Auffassung <strong>de</strong>s obersten Gerechtig­<br />

keitsbegriffs gibt. Aus <strong>de</strong>n Erörterungen <strong>de</strong>r Scholastiker über<br />

das Prinzip „Je<strong>de</strong>m das Seine geben" gewinnt man leicht <strong>de</strong>n<br />

Eindruck einer formalen Kategorie. Dieser Eindruck wird noch<br />

dadurch verstärkt, daß die Scholastik nur das allgemeinste Prin­<br />

zip „Das Gute ist zu tun, das Böse zu mei<strong>de</strong>n" <strong>und</strong> ähnliche<br />

Formulierungen, wie „<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn nichts Böses zufügen", als<br />

eigentlich allgemeingültige Normen hinstellte, während die<br />

Ableitungen schon nicht mehr diese Unabän<strong>de</strong>rlichkeit aufwei­<br />

sen, so daß man von Naturrechtsprinzipien her sowohl auf die<br />

Monogamie wie auch auf die Polygamie schließen konnte. 14<br />

Thomas hatte zwei Arten von Naturrechtsprinzipien unter­<br />

schie<strong>de</strong>n: allgemeinste <strong>und</strong> zweitrangige (I—II 94,5). Die allge­<br />

meinen, unter <strong>de</strong>nen sich z. B. auch das Prinzip <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit fin<strong>de</strong>t: „Je<strong>de</strong>m das Seine geben, nieman<strong>de</strong>m das Seinige<br />

nehmen", erinnern sehr stark an <strong>de</strong>n neukantianischen Norm­<br />

begriff. Gera<strong>de</strong> dies ist es wahrscheinlich auch, was <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>r­<br />

nen <strong>Recht</strong>sphilosophie bei Thomas so gefällt <strong>und</strong> sie anzieht.<br />

Selbst ein Positivist wie <strong>de</strong>r Amerikaner Jerome Frank zollt Tho­<br />

mas v. Aquin das unerhört schmeicheln<strong>de</strong> Lob: „Ich verstehe<br />

nicht, wie irgen<strong>de</strong>in vernünftiger <strong>und</strong> gesitteter Mensch heute<br />

es ablehnen kann, die Gr<strong>und</strong>prinzipien <strong>de</strong>s Naturrechts bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>s menschlichen Verhaltens, wie sie Thomas v. Aquin fest-<br />

14 Vgl. C.R.Billuart, Summa S.Th., T.IV., Tract.<strong>de</strong>leg., Diss.II, Art.IV.<br />

284


gestellt hat, als Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Kultur anzuerken- 57. 2<br />

nen". 15<br />

Das Lob steht durchaus zurecht, aber nicht in <strong>de</strong>m Sinne,<br />

wie es etwa die i<strong>de</strong>alistische o<strong>de</strong>r positivistische <strong>Recht</strong>sphiloso­<br />

phie meint. Die ungeheure Weite <strong>und</strong> Wan<strong>de</strong>lbarkeit, die Tho­<br />

mas <strong>de</strong>n Naturrechtsnormen zuerkennt, ist alles an<strong>de</strong>re als <strong>de</strong>r<br />

Ausdruck einer Naturrechtsauffassung im Sinne <strong>de</strong>r Lehre vom<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Wertgefühl. Thomas spricht an jener Stelle<br />

vom sittlichen Teil <strong>de</strong>r Naturgesetze <strong>und</strong> meint, daß die sittliche<br />

Verantwortung in <strong>de</strong>m Maße abnimmt, in welchem man die<br />

Normen nicht mehr mit Sicherheit erkennt. Natürlich ist dann<br />

auch die Gesellschaft sittlich nicht gehalten, diese Prinzipien in<br />

ihrer vollgültigen objektiven Werthaftigkeit zu ihren <strong>Recht</strong>snor­<br />

men zu erklären. Hier ist darum auch die Stelle, an <strong>de</strong>r von Tho­<br />

mas her <strong>de</strong>r Zugang zu <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Lehre vom soziologi­<br />

schen Wertgefühl als <strong>de</strong>m rechtsformen<strong>de</strong>n Faktor gef<strong>und</strong>en<br />

wer<strong>de</strong>n kann. 16 Es wäre aber gr<strong>und</strong>falsch, die Naturrechtsprin­<br />

zipien ihrer absoluten Normkraft entklei<strong>de</strong>n zu wollen. Diese<br />

absolute Normkraft läßt z.B. nicht zu, daß man mit manchen<br />

Scholastikern erklärt, Gott habe im Alten Testament von <strong>de</strong>r<br />

Monogamie „dispensiert". Wenn die Monogamie wirklich eine<br />

naturrechtliche For<strong>de</strong>rung ist, dann gibt es keine Dispens. Es<br />

mag sein, daß die Erkenntnis einer solchen For<strong>de</strong>rung nicht<br />

einer je<strong>de</strong>n Menschheitsgruppe aufgeht. Darum gibt es eine sitt­<br />

liche Entschuldigung für diese Menschen. Nie aber kann es eine<br />

objektive, wertmäßige Wandlung geben; darum auch kann die<br />

göttliche Autorität niemals dispensieren; sie kann einzig <strong>de</strong>n<br />

konkreten, sittlich entschuldbaren mißlichen Umstän<strong>de</strong>n Rech­<br />

nung tragen, in<strong>de</strong>m sie <strong>de</strong>n objektiven Abfall nicht anrechnet.<br />

Die Scholastiker hätten klarer unterschei<strong>de</strong>n müssen zwischen<br />

<strong>de</strong>n (objektiv) rechtlichen Normen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Erkenntnis<br />

abhängigen sittlichen Verantwortung gegenüber diesen Nor­<br />

men. Allein von <strong>de</strong>r Erkenntnisfähigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r dieser entspre­<br />

chen<strong>de</strong>n sittlichen Verantwortung her spricht Thomas von <strong>de</strong>r<br />

Unterscheidung zwischen primären (allgemeinsten) <strong>und</strong><br />

15 J.Frank, Einleitung zur 6.Aufl. von „Law and the Mo<strong>de</strong>rn Mind", XVII.<br />

Zitiert nach H. Coing, in: Archivfür<strong>Recht</strong>s-<strong>und</strong> Sozialphilosophie 38 (1949/<br />

50) 554.<br />

1 6 Beispielhaft für die soziologische Sicht von <strong>Recht</strong>snormen: P.Trappe, Soziale<br />

Norm, Normalität <strong>und</strong> Wirklichkeit, in: P.Trappe, Kritischer Realismus in<br />

<strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssoziologie, Wiesba<strong>de</strong>n 1983, 67—84.<br />

285


57. 2 sek<strong>und</strong>ären Naturrechtsprinzipien. Für Thomas ist das Natur­<br />

recht gr<strong>und</strong>sätzlich ein rational analysierbarer Sachverhalt, in<br />

welchen die unwan<strong>de</strong>lbaren Prinzipien (also die <strong>Recht</strong>snor­<br />

men) verwoben sind.<br />

In<strong>de</strong>m die mo<strong>de</strong>rne <strong>Recht</strong>sphilosophie das Wertempfin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft als die <strong>de</strong>m positiven Gesetz vorgeordnete<br />

<strong>Recht</strong>snorm bezeichnet, entfernt sie sich völlig vom eigentli­<br />

chen Naturrechts<strong>de</strong>nken, sosehr sie vielleicht sich als solches<br />

ausgibt. Wenn man schon in das Wertbewußtsein <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft abgleitet, dann wäre es, um das kollektive Gewissen zu<br />

erforschen, schließlich das einzig Folgerichtige, mit Fr. W. Jeru­<br />

salem 17 die Soziologie zu befragen, also mit Hilfe <strong>de</strong>r soziologi­<br />

schen Metho<strong>de</strong> die Zweckmäßigkeit <strong>de</strong>r sozialen Wirklichkeit<br />

festzustellen <strong>und</strong> damit auch zu festen <strong>Recht</strong>ssprüchen zu<br />

gelangen. So allerdings wird die Soziologie „das Naturrecht<br />

unserer Zeit" 18 . Das Resultat solchen Naturrechts ist in <strong>de</strong>m<br />

Satz nie<strong>de</strong>rgelegt: „Entschei<strong>de</strong>nd ist nicht, daß diese Ergebnisse<br />

wahr sind, son<strong>de</strong>rn daß sie gelten, <strong>und</strong> zwar für die <strong>Recht</strong>sge­<br />

meinschaft gelten, d.h. daß sie Bestandteil <strong>de</strong>s Geistes <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sgemeinschaft <strong>und</strong> von diesem rezipiert o<strong>de</strong>r je<strong>de</strong>nfalls<br />

anerkannt sind bzw. anerkannt wer<strong>de</strong>n können". 19<br />

Von hier aus ist dann kein weiter Weg mehr zu Savignys<br />

Volksgeist, <strong>de</strong>m auch O. Veit 20 , selbst ein Verteidiger <strong>de</strong>r Natur­<br />

rechtslehre, sich verschreibt. Damit aber sind wir beim ewigen<br />

Wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Vergehen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snormen (nicht etwa nur <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s, <strong>de</strong>m ja auch Thomas Wan<strong>de</strong>lbarkeit zuerkennt) ange­<br />

langt, <strong>und</strong> wir könnten genau so gut mit <strong>de</strong>m Materialisten <strong>und</strong><br />

Marxisten H.J. Laski 21 die natürliche Ordnung, das Vorgege­<br />

bene, das im Mittelalter <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r spanischen Tradition so hoch<br />

im Kurs stand, als in die wirtschaftliche Entwicklung verwoben<br />

ansehen <strong>und</strong> so <strong>de</strong>r „unabän<strong>de</strong>rlichen Verän<strong>de</strong>rung" die<br />

unwan<strong>de</strong>lbaren Naturrechtsprinzipien opfern.<br />

Entfernt man sich aber so weit von <strong>de</strong>n natürlichen Normen,<br />

dann wäre es immer noch besser <strong>und</strong> folgerichtiger, mit <strong>de</strong>m<br />

amerikanischen Realisten Justice Holmes erst dort <strong>Recht</strong> zu<br />

17 F.W.Jemsalem, Kritik <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft, 1948.<br />

1 8 A.a.O.XX,5.<br />

1 9 A.a.O.52.<br />

2 0 O.Veit, Die geistesgeschichtliche Situation <strong>de</strong>s Naturrechts, in: Merkur 1<br />

(1947) 390-405.<br />

2 1 H.J. Laski, Grammär of Politics, 1941.<br />

286


erkennen, wo <strong>de</strong>r Richter es ausspricht, <strong>und</strong> je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren 57. 2<br />

<strong>Recht</strong>snorm die Wirklichkeit abzusprechen, weil sie nicht mehr<br />

wirklich sei in <strong>de</strong>m Augenblick, da wir über sie nach<strong>de</strong>nken.<br />

O<strong>de</strong>r wir können ebensogut mit <strong>de</strong>r Freirechtslehre einig<br />

gehen <strong>und</strong> etwa mit Fi. Isay, H. Kantorowicz o<strong>de</strong>r E. Fuchs erklä­<br />

ren, daß erst <strong>de</strong>r Richter <strong>Recht</strong> schaffe, da je<strong>de</strong> Norm um ihrer<br />

abstrakten Form willen zu einer solchen Wirkung unfähig sei.<br />

Zu guter Letzt schließt sich wie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kreis: vom Positivis­<br />

mus zum scheinbaren Naturrecht <strong>und</strong> von hier wie<strong>de</strong>r zurück<br />

zum Positivismus.<br />

Die Unterscheidung zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral, von <strong>de</strong>r<br />

bereits kurz die Re<strong>de</strong> war, bedarf — im engen Rahmen, <strong>de</strong>r hier<br />

zur Verfügung steht — noch einer Erklärung. Der Unterschied<br />

zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral kann einem hellsichtigen Auge nicht<br />

entgehen, sosehr er von einem Teil <strong>de</strong>r Scholastiker auf Gr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r nicht in Abre<strong>de</strong> zu stellen<strong>de</strong>n Wahrheit, daß die Normen<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts zugleich auch sittliche Normen sind, überse­<br />

hen wur<strong>de</strong>.<br />

Es ist nicht unmittelbar einsichtig, warum die absoluten<br />

Normen <strong>de</strong>r Ethik zugleich auch rechtliche Bewandtnis haben<br />

sollen. Wenn man z. B. sagt, daß je<strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r eine Ehe ein­<br />

gehen will, im Gewissen verpflichtet sei, sie nur als Einehe ein­<br />

zugehen, dann scheint noch nicht gegeben zu sein, daß <strong>de</strong>r­<br />

jenige, <strong>de</strong>r polygam lebt, von <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft<br />

belangt wer<strong>de</strong>n könnte, also auf rechtlichem Wege erfaßbar sei,<br />

es sei <strong>de</strong>nn, die menschliche Gesellschaft habe ihrerseits die<br />

Einehe zu einem Bestandteil <strong>de</strong>s friedlichen Zusammenlebens<br />

erklärt. Ethische Normen sind nicht schon <strong>de</strong>swegen, weil sie<br />

ethisch sind, rechtliche Normen. Darin liegt auch <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>,<br />

warum in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Sozialethik je<strong>de</strong>r Gedanke an ein<br />

rechtliches Zwangsnormensystem ausgeschaltet <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Blick<br />

nur auf das <strong>de</strong>r Gesellschaft vorzustellen<strong>de</strong>, von dieser frei zu<br />

erwählen<strong>de</strong> I<strong>de</strong>al gerichtet wird. Der Unterschied zwischen<br />

ethischer <strong>und</strong> rechtlicher Betrachtung ist also nicht zu leugnen.<br />

Die ethische ist die vertikale Sicht zu <strong>de</strong>n ewigen Gesetzen, die<br />

rechtliche die horizontale zu <strong>de</strong>n Mitmenschen. Die vertikale<br />

weist auf das absolute Sollen, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r einzelne Mensch in sei­<br />

nem Gewissen wie einem ewigen Gericht anheimgegeben ist;<br />

die horizontale dagegen <strong>de</strong>utet auf die Organisation <strong>de</strong>r Men­<br />

schen untereinan<strong>de</strong>r, nicht um irgen<strong>de</strong>ines I<strong>de</strong>ales, son<strong>de</strong>rn um<br />

<strong>de</strong>r konkret irgendwie noch möglichen Frie<strong>de</strong>nsordnung wil-<br />

287


57. 2 len, da die konkrete soziale Ordnung notgedrungen <strong>de</strong>r kon­<br />

kreten Willensbildung <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r Rechnung tra­<br />

gen muß, wenn sie nicht utopisch sein will. Der Unterschied<br />

zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral ist sogar ein realer, sofern man <strong>Recht</strong><br />

<strong>und</strong> Individualmoral einan<strong>de</strong>r gegenüberstellt. Denn es gibt in<br />

Wahrheit sittliche I<strong>de</strong>ale, die nur <strong>de</strong>r Einzelmensch ergreift <strong>und</strong><br />

vor seinem Gewissen als verpflichtend anerkennen muß. Der<br />

einzelne Mensch hat seinen eigenen Gewissensspruch, <strong>de</strong>n er<br />

nicht ohne weiteres <strong>de</strong>r Gemeinschaft aufzwingen kann.<br />

Im Raum <strong>de</strong>r Sozialethik sind <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral nicht mehr in<br />

dieser Wirklichkeit unterschie<strong>de</strong>n. Denn hier ist <strong>de</strong>rselbe Inhalt<br />

mit zwei verschie<strong>de</strong>nen Funktionen ausgerüstet, <strong>de</strong>r sittlichen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r rechtlichen. Es gibt für Thomas ethische Werte, die<br />

wesentlich Gemeinschaftswerte sind, nämlich alle jene, welche<br />

aus <strong>de</strong>r menschlichen Wesenheit als solcher folgen, eben jener<br />

Wesenheit, in welcher alle Menschen zur menschlichen <strong>Recht</strong>s­<br />

gemeinschaft zusammengeschlossen sind. Diese ethischen<br />

Werte sind nicht nur Werte, son<strong>de</strong>rn zugleich <strong>Recht</strong>sansprüche<br />

<strong>de</strong>r Menschen untereinan<strong>de</strong>r. Das ethische Sollen <strong>de</strong>r natura<br />

humana ist ein Kulturauftrag an die gesamte Menschheit <strong>und</strong><br />

von ihr als solcher zu erfüllen. Denn nicht etwa nur das Gewis­<br />

sen <strong>de</strong>s einzelnen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r vielen einzelnen Menschen ist zur<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r natura humana enthaltenen Sollens<br />

aufgerufen, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Mensch als solcher. Darum ist das<br />

Ethos <strong>de</strong>r natura humana ein rechtliches Organisationsprinzip.<br />

Je<strong>de</strong>r kann <strong>und</strong> muß daher vom an<strong>de</strong>rn erwarten können, daß<br />

er „mitmache" in <strong>de</strong>r tatkräftigen Verwirklichung <strong>de</strong>r unabän­<br />

<strong>de</strong>rlichen ethischen Sollensordnung, soweit diese in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur nie<strong>de</strong>rgelegt ist.<br />

Dieser Gedanke ist allerdings nicht völlig durchzu<strong>de</strong>nken,<br />

ohne daß man auf <strong>de</strong>n Gesetzgeber dieser rechtlichen Normen<br />

zurückgreift, nämlich auf Gott. Wenngleich an <strong>de</strong>m Wort von<br />

Hugo Grotius, daß das Naturrecht auch ohne die Existenz Got­<br />

tes bestün<strong>de</strong> (si Deus non esset...), insofern etwas Wahres ist,<br />

als die naturrechtlichen Normen nicht im Willen Gottes, son­<br />

<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen begrün<strong>de</strong>t sind, so wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>m<br />

Naturrecht eben doch die gesetzliche Kraft abgehen, wenn man<br />

nicht auf Gott, näherhin die Vernunft Gottes, als die vorgege­<br />

bene Autorität, zurückginge. Eine weitere Erklärung dieses<br />

Gedankens können wir uns hier ersparen, da er in <strong>de</strong>n Traktat<br />

über das Gesetz gehört.<br />

288


In <strong>de</strong>r thomasischen <strong>Recht</strong>sphilosophie ist also je<strong>de</strong>r sittliche 57. 2<br />

Verstoß gegen die natura humana ein Skandal für die Mensch­<br />

heit, auch wenn diese <strong>de</strong> facto nicht skandalisiert ist. Der Skan­<br />

dal wird nicht nach <strong>de</strong>r gesellschaftlich gültigen Wertethik beur­<br />

teilt, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n Aufbauprinzipien, die ins Sein <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur verflochten sind. Daß nur äußere Hand­<br />

lungen durch das menschliche Gesetz erfaßt wer<strong>de</strong>n können,<br />

tut dieser Auffassung keinen Eintrag.<br />

Wer aber besorgt nun die Bekanntgabe dieser naturrecht­<br />

lichen Normen? Diese Frage führt in das folgen<strong>de</strong> Thema hin­<br />

über.<br />

b) Der rechtslogische Prozeß<br />

von <strong>de</strong>n Normen zum konkreten <strong>Recht</strong><br />

Thomas steht für <strong>de</strong>n erkenntnistheoretischen Optimismus<br />

ein, <strong>de</strong>r besagt, daß die menschliche Vernunft naturhaft die Ver­<br />

anlagung in sich trägt, die absoluten Normen zu erkennen, so<br />

daß es an sich keiner eigenen Instanz zur Bekanntgabe bedarf,<br />

son<strong>de</strong>rn die praktische Vernunft <strong>de</strong>r Menschen genügt. Die<br />

praktische Vernunft aber ist nichts an<strong>de</strong>res als das, was wir<br />

Gewissen nennen. Damit ist jedoch nicht gesagt, daß das sitt­<br />

liche Gewissen <strong>de</strong>s einzelnen sich ohne weiteres zum Richter<br />

über die gesellschaftliche Organisation <strong>und</strong> Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

aufwerfen könne. Denn Thomas <strong>de</strong>nkt an das naturhafte<br />

Gewissen, das diesen rechtslogischen Prozeß vornimmt. Dar­<br />

unter versteht er jene subjektive Kraft <strong>de</strong>r Vernunft, die <strong>de</strong>n<br />

objektiven absoluten Normen als naturhaftes Organ entspricht.<br />

Natürlich ist damit nicht ein verobjektivierter Geist gemeint. Es<br />

wird aber die Auffassung vertreten, daß <strong>de</strong>r Mensch an sich,<br />

eben weil er eine natura humana besitzt, Vernunftkraft genug<br />

habe, um die Normen erkennen <strong>und</strong> von diesen aus unter Ein­<br />

beziehung <strong>de</strong>r konkreten Sachkenntnis die sachgeb<strong>und</strong>ene Fol­<br />

gerung ziehen zu können, was als im Hier <strong>und</strong> Jetzt von <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft rechtmäßig zu verwirklichen ist. Das Resultat die­<br />

ses logischen Prozesses ist Naturrecht.<br />

Man könnte nun mit <strong>de</strong>n vielen positivistisch eingestellten<br />

Gegnern <strong>de</strong>s hl. Thomas erklären, daß dieser Denkprozeß eben<br />

mehr ein logischer Prozeß <strong>de</strong>r Deduktion als ein rechtslogischer<br />

Prozeß sei. Um im <strong>Recht</strong>svorgang zu verbleiben, hat z.B. die<br />

Kelsensche Theorie <strong>de</strong>n rechtserzeugen<strong>de</strong>n Prozeß bis zur kon-<br />

289


57. 2 kreten <strong>Recht</strong>sanwendung durchgeführt. Aber gera<strong>de</strong> die tho­<br />

masische Auffassung von <strong>de</strong>r Vernunft als <strong>de</strong>r Kraft, die <strong>de</strong>n<br />

Weg von <strong>de</strong>n Normen zum konkreten <strong>Recht</strong> überwin<strong>de</strong>n hel­<br />

fen soll, scheint daran zu kranken, daß sie einen metajuristi­<br />

schen Faktor einbezieht.<br />

Dem ist nicht so, weil in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas die prak­<br />

tische Vernunft, insofern sie <strong>de</strong>n objektiven Sachverhalt richtig<br />

analysiert, d. h. insofern sie wahr ist, rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft<br />

besitzt; <strong>de</strong>nn entsprechend <strong>de</strong>r scholastischen Lehre von <strong>de</strong>r<br />

Syn<strong>de</strong>resis ist die menschliche Vernunft von Natur aus darauf<br />

angelegt, die objektiv vorliegen<strong>de</strong>n Sachverhalte in ihrem Nor­<br />

mengehalt zu erkennen <strong>und</strong> als Normen auszusprechen. Die<br />

Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas sieht im naturhaften Spruch<br />

<strong>de</strong>r praktischen Vernunft <strong>de</strong>n nächsten Gesetzgeber <strong>de</strong>r Men­<br />

schenrechte, <strong>de</strong>r dann seinerseits höher weist, nämlich auf <strong>de</strong>n<br />

ewigen Gesetzgeber über dieser Welt. Man mag diese Metaphy­<br />

sik als verworrene Spekulation ablehnen. Man wird aber mit ihr<br />

in <strong>de</strong>r Praxis doch immer rechnen müssen. Denn in <strong>de</strong>r Tiefe<br />

<strong>de</strong>s Bewußtseins lebt in einem je<strong>de</strong>n Menschen immer die<br />

Überzeugung, daß er irgendwie autorisiert sei, gegen die Verlet­<br />

zungen seiner ursprünglichen <strong>Recht</strong>e in revolutionärer Aufleh­<br />

nung Front zu machen. Tatsächlich hat keine an<strong>de</strong>re Metaphy­<br />

sik als diese die Revolutionäre von 1789 <strong>und</strong> 1848 im Kampf um<br />

das <strong>Recht</strong> auf Arbeit begeistert.<br />

Damit ist das Gewissen in vollständig logischer Form in <strong>de</strong>n<br />

rechtserzeugen<strong>de</strong>n Prozeß eingereiht, nicht allerdings das<br />

Gewissen, sofern es nach persönlicher sittlicher Haltung in per­<br />

sönlichen sittlichen Fragen urteilt, son<strong>de</strong>rn insofern es ein Wis­<br />

sen um <strong>de</strong>n Sachverhalt ist, <strong>de</strong>r die Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r Men­<br />

schen objektiv bestimmen soll, ein Wissen, das in <strong>de</strong>r Folge ent­<br />

sprechend seiner naturhaften Anlage diese Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

spontan for<strong>de</strong>rt, <strong>und</strong> zwar mit einer Autorität, die ihre letztgül­<br />

tige Sendung vom ewigen Gesetzgeber ableitet.<br />

Daraus ergibt sich eine folgenschwere Einsicht: Je<strong>de</strong>s gewis­<br />

senlose Han<strong>de</strong>ln gegen die Menschenwür<strong>de</strong>, sei es nun vonsei­<br />

ten <strong>de</strong>r gesetzgeben<strong>de</strong>n Autorität, sei es vonseiten <strong>de</strong>r ausfüh­<br />

ren<strong>de</strong>n Organe, ist ein naturrechtliches Verbrechen <strong>und</strong> darum<br />

in sich strafwürdig. Es kann daher in durchaus rechtslogischem<br />

Sinne von einer kommen<strong>de</strong>n Autorität bestraft wer<strong>de</strong>n, auch<br />

wenn die früheren positiven Gesetze, unter <strong>de</strong>nen das Verbre­<br />

chen gegen die Menschenwür<strong>de</strong> geschehen ist, dieses als sol-<br />

290


ches nicht geahn<strong>de</strong>t hätten. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: das Natur- 57. 2<br />

recht hat wirkliche Geltung, auch wenn das positive <strong>Recht</strong><br />

dagegensteht.<br />

Damit sind wir bei <strong>de</strong>m für einen Positivisten so ungeheuer­<br />

lich klingen<strong>de</strong>n Thema von <strong>de</strong>r Mehrheit <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s angelangt,<br />

ein Thema, das das Problem von <strong>de</strong>r Kollision zwischen Natur­<br />

recht <strong>und</strong> positivem <strong>Recht</strong> in sich birgt. Für Thomas gibt es kein<br />

positives <strong>Recht</strong>, das im Wi<strong>de</strong>rspruch stän<strong>de</strong> zum Naturrecht;<br />

<strong>de</strong>nn es wäre nicht <strong>Recht</strong>, weil je<strong>de</strong>s positive Gesetz, das <strong>de</strong>m<br />

Naturrecht wi<strong>de</strong>rstreitet, wirkungslos, also unfähig ist, <strong>Recht</strong><br />

zu konstituieren. Damit ist die For<strong>de</strong>rung nach Einheit <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s gewahrt.<br />

Im übrigen ist niemand ein eifrigerer Verteidiger <strong>de</strong>r Einheit<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s als Thomas selbst. Kein Gedanke beherrscht die<br />

thomasische <strong>Recht</strong>sphilosophie stärker als <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>r<br />

Ordnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns. Gera<strong>de</strong> darin sieht Thomas <strong>de</strong>n<br />

Sinn <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, die Frie<strong>de</strong>nsordnung zu garantieren. So kann<br />

es nach ihm nur jeweils ein einziges <strong>Recht</strong> geben, wenngleich es<br />

zwei <strong>Recht</strong>squellen (Naturrecht <strong>und</strong> positives Gesetz) gibt. Um<br />

dieser Gr<strong>und</strong>finalität <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s überhaupt (also <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s) zu entsprechen, wird daher die Gesellschaft nicht je<strong>de</strong>m<br />

Einzelgewissen freien Lauf gewähren können. Die positivrecht­<br />

liche Festlegung wird von selbst zur dringlichen Notwendigkeit<br />

<strong>und</strong> damit zum naturrechtlichen Erfor<strong>de</strong>rnis. Bei aller Bevorzu­<br />

gung, welche das Naturrecht bei Thomas auf philosophischer<br />

Ebene genießt, ist Thomas Realist genug <strong>und</strong> räumt <strong>de</strong>m positi­<br />

ven <strong>Recht</strong> in <strong>de</strong>r Praxis eine weite Aktionsbasis ein. Wie stark er<br />

bei aller gr<strong>und</strong>sätzlichen Naturrechtsauffassung das formale<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Staates betont, beweisen seine Fragen über das Pro-<br />

zeßrecht (Fr. 67—71) <strong>und</strong> vor allem seine gr<strong>und</strong>sätzliche For<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r Unterordnung unter die gegebene staatliche Autorität.<br />

Das Mittelalter dachte um <strong>de</strong>r naturrechtlichen Gr<strong>und</strong>for<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong>nsordnung willen im Hinblick auf das beste­<br />

hen<strong>de</strong> positive <strong>Recht</strong> viel zu konservativ, als daß er z.B. <strong>de</strong>n<br />

Mord an einer auch noch so tyrannischen Obrigkeit befürwor­<br />

tet hätte, es sei <strong>de</strong>nn einzig in <strong>de</strong>m Fall, daß diese überhaupt<br />

noch nicht im gefestigten Besitze <strong>de</strong>r Gewalt wäre. 22 Selbst<br />

In diesem Sinne ist die Thomasstelle in 2. Sent. dist. 44, q. 2, a. 2 ad 5 zu verstehen.<br />

291


57. 2 einem ungerechterweise zum To<strong>de</strong> Verurteilten erlaubt Thomas<br />

<strong>de</strong>n aktiven Wi<strong>de</strong>rstand nur, wenn keine öffentliche Unruhe zu<br />

befürchten ist (68,4).<br />

3. DAS JUS GENTIUM"<br />

(Art. 3)<br />

57. 3 Ist die Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong> positives<br />

<strong>Recht</strong> erschöpfend? Das ist die sich unmittelbar aufdrängen<strong>de</strong><br />

Frage. Dem hl. Thomas wur<strong>de</strong> diese Frage durch verschie<strong>de</strong>ne<br />

an<strong>de</strong>re Einteilungen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s vorgelegt, von <strong>de</strong>nen in <strong>de</strong>n bei­<br />

<strong>de</strong>n Artikeln 3 <strong>und</strong> 4 die Re<strong>de</strong> ist. Als erste be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Schwie­<br />

rigkeit (Art. 3) ergab sich für Thomas die Einordnung <strong>de</strong>s „jus<br />

gentium", das nach römischem <strong>Recht</strong> gegen das bürgerliche<br />

<strong>Recht</strong> abgetrennt wur<strong>de</strong>. Dieser dritte Artikel wur<strong>de</strong> durch die<br />

eigenwillige Erklärung, die er bei Franziskus <strong>de</strong> Vitoria erfahren<br />

hat, zum Anlaß einer umwälzen<strong>de</strong>n Entwicklung auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>s Völkerrechts.<br />

In Rom stan<strong>de</strong>n von jeher <strong>de</strong>n feierlichen, mit <strong>Recht</strong>skraft<br />

<strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s ausgestatteten <strong>Recht</strong>sgeschäften auch<br />

zahllose Verkehrsgeschäfte gegenüber, die ohne jegliche Form<br />

abgewickelt wur<strong>de</strong>n. Die „bona fi<strong>de</strong>s" war hier das Prinzip, jene<br />

bona fi<strong>de</strong>s, die noch nicht zu einer Quelle <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s<br />

gewor<strong>de</strong>n war. 23<br />

Wie sollten nun solche formlosen Geschäfte rechtliche Gül­<br />

tigkeit erlangen? Diese Frage war <strong>de</strong>swegen wichtig, weil sämt­<br />

liche Geschäfte mit Auslän<strong>de</strong>rn formlos waren, da <strong>de</strong>r Frem<strong>de</strong><br />

nach römischem <strong>Recht</strong> gr<strong>und</strong>sätzlich als rechtlos galt. Es war<br />

daher im Interesse <strong>de</strong>r Ordnung, daß sowohl die Geschäfte<br />

zwischen Frem<strong>de</strong>n als auch solche zwischen römischen Bür­<br />

gern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n juristisch geformt wur<strong>de</strong>n.<br />

Bis etwa 250 v.Chr. hatten immerhin die römischen<br />

Gemein<strong>de</strong>n mit an<strong>de</strong>ren Staaten nicht selten Staats- <strong>und</strong> Han­<br />

<strong>de</strong>lsverträge geschlossen (z.B. Karthago), wonach gegenseitig<br />

<strong>Recht</strong>ssch<strong>utz</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sfähigkeit zugesagt wur<strong>de</strong>n. So. z.B.<br />

2 3 Vgl. zum Geschichtlichen <strong>de</strong>s jus gentium R. Sohm, Institutionen.<br />

Geschichte <strong>und</strong> System <strong>de</strong>s römischen Privatrechtes. München-Leipzig<br />

1919 16 . O. Lottin, Le droit naturel chez S.Thomas d'Aquin et ses pre<strong>de</strong>cesseurs,<br />

1931 2 . R. Linharät, Die Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl. Thomas v. Aquin,<br />

Freiburg i.Br. 1932, 106ff.<br />

292


hatte nach <strong>de</strong>m zweiten Han<strong>de</strong>lsvertrag mit Karthago <strong>de</strong>r 57. 3<br />

Römer in Karthago die privatrechtliche Verkehrsfähigkeit <strong>de</strong>s<br />

karthagischen Bürgers, <strong>de</strong>r Karthager in Rom die privatrecht­<br />

liche Verkehrsfähigkeit <strong>de</strong>s römischen Bürgers. Den privilegier­<br />

ten Nichtbürgern (Peregrini) war so durch internationalen<br />

Fre<strong>und</strong>schaftsvertrag ein Teil <strong>de</strong>s römischen Bürgerrechts (das<br />

jus commercii) verliehen.<br />

Etwa im dritten Jahrh<strong>und</strong>ert än<strong>de</strong>rt sich die Lage. Rom, das<br />

zur Großmacht wird, braucht solche Fre<strong>und</strong>schafts vertrage<br />

nicht mehr. Zahlreiche Gemeinwesen wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m römischen<br />

Gemeinwesen einverleibt, ohne jedoch das Bürgerrecht <strong>de</strong>r<br />

Römer zu bekommen. Das römische Bürgerrecht ist also ein<br />

Privileg. Dadurch wird die juristische Formlosigkeit <strong>de</strong>r Han­<br />

<strong>de</strong>lsgeschäfte zwischen Römern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n <strong>und</strong> zwischen<br />

Frem<strong>de</strong>n untereinan<strong>de</strong>r noch stärker unterstrichen. Dabei<br />

gehörten <strong>Recht</strong>sgeschäfte zwischen Römern <strong>und</strong> Frem<strong>de</strong>n<br />

nicht zu <strong>de</strong>n Seltenheiten. Die Notwendigkeit eines <strong>Recht</strong>s, das<br />

außerhalb <strong>de</strong>s römischen Bürgerrechts <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sverkehr<br />

unter <strong>de</strong>n Peregrini <strong>und</strong> mit diesen formte, lag auf <strong>de</strong>r Hand. In<br />

Rom wur<strong>de</strong> um 242 v. Chr. ein eigener Prätor für die Frem<strong>de</strong>n­<br />

rechtsprechung eingesetzt. Man erkannte also jetzt ein <strong>Recht</strong><br />

für die Frem<strong>de</strong>n an, das sogenannte jus gentium. Quellen dieses<br />

<strong>Recht</strong>s waren die Amtsgewalt <strong>de</strong>s römischen Magistrats, d. h.<br />

<strong>de</strong>s Prätors, <strong>und</strong> die Tradition. Das römische <strong>Recht</strong>, das Volks­<br />

gesetz, galt nur für die römische Bürgerschaft. Das Amtsrecht,<br />

das magistratische jus honorarium <strong>und</strong> das Gewohnheitsrecht<br />

brachten das jus gentium hervor, das ohne nationale Schranken<br />

für Frem<strong>de</strong> genau so gut Gültigkeit hatte wie für die Bürger­<br />

schaft. Im jus gentium vollzieht sich also eine Anpassung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens an das allgemein menschliche <strong>Recht</strong>bewußt-<br />

sein. Wir haben somit im jus gentium inhaltlich ein Weltrecht<br />

vor uns, ein <strong>Recht</strong> im Sinne eines naturhaften Sachverhalts, in<br />

gewissem Sinne ein „Naturrecht", das nach Treu <strong>und</strong> Glauben,<br />

nicht nach <strong>de</strong>m Buchstaben wirkt. Das jus gentium war also ein<br />

gemeines Menschenrecht, gemeinsam allen Völkern auf Gr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Dinge. Es sprach sich darin das allgemein menschliche<br />

Gefühl <strong>de</strong>r Billigkeit aus. Und <strong>de</strong>nnoch war es als <strong>Recht</strong> nicht<br />

das Naturrecht <strong>de</strong>r Philosophie. Es bleibt ein Teil <strong>de</strong>s positiven,<br />

durch die Verkehrsgewohnheiten <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re <strong>Recht</strong>squellen<br />

(beson<strong>de</strong>rs das prätorische Edikt) konkret gestalteten römischen<br />

<strong>Recht</strong>s. R. Sohm (a.a.O. 84) bestimmt darum das jus gen-<br />

293


57. 3 tium in folgen<strong>de</strong>r Formulierung: „Das jus gentium war <strong>de</strong>r Teil<br />

<strong>de</strong>s römischen Privatrechts, welcher mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> an<strong>de</strong>rer<br />

Völker (insbeson<strong>de</strong>re mit <strong>de</strong>m griechischen <strong>Recht</strong>, das an <strong>de</strong>n<br />

Gesta<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Mittelmeers eine natürliche Vorherrschaft aus­<br />

übte) in seinen Gr<strong>und</strong>gedanken übereinstimmte. Mit an<strong>de</strong>ren<br />

Worten, das jus gentium war <strong>de</strong>rjenige Teil <strong>de</strong>s römischen<br />

<strong>Recht</strong>s, welcher schon <strong>de</strong>n Römern als eine Art von ratio<br />

scripta, als gemeingültiges <strong>und</strong> gemeinmenschliches <strong>Recht</strong><br />

erschien."<br />

Da es für Thomas vom Gesichtspunkt <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sentstehung<br />

her nur zwei Formen von <strong>Recht</strong> gibt, das natürliche <strong>und</strong> das<br />

positive, war es ihm zweifellos schwer gewor<strong>de</strong>n, dieses schil­<br />

lern<strong>de</strong> jus gentium vorbehaltlos in eine <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kategorien<br />

einzuordnen. Diese schwere Aufgabe wird noch klarer, wenn<br />

man sich die verschie<strong>de</strong>nen Definitionen <strong>de</strong>s jus gentium, die<br />

Thomas vor sich hatte, vor Augen führt.<br />

Gaius (gegen 160) unterschied zwei Arten von <strong>Recht</strong>: das bürgerliche<br />

<strong>Recht</strong>, das je<strong>de</strong>s Volk aus eigenem Gutdünken gestal­<br />

tet, <strong>und</strong> das jus gentium, ein allgemeines Erbteil <strong>de</strong>r gesamten<br />

Menschheit, diktiert von <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft. Das jus<br />

gentium scheint dabei <strong>de</strong>m Naturrecht gleichzukommen. Es ist,<br />

wie Gaius (Dig. 1.41,tit. 1,1) sagt, mit <strong>de</strong>m Menschenge­<br />

schlecht zugleich entstan<strong>de</strong>n. So gelte z.B. in gleicher Weise,<br />

daß die Dinge, die noch keinen Eigentümer haben, <strong>de</strong>mjenigen<br />

gehören, <strong>de</strong>r sich ihrer zuerst bemächtigt. 24 Ebenso gehören<br />

auch die Gefangenen <strong>de</strong>n Siegern. 25 Auch die Sklavenschaft<br />

wird zum jus gentium gezählt. 26<br />

Ulpian (gest. 228) übernahm die bereits bei Cicero stehen<strong>de</strong><br />

Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht, jus gentium <strong>und</strong> bürgerli­<br />

ches <strong>Recht</strong>. Neben <strong>de</strong>m bürgerlichen <strong>Recht</strong>, welches wie bei<br />

Gaius das einem je<strong>de</strong>n Volk eigene <strong>Recht</strong> besagt, gehört das jus<br />

gentium wie auch das Naturrecht <strong>de</strong>r ganzen Menschheit. Das<br />

Naturrecht ist nach stoischem Vorbild jene Richtschnur, nach<br />

welcher sowohl Menschen wie Tiere tätig sind: die animalischen<br />

Triebe. Das jus gentium ist im eigentlichen Sinn menschliches<br />

294<br />

Dig. 1.41, tit. 1,1 u.3.<br />

Ebd. tit. 1,5 u.7.<br />

Dig. 1.1, tit. 6,1.


<strong>Recht</strong> <strong>und</strong> dient allen Völkern in gleicher Weise als Norm. 2 7 57. 3<br />

Zum jus gentium gehört auch die Sklaverei. 28<br />

Die Institutionen Justinians (533) übernehmen die Dreitei­<br />

lung Ulpians. Zum jus gentium wer<strong>de</strong>n die Sklaverei <strong>und</strong>, von<br />

Hermogenian beeinflußt, die verschie<strong>de</strong>nen Institutionen<br />

bezüglich privater <strong>Recht</strong>sgeschäfte gerechnet. Auffallend ist,<br />

daß die Institutionen Justinians nicht mehr die Definition <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts, wie sie sich bei Ulpian fin<strong>de</strong>t, übernehmen, son­<br />

<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>m Naturrecht dasselbe verstehen wie unter <strong>de</strong>m<br />

jus gentium (vgl. O.Lottin, a.a.O.8). Beson<strong>de</strong>re Erwähnung<br />

verdient, daß die Institutionen Justinians, einen Text Marcians<br />

übernehmend, zu diesem natürlichen <strong>Recht</strong>, das bei allen Völ­<br />

kern gilt, auch die Ben<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Flüsse <strong>und</strong> Meere zählen.<br />

Sosehr das jus gentium durch die Anerkennung vonseiten <strong>de</strong>s<br />

römischen <strong>Recht</strong>s positiven Charakter angenommen hat, so<br />

geht dieser Aufnahme ins positive <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>nnoch die Überle­<br />

gung voraus, daß alles, was überall durch die menschliche Ver­<br />

nunft diktiert <strong>und</strong> anerkannt wird, Naturfor<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> darum<br />

ein Naturrecht sei.<br />

Isidor von Sevilla greift in seiner Einteilung auf Aristoteles<br />

zurück. Aristoteles hatte das bürgerliche <strong>Recht</strong> in das Natur­<br />

recht <strong>und</strong> das gesatzte <strong>Recht</strong> eingeteilt. Naturrecht war dabei<br />

alles, was irgendwie in <strong>de</strong>r Natur selbst beschlossen ist, unab­<br />

hängig von menschlichen Meinungen, unabhängig vor allem<br />

von je<strong>de</strong>r Gesetzgebung <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sprechung. Diesen Begriff<br />

<strong>de</strong>s Naturrechts übernimmt Isidor. Er verzichtet also auf die<br />

stoische Unterscheidung zwischen <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>m animalischen<br />

Trieb, <strong>und</strong> <strong>de</strong>m, was <strong>de</strong>r menschlichen Vernunft als solcher ent­<br />

spricht. So kann er das Naturrecht schlechthin <strong>de</strong>finieren als<br />

das <strong>Recht</strong>, das allen Nationen gemeinsam ist. Das jus gentium<br />

ist <strong>de</strong>m gegenüber jenes <strong>Recht</strong>, <strong>de</strong>ssen sich fast alle Völker<br />

bedienen. Es ist also bereits von <strong>de</strong>r Natur weg zu irgendwel­<br />

chem faktischen Gewohnheitsrecht hinübergenommen. Im<br />

übrigen wird die Unterscheidung nicht klar durchgeführt. Von<br />

beson<strong>de</strong>rem Interesse ist, daß Isidor unter <strong>de</strong>n einzelnen Bei­<br />

spielen <strong>de</strong>s jus gentium nicht nur allgemein privatrechtliche<br />

Institutionen, son<strong>de</strong>rn auch völkerrechtliche Gepflogenheiten<br />

Ebd. tit. 1,1.<br />

Ebd. tit. 1,4.<br />

295


57. 3 im heutigen Sinne aufzählt: Unverletzlichkeit <strong>de</strong>r Gesandten,<br />

Frie<strong>de</strong>nsverträge, Waffenstillstand.<br />

Das Dekret Gratians bringt in die Frage nur Verwirrung zwi­<br />

schen göttlichem <strong>und</strong> natürlichem Gesetz (vgl. O. Lottin,<br />

a. a. 0.11). Er wie<strong>de</strong>rholt außer<strong>de</strong>m nur die Einteilung von Lsi-<br />

dor.<br />

Was hat nun Thomas unter <strong>de</strong>m jus gentium verstan<strong>de</strong>n? Die<br />

scheinbaren Unstimmigkeiten rühren einzig daher, daß er mit<br />

<strong>de</strong>r aristotelischen Einteilung, wie auch mit <strong>de</strong>r von Ulpian-Isi-<br />

dor <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von Gaius sich auseinan<strong>de</strong>rsetzen mußte (vgl. Eth.<br />

V, 12; I—II 95,4, DT, Bd. 13). Aus Art. 2 <strong>und</strong> I—II 95,4 folgt ein­<br />

<strong>de</strong>utig, daß Thomas das <strong>Recht</strong> vollgültig teilt in Naturrecht <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong>. Naturrecht ist dabei nicht nur das, was bereits<br />

an sich nach Art eines analytischen Urteils gilt, son<strong>de</strong>rn auch<br />

dasjenige, was unter <strong>de</strong>n gegebenen konkreten Umstän<strong>de</strong>n ver­<br />

nunftgemäß sich aus <strong>de</strong>r Sachanalyse ergibt. Die Inhalte, welche<br />

die Tradition durchweg unter <strong>de</strong>m Namen <strong>de</strong>s jus gentium<br />

begriff, waren für Thomas nichts an<strong>de</strong>res als das durch vernünf­<br />

tige Sachanalyse gegebene <strong>Recht</strong>, also ebenfalls Naturrecht.<br />

Denn das Naturrecht ist wie das <strong>Recht</strong> überhaupt ein konkreter<br />

Sachverhalt. An<strong>de</strong>rerseits mußte Thomas, durch die Tradition<br />

gezwungen, <strong>de</strong>m jus gentium einen eigenen rechtlichen Gegen­<br />

standsbereich zuteilen. Dies geschieht, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß<br />

alles unter das jus gentium falle, was mit <strong>de</strong>r menschlichen Ver­<br />

nunft aus <strong>de</strong>m naturrechtlichen An-sich erschlossen wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Daraus folgt, daß Thomas im Gr<strong>und</strong>e einen doppelten Begriff<br />

von Naturrecht aufweist, insofern erstens alles, was unmittel­<br />

bar <strong>und</strong> an sich bereits als Naturrecht erkannt wird, zweitens<br />

dasjenige darunter gefaßt wird, was durch einen weiteren logi­<br />

schen Prozeß im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r konkreten Befindlich­<br />

keit <strong>de</strong>r menschlichen Natur, d. h. ihrer existentiellen Um­<br />

stän<strong>de</strong>, erschlossen wird. Es besteht aber kein Zweifel, daß<br />

auch die zweite Fassung zum wahren Naturrecht gehört, wie<br />

wir es in <strong>de</strong>r Erklärung von Art. 2 dargestellt haben. Die Unter­<br />

scheidung in „an sich naturrechtlich" <strong>und</strong> „erschlossen natur­<br />

rechtlich" ist nur eine Unterscheidung <strong>de</strong>s Gegenstandsberei­<br />

ches eines <strong>und</strong> <strong>de</strong>sselben sachbegrün<strong>de</strong>ten <strong>und</strong> darum natürli­<br />

chen <strong>Recht</strong>s. In I—II 95,4 begreift Thomas z. B. <strong>de</strong>n gerechten<br />

Kauf—Verkauf unter <strong>de</strong>m jus gentium. Im zweiten Artikel unse­<br />

rer Frage dagegen teilt er <strong>de</strong>nselben Sachverhalt <strong>de</strong>m „Natur­<br />

recht" zu, in<strong>de</strong>m er von <strong>de</strong>r „natürlichen" Entsprechung von<br />

296


Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung spricht, womit im Gr<strong>und</strong>e nur eine 57. 3<br />

allgemeinere Formulierung für das gebraucht wird, was in I—II<br />

95,4 Kauf—Verkauf genannt wird.<br />

Daß Thomas die Sklaverei unter das jus gentium <strong>und</strong> damit<br />

auch unter das Naturrecht zählt, darf nicht verw<strong>und</strong>ern; <strong>de</strong>nn<br />

erstens versteht er darunter nicht die Sklaverei im römisch­<br />

rechtlichen Sinn, son<strong>de</strong>rn nur das lebenslängliche Dienstver­<br />

hältnis eines Menschen im Dienste seines Herrn (im Sinne <strong>de</strong>r<br />

mittelalterlichen Leibeigenschaft); sodann ist damit nur soviel<br />

gesagt, daß unter <strong>de</strong>n für ihn damals gegebenen Umstän<strong>de</strong>n<br />

nicht alle Menschen in <strong>de</strong>r Lage waren, sich selbst als freie Her­<br />

ren im Leben zu behaupten, son<strong>de</strong>rn daß sie <strong>de</strong>r Führung durch<br />

einen „Weiseren" bedurften, daß es somit im Hinblick auf die<br />

konkrete gesellschaftliche Situation angemessen, also natürlich<br />

war, <strong>de</strong>n Zustand <strong>de</strong>s Dienstverhältnisses zu befürworten. Die<br />

natürliche Vernunft mußte ein solches gesellschaftliches Gefüge<br />

„diktieren" (vgl. Zu 3). Damit ist nicht gesagt, daß ein solcher<br />

gesellschaftlicher Zustand, <strong>de</strong>r als „naturrechtlich" bezeichnet<br />

wird, unabän<strong>de</strong>rlich wäre. Entsprechend <strong>de</strong>m Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r<br />

Umstän<strong>de</strong> wan<strong>de</strong>lt sich auch das vernünftige Urteil, die sach­<br />

liche Analyse, <strong>und</strong> damit das konkrete <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Natur (vgl.<br />

Komm, zu Art. 2).<br />

Da nun all das, was das vernünftige Zusammenleben <strong>de</strong>r<br />

Völker untereinan<strong>de</strong>r (also in unserem Sinne das Völkerrecht)<br />

angeht, im Namen <strong>de</strong>s jus gentium mitbegriffen war, wur<strong>de</strong><br />

das, was wir heute Völkerrecht nennen, stark beeinflußt durch<br />

das weitere geschichtliche Schicksal <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s „jus gen­<br />

tium". Für uns ist heute das Völkerrecht in selbstverständlich­<br />

ster Weise ein positiver <strong>Recht</strong>sbegriff, sosehr auch vieles inhalt­<br />

lich aus <strong>de</strong>m naturrechtlichen Denken <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>m Gewohn­<br />

heitsrecht stammen mag, formell aber han<strong>de</strong>lt es sich um ein<br />

positives <strong>Recht</strong>. Diese Entwicklung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>s jus gentium<br />

zum mo<strong>de</strong>rnen positiven Sinn <strong>de</strong>s Völkerrechts ist aber nicht<br />

erst durch <strong>de</strong>n Positivismus eingeleitet wor<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn geht<br />

bereits auf Vitoria zurück. Zwar wird über die Ehre eines Initia­<br />

tors <strong>de</strong>s Völkerrechts im mo<strong>de</strong>rnen Sinne viel gestritten — die<br />

Ehre, die lange Zeit Vitoria zugeteilt wor<strong>de</strong>n war, wur<strong>de</strong> ihm<br />

zugunsten von Hugo Grotius genommen —, <strong>und</strong> doch muß man<br />

diese Ehre Vitoria lassen, sofern man bei ihm auf <strong>de</strong>n tieferen<br />

rechtsphilosophischen Gr<strong>und</strong> seiner Jus-gentium-Lehre hin­<br />

absteigt. <strong>Recht</strong>sgeschichtlich gesehen ist nämlich die Frage, was<br />

297


57. 3 an einzelnen Bestimmungen zum Völkerrecht gezählt wur<strong>de</strong>,<br />

nicht so entschei<strong>de</strong>nd wie die Frage, welcher Autor als erster<br />

das Völkerrecht als eine positive Abmachung zwischen <strong>de</strong>n Völ­<br />

kern begriffen hat. Und hierin ist Vitoria <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren vorange­<br />

gangen, in<strong>de</strong>m er erklärte, daß das jus gentium <strong>und</strong> damit auch<br />

<strong>de</strong>r gesamte völkerrechtliche Inhalt mehr zum positiven als<br />

zum natürlichen <strong>Recht</strong> gehöre (Comment. in S.Thom. II—II<br />

57,3). 29 Hierliegt<strong>de</strong>r eigentliche rechtsphilosophische Wan<strong>de</strong>l. Es<br />

war dann verhältnismäßig leicht, die einzelnen Gr<strong>und</strong>sätze auf­<br />

zustellen, die in dieses positive Völkerrecht aufzunehmen<br />

waren. Vom Standpunkt <strong>de</strong>s Naturrechts<strong>de</strong>nkens her muß<br />

allerdings gesagt wer<strong>de</strong>n, daß die Wendung, welche Vitoria <strong>de</strong>m<br />

Begriff <strong>de</strong>s jus gentium gegeben hat, überaus zu bedauern ist,<br />

weil so <strong>de</strong>r erste Griff zur Abriegelung <strong>de</strong>s Völkerrechts vom<br />

Naturrecht getan wur<strong>de</strong>.<br />

4. VATERRECHT UND HERRSCHAFTSRECHT<br />

(Art. 4)<br />

57. 4 In <strong>de</strong>r Auseinan<strong>de</strong>rsetzung mit <strong>de</strong>m traditionellen Begriff<br />

<strong>de</strong>s jus gentium kam Thomas zu <strong>de</strong>m Resultat, daß die Eintei­<br />

lung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong> keinerlei<br />

Einbuße durch das jus gentium erlei<strong>de</strong>. In an<strong>de</strong>rem Zusammen­<br />

hang stellt die geschichtliche Überlieferung noch einige weitere<br />

Einteilungen zur Diskussion, gegen die Thomas seine These<br />

von <strong>de</strong>r vollgültigen Einteilung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s in Naturrecht <strong>und</strong><br />

positives <strong>Recht</strong> verteidigen muß. Es han<strong>de</strong>lt sich dabei um das<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn <strong>und</strong> zwischen Herrn<br />

<strong>und</strong> Sklaven, wofür bei <strong>de</strong>n Römern ein eigenes <strong>Recht</strong> bestand.<br />

Das römische <strong>Recht</strong> hatte sowohl Kin<strong>de</strong>r wie Ehefrau in die<br />

väterliche Gewalt gegeben. Was <strong>de</strong>r Sohn erwarb, erwarb er<br />

<strong>de</strong>m Vater. Die väterliche Gewalt wur<strong>de</strong> als eine Gewalt um <strong>de</strong>s<br />

Vaters willen betrachtet, während nach <strong>de</strong>utschem <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>n­<br />

ken die väterliche Gewalt eine Gewalt um <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s willen ist.<br />

Darum erlischt nach <strong>de</strong>utschem <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken die väterliche<br />

Gewalt mit <strong>de</strong>r Mündigkeit <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s, nicht aber im römi­<br />

schen <strong>Recht</strong>. Auch konnte im römischen <strong>Recht</strong> im Falle <strong>de</strong>s To­<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Vaters die Mutter nicht die Stelle <strong>de</strong>s Vaters überneh-<br />

298<br />

Vgl. hierzu S.Ramirez, El <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes, Madrid 1955.


men. An die Stelle <strong>de</strong>s Vaters trat ein Vorm<strong>und</strong>. Die Frau wur<strong>de</strong> 57. 4<br />

also nicht Herrin <strong>de</strong>s Hauses (vgl. Sohm, a.a.O.).<br />

Obwohl <strong>de</strong>r Sklave im römischen <strong>Recht</strong> als Träger natürli­<br />

cher Persönlichkeit anerkannt <strong>und</strong> ihm daher die Befugnis,<br />

gewisse <strong>Recht</strong>sgeschäfte abzuschließen, nicht versagt war, so<br />

war er doch <strong>de</strong>m Herrn gegenüber völlig rechtlos. Erst die kai­<br />

serliche <strong>Recht</strong>sprechung schritt gegen die gr<strong>und</strong>lose Tötung<br />

<strong>und</strong> gegen unmenschliche Behandlung <strong>de</strong>r Sklaven <strong>und</strong> Miß-<br />

brauch <strong>de</strong>r Sklavinnen ein.<br />

Das römische <strong>Recht</strong> bietet in diesen Betrachtungen <strong>de</strong>s<br />

Vater- <strong>und</strong> Herrschaftsrechts im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res als eine<br />

konkrete Formulierung aristotelisch-griechischen Denkens.<br />

Aristoteles hatte in <strong>de</strong>r Hausgemeinschaft folgen<strong>de</strong> vier <strong>Recht</strong>s­<br />

beziehungen festgestellt: 1. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>n<br />

Ehegatten; 2. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Vater <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Kin<strong>de</strong>rn; 3. die Beziehungen zwischen <strong>de</strong>m Herrn <strong>und</strong> <strong>de</strong>n<br />

Sklaven; 4. die Beziehungen vom Herrn zu <strong>de</strong>n materiellen<br />

Dingen. Die drei ersten kommen bei Thomas hier zur Sprache,<br />

die vierte wird in Fr. 66 behan<strong>de</strong>lt.<br />

Für Aristoteles war das Verhältnis <strong>de</strong>r Ehegatten zueinan<strong>de</strong>r<br />

sowie das zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn <strong>und</strong> zwischen <strong>de</strong>m Herrn<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Sklaven nicht ohne weiteres ein <strong>Recht</strong>sverhältnis. Es<br />

klingt für unser Ohr gera<strong>de</strong>zu wild-barbarisch, wenn wir <strong>de</strong>n<br />

sonst so gefeierten Philosophen von Stagyra in seiner Politik<br />

mit Hesiod aufzählen hören: Haus, Weib <strong>und</strong> Ochse, wobei<br />

dann noch die Bemerkung beigefügt ist, daß <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong><br />

Ochse für <strong>de</strong>n armen Mann die Stelle <strong>de</strong>s Sklaven ersetze<br />

(Pol. 1,1). Aristoteles hält es mit Homer, gemäß welchem <strong>de</strong>r<br />

Hausvater <strong>de</strong>r Gesetzgeber für Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Frauen ist. Nimmt<br />

man nun noch <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>gedanken <strong>de</strong>r aristotelischen Politik,<br />

daß <strong>de</strong>r Vater in seiner gesellschaftlichen Funktion Bürger ist,<br />

hinzu, dann kann man sich die Folgen für die Erziehungspolitik<br />

von selbst vorstellen. Darum auch behan<strong>de</strong>lt Aristoteles Ehe<br />

<strong>und</strong> Erziehung nicht etwa im Traktat über die Hausgemein­<br />

schaft, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Staatslehre. Den Unterschied zwischen<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> Staat kennt Aristoteles nicht. Die Gesellschaft<br />

wächst bei ihm organisch in die Form <strong>de</strong>s Staates hinein, so daß<br />

<strong>de</strong>r Staat die „vollkommene Gesellschaft" wird. In dieser voll­<br />

kommenen Gesellschaft aber verschwin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Organismus,<br />

obwohl Aristoteles noch äußerlich von ihm re<strong>de</strong>t. In diesem<br />

Schein-Organismus wird das Gesetz zur Seele, so also zum<br />

299


57. 4 eigentlichen Formprinzip. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: alles ist staat­<br />

lich. Nicht zuletzt trägt <strong>de</strong>r aristotelische Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Staatsbegriff die Schuld, daß in <strong>de</strong>r Summa <strong>de</strong>s hl. Thomas kein<br />

sozialethischer Traktat über die Familie o<strong>de</strong>r die Berufsstän<strong>de</strong><br />

zu fin<strong>de</strong>n ist. Der Stän<strong>de</strong>gedanke wur<strong>de</strong> Thomas dort, wo er<br />

ihn bespricht (Kleriker- <strong>und</strong> Or<strong>de</strong>nsstand), nicht etwa durch<br />

<strong>de</strong>n Gesellschaftsbegriff, son<strong>de</strong>rn einzig durch das kirchliche<br />

<strong>Recht</strong> aufgedrängt.<br />

Einen unverkennbaren Rest aristotelischen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens<br />

möchte man bei Thomas hier im vierten Artikel (Antw.; vgl.<br />

auch Zu 3) fin<strong>de</strong>n. Thomas erklärt hier, daß dort, wo zwei Men­<br />

schen eine unmittelbare Beziehung zum Staat <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Für­<br />

sten haben, eine Beziehung mit vollgültigem <strong>Recht</strong>scharakter<br />

vorliege. Man gewinnt also <strong>de</strong>n Eindruck, als ob <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

charakter nach <strong>de</strong>m Verhältnis abgestuft wür<strong>de</strong>, in welchem <strong>de</strong>r<br />

einzelne zum Staat steht, ob unmittelbar o<strong>de</strong>r mittelbar, ob<br />

direkt als Mensch o<strong>de</strong>r nur über <strong>de</strong>n Gatten, <strong>de</strong>n Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Herrn. Nach Aristoteles war <strong>Recht</strong>sträger einzig <strong>de</strong>r Bürger. Hat<br />

sich Thomas dieser Auffassung restlos angeschlossen?<br />

Während Aristoteles noch sehr stark an <strong>de</strong>n griechischen<br />

Stadt-Staat dachte <strong>und</strong> von hier aus seine Philosophie über die<br />

Entstehung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s begann, schreitet Thomas viel weiter in<br />

die Abstraktion, zum Staat an sich. Hier aber gilt uneinge­<br />

schränkt, daß <strong>de</strong>r Staat als die letzte <strong>und</strong> höchste Gesellschaft<br />

das oberste rechtliche Bezugssystem darstellt. Thomas ist, wie<br />

bereits gesagt wur<strong>de</strong>, Monist im Sinne <strong>de</strong>r einen naturrechtli­<br />

chen Norm, die je<strong>de</strong> Kollision mit <strong>de</strong>m positiven <strong>Recht</strong> aus­<br />

schließt, weil dieses, wenn es in Kollision treten wür<strong>de</strong>, bereits<br />

nicht mehr <strong>Recht</strong> wäre. Das hin<strong>de</strong>rt nicht, daß Thomas dieses<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken mit <strong>de</strong>m mittelalterlichen Staat in<br />

Verbindung bringt. Der Ausgang seiner Politik ist aber das<br />

bonum humanum, nicht das Wohl eines konkreten Staatsgebil­<br />

<strong>de</strong>s. Deutlich wird diese Weite <strong>de</strong>s Gesichtswinkels in Zu 2, wo<br />

Thomas erklärt, daß zwischen Vater <strong>und</strong> Sohn, Herrn <strong>und</strong> Skla­<br />

ven nicht nur das Vater-Sohn- <strong>und</strong> Herr-Sklave-Verhältnis<br />

besteht, son<strong>de</strong>rn zugleich die <strong>Recht</strong>sbeziehung zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Mensch.<br />

Trotz dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen <strong>Recht</strong>sgleichheit zwischen<br />

Vater <strong>und</strong> Sohn kann Thomas die Ansicht verteidigen, daß <strong>de</strong>r<br />

Sohn ein Teil <strong>de</strong>s Vaters ist <strong>und</strong> ihm darum rechtlich untersteht,<br />

nicht im Menschsein, aber im Sohnsein, mit all <strong>de</strong>n Folgen die-<br />

300


ses so gearteten Verhältnisses. Es ist sattsam bekannt, welch un- 57.4<br />

geheure Tragweite diese naturrechtliche Lehre hat: das <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>r Eltern auf die Erziehung <strong>de</strong>r Kin<strong>de</strong>r <strong>und</strong> das damit gege­<br />

bene Schulrecht. Für Thomas war dies alles noch kein Problem.<br />

Für ihn stand im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> die in II-II 10,12 (DT, Bd. 15)<br />

aufgeworfene Frage, wie es sich mit <strong>de</strong>r Taufe von ungläubigen<br />

<strong>und</strong> jüdischen Kin<strong>de</strong>rn gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s Vaters verhalte.<br />

Die völlig gesellschaftlich geformte Staatsauffassung <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas konnte <strong>de</strong>r Frau nicht die bürgerlichen <strong>Recht</strong>e zuspre­<br />

chen wie <strong>de</strong>m Mann. Der Staat als vollkommene Gesellschaft<br />

bil<strong>de</strong>t sich aus <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen Gesellschaftskörpern, vorab<br />

aus <strong>de</strong>n Familien. In <strong>de</strong>r Familie aber ist die Frau <strong>de</strong>m Mann<br />

untergeordnet, wenngleich nicht in <strong>de</strong>m Maße wie etwa <strong>de</strong>r<br />

Sohn <strong>de</strong>m Vater o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Diener <strong>de</strong>m Herrn (vgl. Antw.). Die<br />

unmittelbare Beziehung zur Hausgemeinschaft geht bei <strong>de</strong>r<br />

Frau vor. Darum ist sie nicht unmittelbarer Träger von bürgerli­<br />

chen <strong>Recht</strong>en.<br />

Die wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Entwicklung aber hat <strong>de</strong>r<br />

Frau neue Aufgaben zugewiesen, die sie unmittelbar ins poli­<br />

tische Leben hineinstellt. Erst recht gilt dies, seit<strong>de</strong>m man die<br />

letzten Folgerungen aus <strong>de</strong>r politischen Emanzipation <strong>de</strong>r Frau<br />

gezogen hat, in<strong>de</strong>m man sie sogar in <strong>de</strong>n Kriegsdienst stellte,<br />

wenigstens in <strong>de</strong>m Maße, als sie ihrer physischen <strong>und</strong> psychi­<br />

schen Konstitution nach diesen Dienst zu leisten vermag: Ver­<br />

w<strong>und</strong>etendienst, selbst an <strong>de</strong>r Front, Luftsch<strong>utz</strong>organisationen,<br />

Schreibkraft beim Militär usw. Daß die Frau in politischen Din­<br />

gen mitzusprechen das <strong>Recht</strong> hat, ergibt sich aus <strong>de</strong>r unwan<strong>de</strong>l­<br />

bar gewor<strong>de</strong>nen Stellung, welche sie in <strong>de</strong>m durch Arbeitstei­<br />

lung weitverzweigten Wirtschaftsprozeß innehat. Unsere Wirt­<br />

schaft ist keine Hauswirtschaft mehr. Eines je<strong>de</strong>n Existenz ist in<br />

die Wirtschaftspolitik mithineinverflochten, <strong>de</strong>ren Hauptpro­<br />

blem die — richtig verstan<strong>de</strong>ne — Vollbeschäftigung ist, just also<br />

die Frage, die <strong>de</strong>r Frau äußerst nahegeht, da ein Großteil von<br />

Frauen keine Möglichkeit zur Gründung eines Familienstan<strong>de</strong>s<br />

fin<strong>de</strong>t.<br />

Die Mo<strong>de</strong>rne hat mit <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Gleichstellung von<br />

Mann <strong>und</strong> Frau, wovon Thomas hier an<strong>de</strong>utungsweise spricht,<br />

in einer neuen gesellschaftlichen Situation Ernst gemacht <strong>und</strong><br />

so — wenigstens in <strong>de</strong>n meisten Staaten — die politische Gleich­<br />

heit bei<strong>de</strong>r erklärt. Thomas konnte zu diesem Schluß noch<br />

nicht kommen, nicht etwa nur wegen <strong>de</strong>r starken Abhängigkeit<br />

301


von Aristoteles, son<strong>de</strong>rn auch im Hinblick auf die Struktur <strong>de</strong>r<br />

damaligen Gesellschaft. Die Anwendung eines naturrechtlichen<br />

Prinzips ist eben je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>n, entsprechend <strong>de</strong>r kon­<br />

kreten Befindlichkeit sowohl <strong>de</strong>s Menschen wie <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft, entsprechend <strong>de</strong>m Satz, <strong>de</strong>n Thomas in Art. 2 Zu 1 aus­<br />

gesprochen hat: „Die Natur <strong>de</strong>s Menschen ist verän<strong>de</strong>rlich".<br />

Das will heißen: Die sachgegebenen Umstän<strong>de</strong>, in <strong>de</strong>nen wir<br />

leben, än<strong>de</strong>rn sich unaufhaltsam, so daß wir entsprechend auch<br />

die Ordnungsformen än<strong>de</strong>rn müssen.<br />

Zweites Kapitel<br />

GERECHTIGKEIT ALS TUGEND<br />

(Fr. 58)<br />

1. DIE ALLGEMEINE BEGRIFFSBESTIMMUNG DER GERECHTIGKEIT<br />

UND DEREN SITTLICHE BEWANDTNIS<br />

(An. 1-4)<br />

Die <strong>Gerechtigkeit</strong>, um die es hier geht, ist nicht die allge­<br />

meine <strong>Recht</strong>heit im Sinne Anselms (vgl. Art. 1, Einw. 2), auch<br />

nicht die übernatürliche <strong>Recht</strong>fertigung durch <strong>und</strong> vor Gott<br />

(vgl. Art. 2, Einw. 1), son<strong>de</strong>rn die sittliche Stärke, welche das<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn gegenüber verwirklichen soll. Thomas hat<br />

bei <strong>de</strong>r Abfassung <strong>de</strong>s ersten Artikels, wo es um die Definition<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in diesem eigentlichen Sinne geht, die durch<br />

die Institutionen Justinians übernommene Definition Ulpians<br />

vor Augen: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>r anhalten<strong>de</strong> <strong>und</strong> feste<br />

Wille, je<strong>de</strong>m sein <strong>Recht</strong> zu geben". Ulpian fin<strong>de</strong>t dabei <strong>de</strong>n Bei­<br />

fall <strong>de</strong>s hl. Thomas mit <strong>de</strong>r einen Verbesserung, daß es bei <strong>de</strong>r<br />

Definition von Tugen<strong>de</strong>n, wie Thomas sagt, eigentlich nicht um<br />

<strong>de</strong>n Willensakt, son<strong>de</strong>rn um eine dauern<strong>de</strong> sittliche Haltung<br />

gehe. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e fin<strong>de</strong>t Thomas die aristotelische<br />

Definition aus <strong>de</strong>m 5. Buch <strong>de</strong>r Ethik besser, wie er am Schluß<br />

<strong>de</strong>s Artikels leicht an<strong>de</strong>utet: „Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist jener Habi­<br />

tus, auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen jemand sich für das <strong>Recht</strong> entschei<strong>de</strong>t".<br />

Es möchte vielleicht überflüssig <strong>und</strong> belanglos erscheinen,<br />

wenn dann Thomas, nach<strong>de</strong>m er doch bereits in <strong>de</strong>r vorigen<br />

Frage die innere Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s als einer Frie<strong>de</strong>nsord­<br />

nung zwischen vielen getrennten Personen dargestellt hat, nun<br />

im zweiten Artikel nochmals fragt, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> immer<br />

302


auf einen an<strong>de</strong>rn bezogen sei. Und <strong>de</strong>nnoch be<strong>de</strong>utet gera<strong>de</strong> 58. 1-4<br />

diese Frage <strong>de</strong>n Auftakt zu <strong>de</strong>r Abklärung <strong>de</strong>r Diskussion <strong>de</strong>s<br />

dritten Artikels, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> als Tugend bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n könne. Es bleibt nämlich immer Eigenheit <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, <strong>de</strong>n Abstand <strong>de</strong>s Ich vom Du zu behalten <strong>und</strong> keine Ver­<br />

mengung <strong>de</strong>r Interessen vorzunehmen. So möchte es eben<br />

scheinen, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Guten völlig schwin<strong>de</strong>t. Und dies<br />

aus einem doppelten Gr<strong>und</strong>e: l.Es wird scheinbar die Tren­<br />

nung vor <strong>de</strong>r Gemeinsamkeit bevorzugt, wo im Verhältnis zwi­<br />

schen <strong>de</strong>n Menschen doch gera<strong>de</strong> im Zusammenstehen <strong>und</strong><br />

Vereinigen die Vollendung zu liegen scheint; 2. <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

scheint sich die Vorstellung <strong>de</strong>s Zwanges notwendig zu verbin­<br />

<strong>de</strong>n, so daß die sittliche Größe <strong>de</strong>s gerechten Han<strong>de</strong>lns völlig<br />

verschwin<strong>de</strong>t. Mit dieser zweiten Schwierigkeit beschäftigt sich<br />

Thomas ausdrücklich im dritten Artikel, während die erste im<br />

Gedankengang <strong>de</strong>s zweiten Artikels verborgen liegt.<br />

Was nun die erste Fragestellung betrifft, so betont Thomas<br />

zwar mit Nachdruck (Art. 2) das wesentliche Element in jegli­<br />

cher Form von <strong>Gerechtigkeit</strong>: das „Ein-an<strong>de</strong>rer-sein". Er erklärt<br />

aber dabei, daß es bei aller Verschie<strong>de</strong>nheit eben doch auf einen<br />

Ausgleich ankommt, ohne dabei auf eine Verwischung <strong>de</strong>r In­<br />

teressen hinzusteuern. Zurückgreifend auf diesen Gedanken,<br />

formuliert Thomas zu Beginn <strong>de</strong>s fünften Artikels das Ergebnis<br />

<strong>de</strong>s zweiten: Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ordnet <strong>de</strong>n Menschen in seinem<br />

Verhältnis zu einem an<strong>de</strong>rn. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> sieht es also<br />

nicht auf das Ich ab in seiner Geschie<strong>de</strong>nheit vom Du, son<strong>de</strong>rn<br />

auf die Ordnung <strong>de</strong>s Ich zum Du. Sie ist Frie<strong>de</strong>nsordnung.<br />

Damit ist ihre sittliche Aufgabe gewahrt.<br />

Auf die zweite Frage eingehend, unterstreicht Thomas<br />

(Art. 3) nochmals die Bewandtnis <strong>de</strong>s Guten im <strong>Recht</strong> gegen­<br />

über je<strong>de</strong>m Zwangsnormensystem, von <strong>de</strong>m in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphi­<br />

losophie Kelsens ausschließlich die Re<strong>de</strong> ist. Der Gedanke <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>szwanges ist erst eine weitere Konsequenz, die sich aus<br />

<strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sgutes ergibt. Er folgt erst aus <strong>de</strong>m<br />

Guten, das die Bewandtnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s hat, insofern <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re,<br />

auf seinen <strong>Recht</strong>sanspruch pochend, zu Gegenmaßnahmen<br />

greift <strong>und</strong> damit zur <strong>Recht</strong>sbefolgung zwingt. Man kann aller­<br />

dings <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>szwanges aus <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> selbst<br />

nicht bannen. Er ergibt sich aus <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>s Geschie<strong>de</strong>n­<br />

seins <strong>de</strong>rer, zwischen <strong>de</strong>nen die Frie<strong>de</strong>nsordnung hergestellt<br />

wer<strong>de</strong>n soll.<br />

303


58. 1-4 Der Zwang bleibt aber im Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s nur als Möglich­<br />

keit beschlossen <strong>und</strong> verborgen. Es ist für das <strong>Recht</strong> durchaus<br />

nicht wesentlich, sich tatsächlich im Zwang auszuwirken. Tho­<br />

mas unterstreicht also <strong>de</strong>n unleugbaren sittlichen Wert <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s. Aus ihm leitet er ab, daß die Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

zum vollkommenen Menschen gehört, daß es darum ein utopi­<br />

scher Gedanke ist, sich eine Gemeinschaft vorzustellen, die nur<br />

Liebesverband wäre. Sosehr die Liebe vorherrschen mag, wie<br />

die Theologie sich dies für <strong>de</strong>n paradiesischen Menschen <strong>und</strong><br />

für <strong>de</strong>n Zustand am En<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Dinge für das Jenseits vorstellt, so<br />

bleibt doch das wahre Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s immer bestehen, insofern<br />

die Menschen unter sich getrennte Wesen mit eigenständiger<br />

Handlungsweise darstellen. Der Zwang liegt freilich bei diesem<br />

I<strong>de</strong>alzustand außerhalb <strong>de</strong>r Betrachtung. Er bleibt aber doch in<br />

<strong>de</strong>r Möglichkeit beschlossen, für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m<br />

an<strong>de</strong>rn nicht freiwillig das Seine gäbe. Die Vorstellung Tolstois<br />

von einer reinen Liebesgemeinschaft mag viel Verlocken<strong>de</strong>s an<br />

sich haben, ähnlich wie die erdachten Ausführungen mancher<br />

Kirchenväter über ein verlängertes Paradiesesdasein.<br />

Allerdings könnte man sich weiterhin die ernste Frage vor­<br />

legen, ob die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur die freie sittliche Einstellung zu<br />

<strong>de</strong>m Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s sei o<strong>de</strong>r ob sich darin nicht doch auch eine<br />

gewisse Unterwerfung unter ein Gesetz <strong>und</strong> damit unter einen<br />

Gesetzgeber fin<strong>de</strong>. Mit dieser Frage stoßen wir wohl o<strong>de</strong>r übel<br />

doch auf das Problem <strong>de</strong>s Zuammenhangs zwischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

Autorität. Thomas spricht hiervon an unserer Stelle nicht. Wir<br />

begnügen uns daher damit, die Schwierigkeit nur kurz zu strei­<br />

fen.<br />

Man beachte, daß es in <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Beziehung <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s zur Autorität keineswegs um die Frage nach <strong>de</strong>m Zwang<br />

geht. Auch hier bleibt die Vorstellung <strong>de</strong>s Zwanges zweitrangig,<br />

insofern man sich eine Autorität vorstellen kann, die nur Ord­<br />

nungsprinzip <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>r Möglichkeit, nicht unbedingt <strong>de</strong>r Tat­<br />

sächlichkeit nach, Vollzieherin <strong>de</strong>s Zwanges ist.<br />

Thomas kann sich, wie sich aus seinem Traktat über das<br />

Gesetz (I—II 90-108; DT, Bd. 13) ergibt, das <strong>Recht</strong> ohne<br />

Gesetz <strong>und</strong> so auch ohne Gesetzgeber nicht vorstellen. Gera<strong>de</strong><br />

hier liegt ja <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>, warum er im <strong>Recht</strong>, mit welchem ein<br />

an<strong>de</strong>rer gegen uns auftritt, nicht nur eine frem<strong>de</strong> Zwangshand­<br />

lung sieht, son<strong>de</strong>rn ein wahres sittliches Gut, das Frie<strong>de</strong>n zwi­<br />

schen uns stiftet. Die Hobbessche Vorstellung sah im Mitmen-<br />

304


sehen einen Wolf, <strong>de</strong>m gegenüber man sich sichern muß, was 58. 1-4<br />

nur durch gegenseitige Ubereinkunft, durch ein notgedrungen<br />

vereinbartes <strong>Recht</strong>ssystem möglich sei. Für Thomas ist das<br />

<strong>Recht</strong>ssystem kein notgedrungenes Frie<strong>de</strong>nsabkommen, son­<br />

<strong>de</strong>rn ein Ordnungsgefüge, das die Partner vorfin<strong>de</strong>n, nicht<br />

eigenmächtig schaffen.<br />

Es liegt nun in <strong>de</strong>r Eigenart <strong>de</strong>s kausalen Denkens, sogleich<br />

nach <strong>de</strong>m Woher dieser Frie<strong>de</strong>nsordnung zu fragen. Gewiß hat<br />

<strong>de</strong>r Positivismus <strong>und</strong> vor allem Kelsen dieses Fragen nach <strong>de</strong>r<br />

Ursache als ein <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken artfrem<strong>de</strong>s Vorgehen<br />

bezeichnet. Und <strong>de</strong>nnoch bewegt sich Thomas ganz folgerich­<br />

tig nur auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s rechtlichen Denkens <strong>und</strong> begibt sich<br />

keineswegs hinüber auf <strong>de</strong>n allgemeinen Bereich kausalen Wir­<br />

kens, etwa in <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Weltschöpfung durch Gott. Wo<br />

immer ein Mensch uns gegenüber mit einem Anspruch auftritt,<br />

spricht er ein gewisses Machtwort, in <strong>de</strong>r Weise nämlich, als er<br />

sich je<strong>de</strong> Einmischung von an<strong>de</strong>rer Seite verbittet <strong>und</strong> auf seine<br />

Eigenständigkeit pocht. Er muß sich also von selbst als uns<br />

überlegen ausweisen, zwar nicht durch die Kraft seiner Faust,<br />

son<strong>de</strong>rn vielmehr durch die Macht <strong>de</strong>s i<strong>de</strong>ellen Gehaltes, um<br />

<strong>de</strong>ssentwillen er sich uns gegenüber als unantastbar bezeichnet.<br />

Die Tatsache nun, daß auf unserer Seite <strong>de</strong>m Selbständigkeits­<br />

anspruch <strong>de</strong>s Mitmenschen gegenüber eine spontane Aner­<br />

kennung dieser seiner Eigenständigkeit entspricht, zeigt <strong>de</strong>ut­<br />

lich, daß hier ein Frie<strong>de</strong>nsordnungsprinzip vorliegt, das wir<br />

nicht aus uns haben, das vielmehr zurück- o<strong>de</strong>r hinüberweist<br />

auf eine bei<strong>de</strong>n übergeordnete Gesetzes-Macht, die wir als <strong>de</strong>n<br />

Schöpfer unserer geistigen Eigenständigkeit bezeichnen müs­<br />

sen. Verbin<strong>de</strong>n wir diese aus unzwei<strong>de</strong>utig juristischem Denk-<br />

prozeß ermittelte höchste Autorität mit <strong>de</strong>m ontologisch-kau-<br />

salen Denken, dann wer<strong>de</strong>n wir sie nur mit <strong>de</strong>m Namen „ Gott"<br />

anre<strong>de</strong>n können. Wenn Kelsen solches Denken mit <strong>de</strong>m Aber­<br />

glauben <strong>de</strong>r Primitiven vergleicht, als ob es sich hier um die un-<br />

bewußten Auswirkungen einer Angst vor <strong>de</strong>m frem<strong>de</strong>n Wesen<br />

handle, das uns Blitz <strong>und</strong> Donner schickt, dann übersieht er die<br />

Gr<strong>und</strong>struktur unseres kausalen Denkens, <strong>de</strong>m auch er nicht<br />

entrinnen kann.<br />

Thomas spricht von all <strong>de</strong>m hier in unserer Frage nicht mehr,<br />

weil es ihm eine Selbstverständlichkeit ist. Er zieht nur die<br />

Schlußfolgerung (Art. 3): Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine wahre<br />

Tugend, eine sittliche Einstellung auf das Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s.<br />

305


58. 1-4 Daraus mag man zugleich erkennen, daß es einfach eine<br />

absolute Unmöglichkeit ist, <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Moral zu trennen, d. h.<br />

<strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s von <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Guten loszu<strong>de</strong>nken, um<br />

eine reine <strong>Recht</strong>slehre im Sinne Kelsens auszubauen. Allerdings<br />

ist das Gute <strong>und</strong> das <strong>Recht</strong> nicht schlechthin dasselbe. Aber das<br />

<strong>Recht</strong> ist ein Gut <strong>und</strong> nur als ein Gut vorstellbar. So ist auch die<br />

scholastische Auffassung <strong>de</strong>r Sozialethik gerechtfertigt, welche<br />

in <strong>de</strong>r Sozialetik das rechtlich geordnete Gefüge <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft betrachtet. Es wäre verhängnisvoll, ausgehend vom kan­<br />

tischen Standpunkt zu meinen, daß die Ethik nur die Entwick­<br />

lung o<strong>de</strong>r Entfaltung <strong>de</strong>s persönlichen kategorischen Impera­<br />

tivs zum Gegenstand habe. Damit wäre natürlich je<strong>de</strong> Ethik <strong>de</strong>s<br />

Sozialen außer Kurs gesetzt. An<strong>de</strong>rerseits besagt diese Uber­<br />

einstimmung von Gut <strong>und</strong> <strong>Recht</strong> nicht, daß Sozialethik <strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong>, im Sinne von positivem <strong>Recht</strong>, sich <strong>de</strong>cken wür<strong>de</strong>n. In<br />

<strong>de</strong>r Schaffung positiven <strong>Recht</strong>s sind wir Vertragspartner, wenig­<br />

stens zu einem großen Teil, so daß wir hier die freie Willensbil­<br />

dung aller in Betracht ziehen müssen, also vom „I<strong>de</strong>al" <strong>de</strong>r<br />

natürlichen Sittlichkeit oft genug dadurch abweichen, daß wir<br />

nicht abzuän<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> sittliche Deka<strong>de</strong>nz in Kauf nehmen. Hier<br />

erhält die absolute Ethik <strong>de</strong>n Charakter einer „Situations­<br />

ethik", d. h. einer Ethik, die sich <strong>de</strong>r gegebenen soziologischen<br />

<strong>und</strong> psychologischen Verfassung <strong>de</strong>r Gesellschaft anpaßt, weil<br />

an<strong>de</strong>rs eine Frie<strong>de</strong>nsordnung nicht möglich wäre. In <strong>de</strong>r positi­<br />

ven <strong>Recht</strong>sgestaltung müssen wir oft genug moralische Übel<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft hinnehmen (vgl. Ehescheidungsgesetze), um<br />

wenigstens ein Min<strong>de</strong>stmaß <strong>de</strong>r an sich für alle unbedingt gel­<br />

ten<strong>de</strong>n Ethik zu retten.<br />

Dennoch aber bleibt die Schlußfolgerung <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

bestehen: Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist eine wahre Tugend, eine sitt­<br />

liche Einstellung auf das Gut <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Daß das <strong>Recht</strong> seiner­<br />

seits wesentlich die Autorität einschließt, kann seinen sittlichen<br />

Wert nicht beeinträchtigen, da die Autorität keine Heteronomie<br />

be<strong>de</strong>utet, wie Kant gemeint hat. Denn die Autorität ist bereits in<br />

das sittliche Apriori unserer Vernunft verwoben. Be<strong>de</strong>utet doch<br />

das Urgewissen, die sogenannte Syn<strong>de</strong>resis, nicht einfachhin<br />

das Hören auf eine außenstehen<strong>de</strong> Macht, son<strong>de</strong>rn eine uns ein­<br />

geschaffene Teilhabe <strong>de</strong>r göttlichen Autorität 1 . Unser kategori-<br />

1 Vgl. A.F.Utz, Ethik, Hei<strong>de</strong>lberg 1970, 145.<br />

306


scher Imperativ, um Kants Ausdruckweise zu gebrauchen, ist<br />

eben eine Partizipation göttlichen Imperativs.<br />

Im Anschluß an die Frage nach <strong>de</strong>r sittlichen Bewandtnis <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> konnte Thomas, <strong>de</strong>r in unserem Traktat weitge­<br />

hend Aristoteles folgt, die Frage nach <strong>de</strong>m psychologischen Trä­<br />

ger <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht übergehen (Art. 4). Ari­<br />

stoteles hatte die <strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>de</strong>n sinnlichen Strebeteil ver­<br />

legt, Thomas dagegen schreibt sie <strong>de</strong>m Willen zu. Für uns liegt<br />

heute dies Problem am Ran<strong>de</strong>, während es für Thomas aus<br />

geschichtlichen <strong>und</strong> theologischen Grün<strong>de</strong>n nicht zu umgehen<br />

war 2 .<br />

2. DIE ALLGEMEINE GERECHTIGKEIT.<br />

DAS PROBLEM DER SOZIALEN GERECHTIGKEIT<br />

(Art. 5 u. 6).<br />

In <strong>de</strong>n Artikeln 5 ff. beschäftigt sich <strong>de</strong>r hl. Thomas mit einer<br />

alten, von Aristoteles stammen<strong>de</strong>n Einteilung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

die beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit verdient: die Unterscheidung<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in Gemeinwohl- <strong>und</strong> ScWergerechtigkeit,<br />

wobei letztere wie<strong>de</strong>rum untergeteilt wird in austeilen<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

ausgleichen<strong>de</strong>.<br />

Man wür<strong>de</strong> Thomas falsch verstehen, wollte man diese Teil­<br />

gerechtigkeiten nur als verschie<strong>de</strong>ne Gesichtspunkte einer ein­<br />

zigen sittlichen Haltung betrachten <strong>und</strong> dabei die Sicht auf die<br />

Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s Objekts, d. h. die Unterscheidung von Sei­<br />

ten <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s übersehen. Gemäß <strong>de</strong>r aristotelisch-thomisti-<br />

schen Philosophie wird jegliche seelische, erst recht sittliche<br />

Haltung vom Objekt her bestimmt.<br />

Allerdings wäre man wie<strong>de</strong>rum auf falscher Fährte, wollte<br />

man glauben, Thomas fän<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r besagten Glie<strong>de</strong>­<br />

rung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> in <strong>de</strong>r Wesensfunktion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, d. h.<br />

im <strong>Recht</strong> als solchem. Das <strong>Recht</strong> ist immer Frie<strong>de</strong>nsordnung<br />

zwischen verschie<strong>de</strong>nen Subjekten. Der Unterschied zwischen<br />

Gemeinwohl- <strong>und</strong> Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit ist darum nicht in einer<br />

Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r wesentlichen <strong>Recht</strong>sfunktion zu suchen.<br />

Thomas erklärt dies ausdrücklich, wenn er (Art. 5) sagt, daß<br />

sich in bei<strong>de</strong>n die „eigentliche Bewandtnis" <strong>de</strong>s Gerechtseins<br />

bewahrheite (sec<strong>und</strong>um propriam rationem).<br />

2 Siehe meinen Kommentar in DT, Bd. 11, 545—550.<br />

307


Man erinnert sich bei dieser Gelegenheit <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels 5 in Frage 57, wo das Verhältnis zwischen Vater <strong>und</strong> Kind<br />

nicht als streng rechtliche Beziehung bezeichnet wur<strong>de</strong>. Dort<br />

wäre eine solche Bezeichnung „<strong>Gerechtigkeit</strong>" in ihrer eigentli­<br />

chen Bewandtnis für die Vater-Sohn-Beziehung nicht möglich<br />

gewesen. Dagegen heißt es hier, daß auch die Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit zur Kategorie <strong>de</strong>s strengen <strong>Recht</strong>s gehöre, wenn­<br />

gleich <strong>de</strong>r einzelne Mensch als Teil <strong>de</strong>s Ganzen bezeichnet wird,<br />

wie ähnlich in 57,5 <strong>de</strong>r Sohn als Teil <strong>de</strong>s Vaters. Man mag daraus<br />

die Be<strong>de</strong>utung dieser an sich unscheinbaren <strong>und</strong> im allgemeinen<br />

wenig beachteten, sogar „mißachteten" Bemerkung in unserem<br />

Artikel erkennen. In <strong>de</strong>r Diskussion über die Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung hätte man darauf das Augenmerk richten sollen (vgl.<br />

Kommentar zu 62,1).<br />

Die Unterscheidung also, um die es hier geht, ist nicht <strong>de</strong>r<br />

Wesensfunktion <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>ssen Sachbereich ent­<br />

nommen. Der Sachbereich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist nämlich verschie<strong>de</strong>n,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>s „an<strong>de</strong>rn", <strong>de</strong>m man das<br />

Seine geben soll. Es ist ihm immer das „Seine" zu geben. Wir<br />

verbleiben also im Bereich <strong>de</strong>s strengen <strong>Recht</strong>s. Der „an<strong>de</strong>re"<br />

aber, <strong>de</strong>m das <strong>Recht</strong> gilt, kann eine einzelne Person sein o<strong>de</strong>r die<br />

Gemeinschaft, zu <strong>de</strong>r wir gehören. Im ersten Fall haben wir die<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, im zweiten die Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Um die Gemeinwohlgerechügkek geht es nun zunächst (Art. 5<br />

u. 6).<br />

Der Mensch lebt naturhaft in <strong>de</strong>r Gemeinschaft von Men­<br />

schen, er bil<strong>de</strong>t also einen Teil eines Ganzen <strong>und</strong> ist somit <strong>de</strong>m<br />

Ganzen gegenüber verpflichtet. Uberraschend für das mo<strong>de</strong>rne<br />

Denken über die Menschenrechte kommt sodann die völlig ari­<br />

stotelische Wendung: „Der Teil aber ist, was er ist, durch das<br />

Ganze". Darum steht <strong>de</strong>r ganze sittliche Mensch in <strong>de</strong>r Spann­<br />

weite <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, nämlich <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong> erhält dann die Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

<strong>de</strong>n Namen „allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong>".<br />

Man <strong>de</strong>nkt unwillkürlich an <strong>de</strong>n Spannschen Universalis­<br />

mus: Das Ganze, die Gemeinschaft wird aufgebaut von oben,<br />

vom Universalen <strong>und</strong> Umfassen<strong>de</strong>n her. Die Glie<strong>de</strong>r sind<br />

Funktion <strong>de</strong>s Ganzen. Das Ganze tritt also mit Herrschaftsan­<br />

sprüchen an die Glie<strong>de</strong>r heran. Die Anerkennung dieses<br />

Herrschaftsanspruchs vollzieht sich in <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerech­<br />

tigkeit. Es möchte fast scheinen, als ob hier <strong>de</strong>r Christ Thomas<br />

308


<strong>de</strong>n Totalitarismus <strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>n Aristoteles kopieren wür<strong>de</strong>. 58. 5/6<br />

Doch können wir <strong>de</strong>m thomasischen Text unmöglich diese<br />

Deutung geben, da Thomas sonst in seinen Werken unzwei<strong>de</strong>u­<br />

tig eine personalistische Gesellschaftslehre vorträgt 3 .<br />

Wie aber löst sich <strong>de</strong>r scheinbare Wi<strong>de</strong>rspruch in <strong>de</strong>r Lehre<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas? Man könnte versucht sein, die Antwort darin<br />

zu fin<strong>de</strong>n, daß Thomas eigentlich nur von <strong>de</strong>r Möglichkeit<br />

spricht, die gesamte sittliche Haltung <strong>de</strong>s Individuums auf die<br />

Gemeinschaft auszurichten, wie man etwa von <strong>de</strong>r Liebe sagt,<br />

sie könne sich frei verschenken, ohne dadurch ihren persönli­<br />

chen Charakter zu verlieren. Thomas gebraucht ja auch <strong>de</strong>n<br />

Ausdruck „ausrichtbar" <strong>und</strong> nicht „auszurichten". Ebenso:<br />

„Die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n können zur <strong>Gerechtigkeit</strong> gehören,<br />

insofern diese <strong>de</strong>n Menschen auf das Gemeinwohl ausrichtet".<br />

An<strong>de</strong>rerseits ist zu be<strong>de</strong>nken, daß wir uns auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r<br />

strengen <strong>Gerechtigkeit</strong> befin<strong>de</strong>n, wo ein unabän<strong>de</strong>rliches Muß<br />

gilt, das vom an<strong>de</strong>rn, nämlich von <strong>de</strong>r Gemeinschaft, eingefor­<br />

<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n kann. Zu alle<strong>de</strong>m fährt Thomas fort, die Gemein­<br />

wohl- o<strong>de</strong>r allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> könne auch Gesetzesge­<br />

rechtigkeit genannt wer<strong>de</strong>n, insofern <strong>de</strong>r Mensch durch sie sich<br />

<strong>de</strong>m Gesetz unterwirft, welches die Akte aller Tugen<strong>de</strong>n auf das<br />

Gemeinwohl hinordnet.<br />

Die theologische Ordnung bleibt außer acht, da es sich um<br />

ein rein philosophisches Problem han<strong>de</strong>lt. Der Traktat über die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> steht auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Natur, da es darum<br />

geht, was <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Naturverbun­<br />

<strong>de</strong>nheit schul<strong>de</strong>t. Die übernatürliche Ordnung von Mensch zu<br />

Mensch ist die Ordnung <strong>de</strong>r Liebe, die ihrerseits zwar <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nicht entraten kann, aber an<strong>de</strong>rerseits eben nicht<br />

selbst <strong>Gerechtigkeit</strong> besagt, son<strong>de</strong>rn weit darüber hinausragt 4 .<br />

Auch <strong>de</strong>m Theologen darf diese philosophische Schauweise<br />

nicht fehlen, da die göttliche Liebe Königin aller Tugen<strong>de</strong>n, auch<br />

3 Vgl. /. Th. Eschmann, Bonum commune etc., Med. St. 5 (1943) 126—165.<br />

A. F. Verpaalen, Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls bei Thomas von Aquin, Ein Beitrag<br />

zum Problem <strong>de</strong>s Personalismus. Hei<strong>de</strong>lberg 1954. Die gesamten das<br />

Gemeinwohl betreffen<strong>de</strong>n Thomastexte (von A. F. Verpaalen zusammengestellt)<br />

sind im Teil I meiner Sozialethik abgedruckt.<br />

4 Dabei darf aber nicht übersehen wer<strong>de</strong>n, daß beim Christen jedwe<strong>de</strong> Ungerechtigkeit<br />

zugleich Sün<strong>de</strong> gegen die übernatürliche Gottesliebe ist. Vgl. 59,4<br />

mit Kommentar. Hier wird <strong>de</strong>r unzerreißbare innere Zusammenhang von<br />

natürlicher <strong>und</strong> übernatürlicher Ordnung <strong>de</strong>utlich.<br />

309


58. 5/6 <strong>de</strong>r natürlichen, ist, d. h. <strong>de</strong>n gesamten sittlichen, auch rein<br />

natürlichen Kräftekosmos zur Tätigkeit aufruft. Die innere Er­<br />

neuerung <strong>de</strong>r in Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Individuen durch die<br />

Liebe kann noch nicht die ganze gesellschaftliche Erneuerung<br />

be<strong>de</strong>uten, da diese ihre Verwirklichung in einer sogenannten<br />

„Zustän<strong>de</strong>reform", d. h. in rechtlichen Abgrenzungen verlangt.<br />

Es kann also in unserem Artikel keineswegs von einer Hin­<br />

ordnung <strong>de</strong>r theologischen o<strong>de</strong>r eingegossenen sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n auf das Gemeinwohl auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit die Re<strong>de</strong> sein. Die Frage bezieht sich einzig auf die<br />

natürlichen Tugen<strong>de</strong>n: „Das Wohl <strong>de</strong>s Bürgers ist nicht das<br />

letzte Ziel <strong>de</strong>r eingegossenen Kardinaltugen<strong>de</strong>n [erst recht<br />

nicht <strong>de</strong>r theologischen Tugen<strong>de</strong>n], son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r erworbenen<br />

Tugen<strong>de</strong>n, von <strong>de</strong>nen bei <strong>de</strong>n Philosophen die Re<strong>de</strong> war" (Virt.<br />

card., 4 Zu 3). Im natürlichen Bereich bewegen sich alle Tugen­<br />

<strong>de</strong>n im Raum <strong>de</strong>r sozialen Natur. Zwar anerkennt auch <strong>de</strong>r Phi­<br />

losoph ein persönliches Verhältnis eines je<strong>de</strong>n geistigen Wesens<br />

zu Gott. Doch be<strong>de</strong>utet dieses Verhältnis zu Gott in <strong>de</strong>r Natur<br />

keine Tugend, son<strong>de</strong>rn eben Natur. Es liegt in <strong>de</strong>r Teilhabe <strong>de</strong>s<br />

Seins, also im Sein <strong>de</strong>s natürlich Personalen. Das natürliche<br />

Streben nach Gott ist nichts an<strong>de</strong>res als die naturhafte Ausrich­<br />

tung <strong>de</strong>s Menschen auf <strong>de</strong>n Schöpfer. Man wird darum in <strong>de</strong>r<br />

Tugendlehre, d. h. unter jenen vom Menschen durch eigenen<br />

sittlichen Fleiß erworbenen sittlichen Kräften, umsonst nach<br />

einer „Tugend" <strong>de</strong>r Gottesliebe suchen. Die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Philo­<br />

sophen bewegen sich im Bereich <strong>de</strong>r Mittel zum Endziel, auf<br />

welches wir naturhaft hingeordnet sind. Auf diesem Tätigkeits­<br />

feld aber sind wir naturhaft sozial, gesellschaftsverb<strong>und</strong>en.<br />

Unsere naturhafte Gottbezogenheit beweisen wir dadurch, daß<br />

wir uns zu allem „recht" verhalten, was uns umgibt <strong>und</strong> uns un­<br />

terstellt ist: <strong>de</strong>m Mitmenschen gegenüber, uns selbst gegenüber<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Welt gegenüber. Dem Mitmenschen gegenüber durch<br />

die <strong>Gerechtigkeit</strong> im eigentlichen Sinn, uns selbst <strong>und</strong> <strong>de</strong>r nicht­<br />

geistigen Welt gegenüber durch die Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Maßhaltung<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit. Das Objekt <strong>de</strong>r Maßhaltung wie auch jenes<br />

<strong>de</strong>r Tapferkeit steht aber in engem Kontakt mit <strong>de</strong>m Mitmen­<br />

schen. Der Genußsüchtige mißbraucht Güter dieser Welt, mit­<br />

tels <strong>de</strong>ren er <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mitmensch sich vervollkommnen sollten.<br />

Die Drogensüchtigen z.B. be<strong>de</strong>uten eine kostenmäßige Bela­<br />

stung <strong>de</strong>r Gesellschaft. Der Feige mißachtet Güter, für die er<br />

sich um <strong>de</strong>r Mitmenschen willen einsetzen sollte, weil sie allge-<br />

310


mein menschliche Güter sind. Wenngleich sich ein Großteil <strong>de</strong>r<br />

Maßhaltung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Tapferkeit im geheimen Leben unserer<br />

eigenen Person abspielt, so ist doch das Objekt unserer Lei<strong>de</strong>n­<br />

schaften, <strong>de</strong>ren Regelung diesen bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n obliegt, aufs<br />

innigste mit <strong>de</strong>r Umwelt verknüpft. Das sittliche Leben kennt<br />

keine säuberliche Abtrennung, son<strong>de</strong>rn ist in sich geeint (vgl.<br />

„Verknüpfung <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n" in I—II 65; DT, Bd. 11). Wir<br />

haben uns nicht nur vor Uberschreitungen zu hüten, die <strong>de</strong>m<br />

Nächsten scha<strong>de</strong>n könnten, son<strong>de</strong>rn müssen darüber hinaus<br />

unsere sittlichen Kräfte positiv einsetzen zur Beteiligung am<br />

Aufbau <strong>de</strong>r Gemeinschaft, am allgemeinen Kulturschaffen, das<br />

nicht nur etwas Personales, son<strong>de</strong>rn zugleich ein soziales Gut<br />

ist. Wür<strong>de</strong>n wir uns <strong>de</strong>m Kulturauftrag, <strong>de</strong>r an die Menschheit<br />

als solche ergangen ist, entziehen, wir wür<strong>de</strong>n nicht nur unsere<br />

persönliche sittliche Vollendung hintansetzen, son<strong>de</strong>rn auch<br />

<strong>de</strong>n Mitmenschen um unseren Beitrag kürzen, <strong>de</strong>n wir ihm auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r menschlichen Natur schul<strong>de</strong>n.<br />

So gilt also in Wahrheit <strong>de</strong>r Satz <strong>de</strong>s hl. Thomas: „Das Gut<br />

einer je<strong>de</strong>n Tugend, ob diese nun <strong>de</strong>n Menschen in sich selbst<br />

o<strong>de</strong>r in Beziehung auf <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Einzelmenschen ordnet, ist<br />

auf das Gemeinwohl ausrichtbar", <strong>und</strong> zwar ausrichtbar im<br />

Sinne <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, ist also „auszurichten" auf das<br />

Gemeinwohl, das einen Anspruch auf die sittliche Leistung<br />

eines je<strong>de</strong>n hat.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls, <strong>de</strong>n Thomas hier zugr<strong>und</strong>e­<br />

legt, hat seine eigene Färbung, die wir heute nicht mehr kennen<br />

(vgl. die Exkurse).<br />

Die Gemeinwohlgerechtigkeit wird vom hl. Thomas als eine<br />

eigene Tugend im strengen Sinn aufgefaßt, da sie ein eigenes<br />

Objekt hat, eben das Gemeinwohl (Art. 6). Sie ist aber zugleich<br />

eine Tugend, die die an<strong>de</strong>rn auf sich bezieht, die darum <strong>de</strong>m ge­<br />

samten sittlichen Leben eine neue Zielrichtung gibt. In dieser<br />

Hinsicht kann sie als Kommandostelle <strong>de</strong>r natürlichen Tugend­<br />

ordnungen bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Thomas gibt ihr unter diesem<br />

Betracht <strong>de</strong>n Namen „allgemeine" <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nicht, daß<br />

die an<strong>de</strong>ren Tugen<strong>de</strong>n ihre eigene Funktion verlieren. Es soll<br />

nur gesagt sein, daß sie eine neue Werthaftigkeit, eine neue sitt­<br />

liche Note, empfangen. Darum ist die Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit in gewisser Hinsicht in allen Tugen<strong>de</strong>n, wie Thomas (Art. 5<br />

u. 6) sich ausdrückt. Sie wird auch, wie bereits erwähnt, „Geset-<br />

311


zesgerechtigkeit" genannt, weil ihr Objekt durch die Gesetze<br />

bestimmt wer<strong>de</strong>n kann.<br />

Entsprechend <strong>de</strong>m aristotelischen Vorbild unterschei<strong>de</strong>t<br />

Thomas (Art. 6) die Gemeinwohlgerechtigkeit selbst wie<strong>de</strong>rum<br />

je nach <strong>de</strong>m Subjekt, in welchem sie sich fin<strong>de</strong>t, ob im Fürsten<br />

o<strong>de</strong>r im Untertan. Im Fürsten, so meint er, sei sie „hauptsäch­<br />

lich" <strong>und</strong> in erster Linie, im Untertan erst zweitlinig <strong>und</strong> aus­<br />

führend. Auffallend ist, daß Thomas nicht sagt: eigentlich <strong>und</strong><br />

uneigentlich. Man erinnere sich <strong>de</strong>r Lehre von <strong>de</strong>r politischen<br />

Klugheit in II—II 50,2, wo die gleiche Unterscheidung ange­<br />

wandt wird. Hat eigentlich Thomas diese Rangunterschie<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit nicht doch stark im Sinn einer<br />

Wesensunterscheidung gesehen? Aus II—II 50,2 zu schlie­<br />

ßen, han<strong>de</strong>lt es sich je<strong>de</strong>nfalls nur um eine gradmäßige Unter­<br />

scheidung. Diese Erkenntnis könnte an sich belanglos erschei­<br />

nen. Jedoch ergibt sich aus ihr die gr<strong>und</strong>sätzliche politische<br />

Gleichstellung zwischen Regieren<strong>de</strong>m <strong>und</strong> Untertan. In <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Demokratie, in welcher ein je<strong>de</strong>r in gleichem Maße<br />

die Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt, ist diese<br />

Erkenntnis eine Selbstverständlichkeit. So wenig die Unter­<br />

scheidung zwischen Demokratie <strong>und</strong> Monarchie für die poli­<br />

tische Gemeinschaft eine Wesensunterscheidung be<strong>de</strong>utet, son­<br />

<strong>de</strong>rn nur <strong>de</strong>ren äußere Form betrifft, ebensowenig berührt die<br />

Unterscheidung <strong>de</strong>r Funktionen, welche <strong>de</strong>m Untertan einer­<br />

seits <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Regieren<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rerseits im Staate zufallen, das<br />

Wesen <strong>de</strong>r sittlich-politischen Verantwortung.<br />

3. DIE SONDERGERECHTIGKEIT<br />

(Art. 7-10)<br />

Die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit ist bei Thomas nicht die Gerechtig­<br />

keit eines einzelnen Menschen, son<strong>de</strong>rn zu einem einzelnen.<br />

Aus diesem Gr<strong>und</strong>e kann Thomas sie unterschei<strong>de</strong>n in ausglei­<br />

chen<strong>de</strong> (zwischen zwei einzelnen Menschen) <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong><br />

(vom Gemeinwohl zum einzelnen Menschen). Allerdings sagt<br />

Thomas (61,1) selbst, daß die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> im<br />

Gr<strong>und</strong>e nicht nur <strong>de</strong>n einzelnen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch die ge­<br />

samte Ordnung im Auge hat, insofern die Güter <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls ordnungsgerecht (sec<strong>und</strong>um proportionalitatem) <strong>de</strong>m<br />

einzelnen zugeteilt wer<strong>de</strong>n. Damit aber nähert sich die austei-<br />

312


len<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>de</strong>s hl. Thomas unserem mo<strong>de</strong>rnen Begriff 58. 7-10<br />

von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit, die auch als soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

bezeichnet wird. Wir können uns heute, wie im zweiten<br />

Exkurs dargestellt ist, das Gemeinwohl nur noch im Sinn <strong>de</strong>r<br />

ausgeglichenen Proportion <strong>und</strong> Koordination aller vorstellen,<br />

so daß notwendigerweise Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>und</strong> aus­<br />

teilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> nur verschie<strong>de</strong>ne Funktionen ein <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>rselben <strong>Gerechtigkeit</strong> (<strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>) sind. Für<br />

unser vom Individualismus beeinflußtes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r konkreten<br />

<strong>Recht</strong>sverteilung zugewandtes Denken kann das Gemeinwohl,<br />

sofern es Gegenstand <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist, nur noch in <strong>de</strong>r Ordnung<br />

<strong>de</strong>r vom Gesetz <strong>de</strong>n vielen einzelnen aufgetragenen Lasten <strong>und</strong><br />

Pflichten bestehen. Allerdings möchte das christliche Denken<br />

sich gegen die Gefangennahme durch <strong>de</strong>n Individualismus<br />

dadurch wehren, daß es eben doch noch eine Zielstrebigkeit <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwesens nach einem I<strong>de</strong>al anerkennt. Damit bleibt <strong>de</strong>m<br />

Gesetz die Vollmacht erhalten, für alle Menschen gelten<strong>de</strong> sitt­<br />

liche For<strong>de</strong>rungen rechtskräftig aufzustellen, auch wenn die<br />

faktische Willensbildung, die soziologische Situation, ihnen<br />

wi<strong>de</strong>rstreben wür<strong>de</strong>. Thomas bedurfte dieses Sperriegels gegen<br />

<strong>de</strong>n Individualismus nicht, da die Gemeinwohlgerechtigkeit bei<br />

ihm ein integrales Ja zur Gemeinschaft be<strong>de</strong>utet. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e wird <strong>de</strong>r innere Mensch mit seinen Affekten durch die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit in einer Weise aufgerufen, wie man<br />

es sonst von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nicht erwarten wür<strong>de</strong> (Art. 9 Zu<br />

3). Allerdings bleibt es Eigenheit einer je<strong>de</strong>n Art <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit, durch eine äußere Handlung auf die Umwelt zu wirken<br />

(Art. 9 u. 10). In diese äußere Betätigung aber wird bei <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit das Affektleben <strong>de</strong>s Menschen in<br />

wesentlicher Weise mit hineingezogen (Art. 9 Zu 3).<br />

4. DAS GERECHTE TUN<br />

(Art. 11)<br />

Entsprechend <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>auffassung <strong>de</strong>r Scholastik, daß die 58. 11<br />

Tugend eine dauerhafte sittliche Haltung (Habitus) be<strong>de</strong>ute,<br />

ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, <strong>de</strong>n Akt, d. h. die<br />

Äußerung dieser sittlichen Einstellung, zu studieren. Die Ant­<br />

wort liegt auf <strong>de</strong>r Hand, da die sittliche Haltung selbst durch<br />

<strong>de</strong>n Akt <strong>und</strong> dieser durch das Objekt bestimmt ist. Das<br />

313


58. Ii Gerechtsein äußert sich im gerechten Tun, das in nichts an<strong>de</strong>­<br />

rem besteht, als je<strong>de</strong>m das Seine zu geben.<br />

5. DIE WERTHÖHE DER GERECHTIGKEIT<br />

(Art. 12)<br />

58. 12 Der Vergleich <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n nach ihrer Werthöhe ist in <strong>de</strong>r<br />

Ethik <strong>de</strong>s hl. Thomas ein bevorzugtes Thema. Im ersten Teil<br />

seiner Moraltheologie hat er diesem Thema eine eigene Frage<br />

(I—II 66; DT, Bd. 11) gewidmet. In II-II 30,4 (DT, Bd. 16)<br />

erwog er die beson<strong>de</strong>ren Auszeichnungen <strong>de</strong>r Barmherzigkeit.<br />

In II-II 81,7 (DT, Bd. 19) wer<strong>de</strong>n die Vorzüge <strong>de</strong>r Gottesver­<br />

ehrung dargestellt. Ahnliche Vergleiche fin<strong>de</strong>n sich an zahlrei­<br />

chen an<strong>de</strong>ren Stellen (vgl. II-II 102,3; 104,3; 117,6; 123,12;<br />

136,2; 141,8; 152,5; 155,4; 157,4).<br />

Das Fragen nach <strong>de</strong>r besten Tugend ist keine n<strong>utz</strong>lose Spiele­<br />

rei, wenngleich je<strong>de</strong> sittliche Tat ihren eigenen unvergleichlichen<br />

Wert besitzt, so daß ein in <strong>de</strong>r absoluten Wertskala weniger<br />

hoch eingeschätzter Tugendakt auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r konkreten Um­<br />

stän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r persönlichen Intensität usw. Ausdruck höchster sitt­<br />

licher Bemühung sein kann. Sofern man aber <strong>de</strong>r Ethik die<br />

Wesenserkenntnis <strong>de</strong>r sittlichen Werte nicht abspricht, muß<br />

man dieser absoluten Wertskala ihre Berechtigung zuerkennen.<br />

Thomas zieht hier keinen Vergleich von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

<strong>de</strong>n theologischen Tugen<strong>de</strong>n, auch nicht zur Klugheit, son<strong>de</strong>rn<br />

lediglich zu <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn sittlichen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Tapfer­<br />

keit <strong>und</strong> Maßhaltung.<br />

Gemäß <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>satz, daß das Gemeinwohl <strong>de</strong>m Einzel­<br />

wohl vorgehe, stellt Thomas ohne Umschweife die Gemein­<br />

wohlgerechtigkeit <strong>de</strong>n bei<strong>de</strong>n genannten sittlichen Tugen<strong>de</strong>n<br />

voran.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit möchte es schwer schei­<br />

nen, das Lob auf die <strong>Gerechtigkeit</strong> aufrechtzuerhalten. Und<br />

<strong>de</strong>nnoch wird Thomas auch dieser Beweis leicht. Die Gerech­<br />

tigkeit ist ihm die geistigste unter <strong>de</strong>n sittlichen Tugen<strong>de</strong>n. Dazu<br />

kommt noch, daß sie nicht im Subjekt verbleibt, son<strong>de</strong>rn aus<br />

ihm hinausgeht zum Nächsten. Man vermute hier bei Thomas<br />

nicht die unbesorgte Nachfolge <strong>de</strong>s Philosophen Aristotelesl Es<br />

entspricht durchaus einem gr<strong>und</strong>sätzlich christlichen Gedan­<br />

ken, daß eine Tugend, je mehr sie über sich hinaus zum Näch-<br />

314


sten geht, an Vollkommenheit gewinnt. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

wird die Barmherzigkeit von Thomas (II—II 30,4 Zu 2; DT,<br />

Bd. 16) als die „Summe <strong>de</strong>r christlichen Religion" bezeichnet,<br />

„soweit die äußeren Werke in Frage kommen". Entsprechend<br />

wird hier auf einer Vorstufe <strong>de</strong>r theologischen Tugen<strong>de</strong>n, näm­<br />

lich im Bereich <strong>de</strong>r sittlichen Tugen<strong>de</strong>n, die <strong>Gerechtigkeit</strong> als die<br />

vornehmste <strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n bezeichnet.<br />

Dies für die mo<strong>de</strong>rne praktische Moral zu notieren, dürfte<br />

beson<strong>de</strong>rs angezeigt sein, nach<strong>de</strong>m durch eine jahrh<strong>und</strong>erte­<br />

lange Tradition hindurch <strong>de</strong>r Schwerpunkt <strong>de</strong>r Aufmerksamkeit<br />

auf einer Tugend lag, die in erster Linie das persönlich seelische<br />

Gleichgewicht regelt, nämlich auf <strong>de</strong>r Keuschheit. Ohne die<br />

Werthöhe dieser Tugend, die ihren beson<strong>de</strong>ren christlichen<br />

Glanz durch die Jungfräulichkeit um Christi willen erhält, auch<br />

nur im geringsten herabzusetzen, müssen wir in <strong>de</strong>r absoluten<br />

Wertung <strong>de</strong>nnoch <strong>de</strong>r Tugend, die das Subjekt transzendiert,<br />

<strong>de</strong>n Vorzug geben. In <strong>de</strong>r konkreten Situation allerdings mag<br />

die Keuschheit, vorab die Jungfräulichkeit, eine stärkere sitt­<br />

liche Intensität beweisen, weil sie die Uberwindung größerer<br />

subjektiver Schwierigkeiten for<strong>de</strong>rt. Die absolute Werthöhe <strong>de</strong>r<br />

Tugen<strong>de</strong>n wird aber eben nicht nach <strong>de</strong>r Uberwindung <strong>de</strong>r<br />

Hemmungen bestimmt, <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Mensch unterliegt, son<strong>de</strong>rn<br />

gemäß <strong>de</strong>r geistigen Gutheit <strong>de</strong>s Objekts.<br />

Drittes Kapitel<br />

DIE UNGERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 59)<br />

Der erste Artikel ist nicht nur durch die biblische Lehre von<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Ungerechtigkeit (vgl. Einw. 1), son<strong>de</strong>rn<br />

auch durch die Feststellung <strong>de</strong>s praktischen Lebens veranlaßt,<br />

daß nämlich die Ungerechtigkeit selten allein auftritt, son<strong>de</strong>rn<br />

immer mit an<strong>de</strong>rn Verfehlungen zusammen, wie <strong>de</strong>r 2. Ein­<br />

wand darstellt.<br />

Wie die Gemeinwohlgerechtigkeit eine eigene Tugend ist, so<br />

be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>r Verstoß gegen sie eine eigene Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong>, sofern es<br />

aus verfestigter Haltung geschieht, ein eigenes Laster. Die ego­<br />

zentrische Einstellung, welche <strong>de</strong>r Gemeinschaft das Ihrige vor­<br />

enthält, ist wirklich Sün<strong>de</strong>, <strong>und</strong> zwar eine eigene Sün<strong>de</strong>, nicht<br />

315


nur unor<strong>de</strong>ntliche Begier<strong>de</strong> nach Reichtum, son<strong>de</strong>rn eine vor<br />

<strong>de</strong>r Gemeinschaft zu verantworten<strong>de</strong> Ungerechtigkeit: asoziale<br />

Haltung <strong>und</strong> Tat. Das Sich-selbst-Abschließen <strong>und</strong> Sich-Sträu-<br />

ben gegenüber <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung in das allgemeine Kultur­<br />

schaffen fügt <strong>de</strong>r Gemeinschaft Scha<strong>de</strong>n zu <strong>und</strong> be<strong>de</strong>utet zu­<br />

gleich einen Verstoß gegen die eigene sittliche Vollendung <strong>de</strong>s<br />

Einzelmenschen. Ein erneuter Beweis dafür, wie tief Thomas<br />

die soziale Natur <strong>de</strong>s Menschen als sittliche Aufgabe anerkannt<br />

wissen will.<br />

Wo <strong>de</strong>r Mensch <strong>de</strong>m Mitmenschen das versagt, was ihm<br />

zusteht, liegt, wie Thomas weiter ausführt, eine Ungerechtig­<br />

keit gegen die Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit vor.<br />

Allerdings kann man nur dort von Ungerechtigkeit sprechen,<br />

wo ein ungerechtes Wollen im Menschen vorliegt (Art. 2).<br />

Da die <strong>Gerechtigkeit</strong> stets <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s Mitmen­<br />

schen miteinbezieht, so geschieht Ungerechtigkeit niemals,<br />

wenn <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sich nicht unwillig zeigt, d. h. <strong>de</strong>n ihm zuge­<br />

fügten Scha<strong>de</strong>n überhaupt nicht einschätzt (Art. 3). Diese von<br />

Aristoteles stammen<strong>de</strong> Lehre zeitigt verhängnisvolle Folgen,<br />

sobald man <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Naturrechts<strong>de</strong>nkens verläßt, wo es<br />

noch <strong>Recht</strong>e gibt, auf welche <strong>de</strong>r Mitmensch nicht verzichten<br />

kann. Der <strong>Recht</strong>spositivismus, <strong>de</strong>r die Frie<strong>de</strong>nsordnung <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft nicht im Sinne absoluter Normen, son<strong>de</strong>rn als<br />

Ordnung innerhalb verschie<strong>de</strong>ner Willensbildungen auffaßt,<br />

kann folgerichtig z.B. die Homosexualität als strafwürdiges<br />

Verbrechen streichen, sofern die bei<strong>de</strong>n Partner in bei<strong>de</strong>rseiti­<br />

ger Einwilligung han<strong>de</strong>ln. Es liegt dann kein Unrecht mehr vor,<br />

zumal wenn die gesamte Gesellschaft an dieser Handlung kei­<br />

nen Anstoß mehr nimmt. Im Naturrechts<strong>de</strong>nken jedoch bleibt<br />

die Homosexualität immer ein von <strong>de</strong>r Gesellschaftsmoral<br />

absolut <strong>und</strong> überzeitlich zu verwerfen<strong>de</strong>s Vergehen, so daß sie<br />

immer eine Ungerechtigkeit be<strong>de</strong>utet, nicht nur in <strong>de</strong>m rein reli­<br />

giösen Sinn <strong>de</strong>r sündhaften Tat gegen Gott, son<strong>de</strong>rn auch im<br />

zwischenmenschlichen Bereich, weil eben eine Norm verletzt<br />

wird, die <strong>de</strong>r Gesellschaft als Ganzes aufgetragen ist. Auch hier<br />

mag man wie<strong>de</strong>rum die sittliche Spannweite <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit erkennen.<br />

Welches Gewicht die sittliche Verpflichtung zu gerechtem<br />

Han<strong>de</strong>ln besitzt, ergibt sich aus Artikel 4, wo Thomas erklärt,<br />

daß die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit wesentlich eine schwere<br />

Sün<strong>de</strong> sei. Wer <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das Seine nimmt o<strong>de</strong>r nicht gibt,<br />

