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Pathologisches Glücksspielen

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ÜBERSICHTSARBEIT<br />

<strong>Pathologisches</strong> <strong>Glücksspielen</strong><br />

Prävalenz, Komorbidität, Diagnose und Hilfsangebote in Deutschland<br />

Beate Erbas, Ursula G. Buchner<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Hintergrund: Die Zahl pathologischer Glücksspieler, die<br />

sich in ambulanter oder stationärer Behandlung befanden,<br />

stieg in der Vergangenheit kontinuierlich an – eine Trendwende<br />

ist nicht zu erwarten. Schätzungen gehen derzeit<br />

von 103 000 bis 290 000 Betroffenen in Deutschland aus.<br />

Dies entspricht einem Anteil von 0,2–0,6 % in der Bevölkerung.<br />

In vielen Fällen geht die Spielsucht mit weiteren<br />

psychischen Erkrankungen einher. Die Kenntnis der Begleiterkrankungen<br />

soll den behandelnden Arzt zu gezieltem<br />

Nachfragen bezüglich des Spielverhaltens führen, um<br />

so die Chancen für eine Früherkennung zu erhöhen.<br />

Methoden: Die vorliegende Arbeit basiert auf einer Auswertung<br />

von Sekundärdaten der Deutschen Rentenversicherung<br />

und der Krankenhausstatistik des Statistischen<br />

Bundesamts. Ferner erfolgte eine selektive Literaturrecherche<br />

zu Komorbidität und Hilfsangeboten.<br />

Ergebnisse: Die Zahl der stationären Behandlungen von<br />

pathologischen Glücksspielern hat sich von 2000 bis 2010<br />

verdreifacht. Männer sind mit 70–80 % deutlich häufiger<br />

betroffen als Frauen. Mehr als 90 % der Patienten weisen<br />

weitere Erkrankungen auf, wobei für 40 % sogar fünf verschiedene<br />

Diagnosen festgestellt wurden. Mit einfachen<br />

Instrumenten ist pathologisches Spielen auch im Praxisalltag<br />

leicht zu diagnostizieren.<br />

Schlussfolgerung: Verglichen mit der Gesamtzahl der pathologischen<br />

Spieler befindet sich, ähnlich wie bei Alkoholabhängigen,<br />

nur ein Bruchteil der Betroffenen in Behandlung.<br />

Fortbildungen für Ärzte sowie gezielte Früherkennungsmaßnahmen<br />

können dazu beitragen, mehr Betroffenen<br />

als bisher adäquate Hilfsangebote zukommen<br />

zu lassen.<br />

►Zitierweise<br />

Erbas B, Buchner UG: Pathological gambling—<br />

prevalence, diagnosis, comorbidity, and intervention<br />

in Germany. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(10): 173–9.<br />

