Zehntausende Briefkastenfirmen in Zürich, Basel, Bern und Genf - ofwi

Donnerstag
2. Mai 2013
Fr. 3.50, Ausland: € 3.00 / AZ 8021 Zürich
121. Jahrgang Nr. 100 – Auflage 188 602
Zoo Zürich Damit die Tiere
sich nicht langweilen, setzt der
Direktor auf ein ausgefeiltes
Beschäftigungsprogramm. 8
Die unabhängige schweizerische Tageszeitung
Kampf Die Unia besitzt
mehrere Hotels – in denen
kaum mehr Gewerkschafter
übernachten. 35
Zehntausende Briefkastenfirmen
in Zürich, Basel, Bern und Genf
Im Kanton Zürich gibt es 10 667 Briefkastenfirmen – fast so viele wie in der gesamten Zentralschweiz.
Von Michael Soukup
Die Schweiz steht unter Druck: Bis zum
Juni muss sich Bern im Streit um die Besteuerung
von Unternehmen mit der EU
einigen – ansonsten will Brüssel die
Schweiz auf die schwarze Liste setzen.
Kritisiert werden von der EU auch die
Briefkastenfirmen, die vor allem der Anonymität
und der Steueroptimierung
dienen. Und da haben nicht nur die Zentralschweizer
Kantone als traditionelle
Hochburgen von virtuellen Firmen ein
Problem. Wie eine Auswertung sämtlicher
kantonaler Handelsregister durch
die Orell Füssli Wirtschaftsinformationen
AG (OFWI) im Auftrag des «Tages-
Endstand 7:0
Anzeigers» zeigt, gibt es die meisten
Briefkastenfirmen nicht etwa in den
Steueroasen, sondern ausgerechnet in
den Zentrumskantonen Zürich, Basel,
Bern und Genf.
Allein der Kanton Zürich zählt 10 667
Briefkastenfirmen – und damit mehr als
Zug, Schwyz, Nid- und Obwalden zusammen.
Gemessen an der Gesamtzahl
aller in Zürich registrierten Gesellschaften,
sind mehr als 11 Prozent Briefkastengesellschaften.
Zum Vergleich: In
Schwyz und Luzern sind es rund 11 Prozent,
in Obwalden rund 12 Prozent und
in Nidwalden knapp 14 Prozent. Noch
höher sind die Anteile in Basel-Stadt
und Genf mit gut 17 respektive 22 Prozent.
Selbst im Hochsteuerkanton Bern
gibt es beinahe 6000 Briefkastenfirmen
(11 Prozent). An der Spitze stehen Zug
und Glarus mit 25 respektive knapp
23 Prozent.
Spezielle Steuerkonstrukte
In den Zentrumskantonen Zürich, Bern,
Basel-Stadt und Genf sind die Unternehmenssteuersätze
beinahe doppelt so
hoch wie in der Zentralschweiz. Um mit
den Tiefsteuerkantonen mithalten zu
können, bedient man sich spezieller
Steuerkonstrukte für international tätige
Firmen. In Basel-Stadt stammen
Westbam Der
Techno-DJ vermisst
beim neuen Papst die
grosse Rave-Geste. 23
53 Prozent aller Unternehmenssteuererträge
aus der Spezialbesteuerung von
Holdings, Domizil- und gemischten
Gesellschaften.
Bei Holding- und gemischten Gesellschaften
wird ins Feld geführt, dass damit
Arbeitsplätze in der Schweiz verbunden
sind. Bei Domizilgesellschaften hingegen
habe man nur den Imageschaden
im Ausland, monieren Kritiker. In erster
Linie würden Treuhänder und Anwälte
profitieren, die den Firmen ohne Büro
und Personal Domizil gewähren. Denn
die steuerprivilegierten Briefkastenfirmen
zahlen landesweit fast keine Kantons-
und Gemeindesteuern. – Seite 5
Foto: Manu Fernandez (AP, Keystone)
Der FC Bayern hat den FC Barcelona erneut gedemütigt: Nach dem 4:0 im Heimspiel deklassierten die Münchner
auswärts Barcelona 0:3 (im Bild wird Robbens 0:1 gefeiert). Damit kommt es in der Champions League erstmals zu
einem deutschen Final: Bayern München trifft am 25. Mai auf Borussia Dortmund. – Seite 44
Guantánamo: Neuer
Anlauf zu Schliessung
US-Präsident Barack Obama will sich
weiter für die Schliessung des Gefangenenlagers
Guantánamo auf Kuba einsetzen.
