Zwei Liedzyklen
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34 Hindemiths große Vokalwerke<br />
Des Todes Tod<br />
Der Tod ist müde worden,<br />
Er strecket sich zur Ruh<br />
In einem Sommergarten,<br />
Die Blumen wachsen ob ihm zu.<br />
Sie wachsen hoch empor,<br />
Aus seinen Elfenbeinern<br />
Leuchten die frühen Astern vor.<br />
Der Tod liegt ausgestrecket.<br />
Die Blumen steigen auf:<br />
Mit Rosenrot bedecket<br />
Endet er seinen Lauf.<br />
Die Knochen bleichen ganz,<br />
Verwesen und verwelken<br />
Bei aller Sonnen Mittagsglanz.<br />
Der Tod wird lauter Leben,<br />
Er steigt erneut empor,<br />
Ein Knabe, blumenumgeben,<br />
Aus den roten Asterblättern vor.<br />
Er geht und leuchtet schön.<br />
Alle Menschen sind gestorben!<br />
Sein Haar fliegt goldig schön im Föhn!<br />
Hindemith setzt dieses Gedicht als Zwiegespräch der Frauenstimme<br />
mit einer einzigen Bratsche. Die (wie im zweiten Lied ganztönige) Wechselnotengruppe<br />
wird hier mit einem aufsteigenden Quintsprung eingeleitet, der<br />
als Symbol des Todes zu fungieren scheint: Er erklingt zehnmal im Verlauf<br />
des 66 Takte umfassenden Liedes. Der Zielton wird nach der Wechselnotengruppe<br />
von der Bratsche zusätzlich durch eine Doppelschlagfigur<br />
umspielt, die in der Singstimme variiert wiederkehrt:<br />
NOTENBEISPIEL 3: Der umspielte Zentralton in “Des Todes Tod”<br />
Indem Hindemith diese in der ersten Strophe eingeführten Varianten<br />
wiederholt aufgreift – besonders dicht in der dritten Strophe – , verleiht er<br />
dem Lied eine innere Bogenstruktur, die der poetischen Aussage eine neue<br />
Interpretation entgegenzuhalten scheint: “Der Tod wird lauter Leben” klingt<br />
wie “Der Tod ist müde worden” unbegleitet und weicht von dem Vorbild