DOI: 10.3238/arztebl.2012.00173<br />

Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen:<br />

Dr. med. Erbas, Dipl.-Psych. Buchner<br />

MEDIZIN<br />

Die Zahl von Patienten, die wegen einer Glücksspielsucht<br />

eine ambulante oder stationäre Behandlung<br />

in Anspruch nahmen, ist in den vergangenen<br />

zehn Jahren kontinuierlich angestiegen. Mit Glücksspielsucht<br />

wird die ICD-10-Diagnose „<strong>Pathologisches</strong><br />

Spielen“ (F63.0) umgangssprachlich bezeichnet. Hauptmerkmal<br />

ist häufiges und wiederholtes Glücksspiel, Zitat:<br />

„das die Lebensführung des betroffenen Patienten<br />

beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen,<br />

materiellen und familiären Werte und Verpflichtungen<br />

führt“ (e1). Glücksspiel stellt analog zum Gebrauch psychotroper<br />

Substanzen eine effektive, aber unzureichende<br />

Strategie zur Verarbeitung von Stress oder Belastungen<br />

dar (1). Bildgebende Verfahren zeigen, dass sich Personen<br />

mit substanzbezogenen Störungen und pathologische<br />

Spieler in den Mustern der zentralnervösen Verstärkermechanismen<br />

ähneln (2). Viele Betroffene kommen<br />

aufgrund ihrer psychischen Begleiterkrankungen in medizinische<br />

Behandlung, ohne dass dabei das pathologische<br />

Spielen zur Sprache kommt. Ziel muss sein, möglichst<br />

viele pathologische Spieler im klinischen Alltag zu<br />

erkennen und frühzeitig in Behandlung zu bringen.<br />

Nach einem Exkurs zu den rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

werden im Folgenden diagnostische Kriterien<br />

sowie ein Kurzscreening für den Praxisalltag dargestellt.<br />

In diesem Zusammenhang werden unterschiedliche<br />

Spielertypen und häufige Spielermerkmale<br />

aufgezeigt. Begleitend informieren aufbereitete Sekundärdaten<br />

über die Entwicklung der Behandlungsprä -<br />

valenz. Im Anschluss werden häufig anzutreffende<br />

Begleiterkrankungen vorgestellt. Diese Erkenntnisse<br />

sollen dem behandelnden Arzt die Früherkennung<br />

erleichtern. Abschließend wird das Hilfsangebot für<br />

Betroffene kurz skizziert.<br />

Rechtliche Grundlagen<br />

In Deutschland ist Glücksspiel als demeritorisches Gut<br />

grundsätzlich nach § 284 ff. Strafgesetzbuch verboten.<br />

Um ein legales Spiel zu ermöglichen, sind öffentlich<br />

veranstaltete und konzessionierte Spiele von diesem<br />

Verbot ausgenommen und werden über den Staats -<br />

vertrag zum Glücksspielwesen in Deutschland (e2) –<br />

den Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) – geregelt. Ein<br />

wesentliches Ziel des GlüStV ist der Spielerschutz<br />

(§ 1 GlüStV). Allerdings wird nach aktueller Recht -<br />

sprechung das Spiel in Spielhallen über die Gewer -<br />

beordnung (GewO; [e3]) beziehungsweise die Spielverordnung<br />

(SpielVO; [e4]) geregelt. Die Automaten<br />

werden dabei als „Spielgeräte mit Gewinnmöglichkeit“<br />

(§ 33 c GewO) bezeichnet. Eine Auswirkung dieser<br />

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012 173


MEDIZIN<br />

TABELLE 1<br />

Kurzdarstellung der diagnostischen Kriterien „<strong>Pathologisches</strong> <strong>Glücksspielen</strong>“ nach DSM-IV (e5) und ICD-10 (e1) im Vergleich<br />

DSM-IV <strong>Pathologisches</strong> Spielen (312.31)<br />

Diagnostische Kriterien<br />

Andauerndes und wiederkehrendes fehlangepasstes Spielverhalten,<br />

was sich in zumindest fünf der folgenden Merkmale ausdrückt:<br />

1. Starke Eingenommenheit vom <strong>Glücksspielen</strong><br />

2. Steigerung der Einsätze zur Erreichung der gewünschten<br />

Erregung<br />

3. Wiederholte erfolglose Versuche, das Spielen zu kontrollieren,<br />

einzuschränken oder aufzugeben<br />

4. Unruhe und Gereiztheit beim Versuch, das Spielen einzuschränken<br />

5. Spielen als Flucht vor Problemen oder dysphorischer Stimmung<br />

6. Wiederaufnahme des Spielens nach Geldverlust (dem Verlust<br />

hinterherjagen)<br />

7. Lügen gegenüber Dritten, um das Ausmaß der Problematik<br />

zu vertuschen<br />

8. Illegale Handlungen zur Finanzierung des Spielens<br />

9. Gefährdung oder Verlust wichtiger Beziehungen, des<br />

Arbeitsplatzes oder von Zukunftschancen<br />

10. Hoffnung auf Bereitstellung von Geld durch Dritte<br />

Differenzialdiagnostik<br />

Unterscheidung von:<br />

– sozialem und professionellem Spielen<br />

– Spielen im Rahmen einer „Manischen Episode“<br />

– Probleme mit dem Spielen bei einer „Antisozialen<br />

Persönlichkeitsstörung“<br />

→ Bei Erfüllung der Kriterien beider Störungen können beide<br />

Diagnosen vergeben werden.<br />

Anmerkung: Häufig wird bei Vorliegen von drei bis vier diagnostischen Merkmalen des DSM-IV von „problematischem Spielverhalten“ gesprochen.<br />