316


verfehlt sich sogar gegen das Gr<strong>und</strong>gebot <strong>de</strong>r übernatürlichen<br />

Sittlichkeit, gegen die göttliche Liebe. Nicht, als ob die Gerech­<br />

tigkeit im Gr<strong>und</strong>e doch auf die Liebe hinausliefe. Wer aber die<br />

Liebe hat <strong>und</strong> sie bewahren will, muß gerecht sein, muß <strong>de</strong>m<br />

Nächsten das geben, was ihm gehört, sonst kann er in <strong>de</strong>r Liebe<br />

nicht bleiben. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: sonst versündigt er sich<br />

schwer, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>r Theologie ist jene Sün<strong>de</strong> als schwer zu<br />

bezeichnen, die mit <strong>de</strong>r Liebe nicht mehr vereinbar ist.<br />

Dies schließt aber im Bereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> die Möglich­<br />

keit einer „kleinen", theologisch ausgedrückt, einer läßlichen<br />

Sün<strong>de</strong> nicht aus. In kleinen <strong>und</strong> belanglosen Dingen hat <strong>de</strong>r<br />

Geschädigte keinen sachlichen Gr<strong>und</strong> zum Unwillen. Wer also<br />

in kleineren Dingen Unrecht begeht, kann berechtigterweise<br />

annehmen, daß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re sich nicht geschädigt fühlt (Art. 4 Zu<br />

2). Damit aber ist <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit die Spitze abgebrochen,<br />

da es, wie Thomas im 3. Artikel ausführte, Unrecht nur gibt, wo<br />

<strong>de</strong>r Mitmensch das Unrecht „erlei<strong>de</strong>t". Man kann daher auf <strong>de</strong>m<br />

Gebiet <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s von schwerwiegen<strong>de</strong>m <strong>und</strong> geringfügigem<br />

Tatbestand re<strong>de</strong>n (materia gravis <strong>und</strong> materia levis, wie die<br />

Theologie sich ausdrückt).<br />

Viertes Kapitel<br />

DIE RECHTSPRECHUNG<br />

(Fr. 60)<br />

Sosehr die Gesetzesbildung für ein ruhiges gesellschaftliches<br />

Leben im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> stehen muß, so wird sie <strong>de</strong>nnoch end­<br />

gültig ihre Wirksamkeit erst in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung erhalten.<br />

Hier erst wird eigentlich <strong>Recht</strong> im entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Sinn. Es ent­<br />

spricht dies ganz <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl. Thomas, insofern er<br />

selbst als <strong>Recht</strong> das hic et nunc gelten<strong>de</strong> Objekt <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> bezeichnet (vgl. Kommentar zu 57,1). Kelsen hat<br />

daher, wie bereits gesagt, mit feinem Gespür <strong>de</strong>m Richter<br />

rechtserzeugen<strong>de</strong> Kraft zugesprochen. Auch bei Thomas<br />

schreitet <strong>de</strong>r rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Prozeß folgerichtig von <strong>de</strong>n Geset­<br />

zen vor bis zum richterlichen Urteil. In Art. 6 Zu 1 sagt er aus­<br />

drücklich, daß das richterliche Urteil nicht nur eine Feststellung<br />

<strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s sei, son<strong>de</strong>rn ein autoritativer Anstoß. Darum<br />

gehört die <strong>Recht</strong>sprechung in jenen Bereich <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, <strong>de</strong>r<br />

317


nicht einzig <strong>Recht</strong> vollführt <strong>und</strong> befolgt, son<strong>de</strong>rn als übergeord­<br />

nete Instanz <strong>Recht</strong> festlegt (Art. 1 Zu 4). Zur <strong>Recht</strong>sprechung<br />

ist eine höhere Gewalt vonnöten, welche bei<strong>de</strong> rechtsuchen<strong>de</strong>n<br />

Teile gewissermaßen in <strong>de</strong>r Hand hat (Art. 1 Zu 3). Das richter­<br />

liche Urteil wird darum als „auf <strong>de</strong>n Einzelfall zugeschnittenes<br />

Gesetz" bezeichnet (67,1).<br />

Es möchte sogar scheinen, als ob Thomas im Sinn <strong>de</strong>r Frei­<br />

rechtsschule <strong>de</strong>m Richter die freie <strong>Recht</strong>sbildung zusprechen<br />

wür<strong>de</strong>. Denn außer <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r legiti­<br />

men Zuständigkeit verlangt er auch noch die <strong>Recht</strong>sklugheit auf<br />

seiten <strong>de</strong>s Richters (Art. 2). Soll diese Klugheit etwa be<strong>de</strong>uten,<br />

daß <strong>de</strong>r Richter selbständig, vielleicht sogar über das Gesetz<br />

hinweg neues <strong>Recht</strong> schaffen kann? Die Lehre von Frage 60<br />

beweist, daß Thomas insoweit <strong>de</strong>n Gedanken <strong>de</strong>r Freirechts­<br />

schule vertritt, als er, wie sie, die Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s Gesetzes<br />

unterstreicht. Er unterschei<strong>de</strong>t sich jedoch von ihr, insofern er<br />

nicht einfach eine Berücksichtigung <strong>de</strong>r Verkehrsbedürfnisse<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rungen von Treu <strong>und</strong> Glauben, son<strong>de</strong>rn über<br />

diese mehr praktische Sicht hinaus eine Rückbesinnung auf die<br />

absoluten Normen for<strong>de</strong>rt.<br />

Die thomasische Auffassung von <strong>de</strong>r Lückenhaftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Gesetzes <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit gegebenen Notwendigkeit einer neuen<br />

<strong>Recht</strong>sbildung durch <strong>de</strong>n Richter spricht sich in <strong>de</strong>m Begriff<br />

jener Klugheit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r mit ihr verb<strong>und</strong>enen Tugend <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit aus, die Thomas als wesentliche Ausrüstung <strong>de</strong>s Richters<br />

verlangt.<br />

Diese Klugheit ist zunächst die „rechte Vernunft" zur Auf­<br />

<strong>de</strong>ckung <strong>de</strong>s unter das Gesetz fallen<strong>de</strong>n Tatbestan<strong>de</strong>s (vgl.<br />

Art. 1 Zu 1; Art. 2). Damit ist allerdings zunächst mehr <strong>de</strong>m<br />

<strong>Recht</strong>sformalismus als <strong>de</strong>r Freirechtslehre das Wort gespro­<br />

chen. Immerhin führt bereits die beson<strong>de</strong>re Art, mit welcher <strong>de</strong>r<br />

Richter bei <strong>de</strong>r Feststellung <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s vorzugehen hat,<br />

einen Gedanken ein, <strong>de</strong>r zur freien sittlichen <strong>Recht</strong>sentschei­<br />

dung <strong>de</strong>s Richters hinüberführt. Denn es soll <strong>de</strong>m Richter, wie<br />

Thomas (Art. 4 Zu 2) sagt, nicht nur um die Ermittlung einer<br />

materiellen Wahrheit nach Art einer rein juristischen Technik<br />

gehen, son<strong>de</strong>rn er soll selbst mit eigener sittlicher Verantwor­<br />

tung für die Wahrheit <strong>de</strong>s Tatbestan<strong>de</strong>s eintreten können. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong>e rät Thomas (Art. 4 Zu 3), immer zum Besten<br />

<strong>de</strong>s Nächsten zu urteilen, <strong>de</strong>nn besser sei es, sich öfters zu täu­<br />

schen, als sich <strong>de</strong>r Gefahr auszusetzen, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn Unrecht zu<br />

318


tun (Art. 4 Zu 1). So wird <strong>de</strong>r Richter zum sittlichen, nicht nur 60. 1-6<br />

zum sachverständigen Interpreten <strong>de</strong>s vorliegen<strong>de</strong>n Falles.<br />

Uber <strong>de</strong>n Tatbestand hinaus reicht nun diese sittliche Hal­<br />

tung <strong>de</strong>s Richters bis hinein in das Innere <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung,<br />

<strong>de</strong>s Urteils. Den aristotelischen Begriff <strong>de</strong>r Billigkeit anwen­<br />

<strong>de</strong>nd, meint Thomas (Art. 5 Zu 2), <strong>de</strong>r Richter habe zu urteilen,<br />

ob billigerweise das Gesetz in einem konkreten Fall überhaupt<br />

Geltung habe; <strong>de</strong>nn die positiven Gesetze könnten, wenngleich<br />

sie an sich eine <strong>Recht</strong>sordnung im allgemeinen beabsichtigten,<br />

<strong>de</strong>nnoch im Einzelfall die Ordnung stören. Thomas macht also<br />

<strong>de</strong>n Richter nicht nur zum Interpreten <strong>de</strong>s statuierten Gesetzes,<br />

son<strong>de</strong>rn spricht ihm darüber hinaus noch die Fähigkeit zu,<br />

selbst gegen <strong>de</strong>n Wortlaut <strong>de</strong>s Gesetzes zu urteilen, also im<br />

konkreten Fall gesetzgebend, besser: rechtsverbessernd zu wir­<br />

ken. Das Prinzip dieser <strong>Recht</strong>serzeugung ist dabei die mit <strong>de</strong>r<br />

Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> gepaarte sittliche Klugheit. Damit<br />

wird ein Orientierungspunkt eingeführt, <strong>de</strong>r nicht in <strong>de</strong>m allge­<br />

meinen <strong>Recht</strong>sgeühl <strong>de</strong>r Gesellschaft, wie etwa bei <strong>de</strong>n Vertre­<br />

tern <strong>de</strong>r Freirechtsschule, son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Praxis, erst recht natürlich über <strong>de</strong>r rein juristischen Praxis liegt,<br />

nämlich in <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r natürlichen Sittlichkeit, die für alle<br />

gelten, die sich in <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft zusammenge­<br />

f<strong>und</strong>en haben. So kann Thomas (Art. 2 Zu 2) <strong>de</strong>n Richter <strong>de</strong>n<br />

„Diener Gottes" nennen, ähnlich wie Ulpian <strong>de</strong>n Juristen als<br />

„Priester <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" bezeichnet hat. H. Coing 1 scheint<br />

sich dieser Auffassung zu nähern, wenn er in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sanwen­<br />

dung nicht eine rein logische Tätigkeit sieht, ein „Rechnen mit<br />

Begriffen" nach Art <strong>de</strong>r <strong>de</strong>utschen Pan<strong>de</strong>ktistik <strong>de</strong>s vorigen<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts, eine reine Subsumption <strong>de</strong>s gegebenen Tatbe­<br />

stan<strong>de</strong>s unter <strong>de</strong>n Tatbestand <strong>de</strong>s Gesetzes, son<strong>de</strong>rn eine, frei­<br />

lich irgendwie geb<strong>und</strong>ene, aber doch freie Entscheidung. Das<br />

sogenannte „Richterrecht" hat sich in Deutschland beson<strong>de</strong>rs<br />

im Arbeitsrecht entwickelt, da hinsichtlich <strong>de</strong>r Arbeitskämpfe<br />

(Kampfparität <strong>de</strong>r Sozialpartner) keine gesetzlichen Normen<br />

bestehen.<br />

Allerdings wirft eine solche Auffassung <strong>de</strong>s richterlichen<br />

Amtes die Frage nach <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssicherheit auf, die für Radbruch<br />

das zentrale Thema war. Thomas selbst hat dies gefühlt <strong>und</strong><br />

darum nicht umsonst im 5. Artikel (vgl. auch Art. 6) die Be<strong>de</strong>u-<br />

1 Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, 1947, 141.<br />

319


60. 1-6 tung <strong>de</strong>s geschriebenen Gesetzes hervorgehoben. Diese „for­<br />

malistische" Seite seines <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nkens kommt namentlich in<br />

67,2 zur Geltung. Dennoch kann er die <strong>Recht</strong>sprechung nicht<br />

einem toten Formalismus ausliefern. Darum verteidigt er die<br />

lebendige Rückorientierung aller konkreten <strong>Recht</strong>sbildung an<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>normen <strong>de</strong>s Naturrechts. Schärfer konnte Thomas<br />

seine Befürwortung <strong>de</strong>s Naturrechts gegen das positive Gesetz<br />

nicht formulieren, als daß er erklärt, daß positive Gesetze, die<br />

gegen das Naturrecht sind, nicht Gesetze, son<strong>de</strong>rn Gesetzes­<br />

ver<strong>de</strong>rbnis seien <strong>und</strong> daß darum nach ihnen nicht gerichtet wer­<br />

<strong>de</strong>n dürfe (Art. 5 Zu 1). Das Instrument <strong>de</strong>r Rückbesinnung auf<br />

das Naturrecht ist das Gewissen. Wo dieses seine Funktion<br />

nicht mehr leistet, sieht Thomas keine Gr<strong>und</strong>lage mehr für ein<br />

rechtlich geordnetes Zusammenleben. Darum gibt es für ihn<br />

nur ein Mittel zur Wahrung einer Ordnung in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung: neben fachlicher Kenntnis die Erziehung <strong>de</strong>s Richters<br />

zum Diener Gottes. Ganz übereinstimmend mit dieser thoma­<br />

sischen Schauweise sieht V.Tomberg 2 die Regeneration <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sbildung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sprechung: „Das moralische Den­<br />

ken als Denken, das in <strong>de</strong>n Kategorien von Gut <strong>und</strong> Böse<br />

geschieht, ist die Quelle <strong>de</strong>s entstehen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Bo<strong>de</strong>n, auf <strong>de</strong>m die Jurispru<strong>de</strong>nz ihr wahres Wesen wie<strong>de</strong>rfin­<br />

<strong>de</strong>n kann <strong>und</strong> muß". Eigentlich ist dies nichts an<strong>de</strong>res, als was<br />

bereits Justinian gesagt hat: „Jurispru<strong>de</strong>ntia est divinarum atque<br />

humanarum rerum notitia", die Jurispru<strong>de</strong>nz ist die Kenntnis<br />

<strong>de</strong>r göttlichen <strong>und</strong> menschlichen Wahrheiten.<br />

Thomas hat diese seine Darlegungen über die <strong>Recht</strong>spre­<br />

chung im Gr<strong>und</strong>e nicht einmal <strong>de</strong>n römischen Juristen entnom­<br />

men, son<strong>de</strong>rn aus einer älteren Quelle geschöpft, aus Aristote­<br />

les, <strong>de</strong>r die Billigkeit als das bessere <strong>Recht</strong> bezeichnet<br />

(Eth.V, 14). Die Begründung sieht Aristoteles in <strong>de</strong>m Rückgriff<br />

auf höhere Normen gesellschaftlicher Ordnung: „Das Billige ist<br />

zwar ein <strong>Recht</strong>, aber nicht <strong>de</strong>m Gesetze nach, son<strong>de</strong>rn als eine<br />

Korrektur <strong>de</strong>s gesetzlich Gerechten. Das hat seinen Gr<strong>und</strong><br />

darin, daß je<strong>de</strong>s Gesetz allgemein ist <strong>und</strong> bei manchen Dingen<br />

richtige Bestimmungen durch ein allgemeines Gesetz sich nicht<br />

geben lassen. Wo nun eine allgemeine Bestimmung zu treffen<br />

ist, ohne daß sie ganz richtig sein kann, da berücksichtigt das<br />

2 V.Tomberg, Degeneration <strong>und</strong> Regeneration <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft, 1946,<br />

28.<br />

320


Gesetz die Mehrheit <strong>de</strong>r Fälle, ohne über das diesem Verfahren 60. 1-6<br />

anhaften<strong>de</strong> Gebrechen im unklaren zu sein. Nichts<strong>de</strong>stoweni­<br />

ger ist dieses Verfahren richtig. Denn <strong>de</strong>r Fehler liegt nicht an<br />

<strong>de</strong>m Gesetz, noch an <strong>de</strong>m Gesetzgeber, son<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Natur<br />

<strong>de</strong>r Sache. Denn im Gebiet <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lns ist die ganze Materie<br />

von vornherein dieser Art" (1137 b 11—19). Wichtig ist, daß<br />

Thomas mit <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Korrektur Ernst macht <strong>und</strong> nicht<br />

etwa nur Gesetzeslücken, d.h. gesetzlich überhaupt nicht<br />

Geregeltes, durch <strong>de</strong>n Richter ausfüllen, son<strong>de</strong>rn auch Wi<strong>de</strong>r­<br />

sinniges in <strong>de</strong>r gesetzlichen Anwendung durch <strong>de</strong>n Richter aus­<br />

merzen <strong>und</strong> sinnvoll gestalten läßt. Dieser moralische Optimis­<br />

mus dürfte allerdings <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen Verständnis <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s­<br />

staates <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssicherheit nicht mehr entsprechen. Im<br />

mo<strong>de</strong>rnen <strong>Recht</strong>sstaat kann man we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Wissen noch <strong>de</strong>r<br />

Moral <strong>de</strong>s Richters soviel Vorschuß an Vertrauen geben.<br />

321


ZWEITER TEIL<br />

DIE TEILTUGENDEN DER GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 61-79)<br />

Erstes Kapitel<br />

DIE AUSGLEICHENDE UND DIE AUSTEILENDE<br />

GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 61 u. 62)<br />

61-62 Mit Frage 61 beginnt Thomas eigentlich einen neuen<br />

Abschnitt im Traktat <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Nach<strong>de</strong>m er in <strong>de</strong>n vor­<br />

hergehen<strong>de</strong>n Fragen das Wesen <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit sowie <strong>de</strong>ren Gegenteil, die Ungerechtigkeit, wie auch einen<br />

ausgeprägten <strong>Recht</strong>sakt, nämlich <strong>de</strong>n richterlichen Urteils­<br />

spruch, behan<strong>de</strong>lt hat, befaßt er sich nun mit <strong>de</strong>n einzelnen Tei­<br />

len; <strong>und</strong> zwar zunächst mit <strong>de</strong>n eigentlichen Arten <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit, einschließlich <strong>de</strong>r ihnen entgegengesetzten Laster<br />

(Fr. 61—78), sodann mit <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen sittlichen Haltun­<br />

gen <strong>und</strong> Handlungen, die zur Vollständigkeit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

gehören (Fr. 79), <strong>und</strong> schließlich mit jenen Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Bereichs <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, die vom strengen Begriff <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> etwas abweichen wie Gottesverehrung, Pietät<br />

usw. (Fr. 80-120; DT, Bd. 19 u. 20).<br />

Auffallend ist, daß Thomas unter <strong>de</strong>n Arten <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit nur die bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit, die aus­<br />

gleichen<strong>de</strong> <strong>und</strong> die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>, nicht aber die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit bespricht, da er dieser doch ebenso<br />

die eigentliche Bewandtnis <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zuerkennt. Die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit ist ihm die universale gerechte Hal­<br />

tung, die nicht nur die einzelnen Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, son­<br />

<strong>de</strong>rn überhaupt <strong>de</strong>n ganzen sittlichen Menschen auf das<br />

Gemeinwohl hinordnet, sosehr sie ein eigenes Objekt hat wie<br />

je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Tugend. Als „principalis" justitia gehört sie nicht<br />

unter die einzelnen Arten <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Außer<strong>de</strong>m ist Tho­<br />

mas an das Schema von Aristoteles geb<strong>und</strong>en, <strong>de</strong>r unter <strong>de</strong>m<br />

Namen <strong>de</strong>r Kardinaltugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nur die bei<strong>de</strong>n<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeiten begriff. Da die sogenannten Teiltugen­<br />

<strong>de</strong>n bei Aristoteles nichts an<strong>de</strong>res als Teile <strong>de</strong>r Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

sind, konnte Thomas hier im Traktat über die Teile <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit nur von jenen Tugen<strong>de</strong>n sprechen, die im Begriff <strong>de</strong>r<br />

322


Kardinaltugend enthalten sind. Ein mo<strong>de</strong>rner Traktat über die 61-62<br />

Tugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> wür<strong>de</strong> sich wohl dieser historischen<br />

Bindung entledigen müssen. Der aristotelische Begriff <strong>de</strong>r Kar­<br />

dinaltugend <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> hat Thomas daran gehin<strong>de</strong>rt,<br />

seine eigene Systematik <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Arten <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit auszubauen. 1<br />

Zum Unterschied von <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> hebt<br />

Thomas als eigentliches Merkmal <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n Gerech­<br />

tigkeit die sozusagen mathematische Bestimmbarkeit <strong>de</strong>s<br />

Objekts hervor. Das <strong>Recht</strong>sgeschäft zwischen zwei Individuen<br />

ist leicht zu bestimmen, insofern <strong>de</strong>r eine <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das zu<br />

erstatten hat, was er von ihm erhalten o<strong>de</strong>r genommen hat.<br />

Dagegen läßt sich das Maß <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> nur<br />

im Vergleich zu allen an<strong>de</strong>rn festlegen, da die Güter <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls entsprechend <strong>de</strong>n Verdiensten am Gemeinwohl<br />

verteilt wer<strong>de</strong>n; wir wür<strong>de</strong>n noch hinzufügen: entsprechend<br />

auch <strong>de</strong>r Unterstützungsbedürftigkeit durch das Gemeinwohl.<br />

Sobald man aber hier <strong>de</strong>m einen mehr gibt, als ihm zukommt,<br />

schmälert man die an<strong>de</strong>rn. Das <strong>Recht</strong>sverhältnis zwischen Ein­<br />

zelmensch <strong>und</strong> Gemeinschaft bedarf also immer <strong>de</strong>r Rück-<br />

orientierung an <strong>de</strong>r Umwelt, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn Glie<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft. Es ist <strong>de</strong>mnach kein so glattes Geschäft zwischen Ein­<br />

zelmensch <strong>und</strong> Gemeinwesen zu tätigen, wie dies zwischen<br />

Mensch <strong>und</strong> Mensch in <strong>de</strong>r ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

geschieht, wo wirklich ein voller Ausgleich zwischen zwei Part­<br />

nern zustan<strong>de</strong> kommt, weswegen die ausgleichen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit auch „Verkehrsgerechtigkeit" heißt.<br />

Es ist nun ein Verhängnis <strong>de</strong>r Geschichte, daß dieses Geben<br />

<strong>und</strong> Nehmen, wie es sich in <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit abspielt,<br />

die Vorstellung von <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> überhaupt so sehr<br />

beherrscht hat, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgutmachung einzig<br />

ihr zugedacht wur<strong>de</strong>. Moraltheologen <strong>de</strong>s Mittelalters <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Neuzeit haben keine Anstrengung gescheut, um diese einmal<br />

festgewurzelte Lehre von <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgutmachung als <strong>de</strong>m<br />

eigentlichen Akt <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit durchzuretten. Wie<br />

ist eigentlich die Verkehrsgerechtigkeit zu dieser ihrer unver­<br />

dienten Son<strong>de</strong>rstellung gekommen?<br />

Das lateinische Wort hat ursprünglich gar nichts mit Wie<strong>de</strong>r­<br />

erstattung von zugefügtem Scha<strong>de</strong>n zu tun, son<strong>de</strong>rn will nur<br />

1 Vgl. hierzu A.F.Utz, Sozialethik I, 210ff.<br />

323


61-62 einfach <strong>und</strong> allgemein „erstatten" o<strong>de</strong>r „vergelten" besagen. In<br />

<strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit vollzieht sich ein Austausch. Der eine<br />

gibt <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn etwas, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re erstattet ihm <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Wert zurück. Das ist <strong>de</strong>r einfache Vorgang, weswegen <strong>de</strong>r<br />

Verkehrsgerechtigkeit die Wie<strong>de</strong>rerstattung zuerkannt wer<strong>de</strong>n<br />

muß (62,1). Dieser Vorgang <strong>de</strong>s Empfangens <strong>und</strong> Wie<strong>de</strong>rge­<br />

bens fin<strong>de</strong>t allerdings in keiner an<strong>de</strong>rn Form von <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

statt. Jedoch ist darin nicht das typische Merkmal <strong>de</strong>r Gerech­<br />

tigkeit an sich zu sehen. Denn <strong>de</strong>r Ausgleich zwischen mehre­<br />

ren, <strong>de</strong>r zu je<strong>de</strong>r Art von <strong>Gerechtigkeit</strong> gehört, braucht sich<br />

nicht notwendig in Form von Geben <strong>und</strong> Empfangen zu voll­<br />

ziehen. Wo immer vom Gemeinwohl her ein Ausgleich zwi­<br />

schen mehreren stattfin<strong>de</strong>n soll, da muß für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r<br />

eine zuviel erhalten hat, dieses Zuviel wie<strong>de</strong>rerstattet wer<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> zwar eben <strong>de</strong>swegen, weil sonst die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit verletzt wür<strong>de</strong>. Allerdings vollzieht sich in diesem Akt <strong>de</strong>s<br />

Zurückgebens etwas, was an sich für die Sache, d. h. Leistung<br />

auf Gegenleistung, passen soll. Und dies ist eben wesentlich bei<br />

<strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit <strong>de</strong>r Fall. Jedoch folgt daraus nicht,<br />

daß die Verpflichtung zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung von <strong>de</strong>r Ver­<br />

kehrsgerechtigkeit aus zu begrün<strong>de</strong>n sei. Man kann wohl mit<br />

Thomas (Art. 1 Zu 3) zugeben, daß die Wie<strong>de</strong>rgutmachung zur<br />

Verkehrsgerechtigkeit gehört, sofern man das äußere Gesche­<br />

hen, <strong>de</strong>n Vorgang <strong>de</strong>r äußeren Handlung, betrachtet. Thomas<br />

selbst hatte erklärt, daß die <strong>Gerechtigkeit</strong> äußere Handlungen<br />

betreffe. Nach diesen also wird nun das Wesen <strong>de</strong>r Wie<strong>de</strong>rgut­<br />

machung bestimmt. Damit ist aber noch nichts über die Pflicht<br />

zur Wie<strong>de</strong>rgutmachung gesagt! Die Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rgutma­<br />

chung besteht auch um <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n bzw. <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit willen. Die Verteilung einer sozialen Prämie<br />

geschieht nach einem ganz bestimmten Schlüssel. Wo <strong>de</strong>m<br />

einen zuviel gegeben wur<strong>de</strong>, muß es ihm wie<strong>de</strong>r genommen<br />

wer<strong>de</strong>n. Das praktiziert von selbst je<strong>de</strong> Behör<strong>de</strong>, in<strong>de</strong>m sie bei<br />

<strong>de</strong>r nächsten Zahlung <strong>de</strong>r Rente das abhält, was sie vorher viel­<br />

leicht zuviel ausbezahlt hat. Dies verlangt die austeilen<strong>de</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Nur bezüglich <strong>de</strong>s Aktes <strong>de</strong>s Zurückholens<br />

könnte man, wenn man ganz formal <strong>de</strong>nken will, sagen, daß er<br />

die Bewandtnis eines Aktes <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit habe,<br />

weil mathematisch genau zurückverlangt wird, was zuviel<br />

gegeben wor<strong>de</strong>n ist. Es wickelt sich also dabei <strong>de</strong>r äußere Vor­<br />

gang <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit ab. Aber die moralische Innen-<br />

324


sehe <strong>de</strong>s Sollens ist doch die austeilen<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Gemeinwohlge- 61-62<br />

rechtigkeit. Man fragt sich, wie es möglich war, daß so viel Tinte<br />

verschrieben wur<strong>de</strong> für ein Thema, das durch die Wirklichkeit<br />

schon lange klargestellt ist. Die Ansicht von Faidherbe <strong>und</strong><br />

Welty verdient Anerkennung: „Wer die allgemeine o<strong>de</strong>r gesetz­<br />

liche <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt, kann aus diesem Gr<strong>und</strong>e, <strong>und</strong> nicht<br />

nur wegen <strong>de</strong>r beiläufig mitverletzten ausgleichen<strong>de</strong>n Gerech­<br />

tigkeit, entschädigungspflichtig sein". 1<br />

Zweites Kapitel<br />

DIE SÜNDEN<br />

GEGEN DIE AUSTEILENDE GERECHTIGKEIT.<br />

DIE FALSCHE RÜCKSICHT AUF PERSONEN<br />

(Fr. 63)<br />

Das in Fr. 63 behan<strong>de</strong>lte Thema wäre auf zu schmale Spur 63. 1-4<br />

gestellt, wollte man nur an <strong>de</strong>n Nepotismus <strong>de</strong>nken, <strong>de</strong>r als<br />

Krebsscha<strong>de</strong>n die mittelalterliche Hierarchie verseuchte. Im<br />

übrigen hätte die Frage in dieser Beschränkung auch für uns<br />

heute noch Be<strong>de</strong>utung genug, wo die „Beziehung" im sozialen<br />

Leben alles <strong>und</strong> die Sachlichkeit oft nichts erreicht. Thomas<br />

aber zeigt im vierten Artikel, daß die falsche Rücksicht auf die<br />

Person nicht nur in <strong>de</strong>r unsachlichen Verteilung von Amtern<br />

vorliegt, son<strong>de</strong>rn überall dort gegeben ist, wo mit behördlicher<br />

Autorität <strong>de</strong>m einen zum Nachteil <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn mehr gegeben<br />

wird, als ihm zusteht, das heißt, wo das Gesetz <strong>de</strong>r gerechten<br />

Verteilung verletzt, also nach mo<strong>de</strong>rnem Denken die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> gestört wird.<br />

Der Begriff <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> spannt allerdings <strong>de</strong>n<br />

Aufgabenkreis weiter als <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> bei<br />

Thomas. In <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur<br />

um die von oben her in Angriff zu nehmen<strong>de</strong> Verteilung <strong>und</strong><br />

Zuteilung von Amtern <strong>und</strong> Gütern, son<strong>de</strong>rn auch um die vom<br />

einzelnen Gemeinschaftsglied zu übernehmen<strong>de</strong>n Lasten.<br />

Darum wird überall dort die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> verletzt, wo<br />

ein einzelner <strong>de</strong>m Gemeinwohl etwas entzieht, was diesem<br />

zusteht. Der Begriff <strong>de</strong>r falschen Rücksicht auf Personen paßt<br />

1 E. Welty, Sozialkatechismus, Bd. 1,263, Fußnote.<br />

325


63. 1-4 also nicht mehr recht für die Sün<strong>de</strong> gegen die soziale Gerechtig­<br />

keit in ihrem ganzen Umfang. Denn er lenkt <strong>de</strong>n Blick zu sehr<br />

auf die Autorität, welche in Vertretung <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>n<br />

gerechten Ausgleich schaffen soll. Allerdings wird dann in <strong>de</strong>r<br />

Folge auch die beraten<strong>de</strong> <strong>und</strong> Intrige spielen<strong>de</strong> Person <strong>de</strong>rsel­<br />

ben Sün<strong>de</strong> schuldig. Von hier ist <strong>de</strong>r Weg dann nicht mehr weit<br />

zur Überlegung, daß <strong>de</strong>r einzelne auch ohne <strong>de</strong>n Weg über die<br />

Behör<strong>de</strong> <strong>de</strong>m Gemeinwohl Scha<strong>de</strong>n zufügen <strong>und</strong> sich damit<br />

wesentlich <strong>de</strong>rselben Sün<strong>de</strong> schuldig machen kann, die Thomas<br />

als falsche Rücksicht auf Personen bezeichnet, die aber dann<br />

besser mit Sün<strong>de</strong> gegen das Gemeinwohl bezeichnet wür<strong>de</strong>.<br />

Beson<strong>de</strong>rer Erwähnung würdig ist die Lehre <strong>de</strong>s zweiten<br />

Artikels, wonach die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Person im gesellschaftlichen<br />

Bereich nicht einfach nach <strong>de</strong>r sittlichen Gutheit bemessen wer­<br />

<strong>de</strong>n darf, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>r Eignung, das Gemeinwohl sachlich<br />

zu för<strong>de</strong>rn. Man möchte zwar annehmen, daß gera<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Tugendhafte um seiner Tugend willen <strong>de</strong>r passen<strong>de</strong> Mann sei,<br />

ein gesellschaftliches Ganzes zu leiten, da das Ziel <strong>de</strong>r Gesell­<br />

schaft eben im Gr<strong>und</strong>e doch ein ethisches ist. Thomas ist Realist<br />

genug, um diesen Gedanken nicht restlos zu bejahen, da das<br />

Gemeinwohl in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>rart verwickelt ist,<br />

daß die Tugend allein <strong>und</strong> die mit ihr gegebene persönliche sitt­<br />

liche Klugheit eben nicht ausreichen, um das Ordnungsganze<br />

zu durchschauen. Um <strong>de</strong>n Weg zur vollkommenen Ordnung<br />

anzubahnen, bedarf es daher <strong>de</strong>r Begabung <strong>und</strong> einer gewissen<br />

Geschäftstüchtigkeit, nicht nur <strong>de</strong>r Tugend, wie ja auch Gott<br />

bisweilen die außergewöhnlichen Gna<strong>de</strong>ngaben, wie zum Bei­<br />

spiel W<strong>und</strong>er <strong>und</strong> Weissagungen, <strong>de</strong>n weniger Guten zuteilt<br />

(Art. 2). Wir sind heute mit diesem Gedanken noch mehr ver­<br />

traut, als es etwa Thomas zu seiner Zeit sein konnte, da wir mit<br />

einem beinahe unabsehbaren Mechanismus <strong>de</strong>s gesellschaftli­<br />

chen Zusammenlebens rechnen müssen, wie wir ihn in <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Wirtschaft vor uns haben. Um einen Ausweg aus<br />

<strong>de</strong>m Gewirr von wirtschaftlichen Problemen zu fin<strong>de</strong>n, genügt<br />

die reine Ethik keinesfalls; son<strong>de</strong>rn es ist zugleich, sogar vor­<br />

dringlich ein gerütteltes Maß an wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Kenntnissen gefor<strong>de</strong>rt.<br />

326


Drittes Kapitel<br />

DIE SÜNDEN GEGEN<br />

DIE AUSGLEICHENDE GERECHTIGKEIT<br />

(Fr. 64-78)<br />

In diesem Traktat über die Sün<strong>de</strong>n wi<strong>de</strong>r die ausgleichen<strong>de</strong> 64/78<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wird erst so recht <strong>de</strong>utlich, daß die wörtliche<br />

Übersetzung von „kommutativer" <strong>Gerechtigkeit</strong> mit „Tausch"-<br />

gerechtigkeit eigentlich nur einen Ausschnitt aus <strong>de</strong>m umfas­<br />

sen<strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>r kommutativen <strong>Gerechtigkeit</strong> begreift. Geht<br />

es doch hier Thomas nicht nur darum, die verschie<strong>de</strong>nen Ver­<br />

fehlungen in <strong>de</strong>n Tauschgeschäften o<strong>de</strong>r Verträgen zwischen<br />

Einzelmenschen, son<strong>de</strong>rn überhaupt jedwe<strong>de</strong>n Verstoß eines<br />

Einzelmenschen gegen das <strong>Recht</strong> eines an<strong>de</strong>rn zu behan<strong>de</strong>ln.<br />

Es geht also im Gr<strong>und</strong>e um nichts an<strong>de</strong>res als um die <strong>Recht</strong>s­<br />

kürzung eines einzelnen Menschen durch einen an<strong>de</strong>rn einzel­<br />

nen Menschen, d.h. um die Verfehlungen im gegenseitigen<br />

rechtlichen Zusammenleben, im Verkehr. Gera<strong>de</strong> darum<br />

erscheint <strong>de</strong>r Ausdruck „Verkehrsgerechtigkeit" als die geeig­<br />

netste Übersetzung <strong>de</strong>r „kommutativen" <strong>Gerechtigkeit</strong>. Diese<br />

Übersetzung hat <strong>de</strong>m Namen „ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>"<br />

das voraus, daß sie <strong>de</strong>n Inhalt plastischer wie<strong>de</strong>rgibt, wenn­<br />

gleich „ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong>" mehr ins Wesen dieser<br />

beson<strong>de</strong>ren Art <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> vordringt, insofern darin die<br />

streng arithmetische Bemessung ausgesprochen ist. In <strong>de</strong>r<br />

Übersetzung wird jeweils <strong>de</strong>r passendste Terminus gewählt.<br />

Thomas unterschei<strong>de</strong>t nun zwei praktische Formen <strong>de</strong>r Ver­<br />

kehrsgerechtigkeit, die eine, die <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das Seine nicht<br />

nimmt, ohne mit ihm in einem <strong>Recht</strong>sgeschäft zu stehen; die<br />

an<strong>de</strong>re, die <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn das ihm Gehörige leistet, weil er darauf<br />

einen Anspruch hat aufgr<strong>und</strong> einer Leistung seinerseits. Ent­<br />

sprechend sieht nun Thomas zwei Arten von Ungerechtigkei­<br />

ten: 1. das <strong>Recht</strong>svergehen gegen <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn in Fällen, wo man<br />

mit ihm in keinem direkten Austausch stand, <strong>und</strong> zwar durch<br />

die Tat, im Mord, in <strong>de</strong>r Körperverletzung <strong>und</strong> im Diebstahl<br />

o<strong>de</strong>r Raub, <strong>und</strong> durch das Wort, im gerichtlichen Prozeß in<br />

Form von falschem Urteil, falscher Anklage usw. o<strong>de</strong>r im außer­<br />

gerichtlichen Leben in Form von Verleumdung. Ehrabschnei­<br />

dung usw., <strong>und</strong> 2. das <strong>Recht</strong>svergehen gegen <strong>de</strong>n Nächsten bei<br />

Tauschgeschäften, wie Betrug, Wucher usw.<br />

327


I. Der Mord<br />

(Fr. 64)<br />

1. DIE TODESSTRAFE<br />

(Art. 1-4)<br />

64. 1-4 Es fällt vielleicht auf, daß Thomas vom Mord als von einer<br />

Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> nur in einem Artikel (6) spricht,<br />

während er im übrigen die Frage nach Erlaubtheit <strong>de</strong>r Tötung<br />

von Menschen untersucht. Doch ist zu be<strong>de</strong>nken, daß die<br />

Sün<strong>de</strong> eigentlich nur zufällig zur Ethik <strong>und</strong> Moraltheologie<br />

gehört, wenngleich sie in <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>r Menschen einen beacht­<br />

lichen Raum behauptet. Gegenstand <strong>de</strong>r Ethik ist das Gute, das<br />

Böse dagegen nur als Abfall vom Guten. So wird auch hier das<br />

Gebiet abgeschritten, innerhalb <strong>de</strong>ssen eine Tötung erlaubt,<br />

also noch gut ist. Jenseits dieses Bereiches beginnt dann die Un­<br />

gerechtigkeit gegen das menschliche Leben.<br />

Etwas weit ausholend untersucht Thomas zunächst (Art. 1)<br />

die Frage, ob es überhaupt erlaubt sei, Lebewesen irgendwel­<br />

cher Art zu töten. Allerdings dachte er dabei nicht an die von<br />

manchen Exegeten behan<strong>de</strong>lte Frage, ob <strong>de</strong>r Mensch ursprüng­<br />

lich sich von Pflanzen o<strong>de</strong>r Tieren ernährte. Der erste Artikel<br />

dient nur als Rahmen, um <strong>de</strong>n Zusammenhang aufzuzeigen, in<br />

welchem die Frage nach <strong>de</strong>r Tötung von Menschen überhaupt<br />

steht: das Ordnungsgefüge <strong>de</strong>s Universums. Denn, wie sich<br />

noch zeigen wird, kann auch die legitime Tötung eines Men­<br />

schen nur von einem, wenn auch kleineren, Ordnungsgefüge<br />

aus verteidigt wer<strong>de</strong>n. Schwierig ist die Frage nach <strong>de</strong>r Erlaubt­<br />

heit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe, welche Thomas in Art. 2 behan<strong>de</strong>lt: „Ist es<br />

erlaubt, einen Sün<strong>de</strong>r zu töten?" Die private Tötung eines Ver­<br />

brechers wird dabei verneint, höchstens für <strong>de</strong>n Fall anerkannt,<br />

wo <strong>de</strong>r Verbrecher <strong>de</strong>m Nächsten als Angreifer begegnet<br />

(Art. 7).<br />

Im systematischen Zusammenhang ist es bezeichnend, daß<br />

Thomas das Problem <strong>de</strong>r Tötung eines Verbrechers durch eine<br />

Privatperson erst nach Behandlung <strong>de</strong>r Frage bespricht, ob ein<br />

Verbrecher durch die öffentliche Hand hingerichtet wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Denn hier stellen sich die wesentlichen Probleme:<br />

Wesen <strong>de</strong>r Strafe überhaupt, Vollzug <strong>de</strong>r Strafe, To<strong>de</strong>sstrafe,<br />

durch eine menschliche Autorität verhängt, Zweck <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>s­<br />

strafe.<br />

328


Wohl auf keinem Feld <strong>de</strong>r Ethik wird wie hier das Problem 64. 1-4<br />

nach <strong>de</strong>m Ursprung unserer Werturteile aufgeworfen. Ist es<br />

schon schwierig, auf rationalem Wege <strong>de</strong>n Satz zu begrün<strong>de</strong>n,<br />

daß je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> eine Strafe verdient, so wird es erst recht müh­<br />

sam, durch sachliche Analyse zu <strong>de</strong>m Ergebnis zu kommen,<br />

daß eine bestimmte Sün<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r auch irgen<strong>de</strong>ine Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe würdig sei.<br />

a) Schuld <strong>und</strong> Strafe 1<br />

Woher nehmen wir das Werturteil, daß eine Sün<strong>de</strong> eine ent­<br />

sprechen<strong>de</strong> Strafe verdiene? Sofern dieses Werturteil <strong>de</strong>m<br />

Naturgesetz entstammt, müssen wir dazu auf <strong>de</strong>m Wege einer<br />

Analyse <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> kommen. Denn was <strong>de</strong>m Naturgesetz ent­<br />

spricht, muß auf rationalem Wege erfaßbar sein.<br />

Wir begegnen bei allen Völkern, angefangen von <strong>de</strong>n primiti­<br />

ven, bei <strong>de</strong>nen das jus talionis (das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Vergeltung)<br />

bestand <strong>und</strong> noch besteht, bis zu <strong>de</strong>n höchsten Kulturen, <strong>de</strong>m<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n, daß ein Vergehen gesühnt wer<strong>de</strong>n müsse.<br />

Auch verbin<strong>de</strong>t sich mit <strong>de</strong>m Sühnegedanken immer o<strong>de</strong>r mei­<br />

stens irgendwie eine religiöse Vorstellung. Es ist z.B. wahr­<br />

scheinlich, daß bereits im altgriechischen <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe eine Kulthandlung war, ein Sühnopfer an die belei­<br />

digte Gottheit. Ebenso hatten im altgermanischen <strong>Recht</strong> die<br />

öffentlichen To<strong>de</strong>sstrafen sakralen Charakter. Sie waren Kult­<br />

handlungen, die von Priestern vollzogen wur<strong>de</strong>n. Die Vor­<br />

bereitungen stempelten <strong>de</strong>n Verbrecher zum Opfertier. Das<br />

Christentum hat trotz <strong>de</strong>r es kennzeichnen<strong>de</strong>n Mil<strong>de</strong> die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe nicht abgeschafft. Auch hier lebt <strong>de</strong>r Gedanke, daß ein<br />

Verbrechen gegen die Gemeinschaft gesühnt <strong>und</strong> daß diese<br />

Sühne vom Staate im Auftrage Gottes vollzogen wer<strong>de</strong>n<br />

müsse: „Wenn du aber das Böse tust, so fürchte, <strong>de</strong>nn nicht um­<br />

sonst trägt sie (die Obrigkeit) das Schwert; ist sie doch Gottes<br />

Dienerin, Rächerin zur Bestrafung für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r das Böse tut"<br />

(Rom 13,2-4).<br />

Man könnte — wenn wir einmal vom übernatürlichen Offen­<br />

barungscharakter <strong>de</strong>r christlichen Lehre absehen — aus dieser<br />

allgemein menschlichen Uberzeugung, daß ein Verbrechen<br />

gesühnt <strong>und</strong> daß ein schweres Verbrechen gegen die Gemein-<br />

1 Ausführlicheres zu diesem Thema s. A.F. Utz, Sozialethik, Teil II: <strong>Recht</strong>sphi­<br />

losophie, Hei<strong>de</strong>lberg 1963, 181-208.<br />

329


64. 1-4 schaft mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> bestraft wer<strong>de</strong>n soll, <strong>de</strong>n Schluß ziehen<br />

wollen, daß ein naturgegebenes Wertempfin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Menschen<br />

das Prinzip <strong>de</strong>r verdienten Strafe <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge <strong>de</strong>r verdien­<br />

ten To<strong>de</strong>sstrafe eingibt. Doch genügt ein solcher Beweis, <strong>de</strong>r<br />

nur aus <strong>de</strong>n soziologischen Tatsachen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m historisch fest­<br />

gestellten Wertempfin<strong>de</strong>n geschlossen wird, nicht zum Aufweis<br />

eines wirklichen Naturgesetzes im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas. Wenn<br />

Thomas in unserer Frage nicht mehr behaupten wollte, als daß<br />

er das christliche Wertempfin<strong>de</strong>n bezüglich <strong>de</strong>r Strafe <strong>und</strong> im<br />

beson<strong>de</strong>ren bezüglich <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe wie<strong>de</strong>rgibt, dann wäre<br />

dies wohl ein unanfechtbares christliches Lehrstück; es wäre<br />

aber noch kein philosophisches Lehrstück. Denn trotz <strong>de</strong>r<br />

theologischen Umrahmung will <strong>de</strong>r Traktat über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> bei Thomas eine philosophische, nämlich natur­<br />

rechtliche Begründung aller Lehrstücke bieten. Diese Aufgabe<br />

obliegt ihm auch dann, wenn er diesen Traktat als typisch theo­<br />

logischen auffassen wollte. Denn es genügte dann nicht, nur auf<br />

die Schrift <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>s Christentums zu verweisen; er<br />

hätte immer noch die Aufgabe, die Beziehung zur natürlichen<br />

Ethik zu suchen. Ohne <strong>de</strong>n Aufweis dieses Bezuges zur natürli­<br />

chen Ethik könnte <strong>de</strong>r Theologe nur auf <strong>de</strong>n Willen Gottes ver­<br />

weisen, müßte es aber für je<strong>de</strong>n einzelnen Straftatbestand tun<br />

können, sonst müßte er <strong>de</strong>n Straftatbestand mit natürlichem<br />

Werturteil bestimmen. Damit aber verließe er die theologische<br />

Basis für ein konkretes Strafurteil.<br />

Wenn es wirklich keinen an<strong>de</strong>ren Hinweis auf Naturgesetz­<br />

lichkeit <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>-Sühne-Verhältnisses gibt als jenen auf <strong>de</strong>n<br />

soziologischen Tatbestand, dann gibt es keine voll-<strong>und</strong> letztgül­<br />

tige Entgegnung auf die Behauptung mancher, die <strong>Recht</strong>sfolge<br />

zwischen Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Sühne <strong>und</strong> erst recht zwischen schwerem<br />

Verbrechen <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe entspränge einem anerzogenen<br />

Wertempfin<strong>de</strong>n.<br />

Wie also läßt sich das Sün<strong>de</strong>-Strafe-Verhältnis rational ermit­<br />

teln? Der überragen<strong>de</strong> Mittelbegriff ist hierbei für Thomas <strong>de</strong>r<br />

Begriff <strong>de</strong>r Ordnung. Das Universum — dies besagt übrigens<br />

schon sein Name — ist in Wirklichkeit ein Ordnungsganzes. Die<br />

Vielheit <strong>de</strong>r Dinge be<strong>de</strong>utet nicht ein Nebeneinan<strong>de</strong>r, son<strong>de</strong>rn<br />

ein Unter- <strong>und</strong> Übereinan<strong>de</strong>r zur Erfüllung eines je<strong>de</strong>m Sein<br />

entsprechen<strong>de</strong>n Gemeinzweckes. Darum spricht Thomas vom<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>s Universums. Es ist also im Universum eine<br />

I<strong>de</strong>e verkörpert, die ihrerseits einen Denken<strong>de</strong>n voraussetzt,<br />

330


<strong>de</strong>r kein an<strong>de</strong>rer ist als <strong>de</strong>r Schöpfer. Also ein Deus ex machina ? 64.1-4<br />

Keineswegs, <strong>de</strong>nn wir verbleiben in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Seins <strong>und</strong><br />

seiner inhaltlichen Erklärung. Es wird durchaus nicht ein<br />

Sprung vom Inhaltlichen auf das Bewirken<strong>de</strong> gemacht. Der<br />

Schluß heißt, genau formuliert, nicht: Es gibt eine Ordnung,<br />

weil es einen Gott gibt, son<strong>de</strong>rn: Es gibt eine Ordnung, weil das<br />

Sein, in welchem sich diese Ordnung fin<strong>de</strong>t, einer i<strong>de</strong>ellen Kon­<br />

zeption nachgebil<strong>de</strong>t ist <strong>und</strong> diese real zum Ausdruck bringt.<br />

Naturgemäß ist daher auch mitausgesprochen, daß das geord­<br />

nete Sein eine Ursache hat. Aber nicht die Wirkursache ist hier­<br />

bei das logische Bin<strong>de</strong>glied, son<strong>de</strong>rn die ewige I<strong>de</strong>e <strong>und</strong><br />

Absicht dieser Wirkursache. Aus <strong>de</strong>r Wirkursächlichkeit allein<br />

läßt sich kein Ordnungsbegriff herstellen. Genauso will die<br />

Scholastik auch nicht aus <strong>de</strong>m Schöpfungsbericht als solchem<br />

die göttliche Autorität im Naturgesetz nachweisen, wie Kelsen<br />

fälschlicherweise meinte. Sie gelangt vielmehr zu ihrem Resul­<br />

tat in einem im <strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken verbleiben<strong>de</strong>n logischen Prozeß,<br />

in<strong>de</strong>m sie von einem naturhaft gegebenen <strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s<br />

Menschen zur Begründung dieses Anspruchs zum ewigen<br />

Befehl <strong>de</strong>s Schöpfers aufsteigt, einem Befehl, <strong>de</strong>r aber nicht<br />

wirkursächlich, son<strong>de</strong>rn final, d. h. aus <strong>de</strong>r Zielordnung heraus<br />

zu verstehen ist. Selbstre<strong>de</strong>nd ist <strong>de</strong>r final ordnen<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

befehlen<strong>de</strong> Gott zugleich auch Wirkursache <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> ihrer<br />

Ordnung. Die Scholastik vermischt also nicht die Kausal-<br />

(Wirk-) Ordnung mit <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sordnung.<br />

Erfaßt man aber die Ordnung <strong>de</strong>s Universums, vor allem<br />

aber die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft als ein einer<br />

ewigen I<strong>de</strong>e nachgebil<strong>de</strong>tes Gefüge, dann erscheint die Sün<strong>de</strong><br />

nicht nur als eine vorübergehen<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn eine in gewissem<br />

Sinne nicht wie<strong>de</strong>r zu beseitigen<strong>de</strong> Störung <strong>de</strong>r Ordnung. Das<br />

Gleichgewicht ist noch nicht wie<strong>de</strong>rhergestellt, wenn <strong>de</strong>r Sün­<br />

<strong>de</strong>r seine Sün<strong>de</strong> lediglich bereut <strong>und</strong> sich wie<strong>de</strong>rum zum Guten<br />

wen<strong>de</strong>t. Damit wird erst wie<strong>de</strong>r Ordnung geschaffen für <strong>de</strong>n<br />

kommen<strong>de</strong>n zeitlichen Ablauf <strong>de</strong>r Dinge. Die Ordnung aber<br />

will begriffen wer<strong>de</strong>n als eine <strong>de</strong>r ewigen I<strong>de</strong>e nachgebil<strong>de</strong>te<br />

Sinnfülle. Um nun im zeitlichen Raum das Vergangene, wenig­<br />

stens soweit es möglich ist, wie<strong>de</strong>rum aufzuholen, übernimmt<br />

<strong>de</strong>r Mensch eine Sühne. Es ist klar, diese Sühne kann niemals<br />

einen vollen Ersatz für etwas Unwi<strong>de</strong>rrufliches be<strong>de</strong>uten. Aber<br />

sie be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>nnoch die einzige Ausdrucksmöglichkeit <strong>de</strong>s<br />

zum Guten wie<strong>de</strong>r zurückgekehrten Menschen gegenüber <strong>de</strong>r<br />

331


64. 1-4 ewigen Ordnung in Gott. Die Sühne ist darum nichts an<strong>de</strong>res<br />

als die nachdrückliche menschliche Wie<strong>de</strong>rbejahung <strong>de</strong>r ewigen<br />

Ordnung nach einem schuldhaften Verstoß gegen dieselbe.<br />

Ohne diesen metaphysischen Blick in die ewige Ordnung gött­<br />

lichen Denkens <strong>und</strong> Befehlens ist es schlechthin unmöglich, das<br />

Verhältnis von Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe irgendwie zu erklären. Jene in<br />

<strong>de</strong>r Geschichte <strong>de</strong>r Völker feststellbare enge Verbindung zwi­<br />

schen Sühne <strong>und</strong> Religion hat darum nicht nur soziologische<br />

Bewandtnis, son<strong>de</strong>rn zutiefst metaphysische, seinsmäßige. Der<br />

Ordnungsbegriff, <strong>de</strong>r sich in je<strong>de</strong>m Zusammen<strong>de</strong>nken von<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Strafe k<strong>und</strong>tut, wäre unsinnig, wenn er nicht in<br />

einem überzeitlich <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n <strong>und</strong> befehlen<strong>de</strong>n ewigen Geist<br />

verankert wäre.<br />

In diesem Zusammenhang allein ist <strong>de</strong>r Gedanke <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas in 61,4 zu erklären, daß es nicht genüge, das gestoh­<br />

lene Gut im gleichen Wert zurückzugeben, son<strong>de</strong>rn daß ein<br />

Mehrfaches zu leisten sei, um auf eigener Seite einen Scha<strong>de</strong>n<br />

zu erlei<strong>de</strong>n, wie er auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn verursacht wur<strong>de</strong>.<br />

Je<strong>de</strong> Strafe, im menschlichen Raum von menschlicher Macht<br />

verhängt, kann naturgemäß nur einen zeitlichen Ausschnitt <strong>de</strong>s<br />

ewigen Sinnes <strong>de</strong>r Strafe begreifen. Darum tritt <strong>de</strong>r reine Süh­<br />

necharakter zurück zugunsten <strong>de</strong>s Zweckgedankens, die Men­<br />

schen ins Gleichgewicht <strong>de</strong>r Ordnung zu bringen, <strong>und</strong> zwar<br />

<strong>de</strong>n Verbrecher, o<strong>de</strong>r wer es zu wer<strong>de</strong>n droht, von <strong>de</strong>r Ver­<br />

suchung zum Verbrechen abzubringen <strong>und</strong> die Guten in <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft zu beruhigen mit <strong>de</strong>m Gedanken, daß die Obrig­<br />

keit stark genug ist, um die Ordnung zu garantieren. Das ist es,<br />

was Thomas in 68,1 meint, wenn er sagt, daß die Verhängung<br />

<strong>de</strong>r Strafe als solche „an sich" (d. h. in ihrem endgültigen Vergel­<br />

tungssinn) <strong>de</strong>m Jenseits vorbehalten sei, während hier auf<br />

Er<strong>de</strong>n die medizinale Zweckbestimmung vorherrsche (vgl.<br />

auch 66,6 Zu 2), <strong>und</strong> wenn er dann diese medizinale Zweckbe­<br />

stimmung doppelt bestimmt, im Hinblick auf <strong>de</strong>n einzelnen<br />

<strong>und</strong> im Hinblick auf die Ruhe <strong>und</strong> Ordnung in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft (68,1). Beson<strong>de</strong>rs zu beachten ist dabei, daß Thomas die<br />

medizinale Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Strafe im Hinblick auf die<br />

Gemeinschaft zugleich auch als Sühne im menschlichen, zeit­<br />

lich beschränkten Sinne auffaßt (vgl. beson<strong>de</strong>rs auch 67,4).<br />

Diese Sühne hat für <strong>de</strong>n Theologen <strong>und</strong> Metaphysiker, <strong>de</strong>r alles<br />

vom Ewigen <strong>und</strong> Unabän<strong>de</strong>rlichen her sieht, eben nur vorläufi­<br />

ge <strong>und</strong> darum zweckgerichtete Bewandtnis. Dadurch daßTho-<br />

332


mas im menschlichen Raum die medizinale Seite <strong>de</strong>r Bestrafung<br />

hervorkehrt, wird aber <strong>de</strong>r Sühnecharakter nicht ausgeschlos­<br />

sen. Unser rationales Denken trennt, weil es nur <strong>de</strong>n menschli­<br />

chen Strafbereich begreift, die Sühne vom Medizinalen <strong>und</strong> ver­<br />

weist die theologisch-metaphysische F<strong>und</strong>ierung <strong>de</strong>r Sühne in<br />

das rein ethische Denken.<br />

b) Staatsgewalt <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe<br />

Wer hat nun das <strong>Recht</strong>, zu strafen <strong>und</strong> Sühne zu verhängen?<br />

Die Frage ist eigentlich gleich beantwortet: <strong>de</strong>rjenige, welcher<br />

die Ordnung aufzustellen das <strong>Recht</strong> hat o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m sie zur Obhut<br />

unterstellt ist. Das Problem wird erst heikel, wenn es um die To­<br />

<strong>de</strong>sstrafe geht.<br />

Wir brauchen uns hier nicht mehr mit <strong>de</strong>r Frage zu befassen,<br />

ob <strong>de</strong>r Tod überhaupt eine Sühne darstellen könne. Im Raum<br />

<strong>de</strong>s ewigen Denkens ist <strong>de</strong>r Tod zweifellos keine Zerstörung <strong>de</strong>r<br />

Ordnung, weil <strong>de</strong>rjenige, welcher <strong>de</strong>n Tod als Sühne über­<br />

nimmt, nicht aufhört zu sein. (Natürlich ist hier die Unsterb­<br />

lichkeit <strong>de</strong>r menschlichen Seele vorausgesetzt.) Vielmehr geht<br />

es um die Erklärung, ob außer <strong>de</strong>m ewigen ordnen<strong>de</strong>n Geist<br />

einer an<strong>de</strong>rn, menschlichen, Befehlsgewalt das <strong>Recht</strong> zusteht,<br />

eine solche Sühne zu for<strong>de</strong>rn.<br />

Die Sühne ist inhaltlich begrün<strong>de</strong>t durch die Ordnung,<br />

innerhalb welcher das Vergehen begangen wor<strong>de</strong>n ist. Ausge­<br />

sprochen <strong>und</strong> gefor<strong>de</strong>rt wird sie, wie gesagt, von jener Gewalt,<br />

welcher diese Ordnung zur Obhut unterstellt ist. Diese Gedan­<br />

kenfolge ist logisch <strong>und</strong> einfach. Das Problem liegt aber tiefer.<br />

Der Kern <strong>de</strong>r Frage besteht nicht darin, ob irgen<strong>de</strong>ine mensch­<br />

liche Autorität die Vollmacht zur Verhängung eines To<strong>de</strong>surteils<br />

habe, son<strong>de</strong>rn wie <strong>de</strong>r Mensch in jenem Ordnungsganzen<br />

stehe, das — in unserem Fall — <strong>de</strong>r staatlichen Autorität zur<br />

Sorge übertragen ist. Was immer <strong>de</strong>m Ordnungsganzen unter­<br />

stellt ist, gehört notwendigerweise auch zum Machtbereich <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>m Ganzen vorstehen<strong>de</strong>n Gewalt. Wenn also <strong>de</strong>r Mensch mit<br />

seinem Leben innerhalb <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft steht<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ganzen sogar untergeordnet ist, dann folgt notwendig<br />

daraus, daß für <strong>de</strong>n Fall, daß er gegen die Gemeinschaft gr<strong>und</strong>­<br />

sätzlich, also gemeingefährlich, verstößt, die Autorität von ihm<br />

das Opfer <strong>de</strong>s Lebens verlangen kann. Von diesem Gesichts­<br />

punkt aus hat Thomas das Problem in Artikel 2 angefaßt. Es er-<br />

333


64. 1-4 übrigt sich also die Schwierigkeit, daß nur <strong>de</strong>rjenige das <strong>Recht</strong><br />

habe, über das Leben eines Menschen zu befin<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r es auch<br />

geschaffen hat. Mit solcher Fragestellung befän<strong>de</strong>n wir uns au­<br />

ßerhalb <strong>de</strong>s Gebiets <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s, nämlich nur innerhalb <strong>de</strong>r Kau­<br />

salität. Die Kategorie <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s ist aber, wie bereits gesagt,<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kausalität unterschie<strong>de</strong>n, wenngleich<br />

bei<strong>de</strong> untereinan<strong>de</strong>r Verbindungslinien haben.<br />

Der Artikel 5 in Fr. 58 hat uns bereits einen Einblick in die<br />

beinahe unabschätzbare Einglie<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Einzelperson in die<br />

Gemeinschaft gegeben. Das organische Gesellschafts- <strong>und</strong><br />

Staats<strong>de</strong>nken drängt zu dieser Sicht. „In staatlicher Hinsicht<br />

wer<strong>de</strong>n alle Menschen, die einer Gemeinschaft angehören, als<br />

ein einziger Körper angesehen <strong>und</strong> die ganze Gemeinschaft als<br />

ein Mensch, wie auch Porphyrius sagt, daß vermöge <strong>de</strong>r Wesens­<br />

gemeinschaft mehrere Menschen ein Mensch sind" (I-II 81,1;<br />

DT, Bd. 12). Wie an an<strong>de</strong>rer Stelle ausgeführt wird (vgl. Exkurs<br />

I), gehört dieser Organismus zur moralischen Ordnung, nicht<br />

etwa zur physischen. Manche scholastische Autoren haben sich<br />

viel Mühe gemacht, durch die Unterscheidung von Individuum<br />

<strong>und</strong> Person zu zeigen, daß das Personale über <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

stehe. Diese ontologische Sicht lag Thomas fern. Für ihn gehört<br />

die Gemeinschaft <strong>de</strong>r dynamisch-sittlichen Ordnung, d. h. <strong>de</strong>m<br />

Bereich <strong>de</strong>s menschlichen Zieles, also jenem Bereich an, zu wel­<br />

chem Thomas auch das <strong>Recht</strong> zählt. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft wird bei ihm von <strong>de</strong>m gemeinsamen Ziel, <strong>de</strong>m Gemein­<br />

wohl, abgeleitet. Diesem hat <strong>de</strong>r Mensch mit <strong>de</strong>m Einsatz aller<br />

seiner, auch persönlichen Kräfte zu dienen, um sich selbst als<br />

Mensch wie<strong>de</strong>rzufin<strong>de</strong>n. Wie die Sün<strong>de</strong> überhaupt <strong>de</strong>n Men­<br />

schen jenes Platzes beraubt, <strong>de</strong>n er in <strong>de</strong>r Gesamtordnung als<br />

geistiges Wesen einnimmt, <strong>und</strong> ihn so sogar unter das Tier stellt<br />

(Art. 2 Zu 3), so schei<strong>de</strong>t die Sün<strong>de</strong> gegen die Gemeinschaft <strong>de</strong>n<br />

Menschen gewissermaßen von selbst aus dieser aus. Aus diesem<br />

Gr<strong>und</strong>e auch kann die staatliche Autorität nicht wegen jedwe­<br />

<strong>de</strong>n Verbrechens die To<strong>de</strong>sstrafe verhängen, son<strong>de</strong>rn nur wegen<br />

jener, die <strong>de</strong>n Menschen zum „fauligen" Glied, wie sich Thomas<br />

(Art. 2) ausdrückt, stempeln.<br />

Es geht in erstem Betracht nicht darum, daß die Gemein­<br />

schaft sich in ihrer Existenz sichere, als ob sie sich durch einen<br />

gemeingefährlichen Verbrecher in einem gewissen Notstand<br />

o<strong>de</strong>r gar in einer Notwehr befän<strong>de</strong>. Dieser Notwendigkeit <strong>de</strong>r<br />

Selbstsicherung wäre mit Einkerkerung bzw. Gewahrsam mit<br />

334


Arbeitszwang Genüge getan. Gewiß kann unter Umstän<strong>de</strong>n<br />

die To<strong>de</strong>sstrafe ein Abschreckmittel sein, um schwerste,<br />

gemeingefährliche Verbrechen zu verhüten. Aber auch dieser<br />

Gesichtspunkt ist nicht vordringlich. Vielmehr geht es darum,<br />

die Ordnung als ein geistiges Gut <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu wahren<br />

<strong>und</strong> dort — wie<strong>de</strong>rum menschlich gesprochen — wie<strong>de</strong>rherzu­<br />

stellen, wo sie durchbrochen wur<strong>de</strong>, d. h. das Verbrechen zu<br />

sühnen. Es ist zum richtigen Verständnis <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe vorausgesetzt,<br />

daß man sich gr<strong>und</strong>sätzlich in <strong>de</strong>n geistigen <strong>und</strong><br />

sittlichen Sinn <strong>de</strong>r Gemeinschaftsordnung hineinfin<strong>de</strong>t.<br />

Im letzten Gr<strong>und</strong> ruht das Argument für die To<strong>de</strong>sstrafe also<br />

auf <strong>de</strong>r inneren Struktur <strong>de</strong>s Gemeinwohls, das sich mit <strong>de</strong>m<br />

Wohl <strong>de</strong>r Einzelperson nicht auf dieselbe Stufe stellen läßt.<br />

Denn es besteht, wie Thomas in 58,7 Zu 2 sagt, zwischen die­<br />

sen bei<strong>de</strong>n ein wesentlicher Unterschied, nicht nur ein quantita­<br />

tiver wie zwischen viel <strong>und</strong> wenig. Aus eben diesem Gr<strong>und</strong> hat<br />

niemals eine Privatperson das <strong>Recht</strong> zur Tötung eines Verbre­<br />

chers (ausgenommen im Fall <strong>de</strong>r Notwehr, wodurch aber eine<br />

ganz an<strong>de</strong>re Note in die Fragestellung hineinkommt). Ebenso­<br />

wenig kann ein Hausherr seinen Sklaven hinrichten. Denn auch<br />

hier hält Thomas an <strong>de</strong>r wesentlichen Eigenart <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls fest: Staatsgemeinschaft <strong>und</strong> Hausgemeinschaft sind<br />

wesentlich verschie<strong>de</strong>n (58,7 Zu 2). Es ist also im Ordnungs­<br />

<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>s hl. Thomas durchaus richtig: „Das Gemeinwohl<br />

vieler ist gottentsprechen<strong>de</strong>r als das Wohl <strong>de</strong>s einzelnen" (II-II<br />

31,3 Zu 2; DT, Bd. 16).<br />

Soweit die Zusammenhänge in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r reinen Phi­<br />

losophie, d. h. insofern von <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>r Gemeinschaft die<br />

Re<strong>de</strong> ist innerhalb <strong>de</strong>r natura humana. Wie aber verhält es sich,<br />

wenn wir nicht mehr gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>m Staat an sich, son­<br />

<strong>de</strong>rn von <strong>de</strong>m Staat sprechen, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit<br />

als solcher existiert? Das Gemeinwohl, von <strong>de</strong>m Thomas<br />

spricht, ist nicht dasselbe wie das, was ein konkreter Staat als<br />

solches bezeichnet <strong>und</strong> beabsichtigt. Es ist noch lange nicht<br />

immer Gemeinwohl, was eine staatliche Gemeinschaft als sol­<br />

ches ansieht. Wäre <strong>de</strong>m so, dann könnte <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>rstand gegen<br />

eine sittlich zerrüttete <strong>und</strong> zu <strong>de</strong>n größten Menschenverbre­<br />

chen fähige Gesellschaft bereits als Sün<strong>de</strong> gegen das Gemein­<br />

wohl bezeichnet <strong>und</strong> darum naturrechtlich mit <strong>de</strong>m To<strong>de</strong><br />

bestraft wer<strong>de</strong>n. Unvermeidlicherweise wird <strong>de</strong> facto ein Revo­<br />

lutionär, auch wenn er an sich nach i<strong>de</strong>alem Denken recht hätte,<br />

335


64. 1-4 Unrecht bekommen, d.h. er wird gemäß positiv gelten<strong>de</strong>m<br />

<strong>Recht</strong> hingerichtet. Der Naturrechts<strong>de</strong>nker wird eine solche<br />

Hinrichtung im Raum <strong>de</strong>r ewigen Ordnung <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ewigen<br />

<strong>Recht</strong>s stets als rechtswidrig bezeichnen. Gera<strong>de</strong> diese Aussicht<br />

aber, daß <strong>de</strong>r konkrete Staat, <strong>de</strong>r von einer ganz kontingenten<br />

Willensbildung abhängt <strong>und</strong> regiert wird, die naturrechtliche<br />

Ordnung, also auch die gerechte Handhabung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe,<br />

nicht garantiert, gibt das schwere Problem auf, ob die „an sich"<br />

zu <strong>Recht</strong> bestehen<strong>de</strong> To<strong>de</strong>sstrafe nicht doch schließlich die<br />

Absichten <strong>de</strong>s Naturrechts zunichtemache. Dazu kommt noch<br />

die Überlegung, daß Irren menschlich ist, daß also selbst bei<br />

bester sittlicher Haltung <strong>de</strong>r Staatsgewalt <strong>und</strong> ihrer Behör<strong>de</strong>n<br />

die Schuldfrage <strong>de</strong>s als Verbrecher Bezeichneten nicht wahr­<br />

heitsgetreu gelöst wer<strong>de</strong>n kann. Wäre es dann nicht doch ange­<br />

bracht, <strong>de</strong>n Rat <strong>de</strong>s hl. Thomas (60,4 Zu 1 u. Zu 3) zu befol­<br />

gen, wonach es besser ist, sich öfters zugunsten <strong>de</strong>s Mitmen­<br />

schen zu täuschen, als sich <strong>de</strong>r Gefahr auszusetzen, <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

auch nur in seltenen Fällen Unrecht zu tun?<br />

Mit dieser Frage sind wir nun nicht mehr auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

überzeitlichen Prinzipien <strong>de</strong>s Naturrechts, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s kon­<br />

kreten natürlichen <strong>Recht</strong>s, worein sich in <strong>de</strong>r Praxis ein gerüt­<br />

teltes Maß von persönlichem Wertempfin<strong>de</strong>n mischt. Thomas<br />

selbst hatte offenbar keine Schwierigkeit, für <strong>de</strong>n konkreten<br />

Staat die Gültigkeit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe aufrechtzuerhalten, <strong>und</strong><br />

zwar nicht etwa nur auf Gr<strong>und</strong> soziologischer Beeinflussung<br />

vonseiten <strong>de</strong>s Werturteils seiner Zeit überhaupt, son<strong>de</strong>rn auch,<br />

weil er von sich aus <strong>de</strong>m christlichen Gewissen seiner Zeitge­<br />

nossen noch Einsicht <strong>und</strong> auch Verantwortungsbewußtsein<br />

zutraute, sich an <strong>de</strong>n Normen unabän<strong>de</strong>rlicher Gesetze zu<br />

orientieren. Vielleicht hatte er ihm doch zu viel zugetraut?<br />

Natürlich können wir Menschen niemals <strong>de</strong>n Anspruch<br />

erheben, irrtumsfrei zu sein. Wir wer<strong>de</strong>n, wenn wir überhaupt<br />

noch eine allgemeine Ordnung aufrechterhalten wollen, immer<br />

mit <strong>de</strong>m einen o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn „Betriebsunfall" in <strong>de</strong>r Justiz rech­<br />

nen müssen. Eine an<strong>de</strong>re Frage allerdings wird die sein, ob wir<br />

von vornherein einen solch schwerwiegen<strong>de</strong>n Betriebsunfall<br />

wie die irrtümliche Hinrichtung eines Unschuldigen in Kauf<br />

nehmen dürfen. Und doch geben auch die Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>s­<br />

strafe zu, daß in beson<strong>de</strong>rs außeror<strong>de</strong>ntlichen Fällen, wie bei<br />

Unruhen, in Kriegszeiten usw., die To<strong>de</strong>sstrafe eine unentbehr­<br />

liche Maßnahme zur Aufrechterhaltung <strong>de</strong>r allgemeinen Ord-<br />

336


nung sei. H. Kühle, <strong>de</strong>ssen Buch über „Staat <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe"<br />

(Münster 1934) übrigens die Gedanken <strong>de</strong>s hl. Thomas gut wie­<br />

<strong>de</strong>rgibt, weist auf einen sprechen<strong>de</strong>n Beleg, auf die Haltung <strong>de</strong>s<br />

ehemaligen Reichsjustizministers G. Radbruch hin, „<strong>de</strong>r prinzi­<br />

piell Gegner <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe war, aber praktisch sie angewandt<br />

wissen wollte. In seinem Entwurf <strong>de</strong>s RSTGB hatte er — seiner<br />

Anschauung gemäß — die Abschaffung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe vorgese­<br />

hen. Als aber nach <strong>de</strong>r Ermordung W. Rathenaus (die Ermor­<br />

dung Erzbergers war vorhergegangen) die Gefährdung <strong>de</strong>r Re­<br />

gierungsmitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>utlich wur<strong>de</strong>, erschien am 29.Juni 1922<br />

die 2. Verordnung zum Sch<strong>utz</strong>e <strong>de</strong>r Republik mit weitgehen<strong>de</strong>r<br />

Androhung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe. Fast noch weiter geht das Repu­<br />

bliksch<strong>utz</strong>gesetz <strong>de</strong>s Ministeriums Radbruch vom 21. Juli <strong>de</strong>s­<br />

selben Jahres" (a. a. 0.106). Allerdings hat dann Radbruch spä­<br />

ter nach seinem Ausschei<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>r Regierung sich wie<strong>de</strong>rum<br />

gegen die To<strong>de</strong>sstrafe gewandt. Das Beispiel zeigt <strong>de</strong>utlich, wie<br />

sehr die praktische Handhabung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe,<strong>de</strong>ren Erlaubt­<br />

heit an sich <strong>und</strong> prinzipiell nicht zu leugnen ist, sehr stark von<br />

<strong>de</strong>r soziologischen Situation abhängt <strong>und</strong> übrigens auch abhän­<br />

gen muß. Verkehrt wäre es nur, daraus die gr<strong>und</strong>sätzliche<br />

Erlaubtheit <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe abstreiten zu wollen.<br />

Im 4. Art. kommt Thomas auf ein typisch mittelalterliches<br />

Diskussionsthema zu sprechen. Trotz <strong>de</strong>r naturrechtlichen Un­<br />

anfechtbarkeit <strong>de</strong>r durch <strong>de</strong>n Staat zu verhängen<strong>de</strong>n To<strong>de</strong>s­<br />

strafe <strong>und</strong> trotz <strong>de</strong>r <strong>und</strong>urchbrochenen kirchlichen Lehre, daß<br />

dieses <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>m Staate zustehe, schickt es sich doch nicht, daß<br />

ein Kleriker das Amt eines Henkers übernimmt. Gemäß <strong>de</strong>m<br />

Gr<strong>und</strong>satz „Ecclesia non sitit sanguinem" sollte <strong>de</strong>r Kleriker,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Altar geweiht ist, sich von solchen Werken freihalten.<br />

Das frühere kirchliche Gesetzbuch (CJC can. 984 n. 6 u. 7),<br />

das in seinem eigenen Gerichtsverfahren ein „barmherziges<br />

Gericht" durchzuführen wünscht (cum misericordia iudicium,<br />

CJC can. 2214 §2), erklärte diejenigen, die bei To<strong>de</strong>surteilen<br />

mitwirkten, als irregulär. Der unter Johannes Paul IE edierte<br />

Co<strong>de</strong>x enthält hierüber nichts mehr. Eine Zeitlang bestand so­<br />

gar das kirchliche Asylrecht. Dem Einwand, daß selbst die gött­<br />

liche Vorsehung die To<strong>de</strong>sstrafe legitimiert habe, begegnet Tho­<br />

mas in überaus feinsinniger Weise in <strong>de</strong>r Antwort Zu 1: „Gott<br />

wirkt in allem das Gute, im einzelnen jedoch das, was ihm ange­<br />

messen ist". Ein je<strong>de</strong>r also hat Gott nachzuahmen in <strong>de</strong>m, was<br />

ihm, seiner Natur, seiner Stellung, seinem Beruf eigentümlich<br />

337


ist. Thomas wen<strong>de</strong>t damit einen Gedanken aus <strong>de</strong>r Seinslehre<br />

auf die Moral an: wie die Dinge <strong>de</strong>r Welt je verschie<strong>de</strong>n sind,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Abbildbarkeit <strong>de</strong>r einen un­<br />

endlichen Seinsfülle Gottes, so hat auch je<strong>de</strong>r Mensch an sei­<br />

nem Posten, in seinem Beruf in beson<strong>de</strong>rs bezeichnen<strong>de</strong>rweise<br />

eine <strong>de</strong>r unendlichen Vollkommenheiten Gottes darzustellen.<br />

„Die Unterscheidung <strong>und</strong> die Vielheit <strong>de</strong>r Dinge stammt aus<br />

<strong>de</strong>r Absicht <strong>de</strong>s ersten Wirken<strong>de</strong>n, das ist Gott. Denn Er hat die<br />

Dinge ins Dasein hervorgebracht, um Seine Güte <strong>de</strong>n Geschöp­<br />

fen mitzuteilen <strong>und</strong> durch sie darzustellen. Und weil sie durch<br />

ein Geschöpf nicht hinreichend dargestellt wer<strong>de</strong>n kann, hat Er<br />

viele <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>ne Geschöpfe hervorgebracht, so daß das,<br />

was <strong>de</strong>m einen Geschöpf in <strong>de</strong>r Darstellung <strong>de</strong>r göttlichen Güte<br />

fehlt, aus einem an<strong>de</strong>ren ergänzt wird. Denn die Gutheit,<br />

welche in Gott einfach <strong>und</strong> einförmig ist, ist in <strong>de</strong>n Geschöpfen<br />

vielfältig <strong>und</strong> geteilt" (I 47,1; DT, Bd. 4).<br />

2. DER SELBSTMORD<br />

(Art. 5)<br />

Für gewöhnlich wird das Thema <strong>de</strong>s Selbstmords unter das<br />

Kapitel: „Pflichten <strong>de</strong>s Menschen in bezug auf Leben <strong>und</strong><br />

Ges<strong>und</strong>heit gestellt". Damit aber fällt <strong>de</strong>r Traktat aus <strong>de</strong>r Kate­<br />

gorie <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Er wird zum rein ethischen Traktat im Sinn<br />

von Bindung <strong>de</strong>s menschlichen Gewissens an Gott. Warum hat<br />

nun Thomas dieses Thema in <strong>de</strong>n Traktat über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> eingefügt?<br />

Man könnte berechtigterweise meinen, <strong>de</strong>r fünfte Artikel, in<br />

welchem dieses Thema behan<strong>de</strong>lt wird, sei nur ein Anhängsel<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Frage <strong>de</strong>s Mor<strong>de</strong>s. Jedoch müßte dann dieser<br />

Artikel am Schluß <strong>de</strong>r Frage stehen, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r ganze Fra­<br />

genkomplex über die Tötung eines an<strong>de</strong>rn erledigt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Wie<strong>de</strong>rum könnte man sich sagen, daß ein reiner Zufall die­<br />

sen Artikel hierhergebracht habe, eine gedankliche Assoziation<br />

zum vorigen Artikel etwa in <strong>de</strong>m Sinne: wenn es auch einer Pri­<br />

vatperson nicht erlaubt ist, einen an<strong>de</strong>rn, selbst wenn er <strong>de</strong>n<br />

Tod verdient, zu töten, so möchte man doch annehmen, daß sie<br />

dann wenigstens sich selbst das Leben nehmen könne.<br />

Es ist jedoch kaum anzunehmen, daß Thomas sich in <strong>de</strong>r<br />

Einreihung von Fragen <strong>und</strong> Artikeln von solch zufälligen Ge-<br />

338


Sichtspunkten o<strong>de</strong>r gar von mehr o<strong>de</strong>r weniger unterbewußten 64. 5<br />

Assoziationen leiten läßt. Dafür ist <strong>de</strong>r Aufbau sowohl <strong>de</strong>r gan­<br />

zen Summa wie auch <strong>de</strong>r einzelnen Fragen durchweg viel zu<br />

sorgfältig systematisch durchdacht.<br />

Der Gr<strong>und</strong> liegt darum tiefer. Thomas betrachtet, wie auch<br />

aus <strong>de</strong>m Artikel selbst hervorgeht, <strong>de</strong>n Selbstmord als eine Un­<br />

gerechtigkeit, als ein Vergehen gegen das <strong>Recht</strong>. Das zweite<br />

Argument, das er für das Verbot <strong>de</strong>s Selbstmords anführt, hebt<br />

diesen Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit gegen die mensch­<br />

liche Gesellschaft hervor <strong>und</strong> scheint auch die systematische<br />

Einordnung dieser Frage bewirkt zu haben. Daß Thomas <strong>de</strong>n<br />

Selbstmord nicht etwa in die Kategorie <strong>de</strong>r allgemeinen Pflich­<br />

ten <strong>de</strong>s Menschen gegenüber Gott einreihen wollte, geht schon<br />

aus <strong>de</strong>m Einwand hervor, mit welchem er diese Frage einleitet:<br />

Es scheint, daß <strong>de</strong>r Selbstmord nichts mit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> zu<br />

tun habe, weil sich ja keiner selbst Unrecht antun könne. Tho­<br />

mas antwortet darauf, daß die Bewandtnis <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

<strong>de</strong>nnoch gewahrt sei, <strong>und</strong> zwar, weil <strong>de</strong>r Selbstmord gegen das<br />

<strong>Recht</strong> Gottes <strong>und</strong> gegen das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Gesellschaft gerichtet<br />

sei. Insofern nun <strong>de</strong>r Selbstmord gegen das <strong>Recht</strong> Gottes ver­<br />

stößt, wäre er <strong>de</strong>m Traktat über die Religion einzufügen, wo die<br />

<strong>Recht</strong>spflichten <strong>de</strong>s Menschen gegen Gott behan<strong>de</strong>lt wer<strong>de</strong>n.<br />

Thomas folgt aber in <strong>de</strong>r Einglie<strong>de</strong>rung nicht diesem Gedan­<br />

ken, son<strong>de</strong>rn gibt offenbar <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren <strong>de</strong>n Vorzug: Der<br />

Selbstmord be<strong>de</strong>utet ein Unrecht gegen die menschliche<br />

Gesellschaft, also ein Unrecht im eigentlichen <strong>und</strong> strengen<br />

Sinn.<br />

Es sei nur beiläufig bemerkt, daß hier nur von <strong>de</strong>r eigenmäch­<br />

tigen Zerstörung <strong>de</strong>s eigenen Lebens die Re<strong>de</strong> ist, nicht also von<br />

<strong>de</strong>r Frage, ob ein gerecht zum To<strong>de</strong> Verurteilter auf Geheiß <strong>de</strong>s<br />

Richters das To<strong>de</strong>surteil an sich selbst vollstrecken dürfe, o<strong>de</strong>r<br />

ob er sich dieser Auffor<strong>de</strong>rung wi<strong>de</strong>rsetzen müsse.<br />

Gewiß steht die Verwerfung <strong>de</strong>s Selbstmords als eines<br />

Unrechts gegen die Gesellschaft im Zusammenhang mit <strong>de</strong>n<br />

an<strong>de</strong>ren, rein sittlichen Beweggrün<strong>de</strong>n. Thomas konnte <strong>de</strong>s­<br />

halb darüber nicht schweigen, um sich rein formal an die<br />

<strong>Recht</strong>sbegründung zu halten. Außer<strong>de</strong>m leuchtet gera<strong>de</strong> hier<br />

<strong>de</strong>r hauptsächliche Gr<strong>und</strong>gedanke <strong>de</strong>r thomasischen Natur­<br />

rechtsauffassung auf, daß nämlich alle naturhaften sittlichen<br />

For<strong>de</strong>rungen, d.h. alle Gebote <strong>de</strong>s Sittengesetzes, soweit sie<br />

aus <strong>de</strong>r natura humana folgen, nicht nur sittlichen, son<strong>de</strong>rn zu-<br />

339


64. 5 gleich rechtlichen Charakter haben. Das will besagen: Das<br />

natürliche Sittengesetz gilt nicht nur in <strong>de</strong>r vertikalen Ordnung<br />

von oben nach unten, vom ewigen Richter zu je<strong>de</strong>m einzelnen<br />

Menschen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch horizontal, von Mensch zu<br />

Mensch, als Organisationsprinzip <strong>de</strong>r Menschheit, wobei <strong>de</strong>r­<br />

selbe Richter <strong>de</strong>s einzelnen Menschen nun Gesetzgeber <strong>de</strong>r so­<br />

zialen Ordnung ist <strong>und</strong> auch einstmals als <strong>de</strong>ren Richter auftre­<br />

ten wird. Darum gelten die moralischen Grün<strong>de</strong> gegen <strong>de</strong>n<br />

Selbstmord zugleich auch als gesellschaftliche <strong>Recht</strong>sfor<strong>de</strong>run­<br />

gen.<br />

Thomas sieht im Selbstmord ein dreifaches Verbrechen:<br />

gegen <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r die Tat verübt, gegen die Gesellschaft<br />

<strong>und</strong> gegen Gott.<br />

a) Der Selbstmord als Verbrechen gegen sich selbst<br />

Der natürlichen Veranlagung nach strebt je<strong>de</strong>s Wesen zur<br />

Selbsterhaltung. Es be<strong>de</strong>utet daher ein Verfehlen gegen die<br />

naturhafteste Liebe, nämlich die Selbstliebe, wenn einer an sein<br />

eigenes Leben Hand anlegen wollte. Und da in <strong>de</strong>r übernatürli­<br />

chen Ordnung die Selbstliebe durch die theologische Tugend<br />

<strong>de</strong>r Caritas geregelt wird, wird <strong>de</strong>r Selbstmord zum Verbrechen<br />

auch gegen diese.<br />

Der Beweis wird natürlich sehr schwach, wenn man das<br />

Naturgesetz nur in einer naturhaften Hinneigung zu irgen<strong>de</strong>i­<br />

nem Ziel, etwa <strong>de</strong>r Selbsterhaltung, verstehen wollte. Thomas<br />

ist weit entfernt, das Naturgesetz in diesem naturalistischen<br />

Sinne zu verstehen. Das Naturgesetz als sittliche <strong>und</strong> rechtliche<br />

Norm ist nicht einfach eine bestimmte Zielordnung unserer<br />

Triebe <strong>und</strong> Neigungen. Die Naturneigung zur Selbsterhaltung<br />

ist wohl ein vorbestimmter Trieb; als Naturgesetz, d. h. als<br />

Norm schließt er zugleich auch die naturhafte Neigung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Vernunft zur Bejahung dieser Ordnung mit ein.<br />

Das will heißen: die Naturneigung ist zugleich Bewußtseinsnei-<br />

gung, eine naturhafte For<strong>de</strong>rung unserer Vernunft <strong>und</strong> damit<br />

naturhaft in uns vorgegeben, also ein uns vom Schöpfer einge­<br />

schriebenes Gesetz. Erst dadurch wird es möglich, in <strong>de</strong>m<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch gegen diese Naturordnung <strong>de</strong>s Menschen eine<br />

Sün<strong>de</strong> zu erkennen. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mensch in seinem Bewußtsein<br />

<strong>und</strong> Wollen diese Ordnung verneint, wi<strong>de</strong>rsetzt er sich einer in<br />

seinem Bewußtsein selbst vorgegebenen Ordnung, die ihren<br />

340


letzten Sinn nur in <strong>de</strong>m ewigen Bewußtsein Gottes haben kann. 64. 5<br />

So wird <strong>de</strong>r Selbstmord als ein bewußtes Übergehen unserer<br />

innersten menschlichen Neigung <strong>und</strong> natürlichen Selbsthebe<br />

zum Verbrechen gegen das Naturgesetz.<br />

Gegenüber <strong>de</strong>r Ansicht Senecas, wonach die Überwindung<br />

<strong>de</strong>s naturhaften Selbsterhaltungstriebes, somit die Selbsttö­<br />

tung, eine „Hel<strong>de</strong>ntat" sei, erklärt Thomas in <strong>de</strong>r fünften Ant­<br />

wort, es handle sich nur <strong>de</strong>m äußeren Anschein nach um eine<br />

Hel<strong>de</strong>ntat.<br />

b) Der Selbstmord als Verbrechen gegen die Gesellschaft<br />

Wie<strong>de</strong>rum begegnen wir <strong>de</strong>m aristotelischen Gr<strong>und</strong>satz, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch zur Gesellschaft gehöre wie <strong>de</strong>r Teil zum Ganzen.<br />

Der Zusammenhang, in welchem hier dieses Prinzip steht, un­<br />

terstreicht <strong>de</strong>n darin ausgesprochenen Gedanken noch viel<br />

stärker als etwa die Lehre von 58,5, wo je<strong>de</strong>m Menschen zur<br />

Pflicht gemacht wird, <strong>de</strong>m Gemeinwohl mit allen seinen sittli­<br />

chen Kräften zu dienen. Hier nämlich möchte man <strong>de</strong>n Ein­<br />

druck gewinnen, als ob die Gemeinschaft Eigentümerin <strong>de</strong>s Le­<br />

bens <strong>de</strong>s einzelnen wäre <strong>und</strong> so <strong>de</strong>r Gedanke zugr<strong>und</strong>e läge,<br />

daß nur <strong>de</strong>r über das Leben verfügen könne, <strong>de</strong>m es gehöre,<br />

<strong>und</strong> das sei die Gemeinschaft.<br />

Nun ist wohl richtig, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>m das Leben gehört,<br />

auch darüber verfügen kann. Es gilt aber nicht umgekehrt, daß<br />

<strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die To<strong>de</strong>sstrafe verhängen kann, dadurch auch<br />

bewiese, daß ihm das Leben gehört. Denn er verfügt nicht über<br />

das Leben, son<strong>de</strong>rn er vollführt nur eine <strong>Recht</strong>shandlung, die<br />

bereits vorgezeichnet ist von Dem, <strong>de</strong>m das Leben im eigentli­<br />

chen Sinne gehört, nämlich Gott. Das menschliche Leben<br />

gehört nicht <strong>de</strong>r Gemeinschaft, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>m Gut, das durch die<br />

Gemeinschaft verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll. Gera<strong>de</strong> darum aber,<br />

weil <strong>de</strong>r Selbstmord sich an diesem gemeinsamen Gut verfehlt,<br />

be<strong>de</strong>utet er ein Unrecht gegen die menschliche Gesellschaft.<br />

c) Der Selbstmord als Sün<strong>de</strong> gegen Gott<br />

Im Gr<strong>und</strong>e kommt dieser Gedanke auf das erste Argument<br />

zurück, nur wird hier <strong>de</strong>r religiöse Sinn unserer sittlichen Ver­<br />

antwortung stärker unterstrichen. Unser ganzes Sein ist ein<br />

Sein durch Teilhabe <strong>und</strong> weist darum stets über sich hinaus auf<br />

341


64. 5 die Absichten <strong>de</strong>ssen, an <strong>de</strong>ssen Sein es teilhat. Es kann darum<br />

niemals einen Gr<strong>und</strong> geben, sich irgendwann <strong>und</strong> aus irgend­<br />

welcher Absicht, selbst nicht zur Rettung vor sittlicher Gefahr,<br />

das Leben zu nehmen. Natürlich hin<strong>de</strong>rt dies nicht, daß man im<br />

Kampf für ein sittliches Gut sein Leben einsetze. Denn dann<br />

wird nicht <strong>de</strong>r Tod gesucht, son<strong>de</strong>rn die Unversehrtheit<br />

menschlichen o<strong>de</strong>r gna<strong>de</strong>nhaft-göttlichen Lebens.<br />

3. DIE TÖTUNG UNSCHULDIGEN LEBENS<br />

(Art. 6)<br />

64. 6 Einem Unschuldigen darf das Leben niemals genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, erklärt Thomas im sechsten Artikel. Man kann von<br />

ihm <strong>de</strong>n Einsatz für ein gemeinschaftliches, sittlich ausgerichte­<br />

tes Gut verlangen. Wenn er diesen Einsatz für das Ganze nicht<br />

leistet, kann man ihn unter Umstän<strong>de</strong>n für to<strong>de</strong>swürdig erach­<br />

ten auf Gr<strong>und</strong> dieser Verneinung, die dann als Verbrechen<br />

gegen die Gemeinschaft erklärt wer<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>. Aber <strong>de</strong>r<br />

Schuldlose bleibt, wie Thomas ausdrücklich sagt, immer ein<br />

nützliches <strong>und</strong> das Gemeinwohl för<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>s Glied <strong>de</strong>r mensch­<br />

lichen Gesellschaft.<br />

Um allen Ernstes in allen konkreten Fällen zu dieser Lehre<br />

zu stehen, muß man vom wesentlich sittlichen Wert, ja sogar<br />

vom theologischen Sinn <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft über­<br />

zeugt sein. Der unheilbar Kranke, <strong>de</strong>r Sieche, <strong>de</strong>r Geistes­<br />

schwache <strong>und</strong> sogar Irrsinnige erfüllt noch einen sinnvollen<br />

Zweck in <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft. Erstens hat damit die<br />

Gesellschaft die offensichtliche <strong>und</strong> untrügliche Gelegenheit,<br />

sich noch als sittliche Gemeinschaft zu bewähren, in<strong>de</strong>m sie aus<br />

Achtung vor <strong>de</strong>m Geist, <strong>de</strong>r in je<strong>de</strong>m Menschen, auch noch im<br />

Irren, da ist, die Pflege eines scheinbar lebensunwerten Lebens<br />

übernimmt. Zweitens kann sie, sofern sie christlich ist, Ernst<br />

machen mit <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Evangeliums, die gemäß<br />

christlichem Glauben nicht nur For<strong>de</strong>rungen an <strong>de</strong>n einzelnen<br />

Menschen für das private Leben sind, son<strong>de</strong>rn zugleich Sozial­<br />

prinzipien, Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>r Gesellschaftsformung be<strong>de</strong>uten.<br />

Gera<strong>de</strong> vom übernatürlichen Glauben her, mit seinen Dogmen<br />

von <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Berufung aller zum ewigen Leben,<br />

wird je<strong>de</strong>r naturalistischen Bevölkerungspolitik <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n ent­<br />

zogen.<br />

342


Man könnte versucht sein, in unserem Artikel das Problem 64. 6<br />

<strong>de</strong>s Schwangerschaftsabbruchs ange<strong>de</strong>utet zu fin<strong>de</strong>n. Doch hat<br />

Thomas dieses Thema nicht im Auge gehabt.<br />

4. DIE TÖTUNG EINES LEBENSGEFÄHRLICHEN ANGREIFERS<br />

(Art. 7)<br />

Das römische <strong>Recht</strong> hatte Gewalt mit Gewalt zu vertreiben 64. 7<br />

gestattet. Thomas greift auf diesen Gedanken in <strong>de</strong>r Formulie­<br />

rung <strong>de</strong>r Dekretalen (vgl. Decret. Greg. IX., lib.V, tit. 12, De<br />

homicidio, c. 18; Frdbll, 801) zurück, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß bei<br />

„moralisch abgewogener Sch<strong>utz</strong>maßnahme" o<strong>de</strong>r, in wörtlicher<br />

Ubersetzung <strong>de</strong>s altjuristischen Begriffs, bei „Maßhaltung<br />

schuldloser Verteidigung" (cum mo<strong>de</strong>ramine inculpatae tutelae,<br />

Notwehrbeschränkung) die eventuelle Tötung <strong>de</strong>s Gegners<br />

verantwortet wer<strong>de</strong>n könnte. In <strong>de</strong>m Begriff „moralisch abge­<br />

wogene Verteidigung" (Notwehrbeschränkung) liegt <strong>de</strong>r Kern<br />

<strong>de</strong>s Artikels. Es ist damit gesagt, daß das Gewicht <strong>de</strong>r Absicht<br />

auf <strong>de</strong>r Selbstverteidigung liegt <strong>und</strong> nicht auf <strong>de</strong>r Tötung. Das<br />

will besagen: Der sich Verteidigen<strong>de</strong> soll nur die Absicht haben,<br />

sein Leben zu retten, in keiner Weise aber, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren zu<br />

töten. Die Tötung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren wird als reine Folge <strong>de</strong>r Selbst­<br />

verteidigung aufgefaßt. Im Zusammenhang ist dies wichtig,<br />

weil nämlich gemäß <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s vorherigen Artikels die pri­<br />

vate Tötung eines an<strong>de</strong>ren in sich schlecht ist, also niemals<br />

direkt gewollt sein darf. Sie darf höchstens als physische Folge<br />

einer sittlich guten Handlung auftreten.<br />

Damit allerdings scheint die Erlaubnis <strong>de</strong>r Selbstverteidi­<br />

gung ziemlich illusorisch zu wer<strong>de</strong>n. Ist doch <strong>de</strong>r Fall <strong>de</strong>nkbar,<br />

daß man nur mit solcher Selbstwehr zurechtkommt, in <strong>de</strong>r man<br />

die völlige Tilgung <strong>de</strong>s Angreifers von vornherein beabsichtigt.<br />

In <strong>de</strong>n mittelalterlichen Verhältnissen, wo man nur mit Hieb­<br />

o<strong>de</strong>r Stichwaffen zu rechnen hatte, hätte man sich vielleicht in<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidigung mit einfachem Umsichschlagen helfen<br />

können. In solchen Umstän<strong>de</strong>n ließe sich die „zufällige", nicht<br />

beabsichtigte Tötung <strong>de</strong>s Angreifers verstehen. Heute aber, da<br />

wohl selten ein Dieb in ein frem<strong>de</strong>s Haus eindringt, ohne mit<br />

einem Revolver bewaffnet zu sein, mit <strong>de</strong>m er aller Wahrschein­<br />

lichkeit nach von vornherein <strong>de</strong>n Tod <strong>de</strong>s sich wehren<strong>de</strong>n Besit­<br />

zers beabsichtigt, wird <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r sein Leben zu verteidigen<br />

343


64. 7 hat, vor allem, wenn er kein tüchtiger Schütze ist, die lebens­<br />

wichtigsten Körperstellen zum Ziel seiner Schußwaffe machen<br />

müssen. So bleibt, wie es scheint, nichts an<strong>de</strong>res übrig, als <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s Angreifers direkt zu wollen.<br />

Die einfachste Lösung hierfür ist natürlich, mit mo<strong>de</strong>rnen<br />

Theologen die Selbstverteidigung als eine Handlung im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Dienstes am öffentlichen Wohl, d. h. an <strong>de</strong>r öffentlichen<br />

Sicherheit <strong>und</strong> Ordnung zu betrachten. Dann kann <strong>de</strong>r Vertei­<br />

diger ruhig die Tötung <strong>de</strong>s Angreifers direkt wollen, wie dies<br />

auch Thomas hier <strong>de</strong>m Soldaten im Krieg o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Polizei<br />

eigens zugesteht.<br />

Verbleiben wir aber im Gedankengang <strong>de</strong>s Artikels, wonach<br />

<strong>de</strong>r Selbstverteidiger als Privatperson han<strong>de</strong>lt, dann folgt, daß<br />

die Absicht zur Tötung sittlich nicht haltbar ist. Und doch muß<br />

<strong>de</strong>r Verteidiger mit seiner Schußwaffe ein Ziel haben! Und die­<br />

ses Ziel kann, wie gesagt, bisweilen nur eine tödliche Stelle sein.<br />

Die Analyse <strong>de</strong>r Handlung kann natürlich nicht einzig nach<br />

ihrer physischen Form geschehen. Denn so wäre sie we<strong>de</strong>r gut<br />

noch schlecht. Ein Geschoß kann aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong><br />

(Explosion) in das Herz <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn dringen, ohne daß sich<br />

damit eine sittliche Handlung von an<strong>de</strong>rer Seite verbin<strong>de</strong>t. Um<br />

zur sittlichen Beurteilung <strong>de</strong>r Abwehr, bei welcher die Schuß­<br />

waffe auf eine lebenswichtige Stelle <strong>de</strong>s Angreifers gerichtet<br />

wird, zu kommen, muß man die unmittelbar mit <strong>de</strong>m rein phy­<br />

sischen Geschehen verb<strong>und</strong>ene Absicht miteinbeziehen. Diese<br />

aber kann nie die direkte Tötung <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn sein, son<strong>de</strong>rn nur<br />

seine Unschädlichmachung. Daß zwischen <strong>de</strong>r Absicht zur<br />

Tötung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Absicht zur gänzlichen Unschädlichmachung<br />

ein großer Unterschied liegt, beweist die Tatsache, daß <strong>de</strong>r Ver­<br />

teidiger das Leben <strong>de</strong>s Angreifers erhalten wür<strong>de</strong>, wenn er es<br />

könnte, ohne sein eigenes Leben zu gefähr<strong>de</strong>n. So scheint es<br />

keine ungebührliche Erweiterung <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Artikels zu<br />

sein, wenn wir auch auf die mo<strong>de</strong>rne Problematik <strong>de</strong>n Satz <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas anwen<strong>de</strong>n: „Es ist nicht heilsnotwendig, die mora­<br />

lisch abgewogene Sch<strong>utz</strong>maßnahme zu unterlassen, um <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn zu vermei<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r Mensch muß mehr für<br />

das eigene als für ein frem<strong>de</strong>s Leben Sorge tragen".<br />

Der Polizei erlaubt Thomas eigentümlicherweise die direkte<br />

Tötung <strong>de</strong>s Verbrechers. Eigentümlich klingt es auch, wenn<br />

Thomas <strong>de</strong>m Soldaten die völlige Vernichtung <strong>de</strong>s Fein<strong>de</strong>s ohne<br />

weitere Einschränkung zubilligt. Gemäß welchem <strong>Recht</strong> darf<br />

344


<strong>de</strong>r Soldat dies tun? Auch <strong>de</strong>r Feind erachtet sich um seines 64. 7<br />

Gemeinwohles willen ermächtigt, seinen Gegner bis zur Ver­<br />

nichtung zu erledigen. Wollte man die Parallele mit <strong>de</strong>r polizeili­<br />

chen Gewalt im Sinne <strong>de</strong>s hl. Thomas voll <strong>und</strong> ganz durchfüh­<br />

ren, dann wäre man zur Erklärung gezwungen, daß <strong>de</strong>r Soldat<br />

als Diener eines übernationalen Gemeinwohles, also im Auftrag<br />

eines höheren als <strong>de</strong>s nationalen <strong>Recht</strong>s kämpfe. Sonst wäre<br />

nicht einzusehen, warum <strong>de</strong>r Soldat, <strong>de</strong>r für das Gemeinwohl<br />

seines Staatswesens gegen einen nicht zu seinem Gemeinwesen<br />

gehören<strong>de</strong>n Angreifer kämpft, mehr <strong>Recht</strong>e haben soll als <strong>de</strong>r<br />

sich verteidigen<strong>de</strong> Einzelmensch im Kampf mit <strong>de</strong>m Angreifer,<br />

d. h. warum <strong>de</strong>r Soldat seinen Gegner direkt vernichten darf,<br />

während <strong>de</strong>r private Verteidiger Maßhaltung in <strong>de</strong>r Abwehr<br />

üben muß. Unsere Stelle ist völkerrechtsphilosophisch interes­<br />

sant, insofern sie beweist, wie wenig Thomas noch eine Vorstel­<br />

lung von verschie<strong>de</strong>nen Nationen hatte. Die bestehen<strong>de</strong> Staats­<br />

gemeinschaft autorisierte allein auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s zur Exi­<br />

stenz <strong>und</strong> Selbstbehauptung ihre Soldaten zur Vernichtung <strong>de</strong>s<br />

Angreifers, da dieser als „Splitter" <strong>und</strong> Sektierer betrachtet<br />

wird, gegen <strong>de</strong>n dasselbe <strong>Recht</strong> als maßgebend betrachtet wird<br />

wie gegen einen Verbrecher innerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft.<br />

Die Theorie <strong>de</strong>r privaten Selbstverteidigung wird heute auf<br />

einen Fall angewandt, auf <strong>de</strong>n sie unter gar keinen Umstän<strong>de</strong>n<br />

angewandt wer<strong>de</strong>n darf: auf die Kraniotomie o<strong>de</strong>r Perforation<br />

in <strong>de</strong>r Geburtshilfe. Man greift dabei auf die Unterscheidung<br />

zwischen physischer Natur <strong>de</strong>r Handlung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r eigentlichen<br />

Absicht, die <strong>de</strong>r Operateur damit verbin<strong>de</strong>t, zurück, in<strong>de</strong>m<br />

man erklärt, daß <strong>de</strong>r Arzt die Tötung gar nicht beabsichtige,<br />

son<strong>de</strong>rn nur Geburtshilfe leiste, womit natürlich die Tötung<br />

gegeben sei, die aber eben nicht als Tötung, son<strong>de</strong>rn nur als<br />

physische Perforation gewollt sei.<br />

Doch ist auch hier, wie bei je<strong>de</strong>r menschlichen Handlung,<br />

eine sittliche Situation gegeben, die es zu beurteilen gilt. Es<br />

kann sich unmöglich um eine Unschädlichmachung <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s<br />

han<strong>de</strong>ln, da das Kind nicht als Schädling auftritt, son<strong>de</strong>rn als<br />

völlig gleichberechtigter <strong>Recht</strong>sträger wie die Mutter. In <strong>de</strong>r<br />

Abwägung zwischen Mein <strong>und</strong> Dein, zwischen eigenem Leben<br />

<strong>und</strong> Leben <strong>de</strong>r Mutter fällt <strong>de</strong>m Leben <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s nicht weniger<br />

<strong>Recht</strong> zu als <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Mutter. Welche erste <strong>und</strong> unmittelbare<br />

sittliche Qualität soll also die Perforation haben? Keine an<strong>de</strong>re<br />

als Tötung unschuldigen Lebens. Außer<strong>de</strong>m ist hier ein Lieb-<br />

345


64. 7 lingsgedanke <strong>de</strong>s hl. Thomas nicht außer acht zu lassen, wonach<br />

nämlich <strong>de</strong>r einzelne stets im Ordnungsganzen <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft zu betrachten ist. Nicht, als ob damit das Leben <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen im Ganzen unterginge. Im Gegenteil, <strong>de</strong>n Eigenwert<br />

erhält <strong>de</strong>r einzelne gera<strong>de</strong> im Raum <strong>de</strong>s Ganzen, das als sittliche<br />

Gemeinschaft aufgefaßt ist. Von hier aus gesehen kann es sich<br />

nicht mehr um das Schicksal <strong>de</strong>r einzelnen Mutter han<strong>de</strong>ln,<br />

son<strong>de</strong>rn es gilt vielmehr einzig die For<strong>de</strong>rung, das sittliche<br />

Organisationsprinzip <strong>de</strong>r Gesellschaft um je<strong>de</strong>n Preis zu wah­<br />

ren. Warum sollte die Mutter, die das Jawort zum Wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s<br />

Kin<strong>de</strong>s gegeben hat, nicht auch zu diesem Ja treu stehen müs­<br />

sen, wenn es bitter schwer fallen sollte? — Im übrigen sei<br />

erwähnt, daß die medizinische „Notwendigkeit" zu einem sol­<br />

chen mör<strong>de</strong>rischen Eingriff gera<strong>de</strong> von besten Fachärzten<br />

bestritten wird. Von <strong>de</strong>m bewußt gewollten Schwangerschafts­<br />

abbruch, wie er heute als straffrei proklamiert wird, brauchen<br />

wir hier nicht zu sprechen. Das Urteil darüber im Sinn <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas ist unmißverständlich: man darf unter keinen Umstän­<br />

<strong>de</strong>n einen Unschuldigen töten.<br />

Als letzten Teil <strong>de</strong>r Tötung behan<strong>de</strong>lt Thomas in Art. 8 die<br />

fahrlässige Tötung. Es wird hier das allgemein gültige Prinzip<br />

angewandt, daß ein Effekt insofern auf das sittliche Konto einer<br />

Handlung fällt, als die Ursächlichkeit zwischen Handlung <strong>und</strong><br />

Effekt erkannt wer<strong>de</strong>n mußte <strong>und</strong> die Handlung um dieses Zu­<br />

sammenhangs willen zu unterlassen geboten war.<br />

IL Die an<strong>de</strong>rn Eingriffe in das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Person,<br />

wie Körperverletzung, Züchtigung, Freiheitsberaubung<br />

(Fr. 65)<br />

1. DIE KÖRPERVERSTÜMMELUNG<br />

(Art. 1).<br />

65. l Die strenge Unterordnung <strong>de</strong>s einzelnen unter das Gemein­<br />

wohl wird mit <strong>de</strong>mselben Prinzip gekennzeichnet wie in 58,5:<br />

Der Mensch ist Teil <strong>de</strong>r Gemeinschaft. Hier ist die Sprechweise<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas noch <strong>de</strong>utlicher <strong>und</strong> konkreter: Der ganze<br />

Mensch ist auf sein Ziel hingeordnet, auf die Gemeinschaft,<br />

<strong>de</strong>ren Teil er ist <strong>und</strong> <strong>de</strong>r er in je<strong>de</strong>m ihrer Glie<strong>de</strong>r dient. Wie<br />

346


darum vom sittlich <strong>und</strong> geistig verstan<strong>de</strong>nen Gemeinwohl her 65. 1<br />

über einen Verbrecher die To<strong>de</strong>sstrafe verhängt wer<strong>de</strong>n kann, so<br />

kann auch wegen geringerer Vergehen von <strong>de</strong>r öffentlichen Au­<br />

torität die Abnahme irgen<strong>de</strong>ines Glie<strong>de</strong>s verordnet wer<strong>de</strong>n. Die<br />

diesbezügliche Praxis <strong>de</strong>s Mittelalters ist reichlich bekannt: Ver­<br />

stümmelung <strong>de</strong>r Ohren, <strong>de</strong>r Hän<strong>de</strong>, <strong>de</strong>rTestikel, <strong>de</strong>r Füße war<br />

im 13. Jahrh<strong>und</strong>ert nichts Beson<strong>de</strong>res. 1260 mußte Ludwig <strong>de</strong>r<br />

Heilige die im Bezirk von 7cws herrschen<strong>de</strong> Sitte ta<strong>de</strong>ln,<br />

wonach <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>m Diener o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Magd ein Glied abschlug<br />

wegen Stehlens eines Brotes o<strong>de</strong>r eines Huhnes.<br />

Die zwangsweise Sterilisation o<strong>de</strong>r Kastration zur Bestra­<br />

fung von sexuellen Verbrechen wird also von Thomas aner­<br />

kannt. Dabei sind aber die bei<strong>de</strong>n Bedingungen vorausgesetzt:<br />

1. es muß ein Verbrechen vorliegen; 2. nur die staatliche Autori­<br />

tät kann eine solche Strafe anordnen. Die Lösung <strong>de</strong>s ersten<br />

Einwan<strong>de</strong>s ist also ganz in diesem Sinne zu verstehen. Wenn<br />

Thomas dort sagt, daß die Körperverstümmelung zwar gegen<br />

die Natur <strong>de</strong>s einzelnen sei, daß sie aber doch <strong>de</strong>r Vernunft ent­<br />

spreche, sofern sie auf das Gemeinwohl hingeordnet wer<strong>de</strong>,<br />

dann hat dies nichts mit kollektivistischen Zweckbestimmun­<br />

gen zu tun, etwa im Sinn <strong>de</strong>r eugenischen Indikation <strong>de</strong>r Sterili­<br />

sation. Der Staat kann nicht tun, was er mag. Er kann nur an­<br />

ordnen, was <strong>de</strong>m Gemeinwohl entspricht. Das Gemeinwohl ist<br />

aber bei Thomas, das dürfte bisher klargewor<strong>de</strong>n sein, eine gei­<br />

stig-sittliche Wirklichkeit, die von allen angestrebt wer<strong>de</strong>n soll<br />

entsprechend <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r menschlichen Natur. So wenig<br />

Thomas um irgen<strong>de</strong>ines Gemeinwohls willen die Tötung soge-<br />

nannten lebensunwerten Lebens zuläßt, ebensowenig konnte<br />

er die Sterilisierung nur zur körperlichen Ges<strong>und</strong>erhaltung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gemeinschaft gestatten.<br />

Eine Privatperson kann nur aus therapeutischen Grün<strong>de</strong>n<br />

eine Verstümmelung an ihrem Körper vornehmen lassen. Dies<br />

geht klar aus <strong>de</strong>r Antwort <strong>und</strong> aus <strong>de</strong>r Lösung <strong>de</strong>s zweiten Ein-<br />

wands hervor.<br />

„Geistigen" Übeln, so erklärt Thomas in <strong>de</strong>r Lösung zum<br />

dritten Einwand, darf man nicht mit Körperverstümmelung<br />

entgehen, man muß sie mit geistigen Mitteln, d. h. mit <strong>de</strong>m Wil­<br />

len überwin<strong>de</strong>n. Thomas <strong>de</strong>nkt an überstarke Libido. Zur<br />

Bekämpfung <strong>de</strong>r Libido verwirft er die Kastration <strong>und</strong> emp­<br />

fiehlt Willensbildung. Wir sind allerdings heute medizinisch<br />

etwas weiter, in<strong>de</strong>m wir in einer überstarken Libido oft genug<br />

347


65. 1 rein somatisch bedingte Ursachen ent<strong>de</strong>cken, über die <strong>de</strong>r<br />

Patient niemals Herr wer<strong>de</strong>n kann (vgl. hierzu/. Mayer, Gesetz­<br />

liche Unfruchtbarmachung Geisteskranker, Freiburg i. Br. 1927,<br />

328 f.).<br />

2. DIE PRÜGELSTRAFE<br />

(Art. 2)<br />

65. 2 In <strong>de</strong>m Maße, als einer über einen an<strong>de</strong>rn rechtliche Gewalt<br />

hat, übt er auch die Strafgewalt über ihn aus. Wie darum <strong>de</strong>r<br />

Staat die vollkommene Gemeinschaft ist, auf die <strong>de</strong>r einzelne<br />

alle Akte sämtlicher sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ausrichten muß (58,5),<br />

so übt er auch die höchste <strong>und</strong> letztmögliche Strafgewalt im<br />

irdischen Bereich aus: To<strong>de</strong>sstrafe <strong>und</strong> Strafe <strong>de</strong>r Körperver­<br />

stümmelung. Entsprechend besitzt das Familienoberhaupt als<br />

Autorität einer kleineren, „unvollkommenen" Gemeinschaft<br />

das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Bestrafung mit geringeren Straf mittein, nämlich<br />

<strong>de</strong>r Körperzüchtigung (Zu 2). Das gleiche gilt auch bezüglich<br />

<strong>de</strong>r Gewalt <strong>de</strong>s Hausherrn über seine Dienerschaft (Antw.)<br />

Man muß sich die mittelalterliche Anschauung vergegenwär­<br />

tigen, wonach <strong>de</strong>m Vater die volle Autorität über die Angelegen­<br />

heiten zustand, die die Hausgemeinschaft betrafen. Das Mittel­<br />

alter folgte hierin <strong>de</strong>m römischen <strong>Recht</strong>, das übrigens vor <strong>de</strong>r<br />

Mil<strong>de</strong>rung im dritten Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>de</strong>m Familienoberhaupt so­<br />

gar das <strong>Recht</strong> über Leben <strong>und</strong> Tod eingeräumt hatte. Im Mittel­<br />

alter, zur Zeit <strong>de</strong>s hl. Thomas, war jener Familienvater rechtlich<br />

nicht zu fassen, welcher seine Familienangehörigen, sogar seine<br />

eigene Frau, schlug <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>ete, sofern er sie nicht tötete.<br />

Thomas (Suppl. 62,4 Zu 4) erklärt, daß <strong>de</strong>r Ehegatte, wenn­<br />

gleich er das Haupt <strong>de</strong>r Ehefrau sei, doch nicht zu ihrem Richter<br />

bestellt sei, so daß er zu jenen Züchtigungen kein <strong>Recht</strong> habe,<br />

welche <strong>de</strong>m Zivilgericht vorbehalten sind. Dagegen kann seiner<br />

Ansicht nach <strong>de</strong>r Ehegatte seine ehebrecherische Frau züchti­<br />

gen (Suppl. 60,1 Zu 1).<br />

Angesichts dieser Äußerungen drängt sich die Frage auf, wo<br />

man hier noch von Naturrecht sprechen könne. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Mannes, die Frau wegen irgendwelcher häuslicher Vergehen zu<br />

schlagen, kann doch nicht ein Naturrecht sein im Sinne, wie<br />

man von „unwan<strong>de</strong>lbaren" <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>r Natur spricht. Man<br />

kann aber mit Thomas sagen, daß jeweils jene rechtliche Rege-<br />

348


lung die naturrechtlich gebotene sei, welche die stets sich 65. 2<br />

än<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n konkreten Situationen (hierzu auch Kulturauffas­<br />

sungen, soziologische Gegebenheiten) weitmöglichst <strong>de</strong>n un­<br />

abän<strong>de</strong>rlichen Normen entsprechend ordnet. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Vaters, Haupt <strong>de</strong>r Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Hausgemeinschaft zu sein,<br />

kann auch auf an<strong>de</strong>re Weise als mit <strong>de</strong>r Prügelgewalt gewahrt<br />

wer<strong>de</strong>n. Die Geschichte hat die Menschen belehrt, daß <strong>de</strong>r<br />

an<strong>de</strong>re Teil <strong>de</strong>s Ehe- <strong>und</strong> Familienrechts, wovon Thomas in 57,4<br />

spricht, beson<strong>de</strong>rer Aufmerksamkeit bedarf: daß sowohl die<br />

Kin<strong>de</strong>r als auch beson<strong>de</strong>rs die Ehefrau als Träger von Men­<br />

schenrechten zu gelten haben, über die <strong>de</strong>r Vater <strong>und</strong> Gatte<br />

keine Befugnis hat. Für Thomas ist die naturgemäße For<strong>de</strong>rung,<br />

d. h. das Naturrecht, eine For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s konkreten Augen­<br />

blicks, nicht zwar im Sinne einer reinen Situationsethik mit exi-<br />

stentialistischem Gepräge, son<strong>de</strong>rn im Sinne <strong>de</strong>r „verän<strong>de</strong>rli­<br />

chen Natur", von <strong>de</strong>r er in 57,2 Zu 1 spricht, d. h. <strong>de</strong>r an sich un­<br />

verän<strong>de</strong>rlichen Natur, die aber stets eine eigene, <strong>de</strong>m Hier <strong>und</strong><br />

Jetzt angemessene je <strong>und</strong> je verschie<strong>de</strong>ne konkrete Gestalt <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>s nicht nur verlangt, son<strong>de</strong>rn sogar konstituiert.<br />

3. KERKERHAFT UND GEWAHRSAM<br />

(Art. 3)<br />

Aus gerechten Grün<strong>de</strong>n ist es, wie Thomas ausführt, erlaubt, 65. 3<br />

einen Menschen <strong>de</strong>r Freiheit zu berauben durch Kerker o<strong>de</strong>r<br />

Gewahrsam (Internierung). Als solche gerechte Grün<strong>de</strong> führt<br />

Thomas an: Strafe <strong>und</strong> Vorsichtsmaßregeln. Bezüglich <strong>de</strong>r<br />

Strafe empfin<strong>de</strong>t man weiter keine Schwierigkeit in <strong>de</strong>r Aner­<br />

kennung <strong>de</strong>r vorgetragenen Meinung. Was aber ist unter Vor­<br />

sichtsmaßregel zu verstehen? Etwa das im römischen „Gesetz<br />

<strong>de</strong>r zwölf Tafeln" <strong>de</strong>m Gläubiger eingeräumte <strong>Recht</strong>, einen<br />

säumigen Schuldner in privatem Kerker einzusperren, eine<br />

Gepflogenheit, die im Mittelalter in Übung war <strong>und</strong> zu üblen<br />

Ausschreitungen führte, so daß Ludwig <strong>de</strong>r Heilige sie auf ganz<br />

bestimmte Fälle unter bestimmten Bedingungen einschränken<br />

mußte? O<strong>de</strong>r sollen wir an ähnliche Vorsichtsmaßregeln <strong>de</strong>n­<br />

ken, wie sie ein mo<strong>de</strong>rner Staat durch Internierung von Geistes­<br />

schwachen trifft, nur zur Verhütung geistesschwachen Nach­<br />

wuchses? Aus <strong>de</strong>r Lösung zum dritten Einwand geht hervor,<br />

daß die Übel, welche durch staatlich verordnete Internierung<br />

349


65. 3 von Personen verhin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n sollen, sittlich verwerfliche<br />

Taten sind, z.B., daß einer, obwohl er könnte, die Schul<strong>de</strong>n<br />

nicht bezahlt. Wenigstens folgt dies aus <strong>de</strong>n letzten Worten:<br />

„durch die Einkerkerung wird er nicht nur daran gehin<strong>de</strong>rt,<br />

Böses, son<strong>de</strong>rn auch Gutes zu tun."<br />

Ob aber Geistesschwache, die an sich keine Gefahr für die<br />

Umwelt sind, einzig um <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Gesellschaft verlangten<br />

Gewähr willen, daß sie keine erblich belastete Nachkommen­<br />

schaft zeugen, interniert wer<strong>de</strong>n dürfen, kann nach <strong>de</strong>r hier aus­<br />

gesprochenen Doktrin nicht entschie<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Es läßt sich<br />

hier keine Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas ermitteln.<br />

4. DAS UNRECHT IN SEINER AUSDEHNUNG AUF EINEN WEITEREN<br />

PERSONENKREIS<br />

(Art. 4)<br />

65. 4 Der vierte Artikel behan<strong>de</strong>lt die eigentümliche Frage, ob das<br />

Unrecht, das auf die in <strong>de</strong>n vorhergehen<strong>de</strong>n Artikeln genannten<br />