Das Weisse Haus untersuche alle
Möglichkeiten, um dieses Ziel gegen den
Widerstand des Kongresses zu erreichen,
sagte Obama in Washington. Angesprochen
auf den laufenden Hungerstreik
von mehr als 90 Insassen, versicherte
der Präsident, es werde alles dafür
getan, dass die Terrorverdächtigen
am Leben blieben. Zahlreiche Männer
werden nach Militärangaben im Spital
zwangsernährt. (SDA)
Kommentar Seite 2, Bericht Seite 7
Ein friedlicher 1. Mai
in Zürich
Schweizweit haben gestern Zehntausende
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
den Tag der Arbeit begangen.
Allein in Zürich gingen 13 000 Personen
für Mindestlöhne, bezahlbare Mieten
und sichere Renten auf die Strasse. In
ihren Reden geisselten linke Politiker die
hohen Bezüge der Manager: Es stimme
etwas nicht, wenn der Chef der Credit
Suisse in fünf Minuten gleich viel verdiene
wie ein Angestellter in der Industrie
in einem Monat. Die Kundgebung
und auch die Nachdemo blieben weitgehend
friedlich, die Polizei zog eine positive
Bilanz. (TA) – Seite 13, 15
Der Bieler Jihadist
ist untergetaucht
Der Bieler Jihadist Majd N. ist verschwunden.
Weder der Nachrichtendienst des
Bundes noch das Aussendepartement
oder das Migrationsamt wissen, wo sich
der ehemalige Gymnasiast aufhält. Aus
verlässlichen Quellen heisst es, N. halte
sich nicht mehr in Kenia, sondern in
Jordanien auf. Dem Nachrichtendienst
sind zwanzig Reisen von Personen aus
der Schweiz bekannt, die sich zu Gotteskriegern
ausbilden lassen wollten. Derweil
steht er selber in der Kritik: Er
brauchte fünf Tage, um einen Mitarbeiter
zu identifizieren, der geheime Daten
entwendet hatte. (TA) – Seite 4
Ueli Steck bricht die
Everest-Expedition ab
Der Schweizer Bergsteiger Ueli Steck hat
seine Expedition am Mount Everest
abgebrochen. Dies, nachdem er und
seine Begleiter nach einem Zwischenfall
am Berg von mehreren Sherpas angegriffen
worden waren. Zwar sei der
Streit nach einer Aussprache begraben,
sagt Steck im Interview mit dem «Tages-
Anzeiger», dennoch reiste er gestern in
die nepalesische Hauptstadt Kathmandu,
um dort seine Heimreise in die
Schweiz zu organisieren. Die aufgebrachten
Sherpas hätten gedroht, ihn
umzubringen. «Das steckt man nicht so
einfach weg.» (TA) – Seite 12
Heute
Service
Abo-Service 044 404 64 64, www.tagesanzeiger.ch/abo Inserate Tel. Annahme: 044 248 41 41 (Mo–Fr 8–12 und 13–17 Uhr), www.adbox.ch, inserate@tages-anzeiger.ch
Redaktion 044 248 44 11, redaktion@tages-anzeiger.ch, Werdstrasse 21, 8004 Zürich, Postadresse: Postfach, 8021 Zürich Leserbriefe www.tagesanzeiger.ch/leserforum
Online www.tagesanzeiger.ch, news@newsnet.ch
Schweiz
Die SRG erhält mehr Freiheiten
im Internet
Die SRG darf im Internet künftig kurze
Texte veröffentlichen, die keinen Bezug
zu Radio- oder Fernsehsendungen haben.