Unterscheidung ist, dass sich pathologische Spieler lediglich<br />

bei staatlichen Lotterien sowie in Spielbanken<br />

sperren lassen können, nicht aber in Spielhallen.<br />

Diagnostik und Screeninginstrumente<br />

Derzeit ist pathologisches <strong>Glücksspielen</strong> (PG) in den<br />

Diagnosemanualen ICD-10 (e1) und DSM-IV (e5) als<br />

Impulskontrollstörung eingeordnet. Allerdings gibt es<br />

Hinweise darauf, PG künftig als „nichtstoffgebundene<br />

Abhängigkeit“ einzustufen (e1) (Tabelle 1).<br />

Für PG wichtige Differenzialdiagnosen sind Spielen im<br />

Rahmen von manischen Episoden sowie Probleme mit<br />

dem Spielen bei einer dissozialen Persönlichkeitsstörung.<br />

Zudem wird PG von sozialem und professionellem Spielen<br />

abgegrenzt.<br />

In der Praxis eignet sich bei Verdachtsfällen der Einsatz<br />

eines kurzen Screeninginstruments. Mit drei Fragen kann<br />

der behandelnde Arzt anhand des Brief Biosocial Gambling<br />

Screen (BBGS) prüfen, ob in den vergangenen zwölf<br />

Monaten PG vorlag (3). Der Fragebogen basiert auf einer<br />

Sekundäranalyse einer großen US-amerikanischen Bevölkerungsstudie.<br />

In einer stufenweisen Diskriminanzanalyse<br />

wurden die diagnostischen Kriterien ermittelt, die pathologische<br />

Spieler von Gesunden unterscheiden. Dabei weist<br />

der BBGS eine hohe Sensitivität sowie Spezifität auf, allerdings<br />

liegt derzeit noch keine deutsche Validierung vor<br />

(Kasten 1).<br />

ICD-10 <strong>Pathologisches</strong> Spielen (F63.0)<br />

Die Störung besteht in häufigem und wiederholtem episodenhaften<br />

Glücksspiel, das die Lebensführung des betroffenen Patienten<br />

beherrscht und zum Verfall der sozialen, beruflichen, materiellen<br />

und familiären Werte und Verpflichtungen führt.<br />

Diagnostische Kriterien:<br />

A. Wiederholte (2 oder mehr) Episoden von Glücksspiel über<br />

einen Zeitraum von mindestens einem Jahr.<br />

B. Diese Episoden bringen den Betroffenen keinen Gewinn,<br />

sondern werden trotz subjektivem Leidensdruck und Störung<br />

der Funktionsfähigkeit im täglichen Leben fortgesetzt.<br />

C. Die Betroffenen beschreiben einen intensiven Drang, zu<br />

spielen, der nur schwer kontrolliert werden kann. Sie schildern,<br />

dass sie nicht in der Lage sind, das Glücksspiel durch Willensanstrengung<br />

zu unterbrechen.<br />

D. Die Betroffenen sind ständig mit Gedanken oder Vorstellungen<br />

vom Glücksspiel oder mit dem Umfeld des Glücksspiels<br />

beschäftigt.<br />

Abgrenzung von:<br />

– Exzessivem Spielen manischer Patienten (F30)<br />

– Nicht näher bezeichnetem Spielen und Wetten (Z72.6)<br />

– Spielen bei dissozialer Persönlichkeitsstörung (F60.2)<br />

Zur ausführlichen Diagnostik gibt es eine Vielzahl an<br />

Instrumenten, wobei sich in Deutschland noch kein einheitlicher<br />

Standard durchgesetzt hat. So eignet sich beispielsweise<br />

der Kurzfragebogen zum Glücksspielverhalten<br />

(KFG) von Petry und Baulig (e6) oder der South Oaks<br />

Gambling Screen (SOGS) von Lesieur und Blume (e7),<br />

der auch von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung<br />

(BZgA) für Repräsentativbefragungen eingesetzt<br />

wird (4, e8). Allerdings wird mit dieser Methode der Anteil<br />

an pathologischen Spielern in der Allgemeinbevölkerung<br />

überschätzt, da dieser Fragebogen ursprünglich für<br />

den Einsatz im klinischen Setting entwickelt wurde (5).<br />

Deswegen bietet sich die Kriterienliste nach Stinchfield<br />

(5) an, die die derzeitigen diagnostischen Kriterien in 19<br />

Fragen aufschlüsselt. Diese ist als Selbsttest in deutscher<br />

Übersetzung bei der Landesstelle Glücksspielsucht in<br />

Bayern im Rahmen des Praxishandbuch Glücksspiel (6)<br />

kostenfrei zum Herunterladen erhältlich (www.lsgbayern.<br />

de/fileadmin/user_upload/lsg/Praxishandbuch_neu/<br />

36_Selbsttest_Gluecksspielsucht.pdf).<br />

Spielertypen und -merkmale<br />

Neben der Diagnostik sind für den Praktiker weitere<br />

Merkmale relevant: So spielen unter anderem biologische<br />

und kognitive Einflussfaktoren bei der Entwicklung vom<br />

sozialen zum pathologischen Spieler eine Rolle (Übersicht<br />

bei [e9]). Dies hat auch Auswirkungen auf die Behand-<br />

174 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012


lungsmotivation oder das notwendige -setting. Blaszczynski<br />

und Nower leiten aus vorliegenden Studien zu Einflussfaktoren<br />

drei unterschiedliche Spielertypen (7) ab<br />

(Kasten 2), die sich auch in einer aktuellen Metaanalyse<br />

(8) bestätigen ließen. Bei Betrachtung der pathologischen<br />

Spieler zeigen sich geschlechtsspezifische Unterschiede:<br />

70–80 % aller Betroffenen sind männlich (9). In der Beratung/Behandlung<br />