Arten, beson<strong>de</strong>rs durch Körperverletzung, einer Person zuge­<br />

fügt wird, auch auf <strong>de</strong>ren Angehörige o<strong>de</strong>r die irgendwie mit ihr<br />

durch ein gesellschaftliches Band Verb<strong>und</strong>enen übergreife, so<br />

daß die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit noch größer wür<strong>de</strong>, als<br />

wenn sie nur gegen eine einzelne Person gerichtet wäre. An sich<br />

betrifft diese Frage jegliches Unrecht, nicht nur die in <strong>de</strong>n vor­<br />

hergehen<strong>de</strong>n Artikeln erwähnten Formen. Thomas hat<br />

zunächst offenbar an <strong>de</strong>n tätlichen Angriff auf Amtspersonen<br />

gedacht <strong>und</strong> darum das Problem hier eingereiht.<br />

Die Antwort ist klar: an sich ist solches Unrecht größer<br />

wegen <strong>de</strong>r Ausweitung <strong>de</strong>s betroffenen Personenkreises. An<strong>de</strong>­<br />

rerseits kann aber, so meint Thomas, das Unrecht gegen eine<br />

einzelne Person ohne diese Einbeziehung Dritter <strong>de</strong>nnoch<br />

schwerer sein im Hinblick auf die gesellschaftliche Be<strong>de</strong>utung<br />

<strong>de</strong>r betroffenen Person o<strong>de</strong>r auf die Erheblichkeit <strong>de</strong>s zugefüg­<br />

ten Scha<strong>de</strong>ns.<br />

Warum aber ist das Unrecht gegen Witwen <strong>und</strong> Waisen, die<br />

allein stehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Verb<strong>und</strong>enheit entbeh­<br />

ren, gemäß christlicher Auffassung eines <strong>de</strong>r schwersten Ver­<br />

brechen? Thomas antwortet darauf (Zu 2), daß diese Sün<strong>de</strong> ein-<br />

schlußweise eine höhere Tugend als die <strong>Gerechtigkeit</strong> verletze,<br />

nämlich die Barmherzigkeit, <strong>und</strong> daß außer<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r zugefügte<br />

Scha<strong>de</strong>n durch die Hilflosigkeit <strong>de</strong>r Verletzten noch wachse.<br />

350


III. Diebstahl <strong>und</strong> Raub<br />

(Fr. 66)<br />

A. DAS EIGENTUMSRECHT<br />

(Art. 1 u. 2)<br />

1. DER STREIT UM DIE AUSLEGUNG DER THOMASISCHEN TEXTE<br />

Nur wenige Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas sind von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>­<br />

nen Kommentatoren so erhitzt umkämpft wor<strong>de</strong>n wie die bei­<br />

<strong>de</strong>n ersten Artikel unserer Frage. Der erste stellt das Besitz- <strong>und</strong><br />

Eigentumsrecht Gottes <strong>de</strong>m <strong>de</strong>s Menschen gegenüber, wobei<br />

Thomas <strong>de</strong>n Ausdruck „Eigentum" mit „Besitz" o<strong>de</strong>r<br />

„Herrschaft" vertauscht (vgl. Anm. [34]). In <strong>de</strong>r ihm eigenen<br />

ontologischen Sicht betrachtet Thomas zunächst <strong>de</strong>n Sachver­<br />

halt <strong>de</strong>s Seins, d. h. die Uber-<strong>und</strong> Unterordnung auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

seinsmäßigen Vollkommenheit <strong>und</strong> Ausrüstung. Gott, <strong>de</strong>r alle<br />

Dinge schaffen <strong>und</strong> in ihrer Substanz verän<strong>de</strong>rn kann, beweist<br />

damit eine absolute Herrschergewalt über jegliches Sein. Er ist<br />

also Eigentümer aller Dinge im vollen<strong>de</strong>tsten Maß. Der Mensch<br />

besitzt solche Machtausrüstung nicht. Man kann daher auch<br />

nicht sagen, daß er die Substanz besäße. Natürlich drängt sich<br />

hier sogleich die Frage auf, ob damit auch gesagt sei, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch die Substanz überhaupt niemals besitze, etwa im Sinne<br />

<strong>de</strong>s Agrarsozialismus, wonach je<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Kultivierung <strong>de</strong>s<br />

Bo<strong>de</strong>ns nur <strong>de</strong>n unmittelbaren Ertrag seiner Arbeit ziehen, nie­<br />

mals aber <strong>de</strong>n Bo<strong>de</strong>n als eigen betrachten kann.<br />

Wenngleich die äußeren Dinge <strong>de</strong>m Menschen nicht in <strong>de</strong>r<br />

Weise unterstellt sind wie Gott, so haben sie ihm doch zu die­<br />

nen, <strong>de</strong>nn „das Unvollkommenere ist immer um <strong>de</strong>s Vollkom­<br />

meneren willen". Der Mensch überragt die übrige sichtbare<br />

Schöpfung durch seine Vernunft, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren er Ebenbild<br />

Gottes ist. Er kann darum die Naturdinge in seinen Dienst neh­<br />

men, soweit er überhaupt an ihnen seine vernunftgemäße<br />

Überlegenheit beweisen kann. Wie aber sieht dieser Dienst <strong>de</strong>r<br />

Dinge aus? Thomas sagt schlicht: Auf Gr<strong>und</strong> seiner Vernunft<br />

<strong>und</strong> seines Willens kann <strong>de</strong>r Mensch die äußeren Dinge „ge­<br />

brauchen". Damit also beweist er seine naturgemäße Herr­<br />

schaft über sie. In diesem Sinne also ist er ihr Eigentümer.<br />

Soweit <strong>de</strong>r erste Artikel.<br />

351


Horväth drückt sich an einer Stelle seines Buches „Eigentumsrecht<br />

nach <strong>de</strong>m hl. Thomas von Aquin" (Graz 1929,56) so<br />

aus, als sehe er im ersten Artikel nicht mehr als das N<strong>utz</strong>recht.<br />

Vom Eigentum im Sinne <strong>de</strong>s Privateigentums sei dann erst im<br />

zweiten Artikel die Re<strong>de</strong>, wo Thomas frage, ob <strong>de</strong>r Mensch die<br />

äußeren Güter auch als Eigentum besitzen dürfe <strong>und</strong> in welcher<br />

Form, als Kollektiv- o<strong>de</strong>r Privateigentum. An<strong>de</strong>rerseits scheint<br />

dann Horväth <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r N<strong>utz</strong>ung, wie er im ersten Artikel<br />

steht, doch wie<strong>de</strong>r nicht in diesem engen Sinn zu verstehen, als<br />

N<strong>utz</strong>ung, die gegen <strong>de</strong>n Besitz streng abgetrennt ist. Sofern er<br />

wirklich unter N<strong>utz</strong>ung ein In-Dienst-Nehmen, soweit es überhaupt<br />

menschenmöglich ist, verstehen wollte, wür<strong>de</strong> er sich <strong>de</strong>r<br />

dritten, noch zu erwähnen<strong>de</strong>n Meinung nähern. Auf je<strong>de</strong>n Fall<br />

entbehren seine Darlegungen <strong>de</strong>r nötigen Präzision.<br />

Der überwiegen<strong>de</strong> Teil <strong>de</strong>r Erklärer sieht im ersten Artikel<br />

bereits das <strong>Recht</strong> auf Eigentum im Sinne <strong>de</strong>s Naturrechts ausgesprochen,<br />

also im Sinn <strong>de</strong>r Frage: Ist Besitz, nicht nur<br />

Gebrauch, von äußeren Gütern für <strong>de</strong>n Menschen naturgemäß?<br />

Und zwar wäre damit zugleich auch das gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>Recht</strong><br />

auf Privateigentum mitverstan<strong>de</strong>n (nicht nur etwa die von Horväth<br />

erwähnte „Eigentums/ä'^'g&eir", son<strong>de</strong>rn das Eigentumsrecht),<br />

<strong>und</strong> zwar im Sinn <strong>de</strong>s mo<strong>de</strong>rnen Individualrechts, so<br />

daß im zweiten Artikel nur noch die soziale Angemessenheit im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls besprochen wür<strong>de</strong>. Es ist dies die<br />

Erklärung, die durchweg von <strong>de</strong>n Autoren gehalten wird,<br />

welche die leoninische Eigentumsauffassung unmittelbar bei<br />

Thomas beheimatet glauben.<br />

Es besteht aber noch die Möglichkeit einer dritten Erklärung,<br />

die besagt, daß Thomas im ersten Artikel überhaupt noch nicht<br />

an <strong>de</strong>n individuellen Menschen <strong>de</strong>nke, son<strong>de</strong>rn an <strong>de</strong>n Menschen<br />

als solchen, an die persona <strong>und</strong> natura humana im allgemeinen,<br />

in welcher <strong>de</strong>r individuelle Mensch nur potentiell ausgesprochen<br />

ist, <strong>und</strong> dann meine, daß in dieser Sicht <strong>de</strong>r Mensch<br />

die Güter ben<strong>utz</strong>en <strong>und</strong> in Dienst nehmen könne, soweit es<br />

überhaupt möglich sei, wobei „Können" zugleich ethisch zu<br />

verstehen ist (nicht rechtlich im Sinn <strong>de</strong>r Abgrenzung von<br />

Mensch zu Mensch). Es kann also nach dieser Erklärung im<br />

Gegensatz zur zweiten, noch keine Re<strong>de</strong> sein von einem<br />

„Naturrecht" auf Privateigentum. Dieses ist zwar gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

nicht ausgeschlossen. Um aber dazu zu gelangen, bedarf es<br />

noch eines langen Weges rechtslogischer Überlegungen, inner-<br />

352


halb <strong>de</strong>ren die soziologische Struktur <strong>de</strong>r Menschheit im Ge­<br />

samten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r jeweiligen Wirtschaft eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle<br />

spielt.<br />

Diese dritte Erklärungsweise <strong>de</strong>s ersten Artikels wird sich<br />

aus geschichtlich zwingen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n als die einzig haltbare<br />

erweisen. Wie wenig Thomas die private Aufteilung <strong>de</strong>r äuße­<br />

ren Güter als naturrechtlich gegeben betrachtet, beweist die<br />

Antwort auf <strong>de</strong>n ersten Einwand im zweiten Artikel, wo er un­<br />

verhohlen sagt, es gebe aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts keine Unter­<br />

scheidung <strong>de</strong>s Besitzes, son<strong>de</strong>rn mehr aufgr<strong>und</strong> menschlicher<br />

Verfügung, <strong>und</strong> das gehöre in <strong>de</strong>n Bereich <strong>de</strong>s gesatzten <strong>Recht</strong>s.<br />

Die drei Grün<strong>de</strong>, welche Thomas im zweiten Artikel für die<br />

Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung anführt, stam­<br />

men sämtlich nicht aus <strong>de</strong>m Bereich, <strong>de</strong>n man heute allgemein<br />

als naturrechtlich bezeichnet. Er sagt hierbei, daß die Verfügung<br />

<strong>und</strong> die Verwaltung besser <strong>und</strong> n<strong>utz</strong>bringen<strong>de</strong>r in privaten<br />

Hän<strong>de</strong>n sei, weil so 1. <strong>de</strong>r Fleiß <strong>de</strong>r Menschen mehr angefacht<br />

wer<strong>de</strong>, als wenn alles gemeinsam sei; 2. die Güter besser behan­<br />

<strong>de</strong>lt wür<strong>de</strong>n, wenn ein je<strong>de</strong>r für sich selbst zu sorgen habe;<br />

3. <strong>de</strong>r Frie<strong>de</strong> in <strong>de</strong>r Gesellschaft sicherer gewährleistet sei.<br />

Was ist mit diesen Grün<strong>de</strong>n gemeint? Etwa die in <strong>de</strong>r christ­<br />

lichen Tradition übliche Formel, daß das Privateigentum<br />

irgendwie eine Sün<strong>de</strong> sei?<br />

L. <strong>de</strong> Sousberghe 1 bringt eine geistreiche Erklärung, die in<br />

manchen Punkten die Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas trifft, aber doch<br />

nicht ganz auf <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong> stößt. Er meint, daß Thomas sowohl<br />

die Gemeinschaft wie die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter naturrechtlich<br />

nenne. Die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter sei <strong>de</strong>r unabdingbare Weg, um<br />

die von <strong>de</strong>r Natur als i<strong>de</strong>al angestrebte Gemeinn<strong>utz</strong>ung zu ver­<br />

wirklichen. Richtig ist, daß die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter nach Tho­<br />

mas (vgl. weiter unten) nicht irgen<strong>de</strong>inem egoistischen Inter­<br />

esse einzelner Besitzer dienen soll, son<strong>de</strong>rn ein soziales Prinzip<br />

ist, um die Gemeinschaft zu stabilisieren. Eine an<strong>de</strong>re Frage<br />

aber ist, ob es Thomas jemals eingefallen wäre, ohne Unter­<br />

scheidung zu erklären, sowohl Gemeinsamkeit als auch Auftei­<br />

lung <strong>de</strong>r Güter seien naturrechtlicher Art. Was Sousberghe aus<br />

Thomas herausliest, ist ohne Zweifel eine aus allgemein thoma­<br />

sischen Prinzipien richtige Folgerung. Es braucht aber dazu<br />

Propriete „<strong>de</strong> Droit naturel". These neo-scolastique et tradition scolastique.<br />

in: Nouvelle Revue Theologique 72 (1950) 580-607.<br />

353


einer gründlichen Entwicklung <strong>de</strong>r Gedanken. Thomas selbst<br />

hätte sich nicht in dieser Weise ausgedrückt. Seinem Denken<br />

entsprach, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r Ansatz beim<br />

Gemeinschaftlichen, nicht beim Privaten. Er mußte also das<br />

Private auf einer an<strong>de</strong>rn Ebene erkennen, d. h. er konnte nicht<br />

im gleichen Sinne <strong>und</strong> auf gleicher Abstraktionsebene das<br />

Gemeinschaftliche <strong>und</strong> das Private als „naturrechtlich" bezeich­<br />

nen.<br />

Wir sind heute gewohnt, das Privateigentum als eine natur­<br />

rechtliche Institution zu bezeichenen. Dabei sind wir uns aber<br />

nicht ganz im klaren, in welcher Weise wir eigentlich von einem<br />

Naturrecht auf Privateigentum sprechen. Diese schon im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Sprachgebrauch unklare Ausdrucksweise übertra­<br />

gen wir nun noch auf das Mittelalter <strong>und</strong> glauben, <strong>de</strong>r hl. Tho­<br />

mas habe dieselbe Lehre vorgetragen wie wir heute.<br />

Um Thomas <strong>und</strong> auch uns selbst zu verstehen, sind zwei<br />

Dinge vorausgesetzt: 1. daß wir unsere mo<strong>de</strong>rne Terminologie<br />

abklären <strong>und</strong> ihre Assoziationen bewußt begreifen; 2. daß wir<br />

die thomasischen Begriffe <strong>und</strong> Denkweisen im Zusammenhang<br />

mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition studieren, <strong>de</strong>nn allein<br />

von dort aus sind sie zu verstehen. Wir wer<strong>de</strong>n uns bei diesen<br />

geschichtlichen Untersuchungen stets bewußt wer<strong>de</strong>n müssen,<br />

wie verschie<strong>de</strong>n die Schauweise <strong>de</strong>r Alten gegenüber unser ist.<br />

2. DAS EIGENTUM ALS NATURRECHT IN DER MODERNEN SCHAUWEISE<br />

Leo XIII. besteht auf <strong>de</strong>r unzwei<strong>de</strong>utigen Formulierung, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch das <strong>Recht</strong> zum Besitz privaten Eigentums von <strong>de</strong>r<br />

Natur erhalten habe. Die dafür angeführten Grün<strong>de</strong> sind<br />

geschichtlich, wie wir sehen wer<strong>de</strong>n, überaus aufschlußreich.<br />

Der Papst führt zunächst drei Grün<strong>de</strong> an: a) die Vernunftnatur<br />

<strong>de</strong>s Menschen, b) die Freiheit <strong>de</strong>s Menschen, c) die Arbeits­<br />

pflicht.<br />

a) Es möchte vielleicht scheinen, daß die bei<strong>de</strong>n ersten Be­<br />

gründungen ungefähr auf das hinauskämen, was Thomas im<br />

ersten Artikel darstellt, wenn er sagt, daß <strong>de</strong>r Mensch „mit Ver­<br />

nunft <strong>und</strong> freiem Willen" die Dinge dieser Welt gebrauche. Der<br />

Zusammenhang, d. h. die gedankliche Assoziation, ist jedoch<br />

ein an<strong>de</strong>rer. Während Thomas im ersten Artikel <strong>de</strong>n Menschen<br />

überhaupt im Auge hat, wie er im Unterschied zu Gott <strong>de</strong>n<br />

äußeren Dingen gegenübersteht, will Leo XIII. hier aus <strong>de</strong>r<br />

354


Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen, wie sie je<strong>de</strong>m Menschen im einzelnen (!)<br />

zukommt, das <strong>Recht</strong> nachweisen, daß <strong>de</strong>r Mensch, besser<br />

gesagt: je<strong>de</strong>r Einzelmensch, die Dinge nicht nur wie die Tiere<br />

gebraucht, son<strong>de</strong>rn besitzt <strong>und</strong> für sich beansprucht. Wir fin<strong>de</strong>n<br />

hier in einem kirchlichen Dokument bereits einen Nie<strong>de</strong>rschlag<br />

<strong>de</strong>r Menschenrechtsi<strong>de</strong>e, wie sie von <strong>de</strong>n englischen Philoso­<br />

phen entwickelt wor<strong>de</strong>n ist, <strong>und</strong> zwar einen Nie<strong>de</strong>rschlag im<br />

guten Sinne, im Sinne <strong>de</strong>r Konkretisierung <strong>de</strong>r abstrakten Frei­<br />

heitsrechte <strong>de</strong>s Mittelalters. Ohne das, was später zu behan<strong>de</strong>ln<br />

ist, vorwegzunehmen, sei doch schon gesagt, daß es Thomas<br />

niemals eingefallen wäre, auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> ein<br />

Freiheitsrecht für <strong>de</strong>n einzelnen zu behaupten, etwa mit <strong>de</strong>r<br />

Erklärung, zuerst habe ein je<strong>de</strong>r einzelne seine naturrechtliche<br />

Freiheit <strong>und</strong> erst, sofern die Ordnung <strong>de</strong>r Gesellschaft gestört<br />

wer<strong>de</strong>, sei an einen Eingriff vom Kollektiv her zu <strong>de</strong>nken im<br />

Sinne <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips. Das Subsidiaritätsprinzip, von<br />

Pius XL im Anschluß an Leo XIII. erarbeitet, wur<strong>de</strong> erst dann<br />

zum notwendigen <strong>und</strong> „naturrechtlichen" Formprinzip <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft, nach<strong>de</strong>m man die abstrakte Philosophie vom<br />

Menschen in <strong>de</strong>n konkreten <strong>und</strong> kontingenten Bereich <strong>de</strong>r exi­<br />

stentiellen Ordnung herabgeholt hatte, nach<strong>de</strong>m man gelernt<br />

hatte, mit <strong>de</strong>m, was Thomas eigentlich schon ausgesprochen,<br />

aber in <strong>de</strong>r Gesellschaftslehre noch nicht durchgeführt hatte,<br />

Ernst zu machen, nämlich das Naturrecht als eine For<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r hier <strong>und</strong> jetzt leben<strong>de</strong>n menschlichen Natur—<strong>und</strong> nicht nur<br />

Natur, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>s hier <strong>und</strong> jetzt leben<strong>de</strong>n konkreten Men­<br />

schen — zu betrachten. Damit kommen wir von selbst in <strong>de</strong>n<br />

Bereich <strong>de</strong>s Individuums, zum Aufbau <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> auch wirtschaftlichen Ordnung vom Privaten her. Aller­<br />

dings achte man auf die Akzentverschiebung: Dieses Natur­<br />

recht bewegt sich nicht mehr auf jener Ebene <strong>de</strong>r Abstraktion<br />

<strong>und</strong> Allgemeinheit, welche <strong>de</strong>r erste Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas ein­<br />

hält. Diese Entwicklung, die durchaus sachlich richtig ist, stand<br />

unmerklich unter <strong>de</strong>m Einfluß <strong>de</strong>r Liberalisten, die <strong>de</strong>r ameri­<br />

kanischen Verfassung ihren Begriff <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> gege­<br />

ben haben. Die katholische Doktrin hat durch <strong>de</strong>n Einbau <strong>de</strong>r<br />

sozialen For<strong>de</strong>rungen, beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>s<br />

Eigentums, die dann Pius XL stärker hervorhob, die Irrtümer<br />

<strong>de</strong>s liberalen Denkens vermie<strong>de</strong>n <strong>und</strong> überw<strong>und</strong>en.<br />

b) Das zweite Argument, das Leo XIII. zugunsten <strong>de</strong>r natur­<br />

rechtlichen Begründung <strong>de</strong>s Privateigentums anführt, beweist<br />

355


66. 1/2 noch <strong>de</strong>utlicher, wie sehr sich die Anschauungen über <strong>de</strong>n Men­<br />

schen in <strong>de</strong>r Gemeinschaft entwickelt haben. Der Mensch wird<br />

als frei bezeichnet. Dabei ist zu beachten, es han<strong>de</strong>lt sich um<br />

je<strong>de</strong>n Menschen, nicht nur um <strong>de</strong>n Menschen an sich Gott ge­<br />

genüber, son<strong>de</strong>rn um <strong>de</strong>n Menschen unter Menschen. In diesem<br />

Sinne versteht Leo XIII. seine Worte: „Da <strong>de</strong>r Mensch mit sei­<br />

nem Denken unzählige Gegenstän<strong>de</strong> umfaßt, mit <strong>de</strong>n gegen­<br />

wärtigen die zukünftigen verbin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> Herr seiner Handlun­<br />

gen ist, so bestimmt er unter <strong>de</strong>m ewigen Gesetz <strong>und</strong> unter <strong>de</strong>r<br />

allweisen Vorsehung Gottes sich selbst nach freiem Ermessen.<br />

Es liegt darum in seiner Macht, unter <strong>de</strong>n Dingen die Wahl zu<br />

treffen, die er zu seinem eigenen Wohl nicht allein für die<br />

Gegenwart, son<strong>de</strong>rn auch für die Zukunft als die ersprießlichste<br />

erachtet. Hieraus folgt: es müssen <strong>Recht</strong>e erworben wer<strong>de</strong>n<br />

können, nicht bloß auf Erzeugnisse, son<strong>de</strong>rn auch auf Eigen­<br />

tum am Bo<strong>de</strong>n selbst; <strong>de</strong>nn was <strong>de</strong>m Menschen sichere Aus­<br />

sicht auf künftigen Fortbestand seines Unterhalts verleiht, das<br />

ist nur <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n mit seiner Produktionskraft" (Rerum nova­<br />

rum, 6).<br />

Die Frage nach <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> auf Bo<strong>de</strong>nerwerb ist für uns au­<br />

genblicklich belanglos. Worauf es ankommt, ist zu zeigen, wie<br />

stark das Eigentumsrecht vom kontingenten Individuum her<br />

aufgefaßt wird. Der Mensch hat, so erklärt Leo XIII., erwor­<br />

bene <strong>Recht</strong>e auf bestimmte äußere Dinge, <strong>und</strong> diese erworbe­<br />

nen <strong>Recht</strong>e wer<strong>de</strong>n im Sinne von Naturrechten verstan<strong>de</strong>n, weil<br />

aus <strong>de</strong>r Freiheit <strong>de</strong>s Menschen folgend. „Der Mensch ist älter als<br />

<strong>de</strong>r Staat, <strong>und</strong> darum besaß er das <strong>Recht</strong> auf Erhaltung seines<br />

körperlichen Daseins, ehe es einen Staat gegeben hat" (Rerum<br />

novarum, a. a. O.). Es wird hier von Eigenrechten <strong>de</strong>s Individu­<br />

ums gegenüber „seinem" Staat gesprochen. Das will heißen: es<br />

geht nicht um <strong>de</strong>n Menschen als solchen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Staat als sol­<br />

chen, son<strong>de</strong>rn es geht um <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r in einem<br />

bestimmten Staate lebt. Denn nur in diesem Sinne gilt, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch vorher da war, „ehe es einen Staat gegeben hat". Es ist<br />

überaus bezeichnend für das mo<strong>de</strong>rne Denken, daß nicht mehr<br />

über die politische Gemeinschaft als solche philosophiert wird,<br />

son<strong>de</strong>rn über <strong>de</strong>n Staat, wie er nun einmal besteht, wie er<br />

gewor<strong>de</strong>n ist <strong>und</strong> wie er auch wie<strong>de</strong>r vergehen kann. Vor diesem<br />

Staat war <strong>de</strong>r Mensch! Und zwar <strong>de</strong>r Mensch mit <strong>Recht</strong>en, die<br />

seinem persönlichen, kontingenten, eben seinem frei gewollten<br />

Schaffen zu verdanken sind.<br />

356


Auch Thomas hat zwar von <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>s Einzelmenschen<br />

gesprochen, die <strong>de</strong>r Staat zu beachten hat. So spricht er vom<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Menschen auf Leben, das vom Staat nicht angetastet<br />

wer<strong>de</strong>n darf, vom <strong>Recht</strong> auf Unversehrtheit <strong>de</strong>s Leibes, auf<br />

Freiheit usw. (vgl. Fr. 64 u. 65). Diese <strong>Recht</strong>e sind also auch<br />

„vor"-staatliche <strong>Recht</strong>e, insofern sie nicht durch das positive<br />

<strong>Recht</strong> gesetzt sind. Und doch han<strong>de</strong>lt es sich dabei nicht um<br />

vorstaatliche <strong>Recht</strong>e in <strong>de</strong>m Sinne, wie die mo<strong>de</strong>rne Formulie­<br />

rung von vorstaatlichen <strong>Recht</strong>en spricht. Es sind <strong>Recht</strong>san­<br />

sprüche <strong>de</strong>s einzelnen Menschen gegenüber <strong>de</strong>m Staat, an <strong>de</strong>s­<br />

sen Entstehung <strong>und</strong> Wer<strong>de</strong>n nicht gedacht wird <strong>und</strong> überhaupt<br />

nicht gedacht wer<strong>de</strong>n kann, weil er bereits in <strong>de</strong>r natura humana<br />

mitgegeben ist.<br />

Und wie <strong>de</strong>r Staat verschie<strong>de</strong>n gesehen ist, so auch das Indi­<br />

viduum. In <strong>de</strong>r thomasischen Sicht ist hier unter Individuum<br />

je<strong>de</strong>r Mensch in gleicher Weise zu verstehen, weil ein je<strong>de</strong>r<br />

gleichviel Mensch ist. In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Sicht ist damit je<strong>de</strong>r Ein­<br />

zelmensch differenziert gesehen mit seiner individuellen Lei­<br />

stung, mit allen kontingenten Ansprüchen, die irgendwie <strong>de</strong>n<br />

Stempel <strong>de</strong>s Persönlichen tragen (Besitz aus Erbschaft,<br />

Geschenk). All diese <strong>Recht</strong>e sind für uns Mo<strong>de</strong>rne nicht nur<br />

<strong>Recht</strong>e gegenüber <strong>de</strong>m Staat, son<strong>de</strong>rn „Naturrechte", die vor<br />

<strong>de</strong>r Bildung <strong>de</strong>s Staates liegen. Man merkt hier <strong>de</strong>utlich die<br />

Nachwirkungen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s 18. <strong>und</strong> 19. Jahr­<br />

h<strong>und</strong>erts, <strong>de</strong>r die Menschenrechte im wahren Sinne Freiheits­<br />

rechte waren, Freiheit von Zwang, vom Eingriff durch staatliche<br />

Herrschaft. Wir stehen also — wenigstens im Ansatz <strong>de</strong>s Den­<br />

kens — in einem gewissen Liberalismus <strong>und</strong> Individualismus. Es<br />

gibt nun einmal, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, von jenem <strong>Recht</strong><br />

her, das auf <strong>de</strong>r abstrakten natura humana aufruht, für je<strong>de</strong> kon­<br />

krete <strong>Recht</strong>sordnung nur die Alternative: entwe<strong>de</strong>r beginnt<br />

man beim Kollektiv <strong>und</strong> sucht von hier aus <strong>de</strong>n Weg zur Wah­<br />

rung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e eines je<strong>de</strong>n, o<strong>de</strong>r man beginnt beim Indivi­<br />

duum <strong>und</strong> achtet weitblickend auf eventuelle Gefährdung <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft. Aber ein Ordnungsprinzip muß man immer<br />

haben. Weltanschaulich, d. h. philosophisch gibt es nur diese<br />

bei<strong>de</strong>n Möglichkeiten: im Ansatz (!), d. h. vom Strukturprinzip<br />

her ist man entwe<strong>de</strong>r Kollektivist o<strong>de</strong>r Individualist. Damit ist<br />

keineswegs gesagt, daß es dabei bleiben müsse o<strong>de</strong>r dürfe. Es<br />

geht nur um <strong>de</strong>n Ansatz <strong>de</strong>s konkreten Gemeinschafts<strong>de</strong>nkens.<br />

Die Fülle <strong>de</strong>r Gemeinschaftsordnung kann niemals im Kollektiv<br />

357


<strong>und</strong> auch nicht im Individualistischen liegen. Wer die Gemein­<br />

schaft als <strong>de</strong>n letzten Sinn menschlichen Zusammenlebens<br />

ansieht (<strong>und</strong> nicht vielmehr das „gute Leben" im Sinne <strong>de</strong>r ethi­<br />

schen Vollkommenheit aller), <strong>de</strong>r ist Kollektivist im üblen<br />

Sinne, <strong>und</strong> wer die Freiheit <strong>de</strong>s Individuums nicht nur als Struk­<br />

turprinzip, son<strong>de</strong>rn auch als das Gesetz <strong>de</strong>r Erfüllung allen Zu­<br />

sammenlebens bezeichnen wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>r wäre Individualist <strong>und</strong><br />

Liberalist im üblen Sinne. Im Individualismus <strong>und</strong> Liberalis­<br />

mus liegt aber etwas, was die katholische Sozialdoktrin ruhig<br />

übernehmen konnte, weil es im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res war als<br />

die Konsequenz aus großen, im mitteralterlichen Denken noch<br />

nicht entwickelten, aber vorhan<strong>de</strong>nen Sozialprinzipien. Aller­<br />

dings liegt auch im Kollektivismus etwas zu Erwägen<strong>de</strong>s, nicht<br />

zwar, daß er Strukturprinzip sei, aber daß er Rahmengebil<strong>de</strong> sei<br />

gegen das Überwuchern <strong>de</strong>s Individuums.<br />

Thomas hat, wie wir noch sehen wer<strong>de</strong>n, das Individualprin-<br />

zip als angemessen <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Stand <strong>de</strong>r Dinge entsprechend<br />

bezeichnet (Art. 2). Er hat aber nicht daran gedacht, daraus eine<br />

Naturrechtsfrage zu machen. Dies lag seiner ethisch-finalen<br />

Betrachtung fern, in welcher <strong>de</strong>r aristotelische Gedanke gilt:<br />

„Der Staat ist <strong>de</strong>r Natur nach früher als die Familie <strong>und</strong> als <strong>de</strong>r<br />

einzelne Mensch, weil das Ganze früher sein muß als <strong>de</strong>r Teil"<br />

(Pol. 1,2). Für Thomas lag kein Gr<strong>und</strong> vor, von dieser ethisch­<br />

finalen Sicht abzugehen, weil <strong>de</strong>r Aufbau, also das aktuelle<br />

Gestalten von Gesellschaft <strong>und</strong> Staat, nicht zur Debatte stand.<br />

Die Gesellschaft bestand bereits in fester Ordnung, <strong>de</strong>r Staat<br />

war eine Gegebenheit. Die Ordnung, die da war, wur<strong>de</strong> nicht in<br />

Frage gestellt. Wir wer<strong>de</strong>n dies wie<strong>de</strong>rum bei <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Auffassung von <strong>de</strong>r Preisbildung sehen. Es ging also <strong>de</strong>r prakti­<br />

schen Moral nur darum, die Menschen, die nun einmal in <strong>de</strong>m<br />

bestehen<strong>de</strong>n Staatsgebil<strong>de</strong> lebten, zu unterrichten, damit sie ihr<br />

Benehmen entsprechend <strong>de</strong>r ewigen I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Gemeinschaftslebens in eben dieser ihrer Gemeinschaft<br />

einrichteten. Aber Thomas dachte nicht an eine Umformung<br />

<strong>de</strong>s sozialen <strong>und</strong> politischen Lebens. Die soziale Revolution<br />

fällt in eine spätere Zeit. Und mit ihr war dann auch die recht­<br />

liche Frage <strong>de</strong>s Aufbaus gegeben. Mit ihr ergab sich das Indivi-<br />

dualprinzip als ein „vorstaatliches" <strong>Recht</strong>sprinzip, als ein Prin­<br />

zip <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

c) Als dritten Gr<strong>und</strong> für das Privateigentum als Naturrecht<br />

führt Leo XIIL. die Arbeit an. Der Papst spricht also nicht nur<br />

358


von einem <strong>Recht</strong> auf irgendwelchen Eigentumserwerb, son<strong>de</strong>rn 66. 1/2<br />

erklärt jene Dinge als naturrechtlich <strong>de</strong>m Einzelmenschen<br />

zugehörig, die dieser sich selbst erarbeitet hat. Damit wird also<br />

irgen<strong>de</strong>ine konkrete Aufteilung als naturrechtlich im Sinn von<br />

vorstaatlich bezeichnet, weil die Arbeit ein Naturrecht auf<br />

Eigentum erzeugt. Kann man ein<strong>de</strong>utiger das Individualprinzip<br />

zum Ausgangspunkt sozialen Aufbaus machen? Leo umgeht<br />

weise, wie bereits gesagt, die Gefahren <strong>de</strong>s Individualismus<br />

durch die Unterstellung dieses „Naturrechts" unter die Belange<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls. Noch eindringlicher dann Pius XL in „Qua-<br />

dragesimo anno".<br />

L. <strong>de</strong> Sousberghe hat die Ansicht geäußert, daß die Begrün­<br />

dung <strong>de</strong>s Eigentumsrechts durch die Arbeit von Locke beein-<br />

flußt sei; weiter, daß diese Formel im thomasischen Denken<br />

überhaupt unvorstellbar gewesen sei: „Der Reichtum wur<strong>de</strong><br />

durch die Mittelalterlichen niemals als Frucht <strong>de</strong>r Arbeit, als<br />

gerechte Vergütung für die Arbeit aufgefaßt. Er war vielmehr<br />

normalerweise das Resultat einer rechtlichen Situation, welche<br />

das Individuum bei seiner Geburt als gegeben vorfand"<br />

(a.a.O. 590).<br />

Dies stimmt nun nicht ganz. Denn Thomas hat <strong>de</strong>r Arbeit<br />

eine ungeheure Be<strong>de</strong>utung im Eigentumserwerb zugesprochen,<br />

wenngleich wohl nicht jene, welche manche Vertreter <strong>de</strong>r<br />

Arbeitswertlehre ihm unterschieben (vgl. die Fragen 77 <strong>und</strong><br />

78). Wohl aber wäre Thomas niemals daraufgekommen, das<br />

durch Arbeit naturrechtlich erworbene Eigentum als „vorstaat­<br />

lich" zu bezeichnen, eben aus <strong>de</strong>r allgemeinen Sicht heraus, die<br />

für Thomas maßgebend war. Das eigentlich Neue o<strong>de</strong>r Revolu­<br />

tionäre an <strong>de</strong>r Lockeschen Auffassung liegt eben darin, daß die<br />

Arbeit als individuelle Leistung gegen die Eingriffe von seiten<br />

<strong>de</strong>s Staates völlig immun gemacht wird. Darin liegt auch das<br />

eigentlich individualistische Gepräge <strong>de</strong>r Lockeschen Theorie.<br />

Diese hatte, wie P. Larkin (Property in the eigtheenth Century,<br />

1930) ausgeführt hat, ihren Nährbo<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r neuen sozialen<br />

Situation Englands, im Konflikt, welchen die neuen gesell­<br />

schaftlichen Schichten unter <strong>de</strong>n Stuarts auszustehen hatten.<br />

Taparelli SJ. hat durch sein Werk „Saggio teoretico di diritto<br />

naturale appogiato sul fatto" (Palermo 1840, <strong>de</strong>utsch in Regens­<br />

burg bereits 1845) diese individualistische Anschauung <strong>de</strong>s Pri­<br />

vateigentums unter <strong>de</strong>n katholischen Moraltheologen schulge­<br />

recht gemacht. Im gleichen Sinne schrieb auch sein Or<strong>de</strong>nsmit-<br />

359


66. 1/2 bru<strong>de</strong>r Liberatore (Ethicae et juris naturae elementa, Napoli<br />

1846). Taparelli, <strong>de</strong>r als Erneuerer <strong>de</strong>r Scholastik gilt, kannte die<br />

Scholastiker kaum, dafür aber um so mehr seine liberalistischen<br />

Zeitgenossen. Doch darf man <strong>de</strong>n Einfluß Taparellis nicht über­<br />

schätzen, <strong>de</strong>nn die individualistische I<strong>de</strong>e vom Privateigentum<br />

als einem Naturrecht dieses o<strong>de</strong>r jenes Einzelmenschen gegen­<br />

über <strong>de</strong>m Staate entsprach durchweg <strong>de</strong>r allgemeinen Auffas­<br />

sung <strong>de</strong>r Menschenrechte als Freiheitsrechte, d. h. als <strong>Recht</strong>e, die<br />

von seiten <strong>de</strong>r Gemeinschaft unantastbar sind. Das Privateigen­<br />

tum als vorstaatliches Naturrecht war <strong>de</strong>r Refrain aller, auch<br />

<strong>und</strong> beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>r katholischen Liberalisten. Mit welchem<br />

skeptischen Achselzucken wur<strong>de</strong> doch im Jahre 1891 die Lehre<br />

Leos XIII., daß <strong>de</strong>r Staat in die bestehen<strong>de</strong> Eigentumsordnung<br />

eingreifen könne, bei katholischen Unternehmern aufgenom­<br />

men! Geschichtlich gesehen, war die geistige Verbindung zu<br />

Thomas von Aquin abgebrochen. Die Verfechter <strong>de</strong>s Privat­<br />

eigentums als eines Naturrechts, in diesem verwan<strong>de</strong>lten Sinn<br />

individuellen Freiheitsrechts, hatten selbst keine innere Bezie­<br />

hung zu Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Mittelalter. Dies gilt auch <strong>und</strong> gera<strong>de</strong><br />

von Taparelli.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch steht <strong>de</strong>r Liberalismus in einem objektiven<br />

inneren Verhältnis zur Tradition, 2 insofern er eine, allerdings<br />

einseitige Entfaltung von gesellschaftsethischen Gr<strong>und</strong>sätzen<br />

<strong>de</strong>s Mittelalters in einer neuen weltanschaulichen <strong>und</strong> religiösen<br />

Umwelt darstellt. Als die Gesellschaft sich nicht mehr an Rom<br />

orientierte, verschwand die Autorität, welche als gotterwählte<br />

Deuterin <strong>de</strong>s Naturrechts galt. Es mußte notgedrungen jene<br />

Instanz in Kraft treten, welche die „naturgemäße" war, nämlich<br />

die Vernunft. Allerdings war es diesmal nicht mehr die Vernunft<br />

<strong>de</strong>r natura humana als solche, an welche Thomas noch dachte,<br />

son<strong>de</strong>rn die Vernunft eines je<strong>de</strong>n einzelnen, weil keiner von<br />

Natur zum Richter über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn bestellt wur<strong>de</strong>. Die Wür<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>s Menschen konnte nur noch verteidigt wer<strong>de</strong>n durch <strong>de</strong>n<br />

Menschen selbst, <strong>de</strong>r sie trug, d. h. durch <strong>de</strong>n einzelnen.<br />

Diese notwendige Folge eines weltanschaulichen Wan<strong>de</strong>ls in<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft fand ihre Formulierung in <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Erklärungen <strong>de</strong>r Freiheitsrechte, sowohl in Amerika wie in<br />

2 Die Beziehung <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre zum Liberalismus behan<strong>de</strong>lt<br />

A. Rauscher, Katholische Soziallehre <strong>und</strong> liberale Wirtschaftsauffassung, in:<br />

A.Rauscher, Hrg., Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin 1985, 279—318.<br />

360


Europa. Im Gr<strong>und</strong>e war diese Sicht nichts an<strong>de</strong>res als eine kon- 66. 1/2<br />

sequente Anwendung <strong>de</strong>r thomasischen Lehre von <strong>de</strong>r Ver­<br />

nunft als <strong>de</strong>r entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Richterin in Naturrechtsfragen<br />

auf eine konkrete gesellschaftliche Situation. Die Liberalisten<br />

hätten nur <strong>de</strong>n naturrechtlichen Gegenpol <strong>de</strong>s Individuums<br />

nicht übersehen dürfen: die Gemeinschaft mit ihrer positiven<br />

Kulturaufgabe. Und ebenso hätten die Verfasser <strong>de</strong>r scholasti­<br />

schen Handbücher die Rückorientierung an <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Eigentumslehre früher vornehmen müssen, um die soziale<br />

Belastung als noch tiefer im Naturrecht verankert zu erkennen<br />

als das vorstaatliche Individualrecht; dann wäre wohl die<br />

Enzyklika „Rerum novarum" früher vorbereitet wor<strong>de</strong>n.<br />

d) Die drei erwähnten Grün<strong>de</strong> für das Privateigentum als<br />

Naturrecht wer<strong>de</strong>n von Leo XIII. noch durch zwei an<strong>de</strong>re<br />

ergänzt, die nicht auf <strong>de</strong>rselben Linie stehen wie die drei<br />

genannten <strong>und</strong> auch unter sich ansehnliche Verschie<strong>de</strong>nheiten<br />

aufweisen.<br />

Der erste <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n geht auf das Naturrecht eines je<strong>de</strong>n<br />

Menschen zurück, in freier Entscheidung eine Familie grün<strong>de</strong>n<br />

zu können: „Wenn je<strong>de</strong>m Menschen, wie gezeigt wur<strong>de</strong>, als<br />

Einzelwesen die Natur das <strong>Recht</strong>, Eigentum zu besitzen, verlie­<br />

hen hat, so muß sich dieses <strong>Recht</strong> auch im Menschen, insofern<br />

er Haupt einer Familie ist, fin<strong>de</strong>n. Ja, das <strong>Recht</strong> besitzt im Fami­<br />

lienhaupte noch mehr Energie, weil <strong>de</strong>r Mensch sich im häus­<br />

lichen Kreise gleichsam aus<strong>de</strong>hnt" (Rerum novarum, 9). Es<br />

wird hier im Namen einer vorstaatlichen Gesellschaft etwas<br />

proklamiert, das die Unabhängigkeit vom Staate garantieren<br />

soll. Der Familienvater soll frei sein von je<strong>de</strong>r Bevorm<strong>und</strong>ung<br />

durch <strong>de</strong>n Staat, er soll darum die Gemeinschaft, die er gegrün­<br />

<strong>de</strong>t hat, auf weite Sicht wirtschaftlich abstützen können. Er soll<br />

nicht nur selbst Eigentum im Namen <strong>de</strong>r Familie als sein eige­<br />

nes <strong>Recht</strong> betrachten dürfen, son<strong>de</strong>rn auch über seine Lebens­<br />

zeit hinweg die Familie als wirtschaftlich freie Gemeinschaft<br />

sichern dürfen, in<strong>de</strong>m er ihr Eigentum als Erbschaft hinterläßt.<br />

Auffallend ist hier, daß zwischen Individuum <strong>und</strong> Staat nun ein<br />

gesellschaftliches Element auftaucht, welches ebenfalls eine Au­<br />

tonomie besitzt. Pius XL wird diesen unpolitischen gesell­<br />

schaftlichen Raum noch mehr ausbauen in seiner Lehre von <strong>de</strong>r<br />

berufsständischen Ordnung. All das zeigt, wie weit wir von <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Sicht abrücken, abrücken nicht im Sinne von<br />

„wi<strong>de</strong>rsprechen", son<strong>de</strong>rn von entwickeln <strong>und</strong> entfalten. Tho-<br />

361


66. 1/2 mas hatte in seiner finalbetonten, d. h. ethisch-i<strong>de</strong>alen Auffas­<br />

sung <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung noch keinen autonomen<br />

Raum einräumen können. Man kann sich diese neue Sicht <strong>de</strong>s<br />

Staatlichen von <strong>de</strong>m vorstaatlichen <strong>Recht</strong> her nicht genug klar­<br />

machen, um davor bewahrt zu wer<strong>de</strong>n, Thomastexte, die sich<br />

irgendwie mit <strong>de</strong>m Problem <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Einzel­<br />

menschen befassen, genau so, wie sie lauten, auf mo<strong>de</strong>rne<br />

Fragestellungen zu übertragen. Die ungeheure geistesge­<br />

schichtliche Entwicklung spiegelt etwa folgen<strong>de</strong>r Passus aus<br />

„Rerum novarum" (9) wi<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>n wir uns niemals in dieser Fas­<br />

sung in <strong>de</strong>r Summa <strong>de</strong>s hl. Thomas vorstellen könnten: „Die<br />

Familie, die häusliche Gesellschaft, ist eine wahre Gesellschaft<br />

mit allen <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>rselben, sie ist älter als jegliches an<strong>de</strong>re<br />

Gemeinwesen, <strong>und</strong> <strong>de</strong>shalb besitzt sie unabhängig vom Staate<br />

ihre innewohnen<strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Pflichten."<br />

Das heißt an<strong>de</strong>rerseits nicht, daß er die gesellschaftliche<br />

Ordnung zur politischen erklärt habe. Aristoteles folgend<br />

erkannte er gesellschaftliche Gebil<strong>de</strong> innerhalb <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls <strong>und</strong> die Notwendigkeit von nicht-staatlichen Hand­<br />

lungsbereichen. In <strong>de</strong>r Frage, wer für die Bestimmung <strong>de</strong>r Reli­<br />

gion <strong>de</strong>s Kin<strong>de</strong>s zuständig sei, sprach er sich für das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Eltern, nicht etwa wie Johannes Duns Skotus für das <strong>de</strong>s Fürsten<br />

aus. 3 Seine Argumente für das Privateigentum weisen ebenfalls<br />

auf die Wertschätzung <strong>de</strong>r persönlichen Verantwortung gegen­<br />

über kollektiven Eingriffen hin. All das ist aber gesehen vom<br />

wertgefüllten <strong>und</strong> strukturierten Gemeinwohl aus. Dieses<br />

erklärt er gegen Aristoteles als vorstaatlich, d. h. <strong>de</strong>n Staat bin­<br />

<strong>de</strong>nd. 4 Der Ansatz seiner Sozialphilosophie ist das Gemein­<br />

wohl, von <strong>de</strong>m aus er zu <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en vorstößt,<br />

nicht umgekehrt wie im mo<strong>de</strong>rnen rechtsstaatlichen Denken<br />

von <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en zum Gemeinwohl, <strong>de</strong>r sogenann-<br />

ten „sozialen Belastung".<br />

e) Der zweite <strong>de</strong>r noch beigefügten Grün<strong>de</strong> für das Privatei­<br />

gentum <strong>und</strong> gegen das Kollektivsystem hat eine eigene<br />

Bewandtnis^ Er sieht nämlich vom vorstaatlichen <strong>Recht</strong>, wie es<br />

bisher besprochen wur<strong>de</strong>, ab <strong>und</strong> betrachtet das gesellschaft­<br />

liche Ordnungsganze: „Aber sieht man selbst von <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit ab, so ist ebensowenig zu leugnen, daß dieses<br />

3 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil III, 131.<br />

4 Vgl. A.F.Utz, Sozialethik, Teil I, 202.<br />

362


System in allen Schichten <strong>de</strong>r Gesellschaft Verwirrung herbei­<br />

führen wür<strong>de</strong>. Eine unerträgliche Beengung aller, eine skla­<br />

vische Abhängigkeit wür<strong>de</strong> die Folge <strong>de</strong>s Versuchs seiner<br />

Anwendung sein. Es wür<strong>de</strong> gegenseitiger Mißgunst, Zwietracht<br />

<strong>und</strong> Verfolgung Tür <strong>und</strong> Tor geöffnet. Mit <strong>de</strong>m Wegfall <strong>de</strong>s<br />

Ansporns zu Strebsamkeit <strong>und</strong> Fleiß wür<strong>de</strong>n auch die Quellen<br />

<strong>de</strong>s Wohlstands versiegen. Aus <strong>de</strong>r eingebil<strong>de</strong>ten Gleichheit<br />

aller wür<strong>de</strong> nichts an<strong>de</strong>res als <strong>de</strong>rselbe klägliche Zustand <strong>de</strong>r<br />

Entwürdigung aller" (Rerum novarum, 12). Damit wer<strong>de</strong>n im<br />

wesentlichen die von Thomas in Art. 2 angeführten drei Ange-<br />

messenheits- <strong>und</strong> Notwendigkeitsgrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r privaten Eigen­<br />

tumsordnung genannt, allerdings mit <strong>de</strong>r Beimischung <strong>de</strong>r<br />

bereits dargestellten Lehre <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> im mo<strong>de</strong>rnen<br />

Sinn <strong>de</strong>r Individualrechte. Die soziale Ordnung verlangt <strong>de</strong>n<br />

Ansatz beim Individuum. Das Individualprinzip ist darum in<br />

Wahrheit ein Sozialprinzip. Dies hat nichts mit <strong>de</strong>m wirtschaft­<br />

lichen Automatismus <strong>de</strong>r Liberalisten zu tun, als ob das wirt­<br />

schaftliche Gleichgewicht ein Resultat <strong>de</strong>r ungeregelten wirt­<br />

schaftlichen Freiheit sei. Im Individualismus <strong>und</strong> Liberalismus<br />

ist das Individualprinzip nicht nur ein Sozialprinzip im Sinn<br />

einer Gr<strong>und</strong>norm, nicht nur Ansatz <strong>und</strong> Ausgangspunkt <strong>de</strong>s<br />

Sozial<strong>de</strong>nkens, Prinzip also im eigentlichen Sinn von princi-<br />

pium = Anfang, son<strong>de</strong>rn auch En<strong>de</strong>, Vollendung <strong>de</strong>r wirtschaft­<br />

lichen <strong>und</strong> sozialen Ordnung.<br />

Mit <strong>de</strong>m Augenblick, da <strong>de</strong>r Nachweis erbracht ist, daß das<br />

Individualprinzip um <strong>de</strong>r sozialen Ordnung willen gefor<strong>de</strong>rt<br />

ist, kann man mit <strong>Recht</strong> die Menschenwür<strong>de</strong>, wie sie auf <strong>de</strong>r<br />

Linie <strong>de</strong>r natura humana als solcher für je<strong>de</strong>n Menschen<br />

zunächst in gleicherweise gilt, in die konkrete Situation weiter­<br />

<strong>de</strong>nken <strong>und</strong> auf dieser lebensnäheren Basis zum Naturrecht<br />

erklären. Dies hat Leo XIII. getan. Dazu war die Zeit <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas noch nicht reif. Es bedurfte hierzu <strong>de</strong>r sozialen Revolu­<br />

tion, wie sie die Industrialisierung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Liberalismus mit<br />

sich brachten. Bei Thomas fin<strong>de</strong>n sich aber alle dazu notwendi­<br />

gen Denkelemente.<br />

f) Johannes Paul II. verweist in <strong>de</strong>r Enzyklika Laborem exer­<br />

cens (15) auf die Eigentumslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas (II—II 66,2,<br />

nicht, wie es in verschie<strong>de</strong>nen Ausgaben heißt, II—II 65,2). Er<br />

gibt ihr aber eine ganz eigene Interpretation. Die logische Folge<br />

seiner Darlegung ist folgen<strong>de</strong>: l.die Produktionsmittel sind<br />

wesentlich bezogen auf die arbeiten<strong>de</strong> Person, 2. die Mißach-<br />

363


tung dieses Bezuges hat wirtschaftliche <strong>und</strong> gesellschaftliche,<br />

überhaupt allgemein menschliche Schä<strong>de</strong>n zur Folge. Für das<br />

zweite Glied dieses Gedankenprozesses wird die Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas angeführt. Daß die volle Beachtung <strong>de</strong>s personalen<br />

Wertes <strong>de</strong>m Wirtschaftssystem <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Produktionsprozeß<br />

nur zum Vorteil gereiche, sei, so sagt <strong>de</strong>r Papst (Nr. 15), vor<br />

allem <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>r nach <strong>de</strong>m hl. Thomas von Aquin für das<br />

Privateigentum spreche.<br />

Thomas hat sein Argument zugunsten <strong>de</strong>r privaten Eigen­<br />

tumsordnung nicht mit <strong>de</strong>m Bezug Produktionsmittel —Arbeit<br />

begonnen, son<strong>de</strong>rn mit <strong>de</strong>r Relation Produktionsmittel zur<br />

Produktivität <strong>und</strong> <strong>de</strong>m sozialen Frie<strong>de</strong>n. Ihm kam es in erster<br />

Linie auf die objektive Seite <strong>de</strong>r Arbeit, genauer: <strong>de</strong>r Disposi­<br />

tionsgewalt über die Produktionsmittel im Hinblick auf die<br />

objektiven Folgen an: Das gottgewollte Ziel, nämlich <strong>de</strong>ren<br />

produktivste Verwendung zum Besten aller, wird sicherer<br />

erreicht, wenn <strong>de</strong>r einzelne Mensch Eigentümer ist <strong>und</strong> damit<br />

hautnah die Konsequenzen unproduktiven Umgangs mit <strong>de</strong>n<br />

Gütern spürt (Risikobindung). Dies heißt natürlich, daß <strong>de</strong>r<br />

personale Bezug <strong>de</strong>r Produktionsmittel zum Menschen her­<br />

gestellt wer<strong>de</strong>n muß. Der Bezug zum arbeiten<strong>de</strong>n Menschen ist<br />

hierbei miteingeschlossen. Gemeint ist aber gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>de</strong>r<br />

personale Bezug zum disponieren<strong>de</strong>n, verwalten<strong>de</strong>n Men­<br />

schen, <strong>de</strong>r nach Thomas nur als Eigentümer begriffen wer<strong>de</strong>n<br />

kann. Ein vom Gemeineigentum beherrschtes Wirtschaftssy­<br />

stem wäre keine Ordnung, wie sie Thomas vorsieht. Die mög­<br />

lichste Annäherung <strong>de</strong>r Produktionsmittel an <strong>de</strong>n Arbeiter im<br />

Sinn <strong>de</strong>r Partizipation an <strong>de</strong>r Leitung gälte gemäß Thomas als<br />

Kompromißfor<strong>de</strong>rung an ein System, das gr<strong>und</strong>sätzlich auf<br />

<strong>de</strong>m Gemeineigentum grün<strong>de</strong>t, damit wenigstens soviel<br />

erreicht wür<strong>de</strong>, daß <strong>de</strong>r Arbeiter das Bewußtsein gewänne, „in<br />

eigener Sache" zu arbeiten.<br />

Warum diese Akzentverschiebung in <strong>de</strong>r Eigentumslehre<br />

Johannes Pauls II. im Vergleich zu Thomas von Aquin <strong>und</strong> auch<br />

zu Leo XIII. ? Während es Thomas von Aquin darum ging, eine<br />

Wirtschaftsordnung in ihren Gr<strong>und</strong>zügen zu entwerfen, <strong>und</strong> es<br />

Leo XIII. darauf ankam, das Wirtschaftssystem <strong>de</strong>s Sozialis­<br />

mus zu wi<strong>de</strong>rlegen, will Johannes Paul II. ein für alle aktuellen<br />

Systeme gültiges Kriterium benennen, wonach man ein System,<br />

welches immer es sein mag, als menschenwürdig beurteilen<br />

kann. Das Kriterium heißt „die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Men-<br />

364


sehen". Die Absicht etwa, die mit <strong>de</strong>m Privateigentum über 66. 1/2<br />

Produktionsmittel verb<strong>und</strong>ene Marktwirtschaft als das <strong>de</strong>m<br />

Menschen konforme Wirtschaftssystem nachzuweisen, liegt<br />

nicht im Gedankengang <strong>de</strong>r Enzyklika „Laborem exercens".<br />

Wenn Johannes Paul II. <strong>de</strong>n Kommunismus unter <strong>de</strong>m strengen<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>s Wirtschaftssystems hätte angreifen wollen,<br />

hätte er wie etwa Thomas von Aquin die ökonomische Seite an<br />

<strong>de</strong>n Anfang stellen müssen. Er hat, wie gesagt, diesen Gesichts­<br />

punkt nur indirekt o<strong>de</strong>r mittelbar angesprochen. Sein Gedan­<br />

kengang zerstört durchaus nicht die traditionell gesicherten<br />

Aussagen <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre. Es bleibt je<strong>de</strong>m Papst<br />

anheimgestellt, die katholische Soziallehre im Hinblick auf ein<br />

bestimmtes, von ihm als opportun betrachtetes aktuelles Anlie­<br />

gen darzutun <strong>und</strong> entsprechend die Akzente zu setzen.<br />

3. DIE LEHRE VOM EIGENTUM IN DER CHRISTLICHEN TRADITION<br />

Um <strong>de</strong>n genuinen Sinn <strong>de</strong>r thomasischen Eigentumslehre zu<br />

ermitteln, muß man <strong>de</strong>r christlichen Tradition nachgehen. Ist<br />

doch <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „Gebrauchs" <strong>de</strong>r Güter, <strong>de</strong>n Thomas als<br />

allen Menschen gemeinsam erklärt, aus <strong>de</strong>r Tradition genom­<br />

men. Es zeugt vom neuen Geist, <strong>de</strong>r das Christentum gera<strong>de</strong> in<br />

<strong>de</strong>r Einschätzung <strong>de</strong>r Güter dieser Welt beseelte, daß sich die<br />

christlichen Autoren nur sehr wenig o<strong>de</strong>r überhaupt nicht auf<br />

das Alte Testament beziehen.<br />

Die Väter hatten sich im Geist <strong>de</strong>s Evangeliums mit <strong>de</strong>r rein<br />

moralischen Sicht <strong>de</strong>s Eigentums begnügt <strong>und</strong> dabei die recht­<br />

liche außer Acht gelassen o<strong>de</strong>r doch sehr geringgechätzt; d. h.,<br />

sie gingen vom Gedanken aus, daß vor Gott niemand sich als<br />

Eigentümer bezeichnen könne, son<strong>de</strong>rn stets nur verantwortli­<br />

cher Lehensträger bleibe. Damit tritt das rechtliche Verhältnis<br />

von Mensch zu Mensch in <strong>de</strong>n Hintergr<strong>und</strong>. Die Rückerinne-<br />

rung an das Alte Testament hätte aber manche etwas über­<br />

spitzte Äußerungen gegen das Privateigentum gemil<strong>de</strong>rt. Denn<br />

das Alte Testament hatte eine sehr kluge Wirtschaftsverfas­<br />

sung. 5 Bei <strong>de</strong>r gr<strong>und</strong>sätzlichen Anerkennung <strong>de</strong>s Privat- (o<strong>de</strong>r<br />

wenigstens <strong>de</strong>s Familien-)eigentums enthielt die alttestament-<br />

5 Vgl. die ausgezeichnete Schrift von H. Bückers CSSR, Die biblische Lehre vom<br />

Eigentum, Bonn 1947.<br />

365


66. 1/2 liehe Gesetzgebung eine Reihe von sozialen Vorschriften, durch<br />

die das Eigentum <strong>und</strong> die Existenz <strong>de</strong>r Armen gesichert wer<strong>de</strong>n<br />

sollten. Wenngleich Gott als oberster Herr das Land besitzt <strong>und</strong><br />

in <strong>de</strong>r Hand behält, so hat Er es doch unter die Menschen ver­<br />

teilt, damit je<strong>de</strong>r seinen, gera<strong>de</strong> ihm gehören<strong>de</strong>n Anteil habe:<br />

„Verteilt das Land nach euren Stämmen durch das Los! Denen,<br />

die zahlreicher sind, sollt ihr ein ausge<strong>de</strong>hnteres, <strong>und</strong> <strong>de</strong>nen, die<br />

wenige sind, ein kleineres Gebiet geben! Was einem je<strong>de</strong>n<br />

[Stamm] durch das Los zufällt, soll ihm gehören! Nach euren<br />

väterlichen Stämmen sollt ihr es verteilen" (Nm 33,54). Wenn­<br />

gleich in diesem Text nicht vom Eigentum eines einzelnen Men­<br />

schen, son<strong>de</strong>rn eines einzelnen Stammes die Re<strong>de</strong> ist, so<br />

gebührt ihm doch beson<strong>de</strong>re Aufmerksamkeit. Gott wird zwar<br />

als <strong>de</strong>r Erst- <strong>und</strong> eigentliche Besitzer aller Dinge bezeichnet.<br />

Dennoch gibt Er <strong>de</strong>m einzelnen Stamm <strong>de</strong>n ihm zugehören<strong>de</strong>n<br />

Teil, auf <strong>de</strong>n dieser einen <strong>Recht</strong>stitel gegenüber <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren<br />

haben soll. Das Eigentum ist also in doppelter Hinsicht gese­<br />

hen: vertikal <strong>und</strong> horizontal. Vertikal besteht kein <strong>Recht</strong>stitel,<br />

<strong>de</strong>nn Gott ist <strong>de</strong>r einzige Besitzer. Jedoch kann sich in horizon­<br />

taler Richtung, d. h. in <strong>de</strong>r Linie von Mensch zu Mensch, <strong>de</strong>r<br />

Stamm als rechtlicher Eigentümer betrachten. Die Kirchenväter<br />

haben, wie bereits erwähnt, die vertikale Sicht eingehalten,<br />

während die horizontale, die eigentlich rechtliche Beziehung<br />

erst im Mittelalter klar gewürdigt wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Warum aber haben die Väter so wenig von <strong>de</strong>r rechtlichen<br />

Eigentumsregelung <strong>de</strong>s Alten B<strong>und</strong>es Notiz genommen? Die<br />

Antwort liegt auf <strong>de</strong>r Hand. Das Alte Testament war <strong>de</strong>m<br />

Reichtum stärker zugewandt als das Neue. Trotz allem Kampf,<br />

<strong>de</strong>n die Propheten mit <strong>de</strong>n Reichen um ihrer Habgier <strong>und</strong> Un­<br />

gerechtigkeiten willen führten, läßt sich im Alten B<strong>und</strong>e doch<br />

kein so scharfer Gegensatz gegen <strong>de</strong>n Reichtum feststellen wie<br />

im Neuen. Der Reichtum ist <strong>de</strong>m Israeliten ein Segen Gottes,<br />

für <strong>de</strong>n er dankbar ist. So heißt es im 42. Kapitel <strong>de</strong>s Buches Job,<br />

daß <strong>de</strong>r geduldige Job um seiner standhaften Gesinnung willen<br />

mit äußeren Gütern noch reicher gesegnet wur<strong>de</strong>: „Der Herr<br />

gab Job jetzt noch mehr Glück, als er zuvor besessen. Erbrachte<br />

es auf 14.000 Schafe, 6.000 Kamele, 100Joch Rin<strong>de</strong>r<strong>und</strong> 1.000<br />

Eselinnen" (42,12). Und im „Prediger" (5,18) heißt es: „Ist<br />

doch für je<strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>m die Gottheit Reichtum gibt <strong>und</strong><br />

Schätze <strong>und</strong> <strong>de</strong>m sie Fähigkeit verleiht, davon zu essen <strong>und</strong> sich<br />

seinen Teil zu nehmen <strong>und</strong> sich an seiner Mühe zu erfreuen, dies<br />

366


eine Gottesgabe". Im Buch <strong>de</strong>r Sprüche wird <strong>de</strong>r Reichtum eine<br />

feste Stadt genannt, eine hohe Mauer, die <strong>de</strong>n Besitzen<strong>de</strong>n um­<br />

ringt (18,11).<br />

Die Armut besaß im Alten Testament eine wenig ehrenvolle<br />

Stellung. Sie war Strafe <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>und</strong> Gottlosigkeit. „Der Säu­<br />

fer <strong>und</strong> <strong>de</strong>r lie<strong>de</strong>rliche Mensch verarmen; die Dirne klei<strong>de</strong>t sich<br />

in Lumpen" (Spr 23,21). Da <strong>de</strong>m Alten Testament <strong>de</strong>r Sinn für<br />

die jenseitige Vergeltung stark fehlt, fehlt das Lob auf die rechte<br />

Armut. An<strong>de</strong>rerseits weiß <strong>de</strong>r alttestamentliche Mahner wohl<br />

zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen <strong>de</strong>m Reichtum <strong>de</strong>s Gottlosen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>r Armut <strong>de</strong>s Gottesfürchtigen: „Besser wenig mit Gottes­<br />

furcht als reicher Besitz <strong>und</strong> dabei Unruhe" (Spr 15,16). Im<br />

Hinblick auf die sittlichen Gefahren <strong>de</strong>s Reichtums suchte das<br />

Alte Testament das wirtschaftliche <strong>und</strong> soziale I<strong>de</strong>al im Mittel­<br />

stand: „Gib mir nicht Armut <strong>und</strong> Reichtum! Laß mich genießen<br />

mein Stückchen Brot! Sonst könnte ich, wäre ich satt, Dich ver­<br />

leugnen <strong>und</strong> fragen: Wer ist <strong>de</strong>r Herr? O<strong>de</strong>r wäre ich arm,<br />

könnte ich zum Dieb wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> mich am Namen meines Got­<br />

tes vergreifen" (Spr 30,8 f.).<br />

Auch die christliche Ethik hat, namentlich bei Thomas von<br />

Aquin, <strong>de</strong>n Mittelstand als das <strong>de</strong>m sittlich-religiösen I<strong>de</strong>al för­<br />

<strong>de</strong>rlichste Maß von Besitz erkannt. Man könnte diese Einstel­<br />

lung in <strong>de</strong>r Vaterunser-Bitte um das „tägliche Brot" wie<strong>de</strong>rfin­<br />

<strong>de</strong>n. Und doch tritt in <strong>de</strong>n Evangelien das Heroische stärker in<br />

Erscheinung: die Armut um <strong>de</strong>s Himmelreiches willen.<br />

Bezeichnend dafür ist auch, daß Christus sich gera<strong>de</strong> die Armen<br />

<strong>und</strong> Ärmsten ausgesucht hat, <strong>de</strong>rart, daß Alfred Weber die Berg­<br />

predigt Jesu als die Re<strong>de</strong> <strong>de</strong>s größten Sklavenaufstands bezeich­<br />

nete.<br />

Die Urkirche in Jerusalem war von diesem I<strong>de</strong>al völlig einge­<br />

nommen, so daß sich eine freie, spontane Gütergemeinschaft<br />

bil<strong>de</strong>te. Es bestand zwar kein rechtlicher Kommunismus.<br />

Immerhin aber gehörte es zum guten Ton <strong>de</strong>s Christseins, alles<br />

in die Gemeinschaft zu tragen, so daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r sich dieser<br />

Gepflogenheit nicht anschloß, mit einer gewissen Geringschät­<br />

zung rechnen mußte.<br />

Die spontane Gütergemeinschaft in Jerusalem machte aber<br />

weiter keine Schule. Der Scharfblick <strong>de</strong>s Völkerapostels<br />

erkannte, daß in <strong>de</strong>n aus Hei<strong>de</strong>nchristen bestehen<strong>de</strong>n Gemein­<br />

<strong>de</strong>n kein Raum für solche Bestrebungen war. Im übrigen hat das<br />

Beispiel Jerusalems, das chronischer Armut verfiel (wohl nicht<br />

367


66. 1/2 zuletzt, wenn auch nicht vordringlich wegen <strong>de</strong>r dortigen<br />

Gütergemeinschaft) <strong>und</strong> auf die Hilfe <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren Christen­<br />

gemein<strong>de</strong>n angewiesen war, von selbst seine Anziehungskraft<br />

verloren.<br />

Die Gütergemeinschaft in <strong>de</strong>r christlichen Gemein<strong>de</strong> von<br />

Jerusalem hatte übrigens ihre Vorbil<strong>de</strong>r bei <strong>de</strong>n Griechen,<br />

wovon <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r griechischen Literatur bewan<strong>de</strong>rte Evangelist<br />

Lukas sehr wahrscheinlich gewußt hat. Es gehörte zum sozial­<br />

politischen I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Hellentums, daß <strong>de</strong>r Reiche seinen Besitz<br />

<strong>de</strong>r gemeinsamen N<strong>utz</strong>ung zur Verfügung stellte. Der grie­<br />

chische Stadt-Staat mit seiner räumlichen Beschränkung<br />

ermöglichte die Verwirklichung eines solchen I<strong>de</strong>als. Aristoteles<br />

berichtet im 6. Buch <strong>de</strong>r Politik (c. 5; 1320 b 9), daß die Reichen<br />

von Tarent <strong>de</strong>n Armen <strong>de</strong>n Mitgebrauch ihrer Güter zugestan­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich auf diese Weise die Zuneigung <strong>de</strong>r Armen erwor­<br />

ben haben. Aristoteles selbst tritt für die Privateigentumsord­<br />

nung ein aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r üblen Erfahrungen, die man in einer<br />

völlig gemeinschaftlich verwalteten Wirtschaftsgesellschaft<br />

machen kann. Er meint aber doch, daß in einem gewissen Sinn<br />

die Güter gemeinsam verwaltet wer<strong>de</strong>n sollten. Wenn je<strong>de</strong>r für<br />

das Seine sorge, dann wür<strong>de</strong> zwar tüchtiger gesorgt. An<strong>de</strong>rer­<br />

seits aber müßte das Gesetz <strong>de</strong>r gegenseitigen Hilfsbereitschaft<br />

gelten, das auch durch staatliche Maßnahmen unterstützt wer­<br />

<strong>de</strong>n sollte: „Schon jetzt ist hiermit in <strong>de</strong>r Gesetzgebung einzel­<br />

ner Staaten ein Anfang gemacht, so daß man sieht, die Sache ist<br />

nicht unmöglich; <strong>und</strong> zumeist in wohleingerichteten Staaten ist<br />

in diesem Sinn manches teils schon verwirklicht, teils in <strong>de</strong>r<br />

Vorbereitung begriffen. Ein je<strong>de</strong>r hat da seinen Eigenbesitz,<br />

aber manches überläßt er seinen Fre<strong>und</strong>en zur Mitben<strong>utz</strong>ung,<br />

an<strong>de</strong>res ben<strong>utz</strong>t er selbst als Gemeingut mit, wie z. B. in Laze-<br />

dämon <strong>de</strong>r eine sich <strong>de</strong>r Sklaven <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn gleichsam wie sei­<br />

ner eigenen bedient, <strong>und</strong> ebenso seine Pfer<strong>de</strong> <strong>und</strong> H<strong>und</strong>e, wie<br />

auch <strong>de</strong>r Früchte, wenn man ihrer auf <strong>de</strong>n Fel<strong>de</strong>rn im Lan<strong>de</strong> als<br />

Wegzehrung bedarf. Man sieht also, es ist besser, daß <strong>de</strong>r Besitz<br />

Privateigentum bleibe, aber durch die Ben<strong>utz</strong>ung gemeinsam<br />

wird. Daß aber die Bürger ihrer Gesinnung nach dahin gebracht<br />

wer<strong>de</strong>n, ist die eigenste Aufgabe <strong>de</strong>s Gesetzgebers" (Pol. 11,5;<br />

1263 a 30-40).<br />

In <strong>de</strong>r christlichen Urgemein<strong>de</strong> waren die Motive solcher<br />

Gütergemeinschaft allerdings an<strong>de</strong>re, weniger wirtschaftspoli­<br />

tische, son<strong>de</strong>rn von Gr<strong>und</strong> auf religiöse.<br />

368


Zum Erweis dafür, wie stark die ethische Betrachtung in <strong>de</strong>r 66. 1/2<br />

Eigentumsfrage bei <strong>de</strong>n Vätern unterstrichen wird <strong>und</strong> wie<br />

wenig die eigentlich naturrecbtliche Seite zur Geltung kommt,<br />

machen wir nur einige wenige Angaben, die für die thomasische<br />

Gedankenwelt von beson<strong>de</strong>rem Interesse sind. 6<br />

Irenaus (Adv. Haereses, aus <strong>de</strong>r Zeit 174—189) betont die<br />

Freiheit <strong>de</strong>r christlichen Liebe, im Gegensatz etwa zu <strong>de</strong>n jüdi­<br />

schen sozialen Gesetzgebungen wie <strong>de</strong>m Armenzehnten. Er<br />

meint, daß diese Freiheit sich <strong>de</strong>m Gebot Christi füge, nicht nur<br />

<strong>de</strong>n Zehnten, son<strong>de</strong>rn die ganze Habe an die Armen zu vertei­<br />

len. Er hält sogar dafür, daß diese Pflicht vom Christen mit inne­<br />

rer Freu<strong>de</strong> erfüllt wer<strong>de</strong>. In rhetorischer Übertreibung meint<br />

Irenaus sogar, es könne sich niemand von uns zum Besitzer von<br />

irdischen Gütern aufwerfen. Im Gr<strong>und</strong>e genommen ist dies<br />

aber gar keine Ubertreibung, da es hier nur um die ethische<br />

Sicht geht, d. h. um das Verhältnis <strong>de</strong>s Menschen zu Gott, nicht<br />

um die zwischenmenschlichen rechtlichen Beziehungen.<br />

Irenaus aber <strong>de</strong>hnt seine Lehre vom „ungerechten Mam­<br />

mon", <strong>de</strong>n ein je<strong>de</strong>r sein eigen nennen möchte, auch auf die zwi­<br />

schenmenschlichen Beziehungen aus. Jedoch ist auch hier nur<br />

<strong>de</strong>r ethische Teil gesehen, nicht die rechtliche Seite, d. h. es wird<br />

Mensch zu Mensch betrachtet in <strong>de</strong>r Verpflichtung um <strong>de</strong>s<br />

Gewissens, also im Gr<strong>und</strong>e um Gottes willen, nicht vom<br />

<strong>Recht</strong>sanspruch <strong>de</strong>s Nächsten her. In diesem Sinn ist die eigen­<br />

tümlich erscheinen<strong>de</strong> Stelle zu verstehen, wo Irenaus <strong>de</strong>n Ein­<br />

wand, die Ju<strong>de</strong>n hätten auf Befehl Gottes durch Mitnahme <strong>de</strong>r<br />

Gefäße <strong>und</strong> Gewän<strong>de</strong>r die Ägypter bestohlen <strong>und</strong> beraubt, mit<br />

<strong>de</strong>r Begründung zurückweist, daß wir überhaupt alles, was wir<br />

unser eigen nennen, zu Unrecht besäßen: „Wenn nämlich bei<br />

<strong>de</strong>r vorbildlichen Auswan<strong>de</strong>rung Gott dies nicht gestattet hätte,<br />

so könnte jetzt bei unserer wahren Auswan<strong>de</strong>rung, d. h. im<br />

6 Vgl. zum Ganzen: O. Schilling, Reichtum <strong>und</strong> Eigentum in <strong>de</strong>r altkirchlichen<br />

Literatur. Ein Beitrag zur sozialen Frage, Freiburg i.Br. 1908; Ders.: Der<br />

kirchliche Eigentumsbegriff,Freiburgi.Br. 1930. Ebenso: H.Schumacher,The<br />

Social Message of the New Testament, Milwaukee 1937; I.Seipel, Die wirtschaftsethischen<br />

Lehren <strong>de</strong>r Kirchenväter, Wien 1907; John A. Ryan, Alleged<br />

Socialism of the Church Fathers, St. Louis 1913; die Artikel von Patrick<br />

J. Healy, Historie Christianity and the Social Question, in: The Catholic University<br />

Bulletin XVII, 1911. Die Gedanken fin<strong>de</strong>n ihre mo<strong>de</strong>rne Auswertung<br />

bzgl. <strong>de</strong>s Problems „Religion <strong>und</strong> Kapitalismus" bei Tawney, Laski, Fanfani,<br />

O Brien, Troeltsch, M. Weber u. a.<br />

369


66. 1/2 Glauben, in <strong>de</strong>n wir versetzt <strong>und</strong> durch <strong>de</strong>n wir aus <strong>de</strong>r Zahl <strong>de</strong>r<br />

Hei<strong>de</strong>n ausgeschie<strong>de</strong>n sind, niemand gerettet wer<strong>de</strong>n. Uns<br />

allen nämlich folgt — sei es kleiner o<strong>de</strong>r großer—Besitz, <strong>de</strong>n wir<br />

aus <strong>de</strong>m ,Mammon <strong>de</strong>s Unrechts' erworben haben. Denn<br />

woher haben wir die Häuser, worin wir wohnen, die Gewän<strong>de</strong>r,<br />

womit wir uns beklei<strong>de</strong>n, die Gefäße, <strong>de</strong>ren wir uns bedienen,<br />

<strong>und</strong> was sonst uns alles zum fortwähren<strong>de</strong>n Gebrauch dient, als<br />

aus <strong>de</strong>m, was wir noch als Hei<strong>de</strong>n habsüchtig erworben o<strong>de</strong>r<br />

aus <strong>de</strong>m ungerechten Erwerb von heidnischen Eltern, Ver­<br />

wandten o<strong>de</strong>r Fre<strong>und</strong>en bekommen haben? Um davon zu<br />

schweigen, daß wir auch jetzt noch im Stan<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Glaubens<br />

Erwerb suchen. Denn wer verkauft <strong>und</strong> will nicht gewinnen<br />

vom Käufer? Und wer kauft <strong>und</strong> will nicht, daß das Geschäft<br />

mit <strong>de</strong>m Verkäufer zum eigenen N<strong>utz</strong>en ausfalle? Welcher<br />

Händler aber han<strong>de</strong>lt nicht, um sich [vom Gewinn] zu näh­<br />

ren?" (Adv. haer. IV, c. XXX; PG 7,1065). Irenaus will <strong>de</strong>n Ein­<br />

wand ad absurdum führen mit <strong>de</strong>r Begründung, wenn die Ju<strong>de</strong>n<br />

damals das, was sie mitgenommen haben, aus Diebstahl gehabt<br />

hätten, dann könnte man mit <strong>de</strong>mselben <strong>Recht</strong> auch behaup­<br />

ten, wir Christen hätten alles nur aus Raub.<br />

Den Gedanken, daß aller Reichtum <strong>und</strong> Besitz im Gr<strong>und</strong>e<br />

nur ungerechter Mammon sei, fin<strong>de</strong>n wir auch bei Klemens von<br />

Alexandrien, <strong>de</strong>r von etwa 190—202/3 in Alexandrien lehrte.<br />

Auch bei ihm fällt die rein sittliche Betrachtung <strong>de</strong>s Eigentums­<br />

problems, wie die Stoa sie hatte, auf. Es ist schon ein echt stoi­<br />

scher, nicht erst christlicher Gedanke, daß nicht <strong>de</strong>r Reiche,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r gute Mensch <strong>de</strong>r wertvolle Mensch sei. Mit <strong>de</strong>r<br />

Stoa unterstreicht Klemens das „Adiaphoron", die gleichgültige<br />

Gesinnung gegenüber Reichtum <strong>und</strong> Genuß. Der schlecht ver­<br />

waltete Reichtum wird als eine „Akropolis <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>" bezeich­<br />

net, die Liebe zum Geld als die „Mutterstadt aller Übel" (Dioge­<br />

nes aus <strong>de</strong>r kynischen Schule). Ganz stoisch ist die Lehre, daß<br />

<strong>de</strong>r beste Reichtum die Armut an Begier<strong>de</strong>n sei. Es ist klar, daß<br />

Klemens, <strong>de</strong>r in diesen Gedankengängen sich heimisch fühlt,<br />

<strong>de</strong>n Überfluß verwerfen, ja überhaupt die Güter als für die<br />

Gemeinschaft bestimmt bezeichnen muß. Er ist sehr stark be-<br />

einflußt durch das stoische Dogma, daß es von Natur kein Pri­<br />

vateigentum gebe, daß Eigentum eigentlich erst durch <strong>de</strong>n<br />

guten Gebrauch zustan<strong>de</strong> komme. Der Stoiker Chrysipp war<br />

z. B. <strong>de</strong>r Meinung, daß <strong>de</strong>m Bösen nichts nützlich sein <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Schlechte keinen wirklichen Gebrauch von <strong>de</strong>n Dingen machen<br />

370


könne, <strong>de</strong>mgemäß besitze <strong>de</strong>r Gute niemals etwas Frem<strong>de</strong>s. 66. 1/2<br />

Klemens übernimmt diese Philosophie <strong>und</strong> verbin<strong>de</strong>t sie mit<br />

<strong>de</strong>m Ausspruch <strong>de</strong>s Evangeliums vom „ungerechten Mammon"<br />

(Lk 16,9) <strong>und</strong> <strong>de</strong>m christlichen Gedanken, daß man, um eine<br />

gute Tat zu setzen, also um guten Gebrauch von <strong>de</strong>n Dingen zu<br />

machen, eigentlich Christ sein müsse. So bleibt im Gr<strong>und</strong>e <strong>de</strong>r<br />

unangefochtene Besitz <strong>de</strong>m Christen vorbehalten. Daß nur die<br />

Christen Güter eigentlich erwerben können, erklärt Klemens<br />

außer<strong>de</strong>m mit einer typisch theologischen Wendung, daß näm­<br />

lich Gott <strong>de</strong>n Christen alles auf <strong>de</strong>ren Bitte hin gewähre. Darum<br />

gehöre alles <strong>de</strong>n Gottesfürchtigen. 7 Es wird von dieser Schau­<br />

weise noch mehrmals die Re<strong>de</strong> sein. Sie steht in engem Zusam­<br />

menhang mit <strong>de</strong>r christlichen Bewertung <strong>de</strong>s sittlichen Lebens<br />

<strong>de</strong>s Hei<strong>de</strong>n. Eine rein theologische Sicht, die alles vom Ewig­<br />

keitswert her sieht, kann in <strong>de</strong>r auch noch so guten natürlich­<br />

sittlichen Tat keinen Wert erkennen, wenn sie nicht begna<strong>de</strong>t<br />

ist. Das Problem hat vor allem Augustinus beschäftigt <strong>und</strong><br />

wur<strong>de</strong> endgültig dann von Thomas mit klarer Unterscheidung<br />

zwischen philosophischem <strong>und</strong> theologischem Wert gelöst in<br />

I—II 65,2 (vgl. Kommentar in DT, Bd. 11, 618ff.).<br />

Die rein theologische, d. h. die vertikale Sicht tritt bei Orige-<br />

nes, <strong>de</strong>m Schüler von Klemens von Alexandrien, noch <strong>de</strong>utlicher<br />

hervor. Das Mißtrauen gegen <strong>de</strong>n Reichtum steigert sich hier<br />

zur fast völligen Mißachtung. Gegen Celsus, nach <strong>de</strong>ssen<br />

Ansicht alles Irdische zunächst <strong>de</strong>m König verliehen ist, so daß<br />

wir das, was wir besitzen, diesem zu verdanken haben, betont<br />

Origenes, daß wir die Güter unmittelbar von Gott, durch Seine<br />

Vorsehung besitzen. An sich drückt hiermit Origenes eine phi­<br />

losophische Lehre aus. Doch macht seine Ansicht <strong>de</strong>n Eindruck<br />

einer Parallele zum theokratischen Staatsgedanken in Israel.<br />

Der Kampf gegen Reichtum <strong>und</strong> Luxus führt bei Tertullian<br />

dazu, daß das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r christlichen Gemeinschaft auch auf die<br />

Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Familiengüter ausge<strong>de</strong>hnt wird. Man spürt<br />

hier <strong>de</strong>utlich die Begeisterung für die wirtschaftliche Regelung,<br />

wie sie in <strong>de</strong>r Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem in Übung war. Die<br />

Pflicht zur Liebe erscheint als Gesetz. Der Christ soll nicht nur<br />

nicht Zins verlangen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>mjenigen gerne leihen,<br />

von <strong>de</strong>m er das Geliehene aller Wahrscheinlichkeit nach nicht<br />

mehr zurückerhalten wird.<br />

7 Vgl. O. Schilling, Der kirchliche Eigentumsbegriff, Freiburg 1930,37,43.<br />

371


66. 1/2 Cyprians Lehre trägt die Züge <strong>de</strong>r Tertullianschen Doktrin.<br />

Die Pflichten <strong>de</strong>m Nächsten gegenüber wer<strong>de</strong>n in schärfsten<br />

Worten eingeprägt. Er meint sogar, daß die Sorge um eine kin­<br />

<strong>de</strong>rreiche Familie <strong>de</strong>n Familienvater von <strong>de</strong>r Pflicht <strong>de</strong>s Almo­<br />

sens nicht entbin<strong>de</strong>. Im Gegenteil böte sich gera<strong>de</strong> dann Gele­<br />

genheit, durch reichlicheres Almosengeben die eigene zahl­<br />

reiche Schar Gott anzuempfehlen (De op. et eleemos., c. 16 u.<br />

18; PL 4,637ff.). Uberweise, so rät Cyprian, <strong>de</strong>ine Schätze, die<br />

du für die Erben aufbewahrst, Gott. „Er sei <strong>de</strong>iner Kin<strong>de</strong>r Vor­<br />

m<strong>und</strong>... Das Gott anvertraute Vermögen entreißt we<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r<br />

Staat, noch zieht <strong>de</strong>r Fiskus es ein" (a.a.O. c. 19).<br />

Der Lehre vom gemeinsamen Gebrauch aller Dinge, wie wir<br />

sie in Art. 2 unserer Frage bei Thomas fin<strong>de</strong>n, begegnen wir bei<br />

Cyprian in einer eigenartigen Formulierung: „Quodcumque<br />

Dei est, in nostra usurpatione commune est" (De op. et elee­<br />

mos., c. 25). L. Brentano 8 sucht hier kommunistische Gedanken<br />

<strong>und</strong> übersetzt: „Alles, was Gottes ist, ist uns, die wir es usur­<br />

piert haben, zu gemeinsamem Gebrauch gegeben". Doch<br />

scheint Cyprian unter „usurpatio" hier nichts an<strong>de</strong>res zu verste­<br />

hen als „Ben<strong>utz</strong>ung". Es wäre allerdings nicht ausgeschlossen,<br />

daß wir hier <strong>de</strong>nselben Begriff haben, wie wir ihm bei Ambrosius<br />

begegnen (vgl. unten).<br />

Laktanz, <strong>de</strong>r tüchtige Kenner <strong>de</strong>r klassischen Literatur, erin­<br />

nert mit seinem Begriff <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r damit ver­<br />

b<strong>und</strong>enen Auffassung von <strong>de</strong>r Gleichheit aller an seine griechi­<br />

schen Vorbil<strong>de</strong>r. Er bewegt sich zwischen Plato einerseits, Ari­<br />

stoteles <strong>und</strong> Cicero an<strong>de</strong>rerseits, wobei typisch Christliches, wie<br />

z. B. die Vorstellung von Gott als <strong>de</strong>m Herrn <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> aller<br />

Dinge, sich einfügt. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> ist bei ihm <strong>de</strong>r Inbegriff<br />

<strong>de</strong>r Tugen<strong>de</strong>n. Innerhalb <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> nehmen Frömmig­<br />

keit <strong>und</strong> Gotteserkenntnis sowie die ciceronianische Tugend<br />

<strong>de</strong>r „aequabilitas", d. h. die Bereitschaft, sich mit je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

zu verständigen, die vornehmste Stelle ein. Vor Gott sind alle<br />

Menschen gleich. Es kann sich keiner über <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn erheben.<br />

Keiner ist von <strong>de</strong>n göttlichen Wohltaten ausgeschlossen. Allen<br />

leuchtet die Sonne, für alle spru<strong>de</strong>ln die Quellen, allen ist Nah­<br />

rung gegeben, alle dürfen die Ruhe <strong>de</strong>s Schlafes genießen. Nie-<br />

Die wirtschaftlichen Lehren <strong>de</strong>s christlichen Altertums. Sitzungsbericht <strong>de</strong>r<br />

philosophisch-philologischen Klasse <strong>de</strong>r k. bayr. Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften,<br />

Jhg. 1902, München 1903, 151. Vgl. O.Schilling a. a.O. 59.<br />

372


mand ist vor Gott Sklave, niemand Herr. Die stoische Auffassung<br />

<strong>de</strong>r Menschenrechte wird hier gänzlich ins Theologische<br />

übertragen. Die Darstellung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> bei Laktanz sieht<br />

allerdings entsprechend <strong>de</strong>m platonischen Vorbild sehr nach<br />

Kommunismus aus. Doch ist Laktanz geistiger, weniger wirtschaftlich<br />

zu verstehen. Er besieht die platonische Gütergemeinschaft<br />

mit kritischen Augen, wenngleich er — übrigens mit<br />

<strong>Recht</strong> — meint, daß dieser Kommunismus im Bereich <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s<br />

vielleicht noch erträglich wäre im Gegensatz zur Weibergemeinschaft<br />

<strong>de</strong>r platonischen I<strong>de</strong>ologie. Im übrigen ist <strong>de</strong>r Begriff<br />

<strong>de</strong>r Gleichheit bei Laktanz doch mehr aristotelisch als platonisch<br />

gefärbt. Es han<strong>de</strong>lt sich nicht um eine Gleichheit im<br />

materiellen Sinn, son<strong>de</strong>rn um eine Gleichheit <strong>de</strong>r persönlichen<br />

Wür<strong>de</strong>, <strong>de</strong>s rechtlichen Trägers. Im Anschluß an die Fabel vom<br />

saturnischen Zeitalter kommt Laktanz auf <strong>de</strong>n Urzustand im<br />

Paradies zu sprechen <strong>und</strong> meint, daß damals die einzelnen ihre<br />

Früchte nicht gehortet, son<strong>de</strong>rn mit Freigebigkeit <strong>de</strong>n Armen<br />

mitgeteilt hätten. Er <strong>de</strong>nkt also an einen Kommunismus aus<br />

Liebe, nicht aus Zwang.<br />

Nicht unerwähnt sollen die Rekognitionen bleiben, eine<br />

Schrift aus 10 Büchern, die <strong>de</strong>m hl. Klemens von Rom zugeschrieben<br />

wur<strong>de</strong>, aber ins vierte (o<strong>de</strong>r schon ins dritte) Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

gehört. Dort (c.X) steht ein Satz, <strong>de</strong>m einige Aufmerksamkeit<br />

gebührt, weil er als klementinische Lehre im Dekret<br />

Gratians (p.II, causa XII, q. l,c. 1; Frdbl, 676) erwähnt <strong>und</strong><br />

dann als klementinisches Gedankengut durch das ganze Mittelalter<br />

geschleppt wird: „In Ungerechtigkeit nennt <strong>de</strong>r eine dies,<br />

<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re jenes sein eigen, <strong>und</strong> so ist unter <strong>de</strong>n Menschen die<br />

Teilung eingetreten". Diese Worte wer<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n Rekognitionen<br />

einem Hei<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>n M<strong>und</strong> gelegt. Die Sün<strong>de</strong> wird also für die<br />

Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum verantwortlich gemacht.<br />

Wir fin<strong>de</strong>n diesen Gedanken mit aller Deutlichkeit ausgesprochen<br />

bei Gregor von Nazianz. Er hat namentlich die<br />

Scholastik beschäftigt in <strong>de</strong>r Frage, ob <strong>de</strong>r Mensch im paradiesischen<br />

Zustand Privateigentum besessen habe. 9 Abgesehen von<br />

Piatons kommunistischer I<strong>de</strong>ologie fin<strong>de</strong>n wir diesen Gedanken<br />

bereits bei <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n Cicero, Seneca <strong>und</strong> Posidonius.<br />

9 Vgl. hierzu die ausgezeichnete Arbeit von William J. McDonald, Communism<br />

in E<strong>de</strong>n? in: The New Scholasticism XX (1946) 101-125.<br />

373


66. 1/2 Cicero sagt ausdrücklich: „Alles Private stammt nicht aus <strong>de</strong>r<br />

Natur" (De offic. 1,7; vgl. ebenso 1,16; Seneca, Epist. IV, 10;<br />

XIV, 2).<br />

Cyrill von Jerusalem, <strong>de</strong>r zwar gegen die Manichäer die Gut­<br />

heit <strong>de</strong>r materiellen Dinge verteidigt, lehnt sich doch engstens<br />

an die stoische Lehre an, wonach die Güter nur zu edlem<br />

Gebrauch erworben wer<strong>de</strong>n. Man wird an Klemens von Alexan­<br />

drien erinnert, wenn Cyrill aus <strong>de</strong>r Septuaginta (Spr 17,6) <strong>de</strong>n<br />

Text zitiert: „Dem Gläubigen gehört die ganze Welt mit ihren<br />

Schätzen, <strong>de</strong>m Ungläubigen auch nicht ein Obolus" (Cat. 5,2;<br />

PG 33,632).<br />

Basilius d. Gr. zeigt dieselbe Gr<strong>und</strong>anschauung. Die Güter<br />

dürfen nicht totes Kapital bleiben. „Wer<strong>de</strong>n Brunnen ausge­<br />

schöpft, so geben sie reichlicheres Wasser, wer<strong>de</strong>n sie aber nicht<br />

benützt, so wird das Wasser faul. So ist auch <strong>de</strong>r Reichtum,<br />

wenn er ruhig daliegt, unnütz, wird er aber aufgerüttelt <strong>und</strong><br />

geht er von einem zum an<strong>de</strong>rn, so wird er gemeinnützig <strong>und</strong><br />

fruchtreich" (In Luc. 12,18: 5, PG 31,272; 3,PG 31,265). Der<br />

Mensch ist auch hier nur von Gott bestellter Verwalter, nicht<br />

Besitzer <strong>de</strong>r Güter. Aus <strong>de</strong>r inneren Bestimmung <strong>de</strong>r Güter,<br />

<strong>de</strong>m Menschen zu dienen, folgert Basilius, daß ein je<strong>de</strong>r sich in<br />

<strong>de</strong>n Grenzen <strong>de</strong>s Notwendigen halte. Prächtige Klei<strong>de</strong>r, kost­<br />

bare Hauseinrichtungen, Marmor an Häusern, großer Besitz an<br />

Pfer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> Dienerschaft wer<strong>de</strong>n verurteilt, wie ähnlich Plato<br />

<strong>de</strong>n Luxus als Fieberzustand <strong>de</strong>r Gesellschaft kritisierte. Den<br />

Naturzustand sieht Basilius wie ähnlich Plato in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

samkeit <strong>de</strong>r Güter. Den Plan <strong>de</strong>r Natur liest er aus <strong>de</strong>m Tier­<br />

reich ab: die Fische befolgen in allem, was sie tun, das in sie<br />

gelegte Gesetz <strong>de</strong>r Natur. Und wir? Wir teilen die Er<strong>de</strong>, fügen<br />

Haus an Haus, Acker an Acker, um <strong>de</strong>n Nächsten zu berauben<br />

(Horn. 7 in Hexaem. 3—4; PG 29,156). Basilius rühmt die sozia­<br />

len Einrichtungen <strong>de</strong>r Hellenen, wobei er an die Tischgemein­<br />

schaft (Syssitien) <strong>de</strong>r Spartaner<strong>und</strong> Kreter dachte (PG 31,326).<br />

Er feiert das Beispiel <strong>de</strong>r ersten Christengemein<strong>de</strong> in Jerusalem.<br />

All das, um die ursprüngliche Bestimmung <strong>de</strong>r materiellen<br />

Güter (Dienst an <strong>de</strong>r Menschheit) darzustellen. Kennzeichnend<br />

ist folgen<strong>de</strong> Stelle: „Wer einem ein Kleid wegnimmt, wird Dieb<br />

genannt; wer aber <strong>de</strong>n Nackten nicht klei<strong>de</strong>t, obgleich er es<br />

könnte, verdient er eine an<strong>de</strong>re Bezeichnung? Dem Hungern­<br />

<strong>de</strong>n gehört das Brot, das du zurückhältst, <strong>de</strong>m Unbeklei<strong>de</strong>ten<br />

das Kleid, das du im Schrank hütest, <strong>de</strong>m Barfüßigen <strong>de</strong>r<br />

374


Schuh, <strong>de</strong>r bei dir vermo<strong>de</strong>rt, <strong>de</strong>m Bedürftigen das Geld, das du 66. 1/2<br />

vergraben hütest. So han<strong>de</strong>lst du an allen diesen unrecht, <strong>de</strong>nen<br />

du helfen könntest" (PG 31,277). In diese Gedankengänge paßt<br />

natürlich nur die Auffassung von <strong>de</strong>r ursprünglichen Gemein­<br />

schaft nicht nur in sozialer, son<strong>de</strong>rn auch in wirtschaftlicher<br />

Hinsicht. Beson<strong>de</strong>rer Erwähnung bedarf hier jene berühmt<br />

gewor<strong>de</strong>ne, auch von Thomas (Art. 2, Einw. 2) zitierte Stelle, an<br />

welcher Basilius das bei Cicero (De fin. 3,20) überlieferte Bei­<br />

spiel <strong>de</strong>s Stoikers Chrysipp von <strong>de</strong>n Theaterbesuchern anführt:<br />

„Wem, sagt er (<strong>de</strong>r Habsüchtige), tue ich unrecht, wenn ich das<br />

Meinige behalte? Aber sage mir, was ist <strong>de</strong>in? Woher hast du es<br />

genommen <strong>und</strong> in <strong>de</strong>in Leben gebracht? Gera<strong>de</strong> so wie einer,<br />

<strong>de</strong>r im Theater einen Sitz einnähme <strong>und</strong> dann die später Eintre­<br />

ten<strong>de</strong>n fernhielte, als sein eigen ansehend, was allen zu gemein­<br />

samem Gebrauche bestimmt ist. Solcher Art sind auch die Rei­<br />

chen, <strong>de</strong>nn nach<strong>de</strong>m sie das Gemeinsame vorsorglich besetzt,<br />

machen sie es kraft dieser Vorwegnahme zu ihrem Eigentum.<br />

Wenn je<strong>de</strong>r nur das zur Befriedigung seines eigenen Bedarfs<br />

Erfor<strong>de</strong>rliche in Anspruch nähme <strong>und</strong> das Übrige <strong>de</strong>m ließe,<br />

<strong>de</strong>r es seinerseits braucht, dann wäre keiner reich, keiner arm"<br />

(PG 31,275). Chrysipp hatte allerdings das Beispiel im Sinne <strong>de</strong>s<br />

Privateigentums aufgefaßt: „Wie im Theater, das zwar allen<br />

gemeinsam ist, man doch jenen Platz, <strong>de</strong>n ein je<strong>de</strong>r besetzt hat,<br />

als diesem zu eigen betrachten kann, so wi<strong>de</strong>rspricht es in <strong>de</strong>r<br />

gemeinsamen Stadt o<strong>de</strong>r Welt nicht <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong>, daß einem<br />

je<strong>de</strong>n das Seine gehöre". Basilius dagegen gebraucht es im Sinne<br />

<strong>de</strong>r ursprünglichen Gemeinschaftsbestimmung <strong>de</strong>r Güter.<br />

K. Famer 10 <strong>de</strong>utet gemäß seiner kommunistischen Ten<strong>de</strong>nz<br />

diese Stelle im Sinn eines positiven Kommunismus. Und<br />

Th. Sommerlad 11 meint, Basilius sei <strong>de</strong>r erste, <strong>de</strong>r unter Auswer­<br />

tung griechischer Sozialbegriffe <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r Apostelge­<br />

schichte über die Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem eine kommuni­<br />

stische Auslegung gegeben <strong>und</strong> <strong>de</strong>mzufolge eine positiv kom­<br />

munistische Wirtschaftsordnung gefor<strong>de</strong>rt habe. Mit solchen<br />

Schlüssen muß man sehr vorsichtig sein. Die Unterscheidung<br />

zwischen positivem <strong>und</strong> negativem Kommunismus ist, nicht<br />

nur <strong>de</strong>m Namen, son<strong>de</strong>rn auch <strong>de</strong>m Inhalt nach, neueren<br />

1 0 Christentum <strong>und</strong> Eigentum bis Thomas von Aquin; Mensch <strong>und</strong> Gesell­<br />

schaft, hrg. von K. Farner Bd. XII, Bern 1947.<br />

11 Das Wirtschaftsprogramm <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Mittelalters, Leipzig 1903, 130.<br />

375


66. 1/2 Datums. Die rein ethische Betrachtung, die bei allen Kirchen­<br />

vätern vorherrscht, läßt überhaupt nicht mit Klarheit die I<strong>de</strong>e<br />

eines rechtlichen, d. h. zwangsmäßigen Kommunismus zu.<br />

Wenn Basilius erklärt, alles gehöre allen, dann ist dies gr<strong>und</strong>­<br />

sätzlich richtig in <strong>de</strong>r theologisch-vertikalen Ordnung. Nie­<br />

mand ist vor Gott Eigentümer <strong>de</strong>r Dinge. Und die Dinge sind<br />

von sich aus nieman<strong>de</strong>m zugeeignet. Darin besteht <strong>de</strong>r negative<br />

Kommunismus. Es soll sich je<strong>de</strong>r vor Gott in seinem Gewissen<br />

sagen, daß er <strong>de</strong>m Nächsten gegenüber in dieser göttlichen<br />

Sicht nur Verpflichtungen, keine <strong>Recht</strong>e hat. Steigt man dage­<br />

gen in <strong>de</strong>n zwischenmenschlichen Raum hinab <strong>und</strong> betrachtet<br />

man Mensch <strong>und</strong> Mensch, sofern sie gegen sich abgegrenzte<br />

<strong>Recht</strong>sträger sind <strong>und</strong> ein je<strong>de</strong>r als ein „an<strong>de</strong>rer" <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn<br />

gegenüber erscheint, dann befin<strong>de</strong>t man sich im Gebiet <strong>de</strong>s<br />

<strong>Recht</strong>sanspruchs, in welchem rechtliche Verfolgung <strong>und</strong> Zwang<br />

möglich sind. Wer in diesem ausgesprochenen Sinne <strong>de</strong>n Kom­<br />

munismus verteidigt, <strong>de</strong>r vertritt einen positiven Kommunis­<br />

mus. Basilius konnte in dieser Zuspitzung das Problem noch gar<br />

nicht kennen. Dazu war die Zeit noch nicht reif. Es bedurfte<br />

schon <strong>de</strong>s ausgebauten Aristotelismus, wie wir ihm erst bei<br />

Thomas von Aquin begegnen, um die ethischen <strong>und</strong> rechtlichen<br />

Gesichtspunkte klar auseinan<strong>de</strong>rzuhalten. Basilius kommt als<br />

Prediger <strong>und</strong> Rhetor an die Frage <strong>de</strong>s Eigentums heran, etwa<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Lehre von Plato, <strong>de</strong>r meint, <strong>de</strong>r Besitzer au­<br />

ßeror<strong>de</strong>ntlichen Reichtums könne kaum ein wahrhaft vollkom­<br />

mener Mensch sein; wer ehrenvoll bleibe <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Besitze<br />

immanenten Pflicht <strong>de</strong>s Opferbringens für edle <strong>und</strong> gute<br />

Zwecke gerecht wer<strong>de</strong>, bei <strong>de</strong>m wer<strong>de</strong> es kaum zur Anhäufung<br />

übermäßiger Schätze kommen. Die Gr<strong>und</strong>anschauung ist bei<br />

Basilius <strong>und</strong> überhaupt bei <strong>de</strong>n Kirchenvätern beherrscht von<br />

<strong>de</strong>r Finalität <strong>de</strong>r materiellen Güter: <strong>de</strong>n Menschen zu dienen,<br />

nicht diesem o<strong>de</strong>r jenem, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Menschheit insgesamt.<br />

Damit ist noch gar nichts über die private Aufteilung gesagt, wie<br />

dies aus Art. 2 unserer Frage bei Thomas <strong>de</strong>utlich wird. Die<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Finalität ist aber eben die typisch ethische Sicht<br />

eines Problems. Wir müssen daher <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r „gemeinsa­<br />

men Güter <strong>de</strong>s Lebens" als „zum gemeinsamen Gebrauch<br />

bestimmte Güter" verstehen in <strong>de</strong>m Text: „Wir müssen <strong>de</strong>njeni­<br />

gen, <strong>de</strong>r Überfluß an Reichtum hat... <strong>und</strong> davon guten<br />

Gebrauch macht, lieben <strong>und</strong> achten als einen Mann, <strong>de</strong>r die<br />

gemeinsamen Güter <strong>de</strong>s Lebens besitzt, sie aber auch auf die<br />

376


echte Weise handhabt, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m Dürftigen von seinem<br />

Geld reichlich spen<strong>de</strong>t... <strong>und</strong> seine übrige Habe nicht so sehr<br />

für seine als <strong>de</strong>r Dürftigen Eigentum ansieht" (De invidia 5; PG<br />

31,384).<br />

Während Basilius sich noch hellenistischer Gedankengänge<br />

bedient, ist Gregor von Nazianz völlig theologisch eingestellt.<br />

Der negative Kommunismus wird hier aus <strong>de</strong>m Bericht <strong>de</strong>r<br />

Genesis (1—3) über die Erschaffung <strong>de</strong>r Welt <strong>und</strong> <strong>de</strong>s ersten<br />

Menschenpaars sowie <strong>de</strong>ssen erster Sün<strong>de</strong> geschöpft. „Anfangs<br />

war es nicht so"! Nach Ansicht von Gregor von Nazianz hat<br />

Gott ursprünglich alles unterschiedslos allen zur Verfügung<br />

gestellt <strong>und</strong> nichts <strong>de</strong>r menschlichen Willkür o<strong>de</strong>r menschlicher<br />

Gesetzgebung unterworfen. Reichtum <strong>und</strong> Armut sind eine<br />

Erscheinung <strong>de</strong>r Bosheit <strong>und</strong> Schwäche <strong>de</strong>s Menschen. Gregor<br />

nimmt diesen Zustand <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung hin. Er<br />

<strong>de</strong>nkt nicht daran, ihn irgendwie auf <strong>de</strong>m Wege sozialer<br />

Zwangsmaßnahmen abzuschaffen, son<strong>de</strong>rn möchte nur durch<br />

die Erinnerung an <strong>de</strong>n ursprünglichen Zustand <strong>de</strong>r Güterge­<br />

meinschaft die Reichen ermahnen, freiwillig von ihrem Reich­<br />

tum abzugeben. Man wird also auch hier angesichts <strong>de</strong>r rein<br />

ethischen Betrachtung nicht von einem positiven Kommunis­<br />

mus sprechen können.<br />

Bei Gregor von Nyssa, <strong>de</strong>m um vieles jüngeren Bru<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hl.<br />

Basilius, verbin<strong>de</strong>t sich die stoische Auffassung von <strong>de</strong>n glei­<br />

chen Menschenrechten aller mit <strong>de</strong>m christlichen Gedanken,<br />

daß wir alle in gleicher Weise Kin<strong>de</strong>r <strong>de</strong>sselben Vaters seien.<br />

Gott wird als <strong>de</strong>r eigentliche Eigentümer bezeichnet, darum soll<br />

keiner mehr beanspruchen als <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re. Die Lehre vom<br />

Eigentumserwerb durch <strong>de</strong>n rechten Gebrauch wird hier abge­<br />

schwächt <strong>und</strong> in die paulinische Ermahnung verwan<strong>de</strong>lt:<br />

„Mache Gebrauch, aber treibe keinen Mißbrauch" (De pauperi-<br />

bus amandis; or. 1: PG 46,465).<br />

Johannes Chrysostomus macht mit <strong>de</strong>r christlichen Lehre, daß<br />

wir vor Gott niemals als eigenmächtige Eigentümer auftreten<br />

können, am konsequentesten Ernst. Der rechtliche Gedanke <strong>de</strong>r<br />

zwischenmenschlichen Beziehung tritt völlig zurück. Mensch<br />

<strong>und</strong> Mensch stehen einan<strong>de</strong>r gegenüber auf Gr<strong>und</strong> ihrer<br />

gemeinsamen Verantwortung vor Gott. Aus diesem Gr<strong>und</strong>e<br />

wird die stoische Ansicht, daß die gesamte Wertung <strong>de</strong>r Eigen­<br />

tumsverhältnisse nur vom richtigen, auf das Gute abzielen<strong>de</strong>n<br />

Gebrauch vorgenommen wer<strong>de</strong>n kann, ohne je<strong>de</strong> Korrektur<br />

377


übernommen: „Sage nicht, ich verzehre das Meinige. Du tust es<br />

von Frem<strong>de</strong>m. Der schwelgerische, egoistische Gebrauch<br />

macht, was <strong>de</strong>in ist, zu frem<strong>de</strong>m Gut, darum nenne ich es frem­<br />

<strong>de</strong>s Gut, weil du es hartherzig verzehrst <strong>und</strong> behauptest, es sei<br />

recht, daß du allein von <strong>de</strong>m Deinigen lebest" (In ep. 1 ad Cor.,<br />

hom. 10,3; PG 61,86). Da das gesamte gesellschaftliche Leben<br />

nur von <strong>de</strong>r religiösen Ethik her gesehen wird <strong>und</strong> in dieser<br />

Ethik <strong>de</strong>r einzelne Mensch niemals als Eigentümer erscheint,<br />

son<strong>de</strong>rn nur als von Gott bestellter Verwalter, ist es klar, daß das<br />

I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft nicht nur für die ursprüngliche<br />

menschliche Gesellschaft, son<strong>de</strong>rn auch für uns zu gelten hat,<br />

so daß das Privateigentum als Ordnungsprinzip abgelehnt<br />

wird. In diesem Sinn ist folgen<strong>de</strong>r, von mo<strong>de</strong>rnen Autoren<br />

fälschlicherweise rein kommunistisch verstan<strong>de</strong>ner Text aus­<br />

zulegen: „Sage mir, woher stammt <strong>de</strong>in Reichtum? Du ver­<br />

dankst ihn einem an<strong>de</strong>rn? Und dieser An<strong>de</strong>re, wem verdankt er<br />

ihn? Seinem Großvater, sagt man, <strong>de</strong>m Vater. Wirst du nun, im<br />

Stammbaum weiter zurückgehend, <strong>de</strong>n Beweis liefern können,<br />

daß dieser Besitz auf gerechtem Wege erworben ist? Das kannst<br />

du nicht. Im Gegenteil, <strong>de</strong>r Anfang, die Wurzel <strong>de</strong>sselben liegt<br />

notwendigerweise in einem Unrecht. Warum? Weil Gott von<br />

Anfang nicht <strong>de</strong>n einen reich, <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren arm erschaffen <strong>und</strong><br />

keine Ausnahme gemacht hat, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>m einen <strong>de</strong>n Weg zu<br />

Goldschätzen zeigte <strong>und</strong> <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>ren hin<strong>de</strong>rte, solche auf­<br />

zuspüren, son<strong>de</strong>rn allen diesselbe Er<strong>de</strong> zum Besitze überlassen<br />

hat. Wenn also diese ein Gemeingut aller ist, woher hast du<br />

dann so<strong>und</strong>soviel Tagwerk davon, <strong>de</strong>in Nachbar aber keine<br />

Scholle Land? Mein Vater hat es mir vererbt, antwortet man.<br />

Von wem hat es dieser geerbt? Von seinem Vorfahren. Man<br />

kommt freilich in je<strong>de</strong>m Falle zu einem Anfang, wenn man zu­<br />

rückgeht. Jakob war reich, aber sein Besitz war Arbeitslohn. Der<br />

Reichtum muß gerecht erworben sein, es darf kein Raub daran<br />

kleben. Allerdings, du bist nicht verantwortlich für das, was<br />

<strong>de</strong>in habgieriger Vater zusammengescharrt hat. Du besitzest die<br />

Frucht <strong>de</strong>s Raubes, doch <strong>de</strong>r Räuber warst du nicht. Aber zuge­<br />

geben, daß auch <strong>de</strong>in Vater keinen Raub beging, son<strong>de</strong>rn daß<br />

sein Reichtum irgendwo aus <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n quoll, wie steht es<br />

dann? Macht das <strong>de</strong>n Reichtum zu einem Gut? Durchaus nicht.<br />

Aber etwas Schlechtes ist er auch nicht, sagst du. Ist man nicht<br />

habgierig, teilt man <strong>de</strong>n Bedürftigen mit, so ist er nichts<br />

Schlechtes. Ist das nicht <strong>de</strong>r Fall, so ist er schlecht <strong>und</strong> ein<br />

378


gefährlich Ding. Ja, erwi<strong>de</strong>rt man, wenn einer nichts Böses tut, 66.<br />

so ist er nicht böse, auch wenn er nichts Gutes tut. Schön! Heißt<br />

das aber nicht etwas Böses tun, wenn einer für sich allein über<br />

alles Herr sein, wenn er Gemeinsames allein genießen will?<br />

O<strong>de</strong>r ist nicht die Er<strong>de</strong> <strong>und</strong> alles, was darin ist, Eigentum Got­<br />

tes? Wenn also all unser Besitz Gott gehört, gehört er auch<br />

unseren Mitbrü<strong>de</strong>rn im Dienste Gottes. Was Gott <strong>de</strong>m Herrn<br />

gehört, ist alles Gemeingut. O<strong>de</strong>r sehen wir nicht, daß es auch<br />

in einem großen Hauswesen so gehalten wird? Zum Beispiel<br />

bekommen alle das gleiche Quantum Brot. Es kommt ja aus<br />

<strong>de</strong>n Vorräten <strong>de</strong>s Herrn. Das Haus <strong>de</strong>s Herrn steht allen offen.<br />

Auch das königliche Eigentum ist Gemeingut, <strong>und</strong> Städte,<br />

Marktplätze, Arka<strong>de</strong>n gehören allen zusammen, alle haben wir<br />

daran teil. Man betrachte einmal <strong>de</strong>n Haushalt Gottes! Er hat<br />

gewisse Dinge zu einem Gemeingut gemacht, womit er das<br />

Menschengeschlecht beschämt: z. B. Luft, Sonne, Wasser, Er<strong>de</strong>,<br />

Himmel, Licht, Sterne — das verteilt er alles gleichmäßig wie un­<br />

ter Brü<strong>de</strong>r. Allen schuf er dieselben Augen, <strong>de</strong>nselben Körper,<br />

dieselbe Seele; es ist bei allen dasselbe Gebil<strong>de</strong>. Von <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong>,<br />

von einem einzigen Manne ließ er alle abstammen, allen wies er<br />

dasselbe Haus an. Aber all das half nichts bei uns. Gott hat auch<br />

an<strong>de</strong>re Dinge zum Gemeingut gemacht, z. B. Bä<strong>de</strong>r, Städte,<br />

Plätze, Promena<strong>de</strong>n. Und man beachte, wie es bei solchem<br />

Gemeingut keinen Ha<strong>de</strong>r gibt, son<strong>de</strong>rn alles friedlich hergeht.<br />

Sobald aber einer etwas an sich zu ziehen sucht <strong>und</strong> es zu sei­<br />

nem Privateigentum macht, dann hebt <strong>de</strong>r Streit an, gleich als<br />

wäre die Natur selbst darüber empört, daß, während Gott uns<br />

durch alle möglichen Mittel friedlich beisammenhalten will, wir<br />

es auf eine Trennung voneinan<strong>de</strong>r absehen, auf Aneignung von<br />

Son<strong>de</strong>rgut, daß wir das ,Mein <strong>und</strong> Dein' aussprechen, dieses<br />

frostige Wort. Von da an beginnt <strong>de</strong>r Kampf, von da an die Nie­<br />

<strong>de</strong>rtracht. Wo aber dieses Wort nicht ist, da ensteht kein Kampf<br />

<strong>und</strong> Streit. Also ist die Gütergemeinschaft in höherem Maße die<br />

angemessene Form unseres Lebens als <strong>de</strong>r Privatbesitz, <strong>und</strong> sie<br />

ist naturgemäß. Warum streitet niemand vor Gericht über <strong>de</strong>n<br />

Marktplatz? Darum nicht, weil er Gemeingut aller ist. Uber<br />

Häuser dagegen o<strong>de</strong>r über Geld sehen wir ewige Gerichtspro­<br />

zesse. Was wir nötig haben, das liegt alles da zum gemeinsamen<br />

Gebrauch; wir aber beobachten diese Gemeinsamkeit 12 nicht<br />

12 K. Farner (a. a. O. 73) übersetzt hier koinon mit „Kommunismus".<br />

379


einmal in <strong>de</strong>n kleinsten Dingen. Dafür hat Gott uns jene not­<br />

wendigen Dinge vorsorglich als Gemeingut gegeben, daß wir<br />

daran lernen, auch die an<strong>de</strong>ren Dinge in gemeinschaftlicher<br />

Weise 13 zu besitzen. Doch lassen wir uns selbst auf diesem<br />

Wege nicht belehren! — Aber um auf das Gesagte zurückzu­<br />

kommen: Wie wäre es <strong>de</strong>nkbar, daß <strong>de</strong>r Reiche ein guter<br />

Mensch ist? Das ist unmöglich. Gut kann er nur sein, wenn er<br />

an<strong>de</strong>ren von seinem Reichtum mitteilt. Besitzt er nichts, dann<br />

ist er gut; teilt er an<strong>de</strong>rn mit, dann ist er gut. Solange er bloß<br />

besitzt, kann er wohl kein guter Mensch sein" (In 1 ad Tim 4;<br />

PG 62,563 f.).<br />

Für das Verständnis dieses Textes ist folgen<strong>de</strong>s wichtig:<br />

Cbrysostomus beurteilt das Privateigentum einzig vom ethi­<br />

schen Standpunkt aus. Der einzelne soll vor seinem Gewissen<br />

nicht meinen, er habe das Eigentum geschaffen: „Heißt es aber<br />

nicht etwas Böses tun, wenn einer für sich allein über alles Herr<br />

sein, wenn er Gemeinsames allein genießen will?" Auch die<br />

Gemeinschaft wird rein ethisch gefaßt; d. h. Sozialethik ist hier<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die Individualethik aller. Cbrysostomus ist <strong>de</strong>r<br />

Uberzeugung, daß, wenn ein je<strong>de</strong>r für sich wirklich ethisch voll­<br />

kommen leben wür<strong>de</strong>, wie man dies für <strong>de</strong>n paradiesischen<br />

Menschen auch annahm, dann wäre die Aufteilung in Privatei­<br />

gentum unnütz. Die rechtliche Organisation grün<strong>de</strong>t also bei<br />

Cbrysostomus ganz auf <strong>de</strong>r Vorstellung <strong>de</strong>s ethischen I<strong>de</strong>als.<br />

Ethisch i<strong>de</strong>al ist, daß ein je<strong>de</strong>r auf das Gemeinwohl bedacht sei.<br />

Die Aneignung von materiellen Gütern zu rein persönlichen<br />

Zwecken unter Ausschluß <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>ren be<strong>de</strong>utet darum einen<br />

Abfall von diesem I<strong>de</strong>al <strong>und</strong> — da dieses I<strong>de</strong>al als rechtliche Ord­<br />

nung supponiert wird — eine Ungerechtigkeit gegen die an<strong>de</strong>rn.<br />

Eine Ungerechtigkeit gegen das Naturrecht in unserem Sinn<br />

o<strong>de</strong>r im Sinn <strong>de</strong>s hl. Thomas? Keineswegs, weil Cbrysostomus<br />

überhaupt die Vorstellung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s nicht hat. Bei ihm wird<br />

die Ethik, wie sie für das Einzelgewissen an sich, außerhalb<br />

einer aktuellen Gesellschaft, gilt, zum zwischenmenschlichen<br />

Gesetz gemacht, so daß je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r diese moralische For<strong>de</strong>rung<br />

nicht erfüllt, unmittelbar auch ungerecht gegen die Gemein­<br />

schaft wird. Cbrysostomus fragt darum gar nicht danach, wie <strong>de</strong>r<br />

Gute, <strong>de</strong>r wirklich alles ins Gemeinwohl trägt <strong>und</strong> durch die<br />

Trägheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>ren benachteiligt ist, zu seinem <strong>Recht</strong> komme.<br />

380<br />

Bei K.Farner (a. a. O.): „In kommunistischer Weise".


