Arbeitsrechtliche Herausforderungen im Alltag
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<strong>Arbeitsrechtliche</strong> <strong>Herausforderungen</strong><br />
<strong>im</strong> <strong>Alltag</strong><br />
Angela Hensch, Fachanwältin SAV Arbeitsrecht<br />
Bratschi Wiederkehr & Buob, St. Gallen<br />
2
Themenübersicht<br />
• Vertrauensarbeitszeit<br />
• Versicherungsleistungen und Krankenlohn bei Beendigung<br />
des Arbeitsverhältnisses<br />
• Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit<br />
• Aufhebungsvertrag<br />
• Ferien als Streitpunkt<br />
Vertrauensarbeitszeit?<br />
(Was bringt die neue Verordnungsbest<strong>im</strong>mung<br />
von Art. 73a ArGV 1?)<br />
3<br />
4
Geltungsbereich Arbeitsgesetz<br />
• Grundsatz: Anwendbar auf alle öffentlichen und privaten<br />
Betriebe (Art. 1 Abs. 1 ArG)<br />
• Ausnahmen:<br />
• betriebliche (Art. 2 ArG)<br />
• persönliche (Art. 3 ArG)<br />
→ Vorbehalt Gesundheitsschutz (Art. 3a ArG)<br />
Ausnahmen vom betrieblichen Geltungsbereich<br />
• Nicht unter Arbeitsgesetz fallen z.B.:<br />
• Zentralverwaltungen Bund, Kantone und Gemeinden<br />
(Art. 2 Abs. 1 Bst. a ArG)<br />
• Private Haushaltungen (Art. 2 Abs. 1 Bst. g ArG)<br />
5<br />
6
Ausnahmen vom persönlichen Geltungsbereich<br />
• Nicht unter Arbeitsgesetz fallen:<br />
• Arbeitnehmende mit höherer leitender Tätigkeit (Art. 3 Bst. d ArG)<br />
Art. 9 ArGV 1:<br />
Höhere leitende Tätigkeit<br />
Eine höhere leitende Tätigkeit übt aus, wer auf Grund seiner Stellung<br />
und Verantwortung sowie in Abhängigkeit von der Grösse des<br />
Betriebes über weitreichende Entscheidungsbefugnisse verfügt oder<br />
Entscheide von grosser Tragweite massgeblich beeinflussen und<br />
dadurch auf die Struktur, den Geschäftsgang und die Entwicklung<br />
eines Betriebes oder Betriebsteils einen nachhaltigen Einfluss<br />
nehmen kann.<br />
• Lehrer an Privatschulen sowie Lehrer, Fürsorger, Erzieher und<br />
Aufseher in Anstalten (Art. 3 Bst. e ArG)<br />
Art. 12 ArGV 1<br />
Erzieher und Fürsorger<br />
2 Erzieher und Erzieherinnen sind Personen mit einer<br />
anerkannten pädagogischen Fachausbildung oder einer<br />
gleichwertigen Aus- und Weiterbildung.<br />
3 Fürsorger und Fürsorgerinnen sind Personen mit einer an-<br />
erkannten Fachausbildung sozial-pädagogischer oder sozial-<br />
psychologischer Richtung oder einer gleichwertigen Aus- und<br />
Weiterbildung.<br />
7<br />
8
• Handelsreisende <strong>im</strong> Sinne der Bundesgesetzgebung<br />
(Art. 3 Bst. g ArG)<br />
• Art. 347 ff. OR<br />
• Mehr als Hälfte Arbeitszeit <strong>im</strong> Aussendienst<br />
(ausserhalb Geschäftsräume)<br />
• Erfasst nur Absatzgeschäfte mit Kunden<br />
(nicht Einkaufs-Geschäfte mit Lieferanten)<br />
Charakter Arbeitsgesetz<br />
• Öffentliches Recht<br />
• Zwingendes Recht<br />
• Von Amtes wegen durchgesetzt<br />
→ Sanktionen bei Widerhandlungen (Art. 59-62 ArG)<br />
• Verwaltungsrechtliche Sanktionen (Art. 50 ff. ArG)<br />
• Strafrechtliche Sanktionen (Art. 59 ff. ArG)<br />
9<br />
10
Inhalt Arbeitsgesetz: Überblick<br />
• Arbeitnehmerschutzgesetz<br />
• Bezweckt Mindestschutz in Bereichen:<br />
• Gesundheitsschutz (Art. 6 ArG)<br />
• Arbeits- und Ruhezeiten (Art. 9-28 ArG)<br />
• Sonderschutz für jugendliche Arbeitnehmende (Art. 29-32 ArG)<br />
und schwangere Frauen und stillende Mütter (Art. 35-35b ArG)<br />
sowie Arbeitnehmende mit Familienpflichten (Art. 36 ArG)<br />
Arbeitszeit (Art. 13 Abs. 1 ArGV 1)<br />
• Zeit, während sich Arbeitnehmender zur Verfügung Arbeitge-<br />
bender hält; Weg zu und von Arbeit gilt nicht als Arbeitszeit<br />
Wöchentliche Höchstarbeitszeit (Art. 9 Abs. 1 ArG)<br />
• 45 Stunden für Arbeitnehmende in industriellen Betrieben sowie<br />
für Büropersonal, technische und andere Angestellte, mit<br />
Einschluss Verkaufspersonal in Grossbetrieben Detailhandel<br />
• 50 Stunden für alle übrigen Arbeitnehmenden<br />
11<br />
12
Überzeitarbeit (Art. 13 ArG)<br />
Lohnzuschlag für Überzeitarbeit<br />
1 Der Arbeitgeber hat den Arbeitnehmern für die Überzeitarbeit einen<br />
Lohnzuschlag von wenigstens 25 Prozent auszurichten, dem Büro-<br />
personal sowie den technischen und andern Angestellten, mit Ein-<br />
schluss des Verkaufspersonals in Grossbetrieben des Detailhandels,<br />
jedoch nur für Überzeitarbeit, die 60 Stunden <strong>im</strong> Kalenderjahr<br />
übersteigt.<br />
2 Wird Überzeitarbeit <strong>im</strong> Einverständnis mit dem einzelnen Arbeitnehmer<br />
innert eines angemessenen Zeitraums durch Freizeit von gleicher<br />
Dauer ausgeglichen, so ist kein Zuschlag auszurichten.<br />
→ Überzeit = Stunden über arbeitsgesetzlicher Höchstarbeitszeit<br />
→ Zwingend<br />
≠ Überstundenarbeit (Art. 321c OR)<br />
Überstundenarbeit<br />
1 Wird gegenüber dem zeitlichen Umfang der Arbeit, der verabredet oder üblich<br />
oder durch Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag best<strong>im</strong>mt ist, die<br />