sind Frauen mit knapp 10 % in ambulanten<br />

Beratungsstellen unterrepräsentiert (e10). Stationär<br />

behandelte pathologische Glücksspielerinnen berichten<br />

im Vergleich zu männlichen Spielern signifikant häufiger<br />

über Traumatisierungen in Kindheit und Jugend wie<br />

schwere und fortgesetzte Vernachlässigungen (22 % Frauen<br />

versus 11 % Männer) sowie körperliche (29 % Frauen<br />

versus 16 % Männer) und sexuelle Misshandlungen (35 %<br />

Frauen versus 4 % Männer). Ebenso findet man signifikant<br />

häufiger Traumata im Erwachsenenalter wie Überfälle,<br />

Vergewaltigungen, lebensbedrohliche Unfälle (23 %<br />

Frauen versus 7 % Männer) sowie erlittene Gewalt in der<br />

Partnerschaft (15 % Frauen versus 1 % Männer) (10). Das<br />

Glücksspiel stellt für die Betroffenen eine Ablenkung zur<br />

kurzfristigen Symptomreduktion dar (10).<br />

Prävalenz<br />

Für Deutschland liegen derzeit sechs Studien mit Prä -<br />

valenzschätzungen zu PG vor (4, 9, 11, 12, e8, e11):<br />

103 000–290 000 Menschen sind danach spielsüchtig<br />

(4, 11), weitere 103 000–350 000 zeigen problematisches<br />

Spielverhalten (4, 12). Dies entspricht jeweils 0,2–0,6 %<br />

der Bevölkerung (12-Monats-Prävalenz).<br />

2009 wurden laut Gesundheitsberichterstattung des<br />

Statistischen Bundesamts über die gesetzliche Krankenversicherung<br />

360 Patienten mit Erstdiagnose PG im Krankenhaus<br />

behandelt. Weitere 911 Patienten mit Erstdiagnose<br />

sowie 625 Patienten mit Nebendiagnose PG wurden<br />

über die Deutsche Rentenversicherung (DRV) stationär<br />

versorgt (e12). Bezüglich der ambulanten Behandlung ist<br />

die Datenlage sehr dünn. 2009 erhielten 33 Patienten mit<br />

Erst- sowie 28 Patienten mit Nebendiagnose PG eine ambulante<br />

Rehabilitation (e12). Für die Zahl der bei niedergelassenen<br />

psychologischen Psychotherapeuten behandelten<br />

Patienten liegt lediglich für Bayern eine Hochrechnung<br />

vor (13): Demnach befanden sich 2009 zwischen<br />

150–500 pathologische Spieler in einer Psychotherapie.<br />

Im gleichen Jahr nahmen laut Deutscher Suchthilfestatistik<br />

(e10) – ohne Berücksichtigung von Einmalkontakten –<br />

bundesweit 6 090 Betroffene ambulante Betreuungsangebote<br />

in Anspruch.<br />

Für das Jahr 2010 liegen lediglich Daten der DRV zur<br />

stationären Behandlung vor. Unter Berücksichtigung von<br />

Haupt- und Nebendiagnosen zeigt sich im Vergleich zum<br />

Vorjahr ein Anstieg um 29 %: 1 249 Patienten mit Erst -<br />

diagnose sowie 729 Patienten mit Nebendiagnose PG<br />

(F63.0) erhielten stationäre Leistungen (Grafik 1). Dabei<br />

lag der prozentuale Anteil der Frauen mit Erstdiagnose PG<br />

bei 10,9 %, mit Nebendiagnose PG bei 8,1 %.<br />

Zwischen der Zahl der Betroffenen und dem Anteil,<br />

der eine Behandlung in Anspruch nimmt, klafft eine<br />

große Lücke: Von geschätzten 290 000 Betroffenen (4)<br />

kamen ohne Berücksichtigung der bei Psychotherapeu-<br />

KASTEN 1<br />

Brief Biosocial Gambling Screen<br />

(BBGS)<br />

● Wurden Sie in den vergangenen 12 Monaten<br />

ruhelos, gereizt oder ängstlich, wenn Sie versucht<br />

haben, mit dem Spielen aufzuhören oder weniger zu<br />

spielen?<br />

● Haben Sie in den vergangenen 12 Monaten versucht,<br />

vor Ihrer Familie oder Ihren Freunden zu verbergen, wie<br />

viel Sie spielen?<br />

● Hatten Sie in den vergangenen 12 Monaten aufgrund<br />

Ihres Glücksspiels finanzielle Probleme in einem Ausmaß,<br />

dass Sie die Unterstützung von Familie oder<br />

Freunden benötigt haben?<br />

Werden eine oder mehrere Fragen mit „Ja“ beantwortet,<br />

liegt wahrscheinlich pathologisches Glücksspiel vor.<br />

Ein Screeninginstrument für die Praxis: der Brief Biosocial Gambling<br />

Screen ([3]; eigene Übersetzung)<br />

KASTEN 2<br />

Spielertypen nach Blaszczynski<br />

und Nower (7)<br />

● Problemspieler mit konditioniertem Spielverhalten<br />

(behaviourally conditioned problem gamblers):<br />

In dieser Gruppe finden sich nur minimale Level an<br />

Psychopathologie. Die Spieler sind zumeist motiviert,<br />

eine Behandlung zu beginnen. Häufig sind bereits<br />

minimale Interventionen oder Beratungsangebote<br />

ausreichend.<br />

● Emotional verletzliche Problemspieler (emotionally<br />

vulnerable problem gamblers): In dieser Gruppe liegen<br />

bereits vor Beginn des pathologischen <strong>Glücksspielen</strong>s<br />

(PG) Angststörungen und/oder Depressionen<br />

vor. Zudem weisen die Betroffenen mangelhafte<br />

Bewältigungs- und Problemlösefähigkeiten auf. Daher<br />

ist für diese Gruppe eine Veränderung schwerer<br />

zu erreichen. Die zugrundeliegende Vulnerabilität<br />

muss in der Therpie angesprochen und mitbehandelt<br />

werden.<br />