Daß <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re das sittliche Gesetz seines Gewissens<br />

nicht erfüllt, kann für Cbrysostomus noch kein Anlaß sein, eine<br />

zwischenmenschliche Regelung zu suchen, welche allen per­<br />

sönlichen rechtlichen Ansprüchen am besten gerecht <strong>und</strong> so<br />

eine sozialrechtliche Ordnung verwirklichen wür<strong>de</strong>, die von <strong>de</strong>r<br />

rein sozialethischen unterschie<strong>de</strong>n ist, wenngleich sie dieser<br />

wohl nie entraten kann. Thomas, so wer<strong>de</strong>n wir sehen, hat diese<br />

Lösung gesucht <strong>und</strong> auch in etwa gef<strong>und</strong>en, allerdings noch<br />

nicht so weit durchgeführt, wie die mo<strong>de</strong>rne, etwa leoninische<br />

Auffassung vom Naturrecht auf Privateigentum. Mit an<strong>de</strong>rn<br />

Worten: Cbrysostomus hat die reine Ethik <strong>de</strong>s Gesellschaftli­<br />

chen im Auge, <strong>und</strong> das unter Zugr<strong>und</strong>elegung eines irrealen<br />

Menschentyps, nämlich <strong>de</strong>s nicht mehr existieren<strong>de</strong>n paradiesi­<br />

schen Menschen. Man kann ihn also nicht im heutigen Sinn <strong>de</strong>s<br />

Worts als einen Kommunisten bezeichnen. Er bleibt durch <strong>und</strong><br />

durch Ethiker, ist nie, auf keiner Seite, eigentlich naturrechtli­<br />

cher Sozialpolitiker. Allerdings hat Cbrysostomus sattsam die<br />

Bosheit <strong>de</strong>r Menschen erfahren müssen <strong>und</strong> so aus unmittelba­<br />

rer Lebensnähe die tatsächliche Entfernung vom paradiesischen<br />

Menschen festgestellt. Dennoch liegt seinem Ordnungsplan<br />

eben ein hochgespanntes ethisches Soll zugr<strong>und</strong>e, für <strong>de</strong>ssen<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>r paradiesische Mensch vonnöten wäre.<br />

Wenngleich Ambrosius die kapitalistischen Äußerungen Cice-<br />

ros gegenüber <strong>de</strong>n Armen rügt <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>m Hinweis auf das<br />

Gebot <strong>de</strong>r christlichen Liebe <strong>und</strong> Barmherzigkeit zurückweist,<br />

so bewegt er sich natürlich doch in <strong>de</strong>ssen stoischer Gr<strong>und</strong>an­<br />

schauung, daß wir nur das besitzen, wovon wir Gebrauch<br />

machen. Es konnte auch nicht an<strong>de</strong>rs sein, da die stoische Lehre<br />

von <strong>de</strong>r Wertlosigkeit <strong>de</strong>r nicht benützten Güter <strong>de</strong>m christli­<br />

chen Gedanken, wonach die materiellen Güter allen Menschen<br />

zum Gebrauch anheimgegeben sind, entsprach. Die Natur, so<br />

meint er, hat das allgemeine <strong>Recht</strong> hervorgebracht, die Usurpa­<br />

tion hat die private Teilung geschaffen (De off. 1,28,132; PL<br />

16,67). Die Sün<strong>de</strong> spielt also in <strong>de</strong>r Einführung <strong>de</strong>s Privateigen­<br />

tums die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Rolle. Es klingt ganz nach Seneca — üb­<br />

rigens paradoxerweise <strong>de</strong>r Millionär unter <strong>de</strong>n Philosophen! —,<br />

wenn Ambrosius die Habsucht für die Verteilung <strong>de</strong>r Besitz­<br />

rechte verantwortlicht macht (Expos, in Ps 118,22). Das I<strong>de</strong>al<br />

ist darum <strong>de</strong>r ursprüngliche Kommunismus. O. Schilling (Der<br />

kirchliche Eigentumsbegriff, 49) meint, daß Ambrosius <strong>de</strong>n nun<br />

einmal durch <strong>de</strong>n Sün<strong>de</strong>nfall eingetretenen Zustand als<br />

381


Zustand <strong>de</strong>s sek<strong>und</strong>ären Naturrechts verstan<strong>de</strong>n habe, <strong>de</strong>n<br />

Gott angesichts <strong>de</strong>r Bosheit <strong>de</strong>r Menschen gewissermaßen legi­<br />

timiert habe. Doch geht diese Auslegung weit über Ambrosius<br />

hinaus, wenngleich etwas Ahnliches sich bei Augustinus fin<strong>de</strong>t.<br />

Ambrosius war sicherlich nicht Kommunist (wiewohl er vom<br />

Eigentum als einer Usurpation spricht), da er als Nur-Ehtiker<br />

noch weit von <strong>de</strong>r rechtlichen Betrachtung <strong>de</strong>r Gesellschaft ent­<br />

fernt ist. Ethisch gesehen gilt immer, daß die sorgsame, recht­<br />

liche Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum auf einen Abfall<br />

vom ursprünglichen I<strong>de</strong>al hinweist. Allerdings besteht dieser<br />

Abfall nicht in <strong>de</strong>r Aneignung, wie Ambrosius gemeint hat, son­<br />

<strong>de</strong>rn in <strong>de</strong>r Habgier <strong>und</strong> übrigens, was immer von <strong>de</strong>n Vätern<br />

übersehen wird, auch in <strong>de</strong>r Trägheit. Die private Eigentums­<br />

ordnung be<strong>de</strong>utet <strong>de</strong>n einzigen Ausweg aus <strong>de</strong>r Unordnung.<br />

Sie wird darum aus Vernunftprinzipien „gefolgert" <strong>und</strong> als<br />

solche, d. h. als durch Vernunft vollzogene Folgerung, von Tho­<br />

mas zum „jus gentium" gerechnet. So hat Thomas, wie noch<br />

gezeigt wird, mit klarer Unterscheidung Ordnung in eine bisher<br />

nicht falsche, aber verschwommene Theorie vom Eigentum<br />

gebracht.<br />

Bei Augustinus, <strong>de</strong>r das gesellschaftliche <strong>und</strong> politische<br />

Geschehen unter letztem theologischem Gesichtspunkt<br />

betrachtet, mußte die stoische Lehre vom guten Gebrauch als<br />

<strong>de</strong>m einzigen Titel <strong>de</strong>r Aneignung von Gütern dahin umge<strong>de</strong>u­<br />

tet wer<strong>de</strong>n, daß nur <strong>de</strong>r Gläubige Besitz erwerben könne. Augu­<br />

stinus beruft sich dabei auf <strong>de</strong>n schon zitierten Text aus <strong>de</strong>r Sep-<br />

tuaginta Spr 17,6: „Dem Gläubigen gehört die ganze Welt von<br />

Schätzen, <strong>de</strong>m Ungläubigen auch nicht ein Obolus." 1 4 Wir sind<br />

diesem Gedanken bereits früher begegnet. Augustinus geht ihm<br />

noch weiter nach <strong>und</strong> erklärt, daß die Schlechten die Güter an<br />

die Guten zurückerstatten müßten, <strong>de</strong>nen sie im eigentlichen<br />

Sinne gehörten. Allerdings wür<strong>de</strong>n es wohl, so meint er, nur<br />

wenige sein, <strong>de</strong>nen eine solche Rückerstattung zuteil wer<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>, weil es faktisch nur wenige sind, die gut mit <strong>de</strong>n Dingen<br />

umzugehen wüßten. „Unter diesen Umstän<strong>de</strong>n aber dul<strong>de</strong>t<br />

man die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>r schlechten Besitzer <strong>und</strong> stellt zwi­<br />

schen ihnen gewisse <strong>Recht</strong>e fest, die bürgerliche <strong>Recht</strong>e heißen,<br />

14 Vgl. auch Spr 13,22: „Ein Erbe hinterläßt <strong>de</strong>r Heilige <strong>de</strong>n Kin<strong>de</strong>skin<strong>de</strong>rn.<br />

382<br />

Dem Frommen ist <strong>de</strong>s Sün<strong>de</strong>rs Habe vorbehalten."


nicht als ob diese bewirkten, daß sie einen guten Gebrauch<br />

machen, son<strong>de</strong>rn damit jene, die einen schlechten Gebrauch<br />

machen, min<strong>de</strong>r lästig seien. Dieser Zustand dauert so lange, bis<br />

die Gläubigen <strong>und</strong> Frommen — <strong>de</strong>nen von <strong>Recht</strong>s wegen alles<br />

gehört <strong>und</strong> die entwe<strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Schar jener hervorgehen o<strong>de</strong>r<br />

unter ihnen eine Zeitlang leben, aber sieb nicht in ihre Übeltaten<br />

verstricken lassen, son<strong>de</strong>rn dadurch erprobt wer<strong>de</strong>n — zu <strong>de</strong>r<br />

Stadt gelangen, wo ihr ewiges Erbteil sich befin<strong>de</strong>t, wo nur <strong>de</strong>r<br />

Gerechte einen Platz hat <strong>und</strong> nur <strong>de</strong>r Weise die Regierung, wo<br />

alle Bewohner in Wahrheit ihr Eigentum besitzen" (Ep.<br />

153,6,26; PL 32,665; vgl. auch Sermo 50,2,4; PL 38,327).<br />

Augustinus scheint sich also mit <strong>de</strong>m Zustand <strong>de</strong>r privaten<br />

Eigentumsordnung abzufin<strong>de</strong>n. Doch bezeichnet er diesen<br />

Zustand nicht als Naturrecht, auch nicht als sek<strong>und</strong>äres Natur­<br />

recht, son<strong>de</strong>rn sieht in ihm vielmehr einen durch die Bosheit <strong>de</strong>r<br />

Menschen notwendig gewor<strong>de</strong>nen, aber in sich nicht schlechten<br />

Zustand, weil in ihm immerhin das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Guten einigerma­<br />

ßen gerettet wird. Er kommt aber noch nicht so weit, diesen<br />

Zustand, wie später Thomas, als „vernünftig" zu bezeichnen.<br />

Da <strong>de</strong>r gute Gebrauch <strong>de</strong>n Titel <strong>de</strong>s Eigentumserwerbs aus­<br />

macht, ergibt sich für Augustinus ohne weiteres, daß <strong>de</strong>r Über-<br />

fluß nie rechtmäßiger Besitz wer<strong>de</strong>n kann: „Frem<strong>de</strong>s besitzt,<br />

werÜberfluß besitzt" (De bono conj. 14,16; PL 40,384). Aber<br />

auch hier ist nicht an ein eigentlich zwischenmenschliches<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnis gedacht, son<strong>de</strong>rn an die typisch theologisch<br />

vertikale Sicht, wonach vor <strong>de</strong>m Gewissen nur jener Besitzer<br />

sein kann, <strong>de</strong>r die Dinge gemäß <strong>de</strong>n ewigen Sittengesetzen <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>m Willen Gottes benützt. Der Reiche ist daher vor Gott unge­<br />

recht, solange er <strong>de</strong>n Überfluß behält. Thomas fin<strong>de</strong>t dafür die<br />

viel diskutierte Formulierung: „ Der Überfluß, <strong>de</strong>n einige<br />

haben, ist auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts <strong>de</strong>m Unterhalt <strong>de</strong>r<br />

Armen geschul<strong>de</strong>t" (Art. 7).<br />

An die augustinische Ansicht, daß das Privateigentum eine<br />

Einrichtung <strong>de</strong>s bürgerlichen Lebens, nicht aber <strong>de</strong>s Natur­<br />

rechts sei, knüpft das Dekret Gratians an: „Gemäß <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>r Natur ist alles allen gemeinsam... Durch das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gewohnheit o<strong>de</strong>r das gesatzte <strong>Recht</strong> ist dies mein, jenes einem<br />

an<strong>de</strong>rn" (Init. D. VIII; Frdbl, 12). Gratian weist dabei auf die<br />

Urgemein<strong>de</strong> von Jerusalem hin <strong>und</strong> erinnert an die Philoso­<br />

phen, von <strong>de</strong>nen diese Lehre stamme: „Darum wird gemäß<br />

Überlieferung seit Plato jener Staat als am gerechtesten geord-<br />

383


66. 1/2 net bezeichnet, in <strong>de</strong>m niemand persönliche Triebe kennt"<br />

(a.a.O.).<br />

Die starke Befürwortung <strong>de</strong>s ursprünglichen Zustands <strong>de</strong>r<br />

Gütergemeinschaft konnte zur Zeit <strong>de</strong>r Väter nicht scha<strong>de</strong>n, da<br />

es dort darum ging, schwerste Mißstän<strong>de</strong> zu geißeln <strong>und</strong> die<br />

Reichen zum Wohltun anzueifern. Es lag durchaus nicht in <strong>de</strong>r<br />

Absicht <strong>de</strong>r Väter, eine sozialpolitische Aktion zu unterneh­<br />

men, son<strong>de</strong>rn Bußprediger zu sein im Sinn <strong>de</strong>r im Neuen B<strong>und</strong><br />

verkün<strong>de</strong>ten Liebe. Ganz an<strong>de</strong>rs verhält es sich in <strong>de</strong>r Zeit <strong>de</strong>s<br />

Mittelalters, als die verschie<strong>de</strong>nen spiritualistischen Armutsbe­<br />

wegungen, wie z. B. die <strong>de</strong>r Wal<strong>de</strong>nser, aus ihrem zunächst<br />

geschlossenen Raum sozialpolitische Bewegungen zu entfes­<br />

seln drohten. Die Gruppe um Girald von Monteforte in <strong>de</strong>r<br />

Gegend von Turin (1130) hatte <strong>de</strong>n typischen Charakter einer<br />

kommunistischen Bewegung. Die Wal<strong>de</strong>nser, obwohl zunächst<br />

nur geistige Erneuerer im Sinn <strong>de</strong>r moralischen Ausstrahlung<br />

eines Or<strong>de</strong>ns, lassen die sozialpolitische Propaganda in ihrem<br />

Programm nicht vermissen. Thomas hat dies alles mit feinem<br />

Gespür gefühlt <strong>und</strong> darum seiner Lehre vom Eigentum eine<br />

ganz an<strong>de</strong>re Färbung gegeben als etwa die Kirchenväter, vorab<br />

Cbrysostomus (vgl. Art. 2 Dagegen)./. D. Kraus kommt auf die­<br />

ses zeitgeschichtliche Element <strong>de</strong>r thomasischen Eigentums­<br />

lehre zu sprechen: „Zur Zeit <strong>de</strong>s hl. Thomas hatte die Fragestel­<br />

lung nach <strong>de</strong>r Erlaubtheit <strong>de</strong>s Privateigentums auch einen prak­<br />

tischen Hintergr<strong>und</strong>. In <strong>de</strong>r Provence verurteilten die Wal<strong>de</strong>n­<br />

ser, die Saccati, in Oberitalien die schwärmen<strong>de</strong>n Bettelscharen<br />

<strong>de</strong>r Jombardiscben Armen' allen Privatbesitz <strong>und</strong> predigten<br />

Gütergemeinschaft, <strong>und</strong> innerhalb <strong>de</strong>s Franziskaneror<strong>de</strong>ns gab<br />

es unter <strong>de</strong>m Generalat Bonaventuras, <strong>de</strong>s Fre<strong>und</strong>es von Tho­<br />

mas, eine schwere Krise im Streite über die Erlaubtheit von<br />

Or<strong>de</strong>nseigentum. Wie stark das Problem nachzitterte, sollte <strong>de</strong>r<br />

bald danach entbrennen<strong>de</strong> Kampf <strong>de</strong>r Spiritualen, <strong>de</strong>r Fraticelli<br />

<strong>und</strong> Begbinen offenbaren, <strong>de</strong>n selbst das Eingreifen <strong>de</strong>s Papstes<br />

Jobann XXII. nicht zum Stillstand brachte" (Scholastik, Purita-<br />

nismus <strong>und</strong> Kapitalismus, München <strong>und</strong> Leipzig 1930, 25).<br />

384


4. DIE LEHRE ÜBER DAS EIGENTUM BEIM HL. THOMAS<br />

a) Der Zweck <strong>de</strong>r Güterwelt. Ihre soziale Bestimmung<br />

Ubersieht man die gesamte Entwicklung <strong>de</strong>r christlichen 66. 1/2<br />

Lehre vom Eigentum bis zu Thomas von Aquin, dann wird man<br />

von selbst zur Überzeugung kommen, daß etwa die Formulie­<br />

rung eines Traktats wie „Das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum beim hl.<br />

Thomas von Aquin" von vornherein <strong>de</strong>n Gesichtspunkt etwas<br />

verschiebt. Denn diese Formulierung ist schon zu sehr von <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Sicht her beeinflußt, in welcher <strong>de</strong>r einzelne Mensch<br />

als individueller Besitzer gegen <strong>de</strong>n Nächsten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Staat<br />

auftritt. Thomas konnte niemals von diesem Standort her kom­<br />

men. Ihm lagen als Traktan<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Diskussion folgen<strong>de</strong> Punkte<br />

vor: l.Die Lehre <strong>de</strong>s negativen Kommunismus, gemäß wel­<br />

chem keine Güter von sich aus irgen<strong>de</strong>inem Menschen zugeeig­<br />

net, son<strong>de</strong>rn alle gr<strong>und</strong>sätzlich allen zur Verfügung gestellt<br />

sind. 2. Die ethische Wertung, daß an sich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>alzustand <strong>de</strong>r<br />

Güterordnung die kollektive Bewirtschaftung wäre, wenn die<br />

Menschheit nicht gesündigt hätte. Diese bei<strong>de</strong>n Punkte sind<br />

durchgängige Lehren <strong>de</strong>r christlichen Tradition. 3. Die histo­<br />

rische Situation <strong>de</strong>r Zeit, in welcher die Leugnung <strong>de</strong>s privaten<br />

Besitzes durch die Spiritualisten eine gr<strong>und</strong>sätzliche Ümkeh-<br />

rung <strong>de</strong>r sozialen Ordnung gebracht hätte. Es konnte also Tho­<br />

mas nicht darum gehen, das Eigentumsrecht <strong>de</strong>s einzelnen<br />

nachzuweisen, son<strong>de</strong>rn unter <strong>de</strong>r Wahrung <strong>de</strong>r Gedanken <strong>de</strong>r<br />

christlichen Tradition die Angemessenheit <strong>und</strong> auch Notwen­<br />

digkeit einer sozialen Ordnung zu zeigen, in welcher eine Auf­<br />

teilung in Privatbesitz vorgenommen wird. Thomas mußte<br />

vom Sozialen her kommen. Er konnte seinen Ausgangspunkt<br />

nicht im Individualen suchen, wie wir dies heute tun. Die drei<br />

Punkte, mit welchen er im zweiten Artikel die Angemessenheit<br />

<strong>und</strong> Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung aufweist,<br />

sind durchweg sozial, nicht individual bestimmt.<br />

Es ist nach all<strong>de</strong>m einfach unvorstellbar, daß Thomas im<br />

ersten Artikel hätte behaupten wollen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe<br />

ein <strong>Recht</strong> auf Privateigentum. Privateigentum schließt immer<br />

Differenzierung in <strong>de</strong>n Besitzverhältnissen <strong>de</strong>r Menschen ein.<br />

Davon aber hat Thomas hier unmöglich re<strong>de</strong>n können. Der<br />

erste Artikel sagt nichts an<strong>de</strong>res, als was die ganze Tradition<br />

betont hat: Die materiellen Güter sind <strong>de</strong>m Menschen zum<br />

Gebrauch überlassen. Er darf sie benützen. Und er soll sie<br />

385


66. 1/2 benützen, um <strong>de</strong>n Ordnungsgedanken <strong>de</strong>s Kosmos zu erfüllen.<br />

Es tut dieser Behauptung keinen Eintrag, wenn man einwen<strong>de</strong>t,<br />

Thomas re<strong>de</strong> doch vom Besitz, was bei ihm hier gleichlautend<br />

sei mit Eigentum. 15 Natürlich soll <strong>de</strong>r Mensch die Dinge besit­<br />

zen, soweit er es überhaupt kann. Aber man achte darauf, wer<br />

als Besitzer bezeichnet wird. Nicht dieser o<strong>de</strong>r jener Mensch,<br />

son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r „Mensch überhaupt", alle Menschen. Es ist also für<br />

eine Vorstellung vom Privateigentum wenig gewonnen. Man<br />

erkennt noch nichts von <strong>de</strong>r Differenziertheit <strong>de</strong>s Individuellen<br />

<strong>und</strong> Privaten. Der Mensch als solcher, wie er zwischen <strong>de</strong>r<br />

materiellen Welt <strong>und</strong> Gott steht, soll sich die Güter dieser Er<strong>de</strong><br />

dienstbar machen, in<strong>de</strong>m er über sie herrscht, sie zu seinen<br />

Diensten benützt. Um zur I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s Privateigentums vorzusto­<br />

ßen, braucht es über diese ethische Betrachtung hinaus <strong>de</strong>n Be­<br />

griff <strong>de</strong>r rechtlichen zwischenmenschlichen Beziehung. Davon<br />

aber ist im ersten Artikel nichts zu vernehmen. Dies ist <strong>de</strong>utlich<br />

ausgedrückt in <strong>de</strong>r Antwort auf <strong>de</strong>n ersten Einwand: „Gott, <strong>de</strong>r<br />

die Oberherrschaft über alle Dinge innehat, bestimmte in seiner<br />

Vorsehung einen gewissen Teil für <strong>de</strong>n leiblichen Unterhalt <strong>de</strong>s<br />

Menschen. Daher besitzt <strong>de</strong>r Mensch die natürliche Herrschaft<br />

über diese Dinge im Sinne <strong>de</strong>r seinem N<strong>utz</strong>en dienen<strong>de</strong>n Ver­<br />

fügungsmacht."<br />

Dieser f<strong>und</strong>amentale Satz ist im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r ge­<br />

samten Naturrechtslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas zu sehen. Die Natur­<br />

rechtslehre ist bei Thomas zunächst die Interpretation <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung. Dem Menschen ist im Rahmen <strong>de</strong>r Schöpfung eine<br />

Macht, d. h. ein physisches Können geschenkt wor<strong>de</strong>n. Er ist<br />

nicht Schöpfer, er hat nur das beschränkte Können, das von<br />

Gott Geschaffene zu verän<strong>de</strong>rn, umzuwan<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> in seinen<br />

Dienst zu nehmen. Daraus leitet Thomas nun die moralische<br />

Ordnung ab: die Dinge sind für <strong>de</strong>n Menschen immer nur<br />

Gebrauchsdinge. Da er sie nicht geschaffen hat, kann er sie auch<br />

nicht als Eigentum betrachten <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge darf er es auch<br />

nicht. Er bleibt <strong>de</strong>m Schöpfer gegenüber verantwortlich, <strong>de</strong>r die<br />

Welt geschaffen hat <strong>und</strong> auch die Macht besitzt, sie zu zerstö­<br />

ren. In ähnlicher Weise geht Thomas im Traktat über die Ehe<br />

vor. Er betrachtet zunächst die physische Gegebenheit: die<br />

geschlechtliche Verschie<strong>de</strong>nheit weist darauf hin, daß <strong>de</strong>ren Ziel<br />

die Zeugung von Nachkommenschaft ist. Also, so schließt Tho-<br />

15 Vgl. hierzu Anm. [34].<br />

386


mas, kann die Verbindung von Mann <strong>und</strong> Frau in <strong>de</strong>r Ehe als 66. 1/2<br />

ersten Zweck nur die Zeugung haben.<br />

Thomas übernimmt also im ersten Artikel <strong>de</strong>n negativen<br />

Kommunismus <strong>de</strong>r Väter, in<strong>de</strong>m er aber dieser Lehre bereits die<br />

bei <strong>de</strong>n Vätern noch bemerkbare innere Neigung zur Polemik<br />

gegen Reichtum <strong>und</strong> Eigentum nimmt <strong>und</strong> betont, <strong>de</strong>r Mensch<br />

dürfe die Dinge wirklich als sein gebrauchen. Wie nun dieser<br />

gute Gebrauch entsprechend <strong>de</strong>r inneren Finalität <strong>de</strong>r Dinge,<br />

entsprechend <strong>de</strong>r Ordnung im Kosmos am besten sich voll­<br />

zieht, ob in gemeinsamer o<strong>de</strong>r in privater Verwaltung, darüber<br />

äußert sich Thomas vorerst noch nicht. Dies ist Gegenstand <strong>de</strong>s<br />

zweiten Artikels. Soviel allerdings ist bereits im ersten Artikel<br />

enthalten, daß <strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>r Dinge, d. h. die N<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r<br />

Dinge, von Natur <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>r Menschen, näherhin<br />

allen Menschen zugänglich sein muß, weil eben <strong>de</strong>m Menschen<br />

überhaupt zugeordnet. Denn am Schluß <strong>de</strong>s zweiten Artikels<br />

kommt Thomas nochmals darauf zurück, in<strong>de</strong>m er erklärt, daß,<br />

wenngleich die Verwaltung privat sein mag, <strong>de</strong>r Gebrauch<br />

immer gemeinsam sein müsse. Wir wollen darüber noch spre­<br />

chen. Wichtig ist aber schon hier, daß Thomas von <strong>de</strong>r Natur<br />

<strong>de</strong>r Dinge her ihren Gebrauch als etwas Gemeinsames bezeich­<br />

net.<br />

Heißt dies aber, daß die Gebrauchsgüter in gleicherweise auf<br />

alle zu verteilen seien? Was soll <strong>de</strong>nn schließlich an<strong>de</strong>res unter<br />

<strong>de</strong>m gemeinsamen Gebrauch gemeint sein? Wenn dies <strong>de</strong>r Fall<br />

wäre, dann hätten wir bezüglich <strong>de</strong>r Gebrauchs guter bereits<br />

einen positiven Kommunismus. Thomas sagt aber ausdrücklich<br />

in Art. 2 Zu 1, daß die Gemeinsamkeit <strong>de</strong>r Dinge nicht <strong>de</strong>swegen<br />

auf das Naturrecht zurückgehe, weil etwa das Naturrecht<br />

gebieten wür<strong>de</strong>, alles in Gemeinschaft <strong>und</strong> nichts als Eigentum<br />

zu besitzen, son<strong>de</strong>rn weil es aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts keine<br />

Unterscheidung <strong>de</strong>s Besitzes gebe. Mit an<strong>de</strong>ren Worten, es han­<br />

<strong>de</strong>lt sich um nichts an<strong>de</strong>res als um <strong>de</strong>n negativen Kommunis­<br />

mus. Die Einsicht in diesen Zusammenhang ist <strong>de</strong>swegen<br />

be<strong>de</strong>utsam, weil sonst die Bemerkung <strong>de</strong>s hl. Thomas in Art. 7,<br />

<strong>de</strong>r Überfluß sei aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Naturrechts <strong>de</strong>n Armen geschul­<br />

<strong>de</strong>t, mißverstan<strong>de</strong>n wür<strong>de</strong>, als ob <strong>de</strong>r Arme von vornherein <strong>de</strong>n<br />

Überfluß <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn als sein <strong>Recht</strong> betrachten könne. Der<br />

Arme hat ein <strong>Recht</strong>, aber aus einem ganz an<strong>de</strong>ren Gr<strong>und</strong>;<br />

nicht, weil es Überfluß ist, son<strong>de</strong>rn weil er nichts hat, während<br />

auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>rn Seite nichtgebrauchte Gebrauchsgüter sind. Die<br />

387


66. 1/2 stoische Auffassung vom guten Gebrauch als <strong>de</strong>m einzigen Er­<br />

werbstitel, wie sie sich bei so vielen Vätern fand, ist also völlig<br />

umgewan<strong>de</strong>lt. Zwar wird <strong>de</strong>r Gebrauch noch als für die<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Menschen bestimmt bezeichnet, so daß die<br />

Güter von hier aus von vornherein sozial belastet sind, <strong>und</strong><br />

zwar von ihrer ersten Bestimmung her. Und doch sagt Thomas<br />

nicht, die unben<strong>utz</strong>ten Güter, wie z.B. <strong>de</strong>r Überfluß, könnten<br />

überhaupt nicht Eigentum <strong>de</strong>s Reichen sein, son<strong>de</strong>rn nur: sie<br />

seien, solange es Arme gibt, diesen geschul<strong>de</strong>t.<br />

Auch die mo<strong>de</strong>rne, etwa leoninische Auffassung sieht in die­<br />

ser „Schuld" eine naturrechtliche Pflicht, aber eben eine Pflicht,<br />

die in <strong>de</strong>r zwischenmenschlichen Beziehung <strong>de</strong>n Besitzer noch<br />

nicht entrechtet. In <strong>de</strong>r zwischenmenschlichen <strong>Recht</strong>sordnung,<br />

d. h. in <strong>de</strong>r sozialen Frie<strong>de</strong>nsordnung, bleibt dabei <strong>de</strong>r Besitzer<br />

noch rechtlicher Eigentümer, <strong>und</strong> zwar rechtlicher im Sinn von<br />

individuellem Naturrecht. Es möchte dies als Wi<strong>de</strong>rspruch<br />

erscheinen, von naturrechtlicher Pflicht zur Abgabe <strong>und</strong> im glei­<br />

chen Atem von naturrechtlichem Eigentum zu sprechen. Es<br />

wäre ein Wi<strong>de</strong>rspruch, wenn in bei<strong>de</strong>n Fällen <strong>de</strong>r Begriff<br />

„naturrechtlich" auf gleicher Ebene stän<strong>de</strong>. Die naturrechtliche<br />

Pflicht zur Abgabe <strong>de</strong>s Überflusses an die Armen befin<strong>de</strong>t sich<br />

auf <strong>de</strong>r obersten Ebene <strong>de</strong>s Naturrechts, dort, wo man über­<br />

haupt über die materiellen Güter <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Menschen nachzu­<br />

<strong>de</strong>nken anfängt. Die Güter sind sozial bestimmt, noch bevor<br />

man an das Problem <strong>de</strong>nkt, ob man kommunistische o<strong>de</strong>r pri­<br />

vate Aufglie<strong>de</strong>rung vornehmen soll. Mit <strong>de</strong>m Augenblick aber,<br />

wo man aus Grün<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s sozialen Frie<strong>de</strong>ns <strong>und</strong> <strong>de</strong>r sozialen<br />

Ordnung die Aufteilung <strong>de</strong>r Güter in Privateigentum vor­<br />

nimmt, hat dieses praktisch das Vorrecht, bis die soziale Frie­<br />

<strong>de</strong>nsordnung durch das Gesetz jene Urbestimmung <strong>de</strong>r mate­<br />

riellen Güter, <strong>de</strong>m Gebrauch aller zu dienen, rechtlich neu<br />

regelt. Bis dahin ist jenes „naturrechtliche Geschul<strong>de</strong>tsein"<br />

nichts an<strong>de</strong>rs als eine ethische Verpflichtung, allerdings eine<br />

ethische Verpflichtung, die trotz allem eine rechtliche wer<strong>de</strong>n<br />

kann, weil alle Pflichten <strong>de</strong>r natura humana nicht nur ethische<br />

For<strong>de</strong>rungen, son<strong>de</strong>rn zugleich auch rechtliche Organisations­<br />

prinzipien sind.<br />

Doch wir greifen bereits unserem Gedankengang vor. Es<br />

geht vorläufig noch nicht darum, die Aufteilung in privates<br />

Eigentum zu begrün<strong>de</strong>n <strong>und</strong> die damit sich ergeben<strong>de</strong> soziale<br />

Ordnung aufzuzeigen. Es kam bisher vielmehr darauf an, <strong>de</strong>n<br />

388


ersten Artikel mit <strong>de</strong>n in ihm liegen<strong>de</strong>n Folgerungen zu <strong>de</strong>uten. 66. 1/2<br />

Thomas behan<strong>de</strong>lt also darin, wie wir sahen, die ursprüngliche<br />

Hinordnung <strong>de</strong>r Güter auf <strong>de</strong>n Menschen, <strong>de</strong>r (als Mensch, auf<br />

Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r natura humana) sie gebrauchen, in Dienst nehmen<br />

soll. Von hier stammt die soziale Belastung jeglichen Besitzes,<br />

wovon die Väter im Kampf gegen Mißbräuche in so scharfen<br />

Worten gesprochen habe. Unter „Gebrauch" versteht Thomas<br />

das Indienstnehmen eines Gegenstan<strong>de</strong>s zu irgen<strong>de</strong>inem<br />

Zweck <strong>de</strong>s menschlichen Lebens, sei dies nun in Form <strong>de</strong>s Ver­<br />

brauchens bezüglich <strong>de</strong>r Konsumgüter o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Verausgabens<br />

beim Geld (11—11117,4; DT, Bd. 20), sei es in Form <strong>de</strong>s einfa­<br />

chen Ben<strong>utz</strong>ens, wie dies bei <strong>de</strong>n nichtkonsumtionsfähigen<br />

Gütern <strong>de</strong>r Fall ist, wie etwa beim Bewohnen eines Hauses<br />

(78,1).<br />

b) Kommunismus o<strong>de</strong>r private Eigentumsordnung?<br />

Spricht Thomas im ersten Artikel bereits vom <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen Menschen, irgend etwas, z. B. das Selbsterarbeitete, pri­<br />

vat zu besitzen? Wir können diese Frage nur verneinen. Denn<br />

die Vorstellung, daß ein einzelner Mensch aus sich erklärte, er<br />

habe von Natur das <strong>Recht</strong>, die Dinge, die er erarbeitet, gegen<br />

alle Anfechtungen von seiten <strong>de</strong>r Gemeinschaft zu besitzen,<br />

wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>n Gedankengang völlig stören. Ohne Zweifel schließt<br />

Thomas im ersten Artikel das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum nicht<br />

aus, wie wir bei <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s zweiten Arikels noch näher-<br />

hin sehen wer<strong>de</strong>n. Aber er meint noch keineswegs jenes private<br />

<strong>Recht</strong> auf Eigentum, das gemeint ist, wenn wir heute vom<br />

Naturrecht <strong>de</strong>s einzelnen Menschen auf sein Erarbeitetes spre­<br />

chen. Wir gehen vom einzelnen aus; Thomas spricht aber im<br />

ersten Artikel nur vom Menschen. Dieser kann die Güter besit­<br />

zen. Ja, es ist sogar erlaubt, daß er sie privat besitzt. Auch dies<br />

steht im Ganzen <strong>de</strong>s ersten Artikels. Aber beachten wir: warum<br />

erlaubt? Etwa, weil dieser o<strong>de</strong>r jener sich etwas erarbeitet hat<br />

<strong>und</strong> nun gegen die Gemeinschaft darauf pochen kann? Durch­<br />

aus nicht, son<strong>de</strong>rn nur, sofern die soziale Ordnung die private<br />

Eigentumsordnung gebietet, so daß erst um <strong>de</strong>s Ordnungsge­<br />

dankens willen <strong>de</strong>r einzelne das Seine in die Hand nimmt. Wir<br />

müssen uns einmal gr<strong>und</strong>sätzlich von unserer mo<strong>de</strong>rnen Auf­<br />

fassung <strong>de</strong>r Freiheitsrechte lösen, um <strong>de</strong>n Gedankengang <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas zu verstehen. In <strong>de</strong>m: „Es ist erlaubt, Privateigen-<br />

389


66. 1/2 tum zu besitzen", wovon Thomas zu Beginn <strong>de</strong>s zweiten Arti­<br />

kels spricht <strong>und</strong> das er bereits im ersten Artikel miteinschließt,<br />

ist nur so viel ausgesprochen, daß die Menschen auch eine pri­<br />

vate Eigentumsordnung einführen können. Es heißt aber nicht,<br />

o<strong>de</strong>r sagen wir besser „noch" nicht, daß <strong>de</strong>r Einzelne natur­<br />

rechtlich auf sein Eigenerworbenes pochen könne, weil er Ein­<br />

zelner, weil er Individuum <strong>und</strong> Person ist. Im heutigen Verständ­<br />

nis von Eigentumsrecht ist von vornherein die Verschie<strong>de</strong>nheit<br />

<strong>de</strong>s Besitzes mitgegeben. Je<strong>de</strong>r hat das Seine. In <strong>de</strong>r thomasi­<br />

schen Formulierung <strong>de</strong>s ersten Artikels hat je<strong>de</strong>r Mensch glei­<br />

ches <strong>Recht</strong> auf Zugang zu Eigentum, weil <strong>de</strong>r Mensch erlaubter­<br />

weise die Güter dieser Er<strong>de</strong> in Dienst nehmen darf. Potentiell<br />

liegt darin auch das <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n auf das je verschie<strong>de</strong>ne<br />

Seine. Aber nur potentiell, möglicherweise. Daß dieses <strong>Recht</strong><br />

wirklich eintritt <strong>und</strong> zur Regel gemacht wer<strong>de</strong>n soll, das hängt<br />

von Momenten ab, die nicht vom Individuum, son<strong>de</strong>rn vom<br />

Gemeinschaftsganzen herkommen.<br />

Damit eröffnet sich uns die Fragestellung <strong>de</strong>s zweiten Arti­<br />

kels^ geht hier darum, welche soziale Ordnung vorzuziehen<br />

sei, die kollektiv- o<strong>de</strong>r die privatrechtlich bestimmte.<br />

Für <strong>de</strong>n paradiesischen Menschen nahm Thomas das I<strong>de</strong>al<br />

<strong>de</strong>s freien Kommunismus an wie die Väter: „Im Unschuldszu­<br />

stan<strong>de</strong> wäre <strong>de</strong>r Wille <strong>de</strong>r Menschen so geordnet gewesen, daß<br />

sie ohne je<strong>de</strong> Gefahr <strong>de</strong>r Zwietracht von allem, was ihrer<br />

Herrschaftsmacht unterstand, Gebrauch gemacht hätten, wie<br />

es ein je<strong>de</strong>r bedurfte. Denn das wird ja auch bei uns von vielen<br />

guten Menschen so gehalten" (I 98,1 Zu 3; DT, Bd. 7). Ohne<br />

Zweifel sah Thomas in <strong>de</strong>r Gütergemeinschaft ein hohes I<strong>de</strong>al,<br />

das er im Mendikantenstreit mit Erfolg verteidigte. In <strong>de</strong>r Ord­<br />

nung <strong>de</strong>r Engel konnte er dafür ein Vorbild fin<strong>de</strong>n: „In <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft <strong>de</strong>r Engel ist aller Besitz gemeinsam" (1108,2 Zu<br />

2; DT, Bd. 8). Thomas <strong>de</strong>nkt natürlich bei diesem i<strong>de</strong>alen<br />

Zustand nicht an einen rechtlichen, son<strong>de</strong>rn nur an einen ethi­<br />

schen Kommunismus. Ein je<strong>de</strong>r Mensch wäre gescheit <strong>und</strong><br />

auch hochgemut genug, um alles ins Gemeinwohl zu bringen<br />

<strong>und</strong> von dort das zu nehmen, was er gera<strong>de</strong> braucht. Allerdings<br />

hat sich Thomas genauso wenig wie die Väter darüber Gedan­<br />

ken gemacht, wie im einzelnen die soziale Ordnung Zustan<strong>de</strong>­<br />

kommen soll, da wohl auch ohne Bosheit eine Unordnung sich<br />

hätte ergeben können. Suarez (De Opere Sex Dierum, lib.V,<br />

n. 18) ist diesem Gedanken nachgegangen <strong>und</strong> hat sich dabei<br />

390


überlegt, ob es <strong>de</strong>nn wirklich so weit hergewesen sei mit <strong>de</strong>m<br />

Kommunismus im Paradies: „Zu allererst scheint in jenem<br />

Stand kein Verbot bezüglich <strong>de</strong>r Aufteilung <strong>de</strong>r Güter bestan­<br />

<strong>de</strong>n zu haben, <strong>de</strong>nn ein positves Verbot läßt sich nicht ermitteln,<br />

noch wird ein natürliches Verbot aus <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>r<br />

rechten Vernunft abgeleitet, <strong>de</strong>nn eine solche Aufteilung wäre<br />

we<strong>de</strong>r gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong> noch gegen eine an<strong>de</strong>re<br />

Tugend... Darum ist weiterhin zu unterschei<strong>de</strong>n zwischen<br />

beweglichen <strong>und</strong> unbeweglichen Gütern. Denn die bewegli­<br />

chen Güter sind eher Gegenstand <strong>de</strong>r Aufteilung, weil sie eben<br />

dadurch, daß man sie in Besitz o<strong>de</strong>r an sich nimmt, <strong>de</strong>m gehö­<br />

ren, <strong>de</strong>r sie nimmt. Und dieses <strong>Recht</strong> scheint auch im Stand <strong>de</strong>r<br />

Unschuld notwendig gewesen zu sein. Wenn nämlich jemand<br />

zum Essen Früchte eines Baumes sammeln wür<strong>de</strong>, dann wür<strong>de</strong><br />

er unmittelbar dadurch ein beson<strong>de</strong>res <strong>Recht</strong> auf sie erwerben,<br />

um sie frei zu gebrauchen, <strong>und</strong> sie könnten ohne Ungerechtig­<br />

keit gegen seinen Willen ihm nicht abgenommen wer<strong>de</strong>n.<br />

Jedoch wäre hinsichtlich <strong>de</strong>r unbeweglichen Güter eine solche<br />

Aufteilung nicht nötig. Und von diesen re<strong>de</strong>n hauptsächlich die<br />

Autoren. Es ist allerdings darüber hinaus zu beachten, daß die<br />

Menschen in jenem Stand die Er<strong>de</strong> bebauen <strong>und</strong> vielleicht einen<br />

Teil davon besäen konnten. Daraus also wäre notwendiger­<br />

weise gefolgt, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r einen Teil <strong>de</strong>r Er<strong>de</strong> bebaut hat,<br />

gerechterweise nicht von einem an<strong>de</strong>rn seiner Ben<strong>utz</strong>ung <strong>und</strong><br />

gewissermaßen seines Besitzes beraubt wer<strong>de</strong>n konnte, <strong>de</strong>nn<br />

die natürliche Vernunft selbst <strong>und</strong> die angemessene Ordnung<br />

verlangen dies". Suarez nimmt dieselbe Angemessenheit einer<br />

Aufteilung in Privatbesitz auch für an<strong>de</strong>re unbewegliche Güter,<br />

wie z. B. Häuser, an.<br />

Thomas hätte noch nicht daran gedacht, ausdrücklich vom<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s einzelnen im Paradies zu sprechen. Es liegt ihm die<br />

Vorstellung fern, daß <strong>de</strong>r eine o<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re im Paradies auf sein<br />

privates <strong>Recht</strong> pochen könnte. Dagegen sagt Suarez, daß auch<br />

im Paradies <strong>de</strong>mjenigen, <strong>de</strong>r sich etwas erarbeitet hatte, das Er­<br />

arbeitete gerechterweise nicht genommen wer<strong>de</strong>n durfte, da es<br />

ja ihm gehörte. Hier taucht bereits ein Schimmer <strong>de</strong>s individual­<br />

rechtlichen Gesichtspunkts auf. Der einzelne wird erfaßt als<br />

Träger von <strong>Recht</strong>en, die ihm zustehen gegenüber <strong>de</strong>m Näch­<br />

sten <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ganzen. Suarez steht durchaus nicht gegen Tho­<br />

mas. Doch bleibt diese rechtliche Sicht bei Thomas noch ver­<br />

borgen: Es ist erlaubt, daß <strong>de</strong>r Mensch als solcher, also auch im<br />

391


66. 1/2 paradiesischen Zustand, etwas als sein betrachten kann. Aber<br />

<strong>de</strong>r Einzelmensch tut es nicht, er <strong>de</strong>nkt gar nicht daran, weil sich<br />

alles durch die ethische Vollkommenheit aller von selbst regelt.<br />

Thomas verbleibt noch viel zu sehr in <strong>de</strong>r ethischen Sicht <strong>de</strong>s<br />

Gemeinschaftslebens <strong>de</strong>r paradiesischen Menschen, um über­<br />

haupt an eine solche Entwicklung <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s latenten<br />

privaten <strong>Recht</strong>s zu <strong>de</strong>nken, von <strong>de</strong>m Suarez ausdrücklich<br />

spricht. Das <strong>Recht</strong> ist an sich da, es besteht auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur. Aber es ist in keiner Weise ein Gegenstand<br />

<strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung. Es wird nur in seiner ethischen Bewandtnis<br />

gesehen: <strong>de</strong>r einzelne achtet <strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rn. Es wird daher keiner<br />

die Veranlassung haben, an „sein" <strong>Recht</strong> zu <strong>de</strong>nken. Es wird<br />

also gera<strong>de</strong> das, was wir in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Auffassung <strong>de</strong>r Frei­<br />

heitsrechte beson<strong>de</strong>rs feststellen, das Individuelle <strong>und</strong> Vor­<br />

gemeinschaftliche, überhaupt nicht hervorgekehrt.<br />

Entsprechend dieser gr<strong>und</strong>sätzlich ethischen Sicht <strong>de</strong>r<br />

ursprünglichen Gemeinschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinschaft über­<br />

haupt, konnte Thomas die Verteidigung <strong>de</strong>s Privateigentums,<br />

d. h. <strong>de</strong>r allgemeinen Aufteilung in privaten Besitz, wobei ein<br />

je<strong>de</strong>r zunächst als Einzelner auftritt, nur vornehmen vom Ge­<br />

sichtspunkt <strong>de</strong>s Gemeinschaftlichen, nicht etwa vom Gesichts­<br />

punkt <strong>de</strong>s Individuellen aus. Thomas erklärt nun, daß <strong>de</strong>r Kom­<br />

munismus aus Freiheit <strong>und</strong> ethischer Vollkommenheit nicht<br />

mehr möglich, daß vielmehr die private Aufteilung eine Not­<br />

wendigkeit gewor<strong>de</strong>n sei. Ein Zwangskommunismus wäre<br />

gegen das Naturrecht, <strong>de</strong>nn „das Naturrecht gebietet nicht, alles<br />

gemeinsam zu besitzen" (Art. 2 Zu 1). Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum,<br />

<strong>und</strong> zwar das <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n Menschen, weil es ein <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s<br />

Menschen überhaupt ist, wird stillschweigend vorausgesetzt.<br />

Aber dieses <strong>Recht</strong> ist nach Artikel 1 noch universal, nicht diffe­<br />

renziert verstan<strong>de</strong>n. Darum fragt Thomas nun im zweiten Arti­<br />

kel, ob man die Differenzierung vornehmen soll, so daß <strong>de</strong>r<br />

eine mehr, <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re weniger besitze, ohne daß <strong>de</strong>m allgemei­<br />

nen Sinn <strong>de</strong>r Güter (Dienst an <strong>de</strong>r Gesamtheit) irgendwie Ein­<br />

trag geschieht.<br />

Man achte wohl auf die Verschie<strong>de</strong>nheit <strong>de</strong>r Zugänge, die<br />

damals Thomas <strong>und</strong> heute uns zum differenzierten, d. h. indivi­<br />

duell bestimmten <strong>Recht</strong> auf Eigentum führen. Thomas sieht die<br />

soziale Bestimmung <strong>de</strong>r Güter, <strong>de</strong>n sogenannten negativen<br />

Kommunismus; er erkennt die gr<strong>und</strong>sätzliche Erlaubtheit <strong>de</strong>s<br />

Einzelbesitzes, sofern die soziale Finalität <strong>de</strong>r Güterwelt erfüllt<br />

392


wird (Art. 1). Für die Aktualisierung <strong>de</strong>s allgemeinen Natur- 66. 1/2<br />

rechts auf die Güter in Form von differenzierten Einzelrechten<br />

kommt daher für Thomas nur ein sozialbestimmter Gr<strong>und</strong> in<br />

Frage: <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt, allen zu dienen. Wir dagegen<br />

machen diesen langen logischen Prozeß nicht mehr, son<strong>de</strong>rn<br />

kommen direkt zum differenzierten Privateigentumsrecht,<br />

in<strong>de</strong>m wir von <strong>de</strong>r Menschenwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s einzelnen ausgehen,<br />

von seinem bereits differenzierten Individuum-Sein, näherhin<br />

vom Vorstaatlichen, Vorgemeinschaftlichen.<br />

Welches sind nun die sozialen Grün<strong>de</strong>, welche die Verwirkli­<br />

chung <strong>de</strong>r allgemeinen Menschenrechte in Form von differen­<br />

zierten, d.h. Individualrechten for<strong>de</strong>rn? Thomas führt <strong>de</strong>ren<br />

drei an: 1. Anspornung zum Fleiß, <strong>de</strong>nn im allgemeinen besorgt<br />

<strong>de</strong>r Mensch das Gemeinwohl schlechter als das Eigenwohl, also<br />

Hebung <strong>de</strong>r Produktivität <strong>de</strong>r Arbeit; 2. bessere Behandlung<br />

<strong>de</strong>r Güter, also Vermeidung von Kapitalvergeudung; 3. Ruhe<br />

<strong>und</strong> Frie<strong>de</strong> unter <strong>de</strong>n Menschen, weil durch rechtliche Abgren­<br />

zung <strong>de</strong>r Streit vermie<strong>de</strong>n wird. 16<br />

Er kehrt also das Argument von Cbrysostomus gera<strong>de</strong> um.<br />

Während Cbrysostomus in <strong>de</strong>r Aufteilung einen Anlaß zum<br />

Unfrie<strong>de</strong>n sah, faßt sie Thomas als Mittel <strong>de</strong>s Frie<strong>de</strong>ns. Der ver­<br />

schie<strong>de</strong>ne Gesichtspunkt in diesen bei<strong>de</strong>n Äußerungen ist nicht<br />

außeracht zu lassen. Äußerer Anlaß zur rechtlichen Teilung<br />

mag die menschliche Schwäche <strong>und</strong> Sündhaftigkeit sein. Diese<br />

sieht <strong>de</strong>r Moralprediger Cbrysostomus. Innerer Sinn <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s<br />

aber ist Frie<strong>de</strong>nsordnung. Diese hat Thomas im Auge, er klärt<br />

also hier die Tradition ab. Die durchgängig gefor<strong>de</strong>rte soziale<br />

Zielsetzung <strong>de</strong>r materiellen Güterwelt wird voll <strong>und</strong> ganz<br />

gewahrt. Aus <strong>de</strong>m moralpessimistischen Argument, daß die<br />

Aufteilung auf die Bosheit <strong>de</strong>r Menschen zurückzuführen sei,<br />

wird die optimistische Formulierung: Die Aufteilung, die an<br />

sich gr<strong>und</strong>sätzlich erlaubt ist, wird gefor<strong>de</strong>rt im Hinblick auf<br />

die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Menschheit, nicht um <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn um<br />

<strong>de</strong>m Ziel <strong>de</strong>r Schöpfung, <strong>de</strong>m Frie<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Menschheit, zu die­<br />

nen: „Verteilung <strong>und</strong> Besitznahme <strong>de</strong>r Dinge — ein Werk <strong>de</strong>s<br />

menschlichen <strong>Recht</strong>s — hin<strong>de</strong>rn nicht, ebendiese Dinge zur Lin­<br />

<strong>de</strong>rung menschlicher Not einzusetzen" (Art. 7).<br />

Die drei Grün<strong>de</strong> haben ihr F<strong>und</strong>ament bei Aristoteles. Vgl. Anm. [5], wo das<br />

Verhältnis <strong>de</strong>r aristotelischen Lehre zu <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s hl.Thomas näher dargelegt<br />

wird.<br />

393


c) Das <strong>Recht</strong> auf Eigentum ein Naturrecht?<br />

So entsteht also um <strong>de</strong>r sozialen Ordnung willen die privat-<br />

rechtliche Ordnung. Ist nun dieses Privatrecht bei Thomas ein<br />

Naturrecht o<strong>de</strong>r nicht? Dies ist die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Frage, von<br />

<strong>de</strong>r abhängt, ob die mo<strong>de</strong>rne Schauweise irgen<strong>de</strong>ine innere<br />

Beziehung zur Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas hat o<strong>de</strong>r nicht.<br />

In <strong>de</strong>r Tat spricht Thomas nicht ausdrücklich vom Natur­<br />

recht auf Privateigentum. Er konnte es auch gar nicht im Hin­<br />

blick auf die naturgemäße Zielbestimmung aller Güter auf das<br />

Gemeinwohl. Die private Eigentumsordnung wird bei ihm<br />

erschlossen aus dieser Zielsetzung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>r<br />

konkreten Befindlichkeit <strong>de</strong>r Menschen. Darum sagt Thomas<br />

(Art. 2 Zu 1), daß die Aufteilung in privaten Besitz durch die<br />

menschliche Vernunft „gef<strong>und</strong>en" wor<strong>de</strong>n sei. Sie geht also über<br />

das Naturrecht hinaus, wie er ausdrücklich betont: Sie wird<br />

durch die Vernunft aus <strong>de</strong>m Naturrecht „herausgef<strong>und</strong>en"<br />

(a. a. O.), nicht, als ob damit das Naturrecht umgebogen wäre<br />

(I—II 94,5 Zu 3; DT, Bd. 13), son<strong>de</strong>rn hinzugefügt durch<br />

logische Anwendung <strong>de</strong>r Prinzipien auf konkrete Verhältnisse.<br />

Dabei han<strong>de</strong>lt es sich nicht nur um eine innere logische Entfal­<br />

tung von Naturrechtsprinzipien im Sinn <strong>de</strong>r rationalistischen<br />

Naturrechtslehre, son<strong>de</strong>rn um eine Logik, die eine neue, aus<br />

<strong>de</strong>r Erfahrung stammen<strong>de</strong> Erkenntnis in sich aufnimmt, näm­<br />

lich die Erfahrung, daß bei Aufteilung <strong>de</strong>r Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt<br />

besser gewahrt sei. Daraus ergibt sich als ermittelte, hinzuge­<br />

wonnene Erkenntnis: Das latente allgemeine <strong>Recht</strong> auf die<br />

Güter dieser Welt muß als privates Eigentumsrecht aktuiert<br />

wer<strong>de</strong>n. Nichts an<strong>de</strong>res ist gemeint durch „herausfin<strong>de</strong>n", was<br />

dadurch erwiesen ist, daß Thomas das Privateigentum zum „jus<br />

gentium" rechnet (57,3).<br />

Damit aber sind wir bei <strong>de</strong>r Lösung unserer Frage: Thomas<br />

sieht im privaten Eigentum, das sich einer erworben hat, ein<br />

Naturrecht; <strong>de</strong>nn alles, was in <strong>de</strong>r konkreten Situation <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur entspricht, auch wenn es erschlossen, also<br />

auch wenn es zum „jus gentium" gehört, ist ein natürliches<br />

<strong>Recht</strong>. Allerdings beachte man wohl, unter welchen logischen<br />

Voraussetzungen Thomas zu diesem Naturrecht kommt. Der<br />

einzelne kann tatsächlich das von ihm Erworbene nur als „sein"<br />

Naturrecht bezeichnen, insofern vom Gemeinwohl her bereits<br />

die private Eigentumsordnung als naturgemäß erwiesen ist <strong>und</strong><br />

394


insofern das von ihm Erworbene <strong>de</strong>n Ursinn <strong>de</strong>r privaten<br />

Eigentumsordnung nicht vernichtet, nämlich die Güter mög­<br />

lichst allen zugänglich zu machen. Es gehen also diesem indivi­<br />

duellen „Naturrecht" Bedingungen voraus, die als vordringli­<br />

chere Naturprinzipien zuerst erfüllt sein müssen. Die private<br />

Eigentumsordnung als allgemeines Prinzip verteidigt Thomas<br />

in umfassen<strong>de</strong>r Weise für die Menschheit als solche, nach<strong>de</strong>m<br />

sie in die Sün<strong>de</strong> gefallen ist. Damit aber ist das individuell<br />

Erworbene noch nicht ausreichend als „Naturrecht" gerechtfer­<br />

tigt. Es muß die nächste Bedingung erfüllt sein, daß nämlich das<br />

jeweils konkret Erworbene <strong>de</strong>m ursprünglichen Sinn <strong>de</strong>r Güter<br />

wirklich gerecht wird. Da die private Eigentumsordnung eine<br />

<strong>Recht</strong>sordnung ist, bleibt als Instanz, welche diese kontingente<br />

<strong>und</strong> wechseln<strong>de</strong> Bedingung stets neu bestimmt, nur eine<br />

menschliche Institution, nämlich die menschliche Überein­<br />

kunft, die zum gesatzten <strong>Recht</strong> gehört (Art. 2 Zu 1).<br />

Das gesatzte <strong>Recht</strong> spielt in <strong>de</strong>r Bestimmung <strong>de</strong>s Privatei­<br />

gentums eine große Rolle. Dabei <strong>de</strong>nkt Thomas aber nicht so<br />

sehr an die Willensäußerung <strong>de</strong>r staatlichen Autorität als sol­<br />

cher, son<strong>de</strong>rn vielmehr an das Gemeinwohl, das in dieser Wil­<br />

lensäußerung bestimmt wer<strong>de</strong>n soll. In diesem Sinn wird nach<br />

Thomas das <strong>Recht</strong> auf Eigentum sogar erst wirklich. So gehört<br />

ein gef<strong>und</strong>ener Gegenstand <strong>de</strong>m Fin<strong>de</strong>r nicht mehr, wenn die<br />

bürgerlichen Gesetze dies bestimmen (Art. 5 Zu 2). Auch sagt<br />

Thomas (Art. 5 Zu 1), daß in <strong>de</strong>m Augenblick, da <strong>de</strong>r Richter<br />

einen Gegenstand irgend jeman<strong>de</strong>m zuspricht, dieser Gegen­<br />

stand diesem gehöre, so daß er ihn bei <strong>de</strong>m, <strong>de</strong>r ihn noch zu­<br />

rückhalten wollte, heimlich holen könne, ohne Diebstahl zu be­<br />

gehen.<br />

Soll dies aber heißen, daß Thomas bezüglich <strong>de</strong>s Privateigen­<br />

tums doch einen reinen Positivismus vertrete ? In <strong>de</strong>r Beantwor­<br />

tung dieser Frage stoßen wir wohl auf jenen Punkt, von <strong>de</strong>m aus<br />

die alte <strong>und</strong> die neue Sicht in ihrer gegenseitigen Zuordnung<br />

erst verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n können. Unter Voraussetzung <strong>de</strong>s wah­<br />

ren Gemeinwohls gilt immer, daß das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum<br />

ein Nachfahre <strong>de</strong>s Gemeinwohls ist, niemals aber vorgemein­<br />

schaftlich. Auch die mo<strong>de</strong>rne christliche Schauweise anerkennt<br />

keine vorgemeinschaftlichen <strong>Recht</strong>e, son<strong>de</strong>rn sieht alle Men­<br />

schenrechte nur innerhalb <strong>de</strong>r Gemeinschaft. Leo XIII. hat nie­<br />

mals im Sinn gehabt, das vorstaatliche <strong>Recht</strong> auf Eigentum als<br />

ein vorgemeinschaftliches zu bezeichnen. Thomas sieht nun auf<br />

395


<strong>de</strong>r abstrakten Höhe, auf welcher sich seine Philosophie vom<br />

Privateigentum hält, in <strong>de</strong>m menschlichen Gesetz das Sprach­<br />

rohr <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Darum kann er ohne Sorge sagen, daß<br />

das Privateigentum eine „Institution" <strong>de</strong>s menschlichen Geset­<br />

zes sei. Für <strong>de</strong>n Fall, daß ein Machthaber gegen das wahre<br />

Gemeinwohl, also gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, das Gut eines Glie­<br />

<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r Gemeinschaft an sich reißen wür<strong>de</strong>, begeht er Raub, wie<br />

Thomas ausdrücklich erklärt (Art. 8). Diese Sicht muß man<br />

festhalten, um von Thomas aus <strong>de</strong>n Zugang zu <strong>de</strong>n vorstaat­<br />

lichen Naturrechten im mo<strong>de</strong>rnen Sinne zu fin<strong>de</strong>n. Den Staat<br />

<strong>de</strong>r Philosophen gibt es nicht. Es existieren viele Staaten, von<br />

<strong>de</strong>nen keiner für sich in Anspruch nehmen kann, er vertrete das<br />

ganze Humanum. Zu<strong>de</strong>m haben wir heute aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

geschichtlichen Kenntnisse allen Gr<strong>und</strong>, gegenüber <strong>de</strong>n Ent­<br />

scheidungen <strong>de</strong>r staatlichen Autoritätsträger skeptisch zu sein.<br />

Wir erklären darum mit viel größerem Gewicht als etwa Tho­<br />

mas, daß <strong>de</strong>r Staat sich an die von <strong>de</strong>r Natur vorgegebenen<br />

<strong>Recht</strong>e zu halten habe. Diese vorgegebenen <strong>Recht</strong>e sind nie­<br />

mals gemeinschaftsfremd, sie sind zwar immer sozialbestimmt,<br />

aber <strong>de</strong>m Willen <strong>de</strong>s Staates übergeordnet. Da nun die vorgege­<br />

bene soziale Ordnung die Ordnung <strong>de</strong>r privaten <strong>Recht</strong>sord­<br />

nung ist, steht zunächst die Präsumtion für das Individuum. So<br />

kommen wir dazu, zu sagen, <strong>de</strong>r Einzelmensch habe ein natür­<br />

liches <strong>Recht</strong> auf sein Eigentum. Philosophisch aber bleibt dieses<br />

„vorstaatliche" <strong>Recht</strong> naturrechtlich ein soziales <strong>und</strong> damit im<br />

Gr<strong>und</strong>e — abstrakt gesehen (!) — auch ein staatliches <strong>Recht</strong>.<br />

Die vorzügliche Stellung, die die private Eigentumsordnung<br />

als — wenngleich abgeleitetes — Naturrecht einnimmt, verpflich­<br />

tet die staatliche Autorität, bestehen<strong>de</strong> Eigentumsverhältnisse<br />

zu respektieren. Die Behör<strong>de</strong>n haben darum z.B. in ihrer<br />

Raumplanung darauf zu achten, daß erworbenes Eigentum<br />

nicht einfach unter das Rad <strong>de</strong>r Enteignung gerät, weil diese<br />

gera<strong>de</strong> im Augenblick vom Gemeinwohl erfor<strong>de</strong>rt erscheint.<br />

Die Enteignung (im Normalfall gegen Entschädigung) ist zwar<br />

durch das Gemeinwohl gerechtfertigt. Die Behör<strong>de</strong>n dürften<br />

sich aber ihrer eigenen Erkenntnisgrenzen bewußt sein <strong>und</strong> ihre<br />

Integration <strong>de</strong>s Gemeinwohls nicht als die einzig richtige anse­<br />

hen. Die Gefahr <strong>de</strong>r langsamen, unbemerkten Zersetzung <strong>de</strong>r<br />

privaten Eigentumsordnung als eines naturrechtlich gebotenen<br />

sozialen Ordnungsprinzips ist ernst zu nehmen.<br />

396


Es dürfte nicht müßig sein, noch eigens zu betonen, daß auch 66. 1/2<br />

im großen Weltraum die Präsumtion stets für das Private steht,<br />

nach<strong>de</strong>m mit Thomas nachgewiesen ist, daß die Privatordnung<br />

gr<strong>und</strong>sätzlich <strong>de</strong>n sozialen Sinn <strong>de</strong>r Güterwelt besser erfüllt als<br />

eine kommunistische Ordnung. Allerdings ist in diesem Raum<br />

das Private in viel größerem Ausmaß sozial belastet als nur<br />

innerhalb eines einzelnen Staates. Diese Feststellung mag über­<br />

raschen, weil wir heute in unserem Staats<strong>de</strong>nken gera<strong>de</strong> umge­<br />

kehrte Vorstellungen haben.<br />

d) Die Reichweite <strong>de</strong>s Privaten<br />

Worin sieht Thomas nun eigentlich <strong>de</strong>n privaten Bereich im<br />

Eigentum, da doch <strong>de</strong>r Gebrauch selbst gemeinsam sein soll?<br />

Diese Frage bedarf <strong>de</strong>r Klärung, weil davon die Anwendungs­<br />

möglichkeit <strong>de</strong>s thomasischen Eigentumsbegriffs auf mo<strong>de</strong>rne<br />

wirtschaftliche Verhältnisse abhängt.<br />

Thomas meint (Art. 2), daß <strong>de</strong>r Mensch berechtigt sei, etwas<br />

privat zu erwerben <strong>und</strong> zu verwalten. Bei<strong>de</strong>s, Erwerb <strong>und</strong> Ver­<br />

waltung, untersteht <strong>de</strong>n Normen <strong>de</strong>r Moral, entschei<strong>de</strong>nd also<br />

<strong>de</strong>m Gewissen.<br />

Der Erwerb darf nicht grenzenlos sein. Von <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s<br />

Geizes sagt darum Thomas, sie liege nicht nur dann vor, wenn<br />

jemand einen Überfluß zurückhält, son<strong>de</strong>rn auch, wenn er<br />

„mehr, als ihm gebührt, erwirbt" (II—II 118,1 Zu 2; DT,<br />

Bd. 20). Allerdings ist die rechtliche Seite <strong>de</strong>s Erwerbs nach<br />

Thomas privat, so schwer auch die ethischen Lasten zugunsten<br />

<strong>de</strong>s Nächsten sein mögen.<br />

Dasselbe gilt von <strong>de</strong>r Verwaltung. Die Verwaltung versteht<br />

Thomas als „die Zumessung von etwas Gemeinsamem auf die<br />

einzelnen; darum wird auch <strong>de</strong>r Leiter <strong>de</strong>r Familie Verwalter<br />

genannt, insofern er je<strong>de</strong>m Glied <strong>de</strong>r Familie mit Gewicht <strong>und</strong><br />

Maß sowohl Beschäftigung wie auch das zum Leben Notwen­<br />

dige zuteilt" (I—II 97,4; DT, Bd. 13). Ähnlich in II-II 88,10<br />

(DT, Bd. 19): „Die Verwaltung bezeichnet offenbar eine gewisse<br />

abgewogene Austeilung o<strong>de</strong>r Zuwendung von etwas Gemein­<br />

samem an die Teile, die in ihm beschlossen sind. Auf diese Weise<br />

sagt man, es wür<strong>de</strong> jemand die Speise <strong>de</strong>r Familie verwalten."<br />

Der Gebrauch <strong>de</strong>r Dinge ist sozial bestimmt, allerdings in<br />

<strong>de</strong>r Weise, daß das <strong>Recht</strong> auf <strong>de</strong>n Gebrauch zunächst beim<br />

Eigentümer liegt <strong>und</strong> die Einschränkung erst durch gesetzliche<br />

397


Maßnahmen erfährt, wobei aber bereits vor <strong>de</strong>m gesatzten<br />

<strong>Recht</strong> die ethische Pflicht besteht, die natürliche Zweckbestim­<br />

mung <strong>de</strong>r Dinge zu erfüllen <strong>und</strong> sie darum aus freien Stücken<br />

<strong>de</strong>m Nächsten zur Verfügung zu stellen. Diese freie Tat ist<br />

Liebe, zugleich aber zu einem be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>n Stück soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> (vgl. A. F. Utz, Freiheit <strong>und</strong> Bindung <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tums, 1949, 72-83).<br />

In <strong>de</strong>r Enzyklika „Rerum novarum" ist jedoch nicht nur vom<br />

<strong>Recht</strong> auf die Verwaltung als einem privaten Moment im Eigen­<br />

tum die Re<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn auch vom <strong>Recht</strong> auf die Sache selbst. Es<br />

ist keine Frage, daß Thomas dieses <strong>Recht</strong> miteinschließt in <strong>de</strong>m<br />

Begriff <strong>de</strong>s „Anschaffens" (procurare = besorgen). Somit gehört<br />

nach Thomas auch <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>mjenigen, <strong>de</strong>r ihn durch Arbeit<br />

o<strong>de</strong>r sonst aufgr<strong>und</strong> irgen<strong>de</strong>ines Titels erworben hat. Um die­<br />

ses substantiellen Eigentumsrechts willen besitzt <strong>de</strong>r Eigentü­<br />

mer das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Verwaltung <strong>und</strong> Verfügung.<br />

e) Der Eigentumsbegriff <strong>de</strong>s hl. Thomas <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Wan<strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaft<br />

Für <strong>de</strong>n mittelalterlichen Menschen war das Eigentum<br />

unmittelbar <strong>de</strong>m Zweck unterstellt, <strong>de</strong>n in letzter Entscheidung<br />

die irdischen Güter immer haben müssen: Erhaltung <strong>und</strong> Siche­<br />

rung <strong>de</strong>s menschlichen Lebens. Darum begegnen wir <strong>de</strong>r sozia­<br />

len Bindung <strong>de</strong>s Eigentums sozusagen nur in <strong>de</strong>r Form <strong>de</strong>r<br />

Zuteilung von Konsumgütern an die Armen. Fast endlos sind<br />

die Traktate über <strong>de</strong>n Überfluß <strong>und</strong> seine Abschöpfung durch<br />

das Almosen. Da <strong>de</strong>r Kleinbürger immer noch unterhalb <strong>de</strong>s<br />

Ran<strong>de</strong>s blieb, über welchen <strong>de</strong>r Überfluß abfloß bzw. abfließen<br />

mußte, war er <strong>de</strong>r unbelastete, privilegierte <strong>und</strong> unumstrittene<br />

Träger seiner <strong>Recht</strong>e. So war <strong>und</strong> blieb es durch die ganze Zeit<br />

<strong>de</strong>s Handwerks <strong>und</strong> <strong>de</strong>s bäuerlichen Lebensstils. Es herrschte<br />

also die rein quantitative Sicht <strong>de</strong>s Eigentums vor. Man dachte<br />

nicht an eine qualitative Bindung <strong>de</strong>s Eigentums innerhalb <strong>de</strong>r<br />

Produktion, daß z.B. die Verfügungsgewalt in irgen<strong>de</strong>iner<br />

Weise durch die Vertreter <strong>de</strong>r Arbeit mitbeansprucht wer<strong>de</strong>n<br />

könnte. Heute sind wir gewohnt, in <strong>de</strong>n Großbetrieben die Ver­<br />

waltung in <strong>de</strong>n Hän<strong>de</strong>n von vertraglich verpflichteten Direkto­<br />

ren zu sehen. Der Manager ist ein neuer Typ im wirtschaftlichen<br />

Leben. Immer noch allerdings ist er sozialer Vertreter <strong>de</strong>s Kapi­<br />

talbesitzers. Insofern bleibt die Verbindung zum Eigentümer<br />

398


noch gewahrt, wenngleich sie gera<strong>de</strong> im Hinblick auf das um- 66. 1/2<br />

fangreiche Kreditwesen äußerst locker gewor<strong>de</strong>n ist. Wir sind<br />

heute auch so weit vorgedrungen, daß auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Berufs­<br />

stän<strong>de</strong> eine volle Parität zwischen Kapitalbesitzer <strong>und</strong> Arbeit­<br />

nehmer besteht. Unsere Vorstellung vom Eigentum <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

damit verb<strong>und</strong>enen privaten Verfügung fin<strong>de</strong>t also in einer<br />

gewissen, wenn auch indirekten (nämlich über <strong>de</strong>n Berufsstand<br />

<strong>und</strong> die Wirtschaftspolitik sich bil<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n) Verfügungsbe­<br />

schränkung nichts Frem<strong>de</strong>s mehr; d.h., wir haben auch eine<br />

qualitative soziale Belastung <strong>de</strong>s Eigentums anerkannt. Neuer­<br />

dings geht <strong>de</strong>r Streit sogar so weit, daß die Parität auch auf <strong>de</strong>r<br />

Basis <strong>de</strong>s Betriebs betont wird, so daß das Zentrale <strong>de</strong>s Priva­<br />

ten, nämlich die Verfügung, getroffen zu sein scheint. Es ist dies<br />

die bekannte Frage nach <strong>de</strong>m wirtschaftlichen Mitbestim­<br />

mungsrecht im Betrieb.<br />

Was hier beson<strong>de</strong>rs interessiert, ist die Frage, in welchem<br />

Sinn die freie Verfügungsgewalt bei Thomas zu verstehen sei.<br />

Die Verfügungsgewalt, die nach Thomas <strong>de</strong>r Mittelpunkt <strong>de</strong>s<br />

Privateigentums ist, besteht nur um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen.<br />

Thomas hat darum diese Verfügungsfreiheit unmöglich im Sinn<br />

einer isolierten Freiheit verstehen können. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

besteht keine Schwierigkeit für das thomasische Denken, eine<br />

Beschränkung <strong>de</strong>r Verfügungsgewalt dort anzuerkennen, wo<br />

das Gemeinwohl sie for<strong>de</strong>rt. Es ist darum bei Thomas mit <strong>de</strong>r<br />

Verteidigung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung noch gar nichts<br />

über die Notwendigkeit einer freien o<strong>de</strong>r einer gelenkten Wirt­<br />

schaft ausgemacht. Gewiß, die Präsumtion steht für die freie,<br />

aber: im Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls, <strong>und</strong> nicht nur das, son<strong>de</strong>rn<br />

sogar nur zur Wahrung <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Es ist nun eine Frage<br />

<strong>de</strong>s wirtschaftswissenschaftlichen Wissens <strong>und</strong> <strong>de</strong>r klugen, ver­<br />

antwortungsvollen Wirtschaftspolitik, zu entschei<strong>de</strong>n, ob im<br />

einzelnen Fall eine qualitative Beschränkung <strong>de</strong>s Eigentums,<br />

eine Beschränkung <strong>de</strong>r Verfügungsgewalt durch irgendwelche<br />

beteiligte Nicht-Eigentümer um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen<br />

gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n müsse. Doch darf man nicht aus <strong>de</strong>m Auge<br />

verlieren, daß <strong>de</strong>r Eigentümer als Verwalter <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Eigen­<br />

tumslehre <strong>de</strong>s hl. Thomas bil<strong>de</strong>t. Um <strong>de</strong>n Eigentümer an seine<br />

Pflicht zu bin<strong>de</strong>n, sich als Verwalter im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

zu betrachten, sind gesetzliche Normen notwendig. Diese soll­<br />

ten aber nicht zur Auflösung <strong>de</strong>s Verwaltungsrechts <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tümers führen.<br />

399


66. 1/2 Die Gr<strong>und</strong>legung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung im<br />

Gemeinwohl wirkt sich in bemerkenswerter Weise auf das<br />

mo<strong>de</strong>rne Problem <strong>de</strong>s Kapitalismus aus. Kapitalismus hat dabei<br />

nicht eine rein wirtschaftliche Funktion, be<strong>de</strong>utet hier auch<br />

nicht irgen<strong>de</strong>ine moralische Einstellung auf Gewinn, son<strong>de</strong>rn<br />

umfaßt einen w\nschz{t.srechtlich'en Inhalt, die Beziehung <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlichen Größe „Kapital" zum Eigentümer: Ein an<strong>de</strong>rer<br />

ist es, <strong>de</strong>r die Arbeit leistet, <strong>und</strong> ein an<strong>de</strong>rer, <strong>de</strong>r das Kapital gibt<br />

(Entsprechen<strong>de</strong>s gilt auch vom Zinsproblem, vgl. Fr. 78). Die<br />

kapitalistische Wirtschaftsweise ergibt sich unmittelbar aus <strong>de</strong>r<br />

privaten Eigentumsordnung. So lange im Produktionsprozeß<br />

die Betonung auf <strong>de</strong>m Privaten ruht, so lange ist auch die kapi­<br />

talistische Wirtschaftsweise eine logische Notwendigkeit. Es<br />

kommt <strong>de</strong>mnach ganz darauf an, sich über <strong>de</strong>n metaphysisch­<br />

ethischen Ort <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnung klar zu sein. Es<br />

wäre — je<strong>de</strong>nfalls in <strong>de</strong>r Denkweise <strong>de</strong>s hl. Thomas — gr<strong>und</strong>weg<br />

falsch, die private Eigentumsordnung als ein Apriori aufzufas­<br />

sen im Sinn <strong>de</strong>s unwan<strong>de</strong>lbaren, ewig gleichbleiben<strong>de</strong>n Natur­<br />

rechts. Thomas selbst hat sich in seinem Nachweis <strong>de</strong>s Privatei­<br />

gentums sehr vorsichtig ausgedrückt, in<strong>de</strong>m er bei allen drei<br />

Grün<strong>de</strong>n die komparativische, nicht die absolute Form<br />

benützt: mehr Fleißaufwendung <strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Menschen,<br />

bessere Behandlung <strong>de</strong>r Güter, bessere Bewahrung <strong>de</strong>s allgemei­<br />

nen Frie<strong>de</strong>ns (Art. 2). Das Apriori in <strong>de</strong>r Eigentumsfrage ist bei<br />

Thomas das Gemeinwohl. Wenn einmal die privatrechtliche<br />

Scheidung von Arbeit <strong>und</strong> Kapital im Produktionsprozeß vom<br />

Gemeinwohl her nicht mehr empfohlen o<strong>de</strong>r angezeigt wäre,<br />

dann wür<strong>de</strong> logischerweise die kapitalistische Wirtschaftsweise<br />

abgeschafft wer<strong>de</strong>n müssen. Doch besteht zu dieser Abschaf­<br />

fung noch kein Gr<strong>und</strong>. Im Raum <strong>de</strong>s An-sich wäre sie aber<br />

durchaus <strong>de</strong>nkbar. Man wür<strong>de</strong> die kirchliche Soziallehre völlig<br />

verdrehen, wür<strong>de</strong> man die kapitalistische Wirtschaftsweise wie<br />

ein Dogma betrachten. Der Blick auf die Tradition <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Lehre dürfte hierüber genügend Aufschluß gegeben<br />

haben. Den Schlüssel zum Verständnis <strong>de</strong>r gesamten Zusam­<br />

menhänge bietet nur ein gründliches Studium <strong>de</strong>s Wesens <strong>de</strong>s<br />

Naturrechts (vgl. Kommentar zu Fr. 57).<br />

400


B. DIE SITTLICHE BEWERTUNG DES DIEBSTAHLS<br />

UND DES RAUBES<br />

(Art. 3-9)<br />

Thomas bestimmt (Art. 3) mit <strong>de</strong>r Tradition <strong>de</strong>n Diebstahl<br />

als geheime Wegnahme einer frem<strong>de</strong>n Sache. Drei Momente<br />

sind in dieser Definition enthalten:<br />

1. Frem<strong>de</strong>s; dadurch wird im eigentlichen Sinn die Gerech­<br />

tigkeit berührt. 2. Ein Sachgut; dadurch wird <strong>de</strong>r Diebstahl<br />

gegen Körperverletzung unterschie<strong>de</strong>n. 3. Geheim; hierdurch<br />

wird <strong>de</strong>r Unterschied gegen <strong>de</strong>n Raub angegeben.<br />

Es ist nun eigenartig, in welcher Weise Thomas <strong>de</strong>n Raub als<br />

vom Diebstahl wesentlich verschie<strong>de</strong>n nachweist. Wir wür<strong>de</strong>n<br />

heute sagen, daß <strong>de</strong>r Raub eine beson<strong>de</strong>re Erschwerung <strong>de</strong>s<br />

Diebstahls <strong>und</strong> darüber hinaus noch eine Bedrohung <strong>de</strong>r kör­<br />

perlichen Unversehrtheit <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>utet, also von hier aus<br />

die Bewandtnis einer an<strong>de</strong>rn Art <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit annimmt.<br />

Thomas aber lag ein festes Schema vor, gemäß <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Raub<br />

eine einzig auf frem<strong>de</strong>s Sachgut gerichtete Ungerechtigkeit ist,<br />

so daß je<strong>de</strong>r an<strong>de</strong>re Gesichtspunkt wie <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r möglichen o<strong>de</strong>r<br />

wirklichen Körperverletzung unmittelbar nicht in Betracht<br />

kommt. Wie aber soll man <strong>de</strong>n Raub als eine beson<strong>de</strong>re Art <strong>de</strong>r<br />

Ungerechtigkeit erkennen, die sich auch vom Diebstahl wesent­<br />

lich unterschei<strong>de</strong>t? Um nun diese eigene Wesensart <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit zu wahren, erklärt Thomas, daß sowohl <strong>de</strong>r Dieb­<br />

stahl wie auch <strong>de</strong>r Raub zwar eine Wegnahme frem<strong>de</strong>n Gutes<br />

gegen <strong>de</strong>n Willen <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn be<strong>de</strong>uten, daß aber eben dieser<br />

Unwille <strong>de</strong>s Bestohlenen o<strong>de</strong>r Beraubten bei Diebstahl <strong>und</strong> bei<br />

Raub je verschie<strong>de</strong>n sei. Beim Diebstahl äußert sich <strong>de</strong>r Unwille<br />

im reinen Nichtwollen <strong>de</strong>s Eigentümers, beim Raub im positi­<br />

ven Wi<strong>de</strong>rstreben gegen die Gewalt.<br />

Man könnte sich allerdings fragen, ob die Ineinssetzung von<br />

Unwillen <strong>und</strong> reinem Nichtwollen, also <strong>de</strong>m völligen Fehlen<br />

jeglichen Willensaktes, angängig sei, da zur Ungerechtigkeit<br />

notwendigerweise vorausgesetzt wird, daß <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>m ein<br />

Unrecht geschieht, positiv unwillig ist o<strong>de</strong>r wenigstens als sol­<br />

cher angenommen wird. Thomas selbst setzt in <strong>de</strong>m Prinzip,<br />

daß niemand mit Willen (wir wür<strong>de</strong>n sagen „mit Vergnügen")<br />

lei<strong>de</strong>t, voraus, daß man als Unwilliger <strong>und</strong> nicht bloß als Willen­<br />

loser lei<strong>de</strong>.<br />

401


66. 3-9 Und <strong>de</strong>nnoch offenbart die Art, in welcher Thomas <strong>de</strong>n<br />

Diebstahl <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Raub voneinan<strong>de</strong>r unterschei<strong>de</strong>t, <strong>de</strong>n mora­<br />

lischen Zusammenhang mit <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> bzw. <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit besser als je<strong>de</strong> an<strong>de</strong>re Erklärung. Von seiten <strong>de</strong>ssen,<br />

<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Diebstahl begeht, genügt es, daß er absichtlich das<br />

Nicht-wissen <strong>de</strong>s Besitzers ben<strong>utz</strong>t, um an die Sache zu kom­<br />

men. Wenngleich also vonseiten <strong>de</strong>s Besitzers noch keinerlei<br />

Unwille geäußert wor<strong>de</strong>n ist, noch überhaupt möglich war, so<br />

tritt doch das reine Nicht-wissen <strong>de</strong>s Besitzers in die moralische<br />

Bewertung <strong>de</strong>s Diebstahls, weil die Verheimlichung die Ursache<br />

<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Diebstahls ist, wie Thomas ausdrücklich sagt<br />

(Art. 3 Zu 1). Demgegenüber bringt das Wissen <strong>de</strong>s Besitzers,<br />

das sich mit <strong>de</strong>m positiven Unwillen verbin<strong>de</strong>t, beim Raub eine<br />

ganz neue moralische Note hinein. Der Räuber rechnet das<br />

Wissen <strong>de</strong>s zu Berauben<strong>de</strong>n mit in sein Unternehmen ein, er<br />

überwin<strong>de</strong>t es — nicht wie beim Diebstahl durch Verheimli­<br />

chung, da Verheimlichung natürlich ausgeschlossen ist, son<strong>de</strong>rn<br />

— durch Anwendung von Gewalt.<br />

Diebstahl ist immer Sün<strong>de</strong>, erklärt Thomas im 5. Artikel,<br />

<strong>und</strong> zwar schwere Sün<strong>de</strong>, wie es im sechsten Artikel heißt;<br />

<strong>de</strong>nn es wird damit zugleich auch die göttliche Liebe verletzt,<br />

die gebietet, daß man <strong>de</strong>n Nächsten achte, in<strong>de</strong>m man ihm<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> wi<strong>de</strong>rfahren läßt. Eine beson<strong>de</strong>re Note erhält<br />

diese Sün<strong>de</strong>, wenn sie zur Gewohnheit in <strong>de</strong>r Gesellschaft wird,<br />

weil dann die menschliche Gesellschaft in Gefahr ist (Art. 6).<br />

Diese Feststellung <strong>de</strong>s hl. Thomas verdient <strong>de</strong>swegen eigene<br />

Aufmerksamkeit, weil hier <strong>de</strong>r christlichen Liebe die Sorge um<br />

<strong>de</strong>n Bestand <strong>de</strong>r Gesellschaft aufgetragen wird, wenn auch<br />

nicht direkt, son<strong>de</strong>rn über die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Selbstre<strong>de</strong>nd läßt<br />

Thomas im Bereich <strong>de</strong>s Diebstahls auch eine geringfügige<br />

Sache <strong>und</strong> damit eine läßliche Sün<strong>de</strong> zu (vgl. 59,4 Zu 1).<br />

Der Raub wird als schwerere Sün<strong>de</strong> erklärt als <strong>de</strong>r Diebstahl,<br />

weil dabei nicht nur das Nicht-wissen eines an<strong>de</strong>rn listig ausge­<br />

n<strong>utz</strong>t, son<strong>de</strong>rn direkt gegen das Wissen mit Gewalt vorgegan­<br />

gen wird (Art. 9). Ferner — <strong>und</strong> damit berührt Thomas mehr<br />

<strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>, <strong>de</strong>n wir in <strong>de</strong>n mo<strong>de</strong>rnen Moralbüchern fin<strong>de</strong>n — ist<br />

<strong>de</strong>r Raub nicht nur auf die Sache, son<strong>de</strong>rn auch auf die Person<br />

gerichtet, welche unmittelbar bedroht wird.<br />

Von beson<strong>de</strong>rem, sowohl praktischem wie auch wissen­<br />

schaftlichem Interesse sind die bei<strong>de</strong>n Artikel 7 <strong>und</strong> 8, worin<br />

Thomas <strong>de</strong>r Frage nachgeht, ob es Fälle von heimlicher <strong>und</strong><br />

402


gewaltsamer Wegnahme materieller Güter gäbe, in <strong>de</strong>nen von 66. 3-9<br />

Diebstahl o<strong>de</strong>r Raub <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge von Sün<strong>de</strong> keine Re<strong>de</strong><br />

mehr sein könne. Theoretisch ist die Frage von Interesse, inso­<br />

fern bei <strong>de</strong>r heimlichen Wegnahme das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Armen <strong>und</strong><br />

Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r gewaltsamen Wegnahme, das <strong>Recht</strong><br />

<strong>de</strong>s Staates abgeklärt wird. Praktisch hat diese Frage ihre eigene<br />

Be<strong>de</strong>utung, weil darin be<strong>de</strong>utsame gesellschaftliche Bewegun­<br />

gen, wie die Revolution <strong>de</strong>s Proletariats gegen die Besitzen<strong>de</strong>n,<br />

<strong>und</strong> politische Maßnahmen, wie die <strong>de</strong>r Verstaatlichungen, ihre<br />

Beurteilung erhalten.<br />

Verliert aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Besitzer, <strong>de</strong>r bisher<br />

Eigentümer von Gütern war, sein Eigentumsrecht, ohne daß er<br />

selbst darauf verzichtet? Wenn ja, dann ergibt sich ohne weite­<br />

res, daß zumin<strong>de</strong>st eine heimliche Wegnahme ohne Diebstahl<br />

erlaubt ist. Es fragt sich dann nur noch, ob auch mit Gewalt <strong>de</strong>r<br />

Abtransport durch <strong>de</strong>n neuen Eigentümer besorgt wer<strong>de</strong>n<br />

könne. Thomas behan<strong>de</strong>lt diese bei<strong>de</strong>n Teile getrennt, in<strong>de</strong>m er<br />

zunächst (Art. 7) die Frage stellt, ob es in äußerster Not erlaubt<br />

sei, frem<strong>de</strong>s Gut geheim, wie im Diebstahl, wegzunehmen,<br />

dann in Art. 8, ob man ohne Sün<strong>de</strong> frem<strong>de</strong>s Gut mit Gewalt,<br />

wie beim Raub, <strong>de</strong>m Besitzer entreißen dürfe.<br />

Thomas greift <strong>de</strong>n Inhalt <strong>de</strong>s ersten Artikels auf, in<strong>de</strong>m er auf<br />

<strong>de</strong>n negativen Kommunismus, also auf die soziale Belastung<br />

jeglichen Eigentums, vor allem <strong>de</strong>s Überflusses hinweist. Und<br />

zwar nennt er diese soziale Belastung eine naturrechtliche.<br />

Wenn darum ein Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>r in äußerster Not sich nicht<br />

an<strong>de</strong>rs helfen kann, als in<strong>de</strong>m er frem<strong>de</strong>s Gut heimlich entwen­<br />

<strong>de</strong>t, dann verwirklicht er im Gr<strong>und</strong>e nur die in <strong>de</strong>r Natur lie­<br />

gen<strong>de</strong> Zielbestimmung <strong>de</strong>r Güter. Denn in diesem Falle verliert<br />

<strong>de</strong>r Besitzer <strong>de</strong>s Überflusses sein <strong>Recht</strong>. Aus diesem Gr<strong>und</strong><br />

kann man hier auch nicht mehr von Diebstahl re<strong>de</strong>n. Ja, Tho­<br />

mas erweitert <strong>de</strong>n ursprünglich gewollten Rahmen <strong>de</strong>s Arti­<br />

kels, in<strong>de</strong>m er hinzufügt, daß man auch nicht von Raub spre­<br />

chen könne, nämlich für <strong>de</strong>n Fall, daß <strong>de</strong>r Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> sich <strong>de</strong>n<br />

frem<strong>de</strong>n Überfluß mit Gewalt holen wür<strong>de</strong>.<br />

Der Kern <strong>de</strong>s siebten Artikels liegt in <strong>de</strong>m Satz, <strong>de</strong>m wir<br />

bereits begegnet sind: „Deshalb ist das, was einige im Überfluß<br />

besitzen, <strong>de</strong>n Armen zu ihrem Lebensunterhalt geschul<strong>de</strong>t<br />

(<strong>de</strong>bentur)". Durchweg wird dieser Begriff „<strong>de</strong>bentur" als<br />

ethische For<strong>de</strong>rung aufgefaßt <strong>und</strong> darum mit „wird geschul<strong>de</strong>t"<br />

übersetzt. Dies besagt aber nicht, daß es sich einzig um eine<br />

403


66. 3-9 Liebespflicht han<strong>de</strong>lt. Vielmehr liegt dieser ethischen Pflicht<br />

eine naturrechtliche zugr<strong>und</strong>e, wie Thomas ausdrücklich<br />

betont. Und in <strong>de</strong>r Tat wird diese latente <strong>Recht</strong>spflicht auch zu<br />

einem gewaltsam erzwingbaren <strong>Recht</strong>, wenn <strong>de</strong>r Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

keinen an<strong>de</strong>rn Weg mehr sieht, um <strong>de</strong>r Gefahr <strong>de</strong>s Verhungerns<br />

zu entgehen. Wenn also einer aus sich von seinem Überfluß<br />

gibt, dann ist in dieser großzügigen Tat nur ein Bruchteil von<br />

Liebe; <strong>de</strong>n größeren Anteil hat die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>. Die<br />

Tat ist Liebe, insofern <strong>de</strong>r Geber frei han<strong>de</strong>lt, d. h. insofern das<br />

Gesetz sie noch nicht gefor<strong>de</strong>rt hat, obwohl es sie bereits hätte<br />

for<strong>de</strong>rn können. Also gewissermaßen nur die Antizipation<br />

einer an sich gesetzlich möglichen Regelung durch freie Ent­<br />

scheidung ist ein Werk <strong>de</strong>r Liebe. Der tiefere Gr<strong>und</strong> dieser soge-<br />

nannten „Liebestat" gehört <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> an.<br />

Ohne Zweifel ist Thomas in diesem Sinn auszulegen. Die<br />

schroffe Formel <strong>de</strong>s hl. Augustinus, daß <strong>de</strong>r Überfluß <strong>de</strong>n<br />

Armen „gehöre", ist gemil<strong>de</strong>rt entsprechend <strong>de</strong>r sozialen Ange­<br />

messenheit <strong>und</strong> Notwendigkeit <strong>de</strong>r privaten Eigentumsord­<br />

nung. Wollte man allerdings rein philologisch die Texterklärung<br />

vornehmen, dann könnte man versucht sein, das „<strong>de</strong>bentur"<br />

mit „gehört" zu übersetzen, so daß man nichts an<strong>de</strong>res als die<br />

augustinische Formulierung hätte. In Art. 5 Zu 1 gebraucht<br />

nämlich Thomas dasselbe Wort, diesmal aber nicht lediglich zur<br />

Bezeichnung einer ethischen Schuld, son<strong>de</strong>rn eines vollgültigen<br />

<strong>Recht</strong>sverhältnisses. Er spricht dort von <strong>de</strong>r richterlichen Be­<br />

fugnis, die Eigentumsverhältnisse zu bestimmen, so daß nach<br />

<strong>de</strong>m richterlichen Urteil die Sache jenem wirklich gehört, <strong>de</strong>m<br />

sie zugesprochen wor<strong>de</strong>n ist. Ein Beweis, wie wenig Thomas<br />

sich an eine durchgängige Terminologie bin<strong>de</strong>t.<br />

Die gewaltsame Enteignung wird <strong>de</strong>r öffentlichen Gewalt<br />

zugestan<strong>de</strong>n, sofern diese die Ordnung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

durchführen will (Art. 8). Thomas <strong>de</strong>nkt hier wohl beson<strong>de</strong>rs<br />

an die gewaltsame Eintreibung <strong>de</strong>r pflichtgemäßen Abgaben<br />

<strong>de</strong>r Untertanen. Daran erinnert beson<strong>de</strong>rs die Antwort auf <strong>de</strong>n<br />

dritten Einwand in Artikel 8.<br />

In diesen Problemkreis gehört auch <strong>de</strong>r augustinische<br />

Gedanke, daß die Ungläubigen zu Unrecht ihren Besitz als ihr<br />

eigen betrachten <strong>und</strong> ihn darum eigentlich <strong>de</strong>n Gläubigen zu<br />

erstatten hätten. Es scheint also, so erklärt <strong>de</strong>r zweite Einwand<br />

in Artikel 8, daß man <strong>de</strong>n Ungläubigen das vermeintliche<br />

Eigentum mit Gewalt abnehmen könne. Thomas gibt hierauf<br />

404


eine salomonische Antwort: Die Ungläubigen besitzen ihr 66. 3-9<br />

Eigentum dann zu Unrecht, wenn sie es auf Befehl <strong>de</strong>r öffentli­<br />

chen Gewalt hin abgeben müßten; es kann darum kein Privat­<br />

mann, son<strong>de</strong>rn nur die Obrigkeit eine gewaltsame Wegnahme<br />

vornehmen. Auf <strong>de</strong>n augustinischen Gedanken, daß die Un­<br />

gläubigen von vornherein kein Anrecht auf Eigentum hätten,<br />

geht Thomas direkt nicht ein. Seine vorsichtige Antwort läßt<br />

aber erkennen, daß er die augustinische These ablehnt, da er<br />

<strong>de</strong>n Entscheid über die Eigentumsverhältnisse <strong>de</strong>r Ungläubigen<br />

— wie überhaupt jegliche rechtliche Regelung <strong>de</strong>s Eigentums —<br />

<strong>de</strong>m Gesetzgeber überläßt, <strong>de</strong>r gemäß <strong>de</strong>n For<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>r<br />

natürlichen <strong>Gerechtigkeit</strong> zu urteilen hat.<br />

IV. Die Ungerechtigkeiten im gerichtlichen Prozeß<br />

(Fr. 67-71)<br />

Unter <strong>de</strong>n Schädigungen <strong>de</strong>s Nächsten durch Worte, von<br />

<strong>de</strong>nen Thomas in <strong>de</strong>n Fragen 67—76 spricht, wer<strong>de</strong>n zunächst<br />

jene besprochen, welche im gerichtlichen Prozeß geschehen<br />

(Fr. 67—71). Im großen <strong>und</strong> ganzen sind diese Fragen fast nur<br />

von historischem Interesse. Thomas versucht hier, das damalige<br />

Prozeßverfahren mit naturrechtlichen Argumenten zu stützen,<br />

ohne sich aber auf Einzelheiten einzulassen. 17<br />

l.DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES RICHTERS<br />

(Fr. 67)<br />

Der Richter wird von Thomas an die schwere Verantwortung 67<br />

erinnert, die auf ihm lastet, da er nicht nur ausführen<strong>de</strong>s Organ,<br />

son<strong>de</strong>rn auch in Wahrheit selbst <strong>Recht</strong>serzeuger ist. Im 1. Arti­<br />

kel steckt Thomas die Grenzen <strong>de</strong>s richterlichen Wirkens ab,<br />

in<strong>de</strong>m er erklärt, daß <strong>de</strong>r Richter nur über jene Befugnis habe,<br />

welche <strong>de</strong>m Gesetz, <strong>de</strong>m er dient, unterworfen sind.<br />

Als Vertreter <strong>de</strong>r öffentlichen Autorität hat <strong>de</strong>r Richter nicht<br />

gemäß privatem Wissen, son<strong>de</strong>rn nach <strong>de</strong>n öffentlich beigezo­<br />

genen Zeugen zu richten (Art. 2). Das private Wissen kann ihm<br />

Die zeitgenössischen Parallelen fin<strong>de</strong>t man bei E. Chenon, Histoire generale<br />

du Droit Francais Public et Prive <strong>de</strong>s origines ä 1915, T. 1—2, Paris 1926 <strong>und</strong><br />

1929. Vgl. auch Fr. Olivier-Martin, Histoire du Droit Francais <strong>de</strong>s origines ä<br />

la Revolution, 1948.<br />

405


67 dabei höchstens Anlaß zu genauerer Überprüfung <strong>de</strong>r verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Zeugenaussagen geben. Das Urteil selbst aber hat nach<br />

<strong>de</strong>n Zeugenaussagen zu erfolgen, <strong>de</strong>nn in <strong>de</strong>m, was zur öffentli­<br />

chen Gewalt gehört, muß <strong>de</strong>r Richter sein Gewissen bestim­<br />

men nach <strong>de</strong>m, „was in einem öffentlichen Gerichtsverfahren<br />

herauskommen kann" (Art. 2 Zu 4). Wir haben also hier nicht<br />

die freie Beweiswürdigkeit durch <strong>de</strong>n Richter. Heute wür<strong>de</strong> ein<br />

Richter, <strong>de</strong>r aus privatem Wissen einen Prozeßfall aufklären<br />

kann, in <strong>de</strong>n Ausstand treten.<br />

Wo kein Kläger ist, gibt es auch keinen Prozeß, erklärt Tho­<br />

mas im 3. Artikel. Die Institution <strong>de</strong>r Staatsanwaltschaft kannte<br />

man noch nicht. Ein öffentliches Verbrechen bedurfte allerdings<br />

keines Klägers (Art. 3 Zu 2).<br />

Thomas macht mit seinen Zeitgenossen einen Unterschied<br />

zwischen Anzeige <strong>und</strong> Anklage. Die Anzeige ist lediglich auf die<br />

Besserung <strong>de</strong>s Delinquenten gerichtet, keineswegs auf die<br />

Bestrafung im Sinn <strong>de</strong>r öffentlichen Sühne (Art. 3 Zu 2). Sie<br />

spielt im Inquisitionsverfahren eine beson<strong>de</strong>re Rolle (vgl. Anm.<br />

[51]). Die Anklage dagegen be<strong>de</strong>utet die formelle For<strong>de</strong>rung<br />

<strong>de</strong>r ganzen <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Die Frage, ob <strong>de</strong>r Richter aus eigener Vollmacht eine Strafe<br />

erlassen o<strong>de</strong>r mil<strong>de</strong>rn könne, verneint Thomas (Art. 4) aus<br />

zweifacher Begründung: l.um <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>s Klägers willen,<br />

2. um <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s <strong>de</strong>r Gemeinschaft willen.<br />

2. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES KLÄGERS<br />

(Fr. 68)<br />

68 Die Pflicht zur Anklage besteht nur dort, wo das Gemein­<br />

wohl in Frage steht (Art. 1). Um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen hat,<br />

wie Thomas (Art. 1 Zu 3) mit Bestimmtheit erklärt, auch das<br />

Siegel <strong>de</strong>r Verschwiegenheit zu weichen, ausgenommen natür­<br />

lich das Beichtsiegel (Fr. 70,1).<br />

Die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r schriftlichen Abgabe <strong>de</strong>r Anklage befür­<br />

wortet Thomas um <strong>de</strong>r Klarheit <strong>und</strong> Sicherheit willen (Art. 2).<br />

Das mittelalterliche <strong>Recht</strong> unterschied drei Arten von Unge­<br />

rechtigkeiten vonseiten <strong>de</strong>s Klägers (Art. 3): 1 .Verleumdung,<br />

d. h. falsche Anklage; 2. Begünstigung <strong>de</strong>s Angeklagten, in<strong>de</strong>m<br />

<strong>de</strong>r Kläger mit <strong>de</strong>m Angeklagten aus irgen<strong>de</strong>inem Gr<strong>und</strong><br />

gemeinsame Sache macht; 3. unbegrün<strong>de</strong>tes Zurücktreten vom<br />

Prozeß.<br />

406


Nach kanonischem <strong>Recht</strong> (Decr. Grat., P. II, causa II, 68<br />

q. 3, c. 2; Frdbl, 451), das hierin römischem Brauch folgte, war<br />

ein verleum<strong>de</strong>rischer Ankläger mit eben<strong>de</strong>rselben Strafe zu<br />

ahn<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>ren das Verbrechen wert war, das er <strong>de</strong>m Mitmen­<br />

schen angedichtet hatte. Thomas (Art. 4) verteidigt dieses<br />

<strong>Recht</strong> mit <strong>de</strong>m Hinweis auf <strong>de</strong>n Sinn <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, gemäß<br />

welcher man Gleiches mit Gleichem vergilt. Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Wie­<br />

<strong>de</strong>rvergeltung (jus talionis) wird so zum Naturrecht erklärt, ein<br />

Gedanke, <strong>de</strong>r bezüglich seines metaphysischen Gehalts bereits<br />

dargestellt wor<strong>de</strong>n ist (vgl. Kommentar zu 64,2).<br />

3.DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES ANGEKLAGTEN<br />

(Fr. 69)<br />

Sofern <strong>de</strong>r Richter gemäß <strong>de</strong>n im Prozeßrecht vorgeschrie- 69<br />

benen Normen eine zum Prozeß gehören<strong>de</strong> Frage an <strong>de</strong>n<br />

Angeklagten richtet, ist dieser verpflichtet, von <strong>de</strong>r Wahrheit<br />

Zeugnis zu geben (Art. 1). Eine unwahre Antwort wäre ein<br />

Unrecht gegen <strong>de</strong>n Vorgesetzten, <strong>de</strong>m zu gehorchen je<strong>de</strong>r Un­<br />

tergebene die <strong>Gerechtigkeit</strong>spflicht hat (Art. 1 Zu 2). Außer<strong>de</strong>m<br />

be<strong>de</strong>utet eine Lüge vor Gericht eine doppelte Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

Liebe: gegen die Liebe zu Gott, <strong>de</strong>m obersten Richter; gegen<br />

die Liebe zum Nächsten, im Hinblick auf <strong>de</strong>n Kläger, <strong>de</strong>r unge­<br />

rechterweise als Verleum<strong>de</strong>r bestraft wird (Art. 1 Zu 3).<br />

Natürlich kann <strong>de</strong>r Angeklagte, so erklärt Thomas (Art. 2),<br />

die Antwort verweigern, wo <strong>de</strong>r Richter gemäß <strong>de</strong>m Prozeß­<br />

recht nicht fragen darf. Ein zielloses, vom Gegenstand <strong>de</strong>r<br />

Anklage abweichen<strong>de</strong>s Ausfragen verpflichtet nicht zum<br />

Bekenntnis. Schweigen ist also hier erlaubt, nicht jedoch eine<br />

unwahre Aussage. Das Urteil <strong>de</strong>s hl. Thomas mag hart erschei­<br />

nen. Es erklärt sich aber aus <strong>de</strong>r betont ethischen Sicht <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Gemeinschaft, die beson<strong>de</strong>rs auch in <strong>de</strong>r Lösung<br />

<strong>de</strong>s l.Einwands <strong>de</strong>utlich wird, wo Thomas erklärt, daß das,<br />

was durch positive Gesetze nicht geahn<strong>de</strong>t wird, noch lange<br />

nicht als gerecht anzusehen sei. Der Co<strong>de</strong>x <strong>de</strong>s kanonischen<br />

<strong>Recht</strong>s von 1917 enthält dagegen folgen<strong>de</strong> mil<strong>de</strong>re Bestim­<br />

mung: „Dem rechtmäßig fragen<strong>de</strong>n Richter müssen sie (die<br />

Parteien) antworten <strong>und</strong> die Wahrheit bekennen, es sei <strong>de</strong>nn, es<br />

handle sich um ein Vergehen, das von ihnen selbst begangen<br />

wor<strong>de</strong>n ist" (can. 1743 § 1. Im Co<strong>de</strong>x von 1983 can. 1548 in glei­<br />

chem Sinn, nur kürzer).<br />

407


69 Das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Berufung darf nach Thomas (Art. 3) nur in<br />

Anspruch genommen wer<strong>de</strong>n, wenn die Berufung im Dienst<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> steht, nicht aber etwa zum Zweck <strong>de</strong>r Ver­<br />

schleierung o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Strafaufschubs. Die Berufung eines Katho­<br />

liken vor ein nichtkatholisches Gericht wird verworfen aus <strong>de</strong>m<br />

altbekannten Mißtrauen gegenüber <strong>de</strong>n Hei<strong>de</strong>n, das hier in die<br />

Worte geklei<strong>de</strong>t wird: „Wo <strong>de</strong>r wahre Glaube fehlt, besteht auch<br />

kein richtiges Verhältnis zu <strong>de</strong>m, was gerecht ist" (Art. 3 Zu 1).<br />

Einem gerechterweise zum Tod Verurteilten ist <strong>de</strong>r Wi<strong>de</strong>r­<br />

stand nicht erlaubt (Art. 4). Wohl aber darf er, <strong>de</strong>m natürlichen<br />

Drang nach Existenz folgend, aus <strong>de</strong>m Kerker entweichen,<br />

wenn es ihm ohne Wi<strong>de</strong>rstand gelingt (Art. 4 Zu 2), o<strong>de</strong>r sich<br />

auf geheimem Weg Nahrung verschaffen, falls er zum Hunger­<br />

tod verurteilt wor<strong>de</strong>n ist. Einem ungerechterweise zum Tod<br />

Verurteilten ist es erlaubt, sich aktiv zu wi<strong>de</strong>rsetzen wie gegen<br />

einen ungerechten Angreifer, jedoch nur dann, wenn aus <strong>de</strong>m<br />

Wi<strong>de</strong>rstand nicht große Verwirrung in <strong>de</strong>r sozialen Ordnung<br />

entsteht (Art. 4 Antw.).<br />

4. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DER ZEUGEN<br />

(Fr. 70)<br />

70 Die Pflicht im Zeugenstand zu erscheinen, besteht nach Tho­<br />

mas (Art. 1) erstens, wenn die Obrigkeit in rechtlicher Form um<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> willen dies verlangt. Diese <strong>Recht</strong>mäßigkeit<br />

beschränkt sich auf die Fälle, die allgemein bekannt sind o<strong>de</strong>r<br />

wo <strong>de</strong>r Delinquent sich bereits <strong>de</strong>n öffentlichen Ehrverlust<br />

zugezogen hat. Ein gegebenes Versprechen zum Schweigen<br />

entbin<strong>de</strong>t von <strong>de</strong>r Pflicht <strong>de</strong>r Zeugenaussage, es sei <strong>de</strong>nn, das<br />

Gemeinwohl stehe in Gefahr. Gegen das Gemeinwohl gibt es<br />

keine bin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Schweigepflicht, <strong>de</strong>nn nichts kann gegen das<br />

Naturrecht geboten wer<strong>de</strong>n (Art. 1 Zu 1). Zweitens, wenn zur<br />

gerechten Rettung <strong>de</strong>s Angeklagten das Zeugnis irgendwie<br />

etwas beizutragen vermag. Nicht dagegen ist <strong>de</strong>r Wissen<strong>de</strong> zur<br />

unaufgefor<strong>de</strong>rten Zeugenaussage verpflichtet, wenn <strong>de</strong>m ver­<br />

leum<strong>de</strong>rischen Kläger aus <strong>de</strong>r Verlegenheit geholfen wer<strong>de</strong>n<br />

sollte. Denn in diesem Falle gilt das jus talionis. Der Kläger ern­<br />

tet dann selbst die gerechten Folgen seiner Verleumdung.<br />

Im Anschluß an die Hl. Schrift (vgl. Art. 2 Dagegen) meint<br />

Thomas, daß im allgemeinen drei Zeugen genügen, worunter<br />

auch die Aussage <strong>de</strong>s Klägers begriffen sei (Art. 2). Eine abso-<br />

408


lute Sicherheit könne man ohnehin niemals vom richterlichen 70<br />

Urteil erwarten, son<strong>de</strong>rn nur eine moralische. Allerdings sei<br />

(Art. 2 Zu 3) eine umfangreichere Zeugenaussage nötig, wenn<br />

<strong>de</strong>r Angeklagte ein kirchlicher Oberer sei, erstens, weil man<br />

einem kirchlichen Wür<strong>de</strong>nträger um seiner hohen Moral willen,<br />

aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen er zu diesem Amt erwählt wur<strong>de</strong>, mehr Ver-<br />

läßlichkeit zutrauen könne als mehreren Zeugen; zweitens, weil<br />

Vorgesetzte leicht Gegenstand <strong>de</strong>s Hasses seien; drittens, weil<br />

die [ungenügend begrün<strong>de</strong>te] Verurteilung eines solchen Wür­<br />

<strong>de</strong>nträgers <strong>de</strong>m Ansehen <strong>de</strong>r Kirche scha<strong>de</strong>n könnte.<br />

Aus verschie<strong>de</strong>nen Grün<strong>de</strong>n verdient eine Zeugenaussage<br />

von vornherein Mißtrauen (Art. 3), so, wenn es sich um das<br />

Zeugnis eines Ungläubigen o<strong>de</strong>r eines Menschen han<strong>de</strong>lt, <strong>de</strong>r<br />

<strong>de</strong>r öffentlichen Ehre verlustig ist; ferner bei Kin<strong>de</strong>rn, Irren <strong>und</strong><br />

Frauen, bei Zeugnissen von Fein<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Verwandten <strong>de</strong>s<br />

Angeklagten, selbst auch von Armen <strong>und</strong> Dienern, die leicht<br />

durch irgendwelches Einre<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r Bestechung zu falschen<br />

Aussagen verleitet wer<strong>de</strong>n können.<br />

Das falsche Zeugnis ist Sün<strong>de</strong> (Art. 4), <strong>und</strong> zwar erstens auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Meinei<strong>de</strong>s, <strong>de</strong>r immer damit verb<strong>und</strong>en ist. Meineid<br />

ist immer schwere Sün<strong>de</strong>. Zweitens um <strong>de</strong>r Verletzung <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> willen, <strong>und</strong> hier han<strong>de</strong>lt es sich im allgemeinen,<br />

sofern nämlich be<strong>de</strong>uten<strong>de</strong>r Scha<strong>de</strong>n angerichtet wird, um eine<br />

schwere Sün<strong>de</strong>. Drittens um <strong>de</strong>r Lüge willen, die im falschen<br />

Zeugnis liegt; um dieses Gesichtspunkts willen braucht aller­<br />

dings nicht immer eine schwere Sün<strong>de</strong> vorzuliegen.<br />

Wenn ein Zeuge durch falsche Aussage einen Angeklagten<br />

von einem ungerechten Urteil befreien o<strong>de</strong>r bewahren will, be­<br />

geht er zwar keine Sün<strong>de</strong> gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, er versündigt<br />

sich aber doch schwer durch <strong>de</strong>n Meineid, <strong>de</strong>n er dabei leistet<br />

(Art. 4 Zu 2).<br />

5. DIE UNGERECHTIGKEITEN VONSEITEN DES ANWALTS<br />

(Fr. 71)<br />

Einem Armen unentgeltlich <strong>Recht</strong>sbeistand zu leisten, ist ein 71<br />

Werk <strong>de</strong>r Barmherzigkeit, das dann, wenn <strong>de</strong>m Betreffen<strong>de</strong>n<br />

nicht an<strong>de</strong>rs geholfen wür<strong>de</strong>, von je<strong>de</strong>m Anwalt erwartet wer­<br />

<strong>de</strong>n muß, an <strong>de</strong>n sich <strong>de</strong>r Arme in seiner Not wen<strong>de</strong>t (Art. 1).<br />

Thomas ist Realist genug, um einzusehen, daß ein <strong>Recht</strong>sanwalt<br />

seine Tätigkeit nicht einzig in <strong>de</strong>n Dienst <strong>de</strong>r Armen stellen<br />

409


71 kann. Bei allem Lob auf die Barmherzigkeit <strong>und</strong> bei aller Aner­<br />

kennung <strong>de</strong>r Pflicht gegen Notlei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> nimmt Thomas <strong>de</strong>n<br />

Anwalt in Sch<strong>utz</strong> vor Ausn<strong>utz</strong>ung vonseiten <strong>de</strong>rer, die unent­<br />

geltlich <strong>Recht</strong>sbeistand suchen.<br />

Daß zum Amt <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sanwalts beson<strong>de</strong>re physische wie<br />

moralische Bedingungen verlangt sind, versteht sich von selbst.<br />

Thomas bespricht diese im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r damaligen<br />

<strong>Recht</strong>sordnung im 2. Artikel.<br />

Energisch verbietet Thomas, dort <strong>Recht</strong>sbeistand zu leisten,<br />

wo es sich um eine ungerechte Sache han<strong>de</strong>lt (Art. 3).<br />

Der Anwalt, so erklärt er, sündigt schwer, wenn er seine<br />

<strong>Recht</strong>shilfe einem ungerechten Fall zur Verfügung stellt. Außer­<br />

<strong>de</strong>m ist er dann verpflichtet, <strong>de</strong>n verursachten Scha<strong>de</strong>n voll <strong>und</strong><br />

ganz wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen. Sofern er erst im Verlauf <strong>de</strong>s Prozes­<br />

ses auf die Ungerechtigkeit <strong>de</strong>s Klienten stoßen sollte, wird er<br />

natürlich nur mit größter Vorsicht <strong>de</strong>n Fall abgeben, um nicht<br />

seinen Klienten zu verraten <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Gegner zu unterstützen<br />

(Art. 3 Zu 2).<br />

Bis ins 19. Jahrh<strong>und</strong>ert bestand in Frankreich das Honorar<br />

<strong>de</strong>s Anwalts in <strong>de</strong>r freien Gabe <strong>de</strong>s Klienten. Thomas fragt<br />

daher im Artikel auch nicht, ob <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sanwalt für seine Lei­<br />

stung etwas verlangen, son<strong>de</strong>rn nur, ob er dafür etwas „neh­<br />

men" könne. Natürlich will dies nicht besagen, daß <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s­<br />

anwalt überhaupt nichts erwarten, son<strong>de</strong>rn das Honorar höch­<br />

stens als zufällige Gabe entgegennehmen dürfe. Immerhin<br />

bestand zwischen <strong>de</strong>m Anwalt <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Klienten das nicht aus­<br />

gesprochene Verhältnis zweier Kontrahenten. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Klient<br />

beim <strong>Recht</strong>sanwalt Rat <strong>und</strong> Hilfe suchte, verpflichtete er sich<br />

stillschweigend zur Leistung eines „angemessenen" Honorars;<br />

angemessen: entsprechend seiner persönlichen Stellung, ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Falles <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Maß <strong>de</strong>r vom<br />

<strong>Recht</strong>sanwalt gefor<strong>de</strong>rten Arbeit, <strong>und</strong> nicht zuletzt entspre­<br />

chend <strong>de</strong>n allgemeinen Gewohnheiten (bzgl. <strong>de</strong>r Honorierung<br />

<strong>de</strong>s Richters <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zeugen vgl. Art. 4 Zu 3).<br />

410


V. Die außergerichtlichen,<br />

durch Worte verursachten Ungerechtigkeiten<br />

(Fr. 72-76)<br />

l.Die Schmähung (Fr. 72). — Sittliche Fehler, wahre o<strong>de</strong>r 72<br />

angedichtete, eines Menschen in <strong>de</strong>ssen Gegenwart vor <strong>de</strong>r<br />

Öffentlichkeit ausbreiten, ist Schmähung, eine Sün<strong>de</strong> gegen die<br />

Ehre <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong> damit eine Sün<strong>de</strong> gegen die Gerechtig­<br />

keit (Art. 1). Thomas unterschei<strong>de</strong>t die Schmähung (contume-<br />

lia) von <strong>de</strong>r Beschimpfung (convicium) <strong>und</strong> von <strong>de</strong>r Vorhaltung<br />

(improperium), insofern die Schmähung eigentlich nur sittliche<br />

Fehler <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn betrifft, während bei <strong>de</strong>r Beschimpfung allge­<br />

mein jegliche Mängel, ob nun sittlicher, psychischer o<strong>de</strong>r kör­<br />

perlicher Art, vor <strong>de</strong>r Öffentlichkeit ausgebreitet <strong>und</strong> bei <strong>de</strong>r<br />

Vorhaltung <strong>de</strong>m Nächsten die soziale Abhängigkeit, früher<br />

empfangene Wohltaten in peinlicher Weise öffentlich in Erinne­<br />

rung gerufen wer<strong>de</strong>n (Art. 1 Zu 3).<br />

In <strong>de</strong>r Beurteilung solcher Ungerechtigkeiten ist Thomas<br />

sehr streng (Art. 2). Er erklärt kategorisch, daß es sich dabei um<br />

eine schwere Sün<strong>de</strong> handle, <strong>und</strong> zwar „nicht weniger als beim<br />

Diebstahl <strong>und</strong> beim Raub". Auch <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r nicht direkt die<br />

Entehrung <strong>de</strong>s Nächsten beabsichtige, sich aber doch seines<br />

bösen Re<strong>de</strong>ns bewußt sei, begehe eine schwere Sün<strong>de</strong> (Art. 2<br />

Antw.). Thomas wür<strong>de</strong> heute wohl nicht mil<strong>de</strong>r sprechen, in<br />

unserem Zeitalter, in <strong>de</strong>m eine vielleicht be<strong>de</strong>utungslos erschei­<br />

nen<strong>de</strong> Kritik, in kleinem Kreis gesprochen, rasch durch die Zei­<br />

tungen <strong>und</strong> über <strong>de</strong>n Äther <strong>de</strong>n Weg in die breiteste Öffentlich­<br />

keit nimmt <strong>und</strong> einen nie mehr wie<strong>de</strong>rg<strong>utz</strong>umachen<strong>de</strong>n Ehren­<br />

raub be<strong>de</strong>uten kann.<br />

Dieser Strenge wi<strong>de</strong>rspricht in<strong>de</strong>s nicht das heitere Verständ­<br />

nis <strong>de</strong>s Heiligen für <strong>de</strong>n Spaß, in welchem unter Fre<strong>und</strong>en über<br />

die Fehler <strong>de</strong>r einzelnen mit Humor hergezogen wird (Art. 2<br />

Zu 1).<br />

Das gol<strong>de</strong>ne Maß <strong>de</strong>r Mitte, das die Ethik <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

auszeichnet, wird im 3. Artikel <strong>de</strong>utlich sichtbar, wo, im<br />

Anschluß an das christliche Ethos vom schweigen<strong>de</strong>n Ertragen,<br />

die Frage erörtert wird, ob man Schmähungen stumm hinneh­<br />

men solle. Für Thomas sind die Gewissensnormen keine Sche­<br />

men, die sich unverän<strong>de</strong>rt auf die konkreten Umstän<strong>de</strong> anwen­<br />

<strong>de</strong>n lassen. Für ihn, <strong>de</strong>m die Klugheit die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Gewis­<br />

sensnorm ist, kann darum die Ermunterung zum Lei<strong>de</strong>n <strong>und</strong><br />

411


72 Ertragen nur <strong>de</strong>n geistigen Sinn haben, daß wir in uns eine sitt­<br />

liche Haltung schaffen, die <strong>de</strong>m Beispiel <strong>de</strong>s geschmähten Erlö­<br />

sers entspricht, wobei aber das Gewissen in je<strong>de</strong>m Augenblick<br />

selbst entschei<strong>de</strong>t, inwieweit diese innere Haltung sich durch<br />

äußeres Schweigen gegenüber Schmähungen auswirken soll.<br />

Im Gewissensentscheid <strong>de</strong>s Christen spricht aber nach <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas nicht nur die vernünftige Überlegung,<br />

son<strong>de</strong>rn zugleich <strong>und</strong> an erster Stelle die Eingebung <strong>de</strong>s Heili­<br />

gen Geistes durch die Gabe <strong>de</strong>s Rates. Eine beson<strong>de</strong>re Notwen­<br />

digkeit, die Schmähung energisch zurückzuweisen, sieht Tho­<br />

mas erstens, wenn es darum geht, <strong>de</strong>n Schmähen<strong>de</strong>n zurecht­<br />

zuweisen zu <strong>de</strong>ssen eigenstem sittlichen Wohl; zweitens, um zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn, daß an<strong>de</strong>re seelisch Scha<strong>de</strong>n nehmen. Thomas bil­<br />

ligt darüber hinaus auch private Grün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Gegenwehr, sofern<br />

nicht ungeordnete Begier<strong>de</strong> nach Ehre <strong>de</strong>n Beweggr<strong>und</strong> dazu<br />

abgibt.<br />

So mannigfaltig die psychisch-moralischen Ursachen <strong>de</strong>r<br />

Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schmähung sein mögen, in beson<strong>de</strong>rem Maße treibt<br />

<strong>de</strong>r ungeordnete Zorn dazu an, wie Thomas im 4. Artikel fest­<br />

stellt.<br />

73 2. Die Ehrabschneidung (Fr. 73). —Die Ehrabschneidung voll­<br />

zieht das im Geheimen, was die Schmähung in Gegenwart <strong>de</strong>s<br />

Geschmähten tut. Sie nimmt <strong>de</strong>m Nächsten <strong>de</strong>n guten Ruf<br />

(Art. 1). Thomas macht einen Unterschied zwischen gutem Ruf<br />

<strong>und</strong> Ehre. Der Ruf (Leum<strong>und</strong>) be<strong>de</strong>utet die öffentliche Mei­<br />

nung über einen Menschen; diese besteht auch <strong>und</strong> gera<strong>de</strong><br />

dann, wenn <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>n es angeht, nicht zugegen ist, wäh­<br />

rend die Ehre <strong>de</strong>n Geehrten irgendwie als gegenwärtig, <strong>und</strong><br />

wäre es nur im Bild, voraussetzt.<br />

Der gute Ruf ist eines <strong>de</strong>r vornehmsten zeitlichen Güter, da<br />

er, wie Art. 2 mit etwas an<strong>de</strong>ren Worten ausführt, in gewissem<br />

Sinn die gesellschaftliche Basis zu sozialen guten Werken dar­<br />

stellt. Den guten Ruf einem Menschen rauben be<strong>de</strong>utet daher<br />

an sich eine schwere Sün<strong>de</strong>, es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r üble Schwätzer<br />

habe nicht die Absicht, <strong>de</strong>n Nächsten zu schädigen, <strong>und</strong> es<br />

handle sich nur um geringfügige Aussagen. Wenn aber schwer­<br />

wiegen<strong>de</strong> Dinge, namentlich über das sittliche Leben <strong>de</strong>s Näch­<br />

sten, ausgesagt wer<strong>de</strong>n, dann kann dies nicht unüberlegt<br />

geschehen; man sündigt daher ebenfalls schwer, wenngleich die<br />

Absicht nicht in erster Linie auf Schädigung <strong>de</strong>s Nächsten aus­<br />

ging. Wer sich durch Ehrabschneidung verfehlt, ist zur Wie<strong>de</strong>r-<br />

