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Der Augenblick ist Ewigkeit - HW Fichter Kunsthandel

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vom Betrachter ein Nachempfinden des subjektiven Standpunktes des Künstlers erwartet und dies schließt<br />

auch mit ein, dass man den Betrachter nicht vor vollendete Tatsachen stellt. Das hauptsächliche<br />

Augenmerk liegt auf der Wiedergabe des Ephemeren, also von Licht und der daraus resultierenden<br />

Farbwirkung einer Landschaft, der momentanen Naturstimmung. Wie im Formspiel der Wolken die<br />

Veränderung der einzig konstante Bestandteil <strong>ist</strong>, so <strong>ist</strong> auch bei der Ölskizze der flüchtige Charakter<br />

Bedingung für die Integration des Betrachters in das Bild.<br />

Als Ludwig Richter in der eingangs zitierten Textstelle, retrospektiv niedergeschrieben in den 1870er<br />

Jahren 4 , gegen die Ölskizzen der Franzosen wetterte, da war das Ringen um das Fortschreiten der Kunst<br />

schon entschieden. <strong>Der</strong> Impressionismus hatte längst seinen unaufhaltsamen Marsch an die Spitze der<br />

Kunst begonnen. Eine Kunst also, die so viel der Erscheinung verdankt, die sich immer nur dem<br />

individuellen Subjekt zu erkennen gibt. Doch bereits zu Richters Zeit in Rom war die Bedeutung der<br />

landschaftlichen Skizze in Öl wesentlich größer als dies sein Text zu vermitteln versucht. Das gilt auch für<br />

die deutschen Künstler, von denen der vorliegende Band einige Beispiele ihrer Ölskizzenkunst präsentiert.<br />

<strong>Der</strong> Franzose Pierre-Henri de Valenciennes trug wesentlich zur Entwicklung der landschaftlichen Ölskizze<br />

bei. Er wandte sich in seiner Abhandlung über die Perspektive mit praktischen Ratschlägen an den<br />

angehenden Landschaftsmaler und legte darin bei der Ausbildung besonderen Wert auf die Skizze. 5 Als<br />

Künstler gilt er als einer der wichtigsten Exponenten der paysage h<strong>ist</strong>orique, jener heroischen<br />

Landschaftsauffassung, die ihr Ziel im Ideal einer Natur sieht, das über die gegebene Natur selbst steigt. In<br />

seinem Œuvre stehen seine Ölskizzen gesondert von seinem offiziellen Werk und sind grundsätzlich von<br />

privatem Charakter. Im Öffentlichen also der Anspruch an die <strong>Ewigkeit</strong> des Ideals, im Privaten aber der<br />

wissenschaftliche Anspruch, der den Phänomenen der Natur mit seinen spezifischen Mitteln nachzuspüren<br />

sucht. Maximal zwei Stunden für eine ‚plein air’-Studie, eine halbe nur, wenn es sich um Sonnenauf- oder<br />

untergänge handelt, gesteht er sich und seinen Schülern zu. Da bleibt wenig Zeit für die <strong>Ewigkeit</strong>. 6<br />

Auf Valenciennes’ Initiative hin wurde im Rahmen des Prix du Rome 1817 der Concours für paysage h<strong>ist</strong>orique<br />

in Form der Landschaftsölskizze eingeführt und diese damit institutionalisiert. 7 Generell wurde jedoch in<br />

der französischen Malerei der Ölskizze im akademischen Lehrplan und in den großen Ateliers schon vor<br />

der Einführung des Concours eine wichtige Rolle zugestanden. Allein an der differenzierten Terminologie<br />

lässt sich ihr hoher Stellenwert erkennen. 8 Man unterschied die croquis, die in grob umreißenden Linien<br />

gezeichnete Kompositionsentwurfsstudie, die in der esquisse in Ölfarben weitergeführt wurde. In der esquisse<br />

sehr gut ausgeführt <strong>ist</strong>, wenn es nur hinlänglich ausgeführt <strong>ist</strong>. Ferner – daß ein großer Unterschied besteht zwischen einem<br />

vollendeten und einem ausgearbeiteten Stück – daß das vollendete me<strong>ist</strong> nicht ausgearbeitet <strong>ist</strong>, und manches sehr ausgearbeitete<br />

Bild überhaupt nicht vollendet, daß ein ge<strong>ist</strong>voller, bedeutender und gut gesetzter Pinselstrich ungeheuren Wert hat…, etc. …, etc.<br />

…, woraus folgt, daß Corot wie die großen Me<strong>ist</strong>er malt.“<br />

4<br />

Richter 1885 (wie Anm. 1), S. IV.<br />

5<br />

Pierre-Henri de Valenciennes, Eléments de perspective pratique à l’usage des art<strong>ist</strong>es, suivis des réflexions et conseils à un élève<br />

sur la peinture et particulièrement sur le genre du paysage, Paris 1800.<br />

6<br />

Vgl. hierzu Simone Schultze, Pierre-Henri de Valenciennes und seine Schule. ‛Paysage h<strong>ist</strong>orique’ und der Wandel in der<br />

Naturauffassung am Anfang des 19. Jahrhunderts, Diss., Freiburg (Breisgau) 1995, S. 38-60.<br />

7<br />

Viktoria von der Brüggen, Zwischen Ölskizze und Bild. Untersuchungen zu Werken von John Constable, Eugène Delacroix und<br />

Adolph Menzel, Diss., Frankfurt 2004, S. 26, Anm. 65 und Schultze 1995 (wie Anm. 6), S. 91 ff.<br />

8<br />

Werner Busch, Die notwendige Arabeske. Wirklichkeitsaneignung und Stilisierung in der deutschen Kunst des 19. Jahrhunderts,<br />

Berlin 1985, S. 257.<br />

8

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