● Antisozial impulsive Problemspieler (antisocial impulsivist<br />

problem gamblers): Im Unterschied zu den<br />

„emotional verletzlichen Problemspielern“ liegen in<br />

dieser Gruppe vermehrt antisoziale Persönlichkeitsstörungen,<br />

Aufmerksamkeitsdefizite sowie ein hohes<br />

Ausmaß an Impulsivität vor. Die Spieler sind schwer<br />

zur Behandlungsaufnahme zu bewegen, zeigen eine<br />

geringe Compliance und haben hohe Abbruchraten.<br />

Zudem reagieren sie kaum auf Interventionen.<br />

MEDIZIN<br />

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012 175


MEDIZIN<br />

Stationäre<br />

Leistungen zur<br />

medizinischen<br />

Rehabilitation<br />

und sonstige<br />

Leistungen zur<br />

Teilhabe für<br />

Erwachsene F63.0<br />

(2000–2010);<br />

differenziert nach<br />

Geschlecht sowie<br />

nach Erst- und<br />

Nebendiagnose<br />

(Berechnung aus e12)<br />

GRAFIK 1<br />

2 000<br />

1 800<br />

1 600<br />

1 400<br />

1 200<br />

1 000<br />

800<br />

600<br />

400<br />

200<br />

0<br />

Männer 1. Diagnose<br />

Männer 2.–5. Diagnose<br />

Frauen 1. Diagnose<br />

Frauen 2.–5. Diagnose<br />

gesamt 1. Diagnose<br />

gesamt 2.–5. Diagnose<br />

2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010<br />

ten Behandelten im Jahr 2009 knapp 7 400 Patienten<br />

mit Erstdiagnose PG in Suchthilfeeinrichtungen oder<br />

Kliniken in Beratung oder Behandlung. Dies entspricht<br />

2,6 %.<br />

Patientencharakteristika<br />

Männer und Frauen unterscheiden sich nicht nur in ihren<br />

Prävalenzraten, sondern auch bezüglich der Altersverteilung:<br />

Betroffene Männer sind tendenziell jünger, ihr Altersgipfel<br />

liegt bei 30–39 Jahren. Betroffene Frauen sind<br />

im Schnitt 10 Jahre älter (e12).<br />

93 % der Patienten (Grafik 2) weisen weitere Diagnosen<br />

in absteigender Reihenfolge vor allem aus folgenden<br />

Bereichen auf:<br />

● psychische und Verhaltensstörungen<br />

● Krankheiten des Verdauungssystems/Stoffwechsels<br />

● Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems/Bindegewebes<br />

● Krankheiten des Kreislauf- und Atmungssystems.<br />

Frauen sind hinsichtlich der Anzahl der Nebendiagnosen<br />

stärker belastet als Männer. So beträgt der Anteil der<br />

Frauen mit fünf Nebendiagnosen 48 %, bei Männern sind<br />

es 39 %. Dabei können aufgrund des vorliegenden Datensatzes<br />

keine Aussagen über die Kombinationen der weiteren<br />

Diagnosen getroffen werden.<br />

Komorbidität<br />

Psychische und Verhaltensstörungen sind die häufigsten<br />

Begleiterkrankungen bei pathologischen<br />

Glücksspielern, die sich in Behandlung befinden<br />

(e12). Bei den diesbezüglich kodierten Nebendiagno-<br />

sen (Mehrfachnennungen möglich) handelt es sich<br />

vorwiegend um weitere psychische Störungen<br />

(81 %). Zudem findet man alkoholspezifische Diagnosen<br />

(8 %) und Diagnosen aus dem Bereich Medikamente/Drogen<br />

(11 %).<br />

Im Vergleich zu pathologischen Glücksspielern in<br />

der Allgemeinbevölkerung (e11) zeigen sich bei jenen<br />

in stationärer Behandlung (14) vermehrt Angststörungen<br />

und Nikotinmissbrauch/-abhängigkeit. Dagegen<br />

findet man bei pathologischen Glücksspielern in der<br />

Allgemeinbevölkerung häufiger Persönlichkeitsstörungen<br />

(Tabelle 2).<br />

Affektive Störungen<br />

Häufig treten PG und affektive Störungen gemeinsam<br />

auf: Bei mehr als der Hälfte der pathologischen Spieler<br />

wurde eine Depression diagnostiziert (e11). Zudem<br />

kommt es bei 32 % der Spieler in Behandlung zu Suizidgedanken<br />

und bei 17 % zu Suizidversuchen (e13).<br />

Einige Autoren postulieren, dass affektive Störungen<br />

als Folge von PG auftreten (14, 15). In anderen Studien<br />

findet man keine Unterschiede im Auftreten der affektiven<br />

Störungen vor beziehungsweise nach der Entwicklung<br />

von PG (e14). Dies könnte damit zusammenhängen,<br />

dass die oben genannten Spielertypen verschiedene<br />

Zeitpunkte des Auftretens depressiver<br />

Symptomatik zeigen: Bei „emotional verletzlichen<br />

Problemspielern“ liegen Depressionen bereits vor Einsetzen<br />

von PG vor, bei „Problemspielern mit konditioniertem<br />

Spielverhalten“ treten diese dagegen häufig als<br />

Folge von PG auf (7).<br />

176 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012


GRAFIK 2<br />

40 %<br />

500<br />

237<br />

19 %<br />

7 %<br />

158<br />

Angststörungen<br />

Auch Angststörungen findet man bei PG gehäuft (14,<br />

16). Diese bestehen meist bereits vor Beginn des PG (14)<br />

und erhöhen das Risiko, an PG zu erkranken (7). Dabei<br />

handelt es sich insbesondere um Panikstörungen (16).<br />

Posttraumatische Belastungsstörung und Traumata<br />