Leistung von Überstundenarbeit notwendig, so ist der Arbeitnehmer dazu soweit<br />
verpflichtet, als er sie zu leisten vermag und sie ihm nach Treu und Glauben<br />
zugemutet werden kann.<br />
2 Im Einverständnis mit dem Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber die Überstunden-<br />
arbeit innert eines angemessenen Zeitraumes durch Freizeit von mindestens<br />
gleicher Dauer ausgleichen.<br />
3 Wird die Überstundenarbeit nicht durch Freizeit ausgeglichen und ist nichts<br />
anderes schriftlich verabredet oder durch Normalarbeitsvertrag oder<br />
Gesamtarbeitsvertrag best<strong>im</strong>mt, so hat der Arbeitgeber für die Überstundenarbeit<br />
Lohn zu entrichten, der sich nach dem Normallohn samt einem Zuschlag von<br />
mindestens einem Viertel bemisst.<br />
→ Überstunden = Stunden über vertraglich vereinbarter Arbeitszeit<br />
→ Kompensation oder Entschädigung kann vertraglich<br />
ausgeschlossen werden<br />
13<br />
14
Dokumentationspflicht (Art. 73 Abs. 1 ArGV 1)<br />
• Arbeitgebender ist verpflichtet, Verzeichnisse und andere Unterlagen<br />
zu führen, aus denen insbesondere folgenden Angaben ersichtlich<br />
sind:<br />
• geleistete tägliche und wöchentliche Arbeitszeit inkl. Ausgleichsund<br />
Überzeit sowie ihre Lage (Bst. c)<br />
• gewählte wöchentlichen Ruhe- und Ersatzruhetage, soweit nicht<br />
regelmässig auf einen Sonntag fallend (Bst. d)<br />
• Lage und Dauer Pausen von einer halben Stunde und mehr<br />
(Bst. e)<br />
→ "Vertrauensarbeitszeit" hält rechtlichen Anforderungen nicht stand<br />
→ Nur bei Arbeitnehmenden, die Arbeitsgesetz nicht unterstehen, kann<br />
auf Arbeitszeitkontrolle verzichtet werden<br />
Neuer Art. 73a ArGV 1<br />
• Ausgangslage<br />
• Dokumentationspflicht nach Art. 73 ArGV 1<br />
• 2009 - 2011 Pilotprojekt in Bankenbranche<br />
• Verordnungsentwurf hält an Arbeitszeiterfassung für allermeiste<br />
Arbeitnehmende fest<br />
• Ausnahmen möglich, wenn<br />
• objektive Abgrenzungskriterien erfüllt und gegenseitiges Ein-<br />
verständnis vorliegt<br />
• Begriff "Höhere leitende Angestellte" wird nicht weiter gefasst<br />
15<br />
16
• Grundsätze Arbeits- und Ruhezeiten finden auch für von<br />
Arbeitszeiterfassung befreite Arbeitnehmende Anwendung;<br />
es gelten v.a.<br />
• Nacht- und Sonntagsarbeitsverbote<br />
• Ruhezeiten / Pausen<br />
• tägliche Höchstarbeitszeiten<br />
• einzig mit dem Unterschied, dass nicht dokumentiert werden<br />
muss<br />
Neuer Art. 73a ArGV 1<br />
Verordnung 1 zum Arbeitsgesetz (ArGV 1)<br />
Änderung vom ....<br />
Der Schweizerische Bundesrat<br />
verordnet:<br />
I<br />
Die Verordnung 1 vom 10. Mai 2001 zum Arbeitsgesetz wird wie folgt geändert:<br />
Art. 73a Verzicht auf die Arbeitszeiterfassung<br />
1 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, deren vertraglich geschuldetes oder <strong>im</strong> Schnitt der letzten zwei Jahre erzieltes<br />
jährliches steuerbares Bruttoerwerbseinkommen 175 000 Franken (Stand 2012) übersteigt, können auf die Erfassung und<br />
Dokumentation der Arbeitszeiten gemäss Artikel 73 Absatz 1 Buchstaben c–e verzichten. Dieser Verzicht muss mit dem<br />
Arbeitgeber individuell schriftlich vereinbart werden und kann jeweils per Ende Jahr widerrufen werden.<br />
2 Der Arbeitgeber führt ein Verzeichnis der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, die auf die Arbeitszeiterfassung<br />
verzichtet haben, oder hält diese Information auf sonstige geeignete Weise, zusammen mit den individuellen<br />
Verzichtsvereinbarungen, den Vollzugs- und Aufsichtsorganen zur Verfügung.<br />
3 Das Eidgenössische Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF passt die Einkommensschwelle nach Absatz<br />
1 jeweils auf den nächstfolgenden Jahresanfang an die Erhöhung des Nominallohnindexes an, sofern die Erhöhung<br />
seit Inkrafttreten dieser Best<strong>im</strong>mung oder seit der letzten Anpassung 5 Prozent oder mehr beträgt.<br />
4 Die gemäss Handelsregistereintrag zur Vertretung einer Handelsgesellschaft ermächtigten Personen können unter den<br />
gleichen Voraussetzungen auf die Arbeitszeiterfassung verzichten.<br />
II<br />
Diese Änderung tritt am ... in Kraft.<br />
17<br />
18
Fall 1: Vertrauensarbeitszeit<br />
Max Müller ist einer von acht Abteilungsleitenden der Frost & Frisch<br />
AG mit 120 Mitarbeitenden. Er ist zuständig für Finanzen/IT, führt<br />
sieben Mitarbeitende und rapportiert dem CEO.<br />
Die betriebliche Arbeitszeit beträgt 40 Stunden/Woche. Im Arbeitsvertrag<br />
steht, dass Max Müller von der Zeiterfassung befreit ist und<br />
keine Mehrstunden ausbezahlt, dafür eine zusätzliche Ferienwoche<br />
erhält.<br />
Nach zwei Jahren erfolgt die Trennung <strong>im</strong> Streit und Max Müller<br />
verlangt die Bezahlung von 850 Mehrstunden. Die Frost & Frisch AG<br />
lehnt die Bezahlung aufgrund der vertraglichen Regelung ab.<br />
Wie beurteilen Sie die Forderung von Max Müller?<br />