Ferner darf sie wichtige Ereignisse
im Internet live übertragen. Der Bundesrat
hat am Mittwoch eine Konzessionsänderung
verabschiedet. – Seite 4
International
Organhandel in Kosovo:
Kritik an Dick Marty
Im Zusammenhang mit dem Prozess um
den illegalen Handel mit Nieren kritisiert
der Ankläger der EU-Mission Eulex
den Schweizer Dick Marty. Der Tessiner
Politiker war trotz Einladung nicht im
Zeugenstand erschienen. Dies sei ein
«Unglück» im Verfahren. – Seite 7
Wirtschaft
UBS-Spitze muss an GV
mit Widerstand rechnen
Die Aktionärsvereinigung Actares will
an der UBS-Generalversammlung heute
den Vergütungsbericht ablehnen. Zudem
droht ein Bankenkritiker, selber
UBS-Aktionär, der Grossbank mit einer
Klage. Sie gehe nonchalant mit Urteilen
des Bundesgerichts um. – Seite 37
Kommentare & Analysen
«Nur einer ist
immer noch da:
der Präsident,
der Unstürzbare,
Sepp Blatter.»
Thomas Schifferle über die Fifa,
deren Kommission den eigenen
Chef freigesprochen hat. – Seite 43
Jeder Jogger, der etwas auf sich
hält, hat einen Personaltrainer.
Zumindest einen virtuellen. – Seite 9
Beilage
Auf eine Bratwurst
mit Udo Jürgens.
Wetter 10
Leserbriefe 11
Todesanzeigen 30
Fernsehprogramme 28, 29
Rätsel 33
Börse 41

Tages-Anzeiger – Donnerstag, 2. Mai 2013 5
Schweiz
Wo die Briefkastenfirmen zu Hause sind
Entgegen vieler Vorurteile sind Briefkastenfirmen nicht eine typische Einrichtung von Zentralschweizer Steueroasen.
In Genf, Basel-Stadt und Zürich gibt es prozentual mehr solche virtuellen Firmen als in Schwyz, Luzern, Nidwalden oder Obwalden.
Von Michael Soukup
Nichts symbolisiert Steueroasen so sehr
wie Briefkastenfirmen. Das wissen mittlerweile
selbst Kinder: «Politiker, Prominente,
Waffenhändler und Superreiche
haben sogenannte Briefkastenfirmen gegründet,
um ihr Geld zu verstecken oder
zweifelhafte Geschäfte zu verschleiern»,
heisst es etwa auf der Kinder-Website
«BR-Kinderinsel» des Bayerischen Rundfunks.
Und: «Eine Briefkastenfirma hat
an ihrem Firmensitz nur einen Briefkasten,
während die Arbeit und die Geschäfte
der Firma in einem anderen
Land gemacht werden.»
Briefkastenfirmen können in Steueroasen
auf der ganzen Welt gegründet
werden – in Europa vornehmlich in
Liechtenstein und in der Schweiz. Hierzulande
sind sie grundsätzlich legal,
aber der EU sind sie als angebliches
Steuerhinterziehungsvehikel seit langem
ein Dorn im Auge.
Gibt man bei Google die Begriffe
«Briefkastenfirmen» und «gründen» ein,
landet man unter anderem auf der
Website der Obwaldner Wirtschaftsförderung.
Seit der kleine Innerschweizer
Kanton 2006 die tiefsten Unternehmensgewinnsteuern
schweizweit
einführte, erfreuen sich die Briefkastenfirmen
grosser Popularität. 2012 folgte
der Kanton Luzern mit den tiefsten
Steuersätzen, auch hier gibt es heute
Tausende Briefkastenfirmen. Das gilt
ebenfalls für die übrigen längst etablierten
Zentralschweizer Steueroasen Nidwalden,
Schwyz und Zug. Kürzlich regte
sich die Schwyzer CVP auf, dass es in
ihrem Kanton «viel zu viele Briefkastenfirmen
gibt, die kaum etwas bringen»
(TA vom 27. 4).
Eine Auswertung sämtlicher kantonaler
Handelsregister durch die Orell Füssli
Wirtschaftsinformationen AG im Auftrag
des TA ergibt nun aber Erstaunliches: Im
Kanton Zürich hat es prozentual mehr
Briefkastenfirmen als in Schwyz und Luzern.
Gemessen an der Gesamtzahl aller
in Zürich registrierten Gesellschaften,
sind 11,6 Prozent Briefkastengesellschaften.