Bei pathologischen Spielern in der Allgemeinbevölkerung<br />

haben 15,5 % eine Posttraumatische Belastungsstörung<br />

(PTBS) (e11). Neben dem Vollbild einer PTBS<br />

zeigen sich hohe Traumatisierungsquoten: In einer Patientenstudie<br />

mit pathologischen Spielern berichten<br />

64 % von emotionalen, 40,5 % von physischen und<br />

24,3 % von sexuellen Traumata (17). Im Vergleich werden<br />

für die Allgemeinbevölkerung folgende Zahlen berichtet:<br />

14,9 % emotionaler, 12,0 % körperlicher und<br />

12,5 % sexueller Missbrauch in Kindheit und Jugend in<br />

verschiedenen Schweregraden (e15). Bei glücksspielenden<br />

Frauen in Behandlung liegen signifikant höhere<br />

Traumatisierungsquoten vor als bei Männern (10). Im<br />

Schnitt berichten pathologische Spieler (ohne PTBS)<br />

über vier verschiedene Traumatypen mit durchschnittlich<br />

25 erlebten Traumata. Auch bei Personen mit einer<br />

PTBS (ohne PG) findet man bei 24 % moderat-riskantes<br />

Spielverhalten und bei 9,5 % problematisches Spielverhalten<br />

(e16).<br />

85<br />

269<br />

13 %<br />

21 %<br />

nur Erstdiagnose PG PG + 3 Nebendiag-<br />

PG + 1 Nebendiagnose nosen<br />

PG + 2 Nebendiagnosen PG + 4 Nebendiagnosen<br />

Anzahl an Diagnosen bei Patienten (n = 1 249), die im Jahr 2010<br />

stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und sonstige<br />

Leistungen zur Teilhabe für Erwachsene F63.0 (Erstdiagnose) bei der<br />

Deutschen Rentenversicherung (DRV) erhielten (Berechnung aus [e12])<br />

TABELLE 2<br />

Substanzbezogene Störungen<br />

In einer französischen Querschnittstudie mit Patienten<br />

aus Suchtbehandlungszentren befanden sich unter<br />

den dort behandelten Alkoholkranken 6,5 % patho -<br />

logische sowie 12 % problematische Spieler. Alle<br />

Altersgruppen waren gleichermaßen betroffen. Auch<br />

eine Abstinenz führte nicht zur Abnahme der Spielproblematik<br />

(18).<br />

Eine weitere Studie verglich behandlungssuchende<br />

Glücksspieler hinsichtlich ihres Rauchverhaltens.<br />

Hier zeigte sich, dass regelmäßige Raucher verglichen<br />

mit Gelegenheitsrauchern unter anderem stärker<br />

durch Probleme mit dem Spielen belastetet<br />

waren. So spielten sie an mehr Wochentagen, machten<br />

höhere Einsätze, hatten ein größeres Verlangen<br />

nach dem Spielen (Craving) und ein geringeres<br />

Kontrollgefühl (e17). Insgesamt rauchen knapp 80 %<br />

der pathologischen Spieler in der Allgemeinbevölkerung<br />

(e11).<br />

Eine amerikanische Studie mit methadonsubsti -<br />

tuierten Patienten zeigte Prävalenzraten von 17,7 %<br />

für PG, 11,3 % wiesen ein problematisches Spiel -<br />

verhalten auf (e18). Die pathologischen Spieler<br />

schnitten hinsichtlich des Therapieerfolgs, das heißt<br />

in Bezug auf die Abstinenz von Kokain oder Heroin<br />

während der Therapie sowie die regelrechte Be -<br />

endigung der Therapie, schlechter ab. In einer<br />

anderen Untersuchung an stationären Suchtpatien -<br />

ten war die Jahresprävalenz für PG mit 24 % am<br />

höchsten bei Patienten mit Cannabismissbrauch, gefolgt<br />

von 11,5 % bei Kokainmissbrauch. Alkohol-<br />

und Opiatmissbrauch spielten hier mit 4,0 % be -<br />

ziehungsweise 4,8 % eine deutlich untergeordnete<br />

Rolle (e19).<br />

MEDIZIN<br />

Lebenszeitprävalenz komorbider psychischer Störungen bei PG im Vergleich<br />

Allgemeinbevölkerung (e11) und klinische Stichprobe (14)<br />

Komorbide psychische<br />

Störungen<br />

Affektive Störungen<br />

Angststörungen<br />

Persönlichkeitsstörungen<br />

Tabakbezogene Störungen<br />

Alkoholbezogene<br />

Störungen<br />

Substanzbezogene<br />

Störungen (ohne Tabak)<br />

pathologische Spieler in<br />

der Allgemeinbevölkerung*<br />

1 (2011; n = 15 023)<br />

(e11)<br />

Lebenszeitprävalenz<br />

*<br />

*1 Erhoben wurde das Glücksspielverhalten in der Allgemeinbevölkerung mittels Telefoninterview.<br />

Bei Vorliegen der Kriterien für problematisches oder pathologisches <strong>Glücksspielen</strong> wurde ein vertiefendes<br />

klinisches Interview (Erfassung der Komorbidität durch M-CIDI und Skid II) durchgeführt.<br />

*2 Bei den pathologischen Spielern in Behandlung wurden die komorbiden psychischen Störungen über<br />

standardisierte Interviews (DIA-X, IPDE) erfasst.<br />

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012 177<br />

63,1 %<br />

37,1 %<br />

35,2 %<br />

78,2 %<br />

54,9 % (Missbrauch und<br />

Abhängigkeit)<br />

44,3 % (nur Abhängigkeit)<br />

pathologische Spieler in<br />

stationärer Behandlung* 2<br />

(2008; n = 101) (14)<br />

61,4 %<br />

57,4 %<br />

27,7 %<br />

86,1 %<br />

23,8 % (Missbrauch)<br />

31,7 % (Abhängigkeit)<br />

60,4 % (Missbrauch und<br />

Abhängigkeit)


