YI Chong Jun
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Auszüge<br />
Euer Paradies<br />
Dass der neue Direktor allmählich begann, den Fluchtfall zu Beginn<br />
seiner Amtszeit zu verstehen, war erfreulich. Er schien die Insel nicht<br />
länger als ein Paradies für die Insassen zu betrachten. Langsam begann<br />
er, die Hintergründe des Vorfalls zu erfassen. Aber gerade aus diesem<br />
Grund lief die Sache wieder in eine falsche Richtung. Denn plötzlich<br />
schien der Direktor von unüberwindlichem Tatendrang besessen.<br />
Am frühen Morgen des dritten Tages entschloss er sich endlich, eine<br />
Antrittsrede zu halten.<br />
[…]<br />
Dem Direktor wurde auf einmal bewusst, dass er von zehntausend<br />
Augen aus der ihm gegenüberstehenden, stillschweigenden Masse<br />
angestarrt wurde. Auch nachdem er den Gruß des Mitarbeiters der<br />
Kontrollstelle entgegengenommen hatte, der die Bewohner vertrat und<br />
ihm salutierte, blieben seine Lippen verschlossen. Freilich war der<br />
Direktor kein Mensch, der die Unhöflichkeit der Bewohner übel<br />
nehmen würde. Letztere hatten trotz aller Bitten um einen herzlichen<br />
Empfang keinen Applaus gespendet und standen stattdessen nur starr<br />
herum. Der Direktor hatte die Illusion, dass die Blicke der<br />
schweigenden Masse immer näher auf ihn zu rückten. Sein Gesicht<br />
erbleichte. Er hatte das Gefühl zu ersticken. Seine stattliche Statur und<br />
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LiteraTOUR Korea <strong>YI</strong> <strong>Chong</strong> <strong>Jun</strong><br />
die ihm besonders gut stehende Uniform wirkten plötzlich fehl am<br />
Platz. Auch die Offiziersmütze und die Epauletten mit silbernen<br />
Rangabzeichen, die ihn als Oberst auswiesen, machten ihn plötzlich<br />
nicht mehr so würdevoll.<br />
„Ich bin Oberst Jo Baek-heon.“<br />
Endlich begann er zu sprechen. Er tat es mit lauter Stimme, als wolle er<br />
unbedingt erst einmal dieses rätselhafte, mürrische Schweigen brechen.<br />
„Da es heiß ist, möchte ich gleich auf den Punkt kommen. Ich möchte<br />
Ihnen erzählen, was ich in den Tagen nach meiner Ankunft hier auf der<br />
Insel gehört und empfunden habe.“<br />
Der Direktor begann ohne Umschweife zu berichten.<br />
„Bevor ich hierher kam, hatte ich offen gestanden nicht gewusst, was für<br />
ein Ort diese Insel ist. Natürlich hatte ich ein paar statistische Fakten:<br />
die Zahl der Patienten, die geheilt wurden und auf Eingliederung in die<br />
alte Gesellschaft warteten oder die der Inselbewohner, die noch die<br />
Krankheit bekämpften. Ferner kannte ich den Umfang des<br />
Staatsbudgets, das zur Hilfe für die Menschen hier aufgewendet wird.<br />
Von allem, was mir über diesen Ort berichtet wurde, bewegte mich aber<br />
am meisten, dass sich diese Insel aus der vergangenen, verhängnisvollen<br />
Zeit der Verzweiflung und der Verrufenheit befreit habe und für Sie zu<br />
einem paradiesischen Land, zu einer stolzen Heimat geworden sei. Ihre<br />
vom Himmel verfluchten Wunden würden nach und nach geheilt. Der<br />
Lebensstandard würde erhöht und die Wohlfahrtseinrichtungen würden<br />
erweitert werden. Ihre einst mit Füßen getretenen Rechte würden mit<br />
jedem Tag ausgedehnt und Ihnen wieder zugesprochen. So sollte die<br />
Insel zu Ihrem Paradies geworden sein. Mit diesen Vorstellungen kam<br />
ich auf die Insel. Als ich sie zum ersten Mal sah, dachte ich, dass diese<br />
Berichte durchaus fundiert wären. In der Tat bekamen Sie die<br />
Behandlungen, die Sie sich wünschten. Die Krankheit wurde<br />
wirkungsvoll bekämpft. Die schöne Landschaft der Insel war das beste<br />
Erholungsumfeld, das man sich wünschen konnte. Ihre Lebensqualität<br />
wurde erhöht, die Wohlfahrtseinrichtungen erweitert. Es gab niemanden<br />
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