26 Serbien TYCOONS NACH TITO Serbien TYCOONS NACH TITO 27 Die Stahlfabrik am Ufer der Donau wurde 2012 stillgelegt. Wie es in Smederevo nun weitergeht, weiß derzeit niemand. Serbiens De-Industrialisierung Seit sich der <strong>aus</strong>ländische Investor US Steel Anfang 2012 zurückgezogen hat, ist das einst blühende Smederevo eine Stadt im Wartezustand. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und das Geld knapp. Die Leute hoffen auf bessere Zeiten, doch der Politik fehlen Konzepte. Smederevo ist in Serbien fast überall. Text und Fotos: Hubert Beyerle Die schwache Strömung treibt Herbstblätter und Altholz langsam flussabwärts. Rund 60 Kilometer von Belgrad entfernt schaukelt Zorans Boot in der leichten Strömung im Seitenarm der Donau, der abgewandt der Stadt Smederevo hinter einer lang gezogenen Flussinsel liegt. Hier ist die Strömung schwächer und die Donau fischreicher. Dennoch bleibt die Angelrute ruhig, heute waren die Fische schlauer. Statt sich im Angelhaken zu verbeißen, knabberten sie den Fischköder vom Schwanz her ab. Zoran lacht und wirft die restlichen Köder in die Donau. „Heute war es eben nichts“, sagt er und ein Grinsen geht über sein Gesicht. Seit Zoran seinen Job im Stahlwerk von Smederevo verloren hat, schlägt er sich als Selbstversorger durch. Zu H<strong>aus</strong>e wartet eine sechsköpfige Familie auf den Mittfünfziger. Die muss ernährt werden. Große Fische werden darum eingefroren. In seiner Kühltruhe lagern die Fänge erfolgreicherer Tage, einige davon mehrere Kilo schwer. In seinen kleinen Garten hat Zoran nicht nur ein Gewächsh<strong>aus</strong> <strong>aus</strong> Plastikplane mit rund 100 Tomatenpflanzen, sondern auch einen kleinen Stall gebaut. Dort hat er dieses Jahr zwei Schweine mit selbst gemahlenem Maismehl aufgepäppelt. Smederevo war die blühende Stadt Serbiens Dabei ging es Zoran lange sehr gut im Stahlwerk: US Steel hatte das Werk 2003 übernommen, die Löhne waren bei <strong>dem</strong> <strong>aus</strong>ländischen Investor, einem der größten Stahlkonzerne der Welt, für serbische Verhältnisse gut. Netto lagen sie bei um die 500 Euro, deutlich über <strong>dem</strong> serbischen Schnitt von 350 Euro. Überstunden wurden gut bezahlt, alles war klar und fair in Kollektivverträgen mit der Gewerkschaft geregelt. Mit zuletzt 5.100 Arbeitsplätzen war die Stahlhütte einer der wichtigsten Industriebetriebe in ganz Serbien. In den besten Jahren machte das Werk fünf Prozent der industriellen Produktion des Landes <strong>aus</strong> und fast 14 Prozent der Exporte. Smederevo blühte auf, war die boomende Stadt Serbiens. Doch dann häufte das Werk Verluste an, weil der Stahlpreis auf <strong>dem</strong> Weltmarkt in den Keller rutschte. Der Investor zog sich zurück, verkaufte das Werk an die Regierung – für einen Dollar. Seit Anfang 2012 ist die Stahlhütte stillgelegt. Seit<strong>dem</strong> ist Smederevo eine Stadt in Wartestellung. Nur noch rund 1.000 Mitarbeiter sind beschäftigt. Der große Rest ist freigestellt und bekommt Kurzarbeitergeld, gerade einmal 60 Prozent des letzten Lohns. Einer von ihnen ist Zoran. Aber er möchte nicht klagen, andere trifft es härter. Denn nicht alle haben einen eigenen Garten und können auf Selbstversorgung umstellen. Viele haben Kredite aufgenommen für ihr Auto oder für die Wohnung. Keiner weiß, wie es weitergehen soll. Die Regierung sucht nach einem Käufer für das Werk. Es zeichnet sich ab, dass ein russischer Investor den Zuschlag bekommt. Smederevo ist in Serbien überall: Das 7,2-Millionen-Ein wohner- Land steckt in der Rezession fest, 2012 schrumpfte die Wirtschaft um zwei Prozent. Die Arbeitslosigkeit betrug zuletzt rund 27 Prozent, doppelt so viel wie 2008. Die Inflation frisst die Löhne auf, sie lag im Herbst 2012 bei 15 Prozent. Schien es jahrelang aufwärts zu gehen, so herrschen nun allgemein Zweifel, was die vergangenen Jahre gebracht haben. „Seit 2002 haben <strong>aus</strong>ländische Investoren 18 Milliarden Dollar investiert“, sagt Dragan Matić von der Unabhängigen Gewerkschaft Serbiens. „Aber wir haben in der Zeit zwei von drei Industriearbeitsplätzen verloren: Von rund 900.000 Arbeits plätzen zu Beginn der Privatisierung sind etwa 300.000 übriggeblieben.“ Auch die Zukunft verheißt wenig Gutes. Viele Unternehmen werden restrukturiert, weil sie ihre Schulden nicht bezahlen können. Weitere Entlassungen drohen. „Serbien hat ein völlig verfehltes Modell der Privatisierung gewählt“, sagt Matić in seinem Büro im H<strong>aus</strong> der Gewerkschaften in Belgrad, in <strong>dem</strong> die gepolsterten Türen noch vom Geheimhaltungsbedürfnis früherer Tage künden. Begonnen hatte die Privatisierungswelle schon unter <strong>dem</strong> autoritären Machthaber Slobodan Milošević Ende der 1990er Jahre. Seither wurden Hunderte von Unternehmen verkauft – im besten Fall an Auslandsinvestoren wie US Steel, aber das blieb die Ausnahme. Meist hat ein Tycoon sich für ein paar Dinar einen Betrieb ergattert, oft mit einem Bankkredit. Dann verscherbelte er das Vermögen, vor allem die Grundstücke und Immobilien.