MEDIZIN<br />

Persönlichkeitsstörungen<br />

In diversen Studien werden hohe Komorbiditätsraten<br />

mit Persönlichkeitsstörungen berichtet (19). Dabei sind<br />

die Zahlen in etwa mit denen vergleichbar, die sich generell<br />

bei Patienten in der Psychiatrie finden lassen<br />

(e20). Bei pathologischen Spielern, die sich nicht in<br />

Behandlung befinden, handelt es sich besonders häufig<br />

um Borderline-Persönlichkeitsstörungen (19). Auch bei<br />

Spielern in Behandlung treten Borderline- sowie histrionische<br />

und narzisstische Persönlichkeitsstörungen<br />

besonders häufig auf (e20). Dagegen traten in einer<br />

Stichprobe stationär behandelter pathologischer<br />

Glücksspieler in Deutschland besonders häufig anankastische,<br />

ängstlich-vermeidende oder abhängige Persönlichkeitsstörungen<br />

auf (14).<br />

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom<br />

Auch hyperkinetische Störungen findet man vermehrt<br />

bei pathologischen Glücksspielern. Persistiert ein Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätssyndrom<br />

(ADHS)<br />

bis in das Erwachsenenalter, so weisen die Betroffenen<br />

einen stärkeren Schweregrad des Spielens auf als Personen<br />

ohne hyperkinetische Störungen oder solche, deren<br />

ADHS mit dem Erwachsenwerden verschwand<br />

(20). Jugendliche mit ADHS, die in einer aktuellen<br />

Querschnittstudie nach den vorherrschenden Charakteristika<br />

„Unaufmerksamkeit“ beziehungsweise „Hyperaktivität-Impulsivität<br />

in Kombination mit Unaufmerksamkeit“<br />

eingeteilt wurden, spielten in gleichem Ausmaß.<br />

Dabei zeigte die zweite Gruppe aber doppelt so<br />

häufig problematisches Spielverhalten (21).<br />

Behandlung mit Dopaminagonisten bei Morbus Parkinson<br />

In der Literatur mehren sich in den letzten Jahren Hinweise,<br />

dass eine Behandlung mit Dopaminagonisten,<br />

wie etwa bei Morbus Parkinson, Impulskontrollstörungen<br />

auslösen kann (22, 23, e21). In einer großen amerikanischen<br />

Querschnittstudie mit mehr als 3 000 Parkinson-Patienten<br />

aus 46 Behandlungszentren traten bei<br />

13,6 % entsprechende Störungen auf. Dabei lag der Anteil<br />

an pathologischen Spielern bei 5,0 % (24). Als Risikofaktoren<br />

für die Entwicklung einer Störung der Impulskontrolle<br />

findet man unter anderem neben der Einnahme<br />

von Dopaminagonisten (OR = 2,7) die Zugehörigkeit<br />

zur jüngeren Altersgruppe (OR = 2,5), eine auffällige<br />

Familienanamnese hinsichtlich PG (OR = 2,1)<br />

sowie ein positiver Rauchstatus (OR = 1,7). Für die<br />

Entwicklung von Kaufsucht, PG und Hypersexualität<br />

zeigt sich eine Dosis-Wirkungs-Beziehung: Je höher<br />

die verabreichte Dosis, desto häufiger sind entsprechende<br />

Störungsbilder (25).<br />

Hilfsangebote<br />

Da es in der Behandlung von PG bislang weder eine<br />

eindeutige Präferenz für eine bestimmte psychotherapeutische<br />

Therapierichtung gibt (e22) noch ein Therapieprogramm,<br />

das hinsichtlich des Wirksamkeitsnachweises<br />

den momentanen Standards genügt (e23), werden<br />

nachfolgend die für Praktiker relevanten Angebote<br />

in Deutschland dargestellt. Derzeit gibt es 25 Kliniken,<br />

KERNAUSSAGEN<br />

die Patienten mit PG als Primärindikation aufnehmen.<br />

Weitere 30 Kliniken nehmen Patienten mit PG als Sekundärindikation<br />

auf. Die Kliniken sind in erster Linie<br />

in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen (jeweils<br />

9 Kliniken), Bayern (8 Kliniken), Niedersachsen (6 Kliniken),<br />

Rheinland-Pfalz (6 Kliniken) und in Hessen (5<br />

Kliniken) angesiedelt. In den übrigen Bundesländern<br />

befinden sich, mit Ausnahme von Hamburg, jeweils<br />

1–2 Kliniken (Winter S et al.: Die Versorgungssituation<br />

pathologischer Glücksspieler – eine Experteneinschätzung.<br />

Poster auf dem 12. Interdisziplinären Kongress<br />

für Suchtmedizin, München, Juli 2011). Die Suche<br />

nach einer geeigneten Rehabilitationseinrichtung kann<br />

durch den LSG-Klinikexplorer unterstützt werden, der<br />

bundesweit Kliniken für PG mit verschiedenen Behandlungsschwerpunkten<br />

und Indikationen auflistet<br />

(www.lsgbayern.de/index.php?id=243).<br />

Im ambulanten Bereich wird das Angebot seit Inkrafttreten<br />

des GlüStV ausgebaut. So gab es zum einen von<br />

2007 bis 2010 ein bundesweites Frühinterventionsprojekt<br />

der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS),<br />

zum anderen wurden in den einzelnen Bundesländern<br />

Koordinationsstellen im Bereich Glücksspielsucht sowie<br />

spezialisierte Beratungsstellen eingerichtet (Überblick<br />

bei [6]). Zunehmend gibt es in den Beratungsstellen auch<br />

die Möglichkeit der ambulanten Rehabilitation. So haben<br />

beispielsweise in Bayern inzwischen 14 Beratungsstellen<br />

die notwendige Anerkennung. Dies spiegelt sich auch in<br />

der Entwicklung der Inanspruchnahme ambulanter Leistungen<br />

wieder: Von 2004 bis 2010 haben sich die Behandlungszahlen<br />