412


gutmachung <strong>de</strong>s Scha<strong>de</strong>ns verpflichtet. Der <strong>Gerechtigkeit</strong> 73<br />

wegen die Fehler <strong>de</strong>s Mitmenschen bei <strong>de</strong>r Obrigkeit anzuzei­<br />

gen, hat natürlich nichts mit Ehrabschneidung zu tun (Art. 2<br />

zu 1).<br />

Wohl bewußt, daß je<strong>de</strong> Sün<strong>de</strong> ihre eigenen Umstän<strong>de</strong> <strong>und</strong><br />

darum in gewisser Hinsicht ihre eigene Unvergleichbarkeit hat,<br />

versucht Thomas aufgr<strong>und</strong> einer objektiven, <strong>de</strong>m Konkreten<br />

entrückten Wertskala die sittliche Schwere <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Ehrabschneidung mit an<strong>de</strong>ren Sün<strong>de</strong>n gegen <strong>de</strong>n Nächsten,<br />

wie <strong>de</strong>m Mord, <strong>de</strong>m Ehebruch <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Diebstahl, zu verglei­<br />

chen (Art. 3). Er kommt dabei zum Ergebnis, daß die Ehrab­<br />

schneidung eine schwerere Sün<strong>de</strong> be<strong>de</strong>utet als <strong>de</strong>r Diebstahl,<br />

während sie an<strong>de</strong>rerseits <strong>de</strong>m Mord <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Ehebruch an<br />

Schwere nachsteht, weil diese auf <strong>de</strong>m Menschen einverleibte<br />

Güter gerichtet sind, während <strong>de</strong>r gute Ruf zu <strong>de</strong>n äußeren<br />

Gütern gehört. Die Schmähung kann im Vergleich zur Ehrab­<br />

schneidung insofern als schwerere Sün<strong>de</strong> bezeichnet wer<strong>de</strong>n,<br />

als in ihr eine größere Verachtung <strong>und</strong> ein stärkerer Haß gegen<br />

<strong>de</strong>n Nächsten sich ausspricht (Art. 3 Zu 2).<br />

Wer ehrabschnei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Re<strong>de</strong>n aus <strong>de</strong>m M<strong>und</strong>e an<strong>de</strong>rer<br />

anhört, ohne durch ein offenes Wort zu wi<strong>de</strong>rsprechen, macht<br />

sich <strong>de</strong>rselben Sün<strong>de</strong> schuldig, <strong>und</strong> zwar um so mehr, je mehr er<br />

mit wohlgefälligem Lächeln zuhört (Art. 4). Wi<strong>de</strong>rspricht er aus<br />

Feigheit o<strong>de</strong>r Nachlässigkeit nicht, dann mag er geringere<br />

Schuld auf sich la<strong>de</strong>n. Doch kann auch reines Schweigen<br />

schwere Sün<strong>de</strong> wer<strong>de</strong>n, wenn man aufgr<strong>und</strong> eines Amts o<strong>de</strong>r<br />

sonst eines beson<strong>de</strong>ren Umstands zum Re<strong>de</strong>n verpflichtet<br />

wäre.<br />

3. Die Ohrenbläserei (Fr. 74). — Die Ohrenbläserei unter- 74<br />

schei<strong>de</strong>t sich von <strong>de</strong>r Ehrabschneidung in <strong>de</strong>r Zielsetzung <strong>de</strong>s<br />

Re<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n (Art. 1). In <strong>de</strong>r Ehrabschneidung strebt <strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong>r<br />

nach <strong>de</strong>r Zerstörung <strong>de</strong>s guten Rufs <strong>de</strong>s Nächsten, in <strong>de</strong>r<br />

Ohrenbläserei dagegen will er Zwietracht säen zwischen <strong>de</strong>m,<br />

<strong>de</strong>m er Böses nachsagt, <strong>und</strong> <strong>de</strong>ssen Fre<strong>und</strong>en. Die Ohrenbläse­<br />

rei be<strong>de</strong>utet eine noch schwerere Sün<strong>de</strong> als die Ehrabschnei­<br />

dung, da sie das Höchste <strong>de</strong>r äußeren Güter <strong>de</strong>m Mitmenschen<br />

raubt, nämlich <strong>de</strong>n Fre<strong>und</strong>. Der Fre<strong>und</strong> ist, wie Thomas (Art. 2)<br />

ausführt, mehr wert als die Ehre, das Geliebtwer<strong>de</strong>n ist besser<br />

als das Geehrtsein.<br />

4. Die Verspottung (Fr. 75). — Die Verspottung geht unmittel- 75<br />

bar darauf, <strong>de</strong>n Nächsten in Verlegenheit <strong>und</strong> damit zum Errö-<br />

413


75 ten zu bringen (Art. 1). Als Geringschätzung <strong>de</strong>r Personen­<br />

wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Mitmenschen be<strong>de</strong>utet sie eine schwere Sün<strong>de</strong><br />

(Art. 2).<br />

76 5. Die Verfluchung (Fr. 76). — Die Verfluchung stellt das<br />

Gegenteil dar zum Glückwunsch, nämlich <strong>de</strong>n Wunsch, es<br />

möchte <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn schlecht ergehen (Art. 1). Das Fluchen<br />

über Tiere <strong>und</strong> an<strong>de</strong>re vernunftlose Geschöpfe, wie dies alltäg­<br />

lich Gebrauch aufgeregter Menschen ist, ist sinnlos <strong>und</strong> dumm,<br />

also unerlaubt (Art. 2).<br />

Dem Mitmenschen fluchen ist schwere Sün<strong>de</strong>, weil gegen die<br />

Liebe, es sei <strong>de</strong>nn, das Übel, das man ihm wünscht, wäre nur<br />

geringfügig o<strong>de</strong>r es handle sich um Auslösung eines nur leichten<br />

Affektes o<strong>de</strong>r um ein spielerisches Necken (Art. 3).<br />

Die Verfluchung ist an sich keine so schwere Sün<strong>de</strong> wie die<br />

wirkliche Ehrabschneidung, weil nicht so wirksam. Artikel 1<br />

spricht allerdings auch von einer an<strong>de</strong>ren Art von Verfluchung,<br />

in welcher nämlich nicht nur eine Ver-wünschung ausgespro­<br />

chen, son<strong>de</strong>rn ein Befehl zur Ausführung <strong>de</strong>s Bösen erteilt wird.<br />

Diese Art <strong>de</strong>r Verfluchung ist schlimmer als die Ehrabschnei­<br />

dung, weil sie <strong>de</strong>m Nächsten ein schwerwiegen<strong>de</strong>res Unrecht<br />

zufügt, als es die Zerstörung <strong>de</strong>s guten Rufes ist (Art. 4).<br />

VI. Die Ungerechtigkeit in <strong>Recht</strong>sgeschäften<br />

(Fr. 77 u. 78)<br />

77/78 Eine neue Art von Ungerechtigkeit sieht Thomas darin, daß<br />

man das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>s Nächsten in vertraglichen Abmachungen<br />

verletzt. An sich mag <strong>de</strong>r moralische Unterschied gegenüber<br />

<strong>de</strong>n bisher genannten Formen von Ungerechtigkeit vielleicht<br />

nur äußerlich erscheinen. Kommt es doch schließlich auf das<br />

gleiche hinaus, ob ich <strong>de</strong>n Nächsten einfach durch hinterlistige<br />

Verleumdungen o<strong>de</strong>r falsche Anklagen schädige, ohne mit ihm<br />

in einem vertraglichen Geschäft zu tun zu haben, o<strong>de</strong>r ob ich<br />

ihn gelegentlich eines Tauschgeschäfts arglistig betrüge.<br />

Und <strong>de</strong>nnoch ist <strong>de</strong>r Unterschied nicht von <strong>de</strong>r Hand zu wei­<br />

sen. In <strong>de</strong>r außervertraglichen Ungerechtigkeit geschieht<br />

Unrecht in beleidigen<strong>de</strong>r Angriffshandlung. Im Vertrag dage­<br />

gen kann sich <strong>de</strong>r Vertragspartner gegen ein eventuelles<br />

Unrecht von vornherein wappnen, da er damit rechnen kann.<br />

Doch darin besteht nicht einmal das eigentliche unterschei-<br />

414


<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Merkmal <strong>de</strong>s in <strong>de</strong>r vertraglichen Ebene liegen<strong>de</strong>n 77/78<br />

Unrechts gegenüber <strong>de</strong>m außervertraglichen. Daß <strong>de</strong>r Mit­<br />

mensch sich innerlich durch beson<strong>de</strong>re Wachsamkeit wappnet,<br />

ist Sache seiner persönlichen Klugheit. Die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Unge­<br />

rechtigkeit im Vertrag hat ihre eigene Note durch die vertragli­<br />

che Untreue, die zu gespannter Aufmerksamkeit auf <strong>de</strong>r an<strong>de</strong>­<br />

ren Seite zwingt. Wer immer mit <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>rn eine vertragliche<br />

Abmachung trifft, ist um <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> willen zur Sauber­<br />

keit im Geschäft gehalten. Im Betrug zerstört er darum gera<strong>de</strong><br />

die rechtliche Gr<strong>und</strong>lage, zu <strong>de</strong>r er sich äußerlich durch <strong>de</strong>n<br />

Vertrag bekennt. Damit aber vergeht er sich in ganz eigener<br />

Weise gegen das <strong>Recht</strong>.<br />

Thomas (vgl. 61,3) unterschei<strong>de</strong>t drei Gesichtspunkte in<br />

einer Sache: l.die Substanz, 2.<strong>de</strong>n Gebrauch dieser Substanz<br />

zu irgendwelchen N<strong>utz</strong>leistungen <strong>und</strong> 3. die Früchte <strong>de</strong>r Sub­<br />

stanz. Bei einer Vase ist z. B. die Substanz vom Gebrauch unter­<br />

schie<strong>de</strong>n. Man kann eine Vase ausleihen <strong>und</strong> dabei für <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch einen Preis for<strong>de</strong>rn, obwohl man die Vase in unver­<br />

letztem Zustand zurückerhält. An<strong>de</strong>rs beim Brot. Die Substanz<br />

<strong>de</strong>s Brotes wird in ihrem Gebrauch verzehrt. Man kann <strong>de</strong>n<br />

Gebrauch von <strong>de</strong>r Substanz nicht trennen. Darauf könnte man<br />

heute erwi<strong>de</strong>rn, daß in einer geldrechenhaften Verkehrswirt­<br />

schaft das Brot in je<strong>de</strong>s beliebige Erwerbsvermögen umsetzbar<br />

sei, so daß sich von selbst ein N<strong>utz</strong>wert ergibt, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Sub­<br />

stanz <strong>de</strong>s Brotes an sich nicht gegeben ist. Für Thomas gibt es<br />

aber diese Betrachtung nicht, wenngleich er (Fr. 78) <strong>de</strong>n Wert<br />

von <strong>de</strong>r Sache zu unterschei<strong>de</strong>n weiß. Die „Frucht" einer Sache<br />

ergibt sich nach Thomas aus <strong>de</strong>r unmittelbaren Eigentätigkeit<br />

<strong>de</strong>r Sache selbst, ohne Rückgriff auf die menschliche Arbeit.<br />

Wir wür<strong>de</strong>n etwa von <strong>de</strong>r Bo<strong>de</strong>nrente in diesem Sinne spre­<br />

chen.<br />

Entsprechend diesen drei Gesichtspunkten sind nun nach<br />

Thomas folgen<strong>de</strong> <strong>Recht</strong>sgeschäfte möglich: 1. Übergabe eines<br />

Gutes gegen Leistung <strong>de</strong>sselben Wertes: Kauf/Verkauf; 2. zeit­<br />

lich beschränkte Überlassung einer Sache zu unentgeltlichem<br />

Genuß <strong>de</strong>r aus <strong>de</strong>r Sache selbst erstehen<strong>de</strong>n Früchte: N<strong>utz</strong>nie­<br />

ßung; 3. zeitlich beschränkte Überlassung einer fruchtbringen­<br />

<strong>de</strong>n <strong>und</strong> gebrauchswertigen Sache (o<strong>de</strong>r Leistung) gegen Ent­<br />

gelt: Vermietung, Pacht, Verdingung (Arbeitsvertrag); 4. zeit­<br />

lich beschränkte Übergabe einer Sache zur bloßen Aufbewah­<br />

rung.<br />

415


77/78 Thomas erklärt nun (Vorwort zu Fr. 77), daß es nur zwei<br />

Arten von Sün<strong>de</strong>n gegen die Vertragsgerechtigkeit gebe: Betrug<br />

<strong>und</strong> Zinswucher. Alle an<strong>de</strong>ren Formen gehören seiner Ansicht<br />

nach in <strong>de</strong>n bereits besprochenen Bereich <strong>de</strong>r Ungerechtigkeit<br />

im außervertraglichen Zusammenleben. Der Betrug betrifft <strong>de</strong>n<br />

Kauf/Verkauf-Vertrag, <strong>de</strong>r Zinswucher gilt als Verstoß gegen<br />

<strong>de</strong>n im Wesen unentgeltlichen Leihvertrag von verbrauchbaren<br />

Gütern, d.h. von Gütern, <strong>de</strong>ren Gebrauch im Verbrauch<br />

besteht.<br />

A. DER BETRUG - DIE SÜNDE GEGENDEN<br />

GERECHTEN PREIS<br />

(Fr. 77)<br />

1. DER GERECHTE PREIS<br />

77 Die mittelalterliche Preislehre hat durch die instinktive<br />

Rückführung <strong>de</strong>s Kauf/Verkauf-Vertrags auf die ursprüng­<br />

lichste Erscheinungsform wirtschaftlichen Zusammenseins,<br />

nämlich <strong>de</strong>n Tauschvertrag, die Gefahr eines reinen Wertnomi­<br />

nalismus einerseits, aber auch eines platten Wertrealismus<br />

an<strong>de</strong>rerseits ohne Schwierigkeit umgangen. 18 Beim schlichten<br />

Tausch fällt <strong>de</strong>r Blick von selbst auf das Tausch- Verhältnis. Es<br />

stehen hier zwei verschie<strong>de</strong>nartige Güter einan<strong>de</strong>r gegenüber,<br />

die je einen in sich verschie<strong>de</strong>nen subjektiven N<strong>utz</strong>wert haben.<br />

Dieser kann aber als solcher nicht zum Wertmesser genommen<br />

wer<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>nn ich kann im Verkauf, so sagt Thomas im 1. Arti­<br />

kel, nicht <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>s an<strong>de</strong>rn verkaufen, son<strong>de</strong>rn mir höch­<br />

stens <strong>de</strong>n Verlust eines beson<strong>de</strong>ren N<strong>utz</strong>werts vom Käufer ver­<br />

güten lassen. So ergibt sich von selbst die Notwendigkeit, einen<br />

objektiven Verhältniswert zu suchen, <strong>de</strong>r eine Gr<strong>und</strong>lage für<br />

<strong>de</strong>n gerechten Ausgleich angibt. Der Preis soll, führt Thomas im<br />

1. Artikel aus, zum gemeinsamen N<strong>utz</strong>en <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong>n Kontra­<br />

henten <strong>de</strong>s Kauf/Verkauf-Vertrags dienen. Es ist dabei nicht an<br />

einen N<strong>utz</strong>en im Sinne <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>r ganzen Wirt­<br />

schaftsgesellschaft, son<strong>de</strong>rn eben nur an <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>en gedacht,<br />

<strong>de</strong>r einem je<strong>de</strong>n aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Individualgerechtigkeit zugute<br />

kommt. Es ist für die mittelalterliche Moral vom gerechten Preis<br />

18 Vgl. zum Ganzen O.v. Nell-Breuning, Gr<strong>und</strong>züge <strong>de</strong>r Börsenmoral, Freiburg<br />

416<br />

i.Br. 1928, 46-72.


emerkenswert, daß sie keine Preislehre im eigentlichen Sinne 77<br />

ist, d. h. eine Lehre über das Zustan<strong>de</strong>bringen einer gerechten<br />

Preisordnung, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>n Preis, <strong>de</strong>r bereits vorhan<strong>de</strong>n ist, als<br />

gegeben voraussetzt <strong>und</strong> vom individualrechtlichen Stand­<br />

punkt aus die verschie<strong>de</strong>nen möglichen Umgehungen dieser<br />

vorgezeichneten Preisordnung bespricht. Natürlich wird damit<br />

auch unvermeidlich die Frage, wenigstens von ferne, berührt,<br />

inwieweit <strong>de</strong>r gegebene Preis verpflichtend sei, bzw. was <strong>de</strong>n<br />

Preis in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft bestimmen soll, so daß wir<br />

aus einzelnen An<strong>de</strong>utungen immerhin manches über die<br />

zugr<strong>und</strong>eliegen<strong>de</strong>n Vorstellungen bezüglich <strong>de</strong>r Preisbildung<br />

erfahren.<br />

Der vorgegebene Preis war für <strong>de</strong>n mittelalterlichen Theolo­<br />

gen durchaus nicht vom ontologischen Wert <strong>de</strong>r Sache<br />

bestimmt. Die ganz auf das objektive Sein <strong>de</strong>r Dinge gerichtete<br />

Schauweise <strong>de</strong>s Mittelalters hätte an sich geneigt sein müssen,<br />

<strong>de</strong>n Tauschwert <strong>de</strong>r Waren von einem Ultra-Ontologismus her<br />

zu sehen. Aber es ist <strong>de</strong>m von Thomas in Artikel 2 Zu 3<br />

erwähnten Text aus Augustinus' „Gottesstaat" (lib. 11, c. 16;<br />

CSEL 40,535) zu verdanken, daß die Theologie <strong>de</strong>n Weg zum<br />

N<strong>utz</strong>wert gef<strong>und</strong>en hat. Es heißt in jenem geistreichen Augusti­<br />

nustext: „Die Art <strong>de</strong>r Schätzung eines je<strong>de</strong>n Dinges ist je nach<br />

seinem Gebrauch verschie<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>rart, daß wir sinnenlose<br />

Wesen <strong>de</strong>n Sinnenwesen vorziehen, <strong>und</strong> zwar so weitgehend,<br />

daß, wenn wir es könnten, wir sie völlig aus <strong>de</strong>r Naturordnung<br />

beseitigen wür<strong>de</strong>n, sei es aus Unkenntnis ihres Standorts in ihr<br />

[in <strong>de</strong>r Naturordnung], sei es trotz klarer Erkenntnis, weil wir<br />

sie hinter unsere Annehmlichkeiten stellen. Wer hätte zu Hause<br />

nicht lieber Brot als Mäuse o<strong>de</strong>r Silbermünzen anstelle von Flö­<br />

hen? Was ist <strong>de</strong>nn Verw<strong>und</strong>erliches daran, wenn bei <strong>de</strong>r Ein­<br />

schätzung von Menschen, <strong>de</strong>ren Natur doch wahrhaftig eine so<br />

große Wür<strong>de</strong> besitzt, ein Pferd höher gewertet wird als ein<br />

Sklave, ein Schmuckstück mehr als eine Magd? So weicht die<br />

Schauweise <strong>de</strong>s nur Betrachten<strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r freien Urteilsgestal­<br />

tung weit ab von <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>s Bedürftigen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Lust <strong>de</strong>s<br />

Begierigen."<br />

Der N<strong>utz</strong>wert, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Preis bestimmt, wird von Thomas im<br />

Hinblick auf die allgemein menschliche Bedarfs<strong>de</strong>ckung gese­<br />

hen. Dies zeigt seine Lehre, die er im Anschluß an <strong>de</strong>n zitierten<br />

Augustinustext entwickelt. Thomas erklärt, es sei durchaus<br />

nicht notwendig, daß man ein zu verkaufen<strong>de</strong>s o<strong>de</strong>r zu kaufen-<br />

417


77 <strong>de</strong>s Objekt von innen <strong>und</strong> außen bis ins einzelne kenne, um ja<br />

keinen Defekt zu übersehen, son<strong>de</strong>rn daß es völlig genüge, um<br />

die allgemein menschliche Brauchbarkeit zu wissen. In diesem<br />

Sinn <strong>de</strong>s sozialökonomischen N<strong>utz</strong>werts versteht Thomas<br />

(Art. 1) auch <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft bereits vorgege­<br />

benen Preis. Um nicht <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft gül­<br />

tigen N<strong>utz</strong>wert einer Sache einem ungebührlichen Preisdruck<br />

auszusetzen, so erklärt Thomas (Art. 3), braucht <strong>de</strong>r Verkäufer<br />

einen offenbaren Defekt an einer Sache, wie z. B., daß ein Pferd<br />

einäugig sei, nicht eigens hervorzuheben, sofern er die entspre­<br />

chen<strong>de</strong> Wertmin<strong>de</strong>rung von sich aus in <strong>de</strong>n Preis einbezogen<br />

hat.<br />

Der Preis galt Thomas als Regler <strong>de</strong>s Verbrauchs. Denn nichts<br />

an<strong>de</strong>res be<strong>de</strong>utet doch die stete Rückorientierung auf <strong>de</strong>n<br />

gesellschaftlich bestimmten N<strong>utz</strong>wert, als die Ausrichtung <strong>de</strong>s<br />

Preises nach einem sozialökonomisch vorbestimmten Ziel:<br />

Sicherung <strong>de</strong>r Unterhaltsfürsorge. Diesem Zweck dient nach<br />

Thomas (Art. 2 Zu 2) auch die behördliche Festsetzung <strong>de</strong>r<br />

Maße.<br />

Der Preis als Regler <strong>de</strong>r Erzeugung wird bei Thomas nicht<br />

besprochen. Dagegen kommt die dritte Aufgabe <strong>de</strong>s Preises:<br />

die Regelung <strong>de</strong>r Einkommensbildung, <strong>de</strong>utlich zur Sprache. Im<br />

4. Artikel erklärt nämlich Thomas, daß <strong>de</strong>r Kaufmann für seine<br />

Ware ruhig mehr verlangen könne, als er selbst bezahlt habe,<br />

um das seiner Arbeit entsprechen<strong>de</strong> Honorar zu bekommen.<br />

Da immerhin <strong>de</strong>r Stand <strong>de</strong>r Kaufleute nach Thomas (Art. 4)<br />

einen „allgemeinen N<strong>utz</strong>en" hat, fällt ihm auch das <strong>Recht</strong> zu,<br />

seine Einkommensbildung in <strong>de</strong>r Preisbestimmung <strong>de</strong>r Waren<br />

mitberücksichtigt zu sehen.<br />

Man wür<strong>de</strong> aber Thomas unrecht tun, wollte man die Arbeit<br />

zusammen mit <strong>de</strong>n Kosten als die einzigen bestimmen<strong>de</strong>n Fak­<br />

toren <strong>de</strong>s Preises einer Sache bezeichnen. Im Ethikkommentar<br />

(5. Buch, Lect. 9) fin<strong>de</strong>t sich zwar eine scheinbar entsprechen<strong>de</strong><br />

Stelle: Beim Tausch von Schuhen gegen ein bestimmtes Quan-<br />

> tum Getrei<strong>de</strong> sollen die Schuhe an Zahl das Getrei<strong>de</strong>quantum<br />

im gleichen Verhältnis überragen, in welchem die Arbeit <strong>und</strong> die<br />

Auslagen <strong>de</strong>s Bauern die <strong>de</strong>s Schusters übersteigen. Doch sagt<br />

Thomas an <strong>de</strong>rselben Stelle, daß verschie<strong>de</strong>ne Waren ihre Ver­<br />

gleichsmöglichkeit durch ihren N<strong>utz</strong>wert im Hinblick auf die<br />

Deckung menschlichen Bedarfs erhalten.<br />

418


In welchem Verhältnis freie Preisbildung <strong>und</strong> behördliche 77<br />

Festlegung <strong>de</strong>s Preises stehen, konnte Thomas selbstre<strong>de</strong>nd<br />

noch nicht klarwer<strong>de</strong>n.<br />

Delikat wird die gesamte Preisfrage <strong>de</strong>s Mittelalters von <strong>de</strong>r<br />

Geldseite her. Wir kommen hier von selbst in Kontakt mit <strong>de</strong>r<br />

damaligen Zinstheorie (Fr. 78). Das Geld wird als ein unver­<br />

än<strong>de</strong>rlicher Wertmesser <strong>de</strong>r Dinge aufgefaßt, <strong>de</strong>r keinen Wert­<br />

schwankungen ausgesetzt ist. Die Geldseite hat also auf die<br />

Preisbildung in dieser Anschauung keinerlei Einfluß.<br />

2. DIE HANDELSMORAL<br />

In <strong>de</strong>r mehr o<strong>de</strong>r weniger kritiklosen Annahme einer in <strong>de</strong>r<br />

Wirtschaftsgesellschaft entstan<strong>de</strong>nen <strong>und</strong> durch behördliche<br />

Autorität festgesetzten Preisordnung behan<strong>de</strong>lt Thomas in<br />

unserer Frage die Moral <strong>de</strong>s Kaufmanns. Das römische <strong>Recht</strong><br />

ließ es bei<strong>de</strong>n Kontrahenten im Kauf/Verkauf frei, welchen<br />

Preis sie unter sich vereinbarten. Der Verkäufer mußte nur die<br />

Mängel <strong>de</strong>r Sache auf<strong>de</strong>cken. Die justinianische Gesetzgebung<br />

enthält eine Vorschrift, gemäß welcher <strong>de</strong>r Verkäufer eine<br />

Sache, die ihm unter <strong>de</strong>r Hälfte <strong>de</strong>s eigentlichen Werts abge­<br />

zwungen wor<strong>de</strong>n war, zurückfor<strong>de</strong>rn konnte. Thomas behan­<br />

<strong>de</strong>lt nun im 1. Artikel das Thema, inwieweit die bei<strong>de</strong>n Kontra­<br />

henten sich an <strong>de</strong>n sozialökonomisch vorgegebenen Preis zu<br />

halten haben. Auf die Gepflogenheit <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s<br />

kommt er im 1. Einwand zu sprechen. Schon hier — <strong>und</strong> noch<br />

mehr später in Artikel 4 Zu 1 — läßt Thomas ein großes Ver­<br />

ständnis für <strong>de</strong>n bei <strong>de</strong>n Römern schlecht angesehenen Kauf­<br />

mannsstand erkennen. Cicero (De offic. 1,42,150) meinte vom<br />

Kaufmann, er könne nur mit reichlich viel Lügen Gewinne<br />

machen. Thomas (Art. 1 Zu 1) erklärt, daß die Elastizität <strong>de</strong>r<br />

Preise einen mäßigen Gewinn <strong>de</strong>s Kaufmanns rechtfertige. Der<br />

Han<strong>de</strong>l wür<strong>de</strong> erst dort eigentlich sündhaft, wo durch Uberfor­<br />

<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>m Käufer ein „beträchtlicher" Scha<strong>de</strong>n zugefügt<br />

wür<strong>de</strong>.<br />

Vom Verkäufer verlangt Thomas (Art. 2) nicht nur treue Ein­<br />

haltung <strong>de</strong>s vorgegebenen Preises, son<strong>de</strong>rn auch Ehrlichkeit in<br />

<strong>de</strong>n Angaben über die zu verkaufen<strong>de</strong> Ware. In dreifacher<br />

Weise, so sagt Thomas (Art. 2), kann ein Mangel an einer Sache<br />

gegeben sein: 1. insofern die Ware überhaupt nicht das ist, als<br />

was sie angegeben wird; 2. insofern das Quantum nicht<br />

419


77 stimmt; 3. insofern die Qualität herabgesetzt ist (schadhafte<br />

Ware). Thomas betont, daß alle diese Verfehlungen gegen die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> die Pflicht zur Wie<strong>de</strong>rerstattung nach sich ziehen.<br />

Dieselbe sittliche Pflicht zur vertraglichen Sauberkeit auf­<br />

erlegt Thomas aber auch <strong>de</strong>m Käufer, insofern er diesem verbie­<br />

tet, ein Versehen auf Seiten <strong>de</strong>s Verkäufers zu eigenem Vorteil<br />

hinzunehmen (Art. 2) o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n Preis wegen irgen<strong>de</strong>ines Man­<br />

gels ungebührlich zu drücken (Art. 3). Gegen letztere Gefahr<br />

kann sich, wie bereits erwähnt, nach Ansicht <strong>de</strong>s hl. Thomas<br />

<strong>de</strong>r Verkäufer schützen, in<strong>de</strong>m er offensichtliche Mängel ver­<br />

schweigt. Die Bemerkung <strong>de</strong>s hl. Thomas (Art. 3 Zu 2), daß die<br />

Mängel einer Ware nicht schon beim Ausrufen angezeigt wer­<br />

<strong>de</strong>n müssen, um das Interesse <strong>de</strong>r K<strong>und</strong>schaft nicht von vorn­<br />

herein zu lahmen, son<strong>de</strong>rn daß es genüge, sich mit <strong>de</strong>m interes­<br />

sierten Käufer persönlich auseinan<strong>de</strong>rzusetzen, zeigt das Ver­<br />

ständnis <strong>de</strong>s Heiligen für die Schwierigkeiten <strong>de</strong>s Kaufmanns­<br />

berufs beim Absatz <strong>de</strong>r Ware.<br />

Angesichts <strong>de</strong>r im Mittelalter weitverbreiteten Alchimie lag<br />

es nahe, daß Thomas auf die Fälschung von E<strong>de</strong>lmetallen zu<br />

sprechen kam (Art. 2 Zu 1). Thomas hebt als eigenen Wert <strong>de</strong>s<br />

wahren Gol<strong>de</strong>s hervor: Anreiz zu echter Kulturfreu<strong>de</strong>, Mittel<br />

im Heilverfahren; er möchte jedoch die Möglichkeit nicht<br />

bestreiten, daß auf künstlichem Weg schließlich doch einmal ein<br />

<strong>de</strong>m Naturgold ebenbürtiges Gold gewonnen wer<strong>de</strong>n könnte.<br />

Preisunterschie<strong>de</strong>, die sich nicht aus <strong>de</strong>r inneren Beschaffen­<br />

heit <strong>de</strong>r Ware, son<strong>de</strong>rn aus äußeren Umstän<strong>de</strong>n, wie Marktsi­<br />

tuation, ergeben, können vom Verkäufer nach Thomas (Art. 3<br />

Zu 4) ohne Be<strong>de</strong>nken zum eigenen Vorteil ausgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>n.<br />

Daß eine Sache an irgen<strong>de</strong>inem Ort in absehbarer Zeit durch<br />

größeres Angebot billiger wer<strong>de</strong>n wird, braucht <strong>de</strong>n Verkäufer,<br />

<strong>de</strong>r darum weiß, von <strong>de</strong>r For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s dort gera<strong>de</strong> gültigen<br />

Preises nicht abzuhalten. Damit führt Thomas das Problem <strong>de</strong>r<br />

Spekulation ein, <strong>de</strong>m er seine Aufmerksamkeit eingehend im<br />

4. Artikel widmet, wo er die Frage stellt, ob man einen Gewinn<br />

beabsichtigen dürfe, <strong>de</strong>r sich aus <strong>de</strong>r Differenz zwischen Ein­<br />

standspreis <strong>und</strong> Verkaufspreis ergibt.<br />

Daß ein Unternehmer zur Sicherung seiner wirtschaftlichen<br />

Handlungen spekuliert im Sinn von Umschauhalten nach <strong>de</strong>r<br />

objektiv richtigen Konjunktur, ist klar. Es gehört dies zum klu­<br />

gen Haushalten im Raum einer Volkswirtschaft. Etwas an<strong>de</strong>res<br />

ist die rein händlerische Spekulation, insofern diese nicht nur<br />

420


wirtschaftlich haushält zur Einholung aller gemachten Auslagen 77<br />

<strong>und</strong> Deckung aller geleisteten Arbeit im Vermittlungsdienst <strong>de</strong>r<br />

Güterverteilung, son<strong>de</strong>rn darüber hinaus <strong>und</strong> selbst <strong>de</strong>ssen un­<br />

geachtet kauft <strong>und</strong> verkauft nur, um aus <strong>de</strong>n errechneten <strong>und</strong><br />

erwarteten künftigen Preisschwankungen einen Gewinn zu<br />

erzielen. Wie steht es um dieses Problem bei Thomas? Der<br />

4. Artikel bietet diesbezüglich reichlich Stoff zur Diskussion.<br />

Gera<strong>de</strong> hier fällt auf, wie sehr Thomas die Han<strong>de</strong>lsmoral<br />

nicht zunächst als eine Ordnungsmoral ansieht, gemäß welcher<br />

im objektiven sozialwirtschaftlichen Raum eine sozialgerechte<br />

Vre'isordnung herzustellen ist, son<strong>de</strong>rn eigentlich nur die<br />

Gesetze <strong>de</strong>r Individualmoral bespricht, die bei vorliegen<strong>de</strong>n<br />

Preisen zu beobachten sind. Das Ordnungsgefüge selbst wird<br />

nämlich von Thomas verhältnismäßig rasch erledigt durch die<br />

Bemerkung, <strong>de</strong>r händlerische Gewinn besage in sich nichts<br />

Moralisches, we<strong>de</strong>r im guten noch im schlechten Sinne; es<br />

komme also nur darauf an, auf welches Ziel man ihn ausrichte.<br />

Für eine sozialökonomische Betrachtung aber wür<strong>de</strong> sich<br />

zunächst die Frage stellen: ist <strong>de</strong>r Gewinn überhaupt sozial­<br />

ethisch haltbar, da <strong>de</strong>r statische Gleichgewichtspreis (Kosten =<br />

Preis) ihn nicht kennt?<br />

Thomas betrachtet das Spekulieren auf Gewinn als sittlich<br />

unanfechtbar, wenn <strong>de</strong>r Gewinn zum Unterhalt <strong>de</strong>r eigenen<br />

Familie o<strong>de</strong>r zur Unterstützung <strong>de</strong>r Armen angestrebt wird.<br />

Erst recht sieht er je<strong>de</strong> Schwierigkeit behoben, wenn <strong>de</strong>r Kauf­<br />

mann, seinen Vorteil hintansetzend, <strong>de</strong>n allgemeinen N<strong>utz</strong>en<br />

im Dienst <strong>de</strong>r Güterverteilung erstrebt <strong>und</strong> für diesen geleiste­<br />

ten Dienst <strong>de</strong>n Gewinn als Entgelt, also nicht eigentlich als<br />

Gewinn erwartet. Mit <strong>de</strong>m, was man unter Händlergewinn ver­<br />

steht, hat <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r Antwort Zu 1 erwähnte Arbeitslohn für<br />

Vere<strong>de</strong>lung <strong>de</strong>r zu verkaufen<strong>de</strong>n Ware vollends nichts mehr zu<br />

tun. Es wäre völlig irrig, wollte man <strong>de</strong>n ganzen Artikel im Sinn<br />

dieser Antwort auslegen, als ob Thomas <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn<br />

nur im Sinne von geleisteter Arbeit bestehen ließe. A. Orel<br />

(Oeconomia perennis, Bd. I 217) <strong>de</strong>utet nämlich <strong>de</strong>n ganzen<br />

4. Artikel in dieser Weise, als ob Thomas <strong>und</strong> mit ihm die mit­<br />

telalterliche Scholastik <strong>und</strong> die ganze Kanonistik <strong>de</strong>n „Han<strong>de</strong>ls­<br />

gewinn" nur dann gerechtfertigt hätten, wenn er nicht auf<br />

„Mehrwertaneignung" beruhe, son<strong>de</strong>rn auf Entgelt für Arbeit<br />

<strong>und</strong> Kosten (auf gewen<strong>de</strong>te Mühen <strong>und</strong> Arbeiten, um die Waren<br />

von <strong>de</strong>m Ort <strong>de</strong>r Erzeugung, wo sie nicht benötigt wer<strong>de</strong>n, dort-<br />

421


77 hin zu schaffen, wo sie notwendig sind; Kosten <strong>de</strong>s Transports<br />

usw.). Ore/fin<strong>de</strong>t in <strong>de</strong>r Tatsache, daß Thomas <strong>de</strong>m Han<strong>de</strong>lsge­<br />

winn einen eigenen Artikel gewidmet hat, eine Bestätigung für<br />

<strong>de</strong>ssen bedingungslose Ablehnung <strong>de</strong>s arbeitslosen Einkom­<br />

mens: „Daß Thomas die Frage <strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgewinns ausführlich<br />

geson<strong>de</strong>rt zu behan<strong>de</strong>ln für notwendig fin<strong>de</strong>t, zeugt von <strong>de</strong>r<br />

Gründlichkeit <strong>und</strong> Genauigkeit, mit <strong>de</strong>nen gegen je<strong>de</strong>n arbeits­<br />

losen Gewinn Stellung genommen wer<strong>de</strong>n sollte. Denn <strong>de</strong>r<br />

Kaufmann jener Zeit war fast durchgängig ein kleiner hand­<br />

werksmäßiger Krämer, <strong>de</strong>r mit großem Aufwand an Zeit <strong>und</strong><br />

Arbeit, Mühen <strong>und</strong> Gefahren, sehr oft das Schwert an <strong>de</strong>r Seite,<br />

seine Waren persönlich bei <strong>de</strong>n meistens fernen Produzenten<br />

einkaufte <strong>und</strong> mittels Wagens o<strong>de</strong>r Schubkarrens, wohl auch<br />

auf <strong>de</strong>m eigenen Rücken, als Hausierer von Gehöft zu Gehöft,<br />

durch Dörfer <strong>und</strong> Städte beför<strong>de</strong>rte <strong>und</strong> auf <strong>de</strong>n Märkten unter<br />

<strong>de</strong>n Lauben o<strong>de</strong>r in kleinen Bu<strong>de</strong>n feilbot. Es genügte die Tat­<br />

sache, daß er sein Arbeitsmaterial nicht durch eigene Arbeit<br />

umgestaltete, son<strong>de</strong>rn von einem Ort zum an<strong>de</strong>rn brachte, um<br />

die ausdrückliche Hervorhebung als geboten erscheinen zu las­<br />

sen, daß auch er nur Arbeit <strong>und</strong> Kosten sich bezahlen lassen,<br />

nicht aber Mehrwertgewinn machen dürfe" (a. a. 0.217f.).<br />

Die Unterstellung, daß Thomas das arbeitslose Einkommen<br />

gr<strong>und</strong>weg verwerfe, stimmt aber in keiner Weise, wie sich noch<br />

zeigen wird. Und es ist auch nicht korrekt, <strong>de</strong>n 4. Artikel als<br />

eine Kampfansage gegen <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn aufzufassen. Der<br />

mäßige Han<strong>de</strong>lsgewinn ist, wie bereits gesagt, nach <strong>de</strong>r Lehre<br />

<strong>de</strong>r „Antwort" dieses Artikels gerechtfertigt, sofern er für einen<br />

sittlich guten Zweck ben<strong>utz</strong>t wird. Den Aufschlag im Verkaufs­<br />

preis gegenüber <strong>de</strong>m Einstandspreis rechtfertigt Thomas in <strong>de</strong>r<br />

zweiten Antwort mit folgen<strong>de</strong>n Grün<strong>de</strong>n: 1.Vere<strong>de</strong>lung <strong>de</strong>r<br />

Ware; 2. Marktkonjunktur (sec. diversitatem loci vel temporis);<br />

3. Risiko <strong>de</strong>s Transports. Thomas unterschei<strong>de</strong>t also klar die<br />

Arbeitsleistung (1 <strong>und</strong> 3) von <strong>de</strong>m arbeitslosen Gewinnzu­<br />

wachs (2).<br />

Es fragt sich aber, aus welchen inneren Grün<strong>de</strong>n die reine<br />

Spekulation sozialökonomisch noch tragbar sei, da es doch<br />

nicht genügt, sie irgendwelchen Zielsetzungen, wie Unterhalt<br />

<strong>de</strong>r Familie, Unterstützung <strong>de</strong>r Armen, unterzuordnen. D. h.,<br />

es geht darum, ob <strong>de</strong>r reine Händlergewinn als Lockmittel <strong>de</strong>s<br />

Gewinnstrebens im sozialökonomischen Prozeß eine Aufgabe<br />

erfüllt, so daß <strong>de</strong>r Spekulant um dieser inneren Werthaftigkeit<br />

422


<strong>de</strong>r Spekulation willen objektiv sittlich gut han<strong>de</strong>lt, sofern er 77<br />

diese innere Zweckbestimmung <strong>de</strong>r Spekulation nicht vereitelt,<br />

son<strong>de</strong>rn sie als Rahmen für sein Gewinnstreben anerkennt.<br />

Thomas rührt an <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r Sache, wenn er vom öffentlichen<br />

N<strong>utz</strong>en spricht, <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Kaufmann eben um seines Gewinn­<br />

strebens willen schafft. Allerdings ist die subjektive Willensbil­<br />

dung <strong>de</strong>s Kaufmanns zu stark in <strong>de</strong>n Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> geschoben,<br />

während es einer sozialökonomischen Betrachtung zuerst auf<br />

die <strong>de</strong>r Spekulation immanente Beziehung zur Sozialethik<br />

ankommt. Diese Sicht fin<strong>de</strong>n wir allerdings bei Thomas nicht.<br />

Man kann, über Thomas hinausgehend, wohl sagen, daß die<br />

rein händlerische Spekulation in einer arbeitsteiligen Verkehrs­<br />

wirtschaft eine volkswirtschaftlich nützliche Funktion erfüllt.<br />

Der verantwortungsbewußte Spekulant übernimmt auf sein<br />

privates Konto Risiken, zu <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Unternehmer nicht fähig<br />

wäre. Er wirkt auf die Preisbewegung ausgleichend <strong>und</strong> bereitet<br />

die Begegnung von Angebot <strong>und</strong> Nachfrage. Für seine Arbeit<br />

steckt er also als gerechten „Lohn" <strong>de</strong>n Gewinn ein. Dies alles in<br />

<strong>de</strong>r Voraussetzung einer mehr o<strong>de</strong>r weniger freien Marktwirt­<br />

schaft mit Preisen, die von oben nicht festgesetzt wer<strong>de</strong>n.<br />

Allerdings bleibt immer noch das bereits berührte Problem<br />

als Gr<strong>und</strong>frage, ob <strong>und</strong> inwieweit eben die freie Marktwirt­<br />

schaft das wirtschaftliche Gleichgewicht zu erreichen imstan<strong>de</strong><br />

sei. Mit dieser Frage erhält natürlich die Diskussion um die Spe­<br />

kulation eine ganz an<strong>de</strong>re Note. Darüber entschei<strong>de</strong>t nicht die<br />

Sozialethik, son<strong>de</strong>rn die Wirtschaftswissenschaft.<br />

Sosehr Thomas, Aristoteles folgend, das gewinnsüchtige Spe­<br />

kulieren verwirft, so hat er sich doch vom Stagyriten in etwa<br />

entfernt, insofern er <strong>de</strong>n händlerischen Gewinn für an sich<br />

moralisch indifferent erklärt <strong>und</strong> damit die Möglichkeit seiner<br />

Einordnung in ein sittlich gutes Han<strong>de</strong>ln eröffnet. Dennoch<br />

sieht er mit <strong>de</strong>r gesamten christlichen Tradition die schweren<br />

sittlichen Gefahren, welche im Spekulieren auf Gewinn gege­<br />

ben sind. Aus diesem Gr<strong>und</strong> verteidigt er (Art. 4 Zu 3) das Kir­<br />

chenrecht, welches <strong>de</strong>n Klerikern <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>l als mit <strong>de</strong>m Kle­<br />

rikerstand unvereinbar verbot (<strong>und</strong> übrigens noch verbietet).<br />

423


B. DER ZINS<br />

(Fr. 78)<br />

Die vorliegen<strong>de</strong> Frage behan<strong>de</strong>lt an sich nur das Darlehen<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>n dafür verlangten Zins als Wucher. Dennoch kommt<br />

Thomas beiläufig auch auf das zu sprechen, was für uns heute<br />

die Kapitalrendite ist, so daß Anton Orel in seinem Werk<br />

„Oeconomia perennis" (Bd. I—II, Mainz 1930) für seinen<br />

Kampf gegen das arbeitslose Einkommen die vermeintlich gün­<br />

stigsten Texte aus <strong>de</strong>r christlichen Tradition dieser Frage ent­<br />

nahm (unter Bezugnahme auf einzelne Zitate aus Fr. 77.) Bevor<br />

wir auf die Diskussion eingehen können, seien die bei<strong>de</strong>n<br />

Begriffe „Kapitalzins" <strong>und</strong> „Darlehenszins" klargestellt.<br />

Kapital ist das in einer Geldziffer ausgedrückte Erwerbsver­<br />

mögen. 1 9 Das Kapital ist also nicht das (produzierte) Produk­<br />

tionsmittel selbst, son<strong>de</strong>rn besagt nur eine Wertziffer, die selbst­<br />

re<strong>de</strong>nd ihrerseits in Produktionsmitteln verkörpert sein kann.<br />

In einer geldrechenhaften, marktgängigen Wirtschaft, in wel­<br />

cher je<strong>de</strong>r Wertbetrag Erwerbsvermögen sein kann, weil stets in<br />

Produktionsmittel umsetzbar, sind bestimmte Wertbeträge an<br />

Erwerbsvermögen <strong>und</strong> Produktionsmitteln vertauschbare Be­<br />

griffe, weswegen man auch mit <strong>Recht</strong> sagt, daß Kapital, verstan­<br />

<strong>de</strong>n als Wertziffer, produktiv sei. An<strong>de</strong>rs natürlich in einer<br />

nicht-geldrechenhaften Wirtschaft, in welcher Produktionsmit­<br />

tel nicht stets durch Geld in Umlauf kommen können. Hier sind<br />

natürlich Produktionsmittel ebenfalls produktiv. Aber die geld­<br />

lich ausgedrückte Wertsumme für Ertragsgüter ist unproduktiv.<br />

In unserer gegenwärtigen, kapitalistischen Wirtschaft ist ein<br />

Kapitalbetrag ohne weiteres produktiv, d.h. Ertragsquelle.<br />

Damit ist aber das Kapital zugleich für <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r es besitzt, Ein­<br />

kommensquelle. 20<br />

1 9 O. v. Nell-Breuning <strong>und</strong> H. Sacher, Zur Wirtschaftsordnung, Wörterbuch <strong>de</strong>r<br />

Politik, Heft IV. Freiburg 1949,178. Vgl. auch O.v.Nell-Breuning, Art. Zins<br />

in: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 5. Aufl., Bd. 5, 1932.<br />

2 0 Die Wirtschaftswissenschaft spricht allerdings vom Zins zunächst unabhängig<br />

vom Wirtschaftssystem. Der Zins ist eine Erscheinung <strong>de</strong>s Kapitals in<br />

je<strong>de</strong>r Wirtschaftsform. Selbst eine bolschewistische Planwirtschaft kann nur<br />

mit Hilfe <strong>de</strong>s Zinses berechnen, inwieweit ein Kapital noch n<strong>utz</strong>bringend<br />

angelegt ist. Sofern <strong>de</strong>r Zins in dieser allgemeinen wirtschaftlichen Form aufgefaßt<br />

wird, hat er mit <strong>de</strong>r Ethik noch keine Berührungspunkte. Die Zinsfrage<br />

wird für <strong>de</strong>n Ethiker erst dort relevant, wo es um die Aneignung <strong>de</strong>s<br />

Zinses geht. Erst nach<strong>de</strong>m die Frage entschie<strong>de</strong>n ist, welche Eigentumsord-<br />

424


Der Kapitalzins ist nun <strong>de</strong>r Preis für die reine Kapitalnut­<br />

zung. In<strong>de</strong>m wir sagen „reine" Kapitaln<strong>utz</strong>ung, soll ange<strong>de</strong>utet<br />

sein, daß sowohl die Kosten für die Arbeit, also <strong>de</strong>r Arbeitslohn,<br />

wie auch <strong>de</strong>r „Lohn" <strong>de</strong>s Managers, <strong>de</strong>ssen Funktion in <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftlichen Zusammenstellung von Arbeit <strong>und</strong> Kapital<br />

besteht, wie auch vor allem die Risikoprämie ausgeschie<strong>de</strong>n<br />

sind.<br />

Der Darlehenszins ist jenes Mehr, das <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

<strong>de</strong>m Darlehensgeber über <strong>de</strong>n geliehenen Betrag hinaus zu lei­<br />

sten hat. 21 Im Darlehen wird eine Sache geliehen, die keinen<br />

eigenen Gebrauchsn<strong>utz</strong>en hat, son<strong>de</strong>rn im Gebrauch ver­<br />

braucht wird. In<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Darlehensgeber die Sache leiht, vergibt<br />

er <strong>de</strong>n Verbrauch. Wenn er darüber hinaus noch einen Preis für<br />

imaginäre N<strong>utz</strong>ung verlangen wür<strong>de</strong>, dann wäre dies <strong>de</strong>r Dar­<br />

lehenszins. Für gewöhnlich han<strong>de</strong>lt es sich in <strong>de</strong>r Geldwirt­<br />

schaft beim Darlehen um ein Gelddarlehen. Es ist dies aber<br />

zum Begriff <strong>de</strong>s Darlehens als solchen nicht absolut notwendig.<br />

Thomas spricht zwar in unserer Frage ebenfalls hauptsächlich<br />

vom Gelddarlehen. Er schließt aber alle an<strong>de</strong>rn im Gebrauch<br />

verbrauchten Güter mit ein: „Wie daher je<strong>de</strong>r, <strong>de</strong>r für ein Geld­<br />

darlehen o<strong>de</strong>r etwas an<strong>de</strong>res, das im Gebrauch verbraucht<br />

wird..." (Art.2). Das lateinische Wort für <strong>de</strong>n Darlehenszins<br />

heißt foenus o<strong>de</strong>r usura (Wucher). Letzteres gibt bereits eine<br />

sittliche Bewertung an, in<strong>de</strong>m es die Verwerflichkeit <strong>de</strong>s Zinses<br />

ausdrückt. Das lateinische Wort, von welchem unser Wort<br />

„Zins" abgeleitet wird, heißt census <strong>und</strong> bezeichnet etwas ganz<br />

an<strong>de</strong>res als Zins, nämlich Schätzung, d. h. eine für einen steuer­<br />

lichen Veranlagungszeitraum vorgenommene Schätzung eines<br />

nung (ob kommunitäre o<strong>de</strong>r private) <strong>und</strong>, in <strong>de</strong>r Folge, welche Wirtschaftsordnung<br />

(ob zentralgeleitete o<strong>de</strong>r freie Verkehrswirtschaft) <strong>de</strong>m Gemeinwohl<br />

die dienlichste ist, kann vom ethischen Standpunkt aus die Frage <strong>de</strong>s<br />

Zinses angefaßt wer<strong>de</strong>n. Es geht also dieser ethischen Frage nach <strong>de</strong>m Zins<br />

eine viel umfangreichere <strong>und</strong> gr<strong>und</strong>sätzlichere wirtschaftsethische Frage<br />

voraus, nämlich die, welches Wirtschaftssystem <strong>de</strong>r sozialen Ordnung das<br />

dienlichste sei. Unsere Darlegungen gehen von <strong>de</strong>m hier nicht zu erörtern<strong>de</strong>n<br />

Gedanken aus, daß unter <strong>de</strong>n heute gegebenen Umstän<strong>de</strong>n die kapitalistische<br />

Wirtschaftsweise die <strong>de</strong>r sozialen Ordnung entsprechendste ist.<br />

Dabei ist <strong>de</strong>r Begriff „kapitalistische Wirtschaftsweise" nicht rein wirtschaftlich,<br />

son<strong>de</strong>rn wirtschaftsethisch zu verstehen, entsprechend <strong>de</strong>r Eigentumsordnung,<br />

daß es nämlich ein an<strong>de</strong>rer ist, welcher die Produktionsmittel<br />

besitzt, ein an<strong>de</strong>rer, welcher die Arbeit leistet.<br />

21 Vgl. O.v.Nell-Breuning - H.Sacher, a.a.O. 177.<br />

425


78 Einkommens aus einer dauern<strong>de</strong>n Ertragsquelle. Es han<strong>de</strong>lt<br />

sich hier also um eine Rente aus einer Rentenquelle. Ubertragen<br />

in die geldrechenhafte Wertung, be<strong>de</strong>utet dies nichts an<strong>de</strong>res als<br />

Kapital <strong>und</strong> Kapitalrendite.<br />

Zwei Fragen ergeben sich nun für uns im Hinblick auf die<br />

Thomaserklärung: l.Wie bewertet Thomas Rentenquelle <strong>und</strong><br />

Rente, Kapital <strong>und</strong> Kapitalrendite, Kapital <strong>und</strong> Kapitalzins?<br />

2.Warum verwirft er <strong>de</strong>n Darlehenszins?<br />

1. DIE BEURTEILUNG DER RENTE (CENSUS)<br />

Wenngleich je<strong>de</strong>m unvoreingenommenen Thomaskommen­<br />

tator Orels Behauptung, Thomas habe das arbeitslose, rein<br />

kapitalistische Einkommen verworfen <strong>und</strong> nur die Arbeit als<br />

eigentliche Einkommensquelle bezeichnet, völlig gr<strong>und</strong>los<br />

erscheinen muß, so wer<strong>de</strong>n wir uns mit Orels Darstellungen<br />

doch etwas eingehen<strong>de</strong>r beschäftigen, um <strong>de</strong>njenigen Vertreter<br />

<strong>de</strong>r Arbeitslehre zu Wort kommen zu lassen, <strong>de</strong>r sich nicht so<br />

verschwommen wie mancher an<strong>de</strong>re auf Thomas beruft, son­<br />

<strong>de</strong>rn sich unmittelbar mit <strong>de</strong>n Thomastexten auseinan<strong>de</strong>rsetzt.<br />

Wenn wir uns im folgen<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Nachweis beschäftigen,<br />

daß Thomas das arbeitslose Einkommen nicht verworfen, son­<br />

<strong>de</strong>rn verteidigt hat, dann soll das Arbeitsethos, das bei Thomas<br />

eine beson<strong>de</strong>rs sorgsame Beachtung gef<strong>und</strong>en hat, keineswegs<br />

eine Einbuße erfahren. 22<br />

Im Gr<strong>und</strong>e läuft <strong>de</strong>r ganze Streit auf die Frage hinaus, wel­<br />

chen Titel Thomas als <strong>de</strong>n ersten für <strong>de</strong>n Eigentums erwerb<br />

erklärt hat: die Besitznahme herrenlosen Gutes o<strong>de</strong>r die Arbeit.<br />

Wenn nämlich die Arbeit ihrem Wesen gemäß wirklich <strong>de</strong>r erste<br />

Titel <strong>de</strong>s Eigentumserwerbs sein sollte, dann kann folglich ein<br />

Einkommen, daß nicht aus Arbeit fließt, keinen Bestand mehr<br />

haben.Umgekehrt aber wür<strong>de</strong> wohl gelten, daß unter <strong>de</strong>r Vor­<br />

aussetzung, daß reine Besitznahme herrenlosen Gutes bereits<br />

einen Eigentumstitel auf die Substanz einer Sache begrün<strong>de</strong>t,<br />

die Arbeit das Einkommen aus <strong>de</strong>r bereits erworbenen Sache<br />

erhöht. Wer die Arbeit zum ersten Titel erklärt, kann <strong>de</strong>m Men­<br />

schen nur soviel Eigentumsrecht über die Sache zuteilen, als er<br />

Vgl. hierzu die einschlägige Literatur im Literatur-Verzeichnis am Schluß <strong>de</strong>s<br />

Ban<strong>de</strong>s unter <strong>de</strong>n Namen E.Welty, J.Hässle, S.M.Killeen, K.Müller.<br />

426


arbeitend die Sache vere<strong>de</strong>lt hat. Der arbeiten<strong>de</strong> Mensch wird 78<br />

darum eigentlich niemals Herr über die Substanz <strong>de</strong>r Sache<br />

selbst, kann sie darum auch niemals als Rentenquelle ben<strong>utz</strong>en.<br />

A. Horväth, <strong>de</strong>r in seinem Buch „Eigentumsrecht nach <strong>de</strong>m<br />

hl. Thomas von Aquin" die Arbeit zum ersten Titel <strong>de</strong>s Eigen­<br />

tumserwerbs gemacht hat, war sich offenbar <strong>de</strong>r Tragweite sei­<br />

ner Erklärung nicht bewußt. Orel dagegen hat die letzten Kon­<br />

sequenzen daraus gezogen <strong>und</strong> Thomas zum klassischen Ver­<br />

treter einer Arbeitswertlehre gemacht. In unserer Frage (78)<br />

sind es hauptsächlich zwei Stellen, die sich mit <strong>de</strong>r Rentenquelle<br />

befassen: Art. 1 Zu 6 <strong>und</strong> Art. 2 Zu 5. Ergänzend wird dann<br />

Art. 3 noch hinzugezogen.<br />

In Art. 1 Zu 6 spricht Thomas davon, daß man Silbergeschirr<br />

vermieten könne, weil <strong>de</strong>r Gebrauch <strong>de</strong>s Geschirrs nicht im<br />

Verbrauch besteht. Im selben Sinn könne man auch die Geld­<br />

münzen einem weiteren Zweck als nur <strong>de</strong>m Tausch dienstbar<br />

machen, in<strong>de</strong>m man ihren Gebrauch zur Schaustellung o<strong>de</strong>r zur<br />

Pfandleistung verkauft, die Substanz <strong>de</strong>r Münze selbst aber als<br />

Eigentum sich vorbehält. Orel ist nun <strong>de</strong>r Auffassung, daß es<br />

sich hier trotz allem nicht um eine Rentenquelle han<strong>de</strong>lt, da<br />

nicht die reine Kapitaln<strong>utz</strong>ung verkauft wer<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn wegen<br />

an<strong>de</strong>rer Titel, wie Kosten für Arbeitsaufwand, Risikoprämie<br />

usw., ein Entgelt gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>: „Mit Unrecht beruft man<br />

sich...auf die Stelle bei Thomas von Aquin, S.th. II—II 78,1 ad<br />

6, wo er davon spricht, daß man <strong>de</strong>n Gebrauch von Silberge­<br />

schirr ebenso wie <strong>de</strong>n Gebrauch von Silbermünzen zur Schau­<br />

stellung o<strong>de</strong>r zur Pfandbestellung verkaufen, d. h. also, daß<br />

man sie vermieten könne, ohne das Eigentum daran aufzuge­<br />

ben, <strong>und</strong> für diese Vermietung einen Preis for<strong>de</strong>rn dürfe. Die<br />

Frage ist nämlich gar nicht diese, die <strong>de</strong>r Einwand im Auge hat:<br />

ob man ein Miet-Entgelt verlangen dürfe, was auch wir ohne<br />

weiteres zugeben. Son<strong>de</strong>rn die Frage ist: aus welchen Elemen­<br />

ten sich dieser Mietpreis naturrechtlich zusammensetzt. Im<br />

Einklang mit <strong>de</strong>n von Thomas entwickelten <strong>Recht</strong>sgr<strong>und</strong>sätzen<br />

kann die Antwort nur so lauten: Der Vermieter darf nur äquiva­<br />

lentes Entgelt für Arbeit <strong>und</strong> Kosten, Wertmin<strong>de</strong>rung u. dgl. (in<br />

unserem hochkapitalistischen Wirtschaftssystem auch die von<br />

Kanon 1543 zugelassene Schadloshaltung) for<strong>de</strong>rn, niemals<br />

aber die Vermietung dazu mißbrauchen, um eine arbeitslose<br />

Bereicherung auf Kosten <strong>de</strong>s Mieters zu erfahren" (a.a.O.,<br />

Bd. 1,233).<br />

427


78 Es ist aber nicht einzusehen, warum Thomas je<strong>de</strong>n soge-<br />

nannten Mehrwert ausschließen soll. Orel ist völlig im Banne<br />

seiner Erklärung von 77,4, wo er, wie bereits dargestellt, <strong>de</strong>r<br />

ganzen mittelalterlichen Scholastik die Ansicht unterschob, daß<br />

die einzigen Faktoren <strong>de</strong>r Preisbildung „Arbeit <strong>und</strong> Kosten"<br />

seien (Bd. 1,217).<br />

Ebenfalls von dieser Sicht her ist auch seine Erklärung von<br />

Art. 2 Zu 5 aufgefaßt. Thomas spricht hiervon einer Kapitalan­<br />

lage im Geschäft eines Kaufmanns o<strong>de</strong>r eines Handwerkers<br />

„nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft". Er meint nun, daß <strong>de</strong>r<br />

Geldgeber ruhig einen über <strong>de</strong>n investierten Betrag hinausge­<br />

hen<strong>de</strong>n Son<strong>de</strong>ranteil am Geschäftsgewinn verlangen dürfe, weil<br />

er das Geld nicht in Form eines Darlehens <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren über­<br />

gebe, son<strong>de</strong>rn vollgültiger Herr <strong>de</strong>s Werts bleibe, also Mitbesit­<br />

zer <strong>de</strong>s Realkapitals sei. Der Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker<br />

arbeitet mit diesem Kapital (wenigstens teilweise) als Manager<br />

<strong>de</strong>s Kapitalgebers. Das Risiko, so sagt Thomas ausdrücklich,<br />

bleibt beim Kapitalgeber. „Und darum", so folgert Thomas,<br />

„kann er erlaubterweise einen Teil <strong>de</strong>s daraus entstehen<strong>de</strong>n<br />

Gewinns for<strong>de</strong>rn, als von seiner eigenen Sache."<br />

Wie ist nun dieses Einkommen <strong>de</strong>s Kapitalgebers zu verste­<br />

hen? Ist es eine Risikoprämie? O<strong>de</strong>r ist es <strong>de</strong>r Preis für die reine<br />

Kapitaln<strong>utz</strong>ung, also ein Mehrwert über Arbeit <strong>und</strong> Kosten?<br />

Orel hat sich gera<strong>de</strong> mit diesem Text viel Arbeit gemacht. Er<br />

möchte auch hier <strong>de</strong>n Text in <strong>de</strong>r nach seinem Sinn ausgelegten<br />

Wirtschaftsmoral <strong>de</strong>s hl. Thomas verstan<strong>de</strong>n wissen.<br />

In <strong>de</strong>r Tat gibt <strong>de</strong>r Text <strong>de</strong>r Kommentierung keine leichte<br />

Aufgabe auf. So meint Orel: „Aus <strong>de</strong>m Zusammenhang geris­<br />

sen <strong>und</strong> ihrem bloßen Wortlaut nach betrachtet —, wie es bei <strong>de</strong>r<br />

kapitalistischen Deutung üblich ist — bleibt die Stelle dunkel<br />

<strong>und</strong> unklar. Nicht ersichtlich ist, was Thomas darunter versteht,<br />

wenn er das Geld einem Kaufmann o<strong>de</strong>r einem Handwerker<br />

,nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft' anvertrauen läßt. Nicht<br />

ersichtlich ist, wieso Thomas das unserer Erfahrung gemäß in<br />

Wahrheit doch sehr oft gefähr<strong>de</strong>te Darlehen gefahrlos gegen­<br />

über <strong>de</strong>r in Wahrheit kaum mehr gefähr<strong>de</strong>ten,Gesellschafts'ein-<br />

lage hinstellt. Nicht ersichtlich ist, wieso Thomas <strong>de</strong>m nicht<br />

arbeiten<strong>de</strong>n ,Gesellschafter' ,Gewinn, gleichsam von seiner<br />

Sache', zusprechen kann, obwohl er sonst <strong>de</strong>n arbeitslosen<br />

Gewinn gr<strong>und</strong>sätzlich verwirft. Endlich scheint sich <strong>de</strong>r gro­<br />

teske Selbstwi<strong>de</strong>rspruch <strong>de</strong>s hl. Thomas zu ergeben, daß <strong>de</strong>r<br />

428


Kaufmann, <strong>de</strong>r unter Arbeit, Mühe <strong>und</strong> Gefahr <strong>de</strong>s Verlustes 78<br />

<strong>de</strong>s eigenen Vermögen, ja sogar seines Lebens, Geschäfte<br />

betreibt, nach Thomas keinen Gewinn machen dürfe, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>n<br />

Entgelt seiner Arbeit <strong>und</strong> seiner Kosten überstiege, wogegen<br />

<strong>de</strong>r bloß mit einer Vermögenseinlage beteiligte, keine Arbeit,<br />

keine Mühe tragen<strong>de</strong> Gesellschafter' einen (über Arbeit, die für<br />

ihn nicht vorhan<strong>de</strong>n ist, <strong>und</strong> Kosten hinausgehen<strong>de</strong>n) Gewinn<br />

machen dürfe. Der nicht arbeiten<strong>de</strong> Kapitalist wäre somit gün­<br />

stiger gestellt als <strong>de</strong>r arbeiten<strong>de</strong> Kaufmann. Eine <strong>de</strong>rartige<br />

Umstülpung seiner Wirtschaftsmoral kann <strong>de</strong>m hl. Thomas<br />

aber unmöglich zugemutet wer<strong>de</strong>n. Im Gegensatz zu <strong>de</strong>r<br />

unmöglichen, oberflächlichen kapitalistischen Deutung wird<br />

sich bei gründlicher Durchforschung alsbald zeigen, daß diese<br />

auf <strong>de</strong>n ersten Blick so dunkle <strong>und</strong> wi<strong>de</strong>rspruchsvolle Stelle mit<br />

<strong>de</strong>r unzweifelhaften, klaren antikapitalistischen Lehre <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas vollkommen harmoniert" (a.a.O., Bd. 1,219).<br />

Orel sieht zwei Möglichkeiten <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s Begriffs <strong>de</strong>r<br />

Anvertrauung „nach <strong>de</strong>r Weise einer Gesellschaft": „entwe<strong>de</strong>r<br />

als regelrechte Darlehen zu geschäftlichen Zwecken (Han<strong>de</strong>ls­<br />

<strong>und</strong> Gewerbekredit), o<strong>de</strong>r die Kommenda, <strong>de</strong>n ersten frühkapi­<br />

talistischen Ansatz zu <strong>de</strong>n späteren Kapitalgesellschaften im<br />

mo<strong>de</strong>rnen Kapitalismus" (a.a.O.).<br />

Während sonstige Darlehen praktisch nur gegen ein sicheres<br />

Faustpfand o<strong>de</strong>r sehr gute Bürgschaft gewährt wur<strong>de</strong>n, kam die<br />

Pfandbestellung beim kleinen Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker<br />

nicht in Frage, da die aufgenommene Summe ihr Vermögen<br />

überstieg. Bei Pfand- <strong>und</strong> Bürgschaftsdarlehen konnte sich <strong>de</strong>r<br />

Gläubiger an Faustpfand o<strong>de</strong>r Bürgen schadlos halten. Er lief<br />

also keine Gefahr, konnte darum auch keine eigene Risikoprä­<br />

mie verlangen. An<strong>de</strong>rs bei Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit. Hier<br />

trat nach scholastischer Auffassung <strong>de</strong>r Kreditgeber in ein<br />

Gesellschaftsverhältnis mit <strong>de</strong>m Kaufmann o<strong>de</strong>r Handwerker.<br />

Er trug das Risiko für seine Einlage selbst. Orel schließt sodann<br />

daraus, daß <strong>de</strong>r von Thomas erwähnte „Gewinn" darum nichts<br />

an<strong>de</strong>res als eine Versicherung gegen Risiko war.<br />

Dasselbe nimmt Orel auch an für <strong>de</strong>n Fall, daß es sich um<br />

eine kaufmännische Kommenda han<strong>de</strong>lte. Diese war die Hin­<br />

gabe einer Summe an einen an<strong>de</strong>rn zum Geschäftsbetrieb, <strong>de</strong>s­<br />

sen Gewinn die Parteien später teilten. Orel meint, daß diese<br />

Gewinne im Gr<strong>und</strong>e nichts an<strong>de</strong>res waren als Deckung von frü­<br />

her bereits erlittenen <strong>und</strong> später mit ziemlicher Wahrscheinlich-<br />

429


78 keit zu erwarten<strong>de</strong>n Verlusten. „Eine solche Entschädigung war<br />

in sich durchaus gerecht, stellte nur die Äquivalenz zwischen<br />

Leistung <strong>und</strong> Gegenleistung her" (a.a.O.221). Orel weist<br />

darauf hin, daß man in diesen Kommendae <strong>de</strong>s Mittelalters<br />

nicht etwa kapitalistisch aufgezogene, auf mächtige Gewinne<br />

angelegte Gesellschaften sehen dürfe. Han<strong>de</strong>lte es sich doch<br />

beim damaligen Transportwesen um riesige Gefahren für das<br />

Unternehmen <strong>und</strong> die Unternehmer selbst (Sturm, Räuberwe­<br />

sen). Aus diesem Gr<strong>und</strong> sei das Zusammenwirken von mehre­<br />

ren Kauf leuten <strong>und</strong> vielen Geldgebern zu einer Transportgesell­<br />

schaft eine Notwendigkeit gewesen, zumal <strong>de</strong>r einzelne Betei­<br />

ligte einen verhältnismäßig nur sehr geringen Einsatz zu leisten<br />

imstan<strong>de</strong> gewesen sei. „Nichts törichter", so meint Sombart<br />

(Der mo<strong>de</strong>rne Kapitalismus, 1, 291 ff., zitiert bei Orel a. a. O.<br />

220) „als das Mittelalter mit kapitalistisch empfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n<br />

<strong>und</strong> ökonomisch geschulten Kaufleuten zu bevölkern. Das<br />

handwerksmäßige Wesen <strong>de</strong>s Händlers alten Schlages tritt vor<br />

allem in <strong>de</strong>r Eigenart seiner Zwecksetzung zutage. Auch ihm<br />

liegt im Gr<strong>und</strong>e seines Herzens nichts ferner als ein Gewinn­<br />

streben im Sinne mo<strong>de</strong>rnen Unternehmertums; auch er will<br />

nichts an<strong>de</strong>res, nicht weniger, aber auch nicht mehr, als durch<br />

seiner Hän<strong>de</strong> Arbeit sich recht <strong>und</strong> schlecht <strong>de</strong>n stan<strong>de</strong>sgemä­<br />

ßen Unterhalt verdienen; auch seine ganze Tätigkeit wird von<br />

<strong>de</strong>r I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>r Nahrung beherrscht... Man weiß, welch mühsames<br />

<strong>und</strong> meist gefährliches Werk je<strong>de</strong>s Han<strong>de</strong>lsgeschäft war, das<br />

eine Ortsverän<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>r Ware — <strong>und</strong> darum han<strong>de</strong>lte es sich ja<br />

fast immer — zur Voraussetzung hatte, weiß, daß <strong>de</strong>r Händler<br />

selbst mit <strong>de</strong>m Schwert umgürtet sich auf die Reise begeben,<br />

wochen- <strong>und</strong> monatelang in eigener Person Wagenführer <strong>und</strong><br />

Herbergsvater spielen mußte, um seine paar Colli glücklich an<br />

ihren Bestimmungsort zu bringen". Im Hinblick auf dieses<br />

ungeheure Risiko, <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Kapitalgeber sein Kapital in <strong>de</strong>n<br />

Kommendaeverträgen aussetzte, konnte er eine berechtigte Ver­<br />

sicherungsprämie verlangen, welche gemäß <strong>de</strong>r Auslegung von<br />

Orel bei Thomas mit Gewinnanteil bezeichnet wur<strong>de</strong>: „Da bei<br />

Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit wie bei <strong>de</strong>r Kommenda <strong>de</strong>r Geld­<br />

geber wahrhaftig eine Risikolast trug, konnte er auch <strong>de</strong>n dieses<br />

Risiko ausgleichen<strong>de</strong>n ,Gewinn'anteil als ,gleichsam von seiner<br />

Sache' gewonnene Versicherungs- o<strong>de</strong>r Ersatzquote mit <strong>Recht</strong><br />

for<strong>de</strong>rn. Eine solche Versicherungsquote darf selbstverständlich<br />

bei sämtlichen riskanten Geschäften, <strong>und</strong> zwar in solcher Höhe<br />

430


gerechterweise gefor<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n, als die Gefahr im Durch- 78<br />

schnitt groß ist, bei beson<strong>de</strong>rs riskanten Unternehmungen ent­<br />

sprechend höher. Worauf es ankommt, ist, daß die Gesamt­<br />

summe <strong>de</strong>r gefor<strong>de</strong>rten Versicherungsprämien die Gesamt­<br />

summe <strong>de</strong>r als präsumtiv eintretend errechneten <strong>und</strong> tatsäch­<br />

lich eintreten<strong>de</strong>n Schä<strong>de</strong>n <strong>de</strong>cke, äquivaliere, nicht aber<br />

Gewinn aus frem<strong>de</strong>r Arbeit eintrage" (a. a. O. Bd. 1,221 f). Für<br />

Orel ist je<strong>de</strong>r arbeitslose Mehrwertgewinn offensichtlicher<br />

Wucher. Er kann es sich daher nicht aus<strong>de</strong>nken, daß Thomas,<br />

wenn er von einem „Gewinn"anteil sprach, an etwas an<strong>de</strong>res<br />

gedacht hätte als an die Risiko-Entschädigung. Orel gibt aller­<br />

dings zu, daß <strong>de</strong>r zeitbedingte, unvermeidliche Mangel an<br />

volkswirtschaftlichen Erkenntnissen bei <strong>de</strong>n Scholastikern,<br />

auch bei Thomas, zu Unklarheiten, Schwankungen, Unge-<br />

nauigkeiten Anlaß gegeben habe <strong>und</strong> daß infolge<strong>de</strong>ssen in ihren<br />

Schriften „Wi<strong>de</strong>rsprüche gegen die von ihnen prinzipiell hoch­<br />

gehaltene Äquivalenz- <strong>und</strong> Wucherlehre" vorkommen könnten.<br />

In <strong>de</strong>r uns hier beschäftigen<strong>de</strong>n Stelle löse sich allerdings <strong>de</strong>r<br />

scheinbare Wi<strong>de</strong>rspruch unschwer in Einklang auf. Thomas<br />

gebrauche <strong>de</strong>n Ausdruck „Gewinn" hier ebenso wie in 77,4, wo<br />

er vom erlaubten „Han<strong>de</strong>lsgewinn" re<strong>de</strong> <strong>und</strong> dabei nichts an<strong>de</strong>­<br />

res meine als <strong>de</strong>n Arbeitslohn <strong>de</strong>s Kaufmanns <strong>und</strong> Kostener­<br />

satz, für <strong>de</strong>n Kostenpunkt; <strong>de</strong>nn darunter sei die Risiko-Ent­<br />

schädigung zu rechnen (a.a.O.223). „Es ist somit stringent<br />

bewiesen, daß Thomas unter <strong>de</strong>m ,Gewinnanteil <strong>de</strong>s Geldge­<br />

bers nicht einen über Arbeitslohn <strong>und</strong> Kostenersatz hinausge­<br />

hen<strong>de</strong>n Mehrwertgewinn o<strong>de</strong>r echten Kapitalzins verstan<strong>de</strong>n<br />

haben kann" (Orel, a.a.O.).<br />

Was ist nun dazu zu sagen? Die Berufung auf 77,4 scheint <strong>de</strong>r<br />

Berechtigung wirklich zu entbehren, <strong>de</strong>nn es spricht alles dafür,<br />

daß Thomas dort <strong>de</strong>n Han<strong>de</strong>lsgewinn nicht nur als Arbeitslohn<br />

<strong>de</strong>s Kaufmanns verstan<strong>de</strong>n wissen wollte. Ferner ist zu be<strong>de</strong>n­<br />

ken, daß Thomas die gesellschaftliche Geschäftsbeteiligung<br />

streng juristisch von <strong>de</strong>m reinen Darlehen unterschei<strong>de</strong>t. Im<br />

reinen Darlehen wird nach Thomas das Eigentum über die<br />

Sache mitvergeben, weil es sich um eine im Gebrauch ver­<br />

brauchte Sache han<strong>de</strong>lt, während beim Kredit mit Geschäftsan­<br />

teil <strong>de</strong>r Kreditgeber Kapitalbesitzer wird <strong>und</strong> damit am Ertrag<br />

<strong>de</strong>s Unternehmens Anteil hat. Orel lehnt diese <strong>de</strong>m römischen<br />

<strong>Recht</strong>s<strong>de</strong>nken entnommene Begründung als unthomistisch ab.<br />

Er bezeichnet sie als juristische Fiktion <strong>und</strong> einen Irrweg <strong>de</strong>r<br />

431


78 Formalistik. Wie aber will man an<strong>de</strong>rerseits überhaupt noch mit<br />

unserer Frage 78 zurechtkommen, wenn mann diese streng<br />

juristische Unterscheidung zwischen Darlehen <strong>und</strong> gesell­<br />

schaftlicher Geschäftsbeteiligung nicht mehr aufrechterhält <strong>und</strong><br />

als <strong>de</strong>n Kern <strong>de</strong>r ganzen Frage bezeichnet? Das Eigenartige <strong>de</strong>s<br />

Darlehens ist eben, daß das Eigentum an <strong>de</strong>r Sache entäußert<br />

wird, obwohl das Eigentum am Wert nicht aufgegeben wird.<br />

Wir wer<strong>de</strong>n darauf sogleich nochmals zu sprechen kommen<br />

müssen. Es ist gera<strong>de</strong> höchste wissenschaftliche Auszeichnung<br />

für Thomas, daß er alle Dinge von ihrer Wesens<strong>de</strong>finition her<br />

beurteilt. Wie sollte er nun auf einmal von diesem Verfahren<br />

abgehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>n <strong>de</strong>finitionsgemäßen Unterschied zwischen<br />

Darlehen <strong>und</strong> gesellschaftlicher Geschäftsbeteiligung aufgeben<br />

zugunsten irgen<strong>de</strong>iner praktischen Sicht? Es hieße die ganze<br />

Frage 78 auf <strong>de</strong>n Kopf stellen, wenn man behaupten wollte,<br />

Thomas habe <strong>de</strong>n Darlehenszins aus <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>e verworfen,<br />

weil in <strong>de</strong>r Praxis bereits ein sicheres Pfand o<strong>de</strong>r eine gute Bürg­<br />

schaft für das Darlehen gestellt wor<strong>de</strong>n seien, <strong>und</strong> er habe<br />

beim Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit <strong>de</strong>m Kreditgeber das <strong>Recht</strong><br />

auf eine beson<strong>de</strong>re For<strong>de</strong>rung zuerkannt, weil an<strong>de</strong>rs das<br />

Risiko nicht ge<strong>de</strong>ckt wor<strong>de</strong>n wäre. Die Dinge liegen im Denken<br />

<strong>de</strong>s hl. Thomas wirklich tiefer. Sie sind gesehen vom verschie­<br />

<strong>de</strong>nen Wesen <strong>de</strong>r Vertragsform. Hier von einem Irrweg <strong>de</strong>r For­<br />

malistik re<strong>de</strong>n wollen, heißt, ethische <strong>und</strong> moraltheologische<br />

Bewertung vom Wesen in Zufälligkeiten verlegen.<br />

Orel sucht in Art. 3 unserer Frage eine Verstärkung für seine<br />

gr<strong>und</strong>sätzliche Unterstellung, daß für Thomas <strong>und</strong> die mittelal­<br />

terliche Kirche nur Arbeit <strong>und</strong> Kosten <strong>de</strong>n Preis bestimmen <strong>und</strong><br />

somit je<strong>de</strong>s arbeitslose Einkommen, also auch je<strong>de</strong> Rente, sitt­<br />

lich nicht mehr haltbar sei. 23 Thomas stellt sich in Art. 3 die<br />

Frage, wem <strong>de</strong>r Ertrag jener Güter gehöre, die man als Zins,<br />

d.h. in <strong>de</strong>r thomasischen Beurteilung als Wucher erworben<br />

habe. Er antwortet nun, daß bei jenen Dingen, <strong>de</strong>ren Gebrauch<br />

im Verbrauch besteht, wie z. B. Geld, Weizen, Wein, die also<br />

keinen eigenen N<strong>utz</strong>wert außer ihrer Substanz haben, die<br />

Rückgabe <strong>de</strong>r Substanz voll <strong>und</strong> ganz genüge, weil alles an<strong>de</strong>re,<br />

was sich sonst etwa als Ertrag aus solchen Dingen ergeben<br />

432<br />

Wir gehen auf Art. 3 nur insoweit ein, als es sich um das arbeitslose Einkommen<br />

im allgemeinen han<strong>de</strong>lt. Die darin behan<strong>de</strong>lte Frage <strong>de</strong>s Darlehenszinses<br />

wird uns noch eingehen<strong>de</strong>r beschäftigen.


könnte, <strong>de</strong>m menschlichen Fleiß zu verdanken, also Eigentum 78<br />

<strong>de</strong>s arbeiten<strong>de</strong>n Menschen sei. Es ist eigenartig, daß gera<strong>de</strong><br />

diese Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von Orel dazu ben<strong>utz</strong>t wur<strong>de</strong>, die<br />

Theorie vom vollen Arbeitsertrag zu unterstützen: „Ihm — <strong>de</strong>m<br />

arbeiten<strong>de</strong>n Menschen — allein gehört <strong>de</strong>r Lohn seiner Mühen:<br />

die Arbeitsfrucht, <strong>und</strong> nicht seinen Hilfsmitteln <strong>und</strong> Werkzeu­<br />

gen, nicht <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>und</strong> nicht <strong>de</strong>m,Kapital', nicht <strong>de</strong>m Eigen­<br />

tümer dieser Wirtschaftsmittel als solchem. Mögen auch Natur­<br />

kräfte <strong>und</strong> technische Behelfe noch so großen Anteil am<br />

Zustan<strong>de</strong>kommen <strong>de</strong>r Arbeitsfrucht haben, so sind sie doch<br />

nur als Arbeitsmittel für <strong>de</strong>n Menschen da, <strong>de</strong>r arbeitend ihr<br />

Herr gewor<strong>de</strong>n ist. Seiner industria, seiner Betriebsamkeit, sei­<br />

nem Arbeitsfleiß verdankt die Arbeitsfrucht ihr Zustan<strong>de</strong>kom­<br />

men; <strong>de</strong>m Arbeiter gebührt darum auch das Produkt selbst<br />

dann, wenn er kein an<strong>de</strong>res instrumentum als Geld verwen<strong>de</strong>te,<br />

während <strong>de</strong>m Geld <strong>und</strong> seinem Eigentümer als bloßem Eigen­<br />

tümer o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Darleiher als solchem je<strong>de</strong>r Zins, je<strong>de</strong>r Mehr­<br />

wert <strong>und</strong> Gewinn über die ursprüngliche Geldsumme hinaus<br />

versagt war. Das Erzeugnis gehört daher <strong>de</strong>r Arbeit sogar dann,<br />

wenn sie das instrumentum, die Arbeitsmittel, das ,Kapital'<br />

nicht rechtmäßig besaß, son<strong>de</strong>rn z.B. erwuchert (analog:<br />

gestohlen, geraubt) hatte, während in diesem Fall <strong>de</strong>m rechtmä­<br />

ßigen Eigentümer <strong>de</strong>s erwucherten Gel<strong>de</strong>s zwar voller Ersatz,<br />

aber kein Anspruch auf einen Anteü an <strong>de</strong>m mittels seines ihm<br />

wi<strong>de</strong>rrechtlich entzogenen Eigentums von <strong>de</strong>r Arbeit erzeugten<br />

Arbeitsprodukt zusteht; <strong>de</strong>nn, sagt Thomas ausdrücklich<br />

(S. th. II—II 78), ,es ist nicht Frucht dieser (frem<strong>de</strong>n) Sache, son­<br />

<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r menschlichen Betriebsamkeit'" (a.a.O.,Bd. 1,227).<br />

In Wirklichkeit geht es aber Thomas an dieser Stelle gar nicht<br />

darum, <strong>de</strong>n Arbeitsfleiß als die einzige Erwerbsquelle zu prei­<br />

sen, son<strong>de</strong>rn zu zeigen, daß verbrauchbare Güter (d. h. Güter,<br />

die im Gebrauch verbraucht wer<strong>de</strong>n) alles, was sie eventuell<br />

sonst noch einbringen mögen, nicht aus sich haben, son<strong>de</strong>rn<br />

aus <strong>de</strong>m Fleiß <strong>de</strong>r Arbeit. In seiner zweiten Hälfte betont <strong>de</strong>r<br />

Artikel <strong>de</strong>s hl. Thomas die Möglichkeit arbeitslosen Einkom­<br />

mens dort, wo Güter einen eigenen N<strong>utz</strong>ungswert haben. Daß<br />

Thomas wirklich einen Gewinn, d. h. ein über Kosten <strong>und</strong><br />

Arbeit hinausgehen<strong>de</strong>s Mehr verteidigt, beweist klar die Stelle<br />

in De malo 13,4 Zu 4. Der Einwand, <strong>de</strong>n sich Thomas macht,<br />

lautet dort folgen<strong>de</strong>rmaßen: „Wie <strong>de</strong>r Mensch Eigentumsrecht<br />

über sein Haus o<strong>de</strong>r Pferd hat, so hat er ebenfalls Eigentums-<br />

433


78 recht über sein Geld. Nun aber kann er sein Haus <strong>und</strong> Pferd für<br />

einen Preis vermieten. Also kann er aus <strong>de</strong>m gleichen Gr<strong>und</strong><br />

auch eine Vergütung für das Geld empfangen, das er als Darle­<br />

hen gibt". Die Antwort darauf: „Manche sagen, daß das Haus<br />

<strong>und</strong> das Pferd durch <strong>de</strong>n Gebrauch abgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>s­<br />

wegen als Vergütung etwas empfangen wer<strong>de</strong>n könne, während<br />

das Geld nicht abgen<strong>utz</strong>t wer<strong>de</strong>. Doch ist diese Begründung<br />

nichtig, <strong>de</strong>nn danach könnte man für das vermietete Haus keinen<br />

höheren, die Abn<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>s Hauses übersteigen<strong>de</strong>n Preis nehmen.<br />

Man muß daher sagen, daß die N<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>s Hauses selbst erlaub­<br />

terweise verkauft wird, nicht jedoch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>m [im<br />

Artikel] erwähnten Gr<strong>und</strong>e".<br />

Kann man nach all<strong>de</strong>m, was wir über die Ansicht <strong>de</strong>s hl. Tho­<br />

mas bezüglich <strong>de</strong>s Spekulationsgewinns <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Rente gehört<br />

haben, Thomas zum Verteidiger <strong>de</strong>s arbeitslosen Einkommens<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Spekulationsgewinns erklären im Sinne, wie wir heute<br />

über diese Frage sprechen?<br />

Für uns heute haben diese Fragen eine viel größere Spann­<br />

weite. Wir stellen sie zunächst in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>s Ordnungs­<br />

ganzen einer Volkswirtschaft o<strong>de</strong>r gar <strong>de</strong>r Weltwirtschaft. Der<br />

Han<strong>de</strong>lsgewinn wird darum nicht nur unter <strong>de</strong>m Gesichts­<br />

punkt betrachtet, inwieweit er unter einfacher Hinnahme einer<br />

bereits bestehen<strong>de</strong>n Preisordnung <strong>de</strong>n Mitmenschen o<strong>de</strong>r das<br />

Gemeinwohl etwa benachteilige, son<strong>de</strong>rn, ob er als reiner<br />

Gewinn zunächst rein theoretisch in einer Sozialwirtschaft mit<br />

Gleichgewichtspreis bestehen könne <strong>und</strong> inwieweit er, gemes­<br />

sen an diesem I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s gerechten Preises, in einer Volkswirt­<br />

schaft mit privater Eigentumsordnung noch erträglich sei. Das­<br />

selbe gilt auch von <strong>de</strong>r Kapitalrendite. Mit <strong>de</strong>m Augenblick, da<br />

man das wirtschaftliche Gemeinwohl nicht mehr von einer vor­<br />

gegebenen Ordnungswidrigkeit, son<strong>de</strong>rn von einem sozial-<br />

wirtschaftlichen I<strong>de</strong>alstandpunkt aus betrachtet, begibt man<br />

sich ins Gr<strong>und</strong>sätzliche <strong>de</strong>r Wirtschaftsordnung <strong>und</strong> hebt damit<br />

die Frage nach <strong>de</strong>r Kapitalrendite in ein <strong>de</strong>m Denken <strong>de</strong>s hl.<br />

Thomas vorgelagertes Feld. Auf diesem Bo<strong>de</strong>n geht es nicht nur<br />

um das Wohlergehen aller in irgen<strong>de</strong>iner Weise <strong>und</strong> von irgend­<br />

einem, gera<strong>de</strong> gültigen Standpunkt aus, son<strong>de</strong>rn um das auf<br />

ein gerechtes Wirtschaftssystem bezogene Wohlergehen aller.<br />

Es sei darum das, was bereits bei <strong>de</strong>r Besprechung <strong>de</strong>r thomasi­<br />

schen Auffassung vom Eigentum gesagt wur<strong>de</strong>, hier nochmals<br />

unterstrichen: es geht nicht an, wirtschaftsethische Zitate aus<br />

434


Thomas so, wie sie sind, auf die mo<strong>de</strong>rnen Fragestellungen 78<br />

anzuwen<strong>de</strong>n, son<strong>de</strong>rn man wird stets, ausgehend von <strong>de</strong>n all­<br />

gemeinen Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl. Thomas, eine neue, auf das<br />

konkrete Anliegen passen<strong>de</strong> Anwendung suchen müssen.<br />

2. DER DARLEHENSZINS<br />

Das klassische Argument, mit welchem Thomas — übrigens<br />

ganz in Übereinstimmung mit Aristoteles — <strong>de</strong>n Darlehenszins<br />

verwirft, ist sachlich auch heute noch unbestritten. Wir verteidi­<br />

gen heute in <strong>de</strong>r kapitalistischen Wirtschaft <strong>de</strong>n Zins nicht <strong>de</strong>s­<br />

wegen, weil wir vielleicht in <strong>de</strong>m Argument <strong>de</strong>r Alten einen<br />

Wi<strong>de</strong>rsinn ent<strong>de</strong>cken, son<strong>de</strong>rn weil wir zur volkswirtschaftli­<br />

chen Erkenntnis <strong>de</strong>r Trennung von Sache <strong>und</strong> Wert gekommen<br />

sind.<br />

Ausgehend von <strong>de</strong>r juristischen Definition <strong>de</strong>s Darlehens­<br />

vertrags als eines Vertrags, bei welchem eine Sache, die in ihrem<br />

Gebrauch verbraucht wird, geliehen wird, erklärt Thomas, daß<br />

je<strong>de</strong> weitere For<strong>de</strong>rung, die über die Rückgabe <strong>de</strong>r geliehenen<br />

Substanz hinausgeht, ungerecht sei. Bei <strong>de</strong>r Abfolge <strong>de</strong>r Gedan­<br />

ken darf man nicht zu irgendwelchen in <strong>de</strong>r Wirtschaftsgesell­<br />

schaft sich vorfin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Phänomenen abschweifen, in<strong>de</strong>m man<br />

etwa an die geldrechenhafte Umwertung eines Quantums Brot<br />

in je<strong>de</strong>s beliebige Produktionsmittel <strong>de</strong>nkt, son<strong>de</strong>rn hat bei <strong>de</strong>r<br />

Äquivalenz zwischen <strong>de</strong>n zwei Individuen zu verbleiben, inner­<br />

halb welchen sich <strong>de</strong>r Vertrag vollzieht; d. h., es wird nicht an<br />

einen allgemein wirtschaftlichen Wert, son<strong>de</strong>rn nur an diese<br />

eine verbrauchbare Sache, etwa das Quantum Brot, gedacht.<br />

Dieses wird zur Verfügung gestellt. Damit wird zugleich auch<br />

das Eigentum vergeben, <strong>de</strong>nn in<strong>de</strong>m das Brot vom Darlehens­<br />

nehmer gebraucht wird, wird es verbraucht. Und <strong>de</strong>nnoch<br />

behält <strong>de</strong>r Darlehensgeber auch im klassischen Zins<strong>de</strong>nken sei­<br />

nen <strong>Recht</strong>stitel auf genau so viel <strong>und</strong> so gutes Brot, wie er aus­<br />

geliehen hat. Bekommt er dies zurück, dann besitzt er alles wie­<br />

<strong>de</strong>r, worauf er Anspruch erheben durfte. Mehr zu for<strong>de</strong>rn wäre<br />

(stets im Rahmen dieses sachgeb<strong>und</strong>enen Denkens) Wucher.<br />

Der Zins für Darlehen wird daher mit Wucher gleichgesetzt.<br />

Von <strong>de</strong>rselben Eigenart wie die verbrauchbaren Sachen ist<br />

auch das Geld als Tauschmittel. Sein Gebrauch besteht darin,<br />

daß man es „ausgibt". Wenn also jemand einem an<strong>de</strong>rn Geld<br />

435


78 leiht, kann er von ihm kraft <strong>de</strong>s Darlehens nicht mehr zurück­<br />

verlangen als eben<strong>de</strong>nselben Betrag, <strong>de</strong>n er als Darlehen aus­<br />

gegeben hatte. Der Zins ist also auch hier Wucher <strong>und</strong> wäre im<br />

Falle, daß er gefor<strong>de</strong>rt wor<strong>de</strong>n wäre, zurückzuerstatten (Art. 1).<br />

Natürlich kennt Thomas die Unterscheidung in Geld als<br />

Tauschmittel <strong>und</strong> als Metall. Als letzteres kommt <strong>de</strong>m Geld ein<br />

weiterer Gebrauch zu, <strong>de</strong>r es nicht verzehrt: als Schaustück<br />

o<strong>de</strong>r als Handpfand. „Und diesen Gebrauch <strong>de</strong>s Gel<strong>de</strong>s kann<br />

man erlaubterweise verkaufen" (Art. 1 Zu 6, vgl. Anm. [68]).<br />

Aber im Geld als Tauschmittel sieht Thomas keine Möglichkeit,<br />

eine von <strong>de</strong>m Wesen <strong>de</strong>s Tauschmittels verschie<strong>de</strong>ne N<strong>utz</strong>ung<br />

zu ent<strong>de</strong>cken, welche man mit einem beson<strong>de</strong>ren Preis berech­<br />

nen könnte; <strong>de</strong>nn „<strong>de</strong>rjenige, welcher Geld als Darlehen gibt,<br />

überträgt das Eigentum auf <strong>de</strong>n, <strong>de</strong>m er es leiht" (Art. 2 Zu 5).<br />

An<strong>de</strong>rs ist es, wie bereits gesagt, bei <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Geschäftsteilnahme, die durch das Darlehen entsteht (Art. 2<br />

Zu 5).<br />

Wie Thomas beim Weizen nicht an eine Trennung von Sache<br />

<strong>und</strong> Wert dachte, ebensowenig <strong>und</strong> noch weniger konnte er auf<br />

<strong>de</strong>n Gedanken kommen, daß das Geld (als Tauschmittel) kein<br />

unverän<strong>de</strong>rlicher Wertmesser <strong>de</strong>r Dinge sei, son<strong>de</strong>rn selbst<br />

Wertschwankungen unterworfen sein <strong>und</strong> einen Preis haben<br />

könne. Die Scholastik hat nicht an die marktmäßige Preisbil­<br />

dung für das Geld <strong>de</strong>nken können, da es eben <strong>de</strong>r Wesenheit <strong>de</strong>s<br />

Gel<strong>de</strong>s überhaupt wi<strong>de</strong>rsprach, Gegenstand von Kauf <strong>und</strong> Ver­<br />

kauf zu sein. Nach Bernhardin von Siena (1380—1444) kann<br />

Geld nicht verkauft wer<strong>de</strong>n, da es selbst Mittel im Verkauf sei<br />

(Serm. 34, a.2,c.3).<br />

Thomas hat klar gewußt, daß <strong>de</strong>r Preis für einen Zentner<br />

Weizen im Laufe <strong>de</strong>r Zeit steigen o<strong>de</strong>r fallen kann. Und er hat<br />

sogar <strong>de</strong>m Kaufmann zugestan<strong>de</strong>n, diese Preisschwankungen<br />

zu seinem Vorteil auszun<strong>utz</strong>en, ohne übrigens an irgendwelche<br />

Kosten, etwa die Lagerkosten, o<strong>de</strong>r an aufgewandte Arbeit zu<br />

<strong>de</strong>nken, son<strong>de</strong>rn im Sinne eines reinen Marktgewinns. Er hat<br />

sich aber nicht die Frage gestellt, ob <strong>de</strong>rjenige, welcher heute<br />

einen Zentner Weizen ausleiht <strong>und</strong> ihn nach einem Jahr, nach­<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Weizenpreis um 30 Prozent gesunken ist, wie<strong>de</strong>r<br />

zurückbekommt, diese 30 Prozent in Form von Entschädigun­<br />

gen für erlittenen Scha<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r für Gewinnverlust einfor<strong>de</strong>rn<br />

könne. Thomas hat diese Frage nicht gestellt, weil sie für ihn<br />

bereits gelöst war. Ein Zentner Weizen blieb ein Zentner Wei-<br />

436


zen. Über <strong>de</strong>n Wert <strong>de</strong>s Weizens wird nicht disputiert, weil nicht 78<br />

<strong>de</strong>r Wert <strong>de</strong>s Weizens ausgeliehen wur<strong>de</strong>, son<strong>de</strong>rn <strong>de</strong>r Weizen.<br />

Darum auch wird die Preisschwankung beim Darlehensvertrag<br />

überhaupt nicht in Erwägung gezogen. Mit an<strong>de</strong>rn Worten: <strong>de</strong>r<br />

Wert wird von <strong>de</strong>r Sache nicht getrennt. Allerdings haben die<br />

Alten sehr wohl gewußt, daß eine verbrauchbare Sache, in<strong>de</strong>m<br />

man sie borgt, als Sache <strong>de</strong>m Eigentümer entschwin<strong>de</strong>t <strong>und</strong> er<br />

<strong>de</strong>n Anspruch auf <strong>de</strong>n gleichen Wert hat. Aber dieser Wert ist in<br />

<strong>de</strong>m Zentner Weizen sachlich verkörpert <strong>und</strong> gilt in <strong>de</strong>r mit­<br />

telalterlichen Scholastik nicht als sozialwirtschaftlicher Wert,<br />

<strong>de</strong>r in einer geldrechenhaften, durchgängigen Verkehrswirt­<br />

schaft von <strong>de</strong>r Sache abstrahiert wird. In sich ist darum das Dar­<br />

lehen als solches wesentlich ein unentgeltlicher Vertrag. Der<br />

Darlehenszins, die Mehrfor<strong>de</strong>rung für eine verbrauchbare<br />

Sache, ist <strong>und</strong> bleibt ein Unding. Man muß schon von <strong>de</strong>r Sache<br />

weg in <strong>de</strong>n abstrakten Kapitalbegriff steigen, um <strong>de</strong>n „Darle-<br />

henszins" auf <strong>de</strong>m Weg über <strong>de</strong>n Kapitalzins begreifen zu kön­<br />

nen.<br />

Die Alten hatten auch ganz richtig gesehen, daß das Geld als<br />

Tauschmittel niemals produktiv sein kann. Es ist es auch heute<br />

noch nicht. Wohl aber ist das Kapital produktiv, welches in Geld­<br />

ziffer ausgedrücktes Erwerbsvermögen ist.<br />

Der Kern <strong>de</strong>s Arguments, um <strong>de</strong>ssentwillen Thomas <strong>de</strong>n<br />

Zins für Darlehen verwirft, besteht im Gedanken, daß im Dar­<br />

lehen die ganze Sache samt ihrem Gebrauch, <strong>de</strong>r ein Verbrauch<br />

ist, in das Eigentum <strong>de</strong>s Darlehensnehmers übergeht. Wenn­<br />

gleich <strong>de</strong>r Darlehensgeber <strong>de</strong>n Anspruch auf gleichen Wert sich<br />

vorbehält, so wird doch dieser Wert im Geltungsbereich <strong>de</strong>r<br />

ausgleichen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong>, d. h. <strong>de</strong>r Äquivalenz, in einer sta­<br />

tischen Wirtschaft, gleichsam verkapselt, so daß eine Trennung<br />

<strong>de</strong>s Werts von <strong>de</strong>r Sache unmöglich wird.<br />

Orel verwirft, wie gesagt, die Erklärung, daß das Mittelalter<br />

<strong>de</strong>n Beweis gegen <strong>de</strong>n Zins auf <strong>de</strong>r juristischen Eigenart <strong>de</strong>s<br />

Darlehensvertrags aufgebaut habe. Sein Anliegen geht tiefer. Er<br />

möchte im mittelalterlichen Zinsverbot die gr<strong>und</strong>sätzliche Ver­<br />

werfung arbeitslosen Einkommens, also auch <strong>de</strong>r Rente erblik-<br />

ken: „Es ist nicht allzuschwer einzusehen, daß auf das römisch­<br />

rechtlich-formaljuristische Argument <strong>de</strong>r Eigentumsübertra­<br />

gung beim Darlehen die Unerlaubtheit <strong>de</strong>s Darlehenszinses<br />

nicht gründbar ist" (a.a.O. Bd.2,72). Orel weist sodann auf<br />

eine Stelle bei Bernhardin von Siena hin, an welcher <strong>de</strong>r Unter-<br />

437


78 schied von Sache <strong>und</strong> Wert gründlich unterstrichen <strong>und</strong> <strong>de</strong>ren<br />

Trennung sogar eingeleitet wird: „Obgleich das Geld hinsicht­<br />

lich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität seiner Substanz in das Eigentum <strong>de</strong>s Schuld­<br />

ners übergeht, weil dieser nicht gehalten ist, das gleiche Geld<br />

seiner Substanz nach zurückzugeben, so bleibt <strong>de</strong>nnoch das<br />

besagte (geborgte) Geld im Eigentum <strong>de</strong>s Darlehensgebers hin­<br />

sichtlich <strong>de</strong>r I<strong>de</strong>ntität o<strong>de</strong>r Gleichheit <strong>de</strong>s Wertes"<br />

(Serm.38,a. l,c.2). Orel zieht daraus <strong>de</strong>n Schluß, daß in <strong>de</strong>r<br />

wirtschaftsethischen Betrachtung <strong>de</strong>s Mittelalters <strong>de</strong>r Unter­<br />

schied zwischen Darlehen <strong>und</strong> Kapitalgesellschaft nicht etwa in<br />

einer juristisch verschie<strong>de</strong>nen Eigentumsregelung zu suchen<br />

sei, son<strong>de</strong>rn einzig in <strong>de</strong>r praktischen Übung, daß beim Darle­<br />

hen das Risiko durch Pfand <strong>und</strong> Bürgen ge<strong>de</strong>ckt war, während<br />

dies bei <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Mitbeteiligung nicht <strong>de</strong>r Fall war,<br />

so daß im Gr<strong>und</strong>e bei<strong>de</strong> Male die gleiche Gr<strong>und</strong>ten<strong>de</strong>nz <strong>de</strong>s<br />

Mittelalters sichtbar wür<strong>de</strong>: Kampf <strong>de</strong>m arbeitslosen Einkom­<br />

men. Mit Bezug auf die aus Bernhardin zitierte Stelle erklärt<br />

Orel: „Mit dieser unbestreitbaren Feststellung Bernhardins<br />

stürzt nicht nur die ganze Theorie vom ,Kapitalgeschäft' (Weiß),<br />

bei <strong>de</strong>m, im Gegensatz zum Darlehen, Zins <strong>de</strong>shalb erlaubt sei,<br />

weil <strong>de</strong>r Eigentümer geblieben sei, son<strong>de</strong>rn es erhellt daraus<br />

auch ganz klar <strong>de</strong>r wahre Sinn <strong>de</strong>s kanonischen Zinsverbotes: daß<br />

je<strong>de</strong>r arbeitslose Mehrwertgewinn, je<strong>de</strong>r echte Kapitalzins an<br />

<strong>und</strong> für sich wucherisch ist, nicht bloß <strong>de</strong>r Darlehenszins, <strong>de</strong>r<br />

nur ein Spezialfall <strong>de</strong>s Allgemeinbegriffes: Kapitalzins ist. Denn<br />

ist es beim Darlehen nicht die formaljuristische Konstruktion<br />

mit <strong>de</strong>r angeblichen Eigentumsübertragung, auf die das Zins­<br />

verbot gegrün<strong>de</strong>t ist, son<strong>de</strong>rn die Unerlaubtheit eines arbeitslo­<br />

sen Renten- o<strong>de</strong>r Kapitalzinsbezuges, trotz<strong>de</strong>m man Eigentü­<br />

mer geblieben ist <strong>und</strong> das Benützungsrecht an seinem eigenen<br />

Vermögen an einen an<strong>de</strong>ren übertrug, dann ist selbstverständ­<br />

lich auch in allen an<strong>de</strong>ren Fällen <strong>de</strong>r Gewährung <strong>de</strong>s Benüt-<br />

zungs- o<strong>de</strong>r Gebrauchsrechtes <strong>de</strong>r eigenen Sache an einen an<strong>de</strong>­<br />

ren ein Mehrwertbezug von diesem unerlaubt. Es gilt eben für<br />

<strong>de</strong>n gesamten entgeltlichen Wirtschaftsverkehr, gleichgültig, ob<br />

es sich um Darlehen, Miete, Kauf, Arbeitslohn o<strong>de</strong>r was immer<br />

sonst handle, das eine <strong>und</strong> selbe Verkehrsgr<strong>und</strong>gesetz <strong>de</strong>r Äquiva­<br />

lenz, <strong>de</strong>mzufolge man sich Arbeit <strong>und</strong> Kosten entgelten lassen,<br />

nie aber einen Mehrwertgewinn ohne gleichwertige Gegenlei­<br />

stung beanspruchen darf. Umgekehrt wäre es sinnlos, gera<strong>de</strong><br />

nur beim Darlehen <strong>de</strong>n entgeltlosen Mehrwertgewinnbezug zu<br />

438


verbieten, <strong>de</strong>r in allen an<strong>de</strong>rn Fällen von Vermögensverkehr 78<br />

gestattet wäre" (a.a.O., Bd.2,73).<br />

Wir können nur wie<strong>de</strong>rholen, daß die formaljuristische<br />

Betrachtung <strong>de</strong>s Zinsdarlehens bei Thomas vorwiegt <strong>und</strong> die<br />

Risiko<strong>de</strong>ckung erst in zweiter, außerwesentlicher Linie eine<br />

Rolle spielt. Von diesen „äußeren" Zinstiteln, die im Gr<strong>und</strong>e<br />

überhaupt keine „Zins"titel sind, wird sogleich noch die Re<strong>de</strong><br />

sein. Richtig allerdings ist in <strong>de</strong>r Darlegung Orels, daß die for­<br />

maljuristische Betrachtung allein nicht genügt, um die Ableh­<br />

nung <strong>de</strong>s Zinses im Darlehen bei Thomas verstehen zu können.<br />

Denn ohne Zweifel hat auch Thomas schon begriffen, daß <strong>de</strong>r<br />

Darlehensgeber sich seines Eigentums nicht völlig begibt, sonst<br />

hätte er nicht vom Darlehen, son<strong>de</strong>rn von einer Schenkung<br />

gesprochen. Der Darlehensgeber hat selbstre<strong>de</strong>nd auch in <strong>de</strong>r<br />

Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas einen wirklichen Anspruch auf die Rück­<br />

gabe <strong>de</strong>s geliehenen Gutes. Welchen Gutes? Des sachlich nicht<br />

i<strong>de</strong>ntischen, aber wertmäßig gleichen. Auch dies ist Thomas<br />

klar gewesen. Das Eigentümliche nun dieser Wertgleichheit ist,<br />

daß diese nicht im dynamischen sozialwirtschaftlichen Raum<br />

gesehen wur<strong>de</strong> <strong>und</strong> man darum auch nicht auf <strong>de</strong>n Gedanken<br />

kommen konnte, daß unter diesem Wert sich jedwe<strong>de</strong>s reale<br />

Erwerbsvermögen verbarg. Mit an<strong>de</strong>ren Worten: Mit <strong>de</strong>r<br />

Unterscheidung zwischen Sache <strong>und</strong> Wert wur<strong>de</strong> nicht so weit<br />

Ernst gemacht, daß man <strong>de</strong>n Wert von <strong>de</strong>r Sache trennte. Im<br />

übrigen weist die Stelle aus Bernhardin von Siena sachlich<br />

gera<strong>de</strong> in die gegensätzliche Richtung, als Orel sie interpretiert:<br />

nicht in die Ablehnung <strong>de</strong>s Zinses, son<strong>de</strong>rn in seine Befürwor­<br />

tung.<br />

Wir gehen heute bei <strong>de</strong>r ethischen Verteidigung <strong>de</strong>s Darle­<br />

henszinses als eines <strong>Recht</strong>sanspruchs <strong>de</strong>s Darlehensgebers vom<br />

Kapitalbegriff in einer geldrechenhaften, durchgängigen Ver­<br />

kehrswirtschaft aus. Bleiben wir aber streng logisch bei <strong>de</strong>r mit­<br />

telalterlichen Betrachtungsweise <strong>de</strong>s Darlehens als eines Leih­<br />

vertrages hinsichtlich einer verbrauchbaren Sache, ohne Rück­<br />

sicht auf <strong>de</strong>ren sozialwirtschaftliche Bewandtnis als Kapital,<br />

dann müssen wir zur selben Schlußfolgerung kommen wie das<br />

Mittelalter: Das Darlehen läßt als Darlehen (vi mutui) keine<br />

Mehrfor<strong>de</strong>rung in Form von Zins zu.<br />

Je<strong>de</strong> Mehrfor<strong>de</strong>rung muß ihre Begründung an<strong>de</strong>rswo als im<br />

Darlehen suchen. Es han<strong>de</strong>lt sich um die sogenannten äußeren<br />

Zinstitel, <strong>de</strong>ren die spätere Scholastik verschie<strong>de</strong>ne anerkannt<br />

439


78 hat, die uns aber hier nur insoweit beschäftigen, als Thomas<br />

davon spricht. Die diesbezügliche Stelle ist Art. 2 unserer Frage.<br />

Thomas sieht keinerlei Schwierigkeit in <strong>de</strong>r Mehrfor<strong>de</strong>rung<br />

zum Ersatz eines im Zusammenhang mit <strong>de</strong>m Darlehen ste­<br />

hen<strong>de</strong>n Verlustes (Art. 2 Zu 1). Er gebraucht für diese Schadlos­<br />

haltung <strong>de</strong>n Ausdruck „interesse" (3 Qlb 7,2; Mal 13,4 ad 14).<br />

Er <strong>de</strong>nkt dabei z. B. an Entschädigung für Nichteinhaltung <strong>de</strong>s<br />

Termins. Dagegen verbietet Thomas, eine Vergütung für ent­<br />

gangenen Gewinn zu verlangen. Die Begründung hierfür: Man<br />

kann nicht verkaufen, was noch nicht vorhan<strong>de</strong>n ist. Die Tho­<br />

masinterpreten haben allerdings <strong>de</strong>n entgangenen Gewinn <strong>de</strong>n­<br />

noch unter die berechtigten äußeren Zinstitel einreihen können,<br />

da sie die Hoffnung, d. h. die sichere Aussicht auf Gewinn als<br />

genauso gut preismäßig bewertbar erklärten wie das Risiko<br />

eines Kreditgebers „nach <strong>de</strong>r Art eines Gesellschafters", wovon<br />

Thomas in Art. 2 Zu 5 spricht. Obwohl Thomas (Art. 2 Zu 1)<br />

meint, daß <strong>de</strong>r tatsächliche Gewinn „in vielfältiger Weise ver­<br />

hin<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n" könnte, so halten die späteren Scholastiker<br />

dafür, daß man doch die bestehen<strong>de</strong> Chance abwägen <strong>und</strong><br />

wertmäßig festlegen könne. Eine solche Interpretation kann<br />

man wohl als weitläufige Parallele zu <strong>de</strong>r von Thomas aner­<br />

kannten Risikoprämie anerkennen, wenngleich Thomas von<br />

<strong>de</strong>r Risikoprämie beim Darlehen nicht ausdrücklich spricht,<br />

son<strong>de</strong>rn nur beim Han<strong>de</strong>ls- <strong>und</strong> Gewerbekredit.<br />

Der von <strong>de</strong>n späteren Theologen allgemein befürwortete<br />

„gesetzliche" Titel hätte wohl bei Thomas keine Gna<strong>de</strong> gefun­<br />

<strong>de</strong>n. Thomas kommt eigens auf eine Gepflogenheit <strong>de</strong>s römi­<br />

schen <strong>Recht</strong>s zu sprechen, gemäß welcher neben <strong>und</strong> getrennt<br />

vom Darlehen noch eine eigene Abmachung, die sachlich <strong>de</strong>m<br />

Zins gleichkam, gestattet war (vgl. Art. 1 Zu 3). „Das positive<br />

<strong>Recht</strong> geht hauptsächlich auf das gemeinsame Wohl <strong>de</strong>r vielen.<br />

Es ist aber bisweilen möglich, daß einer Gemeinschaft größter<br />

Scha<strong>de</strong>n daraus erwächst, daß man ein Übel abriegelt. Darum<br />

erlaubt bisweilen das positive <strong>Recht</strong> etwas nach Art einer<br />

Dispens, nicht, weil es [in sich] gerecht wäre, son<strong>de</strong>rn um zu<br />

verhin<strong>de</strong>rn, daß die Gemeinschaft größeren Scha<strong>de</strong>n nehme,<br />

wie auch Gott manches Übel in <strong>de</strong>r Welt geschehen läßt, um das<br />

Gute nicht zu verunmöglichen, das Er aus diesen Übeln heraus­<br />

zuholen versteht. Und in dieser Weise hat das positive <strong>Recht</strong><br />

Wucher zugelassen um <strong>de</strong>r vielen Vorteile willen, welche<br />

manche bisweilen aus <strong>de</strong>m Darlehen ziehen, wenngleich unter<br />

440


Wucherdruck" (Mal 13,4 ad 6). Damit ist <strong>de</strong>r gesetzliche Titel in 78<br />

sich abgelehnt. In <strong>de</strong>r Tat ist er erst haltbar, nach<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Darle­<br />

henszins auf <strong>de</strong>m Weg über <strong>de</strong>n Kapitalzins seine <strong>Recht</strong>ferti­<br />

gung gef<strong>und</strong>en hat.<br />

Nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas (Art. 2) kann <strong>de</strong>r Darlehens­<br />

geber selbstre<strong>de</strong>nd vom Darlehensnehmer die preismäßig nicht<br />

zu bewerten<strong>de</strong> Gesinnung <strong>de</strong>s Dankes <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Wohlwollens<br />

erwarten, die sich ihrerseits sichtbar erweisen kann in einer frei<br />

erwiesenen Gegengabe (Art. 2 Zu 2; Mal 13,4 ad 5).<br />

Der Darlehenszins ist immer zurückzuerstatten. Dies erfor­<br />

<strong>de</strong>rt die <strong>Gerechtigkeit</strong>, erklärt Thomas im 3. Artikel. Der<br />

Gedanke ist im Zusammenhang <strong>de</strong>r mittelalterlichen Zinslehre<br />

klar <strong>und</strong> unbestritten. Gera<strong>de</strong> an dieser Stelle erkennt man<br />

<strong>de</strong>utlich, wie sachgeb<strong>und</strong>en <strong>und</strong> wie weit entfernt vom sozial­<br />

wirtschaftlichen „Wert" die Güter betrachtet wur<strong>de</strong>n. Weizen,<br />

Wein <strong>und</strong> selbst auch das Tauschmittel Geld sind zwar, wie<br />

gesagt, auch im thomasischen Denken „Werte", aber doch keine<br />

sozialwirtschaftlichen Werte, die in die Zukunft hineinweisen,<br />

d. h. die Zukunft mitbezeichnen, so daß ihr gegenwärtiger<br />

Besitz ein Mehr be<strong>de</strong>utet gegenüber ihrem Besitz in <strong>de</strong>r<br />

Zukunft. Diese Werte sind in <strong>de</strong>r mittelalterlichen Sicht viel­<br />

mehr nur Gegenwartswerte, d. h. sie haben im Augenblick, da<br />

man sie betrachtet, einen durch die Wirtschaftsgesellschaft<br />

bestimmten Wert, <strong>de</strong>r als einziger Maßstab gilt für ein zwischen<br />

zwei Vertragspartnern abzuschließen<strong>de</strong>s Geschäft. Darum<br />

kann Kreditgewährung nicht zu einem Mehr an For<strong>de</strong>rung<br />

berechtigen (Art. 2 Zu 7), es sei <strong>de</strong>nn, <strong>de</strong>r Kreditgeber trete in<br />

ein Kapitalgeschäft mit <strong>de</strong>m Kreditnehmer (Art. 2 Zu 5); auch<br />

kann Vorauszahlung keinen Anspruch auf eine Preissenkung<br />

erheben (Art. 2 Zu 7).<br />

Wenn nun jemand als Zins nicht nur eine im Gebrauch ver­<br />

brauchbare Ware gefor<strong>de</strong>rt hat, son<strong>de</strong>rn vielmehr eine Sache,<br />

die einen eigenen N<strong>utz</strong>wert besaß, dann ist er zur Rückgabe<br />

auch all <strong>de</strong>r gewonnenen N<strong>utz</strong>ungen <strong>und</strong> Früchte verpflichtet,<br />

abgesehen natürlich von jenem Teil, <strong>de</strong>r seiner persönlichen<br />

Arbeit zukommt (Art. 3). Thomas erkennt hier offenbar einen<br />

über Arbeit <strong>und</strong> Kosten hinausgehen<strong>de</strong>n Wert an <strong>de</strong>n N<strong>utz</strong>gü­<br />

tern, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>m Eigentümer als arbeitsloses Einkommen in <strong>de</strong>n<br />

Schoß fällt.<br />

Sosehr Thomas <strong>de</strong>n zinsfor<strong>de</strong>rn<strong>de</strong>n Darlehensgeber ver­<br />

urteilt, so gestattet er doch <strong>de</strong>m Darlehensnehmer, <strong>de</strong>n Zins zu<br />

441


78 bezahlen, <strong>de</strong>r von ihm erpreßt wird, da <strong>de</strong>r Darlehensnehmer<br />

sich an <strong>de</strong>m Wucher nicht aktiv beteilige <strong>und</strong> im Gr<strong>und</strong>e nur sei­<br />

ner o<strong>de</strong>r eines an<strong>de</strong>rn Notdurft abhelfen wolle (Art. 4). Man<br />

könnte im 4. Artikel eine Bestätigung dafür fin<strong>de</strong>n, daß Darle­<br />

henszins aus rein praktischen Grün<strong>de</strong>n verworfen wer<strong>de</strong>, weil<br />

das Darlehen im Mittelalter fast durchweg für <strong>de</strong>n Ankauf von<br />

Konsumgütern verwen<strong>de</strong>t wor<strong>de</strong>n sei. Doch ist dieser Schluß<br />

nach all <strong>de</strong>m, was wir bisher über <strong>de</strong>n Darlehenszins bei Tho­<br />

mas vernommen haben, nicht haltbar. Etwas an<strong>de</strong>res ist natür­<br />

lich, ob ein solcher Darlehenszins nicht doppelt verwerflich ist:<br />

im Hinblick auf die innere Ungerechtigkeit im Darlehensver­<br />

trag <strong>und</strong> auf die grobe Ausn<strong>utz</strong>ung <strong>de</strong>r Not <strong>de</strong>s Mitmenschen.<br />

Viertes Kapitel<br />

DIE WESENSELEMENTE<br />

GERECHTEN HANDELNS<br />

(Fr. 79)<br />

79 Unter <strong>de</strong>r Überschrift „Die vervollständigen<strong>de</strong>n (integralen)<br />

Teile <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>" behan<strong>de</strong>lt Thomas das Problem <strong>de</strong>r<br />

sittlichen Aufbauelemente <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> (zum Begriff <strong>de</strong>r<br />

„Teile" in <strong>de</strong>r Tugendlehre vgl. Anmerkung [14]). Mit an<strong>de</strong>ren<br />

Worten, es geht um die Frage: Was gehört zutiefst zum gerechten<br />

Han<strong>de</strong>ln? Nach all <strong>de</strong>m, was auf <strong>de</strong>n bisherigen Seiten erörtert<br />

wor<strong>de</strong>n ist, möchte man annehmen, daß Thomas hier einen<br />

kurzen Überblick gäbe über das Naturrecht, seinen Wirkkreis,<br />

seine Wandlung in <strong>de</strong>r soziologischen Entwicklung <strong>de</strong>r Men­<br />

schen. Jedoch lesen wir von <strong>de</strong>m allem nichts. Man ist erstaunt,<br />

daß hier als die aufbauen<strong>de</strong>n Elemente gerechten Han<strong>de</strong>lns<br />

Gr<strong>und</strong>sätze genannt wer<strong>de</strong>n, die /Gzwrischen Kategorien ähn­<br />

lich sehen: Das Böse mei<strong>de</strong>n, das Gute tun. Allerdings begreift<br />

hier Thomas unter <strong>de</strong>m Guten nicht nur das allgemein Gute,<br />

wie es je<strong>de</strong>r guten Handlung o<strong>de</strong>r überhaupt <strong>de</strong>m Sein<br />

zukommt, <strong>und</strong> nicht nur das allgemein Böse, das in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong><br />

sich fin<strong>de</strong>t, da er ausdrücklich betont (Art. 1), daß es sich um<br />

das <strong>de</strong>m Nächsten geschul<strong>de</strong>te Gut handle, das zu erstatten<br />

o<strong>de</strong>r ihm zu belassen sei. Damit sind wir zwar bereits im beson­<br />

<strong>de</strong>ren sittlichen Bereich <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Jedoch wür<strong>de</strong> dieser<br />

zweigliedrige Gr<strong>und</strong>satz in dieser seiner allgemeinen Form<br />

442


noch nicht ausreichen, um als Aufbauelement einer an <strong>de</strong>r 79<br />

Natur <strong>de</strong>r Dinge sich messen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> zu gelten, wenn<br />

das „<strong>de</strong>m Nächsten Geschul<strong>de</strong>te" nicht in Zusammenhang<br />

gebracht wür<strong>de</strong> mit <strong>de</strong>m gesamten Traktat <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>, in<br />

welchem das Geschul<strong>de</strong>te <strong>de</strong>s näheren betrachtet wor<strong>de</strong>n ist.<br />

