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YI Chong Jun

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mehr, der Sie wie früher disziplinierte oder misshandelte. Dieser Ort<br />

stellte sich meinen Augen wahrlich als eine stolze Heimat und ein<br />

Paradies für Sie dar.<br />

Aber da gab es ein Missverständnis meinerseits. Vor einigen Tagen, also<br />

in meiner ersten Nacht hier, entfernten sich gewisse Personen unter<br />

Ihnen von der Insel. Dwar amit haben Sie mir ein bedeutsames<br />

Geschenk gemacht. Es machte mir nämlich klar, dass Sie die Insel noch<br />

nicht als Ihr Paradies betrachten. Das hat mich der Fluchtvorfall gelehrt.<br />

Die Ursache konnte ich damals noch nicht verstehen. Doch als ich mich<br />

auf der Insel umsah, begriff ich schnell. Es war ein Missverständnis. Sie<br />

litten noch immer an einer schrecklichen Krankheit. Ihre physische<br />

Krankheit war dabei, sich erstaunlich schnell zu bessern. Doch Sie<br />

wissen selbst, dass Sie in Ihrem Herzen an einer noch schlimmeren<br />

Krankheit leiden als Ihr Körper. Diese Insel ist voller Misstrauen und<br />

Verrat. Sie und die gesamte Insel mit Ihnen leiden an dieser weitaus<br />

tödlicheren Krankheit des Misstrauens und des Verrats bis tief ins Mark<br />

- mehr als Sie jemals an körperlichen Erkrankungen gelitten haben.<br />

Eigentlich ist es gleichgültig, was für Vorstellungen ich mir von der Insel<br />

mache. Solange Sie nicht selbst daran glauben, wird sie kein wahres<br />

Paradies für Sie sein können. Das ist es, was für mich zählt. Erst aus<br />

dieser Erkenntnis weiß ich, was ich hier zu tun habe.“<br />

Dem Ton nach war der Direktor auf alles gefasst.<br />

Doch aus den Reihen der Bewohner kam immer noch keine Reaktion.<br />

Man konnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob sie dem Direktor<br />

überhaupt zugehört hatten. Gegen die Dumpfheit dieser schweigenden,<br />

schweren Masse gleich dem Meeresboden kämpfte der Direktor um so<br />

verzweifelter an, als wolle er um jeden Preis eine Reaktion hervorrufen.<br />

„Wir müssen diese Insel neu gestalten!“<br />

Langsam stellte sich heraus, was seine Verheißung war. Das, was diese<br />

Insel und ihre Bewohner am meisten befürchteten, sprach der Direktor<br />

aus. Er erklärte, dass er die Insel neu gestalten wolle. Er versicherte, dass<br />

dann alle Menschen, die auf der Insel Fuß fassten, an das wahre<br />

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LiteraTOUR Korea <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong><br />

glückliche Paradies glauben würden. Er bat inständig, die Insel zu einer<br />

geliebten Heimat zu machen, zu der man voller Sehnsucht zurückkehren<br />

wollte, nachdem man sie verlassen hatte. Er versprach, dass die<br />

Verhältnisse sich bessern würden und man jedem Inselbewohner<br />

ermöglichen werde, das Leben frei nach eigener Kreativität zu gestalten.<br />

„Heute, wo man sich im ganzen Land mit voller Kraft um den<br />

Wiederaufbau bemüht, wird das, was wir tun, wertvoller und<br />

lohnenswerter als alles andere sein. Für dieses Vorhaben gibt es<br />

allerdings eine wichtige Voraussetzung.“<br />

Endlich kam er auf seine Forderung an die Bewohner zu sprechen.<br />

„Das ist in erster Linie Ihre Hilfe und Ihre Initiative. Ich, der ich hier<br />

vor Ihnen stehe und alle anderen Angestellten der Anstalt werden sich<br />

für Sie mit allen Mitteln einsetzen. Wir stehen auf Ihrer Seite. Dennoch<br />

dürfen Sie nie vergessen, dass es letztendlich Ihre eigene Sache ist. Die<br />

Verwirklichung ist nur möglich, wenn sie durch Ihre spontane Initiative<br />

und Ihr Verantwortungsbewusstsein gestützt wird. Aber wie sieht es<br />

damit bei Ihnen aus?“<br />

Der Direktor hielt kurz inne und blickte auf die Reihen herab, als wolle<br />

er sie zu einer Antwort drängen, sprach dann aber mit erhobener<br />

Stimme weiter.<br />

„Sie haben kein Vertrauen. Weil es das nicht gibt, herrschen böses<br />

Misstrauen und Verrat, genau wie früher. Genauer gesagt – Sie sind zu<br />

Sklaven jenes Misstrauens und Verrats geworden. Sie verweigern sich<br />

deshalb noch immer und schotten sich Besorgnis erregend ab. Sie halten<br />

Ihren Mund fest geschlossen, misstrauen diesem Mann, der vor Ihnen<br />

steht und glauben an einen illusionären Verrat, der irgendwann<br />

eintreten wird. Ich versuche, Sie zu verstehen. Denn für Ihr Verhalten<br />

müssen Sie gute Gründe haben. Wahrscheinlich war es Ihnen nicht<br />

möglich, ein wahrhaftiges Leben zu führen. Schließlich wollte keiner<br />

etwas mit Ihnen zu tun haben. Von da ab verloren Sie das Vertrauen zu<br />

sich selbst und untereinander. Und im Laufe der Zeit schlug dies in<br />

Misstrauen gegenüber der Welt um. Doch Sie sind nicht mehr darauf<br />

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