mehr als verdoppelt (e12).<br />

Im Internet gibt es ebenfalls verschiedene Hilfsangebote,<br />

wie Selbsthilfeforen (z. B. www.forum-gluecks<br />

spielsucht.de, http://forum-spielsucht.de, www.die-spiel<br />

sucht.de) oder das Angebot der Bundeszentrale für gesundheitliche<br />

Aufklärung (www.check-dein-spiel.de).<br />

Angesichts des derzeitigen Glücksspielangebotes ist<br />

ein Auf- und Ausbau der Hilfsangebote zur Steigerung<br />

des Problembewusstseins und zur Frühintervention<br />

notwendig. Dadurch können idealerweise mehr Betroffene<br />

zu einem früheren Zeitpunkt eine adäquate Beratung<br />

und Behandlung erhalten.<br />

● Bei pathologischen Spielern handelt es sich um eine stark belastete Klientel mit<br />

hoher Komorbidität.<br />

● Patienten mit substanzbezogenen und affektiven Störungen sowie Angst- und<br />

Persönlichkeitsstörungen sollten zu ihrem Glücksspielverhalten befragt werden.<br />

● Verglichen mit der Gesamtzahl der pathologischen Spieler befindet sich, ähnlich<br />

wie bei Alkoholabhängigen, nur ein Bruchteil der Betroffenen in Behandlung.<br />

● Die Kenntnis von Screeninginstrumenten und Spielertypen kann dem Arzt das<br />

Erkennen von pathologischen Spielern im Praxisalltag erleichtern.<br />

● Fortbildungen für Ärzte sowie gezielte Früherkennungsmaßnahmen können dazu<br />

beitragen, mehr Betroffenen als bisher adäquate Hilfsangebote zukommen<br />

zu lassen.<br />

178 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012


Danksagung<br />

Die Autorinnen danken Thomas Bütefisch von der Deutschen Rentenversicherung<br />

Bund für die Sonderauswertung F63.0.<br />

Interessenkonflikt<br />

Ministerien und nachgeordnete Behörden des Freistaats Bayern sind als Betreiber<br />

beziehungsweise Lizenzgeber für Glücksspiele tätig. Die BAS wird aus<br />

Mitteln des Bayerischen Ministeriums für Umwelt und Gesundheit gefördert.<br />

Mit der Finanzierung sind keine Auflagen verbunden.<br />

Manuskriptdaten<br />

eingereicht: 1. 8. 2011, revidierte Fassung angenommen: 7. 11. 2011<br />

LITERATUR<br />

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Anschrift für die Verfasser<br />

Dr. med. Beate Erbas (MPH)<br />

Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen<br />

Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)<br />

Landwehrstraße 60–62<br />

80336 München<br />

erbas@bas-muenchen.de<br />

SUMMARY<br />

Pathological Gambling—Prevalence, Diagnosis, Comorbidity, and<br />

Intervention in Germany<br />

Background: The number of pathological gamblers seeking treatment<br />

has risen continuously till the present, and the trend shows no sign of<br />

reversal. Estimates of the number of pathological gamblers in Germany<br />

range from 103 000 to 290 000, corresponding to 0.2%-0.6% of the<br />

population. Pathological gambling often accompanies other mental disturbances.<br />

Doctors who learn that their patients suffer from such disturbances<br />

should ask targeted questions about gambling behavior to increase<br />

the chance that this problem will be detected early on.<br />

Methods: This article is based on an analysis of secondary data ob -<br />

tained from the German Statutory Pension Insurance Scheme and the<br />

Federal Statistical Office and on a selective review of the literature on<br />

comorbidities and available interventions.<br />

Results: The rate of inpatient treatment for pathological gambling tripled<br />

from 2000 to 2010. Most pathological gamblers are men (70%–80%).<br />

More than 90% of the patients suffer from more than one mental disturbance;<br />

40% of them carry five different psychiatric diagnoses. Simple<br />

screening instruments for pathological gambling are easy to use in<br />

routine practice and facilitate the diagnosis.<br />

Conclusion: As with alcoholics, only a small fraction of pathological<br />

gamblers receives the appropriate support and treatment. Educational<br />

seminars to raise awareness among physicians and targeted measures<br />

for early detection might result in more of the affected persons getting<br />

suitable help.<br />

Zitierweise<br />

Erbas B, Buchner UG: Pathological gambling—prevalence, diagnosis,<br />

comorbidity, and intervention in Germany. Dtsch Arztebl Int 2012; 109(10):<br />

173–9. DOI: 10.3238/arztebl.2012.0173<br />

@ Mit<br />

„e“ gekennzeichnete Literatur:<br />

www.aerzteblatt.de/lit1012<br />

The English version of this article is available online:<br />

www.aerzteblatt-international.de<br />

MEDIZIN<br />

Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012 179


MEDIZIN<br />

ÜBERSICHTSARBEIT<br />

<strong>Pathologisches</strong> <strong>Glücksspielen</strong><br />

Prävalenz, Komorbidität, Diagnose und Hilfsangebote in Deutschland<br />

Beate Erbas, Ursula G. Buchner<br />

eLITERATUR<br />

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8 Deutsches Ärzteblatt | Jg. 109 | Heft 10 | 9. März 2012

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