Die Aufgabe der Eliten - Cusanuswerk

Eliten"? Sind es die Bischöfe, die Ordensleute, die Priester, die Laien mit besonderer
Ausbildung? Ich frage das so pointiert, weil ich den Verdacht nicht loswerde, daß wir
in der Kirche noch immer in einem Ständedenken befangen sind, das durch
antiquiertes und überholtes hierarchisches Denken und entsprechende Strukturen
begünstigt wird. In diesem Denken bilden die rangobersten Stände die christliche
Elite, die dem Ganzen des Gottesvolkes gegenübersteht. Dieser Vorstellung kann
man nicht Raum geben, ohne zugleich ihre Absurdität zu empfinden.
Die christlichen Eliten - das kann nicht automatisch ein "Stand" in der Kirche sein,
sondern das sind jene, die sich, unabhängig von ihrem "Stand" in der Kirche,
dadurch auszeichnen, daß sie, im Bewußtsein ihrer Zugehörigkeit zu Kirche und
Gesellschaft, Sensibilität für die sozialen Realitäten mitbringen, daß sie fähig sind,
diese Realitäten als Herausforderungen zu sehen, d.h. über den Schwierigkeiten, die
sie offenbaren, nicht den Aspekt der Chance zu vergessen, der in ihnen immer auch
verborgen ist, und daß sie den Mut haben, ihre eigene Vision von der Zukunft der
Gesellschaft in das Gespräch mit anderen Gruppen dieser Gesellschaft
einzubringen.
Wenn das die christlichen Eliten sind, so ist klar, daß sie teilweise mit den sozialen
Eliten identisch sind. Aber gibt es christliche Eliten, die nicht zu den sozialen Eliten
gehören? Wenn im Evangelium gerade den Armen und den Verfolgten, denen, die
nach Gerechtigkeit hungern, die keinen Lärm machen und nicht mit Gewalt
vorgehen, das Reich Gottes zugesprochen wird, so handelt es sich hier offensichtlich
um christliche, aber nicht um soziale Eliten. Denn die in den Seligpreisungen
Angesprochenen sind jene, denen es nicht nur an Besitz, sondern auch an Bildung
fehlt, es sind jene ohne Stimme und ohne Einfluß. In dieser christlichen Elite, die oft
sehr wenig bis nichts gemeinsam hat mit den Eliten einer Gesellschaft, erkennt die
Kirche ihre spezifische Elite, indem sie einzelne von den Armen, den Verfolgten, den
Barmherzigen und Sanftmütigen, den Friedensstiftern und nach Gerechtigkeit
Hungernden heilig spricht.
An vielen Heiligen wiederum wird deutlich, daß die christlichen Eliten - d.h. jene, die
zugleich soziale Eliten sind, aber auch jene, die in der Gesellschaft ohne Stimme und
Einfluß sind - eine doppelte Berufung haben: nämlich sowohl eine Berufung in Bezug
auf die Gesellschaft als auch eine Berufung in Bezug auf die Kirche.
IV
Was bedeutet das Gesagte für das Cusanuswerk? Ich habe zu Anfang davon
gesprochen, daß wir über das Verhältnis zwischen Eliten und Gesellschaft nicht
nachdenken können, ohne daß Weichen gestellt werden. Weichen geben den Weg
in eine Richtung frei oder verstellen ihn. Bei den Weichen, die ich erkenne, handelt
es sich um Fragen, die entsprechend der Antwort, die wir geben, Wege eröffnen oder
verschließen.
Das Cusanuswerk fördert christliche Eliten, die im Sinne der wissenschaftlichen
Begabung und des persönlichen Einsatzes soziale Eliten sind. Nach dem eben
Gesagten stellen sich für mich hier einige Fragen: Wie erkennen sich diese
christlichen Eliten des Cusanuswerks im Verhältnis zu jenen anderen christlichen
Eliten, die keine sozialen Eliten sind, die nämlich zu den Armen, den Verfolgten und
im Kampf um Gerechtigkeit und Frieden Gescheiterten gehören? Gibt es überhaupt
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