• Wegbedingung Entschädigung für Mehrarbeit<br />
• Überstunden: Ja<br />
• Überzeit: Nein → Max Müller untersteht Arbeitsgesetz<br />
• Befreiung von Zeiterfassung<br />
• Bisherige Regelung: Nein<br />
• nArt. 73a ArGV 1: Ja, falls Voraussetzungen erfüllt<br />
19<br />
20
→ nArt. 73a ArGV 1 verhindert Auszahlung Überzeitentschädigung<br />
nicht, falls Max Müller geleistete Überzeit nachweist,<br />
Überstundenentschädigung hingegen nicht geschuldet, weil <strong>im</strong><br />
Arbeitsvertrag ausgeschlossen<br />
→ Zusatzferienwoche gilt als Kompensation Überstunden, kann vom<br />
Überzeitsaldo nicht abgezogen werden<br />
Versicherungsleistungen und Krankenlohn bei<br />
Beendigung Arbeitsverhältnis<br />
21<br />
22
Gesetzliche Grundlage<br />
1 Wird der Arbeitnehmer aus Gründen, die in seiner Person liegen, wie Krankheit, Unfall, Erfüllung<br />
gesetzlicher Pflichten oder Ausübung eines öffentlichen Amtes, ohne sein Verschulden an der<br />
Arbeitsleistung verhindert, so hat ihm der Arbeitgeber für eine beschränkte Zeit den darauf entfallenden<br />
Lohn zu entrichten, samt einer angemessenen Vergütung für ausfallenden Naturallohn,<br />
sofern das Arbeitsverhältnis mehr als drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate<br />
eingegangen ist.<br />
2 Sind durch Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag nicht längere<br />
Zeitabschnitte best<strong>im</strong>mt, so hat der Arbeitgeber <strong>im</strong> ersten Dienstjahr den Lohn für drei Wochen<br />
und nachher für eine angemessene längere Zeit zu entrichten, je nach der Dauer des<br />
Arbeitsverhältnisses und den besonderen Umständen.<br />
3 Bei Schwangerschaft der Arbeitnehmerin hat der Arbeitgeber den Lohn <strong>im</strong> gleichen Umfang zu<br />
entrichten.<br />
4 Durch schriftliche Abrede, Normalarbeitsvertrag oder Gesamtarbeitsvertrag kann eine von den<br />
vorstehenden Best<strong>im</strong>mungen abweichende Regelung getroffen werden, wenn sie für den Arbeitnehmer<br />
mindestens gleichwertig ist.<br />
→ Lohnanspruch bleibt trotz fehlender Arbeitsleistung für<br />
beschränkte Zeit bestehen, wenn Arbeitnehmender<br />
unverschuldeter Weise aus Gründen, die in seiner Person<br />
liegen, an Arbeitsleistung verhindert ist<br />
Lohnfortzahlungspflicht bei Krankheit<br />
• Arbeitsverhinderung infolge Krankheit<br />
• Krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit<br />
• Funktionsbezogen: Kann Arbeitnehmender vertraglich geschuldete<br />
Arbeitstätigkeit ausüben oder nicht?<br />
• Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit Arbeitsleistung<br />
• Vollständige oder teilweise Arbeitsunfähigkeit<br />
• Unverschuldete Verhinderung<br />
• Strenge Anforderung an Verschuldensbegriff; grobe Fahrlässigkeit<br />
<strong>im</strong> Sinne eines offensichtlichen Fehlverhaltens oder absichtliche<br />
Gesundheitsschädigung<br />
23<br />
24
• Dauer Arbeitsverhältnis<br />
• Arbeitsverhältnis, das bereits drei Monate gedauert hat<br />
(unbefristetes Arbeitsverhältnis) oder fest für mehr als drei<br />
Monate eingegangen wurde (befristetes Arbeitsverhältnis oder<br />
unbefristetes Arbeitsverhältnis mit Kündigungsfrist von<br />
mindestens drei Monaten)<br />
• Lohnanspruch<br />
• Anspruch auf vollen Lohn; wirtschaftlich so gestellt, wie wenn<br />
Arbeitnehmender gearbeitet hätte<br />
• Neben Grundlohn auch Entschädigung für Naturallohn und<br />
Zulagen (Teuerungs-, Nacht-, Schicht- und Sozialzulagen);<br />
(„Lohnausfallprinzip‟) geschuldet<br />
• Für eine beschränkte Zeit<br />
• Lohnfortzahlungspflicht nur für beschränkte, nach Dienstjahren<br />
abgestufte Zeit<br />
• Mit jedem Dienstjahr beginnt neue Periode; gilt nach h.A. auch<br />
wenn Arbeitsunfähigkeit Dienstjahr überdauert<br />
• Zusammenrechnen verschiedener Absenzen aus gleichen oder<br />
verschiedenen Gründen<br />
• Unterschiedliche Skalen; massgebend sollte Skala am Arbeitsort<br />
und nicht Skala am Ort des urteilenden Gerichts sein<br />
→ Skala <strong>im</strong> Arbeitsvertrag vereinbaren<br />
• Nach h.A. bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit Lohnmin<strong>im</strong>a (nicht<br />
bloss Zeitmin<strong>im</strong>a) geschuldet<br />
25<br />
26
Krankentaggeldversicherung<br />
• Art. 324a Abs. 4 OR erlaubt schriftliche Vereinbarung Krankentaggeldversicherung,<br />
die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht des<br />
Arbeitgebenden ersetzt (Ersatzlösung)<br />
• Erforderlich ist Gleichwertigkeit<br />
• Nach Gerichtspraxis ist Regelung gleichwertig, wenn:<br />
• Leistungsdauer pro Fall 730 Tage abzüglich Wartefrist<br />
• Mindestens 80% des Lohnes während dieser Zeit<br />
• Max<strong>im</strong>al hälftige Prämientragung durch Arbeitnehmende<br />
• Zulässigkeit von Karenztagen umstritten<br />
27<br />
28
Beendigung Arbeitsverhältnis<br />
• Fehlende Koordination von Lohnfortzahlungspflicht nach<br />
Art. 324a OR und zeitlichem Kündigungsschutz nach Art. 336c<br />
Abs. 1 Bst. b OR:<br />
Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht<br />
kündigen []<br />
b. während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit<br />
oder durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist,<br />
und zwar <strong>im</strong> ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit<br />
fünftem Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während<br />
180 Tagen;<br />
• Auslegungs-Praxis Bundesgericht:<br />
• Lohnfortzahlungspflicht Arbeitgebender endet ohne gegenteilige<br />
Abrede mit Beendigung Arbeitsverhältnis<br />
• Arbeitsvertraglich vorbehaltlos zugesicherte langfristige Versich-<br />
erungsleistungen überdauern Vertragsende<br />
Vertragsgestaltung<br />
• Zwischen Lohnfortzahlung Arbeitgebender (z.B. 100% Lohn<br />
während 30 Tagen) und Leistungen Krankentaggeldversicherung<br />
klar unterscheiden<br />
• Wesentliche Eckpunkte Ersatzlösung schriftlich vereinbaren<br />
• Ersatz für gesetzliche Regelung<br />
• Prämientragung<br />
• Wartefrist<br />
• Dauer und Höhe Lohnfortzahlung durch Arbeitgebenden<br />
• Leistungen und Dauer Krankentaggeldversicherung<br />
• Auszahlung durch Arbeitgebenden oder Versicherung<br />
29<br />
30
• Leistungen Krankentaggeldversicherung an jeweils gültige Versicherungsbedingungen<br />
knüpfen<br />
• Vereinbarung, wonach Krankenlohnzahlung Arbeitgebender mit<br />
Ablauf Kündigungsfrist endet, vorbehältlich allfälliger Taggelder<br />
Krankentaggeldversicherung über Austrittstermin hinaus<br />
Fall 2: Unklare Formulierung <strong>im</strong> Personalreglement Meta<br />
Power AG<br />
Das Reglement der Meta Power AG enthielt folgende Regelung zum<br />
Krankenlohn und zu den Versicherungsleistungen:<br />
14.4 Die Meta Power AG hat für alle Mitarbeitenden eine kollektive<br />
Salärversicherung abgeschlossen.<br />
14.5 Die Prämien an die Versicherung gehen zu Lasten der Meta<br />
Power AG.<br />
14.6 Bei ärztlich ausgewiesener Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit<br />
erhalten die Mitarbeitenden während 730 Kalendertagen<br />
nach Beginn der Krankheit 100% des Lohnes.<br />
14.7 []<br />
14.8 Verlässt der Mitarbeitende die Meta Power AG, erlischt die<br />
Salärversicherung. Sie kann jedoch als Einzelversicherung auf<br />
eigene Rechnung weitergeführt werden [].<br />
31<br />
32
Fritz Huber kündigte das Arbeitsverhältnis auf den 31. Oktober 2012.<br />
Ab 31. Juli 2012 war er krankheitshalber arbeitsunfähig. Bis zur<br />
Beendigung des Arbeitsverhältnisses bezahlte ihm die Meta Power AG<br />
den vollen Lohn, obwohl sie lediglich eine Krankentaggeldversicherung<br />
für 80% des Lohnes abgeschlossen hatte, in die Fritz Huber nach<br />
seinem Ausscheiden übertreten konnte. Ab November 2012 richtete<br />
ihm die Versicherung 80% des Lohnes in Form von Taggeldern aus.<br />
Fritz Huber machte gegen die Meta Power AG die Differenz zwischen<br />
den Versicherungsleistungen und 100% des Lohnes für die Dauer<br />
seiner Arbeitsunfähigkeit <strong>im</strong> Totalbetrag von CHF 23′473.40 geltend.<br />
Er begründete seine Forderung <strong>im</strong> Wesentlichen damit, die Meta<br />
Power AG habe es unterlassen, ihn vertragskonform zu versichern.<br />
Wurde die Klage von Fritz Huber vom Bundesgericht<br />
geschützt?<br />
• Fritz Huber durfte nach Treu und Glauben davon ausgehen, dass<br />
er auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses den vollen<br />
Lohn erhält.<br />
• Das Bundesgericht schützte die Klage von Fritz Huber vollumfänglich.<br />
33<br />
34
Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit<br />
Allgemeines<br />
• Arbeitnehmender ist nur in Bezug auf konkrete Stelle an Arbeit<br />
verhindert, <strong>im</strong> Übrigen aber ganz normal einsatzfähig und auch in<br />
privater Lebensführung kaum eingeschränkt<br />
• Regelmässig <strong>im</strong> Zusammenhang mit psychischen Belastungen am<br />
Arbeitsplatz (Konflikt- und Mobbingsituationen)<br />
• Häufig <strong>im</strong> Zusammenhang mit kurz bevorstehender oder bereits<br />
ausgesprochener Arbeitgeberkündigung<br />
35<br />
36
Zuweisung anderer Arbeiten bzw. anderen<br />
Arbeitsplatzes<br />
• Zulässig, falls entsprechende Ermächtigung <strong>im</strong> Arbeitsvertrag<br />
vereinbart<br />
• Falls Genesungsprozess nicht gefährdet und auch sonst zumutbar,<br />
Alternativbeschäftigung grundsätzlich auch gestützt auf Weisungsrecht<br />
(Art. 321d OR) bzw. Treuepflicht (Art. 321a OR) auszuüben<br />
Lohnfortzahlungsanspruch<br />
• Lohnfortzahlungsanspruch während arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit<br />
i.d.R. zu bejahen (Art. 324a OR), da aus<br />
persönlichen Gründen an Arbeitsleistung verhindert<br />
→ Begriff Arbeitsverhinderung ist funktionsbezogen auszulegen:<br />
Kann Arbeitnehmender vertragliche Arbeitsleistung ausüben<br />
oder nicht?<br />
→ Art. 324a OR erfasst Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit<br />
• Ausnahme: Grobe Fahrlässigkeit<br />