Von den insgesamt 91 972 registrierten
Gesellschaften in Zürich existieren
10 667 nur auf dem Papier. Zum Vergleich:
In Schwyz und Luzern sind es
11,45 Prozent, in Obwalden 12,56 Prozent
und in Nidwalden 13,81 Prozent. Noch
höher sind die Anteile in Basel-Stadt und
Genf mit 17,08 und 22,16 Prozent.
Steuerdumping schweizweit
Ausgerechnet die Zentrumskantone
also, die regelmässig die ländlichen Tiefsteuerkantone
als Trittbrettfahrer anprangern,
arbeiten nicht minder fleissig
mit Steuerprivilegien. Dazu passt die
Werbung in der Imagebroschüre der
Wirtschaftsförderung Basel-Stadt und
Basel-Landschaft: «Besonders interessante
Möglichkeiten bieten sich für Holding-
und Domizilgesellschaften, welche
mit tieferen Steuersätzen privilegiert
besteuert werden.»
Für die Basler Behörden seien das
bloss «Standardaussagen, wie sie in den
Imagebroschüren der meisten Kantone
zu finden sind», erklärt Samuel Hess,
Mitglied der Geschäftsleitung im Amt für
Die Stadt Basel ist eine Hochburg der Briefkastenfirmen. Foto: Berthold Steinhilber (Laif, Keystone)
Wirtschaft und Arbeit der Stadt Basel.
Tatsache ist, dass Hochsteuerkantone
wie Basel, Zürich oder Genf mit ihren
herkömmlichen Steuersätzen kaum mit
den Tiefsteuerkantonen mithalten könnten.
In den Genuss der privilegierten Besteuerung
ausländischer Gewinne kommen
Holdings, Domizil- und gemischte
Gesellschaften (siehe Box). Diese Steuerkonstrukte
werden seit Jahren von der
EU kritisiert, weil sie die in- und ausländischen
Erträge sehr ungleich behandeln.
Bis Juni muss sich Bern mit der EU
einigen – sonst will Brüssel die Schweiz
auf die schwarze Liste setzen.
Da die Pharma- und Chemiekonzerne
vom Holdingstatus profitieren, stammen
im Basler Stadtkanton 53 Prozent
aller Unternehmenssteuer erträge aus
privilegierten Gewinnen, wie die Denkfabrik
Avenir Suisse im Februar errechnet
hat. Das ist der höchste Wert aller
Kantone. Auf Platz zwei folgt die Waadt
mit 37,9 Prozent, dann Zug (37,5 Prozent)
und Genf (24,4 Prozent) – Kantone
also, die von den dort ansässigen Multis
und Rohstoffhändlern profitieren. Viel
tiefere Anteile weisen Zürich (5,4 Prozent)
oder Bern (3,1 Prozent) auf.
Während bei den Holding- und gemischten
Gesellschaften ins Feld geführt
werden kann, dass damit viele Arbeitsplätze
in der Schweiz verbunden sind,
hat man bei Domizilgesellschaften nur
den Imageschaden im Ausland, wie Kritiker
monieren. Diese Steuerkonstrukte
haben ihren Rechtssitz in der Schweiz,
verfügen aber weder über einen Produktions-
noch Handelsbetrieb mit Personal.
Aus diesen Gründen zahlen sie praktisch
keine Kantons- und Gemeindesteuern.
Da sie keine eigenen Büroräumlichkeiten
aufweisen, müssen sie sich
mit einer Domiziladresse (c/o) im Handelsregister
zu erkennen geben.
«Wir ziehen sie nicht gezielt an»
Theoretisch ist nicht jede Briefkastenfirma
auch eine steuerprivilegierte Domizilgesellschaft.
«Dass die Anzahl c/o-
Gesellschaften einen zuverlässigen
Rückschluss auf die Anzahl Gesellschaften
mit besonderem Steuerstatus zulässt,
muss stark infrage gestellt werden»,
sagt Walter Urwyler, Mitglied der
Geschäftsleitung beim kantonalen
Steueramt Zürich. Da der Steuerstatus
dem Amtsgeheimnis unterliegt, lässt
sich diese Aussage nicht überprüfen.
