YI Chong Jun
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Gerüchtemauer und Euer Paradies beweisen, dass <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong> ein sehr<br />
intellektueller Schriftsteller ist.<br />
Das Verlustgefühl und die Einsamkeit des Menschen, die in<br />
zwischenmenschlichen Beziehungen und Institutionen verinnerlichte<br />
brutale Machtstruktur und die in der Sprache latent vorhandene<br />
Begierde des Menschen bilden in diesen Romanen ein wichtiges Gerüst.<br />
Anstatt orthodoxe Romane zu schreiben, spielt der Autor mit dem Leser<br />
ein intellektuelles Spiel und hört niemals auf, als Ketzer gegen das<br />
literarische Establishment aufzutreten.<br />
Bereits mit seinem Debütwerk Entlassung aus dem Krankenhaus<br />
erschließt <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong> eine Romanwelt, die zuvor kein Autor eines<br />
modernen koreanischen Romans betreten hatte. Er bedient sich häufig<br />
der sogenannten ‚Rahmenerzählstruktur‘, in der die Hauptfigur und der<br />
über die Hauptfigur aussagende Betrachter auf einer Ebene stehen. Der<br />
Betrachter ist eine Person mit klarem Eigenbewusstsein, welche die<br />
entstellte Realität interpretiert und kritisiert. Für den Leser der Romane<br />
von <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong> ist es beinahe eine Qual, mit einem Betrachter<br />
konfrontiert zu werden, der die Ereignisse wie ein Kolumnist ständig<br />
kommentiert. Dem Leser wird deutlich, dass er keine interessante<br />
Erzählung, spannend und leicht verdaulich, vor sich hat, sondern dass<br />
ihn der Autor vielmehr mit einem Denkspiel strapazieren möchte.<br />
Bemerkungen, dass seine Romane idealistisch und abstrakt seien, sind<br />
der intellektuellen Strategie des Autors zuzuschreiben. Dem Autor ist<br />
wegen dessen Studiums der Germanistik die ‚Welt des Idealismus‘<br />
sicherlich vertrauter, als es traditionelle Erzählstränge sind.<br />
Eine andere Welt, die uns <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong> zeigt, sind seine Romane, die<br />
sich mit der Entfremdung des modernen Menschen und den<br />
Bedingungen der menschlichen Existenz beschäftigen. Seine<br />
Hauptfiguren versuchen zwar weniger stark, den Leser in ein Denkspiel<br />
von Ideen und Abstraktion zu zerren, doch das Spiel wird auch hier<br />
gespielt.<br />
Das geheime Feuerfest präsentiert eine ungewöhnliche literarische Welt<br />
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LiteraTOUR Korea <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong><br />
der Koexistenz einer rationalen, intellektuellen und einer<br />
transzendentalen esoterischen Welt. Die Hauptfigur steigt auf den<br />
Vorschlag eines Heimatfreundes bei Vollmond auf einen kleinen Hügel<br />
hinter seinem Haus und wird dabei Zeuge eines mysteriösen Rituals.<br />
Dieses Ritual ist das Motiv, das sich durch den gesamten Roman<br />
hindurchzieht. Obwohl nicht bekannt wird, von wem, wann und wie<br />
dieses rätselhafte Ritual begonnen wurde, wird deutlich, wozu es<br />
bestimmt ist. Es dient der Schaffung einer gerechten Welt, in der alles<br />
gleich ist. Das Ritual ist eine Geste des Autors, der nach einer<br />
transzendentalen Welt strebt und gleichzeitig die absurde und<br />
widersinnige Realität kritisiert.<br />
Außerdem ist auffallend, wie sich der in seiner geistigen Welt von<br />
westlicher Literatur und Philosophie geprägte Autor der traditionellen<br />
koreanischen Mentalität und Lebensweise zuwendet. Die Romane, die er<br />
zu diesem Thema der Suche nach traditionellen Kulturinhalten und<br />
Lebensformen geschrieben hat, werden in die Reihe ‚Namdo Yonjak‘<br />
(Reihe der Südprovinzromane) eingeordnet. Diese Romanreihe wurde<br />
auch unter dem Titel Sopyonje verfilmt. Hier fragt der Autor im Lichte<br />
der traditionellen koreanischen Kunstform, die erst in der Welt der<br />
Natur zum Tragen kommt, nach der Authentizität und dem Wert des<br />
Lebens.<br />
<strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong> ist nun fast 70 Jahre alt. Das 70. Lebensjahr wird im<br />
Osten ‚Gohee‘ genannt, was übersetzt ‚seit je her nicht häufig auftretend‘<br />
bedeutet. ‚Nicht häufig‘ bedeutet auch ‚kostbar‘. Von diesem Autor,<br />
dessen Frühwerke stark beeinflusst sind vom westlichen Idealismus, und<br />
dessen junge Romane mit der Zuwendung zur Darstellung des<br />
traditionell Koreanischen an Tiefe gewinnen, erhalten wir einen solchen<br />
‚kostbaren Eindruck‘. Denn wir stellen fest, dass der Prozess seines<br />
Reifens als Schriftsteller parallel zum Reifungsprozess der koreanischen<br />
Gesellschaft verläuft.<br />
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