Vorsatz → selten gegeben<br />
37<br />
38
Praxis Krankentaggeldversicherungen<br />
• Schadenminderungspflicht nach Art. 61 VVG<br />
→ Ansetzung Frist durch Krankentaggeldversicherer innert der<br />
Aufgaben- und Stellenwechsel erwartet wird und nach deren<br />
Ablauf Leistungen eingestellt werden<br />
→ Ankündigungsfrist i.d.R. 3 Monate<br />
Zeitlicher Kündigungsschutz<br />
• Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR → nach Dienstjahren abgestufter<br />
Sperrfristenschutz:<br />
Nach Ablauf der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis nicht<br />
kündigen []<br />
b. während der Arbeitnehmer ohne eigenes Verschulden durch Krankheit oder<br />
durch Unfall ganz oder teilweise an der Arbeitsleistung verhindert ist, und zwar<br />
<strong>im</strong> ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab zweitem bis und mit fünftem<br />
Dienstjahr während 90 Tagen und ab sechstem Dienstjahr während 180 Tagen;<br />
• Zweck der Sperrfristen: Schutz Arbeitnehmender vor Arbeitsplatzverlust<br />
in Zeiten, in denen Chancen gering sind, während<br />
Kündigungsfrist neue Stelle zu finden<br />
• Bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit i.d.R. keine rechtlich<br />
relevante Beeinträchtigung der Anstellungschancen bei neuem<br />
Arbeitgebenden<br />
→ Kündigungsschutz von Art. 336c OR entfällt<br />
39<br />
40
Fall 3: Jobbedingte Krankschreibung von Susi Leu<br />
Susi Leu ist seit dem 1. Juni 2005 Mitarbeiterin der Knill AG. Seit dem<br />
3. Oktober 2012 ist sie zu 100% krankgeschrieben. Am 15. Januar<br />
2013 meldete die Krankentaggeldversicherung, die vertrauensärztliche<br />
Untersuchung habe ergeben, dass Susi Leu auch zukünftig<br />
ihre bisherige Tätigkeit bei der Knill AG nicht mehr ausüben könne, sie<br />
jedoch per sofort für eine andere Tätigkeit als 100% arbeitsfähig gelte.<br />
Die Versicherungsleistungen würden deshalb noch bis zum 15. April<br />
2013 ausgerichtet. Gestützt auf dieses Schreiben bestätigte die Knill<br />
AG Susi Leu gleichentags, dass per 15. April 2013 auch das<br />
Arbeitsverhältnis mit ihr aufgelöst sei.<br />
Was halten Sie vom Vorgehen von der Knill AG?<br />
• Susi Leu ist arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähig<br />
• Kein zeitlicher Kündigungsschutz<br />
• Knill AG kann Arbeitsvertrag nicht einfach als aufgelöst erklären,<br />
sondern hat zu kündigen<br />
• Kündigung <strong>im</strong> Januar 2013 per Ende März 2013<br />
• Lohnfortzahlung bis Ende März 2013<br />
41<br />
42
Allgemeines<br />
Aufhebungsvertrag<br />
• Vertragsfreiheit erlaubt, Arbeitsverhältnis statt durch einseitige<br />
Kündigung durch zweiseitige Übereinkunft zu beenden<br />
• Keine ausdrückliche gesetzliche Regelung Aufhebungs-<br />
vertrags<br />
• Aufhebungsvertrag hebt Arbeitsverhältnis als Ganzes zum<br />
vereinbarten Termin auf<br />
• Aufhebungsvertrag ist keine Kündigung<br />
→ Kein Kündigungsschutz<br />
43<br />
44
Motive<br />
• Nichteinhalten von Kündigungsfristen und -terminen<br />
• Ausschalten Kündigungsschutz<br />
• Vergleichsweise Erledigung von Kündigungsstreitigkeiten<br />
• Endgültige Erledigung aller offenen Punkte<br />
• Vermeiden von Prozessrisiken<br />
• Vermeiden von Beeinträchtigung Reputation durch öffentlichen<br />
Prozess<br />
• Vorzeitige Pensionierung<br />
→ Initiative zum Abschluss kann von Arbeitgebendem oder<br />
Arbeitnehmendem ausgehen<br />
45<br />
46
Abgrenzungen<br />
• Abwicklungsvereinbarung (Austrittsvereinbarung): Setzt Been-<br />
digung Arbeitsverhältnisses durch Kündigung voraus und re-<br />
gelt Folgen<br />
• Freistellungsvereinbarung: Form Abwicklungsvereinbarung<br />
nach erfolgter Kündigung; regelt Modalitäten Freistellung<br />
→ Hat nichts mit Beendigung Arbeitsverhältnis zu tun, setzt<br />
diese voraus<br />
• Kündigung mit (einseitiger) Freistellungserklärung<br />
→ Weder Beendigung Arbeitsverhältnis noch Modalitäten<br />
Freistellung sind vereinbart<br />
→ Einseitige Erklärungen<br />
Zulässigkeit<br />
• Uneinheitliche Meinungen in Lehre und Praxis; Inkonsistenz<br />
Rechtsprechung Bundesgerichts<br />
• Aus neuen Praxis ergibt sich:<br />
• Arbeitsvertrag kann durch <strong>im</strong> gegenseitigen Einver-<br />
ständnis abgeschlossenen Aufhebungsvertrag jederzeit<br />
ohne Einhaltung von Kündigungsfrist oder fester<br />
Vertragsdauer beendet werden<br />
• Art. 341 Abs. 1 OR (Verzichtsverbot) verbietet Abschluss<br />
Aufhebungsvertrag grundsätzlich nicht<br />
47<br />
48
• Aufhebungsvertrag darf nicht dazu dienen, zwingende<br />
Gesetzesbest<strong>im</strong>mungen bspw.<br />
• Kündigungsschutz<br />
• Lohnansprüche während Kündigungsfrist<br />
• Lohnfortzahlungsansprüche<br />
• Nebenansprüche (Ferien, Überstunden, Überzeiten)<br />
zu umgehen<br />
• Gesetzesumgehung wird ausgeschlossen, wenn beide<br />
Parteien auf Rechte verzichten, so dass es sich um einen<br />
echten Vergleich mit gegenseitigem Nachgeben (beid-<br />