Nach Ansicht eines ehemaligen Innerschweizer
Chefsteuerbeamten ist aber
die «Schnittmenge zwischen
c/o-Gesellschaften und Domizilgesellschaften
gross». Damit dienten Briefkastenfirmen
vor allem der Anonymität
und der Steueroptimierung.
In Basel-Stadt würden Domizilgesellschaften
bloss 1,5 Prozent der steuerpflichtigen
juristischen Personen ausmachen,
betont das Amt für Wirtschaft
und Arbeit. «Wir ziehen sie nicht gezielt
an. Das ergibt sich, weil Basel ein Wirtschaftszentrum
ist und die hier ansässigen
Treuhänder bei der Gründung solcher
Firmen helfen.»
Wie eine Stichprobe des TA zeigt, haben
27 Briefkastenfirmen ihr Domizil bei
der Schweizerischen Treuhandgesellschaft
an der Langen Gasse 15 in Basel.
Bei 22 handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit
um steuerbefreite Domizilgesellschaften.
Denn sie haben keine
Mehrwertsteuernummer, damit sind sie
in der Schweiz nicht geschäftlich aktiv.
Das nach eigenen Angaben «älteste Treuhandunternehmen
der Schweiz» reagierte
auf Anfragen des TA nicht.
Oskar Freysinger wird Vorgesetzter von Polizeichef Christian Varone
Oskar Freysinger ist in
der Walliser Regierung für
Sicherheit und Bildung
verantwortlich. Mit
Polizeichef Christian Varone
hat er sich versöhnt.
Von Philippe Reichen, Lausanne
Wer gestern am frühen Morgen die
Website des Kantons Wallis besuchte,
der sah Oskar Freysinger noch als Verantwortlichen
für Bildung, Kultur und
Sport: sein erklärtes Wunschdepartement.
Doch diese Darstellung entpuppte
sich als Finte. Das Departement hatte
man dem SVP-Politiker nur provisorisch
gegeben, um die Lücke des zurückgetretenen
Claude Roch (FDP) zu schliessen.
Kurz nach zehn Uhr sah das Bild anders
aus: Zwar bleibt Freysinger Bildungsdirektor,
aber er ist zudem für die
Sicherheit verantwortlich. Damit befehligt
der weiterhin im Nationalrat politisierende
Freysinger seit gestern Christian
Varone (FDP), seinen Kontrahenten
während des Wahlkampfs.
Varone ist nach der verpassten Wahl
auf seinen Posten als Polizeichef zurückgekehrt.
«Kein Problem», heisst es aus
dem Umfeld der Regierung. Freysinger
bestätigt: «Wir haben uns ausgesprochen.
Christian Varone kam kurz nach
den Wahlen zu mir nach Hause auf ein
Bier.» Die beiden hätten eine hoch professionelle
Beziehung, «und wenn dem
nicht so wäre, würden wir das Problem
lösen», sagt CVP-Staatsrat Jean-Michel
Cina, der weiter für die Wirtschaft, Energie
und Raumplanung zuständig ist. Freysinger
steht zudem der Dienststelle für
Bevölkerung und Migration vor. Zusammen
mit Sozialdirektorin Esther Waeber-
Kalbermatten trägt er damit die Verantwortung
für die kantonale Asylpolitik.
Der SVP-Mann gibt sich zufrieden: «Sicherheit
ist eines der Kernthemen unserer
Partei.» Und die Schule sei für ihn als
Gymnasiallehrer ein Herzensanliegen.
«Linkes Gesindel»
Gespannt warten die Lehrpersonen nun
auf die erste Amtshandlung ihres neuen
Chefs, der sie auch schon als «ziemlich linkes
Gesindel» bezeichnet hat. Am 13. Mai
ist Freysinger ein erstes Mal gefordert.
Dann muss er im Parlament das neue
Primarschulgesetz verantworten, eine
Hinterlassenschaft seines Vorgängers. Das
Gesetz sieht eine bessere Integration von
Schülern mit Problemen vor. Und die Lehrer
sollen beim Lösen sozialer Probleme
mehr Unterstützung von Experten bekommen.