Wollte man die enge Verb<strong>und</strong>enheit, die zwischen diesem<br />

Anhängsel, das die Frage 79 bil<strong>de</strong>t, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r gesamten Erörte­<br />

rung über <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> besteht, auflösen, dann<br />

wür<strong>de</strong> alles, was Thomas über die Natur <strong>de</strong>r Sache als Objekt<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> gesagt hat, illusorisch. <strong>Recht</strong> verstan<strong>de</strong>n, will<br />

also <strong>de</strong>r erste Artikel unserer Frage besagen: Gerecht kann nur<br />

sein, wer das Naturgerechte <strong>de</strong>m Nächsten beläßt o<strong>de</strong>r ihm<br />

gibt. Worin nun das Naturgerechte besteht, dies ist im einzel­<br />

nen Fall entsprechend <strong>de</strong>m thomasischen Erkenntnisoptimis­<br />

mus auffindbar <strong>und</strong> mit Verantwortung zu ermitteln.<br />

Gegen <strong>de</strong>n ersten Teil <strong>de</strong>s Gr<strong>und</strong>gesetzes gerechten Han­<br />

<strong>de</strong>lns „das Böse mei<strong>de</strong>n", verfehlt man sich durch Übertretung<br />

(Art. 2). Gegen <strong>de</strong>n zweiten Teil richtet sich die Sün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r<br />

Unterlassung (Art. 3). Übertretung be<strong>de</strong>utet hier folgerichtig<br />

zum Gesagten nicht nur jener allgemeine Ungehorsam gegen<br />

Gottes Gebot, wie er in je<strong>de</strong>r Sün<strong>de</strong> enthalten ist, son<strong>de</strong>rn im<br />

beson<strong>de</strong>ren ein ausgesprochenes Unrechttun gegenüber <strong>de</strong>m<br />

Gesetz, ein trotziges Nein gegenüber <strong>de</strong>n vom Gesetz Gottes<br />

o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Menschen vorgezeichneten <strong>und</strong> auferlegten Grenzen.<br />

Die Unterlassung be<strong>de</strong>utet in ähnlicher Weise eine eigene Sün<strong>de</strong><br />

gegen die <strong>Gerechtigkeit</strong>, insofern sie die Nichtleistung eines<br />

(aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verkehrsgerechtigkeit) <strong>de</strong>m Nächsten o<strong>de</strong>r (auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit) <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>und</strong> selbst<br />

Gott geschul<strong>de</strong>ten Gutes ist. Beson<strong>de</strong>re Beachtung verdient<br />

hierbei <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, <strong>de</strong>n Thomas<br />

(Art. 3) anwen<strong>de</strong>t. Die Gesetzesgerechtigkeit ist hier nicht nur<br />

jene Tugend, welche Alles gemäß <strong>de</strong>m menschlichen Gesetz auf<br />

das Gemeinwohl ausrichtet, son<strong>de</strong>rn in einem noch viel umfas­<br />

sen<strong>de</strong>ren Sinne auch die Unterordnung <strong>de</strong>s persönlichen Seins<br />

unter das Gesetz Gottes. Eine solche Ausweitung <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit darf nicht befrem<strong>de</strong>n, da im thomasi­<br />

schen Traktat über das Gesetz Gott nicht nur <strong>de</strong>r Herr <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen persönlichen Wesens, son<strong>de</strong>rn als Gesetzgeberauch <strong>und</strong><br />

gera<strong>de</strong> Herr <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist, also in vollem <strong>und</strong> ungekürz­<br />

tem Sinn das Gemeinwohl <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft dar­<br />

stellt, so daß Gott nicht nur Objekt irgen<strong>de</strong>iner sittlichen Hand-<br />

443


79 lung ist, son<strong>de</strong>rn in ausgeprägtester Form Objekt einer wahren<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>s-, nämlich Gesellschaftsverpflichtung. Es wäre<br />

darum verkehrt, etwa an <strong>de</strong>n allgemein theologischen Begriff<br />

<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong> im Sinn von <strong>Recht</strong>fertigung vor Gott zu <strong>de</strong>n­<br />

ken.<br />

Die Unterlassung besagt nicht nur ein reines Nicht-sein<br />

irgen<strong>de</strong>ines Aktes, son<strong>de</strong>rn das Nicht-sein aus Schuld. Wann<br />

aber tritt diese Schuld wirklich ein, da <strong>de</strong>r Mensch doch eigent­<br />

lich nicht han<strong>de</strong>lt? Um diese Frage zu klären, gebraucht Tho­<br />

mas (Art. 3 Zu 3) ein humorvolles, kulturgeschichtlich interes­<br />

santes Beispiel: Ein Mönch verschläft <strong>de</strong>n Nachtchor, weil er<br />

sich abends betrunken hat. Die Unterlassungssün<strong>de</strong> besteht<br />

nicht in <strong>de</strong>r Betrunkenheit, <strong>de</strong>nn diese war eine Übertretung.<br />

Die Betrunkenheit ist Ursache <strong>de</strong>r Unterlassung, die Unterlas­<br />

sung selbst geschieht zu <strong>de</strong>r Zeit, da <strong>de</strong>r betrunkene Mönch die<br />

Metten verschläft. Denn „angenommen, er wür<strong>de</strong> mit Gewalt<br />

aus <strong>de</strong>m Schlaf geweckt <strong>und</strong> ginge in die Metten, so beginge er<br />

keine Unterlassung". Verglichen mit <strong>de</strong>r Übertretung ist die<br />

Unterlassung, abstrakt gesprochen, nicht so schwerwiegend,<br />

wie Thomas in Art. 4 ausführt, womit selbstre<strong>de</strong>nd nicht gesagt<br />

ist, daß sie keine schwere Sün<strong>de</strong> sein könne.<br />

EXKURS I<br />

DIE ANWENDUNG<br />

DES BEGRIFFS DER GANZHEIT<br />

AUF DIE GESELLSCHAFTSLEHRE<br />

Exk. I Die Lehre vom Verhältnis <strong>de</strong>s Einzelmenschen zum Staat ist<br />

bei Thomas weitgehend, wenn nicht gar zum wesentlichen Teil,<br />

von <strong>de</strong>m aristotelischen Prinzip abhängig, daß <strong>de</strong>r Teil alles, was<br />

er ist, vom Ganzen her ist; an<strong>de</strong>rs ausgedrückt: daß das Ganze<br />

vor <strong>de</strong>m Teil ist.<br />

Nun ist allerdings dies Prinzip überaus vielgestaltig, entspre­<br />

chend <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r Ganzheit <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Teile, die zu einem<br />

Ganzen gehören sollen (vgl. H. Schickling, Sinn <strong>und</strong> Grenze <strong>de</strong>s<br />

aristotelischen Satzes: „Das Ganze ist vor <strong>de</strong>m Teil", 1936). Für<br />

unsere Frage ist nur <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s „integralen" Ganzen in sei­<br />

ner Anwendung auf die Gesellschaftslehre von Be<strong>de</strong>utung. Das<br />

integrale Ganze ist in <strong>de</strong>r quantitativen Ordnung beheimatet.<br />

444


Es besagt das Zusammensein aller jener quantitativen Teile, Exk.I<br />

ohne welche ein Ding in seiner Unversehrtheit (Integrität)<br />

gestört wäre, ja sogar überhaupt nicht mehr bestehen könnte.<br />

Dabei sind auch die Teile das, was sie sind, nur, weil sie im Gan­<br />

zen integriert sind. So nennt Thomas mit Aristoteles <strong>de</strong>n Fuß<br />

einen integralen Teil <strong>de</strong>s Menschen, ebenso die Hand, <strong>de</strong>n Kopf<br />

usw. Der Mensch braucht einerseits diese Teile, um alle Funk­<br />

tionen zu erfüllen, die ihm naturgemäß aufgetragen sind. An<strong>de</strong>­<br />

rerseits sind die Teile auf das Ganze angewiesen, um überhaupt<br />

das zu sein, was sie sind. Wenn ein Glied vom Leib getrennt ist,<br />

hört es auf, das zu sein, was es war. Wir müssen daher sagen,<br />

daß solche Teile nur im Ganzen begrün<strong>de</strong>t sind. Und zwar ist<br />

dabei zu beachten, daß sie ihrem ganzen Sein nach, nicht nur<br />

<strong>de</strong>m begrifflichen Inhalt <strong>de</strong>s Teils nach, ohne die Integrierung in<br />

das Ganze eben nicht das wären, was sie sind. Es han<strong>de</strong>lt sich<br />

also in dieser Überlegung nicht nur um eine logische Korrela­<br />

tion, insofern wir erklären, <strong>de</strong>r Teil sei als Teil überhaupt nicht<br />

<strong>de</strong>nkbar ohne das Ganze, in welchem er Teil ist; son<strong>de</strong>rn das<br />

Sein <strong>de</strong>s Teils hört auf, das zu sein, was es war, wenn es nicht<br />

mehr Teil ist.<br />

Der menschliche Organismus dient nun Aristoteles als bester<br />

Vergleich für die staatliche Ganzheit: „Der Staat ist <strong>de</strong>r Natur<br />

nach früher als die Familie <strong>und</strong> als <strong>de</strong>r einzelne Mensch, weil das<br />

Ganze früher sein muß als <strong>de</strong>r Teil. Hebt man das ganze<br />

menschliche Kompositum auf, so kann es keinen Fuß <strong>und</strong> keine<br />

Hand mehr geben, außer nur <strong>de</strong>m Namen nach, wie man etwa<br />

auch eine steinerne Hand Hand nennt; <strong>de</strong>nn nach <strong>de</strong>m To<strong>de</strong> ist<br />

sie nur mehr eine solche. Ein je<strong>de</strong>s Ding dankt nämlich die<br />

eigentümliche Bestimmtheit seiner Art <strong>de</strong>n beson<strong>de</strong>ren Ver­<br />

richtungen <strong>und</strong> Vermögen, die es hat, <strong>und</strong> kann darum, wenn es<br />

nicht mehr die betreffen<strong>de</strong> Beschaffenheit hat, auch nicht mehr<br />

als dasselbe Ding bezeichnet wer<strong>de</strong>n, es sei <strong>de</strong>nn im Sinne blo­<br />

ßer Namensgleichheit. Man sieht also, daß <strong>de</strong>r Staat sowohl von<br />

Natur besteht wie auch früher ist als <strong>de</strong>r Einzelne. Denn wenn<br />

sich <strong>de</strong>r Einzelne in seiner Isolierung nicht selber genügt, so<br />

muß er sich zum Staate ebenso verhalten wie an<strong>de</strong>re Teile zu<br />

<strong>de</strong>m Ganzen, <strong>de</strong>m sie angehören" (Pol. 1,2; 1253a 19-27).<br />

Mit <strong>de</strong>r Analogie wird Ernst gemacht, insofern <strong>de</strong>r vom<br />

Staatswesen getrennte Mensch bereits nicht mehr Mensch sein<br />

kann: „Wer aber nicht in Gemeinschaft leben kann o<strong>de</strong>r ihrer,<br />

weil er sich selbst genug ist, gar nicht bedarf, ist kein Glied <strong>de</strong>s<br />

445


Exk. I Staates <strong>und</strong> <strong>de</strong>mnach ein Tier o<strong>de</strong>r ein Gott" (a. a. O. a 27-29).<br />

Natürlich verliert <strong>de</strong>r Mensch, <strong>de</strong>r sich nicht ins staatliche<br />

Ganze einfügt, nicht sein physisches Sein. Dennoch wird er,<br />

was seine moralische Bestimmung <strong>und</strong> damit sein tiefstes<br />

Menschsein in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Vollkommenheit angeht, als<br />

Nicht-Mensch bezeichnet: „Hieraus erhellt also, daß <strong>de</strong>r Staat<br />

zu <strong>de</strong>n von Natur bestehen<strong>de</strong>n Dingen gehört <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Mensch<br />

von Natur ein staatliches Wesen ist, <strong>und</strong> daß jemand, <strong>de</strong>r von<br />

Natur <strong>und</strong> nicht bloß zufällig außerhalb <strong>de</strong>s Staates lebt, ent­<br />

we<strong>de</strong>r schlechter ist o<strong>de</strong>r besser als ein Mensch, wie auch <strong>de</strong>r<br />

von Homer als Mann ohne Geschlecht <strong>und</strong> Gesetz <strong>und</strong> Herd<br />

gebrandmarkte" (Pol. 1,2; 1253 a 1-5). Der Mensch, <strong>de</strong>r außer­<br />

halb <strong>de</strong>s staatlichen Verban<strong>de</strong>s sein Heil sucht, <strong>de</strong>r sich also<br />

nicht mit seinem Vollkommenheitsstreben im Staat integriert,<br />

kann überhaupt niemals vollkommener Mensch sein: „Denn<br />

wie <strong>de</strong>r Mensch in seiner Vollendung das vornehmste Geschöpf<br />

ist, so ist er, <strong>de</strong>s Gesetzes <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>es ledig, das schlechteste<br />

von allen" (a.a.O.a 31-33). Der Gr<strong>und</strong> ist einfach: „Die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> ist <strong>de</strong>r Inbegriff aller Moralität" (Eth.V, 3;<br />

1129 b29), die <strong>Gerechtigkeit</strong> aber ist „ein staatliches Ding" (Pol.<br />

1,2; 1253a37).<br />

Aristoteles sieht die Moralität <strong>de</strong>s Einzelnen in <strong>de</strong>r Gerechtig­<br />

keit begriffen, die ihrerseits nur im staatlichen Verband beste­<br />

hen kann. Bei Thomas haben wir die Übertragung dieses<br />

Gedankens (vgl. Kommentar zu 58,5 <strong>und</strong> Exkurs II) in <strong>de</strong>r<br />

Erklärung, daß die Gemeinwohlgerechtigkeit die Kommando­<br />

stelle für <strong>de</strong>n ganzen Bereich <strong>de</strong>r sittlichen Tugen<strong>de</strong>n ist. Wir<br />

müssen daher zu <strong>de</strong>m Schluß kommen, daß <strong>de</strong>r Einzelmensch<br />

ohne die Integrierung in das staatliche Ganze nicht vollkom­<br />

men sein kann, d. h., daß das staatliche Ganze <strong>de</strong>r Natur nach<br />

(formal) früher ist als <strong>de</strong>r einzelne Mensch.<br />

Die Vollkommenheit ist in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Absichten<br />

immer vor <strong>de</strong>m rudimentären o<strong>de</strong>r weniger vollkommenen<br />

Stand. Wir wollen nicht die Zwischenstufen, son<strong>de</strong>rn die End­<br />

stufe als eigentlich Beabsichtigtes; alles Dazwischenliegen<strong>de</strong> ist<br />

immer nur gewollt um <strong>de</strong>r Erstabsicht, d. h. um <strong>de</strong>r Vollkom­<br />

menheit willen. Einzig im tatsächlichen Vollzug unseres Wol­<br />

lens, d. h. in <strong>de</strong>r Verwirklichung unserer Urabsicht, bewegen<br />

wir uns von unten nach oben. In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Absichten,<br />

also im eigentlich moralischen Bereich, bleibt die oberste<br />

Absicht das <strong>de</strong>r Natur nach Frühere. Diese Erstabsicht braucht<br />

446


nun gar nicht einmal von uns selbst gefaßt zu sein. Sie kann Exk.I<br />

bereits in <strong>de</strong>r Teleologie <strong>de</strong>r Natur liegen, ursprünglich also im<br />

Schöpfer, <strong>de</strong>r die Naturen geschaffen hat. Sehr gut kommt dies<br />

in folgen<strong>de</strong>m Text <strong>de</strong>s hl. Thomas zum Ausdruck: „Es gibt eine<br />

zweifache Ordnung <strong>de</strong>r Natur. Die eine entsprechend <strong>de</strong>m Weg<br />

<strong>de</strong>r Erzeugung <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Zeit; diesem Weg gemäß ist das, was un­<br />

vollkommen <strong>und</strong> potentiell ist, früher... Die zweite Ordnung ist<br />

die <strong>de</strong>r Vollkommenheit o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Intention <strong>de</strong>r Natur; wie die<br />

Wirklichkeit <strong>de</strong>r Natur nach schlechthin früher ist als die Mög­<br />

lichkeit, <strong>und</strong> das Vollkommene früher als das Unvollkommene"<br />

(I 85,3 Zu 1; DT, Bd. 6).<br />

Wenn man also mit Aristoteles hält, daß die Moralität in <strong>de</strong>r<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> besteht o<strong>de</strong>r doch ganz von ihr beherrscht ist,<br />

dann muß man folgerichtig auch die Finalisierung <strong>de</strong>s morali­<br />

schen Wer<strong>de</strong>ns auf die <strong>Gerechtigkeit</strong> erkennen. Und da eben die<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> nichts an<strong>de</strong>res als die Integrierung ins staatliche<br />

Ganze be<strong>de</strong>utet, so bleibt nichts an<strong>de</strong>res übrig als anzuerken­<br />

nen, daß <strong>de</strong>r menschlichen Moralität die Ausrichtung auf das<br />

staatliche Ganze naturhaft zukommt. Die Integrierung im<br />

staatlichen Ganzen geht also in <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Vollkommen­<br />

heit <strong>de</strong>m bloßen Einzeldasein als solchem voraus. Es gilt <strong>de</strong>m­<br />

nach in Wahrheit: Der Staat (als vollkommene Gesellschaft) ist<br />

<strong>de</strong>r Natur, nämlich <strong>de</strong>r naturinneren Teleologie, d. h. Zielrich­<br />

tung nach früher als <strong>de</strong>r einzelne Mensch. Verbleibt man in <strong>de</strong>r<br />

intentionalen, finalen Ordnung, dann entgeht man <strong>de</strong>r Gefahr,<br />

die aristotelisch-thomistische Auffassung von <strong>de</strong>r Beziehung<br />

<strong>de</strong>s Teiles zum Ganzen mit Hegels Lehre vom objektiven Geist<br />

in eins zu setzen.<br />

Thomas war nun Theologe genug, um nicht das gesamte sitt­<br />

liche Leben in <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit aufgehen zu las­<br />

sen. Er spricht ausdrücklich nur von <strong>de</strong>r natürlichen sittlichen<br />

Ordnung. Nur so weit kann er die Gültigkeit <strong>de</strong>s organischen<br />

Eingeglie<strong>de</strong>rtseins <strong>de</strong>s einzelnen Menschen in die Gesellschaft<br />

anerkennen. Auch ist nicht zu vergessen, daß Thomas bereits in<br />

<strong>de</strong>r reinen Philosophie, ganz abgesehen also vom theologischen<br />

Denken, das <strong>Recht</strong> noch voll <strong>und</strong> ganz eingesenkt sieht in die<br />

absolute Ethik, so daß das sittliche I<strong>de</strong>al aller Menschen in eins<br />

zusammenfällt mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> für alle Menschen, ein Gedanke,<br />

<strong>de</strong>r im folgen<strong>de</strong>n Exkurs besprochen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

447


Exk. II EXKURS II<br />

DER WANDEL IM BEGRIFF<br />

DER GEMEINWOHLGERECHTIGKEIT.<br />

SOZIALE GERECHTIGKEIT - SOZIALE LIEBE<br />

Pius XI. hat in <strong>de</strong>r Enzyklika „Quadragesimo anno" <strong>de</strong>n Be­<br />

griff <strong>de</strong>r Gemeinwohl (Gesetzes-)gerechtigkeit durch <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r<br />

„sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>" ersetzt. Diese neue Benennung zeigt<br />

einen erheblichen Wan<strong>de</strong>l gegenüber <strong>de</strong>r thomasischen Lehre<br />

von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit an. Der Wan<strong>de</strong>l o<strong>de</strong>r, wenn<br />

man will, <strong>de</strong>r Fortschritt liegt in <strong>de</strong>r neuen Fassung <strong>de</strong>s Begriffs<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls. Der überaus vielfältig schillern<strong>de</strong> <strong>und</strong> ana­<br />

loge Begriff ist bei Thomas, wenigstens, was seine Anwendung<br />

auf die Gesellschaftslehre angeht, stark vom aristotelischen<br />

Denken beeinflußt. Selbstre<strong>de</strong>nd hat <strong>de</strong>r allgemein christliche<br />

Gedanke <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>s Universums, das ebenfalls als uni­<br />

versales Gut, als Gemeingut, bezeichnet wird, eine nicht unbe­<br />

<strong>de</strong>uten<strong>de</strong> Rolle gespielt. Die Vorstellung, daß <strong>de</strong>r ganze Mensch<br />

im beinahe unübersehbaren Raum eines Weltganzen steht, in<br />

<strong>de</strong>m er nur eine untergeordnete Rolle spielt <strong>und</strong> das selbst wie­<br />

<strong>de</strong>rum einem höheren „Gemeinwohl" unterstellt ist, nämlich<br />

Gott, war wie geschaffen, um die völlige Einbeziehung <strong>de</strong>s ein­<br />

zelnen Menschen in das Ganze <strong>de</strong>r Gesellschaft zu erhärten.<br />

Sosehr das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Gesellschaft selbst wie<strong>de</strong>rum nur<br />

relativ verstan<strong>de</strong>n wird in Rückorientierung zum Universum<br />

<strong>und</strong> von dort zu Gott, so läßt eben doch dieser Drang zum<br />

Einordnen <strong>und</strong> Unterordnen in ein vielgestuftes Ordnungsgan­<br />

zes <strong>de</strong>n Menschen als Person stark zurücktreten.<br />

Wenngleich die aristotelische Ganzheitslehre für Thomas ein<br />

willkommenes Vorbild war, so ist er doch durch das aristote­<br />

lische <strong>Gerechtigkeit</strong>sschema in seiner eigenen Systematik<br />

gestört wor<strong>de</strong>n. Die Vorgabe eines Gemeinwohls, in <strong>de</strong>m alle<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>n ihnen zukommen<strong>de</strong>n Platz haben, entsprach<br />

christlichem Ordnungs<strong>de</strong>nken. Daraus ergab sich für <strong>de</strong>n ein­<br />

zelnen die sittliche Pflicht <strong>de</strong>r Ein-<strong>und</strong> Unterordnung. Diese<br />

Ein- <strong>und</strong> Unterordnung ist Gegenstand <strong>de</strong>r Gemeinwohlge­<br />

rechtigkeit. Es wäre aber logisch gewesen, nicht nur von <strong>de</strong>r<br />

Pflicht zur Einordnung, son<strong>de</strong>rn auch vom <strong>Recht</strong> eines je<strong>de</strong>n zu<br />

sprechen, <strong>de</strong>n ihm gehören<strong>de</strong>n Platz zu erhalten. Bei<strong>de</strong>s gehört<br />

zum Gemeinwohl, sofern man es personalistisch versteht. In<br />

448


<strong>de</strong>r Sozialethik <strong>de</strong>s Aristoteles wird nun das Gemeinwohl durch Exk. II<br />

die staatliche Autorität konstituiert, während Thomas gemäß<br />

seiner Konzeption von <strong>de</strong>r menschlichen Person das Gemein­<br />

wohl auch <strong>de</strong>r staatlichen Autorität vorgeordnet sieht. 1 Gemäß<br />

<strong>de</strong>r aristotelischen Gemeinwohltheorie wird nur eine Seite <strong>de</strong>r<br />

Pflicht in Betracht gezogen, die <strong>de</strong>r Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r, nicht<br />

die <strong>de</strong>r Autoritätsträger, das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r zu respektieren.<br />

Diese zweite Seite wird <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> als eige­<br />

ner, von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit unterschie<strong>de</strong>ner<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> zugeschrieben. Die austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

muß aber ein Teil <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit sein, wenn man<br />

<strong>de</strong>r thomasischen Auffassung von <strong>de</strong>m je<strong>de</strong>r Autorität vor­<br />

geordneten Gemeinwohl folgt. Das aristotelische Schema hat<br />

Thomas daran gehin<strong>de</strong>rt, die wenigstens teilweise I<strong>de</strong>ntität von<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>und</strong> austeilen<strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

systematisch durchzuführen.<br />

Thomas erkannte sehr wohl, daß die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit nicht einfach ein einziges Individuum im Auge hat, son<strong>de</strong>rn<br />

immer die Rückbeziehung zum Ganzen mitbetrachtet. Man<br />

w<strong>und</strong>ert sich darum, daß er nicht zu <strong>de</strong>r Folgerung durchgesto­<br />

ßen ist, daß dieses <strong>Recht</strong>sverhältnis vom Ganzen zu <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen nicht auch im umgekehrten Sinn gelten soll, von <strong>de</strong>n einzel­<br />

nen zum Ganzen. Wir kämen damit zu einer neuen Sicht <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls, die einen ebenso neuen Inhalt <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit bewirken wür<strong>de</strong>. Das aristotelische Vorbild von<br />

<strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit ließ diese Schlußfolgerung nicht<br />

zu. Man darf wohl auch sagen, daß <strong>de</strong>r stark monarchistische<br />

Staatsbegriff leicht zu dieser in gewissem Sinne An-sich-Set-<br />

zung <strong>de</strong>s aristotelisch gefaßten Gemeinwohls führte. Der<br />

Regent verkörpert dabei gleichsam das Gemeinwohl in seiner<br />

Person, während <strong>de</strong>r Untertan es nur dienstweise (administra­<br />

tive) zu verwirklichen hat, wenngleich an<strong>de</strong>rerseits die Wesens­<br />

übereinstimmung zwischen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit <strong>de</strong>s<br />

Regenten <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Untertanen anerkannt sein mochte.<br />

Der Gr<strong>und</strong> aber, warum Thomas die Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit nicht im Sinn <strong>de</strong>r austeilen<strong>de</strong>n <strong>Gerechtigkeit</strong> als ein Ord­<br />

nungsprinzip <strong>de</strong>r vielen einzelnen Individuen angesehen hat,<br />

liegt tiefer. Er ist in seiner rein philosophischen <strong>und</strong> betont<br />

ethischen Schauweise <strong>de</strong>r Gesellschaft zu suchen. Thomas geht<br />

1 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil I, 202.<br />

449


Exk. II von <strong>de</strong>r natura humana aus, die als absolute Norm je<strong>de</strong>m<br />

menschlichen Han<strong>de</strong>ln, auch <strong>de</strong>r Gesellschaft, ihr Maß ein­<br />

prägt. Wenn also Thomas zu <strong>de</strong>m Individualprinzip gelangt,<br />

dann eben nur, weil vom Gemeinwohl, eben <strong>de</strong>m allgemeinen<br />

Gut <strong>de</strong>r menschlichen Natur her, dies verlangt ist, nicht aber,<br />

weil <strong>de</strong>r einzelne von vornherein als individueller, vorstaatlicher<br />

<strong>Recht</strong>sträger betrachtet wür<strong>de</strong>. Ganz klar tritt dies in <strong>de</strong>r Frage<br />

nach <strong>de</strong>m Privateigentum in Erscheinung (vgl. Kommentar zu<br />

66,1 u. 2, wo die geschichtlichen Zusammenhänge dargestellt<br />

sind).<br />

Wenngleich die aristotelische Auffassung vom Gemeinwohl<br />

auf Thomas einen starken Einfluß ausgeübt hat, so wäre es<br />

doch verfehlt, darin die einzige o<strong>de</strong>r auch nur die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Ursache für seine Gesellschaftsauffassung zu sehen. Der letzte<br />

Gr<strong>und</strong> ist vielmehr die betont christliche Sicht <strong>de</strong>s gesellschaft­<br />

lichen Gefüges vom Ethischen her, wie sie Thomas bei <strong>de</strong>n Kir­<br />

chenvätern in reinster Form kennen <strong>und</strong> schätzen gelernt hat.<br />

Die Spekulation <strong>de</strong>r Väter <strong>und</strong> auch <strong>de</strong>s heiligen Thomas, wie<br />

wohl eine Gesellschaft im Paradies aussehen wür<strong>de</strong>, beweist<br />

dies unwi<strong>de</strong>rleglich. Denn dort wird nur vom vernünftigen <strong>und</strong><br />

guten Menschen her gedacht, also einzig vom Ethischen her.<br />

Das I<strong>de</strong>al einer Gesellschaft kann nur das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s Menschen<br />

überhaupt sein. Dieses I<strong>de</strong>al aber ist sittlich. Wenn die mo<strong>de</strong>rne<br />

katholische Gesellschaftslehre, wie sogleich dargestellt wer<strong>de</strong>n<br />

soll, heute <strong>de</strong>n individualrechtlichen Ausgleich zum Gr<strong>und</strong>­<br />

prinzip <strong>de</strong>r Gesellschaftsbildung macht, dann wird sie doch <strong>de</strong>n<br />

altchristlichen Gedanken von <strong>de</strong>r wesentlich sittlichen Gemein­<br />

schaft aller Menschen nicht übersehen dürfen.<br />

In <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen, von <strong>de</strong>r neuzeitlichen Auffassung <strong>de</strong>r Men­<br />

schenrechte als <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r einzelnen gegenüber <strong>de</strong>m staatlichen<br />

Autoritätsträger geprägten Gesellschaftsphilosophie vollzog<br />

sich ein gr<strong>und</strong>sätzlicher Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Gemeinwohlkonzeption.<br />

Der Akzent liegt nun auf <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en <strong>de</strong>s Individu­<br />

ums, allerdings verb<strong>und</strong>en mit <strong>de</strong>m Verlust <strong>de</strong>r vordringlichen<br />

Betrachtung <strong>de</strong>r Ganzheit. Die mo<strong>de</strong>rne, weltanschaulich zer­<br />

rissene Gesellschaft anerkennt keine gemeinschaftliche <strong>und</strong><br />

einheitliche Ethik mehr. Der erkenntnistheoretische Optimis­<br />

mus, wonach alle Menschen an sich Vernunft genug haben, um<br />

absolute Normen als gemeinverbindlich zu erkennen, existiert<br />

nicht mehr. Auch gibt es keine Autorität, von <strong>de</strong>r man eine all­<br />

gemeingültige Vorlage ethischer I<strong>de</strong>ale entgegennehmen<br />

450


wür<strong>de</strong>, wie dies z. B. im mittelalterlichen Europa <strong>de</strong>r Fall war. Exk.II<br />

So ist die Ethik <strong>de</strong>r Gesellschaft aufgelöst in das Wertempfin<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r vielen Individuen. Als Ordnungsgefüge bleibt dann für die<br />

mo<strong>de</strong>rne Gesellschaft nichts an<strong>de</strong>res als die rechtliche Abtren­<br />

nung <strong>de</strong>r Individuen. Dabei ist das Individuelle nicht mehr eine<br />

am gemeinsamen I<strong>de</strong>al gemessene Größe, son<strong>de</strong>rn die<br />

Anfangsgröße <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Systems. Dies heißt aber,<br />

daß das ganz Kontingente, die freie Willensbildung <strong>de</strong>r vielen,<br />

die gesellschaftliche Struktur bestimmt. So ergibt sich: Der<br />

gesellschaftliche Aufbau muß von unten, von <strong>de</strong>r einzelnen<br />

menschlichen Person her vollzogen wer<strong>de</strong>n, also nicht mehr<br />

von <strong>de</strong>r persona humana aus, sofern sie ganz allgemein in <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Natur als solcher beschlossen ist.<br />

Es läßt sich von hier aus leicht begreifen, warum die mo<strong>de</strong>rne<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie die absoluten Normen als rechtsbil<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

Faktoren nicht mehr anerkennen will, <strong>de</strong>nn sie sind gemäß <strong>de</strong>m<br />

Individualprinzip erst dann eigentlich rechtsbil<strong>de</strong>nd, wenn sie<br />

in das faktische Denken <strong>und</strong> Wollen <strong>de</strong>r Gesellschaft eingegan­<br />

gen sind.<br />

Als Ordnungsprinzip dieser aufgesplitterten Gesellschaft<br />

haben wir dann zunächst nur noch die austeilen<strong>de</strong> Gerechtig­<br />

keit <strong>de</strong>s heiligen Thomas, allerdings ganz im Sinn <strong>de</strong>r subjekti­<br />

ven <strong>Recht</strong>e. Um die Rückbeziehung zum alten Gemeinwohlbe­<br />

griff zu bewahren, wird - so vor allem in <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen katholi­<br />

schen Soziallehre - von <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>s Einzelnen<br />

<strong>und</strong> Privaten gesprochen. Diese neue I<strong>de</strong>enkombination hat<br />

auch einen neuen Namen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit not­<br />

wendig gemacht: die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong>, erstmals genannt<br />

bei L. Taparelli. Diese soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> soll die Funktionen<br />

<strong>de</strong>r alten austeilen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit erfül­<br />

len.<br />

Das Gemeinwohl wird so lediglich zu einem Ordnungsprin­<br />

zip von vielen zusammenleben<strong>de</strong>n Individuen mit kontingen-<br />

tem Wollen, während es bei Thomas ein absolutes Soll darstellt,<br />

das sich an alle richtet zur gemeinsamen Verwirklichung eines<br />

gemeinsamen I<strong>de</strong>als, einer gemeinsamen Kulturaufgabe.<br />

Bei dieser neuen Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s gesell­<br />

schaftlichen Aufbaus darf aber die Orientierung am Absoluten<br />

nicht verlorengehen. Das soziale Gut, welches durch die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll, ist, wie schon gesagt,<br />

wesentlich ein ethisches Gut <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft.<br />

451


Exk. II Es wird darum niemals vollgültig verwirklicht durch eine rein<br />

individual betonte <strong>Recht</strong>sgemeinschaft. Es bleiben also, wenn<br />

man die Gesellschaft im Individualprinzip begrün<strong>de</strong>t, immer<br />

Lücken. Der Ausgleich <strong>de</strong>r so entstehen<strong>de</strong>n Lücken in <strong>de</strong>r Ver­<br />

wirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls, das trotz allem als Naturauftrag<br />

weiterbesteht, wird von einer an<strong>de</strong>ren sittlichen Kraft geleistet,<br />

<strong>de</strong>r sogenannten sozialen Liebe. Die soziale Liebe rettet also<br />

jenen ethischen Teil in <strong>de</strong>r Gemeinschaft, <strong>de</strong>r eigentlich Aufgabe<br />

<strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> sein müßte, wenn wir jene Gemein­<br />

schaft hätten, welche <strong>de</strong>n alten ethischen Begriff <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls noch als Gr<strong>und</strong>norm <strong>de</strong>s Zusammenlebens erfüllt. 2<br />

Die mo<strong>de</strong>rne Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls als <strong>de</strong>r Koordinierung<br />

<strong>de</strong>r vielen in Gemeinschaft leben<strong>de</strong>n Einzelmenschen trägt also<br />

die Spuren <strong>de</strong>r Kontrakttheorie an sich, insofern <strong>de</strong>r Blick auf<br />

die faktische Willensbildung <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r fällt <strong>und</strong> von da auch<br />

ausgeht.<br />

Ein Beispiel <strong>de</strong>r mo<strong>de</strong>rnen Auffassung vom Gemeinwohl<br />

gibt das alltägliche Thema <strong>de</strong>r Steuerhinterziehung. Um <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls willen — so <strong>de</strong>nken wir heute — ist <strong>de</strong>r einzelne<br />

verpflichtet, auch in Form von Steuern seinen Beitrag an das<br />

Gemeinwesen zu leisten. Diese Verpflichtung aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit schwin<strong>de</strong>t aber in <strong>de</strong>m Maße, als die<br />

an<strong>de</strong>ren Mitglie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Staates ihren Teil nicht erfüllen. Man<br />

kann daher <strong>de</strong>n ehrlichen Staatsbürger nicht mehr aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit für verpflichtet halten, <strong>de</strong>n ganzen<br />

ihm aufgetragenen Anteil zu leisten. Soll dieser aber <strong>de</strong>swegen<br />

sorglos <strong>de</strong>r Gefährdung <strong>de</strong>s Gemeinwesens zusehen dürfen? Es<br />

bleibt ihm trotz allem als natürliche sittliche Aufgabe, die ihn im<br />

Gewissen bin<strong>de</strong>t, zu retten, was zu retten ist, um <strong>de</strong>r Menschen<br />

willen, mit <strong>de</strong>nen er verb<strong>und</strong>en ist. Er entspricht dieser sittli­<br />

chen Verantwortung durch <strong>de</strong>n Einsatz aus sozialer Liebe. Tho­<br />

mas hätte diese soziale Liebe noch als Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit bezeichnet aufgr<strong>und</strong> seiner ganz an<strong>de</strong>rs gearteten, auf<br />

höherer Ebene liegen<strong>de</strong>n Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit. Wir aber können dieser sittlichen Tat<br />

diese Bezeichnung nicht mehr geben.<br />

Aus <strong>de</strong>m Gesagten mag auch hervorgehen, daß es n<strong>utz</strong>los<br />

ist, von unserem heutigen Gesellschaftsbegriff aus zu diskutie-<br />

2 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, Teil I, 230-233.<br />

452


en, ob Thomas mehr die Person o<strong>de</strong>r mehr die Gemeinschaft Exk. II<br />

betont habe. Selbstre<strong>de</strong>nd war Thomas in seiner Gesellschafts­<br />

ethik Personalist, aber in ganz an<strong>de</strong>rem Sinn, d. h. auf an<strong>de</strong>rer<br />

Ebene, als wir heute vom Personalismus als <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>prinzip<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft sprechen. Die Quelle <strong>de</strong>r Verantwortung <strong>de</strong>s<br />

einzelnen gegenüber <strong>de</strong>r Gemeinschaft ist bei Thomas ebenfalls<br />

die persona humana. Und die Gemeinschaft besagt bei ihm<br />

nichts an<strong>de</strong>res als die Schaffung von wahren menschlichen<br />

Gütern zum Besten <strong>de</strong>r Personen, die in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

vereint sind. Aber es han<strong>de</strong>lt sich dabei um die persona humana<br />

im Raum <strong>de</strong>r abstrakt gedachten menschlichen Natur, noch ab­<br />

gehoben von <strong>de</strong>r konkreten Situation, in welcher wir die<br />

menschliche Person in ihrer natürlichen Verhaltensweise vor­<br />

fin<strong>de</strong>n.<br />

Pius XI. hat nun im Hinblick auf die sittliche Notwendigkeit,<br />

in solcher Verfassung <strong>und</strong> nicht in <strong>de</strong>r reinen Abstraktion die<br />

Gesellschaft aufbauen zu müssen, die Subsidiarität zum<br />

Gestaltprinzip <strong>de</strong>r menschlichen Gemeinschaft erklärt. Das<br />

Gr<strong>und</strong>gesetz besagt unter an<strong>de</strong>rem, daß <strong>de</strong>r Einzelmensch un­<br />

abhängig von gesetzlicher Regelung so lange Herr seiner<br />

gesellschaftlichen Betätigung bleibt, als er selbstmächtig seinen<br />

Beitrag für das Gemeinwohl leisten kann. Dasselbe gilt in ent­<br />

sprechen<strong>de</strong>r Weise für die kleineren Gemeinschaften . Das Phi­<br />

losophieren über die Gesellschaft beginnt also hier bei <strong>de</strong>n<br />

Menschenrechten <strong>de</strong>s einzelnen, <strong>de</strong>s Individuums. Auf Gr<strong>und</strong><br />

dieser Menschenrechte wer<strong>de</strong>n <strong>de</strong>m Individuum bestimmte<br />

vorstaatliche <strong>Recht</strong>e zugesprochen, die es in <strong>de</strong>r Folge durch<br />

seine persönliche Tat verwirklichen kann, um so zu „erworbe­<br />

nen" Freiheitsrechten <strong>und</strong> Naturrechten zu gelangen. So gilt<br />

z.B. bezüglich <strong>de</strong>r Eigentumsfrage nicht nur, daß <strong>de</strong>r Mensch<br />

an sich <strong>Recht</strong> auf Privateigentum habe, son<strong>de</strong>rn auch, daß dies<br />

o<strong>de</strong>r jenes durch persönliche Arbeit erworbene Eigentum<br />

naturrechtlicher Privatbesitz ist. Hierbei liegt das Schwerge­<br />

wicht auf <strong>de</strong>m Individualen <strong>und</strong> Privaten.<br />

Die Hinwendung zu <strong>de</strong>n subjektiven <strong>Recht</strong>en als <strong>de</strong>m Gr<strong>und</strong>­<br />

anliegen <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ordnung ist beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>utlich<br />

sichtbar in <strong>de</strong>r Enzyklika „Pacem in terris" Johannes'XXIII.<br />

3 Vgl. K.Thieme, För<strong>de</strong>ralismus <strong>und</strong> Subsidaritätsprinzip. in: Politeia 1 (1948/<br />

49) 11 ff.<br />

453


Exk. II Zur Aufhellung <strong>de</strong>s Gesagten sei folgen<strong>de</strong>s Beispiel ange­<br />

führt. Auf die Schwierigkeit, ob ein Verbrecher vor Gericht auf<br />

gerechte Befragung hin verpflichtet sei, seine an sich verborgene<br />

schwere Schuld einzugestehen, antwortet Thomas affirmativ.<br />

Dagegen fin<strong>de</strong>t Alphonsv. Liguori mit an<strong>de</strong>ren Scholastikern<br />

die negative Antwort auch vertretbar. Warum? Thomas richtet<br />

<strong>de</strong>n Blick auf das I<strong>de</strong>al <strong>de</strong>s bonum commune, von woher ein<br />

je<strong>de</strong>r Mensch auf Gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit zum<br />

letzten Einsatz seiner sittlichen Kraft verpflichtet ist, während<br />

Alphonsv. Liguori nicht die vertikale Sicht zum Absoluten, son­<br />

<strong>de</strong>rn die horizontale zu <strong>de</strong>n Mitmenschen wählt <strong>und</strong> erklärt,<br />

daß <strong>de</strong>r Richter kein <strong>Recht</strong> habe, eine im Gewissen verborgene<br />

schwere Schuld auszufragen, die die größte Strafe, nämlich <strong>de</strong>n<br />

Tod <strong>de</strong>s Straffälligen, nach sich zöge.<br />

Im Bestreben nach Rückorientierung an <strong>de</strong>m alten ethischen<br />

Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls <strong>de</strong>r Gesellschaft <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Staates<br />

befürwortet die katholische Soziallehre die soziale Liebe.<br />

Dieser Begriff war eine absolute Notwendigkeit, nach<strong>de</strong>m man<br />

<strong>de</strong>n Schritt in die mehr „individualistische" Gesellschaftsauffas­<br />

sung gemacht hatte. Pius XL. hat diesen Begriff in seiner Enzy­<br />

klika „Quadragesimo anno" neben <strong>de</strong>n <strong>de</strong>r sozialen Gerechtig­<br />

keit gestellt. Und zwar spricht er von <strong>de</strong>r „Caritas" socialis.<br />

Was ist nun diese soziale Liebe? Verbleiben wir im Bereich<br />

<strong>de</strong>s natürlichen sittlichen Lebens, dann be<strong>de</strong>utet sie eine sitt­<br />

liche Tugend, die darauf ausgeht, die i<strong>de</strong>ale gesellschaftliche<br />

Ordnung zu verwirklichen, die das Gemeinwohl dort anstrebt,<br />

wo alle Koordination <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Ansprüche <strong>und</strong> Lei­<br />

stungen unzureichend bleibt. Sie übernimmt also die Spitzen­<br />

leistungen, welche Thomas <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

zuteilte. Aus dieser engen Verbindung zwischen Gemeinwohl­<br />

gerechtigkeit <strong>und</strong> sozialer Liebe mag man es erklären, daß bei<br />

/. Messner (Naturrecht, 1950, 233 ff.) die Aufgabenbereiche <strong>de</strong>r<br />

bei<strong>de</strong>n Tugen<strong>de</strong>n sich überkreuzen (vgl. unsere Besprechung in<br />

Divus Thomas 29 (1951) 507f.).<br />

Gibt es aber eine soziale Liebe auch als übernatürliche<br />

Tugend? Wenn man von <strong>de</strong>r Tugendlehre <strong>de</strong>s hl. Thomas aus<br />

weiter<strong>de</strong>nkt, ist es unmöglich, die übernatürliche Tugend <strong>de</strong>r<br />

sozialen Liebe als übernatürliche sittliche Tugend zu bezeich­<br />

nen, die selbst zum Rang einer „theologischen "Tugend „empor­<br />

steigt" (so O. v. Nell-Breuning im 3. Heft <strong>de</strong>r „Beiträge zu einem<br />

Wörterbuch <strong>de</strong>r Politik", Freiburg 1949, Sp.36).<br />

454


Die theologischen, „göttlichen" Tugen<strong>de</strong>n, Glaube, Hoff- Exk. II<br />

nung <strong>und</strong> Liebe (Caritas), sind dadurch gekennzeichnet, daß ihr<br />

Objekt (objectum formale quod) <strong>und</strong> vor allem dasjenige,<br />

wodurch sie das Objekt erfassen (objectum formale quo), Gott<br />

selber ist. Im Glauben erkennen wir Gott durch seine eigene<br />

Offenbarung. Die Offenbarung ist im Objekt selbst enthalten.<br />

Um zu einer solchen göttlichen Erkenntnis fähig zu sein, erhal­<br />

ten wir die gna<strong>de</strong>nhafte (eingegossene) Tugend <strong>de</strong>s Glaubens.<br />

Der Glaube ist aufgr<strong>und</strong> dieser doppelten Eigenschaft seines<br />

Objekts eine göttliche <strong>und</strong> theologische Tugend. Analoges gilt<br />

von <strong>de</strong>r göttlichen Hoffnung, die je<strong>de</strong> Art menschlicher Hoff­<br />

nung übertrifft. Ihr Objekt ist ebenfalls Gott, <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong><br />

ihrer absoluten Gewißheit ist die Zusicherung Gottes. In <strong>de</strong>r<br />

göttlichen Liebe lieben wir Gott mit <strong>de</strong>rselben Liebe, mit <strong>de</strong>r<br />

Gott sich <strong>und</strong> uns liebt. Die <strong>Gerechtigkeit</strong> nun, auch die soziale,<br />

hat zum Objekt die zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie<br />

kann also nicht theologische Tugend sein <strong>und</strong> auch nie zu dieser<br />

Wür<strong>de</strong> „aufsteigen". Die soziale Liebe, streng verstan<strong>de</strong>n als<br />

soziale, will die Lücken ausfüllen, die durch die mangelhafte<br />

Verwirklichung <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong> entstehen. Sollte<br />

dies aus Liebe zu Gott, also mit göttlicher Liebe geschehen,<br />

dann kann man eigentlich nicht von sozialer Liebe sprechen,<br />

<strong>de</strong>nn ein solcher Akt ist i<strong>de</strong>ntisch mit <strong>de</strong>r göttlichen Liebe. Im<br />

Hinblick darauf, daß dieser Akt einen bestimmten Ausschnitt<br />

<strong>de</strong>s umfangreichen Tätigkeitsfel<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r göttlichen Liebe be­<br />

trifft, kann man diesen Akt als soziale Liebe bezeichnen, bes­<br />

ser <strong>und</strong> konkreter mit Pius XI. als Caritas socialis, jedoch nicht<br />

als Tugend, son<strong>de</strong>rn nur als Akt bzw. eine Gruppe von Akten.<br />

Denn die Caritas als Tugend ist nur eine. Sie betätigt sich in viel­<br />

fältiger Weise, auch auf sozialem Gebiet. Eine eingegossene<br />

(übernatürliche) sittliche Tugend gibt es nicht. Streng genom­<br />

men gibt es auch keine natürlich-sittliche Tugend <strong>de</strong>r sozialen<br />

Liebe (amor socialis), <strong>de</strong>nn die Funktion <strong>de</strong>r sozialen Liebe im<br />

ethischen Sinn wird, wie gesagt, von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtig­<br />

keit ausgeführt. Man kann höchstens die i<strong>de</strong>alen Spitzenlei­<br />

stungen <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit mit <strong>de</strong>m ehrenvollen<br />

Namen „soziale Liebe" versehen, muß aber wissen, daß es sich<br />

um Akte <strong>de</strong>r Tugend <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit han<strong>de</strong>lt. In<br />

diesem Sinn ist <strong>de</strong>r oft zu hören<strong>de</strong> Ausspruch zu verstehen:<br />

„Die soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> die soziale Liebe sind die<br />

Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens".<br />

455


Exk.III EXKURS III<br />

DER GEMEINWOHLBEGRIFF DES HL. THOMAS<br />

UND DIE KATHOLISCHE SOZIALLEHRE<br />

1. DIE FRAGE NACH DER SYSTEMATIK DER SOZIALETHIK BEI<br />

THOMAS VON AQUIN UND IN DER KATHOLISCHEN SOZIALLEHRE<br />

Von Systematik in einer Wissenschaft kann man nur spre­<br />

chen, wenn das Prinzip, von <strong>de</strong>m ausgegangen wird, in sichtba­<br />

rer Logik durchgehalten wird bis zu <strong>de</strong>n letzten verzweigten<br />

Schlußfolgerungen. Eine materiale Ethik hat mit <strong>de</strong>m obersten,<br />

allgemeinsten Wert, <strong>de</strong>r Objekt <strong>de</strong>r menschlichen Handlung<br />

sein kann, zu beginnen <strong>und</strong> ihn bis in die letzte konkrete Anwen­<br />

dung zu verfolgen. Für die Gesellschaftsethik ist dieses oberste<br />

Objekt das Gemeinwohl. Dieses Objekt muß stets sichtbar blei­<br />

ben, selbst für <strong>de</strong>n Fall, daß die konkrete Situation mehr am Pri­<br />

vatwohl als am Gemeinwohl orientiert wer<strong>de</strong>n sollte. Auch<br />

dann muß <strong>de</strong>utlich wer<strong>de</strong>n, daß <strong>de</strong>r Individualismus als Orga­<br />

nisationsweise nur im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls Berechtigung hat.<br />

Auf juristischem Gebiet ist H.Kelsens <strong>Recht</strong>sphilosophie,<br />

obwohl positivistisch orientiert, von bezaubern<strong>de</strong>r Systematik.<br />

Auf <strong>de</strong>m Gebiet <strong>de</strong>r Sozialethik darf /. Smith' Individualismus<br />

als systematisch bezeichnet wer<strong>de</strong>n. Wie immer seine Schluß­<br />

folgerungen von einem an<strong>de</strong>ren Standpunkt aus bewertet wer­<br />

<strong>de</strong>n mögen, sie sind von seinem Ausgangspunkt her folgerich-<br />

Hat nun Thomas von Aquin <strong>und</strong> hat die katholische Sozial­<br />

lehre eine ähnlich <strong>de</strong>utliche Systematik aufzuweisen?<br />

Bei Thomas von Aquin ist führen<strong>de</strong>s Kriterium in allen Ein­<br />

zelfragen das Gemeinwohl. Ob das, was Thomas material als<br />

Gemeinwohl bezeichnet, im einzelnen unserer mo<strong>de</strong>rnen<br />

Bewertung entspricht, hat mit <strong>de</strong>r Frage nach <strong>de</strong>r Systematik<br />

nichts zu tun. Wenn Thomas z. B. um <strong>de</strong>s Gemeinwohls willen<br />

die Monarchie als Staatsform befürwortet, dann könnte man­<br />

cher, wie es <strong>de</strong> facto geschieht, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r geschichtlichen<br />

Erfahrungen erwi<strong>de</strong>rn, die schlechteste Demokratie sei besser<br />

als die beste Monarchie. Die systematische Einordnung <strong>de</strong>s Pri­<br />

vateigentums unter das Gemeinwohl ist Thomas in erstaunli­<br />

cher Weise gelungen, erstaunlich im Hinblick auf die verworre­<br />

ne Diskussion <strong>de</strong>r vorhergegangenen Jahrh<strong>und</strong>erte. Beim Auf­<br />

bau <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Arten von <strong>Gerechtigkeit</strong> im Blick <strong>de</strong>s<br />

456


Gemeinwohls ist Thomas allerdings die Systematik wegen <strong>de</strong>r Exk. III<br />

Autorität <strong>de</strong>s Aristoteles nicht gelungen, wie in Exkurs II darge­<br />

stellt wur<strong>de</strong>.<br />

Die katholische Soziallehre, 1 soweit man darunter nur die<br />

Äußerungen <strong>de</strong>r Päpste versteht, hat ohne Zweifel ebenfalls das<br />

Gemeinwohl zum Ausgangspunkt. Dessen Definition ist aber<br />

nicht so sichtbar, ihre Formulierung nicht einheitlich. Das rührt<br />

daher, daß das kirchliche Lehramt stets zu <strong>de</strong>n konkreten sozia­<br />

len Fragen spricht <strong>und</strong> keine Veranlassung hat, <strong>de</strong>n systemati­<br />

schen Zusammenhang darzustellen. Es ist Aufgabe <strong>de</strong>r Kom­<br />

mentatoren, diesen für die sozialethische Systematik f<strong>und</strong>a­<br />

mentalen Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlaut­<br />

barungen zu analysieren <strong>und</strong> mit <strong>de</strong>r Tradition, die bei Thomas<br />

ihre systematische Zusammenfassung erhalten hat, zu verglei­<br />

chen.<br />

2. DER KONSENS IN DEN GRUNDTHESEN DER KATHOLISCHEN<br />

SOZIALLEHRE<br />

Die katholische Soziallehre enthält einen Katalog von Wer­<br />

ten, die im gesellschaftlichen Leben zu berücksichtigen sind. Es<br />

sind die Werte, die sich aus <strong>de</strong>r christlichen Anthropologie erge­<br />

ben: die eigene Wür<strong>de</strong> je<strong>de</strong>r menschlichen Person, <strong>de</strong>ren gött­<br />

liche Berufung zum ewigen Leben, ihre Freiheit in <strong>de</strong>r Gewis­<br />

sensentscheidung, in <strong>de</strong>r Berufswahl, in <strong>de</strong>r Gründung von per­<br />

sönlichen Gemeinschschaften wie Ehe <strong>und</strong> Familie, ebenso<br />

auch von Vereinen usw. Erste gesellschaftliche Einheit ist die<br />

Ehe <strong>und</strong> in <strong>de</strong>ren Erweiterung die Familie. In Respektierung <strong>de</strong>r<br />

freien persönlichen Entfaltung soll je<strong>de</strong> gesellschaftliche Auto­<br />

rität sich mit Eingriffen zurückhalten, wann immer das Indivi­<br />

duum die ihm im sozialen Rahmen zukommen<strong>de</strong>n Verpflich­<br />

tungen selbst zu erfüllen vermag. Das gleiche gilt auch bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>r kleineren, in freier Bestimmung gegrün<strong>de</strong>ten Gemein­<br />

schaften (Subsidiaritätsprinzip). Ehe, Familie <strong>und</strong> Staat sind<br />

natürliche Gemeinschaften. Sie for<strong>de</strong>rn ihrer Natur nach eine<br />

Siehe meine Einleitung in: Die katholische Sozialdoktrin in ihrer geschichtlichen<br />

Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente vom 1 S.Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

bis in die Gegenwart (Originaltexte mit Übersetzung), hrsg. von Arthur<br />

Utz <strong>und</strong> Brigitta Gräfin von Galen, 4 B<strong>de</strong>, 1976, XIII-XXXII. In <strong>de</strong>r Folge<br />

zitiert: Utz-vonGalen. In diesem Werk befin<strong>de</strong>n sich die Verlautbarungen<br />

Pius'XIInicht mehr, da bereits im dreibändigen Werk Utz-Groner enthalten<br />

(vgl. Fußn.2).<br />

457


Exk. III Autorität. Alle Gesellschaften o<strong>de</strong>r Gemeinschaften haben ihr<br />

eigenes Gemeinwohl zu verwirklichen. Die Individualrechte gel­<br />

ten darum immer nur im Rahmen <strong>de</strong>s jeweiligen Gemeinwohls.<br />

Die letzte Entscheidungsgewalt im Sinn <strong>de</strong>s umfassendsten<br />

Gemeinwohls liegt bei <strong>de</strong>r staatlichen Autorität, selbstre<strong>de</strong>nd<br />

unter Wahrung <strong>de</strong>r natürlichen Strukturen (Ehe, Familie) <strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips. Durchgängig wird in <strong>de</strong>n Sozialen­<br />

zykliken seit Rerum novarum das Privateigentum als <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r<br />

Person angesehen. Nach<strong>de</strong>m Leo XIII. (Rerum novarum, 8 <strong>und</strong><br />

12) das Privateigentum als eine Institution <strong>de</strong>s Naturgesetzes<br />

<strong>und</strong> Pius XL (Quadragesimo anno, 35) es als „heiliges" <strong>Recht</strong><br />

bezeichnet hatte, stellte es Pius XII. in seiner Ansprache an das<br />

Diplomatische Korps vom 2. März 1956 auf die gleiche Ebene<br />

wie die Familie in seiner Aufzählung <strong>de</strong>r Lebensgr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>s<br />

Menschen: „Familie, Eigentum, Beruf, Gemeinschaft, Staat". 2<br />

Diese gleichrangige Bewertung von Familie <strong>und</strong> Eigentum als<br />

naturrechtliche Institutionen hat <strong>de</strong>r unmittelbare Mitarbeiter<br />

Pius'XII. <strong>und</strong> Bearbeiter <strong>de</strong>r Ansprache Gustaf G<strong>und</strong>lach SJ'm<br />

seinem Beitrag zum Artikel „Gesellschaft" im Staatslexikon <strong>de</strong>r<br />

Görresgesellschaft 3 „bestätigend" wie<strong>de</strong>rholt. Familie <strong>und</strong><br />

Eigentum wer<strong>de</strong>n mit <strong>de</strong>m Staat als „naturrechtliche Einrich­<br />

tungen" bezeichnet. Diese Zusammenstellung ist nur möglich,<br />

wenn man das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum von <strong>de</strong>r Person her be­<br />

grün<strong>de</strong>t. In diesem Sinn hat auch Johannes Paul II. (Laborem<br />

exercens, 15) das <strong>Recht</strong> auf Privateigentum begrün<strong>de</strong>t. Er<br />

nimmt hierfür die Autorität <strong>de</strong>s Thomas von Aquin in<br />

Anspruch. Wie weit diese Interpretation stimmt, soll für <strong>de</strong>n<br />

Augenblick nicht diskutiert wer<strong>de</strong>n 4 . Auf was es hier bei <strong>de</strong>r all­<br />

gemeinen Charakterisierung <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre<br />

ankommt, ist die zentrale <strong>und</strong> f<strong>und</strong>amentale Stellung <strong>de</strong>r Per­<br />

son in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen <strong>und</strong> politischen<br />

Fragen. Hierüber besteht allgemeiner Konsens bei allen Inter­<br />

preten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre.<br />

Entgegen je<strong>de</strong>r Form von Individualismus <strong>und</strong> Liberalismus<br />

hält die katholische Soziallehre an <strong>de</strong>m von jeher tradierten Be-<br />

2 Vgl. A. F. Utz u.J.F. Groner, Aufbau <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens,<br />

Soziale Summe Pius'XII., 3 B<strong>de</strong>., Freiburg/Schweiz 1954/1961 (in <strong>de</strong>r<br />

Folge zitiert: Utz — Groner), Nr. 6385.<br />

3 6. Aufl., Bd. 3, 1959, 821.<br />

4 Vgl. hierzu meinen Kommentar zu „Laborem exercens" in „Ethische <strong>und</strong> so­<br />

458<br />

ziale Existenz", Walberberg 1983, 359.


griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls fest. Das heißt, die menschliche Person Exk. III<br />

hat sich als soziales Wesen zu verstehen <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentsprechend<br />

mit an<strong>de</strong>ren zu kooperieren, damit alle sich entsprechend ihrer<br />

Natur entfalten können. In <strong>de</strong>r Eigentumsfrage z.B. erklärt das<br />

kirchliche Lehramt mit <strong>de</strong>r gesamten Tradition, daß die Güter,<br />

wenngleich sie in Privatbesitz aufgeteilt sein mögen, nicht auf­<br />

hören, <strong>de</strong>m N<strong>utz</strong>en aller zu dienen. Seit Leo XIII. sprechen<br />

daher die Sozialenzykliken von <strong>de</strong>r „sozialen Belastung" <strong>de</strong>s<br />

privaten Eigentums. In einzelnen Enzykliken ist dieser Ge­<br />

sichtspunkt so stark unterstrichen wor<strong>de</strong>n, daß es manchen<br />

Vertretern <strong>de</strong>s Unternehmertums übertrieben vorkam. In <strong>de</strong>r<br />

Tat haben die Enzykliken mehr auf die Verteilung als auf die<br />

Produktion geachtet. Mit Bezug auf die Enzyklika „Populorum<br />

progressio" (1967) erklärt z.B. A.Rauscher in seinem Artikel<br />

„Katholische Soziallehre <strong>und</strong> liberale Wirtschaftsauffassung":<br />

„Es wäre hilfreich gewesen, wenn die Enzyklika nicht nur das<br />

Verdikt über <strong>de</strong>n Paläo-Liberalismus wie<strong>de</strong>rholt hätte, son<strong>de</strong>rn<br />

wenn sie etwas über die Voraussetzungen <strong>und</strong> Bedingungen<br />

einer verbesserten Produktion gesagt hätte, also über qualifi­<br />

zierte Arbeit, Kapitalbildung, ges<strong>und</strong>en Wettbewerb <strong>und</strong> seinen<br />

Einfluß auf eine gerechtere Preisbildung." 5 An<strong>de</strong>rerseits kann<br />

sich eine an die gesamte Welt gerichtete Enzyklika nicht für ein<br />

bestimmtes Wirtschaftssystem, etwa die Marktwirtschaft, aus­<br />

sprechen, da die wirtschaftlichen, sozialen <strong>und</strong> kulturellen<br />

Bedingungen in <strong>de</strong>n einzelnen Völkern sehr verschie<strong>de</strong>n sind.<br />

Die Enzykliken wollten einen überall gelten<strong>de</strong>n Parameter<br />

angeben, gemäß <strong>de</strong>m man die soziale Qualität eines Wirt­<br />

schaftssystems o<strong>de</strong>r einer Wirtschaftsordnung in ihrem En<strong>de</strong>r­<br />

gebnis beurteilen kann. Und das ist nun einmal die soziale<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>. Unzwei<strong>de</strong>utig kommt dieses Anliegen in „Labo­<br />

ren! exercens" zu Wort. Dort wird als Bemessungsgr<strong>und</strong>lage<br />

einer Wirtschaftsordnung die Wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Arbeit angegeben.<br />

Man kann allgemein für alle Enzykliken sagen, daß es immer<br />

<strong>und</strong> überall auf die personale Wohlfahrt ankommt, an <strong>de</strong>ren<br />

Verwirklichung eine gesellschaftliche <strong>und</strong> wirtschaftliche Ord­<br />

nung gemessen wer<strong>de</strong>n soll.<br />

Unverkennbar spielt bei aller Betonung <strong>de</strong>r Person das<br />

Gemeinwohl als übergeordnete Norm eine entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong><br />

In: A. Rauscher (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Beiträge zur Ordnung<br />

<strong>de</strong>r Wirtschaftsgesellschaft, Berlin 1985, 304.<br />

459


Exk.III Rolle. Die Absage an <strong>de</strong>n individualistischen Liberalismus ist<br />

ein<strong>de</strong>utig. Das Gemeinwohl kann nicht die Summe aller Indivi-<br />

dualwohle sein. An<strong>de</strong>rerseits ist gemäß <strong>de</strong>r kontinuierlichen<br />

kirchlichen Tradition <strong>und</strong> auch gemäß <strong>de</strong>r Interpretation dieser<br />

Tradition durch die Theologen das Gemeinwohl personal zu<br />

verstehen, ohne daß es damit seine Qualität als übergeordnete<br />

Norm aller Individuen verlöre. Hier ergibt sich für <strong>de</strong>n Inter­<br />

preten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre die gr<strong>und</strong>sätzliche,<br />

erkenntnistheoretische Frage: Wie kann <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Wohl­<br />

ergehens personal <strong>und</strong> zugleich <strong>de</strong>rart universal sein, daß er die<br />

Personen nur als proportional zueinan<strong>de</strong>r bezogene Teile be­<br />

greift <strong>und</strong> in dieser Weise <strong>de</strong>n Personen als übergeordnete<br />

Norm zu gelten hat, somit nicht einfach die Summe <strong>de</strong>r indivi-<br />

dualen Wohle ist? Die Stellungnahme zu dieser Frage ist <strong>de</strong>r<br />

Kern <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen philosophisch-theologischen Begrün­<br />

dungen <strong>de</strong>r kirchlichen Soziallehre durch die Interpreten. Um<br />

ein soli<strong>de</strong>s F<strong>und</strong>ament für diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzung zu haben,<br />

wer<strong>de</strong>n wir die entschei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Texte <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautba­<br />

rungen analysieren müssen.<br />

Die Stellungnahme <strong>de</strong>r kirchlichen Obrigkeit zu sozialen<br />

Fragen (Armut, Sklavenhan<strong>de</strong>l, Freiheit <strong>de</strong>r Kirche usw.) ist so<br />

alt wie die Kirche selbst. Die eigentliche Inanspruchnahme <strong>de</strong>s<br />

Begriffs <strong>de</strong>s Gemeinwohls beginnt aber erst dort, wo die Kirche<br />

zu Ordnungsfragen in Wirtschaft <strong>und</strong> Gesellschaft Stellung<br />

bezieht. Und das geschah erstmals unter Leo XIII. Im Gr<strong>und</strong>e<br />

entfaltet die Kirche damit keine neue Doktrin. Es ist <strong>de</strong>r gleiche<br />

Ansatz, von <strong>de</strong>m aus die kirchliche Obrigkeit stets die einzel­<br />

nen sozialen Fragen anfaßte, nämlich das durch alle Jahrhun­<br />

<strong>de</strong>rte festgehaltene Naturrecht. Darum konnte Pius XII. in sei­<br />

ner Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Internationalen Kongres­<br />

ses für humanistische Studien am 25. September 1949 erklären,<br />

das Naturgesetz sei das F<strong>und</strong>ament <strong>de</strong>r Soziallehre <strong>de</strong>r<br />

Kirche. 6<br />

6 Vgl. Utz - Groner 359.<br />

460


3. ANALYSE DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER PÄPSTLICHEN<br />

VERLAUTBARUNGEN<br />

Unterscheidung von Wert- <strong>und</strong> Handlungsordnung<br />

Im folgen<strong>de</strong>n soll <strong>de</strong>r Gemeinwohlbegriff <strong>de</strong>r päpstlichen<br />

Verlautbarungen <strong>de</strong>finiert wer<strong>de</strong>n. Hierzu eine kurze Vor­<br />

bemerkung.<br />

Gemeinwohl ist gemäß <strong>de</strong>r katholischen Moral, für welche<br />

die Glückseligkeit ein echtes Objekt <strong>de</strong>r moralischen Entschei­<br />

dung ist, ebenfalls ein ethischer Begriff. Die moralischen For<strong>de</strong>­<br />

rungen haben ihren eigenen, absoluten Wert. Sie sind darum<br />

nicht modulierbar gemäß <strong>de</strong>m Ermessen <strong>de</strong>s Menschen. Der<br />

Mensch hat aber die Pflicht, zu überlegen, auf welche Weise er<br />

<strong>de</strong>n absoluten Wert am besten verwirklichen kann. Dieser<br />

Modus <strong>de</strong>r Verwirklichung ist im Vergleich zu individualmorali-<br />

schen Entscheidungen von größerer Be<strong>de</strong>utung hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

sozialen Werte. Der aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen gewonnene<br />

Gemeinwohlwert ist unabän<strong>de</strong>rlich. Der Modus <strong>de</strong>r Verwirkli­<br />

chung dagegen kann variieren. Bezüglich <strong>de</strong>r Güterverteilung<br />

gilt als oberste soziale Norm das N<strong>utz</strong>ungsrecht aller. In <strong>de</strong>r<br />

Verwirklichung dieses Postulates fin<strong>de</strong>t <strong>de</strong>r Mensch rationaler­<br />

weise die private Verwaltung als <strong>de</strong>n geeignetsten Verwirkli­<br />

chungsmodus. Doch ist dieser Modus an bestimmte wirtschaft­<br />

liche, soziale <strong>und</strong> kulturelle Bedingungen geb<strong>und</strong>en.<br />

In <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen wird nun nicht so syste­<br />

matisch vorgegangen. Man fin<strong>de</strong>t keinen eigenen Traktat über<br />

das Gemeinwohl als ethischen Wert <strong>und</strong> dann einen solchen<br />

über die kausale Ordnung, in <strong>de</strong>r das ethische Postulat verwirk­<br />

licht wer<strong>de</strong>n soll. Es liegt also am Interpreten, die Gesichts­<br />

punkte aus ihrer Verklammerung zu lösen, um so die päpstli­<br />

chen Äußerungen zu systematisieren. Zu beachten ist, daß das<br />

Gemeinwohl fast durchgängig im Sinn <strong>de</strong>s staatlichen Gemein­<br />

wohls verstan<strong>de</strong>n wird, weil es an <strong>de</strong>n meisten Stellen in erster<br />

Linie darauf ankommt, die Grenzen <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt zu<br />

bestimmen. Wir befin<strong>de</strong>n uns also stets auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Reali­<br />

sierung. Der sinngeben<strong>de</strong> ethische Wert, <strong>de</strong>r eigentliche<br />

Gemeinwohlbegriff, muß darum sorgfältig aus <strong>de</strong>m Kontext<br />

herausgeschält wer<strong>de</strong>n.<br />

461


Exk. III. Das Gemeinwohl als ethischer Wert<br />

„Gemeinwohl" darf nicht mit „Gemeinschaft" o<strong>de</strong>r „Gesell­<br />

schaft" verwechselt wer<strong>de</strong>n. Die Gemeinschaft ist das Mittel,<br />

um das Wohl aller, d.h. das Gemeinwohl, zu verwirklichen.<br />

Man kann darum nicht sagen, das Gemeinwohl sei um <strong>de</strong>r Per­<br />

sonen willen da, wohl aber wird zu beinahe unzähligen Malen<br />

betont, die Gesellschaft sei um <strong>de</strong>s Menschen o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Person<br />

willen da. In <strong>de</strong>r Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Ersten Inter­<br />

nationalen Kongresses für Histopathologie <strong>de</strong>s Nervensystems<br />

vom 14. Sept. 1952 erklärt Pius XII.: „Es ist festzuhalten, daß<br />

<strong>de</strong>r Mensch seinem Sein <strong>und</strong> seiner Persönlichkeit nach letztlich<br />

nicht für die Gesellschaft da ist, son<strong>de</strong>rn umgekehrt die<br />

Gemeinschaft für <strong>de</strong>n Menschen". 7 Das Gemeinwohl, wofür<br />

auch manchmal <strong>de</strong>r Begriff „Wohlfahrt" gebraucht wird, ist das<br />

Wohl von Menschen, von Personen, die in <strong>de</strong>r Gemeinschaft<br />

verb<strong>und</strong>en sind: „Das Gemeinwohl ist immer das Wohl <strong>de</strong>r Per­<br />

sonen, die in <strong>de</strong>r staatlichen Gemeinschaft leben, um eine Ver­<br />

vollkommnung zu erlangen, die ihre individuellen Möglichkei­<br />

ten übersteigt". 8 Es han<strong>de</strong>lt sich also um einen N<strong>utz</strong>en, <strong>de</strong>r per­<br />

sönlich empf<strong>und</strong>en wird. Dieser N<strong>utz</strong>en muß aber so verteilt<br />

wer<strong>de</strong>n, daß er von allen, wenngleich in verschie<strong>de</strong>ner Weise,<br />

wahrgenommen wird. In diesem Sinn spricht Pius XI. in <strong>de</strong>r<br />

Enzyklika „Quadragesimo anno" von <strong>de</strong>r gerechten Güterver­<br />

teilung mit Blick auf <strong>de</strong>n „allgemeinen N<strong>utz</strong>en" o<strong>de</strong>r das „Ge­<br />

samtwohl": „Keineswegs je<strong>de</strong> beliebige Güter- <strong>und</strong> Reich­<br />

tumsverteilung läßt nämlich <strong>de</strong>n gottgewollten Zweck, sei es<br />

überhaupt, sei es in befriedigen<strong>de</strong>m Maße erreichen. Darum<br />

müssen die Anteile <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Menschen <strong>und</strong> gesell­<br />

schaftlichen Klassen an <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>m Fortschritt <strong>de</strong>s Gesell-<br />

schaftsprozesses <strong>de</strong>r Wirtschaft ständig wachsen<strong>de</strong>n Güterfülle<br />

so bemessen wer<strong>de</strong>n, daß dieser von Leo XIII. hervorgehobene<br />

allgemeine N<strong>utz</strong>en gewahrt bleibt o<strong>de</strong>r, was dasselbe mit an<strong>de</strong>­<br />

ren Worten ist, <strong>de</strong>m Gesamtwohl <strong>de</strong>r menschlichen Gesell­<br />

schaft kein Scha<strong>de</strong>n zugefügt wird". 9<br />

Die pointierte Gegenüberstellung von Einzelinteresse <strong>und</strong><br />

Gesamtinteresse läßt erraten, daß das Gesamtinteresse nicht<br />

7 Utz - Groner 2275.<br />

8 Päpstlicher Brief <strong>de</strong>s Kardinals A. G. Cigognani, Staatssekretär Pauls VI., an<br />

<strong>de</strong>n Bischof R.Moralejo vom 29.5.1964, Utz - von Galen II 247.<br />

9 Utz - von Galen IV 104.<br />

462


einfach die Summe von Einzelinteressen sein kann. Sonst hät­<br />

ten die energische Ablehnung von Nur-Eigeninteressen <strong>und</strong> die<br />

Betonung <strong>de</strong>r Unterordnung <strong>de</strong>s Einzelinteresses unter das<br />

Gemeinwohl keinen Sinn mehr. Leo XIII. begrün<strong>de</strong>t in seinem<br />

Brief „Notre consolation" vom 3. Mai 1892 an die Kardinäle<br />

Frankreichs die gehorsame Annahme aller Regierungsformen<br />

mit <strong>de</strong>m Hinweis auf das Gemeinwohl als „höchstem Ziel":<br />

„Der Gr<strong>und</strong> dieser Annahme (gehorsame Annahme aller Re­<br />

gierungsformen, A.F. U.) ist, daß das Gemeinwohl <strong>de</strong>r<br />

Gemeinschaft je<strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Interesse vorgeht; <strong>de</strong>nn es ist das<br />

schöpferische Prinzip, die erhalten<strong>de</strong> Gr<strong>und</strong>kraft <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gemeinschaft. Daraus folgt, daß je<strong>de</strong>r or<strong>de</strong>ntliche Bürger<br />

es um je<strong>de</strong>n Preis wollen <strong>und</strong> erstreben muß. Ja, aus dieser Not­<br />

wendigkeit, das Gemeinwohl zu sichern, erfließt als aus ihrer<br />

eigentlichen <strong>und</strong> unmittelbaren Quelle die Notwendigkeit einer<br />

staatlichen Gewalt überhaupt; sie soll auf das Gemeinwohl als<br />

ihr höchstes Ziel sich einstellen <strong>und</strong> so das vielfältige Wollen<br />

ihrer Untertanen in ihrer Hand zu einer Einheit zusammenfas­<br />

sen <strong>und</strong> es weise <strong>und</strong> beständig eben darauf hinordnen". 10<br />

Das Gemeinwohl kann natürlich nur als ein subjektiv wahr­<br />

nehmbarer N<strong>utz</strong>en verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Wenn das Gemeinwohl<br />

o<strong>de</strong>r Gemeininteresse verwirklicht ist, dann muß sich offenbar<br />

auch je<strong>de</strong>r einzelne subjektiv „wohl" fühlen. Wir befin<strong>de</strong>n uns<br />

also in <strong>de</strong>r Nähe <strong>de</strong>s Benthamschen Begriffs <strong>de</strong>s Gesamtwohls.<br />

Daß die vielen Einzelnen gemeint sind, beweist auch <strong>de</strong>r stän­<br />

dige Hinweis auf die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r Person, die, wie Pius XII. in <strong>de</strong>r<br />

erwähnten Ansprache an <strong>de</strong>n Kongreß für humanistische Stu­<br />

dien sagte, „zum Kostbarsten im Gemeinwohl gehören". 11 Mit<br />

<strong>de</strong>r gleichen Schärfe erklärt Pius XII. in <strong>de</strong>r Ansprache an die<br />

Teilnehmer <strong>de</strong>s dritten Nationalkongresses <strong>de</strong>r Italienischen<br />

Sektion <strong>de</strong>s Rates <strong>de</strong>r Europäischen Gemein<strong>de</strong>n vom 6. Dezem­<br />

ber 1957: „Die öffentliche Gewalt ist zwar im Hinblick auf das<br />

Gemeinwohl errichtet wor<strong>de</strong>n, aber dieses gipfelt im autono­<br />

men Leben <strong>de</strong>r Einzelpersonen". 12<br />

Liest man diese <strong>und</strong> viele an<strong>de</strong>re ähnliche Formulierungen<br />

separat, dann kommt man leicht auf <strong>de</strong>n Gedanken, daß das<br />

Gemeinwohl schließlich doch nichts an<strong>de</strong>res ist als das Ergebnis<br />

1 0 Utz - von Galen XXVII 11.<br />

11 Utz - Groner 359.<br />

12 Utz - Groner 6450.<br />

463


Exk. III <strong>de</strong>r vielen vom Staat geschützen, in Autonomie vollzogenen<br />

Handlungen. Wie aber soll man sich dann noch vorstellen kön­<br />

nen, daß die autonomen Personen o<strong>de</strong>r Gruppen sich <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl beugen sollen? So verlangt <strong>de</strong>r Staatssekretär<br />

Pauls VI., Kardinal A. G. Cicognani, in seinem Brief an Kardinal<br />

G. Siri vom 23. Mai 1964 von <strong>de</strong>n autonomen Gruppen loyale<br />

Unterordnung unter das Gemeinwohl: „Sie (die Gruppen,<br />

A. F. U.) besitzen auch eigene Autonomie, wenn es um Ent­<br />

scheidungen <strong>und</strong> Maßnahmen im Hinblick auf ihre spezifischen<br />

Ziele geht, vorausgesetzt, daß sie loyal bereit sind, sich <strong>de</strong>n For­<br />

<strong>de</strong>rungen <strong>de</strong>s Gemeinwohls unterzuordnen". 13<br />

Die starke Betonung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Autonomie <strong>de</strong>r Per­<br />

son erfährt eine beachtenswerte Eingrenzung durch die natur­<br />

rechtliche Bestimmung <strong>de</strong>r menschlichen <strong>de</strong>r Person als eines<br />

sozialen Wesens. So sagt Pius XI. in <strong>de</strong>m R<strong>und</strong>schreiben „Mit<br />

brennen<strong>de</strong>r Sorge" vom 14. März 1937: „...das wahre Gemein­<br />

wohl wird letztlich bestimmt <strong>und</strong> erkannt aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s<br />

Menschen mit ihrem harmonischen Ausgleich zwischen persönli­<br />

chem <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> sozialer Bindung, sowie aus <strong>de</strong>m durch die<br />

gleiche Menschennatur bestimmten Zweck <strong>de</strong>r Gemein­<br />

schaft". 1 4 Da es in diesem Schreiben um die Grenzen <strong>de</strong>r Staats­<br />

gewalt geht, wird betont, daß <strong>de</strong>r Staat sich dieser vorgeordne­<br />

ten Gemeinwohlnorm zu beugen habe. „Die Gemeinschaft ist<br />

vom Schöpfer gewollt als Mittel zur vollen Entfaltung <strong>de</strong>r indi­<br />

viduellen <strong>und</strong> sozialen Anlagen, die <strong>de</strong>r Einzelmensch, gebend<br />

<strong>und</strong> nehmend, zu seinem <strong>und</strong> aller an<strong>de</strong>ren Wohl auszuwerten<br />

hat. Auch jene umfassen<strong>de</strong>ren <strong>und</strong> höheren Werte, die nicht<br />

vom Einzelnen, son<strong>de</strong>rn nur von <strong>de</strong>r Gemeinschaft verwirk­<br />

licht wer<strong>de</strong>n können, sind vom Schöpfer letzten En<strong>de</strong>s um <strong>de</strong>s<br />

Menschen willen gewollt, zu seiner natürlichen <strong>und</strong> übernatür­<br />

lichen Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung". 15 Es sei nochmals darauf<br />

hingewiesen, daß <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls sich nicht mit<br />

<strong>de</strong>m <strong>de</strong>r Gemeinschaft <strong>de</strong>ckt. Die Gemeinschaft ist eine von<br />

Menschen bewirkte Institution <strong>und</strong> hat zum Ziel das Gemein­<br />

wohl, das aus <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen, <strong>de</strong>r seinerseits individu­<br />

elle <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> soziale Pflichten hat, erkannt wird. Zu beachten<br />

ist ferner, daß vom Menschen als solchem die Re<strong>de</strong> ist, womit<br />

1 3 Utz - von Galen XXII 30.<br />

1 4 Utz — von Galen II 201, Hervorhebung von mir.<br />

1 5 A.a.O., Hervorhebung von mir.<br />

464


selbstre<strong>de</strong>nd an alle Menschen gedacht ist. Es han<strong>de</strong>lt sich also<br />

um eine Generalisierung <strong>de</strong>r Person. Die Werte <strong>de</strong>r Person <strong>und</strong><br />

somit aller Personen sollten in Zusammenarbeit verwirklicht<br />

wer<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>r Enzyklika „Divini illius Magistri" (31.12.1929)<br />

sagt Pius XL an einer Stelle, wo er von <strong>de</strong>r För<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s dies­<br />

seitigen Gemeinwohls durch die Staatsgewalt spricht: „Dieser<br />

Zweck, das Gemeinwohl natürlicher Ordnung, besteht in<br />

Frie<strong>de</strong> <strong>und</strong> Sicherheit, wovon dann die Familie <strong>und</strong> <strong>de</strong>r einzelne<br />

Bürger für <strong>de</strong>n Gebrauch ihrer <strong>Recht</strong>e ihren N<strong>utz</strong>en haben, <strong>und</strong><br />

zugleich im Höchstmaß geistigen <strong>und</strong> materiellen Wohles, soweit<br />

es sich durch einträchtige <strong>und</strong> geordnete Zusammenarbeit aller in<br />

diesem Leben verwirklichen läßt". lb Systematisiert man die von<br />

Pius XL ausgedrückten Elemente, dann kann man das Gemein­<br />

wohl bestimmen als „die menschliche Vollkommenheit als<br />

gemeinsames, die einzelmenschlichen Vollkommenheiten als<br />

Teile umfassen<strong>de</strong>s Ziel einer Vielheit von Menschen" o<strong>de</strong>r als<br />

„das personale Wohl vieler Einzelmenschen, sofern es nur mit<br />

gemeinsam angewandten Mitteln erstrebt wer<strong>de</strong>n kann". 17 Das<br />

Gemeinwohl ist somit ein kollektiver Wert, an <strong>de</strong>m <strong>de</strong>r einzelne<br />

teilhat. In diesem Sinn spricht sich Johannes XXIII. in <strong>de</strong>r Enzy­<br />

klika „Pacem in terris" (11.4.1963) aus: „Außer<strong>de</strong>m verlangt<br />

dieses Gut kraft seiner Natur, daß alle Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Staates an<br />

ihm teilhaben, wenn auch in verschie<strong>de</strong>nem Gra<strong>de</strong> je nach <strong>de</strong>n<br />

Aufgaben, Verdiensten <strong>und</strong> Verhältnissen <strong>de</strong>s einzelnen. Des­<br />

halb müssen alle Staatslenker darauf hinarbeiten, das gemein­<br />

same Wohl ohne Bevorzugung irgen<strong>de</strong>ines Bürgers o<strong>de</strong>r einer<br />

Bevölkerungsschicht zum N<strong>utz</strong>en aller zu för<strong>de</strong>rn". 18 Damit<br />

distanziert sich die kirchliche Lehre vom Gemeinwohl entschei­<br />

<strong>de</strong>nd von <strong>de</strong>r Benthamschen Formulierung. Es ist nicht das sub­<br />

jektiv empf<strong>und</strong>ene Wohl <strong>de</strong>r Personen, son<strong>de</strong>rn das an objekti­<br />

ven Inhalten orientierte Wohl aller. Die objektive Norm umfaßt<br />

zwei Elemente: die Menschennatur <strong>und</strong> die geschichtliche<br />

Wirklichkeit: „Die Existenzberechtigung aller öffentlichen<br />

Gewalt ruht in <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls, die nur<br />

unter Berücksichtigung seines Wesens wie <strong>de</strong>r gegebenen zeitli-<br />

1 6 Utz — von Galen IX 72, Hervorhebung von mir.<br />

17 Vgl. A.F. Utz, Sozialethik, I.Teil, Die Prinzipien <strong>de</strong>r Gesellschaftslehre,<br />

2.,unveränd. Aufl. 1964, 136.<br />

18 Utz- von Galen XXVIII 149.<br />

465


chen Verhältnisse zu erreichen ist". 19 Die Erstbestimmung aus<br />

<strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen erfor<strong>de</strong>rt die Berücksichtigung <strong>de</strong>s all­<br />

gemeinen, das einzelne Volk übergreifen<strong>de</strong>n Wohles <strong>de</strong>r<br />

Menschheit: „Gewiß bestimmt sich das Gemeinwohl auch aus<br />

<strong>de</strong>m, was einem je<strong>de</strong>n Volk eigentümlich ist; doch macht dies<br />

keineswegs das Gemeinwohl in seiner Gesamtheit aus. Denn<br />

weil es wesentlich mit <strong>de</strong>r Menschennatur zusammenhängt,<br />

kann es als Ganzes <strong>und</strong> vollständig stets nur bestimmt wer<strong>de</strong>n,<br />

wenn man es im Hinblick auf seine innerste Natur <strong>und</strong><br />

geschichtliche Wirklichkeit von <strong>de</strong>r menschlichen Person aus<br />

sieht". 20<br />

Zu <strong>de</strong>n personalen Werten, die im Gemeinwohl beschlossen<br />

sind, gehört nicht nur das irdische Wohl, son<strong>de</strong>rn auch jenes,<br />

das <strong>de</strong>r Mensch im Jenseits erwartet. Pius XII. kämpft in seiner<br />

Pfingstbotschaft vom l.Juni 1941 gegen <strong>de</strong>n Irrtum „als ob <strong>de</strong>r<br />

Mensch kein an<strong>de</strong>res Leben zu erwarten hätte außer <strong>de</strong>m, das<br />

hienie<strong>de</strong>n sein En<strong>de</strong> fin<strong>de</strong>t". 21 In seiner Osterpredigt vom<br />

24. März 1940 stellt Pius XII. die geistige Erneuerung <strong>und</strong> Wie­<br />

<strong>de</strong>rherstellung durch Christus unter die For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls: „Diese notwendige Leistung verlangt nämlich<br />

nicht nur das private Leben <strong>de</strong>s einzelnen <strong>und</strong> sein persönliches<br />

Wohlergehen, son<strong>de</strong>rn das Gemeinwohl <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Gemeinschaft insgesamt". 22 Der Geist <strong>de</strong>r Brü<strong>de</strong>rlichkeit soll<br />

gemäß Pius XII. das sittliche Empfin<strong>de</strong>n für die <strong>Recht</strong>schaffen­<br />

heit <strong>und</strong> Wahrhaftigkeit im menschlichen Zusammenleben, wie<br />

ebenso „das Bewußtsein <strong>de</strong>r Verantwortung für das Gemein­<br />

wohl" för<strong>de</strong>rn. 23<br />

Wenn also von <strong>de</strong>n <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Pflichten <strong>de</strong>r Person, die <strong>de</strong>r<br />

Staat zu schützen hat, die Re<strong>de</strong> ist, dann ist, wenn man <strong>de</strong>m Be­<br />

griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls näherkommen will, zu beachten, daß<br />

<strong>de</strong>r einzelne sein gesamtes sittliches Leben auf das Gemeinwohl<br />

hin einstellen soll. Der päpstliche Brief <strong>de</strong>s Subsistuts Pius'XII.,<br />

A.Dell'Aqua, erklärt darum, die Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von<br />

Aquin von <strong>de</strong>r Gemeinwohlgerechtigkeit als <strong>de</strong>r obersten sittli-<br />

19 Utz - von Galen XXVIII 147.<br />

2 0 Utz - von Galen XXVIII 148.<br />

21 Utz - Groner 508.<br />

2 2 Utz - Groner 619.<br />

2 3 Ansprache an die Männer <strong>de</strong>r Katholischen Aktion Italiens, 7.9.1947, Utz —<br />

466<br />

Groner 317.


chen Tugend aufnehmend: „Diese <strong>Recht</strong>e <strong>und</strong> Pflichten haben Exk.III<br />

letztlich, wie man weiß, ihren Ursprung in <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

o<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit, die von <strong>de</strong>n Philosophen <strong>und</strong><br />

Theologen mit gutem Gr<strong>und</strong>e als e<strong>de</strong>lste unter <strong>de</strong>n sittlichen<br />

Tugen<strong>de</strong>n betrachtet wird, <strong>de</strong>nn sie ordnet alle menschliche<br />

Tätigkeit auf das Gemeinwohl hin". 24<br />

Der Bürger ist seinem Mitbürger aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

for<strong>de</strong>rung verpflichtet. Ein<strong>de</strong>utig kommt die Begründung <strong>de</strong>r<br />

gegenseitigen Hilfeleistung, d. h. <strong>de</strong>s Solidarismus von Mensch<br />

zu Mensen, im Gemeinwohl bei Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzxklika<br />

„Graves <strong>de</strong> communi" (18.1.1901) zum Ausdruck: „Niemand<br />

lebt im Staate nur seinem eigenen Vorteil, son<strong>de</strong>rn auch für das<br />

Gesamtwohl. Wenn die einen ihren Teil zur Verwirklichung <strong>de</strong>r<br />

allgemeinen Wohlfahrt nicht leisten können, dann müssen die<br />

an<strong>de</strong>rn, <strong>de</strong>nen das möglich ist, dies durch reichlichere Leistun­<br />

gen ersetzen". 25<br />

Es geht also nicht nur darum, daß die Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r<br />

sich untereinan<strong>de</strong>r helfen, son<strong>de</strong>rn daß sie es tun, weil sie <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl verpflichtet sind. Im Gemeinwohl liegt die eigent­<br />

liche Begründung <strong>de</strong>s Solidarismus. Das ist ein an<strong>de</strong>rer Solida­<br />

rismus als jener, von <strong>de</strong>m man in <strong>de</strong>r Marktwirtschaft in Bezug<br />

zum Wettbewerb spricht.<br />

Zu <strong>de</strong>n im Gemeinwohl enthaltenen Werten gehört nicht nur<br />

die materielle, son<strong>de</strong>rn auch die geistige Wohlfahrt, <strong>und</strong> zwar<br />

im „Höchstmaß", wie Pius XL in <strong>de</strong>m aus „Divini illius<br />

Magistri" zitierten Text sagt.<br />

Obwohl die Religion selbst nicht Aufgabe <strong>de</strong>r Staatsgewalt<br />

ist, gehört sie doch zur geistigen Wohlfahrt, also zum Gemein­<br />

wohl: „Da die Menschen aus Leib <strong>und</strong> unsterblicher Seele<br />

bestehen, können sie in diesem sterblichen Leben we<strong>de</strong>r ihr<br />

Dasein voll ausschöpfen, noch ein vollkommenes Glück errei­<br />

chen. Darum muß das Gemeinwohl auf eine Weise verwirklicht<br />

wer<strong>de</strong>n, die <strong>de</strong>m ewigen Heil <strong>de</strong>r Menschen nicht nur nicht ent­<br />

gegensteht, son<strong>de</strong>rn ihm vielmehr dient". 26 Die Staatsgewalt<br />

kann darum die Religion nicht ignorieren, schon <strong>de</strong>shalb nicht,<br />

weil aus <strong>de</strong>r Religion die gesellschaftlich stabilisieren<strong>de</strong>n Motive<br />

Päpstlicher Brief an <strong>de</strong>n Vorsitzen<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r Sozialen Woche Kanadas vom<br />

29. September 1955, Utz - Groner 6245.<br />

Utz — von Galen VI 46, Hervorhebung von mir.<br />

Johannes XXIII., „Pacem in terris", Utz — von Galen XXVIII 152.<br />

467


kommen. Leo XIII. hat bei <strong>de</strong>r Staatsgewalt sogar ein unter­<br />

schei<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s Vermögen vorausgesetzt, um nicht jedwe<strong>de</strong> Reli­<br />

gion als zu schützen<strong>de</strong> anzuerkennen. Es geht also nicht um<br />

eine direkte Religionspolitik, immerhin aber um das kluge<br />

Abwägen, welche Religion staatstragend zu sein vermag. In die­<br />

sem Sinn ist die von Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzyklika „Immortale Dei"<br />

(1.11.1885) gefor<strong>de</strong>rte Einbeziehung <strong>de</strong>r Religion ins Gemein­<br />

wohl zu verstehen: „Die in <strong>de</strong>r Gesellschaft zu einer Einheit<br />

verb<strong>und</strong>enen Menschen verbleiben nicht weniger als einzeln<br />

genommen in <strong>de</strong>r Gewalt Gottes... Es wäre vonseiten <strong>de</strong>r Staa­<br />

ten ein Frevel, wollten sie sich <strong>de</strong>rart gebär<strong>de</strong>n, als ob es keinen<br />

Gott gäbe, o<strong>de</strong>r die Religionsangelegenheiten als ein ihnen völ­<br />

lig frem<strong>de</strong>s Objekt von sich weisen, o<strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n verschie<strong>de</strong>nen<br />

Religionen eine o<strong>de</strong>r die an<strong>de</strong>re nach Belieben anerkennen...<br />

Darum soll die staatliche Gemeinschaft, die ja keine an<strong>de</strong>re<br />

Aufgabe hat, als das allgemeine Wohl zu för<strong>de</strong>rn, im Bemühen<br />

um das Staatswohl die Bürger so leiten, daß sie in diesem ihrem<br />

innersten Verlangen nach <strong>de</strong>m Besitze <strong>de</strong>s höchsten <strong>und</strong> unver­<br />

gänglichen Gutes nicht nur nicht geschädigt, son<strong>de</strong>rn auf alle<br />

mögliche Weise geför<strong>de</strong>rt wer<strong>de</strong>n. Letzteres geschieht aber in<br />

erster Linie dadurch, daß die Heiligkeit <strong>und</strong> Unverletzlichkeit<br />

<strong>de</strong>r Religion respektiert wird, <strong>de</strong>ren Funktion es ist, <strong>de</strong>n Men­<br />

schen mit Gott zu verbin<strong>de</strong>n". 27 Leos XIII. Auffassung steht<br />

also nicht im Wi<strong>de</strong>rspruch zu <strong>de</strong>r Erklärung <strong>de</strong>s Kardinals<br />

A. G. Cicognani im päpstlichen Brief an Kardinal G. Siri<br />

(23.5.1964), daß die öffentliche Gewalt wesensgemäß nicht ge­<br />

eignet sei, „im Bereich <strong>de</strong>r inneren, geistigen Werte die Person<br />

zu ersetzen". 28 Leo XIII. lag natürlich daran, die „wahre" Reli­<br />

gion, nämlich die katholische, geschützt <strong>und</strong> geför<strong>de</strong>rt zu<br />

sehen. Dies ist selbstverständlich für einen Theologen römisch­<br />

katholischen Bekenntnisses <strong>und</strong> erst recht für <strong>de</strong>n Papst. Daran<br />

hat auch das II. Vaticanum nichts geän<strong>de</strong>rt. Entgegen <strong>de</strong>r Inter­<br />

pretation mancher Theologen han<strong>de</strong>lt es sich im II.Vaticanum<br />

nicht um einen Abschied von <strong>de</strong>r Lehre Leos XIII. Das II.Vati­<br />

canum hat in seiner Lehre von <strong>de</strong>r Religionsfreiheit lediglich die<br />

öffentlich-rechtliche Norm an<strong>de</strong>rs gesehen im Sinn <strong>de</strong>r positiv­<br />

rechtlichen Gleichstellung aller religiösen Uberzeugungen. Im<br />

übrigen wird ein kluger Staatsmann nur jenen Religionen freie<br />

2 7 Utz - von Galen XXI 26.<br />

2 8 Utz - von Galen XXII 28.<br />

468


Entfaltung gewähren, die staatserhaltend wirken, nicht aber<br />

z.B. solchen, die mit Waffengewalt ihre Ausbreitung suchen.<br />

Das Gemeinwohl ist als For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s Naturgesetzes wie<br />

dieses göttlicher Institution. Dies weil „Gott...die Menschen<br />

ihrer Natur nach als Gemeinschaftswesen geschaffen" hat. 29 An<br />

diese Norm ist die Staatsgewalt, die ihre Kompetenz von Gott<br />

erhalten hat, geb<strong>und</strong>en. Darum kann die gesetzgeberische<br />

Gewalt an sich alle natürlichen sittlichen Normen sanktionie­<br />

ren, wie Leo XIII. in <strong>de</strong>r Enzyklika „Libertas praestantissi-<br />

mum" (20.Juni 1888) erklärt. Die Gesetze <strong>de</strong>s Staates ver­<br />

pflichten darum im Gewissen, sofern sie <strong>de</strong>m natürlichen Sit­<br />

tengesetz entsprechen. 30 Die Eingrenzung <strong>de</strong>r Staatsgewalt ist<br />

damit nicht ausgeschlossen. 31 Doch ist die Parallelität von<br />

Pflichten <strong>de</strong>r Bürger <strong>und</strong> naturrechtlich begrün<strong>de</strong>ter Kompe­<br />

tenz <strong>de</strong>r Staatsgewalt beachtenswert. Im konkreten Staat ist die<br />

Staatsgewalt, zumin<strong>de</strong>st in allen pluralistischen Demokratien,<br />

rechtmäßig <strong>und</strong> völlig im Einklang mit <strong>de</strong>m naturrechtlichen<br />

Denken begrenzt, so daß in diesem Fall die Pflichten <strong>de</strong>r Bürger<br />

gegenüber <strong>de</strong>m Gemeinwohl umfangreicher sind als die Mög­<br />

lichkeit <strong>de</strong>s Eingriffs <strong>de</strong>r Staatsgewalt in das Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Bür­<br />

ger.<br />

Das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Handlungsordnung<br />

Bis dahin haben wir versucht, die Werte zusammenzustellen,<br />

die gemäß <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen im Gemeinwohl<br />

enthalten sind. Diese Analyse war insofern etwas kompliziert,<br />

als die Päpste die kirchliche Auffassung vom staatlichen<br />

Gemeinwohl stets vom Blickwinkel <strong>de</strong>r staatlichen Tätigkeit<br />

aus zum Ausdruck brachten. Dennoch gelang es, die rein<br />

ethische Bestimmung unter Abstraktion <strong>de</strong>r Verwirklichungs­<br />

weise zu fin<strong>de</strong>n. Natürlich kann das Gemeinwohl auch in seiner<br />

rein ethischen Gestalt konkret nicht ohne <strong>de</strong>n Blick auf die Ver­<br />

wirklichungsmöglichkeiten bestimmt wer<strong>de</strong>n. Darum wird da<br />

<strong>und</strong> dort in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen auf die gesell­<br />

schaftlichen <strong>und</strong> wirtschaftlichen Bedingungen als Element <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlbestimmung hingewiesen. Dieser Blick auf die<br />

2 9 Johanna XXIII, „Pacem in terris", Utz — von Galen XXVIII 139.<br />

3 0 „Pacem in terris", Utz - von Galen XXVIII 143.<br />

31 Utz - von Galen XXVIII 145.<br />

469


Exk. III konkreten Verhältnisse betrifft aber nur die inhaltliche Konkre­<br />

tisierung <strong>de</strong>s aus <strong>de</strong>r menschlichen Natur entnommenen<br />

Gemeinwohlbegriffs.<br />

In <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Handlungen innerhalb<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft steht die Überlegung am Anfang, wem die<br />

Priorität <strong>de</strong>r einzelnen Entscheidungen im Hinblick auf das<br />

Gemeinwohl zusteht. Hier erhält die Person einen be<strong>de</strong>utungs­<br />

vollen Akzent. Ihr <strong>und</strong> mit ihr <strong>de</strong>n von ihr begrün<strong>de</strong>ten<br />

Gemeinschaften steht die Priorität freien Han<strong>de</strong>lns zu. Der<br />

Staat hat dann nur die Bedingungen zu setzen, gemäß <strong>de</strong>nen die<br />

Person ihre Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung zu fin<strong>de</strong>n vermag. Im<br />

Zug <strong>de</strong>r Entwicklung <strong>de</strong>s pluralistischen Staates legen die<br />

päpstlichen Verlautbarungen zunehmend größeren Wert auf<br />

diesen Gesichtspunkt. Natürlich wird nach wie vor <strong>de</strong>m Staat<br />

die oberste Gewalt belassen, jene Aufgaben zu übernehmen,<br />

die durch die Eigeninitiative <strong>de</strong>r Bürger nicht erfüllt wer<strong>de</strong>n<br />

können. Hinsichtlich <strong>de</strong>r Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls än<strong>de</strong>rte<br />

sich in <strong>de</strong>r Soziallehre <strong>de</strong>r Kirche nichts, es wur<strong>de</strong> lediglich in<br />

<strong>de</strong>r Handlungsordnung die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprin-<br />

zips zunehmend unterstrichen.<br />

Im Bereich <strong>de</strong>r Handlungsnormen stehen die Institutionen<br />

o<strong>de</strong>r Maßnahmen, d.h. die Wirkkräfte im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong>, die<br />

notwendig sind, um <strong>de</strong>n Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rungen zu genügen.<br />

Die Wirken<strong>de</strong>n aber sind die Personen, nicht das Kollektiv, wie<br />

Pius XI. in seiner Ansprache an die Teilnehmer <strong>de</strong>s Pilgerzuges<br />

<strong>de</strong>s B<strong>und</strong>es christlicher Arbeiter Frankreichs (C. F.T. C.) in <strong>de</strong>r<br />

Audienz zum 18. September 1938 sagte: „Das Kollektiv selbst<br />

kann keine einzige persönliche Tätigkeit ausüben, es sei <strong>de</strong>nn<br />

über die Individuen, aus <strong>de</strong>nen es besteht: das ist eine evi<strong>de</strong>nte<br />

Wahrheit, aber eine Wahrheit, die in vielen Milieus nicht mehr<br />

anerkannt wird". 32 Die öffentliche Gewalt kann darum nichts<br />

besseres tun, als die Bedingungen <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens<br />

zu schaffen, welche die freie Entfaltung <strong>de</strong>r menschlichen Per­<br />

son gewährleisten. Deckt sich diese kausale Seite <strong>de</strong>r Gemein­<br />

wohlkonzeption völlig mit <strong>de</strong>m Begriff „Gemeinwohl", wie<br />

etwa O. von Nell-Breuning das Gemeinwohl <strong>de</strong>finierte als<br />

3 2 Utz - von Galen III 53.<br />

3 3 Zur christlichen Gesellschaftslehre, hg. von O. v. Nell-Breuning SJ <strong>und</strong><br />

Dr. H. Sacher, Freiburg i. Br. 1947. O. v. Nell-Breuning hat später diese Version<br />

korrigiert o<strong>de</strong>r ver<strong>de</strong>utlicht, vgl. <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit, Wien 1980,<br />

35f. (siehe weiter unten S.487).<br />

470


„Inbegriff aller Voraussetzungen (Einrichtungen) allgemeiner<br />

o<strong>de</strong>r öffentlicher Art, <strong>de</strong>ren es bedarf, damit die einzelnen als<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Gesellschaft ihre irdische Bestimmung zu erfüllen<br />

<strong>und</strong> durch Eigentätigkeit ihr irdisches Wohlergehen erfolgreich<br />

selber zu schaffen vermögen" ? Tatsächlich wird in <strong>de</strong>n päpstli­<br />

chen Verlautbarungen das Gemeinwohl nicht mit diesen organi­<br />

satorischen Bedingungen i<strong>de</strong>ntifiziert, vielmehr wer<strong>de</strong>n diese<br />

Bedingungen mit <strong>de</strong>m Selbstwert Gemeinwohl als notwendige<br />

Realisierungsfaktoren wirbegriffen. So <strong>de</strong>utlich A. G. Cigo-<br />

gnani in <strong>de</strong>m bereits zitierten Brief an Kardinal G. Siri. Nach­<br />

<strong>de</strong>m er zuerst hervorgehoben hatte, daß die „exakte Definition"<br />

"<strong>de</strong>s Gemeinwohls „die ständige Bezugnahme auf die mensch­<br />

liche Person" erfor<strong>de</strong>re, fährt er fort: „So zeichnet sich die Kom­<br />

plexität <strong>de</strong>s Gegenstan<strong>de</strong>s <strong>de</strong>s Gemeinwohls ab als eine Kom­<br />

plexität, die vor allem auf die Vielfalt <strong>de</strong>r im Gemeinwohlbegriff<br />

im Hinblick auf die vollkommene Entfaltung <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Persönlichkeit konkret beschlossenen Elemente zurückzufüh­<br />

ren ist". 34 Ebenso in <strong>de</strong>r Patoralkonstitution „Gaudium et spes"<br />

<strong>de</strong>s II.Vatikanischen Konzils: „Die einzelnen, die Familien <strong>und</strong><br />

die verschie<strong>de</strong>nen Gruppen, aus <strong>de</strong>nen sich die politische<br />

Gemeinschaft zusammensetzt, wissen, daß sie allein nicht<br />

imstan<strong>de</strong> sind, alles das zu leisten, was zu einem in je<strong>de</strong>r Rich­<br />

tung menschlichen Leben gehört. Sie erfassen die Notwendig­<br />

keit einer umfassen<strong>de</strong>ren Gesellschaft, in <strong>de</strong>r alle täglich ihre<br />

eigenen Kräfte zusammen zur ständig besseren Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls (= Wert, A. F. U.) einsetzen. So begrün<strong>de</strong>n<br />

sie <strong>de</strong>nn die politische Gemeinschaft in ihren verschie<strong>de</strong>nen<br />

Formen. Die politische Gemeinschaft besteht also um dieses<br />

Gemeinwohls (= Wert, A.F. U.) willen; in ihm hat sie ihre<br />

letztgültige <strong>Recht</strong>fertigung <strong>und</strong> ihren Sinn, aus ihm leitet sie ihr<br />

urspriinglich.es Eigenrecht ab. Das Gemeinwohl aber begreift in<br />

sich (complectitur) die Summe aller jener Bedingungen gesell­<br />

schaftlichen Lebens, die <strong>de</strong>n Einzelnen, <strong>de</strong>n Familien <strong>und</strong><br />

gesellschaftlichen Gruppen ihre eigene Vervollkommnung vol­<br />

ler <strong>und</strong> ungehin<strong>de</strong>rter zu erreichen gestatten". 35 In diesem Sinn<br />

erhält also <strong>de</strong>r Begriff „Gemeinwohl" einen umfassen<strong>de</strong>ren<br />

Sinn: Gemeinwohl als Wert <strong>und</strong> Gemeinwohlinstitutionen. In<br />

<strong>de</strong>m aus „Gaudium et spes" zitierten Text wird auf einen Passus<br />

Utz - von Galen XXII 25.<br />

Utz - von Galen IV 795.<br />

471


in „Mater et Magistra" hingewiesen, <strong>de</strong>r die Komplexität <strong>de</strong>s<br />

gebrauchten Gemeinwohlbegriffes noch <strong>de</strong>utlicher zum Aus­<br />

druck bringt: „Dieses (das Gemeinwohl, A. F. U.) begreift in<br />

sich ja <strong>de</strong>n Inbegriff jener gesellschaftlichen Voraussetzungen,<br />

die <strong>de</strong>n Menschen die volle Entfaltung ihrer Werte ermöglichen<br />

o<strong>de</strong>r erleichtern. Außer<strong>de</strong>m halten Wir es für notwendig, daß<br />

die leistungsgemeinschaftlichen Gebil<strong>de</strong> sowie die vielfachen<br />

Unternehmungen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r Vergesellschaftungsprozeß sich<br />

vorzugsweise abspielt, sich wirklich kraft eigenen <strong>Recht</strong>es ent­<br />

wickeln können <strong>und</strong> daß die Verfolgung ihrer Interessen im<br />

Einklang mit <strong>de</strong>m Gemeinwohl bleibt". Zweimal wird hier<br />

vom Gemeinwohl gesprochen, im Sinn <strong>de</strong>r gesellschaftlichen<br />

Voraussetzungen <strong>und</strong> im Sinn <strong>de</strong>s Gemeinwohls als eines Wer­<br />

tes, mit <strong>de</strong>m die Aktivität <strong>de</strong>r einzelnen Gruppen in Einklang<br />

stehen soll. Der Gebrauch <strong>de</strong>s komplexen Begriffes Gemein­<br />

wohl (Wert <strong>und</strong> Bedingungen) kann natürlich <strong>de</strong>n Urbegriff<br />

von Gemeinwohl (Wert) nicht austilgen. Dieser behält in <strong>de</strong>n<br />

päpstlichen Texten vielmehr seine Eigenständigkeit, wie die ver­<br />

schie<strong>de</strong>nen schon zitierten Texte beweisen. Denn ohne diesen<br />

Wertbegriff gibt es keine echte Integration <strong>de</strong>r Einzelleistungen<br />

in das Gesellschaftsganze, wie aus <strong>de</strong>m Brief „Octogesima<br />

adveniens" Pauls VI. (14.5.1971) hervorgeht: „In diese umfas­<br />

sen<strong>de</strong> Gemeinschaft (politische Gemeinschaft, A. F. U.) ist die<br />

Leistung <strong>de</strong>r einzelnen einzuglie<strong>de</strong>rn; eben damit wird sie auf<br />

das Gemeinwohl hingeordnet". 37<br />

Das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

<strong>und</strong> das ihm entsprechen<strong>de</strong> Subsidiaritätsprinzip<br />

Wie weitreichend <strong>und</strong> umfassend <strong>de</strong>r Begriff <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls gemäß <strong>de</strong>r päpstlichen Lehre sein kann, läßt sich nicht<br />

besser darstellen als durch die kirchliche Auffassung vom<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche <strong>und</strong> von <strong>de</strong>m diesem Gemeinwohl ent­<br />

sprechen<strong>de</strong>n Subsidiaritätsprinzip. Es war bereits davon die<br />

Re<strong>de</strong>, daß selbst das staatliche Gemeinwohl gemäß <strong>de</strong>n päpstli­<br />

chen Texten an sich <strong>de</strong>n ganzen Menschen mit seinem materiel­<br />

len <strong>und</strong> geistigen Wohl umfaßt. Und es wur<strong>de</strong> auch berichtet,<br />

daß gemäß <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>n Päpsten gehaltenen naturrechtlichen<br />

472<br />

Utz - von Galen IV 260.<br />

Utz - von Galen IV 917.


Auffassung die obrigkeitliche Gewalt an sich, d. h. gemäß <strong>de</strong>r Exk. III<br />

Staatsi<strong>de</strong>e, kompetent ist, moralische Handlungen gesetzlich<br />

zu sanktionieren, so daß eine Parallelität besteht zwischen <strong>de</strong>n<br />

Pflichten <strong>de</strong>s Bürgers im Hinblick auf das Gemeinwohl <strong>und</strong> <strong>de</strong>r<br />

gesetzgeberischen Kompetenz <strong>de</strong>r obrigkeitlichen Gewalt. In<br />

<strong>de</strong>r konkreten Wirklichkeit gibt es aber <strong>de</strong>n Staat nicht, <strong>de</strong>r<br />

sämtliche Bedingungen <strong>de</strong>r Staatsi<strong>de</strong>e erfüllte. Es gibt darum<br />

auch nicht die <strong>de</strong>r Staatsi<strong>de</strong>e entsprechen<strong>de</strong> Gewalt. Außer<strong>de</strong>m<br />

besitzt kein Träger <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt das einer umfassen­<br />

<strong>de</strong>n moralischen Kompetenz entsprechen<strong>de</strong> Wissen. Der recht­<br />

liche Vorrang <strong>de</strong>r Eigeninitiative <strong>de</strong>s Individuums in <strong>de</strong>r Hand­<br />

lungsordnung (Subsidiarität als rechtliches Prinzip) ist gera<strong>de</strong><br />

durch diese Tatsache begrün<strong>de</strong>t. Die Berufung auf die Freiheit<br />

allein reicht nicht aus. Sonst hätte die staatliche Gewalt über­<br />

haupt keine Kompetenz, die Freiheit um <strong>de</strong>s Gemeinwohls wil­<br />

len zu beschränken.<br />

Natürlich soll in je<strong>de</strong>r Gesellschaft, wie immer sie sich nen­<br />

nen mag, das Subsidiaritätsprinzip seine Geltung haben, d. h. es<br />

soll <strong>de</strong>m einzelnen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r von ihm gegrün<strong>de</strong>ten Gruppe die<br />

freie Initiative gewährt bleiben, jene Aufgaben zu übernehmen,<br />

zu <strong>de</strong>nen er o<strong>de</strong>r die Gruppe im Rahmen <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

befähigt ist. Doch stellt sich die Frage, wer eigentlich bestimmt,<br />

inwieweit <strong>de</strong>r einzelne o<strong>de</strong>r die Gruppe „befähigt" ist, die vom<br />

Gemeinwohl gefor<strong>de</strong>rte Leistung zu erbringen. In <strong>de</strong>r Familie<br />

ist es gemäß <strong>de</strong>r kirchlichen Lehre <strong>de</strong>r Vater, <strong>de</strong>r um das<br />

Gemeinwohl <strong>de</strong>r Familie wissen muß. Das Subsidiaritätsprin­<br />

zip ist <strong>de</strong>mnach in <strong>de</strong>r Familie ein pädagogisches o<strong>de</strong>r morali­<br />

sches Prinzip. An<strong>de</strong>rs im Staat, in <strong>de</strong>m es ein subjektives <strong>Recht</strong><br />

zum Ausdruck bringt. Hier hat <strong>de</strong>r einzelne gegen das ver­<br />

meintliche Besserwissen <strong>de</strong>s Trägers <strong>de</strong>r Gewalt das Vorrecht,<br />

als Erstursache <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinwohls betrach­<br />

tet zu wer<strong>de</strong>n. Das von <strong>de</strong>n Päpsten so vielseitig angerufene<br />

Subsidiaritätsprinzip als rechtliche Verteilungsnorm <strong>de</strong>r Hand­<br />

lungskompetenz bezieht sich aus diesem Gr<strong>und</strong> stets auf die<br />

Gemeinwohlverwirklichung im Staat.<br />

In <strong>de</strong>r Kirche als <strong>de</strong>m mystischen Leib Christi ist <strong>de</strong>r getaufte<br />

Mensch bis in die letzten Fasern seines Seins <strong>de</strong>r kirchlichen<br />

Gemeinschaft inkorporiert. Die Kirche ist aufgr<strong>und</strong> ihrer göttli­<br />

chen Einsetzung die Institution, in welcher <strong>de</strong>r Mensch sein<br />

letztgültiges Heil fin<strong>de</strong>t. Der totalen Inkorporation <strong>de</strong>s einzel­<br />

nen in die Gemeinschaft <strong>de</strong>r Kirche entspricht darum auch ein<br />

473


Exk. III totales Regime. Dies hat Pius XI. in seiner Ansprache an die<br />

Teilnehmer <strong>de</strong>s Pilgerzuges <strong>de</strong>s B<strong>und</strong>es christlicher Arbeiter<br />

Frankreichs (18.9.1938) unmißverständlich zum Ausdruck<br />

gebracht: „Wenn es ein totalitäres Regime gibt —<strong>de</strong> facto <strong>und</strong> <strong>de</strong><br />

jure totalitär —, so ist es das Regime <strong>de</strong>r Kirche, <strong>de</strong>nn <strong>de</strong>r<br />

Mensch ist ein Geschöpf Gottes, er ist <strong>de</strong>r Preis <strong>de</strong>r göttlichen<br />

Erlösung, er ist <strong>de</strong>r Diener Gottes, dazu bestimmt, für Gott hier<br />

unten <strong>und</strong> mit ihm im Himmel zu leben. Und Repräsentant <strong>de</strong>r<br />

I<strong>de</strong>en, <strong>de</strong>r Gedanken <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>e Gottes ist nur die Kirche.<br />

Daher hat die Kirche wirklich das <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> die Pflicht, eine<br />

totale Macht über die einzelnen zu beanspruchen: <strong>de</strong>r ganze<br />

Mensch, <strong>de</strong>r Mensch voll <strong>und</strong> ganz, gehört <strong>de</strong>r Kirche, weil er<br />

ganz Gott gehört. Es gibt überhaupt keinen Zweifel hierüber<br />

für je<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r nicht alles leugnen, alles ablehnen will". 38<br />

Wie steht es nun bei dieser Sachlage um das Subsidiaritäts­<br />

prinzip in <strong>de</strong>r Kirche? In seiner Ansprache an das Heilige Kol­<br />

legium aus Anlaß <strong>de</strong>r Inthronisation <strong>de</strong>r neuen Kardinäle<br />

(20.2.1946) kommt Pius XII. auf diese Frage zu sprechen.<br />

Bezugnehmend auf „Quadragesimo anno" erklärt er: „alle so­<br />

ziale Tätigkeit (gemeint ist „alle obrigkeitliche Tätigkeit", <strong>de</strong>nn<br />

sonst hätte <strong>de</strong>r Satz keinen Sinn, A. F. U.) ist ihrer Natur gemäß<br />

subsidiär; sie (die obrigkeitliche Tätigkeit, A. F. U.) soll die<br />

Glie<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals<br />

zerschlagen o<strong>de</strong>r aufsaugen. Wahrhaft leuchten<strong>de</strong> Worte, die für<br />

das soziale Leben in allen seinen Stufungen gelten, auch für das<br />

Leben <strong>de</strong>r Kirche, ohne Nachteil für <strong>de</strong>ren hierarchische Struk­<br />

tur". 39<br />

Das Subsidiaritätsprinzip kann aber in <strong>de</strong>r Kirche nicht das­<br />

selbe sein wie im Staat. In einem göttlich eingesetzen „totalitä­<br />

ren" Regime wirkt eine göttliche Führung. Der Träger <strong>de</strong>r gött­<br />

lichen Autorität entschei<strong>de</strong>t nicht nur im Sinn einer Frie<strong>de</strong>ns­<br />

ordnung, er verkün<strong>de</strong>t auch <strong>und</strong> zuallererst die Wahrheit. So<br />

kann das Subsidiaritätsprinzip nur als pädagogische o<strong>de</strong>r mora­<br />

lische Anweisung an <strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r die Träger <strong>de</strong>r kirchlichen Autori­<br />

tät verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n, die mündigen Gläubigen in <strong>de</strong>n Dienst<br />

<strong>de</strong>r Wahrheit miteinzubeziehen. In diesem Sinn ist die Anwei­<br />

sung Pius'XII., das Laienapostolat in <strong>de</strong>r kirchlichen Tätigkeit<br />

einzuschalten, zu verstehen: „Auch hier möge die kirchliche<br />

474<br />

Utz — von Galen III 55.<br />

Utz - Groner 4094.