seitigen Konzessionen) handelt, der nicht nur<br />
Arbeitgebenden Vorteile bringt<br />
Zulässigkeit während Sperrfristen<br />
• Aufhebungsvertrag kann auch während Sperrfristen nach<br />
Art. 336c OR abgeschlossen werden, falls keine Gesetzes-<br />
umgehung, d.h. falls Arbeitgebender Zugeständnisse macht,<br />
die allfällige Nachteile Arbeitnehmender aufwiegen<br />
• Einzelfallprüfung erforderlich<br />
• Massgebend ist Zeitpunkt Abschluss Aufhebungsvertrag<br />
49<br />
50
• Bei Krankheit und Unfall sind insbesondere zu berücksichtigen<br />
• (Mutmassliche) Dauer Arbeitsverhinderung<br />
• Ablauf Sperrfrist<br />
• Kündigungsfristen und -termin<br />
• Dauer Lohnfortzahlungsansprüche<br />
• Leistungspflicht Unfall- und Krankentaggeldversicherer wird<br />
grundsätzlich nicht berührt, aber allenfalls Übertritt in<br />
Einzeltaggeldversicherung der Kollektivkrankentaggeld-<br />
versicherung nötig<br />
• Beendigungszeitpunkt<br />
• Freistellung nach Wegfall Arbeitsverhinderung<br />
• Anrechnung oder Verzicht auf Ersatzeinkünfte während<br />
Freistellung<br />
• Sonderzahlungen (evtl. in berufliche Vorsorge)<br />
• Bezahlung Outplacementkosten<br />
• Gefährdung von arbeitslosenrechtlichen Ansprüchen<br />
• (Keine Sperrfristen bei bloss arbeitsplatzbezogener<br />
Arbeitsverhinderung)<br />
51<br />
52
• Bei Sperrfrist während Schwangerschaft und 16 Wochen nach<br />
Niederkunft<br />
• Aufhebungsvertrag i.d.R. <strong>im</strong> Interesse Arbeitnehmerin, falls<br />
sie nach Mutterschaftsurlaub bzw. nach arbeitsgesetzlichem<br />
Anspruch auf Nichtbeschäftigung (Art. 35a ArG) nicht mehr<br />
arbeiten will<br />
• Aufhebungsvertrag mit Beendigungszeitpunkt vor Geburt<br />
muss Risiko Verlust Mutterschaftsentschädigung berücksich-<br />
tigen<br />
• Einzelfallprüfung Gegenleistungen Arbeitgebender<br />
Inhalt (Checkliste)<br />
• Einigung über Endtermin (per sofort / Zeitpunkt in Zukunft)<br />
• Zu erledigende Tätigkeiten<br />
• Rückgabepflichten<br />
• Freistellung<br />
• Ferien-, Überstunden-, Überzeitkompensation bzw. Ent-<br />
schädigung<br />
• Gehe<strong>im</strong>haltung / Konkurrenzverbot<br />
• Anderweitig erzielter Verdienst (Anrechnung / Verzicht auf<br />
Anrechnung)<br />
• Lohnansprüche (fix / variabel)<br />
• Pauschalspesen (echte / unechte)<br />
• Sonderzahlungen<br />
53<br />
54
• Dienstaltersgeschenk<br />
• Outplacement<br />
• Arbeitszeugnis<br />
• Niederlegung von Mandaten (Verwaltungsrat / Stiftungsrat)<br />
• Stillschweigen<br />
• Kommunikation<br />
• Saldoerklärung<br />
Zustandekommen<br />
• Aufhebungsvertrag ist vorbehältlich abweichender vertrag-<br />
lichen Abreden formlos gültig und kann sogar stillschweigend<br />
erfolgen<br />
• Willensübereinst<strong>im</strong>mung muss aber klar und unzweifelhaft<br />
sein; Zust<strong>im</strong>mung Arbeitnehmender darf, wenn er auf Rechte<br />
verzichtet, nicht leichthin angenommen werden<br />
• Schweigen Arbeitnehmender auf Bestätigungsschreiben,<br />
wonach Arbeitsverhältnis <strong>im</strong> gegenseitigen Einvernehmen<br />
beendet worden sei, genügt nicht als Zust<strong>im</strong>mung zu<br />
Aufhebungsvertrag<br />
55<br />
56
• Zust<strong>im</strong>mung kann auch nicht darin liegen, dass Arbeitnehmender<br />
sich gegen unrechtmässige Kündigung nicht zur Wehr setzt<br />
• Einräumen einer genügend langen Überlegungsfrist, falls Auf-<br />
hebungsvertrag von Arbeitgebendem vorgelegt wird ("keine<br />
Überrumpelung")<br />
→ Zu empfehlen ist Schriftform und Bedenkfrist von mindestens<br />
einer Woche<br />
Rechtsfolgen bei Unzulässigkeit<br />
• Nicht geklärt<br />
• Bundesgericht nahm in mehreren Entscheiden Nichtigkeit an,<br />
womit Aufhebungsvertrag keinerlei Wirkungen hatte<br />
• Z.T. wird Beendigung des Arbeitsverhältnisses unter Erhaltung<br />
"umgangene" gesetzliche Ansprüche angenommen<br />
57<br />
58
Fall 4: Interessenlage bei Aufhebungsvereinbarung<br />
Niklaus Gilli wurde <strong>im</strong> Rahmen eines Stellenabbaus eine Aufhebungsvereinbarung<br />
unterbreitet, die verschiedene Abmachungen, wie<br />
Enddatum, Freistellung, Ferienauszahlung, Abfindung enthielt. Nach<br />
der Unterzeichnung begab sich Niklaus Gilli in die Ferien, wo er einen<br />
Tauchunfall erlitt und für rund eine Woche arbeitsunfähig geschrieben<br />
wurde. Niklaus Gilli verlangte von der Arbeitgeberin eine Verlängerung<br />
der Kündigungsfrist.<br />
Wie entschied das Arbeitsgericht Zürich?<br />
• Als Zugeständnisse der Arbeitgeberin gelten diejenigen Leistungen,<br />
die Niklaus Gilli bei einer ordentlichen Kündigung nicht zwingend<br />
erhalten hätte<br />
• Zugeständnisse sind Freistellung, Ferienauszahlung und «lump sum»<br />
• Krankheits- bzw. Unfallrisiko musste nur mit einem Monatslohn<br />
«bilanziert» werden, da <strong>im</strong> Zeitpunkt der Unterzeichnung nicht<br />
besonders erheblich<br />
→ Aufhebungsvertrag verschaffte zahlreiche Besserstellungen;<br />