Freysinger sagt, so kurz vor der
ersten Lesung könne er nichts mehr ändern.
Sollte er das Gesetz contre cœur
vertreten, ist dies Primarlehrer und CVP-
Präsident Michel Rothen egal. Er sagt:
Oskar Freysinger. Christian Varone.
«Eine Rückkehr zur Grossvaterschule wird
es nicht geben», dafür seien die Walliser
Schulen zu fortschrittlich.
Freysinger verspricht, er werde mit
den Lehrern die Schule von morgen mitgestalten.
Trotzdem ist Rothen in Erinnerung
geblieben, wie Freysinger als
Grossrat gegen das Reformprojekt
«Schule 2000» opponierte. Er gehe davon
aus, dass sich der Bildungsdirektor
inzwischen weiterentwickelt habe, so
Rothen. Auch Primarlehrer und CVP-
Briefkastenfirmen
in der Schweiz
Anzahl
Firmen
ZG 28667
GL 2967
GE 37425
TI 32776
FR 17763
BS 14202
JU 4769
GR 14463
VS 22426
VD 45143
UR 1795
NW 4438
OW 3950
ZH 91972
LU 21618
SZ 14414
BE 53472
SH 4980
NE 9292
AR 4569
AI 1538
BL 15002
SO 13364
AG 32055
SG 31199
TG 16382
davon Briefkastenfirmen
in Prozent
17,87
17,08
16,69
16,66
15,73
15,49
14,71
13,81
12,56
11,60
11,45
11,45
11,05
10,56
10,46
10,22
9,69
8,88
8,73
8,67
6,91
6,39
TA-Grafik ib /Quelle: Orel Füssli Wirtschaftsinformationen AG
Steuerprivilegien
Holding- und Domizilfirmen
22,72
22,16
20,63
25,16
In der Schweiz stehen alle Kantone miteinander
in hartem Steuerwettbewerb. Die tiefsten
Unternehmenssteuern zahlt man gegenwärtig
in Luzern: Inklusive der Bundessteuern
von 8,5 Prozent beträgt der Luzerner Steuersatz
12,2 Prozent. In den Zentrumskantonen
Zürich, Bern, Basel-Stadt und Genf sind die
Steuersätze fast doppelt so hoch. Für international
tätige Firmen sind jedoch nicht die
regulären Sätze entscheidend. Wenn der
Anteil des ausländischen Umsatzes mindestens
80 Prozent beträgt, gibt es in allen
Kantonen grosszügige Steuerrabatte. Dabei
werden drei Steuerkonstrukte unterschieden:
Holding- und Domizilgesellschaften sowie
gemischte Gesellschaften.
Bei Holding- und Domizilgesellschaften
muss der gesamte Umsatz im Ausland erzielt
werden, bei gemischten Gesellschaften
mindestens 80 Prozent. Wenn eine Firma
weder über Personal noch über Büroräumlichkeiten
verfügt, muss sie sich als Domizilgesellschaft
mit dem Vermerk c/o im Handelsregister
eintragen lassen. Im Volksmund
heissen sie Briefkastenfirmen. (mso)
Grossrat Pascal Rey ist zuversichtlich,
dass Freysinger die Integrationsprojekte
– so werden im Wallis Migrationskinder
sofort in die Regelklasse aufgenommen
– nicht stoppt, obwohl sie überhaupt
nicht der SVP-Parteilinie entsprechen.
Dass Freysinger Sicherheitsdirektor
wird, hat mit dem Wunsch von SP-Staatsrätin
Esther Waeber-Kalbermatten zu
tun, sich von der Polizei zu trennen und
das Gesundheitsdepartement zu übernehmen.
Das hätte die SP-Frau gerne
schon vor vier Jahren getan. Aber weil
ihr Mann Chef der psychiatrischen
Dienste Oberwallis ist, kam das nicht infrage.
«Heute funktionieren die Spitäler
autonom», sagt Waeber-Kalbermatten.
Darum seien familiäre Verflechtungen
kein Thema mehr. Zudem übernimmt
sie das Soziale und die Kultur. Für Letztere
hatte sich auch Freysinger interessiert,
der gerne als Poet und Barde in
Erscheinung tritt.