Autorität das allgemein gültige Prinzip <strong>de</strong>r Subsidiarität <strong>und</strong> Exk. III<br />

gegenseitigen Ergänzung anwen<strong>de</strong>n. Man möge <strong>de</strong>n Laien die<br />

Aufgaben anvertrauen, die sie ebensogut o<strong>de</strong>r selbst besser als<br />

<strong>de</strong>r Priester erfüllen können. Sie sollen in <strong>de</strong>n Grenzen ihrer<br />

Funktion <strong>und</strong> <strong>de</strong>njenigen, die das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

ihnen zieht, frei han<strong>de</strong>ln <strong>und</strong> ihre Verantwortung auf sich neh­<br />

men können". 40<br />

Zusammenfassung<br />

l.Die kirchlichen Dokumente enthalten keine allgemeine<br />

Lehre über das Gemeinwohl. Die Verlautbarungen beziehen<br />

sich vornehmlich auf <strong>de</strong>n Staat, wie er existiert, die Weltgemein­<br />

schaft o<strong>de</strong>r die Kirche.<br />

2. In <strong>de</strong>n meisten Texten stehen die Äußerungen über das<br />

Gemeinwohl im Zusammenhang mit <strong>de</strong>r Kompetenz <strong>de</strong>s Staa­<br />

tes (o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Kirche) hinsichtlich <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>r Entschei­<br />

dungsrechte (Subsidiaritätsprinzip). Dadurch wird die Gemein­<br />

wohllehre komplex, nämlich bezogen auf die Werte, die im<br />

Gemeinwohl enthalten sind, wie auch auf die Ordnung <strong>de</strong>r<br />

Kausalitäten, von <strong>de</strong>nen die Verwirklichung <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

werte abhängt.<br />

3. Die konkrete Bestimmung <strong>de</strong>s Gemeinwohls kann nur<br />

erfolgen, in<strong>de</strong>m man die konkreten Verhältnisse wirtschaftli­<br />

cher, sozialer <strong>und</strong> kultureller Art in Betracht zieht. Diese<br />

Betrachtung schließt naturgemäß die eventuell vorzusehen<strong>de</strong>n<br />

institutionellen Maßnahmen mit ein. Die konkrete Ausformung<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls ist darum immer komplex. In mehreren Tex­<br />

ten wird bei <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls außer auf die<br />

Natur <strong>de</strong>s Menschen auch auf die gegebenen Verhältnisse<br />

Bezug genommen.<br />

4. Dennoch lassen sich die Gemeinwohlwerte, also das, was<br />

im eigentlichen <strong>und</strong> letzten Sinn entsprechend <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Natur Gemeinwohl zu be<strong>de</strong>uten hat, herausschälen. Dies<br />

geschieht durch die Betrachtung <strong>de</strong>r Pflichten, die gemäß <strong>de</strong>n<br />

Texten <strong>de</strong>r einzelne gegenüber <strong>de</strong>m Gemeinwohl zu erfüllen<br />

hat, nicht aber durch die Betrachtung <strong>de</strong>ssen, was <strong>de</strong>m Staat,<br />

beson<strong>de</strong>rs <strong>de</strong>m pluralistischen Staat, in <strong>de</strong>r Handlungsordnung<br />

zusteht. Es ist daher nicht korrekt, das Gemeinwohl <strong>de</strong>r katho-<br />

Utz - Groner 5992.<br />

475


Exk. III lischen Soziallehre lediglich in <strong>de</strong>n Bedingungen <strong>und</strong> Vorausset­<br />

zungen zu sehen, gemäß welchen <strong>de</strong>r einzelne seine persönliche<br />

Entfaltung <strong>und</strong> Vollendung zu fin<strong>de</strong>n vermag.<br />

5. Da die im Gemeinwohl beschlossenen Pflichten persona­<br />

ler Natur sind, hat <strong>de</strong>r Staat sie in seinen Maßnahmen zu<br />

berücksichtigen, in<strong>de</strong>m er <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Freiheitsraum<br />

garantiert o<strong>de</strong>r unter Umstän<strong>de</strong>n in eigener Tätigkeit jene Auf­<br />

gaben übernimmt, die <strong>de</strong>r einzelne nicht zu leisten vermag. Aus<br />

diesem Gr<strong>und</strong> gehören die institutionellen, organisatorischen<br />

Elemente in <strong>de</strong>n Rahmen <strong>de</strong>r Verwirklichung <strong>de</strong>r Gemeinwohl­<br />

werte. Sie sind, obwohl engstens mit <strong>de</strong>n Gemeinwohlwerten<br />

verb<strong>und</strong>en, nicht als das Gemeinwohl zu bezeichnen. Die<br />

päpstlichen Verlautbarungen nennen sie daher stets nur im Zu­<br />

sammenhang mit <strong>de</strong>m eigentlichen Gemeinwohl, <strong>de</strong>m sie zu<br />

dienen haben.<br />

6. Die Gesellschaft ist als Institution <strong>de</strong>r Menschen zu<br />

betrachten, so sehr sie durch die Natur <strong>de</strong>s Menschen gefor<strong>de</strong>rt<br />

sein mag. Sie befin<strong>de</strong>t sich im Raum <strong>de</strong>r Kausalitäten <strong>de</strong>r<br />

Gemeinwohlverwirklichung. Deshalb gilt, daß die Gesellschaft<br />

um <strong>de</strong>s Menschen (<strong>de</strong>r Personen) willen da ist, nicht umge­<br />

kehrt. Es gilt aber nicht, daß das Gemeinwohl um <strong>de</strong>s Men­<br />

schen willen sei, weil im Gemeinwohl die Personen mit allen<br />

ihren <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Pflichten eingeschlossen sind. Dies erhellt<br />

aus jenen Texten, in <strong>de</strong>nen erklärt wird, daß <strong>de</strong>r Mensch mit sei­<br />

nem gesamten Tugendleben <strong>de</strong>m Gemeinwohl zu dienen habe.<br />

7. Das Gemeinwohl wird somit als höchste moralische Norm<br />

<strong>de</strong>r Integration <strong>de</strong>s gesamten Lebens <strong>de</strong>r Personen betrachtet.<br />

Es gibt keinen Lebensraum, <strong>de</strong>r sich dieser Integration entzie­<br />

hen dürfte. Das naturgegebene Gemeinwohl ist göttlicher Ein­<br />

setzung.<br />

8. Selbst auch die Religion hat ihren Platz im Gemeinwohl.<br />

Auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Verwirklichung hat darum <strong>de</strong>r Staat die<br />

Pflicht, die Freiheit <strong>de</strong>r Religion zu respektieren <strong>und</strong> sie als ein<br />

wichtiges Element <strong>de</strong>s gesellschaftlichen Lebens zu betrachten,<br />

ohne jedoch ein religiöses Bekenntnis vorschreiben zu können.<br />

9. Da das durch die Natur <strong>de</strong>s Menschen gefor<strong>de</strong>rte Gemein­<br />

wohl Gegenstand <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Autorität ist, kann die<br />

staatliche Gewalt, die ihre Autorität von Gott erhält <strong>und</strong> somit<br />

im Gewissen zu verpflichten vermag, an sich alle im Gemein­<br />

wohl enthaltenen Werte gesetzlich sanktionieren, soweit diese<br />

in äußerlich erkennbaren Handlungen in Erscheinung treten.<br />

476


Dies besagt jedoch nicht, daß die Staatsgewalt zur Unterschei- Exk. III<br />

dung von gut <strong>und</strong> böse berechtigt wäre, da diese Unterschei­<br />

dung bereits im Naturgesetz erfolgt, das durch die Vernunft<br />

erkennbar ist. Die Bürger haben das <strong>Recht</strong>, die Staatsform zu<br />

bestimmen <strong>und</strong> ihre Regierung zu wählen. Sie können somit<br />

<strong>de</strong>n Umfang sowie die Art <strong>und</strong> Weise <strong>de</strong>r Gewaltanwendung<br />

begrenzen.<br />

10. Im Staat hält sich die Regierung im Sinn <strong>de</strong>s Subsidiari­<br />

tätsprinzips mit eigener Tätigkeit zurück, um das Handlungs­<br />

vorrecht <strong>de</strong>s einzelnen nicht zu beschnei<strong>de</strong>n. Wenngleich die<br />

Regierung immer ein wenigstens allgemein gehaltenes Gesell­<br />

schaftskonzept braucht, so ist sie doch darauf angewiesen, mit<br />

<strong>de</strong>r Konkretisierung <strong>de</strong>r Gemeinwohl<strong>de</strong>finition abzuwarten,<br />

bis sie um die Leistungsfähigkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>n Leistungswillen <strong>de</strong>r<br />

einzelnen weiß. Sie kann <strong>de</strong>n Konsens mit rechtlichen Mitteln<br />

nicht produzieren, son<strong>de</strong>rn höchstens weitsichtig moralisch sti­<br />

mulieren. An<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Kirche. Hier ist <strong>de</strong>r Konsens durch das<br />

Lehramt vorbestimmt. Das vom kirchlichen Lehramt <strong>de</strong>finierte<br />

Gemeinwohl verpflichtet die Gläubigen zur Annahme. In <strong>de</strong>r<br />

Handlungsordnung wird das Subsidiaritätsprinzip insofern<br />

angewandt, als das kirchliche Lehramt <strong>de</strong>n Gläubigen die Initia­<br />

tive in <strong>de</strong>r Gestaltung <strong>de</strong>s kirchlichen Lebens überläßt.<br />

4. DIE PHILOSOPHISCHE UND THEOLOGISCHE INTERPRETATION<br />

DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER KIRCHLICHEN SOZIALLEHRE<br />

Das Objekt <strong>de</strong>r Interpretation<br />

In <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen fin<strong>de</strong>t man, wie öfters<br />

betont, keine Systematik <strong>de</strong>r Gemeinwohllehre. Allerdings<br />

wer<strong>de</strong>n alle dazu gehörigen Elemente aufgeführt. Doch darf<br />

man von <strong>de</strong>n Päpsten keinen systematischen Traktat erwarten,<br />

da alle päpstlichen Schreiben sich stets an einen bestimmten<br />

Kreis wen<strong>de</strong>n <strong>und</strong> sich zu einem bestimmten Fragekomplex<br />

äußern. Eine eigentliche Gemeinwohltheorie müßte mit einer<br />

begrifflichen Analyse <strong>de</strong>ssen beginnen, was man immer <strong>und</strong><br />

überall mit <strong>de</strong>m Namen „Gemeinwohl" verbin<strong>de</strong>t. Es wür<strong>de</strong><br />

sich hierbei um eine allgemeine Bestimmung <strong>de</strong>s Begriffes<br />

Gemeinwohl han<strong>de</strong>ln, <strong>de</strong>r über <strong>de</strong>n Anwendungen auf Staat,<br />

Gruppe o<strong>de</strong>r Kirche steht. Auf dieser höchsten Ebene <strong>de</strong>r<br />

Abstraktion liegt die Unterscheidung in ein Gemeinwohl, das<br />

477


Exk. III an sich ein Einzelwohl ist, sich aber in mehreren fin<strong>de</strong>t, <strong>und</strong><br />

ein Gemeinwohl, das im wahren Sinn kollektiver Natur ist. Die<br />

kirchlichen Verlautbarungen streifen diese Seite <strong>de</strong>s Problems<br />

bei ihrer Ablehnung <strong>de</strong>r altliberalen Konzeption, gemäß <strong>de</strong>r das<br />

Gemeinwohl lediglich die Summe aller Einzelwohle ist. Die<br />

kirchliche Soziallehre betont stets die allen Einzelmenschen<br />

übergeordnete Stellung <strong>de</strong>s Gemeinwohls. Wie gezeigt wer<strong>de</strong>n<br />

wird, suchen alle Interpreten diese Überordnung zu retten,<br />

allerdings mit verschie<strong>de</strong>ner Begründung <strong>und</strong> verschie<strong>de</strong>nen<br />

erkenntnistheoretischen Voraussetzungen.<br />

Das Problem besteht nun darin, ob diese Überordnung<br />

apriorisch ist, so daß das Einzelwohl überhaupt nicht gedacht<br />

wer<strong>de</strong>n kann ohne Integration ins Gemeinwohl, o<strong>de</strong>r ob das<br />

Gemeinwohl nur aufgr<strong>und</strong> einer physischen Notwendigkeit<br />

gefor<strong>de</strong>rt ist, weil <strong>de</strong>r einzelne sein Wohl an<strong>de</strong>rs nicht fin<strong>de</strong>n<br />

wür<strong>de</strong>. Man könnte diesen Unterschied auch mit <strong>de</strong>r Frage<br />

kennzeichnen: Ist die Individualethik nur verständlich durch<br />

die Einordnung in eine umfassen<strong>de</strong> Sozialethik o<strong>de</strong>r ist die So­<br />

zialethik ein Annex bzw. eine Erweiterung <strong>de</strong>r Individualethik<br />

aus <strong>de</strong>r Erkenntnis heraus, daß die volle Entfaltung <strong>de</strong>r indivi­<br />

duellen Moral gesellschaftlicher Hilfe bedarf? Man könnte das<br />

Problem auch so formulieren: Ist das Gemeinwohl für je<strong>de</strong>s In­<br />

dividuum ein a priori vorgegebener Wert, o<strong>de</strong>r schaffen die<br />

Menschen aufgr<strong>und</strong> ihrer Bedürftigkeit <strong>de</strong>n gemeinsamen<br />

Wert? Im ersten Fall (a priori vorgegebener Wert) wäre die<br />

Erkenntnis <strong>de</strong>r Bedürftigkeit <strong>de</strong>s Individuums nur eine Bestäti­<br />

gung dafür, daß <strong>de</strong>r Mensch sich in die übergeordnete Norm<br />

integrieren soll, im zweiten Fall besteht das Gemeinwohl nur<br />

insofern zu <strong>Recht</strong>, als die Bedürftigkeit <strong>de</strong>s Menschen es erfor­<br />

<strong>de</strong>rt. Im zweiten Fall müßte man, um zu einer echt universalen<br />

Norm zu kommen, empirisch nachweisen, daß je<strong>de</strong>s Indivi­<br />

duum in je<strong>de</strong>r Hinsicht in allen Zeiten <strong>de</strong>r Mithilfe bedürftig ist.<br />

Die übergeordnete Norm bliebe aber in ihrem innersten Wesen<br />

eine individualethische Norm, weil immer entnommen aus<br />

einem individuellen Phänomen.<br />

Die Ansichten <strong>de</strong>r Interpreten gehen hauptsächlich bezüg­<br />

lich <strong>de</strong>r Beantwortung <strong>de</strong>r Frage auseinan<strong>de</strong>r, welche menschli­<br />

chen Werte in <strong>de</strong>m Gemeinwohlbegriff „kollektiviert" wer<strong>de</strong>n<br />

können. Man könnte meinen, diese Auseinan<strong>de</strong>rsetzung sei<br />

spitzfindig <strong>und</strong> von wenig praktischem Belang für die konkrete<br />

Bestimmung <strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt. Dennoch hat, was<br />

478


noch zu beweisen sein wird, diese theoretische Auseinan<strong>de</strong>rset­<br />

zung Folgen für die Bewertung <strong>de</strong>r Maßnahmen, Bedingungen<br />

<strong>und</strong> Voraussetzungen <strong>de</strong>r Gemeinwohlverwirklichung in <strong>de</strong>r<br />

Handlungsordnung. Schon aus <strong>de</strong>m, was über die Familie <strong>und</strong><br />

die Kirche gesagt wor<strong>de</strong>n ist, vermag man leicht zu erkennen,<br />

daß es nicht einerlei ist, welche Werte man auf <strong>de</strong>r ersten Etappe<br />

in die Gemeinwohl<strong>de</strong>finition einsetzt.<br />

Bezüglich <strong>de</strong>r Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls gibt es unter <strong>de</strong>n<br />

katholischen Interpreten hauptsächlich drei systematische Be­<br />

gründungen. Man kann diese mit <strong>de</strong>m Namen von drei Autoren<br />

benennen: Thomas von Aquin, Gustav G<strong>und</strong>lach S/<strong>und</strong> Johan­<br />

nes Messner. Ob bewußt o<strong>de</strong>r unbewußt halten sich alle übrigen<br />

Interpreten an eine dieser drei Richtungen. 41<br />

a) Das Gemeinwohl bei Thomas von Aquin<br />

Thomas von Aquin hat keine systematische Darstellung sei­<br />

ner Gemeinwohllehre geboten. Man muß seine verschie<strong>de</strong>nen<br />

Aussagen mit seiner gesamten Vorstellung <strong>de</strong>r Weltordnung, mit<br />

seiner Erklärung <strong>de</strong>s göttlichen Schöpferwillens, mit seiner<br />

Naturrechtslehre, beson<strong>de</strong>rs mit seiner Auffassung vom Verhält­<br />

nis zwischen <strong>de</strong>r Wesensnatur <strong>und</strong> <strong>de</strong>m Individuum, also seiner<br />

Erkenntnislehre in Verbindung bringen. Sonst versteht man ihn<br />

falsch. Der heute öfters unternommene Versuch, die Kantsche<br />

Freiheitsvorstellung in verschie<strong>de</strong>ne, aus <strong>de</strong>m großen Kontext<br />

gerissene Texte hineinzuinterpretieren, ist eine völlige Verken­<br />

nung <strong>de</strong>r großen philosophischen <strong>und</strong> theologischen Zusam­<br />

menhänge, in die Thomas seine einzelnen Traktate hineinge­<br />

stellt hat.<br />

Das Verhältnis von menschlicher Wesensnatur <strong>und</strong> individu­<br />

eller Natur fußt auf <strong>de</strong>r thomasischen Abstraktionslehre. Diese<br />

ist nicht, wie oft erklärt wird, einfach eine Übernahme <strong>de</strong>r ari­<br />

stotelischen Erkenntnistheorie. Vielmehr grün<strong>de</strong>t sie in <strong>de</strong>r<br />

thomasischen Analyse <strong>de</strong>r Schöpfung. Gott kann in <strong>de</strong>r Schöp­<br />

fung nur das Abbild seiner eigenen Vollkommenheit suchen.<br />

In <strong>de</strong>m Artikel „Johannes Messners Konzeption <strong>de</strong>r Sozialphilosophie" in:<br />

„Das Neue Naturrecht, Die Erneuerung <strong>de</strong>r Naturrechtslehre durch Johannes<br />

Messner", hsg. von A. Klose, H. Schambeck <strong>und</strong> R.Weiler, Berlin 1985,<br />

21—62, habe ich die Konzeption Messners im Vergleich zu Thomas von<br />

Aquin <strong>und</strong> G. G<strong>und</strong>lach dargestellt. Hier eine zusammenfassen<strong>de</strong> <strong>und</strong> zugleich<br />

ergänzen<strong>de</strong> Darstellung.<br />

479


Exk. III Um die Vollkommenheit <strong>de</strong>s Schöpfers auch nur an<strong>de</strong>utungs­<br />

weise wi<strong>de</strong>rzuspiegeln, brauchte es eine Vielfalt von Wesen.<br />

Alle geschaffenen Wesen sind also durch die Schöpfung in einer<br />

Einheit o<strong>de</strong>r, wie Thomas sagt, in einem Gemeinwohl kollektiv<br />

verb<strong>und</strong>en. Dieses Gemeinwohl ist Gott, <strong>de</strong>ssen Vollkommen­<br />

heit alle Wesen darstellen sollen. Gott ist das Ziel aller<br />

Geschöpfe. Diese Finalisierung drückt Thomas dadurch aus,<br />

daß er sagt: „ein einzelnes Wesen liebt sein eigenes Wohl um <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls <strong>de</strong>s gesamten Alls willen, das Gott ist. 42<br />

Man darf sich diese Weltsicht nicht pantheistisch vorstellen.<br />

Gott bleibt <strong>de</strong>r von <strong>de</strong>r Welt getrennte Schöpfer. Alle Kreaturen<br />

„streben" als Verursachte zu ihm als ihrer Ursache <strong>und</strong> ihrem<br />

Erhalter. Dieses Streben ist ontologisch, d. h. im Sein zu sehen<br />

im Sinn <strong>de</strong>r immanenten Relation <strong>de</strong>s geschaffenen Seins zum<br />

ungeschaffenen <strong>und</strong> allverursachen<strong>de</strong>n. Unter diesem Ge­<br />

sichtspunkt ist Gott das gemeinsame Wohl aller Kreaturen. Er<br />

ist aber weiterhin das <strong>de</strong>r Welt immanente Gemeinwohl, inso­<br />

fern er sich im Gesamt <strong>de</strong>r Schöpfung abgebil<strong>de</strong>t hat, so daß<br />

je<strong>de</strong>s Geschöpf einen Teil <strong>de</strong>r göttlich gewollten Ordnung dar­<br />

stellt. Das ist keine Mystik. Es han<strong>de</strong>lt sich auch nicht um eine<br />

neue Version <strong>de</strong>r Hierarchie <strong>de</strong>r Kräfte nach <strong>de</strong>r Darstellung<br />

<strong>de</strong>s Pseudo-Dionysius Areopagita, so sehr Thomasdiese gekannt<br />

<strong>und</strong> auch geschätzt hat. Vielmehr analysiert Thomas <strong>de</strong>n Vor­<br />

gang <strong>de</strong>s göttlichen Schöpfungsaktes, <strong>de</strong>r nicht einzig in einem<br />

Wollen sich vollzog, son<strong>de</strong>rn von einer I<strong>de</strong>e geleitet sein mußte.<br />

An<strong>de</strong>rs kann man sich das Wirken Gottes als eines persönlichen<br />

Wesens nicht vorstellen. Man muß darum bei <strong>de</strong>r Vielfalt <strong>de</strong>r<br />

Geschöpfe einen einsichtigen Gr<strong>und</strong> dafür fin<strong>de</strong>n, daß alle<br />

Geschöpfe notwendigerweise ihr Ziel in <strong>de</strong>m absoluten Wesen<br />

Gott haben. Diese Überlegungen sind nicht übernatürlicher<br />

Art. Sie gehören zur rationalen Theodizee. Gemäß <strong>de</strong>r kirchli­<br />

chen Lehre ist die Vernunft befähigt, Gottes Existenz aus <strong>de</strong>r<br />

Schöpfung zu erkennen. Thomas hat <strong>de</strong>n Ansatz seiner<br />

Gemeinwohl<strong>de</strong>finition in <strong>de</strong>m rational erkennbaren Verhältnis<br />

<strong>de</strong>s Schöpfers zur Schöpfung gef<strong>und</strong>en. Dieser Ansatz ist<br />

be<strong>de</strong>utsam, weil er <strong>de</strong>n Sachverhalt, <strong>de</strong>r zur Existenz <strong>de</strong>s ersten<br />

<strong>und</strong> obersten Gemeinwohls führt, ins Blickfeld rückt.<br />

4 2 S.Theol. I—II 109,3. Die verschie<strong>de</strong>nen Thomastexte zum Gemeinwohl sind<br />

von A. P. Verpaalen gesammelt wor<strong>de</strong>n. Ich habe diese Sammlung als Anhang<br />

II in <strong>de</strong>n ersten Band <strong>de</strong>r Sozialethik aufgenommen. Der hier zitierte Text<br />

befin<strong>de</strong>t sich daselbst unter Nr. 284.<br />

480


Auch die Menschen untereinan<strong>de</strong>r sind durch ein Gemein- Exk. III<br />

wohl verb<strong>und</strong>en. Auch hier wird das Sein <strong>de</strong>s Menschen ins<br />

Auge gefaßt. Thomas fragt sich, warum es nötig war, das Wesen<br />

<strong>de</strong>s Menschen in solcher Vielfalt zu schaffen. Während <strong>de</strong>r reine<br />

Geist, in <strong>de</strong>r Theologie als Engel bezeichnet, für sich eine spezi­<br />

fische Einheit darstellt, kann <strong>de</strong>r mit <strong>de</strong>r Materie verb<strong>und</strong>ene<br />

Geist, <strong>de</strong>r einzelne Mensch, nicht als „species", son<strong>de</strong>rn in<br />

gewissem Sinn nur als Träger <strong>de</strong>r spezifischen Natur, genauer<br />

formuliert, als konkretisierter Teilhaber <strong>de</strong>r Species bezeichnet<br />

wer<strong>de</strong>n. Um die Species, d. h. die Wesensnatur <strong>de</strong>s Menschen<br />

zum Ausdruck zu bringen, braucht es eine Vielfalt von Einzel­<br />

menschen, die zusammen in gemeinsamer körperlicher <strong>und</strong><br />

geistiger Tätigkeit das zur Entfaltung bringen, was an Potentia-<br />

lität in <strong>de</strong>r Wesensnatur <strong>de</strong>s Menschen gr<strong>und</strong>gelegt ist. Nur auf<br />

diese ontologische Weise ist <strong>de</strong>r Nachweis zu erbringen, daß <strong>de</strong>r<br />

Mensch wesentlich sozial ist, so daß es für alle Zeiten ausge­<br />

schlossen ist, daß jemals ein Mensch nicht sozial wäre. Wenn<br />

man einzig von <strong>de</strong>r empirisch feststellbaren Bedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

einzelnen Menschen ausgeht, ist nicht einzusehen, warum <strong>de</strong>r<br />

Mensch sich nicht zum solitären Wesen entwickeln könnte.<br />

Thomas selbst kommt verschie<strong>de</strong>ntlich auf die Hilfsbedürftig­<br />

keit <strong>und</strong> auch auf die <strong>de</strong>m Nächsten zugewandte Geselligkeit<br />

zu sprechen, um zu zeigen, daß <strong>de</strong>r Mensch sozial ist. Aber<br />

dieser Beweis verhält sich zu <strong>de</strong>m ontologischen Beweis wie<br />

eine empirische Bestätigung einer metaphysisch gewonnenen<br />

Erkenntnis.<br />

Von diesem Blickpunkt aus wird einsichtig, warum die<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit die e<strong>de</strong>lste aller sittlichen Tugen<strong>de</strong>n<br />

ist, d. h. warum die Sozialethik die Individualethik in sich be­<br />

greift <strong>und</strong> nicht umgekehrt. Und auch nur so wird verständlich,<br />

warum das Gemeinwohl die höchste Norm auch für die Betäti­<br />

gung <strong>de</strong>r Freiheit ist. Die Autonomie ist ein Stück <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls, sie ist <strong>de</strong>m Gemeinwohl nicht vorgeordnet, son<strong>de</strong>rn in<br />

ihm enthalten. Jedoch ist sie <strong>de</strong>r Gesellschaft vorgeordnet, weil<br />

diese an die Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls geb<strong>und</strong>en ist. Thomas<br />

von Aquin hat das Verdienst, <strong>de</strong>n aristotelischen Begriff <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls präzisiert zu haben als vorgesellschaftliches<br />

Objekt.<br />

Die thomasische Sicht <strong>de</strong>s Gemeinwohlproblems erhärtet<br />

jene Aussagen <strong>de</strong>r Päpste — <strong>und</strong> es han<strong>de</strong>lt sich hierbei um die<br />

ganze Tradition —, daß das Gemeinwohl, soweit es aus <strong>de</strong>r<br />

481


Exk. III menschlischen Natur bestimmt wer<strong>de</strong>n kann, göttlicher Institu­<br />

tion ist. Es wird aus ihr auch klar ersichtlich, daß die letztgültige<br />

Verantwortung <strong>de</strong>r staatlichen Autorität ihre legislative Kraft<br />

göttlicher Einsetzung verdankt. Die Logik <strong>de</strong>r thomasischen<br />

Ableitung <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffes ist klar <strong>und</strong> für <strong>de</strong>njenigen,<br />

<strong>de</strong>r die Lehre von Gott, <strong>de</strong>m Schöpfer, als rationale Erkenntnis<br />

annimmt, unbestreitbar. Allerdings fin<strong>de</strong>t diese Logik bei <strong>de</strong>n<br />

mo<strong>de</strong>rnen Philosophen keinen Anklang mehr. Einen Christen<br />

dürfte dies jedoch weiter nicht stören. Aus lehrpädagogischem<br />

Gr<strong>und</strong> wäre es wünschenswert, eine Ableitung dieser Gemein­<br />

wohlkonzeption zu fin<strong>de</strong>n, die auch von nicht katholisch <strong>de</strong>n­<br />

ken<strong>de</strong>n Philosophen mit Sympathie aufgenommen wür<strong>de</strong>.<br />

Johannes Messner hat diesen Weg zu gehen versucht, wovon<br />

noch die Re<strong>de</strong> sein wird.<br />

Die mit allen menschlichen Werten befrachtete thomasische<br />

Gemeinwohli<strong>de</strong>e hat zwar ihre Be<strong>de</strong>utung für die Bestimmung<br />

<strong>de</strong>r allgemeinen Wohlfahrt, sie ist aber noch nicht praxisnahe<br />

genug. Damit stehen wir vor <strong>de</strong>r Frage, in welcher Weise diese<br />

I<strong>de</strong>e in <strong>de</strong>r Handlungsordnung verwirklicht wer<strong>de</strong>n soll. Es<br />

genügt nicht, auf die Pflicht eines je<strong>de</strong>n Menschen gegenüber<br />

<strong>de</strong>m Gemeinwohl zu pochen, ohne die gesellschaftlichen Ord­<br />

nungsregeln darzustellen, durch welche die moralische Pflicht<br />

aller konkret motiviert <strong>und</strong> damit gesellschaftlich effizient wird.<br />

Auch hierüber hat sich Thomas von Aquin Gedanken gemacht.<br />

Auf politischer Ebene war er zwar <strong>de</strong>r Ansicht, daß eine Auftei­<br />

lung <strong>de</strong>r Macht <strong>de</strong>n Einheitscharakter <strong>de</strong>s Gemeinwohls<br />

gefähr<strong>de</strong>n könnte, so daß er hier, in Entsprechung zum einen<br />

Schöpfer auch in <strong>de</strong>r staatlichen Gemeinschaft einen einzigen<br />

Träger <strong>de</strong>r Gewalt sehen wollte. Für die damalige christliche<br />

Welt war dies <strong>de</strong>r nächstliegen<strong>de</strong> Gedanke, zumal die Fürsten<br />

noch an <strong>de</strong>n einen Inhaber <strong>de</strong>r kirchlichen Gewalt moralisch<br />

geb<strong>und</strong>en waren. Der Schluß aus <strong>de</strong>m Monotheismus auf die<br />

Monarchie ist aber für Thomas nicht unausweichlich, wie<br />

mo<strong>de</strong>rne Interpreten <strong>de</strong>r thomasischen Befürwortung <strong>de</strong>r<br />

Monarchie meinen. Thomas geht es einzig um die sichere Wah­<br />

rung <strong>de</strong>r Einheit <strong>de</strong>s Gemeinwohlbegriffes. Diese Einheit ist,<br />

wie wir aus Erfahrung wissen, auch in <strong>de</strong>r Demokratie möglich,<br />

vorausgesetzt allerdings — <strong>und</strong> das ist für uns Mo<strong>de</strong>rne das<br />

Gr<strong>und</strong>problem —, daß noch ein Konsens bezüglich <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>­<br />

werte garantiert ist. Auf wirtschaftlichem Gebiet hat aber Tho­<br />

mas entgegen seiner Stellungnahme auf politischer Ebene eine<br />

482


ausgesprochen pluralistische Gewaltverteilung als die <strong>de</strong>m<br />

Gemeinwohl einträglichere, effizientere Verwirklichung gese­<br />

hen gegenüber einer autoritären Planung. In <strong>de</strong>r gesellschaftli­<br />

chen Ordnung <strong>de</strong>nkt Thomas ebenso pluralistisch, wie seine<br />

Äußerungen über Ehe <strong>und</strong> Familie dartun.<br />

Der Pluralismus auf <strong>de</strong>r wirtschaftlichen Ebene wird von<br />

Thomas durch die Befürwortung <strong>de</strong>r privaten Eigentumsord­<br />

nung begrün<strong>de</strong>t. Beachtenswert ist, daß Thomas das <strong>Recht</strong> auf<br />

privates Eigentum nicht unmittelbar mit <strong>de</strong>r Person verbin<strong>de</strong>t,<br />

son<strong>de</strong>rn konsequent aus <strong>de</strong>m von Gott gesetzten letzten Zweck<br />

<strong>de</strong>r materiellen Güter ableitet. Unter Voraussetzung <strong>de</strong>r durch<br />

die gesamte christliche Tradition festgehaltenen Lehre, daß die<br />

materielle Welt allen Menschen nützen soll, fragt er sich, in wel­<br />

cher Art <strong>und</strong> Weise diese göttliche Anordnung am effizientesten<br />

erfüllt wer<strong>de</strong>n könne". Im Hinblick auf die empirisch allgemein<br />

gültige <strong>und</strong> durch die Lehre von <strong>de</strong>r Erbsün<strong>de</strong> erhärtete Fest­<br />

stellung, daß <strong>de</strong>r Mensch für die sorgfältige, d. h. wirtschaftliche<br />

N<strong>utz</strong>ung leichter aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Selbstinteresses als aufgr<strong>und</strong><br />

<strong>de</strong>s an sich werthöheren Gemeininteresses motiviert ist, spricht<br />

er sich, die Ansicht <strong>de</strong>s Aristoteles aufnehmend, für die private<br />

Verwaltung <strong>de</strong>r Güter aus. Um <strong>de</strong>r Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rung ge­<br />

genüber gerecht zu bleiben, wird <strong>de</strong>r private Eigentümer sozial<br />

belastet, d. h. verpflichtet, das, was er nicht braucht, <strong>de</strong>m Näch­<br />

sten abzugeben. Thomas sieht in dieser Pflicht eine echte<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>spflicht. Der Gedanke <strong>de</strong>r sozialen Belastung <strong>de</strong>r<br />

Person wird <strong>de</strong>mnach erst auf <strong>de</strong>r Ebene <strong>de</strong>r Handlungsnormen<br />

geweckt. Auf <strong>de</strong>r obersten Ebene, <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r Werte, kann man<br />

gemäß Thomas noch nicht von „Belastung" sprechen, weil dort<br />

die Person nicht nur sozial „belastet" ist, son<strong>de</strong>rn in ihrer Natur<br />

sozial ist. Da in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen <strong>de</strong>rBegriff <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls vornehmlich im Bereich <strong>de</strong>r Handlungsordnung<br />

gebraucht wird, sprechen sie immer nur von sozialer Belastung.<br />

Und da auch die Person in <strong>de</strong>n päpstlichen Äußerungen immer<br />

im Kontext <strong>de</strong>r Gesellschaft, also <strong>de</strong>r zur Verwirklichung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls <strong>und</strong> <strong>de</strong>s darin eingeschlossenen Einzelwohls<br />

notwendigen Institution, gesehen wird, wird sie unmittelbar<br />

mit <strong>de</strong>m <strong>Recht</strong> auf Privateigentum verb<strong>und</strong>en. Diese Ver­<br />

mischung <strong>de</strong>r zwei Ordnungen (<strong>de</strong>r Werte <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Verwirkli­<br />

chung) führte in „Laborem exercens" sogar dazu, daß Johannes<br />

Paul II. <strong>de</strong>n entsprechen<strong>de</strong>n Thomastext in <strong>de</strong>r Weise auslegte,<br />

als ob Thomas unvermittelt die Person als <strong>Recht</strong>sträger von<br />

483


Exk. III Eigentum angesehen hätte. 43 Es ist nicht ausgeschlossen, daß<br />

in <strong>de</strong>r wesentlichen Verknüpfung von Person <strong>und</strong> Eigentum <strong>de</strong>r<br />

Einfluß von /. Locke wirksam war. Nachweislich hat das ratio­<br />

nalistische Naturrecht über L. Taparelli d'Azeglio SJ Eingang in<br />

die katholische Soziallehre gef<strong>und</strong>en.<br />

Durch <strong>de</strong>n Nachweis <strong>de</strong>r privaten Eigentumsordnugn als <strong>de</strong>r<br />

einzigen <strong>de</strong>m Gemeinwohl gerecht wer<strong>de</strong>n<strong>de</strong>n Wirtschaftsord­<br />

nung erhält gemäß <strong>de</strong>r dargelegten thomasischen Doktrin die<br />

einzelne Person mit ihrer moralischen Verantwortung das<br />

<strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Priorität im wirtschaftlichen Han<strong>de</strong>ln vor aller Inter­<br />

vention vonseiten <strong>de</strong>r staatlichen Gewalt. Hier wird die strin-<br />

gent juristische Form <strong>de</strong>s Subsidiaritätsprinzips, wenn auch<br />

nicht ausdrücklich von Thomas so benannt, sichtbar.<br />

Zusammenfassung<br />

Vergleicht man die thomistische Konzeption <strong>de</strong>s Gemein­<br />

wohls mit <strong>de</strong>r <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautbarungen, dann fin<strong>de</strong>t<br />

man leicht die völlige doktrinäre Deckung bei<strong>de</strong>r. Das kann<br />

nicht verw<strong>und</strong>ern, da die ersten groß angelegten Staatsenzykli­<br />

ken wie auch die erste Sozialenzyklika (Rerum novarum) von<br />

einem überragen<strong>de</strong>n Kenner <strong>de</strong>r Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas von<br />

Aquin verfaßt wur<strong>de</strong>n: Leo XIII. Da LeoXIII. die Gemeinwohl­<br />

frage im Hinblick auf <strong>de</strong>n Staat, <strong>und</strong> zwar auf die konkrete<br />

Situation im Auge hatte, steht selbstverständlich die Handlungs­<br />

ordnung im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>s Blickfel<strong>de</strong>s. Dies je<strong>de</strong>nfalls <strong>de</strong>ut­<br />

lich in „Rerum novarum" hinsichtlich <strong>de</strong>r Eigentumsfrage.<br />

Dagegen lassen die staatsphilosophischen Enzykliken Leos<br />

XIII. die thomistische Systematik <strong>de</strong>utlicher hervortreten. Die<br />

Wertfülle <strong>de</strong>s Gemeinwohls, in <strong>de</strong>r auch die menschliche Person<br />

mit ihrer Freiheit <strong>und</strong> allen sittlichen Pflichten enthalten sind, ist<br />

in <strong>de</strong>n päpstlichen Texten in gleicher Weise <strong>de</strong>finiert wie bei<br />

Thomas von Aquin. Das gleiche gilt von <strong>de</strong>r Ableitung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls aus göttlicher Institution.<br />

Die Logik, <strong>de</strong>r Thomas folgt, zeigt <strong>de</strong>utlich die Spuren <strong>de</strong>s in<br />

seiner gesamten Theologie wirksamen Prinzips „gratia suppo-<br />

nit naturam" — die Gna<strong>de</strong> setzt die Natur voraus —. Wenn das<br />

484<br />

Vgl. meinen Kommentar zu „Laborem exercens" in: Ethische <strong>und</strong> soziale<br />

Existenz, Gesammelte Aufsätze aus Ethik <strong>und</strong> Sozialphilosophie, Inst. f.<br />

Gesellschaftswissenschaften Walberberg, Bonn 1983, 358 f.


natürliche Gemeinwohl, wie es sich aus <strong>de</strong>r menschlichen<br />

Natur ergibt, nicht alle sittlichen Werte in sich begreifen könnte,<br />

dann müßte man auch für das übernatürliche Gemeinwohl,<br />

nämlich das <strong>de</strong>r Kirche, eine merkliche Begrenzung in Betracht<br />

ziehen. Wie Pius XI. gesagt hat, ist die Kirche eine totalitäre<br />

Gesellschaft. Nichts, auch nicht das Personalste steht außerhalb<br />

<strong>de</strong>s Gemeinwohls dieser Gemeinschaft. Dieses Gemeinwohl ist<br />

die oberste <strong>und</strong> umfassendste Integrationsnorm <strong>de</strong>s menschli­<br />

chen Daseins. Jedwe<strong>de</strong> göttliche Berufung geht über die Kirche.<br />

Es gibt keine von <strong>de</strong>r Kirche getrennte Berufung. Diese gött­<br />

liche Berufung wen<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Gna<strong>de</strong> zwar an <strong>de</strong>n einzelnen,<br />

aber stets an <strong>de</strong>n einzelnen, insofern er Glied <strong>de</strong>r Kirche ist, ge­<br />

nauso wie die Erlösung durch Christus die Erlösung <strong>de</strong>r<br />

Menschheit sein wollte <strong>und</strong> über diese <strong>de</strong>s einzelnen. Es kann<br />

also keiner erklären, er sei um seiner selbst willen erlöst. Gewiß,<br />

er mag es behaupten, aber nicht ohne zugleich an die an<strong>de</strong>ren<br />

zu <strong>de</strong>nken, die mit ihm „in corpore" erlöst wor<strong>de</strong>n sind. Tho­<br />

mas hat dies in <strong>de</strong>r Weise ausgedrückt, daß er erklärte, die Erlö­<br />

sung bezöge sich zunächst auf die Natur <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong><br />

über sie auf das Individuum. Unverkennbar ist hier die Be<strong>de</strong>u­<br />

tung <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>r gesamten Moral, sowohl in <strong>de</strong>r<br />

Natur wie in <strong>de</strong>r Übernatur. Der thomasische Gemeinwohlbe­<br />

griff ist somit auf jedwe<strong>de</strong> natürliche wie auch übernatürliche<br />

Gemeinschaft anwendbar. Das ist ein Zeichen seiner überra­<br />

gen<strong>de</strong>n systematischen Brauchbarkeit.<br />

Je<strong>de</strong> Gesellschaft hat ihr Gemeinwohl, ihre eigene personen­<br />

bezogene kollektive Wertordnung: die Ehe, die Familie, <strong>de</strong>r<br />

Staat <strong>und</strong> die Kirche.<br />

Die Handlungsordnung wird jeweils bestimmt entsprechend<br />

<strong>de</strong>r realen Ausstattung <strong>de</strong>r zum Gemeinwohl gehören<strong>de</strong>n Au­<br />

torität, an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Ehe, an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Familie, an<strong>de</strong>rs im Staat<br />

<strong>und</strong> an<strong>de</strong>rs in <strong>de</strong>r Kirche. Die besagte „Ausstattung" wird<br />

bestimmt entsprechend <strong>de</strong>m Wissen <strong>und</strong> <strong>de</strong>r realen Wirkkraft<br />

<strong>de</strong>s Trägers <strong>de</strong>r Autorität. Und entsprechend erhält auch das<br />

Subsidiaritätsprinzip seine eigene Spezialisierung.<br />

Überschaut man <strong>de</strong>n logischen Verlauf dieser Gemeinwohl­<br />

konzeption, dann kann man ihr das Prädikat einer perfekten,<br />

konsistenten Systematik nicht versagen. Darauf kommt es<br />

sowohl philosophisch wie theologisch an. Und danach sind<br />

auch die an<strong>de</strong>ren Konzeptionen zu beurteilen.<br />

485


) Das Gemeinwohl im Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach<br />

Der Thomismus beginnt die Gesellschaftslehre beim<br />

Gemeinwohl, das aus <strong>de</strong>r individual-sozialen Natur <strong>de</strong>s Men­<br />

schen folgt. Erst von hier aus wird die kausale, d. h. die Hand­<br />

lungsordnung angegangen. Der Solidarismus von G. G<strong>und</strong>lach<br />

beginnt bei <strong>de</strong>r han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Person, <strong>de</strong>ren Intention <strong>und</strong> Zielbe­<br />

stimmung. Die Person, die ihre Vollkommenheit erstrebt,<br />

erkennt ihre eigene Beschränktheit, ihre Hilfsbedürftigkeit. Sie<br />

braucht <strong>de</strong>n Mitmenschen, um jene Lücken auszufüllen, die bei<br />

isoliertem Han<strong>de</strong>ln immer bleiben wer<strong>de</strong>n. Von diesem kausa­<br />

len Ansatz aus ist alle Gesellschaftlichkeit <strong>und</strong> <strong>de</strong>mentspre­<br />

chend auch das Gemeinwohl zu sehen. Die Person ist „Quell<br />

<strong>und</strong> Ziel gesellschaftlichen Lebens". 44 Selbstverständlich ver­<br />

steht G. G<strong>und</strong>lach das Wollen <strong>de</strong>s Mensch nicht im Sinn von<br />

Willkür. Das Menschenbild, das er zugr<strong>und</strong>e legt, ist nicht das<br />

<strong>de</strong>s Utilitarismus. Vielmehr sieht er die Person in ihrer meta­<br />

physisch-naturhaften Ausrichtung auf das Lebensziel. Aber es<br />

ist immer die Einzelperson, die im Blickfeld steht, eben die Per­<br />

son, die han<strong>de</strong>lt. Aus <strong>de</strong>r Erkenntnis <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftig­<br />

keit vereinigen sich die Menschen zur Gesellschaft. Die Gesell­<br />

schaft kommt nur durch das solidarische Han<strong>de</strong>ln <strong>de</strong>r Personen<br />

zustan<strong>de</strong>. Das Soziale ist das „eine in <strong>de</strong>n Mehreren", „nicht zu­<br />

erst ihre (<strong>de</strong>r Person, A. F. U.) Integration in einem Ganzen, son­<br />

<strong>de</strong>rn ihre innerlich begrün<strong>de</strong>te, personale Ko-Existenz, nämlich<br />

das in <strong>de</strong>r endlich-unendlichen Intentionalität menschlicher<br />

Person begrün<strong>de</strong>te Zueinan<strong>de</strong>r <strong>und</strong> Gegenüber von Mehreren,<br />

das sie auf gegenseitige Mitteilung einstellt innerhalb <strong>de</strong>r durch<br />

das Menschsein (humanitas) <strong>und</strong> seine Wertfülle abgesteckten<br />

Dimension personaler Selbstverwirklichung". 45 Aus <strong>de</strong>r im<br />

Sein aller Menschen begrün<strong>de</strong>ten Ergänzungsbedürftigkeit<br />

ergibt sich somit die personale Koexistenz <strong>und</strong> daraus die Not­<br />

wendigkeit einer Organisation <strong>de</strong>r Gesellschaft auf die Person<br />

hin. Der innere Aufbau <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaftlichkeit<br />

von <strong>de</strong>r Person her <strong>und</strong> auf die Person hin, mit an<strong>de</strong>ren Worten:<br />

die gesellschaftlich verwirklichbare Wertwelt <strong>de</strong>r Person, wird<br />

als Gemeingut, die Verwirklichung <strong>de</strong>s Gemeinguts als<br />

Gemeinwohl bezeichnet. 46 Zusammenfassend erklärt<br />

G. G<strong>und</strong>lach, Staatslexikon, 6. Aufl. 3. Bd., Sp.737.<br />

G. G<strong>und</strong>lach, a. a.O., 7. Bd., Sp.342. Hervorhebung von mir.<br />

Vgl. G. G<strong>und</strong>lach, a. a. O., 3. Bd., Sp. 737.<br />

486


G. G<strong>und</strong>lach: „Die seins- <strong>und</strong> wertmäßige Begründung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinwohls beruht auf <strong>de</strong>m inneren <strong>und</strong> äußeren Aufbau <strong>de</strong>r<br />

Gesellschaft. Das Gemeinwohl als Zustand ergibt sich also,<br />

wenn die Gesellschaft <strong>de</strong>r innerlich notwendigen For<strong>de</strong>rung <strong>de</strong>s<br />

Gemeinguts nach seiner dauern<strong>de</strong>n Verwirklichung im äuße­<br />

ren, organisierten <strong>und</strong> organisieren<strong>de</strong>n Aufbau <strong>de</strong>r menschli­<br />

chen Gesellschaftlichkeit entspricht. Wenn das Gesamt aller auf<br />

jene For<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> ihre Erfüllung unmittelbar zielen<strong>de</strong>n orga­<br />

nisieren<strong>de</strong>n Einrichtungen <strong>und</strong> Maßnahmen betrachtet wird,<br />

erfaßt man das Gemeinwohl im Vollzug. Diese unmittelbare<br />

Begründung <strong>de</strong>s Gemeinwohls im inneren <strong>und</strong> äußeren Aufbau<br />

menschlicher Gesellschaftlichkeit hebt es <strong>de</strong>utlich <strong>und</strong> wesent­<br />

lich vom Privatwohl ab, ob man dies nun auf einzelne o<strong>de</strong>r auf<br />

Gruppen bezieht". 47<br />

Die Bemerkung, das Soziale sei nicht zuerst die Integration<br />

<strong>de</strong>r Person in einem Ganzen (vgl. zitierten Text), beweist, daß<br />

das „Gemeingut" nicht das Gleiche sein kann wie das „Gemein­<br />

wohl" in <strong>de</strong>r thomistischen Gemeinwohlkonzeption. Der<br />

Gedankengang, <strong>de</strong>n G. G<strong>und</strong>lach verfolgt, ist unter seiner Vor­<br />

aussetzung logisch. Die Personen erkennen in <strong>de</strong>r gesellschaftli­<br />

chen Organisation das Mittel, das allen zur eigenpersönlichen<br />

Vollkommenheit verhilft. Der Zweck <strong>de</strong>r gesellschaftlichen Ko­<br />

operation ist <strong>de</strong>mnach die Vervollkommnung eines je<strong>de</strong>n Ko­<br />

operieren<strong>de</strong>n. Dieser Zweck ist <strong>de</strong>r Selbstwert, um <strong>de</strong>ssentwil-<br />

len sich die Glie<strong>de</strong>r verb<strong>und</strong>en haben. Er ist aber nicht wie im<br />

thomistischen Denken die apriorische Norm, in <strong>de</strong>r die einzel­<br />

nen Personen Teile eines Ganzen sind. O. v. Nell-Breuning for­<br />

muliert diesen Gedankengang, in<strong>de</strong>m er erklärt, das Gemein­<br />

wohl sei „genau das, um <strong>de</strong>ssentwillen die einzelnen sich zu<br />

diesem Ganzen verb<strong>und</strong>en haben, mit an<strong>de</strong>ren Worten, <strong>de</strong>r<br />

Zweck o<strong>de</strong>r das Ziel, wozu o<strong>de</strong>r wofür das betreffen<strong>de</strong> gesell­<br />

schaftliche Gebil<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r Gemeinwesen besteht; das so verstan­<br />

<strong>de</strong>ne Gemeinwohl wird um seiner selbst willen erstrebt, ist ein­<br />

<strong>de</strong>utig ein Selbstwext. Manche sprechen, um <strong>de</strong>utlich zu<br />

machen, daß sie dies meinen, statt von Gemeinwohl von<br />

Gemeingut". 48 Der Selbstzweck <strong>de</strong>r Gesellschaft entsteht, wie<br />

4 7 A.a.O.,3.Bd., Sp.737. Vgl. auch die von A. Rauscher herausgegebenen zwei<br />

Bän<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Schriften G.G<strong>und</strong>lachs: Die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft,<br />

Köln 1964.<br />

4 8 <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit, Gr<strong>und</strong>züge katholischer Soziallehre, Wien 1980,<br />

35.<br />

487


Exk. III man <strong>de</strong>utlich sieht, aus <strong>de</strong>m gemeinsamen Wollen, durch das<br />

sich die Gesellschaftsglie<strong>de</strong>r verbin<strong>de</strong>n. Diese kausale Sicht un­<br />

terschei<strong>de</strong>t sich gr<strong>und</strong>sätzlich von <strong>de</strong>r ethischen <strong>de</strong>r thomisti-<br />

schen Konzeption. Ethische Normen sind vor <strong>de</strong>m Wollen, sie<br />

bestimmen das Wollen o<strong>de</strong>r sollen es bestimmen. Der Selbst­<br />

zweck <strong>de</strong>r Gesellschaft ist aber bei v. Nell-Breuning, wenn man<br />

seine Ausführung logisch versteht, aus <strong>de</strong>r Sicht <strong>de</strong>r Personen<br />

ein Dienstwert. In <strong>de</strong>r Tat steht auch gemäß thomistischer Sicht<br />

die Gesellschaft im Dienst <strong>de</strong>r Personen, aber aufgr<strong>und</strong> einer<br />

ganz an<strong>de</strong>ren Logik. Die Gesellschaft hat hierbei ein eigenes<br />

ethisches Objekt (das Gemeinwohl als Wert), das im Hinblick<br />

auf die Personen nicht als Dienstwert bezeichnet wer<strong>de</strong>n kann,<br />

weil dieses Objekt zunächst eine Integrationsnorm <strong>de</strong>r Perso­<br />

nen darstellt <strong>und</strong> erst von hier aus auf die individuelle Absicht<br />

<strong>de</strong>r Person trifft. Wie bereits dargestellt, sprechen die kirchli­<br />

chen Verlautbarungen meistens im Sinn <strong>de</strong>r Gesellschaft als<br />

Organisation gemeinsamen menschlichen Han<strong>de</strong>lns. In dieser<br />

Hinsicht stimmt es, was O. v. Nell-Breuning<br />

4 9 sagt: „In kirchli­<br />

chen Verlautbarungen meint,Gemeinwohl' in <strong>de</strong>r Regel als ter-<br />

minus technicus <strong>de</strong>n Dienstwert <strong>und</strong> wird in diesem Sinn<br />

manchmal sogar eigens <strong>de</strong>finiert als <strong>de</strong>r Inbegriff alles <strong>de</strong>ssen,<br />

was an Vorbedingungen o<strong>de</strong>r Voraussetzungen erfüllt sein<br />

muß, damit <strong>de</strong>r einzelne durch Regen seiner eigenen Kräfte sein<br />

eigenes Wohl verwirklichen kann". Es stimmt aber nicht mehr,<br />

wenn O. v. Nell-Breuning fortfährt: „Den Dienstwert Gemein­<br />

wohl' meinen im allgemeinen auch die Autoren, die <strong>de</strong>m Or<strong>de</strong>n<br />

<strong>de</strong>r Gesellschaft Jesu angehören, während die Angehörigen <strong>de</strong>s<br />

Dominikaneror<strong>de</strong>ns, wenn sie von ,Gemeinwohl' sprechen,<br />

vorwiegend an das Gemeinwohl als Selbstwert <strong>de</strong>nken". 50 Ich<br />

weiß nicht, welche Dominikaner gemeint sind. Je<strong>de</strong>nfalls ist<br />

diese Interpretation <strong>de</strong>r kirchlichen Lehre nicht die authen­<br />

tische. Wenn man sich das über das Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche<br />

Gesagte vor Augen hält, dann erkennt man unzweifelhaft, daß<br />

das Gemeinwohl ein vorgesellschaftlicher Wert ist, <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>r<br />

ersten Intention Gottes eine Integrationsnorm <strong>de</strong>r Personen<br />

be<strong>de</strong>utet. Dies gilt nicht nur vom Gemeinwohl <strong>de</strong>r Kirche, son­<br />

<strong>de</strong>rn auch für alle in <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>s Menschen gr<strong>und</strong>gelegten<br />

<strong>und</strong> aus ihr gefor<strong>de</strong>rten Gemeinschaften (Ehe, Familie, Staat).<br />

488<br />

A.a.O., 35f.<br />

A.a.O.,36.


Das hat mit Kollektivismus nichts zu tun, sofern man die Ana- Exk. III<br />

logie zur Kenntnis nimmt, die im Gemeinwohlbegriff liegt: pro­<br />

portionale Einglie<strong>de</strong>rung je<strong>de</strong>r Person in das Gesamt, wobei<br />

selbstverständlich die Personwür<strong>de</strong> eines je<strong>de</strong>n Glie<strong>de</strong>s ihre<br />

volle Achtung erfährt.<br />

Die kausal orientierte Definition <strong>de</strong>s Gemeinwohls als<br />

Gemeingut im angeführten Sinn, hat ihre eigene Be<strong>de</strong>utung, die<br />

bei aller Kritik nicht unterschätzt wer<strong>de</strong>n darf. Die thomistische<br />

Ganzheitssicht könnte leicht im Sinn <strong>de</strong>s objektiven Geistes<br />

Hegels verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n. Noch schlimmer wäre es, die Paral­<br />

lele zum Marxschen Totalitarismus herzustellen. Die thomi­<br />

stische Version entstammt <strong>de</strong>m Ordnungs<strong>de</strong>nken, die G<strong>und</strong>-<br />

lachsche dagegen <strong>de</strong>m rationalistischen Naturrecht wie ähnlich<br />

die Menschenrechtserklärung <strong>de</strong>r UNO. Die thomistische<br />

Denkweise muß an einem Punkt, nämlich dort, wo die Gesell­<br />

schaft als Leistungsgesellschaft gefaßt wer<strong>de</strong>n muß, in die indi­<br />

vidualistische, vom rationalistischen Naturrecht herkommen<strong>de</strong><br />

Konzeption einmün<strong>de</strong>n, aber nur aus praktischen, nicht theore­<br />

tischen Grün<strong>de</strong>n. Die Kirche kann für ihre Gemeinschaft nur im<br />

Sinn <strong>de</strong>r Ordnung <strong>de</strong>nken.<br />

Wie gezeigt wur<strong>de</strong>, ist auch in <strong>de</strong>r thomistischen Sicht die<br />

Gesellschaft als Organisation ein Dienstwert. Nur wird dieser<br />

Dienstwert nicht direkt auf das individuelle Wohl <strong>de</strong>s einzelnen<br />

ausgerichtet, son<strong>de</strong>rn zunächst auf die Integration <strong>de</strong>r Glie<strong>de</strong>r<br />

in die Gesamtwohlfahrt. Das Kind soll in <strong>de</strong>r Familie als Glied<br />

<strong>de</strong>r Familie glücklich sein, nicht einfach als Mensch im allgemei­<br />

nen. Die solidarische Hilfeleistung <strong>de</strong>r Bürger untereinan<strong>de</strong>r<br />

soll nicht nur aufgr<strong>und</strong> einer bilateralen Beziehung vor sich<br />

gehen, son<strong>de</strong>rn zuerst eine die gesamte Gemeinschaft materiell<br />

<strong>und</strong> geistig aufbauen<strong>de</strong> Tätigkeit sein, also nicht nur ein zwi­<br />

schenmenschlicher Solidarismus, son<strong>de</strong>rn ein Gemeinwohlsoli­<br />

darismus. Einzig dieser Solidarismus entspricht <strong>de</strong>r ethischen<br />

For<strong>de</strong>rung, von <strong>de</strong>r auch in <strong>de</strong>n kirchlichen Verlautbarungen die<br />

Re<strong>de</strong> ist, daß <strong>de</strong>r einzelne mit seinem gesamten sittlichen Leben<br />

einen Beitrag zum Gemeinwohl leisten soll.<br />

Nun wird das Gemeinwohl in <strong>de</strong>r Praxis weniger vonseiten<br />

<strong>de</strong>r Pflichten <strong>de</strong>s einzelnen zum Gesamt als vielmehr von seinen<br />

individuellen <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> in <strong>de</strong>r Folge vom Aufgabenbereich<br />

<strong>de</strong>r geseUschaftlichen Autorität aus betrachtet. Im Zentrum ste­<br />

hen die gesellschaftlichen Gememwohlmaßnahmen. Auf je<strong>de</strong>n<br />

Fall trifft dies für <strong>de</strong>n Staat zu, <strong>de</strong>r über das innere Leben <strong>de</strong>s<br />

489


Exk. III Menschen keine Kompetenz besitzt, <strong>de</strong>r vielmehr nur die äuße­<br />

ren Bedingungen zu schaffen hat, aufgr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r einzelne<br />

seine allseitige Vervollkommnung fin<strong>de</strong>n kann. Auf dieser<br />

Ebene brauchen sich darum die Vertreter verschie<strong>de</strong>ner<br />

Gemeinwohlkonzeptionen nicht darum zu streiten, welche<br />

Gemeinwohl<strong>de</strong>finition korrekter sei. In <strong>de</strong>r Praxis geht es um die<br />

Stimulierung <strong>de</strong>r Wirkkräfte, das sind die Menschen mit ihrem<br />

Verstand <strong>und</strong> freien Willen, jene Wesen, die ihr eigenes Ergän­<br />

zungsbedürfnis wahrnehmen <strong>und</strong> die Gesellschaft in dieser In­<br />

tention aufbauen. In <strong>de</strong>r Handlungsordnung individualisiert<br />

sich die Sozialethik. Sie erscheint beinahe nur noch wie ein<br />

Annex zur Individualethik. Darum re<strong>de</strong>t man auf dieser Ebene<br />

von <strong>de</strong>r „sozialen Belastung" <strong>de</strong>s Individuums, während es auf<br />

<strong>de</strong>r vor <strong>de</strong>r Handlung liegen<strong>de</strong>n Ebene <strong>de</strong>r natura humana nur<br />

<strong>de</strong>n Menschen gibt, <strong>de</strong>r zugleich sowohl individuelles wie sozia­<br />

les Wesen ist, nicht aber als Individuum sozial nur „belastet" ist.<br />

Die ganzheitliche Sicht ist darum aber nicht belanglos gewor­<br />

<strong>de</strong>n. Ohne Ordnungs<strong>de</strong>nken zerfällt das Gemeinwohl in die<br />

Summe <strong>de</strong>r Individualwohle. Das Ordnungs<strong>de</strong>nken setzt aber<br />

einen Ganzheitsbegriff voraus, von <strong>de</strong>m aus die Individuen<br />

eben nur Teilfunktion ausüben. Von dieser gr<strong>und</strong>sätzlichen<br />

Systematik aus dürfte man darum <strong>de</strong>r thomistischen These <strong>de</strong>n<br />

Vorzug geben. Inwieweit sich dieser Vorzug in <strong>de</strong>r praktischen<br />

Wohlfahrtsbestimmung auswirkt, soll später erörtert wer<strong>de</strong>n.<br />

Der Wan<strong>de</strong>l im Ansatz sozialethischen Denkens — vom tho­<br />

mistischen Ordnungs<strong>de</strong>nken zur individuellen Handlung — hat<br />

seinen geschichtlichen Hintergr<strong>und</strong>. Auf <strong>de</strong>m Bo<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r katho­<br />

lischen Soziallehre beginnt er bei Luigi Taparelli d'Azeglio SJ. hl<br />

Taparelli? 2 kannte die Werke von Thomas von Aquin kaum.<br />

Er hatte seine Ausbildung vor <strong>de</strong>m Eintritt in <strong>de</strong>n Jesuitenor<strong>de</strong>n<br />

auf <strong>de</strong>r Basis <strong>de</strong>s Eklektizismus <strong>und</strong> Sensismus empfangen. Er<br />

selbst bestätigte, daß er als Anregung nur nichtkatholische<br />

Handbücher in Hän<strong>de</strong>n gehabt habe. Marcel Thomann hat<br />

51 Saggio teoretico di diritto naturale appogiato sul fatto. 2 vol.,Palermo 1840/<br />

41, Prato 2 1883. Deutsche Ausg.: Versuch eines auf Erfahrung begrün<strong>de</strong>ten<br />

Naturrechts. Aus <strong>de</strong>m Italienischen übersetzt von Fridolin Schöttl <strong>und</strong> Carl<br />

Rinecker. 2 B<strong>de</strong>.,Regensburg 1845.<br />

5 2 Zu seinem Lebensbild <strong>und</strong> seinem Einfluß auf Gioachino Pecci, <strong>de</strong>n späteren<br />

Leo XIII., vgl. Helmut Sorgenfrei, Die geistesgeschichtlichen Hintergrün<strong>de</strong><br />

<strong>de</strong>r Sozialenzyklika „Rerum novarum" Papst Leos XIII. vom 15. Mai 1891.<br />

Sammlung Politeia Bd. XXV, Hei<strong>de</strong>lberg 1970, 116 ff.<br />

490


nachgewiesen, daß Taparelli <strong>de</strong>n Vertreter <strong>de</strong>s rationalistischen Exk. III<br />

<strong>und</strong> individualistischen Naturrechts Christian Wolff reichlich<br />

kopierte. 53 Im Vor<strong>de</strong>rgr<strong>und</strong> steht nicht mehr eine universelle<br />

Ordnung, son<strong>de</strong>rn das Individuum, die unabhängige mensch­<br />

liche Person mit ihren <strong>Recht</strong>en <strong>und</strong> Zielen. Der traditionelle Be­<br />

griff <strong>de</strong>s Gemeinwohls wird lediglich durch die Erklärung noch<br />

berücksichtigt, daß das Generelle <strong>de</strong>m Beson<strong>de</strong>ren gegenüber<br />

bevorzugt wer<strong>de</strong>n müsse. Die Ableitung <strong>de</strong>s Privateigentums<br />

als Mittel, die von Gott festgesetzte Güterordnung möglichst<br />

effizient zu gestalten, wird ersetzt durch <strong>de</strong>n Lockeschen<br />

Gedanken, daß die Person ihrem Wesen nach Eigentümerin sei.<br />

Mit dieser Zentrierung <strong>de</strong>r Ethik auf das Individuum sind die<br />

Weichen für die weitere Entwicklung <strong>de</strong>r katholischen Sozial­<br />

lehre gestellt. V! Cathrein SJ vertrat in seinem im Philosophi­<br />

schenjahrbuch 1892 erschienenen Artikel „Sozialethik o<strong>de</strong>rln-<br />

dividualethik" <strong>und</strong> in seinem zweibändigen Werk „Moralphilo­<br />

sophie" 54 die Ansicht, die Sozialethik sei nichts an<strong>de</strong>res als ein<br />

Annex <strong>de</strong>r Individualethik. Dies ist eine völlig konsequente<br />

Logik, wenn man vom Individuum als <strong>de</strong>m han<strong>de</strong>ln<strong>de</strong>n Subjekt<br />

aus nach <strong>de</strong>m Objekt <strong>de</strong>r sittlichen Handlung sucht. Im Vor<strong>de</strong>r­<br />

gr<strong>und</strong> steht hier das letzte Ziel, das je<strong>de</strong>r einzelne für sich<br />

erstrebt. Kann er es nicht allein erreichen, dann sucht er einen<br />

helfen<strong>de</strong>n Partner, <strong>de</strong>r sich in <strong>de</strong>r gleichen Situation befin<strong>de</strong>t.<br />

Und tatsächlich befin<strong>de</strong>n sich alle Menschen in <strong>de</strong>r gleichen<br />

Situation <strong>de</strong>r persönlichen Hilflosigkeit trotz ihrer moralischen<br />

Unabhängigkeit. So ergibt sich <strong>de</strong>r bilaterale Solidarismus als<br />

einzige Lösung <strong>de</strong>s Problems sozialer Fragen. Wer die Hilfe <strong>de</strong>s<br />

Mitmenschen in Anspruch nehmen will, muß seinerseits seine<br />

Hilfe <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren anbieten. Das Gemeinwohl kann dann nur<br />

noch in <strong>de</strong>n gemeinsam erstellten Bedingungen bestehen, auf­<br />

gr<strong>und</strong> <strong>de</strong>ren je<strong>de</strong>r einzelne durch persönliche Anstrengung sein<br />

Heil fin<strong>de</strong>t. Das alle verbin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> <strong>und</strong> verpflichten<strong>de</strong> Gemein­<br />

wohl ist dann jener gemeinsame Wert, um <strong>de</strong>ssentwillen alle im<br />

Streben nach ihrem individuellen Ziel zusammenkommen, die<br />

Vervollkommnung aller, aber immer bezogen auf <strong>de</strong>n Ansatz,<br />

5 3 Marcel Thomann, Une source peu connue <strong>de</strong> l'Encyclopedie: L'influence <strong>de</strong><br />

Christian Wolff, Paris 1970; <strong>de</strong>n., Einführung zu: Christian Wolff, Jus gentium,<br />

Hil<strong>de</strong>sheim 1972; <strong>de</strong>n., Einführung zu Christian Wolff, Jus naturae,<br />

Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

5 4 6. Aufl., 1924, 159.<br />

491


Exk. III bei <strong>de</strong>m die Ethik begann, nämlich auf die verschie<strong>de</strong>nen ein­<br />

zelnen. Man muß, diesem Gedankengang G. G<strong>und</strong>lachs fol­<br />

gend, diesem Wert einen an<strong>de</strong>ren Namen geben als<br />

Gemeinwohl, nämlich Gemeingut, <strong>de</strong>nn „Wohl" ist immer<br />

etwas Subjektives <strong>und</strong> das Subjektive ist eben nicht gemeinsam.<br />

Geht man diesem Räsonnieren näher nach, dann stellt man<br />

dahinter ein nicht bewältigtes erkenntnistheoretisches Problem<br />

fest, nämlich die Frage nach etwas Gemeinsamem, das wohl<br />

gleich, aber zugleich verschie<strong>de</strong>n in allen ist, d. h. das Problem<br />

eines analog Gemeinsamen. Die Analogie <strong>de</strong>s Gemeinsamen<br />

<strong>und</strong> damit auch <strong>de</strong>s Gemeinwohls mußte Taparelli, <strong>de</strong>r entspre­<br />

chend seinen Informationsquellen <strong>de</strong>m rationalistisch-indivi­<br />

dualistischen Naturrecht verpflichtet war, völlig fremd bleiben.<br />

Immerhin ist <strong>de</strong>r alte Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls immer noch<br />

gerettet im Begriff <strong>de</strong>r „sozialen Belastung". Taparelli <strong>und</strong> seine<br />

Gefolgsmänner wollten <strong>und</strong> konnten nicht eine Synthese <strong>de</strong>r<br />

alten Ordnungsphilosophie mit <strong>de</strong>r notwendig gewor<strong>de</strong>nen,<br />

unmittelbar auf die Praxis ausgerichteten sozialen Handlungs-<br />

lehre bieten. Das kirchliche Lehramt brauchte aber dringend<br />

eine solche praxisnahe Handlungslehre. Zur Zeit, da Taparelli<br />

von seinem Or<strong>de</strong>nsgeneral <strong>de</strong>n Auftrag erhielt, ein sozialphilo­<br />

sophisches Handbuch zu schreiben, lag <strong>de</strong>r Thomismus völlig<br />

am Bo<strong>de</strong>n. Erst unter <strong>de</strong>m Pontifikat Leos XIII. fand man <strong>de</strong>n<br />

Weg zu <strong>de</strong>n Werken von Thomas von Aquin zurück. Die päpstli­<br />

chen Verlautbarungen blieben zwar beim praxisnahen Ansatz,<br />

öffneten jedoch <strong>de</strong>n Weg für die Hereinholung <strong>de</strong>s thomisti-<br />

schen Ordnungs<strong>de</strong>nkens in ihre Lehre, was wohl <strong>de</strong>utlich<br />

genug durch die Analyse <strong>de</strong>r päpstlichen Verlautbarungen<br />

gezeigt wor<strong>de</strong>n ist. Das Fehlen <strong>de</strong>r Systematik dürfte <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong><br />

dafür sein, daß sich die Akzente in <strong>de</strong>n einzelnen Verlautbarun­<br />

gen so stark verschieben. Man braucht nur auf die Mitbestim­<br />

mungsfrage hinzuweisen. Wäre man <strong>de</strong>r thomistischen Syste­<br />

matik in <strong>de</strong>r Eigentumsfrage gefolgt, dann wäre man von selbst<br />

auf die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Unternehmers als <strong>de</strong>s Verwalters von<br />

privatem Eigentum zugunsten einer ges<strong>und</strong>en Produktionsord­<br />

nung gestoßen. Der Kritik, in <strong>de</strong>n päpstlichen Verlautbarungen<br />

fehlte die Behandlung <strong>de</strong>r Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s produktiven Prozes­<br />

ses, wäre vorgebeugt wor<strong>de</strong>n.<br />

492


c) Das Gemeinwohl hei Johannes Messner 55<br />

Johannes Messner, <strong>de</strong>r bei<strong>de</strong> bisher behan<strong>de</strong>lten Gemein­<br />

wohlkonzeptionen sehr genau kannte, wollte mit Bedacht einen<br />

eigenen Weg gehen. Mit <strong>de</strong>m thomistischen Ordnungs<strong>de</strong>nken<br />

geht er zwar gr<strong>und</strong>sätzlich einig. Doch erscheint es ihm zu<br />

abstrakt <strong>und</strong> vor allem für das Verständnis <strong>de</strong>r Mo<strong>de</strong>rnen zu<br />

wenig empirisch. Daraus versteht sich seine Vorliebe für Tapa­<br />

relli, <strong>de</strong>r ausdrücklich seine Gemeinwohl<strong>de</strong>finition mit <strong>de</strong>m<br />

empirisch feststellbaren Wollen <strong>de</strong>s Individuums beginnt. Tapa­<br />

relli hat seine Darstellung <strong>de</strong>s Naturrechts als „auf <strong>de</strong>r Erfah­<br />

rung begrün<strong>de</strong>t" bezeichnet. Und sie war es auch in <strong>de</strong>r Tat.<br />

Messner beginnt ebenfalls mit <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Menschen <strong>und</strong> leitet daraus <strong>de</strong>ssen soziale Komponente ab.<br />

Das Soziale möchte er aber nicht einfach als eine zusätzliche<br />

Qualität <strong>de</strong>r Person verstehen, wie dies im Gefolge von Tapa­<br />

relli geschehen ist. Man könnte nicht sagen, <strong>de</strong>r Mensch sei<br />

„auch" sozial <strong>und</strong> darum sozial belastet. Vielmehr sei <strong>de</strong>r<br />

Mensch ein sowohl individuelles wie soziales Wesen. „Sowohl<br />

das individuelle wie das gesellschaftliche Wesen <strong>de</strong>r Menschen­<br />

natur sind metaphysisch <strong>und</strong> ontologisch gleich ursprünglicher<br />

Art". 56 Das Soziale leitet Messner nun nicht wie <strong>de</strong>rThomismus<br />

aus <strong>de</strong>m Verhältnis von wesenhafter Natur <strong>und</strong> Individualität<br />

ab, vielmehr sucht er es auf empirischem Weg. Er fin<strong>de</strong>t dieses<br />

vor <strong>und</strong> über <strong>de</strong>m Individuum sich befin<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Soziale in <strong>de</strong>r<br />

Kultur. In seiner phänomenologischen Erklärung <strong>de</strong>s Sozialen<br />

folgt er Max Scheler, nach <strong>de</strong>m „es im Wesen einer endlichen<br />

Person hegt, Glied einer Sozialeinheit überhaupt zu sein" 57 Den<br />

Begriff <strong>de</strong>r Person fin<strong>de</strong>t Messner mit M. Scheler erst im Verb<strong>und</strong><br />

mit <strong>de</strong>r Sozialeinheit. Das Band, das die Sozialeinheit zusam­<br />

menhält, ist, wie gesagt, die Kultur, in die je<strong>de</strong>r Mensch hinein­<br />

gewachsen ist <strong>und</strong> ohne die er nicht Bestand hätte. Damit<br />

gelingt es Messner auf empirischem Weg, <strong>de</strong>n Begriff <strong>de</strong>r Ganz­<br />

heit, wie er bei Thomas von Aquin <strong>und</strong> in an<strong>de</strong>rer Form bei<br />

Hegel obenan steht, zurückzugewinnen. Die Familie, das Volk<br />

<strong>und</strong> <strong>de</strong>r Staat sind, wie Messner ausführt, geprägt durch ein eige-<br />

5 5 Ich kann mich hier kurz fassen unter Hinweis auf meine ausführlichen Darle­<br />

gungen in <strong>de</strong>m in Anm. 40 zitierten Artikel.<br />

5 6 Das Naturrecht. Innsbruck 1950, 163.<br />

5 7 Zitiert in „Das Naturrecht" 185.<br />

493


Exk. III nes kulturelles Milieu, das nicht erklärt wird durch die bloßen<br />

gegenseitigen Beziehungen <strong>de</strong>r einzelnen Glie<strong>de</strong>r.<br />

Trotz dieser entschlossenen Zuwendung zum altüberliefer­<br />

ten Ganzheits<strong>de</strong>nken fährt Messner in <strong>de</strong>r Sozialethik nicht in<br />

<strong>de</strong>r Betrachtung <strong>de</strong>s Gemeinsamen fort, son<strong>de</strong>rn richtet seinen<br />

Blick ganz auf die Handlung <strong>de</strong>s einzelnen, <strong>de</strong>r wegen seiner<br />

Ergänzungsbedürftigkeit auf die Kooperation mit <strong>de</strong>m Mit­<br />

menschen angewiesen ist, um sein Ziel zu erreichen. Das<br />

Gemeinwohl, das durch diese Kooperation erstellt wird, kann<br />

darum nur als Hilfe für <strong>de</strong>n einzelnen gedacht wer<strong>de</strong>n: „Das<br />

Gemeinwohl kann <strong>de</strong>mnach nur Hilfe (kursiv im Original,<br />

A. F. U.) für <strong>de</strong>n erwähnten Zweck sein". 58 Das Gemeinwohl<br />

hat, so sagt Messner 19 , <strong>de</strong>n Individuen, „ihren Interessen <strong>und</strong><br />

Wünschen zu dienen". Der individualistische Charakter <strong>de</strong>s<br />

Messnerschen Gemeinwohlbegriffes ist unleugbar. Messners<br />

Gedankengang mün<strong>de</strong>t somit ganz in die Konzeption G<strong>und</strong>­<br />

lachs ein, wonach das Gemeinwohl in <strong>de</strong>n Institutionen <strong>und</strong><br />

Bedingungen besteht, mittels <strong>de</strong>ren <strong>de</strong>r einzelne mit eigenem<br />

Tun seine individuelle Vervollkommnung fin<strong>de</strong>t. Man fragt sich<br />

natürlich, warum die markante Rückorientierung Messners am<br />

Ganzheits<strong>de</strong>nken <strong>de</strong>r Tradition keine Spuren in <strong>de</strong>r Gemein­<br />

wohlkonzeption hinterlassen hat. Dies scheint mit <strong>de</strong>m Kultur­<br />

begriff zusammenzuhängen, <strong>de</strong>nn dieser ist geschichtlicher<br />

Natur. Die Kultur ist gewor<strong>de</strong>n, durch die gesellschaftliche<br />

Tätigkeit aller geschaffen. Der Gedankengang muß darum not­<br />

wendigerweise zum Individuum zurückführen. Messner hat<br />

kausal begonnen, nämlich bei <strong>de</strong>r Ergänzungsbedürftigkeit <strong>de</strong>s<br />

Individuums im Hinblick auf die eigen-aktive Verwirklichung<br />

<strong>de</strong>r Vollkommenheit. Er kann dann schließlich das Gemeinwohl<br />

nur von diesem Blickpunkt aus sehen. Im übrigen behan<strong>de</strong>lt<br />

Messner das Gemeinwohl in seiner diesem Objekt ausschließlich<br />

gewidmeten Schrift 60 mit Blick einzig auf <strong>de</strong>n <strong>de</strong>mokratischen<br />

Staat. Hier muß sich naturgemäß die Einstellung auf das Indivi­<br />

duum beträchtlich verstärken.<br />

494<br />

Das Naturrecht, 190, vgl. auch 195.<br />

Das Naturrecht, 190.<br />

Das Gemeinwohl, I<strong>de</strong>e, Wirklichkeit, Aufgaben. Osnabrück 1968.


5. DIE ANWENDUNG DES GEMEINWOHLBEGRIFFS DER KATHOLISCHEN<br />

SOZIALLEHRE AUF DIE BESTIMMUNG DER WOHLFAHRT 61<br />

Soweit es sich um das Gemeinwohl im Staat, beson<strong>de</strong>rs im plu­<br />

ralistischen Staat han<strong>de</strong>lt, stimmen alle drei dargestellten Ver­<br />

sionen mehr o<strong>de</strong>r weniger überein. 62 Im staatlichen Bereich hat<br />

die private Initiative <strong>de</strong>n Vorrang. Der Staat kann das Glück sei­<br />

ner Bürger nicht bestimmen. Die staatliche Autorität sollte ein­<br />

zig die Grenzen erkennen können, die zur Wahrung <strong>de</strong>r<br />

menschlichen Wür<strong>de</strong> <strong>und</strong> <strong>de</strong>r existentiellen Integration aller in<br />

die Gesellschaft zu beachten sind. Aus dieser Erkenntnis soll sie<br />

die Rahmenbedingungen schaffen, damit je<strong>de</strong>r sein eigenes<br />

Glück schmie<strong>de</strong>n kann. Im weitestmöglichen Umfang ist die<br />

private Initiative zu schützen <strong>und</strong> auch zu stützen. Die Bedin­<br />

gungen, unter welchen je<strong>de</strong>r sein Glück fin<strong>de</strong>n soll, müssen ent­<br />

sprechend <strong>de</strong>m Gewicht, das <strong>de</strong>r Eigeninitiative zuerkannt<br />

wird, vielfach sein. Sie können nicht einfach als öffentliche Ein­<br />

richtungen verstan<strong>de</strong>n wer<strong>de</strong>n.<br />

Es läge bei dieser Sachlage nahe, das Gemeinwohl lediglich<br />

nach <strong>de</strong>n allgemeinen Voraussetzungen (<strong>de</strong>n wirtschafts- <strong>und</strong><br />

sozialpolitischen Einrichtungen) zu bestimmen, in <strong>de</strong>nen <strong>de</strong>r<br />

einzelne sein Wohl, d.h. sein Lebensziel zu verwirklichen<br />

imstan<strong>de</strong> ist. Doch muß beachtet wer<strong>de</strong>n, daß die Institutionen<br />

final bestimmt sind im Hinblick auf das subjektiv je verschie<strong>de</strong>­<br />

ne Wohl. In letzter Anlayse befin<strong>de</strong>n wir uns vor <strong>de</strong>m subjekti­<br />

ven Wohlbefin<strong>de</strong>n. Wir nähern uns daher <strong>de</strong>r individualisti­<br />

schen Sicht <strong>de</strong>r Pareto-Regel. Die Paretianer vermeinen aller­<br />

dings, das subjektive Glücks empfin<strong>de</strong>n wertfrei annehmen zu<br />

können. Dieser Sensualismus kann aber nicht ohne geheime<br />

Implikation einer Übereinstimmung in einem objektiven Sach­<br />

verhalt vom sensualistisch eingestellten Einzelnen bejaht wer­<br />

<strong>de</strong>n. Wer seinen Lebensstil in einer von Exzessen freien Lebens-<br />

61 Vgl. hierzu als Ergänzung Alfred Klose, Zur Gemeinwohlproblematik — Perspektiven<br />

einer gemeinwohlorientierten Politik aus <strong>de</strong>r Sicht christlicher Sozialethik,<br />

in: Anton Rauscher (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin<br />

1985, 495-543.<br />

6 2 Der Unterschied macht sich dort bemerkbar, wo gesamtheitliche Interessen<br />

in gewissen Kontrast zum individualistisch gefaßten Eigenwohl treten, z.B.<br />

die sich aufopfern<strong>de</strong> vaterländische Gesinnung, Erhaltung <strong>de</strong>r Gesamtnatur,<br />

überhaupt Lebensraum <strong>de</strong>r Menschheit. Diese Probleme wer<strong>de</strong>n von <strong>de</strong>r<br />

thomistischen <strong>und</strong> in etwa auch von <strong>de</strong>r Messnerschen Sicht aus leichter<br />

angegangen.<br />

495


Exk. III haltung sieht, wür<strong>de</strong> sich für die Regel, je<strong>de</strong>r könne nach seiner<br />

Facon selig wer<strong>de</strong>n, nicht entschei<strong>de</strong>n, wenn seine nähere Um­<br />

gebung das Wohlergehen im Drogenrausch sähe. Als gesell­<br />

schaftliches Wesen kann <strong>de</strong>r einzelne sich nicht mit jedwe<strong>de</strong>r<br />

Regel gesellschaftlichen Zusammenseins abfin<strong>de</strong>n. In <strong>de</strong>m<br />

Augenblick, da man einen Sachverhalt auch nur methodolo­<br />

gisch verallgemeinert, verallgemeinert man etwas Objektives.<br />

Das subjektive Urteil <strong>de</strong>s einzelnen über sein Eigenwohl ist<br />

zwar zunächst nur für <strong>de</strong>n einzelnen ein Werturteil. Wenn man<br />

aber die verschie<strong>de</strong>nen subjektiven Werturteile zur allgemeinen<br />

Regel einer gemeinsamen Ordnung machen will, ist man genö­<br />

tigt, Friktionen innerhalb <strong>de</strong>r verschie<strong>de</strong>nen Werturteile aus­<br />

zuschließen. Dies kann man nur durch Zuhilfenahme eines all­<br />

gemeinen objektiven Nenners. An<strong>de</strong>rs wäre die Pareto-Regel<br />

eine n<strong>utz</strong>lose hypothetische Reißbrettübung, die in <strong>de</strong>r Wirk­<br />

lichkeit sinnlos wird. Auch ein Sensualist ist <strong>de</strong>r Ansicht, daß er<br />

sein eigenes Glück im Frie<strong>de</strong>n genießen möchte. Je<strong>de</strong> soziale<br />

Methodologie — <strong>und</strong> die Pareto-Regel ist eine solche - stößt in<br />

<strong>de</strong>r Wirklichkeit auf unüberwindliche Schwierigkeiten. Aus die­<br />

sem Gr<strong>und</strong> ist auch die Vorstellung einer nur methodologisch<br />

geordneten „offenen Gesellschaft" eine Utopie, die, wenn sie<br />

sich verwirklichen wür<strong>de</strong>, die Brutstätte von I<strong>de</strong>ologien<br />

wäre. 63 Im paretianischen Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls verbirgt<br />

sich die Verallgemeinerung einer I<strong>de</strong>e von subjektivem Wohl.<br />

Man muß <strong>de</strong>mnach wenigstens in groben Umrissen wissen,<br />

was wesentlich zum menschlichen Wohl gehört, um eine Diver­<br />

sifizierung <strong>de</strong>r subjektiven Wohle zu akzeptieren. Die Pareto-<br />

Regel setzt stillschweigend voraus, daß das sensualistisch wahr­<br />

genommene Wohl <strong>de</strong>s einzelnen kein Störungsfaktor ist, d. h.<br />

sie rechnet mit <strong>de</strong>m ges<strong>und</strong>en Menschenverstand aller, die ihr<br />

Eigenwohl innerhalb <strong>de</strong>r Gesellschaft anstreben, es sei <strong>de</strong>nn, sie<br />

verstehe die Regel rein mathematisch, also nicht praktikabel.<br />

Um etwas für die soziale Wirklichkeit zu bieten, muß man sich<br />

vom Sensualismus lösen <strong>und</strong> nach objektiven, sogenannten<br />

„ges<strong>und</strong>en" Normen suchen. Was eine ges<strong>und</strong>e <strong>und</strong> was eine<br />

unges<strong>und</strong>e Lebensweise ist, kann <strong>de</strong>r Arzt entsprechend <strong>de</strong>n<br />

natürlichen Dispositionen <strong>de</strong>s menschlichen Körpers bestim-<br />

496<br />

Vgl. P.Trappe, Die elitären Machtgruppen in <strong>de</strong>r Gesellschaft — o<strong>de</strong>r: Über<br />

die Geschlossenheit <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft, in: A. F. Utz, Hrsg., Die offene<br />

Gesellschaft <strong>und</strong> ihre I<strong>de</strong>ologien, Bonn 1986, 271—310.


men. Gleiches gilt auch für die Psyche, die ihrerseits ihre eige- Exk. III<br />

nen Gesetze hat. Der einzelne kann darum in <strong>de</strong>r Bestimmung<br />

„seines" Glückes über die naturhaften Dispositionen nicht hin­<br />

wegsehen. Da auch die Umwelt unser Glücksempfin<strong>de</strong>n beein-<br />

flußt, gehört auch sie zu <strong>de</strong>n Gesetzen, die <strong>de</strong>r einzelne in seiner<br />

Glücksbestimmung zu berücksichtigen hat, wenn er wirklich<br />

glücklich sein will. Je<strong>de</strong>r braucht zu seinem Glück auch eine<br />

zufrie<strong>de</strong>ne Gesellschaft. Für alle diese vielfältigen Normen, die<br />

nicht nur normativen, son<strong>de</strong>rn auch, <strong>und</strong> zwar zuerst kausalen<br />

Charakter haben, hat die katholische Soziallehre <strong>de</strong>n Sammel­<br />

begriff <strong>de</strong>r allen gemeinsamen natura humana. Über ihren<br />

Inhalt muß die Gesellschaft einen gewissen Konsens besitzen,<br />

damit jene Bedingungen erstellt wer<strong>de</strong>n können, gemäß <strong>de</strong>nen<br />

<strong>de</strong>r einzelne sein individuelles Glück erwirken kann. In <strong>de</strong>r<br />

mo<strong>de</strong>rnen Wohlfahrtsdiskussion wer<strong>de</strong>n die allgemeinen<br />

menschlichen Bedingungen unter <strong>de</strong>m Begriff <strong>de</strong>r „Lebensqua­<br />

lität" zusammengefaßt. Die Lebensqualität wird gemäß <strong>de</strong>r<br />

katholischen Soziallehre in erster Linie nach <strong>de</strong>n natürlichen<br />

Dispositionen, in zweiter Linie nach <strong>de</strong>n wirtschaftlichen <strong>und</strong><br />

sozialen Verhältnissen (<strong>de</strong>m allgemeinen Lebensstandard)<br />

bestimmt.<br />

Nun ist die pluralistische Demokratie mit ihrer Marktwirt­<br />

schaft nicht durch natürliche Normen, son<strong>de</strong>rn im wirtschaftli­<br />

chen Sektor durch die freie Konsumwahl, im sozialen <strong>und</strong> im<br />

politischen Sektor durch die freie Entscheidung <strong>de</strong>r Individuen<br />

bestimmt. Was hier Wohl aller ist, zerfällt darum in das Einzel­<br />

wohl <strong>de</strong>r vielen. Die <strong>de</strong>n Gesetzen <strong>de</strong>r menschlichen Natur fol­<br />

gen<strong>de</strong> normative Ordnung muß sich darum zunächst im Glücks­<br />

empfin<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r einzelnen verwurzeln, ehe sie gesellschaftlich<br />

wirksam wer<strong>de</strong>n kann. Wir befin<strong>de</strong>n uns damit genau bei <strong>de</strong>r<br />

Pareto-Regel, doch nicht in <strong>de</strong>m wertfreien Sinn, als ob <strong>de</strong>r Pro­<br />

zeß <strong>de</strong>r Wohlfahrtsbestimmung mit <strong>de</strong>r Addition individueller<br />

Wohlbefin<strong>de</strong>n ohne Zuhilfenahme eines universellen Sachver­<br />

haltes erledigt wäre. Daß <strong>de</strong>m nicht so ist, hat uns die Erfahrung<br />

mit <strong>de</strong>r Umwelt vor Augen geführt. Lange haben wir geglaubt,<br />

die Luft sei ein freies Gut, das keinen Preis hat. Wir haben sie im<br />

Sinn unseres subjektiven Wohlempfin<strong>de</strong>ns so lange ausgebeu­<br />

tet, bis wir im Smog lan<strong>de</strong>ten, <strong>de</strong>r unsere Lungen belästigt. Das<br />

Naturgesetz ist normativ, weil es das Gesetz <strong>de</strong>r realen Natur,<br />

einschließlich <strong>de</strong>r menschlichen Natur, ist. Die Dichotomie von<br />

Norm <strong>und</strong> Sein, die im Anschluß an Kant Max Weberfür die So-<br />

497


Exk. III zialwissenschaft proklamierte <strong>und</strong> die auch in <strong>de</strong>r Wertfreiheit<br />

<strong>de</strong>r Pareto-Regel steckt, hat nur hypothetisch-theoretische<br />

Be<strong>de</strong>utung. Die wertfreie Pareto-Kegel erfaßt nur einen Teil <strong>de</strong>r<br />

Wohlfahrtsökonomik, nämlich in pointieren<strong>de</strong>r Abstraktion<br />

<strong>de</strong>n Gesichtspunkt <strong>de</strong>r subjektiven Bestimmung <strong>de</strong>s Wohlbe­<br />

fin<strong>de</strong>ns. Das rein sensualistische Urteil über das eigene Glück<br />

ist aber sehr irrtumsträchtig. Es bedarf, wie gesagt, um zum sta­<br />

bilen Glücksempfin<strong>de</strong>n zu führen, <strong>de</strong>r objektiven Orientierung<br />

an <strong>de</strong>n in <strong>de</strong>r natura humana liegen<strong>de</strong>n Gesetzmäßigkeiten. Die<br />

pluralistische Demokratie kann allerdings die Naturgesetze<br />

nicht in ihre Verfassung aufnehmen. Sie ist darum gera<strong>de</strong>zu ein<br />

Repräsentant <strong>de</strong>s Sensualismus im Sinn <strong>de</strong>r Pareto-Regel. Die<br />

Demokraten müssen es daher in Kauf nehmen, für die von<br />

ihnen begangenen Irrtümer in <strong>de</strong>r Wohlfahrtsbestimmung zu<br />

büßen. Momentan tun wir dies in beträchtlichem Maß für die<br />

falsche Wohlfahrtspolitik unserer Vorfahren.<br />

498


ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS<br />

1. Biblische Bücher<br />

Altes Testament<br />

Gn = Genesis Prd = Prediger<br />

Ex = Exodus (Ecclesiastes)<br />

Lv = Leviticus Hl = Hoheslied<br />

Nm = Numeri Weish = Weisheit<br />

Dt = Deuteronomium Sir = Sirach<br />

Jos = Josue (Ecclesiasticus^<br />

Ri = Richter Is = Isaias<br />

Rt = Ruth Jr = Jeremias<br />

1 Sam = 1. Samuel Klgl = Klagelie<strong>de</strong>r<br />

2 Sam = 2. Samuel Bar = Baruch<br />

lKg = 1. Könige Ez Ezechiel<br />

2 Kg = 2. Könige Dn = Daniel<br />

1 Chr = 1. Chronik Os Osee<br />

(Paralipomenon) Joel = Joel<br />

2 Chr = 2. Chronik Am Arnos<br />

Esr = Esdras Abd = Abdias<br />

Neh = Nehemias Jon = Jonas<br />

Tob = Tobias Mich Michäas<br />

Jdt = Judith Nah = Nahum<br />

Est = Esther Hab = Habakuk<br />

1 Makk = 1. Makkabäer Soph = Sophonias<br />

2Makk = 2. Makkabäer Agg = Aggäus<br />

Job = Job Zach = Zacharias<br />

Ps (Pss) = Psalm(en) Mal = Malachias<br />

Spr = Sprüche<br />

Neues Testament<br />

Mt = Matthäus-Evangelium 2 Tim = 2. Timotheusbrief<br />

Mk = Markus-Evangelium Tit = Titusbrief<br />

Lk = Lukas-Evangelium Phm = Philemonbrief<br />

Jo = Johannes-Evangelium Hebr = Hebräerbrief<br />

Apg = Apostelgeschichte Jak = Jakobusbrief<br />

Rom = Römerbrief 1 Petr = 1. Petrusbrief<br />

1 Kor = 1. Korintherbrief 2Petr = 2. Petrusbrief<br />

499


2 Kor = 2. Korintherbrief 1 Jo<br />

Gal = Galaterbrief 2Jo<br />

Eph = Epheserbrief 3 Jo<br />

Phil = Philipperbrief Jud<br />

Kol = Kolosserbrief Apk<br />

1 Thess = 1. Thessalonicherbrief<br />

2 Thess = 2. Thessalonicherbrief<br />

1 Tim = 1. Timotheusbrief<br />

= 1 .Johannesbrief<br />

= 2.Johannesbrief<br />

= 3. Johannesbrief<br />

= Judasbrief<br />

= Apokalypse <strong>de</strong>s<br />

2. Werke <strong>de</strong>s hl. Thomas v. Aquin<br />

Johannes (Geheime<br />

Offenbarung)<br />

(außer Summa theologica <strong>und</strong> Sentenzenkommentar)<br />

An = Quaestio disputata <strong>de</strong> anima<br />

In An = Expositio in libros Aristotelis <strong>de</strong> anima<br />

CG = Summa contra gentes<br />

CI = Contra impugnantes Dei cultum et religionem<br />

Col = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Colossenses<br />

Cor = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Corinthios<br />

CR = Contra pestiferam doctrinam retrahentium homines a<br />

religionis ingressu<br />

CTh = Compendium theologiae<br />

Decleg = De duobus praeceptis caritatis et <strong>de</strong>cem legis praeceptis<br />

Eph = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Ephesios<br />

Eth = Expositio in <strong>de</strong>cem libros ethicorum Aristotelis ad Nicomachum<br />

Gal = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Galatas<br />

Hb = Expositio in S. Pauli Apostoli epistolam ad Hebraeos<br />

Jo = Expositio in evangelium S.Joannis<br />

Job = Expositio in Job<br />

Mal = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> malo<br />

Met = Commentaria in metaphysicam Aristotelis<br />

Mt = Expositio in evangelium S. Matthaei<br />

OrDom = Expositio <strong>de</strong>votissima orationis Dominicae<br />

Periherm = Expositio in libros Perihermeneias Aristotelis<br />

Phil = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Philippenses<br />

Pol = Expositio in octo libros politicorum Aristotelis<br />

Pot = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> potentia<br />

Ps = Expositio in psalmos Davidis<br />

PVS = De perfectione vitae spiritualis<br />

Qlb = Quodlibetum (Quaestiones quodlibetales)<br />

Resp <strong>de</strong> = Responsio <strong>de</strong> articulis<br />

RJ = De regimine Judaeorum ad ducissam Brabantiae<br />

Rom = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Romanos<br />

Subst sep = De substantiis separatis<br />

Thess = Expositio in S.Pauli Apostoli epistolam ad Thessalonicenses<br />

500


Unit int = De unitate intellectus contra Averroistas<br />

Ver = Quaestiones disputatae <strong>de</strong> veritate<br />

Virt = Quaestio disputata <strong>de</strong> virtutibus in communi<br />

Virt card = Quaestio disputata <strong>de</strong> virtutibus cardinalibus<br />

3. Öfters zitierte Werke <strong>und</strong> Zeitschriften<br />

Ang = Angelicum, Rom<br />

ARSP = Archiv für <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Sozialphilosophie, Berlin<br />

BT = Bulletin thomiste, Kain<br />

CJC = Co<strong>de</strong>x Juris Canonici<br />

CSEL = Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum, ed.<br />

curis et impensis Aca<strong>de</strong>miae Litterarum Vindobonensis<br />

1866 sqq.<br />

CT = La ciencia tomista, Madrid<br />

DT = Deutsche Thomasausgabe<br />

DTF = Divus Thomas, Freiburg (Schw.)<br />

DTP = Divus Thomas, Piacenza<br />

DTW = Divus Thomas, Wien (II. Serie von JPST)<br />

ETL = Ephemeri<strong>de</strong>s Theologiae Lovanienses. Louvain 1923 sq.<br />

Frdb = Friedberg, Emil Albert: Corpus Juris Canonici. 2 B<strong>de</strong>.<br />

Leipzig 1879/1881<br />

Greg = Gregorianum, Rom<br />

JPST = Jahrbuch für Philosophie <strong>und</strong> spekulative Theologie,<br />

Pa<strong>de</strong>rborn<br />

KR = Paul(us) Krüger: Corpus Juris Civilis, II. Berlin 1888<br />

LThK = Lexikon für Theologie <strong>und</strong> Kirche. 2. Aufl. Hrsg. Doktor<br />

Michael Buchberger. Freiburg 1930 ff.<br />

Mansi = Mansi, Joannes Dominicus: Sacrorum Conciliorum<br />

Collectio, 53 B<strong>de</strong>. Paris 1893 ff.<br />

Med St = Mediaeval Studies. Hrsg. Pontifical Institute of Mediaeval<br />

Studies. Toronto (Canada) 1939ff.<br />

MG s. PG<br />

ML s. PL<br />

NO = Die Neue Ordnung, Hei<strong>de</strong>lberg bzw. Köln<br />

NS = The New Scholasticism, Washington<br />

PG = Migne, Patrologiae cursus completus, series Graeca<br />

PJ = Philosophisches Jahrbuch <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, Fulda<br />

PL = Migne, Patrologiae cursus completus, series Latina<br />

RFN = Rivista di filosofia neoscolastica, Mailand<br />

RNP = Revue neoscolastique <strong>de</strong> philosophie, Louvain<br />

RP = Revue <strong>de</strong> philosophie, Paris<br />

RPL = Revue <strong>de</strong> philosophie <strong>de</strong> Louvain<br />

RSPT = Revue <strong>de</strong>s sciences philosophiques et theologiques, Kain<br />

RT = Revue thomiste, Paris<br />

501


RUO = Revue <strong>de</strong> l'Universite d'Ottawa (Canada)<br />

Sch = Scholastik, Freiburg<br />

Sol = Dionysiaca, Editio Solesmensis (1937)<br />

4. Sonstige Abkürzungen<br />

c = capitulum<br />

can = Canon<br />

Dig = Digest<br />

V = Vers (Bibelvers), gewöhnlich wer<strong>de</strong>n auch die Kapitelnummern<br />

angegeben, z.B. 3,4 = 3.Kap., 4.Vers<br />

502


LITERATURVERZEICHNIS<br />

Außer <strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n Anmerkungen <strong>und</strong> im Kommentar zitierten Literatur<br />

wer<strong>de</strong>n nur die unmittelbar diesen Band betreffen<strong>de</strong>n Veröffentlichungen<br />

aufgeführt. Eine sehr gute thomistische Literaturschau bietet<br />

P. Wyser, Bibliographische Einführungen in das Studium <strong>de</strong>r Philosophie<br />

(hg. von I. M. Bochenski), H. 13/14 <strong>und</strong> 15/16. Bern 1950 <strong>und</strong><br />

1951. Vgl. auch A.F.Utz, Bibliographie <strong>de</strong>r Sozialethik.<br />

Alluntis F., Private Property and Natural Law. In: Studies in Philosophy<br />

and the History of Phiiosophy 2 (1963) 189-210.<br />

Alonso V. M., Explicacion <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> <strong>de</strong>fensa segun Santo Tomas<br />

<strong>de</strong> Aquino. Sociologia y filosofia social. Buenos Aires 1938,213-246.<br />

Alphons von Liguori, Theologia Moralis. Editio Leon. Gau<strong>de</strong>.<br />

Antonia<strong>de</strong>s B., Entstehung <strong>und</strong> Verfassung <strong>de</strong>s Staates nach T. v. A.<br />

Tübingen 1889.<br />

D'Antonio F., II tirannicidio nel pensiero <strong>de</strong>ll'Aquinate. In: Annali di<br />

scienze politiche 12 (1939) 83-103.<br />

Arias G., La filosofia tomistica e l'economia politica. Milano 1934.<br />

Ashley M. A., Englische Wirtschaftsgeschichte. I. Das Mittelalter.<br />

Lpz. 1896.<br />

Baltermi A., II concetto di giustizia sociale negli scrittori cattolici<br />

mo<strong>de</strong>rni. (Diss.) Lugano 1939.<br />

Basler X., T. v. A. <strong>und</strong> die Begründung <strong>de</strong>r To<strong>de</strong>sstrafe. In: DTF 9<br />

(1931) 69-90, 173-202.<br />

Baumann J. J., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Lpz. 1873.<br />

— Die Staatslehre <strong>de</strong>s T. v. A. Ein Nachtrag. Lpz. 1909.<br />

Baumel J., Les lecons <strong>de</strong> Francisco <strong>de</strong> Vitoria sur les problemes <strong>de</strong> la<br />

colonisation et <strong>de</strong> la guerre. Edition critique avec traduction. Montpellier<br />

1936.<br />

Baxter I. F. G., Pour la justice. In: La Theologie chretienne et le droit.<br />

Archives <strong>de</strong> philosophie du droit 5 (1960) 133-155.<br />

Becker W. G., Die symptomatische Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Naturrechts im<br />

Rahmen <strong>de</strong>s bürgerlichen <strong>Recht</strong>s. In: Archiv f. d. zivilistische Praxis<br />

150 (1948) 97-130.<br />

Belloc H., <strong>Recht</strong> auf Eigentum. 2. Aufl. Ölten 1958.<br />

Below G. v., Der Staat <strong>de</strong>s Mittelalters. Lpz. 1914.<br />

— Probleme <strong>de</strong>r Wirtschaftsgeschichte. Lpz. 1920.<br />

Ben<strong>de</strong>r L., OP, Philosophia iuris. Romae 1947.<br />

Benkert G. F., The thomistic conception of an international society.<br />

(Diss.) Washington 1942.<br />

503


Berg L., Der Mensch, Herr seiner <strong>Recht</strong>e. Die Metaphysik <strong>de</strong>r Gottebenbildlichkeit<br />

im Personsein <strong>de</strong>s Menschen hinsichtlich <strong>de</strong>r<br />

<strong>Recht</strong>sherrschaft nach T. v. A. (Diss.) Bensheim 1940.<br />

Bernheim E., Politische Begriffe <strong>de</strong>s Mittelalters im Lichte <strong>de</strong>r<br />

Anschauungen Augustins. In: Deutsche Zeitschr. f. Gesch.-Wissensch.<br />

N.F., I. Frbg. u. Lpz. 1897 1 ff.<br />

Besia<strong>de</strong> Th., La justice generale d'apres S. T. d'A. In: Melanges Thomistes<br />

(Biblioth. Thom. III), Kain 1923, 327-340.<br />

— L'ordre social. In: RSPT 13 (1924) 1-19.<br />

Betancur C, La i<strong>de</strong>a <strong>de</strong> justicia y la teoria imperativista <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho.<br />

In: Anuario <strong>de</strong> Filosofia <strong>de</strong>l Derecho 4 (1956) 93-124.<br />

Betschart I., Das Wesen <strong>de</strong>r Strafe. Untersuchungen über Sein <strong>und</strong><br />

Wert <strong>de</strong>r Strafe in phänomenologischer <strong>und</strong> aristotelisch-thomistischer<br />

Schau. (Diss.) Einsie<strong>de</strong>ln 1939.<br />

Beutter F., Die Eigentumsbegründung in <strong>de</strong>r Moraltheologie <strong>de</strong>s<br />

19.Jahrh<strong>und</strong>erts. Pa<strong>de</strong>rborn 1971.<br />

Beyer W. R., <strong>Recht</strong>sphilosophische Besinnung. Karlsruhe 1947.<br />

— <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>s-Ordnung. Eine Grenzziehung. Meisenheim/<br />

Glan 1951.<br />

Bie<strong>de</strong>rlack J., SJ, Zur Gesellschafts- <strong>und</strong> Wirtschaftslehre <strong>de</strong>s hl. T. In:<br />

Z. f. kathol. Theol. 20 (1896) 574-584.<br />

Bihlmeyer K. - Tüchle H., Kirchengeschichte, 2.Teil: Das Mittelalter.<br />

12. Aufl. 1948.<br />

Billuart C. R., OP, Summa S. Thomae hodiernis Aca<strong>de</strong>miarum moribus<br />

accomodata sive Cursus Theologiae iuxta mentem Divi<br />

Thomae. Lugduni 1864.<br />

Bo G., Ii pensiero di S. T. d'A. sull'origine <strong>de</strong>lla sovranitä. Roma 1931.<br />

Bouvier L., Le precepte <strong>de</strong> l'aumöne chez S. T. d'A. Montreal 1935.<br />

Brachthäuser W., OP, Gemeingut- o<strong>de</strong>r Gesetzesgerechtigkeit. Eine<br />

geschichtlich-systematische Untersuchung zur <strong>Gerechtigkeit</strong>slehre<br />

<strong>de</strong>s hl. T. v. A. (Diss.) Köln 1941.<br />

Bran<strong>de</strong>s B., Die Lehre von <strong>de</strong>r Strafe bei T. v. A. Düsseldorf 1908.<br />

Brants V., L'economie politique au moyen-äge. Louvain 1895.<br />

Brentano L., Zur Genealogie <strong>de</strong>r Angriffe auf das Eigentum. In:<br />

Archiv f. Sozialw. u. Sozialpolitik 19 (1904) 251-271.<br />

— Der wirtschaften<strong>de</strong> Mensch in <strong>de</strong>r Geschichte. Lpz. 1923.<br />

— Die wirtschaftlichen Lehren <strong>de</strong>s christlichen Altertums. Sitzungsbericht<br />

<strong>de</strong>r philos.-philol. Klasse <strong>de</strong>r k. bayr. Aka<strong>de</strong>mie <strong>de</strong>r Wissenschaften.<br />

Jhg. 1902. München 1903.<br />

Brey H., Hochscholastik <strong>und</strong> „Geist <strong>de</strong>s Kapitalismus". Lpz. 1927.<br />

Briere Y. <strong>de</strong> la, SJ, Un probleme <strong>de</strong> philosophie du droit: le principe<br />

<strong>de</strong>s nationales. In: RP 25 (1925) 113-129, 306-318.<br />

— Le droit <strong>de</strong> juste guerre. Tradition theologique, adaptations contemporaines.<br />

Paris 1938.<br />

Brodnitz G., Englische Wirtschaftsgeschichte. I. Jena 1918.<br />

Broglie G. <strong>de</strong>, Justice sociale" et „Bien commun". In: Doctor Communis<br />

25 (1972) 257-292.<br />

504


Bruck E. F., Kirchenväter <strong>und</strong> soziales Erbrecht. Wan<strong>de</strong>rungen religiöser<br />

I<strong>de</strong>en durch die <strong>Recht</strong>e <strong>de</strong>r östlichen <strong>und</strong> westlichen Welt.<br />

Berlin 1956.<br />

Brugger M., Schuld <strong>und</strong> Strafe. Ein philosophisch-theologischer Beitrag<br />

zum Strafproblem. (Diss.) Pa<strong>de</strong>rborn 1933.<br />

Brunner E., <strong>Gerechtigkeit</strong>. Zürich 1943.<br />

Bückers FL, Die biblische Lehre vom Eigentum. Bonn 1947.<br />

Bullon y Fernan<strong>de</strong>z E., El concepto <strong>de</strong> la soberania en la escuela<br />

juridica espanola <strong>de</strong>l siglo XVI. Madrid 1935.<br />

Calippe Ch., La <strong>de</strong>stination et l'usage <strong>de</strong>s biens naturels d'apres S. T.<br />

d'A. In: Annales <strong>de</strong> philos. chretienne 155 (1907) 151-187.<br />

— La fonetion sociale <strong>de</strong>s Pouvoirs publics d'apres S. T. d'A. Lyon<br />

1911.<br />

Calliess R.-P., Eigentum als Institution. Eine Untersuchung zur theologisch-anthropologischen<br />

Begründung <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. München 1962.<br />

— Eigentum <strong>und</strong> Staat als Institution. In: Zeitschrift für evangelische<br />

Ethik 8 (1964) 365-368.<br />

Calvez J.TY., La propriete est-elle reactionnaire? In: Revue <strong>de</strong><br />

l'Action populaire 189 (1965) 661-673.<br />

Cappellazzi A., S. Tommaso et la schiavitü. Cremona 1900.<br />

Cardona C, La metafisica <strong>de</strong>l bien comün. Madrid 1966.<br />

Carlyle A. J., Le bien commun, la justice et la securite juridique dans la<br />

coneeption medievale du droit. In: Annuaire <strong>de</strong> l'Institut international<br />

<strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong> sociologie juridique 3 (1938) 17-<br />

28.<br />

Carlyle R. W. <strong>und</strong> A. J., A History of Mediaeval Political Theory<br />

in the West. I-IV. London 1903/15.<br />

Carro V. D., La teologia y los teölogos-juristas espanoles ante la conquista<br />

<strong>de</strong> America. 2 B<strong>de</strong>. Madrid 1944. 2. A. Salamanca 1951.<br />

— Domingo <strong>de</strong> Soto y el <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes. Madrid 1930.115-189: El<br />

concepto <strong>de</strong> ley segun S. Tomas y las mo<strong>de</strong>rnas dictaturas y <strong>de</strong>mocracias.<br />

Cathrein V., SJ, Das jus gentium im römischen <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> beim hl. T.<br />

v. A. In: PJ 2 (1889) 373-388.<br />

— Sozialethik o<strong>de</strong>r Individualethik. In: Philosophisches Jahrbuch<br />

(1892).<br />

— <strong>Recht</strong>, Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong>. 2. A. Frbg. 1909.<br />

— Die Gr<strong>und</strong>lage <strong>de</strong>s Völkerrechts. Frbg. 1918.<br />

— Moralphilosophie. 2 B<strong>de</strong>. 6. A. Lpz. 1924.<br />

Challaye F., Histoire <strong>de</strong> la propriete. 5. Aufl. Paris 1958.<br />

Charles J., Les i<strong>de</strong>es d'Aristote sur l'esclavage d'apres S. T. In: RP 32<br />

(1932) 251-265.<br />

Chenon E., Histoire generale du Droit francais public et prive <strong>de</strong>s origines<br />

ä 1815. 2 B<strong>de</strong>. Paris 1926 u. 1929.<br />

Chenu M.-D., Sufficiens. In: RSPT 22 (1933) 251-259.<br />

Chicca G., Ius: ars boni et aequi. In: RIFD 38 (1961) 457-473.<br />

505


Clemens R., Personnalite morale et personnalite juridique. Paris 1935.<br />

Clement L., Le „jus gentium". In: RUO 9/10 (1940) 100-124, 177-<br />

195.<br />

Clementinus a Vlissingen, De evolutione <strong>de</strong>finitionis iuris gentium.<br />

Studium historico-iuridicum <strong>de</strong> doctrina iuris gentium apud auctores<br />

classicos saec. XIV-XVIII. (Diss.) Rbmae 1940.<br />

Coing H., Die obersten Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Hei<strong>de</strong>lberg 1947.<br />

— Neue Strömungen in <strong>de</strong>r nordamerikanischen <strong>Recht</strong>sphilosophie.<br />

In: ARSP 38 (1949/50) 536-576.<br />

Contzen H., Zur Würdigung <strong>de</strong>s Mittelalters mit beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung<br />

<strong>de</strong>r Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Kassel 1870.<br />

— T. v. A. als volkswirtschaftlicher Schriftsteller. Lpz. 1861.<br />

— Geschichte <strong>de</strong>r volkswirtschaftlichen Literatur im Mittelalter. Lpz.<br />

1869.<br />

Costa-Rossetti J., SJ, Allgemeine Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Nationalökonomie<br />

im Geiste <strong>de</strong>r Scholastik. Frbg. 1888.<br />

Couvreur G., Les pauvres ont-ils <strong>de</strong>s droits? Recherches sur le vol en<br />

cas d'extreme necessite <strong>de</strong>puis la Concordia <strong>de</strong> Gratien (1140)<br />

jusqu'ä Guillaume d'Auxerre (f 1231). Roma 1961.<br />

Cox J. F., A thomistic analysis of the social or<strong>de</strong>r. (Diss.) Washington<br />

1943.<br />

Crahai, La politique <strong>de</strong> S. T. d'A. Louvain 1896.<br />

Crane P. R., The Range of Social Justice. In: Review of Social Economy<br />

16 (1958) 89-108.<br />

Crofts R. A., The Common Good in the Political Theory of Thomas<br />

Aquinas. In: The Thomist 37 (1973) 155-173.<br />

Daniels D., Die Gemeinschaft bei Max Scheler <strong>und</strong> T. v. A. (Diss.)<br />

München 1926.<br />

Darbellay J., La regle juridique. Son fon<strong>de</strong>ment moral et social. (Diss.)<br />

St. Maurice 1945.<br />

— Le droit naturel et le droit positif <strong>de</strong> la societe politique. In: RT 46<br />

(1946) 540-571.<br />

Däubler W. - Sieling-Wen<strong>de</strong>ling U. - Welkoborsky H., Eigentum<br />

<strong>und</strong> <strong>Recht</strong>. Darmstadt 1976.<br />

Defourny M., Aristote. Theorie economique et politique social.<br />

Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. III (1914) 1-135.<br />

— Les theories monetaires <strong>de</strong> S. Thomas. Annales <strong>de</strong> droit et <strong>de</strong> sciences<br />

politiques (Louvain) 6 (1937-1938) 5-32.<br />

— Aristote. L'evolution sociale. Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. V<br />

(1924) 531-696.<br />

Defroidmont J., La science du droit positif. Paris 1933.<br />

Delos J. T., OP, Les buts du droit: bien commun, securite, justice. In:<br />

Annuaire <strong>de</strong> l'Institut international <strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong><br />

sociologie juridique 3 (1938) 29-47.<br />

— Un <strong>de</strong>bat sur la personnalite morale <strong>de</strong>s societes. In: La vie intellectuelle<br />

9/53 (1937) 55-65.<br />

506


— Societe et personnalite morale. Chronique Sociale <strong>de</strong> France. Lyon<br />

1938.<br />

— Bien commun. Dictionnaire <strong>de</strong> Sociologie III. Paris 1936. 831-855.<br />

— S. T. d'A. Somme Theologique II-II 57-62. Traduction francaise<br />

par M. S. Gillet OP. Notes et appendices par J. Th. Delos OP. Paris<br />

1932.<br />

— Le probleme <strong>de</strong> civilisation. La nation. 2 B<strong>de</strong>. Montreal 1944.<br />

— La sociologie <strong>de</strong> S. T. et le fon<strong>de</strong>ment du droit international. In:<br />

Ang 22 (1945) 3-16.<br />

— Le probleme <strong>de</strong>s rapports du droit et <strong>de</strong> la morale. In: Archives <strong>de</strong><br />

Philosophie du droit 3 (1933) 84-111.<br />

— La notion juridique <strong>de</strong> la guerre. In: Em<strong>de</strong>s et Recherches (1945)<br />

143-160.<br />

— La societe internationale et les principes du droit public. 2. A. Paris<br />

1950.<br />

Del Vecchio G., Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2. A. Basel 1951.<br />

Demongeot M., La theorie du regime mixte chez S. T. d'A. (Diss.)<br />

Paris (1927).<br />

— Le meilleur regime politique <strong>de</strong> S. T. d'A. Paris 1928.<br />

Dempf A., Sacrum Imperium. Geschichts- <strong>und</strong> Staatsphilosophie <strong>de</strong>s<br />

M.-A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>r politischen Renaissance. München 1929.<br />

— Christliche Staatsphilosophie in Spanien. Salzburg 1937.<br />

Demsey B., The Range of Social Justice. In: Social Or<strong>de</strong>r 7 (1957)<br />

20-25.<br />

Deploige S., Le conflit <strong>de</strong> la Morale et <strong>de</strong> la Sociologie. 3. A. Paris<br />

1927.<br />

— La Theorie thomiste <strong>de</strong> la propriete. In: RNP II (1895) 61-82, 163-<br />

175, 286-301.<br />

— S. T. et la famille. In: Annales <strong>de</strong> l'Inst. Sup. <strong>de</strong> Philos. V (1924)<br />

699-738.<br />

DiCarlo E., La filosofia giuridica e politica di S. T. d'A. Palermo 1945.<br />

Didiot J., S.Thomas, est-il socialiste? Paris 1900.<br />

Dietze G., In Defense of Property. Chicago 1963.<br />

Dognin P.-D., Das Eigentum <strong>und</strong> die mo<strong>de</strong>rnen Wirtschaftsstrukturen<br />

nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. Thomas von Aquin. In: NO 15 (1961)<br />

321-327, 422-430.<br />

— Economie, jugement distributif et usage commun <strong>de</strong>s biens. In:<br />

RSPT 46 (1962) 217-241.<br />

Doherty R. T., The Relation of the Individual to Society in the Light<br />

of Christian Principles as Expo<strong>und</strong>ed by the Angelic Doctor.<br />

Romae 1957.<br />

Dotres F. X., Santo Tomas y las leyes. Madrid 1932.<br />

Dougherty G. V., The moral basis of social or<strong>de</strong>r according to S. T.<br />

(Diss.) Washington 1941.<br />

Dutoit E., Liberte et bien commun. Lyon 1938.<br />

Dyckmans W., Das mittelalterliche Gemeinschafts<strong>de</strong>nken unter <strong>de</strong>m<br />

Gesichtspunkt <strong>de</strong>r Totalität. Pa<strong>de</strong>rborn 1937.<br />

507


Eigentumsordnung <strong>und</strong> katholische Soziallehre. Hrsg. v. Katholisch-Sozialen<br />

Institut <strong>de</strong>r Erzdiözese Köln. Köln 1970.<br />

En<strong>de</strong>mann W., Studien in <strong>de</strong>r romanisch-kanonistischen Wirtschafts<strong>und</strong><br />

<strong>Recht</strong>slehre. I-II. Berlin 1874-1883.<br />

— Die nationalökonomischen Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>r kanonischen Lehre.<br />

Jena 1863.<br />

En<strong>de</strong>rs J. A., Thomas v. Aquin. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresges. Bd. V<br />

704 ff. Frbg. 1897.<br />

— Thomas v. Aquin. Mainz 1910.<br />

Eschmann I. Tn., OP, Der Begriff <strong>de</strong>r „Civitas" bei T. v. A. In:<br />

Catholica 3 (1934) 83-103.<br />

— A thomistic glossary on the principle of the preeminence of a common<br />

good. In: Med St 5 (1943) 126-165.<br />

— Bonum commune melius est quam bonum unius. Eine Studie über<br />

<strong>de</strong>n Wertvorrang <strong>de</strong>s Personalen bei T.v.A. In: Med St 6 (1944)<br />

62-120.<br />

— Studies on the notion of society in S. T. A. In: Med St 8 (1946) 1 -42,<br />

9 (1947) 19-55.<br />

— De societate in genere, quaestio philosophica scholastica. In: Ang<br />

11 (1934) 56-77, 214-227.<br />

— In Defense of Jacques Maritain. In: The Mo<strong>de</strong>rn Schoolman 22<br />

(1945) 193-208.<br />

Faidherbe A. J., OP, La justice distributive. Paris 1934.<br />

Farner K., Christentum <strong>und</strong> Eigentum bis T.v.A. Bern 1947.<br />

Farrell P. M., Sources of St.Thomas' Concept of Natural Law. In:<br />

The Thomist 20 (1957) 237-294.<br />

Farreil W., The natural moral law according to S.T. and Suarez.<br />

(Diss.) Boston 1930.<br />

Adler M. J., The theory of <strong>de</strong>mocracy. In: Thomist 3 (1941)<br />

397-449, 588-652; 4 (1942) 121-181, 286-354, 446-522; 6 (1943)<br />

49-118, 251-277, 367-407; 7 (1944) 80-131.<br />

Ferree W., The Act of Social Justice in the Philosophy of S. T. A. and in<br />

the Encyclicals of Pope Pius XI. (Diss.) Washington 1942. Neudruck:<br />

The Act of Social Justice. Washington 1951.<br />

Feugueray H. R., Essai sur les doctrines politiques <strong>de</strong> S.T. d'A. Paris<br />

1857.<br />

Frank J., Law and the Mo<strong>de</strong>rn Mind. 6. Aufl. London 1949.<br />

Friedmann W., An introduction to world politics. London 1951.<br />

Friel G. Q., Punishment in the philosophy of S.T.A. and among<br />

some primitive peoples. (Diss.) Washington 1939.<br />

Funk F. X., Über die ökonomischen Anschauungen <strong>de</strong>r mittelalterlichen<br />

Theologen. In: Z. f. Ges.-St. 25 (1869) 125ff.<br />

— Geschichte <strong>de</strong>s kirchlichen Zinsverbotes. Tübingen 1876.<br />

— Zins <strong>und</strong> Wucher. Tübingen 1878.<br />

Galan Gutierrez E., La filosofia politica <strong>de</strong> Santo Tomas <strong>de</strong> Aquino.<br />

Madrid 1945.<br />

508


Garnier H., De l'i<strong>de</strong>e du juste prix chez les theologiens et canonistes<br />

du moyen-äge. Paris 1900.<br />

Gayraud, L'antisemitisme <strong>de</strong> S.T.d'A. Paris 1896.<br />

Geiger W., <strong>Gerechtigkeit</strong>. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

6. A. Bd. 3, 1959, 780-786.<br />

Gemmel J., SJ, Die Justitia in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. In: Sch 12 (1937)<br />

204-228.<br />

Giers J., Zum Begriff <strong>de</strong>r justitia socialis. In: Münchener Theologische<br />

Zeitschrift 7 (1956) 61-74.<br />

— Die <strong>Gerechtigkeit</strong>slehre <strong>de</strong>s jungen Suarez. Edition <strong>und</strong> Untersuchung<br />

seiner römischen Vorlesungen De Iustitia et Iure. Freiburg<br />

i.Br. 1958.<br />

Gillet M. S., OP, Le Moral et le Social d'apres S. T. In: Melanges Thomistes<br />

(Biblioth. Thom. III), Kain 1923, 311-326.<br />

Gilson E., Mediaeval universalism and its present value. New York,<br />

London 1937.<br />

Girard E., Histoire <strong>de</strong> l'economie sociale jusqu'ä la fin du XVI me<br />

siecle. Paris 1900.<br />

Gmür H., T.v.A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>r Krieg. Lpz. 1933.<br />

Goe<strong>de</strong>ckemeyer A., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl. T.v.A. In: Preuß. Jahrbücher<br />

1913 (1903) 348-419.<br />

Grabmann M., Die Kulturphilosophie <strong>de</strong>s hl. T. v. A. Augsburg 1925.<br />

— Das Naturrecht <strong>de</strong>r Scholastik von Gratian bis T.v.A. Mittelalterl.<br />

Geistesleben. 2 B<strong>de</strong>. München 1926/1936.<br />

Graf Th., De subjecto psychico gratiae et virtutum sec. doctrinam<br />

scholasticorum usque ad medium saeculum XIV. Pars prima, De<br />

subjecto virtutum cardinalium. Roma 1935.<br />

Graneris G., Contributi tomistici alla filosofia <strong>de</strong>l diritto. Torino<br />

1945.<br />

Groner F., Der aristotelische Einfluß auf die Privateigentumslehre <strong>de</strong>s<br />

hl. Thomas von Aquin in <strong>de</strong>r Summa Theologica. In: Festschr. für<br />