Niklaus Gilli musste nur Krankheits- und Unfallrisiko tragen<br />
→ Vereinbarung entspricht Interessenlage von Niklaus Gilli<br />
→ Aufhebungsvereinbarung war gültig und die Klage wurde<br />
abgewiesen<br />
59<br />
60
Einleitung<br />
Ferien als Streitpunkt<br />
• Definition<br />
Ferien = periodisch wiederkehrende, <strong>im</strong> Voraus best<strong>im</strong>mte<br />
aufeinanderfolgende Anzahl Tage, die arbeitsfrei sind, die<br />
der Erholung dienen und während derer der Lohn bezahlt<br />
wird<br />
• Erholungszweck<br />
• Erhaltung und Verbesserung Gesundheit und<br />
Arbeitskraft Arbeitnehmende<br />
• Kein Abzug vom Ferienguthaben bei «Blauen<br />
machen»<br />
• Zwei Wochen Ferien zusammenhängend gewährt<br />
(Art. 329c Abs. 1 OR)<br />
• Feiertage in Ferien gelten nicht als Ferientage<br />
• «Feiertagsbrücken» durch Vorholzeit sind keine<br />
Ferien, sondern verlegte Arbeitszeit<br />
61<br />
62
Zeitpunkt der Ferien<br />
• Recht und Pflicht Arbeitgebender<br />
• Arbeitgebender best<strong>im</strong>mt Zeitpunkt Ferien (Art. 329c Abs. 2<br />
OR)<br />
• Aber eingeschränkt durch Gesetz<br />
• Wünsche Arbeitnehmender<br />
• Rücksichtnahme auf Wünsche Arbeitnehmender (Art. 329c<br />
Abs. 2 OR)<br />
• Interessenabwägung zwischen betrieblichen Interessen<br />
und Interessen Arbeitnehmender; <strong>im</strong> Zweifel Vorrang<br />
betrieblicher-organisatorischer Interessen<br />
• Betriebsferien zulässig<br />
• Zusammenhängende zwei Wochen<br />
• Ankündigungsfrist<br />
• Frühzeitige Anordnung nötig<br />
• Ankündigungsdauer i.d.R. drei Monate<br />
• Ferien <strong>im</strong> laufenden Jahr<br />
• Ferienfestlegung i.d.R. <strong>im</strong> laufenden Jahr<br />
• Arbeitgebender kann zum Ferienbezug zwingen<br />
• Nachträgliche Abänderung<br />
• Grundsätzlich keine einseitige Abänderung des festgelegten<br />
Ferienplans durch Arbeitgebenden<br />
• Ausnahme: Ausserordentliche, unvorhersehbare betriebliche<br />
Bedürfnisse → Schadenersatzpflicht<br />
Arbeitgebender<br />
63<br />
64
• Verjährung<br />
• Klausel, wonach Ferienanspruch verwirkt, wenn Ferien<br />
nicht bis zu best<strong>im</strong>mtem Zeitpunkt (Ende Jahr oder<br />
Monat X) bezogen werden, rechtlich unhaltbar<br />
→ gesetzlich unabänderbare Verjährungsfristen<br />
• Ferienanspruch verjährt in fünf Jahren, für jedes Jahr<br />
separat nach Fälligkeit<br />
Ferienanspruch<br />
• Jährlicher (Dienst- oder Kalenderjahr) Ferienanspruch<br />
mindestens vier Wochen, für Jugendliche bis zum<br />
vollendeten 20. Altersjahr mindestens fünf Wochen<br />
(Art. 329a Abs. 1 OR)<br />
• Pro rata Anspruch bei unterjährigem Ein- oder Austritt<br />
(Art. 329a Abs. 3 OR); auch bei kurzfristigen<br />
Arbeitsverhältnissen ab dem ersten Arbeitstag<br />
• Gleicher Ferienanspruch für Teilzeitarbeitnehmende<br />
• Keine Verlängerung der Probezeit bei Ferienbezug<br />
während der Probezeit (Art. 335b Abs. 3 OR)<br />
65<br />
66
Ferienkürzung (Art. 329b OR)<br />
• Kürzung Ferienanspruch für jeden vollen Monat der Arbeitsverhinderung<br />
um einen Zwölftel, bei<br />
• Absenzen aus eigenem Verschulden bzw. Willen vom ersten vollen<br />
Monat der Verhinderung (Art. 329b Abs. 1 OR)<br />
• unverschuldeter Absenz (Krankheit, Unfall, Militärdienst) ab dem<br />
zweiten vollen Monat (Schonfrist ein Monat; Art. 329b Abs. 2 OR)<br />
• Absenzen wegen Schwangerschaft ab dem dritten vollen Monat<br />
(Schonfrist zwei Monate, Art. 329b Abs. 3 OR)<br />
• Zusammenzählen der einzelnen Arbeitsversäumnisse pro Berechnungsjahr<br />
• Keine Kumulation der Schonfristen nach Abs. 2 und 3; es gilt längere<br />
Frist<br />
• Neues Berechnungsjahr → neue Schonfrist<br />
• Verlängerung der Schonfrist bei teilweiser Arbeitsunfähigkeit<br />
• Keine Kürzung wegen 14-wöchigem Mutterschaftsurlaub<br />
Ferienlohn<br />
• Art. 329d Abs. 1 OR<br />
Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer für die Ferien den<br />
gesamten darauf entfallenden Lohn und eine angemessene<br />
Entschädigung für ausfallenden Naturallohn zu entrichten.<br />
• Lebensstandprinzip, Arbeitnehmender soll in Ferien<br />
gleich gestellt werden, wie wenn er gearbeitet hätte<br />
• Neben Grundlohn auch Bezahlung aller regelmässigen<br />
monatlich ausgerichteten Lohnzulagen für Schichtarbeit<br />
und andere Inkonvenienzen, betriebliche Familienzulagen,<br />
Teuerungszulagen etc. in durchschnittlicher Höhe<br />
(«Orange-Urteil»)<br />
67<br />
68
Zu viel bezogene Ferien<br />
• Grundsätzlich keine Rückzahlung der bei Beendigung<br />
Arbeitsverhältnis zu viel bezogenen Ferien<br />
• Ausnahmen:<br />
• Vereinbarung über Zurückerstattung von zu viel bezogenen<br />
Ferien<br />
• Ferienbezug auf Wunsch Arbeitnehmender, <strong>im</strong><br />
Wissen, dass er kurz danach kündigen wird und<br />
«Ferienschuld» nicht mehr abtragen kann<br />
Ferienunfähigkeit<br />
• Anspruch auf Nachgewährung Ferien bei Ferienunfähigkeit<br />
• Ferienunfähigkeit ≠ Arbeitsunfähigkeit<br />
