Der Augenblick ist Ewigkeit - HW Fichter Kunsthandel
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ließ, um „nach der Natur“ malen zu können. 14 Ob er damit der Natur so nahe war wie Baudelaire in seiner<br />
Schilderung, das sei hier dahingestellt.<br />
Ein eindrückliches Beispiel für die neue Auffassung von Natur <strong>ist</strong> die Wolkenstudie, deren Beliebtheit im<br />
ersten Drittel des Jahrhunderts deutlich zunimmt. Das gesteigerte Interesse an der Beschäftigung mit<br />
Wetterphänomenen <strong>ist</strong>, neben kunsttheoretischen Überlegungen wie denen Valenciennes', eng mit der<br />
Verbreitung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse verbunden, wie Luke Howards Untersuchungen zu den<br />
Wolkenformationen. 15 Die Abhandlung erfreute sich besonders bei den deutschen Künstlern jener Zeit,<br />
nicht zuletzt durch die Ehrung Goethes, großer Beliebtheit. 16 Als Reaktion auf Howard schufen etwa Johan<br />
Chr<strong>ist</strong>ian Clausen Dahl, Johann Georg von Dillis und Carl Blechen malerisch höchst abstrakte<br />
Wolkenstudien. 17 John Constable begann intensive Himmelsstudien wohl im eigenen Garten in<br />
Hampstead, die Wolkenlandschaften versah er auf der Rückseite mit Angaben zu Ort, Datum,<br />
Himmelsrichtung und Uhrzeit. 18<br />
Neben dem gesteigerten wissenschaftlichen Interesse förderte auch die künstlerische Herausforderung der<br />
Flüchtigkeit, der Wandelbarkeit und Unbestimmtheit ihrer äußeren Form die Faszination an der<br />
Darstellung von Wolken. 19 In der Wolkenstudie verbindet sich der wissenschaftlich geschulte Blick des<br />
Künstlers mit dem Wissen um die Wirkung des Himmels auf den Ausdruck, die Stimmung des Werkes.<br />
Doch nicht nur die Wiedergabe von Wolkengebilden erleichterte die Ölskizze durch ihre Möglichkeit,<br />
unmittelbare Ausführung zu bieten, ohne den Anspruch einer 'vollendeten' Komposition erfüllen zu<br />
müssen. Die Konzentration auf den <strong>Augenblick</strong> der Aufnahme und damit sowohl die subjektive und<br />
emotionale als auch die objektive, beobachtende Teilnahme daran wurden zu einem Motor für<br />
Bildfindungen, die vormals undenkbar gewesen wären. So <strong>ist</strong> es auch ein grundlegender Aspekt besonders<br />
der landschaftlichen Ölskizze, dass sie erkundet, erforscht und damit immer auch Grenzen überschreitet.<br />
Es gibt keine definierten Bildobjekte mehr. Bildwürdig <strong>ist</strong> das, was der Maler ins Bild setzt. Diese Egalität,<br />
die so entscheidend für die Moderne werden sollte, <strong>ist</strong> ein Prozess, der in der Skizze, im Bereich des<br />
Privaten beginnt und seinen Weg von hier aus auf die großen Leinwände findet. 20<br />
14<br />
Vgl. den Bericht von Nino Costa, einem Vertrauten Böcklins in dessen römischer Zeit, in: Nino Costa, Quel che vidi e quel che<br />
intesi, Mailand 1927, S. 101.<br />
15<br />
Howards Abhandlung zur Veränderung der Wolken erschien zuerst 1803 im Philosophical Magazine in London unter dem Titel On<br />
the Modification of Clouds.<br />
16<br />
Um 1820 verfasste Goethe in Anerkennung der Le<strong>ist</strong>ungen Howards das Gedicht Howards Ehrengedächtnis. Goethe wurde mit den<br />
Ideen Howards wohl durch eine Zusammenfassung des Essay in deutscher Übersetzung um 1815 oder 1816 bekannt. Vgl. hierzu<br />
Werner Busch, Die Ordnung im Flüchtigen – Wolkenstudien der Goethezeit, in: Ausst.-Kat. Goethe und die Kunst, hrsg. v.<br />
Sabine Schulze, Ostfildern 1994, S. 522ff.<br />
17<br />
Pia Müller-Tamm, Rumohrs „Haushalt der Kunst“. Zu einem kunsttheoretischen Werk der Goethe-Zeit, Hildesheim u.a. 1991,<br />
S. 131 und Anm. 616.<br />
18<br />
Ausst.-Kat. London 1980 (Anm. 10), S. 37 und Ausst.-Kat. Gärten. Ordnung, Inspiration, Glück, hrsg. v. Sabine Schulze,<br />
Ostfildern 2006, S. 116.<br />
19<br />
Vgl. von der Brüggen 2004 (Anm. 7), S. 27.<br />
20<br />
Ausnahmen und Vorläufer gibt es immer und so hat beispielsweise John Constable in den 1820er Jahren seine öffentlichen<br />
Gemälde bewusst so gestaltet, dass sie etwas von dem skizzenhaften Charakter einer schnell vor der Natur gemalten Landschaft<br />
bewahren. Sie sollten dadurch die stetige Bewegung der Natur und die nie konstante Wahrnehmung des Künstlers vermitteln.<br />
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