W. Schöllgen. Düsseldorf 1964. 206-215.<br />

G<strong>und</strong>lach G., SJ, Solidarismus, Einzelmensch, Gemeinschaft. In:<br />

Greg 17 (1936) 269-295.<br />

— Gemeinwohl. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A. Bd. 3,<br />

1959, 737-740.<br />

— Gesellschaft. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A. Bd. 3,<br />

1959, 817-822, 842-844.<br />

— Sozialphilosophie. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 6.A.<br />

Bd. 7, 1962, 337-346.<br />

— Die Ordnung <strong>de</strong>r menschlichen Gesellschaft. 2 B<strong>de</strong>. Köln 1964.<br />

Habermas J. - Luhmann N., Theorie <strong>de</strong>r Gesellschaft o<strong>de</strong>r Sozialtechnologie.<br />

Frankfurt a.M. 1971.<br />

Hagenauer S., Das iustum pretium bei T.v.A. Ein Beitrag zur<br />

Geschichte <strong>de</strong>r objektiven Werttheorie. Sttgt. 1931.<br />

Haring J. B., Der <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Gesetzesbegriff in <strong>de</strong>r katholischen<br />

Ethik <strong>und</strong> mo<strong>de</strong>rnen Jurispru<strong>de</strong>nz. Graz 1899.<br />

509


Hässle J., Das Arbeitsethos <strong>de</strong>r Kirche nach T. v. A. <strong>und</strong> Leo XIII.<br />

Frbg. 1923.<br />

Hauschild W.-D., Christentum <strong>und</strong> Eigentum. In: Zeitschrift für<br />

evangelische Ethik 16 (1972) 34-49.<br />

Healy P. J., Historie Christianity and the Social Question. In: The<br />

Catholic University Bulletin 17 (1911).<br />

Hearnshaw F. J. C, The social and political i<strong>de</strong>as of some great<br />

mediaeval thinkers. London 1924.<br />

Heck Ph., Begriffsbildung <strong>und</strong> Interessenjurispru<strong>de</strong>nz. Tübingen<br />

1932.<br />

Heinen W., Die justitia socialis. Düsseldorf 1935.<br />

Hering H., OP, De genuina notione justitiae generalis seu legalis juxta<br />

S.T. In: Ang 14 (1937) 464-487.<br />

— De iustitia legali. Frbg. (Schw.) 1944.<br />

Hertling G. v., Kleine Schriften zur Zeitgeschichte <strong>und</strong> Politik. Frbg.<br />

1987. 127-192.<br />

— Historische Beiträge zur Philosophie. München 1914. 70-96:<br />

T.v.A. <strong>und</strong> die Probleme <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

Heumanns Handlexikon zu <strong>de</strong>n Quellen <strong>de</strong>s römischen <strong>Recht</strong>s.<br />

9. Aufl. von E. Seckel, Jena 1914.<br />

Hey<strong>de</strong> P., Gedanken zur Eigentumsfrage. In: J. Doehring, Hrsg.,<br />

Gesellschaftspol. Realitäten. Gütersloh 1964. 47-70.<br />

Hieronimi G., Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls in <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s Solidarismus.<br />

In: Freiburger Zeitschrift für Philosophie <strong>und</strong> Theologie 12<br />

(1965) 413-425.<br />

Hilgenreiner K., Die Erwerbsarbeit in <strong>de</strong>n Werken <strong>de</strong>s hl. T.v.A.<br />

In: Katholik 1 (1901) 62ff.<br />

Hoban J. H., The thomistic Concept of Person. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

Höffner J., Soziale <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> soziale Liebe. Saarbrücken<br />

1935.<br />

— Wirtschaftsethik <strong>und</strong> Monopole im 15. <strong>und</strong> 16. Jahrh<strong>und</strong>ert. Jena<br />

1941.<br />

— Christentum <strong>und</strong> Menschenwür<strong>de</strong>. Das Anliegen <strong>de</strong>r spanischen<br />

Kolonialethik im gol<strong>de</strong>nen Zeitalter. Trier 1947.<br />

— Die Funktion <strong>de</strong>s Privateigentums in <strong>de</strong>r freien Welt. In: Wirtschaftsfragen<br />

<strong>de</strong>r freien Welt, Festschrift für Ludwig Erhard. Frankfurt<br />

1957.<br />

— Ein Bruch in <strong>de</strong>r christlichen Eigentumslehre? Vom jus gentium<br />

zum jus naturae. In: Spanische Forschungen <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

1.Reihe: Gesammelte Aufsätze zur Kulturgeschichte Spaniens 19.<br />

Münster 1962. 281-290.<br />

Hohoff W., Die Wertlehre <strong>de</strong>s hl. T.v.A. In: Monatsschr. f. christliche<br />

Sozialreform XV (1893) H. 9 u. 10.<br />

Hoorth F., Bemerkungen zur „Staatslehre Leos XIII.". In: Sch 2<br />

(1927) 563-580.<br />

510


— Totalitätsfor<strong>de</strong>rung <strong>und</strong> Totalitätsgesetz. In: Seh 10 (1935) 321<br />

bis 339.<br />

Horväth A., OP, Eigentumsrecht nach <strong>de</strong>m hl.T.v.A. Graz 1929.<br />

Hugueny E., L'Etat et l'individu. In: Melanges Thomistes (Biblioth.<br />

Thom. III), Kain 1923, 341-360.<br />

Hutchins R., S.T. and the World State. Milwaukee 1949.<br />

Janet P., Histoire <strong>de</strong> la science politique dans ses rapports avec la<br />

morale. 3.A. Paris 1887.<br />

Jansen G., Money is sterile. S. T's principles applied to mo<strong>de</strong>rn economies.<br />

Oxford (o.J.).<br />

Janssen A., Doctrina S. Thomae <strong>de</strong> obligatione laborandi. In: ETL 1<br />

(1924) 355-368.<br />

Janssens E., La coutume, source formelle <strong>de</strong> droit d'apres S.T. et<br />

d'apres Suarez. In: RT 36 (1931) 681-726.<br />

Janssens L., Personne et societe. Gembloux 1939.<br />

Jarlot G., Propriete, droit naturel et bien commun: les pauvres ont-ils<br />

<strong>de</strong>s droits? In: Nouvelle Revue Theologique 85 (1963) 618-630.<br />

Jerusalem F. W., Kritik <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft. Frkf. 1948.<br />

La justice. In: Revue internationale <strong>de</strong> philosophie 11, 41 (1957).<br />

Kaczynski E., II „naturale dominium" <strong>de</strong>lla IIa Ilae, 66, 1, e le sue<br />

interpretazioni mo<strong>de</strong>rne. In: Ang 53 (1976) 453-477.<br />

Kaibach R., OFMCap, Das Gemeinwohl <strong>und</strong> seine ethische Be<strong>de</strong>utung.<br />

Düsseldorf 1928.<br />

Keesen, La mission <strong>de</strong> l'Etat d'apres la doctrine et la metho<strong>de</strong> <strong>de</strong><br />

S.T.d'A. Bruxelles 1890.<br />

Kelsen H., Reine <strong>Recht</strong>slehre. 2.A. Wien 1960.<br />

Killeen S. M., The Philosophy of labour in S.T. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

Kinkel J., Die sozialökonomischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftslehren<br />

von Aristoteles. Lpz. 1911.<br />

Kleckow M., Die <strong>Recht</strong>fertigung <strong>de</strong>s Eigentums <strong>und</strong> <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sbegriff<br />

nach christlich-mittelalterlicher Auffassung unter beson<strong>de</strong>rer<br />

Berücksichtigung <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>s- <strong>und</strong> Soziallehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A.<br />

Breslau 1939.<br />

Kleinhappl J., SJ, Die Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. über <strong>de</strong>n „valor commutativus"<br />

in <strong>de</strong>r Lectio IX seines Kommentars zur Nikomachischen<br />

Ethik. In: Zeitschr. f. kath. Theologie 62 (1935) 443-456.<br />

Klose A., Zur Gemeinwohlproblematik - Perspektiven einer gemeinwohlorientierten<br />

Politik aus <strong>de</strong>r Sicht christlicher Sozialethik. In:<br />

A.Rauscher, Hrsg., Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl, Berlin 1985,<br />

495-543.<br />

Klose A., Schambeck H., Weiler R., Hrsg., Das Neue Naturrecht.<br />

Die Erneuerung <strong>de</strong>r Naturrechtslehre durch Johannes Messner.<br />

Berlin 1985.<br />

Klüber F., Der Ort <strong>de</strong>s Privateigentums im System <strong>de</strong>s Naturrechts.<br />

In: NO 13 (1959) 81-97.<br />

511


— Eigentumstheorie <strong>und</strong> Eigentumspolitik. Begründung <strong>und</strong> Gestaltung<br />

<strong>de</strong>s Privateigentums nach katholischer Gesellschaftslehre.<br />

Osnabrück 1963.<br />

De Köninck Ch., In Defence of S.T. A Reply to Father Eschmann's<br />

Attack on the Primacy of the Common Good. In: Laval theologique<br />

et philosophique. 1, II (1945) 9-109.<br />

— De la Primaute du bien commun contre les personnalistes. Quebec,<br />

Montreal 1943.<br />

Kopp R., Vaterland <strong>und</strong> Vaterlandsliebe nach <strong>de</strong>r christlichen Moral<br />

mit beson<strong>de</strong>rer Berücksichtigung <strong>de</strong>s hl.T. v. A. (Diss.) Luzern<br />

1915.<br />

Korvin-Krasinski C. v., Gr<strong>und</strong>unterscheidungen im Naturrecht auf<br />

Eigentum. In: NO 17 (1963) 91-103.<br />

— Die Problematik <strong>de</strong>s Gemeinwohls auf Weltebene. In: NO 21<br />

(1967) 419-431.<br />

Kötzschke R., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte <strong>de</strong>s Mittelalters. Jena<br />

1924.<br />

Kraus J. B., SJ, Scholastik, Puritanismus <strong>und</strong> Kapitalismus. München,<br />

Lpz. 1930.<br />

Kühle H., Staat <strong>und</strong> To<strong>de</strong>sstrafe. Münster 1934.<br />

Kuhlmann B. C, OP, Der Gesetzesbegriff beim hl. T. v. A. im Lichte<br />

<strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>sstudiums seiner Zeit. Bonn 1912.<br />

Kuhn F., Die Probleme <strong>de</strong>s Naturrechts bei T.v.A. Erlangen 1909.<br />

Kulischer J., Allgemeine Wirtschaftsgeschichte I (Das M.-A.). München<br />

1928.<br />

Küng E., Eigentum <strong>und</strong> Eigentumspolitik. Tübingen 1964.<br />

Kurz E., OFM, Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft beim hl. T. v. A. München<br />

1932.<br />

Lachance L., OP, L'humanisme politique <strong>de</strong> S.T. Individu et Etat.<br />

2 B<strong>de</strong>. Paris, Ottawa 1939.<br />

— La nation. In: Activites philosophiques (Montreal) (1945/1946) 81-<br />

104.<br />

— Le sujet du droit international. Madrid 1947.<br />

— Le concept <strong>de</strong> Droit selon Aristote et S.T. 2. A. Ottawa, Montreal<br />

1948.<br />

Lallement D., La doctrine politique <strong>de</strong> S.T.d'A. In: RP 27 (1927)<br />

353-379, 465-488; 29 (1929) 71-86.<br />

Lantz G., Eigentumsrecht - ein <strong>Recht</strong> o<strong>de</strong>r ein Unrecht? Uppsala<br />

1977.<br />

Larkin P., Property in the eighteenth Century. 1930.<br />

Lasars W., Die klassisch-utilitaristische Begründung <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Berlin 1982.<br />

Laski H. J., Grammar of Politics. 1941.<br />

Lauterpacht H., Recognition in International Law. Cambridge 1947.<br />

Lavaud B., OP, La philosophie du Bolchevisme. In: RT 37 (1932)<br />

599-633.<br />

512


— Le mariage en droit naturel selon T.d'A. In: Studia Gnesnensia 12<br />

(1935) 353-383.<br />

Laversin M. J., Droit naturel et droit positif d'apres S.T. In: RT 38<br />

(1933) 3-49, 177-216.<br />

Leclercq J., Lecons <strong>de</strong> droit naturel. I-IV. Louvain 1946-1950.<br />

Lefebvre Ch., La notion d'equite chez Pierre Lombard. In: Miscellanea<br />

Lombardiana. Novara 1957. 223-229.<br />

Le Foyer J., Expose du droit penal normand au XIIF siecle. Paris<br />

1931.<br />

Leisching P., Der Begriff <strong>de</strong>s bonum commune bei Thomas von<br />

Aquino. In: Oesterreichische Zeitschrift für öffentliches <strong>Recht</strong> 11<br />

(1960/61) 15-26.<br />

Lemmonyer A., Tonneau J. et Tron<strong>de</strong> R., Precis <strong>de</strong> sociologie. Marseille<br />

1934.<br />

Lener S., Ii „Diritto naturale appogiato sul fatto" <strong>de</strong>l P. Taparelli e<br />

l'antigiusnaturalismo contemporaneo. In: La Civiltä Cattolica<br />

114,4 (1963) 346-359, 594-607.<br />

Lenz J., Die Personwür<strong>de</strong> <strong>de</strong>s Menschen bei T.v.A. In: PJ 49 (1936)<br />

138-166.<br />

Leon P., Doctrines sociales et politiques au Moyen-Age. In: Archives<br />

<strong>de</strong> philosophie du droit et <strong>de</strong> sociologie juridique (1932).<br />

Lessei K., Die Entwicklungsgeschichte <strong>de</strong>r kan.-schol. Wucherlehre<br />

im 13.Jh. Luxembg. 1905.<br />

Liberatore M., SJ, Ethicae et iuris naturae elementa. Napoli 1846.<br />

Linhardt R., Die Sozialprinzipien <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Frbg. 1932.<br />

Lio E., II testo di S. Agostino „Justitia (est) in subveniendo miseris" in<br />

Pier Lombardo e nei suoi glossatori fino a S.Tommaso d'Aquino.<br />

In: Miscellanea Lombardiana. Novara 1957. 175-222.<br />

— De jure ut obiecto justitiae apud S.Thomam, II-II, q. 57, a. 1. In:<br />

Apollinaris 32 (1959) 16-71.<br />

Lipinski B., Divi Thomae <strong>de</strong> usu divitiarum doctrina. Frbg. (Schw.)<br />

1910.<br />

Lottin O., OSB, Le droit naturel chez S. T. d'A. et ses pre<strong>de</strong>cesseurs.<br />

2.A. Bruges 1931.<br />

— Psychologie et morale au XIF et XIIF siecles. II-III. Problemes <strong>de</strong><br />

morale. Louvain-Gembloux 1948/1949.<br />

Lumia G., La giustizia. Consi<strong>de</strong>razioni storico-critiche. In: RIFD 38<br />

(1961) 255-280.<br />

MacPherson C. B., ed., Property. Toronto 1978.<br />

Majdanski C, Le röle <strong>de</strong>s biens exterieurs dans la vie morale d'apres<br />

S.T.d'A. (Diss.) Vanves (Seine) 1951.<br />

Malagola A., Le teorie politiche di S. Tommaso d'Aquino. Bologna<br />

1912.<br />

Mandonnet P., OP, S.T. d'A. et les sciences sociales.In: RT 20 (1912)<br />

654-665.<br />

Manser G., OP, Die Frauenfrage nach T.v.A. Ölten 1919.<br />

— Der Staat. In: DTF 24 (1946) 45-79.<br />

513


— Die Individualnatur <strong>de</strong>s Menschen <strong>und</strong> ihre Sozialanlage. In: DTF<br />

18 (1940) 130-141.<br />

— Das Naturrecht in thomistischer Beleuchtung. Frbg. (Schw.) 1944.<br />

— Angewandtes Naturrecht. Frbg. (Schw.) 1947.<br />

Maritain J., Du regime temporel et <strong>de</strong> la liberte. Paris 1933.<br />

— La personne et le bien commun. Paris 1947.<br />

— Les droits <strong>de</strong> l'homme et la loi naturelle. 2. A. Paris 1945.<br />

— Christianisme et <strong>de</strong>mocratie. 2. A. Paris 1945. Übersetzung von F.<br />

Schmal: Christentum <strong>und</strong> Demokratie. Abendländische Reihe 11.<br />

Augsburg 1949.<br />

— Principes d'une politique humaniste. 2. A. Paris 1945.<br />

— The Person and the Common Good. Notre Dame/Ind. 1966.<br />

Martinez M. L., Distributive Justice according to S.T. In: The<br />

Mo<strong>de</strong>rn Schoolman 24 (1946/1947) 208-223.<br />

Martyniak C, Le fon<strong>de</strong>ment objectif du droit d'apres S. T. d'A. Paris<br />

1931.<br />

Mathis B., <strong>Recht</strong>spositivismus <strong>und</strong> Naturrecht. Pa<strong>de</strong>rborn 1933.<br />

Maurenbrecher M., Thomas v. Aquinos Stellung zum Wirtschaftsleben<br />

seiner Zeit. l.H. Lpz. 1898 (vgl. v. Hertlings Besprechung<br />

dieser Schrift in PJ, 1898, 456ff.).<br />

Mausbach J., Naturrecht <strong>und</strong> Völkerrecht. Frbg. 1918.<br />

Mayer E., Italienische Wirtschaftsgeschichte. 2 B<strong>de</strong>. Lpz. 1909. Frbg.<br />

1927.<br />

Mayer J., Gesetzliche Unfruchtbarmachung Geisteskranker. Frbg.<br />

1927.<br />

— Gemeinn<strong>utz</strong> vor Eigenn<strong>utz</strong>. In: Jb. <strong>de</strong>r Caritas-Wissenschaft (1935)<br />

185-197.<br />

McDonald W. J., Communism in E<strong>de</strong>n? In: NS 20 (1946) 101-125.<br />

— The social value of property according to S.T. A. (Diss.) Washington<br />

1939.<br />

McLaren D., Private property and the natural law. Oxford 1949.<br />

Menen<strong>de</strong>z-Reigada I., La teoria penalista <strong>de</strong> San Tomas. In: CT 64<br />

(1943) 273-292.<br />

Messner J., Sozialökonomik <strong>und</strong> Sozialethik. Pa<strong>de</strong>rborn 1927.<br />

— Das Naturrecht. Handbuch <strong>de</strong>r Gesellschaftsethik, Staatsethik <strong>und</strong><br />

Wirtschaftsethik. Innsbruck - Wien 1950. 5.A. 1966, 7.A. Berlin<br />

1984.<br />

— Das Gemeinwohl. Osnabrück 1968.<br />

Meyer Th., SJ, Institutiones juris naturalis seu philosophiae moralis<br />

universae sec<strong>und</strong>um principia S. Thomae Aquinatis. Pars I. Jus<br />

naturae generale. Frbg. 1885. Pars II. Jus naturae speciale. Frbg.<br />

1900.<br />

Michel S., La notion thomiste du bien commun. Quelques-unes <strong>de</strong> ses<br />

applications juridiques. Paris 1932.<br />

Miscellanea Taparelli. Analecta Gregoriana 133. Roma 1964.<br />

Mitteis H., Über das Naturrecht. Berlin 1948.<br />

514


Mod<strong>de</strong> A., Le bien commun dans la philosophie <strong>de</strong> S.T. In: RPL 47<br />

(1949) 221-247.<br />

Mongillo D., La struttura <strong>de</strong>l „De iustitia". Summa Theologiae II-II<br />

qq 57-122. In: Ang 48 (1971) 355-377.<br />

Monieon J. <strong>de</strong>, Petites notes autour <strong>de</strong> la famille et <strong>de</strong> la cite. In: Laval<br />

theologique et philosophique 3 (1947) 262-289.<br />

Mörsdorf K., Aequitas. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft,<br />

6.Aufl., Bd.I, 1957, 54-60.<br />

Mounier E., De la propriete capitaliste ä la propriete humaine. Paris<br />

1936. Deutsche Übersetzung: Vom kapitalistischen Eigentumsbegriff<br />

zum Eigentum <strong>de</strong>s Menschen. Luzern 1936.<br />

Muhfer E., Die I<strong>de</strong>e <strong>de</strong>s gerechten Lohnes. München 1924.<br />

Müller A., SJ, La Morale et les Affaires. Tournai, Paris 1951.<br />

Müller K., Die Arbeit nach <strong>de</strong>n moralisch-philos. Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>s hl.<br />

T.v.A. Frbg. (Schw.) 1912.<br />

— Der Staat in seinen Beziehungen zur sittlichen Ordnung bei T. v. A.<br />

Eine staatsphilosophische Untersuchung. Münster 1916.<br />

Muriel R., Trascen<strong>de</strong>ncia <strong>de</strong> la persona en el bien comün <strong>de</strong>l universo.<br />

In: Estudios Filosoficos 6 (1957) 231-243.<br />

Nawroth E., Ganzheitliches Gesellschaftsordnungs<strong>de</strong>nken. In: NO<br />

20 (1966) 401-416; 21 (1967) 16-31.<br />

Negro Fr., Das Eigentum. Geschichte <strong>und</strong> Zukunft. Berlin 1963.<br />

Nefl-Breuning O. v., SJ, Gr<strong>und</strong>züge <strong>de</strong>r Börsenmoral. Freiburg 1928.<br />

— Zins. In: Staatslexikon <strong>de</strong>r Görresgesellschaft, 5. Aufl., Bd. V, 1932,<br />

1600-1624.<br />

— Die Eigentumsfrage in neueren kirchenlehramtlichen Verlautbarungen.<br />

In: Trierer Theologische Zeitschrift 60 (1951) 31 ff.<br />

— Die Eigentumsfrage in <strong>de</strong>n Dokumenten <strong>de</strong>r katholischen Soziallehre.<br />

In: Stimmen <strong>de</strong>r Zeit 197 (1979) 347-349.<br />

— <strong>Gerechtigkeit</strong> <strong>und</strong> Freiheit. Wien 1980.<br />

— <strong>und</strong> Sacher H., Beiträge zu einem Wörterbuch <strong>de</strong>r Politik. H. 1-6.<br />

Frbg. 1947 ff.<br />

Nußbaumer A., Der hl. T. <strong>und</strong> die rechtliche Stellung <strong>de</strong>r Frau. In:<br />

DTF 11 (1933) 63-75, 138-156.<br />

O'Connor D. J., Aquinas and natural law. London 1967.<br />

Olgiati F.,Ii concetto di giuridicitä e S.T. d'A. 2. A. Milano 1944. 3. A.<br />

1951 (Neudruck).<br />

— Indagini e discussioni intorno al concetto di giuridicitä. Milano<br />

1944.<br />

Olivier-Martin Fr., Histoire du Droit Francais <strong>de</strong>s origines ä la Revolution.<br />

Montchrestien 1948.<br />

Orabona L., Cristianesimo e proprietä. Saggio sulle fonti antiche.<br />

Roma 1964.<br />

O'Rahilly A., S.T. on Credit. In: Irish Eccles. Record 64 (1928) 159-<br />

186.<br />

Orel A., Oeconomia perennis. 2 B<strong>de</strong>. Mainz 1930.<br />

Orlich A., L'uso <strong>de</strong>i beni nella morale di S.T. (Diss.) Monza 1913.<br />

515


Ostiguy R., De la nature du droit selon S.T. In: RUO 17 (1947) 69*-<br />

112*.<br />

Palacio J. M., Enchiridion sobre la propiedad. Concepto cristiano <strong>de</strong>l<br />

<strong>de</strong>recho <strong>de</strong> propiedad y <strong>de</strong>l uso <strong>de</strong> las riquezas. Madrid 1935.<br />

Parel A. - Flanagan Th., ed., Theories of property. Waterloo/Ont.<br />

1979.<br />

Passerin d'Entreves A., S.T.d'A. Scritti politici. Bologna 1946.<br />

Patrono A., II pensiero politico di S.T.d'A. Genova 1940.<br />

Paulus N., Die Wertung <strong>de</strong>r weltlichen Berufe im Mittelalter. In:<br />

Historisches Jahrbuch 32 (1911) 725 ff.<br />

Pegues T., La theorie du pouvoir d'apres S.T. In: RT 19 (1911) 591-<br />

616.<br />

Peläez A. G., Doctrina tomista sobre la tirania politica. In: CT 30<br />

(1924) 313-331.<br />

— Teoria <strong>de</strong> honor en la moral tomista. In: CT 31 (1925) 5-25.<br />

Perez B. A., En pos <strong>de</strong> la paz. Normas etico-juridicas que, segtin<br />

S. Tomas <strong>de</strong> Aquino y sus principales commentadores, <strong>de</strong>ben regulär<br />

la duraciön, ejercicio y terminaciön <strong>de</strong> la guerra. Lima 1928.<br />

Perez Garcia J., De principiis functionis socialis proprietatis privatae<br />

apud divum Thomam Aquinatem. (Diss. Frib.) Abulae 1924.<br />

Perticone G., In tema di diritto e giustizia. Milano 1961.<br />

Pesch H., SJ, Das Privateigentum als soziale Institution. 2. A. Frbg.<br />

1900.<br />

Petit Cl., Les enseignements juridiques et sociaux <strong>de</strong> S.T. In: Chron.<br />

soc. <strong>de</strong> France 33 (1924) 339ff., 426ff.<br />

La Pira G., Indirizzo e conquiste <strong>de</strong>lla filosofia neo-scolastica italiana.<br />

In: RFN 26 (1934) Suppl. 193-205.<br />

— Ii valore <strong>de</strong>üa persona. Milano 1947.<br />

Pöhlmann R., Geschichte <strong>de</strong>r sozialen Frage <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Sozialismus in<br />

<strong>de</strong>r antiken Welt. 3.A. München 1925.<br />

II problema <strong>de</strong>lla giustizia. In: RIFD 39 (1962) 47-221.<br />

Prümmer D., Manuale Theologiae Moralis. 9. Aufl. Freiburg 1940.<br />

Quillet H. R., Doctrina socialis et politica divi Thomae Aquinatis.In:<br />

Rev. <strong>de</strong>s sciences eccles. 9 (1894) 340-355.<br />

Ramirez S., El <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes. Madrid 1955.<br />

— Pueblo y gobierno al servicio <strong>de</strong>l bien comün. Madrid 1956.<br />

Ratzinger G., Die Volkswirtschaft in ihren sittlichen Gr<strong>und</strong>lagen.<br />

2.A. Frbg. 1895.<br />

Rauscher A., Privater <strong>und</strong> sozialer Wohlstand. In: F. Groner, Hrsg.,<br />

Kirche im Wan<strong>de</strong>l <strong>de</strong>r Zeit, Köln 1971, 479-494.<br />

— (Hrsg.), Selbstinteresse <strong>und</strong> Gemeinwohl. Berlin 1985.<br />

Rawls J., Eine Theorie <strong>de</strong>r <strong>Gerechtigkeit</strong>. Frankfurt 1978.<br />

Renard R. G., OP, L'entreprise et sa finance. In: RSPT 25 (1936) 645-<br />

657.<br />

— La philosophie <strong>de</strong> l'institution. Essai d'ontologie juridique. I. Partie<br />

juridique. Paris 1939.<br />

— Droit romain et pensee chretienne. In: RSPT 27 (1938) 53-62.<br />

516


— et Trotabas L., La fonction sociale <strong>de</strong> la propriete privee. Paris<br />

1930.<br />

Renaudiere <strong>de</strong> Paulis D., La naturaleza <strong>de</strong>l <strong>de</strong>recho <strong>de</strong> gentes y la ley<br />

natural. In: Sapientia 13, 49 (1958) 219-223.<br />

Renz O., Die Synteresis nach <strong>de</strong>m hl. T. v. A. Beiträge X 1/2. Münster<br />

1911.<br />

— Die Lösung <strong>de</strong>r Arbeiterfrage durch die Macht <strong>de</strong>s <strong>Recht</strong>s. Luzern<br />

1927.<br />

— Das Dienstverhältnis. Ein Beitrag zum Familienrecht <strong>und</strong> zur<br />

Arbeiterfrage. In: Xenia thomistica I 475-506.<br />

Riedl C, The social theory of S.T.A. Phila<strong>de</strong>lphia 1934.<br />

Robert M., Hierarchie necessaire <strong>de</strong>s fonctions economiques d'apres<br />

S.T.d'A. In: RT 21 (1913) 419-431.<br />

— La doctrine sociale <strong>de</strong> S.T. et sa realisation dans les faits. In: RT 20<br />

(1912) 49-65.<br />

Robillard J. A., Sur la Condition (status) en S.T. In: RSPT 25 (1926)<br />

104-107.<br />

Rocha M., Les origines <strong>de</strong> „Quadragesimo anno". Travail et salaire ä<br />

travers la scolastique. Paris 1933.<br />

Rohner A., OP, Naturrecht <strong>und</strong> positives <strong>Recht</strong>. In: DTF 12 (1934)<br />

59-83.<br />

Rolland-Gosselin B., La doctrine politique <strong>de</strong> S.T. Paris 1928.<br />

Rommen H., Der Staat in <strong>de</strong>r katholischen Gedankenwelt. Pa<strong>de</strong>rborn<br />

1935.<br />

— Die ewige Wie<strong>de</strong>rkehr <strong>de</strong>s Naturrechts. 2.A. München 1947.<br />

DeRooy P., OP, La nature <strong>de</strong> la Societe selon S.T. In: Ang 6 (1929)<br />

483-496.<br />

— Philosophia socialis. Rom 1937.<br />

Ryan J. A., Alleged Socialism of the Church Fathers. St. Louis 1913.<br />

Salleron L., Six etu<strong>de</strong>s sur la propriete collective. Paris 1964.<br />

Sandoz A., La notion <strong>de</strong> juste prix. In: RT 45 (1939) 285-305.<br />

Sauer W., Die <strong>Gerechtigkeit</strong>. Berlin 1959.<br />

Sauter J., Thomistische Gesellschaftslehre. In: Hdb. d. Staatswissenschaften.<br />

4.A. 1928. Bd. 8, 244ff.<br />

Schaller L., OP, Der <strong>Recht</strong>sformalismus Kelsens <strong>und</strong> die thomistische<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie. (Diss.) Frbg. (Schw.) 1949.<br />

Schaub F., Die Eigentumslehre nach T.v.A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>m mo<strong>de</strong>rnen<br />

Sozialismus. Frbg. 1898.<br />

— Der Kampf gegen <strong>de</strong>n Zinswucher <strong>und</strong> unlauteren Han<strong>de</strong>l im M.-A.<br />

von Karl d. Gr. bis Papst Alexan<strong>de</strong>r III. Frbg. 1905.<br />

— Studien zur Geschichte <strong>de</strong>r Sklaverei im Frühmittelalter. Berlin-<br />

Lpz. 1913.<br />

Schaube A., Han<strong>de</strong>lsgeschichte <strong>de</strong>r romanischen Völker. München<br />

1906.<br />

Schäzler C. v., Divus Thomas contra Liberalismum. Rom 1874.<br />

Schickling H., Sinn <strong>und</strong> Grenze <strong>de</strong>s aristotelischen Satzes „Das<br />

Ganze ist vor <strong>de</strong>m Teil". München 1936.<br />

517


Schilling O., Reichtum <strong>und</strong> Eigentum in <strong>de</strong>r altkirchlichen Literatur.<br />

Frbg. 1908.<br />

— Das Völkerrecht nach T.v.A. Frbg. 1919.<br />

— Katholische Sozialethik. München 1929.<br />

— Die christliche Soziallehre. München (1926).<br />

— Der kirchliche Eigentumsbegriff. 2.A. Frbg. 1930.<br />

— Die Staats- <strong>und</strong> Soziallehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. 2.A. München 1930.<br />

— Christliche Gesellschaftslehre. Frbg. 1926.<br />

— Christliche Staatslehre <strong>und</strong> Politik. M.-Gladbach (1927).<br />

— Katholische Wirtschaftsethik. München 1933.<br />

— Christliche Gesellschaftslehre. Sozialistische o<strong>de</strong>r christliche Kultur?<br />

München 1949.<br />

— Christliche Sozial- <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sphilosophie. 2.A. München 1950.<br />

Schmölz F.-M., Der gesellschaftliche Mensch <strong>und</strong> die menschliche<br />

Gesellschaft bei Thomas von Aquin. In: NO 16 (1962) 328-335.<br />

Schneid M., Die Philosophie <strong>de</strong>s hl.T.v.A. <strong>und</strong> ihre Be<strong>de</strong>utung für<br />

die Gegenwart. Würzburg 1881.<br />

— Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Hist.-Politische Blätter 77 (1876).<br />

Schnei<strong>de</strong>r C. M., Die sozialistische Staatsi<strong>de</strong>e, beleuchtet durch<br />

T.v.A. Pa<strong>de</strong>rborn 1894.<br />

Schnei<strong>de</strong>r F., Das kirchliche Zinsverbot <strong>und</strong> die kuriale Praxis im<br />

13.jh. In: Festgabe f. H. Finke. Münster 1904. 129ff.<br />

Schnürer G., Inquisition. In: LThK V, 1933, 419ff.<br />

Schreiber E., Die volkswirtschaftlichen Anschauungen <strong>de</strong>r Scholastik<br />

seit T.v.A. Jena 1913.<br />

Schreyvogel F., Ausgewählte Schriften zur Staats- <strong>und</strong> Wirtschaftslehre<br />

<strong>de</strong>s T.v.A. Jena 1923.<br />

Schulte K., Gemeinschaft <strong>und</strong> Wirtschaft im Denken <strong>de</strong>s T.v.A.<br />

Pa<strong>de</strong>rborn 1925.<br />

— Staat <strong>und</strong> Gesellschaft im Denken <strong>de</strong>s T.v.A. Pa<strong>de</strong>rborn 1927.<br />

Schumacher H., The social message of the New Testament. Milwaukee<br />

1937.<br />

Schuster J. B., SJ, Die Soziallehre nach Leo XIII. <strong>und</strong> Pius XI. Frbg.<br />

1935.<br />

Schwa<strong>de</strong>rlapp W., Eigentum <strong>und</strong> Arbeit bei Oswald von Nell-Breuning.<br />

Düsseldorf 1980.<br />

Schwalm B., OP, La societe et l'etat. Paris 1937.<br />

— Individualisme et solidarite. In: RT 6 (1898) 65-99.<br />

— La propriete d'apres la philosophie <strong>de</strong> S.T. d'A. In: RT 3 (1895)<br />

281-307, 634-660.<br />

Schwer W., Katholische Gesellschaftslehre. Pa<strong>de</strong>rborn 1928.<br />

Seipel I., Die wirtschaftsethischen Lehren <strong>de</strong>r Kirchenväter. Wien<br />

1907.<br />

Sertillanges A. D., OP, La philosophie morale <strong>de</strong> S.T.d'A. Paris<br />

1922.<br />

Simon Y., Trois lecons sur le travail. Paris 1938.<br />

— Nature and function of authority. Milwaukee/Wisc. 1940.<br />

518


Simone L. <strong>de</strong>, La giustizia secondo S.T. Saggio sulla 58* questione<br />

<strong>de</strong>lla Somma Teologica II-II". Napoli 1941.<br />

Sohm R., Institutionen. Geschichte <strong>und</strong> System <strong>de</strong>s römischen Privatrechtes.<br />

München, Lpz. 1919 16 .<br />

Sombart W., Der mo<strong>de</strong>rne Kapitalismus. 2 B<strong>de</strong>. 6. A. München 1924.<br />

Sommerlad Th., Das Wirtschaftsprogramm <strong>de</strong>r Kirche <strong>de</strong>s Mittelalters.<br />

Lpz. 1903.<br />

Sorgenfrei H., Die geistesgeschichtlichen Hintergrün<strong>de</strong> <strong>de</strong>r Sozialenzyklika<br />

„Rerum novarum" Papst Leos XIII. vom 15. Mai 1891.<br />

Hei<strong>de</strong>lberg 1970.<br />

Sousberghe L. <strong>de</strong>, SJ, Propriete „<strong>de</strong> droit naturel". These neo-scolastique<br />

et tradition scolastique. In: Nouvelle Revue Theologique 72<br />

(1950) 580-607.<br />

Spicq C, OP, L'aumone: Obligation <strong>de</strong> justice ou <strong>de</strong> charite? S.T.,<br />

Summa Theol. II-II q. 32 a. 5. In: Melanges Mandonnet 1,245-264.<br />

— Notes <strong>de</strong> lexicographie philosophique medievale: „Dominium,<br />

possessio, proprietas" chez S.T. et chez les juristes romains. In:<br />

RSPT 18 (1929) 269-281.<br />

— La notion analogique <strong>de</strong> „Dominium" et le droit <strong>de</strong> propriete. In:<br />

RSPT 20 (1931) 53-76.<br />

— Note <strong>de</strong> lexicographie philosophique medievale: „Potestas procurandi<br />

et dispensandi" (II-II q. 66 a. 2). In: RSPT 23 (1934) 82-93.<br />

Vgl. auch: Notes et Communications du BT 1 (1931-1933) 62*-<br />

68*.<br />

Spranger E., Zur Frage <strong>de</strong>s Naturrechts. In: Universitas 3 (1948) 405-<br />

420.<br />

Stammler R., Die Lehre vom richtigen <strong>Recht</strong>. 2.A. Lpz. 1922.<br />

— Lehrbuch <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>sphilosophie. 3.A. Berlin 1928.<br />

Stein E., Individuum <strong>und</strong> Gemeinschaft. In: Jb. f. Philos. <strong>und</strong> phaen.<br />

Forschung 5 (1922) 116-267.<br />

Stepa J., Le caractere total <strong>de</strong> l'Etat d'apres S.T. d'A. In: Studia Gnesnensia<br />

12 (1935) 439-442.<br />

Steuer G., Studien über die theoretischen Gr<strong>und</strong>lagen <strong>de</strong>r Zinslehre<br />

bei T.v.A. Stuttgart 1936.<br />

Stockums W., Die Unverän<strong>de</strong>rlichkeit <strong>de</strong>s natürlichen Sittengesetzes<br />

in <strong>de</strong>r scholastischen Ethik. Münster 1911.<br />

Sutherland A. E., The Law and One Man among Many. Madison<br />

1956.<br />

Sylvestre P. A., Le tout physique et le tout social. In: RUO 6 (1937)<br />

93-112.<br />

Tammelo J., Untersuchungen zum Wesen <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>snorm. Willsbach<br />

u. Hei<strong>de</strong>lbg. 1947.<br />

Taparelli A., SJ, Saggio teoretico di diritto naturale appogiato sul<br />

fatto. 2 vol. Palermo 1840/41. Deutsche Ausgabe: Versuch eines auf<br />

Erfahrung begrün<strong>de</strong>ten Naturrechts. 2 B<strong>de</strong>. Regensburg 1845.<br />

— Essai sur les principes philosophiques <strong>de</strong> l'economie politique. Paris<br />

1943.<br />

519


Thieme, K., Fö<strong>de</strong>ralismus <strong>und</strong> Subsidiaritätsprinzip. In: Politeia 1<br />

(1948/49) 11-18.<br />

Thomann M., Une source peu connue <strong>de</strong> l'Encyclopedie: L'influence<br />

<strong>de</strong> Christian Wolff. Paris 1970.<br />

— Einführung zu: Christian Wolff, Jus gentium, Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

— Einführung zu: Christian Wolff, Jus naturae, Hil<strong>de</strong>sheim 1972.<br />

Tischle<strong>de</strong>r P., Die Staatslehre Leos XILI. M.-Gladbach 1925.<br />

— Staatsgewalt <strong>und</strong> katholisches Gewissen. 1927.<br />

— Ursprung <strong>und</strong> Träger <strong>de</strong>r Staatsgewalt. M.-Gladbach 1923.<br />

— Die Be<strong>de</strong>utung <strong>de</strong>s Franziskus von Vittoria für die Wissenschaft <strong>de</strong>s<br />

Völkerrechts. In: Aus Ethik <strong>und</strong> Leben. Festgabe f. J. Mausbach.<br />

Hrsg. v. M. Meinerts <strong>und</strong> A. Don<strong>de</strong>rs. Münster 1931. 90-106.<br />

Tomberg V., Degeneration <strong>und</strong> Regeneration <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>swissenschaft.<br />

Bonn 1946.<br />

Tonneau J., OP, Propriete. In: Dict. Theol. Cath. XIII (1936) 757-<br />

846.<br />

Trappe P., Soziale Norm, Normalität <strong>und</strong> Wirklichkeit. In: P.<br />

Trappe, Kritischer Realismus in <strong>de</strong>r <strong>Recht</strong>ssoziologie. Wiesba<strong>de</strong>n<br />

1983, 67-84.<br />

— Die elitären Macht! <strong>de</strong>r Gesellschaft - o<strong>de</strong>r: Über die<br />

Geschlossenheit <strong>de</strong>r offenen Gesellschaft. In: A.F.Utz, Hrsg., Die<br />

offene Gesellschaft <strong>und</strong> ihre I<strong>de</strong>ologien, Bonn 1986, 271-310.<br />

Tremblay J. J., Le patriotisme. In: RUO 8 (1939) 73*-93*, 205*-<br />

229*.<br />

Truyol Serra A., Los principios <strong>de</strong> <strong>de</strong>recho püblico en Francisco <strong>de</strong><br />

Vitoria. Selecciön <strong>de</strong> textos, con introducciön y notas. Madrid<br />

1946. Deutsche Übersetzung von C. J. Keller-Senn: Truyol Serra<br />

A., Die Gr<strong>und</strong>sätze <strong>de</strong>s Staats- <strong>und</strong> Völkerrechts bei Francisco <strong>de</strong><br />

Vitoria. Auswahl <strong>de</strong>r Texte, Einführungen <strong>und</strong> Anmerkungen.<br />

Zürich 1947.<br />

U<strong>de</strong> J., Soziologie. Leitfa<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r natürlich-vernünftigen Gesellschafts<strong>und</strong><br />

Wirtschaftslehre im Sinne <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. Schaan<br />

1931.<br />

Utz A. F., OP, Freiheit <strong>und</strong> Bindung <strong>de</strong>s Eigentums. Hei<strong>de</strong>lberg 1949.<br />

— Die Krise im mo<strong>de</strong>rnen Naturrechts<strong>de</strong>nken. In: NO 5 (1951) 201-<br />

219.<br />

— Naturrecht im Wi<strong>de</strong>rstreit zum positiven Gesetz. In: NO 5 (1951)<br />

313-329.<br />

— Das Ordnungsgesetz in Wirtschaft <strong>und</strong> Staat. In: NO 3 (1949) 385-<br />

400.<br />

— Das <strong>Recht</strong> auf Arbeit. In: ARSP 38 (1950) 350-363.<br />

— Metaphysik <strong>de</strong>r Wirtschaft. In: Schweiz. R<strong>und</strong>schau 50 (1950) 449-<br />

456.<br />

- Der Beitrag <strong>de</strong>r kath. Soziallehre zur Gestaltung <strong>de</strong>r Gesellschaft.<br />

In: Civitas 6 (1951) 466-474.<br />

- Sozialethik, 3 B<strong>de</strong>. Hei<strong>de</strong>lberg 1958 ff.<br />

- Hrsg., Bibliographie <strong>de</strong>r Sozialethik. 11 B<strong>de</strong>. 1960-1980.<br />

520


— Ethik. Hei<strong>de</strong>lberg 1970.<br />

— Ethik <strong>und</strong> Politik. Gesammelte Aufsätze. Stuttgart 1970.<br />

— Ethische <strong>und</strong> soziale Existenz. Gesammelte Aufsätze aus Ethik <strong>und</strong><br />

Sozialphilosophie 1970-1983. Walberberg 1983.<br />

— Johannes Messners Konzeption <strong>de</strong>r Sozialphilosophie. In: A. Klose,<br />

H. Schambeck, R. Weiler, Hrsg., Das Neue Naturrecht, Berlin<br />

1985, 21-62.<br />

Galen B. Gr. v. - Hrsg., Die katholische Sozialdoktrin in ihrer<br />

geschichtlichen Entfaltung. Eine Sammlung päpstlicher Dokumente<br />

vom 15.Jahrh<strong>und</strong>ert bis in die Gegenwart. 4 B<strong>de</strong>. Aachen 1976.<br />

Groner J. F., Aufbau <strong>und</strong> Entfaltung <strong>de</strong>s gesellschaftlichen<br />

Lebens, Soziale Summe Pius' XII., 3 B<strong>de</strong>., Freiburg/Schweiz 1954/<br />

1961.<br />

Veit O., Die geistesgeschichtliche Situation <strong>de</strong>s Naturrechts. In:<br />

Merkur 1 (1947) 390-405.<br />

Verpaalen A. P., Der Begriff <strong>de</strong>s Gemeinwohls bei Thomas von<br />

Aquin. Hei<strong>de</strong>lberg 1954.<br />

Vialatoux J., Morale et politique. Paris 1931.<br />

— Philosophie economique. Paris 1944.<br />

Viance G., Preface ä une reforme <strong>de</strong> l'etat. Paris 1934.<br />

Vilmain J., Staatslehre <strong>de</strong>s T.v.A. im Lichte mo<strong>de</strong>rn-juristischer<br />

Staatsauffassung. Lpz. 1910.<br />

Francisco <strong>de</strong> Vitoria, OP, De Indis recenter inventis et <strong>de</strong> iure belli<br />

Hispanorum in Barbaros relectiones. Vorlesungen über die kürzlich<br />

ent<strong>de</strong>ckten In<strong>de</strong>r <strong>und</strong> das <strong>Recht</strong> <strong>de</strong>r Spanier zum Kriege gegen die<br />

Barbaren. Lateinischer Text nebst <strong>de</strong>utscher Übersetzung. Hrsg. v.<br />

W. Schätzel. Einleitung von P. Hadrossek. Tübingen 1952.<br />

— Relecciones teolögicas. Edicion critica por L. G. A. Getino. 3 B<strong>de</strong>.<br />

Madrid 1933-1936.<br />

— Comentarios a la Sec<strong>und</strong>a Sec<strong>und</strong>ae <strong>de</strong> S.T. Hrsg. v. V. Beiträn <strong>de</strong><br />

Heredia. 5 B<strong>de</strong>. Salamanca 1932-1935.<br />

Vives J., dEs la propiedad un robo? In: Estudios Eclesiästicos 52<br />

(1977) 591-626.<br />

Vonlanthen A., I<strong>de</strong>e <strong>und</strong> Entwicklung <strong>de</strong>r sozialen <strong>Gerechtigkeit</strong>.<br />

Freiburg 1973.<br />

Vykopal A., La dottrina <strong>de</strong>l „superfluo" in S.T. Brescia 1945.<br />

Wagner F., Das natürliche Sittengesetz nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A.<br />

Frbg. 1911.<br />

Walter F., Das Eigentum nach <strong>de</strong>r Lehre <strong>de</strong>s hl. T. v. A. <strong>und</strong> <strong>de</strong>s Sozialismus.<br />

Frbg. 1895.<br />

— Thomas v. Aquino. In: Handwörterbuch <strong>de</strong>r Staatswissenschaften.<br />

4.A. Bd. 8. Jena 1928. 231-242.<br />

— Sozialpolitik <strong>und</strong> Moral. Frbg. 1899.<br />

Weber H. <strong>und</strong> Tischle<strong>de</strong>r P., Handbuch <strong>de</strong>r Sozialethik. I. Wirtschaftsethik.<br />

Essen 1931.<br />

Welty E., OP, Gemeinschaft <strong>und</strong> Einzelmensch. Eine sozialmetaphy-<br />

521


sische Untersuchung, bearbeitet nach <strong>de</strong>n Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>de</strong>s hl.<br />

T.v.A. Salzburg 1935.<br />

— Die Leitungsnorm <strong>de</strong>r Gemeinschaft: das Gesetz. Ein Beitrag zur<br />

Frage: Gemeinschaft <strong>und</strong> Person. In: DTF21 (1943) 257-286, 386-<br />

411.<br />

— Die Entscheidung in die Zukunft. Gr<strong>und</strong>sätze <strong>und</strong> Hinweise zur<br />

Neuordnung im <strong>de</strong>utschen Lebensraum. Köln 1946.<br />

— Vom Sinn <strong>und</strong> Wert <strong>de</strong>r menschlichen Arbeit. Aus <strong>de</strong>r Gedankenwelt<br />

<strong>de</strong>s hl. T.v.A. Hei<strong>de</strong>lbg. 1946.<br />

— Wie <strong>de</strong>nkt die katholische Soziallehre über die Gr<strong>und</strong>rechte <strong>de</strong>s<br />

Menschen? In: NO 2 (1948) 5-26.<br />

— Her<strong>de</strong>rs Sozialkatechismus. 3 B<strong>de</strong>. Freiburg 1951/1953/1958.<br />

— <strong>Recht</strong> <strong>und</strong> Ordnung im Eigentum. Pa<strong>de</strong>rborn 1947.<br />

— Freiheit o<strong>de</strong>r Bindung <strong>de</strong>s wirtschaftlichen Tuns. In: NO 1 (1946/<br />

47) 321 ff.<br />

Wiegand H., Die Staatslehre <strong>de</strong>s hl.T.v.A. <strong>und</strong> ihre Be<strong>de</strong>utung für<br />

die Gegenwart. Berlin 1930.<br />

Winter E. K., Die Sozialmetaphysik <strong>de</strong>r Scholastik. Lpz. 1929.<br />

Witte F.-W., Die Staats- <strong>und</strong> <strong>Recht</strong>sphilosophie <strong>de</strong>s Hugo von<br />

St. Viktor. In: ARSP 43 (1957) 555-574.<br />

Wittmann M., Der Begriff <strong>de</strong>s Naturgesetzes bei T.v.A. In: Aus<br />

Ethik <strong>und</strong> Leben. Festschrift f. J. Mausbach. Münster 1931. 66-80.<br />

Wolf E., Das Problem <strong>de</strong>r Naturrechtslehre. Karlsruhe 1964.<br />

Wolfe M. J., The Problem of Solidarism in S. T. Washington 1938.<br />

Woroniecki H., Quaestio disputata <strong>de</strong> natione et statu civili. In: DTP<br />

3 (1926) 25-54.<br />

Wulf M. <strong>de</strong>, Les theories politiques du moyen-äge. In: RNP 26 (1924)<br />

249-266.<br />

— L'individu et le groupe dans la Scolastique du XILT siecle. In: RNP<br />

22 (1920) 341-357.<br />

Zeiller J., L'i<strong>de</strong>e <strong>de</strong> l'Etat dans S.T.d'A. Paris 1910.<br />

Zitarosa G., II diritto naturale da padre Taparelli d'Azeglio ad oggi.<br />

Napoli 1965.<br />

Zizak G., La giustizia e la legge. In: RIFD 33 (1956) 450-487.<br />

522


Adiaphoron 370<br />

aequabilitas 372<br />

Agrarsozialismus 351<br />

Alchimie 420<br />

Almosen 372<br />

ALPHABETISCHES SACHVERZEICHNIS<br />

— als Abschöpfung d Überflusses<br />

398<br />

Amor socialis 455<br />

Anathem 195<br />

Angeklagter<br />

— Aussagepflicht d - 454<br />

-u Kläger 132 133<br />

— Leugnung d Wahrheit 142-144<br />

— Lügen zulasten d Klägers 143<br />

— <strong>Recht</strong> auf Gegenüberstellung<br />

131<br />

— Sün<strong>de</strong>n gg d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

142-149<br />

— Ungerechtigkeiten d - 407-408<br />

— Unrechte Mittel z Verteidigung<br />

144-146<br />

— Verpflichtung z Wahrheit 143<br />

— Wi<strong>de</strong>rstand d - 149 408<br />

Anklage 135<br />

-falsche 139-140<br />

— u Gemeinwohl 138<br />

-Pflicht zur - 134-136 407<br />

— schriftl Abfassung 136-137<br />

— unbedachte 137-139<br />

— ungerechte 134-141<br />

— Unterschied z Anzeige 407<br />

— gg Vorgesetze 135<br />

Ansehen d Person 79-86 325-326<br />

— u austeilen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong> 80<br />

— u Ehrerweisung 84-85<br />

— u Gericht 85-86<br />

— als Sün<strong>de</strong> 79-81<br />

— u Verleihung geistl Güter 81-<br />

83<br />

Anwalt<br />

— Ausschluß v Amt d - 161-163<br />

— Geld f <strong>Recht</strong>sbeistand 165-166<br />

— Pflicht d <strong>Recht</strong>sbeistands f<br />

Arme 159-161<br />

— f e ungerechte Sache 163-164<br />

— Ungerechtigkeiten d - 159-166<br />

409-410<br />

Anzeige 135 137 406<br />

Apostoliker, Apostelbrü<strong>de</strong>r 253<br />

Arbeit<br />

— u Eigentum 358 359<br />

— als Einkommensquelle 426<br />

— u Gewinn 422<br />

— als individuelle Leistung 359<br />

— u Kapital 400<br />

— u Preis 432<br />

— u Produktionsmittel 364<br />

— Wür<strong>de</strong> d - 459<br />

Arbeitsrecht 278<br />

Arbeitswertlehre 359<br />

Ärgernis 260<br />

Argwohn 46<br />

Arme<br />

— <strong>Recht</strong> auf Überfluss 387 388<br />

— <strong>Recht</strong>shilfe für - als Akt d<br />

Barmherzigkeit 160<br />

Armut<br />

— i AT 367<br />

Asylrecht, kirchl 337<br />

Aussage<br />

— indikative, imperative, Optative<br />

194<br />

Autonomie<br />

— u Gemeinwohl 481<br />

523


— d gesellschafd Ordnung 361<br />

362<br />

— d Person 463<br />

Autorität 306 458<br />

— u Gemeinwohl 449 476<br />

— u Gewissen 476<br />

— göttl - u Urgewissen 306<br />

— u Menschenrechte 450<br />

— u <strong>Recht</strong> 304 306<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 44 51 52<br />

— staatl 291 449 476<br />

— d Vaters 348 349<br />

Barmherzigkeit 160 161 162 166<br />

315 350<br />

Beghinen 384<br />

Beichtgeheimnis 152 407<br />

Beruf 458<br />

Berufsständische Ordnung 361<br />

Berufswahlfreiheit 457<br />

Berufung 408<br />

— gerichtl 146-148<br />

Beschimpfung 66 168 169-171<br />

411<br />

Besitz 111-112 251-252 351<br />

— u natura humana 352<br />

— d Ungläubigen 404 405<br />

— s a Eigentum<br />

Güter<br />

Bestechung 145<br />

Betrug 58 200-222 416-423<br />

Beute 124<br />

Beweise v Gericht 129 135 137<br />

Billigkeit 50 293 319 320<br />

Bischof<br />

— als weltl Fürst 249-250<br />

Bo<strong>de</strong>n, Eigentumsrecht an - 398<br />

bona fi<strong>de</strong>s 292<br />

Das Böse mei<strong>de</strong>n 284 442 443<br />

— Gegensatz z Übertretung 228<br />

— als Teiltugend d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

223-225<br />

Brü<strong>de</strong>rlichkeit 466<br />

Bürger 467 469 473 477<br />

524<br />

Caritas socialis 454 455<br />

Darlehen 424-442<br />

— u ausgleichen<strong>de</strong> <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

437<br />

— Definition 425<br />

— Gewinn aus - 214<br />

— u Kapitalgesellschaft 438<br />

-u Kredit 431<br />

-u Leistung 214 215-219<br />

— u <strong>Recht</strong> auf Rückgabe 439<br />

— u Schenkung 439<br />

— u Zins 220-222 439<br />

Darlehenszins 435-442<br />

— Definition 425<br />

— u Kapitalzins 441<br />

— Rückgabepflicht 441<br />

— als Sün<strong>de</strong> 259<br />

Darwinismus 276<br />

Demokratie<br />

— u Konsens 482<br />

— u Monarchie 312<br />

— u Naturrecht 278<br />

— pluralistische 469 497 498<br />

Dieb<br />

— <strong>Recht</strong> auf gestohlene Sache 254<br />

255<br />

Diebstahl 59 73 111-122<br />

-Definition 115-116 401<br />

— Entführung d Gattin kein - 254<br />

— Kin<strong>de</strong>sentführung ist - 254<br />

— aus Not 121-122 403<br />

— u Raub, Unterschied 116-117<br />

— als schwere Sün<strong>de</strong> 120-121<br />

— sittl Bewertung 401-405<br />

-als Sün<strong>de</strong> 118-119<br />

— Wie<strong>de</strong>rgutmachung bei - 248<br />

dominium (Herrschaft) 252<br />

Ehe 10 243 386-387 453 457 458<br />

483<br />

— s a Monogamie<br />

Polygamie<br />

Ehebruch 109 180 251


Ehescheidungsgesetze 306<br />

Eheschliessung, Dispens 83<br />

Ehrabschneidung 175-184 194<br />

198-199 412-413<br />

Ehre 85 168 169 170 258<br />

Ehrverlust 141 257<br />

Eid 221<br />

Eigentum<br />

— i AT 366<br />

— u Besitz 252<br />

— an Bo<strong>de</strong>n 356<br />

— u Familie 361<br />

— u Gemeinwohl 399<br />

— b d Kirchenvätern 241 242 369<br />

370 376 377<br />

— als Kollektiv- o<strong>de</strong>r Privat- 352<br />

— u natura humana 352<br />

— als Naturrecht 252 352 354-365<br />

394-397<br />

— <strong>Recht</strong> auf - 390 392 393 394-<br />

397 453<br />

— sittl-guter Gebrauch d - 255<br />

— soziale Bindung d - 355 398 399<br />

459<br />

— b Thomas 385-400<br />

— d Ungläubigen 124 255<br />

— u Verfügungsgewalt 399<br />

— u Wirtschaft 398-400<br />

— u Ziel d Güter 364<br />

— Zweck d - 398<br />

— s a Besitz<br />

Güter<br />

Eigentumserwerb<br />

— aus Arbeit 359 426<br />

— durch Besitznahme 426<br />

— durch Erbschaft 378<br />

— Grenzen d - 397<br />

— durch rechten Gebrauch 377<br />

388<br />

Eigentumslehre<br />

-d Aristoteles 239-241 242<br />

— aristotelisch-thomasische 242<br />

— d chrisd Tradition 365-385<br />

Eigentumsordnung<br />

— private 394 483<br />

— private - u Kapitalrendite 434<br />

— u Zins 424 425<br />

Eigentumsrecht 351-400<br />

Einkerkerung 107-108<br />

Einkommen<br />

-arbeitsloses 422 424 426 432<br />

433 434 437 438<br />

Einkommensbildung<br />

— Preis d Waren als Regler d - 418<br />

Einzelgerechtigkeit 224<br />

Einzelmensch, Einzelner<br />

— u Gemeinschaft 464<br />

— <strong>Recht</strong> d - i Paradies 391<br />

— soziale Belastung 451<br />

— u Staat 358 446<br />

— s a Individuum<br />

Einzelwohl 497<br />

Eltern<br />

— Menschenrecht d Kin<strong>de</strong>s gg d -<br />

243<br />

— <strong>Recht</strong> d Kin<strong>de</strong>s auf Erziehung<br />

244<br />

Elternrecht<br />

— u Religion d Kin<strong>de</strong>s 362<br />

Enteignung<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 404<br />

Entführung 254<br />

Erbschaft 378<br />

Erbsün<strong>de</strong> 241<br />

Erkenntnisfähigkeit<br />

— u sittl Verantwortung 285<br />

Erziehung 243 244 301<br />

Ethik<br />

— materiale 456<br />

— u <strong>Recht</strong> 283<br />

Existenz, leibliche 59<br />

Fahrlässigkeit 248 346<br />

Familie 24 25 372 457 458 483<br />

— ältestes Gemeinwesen 361 362<br />

— u Eigentum 361<br />

— Gemeinwohl d - 473<br />

— u Staat 358<br />

525


Familiengüter 3 71<br />

Fraticelli 384<br />

Frau<br />

— rechtl Stellung d - 301<br />

— Träger v Menschenrechten 349<br />

Freigebigkeit 28 31 32 33 81 241<br />

373<br />

Freiheit<br />

— Begrenzung d - 245<br />

— u Gemeinwohl 473<br />

— d Gewissensentscheidung 457<br />

— u Menschenwür<strong>de</strong> 355<br />

— u <strong>Recht</strong> 271 357<br />

— u Staatsgewalt 473<br />

Freiheitsrechte 357 360 453<br />

Freirechtslehre 276 287 318 319<br />

Fre<strong>und</strong>schaft<br />

— drei Arten 258<br />

-u Ohrenbläserei 186 187 188<br />

Frie<strong>de</strong><br />

— durch Bestrafung d Sün<strong>de</strong>r 135<br />

— sozialer - u Privateigentum 364<br />

Frie<strong>de</strong>nsordnung 206 235 267<br />

273 290 291 303 304 306 388<br />

393<br />

Frie<strong>de</strong>nsverträge 296<br />

Furcht 255<br />

Fürst 29 30 43 57 61 85 91 109<br />

123 124 132 133 139 140 147<br />

149 249 250 312 362 482<br />

Ganzes<br />

— integrales 444 445<br />

— Verhältnis z d Teilen 445<br />

Gastfre<strong>und</strong>schaft 241<br />

Geben, unerlaubtes 71<br />

Gebot<br />

— negatives 226<br />

— positives 228<br />

Gebote<br />

— for<strong>de</strong>rn<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r affirmative - u<br />

Verbote 249<br />

Gebrauch<br />

— Begriff b Thomas 389<br />

526<br />

-d Gel<strong>de</strong>s 214-215<br />

— gemeinsamer - d Güter 387<br />

-u Verbrauch 212-213<br />

Geburtshilfe 345<br />

Geheimnisse 152<br />

Geld<br />

— als Metall 436<br />

-als Tauschmittel 209 213 435<br />

436 437<br />

-Zweck d - 201 213 259<br />

— zweifacher Gebrauch d - 214-<br />

215<br />

Gelddarlehen 425<br />

Gemeingut<br />

— unterschie<strong>de</strong>n v Gemeinwohl<br />

486 487 488 489 492<br />

Gemeinsamkeit d Dinge<br />

— u Naturrecht 114<br />

Gemeinschaft 458<br />

— u Gemeinwohl 464<br />

— Mensch als Teil d - 341 346<br />

— als Mittel z Wohl aller 464<br />

— u Person 334<br />

— nur ein einziges <strong>Recht</strong> 267<br />

Gemeinschaften, natürl 457<br />

Gemeinschaftsleben<br />

— eth Sicht i Paradies 390 392<br />

Gemeinschaftswerte 288<br />

Gemeinwohl 34 35 82 132 135<br />

136 138 241 247 311 335 362<br />

448 456-498<br />

— Analogie d - 489 492<br />

— u Autorität 476<br />

— Definition 465 471<br />

— u Eigentum 399<br />

— u Gemeinschaft 464<br />

— als Gemeinwohlinstitutionen<br />

471 472<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 20 23 24 33<br />

— u Gesetz 20 21<br />

— u Gesetzesgerechtigkeit 55 261<br />

467<br />

— Gott als - d Universums 480<br />

— als göttl Institution 469 482


— u Gruppen, freie Initiative d -<br />

473 474<br />

— b G<strong>und</strong>lach 486-492<br />

— u Individualprinzip 450<br />

— u Individualrechte 458<br />

— u Individuum 473<br />

— als Institution 470 471 472<br />

— d Kirche 472-475 488<br />

— i d Kirche 485<br />

— b Messner 493-494<br />

— u Naturrecht 460<br />

— i d päpstl Verlautbarungen<br />

461-477<br />

— u Person 28 448 449 459 460<br />

462 466 470 476 486<br />

— Pflichten im - 476<br />

— i pluralist Staat 495<br />

— u Privateigentum 362 395 396<br />

400<br />

— u <strong>Recht</strong> 334<br />

— u Religion 476<br />

— u Staat 335 449 461 463 495<br />

— b Thomas 479-484<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 249 335<br />

— u Tugend 311<br />

— u Ungerechtigkeit 34 35<br />

— u Verteilungsgerechtigkeit 55<br />

— als Wert 471 472<br />

— u Wohl d Menschheit 466<br />

— u Wohlfahrt 495-498<br />

Gemeinwohlgerechtigkeit 244-<br />

245 307 316 322 447 467 481<br />

— u Ungerechtigkeit 315-316<br />

— Wan<strong>de</strong>l i Begriff d - 448-455<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong> 4 12-33 16 45 244<br />

247 265 302-307 313-314 316<br />

— allgemein i e doppelten Sinn<br />

244-245<br />

— allgemeine 23-25 224 307-312<br />

— als allgemeine Tugend 20-21<br />

21-23<br />

— ausgleichen<strong>de</strong> 54 246-247 323<br />

— ausgleichen<strong>de</strong> u austeilen<strong>de</strong><br />

322-325<br />

— ausgleichen<strong>de</strong>, Begriff 327<br />

— ausgleichen<strong>de</strong>, Sün<strong>de</strong>n gg d - -<br />

327-442<br />

— austeilen<strong>de</strong> 54 55 56 80 322-<br />

325 449 451<br />

— austeilen<strong>de</strong> u ausgleichen<strong>de</strong> 53-<br />

55 55-57 57-60 62<br />

— austeilen<strong>de</strong>, „Mitte" d - 56 57<br />

— austeilen<strong>de</strong>, Sün<strong>de</strong>n gg d - -<br />

325-326<br />

— beson<strong>de</strong>re 23-25<br />

— als Frie<strong>de</strong>nsordnung 303 304<br />

— u Gemeinwohl 22 23 24 33<br />

— u Gesetz 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— Gottes 16<br />

— als Habitus 302<br />

— als Kardinaltugend 31<br />

-u Liebe 3 317<br />

— Materie d - 57-60<br />

— u Menschenrechte 284<br />

— u Moralität 446 447<br />

— als Ordnungsprinzip 15<br />

— u Persönlichkeit 45 284<br />

— u <strong>Recht</strong> 3-5 265 267-302 317<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 41-43 44<br />

— u Richter 14 42 49 50 126-133<br />

— als sittl Haltung 302<br />

— u sittl Tugen<strong>de</strong>n 26<br />

— Sitz im Willen 18-21<br />

-soziale 247 307-312 313 325<br />

398 404 448-455<br />

— u Staat 446 447<br />

— u Tapferkeit 33<br />

— Teiltugen<strong>de</strong>n d - 53-62 223-231<br />

246 442-444<br />

— als Tugend 13 17-18 20-21 21-<br />

23 32-33 244 265 302-315<br />

— Tugendmitte d - 30 245-246<br />

— Unterschied v Gemeinwohl- u<br />

Son<strong>de</strong>r- 307<br />

— als Vergeltung 60-62<br />

— u Vollkommenheit 304<br />

-Werthöhe d - 314-315<br />

527


— Wesen d - 267-321<br />

— u Wille 13 14 18-21 26 27 244<br />

302<br />

— u Zeugenaussage 157<br />

— s a Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

Gesetzesgerechtigkeit<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>sschema<br />

— aristotelisches 448 449<br />

Gerichtsprozess<br />

— Ungerechtigkeiten i - 405-410<br />

Gesamtinteresse 463<br />

Gesamtwohl, Benthamscher<br />

Begriff 463 465<br />

Gesandte<br />

— Unverletzlichkeit 296<br />

Geschäftsbeteiligung<br />

— gesellschaftl 431 432<br />

Geschäftsfre<strong>und</strong>schaft 258<br />

Geschäftstüchtigkeit 326<br />

Gesellschaft<br />

— Aufbau v unten 451<br />

— als Institution 476<br />

— mo<strong>de</strong>rne 451<br />

— offene 496<br />

— u Person 462<br />

— u Privateigentum 241<br />

— u Religion 467 468<br />

— u Staat 300 301<br />

— u Subsidiaritätsprinzip 355<br />

Gesellschafts<strong>de</strong>nken<br />

— organisches 334<br />

Gesellschaftlehre<br />

— u Begriff d Ganzheit 444-447<br />

Gesellschaftstheorie 281<br />

Gesetz 4 5 235<br />

— u faktische Willenbildung 313<br />

— u Gemeinwohl 20 21<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— u Gewissen 469<br />

— Lückenhaftigkeit d - 318 321<br />

— menschl u göttl 145<br />

— u Normen 276 277<br />

528<br />

— positives - u Naturnormen 272<br />

— positives - u Naturrecht 320<br />

— u <strong>Recht</strong> 4 5 49-50 235 276 304<br />

— u Richter 49 50 51 127 133 321<br />

-u Sittlichkeit 145 202 214<br />

— u soziolog Situation 313<br />

— u Tugend 202<br />

— Übertretung d - 226<br />

— ungerechtes 50<br />

Gesetzesbildung<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 317<br />

Gesetzesgerechtigkeit 21 309<br />

— als allgem Tugend 22 23<br />

— u Gemeinwohl 55 261 467<br />

— u Gesetz Gottes 443<br />

— u Lei<strong>de</strong>nschaften 27-29<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 24 245<br />

— als universale Tugend 261<br />

Gesetzgeber<br />

— ewiger 290<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 304<br />

— Gott als - 238 288<br />

— u <strong>Recht</strong> 304<br />

Gesetzgebung 5<br />

— u menschl Natur 235<br />

— u natürl sittl Normen 469<br />

— u praktische Vernunft 235<br />

Gewahrsam 349-350<br />

Gewalt 58 123 124 125<br />

— öffentl 465<br />

— väterl 298<br />

— staatl 461<br />

Gewaltverteilung<br />

— pluralist - i d Wirtschaft 482-<br />

483<br />

Gewinn<br />

— aus Arbeit 422<br />

— Erlaubtheit 209-210<br />

— händlerischer 421 422 423 431<br />

434<br />

— aus Wucherzinsen 219-220<br />

— Ziel d - 209 210<br />

Gewissen 306<br />

— u Gesetz 469


— kollektives 286<br />

— i d <strong>Recht</strong>sbildung 320<br />

— u rechtserzeugen<strong>de</strong>r Prozess<br />

290<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 320<br />

— sittl u naturhaftes 289<br />

— u staatl Autorität 476<br />

— u Vernunft 289<br />

Gewissensentscheidung<br />

— Freiheit d - 457<br />

Gewohnheitsrecht<br />

— als Völkerrecht 239<br />

Gleichstellung v Mann u Frau 301<br />

Gloria conscientiae 258<br />

Glück 461 467 495 496 497 498<br />

Gold<br />

— Wert d - 420<br />

Gotteslästerung 196 199<br />

Gruppen<br />

— eigene Autonomie 464<br />

— freie Initiative 473<br />

— u Gemeinwohl 464<br />

Gute<br />

— d schlechthin - 30<br />

Das Gute tun 284 442 443<br />

— u allgemeine <strong>Gerechtigkeit</strong> 224<br />

— u Einzelgerechtigkeit 224<br />

— als Gegensatz zur Unterlassung<br />

228<br />

— als Teil d <strong>Gerechtigkeit</strong> 223-<br />

225<br />

Güter<br />

— Aufteilung d - 242 388 393 459<br />

462<br />

— Niessbrauch 219-220 415<br />

— N<strong>utz</strong>ung d - 242 243 252 461<br />

— Sinn d - 242 292 293 395 397<br />

— soziale Bestimmung d - 385-<br />

389<br />

— Verwaltung d - 397 461 483<br />

— Zweck d - 385-389<br />

— s a Besitz<br />

Eigentum<br />

Gütergemeinschaft<br />

— b d Griechen 240 368<br />

— d Urkirche 367 368 371 375<br />

Habitus<br />

— durch d Akt <strong>de</strong>finiert 13<br />

— d <strong>Gerechtigkeit</strong> 302<br />

-u Wille 14<br />

— Tugend als - d Willens 29<br />

Han<strong>de</strong>l<br />

-Ehrlichkeit i - 419 420<br />

— Verbot f Kleriker 423<br />

Han<strong>de</strong>ln<br />

— gerechtes 316 442-444<br />

Han<strong>de</strong>lsgeschäft 209 210 423<br />

Han<strong>de</strong>lskredit 429<br />

Han<strong>de</strong>lsmoral 419-423<br />

Händler<br />

— Aufgabe d - 209<br />

Handlungsordnung 443 461 490<br />

Hausgemeinschaft 299 335 348<br />

349<br />

Herrschaft 252 351<br />

Herrschaftsrecht 9-11 298-302<br />

Hinterhalt 164<br />

Hinterlegtes 6 119<br />

Homosexualität 316<br />

Individualismus 313 357 358 359<br />

360 361 363 456<br />

Individualmoral<br />

— u <strong>Recht</strong> 288<br />

Individualprinzip<br />

— u Gemeinwohl 450<br />

— u natura humana 450<br />

— als Sozialprinzip 363<br />

Individualrechte<br />

— u Gemeinwohl 458<br />

— Menschenrechte als - 393 450<br />

— Menschenwür<strong>de</strong> als - 363<br />

Individuum<br />

— u Gemeinwohl 473<br />

— u Kollektiv 357<br />

— u Person 334<br />

— soziale Belastung d - 490<br />

— s a Einzelmensch<br />

529


Inquisition 256<br />

Institution 396 476<br />

Institutionen<br />

— u Gemeinwohlfor<strong>de</strong>rungen<br />

470 471 472 476<br />

Irregularitäten 251<br />

Jungfräulichkeit 315<br />

jus gentium 243 292-298<br />

— Privateigentum als - 394<br />

— u stoischer Naturrechtsbegriff<br />

243<br />

— u Völkerrecht 239<br />

jus talionis 257 329 407<br />

justitia commutativa<br />

s <strong>Gerechtigkeit</strong>, ausgleichen<strong>de</strong><br />

Kalumnieneid 257<br />

Kapital<br />

— Anlage nach d Art e Gesellschaft<br />

428 429 440<br />

— u Arbeit 400<br />

— u Darlehen 438<br />

— Definition 424<br />

— produktiv o<strong>de</strong>r unproduktiv<br />

424<br />

Kapitalgesellschaft 438<br />

Kapitalismus 400 425<br />

Kapitalrendite 434<br />

Kapitalzins 424<br />

Kardinaltugen<strong>de</strong>n 17 18 25 26 31<br />

244 322 323<br />

Katharer 250<br />

Kauf u Verkauf 201 202 203 415<br />

419<br />

Käufer<br />

— Pflichten d - 420<br />

Kaufleute 209 419 423<br />

Kerkerhaft 349-350<br />

Keuschheit 315<br />

Kind<br />

— Entführung 254<br />

— Menschenrechte gg d Eltern<br />

243<br />

— <strong>Recht</strong> auf Erziehung 243<br />

530<br />

— rechtl Beziehung z Vater 298<br />

308<br />

— als <strong>Recht</strong>sträger 345 349<br />

— Religion d - 362<br />

Kirchenväter<br />

— Eigentumslehre d - 241 242<br />

— u ethischer Kommunismus 253<br />

— u Liebesgemeinschaft i Paradies<br />

304<br />

Kläger<br />

— vor Gericht 131<br />

— i Prozessverfahren 256<br />

— u <strong>Recht</strong> auf Bestrafung d Angeklagten<br />

132 133<br />

— Unbesonnenheit d - 138<br />

— Ungerechtigkeit d - im Prozess<br />

134-141 256 406-407<br />

Kleriker<br />

— u Han<strong>de</strong>lsgeschäfte 210 423<br />

— kirchl u weltl <strong>Recht</strong>sausrüstung<br />

249 250<br />

— u Krieg 250<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 249 250<br />

Klugheit 17 257 319<br />

— vor Gericht 145 146<br />

— i d <strong>Recht</strong>sfindung 319<br />

— i d <strong>Recht</strong>sprechung 42 44 318<br />

— s a Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

Kollektiv<br />

— u abstrakte natura humana 252<br />

— u Individuum 357<br />

Kollektivismus 358<br />

Kommenda 429 430<br />

Kommunismus 289-393<br />

— b Aristoteles 240<br />

— ethischer 253 390<br />

— freier 242<br />

— b Plato 240<br />

— negativer 242 252-253 255 392<br />

403<br />

-i Paradies 390 391<br />

— positiver 253<br />

— positiver u negativer 375 376<br />

377 387


— recht] - = Zwangs- 253<br />

Konsens<br />

— i d Demokratie 482<br />

— verschie<strong>de</strong>n i Staat u Kirche<br />

477<br />

Kontrakttheorie 452<br />

Kredit<br />

— u Darlehen 431<br />

— Han<strong>de</strong>ls- u Gewerbe- 429<br />

Krieg 164 250 344 345<br />

Kultur 311 493 494<br />

Laienapostolat 474<br />

Lebensqualität 497<br />

Leibeigenschaft 297<br />

— als naturrechtl Zustand 236<br />

237<br />

Lei<strong>de</strong>nschaften<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 27-29<br />

Leihgeschäfte 211-222<br />

Leum<strong>und</strong> 66 131 178 412<br />

— u Ehrabschneidung 176 177<br />

183<br />

Liberalismus 355 357 358 360 363<br />

460<br />

Liebe<br />

— egoistische 241<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 3 317<br />

— Selbst- 241 242<br />

— soziale 448 454-455<br />

Lohn 4<br />

— f Werke d Barmherzigkeit 166<br />

Mammon, ungerechter 369 370<br />

371<br />

Manager 398 425<br />

Markt 420 421 422<br />

Marktwirtschaft 365 423 467 497<br />

Maßhaltung 17 21 273 310 311<br />

314<br />

Materialismus 276<br />

Meineid 157 158<br />

Menschenrechte 308<br />

— u Autoritätsträger 450<br />

— als Freiheitsrechte 357 360<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 284<br />

— als Individualrechte 393 450<br />

— d Kin<strong>de</strong>s 243<br />

— u vorstaatl <strong>Recht</strong>e 453<br />

Menschenrechtserklärung d<br />

UNO 489<br />

Menschenwür<strong>de</strong><br />

— u Eigentum 355<br />

— u Freiheit 355<br />

— als Individualrecht 363<br />

— als Naturrecht 363<br />

— u Privateigentum 393<br />

— Verbrechen gg d 290-291<br />

Miete<br />

— Entgelt f - 434<br />

Mitbestimmung 399 492<br />

Mittelstand 367<br />

Monarchie 312<br />

Monogamie 284 285 287<br />

Moral<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 446 447<br />

— Han<strong>de</strong>ls- 419-423<br />

— Individual- 288<br />

— u <strong>Recht</strong> 270 273 287 288 306<br />

— u <strong>Recht</strong>snormen 283<br />

— u Richter 273<br />

Mord 87-102 180 328-346<br />

Natur<br />

— zweifache Ordnung d - 447<br />

Natur d Menschen<br />

— u Gesetzgebung 325<br />

— individuelle - u menschl<br />

Wesensnatur 429<br />

— u Naturrecht 235-236<br />

— u Privateigentum 242 253<br />

— verän<strong>de</strong>rlich 6 235 277<br />

— s a natura humana<br />

natura humana 497<br />

— als absolute Norm 450<br />

— u Besitz 352<br />

— u Individualprinzip 450<br />

— u Kollektiv 252<br />

531


— Pflichten d - 388<br />

— u <strong>Recht</strong> 252 253<br />

— als rechtl Ordnungsprinzip 288<br />

— u Staat 357<br />

— Verstoss gg d - 289<br />

— s a Natur d M<br />

Naturgesetz<br />

— Erkennbarkeit 276<br />

— F<strong>und</strong>ament d kirchl Soziallehre<br />

460<br />

— normativ 497<br />

Naturrecht 5-7 8 49 268 275 277<br />

291<br />

— u Gemeinsamkeit d Dinge 114<br />

— u Gemeinwohl 460<br />

— u geschriebenes <strong>Recht</strong> 49<br />

— u göttl <strong>Recht</strong> 238<br />

— Intoleranz d - 267 268<br />

— konkretes 236 237 275 296<br />

— Menschenwür<strong>de</strong> als - 363<br />

— u Natur d Menschen 235-236<br />

— u Natur d Sache 49<br />

— u Naturgesetz 276<br />

— Normen d - 277-289<br />

— u Normen 236<br />

— u positives <strong>Recht</strong> 5-7 268 274-<br />

302 320<br />

— u Privateigentum 252 254 353<br />

360 396<br />

— rationalistisches 489<br />

— rationalist u individualist 491<br />

492<br />

— <strong>Recht</strong> auf Eigentum als - 252<br />

352 354-365 394-397<br />

— u <strong>Recht</strong>sbildung 320<br />

— u Schöpferwille Gottes 238<br />

— u Selbsterkennen Gottes 238<br />

— symptomatische Be<strong>de</strong>utung<br />

279 280<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 336<br />

— u Vernunft 243 278<br />

— u Völkerrecht 7-8<br />

— vorstaadich 396<br />

— u Weltrecht 293<br />

532<br />

Naturrechtsaauffassung<br />

— protestantische 278<br />

Naturrechtsbegriff<br />

— stoischer 243<br />

Naturrechts<strong>de</strong>nken<br />

— u Positivismus 269<br />

Naturrechtslehre<br />

— u mod <strong>Recht</strong>sphilosophie 277-<br />

292<br />

— u Positivismus 235 236 267<br />

— thomasische 277-292<br />

Naturrechtsprinzipien 277<br />

— absolute Normkraft d - 285<br />

— 2 Arten d - 284<br />

— u lex ferenda 280<br />

— primäre u sek<strong>und</strong>äre 285 286<br />

Nepotismus 325<br />

Neukantianismus 279<br />

Norm<br />

— u Naturgesetz 497<br />

— u Sein, Dichotomie 497 498<br />

— soziale 461<br />

Normen<br />

— absolute - u <strong>Recht</strong>sprechung<br />

318<br />

— absolute - u subjektive <strong>Recht</strong>e<br />

362<br />

— allgemeine - u Gesetz 276 277<br />

— allgemeine -, Unverän<strong>de</strong>rlichkeit<br />

d - 277<br />

— ethische u rechtl, Unterschied<br />

287<br />

— u Gesetz 277<br />

— u Gesetzgebung 469<br />

— u konkretes <strong>Recht</strong> 277 289-292<br />

— d Natur u positives Gesetz 272<br />

— u Naturrecht 236<br />

— d Naturrechts 277-289<br />

— u <strong>Recht</strong> 236 271 274 276<br />

— d <strong>Recht</strong>s, allgemeingültige 280<br />

— d <strong>Recht</strong>s u Gott als Gesetzgeber<br />

288<br />

— d <strong>Recht</strong>sbildung 279 282<br />

— u <strong>Recht</strong>sprechung 318


— u Vernunft 289<br />

Notwehr 99-101<br />

Notwendigkeit, zweifache 18<br />

N<strong>utz</strong>ung d Güter 242 243<br />

N<strong>utz</strong>wert e Sache 417 418<br />

Ohrenbläserei 185-188 413<br />

Ordnung<br />

— berufsständische 361<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 15<br />

— gesellschaftl, Autonomie d -<br />

361 362<br />

— gesellschaftl - u Privateigentum<br />

241<br />

— soziale u privatrechtl 394<br />

— d Universums 330 331 448<br />

Paradiesesmensch<br />

— ethischer Kommunismus d -<br />

242<br />

— u Gütergemeinschaft 253<br />

Pareto-Regel 495 496 497 498<br />

Peregrini 293<br />

Person<br />

— Autonomie d - 463<br />

— als Eigentümerin 491<br />

— Einglie<strong>de</strong>rung i d Gemeinschaft<br />

334<br />

— freie Entfaltung d - 470 471<br />

— u Gemeinwohl 28 448 449 459<br />

460 462 466 470 476 486<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 45 284<br />

— u Gesellschaft 462<br />

— u Individuum 334<br />

— Priorität d - 470<br />

— u Privateigentum 458 483 491<br />

— u Produktionsprozess 364<br />

— <strong>Recht</strong>e d - 463<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 28 54<br />

— als soziales Wesen 459 464<br />

-Unrecht ggd- 87-102 103-110<br />

251<br />

— Werte d - 465<br />

— u Wirtschaft 364<br />

— u Wohlfahrt 459<br />

— Wür<strong>de</strong> d - 59 326 491<br />

Personalismus 453<br />

Persönlichkeitsi<strong>de</strong>al<br />

— u <strong>Recht</strong>sempfin<strong>de</strong>n 283<br />

Pfand 259 429<br />

Pfrün<strong>de</strong> 66 67<br />

Planwirtschaft<br />

— u Zins 424<br />

Polygamie 284<br />

Positivismus<br />

— u Naturrechtslehre 235 236<br />

267 269<br />

— u Normen d <strong>Recht</strong>sbildung<br />

279<br />

— i <strong>Recht</strong> 268 269 270 276 305<br />

316<br />

possessio (Besitz) 252<br />

Preis 419<br />

— u Arbeit 432<br />

— gerechter 202 416-419 434<br />

— u Kosten 432<br />

— u N<strong>utz</strong>en 202<br />

— u N<strong>utz</strong>wert 417 418<br />

— u ontischer Wert 417<br />

— als Regler d Einkommensbildung<br />

418<br />

— als Regler d Verbrauchs 418<br />

-u Wert 201 418<br />

Preisunterschie<strong>de</strong><br />

— i d Marktsituation 420 421<br />

Prinzipien<br />

— allgemeine 276 284<br />

— s a Naturrechts-<br />

Privateigentum<br />

-Erlaubtheit 113-115<br />

— u Gemeinwohl 362 395 396<br />

— u gesatztes <strong>Recht</strong> 353 395<br />

— individualistisches - u kath<br />

Moral 359 360 361<br />

— als Institution 396<br />

— als jus gentium 394<br />

— u Kapitalismus 400<br />

— u Menschenwür<strong>de</strong> 393<br />

533


— u Natur d Menschen 242 253<br />

— u Naturrecht 252 254 353 396<br />

— Notwendigkeit d - 392<br />

— als Ordnungsprinzip d<br />

Gesellsch 241<br />

-u Person 458 483 491<br />

— u positives <strong>Recht</strong> 114 353 395<br />

— an Produktionsmitteln 364<br />

— <strong>Recht</strong> auf - 453<br />

— soziale Belastung d - 483<br />

— u Staat 396<br />

— als vorstaatl Naturrecht 360<br />

Privateigentumsordnung 389-<br />

393<br />

— Gr<strong>und</strong>legung i Gemeinwohl<br />

400<br />

— metaphysisch-ethischer Ort d<br />

- 400<br />

Privates<br />

— Reichweite d - 397-398<br />

Produktion 459<br />

Produktionsgüter<br />

— u positiver Kommunismus 253<br />

Produktionsmittel<br />

— u Arbeit 364<br />

— u arbeiten<strong>de</strong> Person 363<br />

Produktionsprozess<br />

— u Person 364<br />

— u Privateigentumsordnung 400<br />

Produktivität 260<br />

proprietas (Eigentum) 252<br />

Prügelstrafe 105-107 348-349<br />

Rache 173<br />

ratio scripta 294<br />

Raub 59 123-125 401-405<br />

— i äusserster Not 403<br />

— u Diebstahl, Unterscheidung<br />

116-117<br />

— Menschen- 121<br />

— sittl Bewertung 401-405<br />

Raumplanung<br />

— u Privateigentum 396<br />

<strong>Recht</strong> 3-11 235 268 269 271 272<br />

534<br />

273 276 277 331<br />

— u absolut gültige Norm 272<br />

— allgemein gültige Normen d -<br />

280<br />

— als Ausgleich 6 270<br />

— u Autorität 304 306<br />

— Begriff d - 267-274<br />

— zw Eheleuten 10<br />

— auf Eigentum 390 392 393 394-<br />

397 453<br />

— eingeteilt i Naturrecht u positives<br />

<strong>Recht</strong> 5-7<br />

— Einheit d - 291<br />

— Einheit o<strong>de</strong>r Mehrheit 267<br />

— d Einzelnen i Paradies 391<br />

— Entstehung d - 274-277<br />

— u Ethik 283 288<br />

— u Freiheit 271<br />

— auf Freiheit 357<br />

— als Frie<strong>de</strong>nsordnung 273<br />

— u Gemeinschaft 267<br />

— u Gemeinwohl 334<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 3-5 265 267-<br />

302 317<br />

— geschriebenes - u Naturrecht<br />

49<br />

— u Gesetz 4 5 49-50 235 276 304<br />

— u Gesetzgeber 304<br />

— u Gewissen 290 320<br />

— „göttliches" 7<br />

— herrschaftl 9-11 298-302<br />

— I<strong>de</strong>al d - 269<br />

— u Individualmoral 288<br />

-u Klugheit 319<br />

— konkretes - u Normen 277<br />

289-292<br />

— auf Leben 357<br />

— u materielle Werte 282<br />

— u Moral 270 273 387 288 306<br />

— natura humana als Ordnungsprinzip<br />

d - 288<br />

— Nominal<strong>de</strong>finition 269 270<br />

— Nominal- u Real<strong>de</strong>finition d -<br />

268


- u Norm 236 271 274 276 283<br />

- u Normen d Natur 272<br />

- positives 49-50<br />

- positives u Naturrecht 5-7 268<br />

274-302 320<br />

- u Privateigentum 114 353 395<br />

453<br />

- Real<strong>de</strong>finition 270 272<br />

- „richtiges" 265 269<br />

- u sittl Deka<strong>de</strong>nz 306<br />

- sitd Wert d - 304<br />

- u Situation 276<br />

- u Staat 291 300<br />

- u universale natura humana<br />

252 253<br />

-d Vaters 9-11 298-302 308<br />

-u Vernunft 235 236 278 280<br />

283<br />

- Welt- 293<br />

- u Wertbewusstsein 286<br />

- u Wertgefühl 284<br />

- u Wille 265 278<br />

- u Zwang 270 303<br />

<strong>Recht</strong>e<br />

- d Person 463<br />

- subjektive 362 450 451 453<br />

- vorstaatl 267 282 356 357 358<br />

396 453<br />

<strong>Recht</strong>fertigung 16<br />

<strong>Recht</strong>sanspruch 316 331<br />

<strong>Recht</strong>sbesserung 280 281<br />

<strong>Recht</strong>sbeziehungen<br />

- freiwillige u unfreiwillige 58-60<br />

<strong>Recht</strong>sbildung<br />

- u Naturrecht 320 .<br />

- Normen d - 279<br />

- u <strong>Recht</strong>sbewusstsein 283<br />

- durch richterl Spruch 276 287<br />

317 318<br />

- u „richtiges" <strong>Recht</strong> 265<br />

- u Vernunft 283<br />

- Werte als Normen d - 282<br />

- u Wertforschung 282<br />

<strong>Recht</strong>sfindung 319<br />

<strong>Recht</strong>sgefühl 319<br />

<strong>Recht</strong>sgeschäfte<br />

— Ungerechtigkeiten i - 414-442<br />

<strong>Recht</strong>shilfe f Arme 160<br />

<strong>Recht</strong>sphilosophie<br />

— mo<strong>de</strong>rne 265 269 270 271 274<br />

276 277-292<br />

<strong>Recht</strong>slehre, reine 306<br />

<strong>Recht</strong>snormen<br />

— u Ethik 283<br />

— naturrechtl 279<br />

— u Werte 282<br />

<strong>Recht</strong>spositivismus<br />

— u Naturrechtslehre 235 236<br />

267<br />

<strong>Recht</strong>sprechung 41-52 317-321<br />

— u absolute Normen 318<br />

— als Akt d <strong>Gerechtigkeit</strong> 41-43<br />

44<br />

— als Akt d Richters 42<br />

— als Akt d Vernunft 42<br />

— angemasste 44 50-52<br />

— u Autorität d Obrigkeit 44<br />

— u Billigkeit 50<br />

— Erlaubtheit d - 43-45<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 41-43 44<br />

— u geschriebenes Gesetz 49-50<br />

-u Klugheit 42 44 318<br />

— u Obrigkeit 44<br />

<strong>Recht</strong>ssicherheit 319 321<br />

<strong>Recht</strong>sstaat 321<br />

<strong>Recht</strong>ssystem 305<br />

Regierung 477<br />

Reichtum i AT 366 367<br />

Religion<br />

— u Gemeinwohl 476<br />

— gesellschaftl Be<strong>de</strong>utung 467<br />

468<br />

— u soziale Verpflichtung 242<br />

— u Staat 476<br />

— u Staatsgewalt 467 468 469<br />

Religionsfreiheit 468 476<br />

Rente (census) 426-435<br />

Rentenquelle 427<br />

535


Restitution 77-78 219-220<br />

— s a Rückerstattung<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

Revolution 403<br />

Richter 42 51 127 129 132 143<br />

255 318<br />

— u Barmherzigkeit 133<br />

— als Diener Gottes 44<br />

— freie sittl <strong>Recht</strong>sentscheidung d<br />

- 318<br />

-u <strong>Gerechtigkeit</strong> 14 42 49 50<br />

126-133<br />

— u Gesetz 49 50 51 127 133 321<br />

— u Moral 273<br />

-u <strong>Recht</strong>sbildung 276 287 317<br />

318<br />

— u <strong>Recht</strong>sverbesserung 319<br />

— sittl Verantwortung d - 318 319<br />

-u Staat 132 133<br />

-u Strafe 68 132<br />

-u Straferlass 132-133<br />

— ungerechtes Urteil d - 147<br />

— Ungerechtigkeiten d - 126-133<br />

405-406<br />

-Zuständigkeit d - 126-128<br />

Richterrecht 319 321<br />

Risiko 259 422 440<br />

Rückerstattung 63-78<br />

— bei Wucherzinsen 219-220 248<br />

— s a Restitution<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung<br />

Rücksicht auf Personen<br />

— s Ansehen d Person<br />

Ruf s Leum<strong>und</strong><br />

Saccati 384<br />

Sachanalyse<br />

— objektive - u Naturrecht 243<br />

Sache<br />

— Substanz, Gebrauch u Früchte<br />

d - 415<br />

— Überlassung gg Entgelt 415<br />

— Wert d - 415<br />

— u Wert 435-439<br />

536<br />

Sachen, gef<strong>und</strong>ene 119<br />

Sachscha<strong>de</strong>n 111-125<br />

Sachverhalt<br />

— objektiver - u <strong>Recht</strong> 236 237<br />

Sachverhalte<br />

— naturgegebene - u menschl<br />

Vernunft 243<br />

— i Völkerrecht 289<br />

Scha<strong>de</strong>n 69<br />

Schiedsrichter<br />

— u Erzwingungsgewalt 127<br />

Schmähung (contumelia)<br />

167-174 411-412<br />

— Verhältnis z Ehrabschneidung<br />

181<br />

Scholastik 277 284<br />

Schuld 180<br />

— u Strafe 329-333<br />

Schulrecht 301<br />

Schwangerschaftsabbruch 346<br />

Das Seine 308<br />

— geben 284<br />

— je<strong>de</strong>m - geben 12-14 30-32<br />

Selbsterhaltung<br />

— als Naturgesetz 340<br />

Selbstinteresse<br />

— soziale Belastung d - 483<br />

Selbstliebe 241 242<br />

Selbstmord 94-97 149 338-342<br />

Selbstverteidigung 100 149 251<br />

343 344<br />

Sensualismus 496 498<br />

Simonie 249<br />

Sittengesetz 340<br />

Situationsethik 206<br />

Sklaverei 7 8 10 236 294 295 297<br />

Soldaten 100<br />

Solidarismus 467 486-492<br />

Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 24 25-26 28<br />

32 35 54 245 307 312<br />

das Soziale 493<br />

soziale Belastung 492<br />

— d Eigentums 459 483<br />

— d Einzelnen u Privaten 451


— d Individuums 490<br />

— d Privateigentums 483<br />

— d Selbstinteresses 483<br />

— d subjektiven <strong>Recht</strong>e 362<br />

soziale Frage 491<br />

sozialer Frie<strong>de</strong> 135 364<br />

soziale <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

— s <strong>Gerechtigkeit</strong>, soziale<br />

soziale Liebe<br />

— s Liebe, soziale<br />

soziale Methodologie 496<br />

soziale Natur d M 464 481<br />

soziale Norm 461<br />

soziale Verpflichtung 242<br />

soziale Werte 461<br />

soziales Wesen<br />

— Person als - 459 464<br />

Sozialethik 288 306<br />

— u Handlungsordnung 490<br />

-u Individualethik 478 481 490<br />

491<br />

— Systematik d - 456-457<br />

Sozialismus 364<br />

Soziallehre, kath 456-498<br />

Sozialtechnologie 281<br />

Spassmacher 170 191 192<br />

Spekulation, wirtschaftl 420 421<br />

422 423<br />

Spekulationsgewinn 434<br />

Spiritualen 384<br />

Staat 457 458<br />

— u Einzelmensch 358<br />

— u Familie 358<br />

— formales <strong>Recht</strong> d - 291<br />

— u Freiheit d Religion 476<br />

— u Gemeinwohl 335-449 461<br />

495<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 446 447<br />

— als Gesellschaft 300 301<br />

— u Mensch 356 446<br />

— u natura humana 357<br />

— u Naturrechte 396<br />

— als oberstes <strong>Recht</strong>ssystem 300<br />

— als Organismus 334 445<br />

— pluralistischer 470 495<br />

— u Privateigentum 360 396<br />

— <strong>Recht</strong>s- 321<br />

-u Richter 132 133<br />

— Subsidiaritätsprinzip i - 458<br />

477<br />

Staatsgemeinschaft<br />

— u Hausgemeinschaft, wesentl<br />

Unterschied 335<br />

Staatsgewalt 127 463 495<br />

— u Freiheit 473<br />

— u Gewissen 476<br />

— Grenzen d - 461 464 469<br />

— Kompetenz v Gott 469<br />

— u Pflichten d Bürger 469 473<br />

— u Religion 467 468 469<br />

— u To<strong>de</strong>sstrafe 333-338<br />

— Träger d - 482<br />

— u Wirtschaft 484<br />

Sterilisation 347<br />

Steuerhinterziehung 452<br />

Stoa 243 279 370<br />

Strafe 68 132<br />

— u Schuld 329-333<br />

Strebevermögen<br />

— doppeltes 19<br />

— sinnl 21 27 244<br />

Subsidiarität 453<br />

Subsidiaritätsprinzip 355 457 458<br />

470 473 477 484<br />

— i d Kirche 472 474<br />

— i Ehe, Familie, Staat, Kirche<br />

458<br />

Sühne 332<br />

Sün<strong>de</strong> 257 261 331<br />

Syn<strong>de</strong>resis 290 306<br />

Synesis 42<br />

Tapferkeit 17 21 33 273 310 311<br />

314<br />

Tatsün<strong>de</strong>n 87-125<br />

Tausch 209<br />

Tauschgerechtigkeit 246-247<br />

— Begriff 327<br />

537


— u Kauf u Verkauf 203<br />

Tauschgeschäfte 213<br />

Tauschhandlungen<br />

— freiwillige 200-222<br />

— unfreiwillige 176<br />

Tauschverkehr 56<br />

Tauschvertrag 416<br />

Tiere 87-89 92<br />

To<strong>de</strong>sstrafe 249 328-338<br />

To<strong>de</strong>surteil<br />

— gerechtes 251<br />

-Wi<strong>de</strong>rstand gg - 148 149<br />

Tötung<br />

— Erlaubtheit 328<br />

— fahrlässige 346<br />

— i d Geburtshilfe 345<br />

— i Krieg 344 345<br />

— v Lebewesen 87-89<br />

— e Menschen 251<br />

— i Notwehr 99-101 250 251 343-<br />

346<br />

— e Sün<strong>de</strong>rs 89-94 152<br />

— unfreiwillige 251<br />

— e Unschuldigen 97-99<br />

— unschuldigen Lebens 342-343<br />

— e Verbrechers 335<br />

— z Wohl d Gemeinschaft 249<br />

— zufällige 101-102<br />

Tugend<br />

— u Gemeinwohl 311<br />

— <strong>Gerechtigkeit</strong> als höchste - 32-<br />

33<br />

— u Gesetz 202<br />

— als Habitus d Willens 29<br />

— Materie d sittl - 26<br />

— sittl - u Lust u Trauer 27 28<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 32<br />

Tugendakt 13<br />

Tugen<strong>de</strong>n<br />

— theologische 455<br />

— s a Kardinaltugen<strong>de</strong>n<br />

Tugendmitte 245-246<br />

— d <strong>Gerechtigkeit</strong> 30 55-57<br />

— als Sachmitte 29-30<br />

538<br />

— u Vernunft 29<br />

Tyrannenmord 237 291<br />

Überfluss<br />

— <strong>de</strong>n Armen „geschul<strong>de</strong>t" 122<br />

242 403 404<br />

— „gehört" d Armen 404<br />

Übertretung 225-226<br />

— u Böses mei<strong>de</strong>n 228 443<br />

— u negatives Gebot 226 228<br />

— u Unterlassung 229-231<br />

— als Verachtung d Gesetzes 226<br />

Ungerechtigkeit 34-40 315-317<br />

— als allgemeine Sün<strong>de</strong> 261<br />

— u Gemeinwohl 34 35<br />

— gg d Gemeinwohlgerechtigkeit<br />

315-316<br />

— e beson<strong>de</strong>res Laster 34-35<br />

— u Son<strong>de</strong>rgerechtigkeit 35<br />

— u Unrechttun 35-37<br />

— Verdacht als - 47<br />

— u Wille 35<br />

Ungerechtigkeiten<br />

— d Ankägers 139-140<br />

— i Gerichtsprozess 405-410<br />

— i <strong>Recht</strong>sgeschäften 414-442<br />

— d Richters 405-406<br />

-b Vertrag 414-416<br />

— d Zeugen 408-409<br />

— s a Unrecht<br />

Universalismus 308<br />

Universum 330 331<br />

Unrecht<br />

— erlei<strong>de</strong>n 37-39 117 176<br />

-gg d Person 87-102 103-110<br />

251<br />

— durch Sachscha<strong>de</strong>n 111-125<br />

— tun 35-37 37-39 39-40 143<br />

— durch Worte 167-199 411-414<br />

— durch Worte i Gerichtsprozess<br />

126-166<br />

— gg Witwen u Waisen 350<br />

— s a Ungerechtigkeit<br />

Unterlassung 227-229


— u Gutes tun 228 443<br />

— u positives Gebot 228<br />

— u Übertretung 229-231<br />

Unternehmer 492<br />

Unwissenheit als Entschuldigung<br />

39<br />

Urteil 44 48<br />

— gern Aussagen d Zeugen 129<br />

— gg besseres Wissen 128-130<br />

— auf blossen Verdacht 45-47<br />

— u öffentl Autorität 51 52<br />

— u Richter 147<br />

Vater<br />

— Autorität d - 348 349<br />

-<strong>Recht</strong> d - 9-11 298-302 308<br />

Verdacht 45 46 47<br />

Vereine 457<br />

Verfluchung 193-199 414<br />

Vergeltung 60 61 62 140<br />

Verheimlichung (praevaricatio)<br />

137 138<br />

Verhöhnung 258<br />

— u Verspottung 258<br />

Verkauf 200-203 203-205<br />

— s a Kauf u Verkauf<br />

Verkäufer<br />

— Pflichten d - 419 420<br />

Verkaufspreis 208-210<br />

Verkehrsgerechtigkeit s <strong>Gerechtigkeit</strong>,<br />

ausgleichen<strong>de</strong><br />

Verleumdung 137 138141 406 407<br />

Vermögen, begehren<strong>de</strong>s 19 21<br />

Vermögen, überwin<strong>de</strong>n<strong>de</strong>s 19 21<br />

Vernunft<br />

— u naturgegebene Sachverhalte<br />

243<br />

— u Naturrecht 243 278<br />

— u Normen 289<br />

— praktische - als Gewissen 289<br />

— praktische - u Wahrheit 290<br />

— u <strong>Recht</strong> 278 280<br />

— u <strong>Recht</strong>sbildung 283<br />

— u Tugendmitte 29<br />

-u Wille 19<br />

Verschwiegenheit 152 408<br />

Verspottung 189-192 413-414<br />

— u Verhöhnung 258<br />

Verstümmelung 103-105 346-348<br />

Verteidigung 145<br />

-vor Gericht 131 146 147<br />

-dz Tod Verurteilten 148-149<br />

— m ungerechten Mitteln 144-146<br />

— s a Selbstverteidigung<br />

Verteilungsgerechtigkeit s<br />

<strong>Gerechtigkeit</strong>, austeilen<strong>de</strong><br />

Verstaatlichung 403<br />

Verwaltung 397 398 461 483<br />

Volk 466<br />

Völkerrecht 7-8 239 297 298<br />

Volksgeist 286<br />

Vorhaltung 168 169 411<br />

Waffenstillstand 296<br />

Wal<strong>de</strong>nser 384<br />

Ware 200-203 204 205<br />

Warenfehler 203 204 205 206-208<br />

419 420<br />

Warentausch<br />

— doppelte Art v 209<br />

Wegnahme frem<strong>de</strong>n Eigentums<br />

— auf dreifache Weise 73<br />

Weltrecht 293<br />

Wert<br />

-d <strong>Gerechtigkeit</strong> 314-315<br />

— u Preis 201 417<br />

— sittl - d <strong>Recht</strong>s 304<br />

— Trennung v Sache u - 435-439<br />

Wertbewusstsein 286<br />

Werte<br />

— ethische - u <strong>Recht</strong> 288<br />

— materielle - u <strong>Recht</strong> 282<br />

— Modus d Verwirklichung 461<br />

— d Person 465<br />

— u <strong>Recht</strong>snormen 282<br />

— soziale 461<br />

Wertekatalog<br />

— d kath Soziallehre 457<br />

539


Werterkenntnis 276<br />

Wertgefühl<br />

— soziologisches u <strong>Recht</strong> 284<br />

Wertordnung<br />

— u Handlungsordnung 461<br />

Wertskala, absolute 314 315<br />

Wettbewerb 467<br />

Wi<strong>de</strong>rruf (tergiversatio) 137 138<br />

Wi<strong>de</strong>rspruch 277<br />

Wie<strong>de</strong>rgutmachung 248 249 323<br />

324<br />

— s a Restitution<br />

Rückerstattung<br />

Wille<br />

— u <strong>Gerechtigkeit</strong> 13 14 18-21 26<br />

27 244 302<br />

— u <strong>Recht</strong> 265 278<br />

— u Tugend 29<br />

— u Ungerechtigkeit 35<br />

— Unwan<strong>de</strong>lbarkeit d - 14<br />

— als Vernunftstreben 19<br />

Willensbildung<br />

— u soziale Ordnung 288<br />

Wirtschaft<br />

— freie o<strong>de</strong>r gelenkte 399<br />

— Gewaltverteilung i d - 482-483<br />

— u Staatsgewalt 484<br />

— Wan<strong>de</strong>l d - u Eigentum 398-400<br />

Wirtschaftsform<br />

— u Zins 424<br />

Wirtschaftspolitik 399<br />

Wirtschaftssystem 364<br />

Wirtschaftsverfassung i AT 365<br />

366<br />

Witwen u Waisen 109 350<br />

Wohl<br />

— aller u Einzelwohl 497<br />

— d Menschheit 466<br />

— subjektives u allgemeines 496<br />

Wohlfahrt 462 482<br />

— geistige 467<br />

— u Gemeinwohl 495-498<br />

— personale 459<br />

Wohlfahrtsbestimmung<br />

540<br />

— Prozess d - 497<br />

Wohlfahrtsökonomik 498<br />

Wortsün<strong>de</strong>n 126-199<br />

— i Gerichtsverfahren 126-166<br />

— ausserh d Gerichtsverfahrens<br />

167-199<br />

Wucher 219-220 259 260 424 425<br />

431 435 436 440<br />

Wür<strong>de</strong><br />

— d Menschen s Menschenwür<strong>de</strong><br />

— d Person 59 326 457<br />

Zeuge<br />

— Verstösse gg d <strong>Gerechtigkeit</strong><br />

150-158<br />

— Ungerechtigkeiten d - 408-409<br />

— Zurückweisung e - 155-157<br />

Zeugen<br />

-Anzahl d - 152-155<br />

Zeugenaussage<br />

-falsche 157-158 409<br />

-Pflicht zur - 150-152 408<br />

— u Schweigepflicht 408<br />

— Unstimmigkeiten i d - 154 155<br />

Zeugeneid 158<br />

Zins 211-222 371 424-442<br />

— Kapital- 424<br />

-Wucher- 2 19-22<br />

— s a Darlehenszins<br />

Zinstitel<br />

— äussere 439 440<br />

Zorn 173<br />

— u Beschimpfung 171<br />

— u Ehrabschneidung 181<br />

— u Schmähung 173-174<br />

— u Torheit 174<br />

Zwang 123 124 270 303<br />

Zwangsgewalt<br />

— d Richterspruches 127<br />

— d Schiedsrichters 127<br />

— i Staat 127<br />

Zweifel<br />

— nach d günstigeren Seite zu<br />

lösen 47-49


NAMENVERZEICHNIS<br />

Die im alphabetischen Literaturverzeichnis aufgeführten Autoren sind<br />

hier nicht nochmals erwähnt.<br />

Alexan<strong>de</strong>r III. Papa 517<br />

Alphons v. Liguori 248 454 503<br />

Ambrosius 9 17 30 52 111 113<br />

114 115 122 123 129 130 133<br />

204 206 225 226 372 381 382<br />

Anselm 12 19 302<br />

Aristoteles XXIII3467891012<br />

13 16171819202122 23 25 26<br />

27 28 29 30 31'32 33 35 36 37 38<br />

39 40 41 42 45 46 48 49 54 56 57<br />

58 60 65 66 69 84 88 89 91 95 96<br />

97102103 105106112117121<br />

127 130 140 153 169 174 181<br />

187 189 192 201 203 209 213<br />

214 216 221 229 230 236 239<br />

240 241 242 244 246 249 252<br />

272 295 299 300 302 307 309<br />

314 316 320 322 362 368 372<br />

393 423 435 444 445 446 447<br />

449 450 457 483 505 506<br />

Arnold T.W. 276<br />

Augustinus 3 13 14 15 25 26 30 34<br />

44 45 47 49 52 65 82 84 88 89 90<br />

91 92 94 96 97 99 101 102 113<br />

119 121 122 123 124 133 136<br />

150 151 154 160 165 168 171<br />

172 177 179 197 200 202 205<br />

209 221 224 225 226 253 258<br />

371 382 383 404 417 513<br />

Basilius 111 113 114 374 375 376<br />

377<br />

Becker W.G. 279 280 281<br />

Beiträn <strong>de</strong> Heredia V. 521<br />

Bernhard v. Clairvaud 183<br />

Bernhardin v. Siena 436 437 438<br />

439<br />

Beyer W.R. 268 269 282<br />

Bihlmeyer K. 250 254<br />

Billuart CR. 284<br />

Bochenski I.M. 503<br />

Bonaventura 384<br />

Brentano L. 372<br />

Brunner E. 278<br />

Bückers H. 365<br />

Cajetan 250 255<br />

Cassiodor 208<br />

Cathrein V. 491<br />

Celsus 3 371<br />

Chenon E. 256 257 405<br />

Chenu M.-D. 256<br />

Chrysipp 253 370 375<br />

(Johannes] Chrysostomus 24 44<br />

45 105 142 155 171 198 208<br />

210 230 377 380 381 384 393<br />

Cicero 15 17 30 32 45 53 164 201<br />

206 253 294 372 373 374 375<br />

381 409<br />

Cicognani A.G. 462 464 468 471<br />

Coing H. 283 285 319<br />

Cyprian 372<br />

Cyrill v. Jerusalem 374<br />

Darmstaedter F. 271<br />

Dekrete 99 101 113 115 122 134<br />

135 136 137 139 144 146 147<br />

153 156 162 163 219<br />

DelPAqua A. 466<br />

Delos J.Th. 507<br />

Del Vecchio G. 271<br />

541


Diogenes 370<br />

Dionysius (Areopagita) 92 229<br />

DoehringJ. 510<br />

Don<strong>de</strong>rs A. 520<br />

Duns Skotus J. 362<br />

Erzberger M. 337<br />

Eschmann I.Th. 309 512<br />

Faidherbe A.J. 325<br />

Fanfani L. 369<br />

Farner K. 375 379 380<br />

Ferdinand I. XXI<br />

Flanagan Th. 516<br />

Frank J. 276 284 285<br />

Friedmann W. XXI<br />

Fuchs E. 287<br />

Gaius 8 294 296<br />

Galen B.Gr. v. 457 462 463 464<br />

465 466 467 468 469 470 471<br />

472 474 521<br />

Garlan E.N. 276<br />

Gelasius (Callistus I.) 139 141<br />

Gerard Segarelli v. Parma 253<br />

Getino L.G.A. 521<br />

Gillet M.S. 507<br />

Girald v. Monteforte 384<br />

Glosse 46 47 80 84 101 144 147<br />

151 168 177 179 185 186 190<br />

193 198 215 223<br />

Graf Th. 244<br />

Gratian 141 296 373 383 407 506<br />

509<br />

Gregor 17 127 144 159 172 173<br />

179 182 191 192 196<br />

Gregor IX. 156 343<br />

Gregor v. Nazianz 373 377<br />

Gregor v. Nyssa 377<br />

Groner F. 516<br />

Groner J.F. XXV 457 458 460<br />

462 463 466 467 474 475 521<br />

Grotius H. 238 288 297<br />

Guillaume d'Auxerre 506<br />

G<strong>und</strong>lach G. 458 479 486 487 492<br />

494<br />

Habermas J. 281<br />

542<br />

Hadrian 139<br />

Hadrossek P. XXII 521<br />

Hartmann N. 282<br />

Hässle J. 426<br />

Healy P.J. 369<br />

Heck Ph. 282<br />

Hegel 447 489 493<br />

Hermogenian 295<br />

Hertling G. v. 514<br />

Hesiod 299<br />

Heumann 257<br />

Hieronymus 182 209<br />

Hilarius 44<br />

Hobbes Th. 304<br />

Holmes O.W. 276 286<br />

Homer 299 446<br />

Honorius IV. 253<br />

Horväth A. 352 427<br />

Hugo v. St. Viktor 522<br />

Irenaus 254 369 370<br />

Isay H. 287<br />

Isidor 34 5 7 13 115 116 168 185<br />

191 295 296<br />

Jacobus <strong>de</strong> Voragine 96<br />

Jerusalem F.W. 286<br />

Johannes XXII. 384<br />

Johannes XXIII. 453 465 467 469<br />

Johannes v. Damaskus 103 190<br />

Johannes Paul II. 337 363 364 365<br />

458 483<br />

Justinian 254 295 302 320 419<br />

Kant I. 271 306 307 442 497<br />

Kantorowicz H. 287<br />

Karl d Grosse 517<br />

Keller-Senn C.J. 520<br />

Kelsen H. 235 238 276 289 303<br />

305 306 317 456 517<br />

Kierkegaard S. 281<br />

Killeen S.M. 426<br />

Klemens v. Alexandrien 370 371<br />

374<br />

Klemens v. Rom 181 373<br />

Klose A. 479 495 521<br />

Kohler J. 279


Kraus J.D. 384<br />

Kühle H. 337<br />

Laktanz 372 373<br />

Larkin P. 359<br />

Laski HJ. 286 369<br />

Laun R. 279<br />

Lauterpacht H. 270 272<br />

Le Foyer J. 251<br />

Leo IV. 127<br />

Leo XIII. 245 354 355 356 358<br />

360 361 363 364 395 458 459<br />

460 462 463 467 468 469 484<br />

490 492 510 518 519 520<br />

Liberatore M. 360<br />

Linhardt R. 292<br />

Locke J. 359 484<br />

Lombard P. 513<br />

Lottin O. 292 295 296<br />

Ludwig d. Heilige 347 349<br />

Luhmann N. 281<br />

Luzia, hl. 96<br />

Macedonius 165<br />

Marcian 295<br />

Maritain J. 508<br />

Marx K. 489<br />

Mausbach J. 522<br />

Mayer J. 348<br />

McDonald W.J. 373<br />

Meinerts M. 520<br />

Messner J. 278 454 479 482 493<br />

494 511 521<br />

Mitteis H. 283<br />

Moralejo R. 462<br />

Müller K. 426<br />

Nell-Breuning O. v. 416 424 425<br />

454 470 487 488 518<br />

Nikolaus I. 99<br />

Nikolaus IV. 253<br />

O'Brien 369<br />

Oliver Martin Fr. 405<br />

Orel A. 421 422 424 426 427 428<br />

429 430 431 432 433 437 438<br />

439<br />

Origenes 371<br />

Pascal J. 268<br />

Pareto V. 495 496 497 498<br />

Parmenianus 90<br />

Paul VI. 462 464 472<br />

Pius I. 182<br />

Pius XI. 245 355 359 361 448 453<br />

454 455 458 462 464 465 467<br />

470 474 485 508 518<br />

Pius XII. XXIV XXV 457 458<br />

460 462 463 466 474 521<br />

Plato 240 372 373 374 376 383<br />

Porphyrius 334<br />

Posidonius 373<br />

Prümmer D. 249<br />

Publicola 99 102 221<br />

Radbruch G. 283 319 337<br />

Ramirez S. 298<br />

Rathenau W. 337<br />

Rauscher A. 360 459 487 495 511<br />

Reinach A. 279<br />

Rinecker C. 490<br />

RyanJ.A. 369<br />

Sacher H. 424 425 470 515<br />

Savigny F.K. v. 286<br />

Schambeck H. 479 511 521<br />

Schätzel W. 521<br />

Scheler M. 282 493 506<br />

Schickling H. 444<br />

Schilling O. 369 371 372 381<br />

Schmal F. 514<br />

Schnürer G. 256<br />

Schöttl F. 490<br />

Schumacher H. 369<br />

Seckel E. 257 510<br />

Seipel I. 369<br />

Seneca 341 373 374<br />

Sieling-Wen<strong>de</strong>ling U. 506<br />

Siri G. 464 468 471<br />

Smith J. 456<br />

Sohm R. 292 293 299<br />

Sombart W. 430<br />

Sommerlad Th. 375<br />

Sorgenfrei H. 490<br />

Soto D. <strong>de</strong> 505<br />

543


Sousberghe L. <strong>de</strong> 353 359<br />

Spann O. 308<br />

Spicq C. 252 259<br />

Spranger E. 281<br />

Stammler R. 271 279 281<br />

Suarez 390 391 392 508 509<br />

Tammelo J. 282<br />

Taparelli L. 359 360 451 484 490<br />

491 492 493 513 522<br />

Tawney R.H. 369<br />

Tertullian 371 372<br />

Thieme K. 453<br />

Thomann M. 490 491<br />

Tischle<strong>de</strong>r P. 521<br />

Tolstoi L. 304<br />

Tomberg V. 320<br />

Tonneau J. 513<br />

Trappe P. 285 496 520<br />

Troeltsch E. 369<br />

Tron<strong>de</strong> R. 513<br />

Truyol Serra A. 520<br />

544<br />

Tüchle H. 250 254 504<br />

Ulpian 294 295 296 302 319<br />

Utz A.F. XXV 244 268 277 279<br />

306 323 329 362 398 449 452<br />

457 458 460 462 463 464 465<br />

466 467 468 469 470 471 472<br />

474 475 496 503 520<br />

Veit O. 286<br />

Verpaalen A.P. 309 480<br />

Vincentius 123<br />

Vitoria F. <strong>de</strong> XXII 292 297 298<br />

503 520<br />

Weber A. 367<br />

Weber M. 369 497<br />

Weiler R. 479 511 521<br />

Welkoborsky H. 506<br />

Welty E. 325 426<br />

Wolf E. 279<br />

Wolff Chr. 491 520<br />

Wyser P. 503


Demnächst erscheint<br />

THOMAS VON AQUIN<br />

DIE HOFFNUNG<br />

(Theologische Summe II-II 17-22)<br />

Ubersetzung<br />

von<br />

Prof. Dr. Josef F. Groner<br />

Anmerkungen <strong>und</strong> Kommentar<br />

von<br />

Prof. Dr. Dr. h. c. Arthur F. Utz<br />

Die Hoffnung gehört zu <strong>de</strong>n f<strong>und</strong>amentalen Themen <strong>de</strong>s Lebens. Die<br />

Klassiker <strong>de</strong>r griechisch-römischen Zeit konnten nur von <strong>de</strong>r Vergeblich­<br />

keit o<strong>de</strong>r Selbsttäuschung re<strong>de</strong>n, die in <strong>de</strong>r menschlichen Hoffnung liege.<br />

Piaton sprach zwar von einer Hoffnung auf Gott, ob jedoch <strong>de</strong>r Ruf <strong>de</strong>s<br />

Hoffen<strong>de</strong>n überhaupt zu ihm gelange <strong>und</strong> sich die Hoffnung erfülle, ver­<br />

mag er nicht zu sagen. In <strong>de</strong>r Philosophie <strong>de</strong>r Neuzeit hat man darauf ver­<br />

zichtet, von <strong>de</strong>r Hoffnung eines einzelnen Menschen im Hinblick auf sein<br />

ewiges Glück zu diskutieren. So wich man aus auf die Hoffnung als Erwar­<br />

tung <strong>de</strong>r Menschheit im Sinn einer optimistischen Entwicklung <strong>de</strong>s Dies­<br />

seits. Der einzelne sollte sein Heil nur in einer Gottwerdung im Rahmen<br />

eines marxistisch konzipierten Geschichtsprozesses erwarten (E. Bloch).<br />

Thomas von Aquin vermittelt in diesem trostreichen Traktat die Ein­<br />

sicht, daß <strong>de</strong>r Mensch, <strong>und</strong> zwar je<strong>de</strong>r einzelne, durch die Gna<strong>de</strong> Christi<br />

die sichere Zuversicht haben kann <strong>und</strong> nach Gottes Willen auch haben soll,<br />

an ein glückliches En<strong>de</strong> zu kommen. Aus dieser Hoffnung soll <strong>de</strong>r Christ<br />

auch das unerschütterliche Vertrauen schöpfen, daß ihm in allen sonstigen<br />

kleinen o<strong>de</strong>r großen Sorgen <strong>de</strong>s täglichen Lebens die allmächtige Hilfe<br />

Gottes zur Verfügung steht. Diese personalistisch geprägte Hoffnung<br />

bewahrt <strong>de</strong>n Theologen vor einer allzu großen Anlehnung an die neuzeit­<br />

lichen kollektivistischen Vorstellungen von einer nur-eschatologischen<br />

Hoffnung <strong>de</strong>r gesamten Menschheit.<br />

IfG-Verlagsgesellschaft mbH, Bonn, Simrockstr. 19

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!