• Ferienunfähigkeit gegeben, wenn gesundheitliche Beeinträchtigung<br />
dergestalt, dass Erholungszweck vereitelt oder<br />
beeinträchtigt erhebliches Mass Beeinträchtigung, gewisse<br />
Intensität Gesundheitsstörung erforderlich<br />
• Beispiele: Bettlägerigkeit, Aufenthalt <strong>im</strong> Spital, häufige<br />
Arztbesuche, Schmerzen<br />
• Beweislast für Ferienunfähigkeit trägt Arbeitnehmender<br />
69<br />
70
Abgeltungsverbot<br />
Art. 329d Abs. 2 OR<br />
Die Ferien dürfen während der Dauer des Arbeitsverhältnisses<br />
nicht durch Geldleistungen oder andere Vergünstigungen<br />
abgegolten werden.<br />
• Abgeltungsverbot ist absolut zwingender Natur<br />
• Keine abweichende Parteivereinbarung möglich<br />
• Gefahr der Doppelzahlung bei Abgeltung statt<br />
Realbezug (Art. 341 Abs. 1 OR)<br />
→ Grenze: Rechtsmissbrauch<br />
• Abgeltungsverbot für überobligatorischen<br />
Ferienanteil?<br />
• Ausnahmen<br />
• Barauszahlung bei Beendigung Arbeitsverhältnis zulässig<br />
• Einschluss Feriengeld <strong>im</strong> Lohn, wenn:<br />
• Teilzeitarbeitsverhältnis<br />
• sehr unregelmässige Arbeit<br />
• Ferienlohn <strong>im</strong> Arbeitsvertrag und auf jeder Lohnabrechnung<br />
separat ausgewiesen<br />
• notwendige Zeit für Ferienbezug gewährt; Zuweisung der<br />
Ferien durch Arbeitgebenden<br />
→ Zulässigkeit vom Bundesgericht in Frage gestellt<br />
(BGE 129 III 493 ff.)<br />
→ Risikobegrenzung durch laufende Gutschrift Ferienlohn auf<br />
«Ferienkonto» und Ausrichtung be<strong>im</strong> effektiven Ferienbezug<br />
71<br />
72
Ferien während Kündigungsfrist<br />
• Abgeltungsverbot in Kündigungsfrist<br />
• Abgeltungsverbot gilt in ungekündigtem und gekündigtem<br />
Arbeitsverhältnis<br />
• Grundsätzlich Ferienbezug auch während Kündigungsfrist,<br />
aber wichtige Ausnahmen<br />
• Parteiinteressen während Kündigungsfrist<br />
• I.d.R. keine kongruente Interessen<br />
• Gesetzliche Regelung<br />
• Vorrang Naturalbezug Ferien in Kündigungsfrist<br />
• Ausnahme: Betriebliche Notlage<br />
• Ausnahmen nach Gerichtspraxis<br />
• Verweigerung angeordneter Realbezug, wenn Stellensuche<br />
Erholungszweck vereitelt<br />
• Verweigerung angeordneter Realbezug wegen mangelnder<br />
Vorbereitungszeit<br />
→ Bei Arbeitnehmerkündigung i.d.R. Realbezug Ferien,<br />
sofern Kündigungsfrist genug lang<br />
→ Bei Arbeitgeberkündigung abstellen auf Einzelfall; falls<br />
noch keine neue Stelle i.d.R. Realbezug nicht zumutbar;<br />
falls kurz nach Kündigung neue Stelle; Realbezug<br />
scheitert i.d.R. an fehlender Vorbereitungszeit<br />
73<br />
74
• Während Freistellung<br />
• Einzelfallbeurteilung erforderlich<br />
• Kriterien:<br />
• Abgeltungsverbot<br />
• Stellensuche<br />
• Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerkündigung<br />
• Vorbereitungszeit (ev. kürzere Fristen)<br />
• Verhältnis von Ferien- zu Freistellungstagen<br />
• Keine ausdrückliche Ferienanordnung durch Arbeitgebenden<br />
erforderlich<br />
• Wenn Arbeitnehmender sich zur Verfügung Arbeitgebender<br />
halten muss → Ferienbezug i.d.R. ausgeschlossen<br />
→ «Drittelsregel» zur Überprüfung!<br />
Fall 5: Ferienkürzung<br />
Sachverhalt: Arbeitnehmender, 5 Tagewoche, 4 Wochen Ferien/Jahr<br />
(Dienst- bzw. Kalenderjahr), fehlt an 70 Arbeitstagen pro Jahr<br />
(Dienst- bzw. Kalenderjahr); also > 3 Monate<br />
• Variante 1: Verschuldete Verhinderung in Person Arbeitnehmender<br />
→ Kürzung 3/12 = 5 Tage (20 : 12 x 3)<br />
• Variante 2: Unverschuldete Verhinderung in Person Arbeitnehmender<br />
→ Kürzung 2/12 = 3 1/3 Tage (20 : 12 x 2)<br />
75<br />
76
• Variante 3: Verhinderung aufgrund von Schwangerschafts-<br />
komplikationen<br />
→ Kürzung 1/12 = 1 2/3 Tage (20 : 12 x 1)<br />
• Variante 4: Verhinderung durch Mutterschaftsurlaub<br />
→ Keine Kürzung<br />
• Variante 5: Mehrere Verhinderungsgründe: Verhinderung<br />
50 Arbeitstage aufgrund von Schwangerschaftsbeschwerden,<br />
20 Arbeitstage aufgrund von Krankheit<br />
→ Kürzung 1/12 = 1 2/3 Tage (20 : 12 x 1)<br />
• Variante 6: Wechsel des Dienstjahres (bzw. Kalenderjahres)<br />
a) 70 Arbeitstage krank, aber 30 <strong>im</strong> alten und 40 <strong>im</strong> neuen<br />
Jahr<br />
→ Keine Kürzung<br />
b) 70 Arbeitstage krank, aber 20 <strong>im</strong> alten und 50 <strong>im</strong> neuen<br />
Jahr<br />
→ Keine Kürzung <strong>im</strong> alten Jahr<br />
→ Kürzung <strong>im</strong> neuen Jahr 1/12 = 1 2/3 Tage (20 : 12 x 1)<br />
77<br />
78
• Variante 7: Teilweise Verhinderung: 70 Arbeitstage krank, aber<br />
nur zu 50%<br />
→ Keine Kürzung<br />
• Variante 8: Unvollständiges Dienstjahr: 70 Arbeitstage krank,<br />
aber Ausscheiden per 30.6.<br />
→ Kürzung 2/12 = 3 1/3 Tage (20 : 12 x 2)<br />
• Variante 9: "Blaumachen": 2 Wochen verspätete Ferien-<br />
rückkehr<br />
→ Kürzung proportional entsprechend Fehlzeit, also<br />
1/24 = 0.83 Tage<br />
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!<br />
79<br />
80